Die Auswirkungen von Ladonna Montefioris unbeabsichtigt ausgelöster, die ganze Welt umlaufenden Welle dunkler Zauberkräfte halten alle Zaubereiverwaltungsbehörden weiterhin in Atem. Gebannte Wesen, verfluchte und von dunklen Geistern beseelte Dinge erwachen zu einem neuen, mörderischen Eigenleben, darunter Morgauses silberner Hexenkessel, die letzten vier Schlangenmenschen Skyllians und das Schwert des japanischen Erzdunkelmagiers, der als dunkler Wächter gefürchtet war. Der annähernd unzerstörbare Silberkessel Morgauses wird im darum geführten Kampf zwischen Ladonna und Anthelia zerstört und Morgauses Seele als Nachtschattenfrau im Duell mit der Nachtschattenkaiserin Birgute Hinrichter von dieser selbst einverleibt. Die im australischen Felsenberg Uluru wiedererwachten Schlangenmenschen bedrohen australiens magische und nichtmagische Gemeinschaft, ob Einwanderer oder Ureinwohner. Erst Anthelias wiedergezüchtete Entomanthropen sowie ein das ganze Land überspannendes Gemeinschaftsritual der magisch begabten Ureinwohner am Uluru selbst beenden die Gefahr der vergessenen vier Schlangenmenschen und ihrer Unheilssaat. Der im Schwert des dunklen Wächters lauernde Geist des Hanjos kann für mehrere Wochen den Körper des halbwüchsigen Takeshi Tanaka in Besitz nehmen und eine große Zahl grausamer Mordtaten unter Ausnutzung dunkler Feuermagie verüben. Die sich ihm entgegenstellende Izanami Kanisaga, die selbst ein starkes Zauberschwert besaß, unterliegt in einem Schwertkampf der Magie des dunklen Wächters und stirbt. Daraufhin tritt ihm Anthelia persönlich mit Yanxothars machtvollem Flammenschwert entgegen und schafft es, das Schwert des dunklen Wächters zu entmachten und zu zerstören. Sein Geist wird dabei freigesetzt und von der ebenfalls durch die dunkle Zauberkraftwelle erstarkten Yamauba Yamanonechan durch einen inversen Geburtsvorgang aus der Welt gerissen.
Als wenn das alles nicht genug war entlädt sich beim schweren Erdbeben vom 26. Dezember 2004 ein seit Jahrhunderten auf dem Meeresgrund bei Sumatra liegender Dunkelkristall und erzeugt eine heftige Gegenströmung Erdmagie, die wie die Bebenwellen selbst den ganzen Erdball umlaufen und vieles, was mit Erdzaubern zusammenhängt beeinträchtigen oder zerstören, darunter die von den Kobolden geführten Bankhäuser. Erdzaubergebundene Wesen ohne starke Abwehrkräfte sterben, was bei Kobolden und Zwergen zu gegenseitiger Schuldzuweisung führt. Nach drei blutigen Ausscheidungskämpfen wird der Zwerg Malin Eisenknoter zum neuen König deutschsprachiger Schwarzalben und kündigt an, gegen die Verursacher der Erdmagieentladungswelle vorzugehen.
In Europa sowie den Staaten wollen Zauberer das Jahrhunderte alte Monopol der Kobolde beenden und scheuen sich nicht einmal vor der Täuschung der Gringotts-Kunden. Doch ein in Frankreich durchgeführtes Betrugsmanöver dieser Art wird von den Veelastämmigen Apolline Delacour und Gabrielle Marceau und ihren Ehepartnern enthüllt und führt zum Rücktritt der zuständigen Behördenchefs der Handels- und Zauberwesenabteilung.
Laurentine Hellersdorf nimmt wegen der Furcht vor Übergriffen dunkler Hexenorden Sonderunterricht bei der Kampfzauberexpertin Louiselle Beaumont, einer Nichte Hera Matines. Sie empfindet befremdliche Gefühle für die Hexe, von denen sie nicht weiß, ob es die Anerkennung vor der Lehrmeisterin oder geschlechtliches Begehren ist. Als Laurentines Eltern auf einer Reise in die Inselwelt des Indischen Ozeans Opfer der Tsunami-Katastrophe werden können nur die schweigsamen Schwestern, in deren Reihen sie sich hat eingliedern lassen, über den Verlust hinweghelfen. Die Hingezogenheit zu Louiselle wird dabei noch stärker. Bald muss sie sich darüber klar werden, was genau sie empfindet und wie sie damit umgehen soll.
Millie und Julius Latierre finden heraus, dass der Pakt mit den Mondtöchtern ihnen ausschließlich Töchter bescheren wird, wenn sie nicht mindestens zwölf Jahre warten, bis sie das nächste Kind zeugen. Doch Ashtaria drängt auf die Geburt eines leiblichen Sohnes von Julius und sendet Millie einen endzeitartigen Albtraum, der ihr und Julius vorführt, dass Ashtarias Macht erlöschen wird und die mächtigen Dunkelwesen die ganze Menschheit vernichten könnten. Deshalb bitten sie beide Béatrice Latierre, mit ihnen einen heimlichen Pakt zu schließen. Julius soll mit Béatrice ein außereheliches Kind zeugen, um die Wahrscheinlichkeit für einen Jungen so groß wie für ein Mädchen zu machen. Millie soll dann vor oder unmittelbar nach der Geburt bestimmen, ob das Kind dann Béatrice als rechtliche Mutter hat oder Millie als rechtliche Mutter anzuerkennen hat. Tatsächlich empfängt Béatrice von Julius einen Jungen. Hera Matine, sowie Millies, Béatrices und Julius leibliche Elternteile erfahren von dem Vorhaben, bei dem Béatrice als "Friedensretterin" auftreten soll. Als sie wirklich erfährt, dass sie den von Ashtaria erwünschten Jungen austrägt hadert Béatrice heimlich damit, dass sie womöglich nicht dessen anerkannte Mutter sein darf. Aurore Latierre sagt zwar, dass eine Hexe, die ein Baby trägt dessen Maman ist, doch Millie will das erst nach der Geburt entscheiden. Als dann am 6. April 2005 der kleine Junge mit einer Glückshaube auf die Welt kommt gesteht Millie ihn Béatrice als ihren eigenen Sohn zu. Sie konnte es nicht verkraften, einer Mutter ihr Kind wegzunehmen. Da sie selbst von Julius Zwillinge erwartet ist sie auch nicht länger traurig, dass er mit einer anderen als ihr ein Kind gezeugt hat. Béatrice nennt den Jungen Félix Richard Roland, nach den beiden verstorbenen Großvätern des Jungen. Genau in der Walpurgisnacht gebiert Millie ihre Töchter vier und Fünf, Flavine kurz vor Mitternacht am 30. April und deren Schwester Fylla eine Minute nach Mitternacht am 1. Mai, womit jede Zwillingsschwester einen eigenen Geburtstag feiern kann.
Doch die magische Welt ist weiterhin in Aufruhr, weil Hexen und Zauberer versuchen, mehr Macht zu erlangen, vor allem der in den Staaten amtierende Lionel Buggles, der nicht einmal davor zurückgescheut hat, ganze Ansiedlungen unter einer magischen Absperrglocke von der Außenwelt abzuschneiden.
Buggles errichtet mit Hilfe von mächtigen Unterstützern eine den gesamten nordamerikanischen Kontinent umfassende Zaubereiadministration, mit ihm als ersten Magier an der Spitze. Das Symbol dieser aus Kanada, Mexiko und den Staaten bestehenden Föderation ist ein goldener Dreizack. Die neue Residenz wird ein kleines Schloss in einem Tal mitten in den St.-Gabriel-Bergen in Kalifornien, dem Tal der guten Zeiten.
Adelaide Greendale betrachtete ihre Tochter Izadora Sweetwater, die kurz vor acht Uhr morgens vor dem Herrenhaus appariert war. Sie konnte zwar seit der tragischen Sache vor zwanzig Jahren nicht mehr legilimentieren. Doch das war bei Körpersprache und Mienenspiel ihrer erstgeborenen Tochter auch nicht nötig.
"Es ist jetzt wortwörtlich amtlich, Mom. Goddy soll Chrysander an eine von Moreland ausgewählte Familie übergeben und sich schriftlich dazu bereiterklären, keine weiteren Ansprüche an Leben und Einkünften von ihm zu beanspruchen. Damit ist es nun ganz offenkundig, dass die Verbrecherbande von Vita Magica in dieser neuen Dreizackföderation das Sagen hat", grummelte Izadora. Adelaide nickte. "Es war nur eine Frage der Zeit, Kind. Unsere Familie hat seit Miltons unfreiwilliger Wiederverjüngung und seinem von Sandhearst aufgenötigten Namenswechsel immer wieder klargestellt, dass Vita magica sich nicht noch einmal in den USA breitmachen darf. Und was ist passiert? Erst dieser mit unverzeihlichen Mitteln erzwungene Friedensvertrag mit dem Goldhamster Dime und jetzt diese klammheimliche Neuordnung der nordamerikanischen Zaubererwelt unter dem Emporkömmling Lionel Buggles", fasste Adelaide zusammen. "Natürlich steht diese Verbrecherbande Vita Magica hinter dieser Zusammenführung der Vereinigten Staaten, Kanadas und Mexikos. Atalanta Bullhorns Gegenpropaganda ist für die wie ein Eisenstachel im Fleisch. Da wir lange nichts mehr von uns haben hören lassen wähnte sich Shana Moreland wohl sicher, Chrysander auf ihre Seite ziehen zu können, bevor er als lebender Märtyrer gegen die Banditen auftreten kann, die ihn aus dem Ministeramt rausinfanticorporisiert haben. Bis wann soll Goddy sich entscheiden?"
"Bis zum ersten Juni", erwiderte Izadora Sweetwater geborene Greendale.
"Ich wundere mich, dass sie mich oder deinen Vater nicht selbst darüber informiert hat", sagte Adelaide Greendale geborene McDuffy.
"Weil sie schon auf Roderics Refugium ist, Mom. Da du ihr ja Bubbley gelassen hast konnte er sie und die vier da hinbringen. Von da aus kann sie nur mit Blutsverwandten wie mir persönlich mentiloquieren."
"Eben, warum dann nicht mit mir oder Anaximander?" fragte Adelaide ein wenig verstimmt.
"Weil ich als ihre Mutter länger mit ihr Blut geteilt habe als du mit mir, Mom", erwiderte Izadora Sweetwater. Adelaide verzog ihr Gesicht. Das war sehr deutlich. Immerhin hatte sie Izadora ja in der dreißigsten schwangerschaftswoche zur Welt gebracht und nur dem Geschick der Hebamme Eileithyia Greensporn zu verdanken, dass Izadora nicht hatte sterben müssen. Izadora hingegen hatte Godiva ganze zweiundvierzig Wochen lang ausgetragen, so die Nachrechnung jener hochangesehenen Hebammenhexe.
"Öhm, dann hat sich Godiva bereits entschieden, wie sie auf diese Forderung antworten will", sagte Adelaide nach zehn Sekunden Schweigen. Izadora nickte. "Sie und Chrysander haben es ganz klar beschlossen, dass er sich nicht von einer Vita-Magica-Sympathisantenfamilie weiterhin großziehen lassen wird. Abgesehen davon würden sie ihm wohl kaum seine Erinnerungen belassen, die er als Milton Cartridge angesammelt hat."
"Ja, und deshalb ist Goddy jetzt auf Roderics Refugium?" fragte Adelaide Greendale fast schon überflüssigerweise.
"Sie geht davon aus, dass Buggles und/oder seine Hinterleute versuchen werden, ihr Chrysander wieder wegzunehmen, ja sogar uns Greendales als Unerwünschte einzustufen und zu verhaften. Flavius teilt ihre Ansicht. Seine Verbindungen zum Inobskuratorentrupp sprechen auch davon, dass der sogenannte erste Administrator nach der Ausrufung dieser nordamerikanischen Dreierföderation alle echten oder potentiellen Widersacher, die nicht in einem der mit PN-Zauber abgesicherten Ortschaften Zuflucht gefunden haben, festnehmen lassen und heimlich durch Gedächtniszauber auf seine Linie bringen lassen wird. Dass die Leute in VDS die über ihnen aufgebaute Käseglocke abgesprengt haben war für Buggles oder seine Lenker ein übler Rückschlag."
"Ja, und so bleibt ihm nur die Herrschaft mit eiserner Faust. Doch je mehr Gewalt er anwenden lässt, desto mehr werden von ihm abfallen", erwiderte Adelaide.
"Mom, nichts für ungut, aber dadurch, dass er das unmögliche geschafft und die drei nordamerikanischen Einzelverwaltungsbereiche zu einem einzigen vereint hat hat er zumindest in den Staaten wieder mehr Rückhalt bekommen. Die, die sich nicht klar gegen ihn entschieden haben, glauben ihm entweder oder warten ab, wer sich am Ende durchsetzt, um nicht auf der Verliererseite zu stehen."
"Ja, und das sind alles Nachkommen jener, die damals trotz Furcht vor den Nachstellungen der Nomajs und ihrer religiösen Hetzer die Ansiedlung von magischen Menschen in Nordamerika möglich gemacht haben", grummelte Adelaide. Danach machte sie eine vier Sekunden lange Pause und fragte ihre Tochter: "Was denkst du, was passiert, wenn die Banditen nicht kriegen, was sie wollen?" Izadora brauchte nicht lange zu überlegen. "Sie werden uns zu Unerwünschten erklären, alle die mit Goddy verwandt sind", sagte Izadora. "Ja, genau das ist zu befürchten. Diese Banditen halten Sippenhaft für ein legitimes Mittel der Machtausübung, so wie es Grindelwald und sein irrsinniger Nachfolger in England getan haben. Also sieh zu, dass du mit Flavius alles gegen den möglichen Ansturm absicherst! wir hier leben ja schon seit dem unfreiwilligen Verstummen von VDS und Misty Mountain im Belagerungszustand. Teile Goddy von mir mit, sie soll bis auf weiteres mit den vier Kindern auf Roderics Refugium bleiben und Bubbley als Boten zwischen sich und uns einsetzen, keine Eulen, kein Flohpulver!" befahl Adelaide.
"Was ist, wenn sie uns anzugreifen versuchen, Mom? Ich meine, wir haben unsere Schutzzauber verstärkt. Aber wenn wir von denen belagert werden schneiden die uns von allem ab, was wir tun", sagte Izadora.
"Ich spreche mit deinem Vater darüber. Er kann den Familienrat einberufen oder gleich eine Vorgehensweise beschließen, von wegen Gefahr für die Blutlinie.". Kehr du bitte erst einmal in dein Haus zurück!" Izadora nickte. Dann hob sie ihren Zauberstab und disapparierte. Da sie mit den Hausherren Blutsverwandt war gehörte sie zu jenen wenigen, die unangefochten im Herrenhaus von Greendale Cottage erscheinen und wieder verschwinden durften.
"Naxy, könnte sein, dass Buggles bald die letzte Maske fallen lässt", rief Adelaide in leere Luft hinein. Wie aus dem Nichts klang die Antwort ihres Mannes: "Ach, dann will er jetzt doch an Milton, öhm, Chrysander heran, um uns in Schach zu halten? Das klären wir besser im Direktgespräch. Bin gleich zu Hause." Adelaide bestätigte es.
Die Hausherrin lehnte sich in ihrem bequemen Sessel zurück und ließ ihren Blick schweifen. Die vier Wände, der Boden und die Decke schinen für sie nicht mehr vorhanden zu sein. So konnte sie in jeden der dreißig Räume blicken, auch in jene, die ausdrücklich von männlichen Mitgliedern des Hausstandes betreten werden konnten. Sie sah die kreisrunde Küche, die zwei Stockwerke unterhalb der Erdoberfläche eingebaut war. Dort überwachte die fleißige Hauselfe Twinky, Mutter aller zehn Leisespringer Nordamerikas, wie die drei anderen Hauselfen sich um das Abendessen kümmerten. Neben Hausherr und Hausherrin wohnten derzeit fünf weitere Mitglieder der weitläufigen Familie Greendale und ihrer Anverwandten im Haupthaus und den zwei Nebenhäusern. Seitdem Buggles sich zum zaubereiminister auf unbestimmte Zeit erklärt hatte und jetzt als erster Administrator der nordamerikanischen Zaubereiföderation bezeichnen ließ, war es mit der heimlichen Mitregentschaft der großen Gründerfamilien Nordamerikas so gut wie vorbei. Buggles hatte bereits anderswo anklingen lassen, dass er nicht mehr nach althergebrachten Beziehungen, sondern nach Anerkenntnis gehen würde.
In der Waffenkammer, seit Gründung dieses Hausstandes her nur von Zauberern und männlichen Hauselfen zu betreten, lagerten koboldgearbeitete Blankwaffen, aber auch bezauberte Armbrüste und tausende von besonderen Bolzen, die von einem Dauerschlafzauber bei Auftreffen über eine Vervielfachte Durchschlagsstärke bis zu heftigen Explosionen am Einschlagort wirken konnten. Es war nicht ganz ungefährlich, Hauselfen so starke Waffen zu überlassen. Doch die heftigen Zauberschlachten vergangener Jahrhunderte hatten gezeigt, dass die wichtigsten Familien auf jede Gegebenheit vorbereitet sein mussten, wenn sie überleben wollten. Adelaide sah den muskulösen, fast doppellt so groß wie seine Artgenossen gestalteten Hauselfen Buddy mit seiner langen Nase, die wie eine dreifach vergrößerte Karotte aus seinem Gesicht ragte. Der vom Hausherren alleine zu kommandierende oberste Diener für Schutz und Sicherheit prüfte offenbar die Anordnung der magischen Munition und probierte aus, eine der ebenholzschwarzen Armbrüste so schnell er konnte zu spannen und ohne Bolzen auszulösen. Also trainierte der Elf bereits für den Verteidigungsfall.
Gerade apparierte Anaximander Greendale in einem scharlachroten Samtumhang in der von zwanzig schlanken Säulen getragenen Empfangshalle und wandte sich der gläsernen Wendeltreppe zu, die in die oberen Bereiche des Herrenhauses führte. Zeitgleich mit seinem Eintreffen erscholl eine magisch konservierte, vierstimmige Trompetenfanfare, der König des Hauses war heimgekehrt.
"Wir treffen uns in deinem Arbeitsraum, Nax", rief Adelaide und stemmte sich aus ihrem Ruhesessel hoch. Sie verließ ihren Rückzugsraum, ganz vornehm auch als Boudoir bezeichnet, und begab sich zu der verschlossenen Tür, hinter der das Familienkontor lag, Hirn und Herz der Familienverwaltung.
Anaximander traf keine zwanzig Sekunden später ein. Er hätte ja eigentlich auch gleich vor der Tür apparieren können, dachte Adelaide. Doch ihr Mann genoss es immer, mit dieser Willkommensfanfare begrüßt zu werden und sah das Treppensteigen als sportliche Übung an.
"Was ist genau los?" fragte er. Doch Adelaide deutete auf die Tür. Ihr Mann nickte verdrossen und zog den Bund mit den vier silbernen Schlüsseln hervor. Er entriegelte jedes der vier Schlösser und winkte seiner Frau, ihm zu folgen. So betraten sie einen scheinbar völlig fensterlosen Raum voller Aktenschränke. In der Mitte des Raumes stand ein zwei Manneslängen breiter Schreibtisch aus Mammutbaumholz, auf dem mehrere Tintenfässer, ein Ständer für Pergamentrollen und ein Halter mit zehn verschiedengroßen Schreibfedern bereitstanden. Dahinter war der thronartige Schreibtischstuhl. Davor standen drei nicht ganz so ausgeprägte Stühle.
Anaximander setzte sich auf den thronartigen Stuhl. Als sein Gesäß das rote Polster berührte verriegelte sich die Tür und wurde in der oberen Hälfte scheinbar durchsichtig. Zugleich entstanden an den Wänden kleine Fenster, welche die Umgebung des Anwesens zeigten.
"Also, was genau ist passiert?" wollte Anaximander wissen. Er sah dabei jedoch so aus, als wüsste er die Antwort auf seine Frage schon. Adelaide schilderte ihm in kurzen Sätzen, was Izadora ihr mitgeteilt hatte.
"Aha, er probiert es also so herum aus. Natürlich weiß er, dass uns das erst recht alarmiert und zu Gegenmaßnahmen treibt, dieser Koyotenkötel", grummelte Anaximander. "Aber wir dürfen ihm nicht zuvorkommen, solange wir keine klaren Beweise haben, dass er eine Marionette von Vita Magica ist. Sonst haben wir alle anderen Familien und damit alle magischen Mitbürger gegen uns."
"Ja, aber was können wir machen, um zu beweisen, was mit ihm los ist? Trotzdem Atalanta Bullhorn und die Leute in VDS immer wieder betonen, dass sie ihn für fremdgesteuert halten hält er sich im Amt, weil offenbar immer noch viele Leute ihm mehr vertrauen."
"Auf jeden Fall dürfen wir uns nicht wie die bedrohte Schildkröte in einen Panzer zurückziehen und abwarten, bis er und seine Hinterleute entmachtet sind. Aber wenn er oder seine Hinterleute jetzt finden, unsere Familie behelligen zu dürfen wie sie wollen, ist er sich offenbar seiner Sache sicher. Vor allem zeigt die Forderung, dass Chrysander an die Administration ausgeliefert werden soll, dass er ihn fürchtet oder besser diese Shana Moreland ihn fürchtet."
"Das verrät immer noch nicht, was wir jetzt machen sollen, nax. Ich habe Goddy raten lassen, auf der Insel zu bleiben. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist ja noch ungefährdet."
"Sie kann auch da bleiben. Aber wir müssen weiterhin das machen, womit wir Gold und Ansehen verdienen, Adelaide. Aber ich werde Buddy beauftragen, dass er und die fünf Schutzelfen mit Armbrüsten und hundert Sprengbolzen aufpassen, dass keiner zu nahe kommt. Vor allem aber werde ich die anderen von uns auffordern, die Vorwarnbroschen auszugeben. Wenn einer von uns angegriffen und/oder verschleppt wird müssen wir anderen das sofort erfahren. Ja, und dann sollten wir zusehen, mit den anderen Familien zu reden, wie wir diese Gangsterpuppe wieder loswerden und gleichzeitig Vita Magica den weiteren Zugang zu unserem Hoheitsgebiet verderben."
"Wirst du deshalb auch mit Atalanta Bullhorn oder Davidson vom LI sprechen?" wollte Adelaide wissen.
"Hallo, ich mit dieser Westentaschenamazone reden, die es nicht einmal für nötig hielt, sich mit mir oder den anderen Familienoberhäuptern zu beraten, was nach ihrer Wahl ansteht und was nicht? Das darf die vergessen. Und was Davidson angeht, so hat er uns eine Möglichkeit verdorben, diesen Hampelmannkönig vom Brett zu nehmen. Da müssen wir selbst erst mal prüfen, ob wir noch einmal wen zu ihm hinschicken können, wenn er unser Land unrettbar in den Abgrund zu stürzen ansetzt."
"Und was machen wir, wenn die anderen Oberhäupter es nicht nur befürworten, sondern tatkräftig unterstützen, was Buggles und seine Marionettenmannschaft tun?" fragte Adelaide.
"Dann bleibt uns immer noch die Umsiedlung aller Mitglieder in eine der bugglesfreien Zonen wie Viento del Sol oder Misty Mountain, wenn wir uns nicht alle für die nächsten hundert Jahre auf Roderics Refugium einigeln wollen", knurrte Anaximander Greendale und funkelte dabei seine Frau an. Die wusste nämlich, welch wunden Punkt sie mit ihrer Frage getroffen hatte. Die Greendales waren zwar durch ihren zweithöchsten Kinderreichtum nach den Southerlands und ihren verschwägerten Verwandten eine sehr weit verzweigte Zaubererweltfamilie der Staaten, aber andere Familien wie die Southerlands oder McDuffys beanspruchten immer mehr Einfluss in der Zaubereiverwaltung. Da waren auch etliche Opportunisten bei, die immer nach Vorteilen suchten, egal wer gerade Ministerin oder Minister war. Am Ende hatte Buggles schon längst mit einigen der Oberhäupter einen Handel abgeschlossen oder sie gar durch einen magisch bindenden Vertrag an sein Wort gekettet. Zuzutrauen war ihm oder besser dessen Hinterleuten das allemal.
"Ich lasse unsere Elfen bewaffnet patrouillieren. Sollte Buggles so dumm oder verzweifelt sein, uns offen anzugreifen kriegen wir genug Beweise, ihn vor den zwölf Richtern als fremdbestimmt anzuklagen."
"Tja, falls die Richter nicht auch schon längst auf ihn oder seine Hinterleute eingestimmt wurden", sagte Adelaide verunsichert, weil sie mit dieser Vorstellung selbst nicht zurechtkam.
"Jetzt rufst du aber einen verdammt großen Drachen, Adelaide", grummelte Anaximander Greendale. "Am Ende dreht er das mit denen auch noch so, dass wir ihm den Krieg angedroht haben, weil wir von ihm um unser Erbrecht auf gute Rangstellungen und Mitsprachemöglichkeiten gebracht wurden. Aber wenn er uns offen angreift kriegt er trotzdem Zunder", knurrte der Herr von Greendale Cottage noch. Dann rief er nach Buddy, dem muskulösen Hauselfen und befahl diesem, sich und die anderen eindeutig als Schutztruppe befehligten Elfen mit Armbrüsten und genug Sprengbolzen zu bewaffnen, um das Haus zu beschützen. Zwar gab es bereits wirksame Abwehrzauber. Doch eine feindliche Übermacht, noch dazu wenn es die Truppen des ehemaligen Zaubereiministeriums waren, konnte diese Schutzzauber niederkämpfen, wenn sie lange genug Zeit hatte. Dann blieb nur noch die direkte Auseinandersetzung. Keine schöne Vorstellung, dachte Adelaide.
Er genoss es unübersehbar, dass er nun ein richtiges Schloss als Residenz hatte. Auch fühlte sich Lionel Buggles in seinem runden Turmzimmer richtig wohl. Von hier aus konnte er alles überblicken, was im langgestreckten Tal vorging. Die Sharidansperren verhinderten, dass unabgestimmte Flugbesen dort ein- und ausfliegen konnten. Davor warnte ein mehr als zwei Kilometer über dem Talgrund schwebender, sich jede Minute dreimal um die Senkrechtachse drehender Schriftzug, der für Nichtmagier wie eine Dunstwolke aussah. Nur über das Flohnetz oder die zum apparieren freigegebene Eingangshalle konnten Besucher oder vorgeladene Hexen und Zauberer das aus Europa herübergeholte Schloss betreten. Auch konnten im ganzen Tal nur per Markierungsartefakt registrierte Hauselfen apparieren. Insofern fühlte sich Buggles in dieser neuen Residenz sicher.
"Erster Administrator, die Bullhorn hat gerade wieder Sendezeit auf VDSR 1923", vermeldete Lenny, der zum Chefherold des administrators befördert worden war.
"Dann wollen wir mal hören, was sie nun zu meckern hat, diese alte Ziege", grummelte Buggles und winkte mit der linken Hand einem silbernen Kasten zu, der sofort zu blinken anfing. Dann erfüllte die sichtlich entschlossen klingende Stimme einer mittelalten Hexe den Raum.
".... muss ich einmal mehr klarstellen, dass diese neue Föderation nicht von der Mehrheit ihrer Einwohner befürwortet wird. Buggles, Piedraroja und Bowland haben sie im Alleingang gegründet und uns alle vor die Wahl "Friss oder stirb" gestellt. Ich will nicht abstreiten, dass es eine gute Entscheidung ist, unsere Zusammenarbeit mit Kanada und Mexiko zu verbessern, ja eine solche Föderation als Bund der vereinten Stärke zu rechtfertigen. Doch dann hätten sich die drei Herren der Wahl aller Hexen und Zauberer stellen sollen, um diese Föderation auf unerschütterliche Füße zu stellen. Auch ist immer noch nicht ausgeräumt, dass Lionel Buggles gar nicht mehr aus eigenem Antrieb handelt, ja dass er Piedraroja und Bowland mit verwerflichen Mitteln zur Anerkennung seiner Vorrangstellung gezwungen haben könnte. Deshalb kann und werde ich einmal mehr dazu aufrufen, jeder Anordnung, die aus diesem neuen Lustschlösschen in den St.-Gabriel-Bergen ausgesprochen wird, mit größttmöglicher Vorsicht zu begegnen und nicht stumpfsinnig alles zu befolgen, was dort ausgeheckt wird. Nur wenn die freien Bürger Nordamerikas zusammenhalten und sich gemeinsam gegen die Einmischungen höchst zweifelhafter Gruppierungen wehren, dann erst wird diese neue Föderation ihre Berechtigung finden. Nur dann, wenn eine Mehrheit aller magischen Bürgerinnen und Bürger dazu bereit ist, die eigenen Landeshohheiten zu Gunsten einer gemeinsamen Zaubereiverwaltung aufzugeben, wird diese Föderation ihre Berechtigung erhalten, vorher nicht. Ich appelliere an Lionel Buggles und den Zwölferrat der US-amerikanischen Richterschaft, diese rechtliche Schieflage zu beheben, und vor allem an Mr. Buggles gerichtet, endlich freie Wahlen zuzulassen, ohne weitere Ausflüchte wegen drohender Angriffe."
"Sie kann nur reden, appellieren und protestieren. Mehr kann sie nicht machen", grummelte Buggles. Er wusste zwar, dass es in Kalifornien viele Hexen und Zauberer geben mochte, die sich doch von diesen Ansprachen verunsichern ließen. Doch Atalanta Bullhorn konnte ihm nur dann gefährlich werden, wenn sie es schaffte, eine magische Armee gegen ihn in Marsch zu setzen. Tat sie das, war die rote Linie überquert, und ein blutiger Zaubererweltkrieg würde den nordamerikanischen Kontinent verheeren und für lange zeit in die Bedeutungslosigkeit abdrängen. Das würde auch sie nicht riskieren, nur um ihn aus dem Amt zu jagen. Sie saß in VDS mit denen, die im restlichen Land sofort festgenommen würden. Sie konnte dort nicht heraus, ohne selbst auf Grund seines Erlasses festgenommen zu werden, dass niemand mehr nach VDS einreisen und von dort ausreisen durfte. Auch hatte er klargestellt, dass in VDS Umstürzler wohnten, die die gesamte jahrhundertelange Ordnung zerstören wollten. Griff jemand aus dieser selbstherrlichen Dorfgemeinschaft ihn oder einen seiner Mitarbeiter an, so war das der klare Beweis, dass er recht hatte. Das wussten die auch. Abgesehen davon hatte er alle wichtigen Mitarbeiter unter seinen Befehl gezwungen. Wenn Bullhorn oder wer anderes meinte, seinen Posten übernehmen zu können würde er oder sie gegen eine eiskalte, meterdicke Stahlmauer krachen.
"Wollen Sie etwas zu dem sagen, was Atalanta Bullhorn gesagt hat?" fragte Lenny, der wie Buggles den Tiraden Atalanta Bullhorns zugehört hatte.
"Wieso? Hat sie was neues gesagt? Hat sie konkret erklärt, was sie für eine Alternative anzubieten hat? Ich verschwende doch meine zeit nicht damit, längst erklärte Tatsachen noch einmal darzulegen", sagte Buggles. "Sicher, die großen Familien könnten versucht sein, ihr zu folgen. Aber für die habe ich genug Gründe, dass sie das besser lassen sollen. Spätestens, wenn ich das Exempel an den Greendales statuiert habe."
"Öhm, was denen dann aber als klarer Beweis erscheinen wird, dass die recht haben und Sie von wem anderem fremdbestimmt werden, Sir", wagte Lenny einen Einwand.
"Lenny, dann werden sie es endgültig lernen, woher der Wind weht, wenn er sie mit der Macht von drei Hurrikans aus dem Land fegt. Die Zeit der alten Gründungsadeligen ist um. Wir müssen uns auch von dieser europäischen Unart freimachen, dass Blutsbande die Posten vergeben und nicht die Befähigung. Übermorgen tritt das neue Familiengesetz in Kraft. Dann werden die Damen und Herren Familienoberhäupter sich ganz genau überlegen müssen, ob sie ihre eigenen Verwandten opfern, nur um an überholten und ungerechtfertigten Machtstrukturen festzuhalten. So, und jetzt bringen Sie bitte diesen Stapel pergamente hier zur Nordstaatensektion. Bowland soll das klären, dass diese Sangesbrüder von den Eskimos die neue Rechtsprechung anerkennen sollen, falls sie nicht in einem der neuen Aufzuchthäuser verschwinden sollen, die gerade gebaut werden."."
"Natürlich, Sir", sagte Lenny unterwürfig und verließ mit einem Paket Pergamente das runde Turmzimmer des ersten Administrators der nordamerikanischen Zaubererföderation.
"Fehlte mir noch, dass diese Trommeltänzer vom Nordpol meinen, ihre unsichtbaren Vergeltungsgeister auf anständige Hexen und Zauberer zu hetzen", dachte Buggles.
Um ein Uhr Mittags begab sich der Magus Primus der Nordamerikanischen Magieadministration in den kleinen Speisesaal für die ranghöchsten Beamten. Dort besprach er mit Familien- und Ausbildungsverwalterin Moreland und Gesetzesüberwacher Catlock die bereits in Kraft getretenen neuen Gesetze, sowie die ab Juni geltenden neuen Gesetze, die wie sie alle ganz genau wussten, keine Freundinnen und Freunde in der magischen Welt finden mochten. Doch in dem Beistandsabkommen, das Buggles unterschrieben hatte, wurde ausdrücklich erwartet, dass er einer Besteuerung unverheirateter wie kinderloser Hexen und Zauberer zustimmte, sowie die von Gloria Puddyfoot angeregte Besteuerung von Abkömmlingen menschengestaltlicher Zauberwesen nach Anteil der Fremdabstammung. Wichtig war dabei, wie sie es allen Leuten verkaufen wollten, dass selbst eine Rebellenführerin wie Atalanta Bullhorn nicht viel dagegen sagen mochte. Einne sogenannte Nomaj-Zulage, wie sie Cyrus Picton im Rausch der Reformvorschläge angedacht hatte, wollte Buggles doch nicht einführen. Denn dann würden viele von nichtmagischen Eltern abstammenden erst streiken und dann nach Europa oder Südamerika abwandern. Ein Abfluss von Fachkräften und Wissensträgern käme der Nordamerikanischen Magieadministration sehr ungelegen, selbst wenn er eine Auswanderungsgebühr beschließen sollte. Was er aber auf jeden Fall durchdrücken würde war die Abschaffung alter Gewohnheitsrechte von alteingesessenen Familien. Das konnte er sogar wunderbar als Abschaffung alter europäischer Unsitten verkaufen und als Gleichberechtigung für neu angesiedelte Zaubererweltfamilien feiern. Denn er wusste, dass es in den europäischen Zaubereigemeinschaften noch zu einem Gutteil üblich war, dass mächtige Familien gewisse Zugänge und Vorrechte erhielten, ja im Hintergrund mitentschieden, was ein Zaubereiministerium zu tun hatte. Frankreich war da ja das Paradebeispiel gewesen, wo sich alteingesessene Clans in einer unerwarteten Einigkeit darauf verständigt hatten, einen ihnen allen missliebigen Ministerkandidaten zu verhindern. Das sollte es in den nordamerikanischen Verwaltungsbezirken nicht geben, sofern er überhaupt noch einmal freie Wahlen ermöglichen wollte. Im Moment gefiel ihm die Lage, als Notstands- und Ermächtigungsadministrator zu walten. Jene, die er sich gewogen hielt, legten auch keinen Wert darauf, dass die Öffentlichkeit und irgendwelche unerfahrenen Leute darüber beschließen durften, wer sie verwaltete oder nicht. Mit den Greendales würden Shana Moreland und er den Anfang dieses längst überfälligen Gesellschaftsumbaus machen.
"Dann bleibt es dabei, dass erst die seit vierzig oder mehr Jahren inkarzerierten refusioniert und reinitiiert werden?" fragte Catlock an Buggles und Moreland gerichtet.
"Natürlich. Darunter sind welche, die altes Zaubererblut in sich tragen, das unbedingt weitervererbt werden sollte", schnarrte Shana Moreland. Buggles hörte ihr an, dass sie mit dieser Lösung nicht zufrieden war. Doch man durfte die seit mehr als zehn Jahren an Leib und Seele getrennt verwahrten Verbrecher nicht einfach so begnadigen und dann zur Nachwuchsförderung einteilen. Waren die vorher schon gemeingefährlich und Menschenfeindlich gewesen, so würden sie im Vollbesitz ihrer Körperkraft und Erinnerungen die erste Chance nutzen, der Kontrolle zu entschlüpfen und um so grausamer Rache an denen üben, die sie in das Seelengrab Doomcastle gebracht hatten. Also mussten die ohne Erinnerungen noch einmal komplett neu aufwachsen und so in fünfzehn oder siebzehn Jahren darauf gebracht werden, eigene Kinder zu zeugen oder zu empfangen.
Unter den lebenslang eingekerkerten waren auch hochrangige Grindelwaldanhänger und Sympathisanten des britischen Massenmörders, der sich den Kampfnamen Lord Voldemort zugelegt hatte. Die durften keine Minute lang frei über sich und ihre Lage nachdenken.
Lenny öffnete die Tür zum Speisesaal. Sofort baute sich vor ihm eine schwach grünlich flirrende Wand auf. Denn er war nicht Zutrittsberechtigt. "Lenny, übertreten Sie die Schwelle und kommen Sie herein, wenn Ihr Anliegen wichtig ist!" rief Buggles der Tür zugewandt. Mit leisem Piff erlosch die flimmernde Wand. Lenny nickte leicht eingeschüchtert. Dann betrat er unangefochten den Speisesaal für höhere Beamte. Als er durch die Tür war eilte er so leise er konnte auf den ersten Administrator zu und wisperte ihm zu: "Ms. Bullhorn hat sich gerade zur US-Zaubereiministerin auf Zeit ausrufen lassen, Erster Administrator. Angeblich hat sie von den dreihunderttausend ihr zugeschickten Wählerbriefen über 60 Prozent Zustimmung erhalten. Sie kamen bei der Wahl gerade auf fünf Prozent. Die haben das gerade auf VDSR 1923 behauptet."
"Sicher, sie meint, eine Legitimation haben zu müssen. Aber dabei vergisst sie, dass VDS zur Zeit außerhalb unseres Verwaltungsbereiches und somit außerhalb aller uns betreffenden Gesetze liegt. Wer von dort in unsere Gemeinschaft einreist macht sich der unerlaubten Einreise schuldig und kann zudem wegen möglicher Terrorgefahr verhaftet werden", grinste Buggles, als ihm Lenny einen Pergamentzettel hinhielt. Shana Moreland blickte den ersten Administrator und dessen dunkelhäutigen Herold neugierig an. "Gut, danke Lenny, Sie dürfen in ihren Bereitschaftsraum zurückkehren. Ich werde um zwei Uhr wieder im Büro sein, falls die aufmüpfige Dame noch weitere kindische Ideen verzapfen sollte", feixte Buggles. Lenny deutete eine Verbeugung an und verließ den Speisesaal.
"Ich würde diese Schau von Bullhorn nicht als kindische Idee abtun, Lionel", sagte Shana. "Als Janus Didier und sein zwielichtiger Gehilfe Pétain in Frankreich das Sagen hatten konnte sich Phoebus Delamontagne als dessen Gegenspieler eine Menge Sympathien sichern, auch wenn er meistens in der Abgeschiedenheit von Millemerveilles war."
"Meine Leute haben verhindert, dass Posteulen durchkommen. Die kann überhaupt keine dreihunderttausend Wählerstimmen gekriegt haben", fauchte Buggles. "Oder, Ray?"
"Öhm, Wir konnten einige Eulen abfangen, Sir. Die hatten tatsächlich Kopien von Wahlformularen dabei. Aber meine Leute konnten nicht alle Eulen abfangen, weil die Biester gelernt haben, aus sehr großer Höhe anzufliegen. Als meine Leute die sahen waren die auch schon in dem neuen Abweisebereich um VDS. Abgesehen davon pendelt immer wieder eines von deren Überseeluftschiffen von da nach irgendwo hin. Diese neuen Himmelswürste steigen erst mehr als zehn Meilen nach oben und beschleunigen dann so schnell, dass selbst ein Bronco Parsec der zweiten Generation nicht hinterherkommt. Ja, und wenn die wiederkommen fallen die förmlich aus dem Himmel wie Sternschnuppen. Kann sein, dass die irgendwo Wahlzettel einsammeln", sagte Catlock mit roten Ohren.
"Interessant, das jetzt schon von Ihnen zu erfahren. Wann wäre es Ihnen denn genehmer gewesen, mir davon zu berichten, dass diese Gesetzlosen offenbar einen Weg gefunden haben, die Besen- und Eulenblockade zu umgehen?" stieß Buggles aus. Shana Moreland nickte ihm beipflichtend zu.
"Dass die Luftschiffe andauernd von dort abfliegen oder dort ankommen steht in den Berichten der letzten zwei Monate, seitdem die Bewohner unsere Absperrglocke weggesprengt haben, Sir", sagte Ray Catlock schuldbewusst. "Außerdem wissen wir, dass die neue Abweisung weiterreicht als ein Locattractus-Zauber. Das heißt, dass richtig dreiste Leute von da disapparieren und womöglich unbehelligt apparieren können, wenn ihr Start- und Zielort nicht mehr als zwanzig Kilometer vom Siedlungszentrum entfernt liegt. Unsere Späher halten jedoch weiterhin alle bekannten Ziele in der Föderation unter Beobachtung, sollte einer von denen da auftauchen."
"Was natürlich bisher nicht passiert ist, weil Sie uns das ganz bestimmt sofort erzählt hätten, Ray", uzte Buggles und bekam stille Zustimmung von Moreland und Picton. Catlock erbleichte nun. Denn ihm war klar, dass es an ihm hing, wie verwegen die Leute aus VDS mit der neuen Administration umsprangen. Am Ende gab es längst neue Verbindungen zu den bekannten oder noch zu entlarvenden Widerstandsnestern. Buggles sagte dann noch: "Im Zweifel braucht von denen auch keiner zu apparieren, wo es in VDS doch mindestens hundert Hauselfen gibt, die zu den Verwandten der dort untergekommenen hinspringen können, ohne sich von unseren gefiderten Hilfsspionen sehen zu lassen, nicht wahr?" Catlock war nun so bleich wie ein Vampir. Ihm fehlten nur die entsprechenden Eckzähne. Shana Moreland sagte dazu nur:
"Es wird noch zwei Monate dauern, bis wir eine neue, auch gegen Apparatoren wirksame Absperrglocke errichten können. Allerdings muss dafür die Störung magieloser Flugapparate ausgeschlossen werden, da die neue Glocke mindestens vier Kilometer aufragen muss."
"Sagt wer?" grummelte Catlock, dem es nicht gefiel, dass die Familienfürsorgeverwalterin sich in seinen Zuständigkeitsbereich einmischte. Buggles sagte sofort: "Sagen die, die wie wir ein Interesse an einer friedlichen Gemeinschaft haben. Mehr müssen Sie nicht wissen, Ray. Verstanden?" Ray Catlock nickte eifrig.
Da er bis zur Fortsetzung seiner Arbeitszeit noch zwanzig Minuten Zeit hatte machte Buggles nach dem Essen einen kurzen Verdauungsspaziergang durch das Good Times Valley. Er genoss es, die weiten Gärten um das namensgebende Schloss zu durchqueren. Er hatte von ihr, die seine Meisterin war, gehört, dass in dem Garten Bäume und Sträucher waren, die unbefugte oder offen feindlich gesinnte denkfähige Wesen mit Angstvisionen traktieren sollten und sie in immer schlimmerer Panik herumirren machten, bis sie der körperlich-seelischen Belastung nicht mehr standhalten konnten und entweder ohnmächtig oder tot zu Boden fielen.
Lionel Buggles fühlte sich hier in diesem Tal ganz sicher. Bis auf zehn Ausnahmen standen alle, die hier tätig waren unter seiner Macht, beziehungsweise jener Macht, die das von ihm unterschriebene Beistandsabkommen mit Vita Magica ausübte. Die zehn Ausnahmen davon hatten jedoch ganz eigene Gründe, ihm nichts zu tun. Denn er hatte sie überhaupt in ihre neuen, mächtigen Ränge befördert.
Als er auf dem ihm zugewandten Zifferblatt der Turmuhr von Good Times Castle ablas, dass er nur noch drei Minuten bis zwei Uhr hatte beeilte er sich, in das Schloss zurückzukehren. Denn außerhalb des Schlosshofes und bis auf wenige Notfälle war das apparieren im Tal der guten Zeiten unmöglich, zumindest für Zauberstabnutzer. Sollte sich jedoch ein unerlaubter Hauself wagen, im Tal oder gar dem Schloss zu apparieren, würde diesem die letzte Überraschung seines unterwürfigen Daseins geboten. Mit dieser höchst beruhigenden, ja Überlegenheit vermittelnden Zuversicht kehrte der erste Administrator der Dreizackföderation in sein hochgelegenes Arbeitszimmer zurück.
Dort angelangt las Buggles die von Lenny hastig mitgeschriebenen Aussagen von Dorfrichterin Benchurch, die sich als Auszählungsbeamte aufgespielt hatte und der von ihr inaugurierten "wahren" Zaubereiministerin der USA. "Du musst schon aus dem Dorf rauskommen, wenn du was von mir willst, Mädchen. Sonst taugt dein ganzes Geschwätz gerade mal so viel wie ein Wichtelfurz", dachte der erste Administrator der Nordamerikanischen Magierföderation.
Sie hatte den Applaus genossen, auch wenn sie wusste, dass es im Augenblick nur Trotz und Aufbegehren war, dass die zweitausend Zuschauerinnen und Zuschauer dazu trieb. Aber wie vor einigen Wochen mit Applaus die Freiheit der Nordamerikanischen Zaubererwelt zu Boden geklatscht wurde, so mochte dieser Applaus sie wieder auf die Beine bringen. Immerhin hatte ihre erste Ansprache im Rundfunk sicher mehrere zehntausend Leute erreicht, die außerhalb des neuen Schutzbereiches von Viento del Sol ausharren mussten, weil sie nicht mal eben ihre Sachen packen und nach Viento del Sol umsiedeln konnten, ohne dort eine anerkannte und entlohnte Arbeit zu finden.
Atalanta Bullhorn, die nun laut ausgerufene Gegenministerin der USA, traf sich im Rathaus mit allen Mitgliedern des Gemeinderates von Viento del Sol, so wie den Inobskuratorentruppführern, die ihr ins Exil gefolgt waren, genau wie die Botschafter von Misty Mountain, die sich dem Komitee des neuen Morgens anschließen wollten. So hatten die Eheleute Hammersmith die Widerstandsbewegung bezeichnet, die hinter den Kulissen eines Gegenministeriums die Rückkehr zu den alten Freiheiten erringen wollte, obgleich noch keine und keiner hier wusste, wie genau das möglichst gewaltlos zu schaffen war.
"Gibt es schon Reaktionen aus diesem sogenannten Tal der guten Zeiten?" wollte Atalanta Bullhorn wissen. Richterin Benchurch schüttelte den Kopf. "Gehört wird es wohl einer haben und dem auf hohem Thron gesetzten Gentleman sicher schon zugespielt haben, Atalanta. Aber er wird nicht darauf antworten, solange er meint, dass wir auf Viento del Sol beschränkt sind und er uns ja zu Gesetzlosen im Niemandsland erklärt hat. Er hält uns wohl für lästige Fliegen, die laut um ihn herumsummen, aber auf der Hut sein müssen, nicht in seine Reichweite zu geraten."
"Toller Vergleich, Jessica", grummelte Tom Summerhill, Gemeinderat für Einkünfte und Ausgaben. Stella Hammersmith meinte dazu: "Nun, da zu vermuten ist, dass er von Vita Magica ferngelenkt wird schlage ich als Vergleich eher den mit laut plärrenden Babys vor, die in ihren Wiegen liegen und noch nicht krabbeln können. Zumindest vermute ich mal, dass Buggles uns so sieht, kleine, Rotz und Wasser plärrende Kinder, die um Zuwendung brüllen. Dabei sollten ihm seine Überwachungsknechte doch schon zugeflüstert haben, dass unsere Luftschiffe unanfechtbar starten und landen können, und dass wir gezielt in die Wohnzimmer uns bekannter Unterstützer hineinapparieren dürfen könnte der sich auch ganz ohne Phantasie vorstellen. Das mit den mit Spionagelinsen behängten Vögeln ist zwar sehr raffiniert, aber nicht unüberwindlich."
"Haben wir schon eine Antwort aus England, ob wir diesen Mitsehlinsen was entgegensetzen können?" fragte Atalanta Bullhorn. "Moment, habe vorhin von Brittany eine Nachricht erhalten", sagte Stella Hammersmith und förderte eine dünne Pergamentrolle aus ihrer grasgrünen Leinentasche. Diese entrollte sie und beschwor mit den beiden dafür nötigen Zaubern ein Abbild von Brittany Brocklehurst herauf, das den geschriebenen Text laut vorlas:
"Sehr geehrte Gemeinderätin Hammersmith, sehr geehrte Mitglieder des neuen Komitees zur Rückgewinnung unserer Freiheitsrechte, soeben erfahre ich über meine bekannte Zauberporträtverbindung, dass der Erfinder der uns allen zusetzenden Beobachtungsvorrichtungen vermeldet, dass er die Wirkung seiner Vorrichtung in einem Umkreis von hundert Metern verringern kann. Er kkönnte sie auch völlig unterbrechen, das aber nur auf Kosten des Lebens des Trägers einer Mitbeobachtungsvorrichtung. Auch wenn es sich bei den Trägern um natürliche Vögel handelt, so Mr. Dawn, müsse man sie nicht dafür bestrafen, dass jemand sie als Spione gegen friedliche Menschen verwendet. Die Pläne für die Unterdrückung der Beobachtungsvorrichtungen kommen per Distantigeminuskasten herein und können von guten Thaumaturgen umgesetzt werden. Mr. Dawn geht davon aus, dass die Abwehr seiner eigenen Vorrichtung bei Tageslicht wirksam ist, solange genug Sonnenlicht auf die zu schaffende Gegenvorrichtung trifft. Während der Nachtstunden würde es reichen, den Frigivapor-Zauber um das vor Spionagevögeln zu sichernde Gebäude zu legen, um Wärmeausstrahlungen zu schwächen und/oder unkenntnlich zu streuen. Er geht davon aus, dass den Anwendern dieser Schutzmaßnahme das Gefühl von nordpolkalter Luft auf freier Haut die Wiedererlangung der eigenen Privatsphäre wert ist. Monsieur Latierre aus Millemerveilles schlägt als Alternative zum Frigivapor-Zauber eine auf die Körpertemperatur von Wirbeltieren eingestimmte Nebelwolke vor. Diese benötigt zwar eigenständig wirkende Wärmequellen und kann deshalb auf lebende gleichwarme Wesen auszehrend wirken, verbirgt jedoch die Bewegungen von Wärmequellen bis zur eingestimmten Temperatur zuverlässig. Er erwähnte, dass er bei einem Einsatz für das Ministerium in Frankreich mit einer derartigen Wärmesichtvernebelung gearbeitet hat, wollte oder durfte jedoch keine Einzelheiten erwähnen. Wie erwähnt bekommen wir sehr bald die nötigen Anleitungen für die Abwehr der Spionagevögel, ohne diese selbst verletzen oder töten zu müssen. Hochachtungsvoll, brittany Brocklehurst!"
"Von diesem Eigenwärmeüberlagerungszauber habe ich gehört", wandte Chloe Palmer ein, die als residente Heilerin selbstverständlich die Gemeinderätin für Gesundheitsangelegenheiten war. "Allerdings ist dieser auf Körpertemperatur erhitzte Nebelzauber, übrigens ein schlichter Lentanebula-Zauber, belastend, wenn er länger als eine Stunde gewirkt wird, weil die in ihm verborgenen Wesen ihre eigene Wärme nicht an die Umwelt abführen können und in einer feuchtheißen Umgebung von 37 Grad nach Celsius operieren müssen. Aber Monsieur Latierre weiß das ganz sicher und wollte uns nur weitere Möglichkeiten anbieten."" Die Anwesenden nickten anerkennend.
"Was ist mit dem Laveau-Institut. Ist es zuverlässig auf unserer Seite?" wollte Atalanta Bullhorn von Fornax Hammersmith wissen. Dieser nickte und sagte, dass die Direktionsetage des Laveau-Institutes die Wahl zur Gegenministerin anerkenne, jedoch darauf bestehe, keine unnötigen Kampfhandlungen auszulösen. Er fügte dann seiner eigenen Frau zugewandt zu: "Wenn Britt diese Anleitung bekommt möchte da sicher jemand eine Kopie von haben, da er ja bisher keinen dieser Spionagevögel einfangen konnte, ohne dabei die Mitbeobachtungslinse zu beschädigen."
"Das habe ich auch weitergereicht, dass der Jemand auch eine Originalvorrichtung der Mitbeobachtungslinse bekommen wird, auch um weitere nichttödliche Abschirmungen zu testen oder den auf jemanden angesetzten Spion sozusagen umzudrehen, dass sein Mitsehauge für uns arbeitet." Fornax nickte.
"In Ordnung, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wir hoffen, dass wir in nicht all zu ferner Zukunft aus diesem bleischweren Netz freikommen, in das uns Buggles mit seinem Traum vom nordamerikanischen Zaubererreich einschnürt", sagte Atalanta Bullhorn.
Es war ihm nicht wirklich geheuer, als er mit seinem Begleiter aus dem dreifachen konzentrischen Kreis aus silbernen Zauberzeichen trat. Denn vor ihnen beiden erhoben sich die zwanzig Meter hohen Granitmauern einer gewaltigen Festungsanlage, an deren vier Ecken noch einmal so hohe Wachtürme aufragten. Doch das wirklich unheimliche war das große, eherne Tor, vor dem sie nun standen. Es bestand aus einem mit verschiedenen Zauberzeichen verzierten Rundbogen. Die zwei Torflügel waren nur durch eine haarfeine Senkrechtlinie zu erkennen. Quer über beide Flügel stand in metergroßen Lettern:
Hic est locus ubi animae inimicorum mortem salutaverint
Über dem Torbogen prangte ein Rad mit doppelten Kranz, in dem neun silberne Speichen zu einer tiefschwarzen Nabe führten. Auf der Nabe prangten blutrot leuchtend die Buchstaben D und C. Dies war das Wappen von Doomcastle, der Festung des ewigen Verwahrens, dem Ort, wo kein bei Verstand seiender Mensch jemals hingelangen wollte.
Als wenn das Tor darauf gewartet habe, dass die beiden Besucher die in es gemeißelte dunkle Verkündung gelesen hatten, erzitterte es. Ein vielfaches metallisches Rasseln erklang. Dann schwangen die beiden Torflügel lautlos nach innen auf. Der Weg ins innere der Festungsanlage war frei.
Ray Catlock betrat zusammen mit Blake Maurice Woodgrove das Verwaltungsgebäude jener gefürchteten Festungsanlage, in der schwerkriminelle Hexen und Zauberer durch ein vor hundert Jahren erfundenes Verfahren an Leib und Seele getrennt wurden, ohne die Körper zu töten. Die entleibten Seelen wurden in sogenannten Seelengläsern eingekerkert, fähig, ihre Umwelt mitzubekommen, jedoch unfähig, sich zu bewegen und körperlich gebliebenen Leuten mitzuteilen. Ihre wie versteinert aussehenden, scheintoten Körper wurden im Keller der zehntausend Leiber eingeschlossen. Solange sie nicht vollständig tot waren hielten sie die mit ihnen entstandenen Seelen in der stofflichen Welt. Diese Bestrafung war schlimmer als der Tod.
Doch ab dem 20. Mai 2005 galt, dass unumkehrbar kriminelle Hexen und Zauberer nicht mehr dauerhaft in den Seelenkerkern verwahrt werden sollten, sondern an Körper und Geist wiederverjüngt werden sollten, sozusagen als Gnadenakt und zweite Chance zugleich, um bei Wiedererreichen des Erwachsenenalters frei von bisherigen Begehrlichkeiten und Ansichten neue Generationen von Hexen und Zauberern zu zeugen oder zu gebären. So dachten wenigstens Leute wie Blake Woodgrove.
Lawrence Winterford war ein bereits über einhundert Jahre alter Zauberer mit silbergrauem Scheitel und einem kurzen, für sein Alter und seinen Rang schon keck zu nennenden Schnurrbart. Er trug einen tiefseeblauen Umhang mit silbernen Schließen und saß hinter einem breiten Schreibtisch aus Ebenholz. Davor standen fünf Stühle, von denen der in der Mitte aus Metall bestand und eine Aura unheilvoller Vorahnung ausstrahlte.
"Guten Morgen, Gentlemen", begrüßte Winterford seine Besucher, da sie ihm rangmäßig übergeordnet waren. Catlock erwiderte den Gruß und stellte seinen schmächtigen, kastanienbraunhaarigen Begleiter vor. "Mr. Woodgrove ist mein Referent für Strafprozesse und Strafvollzug. Seine Ehren Chrysostomos Ironside hat ihn persönlich legitimiert, die Durchführung der neuen Verordnung zu beaufsichtigen und darüber an mich und den vereinten Richterrat zu berichten", sagte Catlock.
"Ich bin über Mr. Woodgroves Person und Funktion hinreichend informiert worden, Mr. Catlock", sagte Winterford ein wenig ungehalten klingend. Natürlich musste sich der Herr der eingekerkerten Seelen zurückgestuft vorkommen, und er hatte ja auch recht mit dieser Auffassung, wusste Catlock. Denn wenn die neue Verordnung umgesetzt wurde würde es bald keine zu verwahrenden Insassen mehr geben und damit auch kein Direktor mehr nötig sein. Andererseits wusste Catlock von Administrator Buggles, dass auch Winterford ihm durch Anerkenntnisurkunde verbunden war und deshalb nichts gegen das neue Gesetz unternehmen konnte.
"Gut, dann kommen wir gleich zum Punkt", sagte Woodgrove mit leiser aber unmissverständlich entschlossener Stimme. "Gemäß der Gesetzesnovellierung zum magischen Strafrecht, erlassen am 19. Mai 2005 und durch Administrator Buggles und den Rat der nun vierundzwanzig höchsten Richter in Kraft gesetzt, sind sämtliche auf unbestimmte Zeit an Leib und Seele getrennten Inhaftierten der Festung Doomcastle durch Umkehrung des Trennungsvorganges zu refusionieren und unmittelbar danach durch eine vollständige Wiederverjüngung zum erneuten Aufwachsen in der magischen Gesellschaft Nordamerikas zu überantworten. Gemäß den Vorgaben des neuen Rezivilisationsgesetzes sollen die Strafgefangenen mit mehr als vierzig Jahren Aufenthalt in Doomcastle zuerst dieser neuen Maßnahme unterzogen werden. Daher erbitte ich in meiner neuen Funktion als Vollzugsermächtigter der magischen Gerichtsbarkeit und Gesetzesüberwachung die Herausgabe der gegenwärtigen Liste mit den am längsten bei Ihnen eingekerkerten einschließlich der Dokumente, die ihre Untaten bekunden."
"Selbstverständlich, Mr. Woodgrove", sagte Winterford. "Doch der Vollständigkeit halber bin ich gehalten, Sie und Mr. Catlock darauf hinzuweisen, dass eine Wiederverjüngung der hier inhaftierten womöglich keine Gehirnschäden beheben kann, die zur Entwicklung ihrer verbrecherischen Gesinnungen und Handlungen trieben."
"Das mag für den Widerverjüngungstrank gelten, aber nicht für eine rein zauberkraftbasierte Wiederverjüngung mit einhergehender Auslöschung aller bisher angesammelten Erinnerungen und Erfahrungswerte", sagte Woodgrove. "Wir sind sozusagen die Vorhut jener Kollegen, die die Maßnahme durchführen werden."
"Infanticorpore-Fluch?" fragte Winterford. Dann nickte er. "Öhm, vor fünfzig Jahren, nach Auflösung des Magischen Kongresses der USA, wurde diese Möglichkeit als nicht wirksam genug befunden, weil die Abschreckungswirkung einer vollständigen Wiederverjüngung nicht so hoch eingeschätzt wurde wie ..."
"Ist uns hinlänglich bekannt, Direktor Winterford", schnitt Woodgrove dem Herrn von Doomcastle das Wort ab. "Es geht nicht mehr um reine Abschreckung, sondern um Nützlichkeit. Es liegt kein praktischer Nutzen mehr darin, jemanden für unbestimmte Zeit, womöglich mehr als hundert Jahre, untätig und somit nutzlos zu verwahren. Früher war es üblich, dass die nicht zum Tode durch magische Entleibung und Zerstreuung seiner Seele verurteilten für die Gesellschaft zu arbeiten hatten. In der magischen Welt erwies sich das als nicht dauerhaft sicher für die unbescholtenen Bürger, da die Gefangenen auch ohne Zauberstab Mittel und Wege suchten, um zu entkommen oder zumindest durch Arbeitsverweigerung und zielgerichtetes Hungern mehr Zuwendungen und Aufmerksamkeit zu erzwingen. Die neue Maßnahme unterbindet eine Flucht durch Auslöschung aller damit befassten Gedanken und verhilft uns allen zu neuen wertvollen Mitgliedern der magischen Gesellschaft. Also legen Sie mir nun bitte die Listen der am längsten bei Ihnen verwahrten vor!"
Winterford nickte und zog eine Schublade auf. Aus dieser nahm er sowohl drei Pergamentrollen und fünf Aktenordner. Diese legte er vor Woodgrove, der erst jetzt auf dem Stuhl rechts des Metallstuhls platznahm.
Catlock setzte sich auf den Stuhl links von dem Metallstuhl, auf dem unzählige Hexen und Zauberer zu sitzen hatten, um auf ihre Entseelung zu warten. Er meinte körperlich die Spuren der Angst und der Wut zu spüren, die die Delinquenten auf diesem Stuhl auszustehen hatten.
Woodgrove entrollte die ihm vorgelegten Pergamente und las sie aufmerksam. Zwischendurch zog er einen der ebenfalls vorgelegten Aktenordner zu Rate. "Ja, es mag bei einigen durch den Umgang mit Magie oder unheilbare Gehirnschädigungen zu Wahnsinn oder tierhaftem Verhalten gekommen sein. Aber wenn selbst die größten Heiler erkannt haben, dass der angeblich so verwerfliche Infanticorpore-Zauber diesen Menschen zu einem unbeschwerten Neuanfang verhelfen kann, dann gilt das auch für uns von der Strafverfolgung", sagte Woodgrove. Dann schrieb er sich die Namen von der vorgelegten Liste auf eine leere mitgebrachte Pergamentrolle auf. Catlock sah dabei, dass er die Namen nicht in der aufgeführten Reihenfolge der vorgelegten Listen übernahm, sondern nach einer nur Woodgrove ersichtlichen Rangfolge neuordnete. So erstellte der Vollzugsbevollmächtigte auf drei mitgebrachten Rollen eine völlig neue Liste und unterschrieb diese. Dann deutete er auf den obersten Eintrag auf der ersten Pergamentrolle: "Maura Oakshade, Douglas Hancock und Rinaldo Fuentefrio zuerst!" gebot er dem Direktor von Doomcastle.
"Maura Oakshade, Sir? Ihre Seele ist seit 1950 in unserer Verwahrung, Sir. Sie hat damals zweihundert Mädchen zwischen Neugeboren und zehn Jahren umgebracht, um ihre Jugend zu gewinnen, um ewig zu leben, Sir", sagte Winterford.
"Tja, in gewisser Weise erfüllen wir ihr jetzt ihren Wunsch", erwiderte Woodgrove. "Die Familie Oakshade ist nach ihrer Inhaftierung so gut wie ausgestorben. Sie gehörte damals zu den ersten Siedlern, die unsere magische Bürgerschaft begründet haben, noch unter den argwöhnischen Augen der Hexenjäger von Salem und den damals noch sehr einflussreichen Kirchenfürsten aus dem alten Europa. Also, sie zuerst, wenn ich bitten darf", sagte Woodgrove. Ihm war anzusehen und anzuhören, dass es ihm missfiel, sich rechtfertigen zu müssen. Catlock begriff nun, wonach Woodgrove die neue Liste eingeteilt hatte. Auch begriff er, was die wahren Absichten hinter dem neuen Gesetz betraf. Doch er konnte sich nicht gegen ihn, den ersten Administrator, erheben, nur weil er jetzt wusste, in wessen Auftrag dieser und alle anderen in Wirklichkeit handelten. Auch Winterford musste nun begreifen, was wirklich mit diesem "Akt der Begnadigung" beabsichtigt wurde.
"Ich werde veranlassen, dass Maura Oakshade unverzüglich refusioniert und vorgeführt wird", sagte Winterford.
"Ich werde bei diesem Vorgang höchstselbst anwesend sein, und Mr. Catlock möchte es sicher auch bezeugen", sagte Woodgrove.
"Wie Sie wünschen, Bevollmächtigter Woodgrove", bestätigte Winterford.
Catlock spürte die Gänsehaut, die ihm beim Gedanken an das unheimliche Innere von Doomcastle überzog. Doch damit hatte er doch rechnen müssen, die ersten Vollstreckungen mitzuverfolgen, auch um zu beobachten, ob die scheinbar begnadigten sich wunschgemäß verhielten oder nicht. Denn bisher hatte es niemand gewagt, die für immer eingekerkerten Gefangenen wiederzubeseelen. Somit war die Hoffnung, dass sie nach völliger körperlicher und geistiger Verjüngung harmlose Säuglinge waren, ein wenig eingetrübt. Erst die praktische Umsetzung würde zeigen, ob sie berechtigt war oder nicht.
Winterford berührte mit dem Ringfinger der rechten Hand eine bestimmte Stelle auf seinem Tisch und rief dann in leere Luft nach insgesamt fünf Mitarbeitern. In nicht mal einer Minute trafen fünf Zauberer in silber-roten Umhängen ein. Sie trugen alle das 9-Speichen-Rad mit den blutroten Buchstaben D und C auf dem Rücken. Darüber waren noch zwei silberne Sterne aufgestickt. Winterford stellte seinen Mitarbeitern die beiden Besucher vor und erläuterte die einer Begnadigung ähnelnde neue Maßnahme. Als er erwähnte, , dass zuerst Maura Oakshade wiederbeseelt werden sollte sagte einer der fünf, der Wilson gerufen wurde: "Sie wissen, dass die Oakshade zwei Urgroßtanten von mir ermordet hat, kaum dass diese geboren waren, Sir?"
"Ja, Wilson, so steht es in der Akte, die über diesen Fall angelegt wurde. Na und?" erwiderte Winterford. "Ich ging davon aus, dass dauerhaft zumindest so lange dauert, bis meine Kinder und ich nicht mehr leben", erwiderte Wilson mit unüberhörbarer Verachtung. Dann fügte er mit aufloderndem Hass hinzu: "Diese schwarze Sippe gehört ausgelöscht oder besser ausgestorben. Außer dieser Kindermörderin lebt von den Oakshades niemand mehr. Wenn die jetzt neu aufwachsen soll könnte die ihr verdorbenes Blut am Ende noch mit dem von einem meiner Kindeskinder zusammenbringen. Das wollen Sie nicht wirklich, Herr Direktor."
"Es geht hier nicht darum, was ich will, sondern was die nordamerikanische Magieadministration beschlossen hat, Wilson", zischte Winterford. Catlock fragte sich, wieso dieser Wilson so ungehemmt aufbegehren konnte. Hatte der nicht auch ein Anerkenntnisdokument unterschreiben müssen?
"Dann wollen Administrator Buggles und wer sonst noch diese verdorbene Sippschaft nachzüchten, zumindest deren Blutlinie erhalten", schnaubte Wilson. "Und wen wollen die hohen Herrschaften heute noch in unsere anständige Welt zurückbringen, sozusagen wiedergebären?"
"Douglas Hancock und Rinaldo Fuentefrio", erwiderte Woodgrove scheinbar unbeeindruckt von Wilsons Aufbegehren. Das brachte Wilsons Begleiter zum zusammenfahren. "Fuentefrio, der Kopfsammler?" fragte einer der vier anderen, der laut Vorstellungsrunde Trystone hieß. Darauf meinte sein Kollege Hogtrail: "Die wollen doch alle Gäste von uns vor das HPK ablegen, Leute, damit die denen neue Familien zuteilen. Lest ihr echt keine Zeitung? Stand doch dick und fett vor drei Tagen drin, dass unsere Stammgäste bald ausziehen, um anderswo noch mal neu durchzustarten wie frisch gedrechselte Besen."
"Ich ging von denen aus, die nur vier oder fünf Morde auf dem Gewissen haben", knurrte Wilson. "Ja, und ich habe nicht gedacht, dass auch die Oakshade ..."
"Genug jetzt!!" brüllte Winterford, und seine Stimme hallte leicht klirrend von den Bürowänden wider. "Die Gesetzesänderung wurde von Ironside und den anderen dreiundzwanzig höchsten Richtern bestätigt. Gerade wir hier müssen uns an die geltenden Gesetze halten, wo wir sehen, wohin jemand kommt, der das nicht tut, Gentlemen." Den letzten Teilsatz sprach der Direktor eines bald nicht mehr benötigten Gefängnisses mit unheilvoll raunender Stimme. Woodgrove nickte und fügte hinzu: "Offensichtlich haben Sie wirklich keinen Kontakt mit der - wie nannten Sie es? - anständigen Welt. Es wurde erörtert und bekräftigt, dass es sinnvoller ist, gegen die Gesetze verstoßende Zaubererweltbürger noch einmal vollständig aufwachsen und leben zu lassen, statt sie ewig und drei Tage wegzusperren, selbst wenn sie keine Nahrung benötigen. Bei der Refusion müssen fünf Leute helfen, sonst würde ich sie, Wilson, und Sie, Trystone, unverzüglich auf ihren Wachtposten zurückschicken. Aber ich muss dem Wissen von Direktor Winterford vertrauen. Also führen Sie nun seine Anweisung aus!"
"Jawohl, Sir", sagte Trystone. Wilson nickte nur flüchtig. Sein Trotz und der in seinen Augen funkelnde Hass sagten sowieso mehr als tausend Worte.
Nach diesem Zwischenspiel mit ungewissen Folgen verließen Catlock, Woodgrove und die fünf Bediensteten von Doomcastle das Direktorenbüro und begaben sich zu Fuß zu einem der vier aschgrauen Quaderbauten, die scheinbar nur zwei Stockwerke aufragten, was so nicht zu erkennen war, weil sie keine Fenster besaßen. Catlock konnte noch ein gebäude erkennen, in dem tatsächlich vergitterte Fenster eingelassen waren. Er sah, dass die Gitter im Licht der Morgendämmerung golden flimmerten. Er wusste, dass sie gegen jede form von telekinetischer Magie, Feuerzaubern oder magischen Geschossen abgesichert waren, aber auch einen ständig wirksamen Rückhaltezauber auf jene ausübten, die hinter ihnen die Gnade einer nur wenige Jahre zu verbringenden Haftstrafe zu ertragen hatten, Vereint an Leib und Seele. Denn nicht jeder konnte die für ihre Verfehlungen angesetzten Geldstrafen bezahlen. Catlock wusste auch, dass die mit Leib und Seele einheitlichen Gefangenen jeden Tag von den Wächtern in einen der Seelenkeller geführt wurden, um immer und immer wieder zu sehen, wie nahe sie der eigenen ewigen Einkerkerung gekommen waren. Denn laut den noch geltenden Gesetzen stand auf die zehnte Widerholung einer gleichartigen Straftat oder einer noch schwerer wiegenden Untat die Seelenkerkerhaft, bis niemand mehr lebte, der mit dem Täter befreundet oder verwandt war. Bei Tätern mit großer Verwandtschaft kam das derselben Bestrafung gleich wie für einen Hochverräter oder Massenmörder.
jetzt stiegen sie in einem der fenstrlosen, nur von dunkelroten Kristallspähren erleuchteten Gebäude eine weit geschwungene Wendeltreppe hinunter. Catlock erinnerte sich, wie er als gerade vollbeamteter Bediensteter in der Strafverfolgungsabteilung zum ersten Mal die Hallen der zehntausend Leiber besucht und auch in eine der Seelenglashallen hineingeguckt hatte. Ob Woodgrove jemals hier war wusste er nicht. Doch so selbstsicher, wie Woodgrove sich hier bewegte schien er sich nicht darum zu sorgen, was in diesen Mauern vorging. Natürlich musste er das nicht. Denn die Körper der Häftlinge waren erstarrt und ohne Seele antriebslos. Deren feinstoffliches Sein war auf den dafür vorgehaltenen Behälter beschränkt, wie ein orientalischer Flaschengeist. Nur wer den Prozess durchführen konnte, Leib und Seele wiederzuvereinigen und zugleich so einfältig war, dem wortwörtlich reanimierten einen Zauberstab zu überlassen, konnte ein Problem bekommen. Doch entkommen konnte keiner von hier, ob im Vollbesitz der eigenen Seele oder nicht.
Eine Tür fuhr auf, als Trystone seine rechte Hand in einen roten Vollkreis daneben legte. Für einige Sekunden sah es so aus, als wenn seine Hand von der Wand eingesaugt würde. Nur der rote Kreis war zu sehen. Dann glühte dieser kurz auf und spuckte Trystones Hand wieder aus. "Wenn das einer macht, der nicht per Körperabstimmungszauber als Kerkerdiener von Doomcastle bekräftigt wurde wird er oder sie völlig durch die Wand gezogen und in eine Erstarrungssphäre gehüllt, bis einer von uns ihn oder sie aufsucht und wegen versuchter Gefangenenbefreiung abführt", sagte Trystone, während sich die mehrere Meter breite und hohe Tür langsam zur Seite schob. Catlock nickte. Er wusste, dass in Doomcastle alle erdenklichen Schutz- und Abwehrzauber eingewirkt waren und dass niemand mit magischer oder rein körperlicher Gewalt die hundert Tonnen schwere Tür aufbrechen konnte.
Hinter der überschweren Tür erstreckte sich die auf diesem Stockwerk angelegte Halle der zehntausend Leiber. Wer es nicht wusste, wo er hier war oder was hier vorging mochte an eine Halle voller als Denkmäler geehrter Leute denken. Ein Gang, so breit, dass vier erwachsene Leute nebeneinander hindurchgehen konnten, trennte die in vielen Reihen auf runden Plattformen aufgestellten Körper nach ihrem Geschlecht, die wahrlich wie von höchst begabten Bildhauern erschaffene Standbilder wirkten. Der Gang verzweigte sich alle zehn hier aufgestellten nach links und rechts. Catlock sah trotz der strengen Anordnung, dass es noch etliche freie Plattformen gab. Wohl wahr, es waren noch genug Plätze frei, als die Erbauer und Einrichter von Doomcastle diese gefürchtete Festung erbaut hatten. Einen Moment lang dachte Catlock, dass auch er einmal hier "ausgestellt" werden könnte, sobald sich die Machtverhältnisse änderten. Dann dachte er daran, dass er es zu gerne miterlebt hätte, dass auch Atalanta Bullhorn hier ihren Platz gefunden hätte, bevor die Gesetzesänderung beschlossen und verkündet worden war. Einen winzigen Moment erschauerte er, als er in der vom Hauptgang aus linken Hälfte der Halle den erstarrten Körper von Jasper Lincoln Pole sah, einem Vorvorgänger von Buggles. Er war damals wegen mehrerer schwerer Verbrechen unter anderem einem unter Ausnutzung von Zeitzaubern versuchten Mord, zur dauerhaften Einkerkerung verurteilt worden. Catlock erinnerte sich noch an den Fall, als wenn es erst gestern passiert war und fragte sich, ob der Bursche aus Europa es wirklich wert gewesen war, wegen ihm in Doomcastle eingelagert zu werden. Da ausnahmslos alle der neuen Strafmaßnahme unterworfen werden sollten würde auch Pole wieder neu zu leben anfangen, aber dann nicht mehr wissen, dass er Jasper Lincoln Pole und ein auf Abwege geratener Zaubereiminister gewesen war.
"Kommen sie nach, Mr. Catlock?" fragte Woodgrove ihn aus mehr als zwanzig Schritten Entfernung. Da erkannte Catlock, dass er sich ziemlich weit hatte zurückfallen lassen. Gerade bogen die fünf Kerkerdiener und Woodgrove in einen der rechten Quergänge ein. Catlock eilte ihnen schnell nach und schloss zu Woodgrove auf. "Na, alte Bekannte wiedergesehen, Mr. Catlock?" wisperte Woodgrove mit leicht verächtlichem Grinsen. Catlock dachte nach, was er darauf antworten sollte, um den ihm zustehenden Respekt zurückzugewinnen. So sagte er: "Ich habe überschlagen, wie viele freie Stellplätze hier noch sind und dass wir all zu leicht darauf landen könnten, wenn wir nicht ganz genau tun, was uns vorgeschrieben ist."
"Jetzt nicht mehr", sagte Woodgrove darauf kühl wie ein Bergbach. "Die nächsten, die sich früher diese nette Halle hier verdient hätten krähen und plärren, weil sie mit der achso großen Welt neu zu leben lernen haben."
"Das ist wohl so", erwiderte Catlock ein wenig resignierend, weil Woodgrove sich nicht beirren ließ.
Minuten später erreichten sie eine Plattform, auf der eine zierliche Frau in einer Art bein- und ärmellosem Ganzkörperanzug stand. Auf dem Rand der Plattform stand der Name MAURA OAKSHADE und die Bezeichnung der Untat, weshalb sie hier verwahrt wurde. Ja, sie hatte über zweihundert ganz kleine Mädchen umgebracht, um deren junges, unschuldiges Leben in sich aufzunehmen, wie eine Vampirin, die Blut trank um weiterzuleben. Rein äußerlich wirkte sie gerade dreißig Jahre alt. Laut der Geschichte ihrer Untat war sie bei ihrer Ergreifung schon neunzig Jahre alt. Hatte sie also wirklich einen von vielen dunklen Hexen und Zauberern betretenen Weg gefunden, sich ewig jung zu erhalten?
"Gut, die Herren, bitte drei Schritte zurücktreten. Wir werden die Verwahrungsplattform nun anheben und in die Seelenhalle transportieren, wo Oakshades feinstoffliche Existenz dahinvegetiert", sagte Wilson. Catlock hörte immer noch die an Hass grenzende Verachtung aus seiner Stimme heraus.
Catlock hatte das noch nie persönlich mitverfolgt, was nun vorging. So sah er mit gewisser Neugier zu, wie die fünf Bediensteten zeitgleich ihre Zauberstäbe schwangen. Er sah keine magischen Strahlen oder Funken daraus hervorschnellen. Er sah nur, dass die Plattform silbern leuchtete und dann völlig lotrecht nach oben stieg, als wüchse unter ihr eine massive Glassäule aus dem Boden empor. Die Plattform mit Oakshades erstarrtem Körper stieg doppelt so hoch wie der höchste hier aufbewahrte Körper. Dann glitt sie lautlos in Richtung Hauptgang zurück, dabei gelenkt von vier Bediensteten. Der fünfte, Trystone, beeilte sich, zu der mittlerweile wieder verschlossenen Tür zurückzukommen.
Als alle anderen fast bei ihm waren sah Catlock, dass der Bedienstete seine linke Hand an die Wand neben der an die hundert Tonnen schweren Tür legte. Wieder sah es so aus, als wolle die Wand die Hand, den Arm und alles an Tryston in sich einsaugen. Doch dann gab sie Trystone wieder frei. Die Tür schob sich erneut ganz langsam zur Seite. Als sie vollständig offen war bugsierten die fünf Bediensteten ihre Last mit dem vereinten Schwebezauber durch die haushohe und -breite Öffnung. Catlock beeilte sich. Denn er wollte auf keinen Fall in der Halle der erstarrten Gefangenen eingeschlossen werden.
Diesmal ging es nicht die Treppe hoch, sondern durch drei weitere schwere Türen und zwei flimmernde Lichtwände zu einer gläsernen Wand. Dahinter konnte er sie sehen, unzählige, kopfgroße Glaskugeln, die in schimmernden Regalen eingelagert waren. Als die gläserne Wand mit leisem Schaben nach oben glitt sah er auch die schwach schimmernden Schemen, die innerhalb der Glaskugeln schwebten. Sie sahen aus wie aus flüchtigem Nebel geformte Menschen, kleiner noch als Kobolde. Unvermittelt meinte er, ein leises Raunen und Murren, Seufzen und Flüstern zu hören. Doch das war nur eine Einbildung. Denn trotzdem sich die Eingekerkerten sichtbar bewegten konnten sie doch keinen hörbaren Laut von sich geben, solange keiner einen Seelenhorcher an eine der Kugeln hielt, um die darin gefangene Seele zu verhören. Denn es mochte durchaus vorkommen, dass nach vielen Jahren noch Fragen über die Verbrechen der Eingekerkerten aufkamen, die diese beantworten sollten, um sich vielleicht einige Monate oder Jahre vorzeitiger Entlassung zu verdienen.
Die völlige Stille in der Halle überkam Catlock so heftig, als sei er auf einen Schlag ertaubt. Erst als er das aufgeregte Rumm-bumm seines eigenen Herzens hörte konnte er aufatmen.
Es dauerte einige Minuten, bis sie unter den wie Nebel im Wind verwischenden Augen der fleischlosen Gefangenen zu einer Kugel kamen, unter der ein rotes Schild verhieß, dass darin Maura Oakshades Anima eingelagert war. Catlock, der an denAnblick von Geistern gewöhnt war, erschauerte trotzdem, als er sah, wie die ihres Körpers beraubte Hexe mit ihrer dunstartigen rechten Hand auf die Gruppe der sieben zeigte und dabei ein wenig deutlicher zu erkennen war. Auch sah er, dass das Gesicht der Entkörperten silbern anlief und ihre Augen sich unübersehbar verengten. Wie lange mochte es her sein, dass jemand genau vor ihr gestanden hatte, um sie anzusehen?
"Da ist sie, Mr. Woodgrove", grummelte Wilson. "Bestätigen Sie uns bitte noch einmal, dass Sie ihre Refusion erbitten."
"Warum sollte ich eine einmal gegebene Anweisung wiederholen, Mr. Wilson?" fragte Woodgrove. "Führen Sie gefälligst die Refusion aus!"
"Sie haben es so gewollt", knurrte Wilson. Dann deutete er mit der freien Hand nach oben. Die starre Hülle Maura Oakshades sank auf ihrer Plattform herunter. Alle machten Platz. Als die Plattform so aufkam, dass der entseelte Körper die entkörperte Seele ansehen konnte, vollführten die fünf einen wohl seltenen, aber doch gut praktizierten Gemeinschaftszauber, von dem Catlock nur die lateinischen Worte Anima für Seele und Corpus für Körper heraushören konnte. Jetzt konnte er auch fünf verschiedenfarbige Strahlen erkennen, zwei, die die Glaskugel mit dem erstarrtenKörper verbanden und drei, die auf die Plattform einwirkten. Diese begann zu vibrieren. Dann liefen schwache Lichter über den erstarrten Körper Maura Oakshades. Dessen Starre wich mehr und mehr. Die bläulich wirkende Erscheinung wurde zu einer europäischstämmigen Frau in einem blutroten Einteiler ohne Ärmel und Beine. Mit einer unheimlichen Langsamkeit begann die aus der Starre freikommende ihre Arme und Beine zu bewegen. Ihre halbgeschlossenen Augen öffneten sich und schlossen sich sofort wieder. Dann öffneten sie sich wieder. Gleichzeitig erstrahlte die gläserne Kugel in einem immer helleren silbernen Licht, als wäre sie ein Vollmond ohne die üblichen dunklen Stellen. Ein leises Singen erklang aus der Glaskugel. Dann blähte sie sich scheinbar auf. Doch als Catlock genau hinsah erkannte er, dass sie etwas absonderte, ein weiß flimmerndes, gasförmiges Gebilde, das immer größer wurde und dabei immer mehr menschliche Form gewann. Dann, mit einem Schlag, begleitet von einem silbernen Blitz, sprang die weiße Nebelgestalt auf die sich immer besser bewegende Frau auf der Plattform über. Diese fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen, riss ihren Mund weit auf und holte unüberhörbar Luft, ihren ersten Atemzug nach 52 Jahren. Gleichzeitig erlosch das Leuchten der Glaskugel und verschwand das rote Hinweisschild, wer hier zur ewigen Strafe eingekerkert gewesen war.
Die Wiederbeseelte blickte aus ihren nun veilchenblau schimmernden Augen in die Runde. Ihr dunkelbraunes Haar wehte bis auf ihren Rücken. Sie sah die fünf Kerkerdiener mit unverhohlener Verachtung an. Dann erblickte sie Woodgrove und Catlock. "Ach, habe ich euch zweien diese vorzeitige Begnadigung zu verdanken?" fragte sie. Woodgrove trat unbeeindruckt vor sie hin und griff in die rechte Tasche seines Umhanges. "Maura Oakshade, im Namen der nordamerikanischen Zaubererföderation verkünde ich, Blake Maurice Woodgrove, amtlicher Überwacher für Strafvollzugsmaßnahmen, dass Ihre Haftstrafe in der Festung Doomcastle mit dem heutigen Tag, dem einunddreißigsten Mai 2005 aufgehoben wurde und Sie statt dessen die hohe Gnade eines Neuanfangs erworben haben. Diese Maßnahme wird umgehend vollzogen."
"Neuanfang? Ich habe schon viele Neuanfänge erlebt, du Sesselwärmer", spie ihm Maura Oakshade ihm entgegen. "Aber danke, dass du mir Monat und Jahr verraten hast, Kleingeist." Mit diesen Worten setzte sie an, von der Plattform herunterzuspringen. Doch in dem Moment riss Woodgrove bereits eine goldene Vorrichtung hoch und betätigte einen gekrümmten Auslösehebel daran. Als die Wiederbeseelte gerade losspringen wollte wurde sie in goldenes Licht gebadet und davon scheinbar restlos verschlungen. Es krachte laut. Dann lag auf der Plattform der einteilige Anzug, aus dem der mit dunkelbraunem Flaumhaar bewachsene Kopf eines Säuglings herausragte. Woodgrove hielt immernoch seine unheimliche Vorrichtung in Händen und betätigte einen weiteren Auslöser. Blaues, flirrendes Licht übergoss die soeben wiederverjüngte, die wild erbebte. Dann erlosch das Licht, und das in einem viel zu großen Kleidungsstück steckende Menschenwesen stieß einen langgezogenen Schrei aus, der so in dieser unheimlichen Halle wohl noch nie zuvor erklungen war.
Spätestens jetzt, so wusste es Catlock, wussten alle anderen es auch, woher Woodgrove diese Apparatur haben musste. Und ebenso konnte Catlock sehen, wie Wilson seinen Zauberstab auf Woodgrove ausrichtete. "Also das wollt ihr, vermaledeite Bande", hörte Catlock ihn trotz des ängstlichen Babygeschreis zischen. Dann erklang das erste von zwei Worten, die weder hier noch anderswo erwünscht waren. "Avada ..."
Tony Deepwater gehörte der neuen Sondergruppe "Reiner Tisch" an, die aus Fachleuten für Zauberwesen und dem Administrator treuen Inobskuratoren bestand, ebenso wie kanadischen Ahorngardisten, die das zaubererweltliche Gegenstück zu den weltberühmten berittenen Polizisten bildeten. Die Gruppe hatte in nur zehn Tagen Dank wohlplatzierter Such- und Aufspürzauber eine Berghöhle gefunden, von der aus es in eine womöglich gut befestigte Geheimfestung von Kobolden ging. Die Heimsendetruppen, die nach der Vereinigung Kanadas mit den anderen nordamerikanischen Zaubereiverwaltungsgebieten alle unerwünschten Zauberwesen, allen voran Vampire, Werwölfe und Kobolde außer landes zu schaffen hatte, hoffte hier den Stützpunkt der Koboldvereinigung Axdeshtan Ashgacki az Oarshui zu finden, dem berüchtigten Such- und Meldedienst der Kobolde, der Geheimpolizei und Vollstreckungstruppe in einem war. Deepwater wusste, dass sich die Kobolde gut zu wehren wussten, wenn man so dumm war, ihnen ohne die passende Ausrüstung entgegenzutreten.
Im Licht ihrer Zauberstäbe betraten die fünf Zauberer und zehn Hexen die Höhle. Warum sie Hexen dabei hatten erklärte sich aus dem Umstand, dass viele Koboldzauber auf männliche Gegner wirkten, aber weibliche Gegner nicht im Ansatz bedrängten. Deshalb verabscheuten Kobolde es auch, mit Hexen zu unterhandeln. Sie nahmen sie nur als Geschäftskundinnen zur Kenntnis.
"Die Wand da vorne ist massiv", hörte Deepwater die Stimme einer Kollegin wie in beide Ohren zugleich geflüstert. Das war eine Eigenschaft der nicht ganz so leichten Kopfbedeckungen, die sie alle trugen, filigran gearbeitete Netze aus purem Gold, nur an bestimmten Stellen mit Kristallen aus erstarrter Lava verbunden.
"Was sagt der Koboldblutzeiger?" fragte Deepwater. Tinca Coaldigger, eine Hexe Mitte vierzig, trat vor und hielt eine Vorrichtung wie eine verkleinerte Heugabel nach vorne. An den Zinken der silbernen Gabel steckten kleine Glaskugeln, in denen eine dunkelrote Flüssigkeit steckte. Die kleinen Kugeln begannen bei Annäherung an die Wand zu glühen. "Tatsächlich, Koboldmagie, und irgendwo stecken mindestens zwei lebende Spitzohren", klang Tincas Stimme in Deepwaters Ohren. Dann fühlte er, wie das unter dem eichbraunen Spitzhut verborgene Haarnetz aus Gold zu vibrieren begann und fühlte auch, dass es sich erwärmte. Das war eindeutig: Wer immer hier residierte hatte sie als Feinde erkannt und griff mit unsichtbarer und unhörbarer Gewalt an.
"Ah, habt ihr auch so'n fieses Brummen in den Köpfen?" fragte Charlie Hedgelane, der dem Akzent nach aus Texas stammen musste. Deepwater bestätigte es. Auch Tinca Coaldigger bejahte es. "Offenbar ein koboldischer Geistverwirrzauber. Ohne die Goldnetze wären wir dem ohne vorwarnung ausgeliefert. Außerdem weiß ich jetzt, wo die stecken", sagte sie und wies auf ihr Suchgerät, das nun im steilen Winkel nach unten zeigte. Die zwei Glaskugeln leuchteten orangerot wie zwei kleine, auf- oder untergehende Sonnen.
"Okay, Chap, mach uns mal denWeg dahin frei", befahl Deepwater. "Du weißt, dass die Kobolde sehr gute Erdzauber können?" fragte Chap Windridge. "Deshalb haben wir ja die neuen Importe aus China dabei", sagte Deepwater grinsend, sicher, dass außer den Haarnetzträgern keiner hörte, was er sagte. "Okay, dann macht besser noch Kopfblasen, falls die noch mit was gasförmigen gegenuns angehen", sagte Chap. Charlie Hedgelane warf noch ein: "Wissen die Safrangesichter schon, dass wir das von denen öhm, geliefert bekamen?"
"Nicht so abfällig von Leuten sprechen, die so geniale Sachen machen, Charlie", wies ihn Deepwater zurecht. Gleichzeitig sorgte er sich um das zunehmende Vibrieren unter seinem Zaubererhut. Jetzt meinte er auch, dass die Kristalle pulsierten. Doch sonst fühlte er nichts.
"Okay, Leute, alle zurück vom Spielfeldrand, sonst gibt's gegrillte Kollegen in Goldfolie", warnte Chap, als er einen roten Zylinder aus seiner Einsatztasche holte. "Wie ging das noch einmal? ... Ah, so!" sagte er noch. Er tippte den Zylinder mit seinem leuchtenden Zauberstab an. Das Zauberstablicht erlosch. Statt dessen glühte nun der Zylinder auf. Chap richtete ihn so aus, dass er genau der Bahn folgte, die Tincas Koboldfinder anzeigte. Dann ließ er ihn los. Eine Sekunde lang blieb das fremdartige Objekt in der Luft stehen. Dann glühte es noch heller auf. Alle anderen sprangen zurück. Nun raste der zylindrische Körper auf den Boden zu und schlug darin ein wie ein heißes Messer in einen Klumpen Butter. Dann begann sich der glühende Gegenstand wild zu drehen, wurde dabei heller und scheinbar auch immer größer. Eine rotglühende Dunstfahne hinter sich herziehend fraß sich der magische Zylinder immer tiefer in den massiven Boden hinein. aus diesem fuhren unvermittelt grüne und silberne Blitze hervor. Dann schlugen auch noch blaue und violette Flammen aus dem rotglühenden Kanal heraus, der so breit war, dass locker ein erwachsener Mensch hindurchkriechen konnte. "Ui, die da unten haben es gemerkt, dass wir ihnen auf die Bude rücken wollen", meinte Tinca, als ihr Koboldsuchgerät mal gelb und mal rot aufleuchtete. Gleichzeitig beobachteten sie alle den sich Meter um Meter in den Boden fressenden Zylinder. "Tja, Jungs da unten, gegen den Drachenschlüssel aus Fernwest stinkt eure Erdmagie auch nicht an", spottete Charlie, während sie alle in einen immer heißeren Dunst gehüllt wurden. Doch die unter ihrer Kleidung getragene Drachenhautausrüstung wehrte nicht nur unbezauberte Geschosse ab, sondern auch Feuer, wenn es nicht von einem mächtigeren Drachen gespien wurde als jener, dessen Haut verwendet worden war.
Das Vibrieren der goldenen Haarnetze wurde immer heftiger, und Deepwater fühlte, wie die darin verwobenen Lavakristalle immer stärker pulsierten und sich dabei immer mehr aufheizten. Hoffentlich brannten die ihm nicht den ordentlichen Scheitel weg.
"Achtung, irgendwas kommt zu uns hoch", warnte Tinca. "Die Platten raus und fallen lassen!" rief Deepwater und ging mit gutem Beispiel voran. Er riss eine federleicht bezauberte Platte aus handgeschmiedetem Eisen aus seiner Einsatztasche und warf sie so, dass sie nur zwei Meter vor ihm landete. Am lauten Klirren hörte er, dass auch die anderen ihre Mitbringsel um sich verteilten. Dann entfuhr eine grüne Dunstwolke dem gerade freigebrannten Kanal, und von unten donnerte eine laute Detonation. "Ups, hat unser Drachenschlüsselchen was in die Luft gejagt?" flötete Hedgelane.
"Wir wollen Gefangene haben", erinnerte Deepwater ihn und die anderen daran, dass sie nicht hier waren, um alle Kobolde umzubringen.
"Eine weißblaue Flammengarbe jagte aus dem Kanal hervor und verband sich mit der grünen Dunstwolke zu einer türkisfarbenen Flammenwalze. Eine heftige Druckwelle warf sie zurück. Hätten sie nicht die Kopfblasen gezaubert und die Drachenpanzer-Unterkleidung getragen hätte es ihnen sicher die Trommelfelle zerfetzt oder gar die Lungen. So wurden sie alle nur um etliche Meter zurückgeworfen. Die türkisfarbene Flammenwalze fauchte über sie alle hinweg und verschwand aus der Höhle. Boden und Wände glühten. Die ausgelegten Eisenplatten glommen in einem kirschroten Farbton, und das wilde Brummen unter Deepwaters Hut wechselte dauernd Tonlage und Stärke. Dann kamen sie, kleinwüchsige Wesen in silberfarbenen Rüstungen, bewaffnet mit Armbrüsten und für ihre Größe beachtlichen Langschwertern. "Ruakschakarx!" hörte Deepwater die von dessen Helmvisier gefilterte Stimme des Anführers.
Catlock erstarrte. Sein Herz übersprang mindestens zwei Schläge. Gerade setzte Wilson an, Woodgrove den Todesfluch aufzuerlegen. Doch noch bevor er laut "Kedavra" rufen konnte traf ihn jener goldene Lichtblitz, der wenige Augenblicke zuvor aus der Kindermörderin Maura Oakshade einen hilflosen Säugling gemacht hatte. Wilsons letzter Laut war ein kehliges "daaaa". Dann krachte es, und der Bedienstete lag in seinen nun viel zu großen Kleidern auf dem Boden. Woodgrove hielt seine goldene Vorrichtung auf ihn gerichtet. Jetzt traf auch noch jenes blaue Flimmerlicht auf den Verwandelten Wilson. "Wegen eindeutigen Hochverrat in Tateinheit mit versuchtem Mord an einem hohen Beamten der nordamerikanischen Magieadministration vollzog ich, Blake Maurice Woodgrove, die für beide benannten Verbrechen ausgesprochene Strafe in Tateinheit von Notwehr und richterlich gewährter Vollstreckungsvollmacht", sagte Woodgrove ganz ruhig, als habe er in seinem Büro einen Aktenvermerk diktiert.
"Öhm, der wollte Sie echt umbringen", sagte Trystone. Doch auch ihm konnte Catlock ansehen, dass er mit Woodgroves Vorgehen nicht so ganz einverstanden war.
"Ja, erst mich und dann wohl die nun nicht mehr Maura Oakshade genannte Delinquentin", erwiderte Woodgrove. Trystone sah ihn mit einer Mischung aus Beklemmung und Missbilligung an. "Dieses Ding da ist von Vita Magica", sagte Trystone und deutete auf die goldene Vorrichtung in Woodgroves Händen. "Ja, und was gibt es neues?" fragte Woodgrove mit überlegenem Grinsen.
"Seit wann haben wir diese verwerflichen Blitz-Babymacher?" wollte Trystone wissen. "Sind Sie auch einer von denen?" fragte er weiter.
"Beide Fragen berühren die geheimhaltungsstufe S9. Sind Sie dafür freigegeben?" wollte Woodgrove wissen und zielte wie beiläufig auf Trystone. Dieser schüttelte den Kopf und zog sich einige Meter zurück.
"Sie, Mr. Clarkson, holen Sie Ersatz für Ihren verräterischen Kollegen!" befahl Woodgrove. Alle sahen nun Catlock an. Dieser trat vor und sagte: "Sie haben Mr. Woodgrove gehört. Da immer fünf zugleich nötig sind, um eine Refusion zu vollziehen kommen Sie der Aufforderung unverzüglich nach, Mr. Clarkson!"
"Und was ist mit ... den beiden?" wollte Trystone wissenund deutete auf die zwei Blitzverjüngten, die nun ein Schreiduell anstimmten.
"Die bringen Mr. Catlock und ich nach draußen vor das Tor. Dort müssten auch schon die Kollegen angekommen sein, die den Fortgang dieser Maßnahme begleiten werden", sagte Woodgrove.
Mit hängenden Köpfen führten die vier verbliebenen Kerkerdiener von Doomcastle ihre Besucher wieder nach draußen. Catlock wusste es nicht sicher. Doch er hatte den Eindruck, dass die hier weiterhin eingekerkerten Seelen Freudensprünge machten, sofern ihre Beschaffenheit und gläserne Behausung dies zuließen. Die ihrer Körper entrissenen freuten sich auf eine Wiederverjüngung? Offenbar hofften die Entkörperten, dass sie dann ihr altes Leben noch einmal neu angehen konnten. Die wussten es eben nicht, wozu das blaue Flimmerlicht da war.
Draußen vor dem gewaltigen Tor von Doomcastle waren in der Tat schon zwanzig weitere Administrationsbeamte erschienen. Gerade verließen sie den silbernen Ankunftskreis, dessen Gegenstelle in einer Höhle in den Rocky Mountains lag und von wo die zur entkörperten Haft verurteilten hierhergeschafft wurden. Woodgrove erstattete seinen Kollegen Bericht. Auch Shana Moreland war mit vier Untergebenen dabei. Sie fragte, wie lange der Vorgang an sich dauerte. "Gut, dann können wir eine Tagesleistung von dreißig Refusionierten erwarten", sagte sie kalt wie Gletschereis. Catlock sah es den vier Bediensteten an, dass ihnen diese Aussage nicht behagte, auch wenn sie im Grunde die Verwalter des Unheimlichen waren und daher schlimmeres gewohnt sein sollten. Morelands Worte hallten aber auch in Catlocks Gedanken nach: "Tagesleistung". Seinen neuen Kolleginnen und Kollegen ging es nicht um einzelne Personen, sondern um eine Tagesleistung.
Wie entschlossen die neuen Verbündeten waren, die er, Catlock, vor nicht einmal einem halben Jahr noch selbst für Schwerverbrecher gehalten hatte, zeigten sie überdeutlich, als Woodgrove nicht nur einen Nachrücker für den wiederverjüngten Wilson einforderte, sondern gleich mehrere Fünfertrupps. Catlock selbst erhielt die großzügige Erlaubnis, in sein eigenes Büro zurückzukehren, um die dort aufgelaufene Arbeit zu erledigen.
Als er sich mit den nur sehr wenigen bekannten Auslöseworten aus dem Silberkreis vor Doomcastle in jene Höhle in den Rockies zurückversetzt hatte konnte er gefahrlos disapparieren. In der großen Eingangshalle von Good Times Castle angekommen fühlte er kurz den über ihn gleitenden Erkundungszauber. Dieser ließ ihn als Zutrittsberechtigten unbehelligt zu den vor kurzem eingebauten Glaskabinen gelangen, die ohne sichtbaren Seilzug auf- und abwärts fuhren.
Wieder in seinem Büro überdachte Catlock die Eindrücke der letzten Stunden. Jetzt wusste er endgültig, dass Buggles und somit er mit Vita Magica im Bunde standen, ja dass diese Gruppierung sich sogar gewisse Vollmachten verschafft hatte. Catlock fühlte, wie sein Gewissen aufzubegehren wagte. doch ein bohrender Schmerz im Kopf und ein siedendheißer Schauer, der durch seinen Körper ging würgten seine aufkeimende Ablehnung sogleich wieder ab. Er hatte sich Buggles wortwörtlich verschrieben, musste tun, was er befahl und beschloss. Wenn der sich mit Vita Magica versöhnt, ja verbündet hatte, dann sollte das so sein.
Wie aus reinem Silber bestehende aufgescheuchte Ameisen wuselten vierzig in silbernen Rüstungen steckende Kobolde aus dem gerade freigebrannten Tunnel. Deepwater gebot seinen Leuten, in Abwehrstellung zu gehen. Gleichzeitig errichteten Tinca Coaldigger und drei Kolleginnen hinter ihnen eine dreifache Wand aus verdichtetem Sonnenlicht, das, so wussten sie, auf Koboldrüstungen wie eine meterdicke Stahlwand wirkte. "Niemanden töten, wenn es nicht dem eigenen Überleben dient!" rief Deepwater seinen Untergebenen noch einmal zu, bevor die ersten Kobolde ihre Armbrüste hoben und auf die Eindringlinge anlegten. Deepwater sah die ersten zehn Bolzen auf ihn zuschwirren und wie diese laut krachend an seiner Schildaura zerschellten. "Horlnuck!" rief der Koboldanführer durch seinen geschlossenen Helm. "Selbst Stinkhaufen", knurrte Deepwater und sah, wie seine Leute ihrerseits kleine Kugeln von sich schleuderten, die im Flug zerplatzten und blauen Dunst freisetzten.
"Ihr undankbaren Zauberstabschwinger wagt es, uns anzugreifen? Dafür, daf-hüüüööör!" Das letzte Wort war ein herzhaftes Gähnen. Dann kippten die aufgescheuchten Kobolde klirrend und scheppernd um. "Sie hatten recht, Ms. Coaldiggger, Schlafdunst in Verbindung mit mexikanischem Meskalwurzpulver wirkt schneller auf Kobolde als reiner Schlafdunst auf die und uns."
"Ja, aber die weiter unten werden womöglich auch was gegen gasförmige Substanzen aufbieten", sagte Tinca Coaldigger.
Tony Deepwater teilte seine Leute so ein, dass immer zwei auf einmal durch den vom sogenannten Drachenschlüssel in den Boden gebrannten Zugangstunnel vorstießen. Um sicherzustellen, dass sie nicht irgendwelchen Fallen zum Opfer fielen nutzten sie neuartige Erkundungsartefakte, die wie aufgerichtete Eier aus purem Silber aussahen und auf vier grazilen Laufbeinen dahinflitzten, immer wieder kleine spiralförmige Auswüchse ausstreckend, um das Ende des Tunnels zu prüfen. So wirkten sie wie eine gelungene Mischung aus den Eiern eines Occamys und einem erwachsenen Harmonovon.
"Da ist Magie im Gestein", warnte Tinca Coaldigger. "Achtung bei der Durchquerung des gebrannten Tunnels!"
"Zweiergruppen bilden, je eine Kollegin und ein Kollege bilden ein Paar", bestimmte Tony Deepwater. Denn er zählte auf die Schutzvorkehrungen, die die weiblichen Mitglieder seiner Gruppe mitführten. Er teilte die Paarungen ein und übernahm mit Tinca Coaldigger die Führung. Sie hielt ihren Koboldblutanzeiger vor sich ausgestreckt. Die zwei daran angebrachten Glaskugeln glommen in einem leicht flackernden Blutrot. Je tiefer sie in den engen Tunnel vordrangen, desto stetiger und heller leuchteten die Kugeln. "Das haben die zehntausend Augen und Ohren offenbar noch nicht mitbekommen, dass wir jetzt über solche Geräte verfügen", wisperte Tony, obwohl sie ja Vorkehrungen getroffen hatten, dass nur die Mitglieder der Gruppe hören konnten, was andere Mitglieder sagten oder gar riefen. "Vorsicht, mögliche Falle!" warnte Tinca, weil ihr goldenes Armband am linken Handgelenk pulsierte. Der Boden zitterte und eines der voraustrippelnden Silberei-Artefakte gab Leise, hektische Pieplaute von sich, als stecke ein Küken mit Platzangst darin fest. Da passierte es auch schon.
Mit unheilvollem Schaben schnellten speerartig spitze Steinzapfen aus der Decke und zielten auf die beiden Eindringlinge. Einer der Fallensucher blitzte auf und kullerte davon, knapp unter einem der niederstoßenden Blitzstalaktiten hindurch. Was in natürlichen Tropfsteinhöhlen Jahrzehntausende dauerte vollzog sich in dem gebrannten Tunnel in nur anderthalb Sekunden. Die silbernen Suchgeräte piepten nun in unterschiedlichen Tonlagen und flitzten mal springend und mal rollend zwischen den herabstoßenden Steinspeeren hindurch. Doch wo die blitzartig wachsenden Stalaktiten den Boden berührten schossen gleich davor und dahinter gleichsam gefährliche Gesteinslanzen aus dem Boden der niedrigen Decke entgegen. Wie stark diese durch Koboldmagie angeregten Superschnellstalakmiten waren bekam Tinca Coaldigger zu spüren, als einer dieser Steinspeere direkt unter ihr aus dem Boden brach und sie wie mit einer großen Faust zwischen Brustkorb und Bauch traf. Zwar fing ihre Drachenhaut-Schildaura einen Großteil der tödlichen Wucht ab und verhinderte, dass sie mal eben durchbohrt wurde. Doch sie wurde nach oben gehoben und konnte sich nur durch eine Seitwärtsrolle aus der Bahn des verzauberten Steinspeeres retten. Als sie wieder auf dem Boden landete drang der Blitzstalakmit mit lautem Knall in die Decke ein. Kleine Steine regneten prasselnd herab.
""An Nachfolger! Koboldzauber lässt Ultraschnellstalaktiten und -stalakmiten aus dem Tunnel sprießen", warnte Tony Deepwater. Zu Gleich rief Tinca Coaldigger: "Elementa recalmata!" Vor ihr flimmerte die Luft in grün- und Rottönen. Das wilde Wachstum überschneller Tropfsteine erstarrte. Dann zerbröselten die bereits entstandenen Steinsäulen zu Staub. Zur Antwort erklang vom unterirdischen Tunnelausgang her ein Ton, der wie Schafsblöken anmutete. "Das ist der Gefahrenruf der Kobolde", informierte Tinca Coaldigger ihre Kameraden. Da grummelte es wieder in der Erde. Sie wiederholzauberte den Elementarkraftberuhigungszauber. Leise knackend und knirschend kam das wieder auflebende Gestein zur Ruhe. "Oh, lernen die oder wir heute noch was neues?" fragte Charlie Hedgelane.
Einer der Fallensucher stieß ein kurzes schrilles Quieken aus. Das warnte die Eindringlinge gerade noch vor der nächsten Gemeinheit. Unvermittelt schlug laut tosend eine hellblaue Feuerfontäne aus dem Boden hinter dem Tunnelende, gerade als Tony Deepwater seinen Kopf hinausstrecken wollte. Die blaue Feuersäule traf die steinerne Decke und ließ diese hellrot aufglühen. Zähe, Qualm hinter sich herziehende Tropfen fielen zu boden. "Diese Feuerflöhe haben doch echt das Feuer schwedischer Kurzschnäuzler konserviert", fluchte Hedgelane. "Ja, und da kommen die nächsten Bewohner der geheimen Anlage", vermeldete Tinca Coaldigger, die ihren Koboldblutanzeiger im Auge behielt. Dieser glühte nun gelborange. Da flogen ihnen auch schon die nächsten Armbrustbolzen entgegen und zerplatzten laut krachend an ihren Schildauren. "Wir können froh sein, dass die den Dracofrigidum-Zauber ohne Zauberstab nicht hinkriegen", zischte Deepwater. Dann sicherte er nach links und rechts, bevor er aus dem Tunnel sprang. Tinca Coaldigger folgte ihm unmittelbar nach. Dabei dachte sie ein Auslösewort und fühlte sofort, wie es seine Wirkung tat.
An die fünfzig Kobolde in Rüstungen warteten auf die Hexen und Zauberer. Dreißig davon trugen Armbrüste. Die anderen hatten ihre silbernen Schwerter gezogen. Deepwater dachte mit Unbehagen daran, dass koboldgearbeitetes Silber den Drachenhaut-Schutzschild durchdringen konnte. Doch dann sah er, wie seine Kollegin sich kerzengerade vor die aufgereihten Gegner hinstellte und ihren Koboldblutanzeiger schwenkte. Dieser erstrahlte nun in blauweißem Licht. Dabei geschah noch was. Wo das Licht scheinbar auf freie Stellen fiel sprühten blaue und silberne Funken, und weitere Kobolde wurden sichtbar. Sie wirkten sehr verstört und verärgert zugleich. Wären die Leute von der Einsatzgruppe auf die bereits sichtbaren Gegner losgestürmt oder hätten versucht, in die sich bietenden Nebengänge hinüberzukommen wären sie den Unsichtbaren voll in die langen Silberschwerter gerannt oder mal eben umzingelt worden.
"Dieser Anzeiger ist sein halbes Gewicht in Gold wert", lobte Deepwater. Zwar hatte er bei der Missionsbesprechung schon davon gehört, dass Tincas Koboldblutanzeiger nicht nur versteckte Kobolde anzeigte, sondern bei direkter Ausrichtung auch unsichtbare Kobolde wieder sichtbar machte. Doch es mitzuerleben war es wert.
Um Tinca Coaldigger begannen grüne und rote Blitze zu zucken. Die Koboldfachhexe aus Kanada stand ganz ruhig da und bestrich mit ihrer besonderen Vorrichtung die offenen Gänge. Damit zwang sie weitere Kobolde zur Sichtbarkeit und die bereits sichtbaren zum Wegducken.
Die Fallensucher prüften die Seitengänge und schraken laut quiekend zurück. Also war in den Gängen was gefährliches verbaut.
"Nochmal der Schlafdunst!" befahl Deepwater. So warfen sie in jeden Gang eine Kapsel mit dem besonderen Schlafdunstelixier. Deepwater schaffte es gerade noch, zur Seite zu springen, bevor eine weitere Flammenfontäne aus dem Boden schoss. Die davon ausströmende Hitze bewirkte eine Druckwelle, die Deepwater fast an die nächste Wand drängte. Dann sah er, wie auch die anderen Paare aus dem Tunnel freikamen, der am Ende immer enger wurde. Wenn der sich schloss saßen sie wie die Maus in der Falle. Denn disapparieren konnten sie hier wohl vergessen.
Wie zu befürchten war wirkte das Betäubungsgas nicht auf die hier wartenden Kobolde. Doch als Tinca Coaldigger mit drei Kolleginnen einen Block bildete begann die Luft zu flimmern. Die Kopfblasen der Einsatzgruppe flirrten in einem hleichten Blau. Doch viel heftiger wirkte sich das auf die Kobolde in ihren Rüstungen aus. Sie erbebten und konnten sich nicht mehr eigenständig bewegen. Auch ihre Schwerter erzitterten und ließen sich nicht mehr hschwingen. weitere Blitzstalaktiten und -stalakmiten schossen in den Seitengängen aus Boden und Decke. "Im Namen der zwölf grauen Meister und euer aller Gold in Gringotts, hört gefälligst damit auf, was ihr da macht, ihr undankbaren Weiber!" erscholl verzerrt klingend die Stimme eines männlichen Koboldes in englischer Sprache. Deepwater berührte die oberste Schließe seines Umhangs und rief zurück: "Diese Anlage hat keine Genehmigung. Wir müssen sie überprüfen. Da Sie auf dem Boden der nordamerikanischen Zaubererweltföderation sind gelten hier unsere Gesetze."
"Ihr habt es gewagt, uns zu stören und seid in unsere Überwachungsstätte eingefallen wie die Felsenwühler in unbescholtene Wohnstätten. Euer mit gemeiner Feuermagie getränkter Tunnel wird gleich verschlossen sein. Dann seid ihr uns ausgeliefert. Wir werden dann mit eurem Minister unterhandeln, ob ihm euer Leben etwas wert ist. Also ergebt euch!"
"Nur wenn die Sonne zu Eis wird", zischte Deepwater und ließ die Schließe seines Umhangs wieder los. Tinca Coaldigger winkte indes alle weiteren Hexen zu sich. So entstand ein noch größerer Block. Das bewirkte, dass nun die Halle und alle Nebengänge erbebten und grüne und rote Blitze zwischen den Wänden überschlugen. "Eh, ihr sollt das lassen!" klang von Knacken und Knistern durchsetzt die Stimme des Koboldes von eben. "Nur wenn wir diesen Stützpunkt ordentlich überprüfen können", sagte Deepwater.
"Zwergenfreunde. Das lassen wir nicht zu. Ihr werdet in unsere Verwahrräume gesteckt, bis Buggles oder Bowman auf unsere Bedingungen eingehen und ... Krrkzzzsrrrz!"
"Leute, die Decke bröselt", sagte Charlie Hedgelane und deutete nach oben. "Haben wir doch die entsprechenden Schwingungen der hier wirkenden Erdzauber getroffen?" fragte Deepwater. Zum Beweis regnete es die ersten Gesteinsbrocken. Dann zersprangen die steinernen Gitter in den Seitengängen. "Aarg, sof-krrrkz ..." klang die von lauten Kratz- und Knistergeräuschen überlagerte Stimme des einen Koboldes.
Risse bildeten sich in den Wänden. Unvermittelt schlugen noch mehr Glitze über. Dann erbebte die Erde. "Ihr Riesenhaufen Horlnuck!!" klang wie aus fünf Richtungen zugleich und wie aus den Tiefen eines Brunnenschachtes die Stimme dessen, der sie zur Aufgabe aufgefordert hatte. Deepwater konnte sehen, wie die silbernen Rüstungen der am Boden bebenden Kobolde bläulich aufglühten und immer dichtere Wolken aus silbernen und blauen Funken versprühten.
"Ich fürchte, wir haben es zu gut gemeint", warf Tinca Coaldigger ein. Lasst uns die Wirkung verringern!"
"Nein, Sie bleiben in dieser Formation. Ich will den Leiter dieser Geheimfestung haben", knurrte Deepwater. Doch benannte Geheimfestung schien sich gerade unter der Auswirkung des geheimnisvollen Gleichschwingungszaubers in ihre Bestandteile aufzulösen. "Euch hat Gurachah Tuanaforka Iarinatu'ur geschickt", schrillte von wildem Geprassel durchsetzt die Stimme des Stützpunktleiters. "Dann sei dieser Ort euer Weg zu ihm zurück!" Mit diesen worten begannen steinerne Geschosse aus den Wänden zu fahren. Doch sie zerstoben noch im Fluge. Die Löcher, aus denen sie kamen klafften immer weiter auf. Dann geschah noch was. Die in wilde Funken sprühenden Rüstungen steckenden Krieger versanken im Boden, der danach immer rissiger wurde. Wieder meinten alle aus der Einsatzgruppe, dass ihre goldenen Haarnetze wild vibrierten und sich erwärmten. Doch mehr geschah nicht.
"Soll er euch fressen, aber nicht uns!" klang aus sehr großer Ferne die Stimme dessen, der womöglich der Stützpunktleiter war. Dann erschütterten heftige Explosionen die unterirdische Anlage. Nun beschleunigte sich der Zusammenbruch der Räume. Immer größere Stücke brachen aus der Decke, immer breitere Risse durchzogen die Wände. "Achtung, die Koboldmagie ist gleich erschöpft, dann kracht alles auf uns runter!" warnte Tinca Coaldigger. Wie zur Bestätigung ihrer Warnung schlug ein mannsgroßer Gesteinsbrocken genau dort auf, wo Deepwater gerade noch gestanden hatte. "Appariersperre negativ!" rief Chap seinen Kameraden zu. Als habe er damit zur völligen Vernichtung der Anlage aufgerufen sackte die steinerne Decke laut knirschend und knarrzend immer tiefer. Gleich mochten sie hier unten verschüttet werden. Sie wollten Kobolde festnehmen, um sie auszuforschen. Doch jetzt ging es nur noch um das nackte Überleben.
"Gut, alle auf drei an Ausgangsorte apparieren!" befahl Tony Deepwater seinen Leuten und zählte an. In weiter Ferne polterte es so laut, dass kein Zweifel bestand, dass eine der vielen Höhlen gerade zusammengebrochen war. "Zwei!" rief der Einsatzleiter. Als er dann endlich "drei!" sagte disapparierten alle Mitglieder seiner Gruppe. Kaum waren sie fort, hörte das wilde Vibrieren in der Luft auf. Doch der Zerstörungsvorgang war nicht mehr aufzuhalten. Unter mächtigem Getöse und dem Poltern niederfallender Felstrümmer brachen alle Gänge, Hallen und Arbeitsräume der unterirdischen Anlage in sich zusammen. Ob die darin hausenden Kobolde noch entkommen waren oder Opfer dieser Vernichtungsorgie wurden konnten die Zauberer und Hexen aus der Organisation "Reiner Tisch" nicht mehr überprüfen.
Lionel Buggles hatte die großen Fenster im Konferenzraum so eingerichtet, dass sie den Eindruck vermittelten, sie schwebten gerade weit über dem nordamerikanischen Kontinent. Am mit einem blauen Leinentuch bezogenen rechteckigen Tisch saßen alle für Gold- und Gesetzesangelegenheiten zuständigen Abteilungs- und Unterbehördenleiter, sowie der Leiter für Zauberwesen und der bisherige Koboldverbindungszauberer Rubycutter. Alle wirkten angespannt und zugleich höchst aufmerksam. So brauchte der erste Administrator der nordamerikanischen Zaubererweltföderation nicht um Ruhe zu bitten und konnte gleich sprechen.
Zunächst schwor er seine Mitarbeiter noch einmal auf einen unerbittlichen Kampf gegen kriminelle Werwölfe und Vampire ein und ließ von seinem Finanzabteilungsleiter Picton bestätigen, dass dafür ein Sondervermögen eingerichtet worden sei, das zehn Millionen Galleonen alter Währung betragen würde. Catlock wandte ein, dass das Laveau-Institut sich noch nicht zu den neuen Richtlinien geäußert habe, demnach unregistrierte Werwölfe entweder registriert und mit einer einem Findmich gleichkommenden Vorrichtung herumlaufen müssten oder damit rechnen müssten, demnächst von blauem Mondlicht vernichtet zu werden. Registrierte Werwesen sollten in einem von allen größeren Ansiedlungen weit abgelegenen und unerreichbaren Abschnitt der Rocky Mountains angesiedelt werden, mit oder ohne deren Einverständnis. Wer sich der Umsiedlung entziehe und auch der Überwachungsverpflichtung widerstrebe sei dann genauso als unbedingt zu vernichtender krimineller Wergestaltiger einzustufen.
"an und für sich wollten wir auf dieses Massenabtötungsverfahren verzichten, mit dem vor zwei Jahren viele auch unbescholtene Lykanthropen getötet wurden. Doch die ungebrochene Vergeltungswut der sogenannten Mondgeschwister zwingt uns, dieses Mittel wieder anzuwenden. In wenigen Tagen ist Vollmond, wer bis dahin nicht registriert und in die neue Siedlung Pacific Moon umgezogen ist lebt nicht mehr lange", stellte Buggles klar. Keiner hier wagte ihm zu widersprechen.
Der nächste Tagesordnungspunkt betraf die Gesetzesänderung bezüglich des Strafvollzuges. Buggles erwähnte, dass die ersten dauerhaft eingekerkerten Hexen und Zauberer in Doomcastle gemäß der Gesetzesänderungen ihrem neuen Leben zugeführt worden waren und dass es wohl möglich sei, alle zur an Leib und Seele getrennten Dauerhaft verurteilten innerhalb von drei Wochen neu unterzubringen. Er forderte Ray Catlock auf, seine Erlebnisse in Doomcastle zu berichten. Da hier alle bis auf drei Ausnahmen seinem Willen unterworfen waren wagte niemand dagegen aufzubegehren, dass der aus Kanada stammende Blake Woodgrove als neuer Strafvollzugsbevollmächtigter die Methoden von Vita Magica benutzte. Catlock rechtfertigte das sogar damit, das es nichts effizienteres gebe, um eine vollständige und ohne Nebenwirkungen stattfindende Wiederverjüngung zu gewährleisten.
Wie zu erwarten war gab es keine Diskussion nach dem Bericht. So ging es nun darum, dass in Kanada, den Vereinigten Staaten und Mexiko je eine geheime Zuflucht jener berüchtigten Koboldorganisation ausgehoben werden konnte, die als Geheimpolizei und Vollstreckungstruppe handelte. Dazu sagte Rubycutter noch:
"Auch wenn es die Kobolde nicht mit lautem Tröten in die Welt posaunen werden, dass unsere Leute diese versteckten Niederlassungen stürmen und vernichten konnten müssen wir davon ausgehen, dass die noch in unserem Hoheitsgebiet weilenden Kobolde bald davon erfahren werden. Somit haben wir nun Krieg mit den Kobolden, Ladies and Gentlemen. Das heißt, sie werden unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern den Zugang zu den in Gringotts eingelagerten Goldvorräten verweigern, ja diese da selbst zu beschlagnahmen wagen und anschließend versuchen, die Niederlage von heute zu vergelten. Es muss dringend festgelegt werden, was wir in einem solchen Fall tun. Als langjähriger Koboldverbindungszauberer muss ich noch einmal betonen, dass ein langwieriger Krieg mit den Kobolden sehr viele Opfer auf beiden Seiten fordern mag und auf jeden Fall jedes Körnchen Gold, Silber oder Bronze, von den einmaligen magischen Wertgegenständen ganz zu schweigen, unwiederbringlich verlorengehen mögen. Das wird uns weniger Zustimmung in der Bevölkerung einbringen als bei der Ausgabe unserer magischen Tauschwertnoten. Aber womöglich möchte der erste Administrator sich noch einmal dazu äußern."
"Ich überlasse das Ihrem direkten Vorgesetzten, Mr. Rubycutter", sagte der erste Administrator und blickte den Leiter der Abteilung für magische Geschöpfe an. Dieser erhob sich und erwähnte, dass die Kobolde von Gringotts seit mehreren Tagen wussten, dass sie bei Unregelmäßigkeiten das Land zu verlassen hatten. die Kobolde in Kanada und Mexiko seien darüber aufgeklärt worden, dass sie ihren Kunden weiterhin ungehinderten Zugang zu den Goldvorräten gewähren müssten, wenn sie nicht wie die auf US-amerikanischem Boden des Landes verwiesen werden sollten. Allerdings, so der Sprecher, sei die Existenz geheimer Unterkünfte für Kobolde mit höchst zweifelhafter Betätigung ein solcher Ausweisungsgrund für alle anderen. "Wir haben hier einen laut fauchenden Drachen, Ladies and Gentlemen. Unsere Forderungen sind noch vor Öffnung der Gringotts-Zweigstellen in Kanada und Mexiko übermittelt worden, und jene, die sich in den Zweigstellen in New York, New Orleans, und anderen wichtigen Regionen der Vereinigten Staaten verschanzt haben, werden bald merken, dass ihre Sicherheitszauber nicht mehr helfen. Das wird auch ein Zeichen an alle anderen Koboldgemeinschaften weltweit aussenden, dass die Zeit der Überlegenheit ihrer Zauber zu Ende geht. Denn jetzt wo wir unüberhörbar mitbekommen haben, wie empfindlich sie selbst auf reine Erdmagie reagieren und wo wir Dank des Erfindungsreichtums asiatischer Thaumaturgen eine Vorrichtung haben, die fast alle Erdzauber überreizen und zur spontanen Entladung zwingen können, werden die Kobolde es nicht wagen, einen langen und blutigen Krieg mit uns zu riskieren, zumal wir diesen Krieg wohl schnell für uns entscheiden können. Die Botschaft ist deutlich, und selbst mein Mitarbeiter Rubycutter kann dem nicht widersprechen. Falls die Kobolde uns den freien Zugang zu den eingelagerten Goldvorräten verweigern, ja diese selbst an sich zu bringen trachten, sollten sie sich überlegen, ob sie freiwillig auswandern, sich von uns aus unserem Zuständigkeitsgebiet entfernen lassen oder bei lebensbedrohlichem Widerstand getötet werden sollen. Die entsprechenden Gesetze sind ja bereits in den Staaten in Kraft und wurden bei der Vereinigung der drei nordamerikanischen Zaubereiverwaltungen auch für Mexiko und Kanada gültig. Da die Kobolde dies wissen - sie sind ja doch sehr schlau - sollten sie unseren Forderungen nachkommen."
"Sie haben das sehr schön klargestellt", ergriff Buggles das Wort. "Wir können es auch auf die einfache, ja für die Kobolde brutal anmutende Formel zusammenfassen: Nachgeben und bleiben oder widerstreben, ausgewiesen werden oder aussterben." Niemand von den Anwesenden wagte auf diese drastische Aussage zu antworten, auch Rubycutter nicht. Denn alle standen sie unter dem Zwang der magischen Bindung an den ersten Administrator. Rubycutter nickte nur schwerfällig. Denn dem Koboldbeauftragten wurde damit die Verantwortung über Krieg und Frieden, Leben und Tod vieler unschuldiger Menschen und Kobolde auf die Schultern geladen. Er wusste auch, dass er wohl noch heute mit dem für die nordamerikanischen Kobolde sprechenden Kobold Meister Schieferbart sprechen musste. Falls er es gut genug hinbekam konnte er vielleicht den blutigen Krieg mit den Kobolden verhindern oder mindestens auf wenige kurze Scharmützel mit den vergeltungswütigen Angehörigen der zehntausend Augen und Ohren beschränken. Denn die hatten einen Ruf zu verlieren, den Ruf der Unbesiegbarkeit und Allgegenwart. Das wiederum mochte bedeuten, dass es keinen offenen Krieg, sondern eine Reihe hinterhältiger Anschläge gegen die Mitarbeiter der Administration geben mochte, sowas ähnliches, was die Nichtmagier gerade zu ertragen hatten. Doch wenn er es richtig anstellte, konnte er die Kobolde dazu kriegen, sich gegen die Bevormundung durch die zehntausend Augen und Ohren aufzulehnen.
"Hallo, Mr. Rubycutter, sind Sie noch bei uns?" wollte Catlock wissen. Rubycutter erkannte, dass er sich wohl zu sehr in Gedanken verloren hatte. Er sagte: "Ich bin noch bei Ihnen, Mr. Catlock. Was möchten Sie von mir?"
"Ich sagte, dass wir am besten ab sofort auch Kobolden keinen freien Zugang mehr zu unserer Administration gewähren dürfen, weil wir damit rechnen müssten, dass diese Geheimschergen von denen sich für ihre dreifache Niederlage rächen wollen. Stimmen Sie dem zu?"
"Das ist durchaus möglich, und deshalb stimme ich Ihnen zu", sagte Rubycutter. Die anderen sahen den Koboldbeauftragten etwas bedauernd an. Sie alle wussten, dass er gerade eine schwere Verantwortung übergeben bekommen hatte.
"Gut, nachdem das geklärt ist - die Kobolde werden bei verweigerter Unterwerfung ebenso als unbefugte Eindringlinge gewertet, egal wer es ist - möchte ich mit Ihnen noch über die ab morgen in Kraft tretenden Familienstandsgesetze sprechen, da ich hier einige sehe, die genauso wie ich bis heute keine eigenen Kinder haben, wenigstens nicht offiziell", begann Buggles den für seine Hinterleute wichtigsten Tagesordnungspunkt. Dann legte er noch einmal dar, was sich ab morgen alles änderte. Statt ursprünglich einer einmaligen Zahlung für jedes kinderlos erlebte Lebensjahr über 25 Jahren wollte Shana Moreland die Gewerbe- und Lohnabgaben neu ordnen. Demnach sollten unverheiratete Hexen und Zauberer statt wie bisher 25 von 100 Galleonen Einkommen vierzig Galleonen bezahlen, während verheiratete ohne Kinder nur noch zehn und Elternteile mit ehelichen oder unehelichen Kindern nur noch fünf Galleonen von hundert bezahlen sollten. Zudem sollten Familien bei Einkäufen besser gestellt werden als alleinstehende Hexen und Zauberer. Außerdem würden die ledigen Mütter zu ihrem Gehalt noch ein zehntel pro Kind dazuerhalten, während die ledigen Väter nur dann eine Lohnsteigerung erhielten, wenn sie bereit waren, die von ihnen gezeugten Kinder nachprüfbar mit Geld zu unterstützen oder die Mutter des Kindes oder der Kinder zu heiraten, wodurch sie die bereits erwähnte Abgabenersparnis von 15 Galleonen von 100 Galleonen Einkommen zugesprochen bekämen. Picton legte dar, dass durch diese Umordnung der Einkünfte und Ausgaben gewisse Engpässe entstehen könnten. Diese wollte er damit ausgleichen, dass es eine Aufenthaltsberechtigungsgebühr für menschengestaltliche Zauberwesen und deren teilmenschlichen Nachkommen gab, je nach Grad des Anteils von Kobolden, Zwergen oder Waldfrauen, wobei es derzeit gerade mal vier magische Menschen gab, die von einer grünen Waldfrau abstammten. Dazu äußerten sich auch noch Gloria Puddyfoot, die dieses Vorhaben bereits vor Jahren angeregt doch keine Zustimmung von ganz oben erhalten hatte, sowie Shana Moreland, die als Leiterin der Abteilung für magische Familienfürsorge und Ausbildung tätig war. "Auch wenn Sie alle bisher mit den Zielen der Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens haderten, die Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, so werden Sie alle doch mittlerweile erkennen, dass unsere magische Zivilisation nur dann fortbestehen kann, wenn sie von genügend Hexenund zauberern erhalten wird. Es ist auch nicht so, dass wir unseren Mitbürgern aufzwingen wollen, mehr Kinder zu haben, wie die Gesellschaft für die Wahrung und Mehrung magischen Lebens dies gerne ausführt, sondern dass wir in Nordamerika unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Freiheit lassen, sich für oder gegen eigenen Nachwuchs zu entscheiden, aber dabei dieselbe finanzielle Verantwortung für den Fortbestand einer geordneten magischen Gesellschaft zu tragen haben wie jene, die Familien gründen oder aus ganz eigenen Entschlüssen Kinder bekommen, um die eigene Blutlinie zu erhalten. Allerdings, das muss ich hier auch noch einmal klarstellen, heißt das nicht, dass wir an der alten europäischen Unsitte festhalten, dass Familien, nur weil sie groß und alt sind den Anspruch erheben können, hinter den Kulissen unserer Administration, was früher drei Zaubereiministerien waren, ihre Ansprüche durchzusetzen und auf fragwürdigen Vorrechten zu beharren. Für Familien gilt nicht mehr, wie alt sie sind oder ob sie vor Jahrhunderten mal wichtig waren, sondern dass sie mithelfen, die magische Menschheit vor der Auslöschung zu bewahren und das friedliche Miteinander aller magischen Menschen zu unterstützen. Und falls jemand die Tiraden dieser undankbaren und sich um ihre Ansprüche auf die Leitung der Administration geprellten Ex-Inobskuratorin bezieht, die höchst dummerweise durch die Unterstützung gesetzloser Leute ihr Recht auf Mitbestimmung aufgekündigt hat, so ist es geschichtlich verbürgt, dass jeder Untäter die stille, offene oder gar vorantreibende Unterstützung aus der eigenen Verwandtschaft hatte. Falls also jemand gegen unsere Administration aufbegehrt oder Straftaten gegen uns oder unser aller Mitbürgerinnen und Mitbürger begeht, so haben wir ab morgen das recht und die Pflicht, auch deren Angehörigen zu überwachen und bei ausreichendem Verdacht der Mitwirkung zu bestrafen. Jetzt, wo dieses nutzlose Seelenverwahrgesetz der Vergangenheit angehört, droht einem Straftäter und dessen Komplizen der Verlust der bisher errungenen stofflichen und geistigen besitztümer und die Rückführung in den Zustand eines neugeborenen Kindes, statt einer völlig nutzlosen Auslagerung der eigenen Seele und die Verwahrung des in Erstarrung befindlichen Körpers. Aber dazu hat der Kollege Catlock ja bereits ausführlich berichtet.""
Keiner hier wagte, was dagegen zu sagen, weil sie alle wussten, dass Administrator Buggles diese Gesetzesnovellierung persönlich befürwortete und das jedem hier anwesenden Mitglied der Administration bereits mitgeteilt hatte. Selbst Jason McDuffy, dessen Großtante Adelaide sich bereits gegen die neue Ausrichtung der Zaubereiadministration geäußert hatte, konnte nicht aufbegehren. Denn auch er hatte die Anerkenntnis von Buggles' Führungsanspruch unterschrieben und war nur zwei Tage danach von jener Kraft unterworfen worden, die mit dieser Unterschrift auf ihn einwirkte.
"Wenn es sonst keine Fragen mehr gibt möchte ich diese Konferenz beschließen und die Damen und Herren, die für unsere Sicherheitszauber zuständig sind auffordern, unsere Administration auch gegen nicht angemeldete Kobolde abzusichern. Danke!" beschloss Administrator Buggles die heutige Sitzung. Ab morgen würde der neue Wind, der bereits seit Mitte Mai durch Nordamerikas Zaubererwelt wehte, um mindestens eine Stärke auffrischen. Die einen würden ihn als Fahrtwind zu neuen Ufern nutzen, für die unverbesserlichen Anhänger alter Sitten und Vorrechte würde er zum kalten Sturm, der ihnen erst ins Gesicht und sie dann in die Bedeutungslosigkeit davonblasen würde. Er dachte nicht einen Moment daran, dass sich Wind auch drehen konnte. Denn danach sah es ja gerade nicht aus.
Jason McDuffy, Mitarbeiter in der Strafverfolgungsabteilung, hatte ums Wort gebeten. Er sagte: "Sie reden davon, wie wichtig Familien sind. Natürlich tun Sie das wohl, weil Sie wohl mit Vita Magica, wie sich diese Gruppierung auch nennen lässt, in Verbindung stehen, werte Kollegin. Außerdem haben Sie wohl keinen Widerspruch gegen die Regelungen des Strafrechtes eingelegt, das bei Taten einzelner Hexen und Zauberer auch deren Angehörigen überwacht und gegebenenfalls inhaftiert werden sollen, wegen Beihilfe zur Untat. In Europa lief sowas in den 1930er und 1940er Jahren unter dem Begriff Sippenhaft und wurde von einer Gruppe höchst menschenfeindlicher, kriegslüsterner Leute zum Gesetz erhoben, die den Ideen Grindelwalds ähnelnde Ansichten über Menschen hatten. Ähnliche Ansichten pflegt auch Vita Magica. Da wollen Sie uns allen hier vorschwärmen, wie menschenfreundlich diese Gruppierung ist und dass sie keinen in Nordamerika mehr dazu zwingen oder verführen will, gegen den eigenen Willen Kinder zu haben? Dann zielen Sie und auch der erste Administrator darauf ab, das gedeihliche Miteinander großer und alteingesessener Familien zu beenden, indem sie diese Familien für unwichtig, ja störend erklären. Wie geht das bitte mit Ihrem Aufruf zur Achtung der Familie als zu schützendes Gut einher, werte Kollegin?"
"Zum Einwurf der Sippenhaft - ja, der Begriff und seine geschichtliche auswirkungen sind mir durchaus bekannt- genau weil Familien die Hauptverantwortung für den Fortbestand unserer magischen Ordnung haben, ist es um so wichtiger, dass sie auch darauf hinwirken, dass niemand von ihnen gegen diese Grundordnung verstößt. Geschieht dies doch, dann sicher auch mit stillem oder offenem Einverständnis direkter Angehöriger. Daher müssen wir das Recht haben, die Angehörigen von Straffälligen zu überprüfen und bei ausreichendem Verdacht der Komplizenschaft, Beihilfe oder gar Anstiftung abzuurteilen. Da wir ja nun auf das als für die Verbrechensvermeidung unwirksam erkannte Mittel der Entkörperung auf unbestimmte Zeit verzichten würden ja nur bei schweren Straftaten wie Hochverrat und Mord die erwähnten Höchststrafen vollzogen. Ja, und dass ausgerechnet Sie sich darüber beschweren, dass wir die europäische Altlast von Familienvorrechten abschaffen war zu erwarten, wo Ihre Verwandtschaft seit der ersten Ausnahmeverfügung gegen den damaligen Zaubereiminister Buggles opponiert, wohl auch, weil sie meint, immer noch einen Anspruch auf stille Teilhabe an der Entscheidungsfindung zu besitzen. Doch weil das auch andere Familien meinen, immer noch so beanspruchen zu dürfen, müssen wir hier und jetzt einen deutlichen Schlussstrich unter diese europäische Unsitte der bevorrechteten Familien ziehen. Nordamerika ist eine Region der freien Entfaltung jedes Einzelnen, der und die vor jedem anderen und damit auch vor dem Gesetz gleich ist. Wer meint, sich bestimmte Vorrechte verdient zu haben, nur weil er oder sie in eine bestimmte Familie hineingeboren wurde oder hineingeheiratet hat wird lernen müssen, dass diese achso ruhmreiche Zeit vorbei ist. Das einundzwanzigste Jahrhundert muss von derartigen Strukturen aus dem für uns Magier unrühmlichen Mittelalter und der frühen Neuzeit befreit werden. Im übrigen stimmt mir der erste Administrator darin zu, dass wir die Familienbevorrechtung besser gestern als morgen abschaffen und dass jene, die immer noch meinen, sie für sich beanspruchen zu dürfen, sehr zeitnah unsere Föderation verlassen sollten. Das dürfen Sie gerne so weitergeben, falls der erste Administrator diese Sitzung nicht zur Geheimsache erklärt."
"Vielen Dank Mrs. Moreland. An Sie, Mr. McDuffy, richte ich die Frage, was Ihnen Ihre Großeltern mütterlicherseits versprochen haben, dass Sie hier und jetzt gegen mich und Ihre Kollegen aufbegehren? Ich frage das nicht aus leerer Luft heraus, sondern weil wir sehr ernstzunehmende Hinweise darauf haben, dass Ihre Großeltern sich mit anderen Familienoberhäuptern zu konspirativen Absprachen getroffen haben und eine Widerstandsbewegung gegen uns unterstützen, die unsere und damit auch Ihre Amtsenthebung zum Ziel hat", sagte Buggles. McDuffy blieb ungerührt stehen und sagte: "Wundert Sie das, dass es eine Widerstandsbewegung gibt, wo Sie in den letzten Monaten so viel getan haben, dass unser aller Freiheiten nach und nach abschafft? Da braucht mir niemand was zu versprechen oder anzudrohen. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht bekommt genug mit."
Shana Moreland sah Catlock an, und die beiden sahen Buggles an. Dieser blieb ruhig, als er sagte: "Nun, dann bleibt mir nur, diese Sitzung wahrhaftig als Sitzung der obrsten Geheimhaltungsstufe zu erklären. Was Ihre Einwände angeht, Mr. McDuffy, so dürfen Sie Ihren Anverwandten zumindest von meiner Seite aus mitteilen, dass ab morgen jeder Tag, den sie versuchen, die Nordamerikanische Magieadministration zu stürzen, der letzte Tag des bisherigen Lebens sein kann. Das dürfen Sie sehr gerne als Drohung auffassen und auch auf Ihre eigene Person beziehen, Mr. McDuffy. Bei Ihnen liegt es, zu bestimmen, auf welcher Seite Sie persönlich stehen und wie weit Ihre Angehörigen den alten Zeiten nachtrauern und dafür ihre bisherige Existenz riskieren wollen oder mit allen Erfahrungen und Fertigkeiten mit uns zusammen eine neue, sichere und friedvolle Gemeinschaft erhalten wollen, jetzt, wo wir es endlich erreicht haben, dass der nordamerikanische Erdteil einheitlich verwaltet wird. Die Wahl ist die Ihre, Mr. McDuffy, für mich oder für das Ende Ihres bisherigen Lebens."
"Das war klar, dass Sie das so und nicht anders sagen, Mr. Buggles. Ich werde diese Ihre Aufforderung beherzigen und mit den betreffenden Personen darüber sprechen. Wie wir uns entscheiden bekommen Sie dann früh genug mit", sagte McDuffy. Catlock blickte den Mitarbeiter verdrossen an. Alle hier im Raum wunderten sich, dass jemand es wagte, gegen die Beschlüsse des ersten Administrators aufzubegehren, ja dass das überhaupt ging, wo doch alle hier dem ersten Administrator ihre bedingungslose Loyalität zugesichert hatten. Auch Buggles empfand ein gewisses Unbehagen bei McDuffys Aufbegehren. Doch er hütete sich davor, das die anderen merken zu lassen.
Lesley Rubycutter verließ den Konferenzraum und fuhr zusammen mit den Kollegen aus der Abteilung für magische Geschöpfe in den Turm hinauf, der aus dem südlichen Seitenflügel des Administrationsgebäudes aufragte. Dort angekommen fand er einen Pergamentumschlag vor, auf dem jemand mit silberner Tinte seinen Namen und den Betreff: "Wegen drohender Ausweisung dringendes Gespräch ersucht" stand. "Ersucht", wiederholte Rubycutter in Gedanken das letzte Wort der Betreffzeile. Dann prüfte er, ob der Umschlag mit ihm bekannten Flüchen belegt war oder ob in der silbernen Tinte Koboldmagie wirken mochte. Hierfür hatte er einen schmiedeeisernen Würfel, in dessen sechs Flächen Runen für Erkennung, Vorsicht und Benachrichtigung eingraviert waren. Der Würfel war mit vor Jahren heimlich beschafftem Blut von einem männlichen und einem weiblichen Kobold getränkt und mit entsprechenden Zaubern belegt worden. Doch der bei vorhandener Koboldmagie leicht vibrierende bis hellrot leuchtende und sirrende Würfel blieb unverändert. So konnte Rubycutter den Umschlag öffnen und das in Koboldrunen verfasste Anschreiben lesen.
Werter Herr Rotsteinschneider,
die vorgänge in den letzten Tagen stimmen mich und meine Ratskollegen sehr besorgt bis verärgert. Nicht nur, dass Ihr Sprecher meint, durch den gemeinen Trick, mit dem er die Kunden von Gringotts darauf gebracht hat, die Mitarbeiter dort hätten ihnen ihr Gold weggenommen oder es zerstört, nein, jetzt greift der auch noch nach den Zweigstellen in Kanada und Mexiko und will diese an sich reißen. Außerdem habe ich gehört, dass wir vom Volk der Kobolde nur noch dann hier leben dürfen, wenn wir machen, was Sie und die anderen Zauberstabträger uns klar befehlen. Das ist eine unerhörte Gemeinheit, die ich als für Nordamerika eingeschworener Sprecher unseres Volkes nicht hinnehmen kann. Offenbar konnten Sie Ihrem obersten Sprecher nicht klarmachen, dass wir keine dummen Hauselfen und keine rückratlosen Flubberwürmer sind, sondern unsere eigene Ehre haben und uns durchaus verteidigen, wenn diese verletzt wird. Deshalb ersuche ich, Meister Schieferbart, Sie als Vermittler zwischen uns und den Zauberstabträgern, ein letztes, klärendes Gespräch, ob Sie es echt zulassen wollen, dass Ihre Volksangehörigen nicht mehr an alles herankommen, was sie meinen geschätzten Volksangehörigen in Gringotts anvertraut haben, ja ob Sie uns, die wir zum großen Teil schon länger hier leben, als Ihr oberster Sprecher oder Sie, hier nicht mehr leben dürfen. Wenn Sie uns unseren Lebensraum und unsere Daseinsberechtigung wegnehmen werden wir kämpfen.
Schicken Sie mir auf dem Ihnen bekannten Weg eine Antwort! bis zum nächsten Vollmond haben Sie dafür zeit. Habe ich bis dahin keine Antwort oder haben Ihre Volksangehörigen bis dahin echt angefangen, uns mit Gewalt aus unserer Heimat zu vertreiben haben wir Krieg. Sie sind hiermit gewarnt!
Meister Schieferbart
"Oh, der Herr rasselt mit dem Schwert und meint, mir in seiner Sprache schreiben zu müssen, wo es seit hundert Jahren vorgeschrieben ist, dass amtliche Briefe alle auf Englisch geschrieben werden müssen. Dann bekommt er die Antwort, die er haben will", dachte Rubycutter.
"Laden Sie ihn ins ehemalige US-Zaubereiministerium einund hören sich an, was er genau vorbringen will. Gehen Sie aber nicht von sich aus auf die drei ausgehobenen Geheimstützpunkte ein. Die hat es nicht gegeben, und somit ist dort auch kein Kobold verletzt oder getötet worden. Denn wie Sie erwähnten werden sie es nicht in die weite Welt hinausschreien, dass drei achso geheime und ausgeklügelt gesicherte Verstecke gefundenund zerstört werden konnten", sagte Buggles. "Falls er Ihnen und auch uns allen mit blutiger Vergeltung droht, weil er und seine Leute nicht bekommen, was sie wollen, weisen Sie ihn bitte darauf hin, dass wir mit seinem Volk keinen Krieg wünschen, aber die Verwaltungshoheit über alle magisch begabten Wesen haben. Solche, die wir nicht mehr für unbedenklich oder gar kooperativ einstufen können pflegen wir auf die eine oder andere Weise aus unserem Hoheitsgebiet zu entfernen. Das wird er hoffentlich verstehen. Falls er Sie körperlich oder magisch anzugreifen wagen sollte ist Ihnen hiermit das Recht auf angemessene Gegenwehr gestattet."
"Öhm, und wenn er etwas klar sichtbares smaragdgrünes am Körper trägt? Smaragdgrün ist die Parlamentärsfarbe der Kobolde", sagte Rubycutter. Buggles schien in sich hineinzuhorchen. Dann grinste er. "Danke für den Hinweis. Dann ziehen Sie sich am besten komplett in Smaragdgrün an, vom Hut über den Umhang bis zu den Schuhen und binden sich noch ein smaragdgrünes Halstuch um, falls sie keinen echten grünen Stein an einem Ring haben."
"Natürlich, dann darf er mich auch nicht angreifen oder einen Angriff auf mich befehlen, falls er in Begleitung kommt. Vielleicht will ja einer aus der von uns beharkten Geheimbruderschaft ihn begleiten."
"Öhm, gilt das mit der smaragdgrünen Kleidung auch für Spione und heimliche Henker?" wollte Buggles wissen. Rubycutter überlegte kurz. Dann sagte er: "Wenn keiner mitbekommt, dass ein solcher einen als Unterhändler gekennzeichneten attackiert oder gar ermordet hat könnten sie diese Regel missachten, wenn es ihnen einen taktischen oder auch strategischen Vorteil einbringt. Dann sollte ich sicherstellen, dass Schieferbart nur alleine kommt, was heißt, dass ich aber dann auch alleine sein muss, weil er garantiert die Sichtgläser der Wahrheit tragen wird, die bildliche Täuschungen und unsichtbares verraten.""
"Sie kennen sich damit besser aus als ich", sagte Buggles. "Meine Instruktionen haben Sie."
"Ja, und falls der erste Administrator nicht widersprechen möchte dürfen Sie diesem Meister Schieferbart von mir mitteilen, dass ich bis zum sechsten Juni jzwölf Uhr Mittags jeder gültigen Zeitzone eine magische Beeidigung jedes Gringotts-Zweigstellenleiters haben möchte, dass die nordamerikanischen Niederlassungen ohne weiteren Widerstand mit mir und der Administration kooperieren", legte Cyrus Picton nach. Auch Ray Catlock forderte diese Zusage. "Am besten geben Sie diesem Schieferbart eine verbindliche Vorladung an alle Zweigstellenleiter mit, dass diese sich bis zum sechsten Juni Mittags ihrer jeweiligen Zeitzone vor uns zum weiteren Dienst unter unserer Anleitung verpflichten. Kommen Sie dem nicht nach, gilt das als Ablehnung unserer Zuständigkeit, was sie dann zu unerwünschten Wesen macht", fügte Buggles dem noch hinzu. Derartig mit Anweisungen und Vorschlägen betraut durfte Rubycutter dann in sein eigenes Arbeitszimmer zurückkehren und die entsprechende Antwort verfassen.
Die neuerrnannte Gegenministerin der USA traf sich mit allen, die zum Komitee Neuer Morgen gehörten und die nicht von dem in Viento del Sol wirkenden Feindesabwehrzauber abgehalten wurden.
"Dann haben wir es doch jetzt amtlich, dass Vita Magica hinter allem steckt, was Buggles und Konsorten in den letzten Wochen und Monaten angerührt haben", knurrte Atalanta Bullhorn, als sie noch einmal las, dass ab dem ersten Juni andere Familienstands- und Besteuerungsgesetze galten. "Ja, und weil wir ja nun endgültig jede Mora-Vingate-Party auf unserem Grund und Boden vereitelt haben wollen sie in den nicht vom Protectio-Nativorum-Zauber geschützten Ansiedlungen sogenannte Kennenlernfeste feiern, wo sich zur Heirat und/oder Nachwuchszeugung willige Hexen und Zauberer treffen sollen", sagte Teresa Montepiedra, eine gerade arbeitslose Inobskuratorin aus Bullhorns Abteilung, die über ihre Freunde und Verwandten Verbindung in alle magischen Ansiedlungen und Stadtviertel hielt.
"Wie erwähnt, amtlicher geht es nicht", wiederholte Atalanta Bullhorn. "Nur wie viele da hingehen, die genau wissen, dass die Hexen nicht ohne Kind im Bauch wieder da weggelassen werden und die Zauberer womöglich mit zwei oder drei Hexen ohne ausreichendes und somit ernstzunehmendes Annäherungsverhalten zusammengetrieben werden?"
"Sie werden vielleicht lachen, Ministerin Bullhorn, aber meine Verbindungen melden, dass es offenbar genug unverheiratete Hexen und Zauberer gibt, die da hingehen werden, auch und vor allem, damit sie den durchgesickerten Abgabenerhöhungen entgehen, die Buggles, Picton und Moreland zusammengebraut haben. Die Feiern sollen ja am Sommersonnenwendtag sein, also spät genug, um wirklich jedem klarwerden zu lassen, dass unverheiratete und vor allem Kinderlose demnächst viel mehr Abgaben bezahlen müssen und früh genug, dass sie in den nächsten zwei Monaten nicht so viel mehr zu zahlen haben werden, wenn sie bis dahin eindeutig auf Nachwuchs hingearbeitet haben."
"Ja, und wie viele werden da nicht hingehen, Teresa?"
"Öhm, über drei Viertel der unverheirateten Bevölkerung, was allerdings nur auf die Umfragen beruht, die wir so heimlich es ging machen konnten. Sie wissen, dass wir nach den Gesetzen des nordamerikanischen Dreierclubs jederzeit verhaftet werden können. Deshalb wird es auch immer schwerer sein, die Verbindungen aufrecht zu halten", sagte Montepiedra.
"Natürlich, die schweigende Mehrheit. Stimmt das, dass die schon angefangen haben, die Seelenkerker von Doomcastle zu leeren?" fragte Bullhorn.
"Ja, und Woodgrove aus Alberta ist der Überwacher dieser Maßnahme. Außerdem wurde dabei gleich auch James Wilson mitbestraft, weil er angeblich versucht haben soll, Woodgrove mit dem Todesfluch zu belegen, nachdem dieser Maura Oakshade wiederbeseelt und sofort danach vollverjüngt hat."
"Maura Oakshade? Natürlich, ihre Familie ist so gut wie ausgestorben. Aber wenn die sich an ihre eigenen Regeln halten muss sie unter anderem Namen aufwachsen", sagte Atalanta Bullhorn. "Vor allem, wer wird sie großziehen?"
Eine kleine Glocke läutete. Alle hier versammelten blickten zur Tür des Klangkerker-Ratszimmers. Atalanta Bullhorn rief herein.
In ihrer üblichen Heilerinnentracht betrat Eileithyia Greensporn das Zimmer. Sie wirkte sehr ungehalten.
"Guten Morgen, Großheilerin Greensporn! Was ist Ihr Anliegen?" fragte die Gegenministerin der USA die Besucherin.
"Zwei Anliegen, Frau Zaubereiministerin", erwiderte Eileithyia Greensporn. "Anliegen eins lautet: Fangen Sie endlich mal an, auch zu handeln, statt nur zu reden. Bisher stärkt Ihre Gegenpropaganda diesen Handlanger Vita Magicas eher als ihn zu schwächen. Aber bitte achtenSie dabei darauf, unnötige Gewalt zu vermeiden und keine vermeidbaren Verletzungen bei sich oder Ihren Gegnern zu verursachen. Ich weiß, ich habe gut reden, wo uns Heilerinnen und Heilern jede magische Gewalthandlung untersagt ist, die nicht der Überwältigung eines krankhaft tobsüchtigen Menschen dient. Aber Sie verstehen sicher, warum ich das vorbringen musste und deshalb gegen das Betretungsverbot für Viento del Sol verstoße."
"Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es keinen heftigen Kampf geben wird, Großheilerin Greensporn. Doch ich nehme Ihre Bitte um Vermeidung von Kämpfen zur Kenntnis", sagte Atalanta Bullhorn. "Was ist Ihr zweites Anliegen?"
"Das zweite Anliegen ist, dass Sie und Ihr heimliches Widerstandskommitee herausfinden, was mit den aus Doomcastle geholten Häftlingen geschieht, ob diese offen und unmissverständlich in die Obhut von Pflegefamilien gegeben werden, vor die Tür der magischen Heilstätten gelegt werden oder auf nimmer Wiedersehen im Ausland verschwinden, wobei ich mit Ausland alles außerhalb der Staaten, Mexiko und Kanada meine. Denn obwohl ich bereits erfuhr, dass die ersten fünf Langzeithäftlinge aus Doomcastle abtransportiert wurden, haben wir von der Mutter-Kind-Station keinen Findling bezihungsweise zur Pflegschaft anvertrauten Säugling zugeteilt bekommen. Das kann noch eintreten, glaube ich jedoch nicht."
"Sie meinen, die Wiederverjüngten könnten in geheime Niederlassungen von Vita Magica geschafft werden, um in deren Sinne neu aufzuwachsen?" fragte Atalanta Bullhorn. Großheilerin Greensporn nickte sehr heftig. "Sie wissen, dass einer meiner Urenkel von diesen Verbrechern entführt und dazu gezwungen wurde, mit mehr als zwanzig empfängnisfähigen Hexen zu schlafen, nur weil man sich wegen meiner klaren Aussagen gegen diese Verbrecherbande rächen wollte. Diese Kinder sind nirgendwo aufgetaucht. Also leben sie in geheimen Niederlassungen dieser Banditen und lernen somit nur deren Sicht- und Denkweise kennen. Außerdem trachten diese Kriminellen danach, alte magische Blutlinien in ihre eigenen Reihen einzufügen. Maura Oakshade, so verwerflich ihre Taten auch waren, gehört einer kurz vor dem Aussterben stehenden Zaubererfamilie an, weil wegen ihrer Untaten niemand mehr mit ihren Angehörigen zu tun haben wollte. Also ist ihr magisches Blut für diese Verbrecherbande wertvoll genug, um es mit den eigenen Blutlinien zu verbinden. Das ist die Mentalität dieser Schwerkriminellen."
"Ja, und deshalb sollen ja alle straffällig gewordenen Hexen und Zauberer nicht mehr in Doomcastle landen, sondern wiederverjüngt werden", sagte Atalanta Bullhorn. Natürlich dachte sie daran, dass ihr genau das blühen würde, wenn sie vor der Entmachtung von Lionel Buggles wieder in einer anderen Ansiedlung der USA aufgegriffen würde.
"Deshalb möchte ich ja, dass Sie und Ihre Mitarbeiter so heimlich es geht herausfinden, wohin die Wiederverjüngten gebracht werden, sofern sie nicht doch auf meiner Station abgegeben werden, auch um uns Heilerinnen zu verhöhnen, weil wir uns offen gegen Buggles' Amtsführung ausgesprochen haben."
"Ja, und dass Sie offenbar keine Angst haben, selbst in Wiege und Windeln zurückgeflucht zu werden ist höchst beachtlich", sagte die amtierende Gegenministerin. Eileithyia Greensporn nickte und erwähnte dann, warum sie sich sicher sein durfte, dass weder ihr noch einer anderen Kollegin der Heilerzunft sowas geschehen würde. Atalanta Bullhorn musste grinsen. "Na klar, die müssen Angst haben, dass die von ihnen angeregten neuen Zaubererweltkinder ohne heilmagische Betreuung auf die Welt kommen müssen oder es keine Rundumversorgung mehr gibt, sondern nur noch die reine Lebenserhaltung gewährleistet wird. Aber könnten die dann nicht ihre eigenen Heiler einsetzen. Die haben doch sicher welche in ihren Reihen."
"Davon muss ausgegangen werden", schnaubte Großheilerin Greensporn. ""Aber sobald die sich als Mitglieder von Vita Magica offenbaren verlieren Sie alle Zuwendungen der Heilzunft. Das ist seit einem Jahr hochamtliche und weltweit gültige Tatsache, als die Zunftsprecherinnen und Zunftsprecher sich wegen dieser Fortpflanzungserzwinger zu einer heimlichen Konferenz trafen. Also wissen die in deren Reihen eingebundenen Heilerinnen und Heiler, dass sie ihrer Organisation keinen Gefallen tun, wenn sie auffliegen und gegebenenfalls von unserer Gerichtsbarkeit wegen Verstoßes gegen verschiedene Heilerdirektiven verurteilt werden. Also, wenn mir oder wem anderen aus der Zunft was geschieht, ein Unfall, ein vorzeitiger Sterbefall oder dass ich oder wer immer aus der Zunft verschwindet, gibt es einen Streik aller Heilerinnen und Heiler auf dem nordamerikanischen Erdteil, was die nicht überlebenswichtigen Behandlungen betrifft."
"Und sollten Sie sich vertun, und diese Banditen verpassen Ihnen auch eine Totalverjüngung?" fragte Atalanta Bullhorn.
"Dann wird an einer nur mir bekannten Stelle eine Aufzeichnung meiner letzten dreißig Sekunden als Eileithyia Greensporn auftauchen, sofern die mir nicht das Gedächtnis lassen, um mir meine Hilflosigkeit zu demonstrieren, wie sie es mit einem jungen Zauberer in Frankreich gemacht haben oder wie sie es unbeabsichtigt mit Milton Cartridge geschehen ließen, der ja seither unter anderem Namen an einem geheimgehaltenen und sicher auch abgesicherten Ort verborgen neu aufwächst."
"Natürlich. Das ist auch eine Form von Strafe", grummelte Atalanta Bullhorn. Ihr war klar, dass sie unter allen Umständen vermeiden musste, derartig ihres bisherigen Lebens beraubt zu werden. So sagte sie der Großheilerin, dass sie ihre beiden Anliegen achten und ihr über einen noch zu klärenden Weg Nachricht geben würde, wohin die Wiederverjüngten aus Doomcastle geschafft wurden, sofern sie und ihre Leute das überhaupt herausbekommen konnten. Mit dieser Zusage konnte die Großheilerin beruhigt wieder abreisen. Dass sie in Vds gewesen war musste niemand außerhalb dieses Raumes erfahren.
"Tja, handeln statt nur reden", sagte Atalanta Bullhorn zu ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern. "Wir kommen garantiert nicht in dieses Schlösschen rein, geschweige denn an wichtige Leute heran. Das Laveau-Institut hat uns das gänzlich unbeabsichtigt verdorben."
"Wenn wir nicht reinkommen könnten wir aber zusehen, dass aus diesem Schlösschen nichts mehr rauskommt. Was die mit VDS gemacht haben könnten wir doch auch machen", meinte einer ihrer ehemaligen Kameraden von den Inobskuratoren.
"Gut gebrüllt, Löwe. Das Tal kann nicht mit unregistrierten Besen angeflogen werden. Apparieren kann man wohl nur in der Empfangshalle, wo jemand sitzt, der oder die jeden Fremden registriert. Wir können keinen Arrestdom um dieses Schloss aufbauen, weil sicher auch Zauber wirken, die das verhindern. Der einzige Weg ist, deren handzahmen Reporter dazu zu bringen, nichts mehr über Buggles und seine Leute zu schreiben. Doch das würde uns selbst schaden. Also bleibt nur weiterhin heimliche Überzeugungsarbeit und die Sammlung von Beweisen, dass Buggles mit einer eindeutigen Verbrecherbande gemeinsame Sache macht oder von dieser instrumentalisiert wird. Ja, und wir können Fluchthilfe leisten, wenn jemand dieser Bande entwischen muss. Darauf sollten wir uns einlassen."
Sie waren gerade dabei es zu beraten, wie mögliche Anlaufstellen für Flüchtlinge angelegt und bekanntgemacht werden konnten, ohne von Buggles' und Catlocks Schergen im ersten Ansatz ausgehoben zu werden, als die weltberühmte Turmuhr zehn schlug und es wieder klopfte. "Oh, noch ein Besucher?" wollte Stella Hammersmith wissen.
Tatsächlich waren es zwei Besucher, eine Hexe und ein äußerlich gerade zweieinhalb Jahre alter Junge, der an der Hand der Hexe hereinkam, jedoch sehr ernst und entschlossen blickte, als habe er diesen Besuch gefordert. Atalanta Bullhorn sah den Jungen sehr erstaunt an und dann die Hexe, die ihn hereinführte. Sie erkannte beide. Die erwachsene Hexe war Godiva Cartridge geborene Sweetwater, und der augenscheinlich gerade den Windeln entwachsene Junge war von Har- und Augenfarbe her eindeutig der wiederverjüngte Milton Cartridge, ihr ehemaliger Ehemann und trotz Anna-Fichtental-Regel zuerkannter Zögling. "Guten morgen, Ladies and Gentlemen", sagte der Junge mit eindeutig entschlossener Stimme. "Meine Ziehmutter und ich möchten Ihnen, Madam Bullhorn, zu Ihrer Wahl zur amtierenden Zaubereiministerin gratulieren. Außerdem möchten wir uns bei Ihnen vorstellen, da Sie uns ja bisher nicht zusammen gesehen haben."
"Öhm, Mr. Cartridge?" fragte Stella Hammersmith. Der Junge lupfte den kleinen bunten Zaubererhut und nickte der Dorfrätin zu. "Ja, Chrysander Cartridge. Das ist meine Ziehmutter Godiva Cartridge. Aber diese ist Ihnen ja bekannt."
"Was veranlasst sie beide, aus Ihrem Refugium zu kommen und sich zu uns vorzuwagen?" fragte Atalanta Bullhorn. Da ergriff Godiva Cartridge das Wort.
"Nicht mehr und nicht weniger, als dass Sie meiner Familie helfen, vor den Handlangern von Lionel Buggles und seiner Handlanger in Sicherheit zu kommen, bevor es zu einem unschönen Streit zwischen meinen Verwandten und denen kommt."
"Ihre Verwantschaft ist sehr groß, Mrs. Cartridge", sagte Atalanta Bullhorn. "Wen genau möchten Sie in Sicherheit wissen?"
"Wenn es geht alle, die Greendales, die McDuffys, die Sweetwaters und die fünf noch verbliebenen Cartridges, obwohl zwei von denen gerade in Misty Mountain wohnen", sagte Godiva Cartridge.
"Das sind sicher an die hundert Leute, abgesehen davon, dass Ihr Herr Großvater und ich nicht gerade gut aufeinander zu sprechen sind", sagte Atalanta Bullhorn.
"Sie meinen meinen Großvater mütterlicherseits, Anaximander Greendale. Ja, mir wurde mitgeteilt, dass er sich von Ihnen unbeachtet fühlt, weil Sie seinen Anspruch auf Mitsprache im Gamot und überhaupt dem zaubereiministerium nicht wertschätzen sollen. Er ist es nicht mehr gewöhnt, unbefragt seinen Lebensabend verbringen zu sollen. Aber wenn diese Bande ihn deshalb ergreifen will, weil er noch einen gewissen Einfluss hat."
"Ja, und mein ehemaliger Schwiegervetter Jason McDuffy steht auf Buggles' Gehaltsliste und könnte dem einen magisch bindenden Eid geleistet haben, alles für den zu tun, einschließlich zu töten und zu sterben", sagte der Junge, der sich als Chrysander Cartridge vorgestellt hatte. Godiva Cartridge fügte dem noch hinzu: "Deshalb befürchten wir, dass eben jener Vetter von mir darauf angesetzt werden könnte, in das Haus meiner Großeltern einzudringen, weil er von meinem Großonkel Japetus abstammt und somit mit meiner Großmutter Adelaide blutsverwandt ist. Wenn ich ihnhier bis morgen nicht an Shana Moreland von der Familienabteilung übergeben haben werde wird wohl meine ganze Familie darunter zu leiden haben."
"Ja, und ich bin nicht bei vollem Bewusstsein durch die Säuglingszeit gegangen und bin froh, jetzt eigenständig einen kleinen Nachttopf benutzen zu können, um von diesen Gangstern, die mich fast einkassiert hätten doch noch einkassiert und ganz auf null Lebenstage zurückgeflucht zu werden und dann mit meiner Ziehmutter zusammen noch mal neu aufzuwachsen, weil die es gewagt hat, mich diesen Banditen vorzuenthalten", sagte Chrysander Cartridge. Seine Kleinkindstimme stand im völligen Gegensatz zu seiner Wortwahl und seiner Entschlossenheit.
"Stimmt, die könnten mich glatt auch als Verräterin an der neuen Administration aburteilen und dann statt in Doomcastle in einem Unterschlupf von Vita Magica wegsperren. Also, auch wenn Sie gewisse Vorbehalte gegen die Ansprüche meiner Großeltern haben, bitte ich Sie hiermit offiziell, ihnen hier in Viento del Sol oder Misty Mountain Asyl zu gewähren, bis wir uns alle wieder unter anständige Leute trauen dürfen, ohne aus Angst oder falschverstandener Bürgerpflicht an diese Schergen verraten zu werden", wiederholte Godiva Cartridge ihr Anliegen.
"Und was, wenn er sich nicht retten lassen will oder lieber im Kampf um seine Freiheit sterben will, Mrs. Cartridge?" fragte Atalanta Bullhorn.
"Dann habe ich zumindest meinen Teil dazu beigetragen, dass unsere restliche Familie vor diesen Gangstern beschützt werden kann", sagte Godiva Cartridge. "Ich möchte nur Ihre Zusage, dass Sie allen helfen, die sich gegen diese Banditen auflehnen wollen und dass Sie mit denen zusammenarbeiten, die die Ordnung vor Dime wieder herstellen möchten."
"So ganz wird das nicht gehen, Mom, weil es jetzt schon großen Streit mit den Kobolden gibt", sagte Chrysander. "Ich meinte natürlich, die Ordnung der magischen Menschen und vielleicht eine Aussöhnung mit den Kobolden."
"Ja, nur dann müssten wir auch klarstellen, dass diese neue Föderation nicht mehr besteht. Mittlerweile finden es doch viele Leute gut, dass sich Kanada, die Staaten und Mexiko zusammengeschlossen haben, zumindest in der magischen Welt", warf Fornax Hammersmith ein. Chrysander nickte beipflichtend. "Das können Sie dann ja erörtern, wenn dieses Marionettentheater Buggles seinen allerletzten Auftritt hinter sich hat und es möglich ist, diese Nachwuchserzwinger für längere Zeit von unserem Land fernzuhalten. Mir war es ja leider nicht vergönnt, diese Schurken dauerhaft vor die Tür zu setzen oder in Doomcastle zu begraben."
"Gut, Mrs. und Mr. Cartridge. Zum einen werden wir Ihren Besuch als nicht stattgefunden vermerken. Zum anderen haben wir ja schon über mögliche Fluchthilfemaßnahmen gesprochen, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte", sagte Atalanta Bullhorn. "Ich werde zusehen, dass wir Ihre unschuldigen Anverwandten vor dem Zugriff der Schergen von Buggles bewahren, so gut wir das können. Wir werden aber niemanden zwingen, das eigene Haus zu verlassen oder gar selbst Entführungsakte begehen, damit dies unmissverständlich klar ist. Mehr kann und will ich im Moment nicht zusagen", erwiderte die Zaubereigegenministerin. Das reichte den beiden Besuchern auch schon aus. Sie bedankten sich und verließen den Besprechungsraum. "Okay, Leute, Kaffee und Qualmpause", sagte Atalanta Bullhorn bestimmend.
In der Menschensprache hieß er Meister Schieferbart und gehörte zu jenem Rat der grauen Bärte, der weltweit das Leben und Wirken seines Volkes überwachte und lenkte. Eigentlich hatten er und seine Berater darauf gehofft, dass sie nach der großen Wut der Allgebärerin, wie sie die Erde an sich nannten, wieder so leben und wirken konnten wie davor. Doch die Zauberstabträger Nordamerikas hatten ihre Gelegenheit gewittert, sein Volk noch weiter zu entmachten. In dem riesigen Gebiet, dass die Zauberstabträger Vereinigte Staaten von Amerika nannten, hatten sie es sogar irgendwie hinbekommen, seine Volksangehörigen als unzuverlässig, ja womöglich diebisch darzustellen, weil die von diesen gehüteten Gold- und Werteinlagen angeblich vernichtet worden waren. Und jetzt hatten die aus den Staaten sich mit denen aus dem einstmals spanischen Kolonialland Mexiko und dem eigentlich von den Mutterinseln aus gelenktem Kanada zusammengeschlossen, und dieser Buggles aus den Vereinigten Staaten war zu deren Anführer ernannt worden. Nun sollten sie alle, die sie hier in Nordamerika auf die Welt gekommen waren, nur noch Handlangerarbeit für die Zauberstabträger machen oder am besten gleich ganz aus dem Land verschwinden. Das konnte, ja das durfte nicht unbeantwortet bleiben.
Meister Schieferbart hatte seine örtlichen Untergebenen, zu denen auch die Leiter aller Gringotts-Zweigstellen Nordamerikas gehörten, zusammengerufen. Allerdings fehlten die bei solchen Sitzungen gerne mit silbernen Masken mit riesigen Augengläsern verhüllten Lenker der Niederlassungen der zehntausend Augen und Ohren. Stimmte es also doch, dass die Zauberstabträger ihre Niederlassungen ausgehoben hatten?
"Wer von euch weiß, was mit den Herren Gazerock, Buenorejas und Quickwink geschehen ist?" fragte der älteste Kobold Nordamerikas und Mitglied des Zwölferrates aller Kobolde weltweit. Keiner der seinem Ruf gefolgten wusste die Antwort. Doch er konnte es vielen ansehen, dass sie nicht wussten, ob sie hoch erfreut oder stark verunsichert sein sollten, dass die auch ihnen unheimlichen Vertreter der zehntausend Augen und Ohren nicht gekommen waren. Am Ende führten die schon einen lautlosen Krieg gegen die Zauberstabträger.
"Gut, warten werde ich nicht mehr", sagte Meister Schieferbart. "Wenn der Bund noch so gut unterrichtet ist und seine Augen und Ohren überall hat bekommt er das auch mit, wenn seine drei halbbekannten Bereichslenker hier sind. Am Ende liegen noch Mithörsteine von denen bei mir im Haus des Rates, weshalb die drei Herren es für unnötig halten mögen, in eigener Gestalt hierzusein. Also, jeder berichtet nun, was ihm zugegangen ist und ob bereits weitere Unzumutbarkeiten der Zauberstabträger geplant sind."
Nachdem jeder Zweigstellenleiter die Vorkommnisse der letzten Tage berichtet hatte sagte Meister Schieferbart: "So ist es wohl eindeutig, dass die Zauberstabträger von Buggles es irgendwie hinbekommen haben, die Verliesinhalte zu verstecken und denen, die die Verliese angemietet haben, vorzutäuschen, dort sei nichts mehr oder nur noch ein kleiner Rest. Ihr wisst nicht, wie die das gemacht haben, auch weil die Gläser der Wahrheit keine klare Sicht auf die wahre Beschaffenheit ermöglichen. Also ist es eine neue Art von Bildverzauberung, die wir noch nicht kennen und deshalb mit den Wahrheitsgläsern nicht durchblicken können, so wie das im Land der Franken noch möglich war, nachdem diese Kinder der Überschönen mit ihren Zugesprochenen die Täuschungsversuche der dortigen Goldwertüberwachungsleute aufgedeckt haben. Dann frage ich doch jetzt mal an die, die unsere Schutz- und Wachzauber kennen und wirken können, wozu unsere Gläser des wahren Blickes noch gut sein sollen, wenn wir damit nicht mehr alles erkennen können, was Täuschung ist, ja vor allem nicht sehen, wie getäuscht wird und was gemacht werden muss, um die Täuschung zu beenden. Wer kann mir die Frage beantworten?"
Gemmepick, Mitarbeiter von Gringotts New York, erhob sich, vollführte die vor einer Ansprache pflichtgemäße Verbeugung vor Meister Schieferbart und antwortete mit einer für seine Größe sehr tiefen Stimme: "Wir konnten mit den Gläsern des wahren Blickes sehen, dass etwas den wahren Zustand der Verliese überdeckt, aber nichts, was nur mit einem oder vier Zaubern erledigt wird. Denn bis zu vier Zauber können die Gläser des Wahren Blickes auf einmal durchdringen, wie Sie hier alle wissen. Also sind es mindestens einer, sehr wahrscheinlich aber mehr als zwei weitere Zauber, die den Blick auf den wahren Zustand verhüllen. Denn mit unseren Gläsern des wahren Blickes können wir nur einen grau-blau unförmigen Nebel erkennen, in dem leicht glimmende, aber nicht klar geformte Körper versteckt sind. So können wir nur sagen, dass getäuscht wurde, aber nicht, wie die wahre Lage ist und wie genau die Täuschung gelang. Auch der Versuch, ein Verstärkungsgerät mit zwei aufeinander eingestimmten Gläsern des wahren Blickes zu benutzen brachte keine Erkenntnis. Im Gegenteil, damit konnten wir nur ein Gemisch aus glühendem Dunst und flirrenden, formlosen Gegenständen sehen, so als würden die Täuschzauber unsere Gläser bei Verstärkung noch mehr verwirren. Wer immer das gemacht hat wusste genau, wie unsere Gläser des wahren Blickes wirken. Ja, und bevor Ihr es sagt, Meister Schieferbart, das darf kein Zauberstabträger wissen, weil das zu den höchsten zu hütenden Geheimnissen von Gringotts und dem Bund, dessen Wirken allgegenwärtig ist, gehört. Entweder hat jemand aus unseren Reihen dieses obere Geheimnis verraten, wofür er dann unverzüglich im siedenden Gold zu ertränken ist, oder die Zauberstabträger haben es geschafft, einen Satz Gläser des wahren Blickes zu erbeuten, ohne dass es uns oder dem Bund, dessen Augen und Ohren überall sind, bekannt wurde. Letzteres ist noch unwahrscheinlicher als der Verrat, da der Bund, der bei Tag und Nacht über alles wacht, solche Vorkommnisse sofort verfolgt und geahndet hätte, auch gegen Zauberstabträger."
"Mit anderen Wortn, Gemmepick, etwas, was nicht sein darf und offenbar auch nicht sein kann ist eingetreten", grummelte Meister Schieferbart.
"Ja, oder denen hat der im feurigen Schoß unserer aller Mutter gefangene Urfeind selbst verraten, wie unsere Gläser des wahren Blickes wirken, damit sie selbst diese überwinden können."
"Dann hätte der nach unserem Fleisch und unseren Seelen hungrige Urfeind denen gleich verraten, wie sie sich und alles andere für unsere Gläser des wahren Blickes völlig unsichtbar machen können oder, was dem gefräßigen Urfeind noch mehr in den Sinn kommen mochte, ein alle Augen verzehrendes Licht erzeugt, sobald jemand durch eines der Gläser wahren Blickes sieht", wandte Gridpoke ein, der Gringotts Viento del Sol leitete. Meister Schieferbart vollführte schnell die seit vielen tausend Jahren bekannten Abwehr- und Beschwichtigungsgesten gegen den Erdboden, um der von allen verehrten Urmutter zu verdeutlichen, den meistgefürchteten Feind nicht zu ihnen aufsteigen zu lassen, weil sie über ihn sprachen. Erst dann sagte er: "Ich denke eher, diese Zauberstabträger haben eigene Brunnen verderblicher Kenntnisse, aus denen sie trinken können. Sie brauchen unser aller Urfeind nicht anzulocken, um von dem unsere Schwächen zu erfahren, auch weil sie trotz ihres erzwungenen Bündnisses mit den Bäumen für ihre Zauberstäbe nicht sicher sein können, dass er nicht auch Hunger auf ihr Fleisch, Blut und ihre Seelen bekommt. Doch dass sie gegen die Durchdringung der Macht der falschen Bilder, des Hauches der Unsichtbarkeit, der Kraft der Lichtverformung und des Schleiers falscher Träume gleichzeitig anwirken können ist beachtlich und dass sie noch mindestens einen Zauber mehr kennen, der diese bekannten Sichttäuschungen verstärken kann ... Gut, ist eben so. Wir wissen, dass sie täuschen, aber nicht wie. Jede Anklage gegen sie wird sicher von denen abgewiesen. Auch drehen die es dann so, dass wir die Täuscher sind und unsere Aussage nur eine Schutzbehauptung ist, um unsere eigenen Fehler oder Begehrlichkeiten zu verbergen. Sie wollen uns aus dem Land jagen. Die Zauberstabträger der Staaten wollen uns hier nicht mehr haben. Sie wirken auf die aus Mexiko und Kanada ein, uns verdrängen oder töten zu wollen. Ich habe denen eine Anfrage geschickt, dass ich das mit ihnen noch einmal besprechen will, ob die wirklich mit uns Krieg haben wollen. Womöglich haben die das als Aufforderung ausgelegt, gegen die Vertreter des Bundes, der alles überblickt und lautlos handelt, vorzugehen. Dann muss ich das als euer oberster Vertreter im Rat der sieben Ältesten wohl als Vorbereitung auf einen solchen Krieg einschätzen. Doch noch hoffe ich, dass die Zauberstabträger nicht so einfältig sind, sich wieder mit uns anzulegen."
"Bei aller Euch gebührenden Achtung und Würde, Meister Schieferbart, aber den letzten großen Aufruhr unzufriedener Volksangehöriger von uns hätten die damals auch ohne Mühe in einem Meer aus Blut und Tränen ertränkt, wenn Eure hochgeachteten Vorvorgänger nicht mit denen einen neuen Frieden ausgehandelt hätten. Die haben weder Angst vor dem Krieg, noch fühlen die sich uns gegenüber schwach", wandte der Schreiber des Rates ein, nachdem er ums Wort gebeten und die übliche Verbeugung vollführt hatte. Meister Schieferbart sah seinen Mitschreiber erst finster an. Doch dann bewegte er seinen mit langem, schiefergrauen Haupt- und Barthaar bewachsenen Kopf in einer schwerfälligen Bejahungsgeste. Natürlich kannte er auch die Geschichte der mal guten, mal schwierigen Beziehung seines Volkes mit den großen, rundohrigen Zauberstabträgern. Das Abkommen aus dem Menschenjahr 1613 hatte einen aufkommenden Krieg verhindert.
"Was wird sein, wenn Euer Gespräch mit den Zauberstabträgern nicht das gewünschte Ergebnis bringt?" wollte der Leiter von Gringotts New York wissen. Meister Schieferbart sagte: "Das habe ich dem, der für sie mit uns spricht schon angekündigt. Wenn sie uns vertreiben wollen oder uns die alleinige Goldhütungsvollmacht versagen wollen haben wir Krieg mit denen. Dann wird sich zeigen, ob sie ihr eigenes Blut für weniger Wert halten als unseres."
"Dann sollen wir bei neuen Aufforderungen, ihnen mehr Einblick und Mitbestimmung in Gringotts zu geben alle Türen wieder zusperren, nachdem wir sie nach den mühevollen Wiederherstellungsarbeiten wieder aufgemacht haben?" wollte der untersetzte Birkmock, der Leiter von Gringotts Ottawa wissen. Meister Schieferbart sah ihn verdrossen an und zischte: "Ja, das macht ihr so. Wenn die uns weiterhin verdrängen wollen entziehen wir denen ihr Gold. Kämpfen die mit Waffen und Zauberstabzaubern gegen uns, kämpfen wir auf Leben und Tod mit denen. Die anderen aus dem Rat der Ältesten geben mir dafür die Erlaubnis: Land und Würde oder den Tod im Kampfe, so die klare Zusage der anderen grauen Bärte. Nachdem uns die Bewohner des auf der Südhalbkugel liegenden Inselreiches mit dem heißen Kernland vollständig ausgelöscht haben und jeden Versuch, dort wieder unsere alten Rechte zu erlangen verderben wollen, dürfen wir uns nicht noch weiter aus unseren errungenen Gefilden verdrängen lassen, wenn wir nicht gleich den versammelten Freitod wählen und alle unsere Weihesteine auf einmal zerschmettern sollen, um unsere Leiber abzulegen und mit unseren Seelen in den ewigen Schoß der Allgebärerin zurückzukriechen. Wir werden uns nicht von hier verjagen lassen, ohne Fässer voller Zauberstabträgerblut dafür einzufordern."
Die hier versammelten sahen ihren obersten Sprecher sehr beklommen an. Denn ihnen war jetzt klar, dass es wohl auf einen blutigen Krieg hinauslaufen würde. Die Vorgabe Land und Würde oder Tod im Kampf konnte nicht umgedeutet oder gar abgemildert werden. Als Meister Schieferbart dann noch verkündete, dass sie dem großen Volk der Erdkinder angehörten und nicht dem schwächlichen Volk der von Wasser verweichlichten und mit flüchtigen Luftgaben beseelten Großnasen, die die Zauberstabträger Hauselfen nannten, war jedem hier klar, dass die Zeit des friedlichen Handels kurz vor dem Ende war.
Dennoch versuchten die Zweigstellenleiter es, die klare Aufforderung zum Krieg durch Vorschläge zur Verzögerung der Kampfhandlungen abzuschwächen, zum Beispiel, dass ja in Kanada und Mexiko noch alle Kunden an ihre Werteinlagen herankamen und somit kein Unmut bestand, ja dass es ja auch in den Staaten Leute gab, die mittlerweile davon ausgingen, dass nicht die Kinder der Erde die Täuscher und Diebe waren, die jedoch gerade nicht die Macht im Lande hatten. "Dann sollen die sich ihre Macht wiederholen und jene verjagen oder totschlagen, die das Verhältnis mit uns zerstören wollen", schnaubte Meister Schieferbart. Er wollte sogar noch sagen, dass der Leiter der Gringotts-Zweigstelle in Viento del Sol es denen klarmachen sollte, die dort gegen die Leute von Buggles waren, als zwei Klangstäbe zusammenstießen und aus dem Boden ein Angehöriger der Botengilde hervorschnellte. Dieser warf sich kurz vor Meister Schieferbart zu Boden und übergab ihm dann eine kleine Tonrolle, in der eine Nachricht steckte, die nur der Sprecher Nordamerikas herausziehen konnte. Meister Schieferbart entließ den Boten mit einer Handbewegung. Unverzüglich stampfte dieser mit dem rechten Fuß auf und verschwand in der Erde, ohne den Boden zu beschädigen.
Meister Schieferbart las die Nachricht und zog sich zweimal kräftig an seinem langen auf die Brust wallenden Bart. Seine dunkelbraunen Augen blickten verwirrt umher.
"Ich werde gerade davon in Kenntnis gesetzt, dass der Bund uns davor warnt, weiterhin gemeinsame Sache mit den Zauberstabträgern zu machen, weil er erfahren haben will, dass seine bei uns wirkenden Mitglieder ewig untätig wurden, was in deren Sprache heißt, dass sie wohl alle getötet wurden. Wie auch immer die Zauberstabträger das angestellt haben sollen, ich muss diese Warnung wohl ernstnehmen. Auch wenn wir vom Rat dem Bund Einhalt gebieten dürfen, so ist er doch mächtig genug, vieles ohne unser Wort und ohne unsere Kenntnis zu tun, ohne von unserer Rechtsprechung dafür belangt werden zu können. Womöglich muss ich diese Botschaft hier als Verkündung des Krieges einschätzen. Ich darf als Mitglied des Rates noch eigenständig gegen die Forderung des Bundes vorgehen. Doch Sie wissen ja alle, wie gründlich und gnadenlos er gegen seine erklärten Feinde vorgeht. Also bereiten Sie sich und Ihre Mitarbeiter darauf vor, dass alle Gringotts-Zweigstellen wider verschlossen werden! Selbst wenn das genau das ist, was den Zauberstabträgern die Rechtfertigung gibt, uns gezielt zu vertreiben. Ja, bitte, Gemmepick!"
"Wenn wir Gringotts wieder zumachen wird dieser neue Überminister das grüne Geschnipsel, was er als Goldersatz unter seine Leute geworfen hat, als einzige noch geltende Tauschwertgrundlage einstufen. Dann sind wir alle hier unwichtig und es ist völlig gleichgültig, ob wir dann noch in diesem Land sind oder nicht. Außerdem könnte der Bund, der tag und nacht über uns wacht auf die sehr unangenehme Vermutung kommen, einer von uns habe deren geheime Niederlassungen an die Zauberstabträger verraten. Und wenn die das echt waren, die diese Niederlassungen mit allen und jedem Ding drin ausgelöscht haben ist das verdammt unangenehm, weil die dann entsprechende Waffen haben müssen. So oder so könnte der Bund, der seine Augen und Ohren überall hat, darauf kommen, jemanden von uns zu fangen, schmerzvoll zu befragen und dann zu töten, ob wir jetzt Gringotts zuschließen oder nicht."
"Denken Sie, ich weiß das nicht?!" schrillte Meister Schieferbart zurück. "Doch was soll ich tun, um Ihr aller Leben zu schützen, auch das Ihrer Familien?"
"Steht da wirklich drin, dass alle Mitglieder der Überwacher nicht mehr leben oder davon ausgegangen wird, dass die nicht mehr leben?" wollte der Leiter von Gringotts New York wissen. Meister Schieferbart las die an ihn geschickte Botschaft noch einmal und reichte sie an den Frager weiter. Doch kaum hielt er den Zettel in der Hand, verging der Zettel in einem gleißenden Blitz und mit lautem Knall. Der Leiter von Gringotts New York schrie auf und fuchtelte mit seinen qualmenden Händen. Alle sahen mit Entsetzen, dass die Haut des Koboldes kohlschwarz verfärbt war. Meister Schieferbart winkte sofort zwei beisitzenden Heilkundigen, die sich des Verletzten annahmen, ihn erst mit einem Lederhut der Sinnesabstumpfung gegen alle Schmerzen abschirmten und dann anfingen, die schweren Brandverletzungen zu behandeln.
"Das Straffeuer für unerwünschte Hände. Ich hätte es wissen sollen", seufzte Meister Schieferbart. Dann sagte er: "Aber ich habe gelesen, dass sie mit keinem ihrer Mitglieder mehr sprechen oder die Nachrichtenglocken läuten konnten."
"Also bekommen sie nicht mit, was wir machen", sagte der Leiter von Gringotts Viento del Sol, während sein Amtsgenosse aus New York seine Hände in ein silbernes Gefäß mit einer grünlichen Flüssigkeit eintunken musste. Alle anderen nickten. "Dann werden wir so tun, als hätte uns keiner diese Botschaft verkündet. Nur Ihr, Meister Schieferbart, mögt davon ausgehen, dass die zehntausend Augen und Ohren diese Botschaft versendet haben."
"Verstehe, Gridpoke. Ihr wollt erst dann den Zauberstabträgern den Zugang verwehren, wenn diese ganz offen, also nicht vom Bund verheimlicht, gegen uns vorgehen. Erlaubnis erteilt", schnaubte Meister Schieferbart. Dann erwähnte er noch einmal, dass er mit dem Boten der Zauberstabträger sprechen wolle, wie er ihn ersucht hatte. Erst ab dann galt, dass diese sich gegen das bestehende Abkommen vergingen. Weil Meister Schieferbarts Wort galt mussten alle die es hörten gehorchen. Denn sie durften auf keinen Fall die bestehende Rangordnung vergessen. Taten sie es doch, dann hatten die Zauberstabträger so gut wie gewonnen.
Nachdem Meister Schieferbart seine Anordnungen für das weitere Vorgehen verkündet hatte und sie alle sahen, wie dem Leiter der Zweigstelle New York die Hände verbunden wurden, damit sie wieder heilten, beendete er die Versammlung.
"Alle freien Wächter versammeln sich mit stärkster tragbaren Bewaffnung in diesem Haus!" ordnete er an. Denn ihm war klar, dass die Zauberstabträger auch seinen geheimen Wohnsitz suchen und finden mochten, wenn denen schon gelang, die geheimen Niederlassungen der zehntausend Augen und Ohren zu finden, falls sie nicht doch ein Bündnis mit dem großen grauen Eisentroll, dem Urfeind aller Erdkinder, geschlossen hatten. Andererseits wusste er auch, dass die zehntausend Augen und Ohren es einem übelnehmen konnten, wenn er nicht tat, was sie befahlen. Doch als Mitglied des hohen Rates war er unantastbar. Wurde er von einem anderen Mitglied des Erdvolkes getötet, wussten die anderen Räte es im selben Augenblick. Kam dabei heraus, dass es ein Mitglied des von den meisten gefürchteten Bundes war, mochte das zu einem Krieg innerhalb des Erdvolkes führen. Die zehntausend Augen und Ohren mussten den hohen Rat beschützen, nicht bekämpfen. Doch Meister Schieferbart war sich nicht mehr sicher, ob das noch galt.
Perdy packte seinen Wochenendrucksack. Morgen würde er zusammen mit Eartha in London ins Kino gehen, nach langer Zeit mal wieder ein nichtmagisches Lichtspiel genießen. Seitdem sie ihm zu seinem dreizehnten Wiedergeburtstag ein ganz intimes Geschenk gemacht hatte, hegte er gewisse Sympathien dafür, die offiziell unverheiratete Hexe aus den Staaten als seine neue Lebensgefährtin zu gewinnen. Vielleicht hatten sie beide auch schon sein nächstes Kind auf den Weg gebracht. Auch deshalb wollte er gerne mit ihr den dritten Film aus der Saga um die Jediritter und ihre bösen Gegenspieler besuchen, damit sie ihm das ohne die anderen mitteilte, ob er in dieser Hinsicht wieder ein vollwertiger Mann war.
Ein Glockendreiklang zeigte den bevorstehenden Besuch eines Mitgliedes des hohen Rates an. Perdy stellte das Portschloss der Unterwasserbasis auf Durchlass der darauf abgestimmten Portschlüssel und gab das Zugangsfreigabesignal. Daraufhin erschien aus einer grünen Lichtspirale heraus ein Zauberer im roten Umhang, Blake Maurice Woodgrove, alias Pater Duodecimus Occidentalis, der kinderreichste Mitstreiter Amerikas und somit ein wichtiges Mitglied im hohen Rat des Lebens.
"Oh, was verschafft mir Tiefsee-Eremiten die Ehre deines Besuches, Blake?" fragte Perdy ohne übermäßige Respektshaltung. "Der Umstand, dass du nur noch in dieser Seifenblase aus Blech zu finden bist und dass deine große Gönnerin deshalb auch häufiger hier ist als in ihrer französischen Heimatniederlassung", sagte Woodgrove. "Ich habe auch nur eine Minute Zeit. Hier, die ersten Zugangsdokumente. Die Verteilung derer, die wir in unsere Linien eingliedern wollen läuft an. Allerdings müssen wir aufpassen, weil die in den Staaten und auch in meinem Heimatland immer noch widerspenstig sind und nicht jeder mitbekommen muss, dass ich für die Gesellschaft magischen Lebens tätig bin."
"Ach ja, und dann fuhrwerkst du persönlich mit einem unserer Reinitiatoren herum, wenn das nicht jeder wissen soll?" fragte Perdy. "Die, die das mitkriegen werden nicht aufbegehren. Hier ist die Liste. Falls deine großmütterliche Gönnerin Ansprüche an wen darauf hat soll sie mir das über die Verbindungen weitergeben."
"Werde ich ausrichten", sagte Perdy und übernahm eine dicke Pergamentrolle. "Öhm, ihr müsst aber von den Wiederbeseelten und Zurückverjüngten auch welche in Kanada, den Staaten und Mexiko in die entsprechenden Krankenhäuser schicken, weil sonst jeder Truthahn und jeder Donnervogel ins Land krakehlt, dass die von uns eingesackt wurden", sagte Perdy.
"Was meinst du, warum ich die Liste abgeliefert habe. Sie soll aussuchen, wer von denen unter außenstehenden Leuten großwerden soll. Die Oakshade habe ich wie vereinbart in die Chilenische Niederlassung rübergeschickt, weil da einer neu aufwächst, der laut unseren Vertrauensheilern sehr gut mit ihrer Blutlinie zusammenpasst. Die anderen ... Klär das mit ihr selbst!" sagte Woodgrove.
"Bis übermorgen bekommt ihr Bescheid. Ich bin ja morgen einen Tag lang im London der Muggel unterwegs."
"Wieso das denn?" schnarrte Woodgrove. Perdy tat es mit "Kulturprogramm" und "Überblick über die nichtmagische Welt" ab. Der musste ihm nicht verraten, was Eartha und er da eigentlich wollten.
"Gut, dann eben übermorgen. Öhm, war da nicht noch was wegen der Operation "Frühlingsmond"?"
"Stimmt, ich werde dir und deinen Kollegen aus den Staaten und Mexiko bald die ersten neuen Einzelzielwaffen gegen Lykanthropen und Vampire geben. Gegen Lykos wirken sie sicher. Bei Vampiren muss ich noch klären, ob die eher deren Natur verstärkend oder ebenso schwächend wirken. Du weißt, was eine Handfeuerwaffe ist und wie sie benutzt wird?"
"Ja, mein Großvater, ein Halbblut, hat mir das Schießen mit diesen Krachdingern beigebracht. Ich kann mit Revolvern oder langläufigen Gewehren schießen. Aber wozu willst du das wissen?"
"Weil ich die Mondblitzer der handhabbarkeit wegen in der Form kleiner Pistolen aufgelegt habe. Die ersten hundert sind kurz vor vollmond fertig."
"Das heißt, wir sollen mit Silberkugeln auf die Werwölfe schießen?" wollte Woodgrove wissen.
"Neh, dagegen haben die sich ja schon was zugelegt. Die neuen Mondblitzer verschießen gesammeltes und verdichtetes Mondlicht im selben Farbton wie die Vorrichtungen für das blaue Mondlicht. Näheres entnehmt ihr dann bitte den in drei Sprachen abgefassten Bedienungsanleitungen. Wie erwähnt muss ich noch mit In-Vivo-Versuchen klären, wie die neuen Waffen auf Vampire wirken, weil die sich ja eigentlich am Mondlicht aufladen. Doch ich hoffe wie bei den Pelzwechslern auf Paracelsus, dass die Dosis macht, wann etwas ein Gift oder ein Heilmittel ist", sagte Perdy.
"Wenn die Dinger genauso leicht zu handhaben sind wie die Reinitiatoren bin ich sehr gespannt, wie die Werwütigen und Langzähne das hinnehmen, wenn wir sie mal eben über den Haufen schießen wie Hasen und Kanickel", grummelte Woodgrove. Perdy nickte.
Dann fragte er ihn, wo er schon einmal da war, wie die Umlagerung des kanadischen Zaubereiarchives von Ottawa in die ausgebauten Keller von Good Times Castle verlief. Woodgrove grinste und vermeldete, dass die Umlagerung innerhalb von zwei Wochen vollzogen sein würde, also bis zum dreizehnten oder vierzehnten Juni. "Gut, Blake, dann können unsere Kopiergehilfen schon mal anfangen, abzuschreiben, was ihr in den letzten hundert Jahren alles so für wichtig gehalten habt", sagte Perdy. "Buenavida hat auch schon gemeldet, dass das mexikanische Zaubereiarchiv bis zum neunten Juni in die dafür ausgebauten Keller umgelagert wird. Da sind vor allem unsere Leute für präkolumbianische Zauberkenntnisse gespannt, was die alles so von den Aztekn und Mayas übernommen haben."
"War ja auch Sinn und Zweck der Übung, alles magische Wissen an einem Ort zusammenzukriegen", sagte Woodgrove. Dann fragte er: "Was passiert, wenn doch wer bis zum Schloss durchkommt oder unseren Erfüllungsgehilfen Buggles überwältigen und töten kann?"
"Ja, dann hätten wir ein massives Problem, weil wir alle nicht zu unserer Gesellschaft gehörenden Ministeriumsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihm an sich haben binden lassen. Das ging schneller als jeden einzelnen auf uns abzustimmen, hat Véronique gesagt. Deshalb wird Buggles bis auf weiteres nur in der Sicherheit aller von uns eingerichteten Schutzzauber bleiben, bis sicher ist, dass wir die schlimmsten Feinde entweder entmachtet oder auf unsere Seite gezogen haben."
"Heißt im Klartext, dass Buggles auf keinen Fall sterben darf", grummelte Woodgrove.
"Ja, und vor allem darf unser Abkommen mit ihm nicht gefunden und zerstört werden, auch wenn das sehr, sehr schwierig ist. Aber ich traue manchen von unseren Gegnern zu, dass sie skrupellos und fähig genug sind, das Vertragswerk zu vernichten."
"Dann müssen wir das Original von ihm bei uns verstecken", sagte Woodgrove. Doch Perdy schüttelte den Kopf. "Ein an einen stofflichen Gegenstand und nicht nur an eine Handlung gebundener Vertrag wirkt nur solange, wie der Bindungsträger dauerhaft in der Nähe des Gebundenen existiert", erwiderte Perdy. "Will sagen, Buggles muss den Vertrag in Rufweite haben, um an ihm gebunden zu bleiben und über ihn auch alle anderen zu kontrollieren. Das solltest du eigentlich wissen, Blake.".
"Werd' nicht frech, Kleiner", grummelte Woodgrove. Doch Perdy grinste nur überlegen. "Als wenn ich das nicht schon längst bin, junger Hüpfer", konterte er. Denn beide wussten, dass Perdy von den erlebten Jahren her Blake Woodgroves Großvater sein konnte.
"Öhm, und was, wenn jemand Buggles und den Vertrag zugleich zu fassen kriegt?" fragte Woodgrove noch. Perdy wandte ein, dass sie genug Vorkehrungen getroffen hatten, damit das nicht passieren konnte. Er erklärte seinem Mitstreiter, wie umfangreich die Abwehr gegen unbefugte Eindringlinge in die Administration funktionierte und bekräftigte: "So schnell kann niemand handeln."
"Ich sehe es ein. Ich musste es nur genau wissen, weil ich ja zu denen gehöre, die den Vertrag unterschrieben haben", erwiderte Woodgrove. Das wiederum verstand Perdy vollkommen. Denn das bedrückende an einem magisch bindenden Vertrag war, dass alle ihn befolgen mussten, die ihn geschlossen hatten, nicht nur eine Seite. Versuchte jemand den Bindungsträger zu entzaubern oder zerstörte ihn sogar, galt das als Vertragsbruch von allen Seiten. Daher war es für Woodgrove überlebenswichtigg, dass der Vertrag an einem abgesicherten Ort verwahrt wurde. Perdy konnte das vollkommen nachempfinden. Im Grunde waren Buggles und der Beistandsvertrag der Hauptreaktor des Todessterns, dazu da, alles mit der nötigen Kraft zu versorgen, aber bei einem einzigen Treffer alles im Umkreis zu atomisieren. Doch anders konnten sie es nicht machen, und das störte ihn und auch Véronique, die für die Sache ihre eigene Gesundheit, womöglich ihr eigenes Leben verpfändet hatte.
"Gut, ich erwarte dann sowohl Mater Vicesima Secundas Auswahl als auch die erste Lieferung funktionsfähiger Werwolfabtötungsgeräte", sagte Woodgrove noch. Dann vollzog er die nötigen Handlungen, um sich mit seinem abgestimmten Portschlüssel an den offiziell bekannten Standort zurückzuversetzen.
"Das soll Véronique mit dieser Eiferin Moreland klären", dachte Perdy. Dann stellte er alle Vorrichtungen der Niederlassung so ein, dass sie während seiner Abwesenheit nur mit einem Drittel der üblichen Leistung arbeiteten. Auch wenn in der magischen Welt scheinbar unbegrenzte Energie verfügbar war galt doch, dass aufwendige Zauber, die dauerhaft wirkten, mit der Zeit nachließen und ohne ständige Auffrischung ganz verebbten. Wenn sie nur zu einem Bruchteil so stark wirkten, ja in eine Art Winterschlaf versetzt wurden konnten sie Jahrzehnte oder Jahrhunderte vorhalten.
Ab morgen würde es in der Nordamerikanischen Föderation sowieso interessant, wenn Morelands Gesetzesänderungen vollständig angewandt wurden.
Es war nicht einfach für die höchste Spinnenschwester, ihre Vertraute Portia Weaver zu treffen. Denn seitdem Buggles und seine Leute in dieses kleine Schloss in einem zu Fuß unerreichbarem Tal umgezogen waren galten dort noch strengere Anwesenheitsprüfungen, auch und vor allem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schlüsselbehörden wie Sicherheit, Handel und Finanzen oder Familien und Ausbildung. Außerdem hatten die Helfer des neuen Magus Primus Nordamerikas neben Zutrittsbeschränkungen auch Fernbeobachtungsabwehrzauber um das Schloss herum eingerichtet. Damit konnte Anthelia zu keiner Zeit eine Exosenso-Verbindung mit ihrer einzig dort tätigen Mitschwester aufnehmen, um durch deren Augen, Ohren, Nase und Hände mitzuerleben, was ihr begegnete oder widerfuhr. So nutzte Anthelia/Naaneavargia die wenigen Gelegenheiten, ihre in der Administration verbliebene Mitschwester ausgiebig zu befragen, Dabei nutzte sie auch ihre überragenden legilimentischen Fertigkeiten, um zu den gesprochenen Worten auch die dazu passenden Bilder zu erheischen. wie sie dort zurechtkam und was sie alles mitbekam.
Sie war sehr zufrieden, als Portia ihr erzählte, dass sie den ersten Administrator Lionel Buggles schon dreimal hatte aufsuchen dürfen, um ihm eigene Berichte über nordamerikanische Goldlagerstätten zu bringen. "Wie oft kannst du ihn denn besuchen, ohne aufzufallen?" fragte die oberste der Spinnenschwestern. Portia Weaver überlegte wohl. Dann sagte sie: "Es kommt darauf an, ob mich Picton damit betraut, weitere Ergebnisse meiner Recherchen zu den Goldvorkommen Nordamerikas an Buggles persönlich zu berichten oder er das selbst tun will. Die planen auf jeden Fall, von den Magielosen und Kobolden noch nicht entdeckte Gold- und Platinvorkommen selbst auszubeuten. Picton sprach in der letzten Abteilungskonferenz sogar davon, den Magielosen den Zugang zum Erdöl zu nehmen, um dieses selbst auszubeuten und denen dann als ausländisches Rohöl anzubieten, um nichtmagische Zahlungsmittel zu kriegen. Die will er dann in für uns wertvolle Güter wie Gold, Diamanten oder andere Edelsteine umtauschen. Auf jeden Fall soll das alles an den Kobolden vorbeilaufen. Ich darf dann ab und an was über die gefundenen Goldlagerstätten weitermelden und ob die den Kobolden schon bekannt waren oder noch von keinem erschlossen wurden."
"Der will allen Ernstes nach Petroleum graben, um es diesen Qualmmotoranbetern zu verkaufen?" stieß Anthelia/Naaneavargia aus. Portia erschauerte. Die höchste Schwester des Spinnenordens konnte nun sehen, dass ihre Mitschwester die Wahrheit sagte und ihr nicht was vorflunkerte. "Schon schlimm genug, dass diese magielosen Maschinenanbeter das alte Blut der großen Mutter rücksichtslos aus ihrem Leib saugen und die darin schlafenden Kräfte des Himmelsfeuers in ihren Antriebsmaschinen verheizen. Jetzt will dieser Picton damit auch noch Gold einheimsen. Öhm, da könnte er jedoch Ärger mit den Traditionalisten bekommen, die dieses Treiben ablehnen, von uns und den Schwestern um Beth McGuire ganz abgesehen."
"Deshalb läuft das ja auch unter der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe", erklärte Portia Weaver.
"Der weiß auch warum. Aber dem werden wir zu gegebener Zeit einen unbrechbaren Riegel vorschieben. Aber womöglich ergibt sich das von selbst, wenn wir wissen, wie wir die Marionette Buggles von ihren Spielern trennen oder diese da selbst ins Licht der Öffentlichkeit zerren, denn so ein Spielfaden hat zwei enden."
"Die werden sich das nicht gefallen lassen. Notfalls werfen sie Buggles ab wie einen Eidechsenschwanz", meinte Portia. "Tja, falls sie das können", erwiderte die höchste Schwester tiefgründig lächelnd. Dann befahl sie ihrer Mitschwester Portia, sich ganz genau auf das Arbeitszimmer von Buggles zu konzentrieren. "Ich will genau wissen, wie es dort aussieht und wo genau in dem Schloss es liegt", sagte sie. Dann wandte sie ihre legilimentischen Fertigkeiten mit voller Stärke an, dass sie für einige Sekunden meinte, selbst in einem runden Turmzimmer zu stehen. Sie sah den Teppich, die Wände, die genauen Abmessungen der Fenster. Dann bündelte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Möbel. Ja, da war ein breiter Schreibtisch aus Ebenholz mit goldenen Verzierungen an den Kanten. Die Platte wirkte poliert, ja fast so, dass sich jemand darin spiegeln konnte. Dann war da der Administrator, der in einem großen schwarzen Ohrensessel thronte. Hinter diesem gab es noch zwei zu einem hölzernen Hufeisen angeordnete Aktenschränke mit je drei zwei Meter hohen Türen. Die Schränke waren höchst wahrscheinlich mit besonderen Schlössern gesichert, für die allermeisten Feuerformen unangreifbar und wohl auch mit Schutzzaubern gegen Sprengzaubern ausgestattet. Ja, wenn sie so auf einen der Schränke sah fiel ihr auf, dass dort die entsprechenden Zauberzeichen aus der hermetischen Magie eingeritzt waren. So prüfte sie auch den Schreibtisch und konnte in den goldenen Verzierungen Zeichen für Sauberkeit, unbefleckbarkeit und offenbar auch eine Form von Aufräumzauber erkennen. Alles in allem war dieser Tisch der Traum eines Ordnungsfanatikers erster Kategorie. Doch das war sicher nicht der wahre Grund für die Bezauberung. Da Portia nie hinter den Schreibtisch gelangt war konnte Anthelia/Naaneavargia ihn auch nur von vorne ansehen. Doch sie ging davon aus, dass er mindestens zwei verschließbare Schubladen enthielt. Bei dem Rang, den er sich ergattert hatte waren diese sicher ebenfalls hochgesichert und womöglich gegen magische Gewaltformen gepanzert. Darin konnte durchaus der wertvollste Schatz und/oder die geheimste aller Akten verstaut sein. Dennoch wollte die höchste Schwester nicht ausschließen, dass in diesem Turmzimmer auch ein hochwertiger magischer Tresor mit Ferrifortissimus-Bezauberung, vielen ineinandergreifenden Riegeln und Abwehrzauber gegen jede form von Öffnungszauberei und auch angeborener Telekinese versteckt sein mochte, vielleicht sogar mit einem rauminhaltsvergrößerten Fassungsvermögen, wie es sie in vielen Zaubereiministerien gab und wo selbst sie schwer bis gar nicht herankam, ohne magische Gewaltmittel anzuwenden.
Schnell aber für Portia behutsam genug zog sie sich aus den Erinnerungen ihrer Mitschwester zurück. Dann dankte sie Portia für die neuen Erkenntnisse. Da ritt sie ein feuerroter Frechheitswichtel, sie zu fragen, ab wann sie denn nach einem Nachwuchserzeuger suchen würde, wo doch ab morgen eine Extraabgabe für Ledige und Kinderlose gelte.
"Das hat Beth mich auch schon gefragt", maulte Portia Weaver. "Ich werde nicht nach einem Besamer suchen und werde auch nicht auf eine dieser neuen Kennenlernpartys gehen, nachdem diese Moreland das alles wieder zugelassen hat", fügte sie hinzu. "Tja, dann musst du für jedes ungeboren bleibende Kind in deinem Leib einhundert Goldmünzen oder entsprechende grüne Tauschwertscheinchen hergeben, richtig?" fragte Anthelia.
"Möchtest du mich verhöhnen, höchste Schwester? Ich bitte dich, dies zu unterlassen, weil meine Lage schon ernst genug ist. Ich bin wie alle Hexen in Buggles' neuer Administration auf unausgesprochener Bewährung. Ich darf nicht auffallen. Im Moment will ich mir niemanden suchen. Doch ich fürchte, Moreland oder Buggles könnten es mir eines Tages befehlen, mich von einem anderen Zauberer besamen zu lassen. Dann könnte es sehr ärgerlich werden. Noch wissen die nicht, dass es Ableitsteine gibt, die diese Anerkenntnisurkunde überlagern", erwiderte Portia.
"Mit deiner Hilfe hoffe ich, dir und allen anderen ihren eigenen Körper ehrenden Hexen dieses unrühmliche Schicksal ersparen zu können", versprach Anthelia/Naaneavargia. Dann erlaubte sie ihrer Mitschwester, wieder nach Hause zu apparieren.
Als Portia fort war lagerte Anthelia das von ihr erhaschte Wissen über Buggles' Arbeitszimmer in Sardonias Denkarium ein. Sie war sich völlig sicher, dass sie eines nicht all zu fernen Tages genau dort auftauchen musste, um diesem Handlanger das Handwerk zu legen und bei der Gelegenheit herauszufinden, wie genau ihn Vita Magica an sich gebunden hatte. Sie hatte da mehrere Vermutungen, wie das abgelaufen sein konnte. Catena-Sanguinis war eine davon, jedoch wegen bereits einmal erwiesener Verwendung unwahrscheinlich und für die Anwenderin auch zu gefährlich. Doch es gab noch genug Zauber, mit denen hemmungslos ihre Macht nutzende Hexen und Zauberer Einfluss auf einen Menschen gewinnen und größtenteils unabwerfbar verankern konnten. Sie selbst hatte ja schon einige dieser Möglichkeiten gebraucht.
"Warten wir es ab, wie die von deinen Hinterleuten erpressten Neuerungen wirken, Lionel Buggles", dachte die höchste Spinnenschwester. Dann zog sie sich in das hauseigene Musikzimmer zurück, wo sie zur Entspannung ein paar altfranzösische Balladen und Volksweisen nachspielte.
NEUES FÜR FAMILIEN
Ab Mitternacht gilt nun das, was die Leiterin der Abteilung für magische Familien und Ausbildungsförderung, Shana Moreland, seit mehreren Tagen angekündigt hat. Wer sich für ein Leben ohne eigene Kinder entschieden hat muss ab heute für 100 Galleonen pro Monat 40 Galleonen bezahlen, statt wie bisher 25. Verheiratete Hexen und Zauberer zahlen bei Lohnarbeit 10 von 100, nachweislich mit eigenen Kindern lebende nur noch 5 Galleonen von 100 verdienten pro Monat. Ledige Mütter, die nicht mit der Unterstützung der Kindesväter rechnen dürfen, erhalten bei Nachweis der Lohnverhältnisse der letzten 24 Monate pro Jahr ein Zehntel des Durchschnittslohnes von der Administration gutgeschrieben. Dies, so eine Sprecherin der Wahrung familiärer Werte, sei jedoch eine klare Aufforderung an unverheiratete Hexen, sich möglichst viele eigene Kinder zuzulegen, ohne die moralisch vorgegebene Lebensgemeinschaft mit einem ordentlichen Ehepartner zu suchen. Darauf konterte die Leiterin der Familienstandsabteilung mit den Worten: "Die Zeiten, wo Hexen nur in Abhängigkeit von Zauberern Kinder haben dürfen sind um. Wenn eine Hexe eigenen Nachwuchs haben will und der damit verbundene Zeugungspartner kein Interesse an einer Ehe oder gar die gemeinsame Aufzucht des Kindes oder der Kinder zeigt, darf eine Mutter nicht dem Hungertod ausgeliefert werden oder gar befinden, dann lieber überhaupt kein Kind bekommen zu wollen und statt dessen lieber die 40 Galleonen pro 100 Galleonen Monatslohn oder Gehalt zu entrichten. "Es geht nicht immer nur um Gold oder Silber", so Shana Moreland. "Es muss auch erlaubt sein, dass magische Menschen sich für eigenen Nachwuchs entscheiden dürfen, nachdem einigen von Ihnen in den Letzten Jahren diese Entscheidung verweigert wurde und sie den Versuchen übereifriger Nachwuchsförderer unterzogen wurden, ohne darum gebeten zu haben. Insofern kommt die Familienfürsorgeabteilung nur den immer und immer wieder vorgebrachten Beschwerden nach, die eine Entschädigung der unfreiwillig Mutter gewordenen Hexen verlangen. Da ja der Zwölferrat der magischen Richter der USA den zwischen Ex-Minister Dime und der Gruppierung Vita Magica geschlossenen Vertrag für unlauter und rechtswidrig befunden hatte sei die darin festgelegte Entschädigungssumme ja hinfällig geworden, so Moreland. Die Nordamerikanische Magieadministration habe nach Prüfung der Finanzlage beschlossen, einen Gutteil der Entschädigung zu zahlen. Das dafür nötige Gold soll nicht nur über die Lohnabgaben, sondern auch über staatliche, von den Bürgern zu zahlende Dienstleistungen erwirtschaftet werden. Außerdem, so Cyrus Picton von der Abteilung für magischen Handel und Finanzen, werde durch den Zusammenschluss Mexikos, der USA und Kanadas ein einheitliches Goldförderungsabkommen umgesetzt, bei dem die auf dem Hoheitsgebiet der Föderation erschlossenen oder noch zu erschließenden Goldfelder effizienter ausgebeutet werden können. Außerdem, so Picton, sei nach den Unzuverlässigkeiten der Kobolde von Gringotts das diesen aus europäischstämmigen Gesetzen zuerkannte Goldwertbestimmungsrecht zu entziehen, womit auch das von den Kobolden beanspruchte Recht abgeleitet wurde, an jedem geförderten Gold beteiligt zu werden.
Auch wenn die neuen Abgaben gemäß der oben erwähnten Tabelle erst einmal schmerzhaft seien, so Picton und Moreland einhellig, so sei diese Gesetzesneuerung für die gesamte Nordamerikanische Zaubererweltföderation ein Gewinn für alle, die mehr als nur Tauschwerteinheiten zum Leben erwarteten. "Den Familien unserer Föderation wird nun die seit Jahren vollmundige Wertschätzung zu Teil. Wer sich jetzt darüber beschwert sollte sich darüber klar werden, dass er oder sie durch die Ablehnung eigenen Nachwuchses den Freiraum hatte, den Familiengründer nicht haben, sich jederzeit an jedem Ort eine neue Arbeit suchen zu können, ohne auf die Unterbringung von Kindern achten zu müssen. Es bestehe immer noch die Entscheidungsfreiheit, mit oder ohne eigenen Nachwuchs das Leben zu bestreiten", so sagte Mrs. Moreland kurz vor Redaktionsschluss unserem Gesellschaftsreporter. Ray Catlock, der Administrator für magisches Recht und Ordnung, fügte dem noch hinzu: "Wer versucht, sich den geltenden Regeln zu entziehen, ja gar versucht, mit den Kobolden irgendwas auszuhandeln, dass er oder sie weniger verdient als wahrhaftig, um die erhöhten Abgaben zu vermeiden ist ein Dieb am allgemeinen Reichtum der Gesellschaft. Er oder sie schwächt uns und wird deshalb entsprechend der neuen Gesetze zur Aufrechterhaltung der magischen Ordnung angeklagt und verurteilt. Wenn er oder sie Glück hat, wird nur eine spürbare Nachzahlung mit Verzugszinsen fällig. Wenn die Abgabenhinterziehung mehr als tausend Galleonen pro Monat betragen kann er oder sie den neuen Strafvollzugsgesetzen überordnet werden. Sie sind hiermit gewarnt."
Natürlich gilt bei einer derart umfangreichen und einschneidenden Abgabenverordnung, dass jene, die diese Abgaben erhalten, noch sorgfältiger und kostenbewusster handeln. Somit steigt die Verantwortung für die Planung und Ausführung von Vorhaben, die von der Administration bezahlt werden. Um weitere Kosten für die Familienförderung zu bewältigen werden die Einfuhrzölle für ausländische Zaubereierzeugnisse auf 30 statt 20 Prozent angehoben. Sollte es nötig sein, so Cyrus Picton, könne auch eine nach Bedarf und Lebensnotwendigkeit gestaffelte Festlegung von Einfuhrzöllen verordnet werden. Dafür werde jedoch über die in den USA seit 1790 geltende Beschränkung, Güter erst zwanzig Jahre nach ihrer erstmaligen Herstellung frei im Ausland zu verkaufen, nachgedacht. Näheres hierzu wohl demnächst.
RDWM
Sie hatten die vielen Magielosen in dem Glauben gelassen, dass eine noch junge Frau mit dem Sohn ihres Bruders oder ihrer Schwester ins Kino ging. Er hingegen hatte wieder erkennen müssen, wie verwöhnt er eigentlich war, dass er unter Seinesgleichen wieder für vollwertig erwachsen angesehen wurde, während die ganz weite Welt ihn als gerade mal dreizehn Jahre alten Knaben sah, der sich freuen durfte, dass seine Tante mit ihm in den neuesten Film der Star-Wars-Saga ging. Erst als die Saalbeleuchtung im 1000 Plätze fassenden Kinosaal Nummer eins erlosch konnte Perdy die vielen Blicke der natürlichen Halbwüchsigen und ihrer erwachsenen Begleiter ausblenden. Wie in modernen Lichtspielhäusern üblich wurde vor dem eigentlichen Film erst eine Unzahl Werbefilme gezeigt, zu denen auch Ausschnitte von Filmen gehörten, die der hier gerade versammelten Zielgruppe gefallen mochten, darunter eine Neuverfilmung der Spiderman-Geschichten oder die Neuverfilmung von H. G. Wells' Geschichte vom Krieg der Welten, die entsprechend des Produktionsjahres nicht im spätviktorianischen England, sondern dem New York des noch jungen Jahrtausends angesiedelt wurde. Das empfand Perdy als gewissen Stilbruch, weil die Originalgeschichte ja eine Botschaft vermittelt hatte, nämlich wie es sich für eroberungsgewohnte Imperialisten anfühlte, wenn sie mal die Kultur waren, die von einer weit überlegenen Macht niedergekämpft und unterworfen wurde. Dann ging der eigentliche Film los. Jetzt genoss er es, dass er und seine Begleitung Plätze in der Saalmitte bekommen hatten. Die neue Klangtechnik war schon beachtenswert dafür, dass hier keine Magie benutzt werden konnte, dachte Perdy.
Eartha, die sich durch dezente Teilverwandlungen an Gesicht und Augen in seine etwas ältere Tante verwandelt hatte, schien dieses sogenannte Weltraummärchen auch zu genießen, und sie fragte auch nicht das Zeug, was völlig unwissende Zuschauer wissen wollten. Nun wussten sie endlich alle, die sie hier und sicher auch in hundert anderen Kinos dieser Welt diesen Film sahen, wie ein hoffnungsvoller Held zum wichtigsten Diener eines Machtsüchtigen Herrschers werden konnte und warum dieser Diener dazu verurteilt war, mit einer dunklen Atemschutzmaske vor dem Gesicht und einem ebensodunklen Helm auf dem Kopf herumlaufen zu müssen. Im Grunde war Darth Vader nichs anderes als ein kybernetischer Organismus, ein halbkünstlicher Mensch. Dennoch konnte er die allgegenwärtige Macht gebrauchen, die nur die dafür empfänglichen und trainierten anwenden konnten.
Einen Moment lang erschauerte auch Perdy, nämlich als der Sithmeister, der die Herrschaft über die Galaxis anstrebte, vor dem ehemaligen Senat der Sternenrepublik das neue galaktische Imperium ausrief um gegen alle Feinde bestehen zu können. Als alle klatschten hörten die Zuschauer die Stimme von Anakins Gefährtin: "So geht die Freiheit dahin, mit donnerndem Applaus." Perdy wurde klar, dass sie in Nordamerika nichts anderes angestellt hatten und jetzt ein Einzelherrscher über Nordamerika regierte, der durchaus mit dem machtsüchtigen Imperator aus dem Film verglichen werden konnte, wäre da nicht, dass der die Marionette war und nicht der Meister.
Eartha, die er während dieser Reise Tante Eartha nennen sollte, meinte nur zum Schluss: "Das fehlte noch, dass so eine Automatenfrau meine Babys auf die Welt holt. Kein Wunder, dass diese Patme bei der Zwillingsgeburt gestorben ist."
"Sie ist deshalb gestorben, weil der Kummer wegen ihres Geliebten Anakin zu groß wurde", legte Perdy die betreffende Szene aus, während der Abspann mit den Namen der Beteiligten zum Klang der zu einem Medley Zusammengefassten Filmmusik über die Leinwand ging.
"Jetzt interessiert es mich doch auch, wie diese Geschichte weiterging. Du hast erwähnt, dass das hier die nachgereichte Vorgeschichte einer Handlung war, die vor mehr als zwanzig Jahren in den Kinohäusern gezeigt wurde. Hast du diese Fortsetzungen auch in deiner Spielfilmsammlung?" wollte Eartha wissen.
"Aber sowas von, Tante Eartha. Wenn wir wieder zu Hause sind kann ich dir die Folgen 4 bis 6 gerne zeigen, die damals als die ersten drei Filme rausgekommen sind", sagte Perdy leise, während rings um sie herum die ersten Zuschauerinnen und Zuschauer den Saal verließen. "Gut, dann möchte ich, sofern ich in den nächsten Tagen die Zeit dazu habe, die Geschichte ansehen, wie es mit Leia und Luke und diesem Darth Vader weitergeht. Bin mal gespannt, ob Leia und Luke erfahren, dass ihr Vater ein dunkler Paladin des Galaxisimperators ist."
"Hast du denn noch viel zu erledigen in den Staaten, Tante Eartha?" fragte Perdy. Denn dass seine angebliche Tante US-Amerikanerin war konnte sie nicht verheimlichen, während er immer noch locker als britischer Junge durchging.
"Du weißt ja, was demnächst bei uns ansteht", sagte Eartha. Dann mentiloquierte sie: "Ja, und ich hoffe, unsere Leute übertreiben es mit den Kobolden nicht." Perdy sagte darauf nichts.
Die letzten Takte der Schlussmusik verhallten. Sie waren allein im großen Kinosaal. "Ich denke, jetzt sollten wir auch gehen, bevor die Putzleute das verschüttete Popcorn aufsaugen und die Sitze von den fahrlässig verursachten Getränkeflecken reinigen", sagte Eartha. "Musst du gleich noch mal aufs Klo?"
"Neh, ich halt's noch durch bis ins Quartier", sagte Perdy. "Gut, dann halt ich das auch noch durch. Abgesehen davon möchte ich trotz der späten Stunde noch was essen. Du hast dich ja mit Eiskonfekt und Nachos über Wasser gehalten."
"Yep, das gehört zum Kino dazu", sagte Perdy. "Habe ich nicht mehr in Erinnerung gehabt", sagte Eartha, die Tantenrolle durchhaltend.
"Also hat dich dieses Herumschießen mit sonnenheißen Lichtstrahlen und das Fuchteln mit diesen brummenden roten, blauen und grünen Lichtklingen auf den Einfall mit den Mondblitzern gebracht?" mentiloquierte Eartha ihrem jugendlich wirkenden Begleiter.
"Ja, das und die uralten Andeutungen, dass die im versunkenen Reich schon sowas wie Strahlenwaffen hatten, die gespeichertes Sonnen- oder Mondlicht bündeln können", schickte Perdy zurück. Dann musste er sich konzentrieren, nicht im Gewühl der vielen Leute verloren zu gehen, die aus den anderen Kinos kamen und sich noch über die gesehenen Filme unterhielten oder zusahen, die nächsten Busse, Taxis oder U-Bahnzüge zu erreichen, um nach Hause oder in ihre Herbergen zu gelangen. Um den Schein einfacher nichtmagischer Touristen zu wahren suchten sich die zwei auch ein schwarzes Taxi, um damit zu einem Haus mit Übernachtung - und Frühstücksangebot zu fahren. Von dort aus würden sie auf einem mitgebrachten Harvey-7-Besen abfliegen, um weit genug von möglichen Beobachtern den besonderen Portschlüssel zu nutzen, der sie in die kugelförmige Unterwasserbehausung zurückbrachte, die Perdy als seine neue Lieblingsniederlassung erwählt hatte.
Den ganzen Tag hatten die Greendales damit gerechnet, dass jemand aus der Zaubereiadministration offen bei ihnen landen und die Einhaltung der schriftlichen Forderungen verlangen würde. Doch keiner aus Buggles' neuer Führungsmannschaft hatte sich hier blicken lassen. Jedenfalls hatte Anaximanders und Adelaides Enkeltochter Godiva das ihr gestellte Ultimatum verstreichen lassen. Also galt nach den neuen Gesetzen auch ihre Familie als straffällig, wie es zu Grindelwalds Zeiten üblich war.
"Alle aktiven und passiven Abwehrzauber in Stellung bringen!" befahl Anaximander seinem obersten Schutzbeauftragten, dem kraftstrotzenden Hauselfen Buddy. Dieser nickte. "Bring meine Frau und mich in den Befehlsraum!" ordnete er dann noch an. Buddy ergriff die rechte Hand seines Herren und die linke Hand seiner Herrin und disapparierte.
Kaum waren sie in einem würfelförmigen Raum von fünf mal fünf mal fünf Metern Größe angekommen schienen sich die Wände aufzulösen, und die Dunkelheit der angebrochenen Nacht wich einer mittelblauen Halbdämmerung. Da wo vorher die Decke war erschien nun der Himmel mit Sternen, die so hell leuchteten wie der stärkste Lumos-Zauber. Buddy grummelte: "Soll ich noch bei euch Bleiben, Meister Anaximander?"
"Nein, du gehst auf deinen Posten, um die anderen Schutzelfen zu koordinieren. Du hast ja die Kommandobrosche angesteckt", sagte Anaximander. Der muskulöse Hauself tippte sich zur Bestätigung an den silbernen Anstecker an seinem geschirrtuchartigen Ganzkörper-Kleidungsstück. Dann verschwand er mit scharfem Knall.
"Gut, Gradnetzansicht und Tarnmelder in Kraft setzen!" befahl der Hausherr. Daraufhin durchzogen silberne Längs- und Querlinien den scheinbar freien Raum um ihn und seine Frau herun. Anaximander blickte auf den dreibeinigen Tisch mit kreisrunder Marmorplatte. Auf diesem waren in Hufeisenanordnung mehrere Gerätschaften aufgebaut.
"Glaubst du, sie werden uns in der Nacht heimsuchen wie Strauchdiebe?" wollte Adelaide wissen. "Das sind Strauchdiebe, Liebling", knurrte Anaximander verächtlich. Wenn die jetzt wieder damit anfangen wollte, dass er doch mit denen verhandeln sollte würde er sie gleich wieder ins Schlafzimmer hochbringen lassen. Das, sowie der Speisesaal und dieser Kellerraum hier waren die gegen alle bekannten Angriffszauber und das unerlaubte Apparieren von Leuten gepanzerten Schutzbereiche.
"Ah, fünf Harveys über uns", sagte Adelaide, die gerade nach oben blickte. Doch ihr Mann sah nichts entsprechendes. Offenbar waren die tarnfähigen Besen noch nicht in den Erfassungsbereich für den Meldezauber für getarnte Annäherungen eingedrungen. Doch er glaubte seiner Frau. Alles was nicht weiter als einen Kilometer entfernt war war für sie sichtbar, ob mit oder ohne entsprechende Bezauberung. Das wiederum hieß, dass die Beobachter unter einem Kilometer entfernt sein mussten aber noch weiter als zweihundert Meter über dem Haus flogen.
"Das ist das Aufklärungskommando. Kannst du erkennen, wer uns da überfliegt, meine scharfäugige Schönheit?"
"Komm, hör bitte mit dem Süßholzgeraspel auf, Nax, die Lage ist ernst. Ich erkenne noch keinen von denen, weil die noch zu hoch fliegen, um den Unsichtbarkeitszauber der Besen vollständig zu durchdringen. Die sind für mich wie Nebelgestalten, die aber für Nebel zu schnell unterwegs sind. Ah, jetzt ist einer nahe genug. Ui, Don Brightgate. Dessen Nichten sind im LI tätig, und er ist Major der Inobskuratorentruppe."
"Ah, die Elitekämpfer beehren uns", knurrte Anaximander. Er wusste natürlich, dass zehn Inobskuratoren dem Administrator treu ergeben waren, aber 134 weitere Fachkundige für die Verfolgung und Bekämpfung dunkler Zauberkundiger mit Atalanta Bullhorn nach Viento del Sol abgewandert waren, wo Buggles' Leute nicht hinkamen. Dass Donovan Brightgate noch unter seinen Getreuen war sollte ihm jedoch zu denken geben.
"Ah, Versuch, an uns heranzuapparieren", sagte Anaximander Greendale, als ein weckerartiges Gerät auf dem Tisch wikurz klingelte und der einzelne Zeiger hellrot aufleuchtete und für eine Sekunde auf einen von 120 Teilstrichen auf dem silbernen Zifferblatt deutete. Dabei fiel Adelaide was ein, was sie schnell anbringen musste: "Was, wenn die mit ihnen treuen Hauselfen einzudringen versuchen?"
"Wird's beim Versuch bleiben", sagte Anaximander unbeeindruckt vom Unbehagen seiner Frau.
Dann passierte genau das. Der Weckerartige Apparat erstrahlte laut schrillend im silbernen Licht. Der einzelne Zeiger kreiselte wild über das Zifferblatt. Dann beruhigte sich das Gerät wieder. Adelaide blickte sich um und nickte. "Vier elfen, zwei im Schlafzimmer, einer im Esssaal und einer in der Bibliothek. Alle betäubt. Wie hast du das hinbekommen?"
"Mit demselben Trick, mit dem Buggles seine Hauselfenabwehr bestückt hat, Schlafgas der Stufe drei. Wer durch alle Abwehrzauber durchkommt und nicht den Abendtrunk genossen hat, den Twinky unns und allen Hauselfen serviert hat, der fällt keine Sekunde nach dem Apparieren ohnmächtig um. Öhm, bei Hauselfen könnte das sogar tödlich sein haben die mir gesagt, die das Schlafgasgemisch hergestellt haben."
"Ja, aber der LI-Elf hatte eine Kopfblasenvorrichtung dabei", sagte Adelaide. "Eben, nur für die Leute vom LI. Wenn Buggles' Leute oder gar VM die schon hätten würden die locker ganze Anwesen im Sturm nehmen und wichtige Leute per Hauselfen entführen lassen", sagte Anaximander. Dann schrillte der Wecker wieder los. Diesmal dauerte sein warnendes Geläute zehn volle Sekunden an, und der rote Zeiger wirbelte als rot flirrender Schemen über das Zifferblatt. "Ui, die zweite Welle war auf Gasangriff eingerichtet", knurrte Anaximander. Seine Frau sah sich wieder um. Dann nickte sie. "Jetzt weiß ich, warum du Japetus fünf seiner Elfen abgeschwatzt hast, bevor der mit seiner Familie nach Misty Mountain abgewandert ist", sagte Adelaide. Ihr Mann grinste. "Yep! Was sollte der mit vier Kampftrainierten, wo der in Mismou vor allen Feinden sicher ist. Aber die Eindringlinge erst nach zehn Sekunden erledigen dauert ein wenig lange. In der Zeit könnte ein feindlicher Hauself ein ganzes Haus in die Luft sprengen."
"Beschrei es nicht, Nax", erwiderte Adelaide. Sie dachte daran, dass immerhin kein uneingeweihter Hauself zu ihnen vordringen konnte, weil der Befehlsraum mit dem Fidelius-Zauber geschützt wurde und ihr Mann der Geheimniswahrer war.
Die nächste Welle gegen Schlafgas abgesicherter Hauselfen wurde nach nur vier Sekunden kampfunfähig gemacht. Denn nun feuerten die Sicherheitselfen bei Sichtung von Feinden Betäubungsbolzen ab, statt mit Streitäxten dreinzuschlagen. Offenbar hatte Buddy, der Sicherheitschef der Hauselfengarde, seine Untergeordneten besser im Haus verteilt. "Solange die nicht mitkriegen, dass wir nicht in einem der Wohn- und Arbeitsräume sind werden die Trottel alle ihre eigenen Kampfelfen verheizen", grummelte Anaximander Greendale.
Nach fünf weiteren Eindringlingswarnungen blieb die darauf abgestimmte Vorrichtung stumm und dunkel. Statt dessen warfen die unsichtbaren Besenflieger geflügelte Flaschen ab, die nach Verlassen der Unsichtbarkeitssphäre zu hellblauen Behältern wurden und zielgenau auf das Herrenhaus zusteuerten. "Was gibt das denn jetzt?" knurrte Anaximander, als er die etwa einen halben Meter großen, bauchigen Flaschen mit vier schwirrenden Flügeln sehen konnte. Dann explodierten diese in grünen Feuerbällen. "Tja, netter Versuch!" bemerkte er dazu.
"Das waren sicher Schlafdunstflaschen oder Gefrierdampfbehälter", sagte Adelaide. "Ja, oder Erumpenthornflüssigkeit oder Brenngebräu oder Drachengallengas", legte ihr Mann nach. "Offenbar hat sich deren Einsatzbefehl gerade geändert, und wir sollen nicht mehr gefangen, sondern getötet werden. Tja, ich hab's dir gesagt, mein Mädchen, dass die mit uns Krieg haben wollen."
"Es ist sehr schade, dass wir diesen Protectio-Nativorum-Zauber nicht ausführen können, den sie in VDS und Mismou benutzen", seufzte Adelaide. "Ja, weil diese überhebliche Brut aus VDS und die selbstherrliche Bande aus Misty Mountain sowas als ihr eigenes Betriebsgeheimnis unter Verschluss hält. Aber diesen Zauber brauchen wir nicht, Liebling. Unsere Abwehr ist auch so sehr durchschlagend."
"Ja, ist sie wohl", seufzte Adelaide. Denn sie kannte die tückischen Abwehrzauber, die nicht einfach abwiesen oder lähmten, sondern je nach Grad der Feindseligkeit leichte Verletzungen bis vollständige Vernichtung der Feinde bewirken konnten.
Denen sind ihre lenkbaren Bomben ausgegangen", spöttelte Anaximander, als keine neuen Behälter abgeworfen wurden. Dafür flogen nun weitere schnelle Besen, diesmal Bronco Millennium und Tornadofänger an. Geräte, die auf Such- und Erkundungszauber ansprachen tickten und klickten. Dann sahen die beiden Eheleute, wie die Besen abrupt gebremst wurden und landeten. "Tja, zwölf Abwehrzauber auf einmal. Die knackt ihr nicht weg!" kommentierte der Herr von Greendale Cottage. Dann landete auch Donovan Brightgate, der bisher auf einem der fünf unsichtbaren Besen geflogen war. Mit einem Befehl an die hier verbauten Darstellungszauber sah es so aus, als flöge er innerhalb einer Sekunde aus mehr als einem Kilometer auf zehn Meter heran. Beide konnten sehen, dass er wem was zuflüsterte. Der war dabei so unvorsichtig, nicht die Hand vor den Mund zu halten. So konnte Adelaide von seinen Lippen ablesen, dass er und die beiden herbeigewunkenen die Feuerwalze von Lahore ausführen wollten, offenbar einen Breitband-Fluchzerstreuer. Dann sahen sie, wie die drei Angreifer mit genau abgestimmten Bewegungen ihrer Zauberstäbe eine violette Feuerwalze beschworen, die dann mit großer Eile auf das Anwesen zuraste und dabei blaue und silberne Entladungsblitze erzeugte. Ein vielstimmiges Quäken vom Tisch her vermeldete, dass mehrere der aufgebauten Abwehrzauber vollständig erloschen waren. "Hat ihm eine seiner Nichten aus dem LI doch diesen Zauber beigebracht", knurrte Adelaide. Anaximander indes wirkte nicht mehr so überlegen wie gerade eben noch. "Donnervogelscheiße! Die haben mit dieser Lila Flammenrolle neun der zwölf Zauber auf einen Schlag niedergebügelt. Das darf es doch nicht geben."
"Tut es aber, Nax", seufzte seine Frau. Während dessen rollte die violette Feuerwalze bis auf das Grundstück und barst in wilden Fontänen an der Mauer des Herrenhauses. "Tja, da kommt kein Zauberfeuer durch, ihr Sabberhexensöhne", fauchte Anaximander. "Ja, und die drei gemeinsten Zauber hat euer Feuerspuk auch nicht ausgeblasen. Wohl bekommt's!"
"Die Flammen von Lahore brennen alle Flüche aus, die gemäß ihrer Wirkung entsprechende Leuchterscheinungen bilden", sagte Adelaide. "Eben, alle Flüche, aber nicht alle Elementarkraftzauber, wie den des beschleunigenden Feuers oder den der gefräßigen Erde, vom übersteigerten Atemluftauffrischer ganz zu schweigen. Oh, wird sicher lustig, wenn der Feuerbeschleuniger und der Atemluftverstärker zusammenwirken. Habe ich mir bisher nicht genau ansehen können, was dann passiert."
"Dann sieh hin und merke es dir!" schnarrte seine Frau. Denn gerade versuchte jemand auf einem Bronco Tornadofänger in zehn Metern Höhe auf das Haus zuzufliegen. Er kam gerade bis auf hundert Meter heran. Dann glühte sein Körper auf, und bevor er sich noch zurückziehen konnte schossen blaue Flammen wie beim berüchtigten Schmelzfeuerfluch aus seinem Körper. Der Besen geriet ebenfalls in Brand und loderte wie eine übergroße Fackel. Trotz des Notbremsmanövers, dass den Tornadofänger innerhalb einer Sekunde von über 400 auf 0 Stundenkilometer herunterbremste, war er doch schon zu tief in den Wirkungsbereich der verbliebenen Abwehrzauber eingedrungen. Besen und Besenreiter vergingen in den blauen Flammen wie trockener Zunderschwamm.
"Ui, so wirken die zwei Zauber also zusammen", raunte Anaximander.
Die nun zwanzig Belagerer zogen sich einige hundert Meter weit zurück. Sie versuchten noch einmal mit der violetten Flammenwalze aus verschiedenen Richtungen alles wegzubrennen, was ihnen gefährlich werden konnte. Doch dann starteten sie wieder geflügelte Flaschen, die auf das Haus zuflogen. Diese kamen tatsächlich näher als hundert Meter, weil die äußeren Abwehrzauber gegen tödliche Gefahrstoffe nicht mehr da waren. Doch dafür bekamen die Behälter nun Sprengbolzen aus den von außen unsichtbaren Schießscharten des haupthauses ab. Die Behälter zerplatzten mit dumpfen Knällen in weißblauen oder hellroten Feuerbällen. Also hatte Buddy die Anweisung, alles unerwünschte, was näher als hundert Meter kam zu bekämpfen entsprechend ausgelegt, dass auch bezauberte Gegenstände zu vernichten waren, dachte Adelaide. So entspann sich über die nächsten zwei Minuten eine Materialschlacht, bei der die Verteidiger fünfzig geflügelte Flaschen von oben oder aus verschiedenen Richtungen zerstörten. "Buddy, die wollen uns nicht fangen und euch auch nicht. Erlaubnis zum Einsatz tödlicher Waffen erteilt!" rief Anaximander. Wenn die mit Bomben kamen, konnte er denen auch Gift- und Sprengpfeile entgegenschicken lassen.
"Tja, wenn ihr es euch nicht mit den Kobolden verscherzt hättet könntet ihr ja probieren, wen unter der Erde entlangzuschicken", feixte Anaximander. Seine Frau blickte deshalb sofort auf den Boden. Dann meinte sie: "Öhm, ach deshalb liegen da unten diese vielen spitz zulaufenden Eisenbolzen aus." Er grinste sie an und nickte.
Jetzt tauchten Besen mit darauf sitzenden Zauberern auf, die in den ganzen Körper überdeckenden, gummiartigen Anzügen steckten und glasartige Kugelhelme auf den Köpfen trugen. "Ah, kriege ich heute noch ein paar kostenlose Duotectus-Anzüge von euch spendiert", grinste Anaximander. Seine frau wollte wissen, was damit gemeint war. Er erwähnte die Erfindung aus Frankreich, die auf zwei lebensfeindliche Einflüsse zugleich eingerichtet werden konnte, um den Träger zu schützen, auf jeden Fall immer eine atembare Frischluftversorgung bot. "Drachenmist, gegen einen Kopfblasenzauber nützt der Atemluftverstärker nicht. Der prallt davon ab, weil die Kopfblase eine höhere Raumfokussierung hat. Aber gegen den Feuerverstärker nützt das Ding auch nichs, Leute und ... Drachendreck!!" Gerade sahen sie beide, wie um die neuen Angreifer blaue Lichtblasen entstanden, die bei der Annäherung mauvefarben aufglühten und dann wieder ins mittlere Blau wechselten. "Die sind durch den Feuerverstärker durch", schnaubte der Herr von Greendale Cottage. Dann sah er, wie die neuen Angreifer mit Armbrustbolzen beharkt wurden. Allerdings prallten die alle von ihnen ab oder vergingen in den blauen Leuchtblasen in kurzen grünen Flammenstößen. Erst als ein weißblau lodernder Bolzen gezielt in einen der Besenschweife einschlug und der daran hängende Flugbesen sofort wie eine Pechfackel aufloderte brach der neue Ansturm zusammen. Denn zwei weitere Besen gingen in Flammen auf. Deren Reiter mussten abspringen und nutzten ihre Schutzzauber als Aufprallkissen. "Was sind das für blaue Blasen. Das ist doch nicht der Amniosphaera-Zauber, oder?" fragte Anaximander, als er sah, wie die ihrer Besen beraubten Angreifer zu Fuß auf das Haus zustürmten, bis sie keine fünfzig Meter entfernt wie in plötzlich entstandenen Schächten verschwanden, um keine zwei Sekunden später wie blaue Riesenquods in die Luft zurückgeschleudert zu werden.
"Diese blauen Schutzblasen werden von Gürteln mit silbernen Anhängseln erzeugt", sagte Adelaide. "Diese Vorrichtung ist mir auch völlig fremd."
"Ja, aber die wechselwirken mit dem Zauber der gefräßigen Erde", sagte Anaximander, der mit einer Mischung aus Unbehagen und Belustigung beobachtete, wie die Angreifer immer wieder im Boden versanken und dann wieder ausgespieen wurden. Dann disapparierten die Angreifer einfach. Das ging, weil der Locorefusus-Zauber um das Haus nur das Eindringen abwies, aber nicht die Flucht aus seinem Wirkungsbereich unterband.
"Wenn sie uns töten wollen könnten sie es mit der gleichen Vorrichtung versuchen, die das alte Zaubereiministeriumsgebäude zerstört hat", sagte Adelaide. Anaximander verzog das Gesicht. Diese Explosion und die tödlichen Rückstände waren Wochen lang in allen Fachkreisen der Zaubererwelt diskutiert worden. Sandhearst hatte wohl versucht, eine Niederlassung von Vita Magica zu vernichten, doch der mit der Ladung verbundene Portschlüssel war abgewiesen worden und hatte die Vernichtungsladung zielsicher zum Startpunkt zurückgebracht. Seitdem galt eigentlich die Übereinkunft, sowas nie wieder zu wagen, auch wenn damit ein noch so übermächtiger Feind bekämpft werden mochte.
"Addy, falls die sowas ansetzen machen wir uns blitzartig davon. Lass alle Bücher in den transportablen Tresor packen und auf die Insel hinschaffen!"
Adelaide gab die nötigen Befehle an Twinky und die anderen Haushaltsdienerinnen. Die Zauber waren schon vorbereitet, die umfangreiche Bibliothek innerhalb einer halben Minute transportfertig verstaut, was vor allem den bewährten Centinimus-Bücherschränken zu verdanken war. Gerade vermeldete Twinky, dass die Bücher alle ans neue Ziel gebracht wurden, als Adelaide sah, was die anderen unternahmen.
"Nax, die rücken mit blau flimmernden Kanonen vor. Jetzt schießen da blaue Lichtkugeln raus, ähnlich wie die blauen Lichtblasen um die letzten Angreifer!" rief Adelaide.
"Drachendreck! Was immer dieses blaue Licht macht, es übersteht die verbliebenen Zauber", knurrte Anaximander. Dann sah er die wie himmelblaue Kugelblitze heranjagenden Leuchtsphären, die so groß wie eines der vielen Zimmer im Haupthaus waren. Die leuchtenden Sphären pulsierten und kreiselten um ihre waagerechte Achse. Dann zerbarsten sie keine hundert Meter vom Haus entfernt. Für einige Sekunden flackerte die Luft wie blau-rotes Elmsfeuer. Zugleich konnte Adelaide sehen, wie auch aus großer Höhe solche Lichtkugeln auf das Anwesen niedergingen. Sie fühlte ein Vibrieren in beiden Augen. Was immer dieses Licht machte wirkte auch auf ihre besondere Sehkraft. "Nax, wir müssen hier weg. Dieses blaue Flirren setzt auch mir zu."
"Ja, Buddy und Twinky sollen uns wegbringen. Die Bib ist schon auf der Insel?"
"Ja, ist sie schon. Vielleicht können wir uns noch schützen, wenn wir die Rundumsichtzauber aufheben und ... Piff!" gerade zerfiel die Außenansicht in blauen Funken. Jetzt sahen sie beide nahtlose Steinwände und eine dito Decke über sich. Beide fühlten auch, dass irgendwas auf ihre Körper einwirkte. Da apparierten Buddy und Twinky im geheimen Raum. "Meisterin und Meister, die blauen Lichter tun uns in den Köpfen und Gliedern weh. Konnten gerade noch apparieren."
"Tut euch dieses Licht immer noch weh?" wollte Adelaide wissen. "Ja, macht starke Schmerzen in Armen, Beinen und Kopf", wimmerte Twinky. "Okay, alles raus und auf die Insel!" rief Anaximander. Doch seine in die leere Luft gerufene Stimme kam als blechern und klirrend verzerrtes Echo zurück. Dann knackte es ohrenbetäubend, und der Widerhall war ausgelöscht.
"Hoffentlich haben die anderen das noch mitbekommen", sagte Adelaide und ergriff Twinkys Hand. Sie wagte noch einmal einen Blick durch die Wände, nur um in ein ihre Augen zum Beben bringendes Meer aus blauen, roten und silbernen Blitzen zu sehen. In der nächsten Sekunde verschlang sie die alles zusammenpressende Schwärze eines Appariertransits.
"Es hat sich erwiesen, dass die neuartigen Himmelskraftsphären gegen die noch bestehenden Zauber wirken, aber bei auftreffenden Erdzaubern eine körperliche Abstoßung bewirken, Sir. Verwenden nun die Fokusglobuli zur breitstreuenden Bekämpfung der noch bestehenden Zauber. Könnte nur sein, dass dabei auch magische Wesen beeinträchtigt werden", erklang Don Brightgates Stimme aus einer silbernen Dose auf Catlocks Schreibtisch.
"Brechen Sie jeden Widerstand, aber versuchen sie, die Eheleute Greendale lebend zu ergreifen. Wir müssen wissen, wo deren Enkeltochter und der ihr überlassene Wiederaufwachsende sind und wie wir an diese herankommen", sagte Catlock.
Zwei Minuten später wurde vermeldet, dass nach intensivem Beschuss mit den Himmelskraftglobuli nur noch zehn an schweren inneren Blutungen verstorbene Hauselfen geborgen werden konnten, aber keine Leichen von den Eheleuten Greendale gefunden werden konnten.
"Dann sind die noch geflüchtet, verdammt noch mal", knurrte Catlock. Dann dachte er, dass es sicher die bessere Lösung war. Denn sein Auftrag lautete, Straftäter lebend zu ergreifen und je nach Schwere der erwiesenen Tat einzusperren oder gleich vollständig widerverjüngen zu lassen.
"Wird den ersten Administrator nicht freuen, dass diese dekadente Sippschaft sich der Festnahme entzogen hat und jetzt aus dem Untergrund heraus gegen uns intregieren und Anschläge verüben kann", dachte Catlock. Er hatte gemäß der Weisung von Magus Primus Buggles ein Exempel an einer der ältesten und mächtigsten Familien statuieren wollen. Tja, das immerhin war ihm gelungen, nur dass es ein Exempel für die anderen war, dass Widerstand nicht völlig zwecklos war. "Besetzen Sie das Landhaus und fördern Sie alles zu Tage, was an Unterlagen zu finden ist!" befahl er noch. Doch er ging davon aus, dass die Greendales keine verräterischen Unterlagen zurückgelassen hatten. Um Sicher zu gehen, was passiert war musste er sich alles mit der Rückschaubrille ansehen.
Als er in eigener Person beim Greendale Cottage eintraf stellte er sogleich fest, dass die Rückschaubrille nichts nützen würde. Denn durch die gesamten magischen Entladungen waren Zonen von Unortbarkeit entstanden, die eine klare Nachbetrachtung der Ereignisse vereitelten.
"Gut, dann wird der erste Administrator wohl verkünden, dass sich die Greendales selbst in die Luft gesprengt haben, um möglichst viele von uns in den Tod mitzureißen", sagte er. Dann erteilte er den Auftrag, das gesamte Anwesen mit wohlplatzierten Sprengbomben und Höllenglutgas in die Luft zu jagen.
Anschließend meldete er dem ersten Administrator, dass die Ergreifung der Greendales misslungen war und sie lieber ihr Heil im erweiterten Freitod gesucht hatten. Das durfte der Administrator dann verkünden, allerdings auch mit dem Zusatz, dass keiner so tun konnte, als wenn die beiden noch am Leben seien, so von wegen späte Grüße oder Doppelgänger der Gesuchten.
"Was immer die da ausgebrütet haben kann jeden gestaffelten Schutzbann zerbröseln und mit Magie erfüllte Wesen beeinträchtigen", stellte Anaximander klar, als er beruhigt war, dass er und seine Frau auf Roderics Refugium gelandet waren. Da Twinky und Buddy zugangsberechtigt waren geschah ihnen nichts. Allerdings stellte sich heraus, dass die bewaffneten Elfen den Befehl zur Flucht nicht mehr erhalten hatten, selbst durch die zwischen Hauselfen und ihren Meistern bestehende Verbindung, diese von jedem Ort der Welt aus zu sich hinrufen zu können oder ihnen Befehle zu erteilen.
"Habt ihr es auch geschafft, noch den Absprung zu machen, grüßte eine verwegen klingende Kleinkindstimme die beiden Eheleute, als sie auf den ruhenden Vulkan hinaufstiegen, der das Zentrum von Roderics Refugium bildete. "Nicht so frech, Kleiner. Wir hätten gerne noch unser Haus verteidigt. Aber Buggles' Banditen haben einen neuen Zauber im Angebot, der alle Formen von Elementarmagie überlagert und zerstreut. Buggles hat Zugang zur Trickkiste von VM, soviel ist sicher. Wer weiß, was die noch alles aufbieten."
"Du meinst, dass die auch zu uns kommen könnten?" fragte der unter dem Namen Chrysander wiederaufwachsende Ex-Zaubereiminister. Adelaide verneinte das. "Greendale Cottage war denen bekannt. Roderics Refugium liegt in einem langwierig errichteten Verberge- und Unortbarkeistzauber, der von den Gestirnen und der Erde zusammen in Kraft gehalten wird. Was immer die da benutzt haben kommt sicher nicht gegen die Macht der drei wichtigsten Himmelskörper an", sagte Adelaide Greendale.
"Ja, aber dann seid ihr jetzt genauso im Exil wie Mom und ich", erwiderte der äußerlich gerade zweieinhalb Jahre alte Chrysander Cartridge.
"Mit Buddy und Twinky können wir noch unangefochten apparieren. Aber offenbar sind außer Twinkys Küchenhelfern keine anderen von unseren Hauselfen herübergekommen."
"Du meinst, die sind alle getötet worden, Grandpa Nax?" wollte Chrysander wissen. "Ja, steht zu befürchten, Junge", sagte Anaximander Greendale mit unüberhörbarer Verärgerung.
"Gut, Mom hat genug Gästebetten bereitmachen lassen. Da ihr zumindest eure Haushaltselfen mitbringen konntet fallt ihr uns nicht zur Last. Öhm, wir bekamen auch schon Nachricht von Onkel Japetus, dass er und Trish eine Aufenthaltserlaubnis auf unbestimmbare Zeit erhalten haben, zumal Trish dann für die Peaks spielen darf, falls mal wieder Quodpot gespielt wird."
"Schön für Trish", grummelte Anaximander. Adelaide lächelte jedoch bei dieser Mitteilung.
sie gingen nun in das Haus auf der Kuppe des ehemaligen Vulkans und bezogen ihre Gästezimmer. Da es schon spät war wollten die neuen Mitbewohner erst einmal schlafen. Wie es weiterging würden sie in den nächsten Tagen klären.
Es war unheimlich, wie weitläufig ein Gebäude wurde, wenn es nicht mehr benutzt wurde, fand Lesley Rubycutter, als er zusammen mit zwei Sicherheitszauberern aus Catlocks Abteilung das nicht mehr genutzte Gebäude des Zaubereiministeriums durchquerte. Da seit der offiziellen Zusammenlegung der nordamerikanischen Zaubereiverwaltungen alles von Good Times Castle ausging, mussten die drei Abgesandten der Nordamerikanischen Magieadministration auf die Fahrstühle verzichten und sich über die Nottreppen hocharbeiten. Rubycutter dachte mit gewisser Verdrossenheit, dass Meister Schieferbart genauso Probleme beim Aufstieg haben mochte.
Um zwanzig nach zehn hörte Rubycutter die Schritte gestiefelter kleiner Füße und ein angestrengtes Atmen. Dann klopfte jemand. Rubycutter rief "Treten Sie bitte ein, Meister Schieferbart!"
Ein alter, grauhaariger Kobold mit bis auf die Brust wallendem Bart trat ein und blickte verdrossen in alle Ecken. Als er statt eines Grußes in die Ecke zeigte, wo die beiden Sicherheisleute standen sagte Rubycutter: "Och joh, Danke, dass Sie mich dran erinnern, dass die beiden auch noch da sind. Mr. Carfax und Mr. Wallace, Sie dürfen hervortreten."
"Wieder eine Täuschung Ihres Volkes wie die Vernebelung der Verliese von Gringotts", schnarrte der ältere Kobold. Rubycutter tat so, als habe er das nicht gehört und bot ihm einen bequemen Stuhl an. Schieferbart setzte sich. Dann deutete er an den linken Ärmel seines rot-goldenen Hemdes. Dort war eine smaragdgrüne Armbinde angebracht, bei den Kobolden das Zeichen eines friedlichen und unantastbaren Unterhändlers. Da auch Rubycutter vom Hut bis zu den Stiefeln in Smaragdgrün gekleidet war galt er für den Kobold als ebenso unangreifbar.
"Ich ging davon aus, dass wir uns alleine treffen", begann der Kobold mit vom hohen Alter angerauhter Stimme zu sprechen. Doch sie hörten ihm an, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen.
"Dies tat ich im Vertrauen auf die Farbe der Unterhandlung auch. Doch mein oberster Dienstherr gebot mir, diese beiden Herren hier mitzunehmen, die mich gegen jeden Störenfried verteidigen mögen. Denn dass wir uns hier treffen mag nicht jedem gefallen, Meister Schieferbart", sagte Rubycutter.
"Richtig, den Brüdern und Mitstreitern jener nicht, die Ihre Mitstreiter haben verschwinden lassen. Hoffentlich haben sie keinen von denen getötet, weil die sonst das hundertfache Gewicht in Menschenfleisch einfordern könnten. Vielleicht wussten Sie es noch nicht, Mr. Rubycutter, aber wer sich mit dem Bund der alles überwacht und vieles heimlich regelt auf einen Streit einlässt bereut es oder verschwindet gleich vollends."
"Was genau meinen Sie, Meister Schieferbart?" tat Rubycutter ahnungslos. Doch wie er vermutete kaufte ihm Schieferbart das nicht ab. "Sie wissen zum großen grauen Eisentroll noch mal genau, was ich meine. Oder erfuhren Sie etwa nicht, dass jemand die Niederlassungen des alles überwachenden Bundes unseres Volkes bedrängt hat?"
"Nun, da alle Niederlassungen Ihres Volkes und die allermeisten Angehörigen Ihres Volkes laut Gesetz zur Erfassung und Verwaltung magischer Wesen mit eigenem Denkvermögen auf unserem Hoheitsgebiet registriert werden kann es unmöglich sein, dass irgendwer Angehörige Ihres Volkes bedrängt, ja getötet haben soll, wenn diese nicht auf unserem Hoheitsgebiet registriert waren, vor allem nicht an Orten, die nicht amtlich erfasst und verzeichnet wurden. Also was werfen Sie mir jetzt vor?"
"Die aus dem Bund, der alles im Blick behält und unangekündigt handelt melden sich nirgendwo an", schnarrte Meister Schieferbart. "Doch abgesehen von diesen Mitgliedern meines Volkes, über die ich nicht richten und gebieten darf ohne mindestens noch zwei der großen Graubärte an meiner Seite zu haben, überbringe ich Ihnen Grüße der Zweigstellenleiter von Gringotts. Sie sind bereit, weiterhin allen Kunden Zugang zu ihren rechtmäßigen Wertanlagen zu gewähren. Allerdings baten mich die Zweigstellenleiter darum, drei Bitten an Sie wweiterzugeben", sagte Schieferbart. Rubycutter nickte nur, dass er das gehört hatte. "Erstens sammeln Sie oder Ihr Handelsabteilungsleiter die grünen Tauschwertersatzeinheiten wieder ein, die in den Vereinigten Staaten und jetzt auch in Mexiko und Kanada herumflattern wie Zwergenmistschmeißfliegen. Zun zweiten widerrufen Sie die für die Staaten zwischen Mexiko und Kanada ausgesprochenen Ausweisungen meiner Artgenossen, damit sie Gringotts wieder vollumfänglich führen können. Drittens und wichtigstens möchten meine Artgenossen, dass der oberste Sprecher von Ihnen und sein Handelsbeauftragter sich vor mir und den Zweigstellenleitern zu jenen Täuschungen und jenem Trug an uns und unseren Kunden bekennen, dafür ganz ehrlich um Vergebung bitten und die für eine solche Vergebung nötige Entschädigung entrichten."
"Welche Täuschungen, welcher Trug?" wollte Rubycutter wissen.
"Jenes zwergenkotige Gezauber, mit dem Ihre Leute den Kunden von Gringotts vorgaukeln, in den Verliesen sei kein festes Stück Gold mehr", schrillte Schieferbart und zupfte sich verärgert an seinem Namensgeber. "Irgendein Zauberstabträger hat in jedem geprüften Verlies zwischen Rio Grande und Niagarafällen einen Zauber hinterlegt, der Trugbilder macht. Unsere Gläser des wahren Blickes konnten es eindeutig enthüllen, dass betrogen wurde. Doch konnten und können wir die Quelle des Betruges nicht verschließen oder entfernen. Das Müssen Ihre Leute tun. Außerdem sollten Sie nicht die Auffassungsgabe und den Verstand Ihrer eigenen Landsleute unterschätzen, wo es nun ganz sicher ist, dass in Kanada und Mexiko keine solchen Fehlbestände zu entdecken waren und die dort lebenden Kunden mühelos an ihre bei uns verwahrten Schätze gelangen, solange die Tore von Gringotts geöffnet und ihnen die Verliese weiterhin zugänglich gehalten werden. Also geben Sie dies unverzüglich weiter, dass dieser Betrug endlich aufhört! Die Frankenländer haben es auch versucht, sind aber über die besonderen Sinne jener Abkömmlinge östlicher Wald und Flussschönheiten gestürzt. Also, weg mit dem Trug, oder Gringotts schließt überall auf diesem Erdteil seine Pforten!"
"Es steht demnächst eine genauere Prüfung der Niederlassungen in Mexiko und Kanada an. Dann werden wir wissen, ob dort wirklich alles ist wie es sein soll. Am Ende haben Ihre Leute versucht, unzufriedene Kunden durch hohe Schweigezahlungen zum Stillhalten zu bewegen, damit Sie nicht als vertrauensunwürdig und unzuverlässig erscheinen", erwiderte Rubycutter ganz ruhig. "Wir jedenfalls sehen in einem vorsätzlichen Täuschungsversuch gegen unsere eigenen Artgenossen keinen Vorteil."
"Den Vorteil, uns von der Goldwertbestimmung auszuschließen, den Handel nur noch über Ihresgleichen laufen zu lassen und die Verbreitung dieser grünen Goldersatzfetzen als dauerhaftes Zahlungsmittel festzulegen. Das sind die Vorteile, die Ihr Mr. Buggles sich von diesem schändlichen Betrug erhofft. Wie schon gesagt haben es die Frankenländer auch versucht, ihre eigenen Leute zu täuschen. Was spricht also dagegen, dass auch hier Ihre Leute die Täuschung verübt haben, um ihre grünen Wertersatzfetzen als einzig gültiges Tauschmittel festzulegen? Ja, und wie auch weitergegeben sollen diese grünen Fetzen eingesammelt und zerstört werden, damit Ihre Leute wieder auf ehrliches Gold aus unseren Münzwerkstätten vertrauen können."
"Als wenn eure Trickser wüssten, was ehrlich ist", sagte der Sicherheitszauberer Wallace ungefragt.
"Gold ist immer ehrlicher als jeder Fetzen aus abgeschnittenem Blattwerk oder abgezogener Tierhaut", schrillte Meister Schieferbart. Rubycutter sah Wallace tadelnd an und sagte dann: "Der Herr dient nur meiner Sicherheit und nicht meiner Meinungsbildung. Also haben wir beide diesen Einwurf nicht gehört, Meister Schieferbart. Doch was das neue Zahlungsmittel angeht, so steht mir über dessen Wert und Wichtigkeit kein Urteil und kein Beschluss zu. Das liegt alleine beim Verwalter für Handel und Zahlungsmittel."
"Ja, und der sollte mindestens mit einem von uns verwandt sein, wie es im Land der Deutschen ist", sagte Schieferbart. Doch das kam bei den beiden Sicherheitsleuten nicht so gut an. "Achso, dann meinen Sie, mehr bei uns mit dreinreden zu dürfen?" fragte einer der beiden. Rubycutter räusperte sich und sagte: "Wir sind hier nicht in Deutschland, sondern in Nordamerika, dem Land des Fortschritts und der vielen Entfaltungsmöglichkeiten. Also, die Tauschwertscheine bleiben, bis Sie und Ihre Leute uns bewiesen haben, dass wir Ihnen wieder vertrauen können. Solange solche Missverständnisse und gegenseitigen Vorwürfe im Raum stehen ist das leider noch sehr unwahrscheinlich."
"Wir haben nichts davon, dass unsere Kunden denken, ihnen seien ihre Goldvorräte verlorengegangen", schnarrte Schieferbart.
"Mein oberster Dienstherr ist bereit, Ihnen wieder zu vertrauen, wenn die Zweigstellenleiter von Gringotts, auch jene, die nicht mehr in den Vereinigten Staaten sind, bis zum Tag, der im Kalender der sechste Juni heißt, bis zur jeweiligen Mittagsstunde ihrer Niederlassung eine eindeutige Unterordnungsbekundung zu Administrator Buggles, Gesetzeshüter Catlock und Handelsabteilungsleiter Picton bekunden. Wenn Sie uns dann auch erlauben, alle bisher noch nicht amtlich geprüften Niederlassungen zu prüfen, dann mag sich erweisen, ob jemand in den Staaten aus irgendeinem vbermeintlichen Vorteil heraus wie auch immer betrogen haben mag. Solange dieses Missverhältnis zwischen Ihnn und uns nicht durch eine eindeutige und unwiderrufliche Unterordnung unter unsere Verwaltungshoheit erfolgt wird unser Handelsleiter das Notgeld weiterbestehen lassen", erwiderte Rubycutter.
"Das grüne Zeug muss weg!" schnarrte Schieferbart. Dann erkannte er, dass er hier gerade hart an der Grenze zur Lächerlichkeit entlanglief, wenn er sich aufführte wie ein trotziges Kind. So sagte er: "Nun, somit können die Goldwerthüter nicht mehr sicher sagen, was welchen Wert hat, womit auch Gringotts seinen Wert verliert und alle Pforten schließen muss, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Bitte geben Sie das an den Herren weiter, der meint, mehr über den Wert von Arbeit und Handelsware zu wissen als unsere Goldkundigen."
"Dies werde ich tun. Doch fürchte ich, dass er dann erst recht auf die einzig und alleinige Festlegung des Tauschwertscheinbestandes bestehen wird, weil er diesen Hinweis all zu leicht für eine Drohung halten mag. Also, Erkennen Sie den Administrator unserer neuen Föderation als Ihren obersten Landesherren an, dann dürfen Sie als sein Vermittler mit Ihrem Volk um weitere Aufenthaltsrechte verhandeln. Soweit ich weiß galt bisher nur, dass Sie den amtierenden Minister zur Kenntnis nahmen und im Namen der guten Kundenbetreuung dafür sorgten, dass die Werteinlagen sicher waren, sowohl vor unerlaubter Aneignung als auch vor den Auswirkungen magischer Gewalten. Doch wenn Sie Administrator Lionel Buggles als den Herren Ihrer Heimat anerkennen und mit ihm statt an ihm vorbei zu verhandeln ..."
"Wir sind das freie Volk der Erdkinder. Wir sahen und sehen euch kurzlebige Große kommen und wieder gehen. Deshalb werden wir nur einem von uns die vollständige Gefolgschaft geloben und sie auch erweisen, aber niemals einem, in dessen Adern kein Erdenkindblut fließt", erregte sich Schieferbart. Rubycutter nickte. Dass er innerlich befriedigt war, weil ihm Schieferbart so eine gekonnte Steilvorlage für ein zielgenaues Eintopfen bot zeigte er dem Kobold nicht. Aber er sagte: "Nun, ich bin nur der Bote. Sie sind auch nur der Bote jener Herren, die sich um ihr Ansehen und Ihren Gewinn sorgen. Ich fürchte, wir können nicht viel mehr aushandeln, wenn Sie nicht auf meinen Dienstherren zugehen möchten."
"Ich bin der Sprecher meines Volkes für diesen großen Erdteil. Wenn er sich für so wichtig hält so soll er selbst vor mich hintreten, statt mich in dieses leere Haus einzubestellen, wo nur ein Bote sitzt."
"Sie haben doch eben Gesagt, Sie überbringen auch nur eine Botschaft", sagte Rubycutter. Damit, so wusste er, hatte er Schieferbart endgültig an seiner Ehre gepackt und konnte genüsslich daran ziehen wie an seinem grauen Bart selbst. "Ich bin der Sprecher meines Volkes. Wenn ich sage, Gringotts macht die Tore zu, dann ist das so. Wenn ich sage, dass wir Ihr Gold bis zur amtlichen und ehrlichen Entschuldigung und Abbitte verschließen, dann kommt da niemand mehr dran, der kein Kobold von Gringotts ist. Wenn ich den Brüdern meines Rates berichte, dass auch auf diesem Erdteil die Ehre und das Leben unseres Volkes mit Schmutz beworfen und mit üblem Spott besudelt wird, dann mögen bald die Hörner des Krieges ertönen, und das Angesicht unserer mächtigen und geliebten Mutter Erde wird in ein Meer aus Blut getaucht. Eure Kinder werden nicht mehr ruhig schlafen, weil jederzeit einer von unseren heimlichen Vollstreckern unter ihrem Bett lauern mag. Entweder, ihr nehmt uns endlich wieder ernst, oder wir zwingen euch dazu, uns zu fürchten."
"Ui, jetzt wird gedroht", feixte Wallace, machte aber keine Anstalten, nach seinem Zauberstab zu greifen. Noch schützte Schieferbart das Zeichen des unantastbaren Unterhändlers.
"Nun, sollte das wirklich der Wille Ihres Volkes sein, mit uns Krieg zu führen, so hat mein Dienstherr mir folgende Botschaft an Sie und Ihr Volk übergeben, die ich nur dann aussprechen darf, wenn mit dem Vergießen unseres Blutes und dem Tod unserer Kinder gedroht wurde. Gentlemen, hat es eine solche Drohung gegeben?" fragte Rubycutter. Seine beiden Begleiter bejahten es. Da erkannte Schieferbart, dass er sich gerade in eine sehr gefährliche Lage gebracht hatte. Doch jetzt zurückzunehmen, was er gesagt hatte würde seine sowieso schon angeschlagene Ehre noch weiter beschädigen. So sagte er: "Welche Botschaft ist das, damit ich sie weitergebe und darüber befinde, wie wir sie gewichten."
"Er sagt, dass wenn mir oder uns allen Krieg angedroht wird, werden wir alle Kobolde als gefährliche, unerwünschte Wesen einstufen und entsprechend behandeln, also aus unserem Hoheitsgebiet entfernen oder bei unbrechbarem Widerstand tödliche Gewalt anwenden. Wie erwähnt, das ist die Botschaft, die ich nur im Fall einer offenen Gewalt- und Kriegsandrohung verkünden darf. Sie und Ihre Leute haben bis zum sechsten Juni Zeit, auf unsere Gesuche einzugehen, die ich hier auch schriftlich habe", sagte Rubycutter und gab Schieferbart ganz behutsam eine Pergamentrolle, die von einem Holzring zusammengehalten wurde.
"Sollte es im gewährten Zeitraum zu gewaltsamen Übergriffen auf magische Menschen kommen gilt die erwähnte Botschaft, Meister Schieferbart. Sollten Ihre Artgenossen in Mexiko und Kanada meinen, Kunden als Geiseln zu nehmen, um vor unseren Maßnahmen sicher zu sein, erlaubt uns das ebenfalls, jedes Einzelwesen Ihrer Art von unserem Hoheitsgebiet zu entfernen. Wie erwähnt, bis zum sechsten Juni haben Sie und Ihre Artgenossen Zeit."
"Sie können einen Krieg gegenuns nicht gewinnen", knurrte Schieferbart.
"Sie aber auch nicht", sagte Rubycutter. "Außerdem sind Sie klar in der Unterzahl. Und es gibt mittlerweile genug Mittel, die unerlaubte Einreise Ihrer Artgenossen zu unterbinden. Falls Sie gegen uns kämpfen wollen gefährden Sie Ihre ganze Art, nicht nur in Nordamerika, sondern weltweit. Ich zweifele daran, dass Ihre europäischen, asiatischen und afrikanischen Miträte das wagen wollen. Denken Sie bitte daran, wie wir mittlerweile gegen Werwölfe vorgehen oder dass Sie in Australien keine Artgenossen mehr haben!"
"Das ist unser Land, fast mehr als Ihres. Wir kamen mit Ihren Vorvätern über dieses viel zu große Meer, weil Ihre Vorfahren wollten, dass sie dieselben hohen Sicherheitsvorkehrungen für alles hier erworbene Gold bekamen, die sie in Europa erhielten. Also ist das auch unser Land hier. Wir werden um unseren Verbleib kämpfen oder sterben, wenn Sie wirklich so einfältig sind, Krieg mit uns zu führen."
"Ich kann mich nur wiederholen, dass Sie bis zum sechsten Juni Zeit haben, es sich gut zu überlegen, was Ihnen ein blutiger Krieg an Vor- oder Nachteilen einbringt. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass Ihre Artgenossen kein Bestreben haben, ihre eigenen Geschäfte zu verderben und sich nebenbei zu frei jagbarem Wildgetier abzuwerten. Noch hoffe ich auf Ihre hohe Auffassungsgabe und den Wunsch, weiterhin wertvolle Arbeit in unserer Gesellschaft leisten zu dürfen, Meister Schieferbart. Ja, und da offenbar alles gesagt ist, was wir uns gegenseitig sagen durften und sagen mussten, gewähre ich Ihnen die Erlaubnis, an Ihren Wohnsitz oder Arbeitsplatz zurückzukehren."
"Ich werde meinen Artgenossen von diesem Gespräch berichten und mit ihnen beraten, wie wir darauf antworten", knurrte Schieferbart und steckte die ihm übergebene Pergamentrolle fort. Dann ging er hinaus und schloss die Tür von außen.
Carfax zauberte ohne Aufforderung einen zeitweiligen Klangkerker. "Der wird denen jetzt erzählen, dass wir denen die Leitung von Gringotts wegnehmen und/oder sie alle aus dem Land werfen wollen. Ich bezweifel, dass die noch auf eine friedliche Lösung ausgehen. Aber wenn die echt kämpfen wollen werden die gegen eine meterdicke Stahlwand rennen."
"Mir liegt der Krieg mit den Kobolden fern und ich wundere mich, dass der erste Administrator ihn nicht fürchtet", sagte Rubycutter. "Den Kobolden sollte ein langer Krieg auch fernliegen, weil sie durch den genau das kriegen, was sie fürchten, die Abwertung ihrer Dienste und die Abstufung zu unwichtigen, ja gefährlichen Wesen, um die es nicht mehr schade ist", sagte Carfax. Dem schloss sich sein Kollege Wallace an.
Als sicher war, dass kein lebendes Wesen außer ihnen beiden im ehemaligen Ministeriumsgebäude war flohpulverten sie sich aus dem Foyer zurück in das kleine Schloss, das der neue Hauptverwaltungssitz war. Dort erstatteten Rubycutter, Wallace und Carfax dem ersten Administrator persönlich bericht. Was sie dabei nicht mitbekamen war, dass noch jemand zuhörte und zusah und dem Administrator zwischendurch Anregungen eingab, was er noch zu fragen hatte.
Véronique alias Mater Vicesima Secunda schien zu schlafen. Doch in Wahrheit war sie hellwach. Nur waren ihre Sinne gerade weit entfernt, als habe sie ihren Körper verlassen und den eines anderen Menschen in Besitz genommen wie ein orientalischer Dibbuk. Sie belauschte das Gespräch, dass ihr neuer Gehilfe Buggles mit seinen drei Untergebenen führte, von denen einer Pater Decimus Canadensis war, Mitglied des hohen Rates des Lebens und Mitunterzeichner der neuen Vereinbarung mit Buggles. Also wollten die Kobolde sich nicht unterwerfen. Gut, dann galt es, denen die Wurzeln ihrer Arroganz weltweit wirksam auszureißen, die Allgewalt über Gringotts. Sie gab an Lionel Buggles weiter, dass er noch einmal nach den Reisemöglichkeiten der Kobolde fragen sollte. Dann gab sie ihm ein, zu warten, bis Wallace und Rubycutter das Büro im Turmzimmer verlassen hatten. Als das geschah hörte sie ihn sagen:
"Ich weiß, dass Sie und Ihre Frau Louanne zu unseren neuen Verbündeten gehören. Daher möchte ich Ihnen mitteilen, dass wir wegen der Spione und heimlichen Henker der Kobolde schon so gut wie im Krieg sind. Dieser Schieferbart haut auch schon auf diese Pauke. Aber ich denke, dass die Zweigstellenleiter selbst keinen Krieg wollen, auch nicht, weil dann ihre Familien gefährdet sind. Greifen die uns an dürfen und werden wir uns wehren. Das sollen die eigentlich wissen. Wenn deren Führungsebene diesen Schieferbart dahingehend bearbeitet, dass er die Androhung wahrmacht und einen offenen Krieg gegen uns ausruft, müssen wir wissen, wie wir diesen gewinnen können. Ich ging bisher davon aus, dass es mit einer Absperrung von Gringotts getan sei, wobei wir dann wohl auf das Mittel zurückgreifen, welches die Australier bei der Eindämmung der Schlangenmenschenplage erfunden haben - nicht die Entomanthropen."
"Die wurden ja auch nicht von denen erfunden", sagte Carfax ein wenig beklommen. Dann grinste er. "Ach, dieses wirbelnde Teil mit den starken Magneten, die dann einen Kegel aus ständig kreisenden Magnetfeldern machen?" Buggles nickte. "Ja, gut, damit können Sie die Kobolde wohl verwirren und wohl auch in einem bestimmten Bereich festhalten. Aber dann kommen Sie nicht nach Gringotts rein. Wenn sie das Ding mit den Erdzaubergegenschwingungen nutzen, das Sie von uns bekommen haben, besteht die Gefahr, dass deren Zauber aus dem Tritt geraten und alles Gold in Gringotts für uns verloren geht. Es sei denn, Sie knacken deren Sperren mit einem Zauber, der nur von erwachsenen Hexen ausgeführt werden kann, Hecates Tränen oder auch Hecates Bluttränen", sagte Carfax. Das erschreckte Véronique heftig und darum auch Lionel Buggles. Er wollte schon fragen, was genau dieser Zauber machte, als sie ohne groß zu fragen in seinen Gedankenfluss eingriff und ebenso dibbukhaft durch seinen Mund antwortete:
"Die Kobolde haben seit vierhundert Jahren ein Mittel dagegen, was im Ganzen mehr Zerstörung und Tote hervorruft als gewünscht ist."
"Höhm?" fragte Carfax. Offenbar hatte sie Buggles' üblichen Tonfall nicht getroffen, was Carfax stutzig machte. Auch musste sie Buggles' Verärgerung über dieses "Ausborgen" zurückdrängen. Dann sprach sie erneut durch ihn und diesmal besser auf die Betonung achtend: "Mir fiel beim Stichwort Hecates Bluttränen ein, dass es in Irland einen Zwischenfall gab, der einen Trupp Hexen getötet hat, die versucht hatten, eine Koboldfestung bei Shanon mit diesem Zauber aufzubrechen. Seitdem wissen die Kobolde von Hecates Tränen und haben eindeutig einen wirksamen Gegenzauber. Abgesehen davon kann koboldgeschmiedetes Silber alle es zerstörenden Mittel schlucken und diese Kräfte dagegen aufbieten oder gegen andere feste Körper nutzen, wie Gryffindors Schwert, das mit Basiliskengift getränkt wurde und deshalb beim Kampf auch dessen Eigenschaften nutzt."
Carfax erbleichte und nickte heftig. "Autsch! Werde ich meiner Frau besser sagen, dass das mit Hecates Tränen also nach hinten losgehen könnte."
"Ja, bitte sagen Sie ihr einen respektvollen Gruß, dass Ideen nur dann gut sind, wenn sie auch gut recherchiert wurdenund gut umgesetzt werden", gab Buggles dem Gesprächspartner mit. Dieser verzog noch einmal das Gesicht. Dann sagte er: "Dann bleibt es bei der Magnetwirbelvorrichtung." Buggles nickte. "Und falls wir dann Krieg haben?" fragte Carfax noch.
"Werden wir wohl kämpfen müssen", sagte Buggles. "Aber, das zu Ihrer Beruhigung: Abgesehen von diesen Geheimhenkern und Spionen der Kobolde werden wir keinen weiteren Kobold willentlich töten, solange keiner von denen einen von uns tötet oder nachweislich gegen unsere Familien vorgeht."
"Dann dürfen Sie aber auch keinen von denen verhungern oder verdursten lassen, Administrator Buggles", sagte Carfax.
"Das wird sich zeigen", erwiderte Buggles.
Als Carfax gegangen war teilte Véronique ihrem Erfüllungsgehilfen noch mit, dass die ihm zugestandenen Erdkraftschwingungsgeräte nur dann eingesetzt werden dürften, wenn die Kobolde ihre Drohung wahrmachten und riet ihm dazu, in dem Fall die Kobolde auch zu Feinden aller in Nordamerika lebenden Hexen und Zauberer zu erklären. Er wollte dann wissen, warum. "Weil die dann nicht womöglich nach Viento del Sol oder Misty Mountain flüchten können und die, die da schon sind, vielleicht von deren Feindesabwehrzaubern ausgewisen werden."
"Verstehe", dachte Lionel Buggles. Dann wünschte Véronique ihm noch einen erholsamen Resttag und zog sich aus der geistigen Verbindung zurück.
"Die werte Louanne sollte mal dringend ihres zweiten Sohnes nette Schwiegertante besuchen und sich von der erzählen lassen, wie die Kobolde Hecates Trränen abwehren, bevor die noch mal auf solche gefährlichen Ideen kommt", dachte sie. Dann beschloss sie, sich über die weiteren Aktionen zu erkundigen, die noch anliefen, vor allem die nächsten "Abholungen".
NEUES LEBEN, NEUES GLÜCK
Gestern abend vermeldeten die seit der Verkündung der erhöhten Sicherheislage in der ganzen Föderation patrouillierenden Überwachungstruppen mehrere illegal eingereiste Hexen und Zauberer aus Misty Mountain, die unter dem Vorwandt, ihre Verwandten zu besuchen, in Cloudy Canyon und dem Zaubererviertel von New York angetroffen wurden. Darunter waren auch Angehörige der einst so honorigen Familie Greendale, deren Oberhaupt seit dem 1. Juni unauffindbar ist. Gemäß den Notstandsgesetzen und der Verordnung, jeden nachweislich aus einer der gesetzlosen Ortschaften als möglichen Verräter gegen die Administration und unsere magische Gemeinschaft zu betrachten wurden die sieben aufgegriffenen Eindringlinge unverzüglich dem vereinten Richterrat vorgeführt. Dieser ließ sich von den Verdächtigen schildern, was sie zu ihrer unerlaubten Einreise getrieben hatte. Die Aussagen der Gefangenen reichten nicht aus, als grobe Fahrlässigkeit oder einmalige Verfehlung eingestuft zu werden. Vor allem Collin Greendale verstrickte sich in Widersprüche, was den Grund für die unerlaubte Einreise betraf. Somit blieb den Richtern um Chrysostomos Ironside nur, Greendale und seine Begleiter, sowie die anderen Verdächtigen zu vollständigem Neubeginn zu verurteilen. Strafvollzugsleiter B. Woodgrove überwachte persönlich die Vollstreckung des Urteils. Die zur völligen Wiederverjüngung ohne eigene Erinnerungen verurteilten wurden noch in der selben Nacht zu den Neugeborenenverwahrstätten der magischen Heilzunft in allen Regionen der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation verbracht. Großheilerin Greensporn bestätigte unserer Redaktion gegenüber, dass vier der Verurteilten in ihrer Mutter-Kind-Abteilung angekommen sind. "Ich bleibe dabei, dass eine erzwungene Wiederverjüngung mittels Infanticorpore-Fluch mit einhergehender Erinnerungslöschung genauso grausam sein kann wie eine Hinrichtung, auch wenn hier der Anschein einer Gnade vermittelt werden soll. Ja, ich weiß, ich riskiere damit, selbst einmal von diesen neuen Strafmaßnahmen betroffen zu sein. Doch solange ich den Heilerdirektiven folge und keinem Menschen, egal wem, körperlichen oder geistigen Schaden zufüge, werde ich die bedauernswerten Delinquenten nach bestem Wissen und Können in ihr neu verordnetes Leben hinüberführen, so wie ich es mit auf natürliche Weise geborenen Menschen tue, die in einvernehmlichem Zeugungsakt auf den Weg ins Leben gebracht wurden." So sprach Großheilerin Eileithyia Greensporn.
Jedenfalls ist es besser, wenn die Gefährder unseres Friedens eine Möglichkeit haben, unbeschwert von Schuld und Arg aufzuwachsen und so hoffentlich ein glückliches Leben führen können.
MJR
Gerade hatten Eartha und Perdy den vierten Teil der Weltraumsaga angesehen, deren dritten Teil sie gemeinsam in einem londoner Kino verfolgt hatten. Beide kuschelten sich wie schon seit Monaten miteinander ausgehende Liebende zusammen. Doch beide wirkten nicht so entspannt und glücklich wie zwei Liebende, die eine spannende Geschichte mit gutem Ausgang gesehen hatten.
"Also, wenn diese Rebellen die Pläne von diesem Todesstern nicht erbeutet und an ihre Kampfgenossen weitergereicht hätten hätte dieses Monstrum einer Maschine auch andere Planeten zerstört", sagte Eartha mit gewissem Unbehagen.
"Ja, so ist das. Ja, und der Reaktor dieser Monstermaschine war sowohl das Kraftzentrum wie auch der Schwachpunkt. Doch nur wer wusste, wohin er schießen musste konnte den Reaktor treffen", sagte Perdy. Beide dachten daran, dass sie ein ähnliches Vorhaben umgesetzt hatten, bei dem es unbedingt wichtig war, dass das Kraftzentrum und der Schwachpunkt in wortwörtlicher Personalunion geschützt blieben, aber nicht sicher versteckt werden konnten.
"Aber dieses galaktische Imperium ist ja nicht dadurch vernichtet worden, richtig?" fragte Eartha. Perdy bot ihr daraufhin an, ihr gleich den fünften Teil "Das Imperium schlägt zurück" auf seinem DVD-Abspieler mit angeschlossenem Videoprojektor kinomäßig vorzuführen.
"Nein, besser nicht heute, wenn der Film so lang ist wie die zwei, die ich schon mit dir angesehen habe. Noch bin ich nicht sicher, ob ich nicht doch dein Kind im Bauch habe und deshalb besser jede Stunde Schlaf nutzen soll, die ich kriegen kann."
"Auch wieder wahr", sagte Perdy. "Dann sag du mir, wenn du den nächsten Teil ansehen möchtest, Eartha." Sie nickte bestätigend.
Seitdem die Lage in den Staaten so angespannt war und die Bewohner von Viento del Sol sich nicht mehr aus ihrer Ansiedlung hinauswagen durften sprach Brittany Brocklehurst jeden Abend kalifornische Ortszeit mit den Latierres in Millemerveilles. Gerade hatte Brittany Julius über die neusten Artikel der führenden Zaubererweltzeitungen berichtet. "Wetten, dass dieser Collin Greendale nicht im HPK aufgetaucht ist?" fragte Julius' Stimme aus dem rosig glänzenden Armband, das Brittany am rechten Handgelenk trug. Im Hintergrund seines räumlichen Abbildes konnte sie nebelhaft Millie und Béatrice erkennen.
"Ich denke auch, dass die den wieder in einer versteckten Babyverwahrstation von VM abgeliefert haben, Julius. Die Greendales sind trotz der ganzen Hetze gegen sie immer noch zu wertvoll, als irgendwelche Träger deren Blutes frei und unbeeinflusst neu aufwachsen zu lassen. Auch haben die mittlerweile halb Doomcastle leergeräumt. Da waren auch wieder welche bei, deren Familien fast ausgestorben sind. Aber das heftigste haben die nicht in ihre auf Linie gebrachten Zeitungen reingeschrieben, sagt Lino. Die Kobolde haben ein Ultimatum gekriegt, Julius. Wenn die bis übermorgen um die Mittagsstunde ihrer zuständigen Zeitzone nicht einen Diensteid auf Buggles und Picton geleistet haben will Buggles sie zu unerwünschten Wesen erklären und vielleicht auch den Gefährlichkeitsparagraphen nutzen, also ab wann ein magisches Wesen für magische Menschen wie gefährlich ist und wie schnell es dann fortgeschafft, weggesperrt oder getötet werden soll. Da Kobolde nicht nur sehr intelligent, sondern auch sehr zaubermächtig sind könnten die noch vor geflügelten Schlangen und Peruanischen Viperzähnen rangieren. Julius, ich glaube, das Marionettentheater Buggles will Krieg mit den Kobolden."
"Ist es irgendwo anders erwähnt worden, oder hat Lino das von den Kobolden bei euch?" fragte Julius.
"Natürlich ist das nicht offiziell, weil Buggles den schlafenden Drachen erst kitzeln will, wenn er ihm das Maul zugebunden hat. Aber wenn das, was Lino von den Frauen der Gringottsmitarbeiter mitgehört hat stimmt, dann ist übermorgen große Alarmstimmung. Außerdem ist demnächst wieder Vollmond. Dann wird sich zeigen, ob Buggles echt Zugang zu dieser Massenmordvorrichtung hat, die Werwölfe auf großer Fläche verbrennen kann", erwiderte Brittany.
"Ich bin im Moment geneigt, Buggles oder seinen Hinterleuten Wahnsinn zu unterstellen, weil der sich gleich an zwei Fronten austoben will", sagte Julius. "Dann fällt mir aber ein, dass ich keinen Dunst habe, wie gut oder schlecht seine Leute schon auf so eine Auseinandersetzung vorbereitet sind. Am Ende hat der von VM auch was bekommen, um Kobolde auf großer Fläche umzubringen. Außerdem könnte dem einfallen, die gleichen Mittel anzuwenden, die in Australien gegen die Schlangenmenschen eingesetzt wurden, also die frei kreisenden Magnetfeldvorrichtungen. Kann echt sein, dass die Kobolde darauf nicht gefasst sind."
"Oha, könnte sein. Öhm, das könnte für die dann auch sehr gefährlich werden, Julius. Aber was hätte er davon, wenn keiner mehr nach Gringotts reingehen kann?"
"Das er dieses grüne Notgeld zur dauerhaften Währung erklären kann und zugleich zeigt, dass er mit jeder Bedrohung aufräumt, sobald sie ihm lästig wird", sagte Julius. "Bedenke, dass du in dem Moment, wo du aus VDS rausgehst, jederzeit wiederverjüngt werden kannst, falls dich da draußen wer erkennt und verpfeift. Denn anders kann ich das auch nicht erklären, dass die Collin Greendale und die anderen so schnell erwischt haben. Irgendwer hat denen Fallen gestellt und die verpfiffen, aus Angst oder weil er oder sie sich Vorteile davon erhofft hat, vielleicht um was von denen zu kriegen, Gold oder andere Wertsachen", seufzte Julius. Er erinnerte an die Hexenverfolgung in der nichtmagischen Welt, wo es nicht selten darum ging, lästige Konkurrenten, reiche Witwen oder für die Machthaber gefährliche Vordenker zu erledigen. Deshalb sagte er noch: "Ich hoffe mal, dass das Abkommen zwischen den Kobolden in Frankreich und dem Rest von Europa jetzt echt hält. Nicht dass Buggles uns alle in einen Weltkrieg mit denen reinreitet."
"Ja, das hoffe ich auch", sagte Brittany Brocklehurst.
Zwanzig nordamerikanische Mitschwestern saßen im großen Versammlungsraum im Kellergeschoss von Tyche Lennox ehemaligem Haus. Sie debattierten über die neuen Gesetze der mal eben gegründeten Zaubererweltföderation. Auch Beth McGuire war dabei, die bis heute verärgert über Vita Magica war.
Als die höchste Schwester in einem langen, scharlachroten Abendkleid mit verrucht tiefem Ausschnitt hereinkam verstummten alle anderen und sahen sie an. "Auch wenn ich es nicht nötig habe mich zu rechtfertigen möchte ich euch doch alle um Verzeihung für mein verspätetes Eintreffen bitten", sagte Anthelia mit ihrer warmen Altstimme. Alle anderen verbeugten sich vor ihr. "Ich weiß, dass ihr all zu gerne meinem Aufruf gefolgt seid, weil ihr wissen wollt, wie ihr euch vor dieser Moreland und ihren neuen Familienstandsschergen schützen wollt, nicht wahr?" Alle anderen nickten, bis auf Beth, die immer wieder die immer noch kinderlos gebliebenen Mitschwestern angrinste. "Ich konnte euren aufgewühlten Worten schon entnehmen, dass ihr alle außer Schwester Beth ein Schreiben aus Morelands Behörde erhalten habt. Dazu kann ich nur eins sagen: Ignoriert es! Lasst euch nicht ins lodernde Drachenmaul treiben. Denn sollte dieses Weib, das ziemlich offenkundig den Hexenverächtern von Vita Magica dient oder sogar einen hohen Rang bei denen bekleidet, einer von euch nachstellen lassen oder einer von euch einen Fortpflanzungspartner aufzwingen wollen, so sind Morelands letzte Stunden angebrochen. Abgesehen davon, wie wollt ihr denn die höhreren Abgaben zahlen, falls Buggles ernst macht und Gringotts stürmen lässt?" Stille folgte auf diese Frage. Offenbar hatten die anderen nicht damit gerechnet, dass die höchste Schwester darüber unterrichtet war, dass die Kobolde bis morgen klarstellen sollten, dass die magischen Menschen völlig frei an die Goldvorräte gelangen durften. "Wer sich keinen Kobold in hoher Rangstellung gefügig machen kann wird gnadenlos scheitern", sagte die höchste Schwester noch. Dass sie aus Erfahrung sprach musste sie keiner hier auf die Nase binden. Tatsächlich sagte sie: "Wer sich nicht mit den Zaubern der Erde auskennt und keinen dort arbeitenden Kobold unterwerfen kann wwird bereits auf dem Weg in die Stollen als möglicher Dieb erkannt und aufgehalten. Wenn die Kobolde davon ausgehen, bestürmt zu werden, so werden alle Bankhäuser von Gringotts zu tödlichen Fallenlabyrinthen. Buggles, Picton und wer auch immer wird sich damit begnügen müssen, die Eingangshalle zu besetzen."
"Dir zu widersprechen liegt mir fern, höchste Schwester", meldete sich Beth McGuire. "Doch meine Quellen zu Mitarbeitern des Administrators flüstern von irgendwelchen Rotierplattformen, an denen Arme mit starken Magneten angebracht sein sollen. Die könnten den Kobolden zumindest das Richtungsspüren verderben."
"Oh, jene welche, die die Australier gegen die letzten Schlangenkrieger aus dem alten Reich einsetzten, bevor ich so gnädig war, mit meinen geflügelten Streitern einzugreifen?" fragte Anthelia. Beth nickte. "O, dann wird es doch spannend. Vielleicht gelingt es den Truppen von Buggles, die Kobolde so zu verwirren, dass sie dem Wahnsinn verfallen und durcheinanderrennen oder alles zerstören, was sie sehen. Oder er treibt sie so weit in die Gebäude hinein, dass sie seine Leute nicht behelligen. Doch die wirkenden Zauber könnten dadurch auch unkontrolliert dreinschlagen und Freund und Feind töten. Wer von euch kann mir darüber Bericht geben, wie genau die Aktion verläuft?" Von den hier anwesenden Schwestern konnte das keine. "Nun, dann werde ich mich wohl an einen der möglichen Orte begeben. Welcher das ist soll vorerst mein Geheimnis bleiben. Was die Forderungen dieser Shana Moreland angeht, so habe ich ja schon gesagt, wie ihr damit umgehen sollt."
"Ja, aber wenn sie echt wen vorbeischickt?" fragte die Mitschwester Melonia. "Gebt mir bescheid, wenn es ein Zauberer ist. ist es eine Hexe seid einfach nicht zu Hause. Ich habe jeder von euch gezeigt, wie sie sich gegen Menschenfinder- und Lebenskraftanzeiger schützen kann. Aber zeichnet den Namen der Schergin auf, damit wir sie uns später vornehmen können, was der einfällt, ihre Mitschwestern zu behelligen."
"Und wenn sie uns in die Behörde einbestellen? Ich hörte, dass dieses Schloss von starken Abwehrzaubern umgeben ist und auch unerwünschte Eindringlinge gnadenlos bestraft werden", sagte Beth.
"Wie genau diese Schutzzauber beschaffen sind werde ich in den nächsten Tagen prüfen. Jetzt interessiert mich erst mal die Auseinandersetzung mit den Kobolden und wie sich diese Kriegerin Bullhorn als neue Gegenministerin behauptet. Zumindest hat sie bisher nichts unternommen, uns zu belästigen, womöglich weil sie auf die Ortschaft Viento del Sol beschränkt ist.""Du liest ja den Kristallherold und den Westwind, höchste Schwester", sagte Melonia. "Dann weißt du sicher, dass Bullhorns Anspruch auf die Führung nicht von jedem magischen Menschen anerkannt wird. Im Grunde hat sie nur die Stimmen der unzufriedenen und hilflosen Leute auf ihrer Seite. Das wird sich ändern, wenn viele Leute mehr Vorteile aus Buggles' Herrschaft ziehen, zum Beispiel durch Familiengründung Gold einzusparen."
"Ja, der Kristallherold, dessen Berichterstatter sehr brav nacherzählen, was Buggles und seine Leute der Öffentlichkeit auftischen. Der Westwind scheint seine Rolle in diesem Spiel aus Lügen, Unterdrückungen und gegenseitiger Aufwieglungen noch nicht klar bestimmt zu haben. Offenbar trauern dessen Redakteure ihrer Sensationsreporterin Linda Latierre-Knowles nach, die im Exil von Viento del Sol harren muss und dort die Durchhalteveranstaltungen des Rundrufes in Schwung hält, was eigentlich eine sehr erheiternde Sache ist."
"Du hast sicher schon den Begriff "Die schweigende Mehrheit" gehört, höchste Schwester", sagte Beth. Anthelia nickte und grinste. "Ja, und offenbar weiß keine Seite, wem die schweigende Mehrheit zugeneigt ist. Die, die sich äußern müssen entweder ganz schnell ins Exil, wenn sie nicht als Verräter abgeurteilt werden wollen oder riskieren, von Kritikern von Buggles niedergeflucht zu werden. Nur die Mexikaner und Kanadier sind größtenteils auf Buggles' Seite, weil der denen gegen die Werwölfe helfen will."
"Ja, das ist ja demnächst auch wieder fällig. Aber da werden ihm seine neuen besten Freunde von Vita Magica sicher ihre blauen Todeslaternen überlassen", sagte Anthelia mit gewissem Spott. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie Wertiger und Werwölfe für lästige Abarten der Zaubererwelt hielt. "Nun, so ist es auch an uns, herauszufinden, wem die schweigende Mehrheit zugeneigt ist. Denn sollte sie sich doch eher für Buggles einsetzen, so kann dieser im Bedarfsfall mal eben mehrere hunderttausend Hexen und Zauberer in einen blutigen Krieg treiben, erst gegen Kobolde und Werwölfe, dann gegen ihm missliebige Hexen und Zauberer. Obwohl: Sicher wird ihm auferlegt, keine Hexe und keinen Zauberer zu töten, weil dies ja magische Menschen ausrottet, statt neue zu erzeugen." Hier konnte nun wirklich jede die Verachtung und den Spott aus Anthelias Mund triefen hören. So wagte es keine, ihr ins Wort zu fallen oder ihr gar zu widersprechen.
Um sicherzustellen, dass keine der Mitschwestern "aus versehen" in einem der berüchtigten VM-Karussells landete und auch nicht mal eben infanticorporisiert wurde übergab Anthelia jeder zwei glatte, rote Steine. "Einer ist ein Portschlüsselabwehrer. Der andere Stein errichtet beim Gedanken an eine bevorstehende Verfluchung vier schwarze Spigel. Allerdings tut er dies nur zweimal. Also seht zu, dass ihr von diesen Ereignissen keine Erinnerungen oder Zeugen hinterlasst!"
"Eine Steinkugel gegen Portschlüssel?" fragte Beth. "Ja, sowas gibt es, wenn jemand die alten Künste der Erde erlernt hat. Sie machen euch beide auch unortbar, wenn ihr flüchtet. Ihr müsst sie nur ganz tief in euch tragen, also entweder hinunterschlucken und nach jedem Wiederaustritt reinigen und wieder verschlucken oder so tief wie es euch gelingt in euren Schoß einführen, bestenfalls bis in die eigene Gebärmutter. Keine Angst, die Kugeln sind keimfrei und passen sich unverzüglich der Wärme des sie bergenden Körpers an. Aber so seid ihr bis auf weiteres gegen das unerwünschte Wegportieren geschützt und könnt mindestens zwei Angriffe mit diesen Infanticorpore-Vorrichtungen abwehren."
"Öhm, und wenn einer sich damit fünffach verstärkt selbst trifft?" wollte Portia wissen. "Solltest du nicht in einem gegen Fehlflüche abgesicherten Bereich sein, weil du dann womöglich den betreffenden als Fötus ohne Zeugungsakt empfängst. Sonst wird er oder sie dann eben soweit fliegen, bis er oder sie einen körperlich nahestehenden weiblichen Körper zum Einnisten findet oder auf dem Weg erlischt und die Seele dann über die Weltenbrücke entschwindet", sagte Anthelia. Die anderen Hexen sahen sie verwirrt an. Doch die höchste Schwester wirkte keineswegs so, als treibe sie einen Scherz. So blieb den anderen nur, sich zu bedanken. Dann durften sie auch schon wieder fort.
Birkmock, der Leiter der Gringotts-Zweigstelle Ottawa, blickte erneut auf die zwei Wanduhren seines Arbeitszimmers. In nur noch zehn Minuten lief die Frist ab, die Buggles' Unterhändler Meister Schieferbart mitgeteilt hatte.
Der untersetzte Kobold durchdachte alle vor zwei Tagen in einer neuen Versammlung besprochenen Möglichkeiten. Dieser Cyrus Picton hatte das grüne Goldersatzzeug nicht zurückgenommen, sondern den Kunden in Kanada angeboten, ihr hier in Gringotts liegendes Gold gegen diese grünen Fetzen einzutauschen, was auch viele gemacht hatten, obwohl die Bediensteten immer wieder versucht hatten, denen zu raten, es doch besser hier zu lassen, weil ja keiner wusste, ob diser grüne Goldersatz überhaupt so langlebig war wie ehrliches Gold und Silber aus dem Schoß der Allgebärerin. Auch hatten zwei Hitzköpfe aus den USA, die all zu gerne wieder in ihre eigene Heimat zurückkehren wollten, gefordert, dass die noch offenen Gringotts-Zweigstellen bei Ende dieser unerträglichen Frist alle dort gerade herumlaufenden Menschen als Geiseln nehmen sollten, bis die drei Forderungen erfüllt waren. Doch das waren Hexen und Zauberer, die sich dann sicher wehren würden, auch wenn es dann ein kurzer, sehr blutiger Kampf werden würde, der jedoch auch den einen oder anderen Bediensteten das Leben kosten und viele Überwachungs- und Abwehrzauber in Aufruhr bringen würde. Außerdem mussten sie mit einer Belagerung rechnen und hätten die Geiseln dann alle mitverpflegen oder in Tiefschlaf versetzen müssen. So blieb nur, alle Kundinnen und Kunden vor Ablauf der Frist zum Verlassen der Zweigstellen aufzufordern. Um das wie und wie schnell war dann heftig gerangelt worden. Am Ende hatte sich Birkmock durchgesetzt, dass wenn kein Anzeichen erfolgte, dass auch nur eine der drei Forderungen erfüllt wurde, um genau zwölf Uhr die Anweisung Fünf erteilt werden sollte.
"Clinglock, alles bereit für Anweisung fünf?" rief Birkmock einer handgroßen Silbermaske zu, die die Züge seines Mitarbeiters Clinglock aus dem Sicherheitstrupp besaß. Die leren Augenhöhlen der Maske glühten golden auf, und aus dem halb offenen Mund drangen die Worte: "Auf Ihr Zeichen, Zweigstellenleiter Birkmock."
"Zehn Minuten zwischen Frieden und Krieg", dachte Birkmock. Warum wollen die Zauberstabträger es unbedingt darauf anlegen? Klar, Meister Schieferbart hatte sicher Angst vor den zehntausend Augen und Ohren und ihren willigen, handelnden Händen. Jeder Sohn der Erde mit genug Verstand und Wissen fürchtete den Bund, der alles erfuhr und über alles wachte. Doch wenn es stimmte, dass alle drei nordamerikanischen Niederlassungen von den Zauberstabträgern vernichtet worden waren mussten die erst mal neue Leitwächter, Augen und handelnde und helfende Hände herschicken.
Jetzt waren es noch zwei Minuten nach Menschenzeit. Birkmock sah auch noch auf dem auf seinem Schreibtisch stehenden Sonnenstandsweiser. Die goldene, halbkreisförmige Vorrichtung besaß einen schwarzen Zeiger, der bei Sonnenaufgang von rechts unten erst nach oben glitt, bei Mitagsstand für hundert Atemzüge silbern weiß aufleuchtete und danach nach links unten weiterwanderte. Gleich würde der Sonnenstandsweiser die Mittagsstellung anzeigen, auch würde die auf kanadische Ostküstenzeit gestellte Uhr zwölf helle Glockenschläge von sich geben, wie auch die Uhren in allen anderen Verwaltungszimmern tief unter der Goldkorngasse von Ottawa. Heute mussten auch die Wachdrachen vor den Hochsicherheitsverliesen gefüttert werden, alle vier Tage, wie es auch in London üblich war. Birkmock ergriff einen kleinen Hammer mit silbernem Kopf und knöchernem Stiel.
Ping! Ping! Ping! .... Es war Mittagszeit. Der Sonnenstandsweisezeiger glühte weiß und alle Uhren standen auf genau zwölf Uhr.
Birkmock hieb dreimal kräftig mit dem Hammer auf eine fünfeckige rote Stelle auf seinem Schreibtisch. Dann rief er dieser Stelle zugewandt: "Von Zweigstellenleiter an alle Diensttuenden. Ab sofort gilt Verwaltungsanweisung fünf! Ich wiederhole: An alle Diensttuenden, ab sofort gilt Verwaltungsanweisung fünf!"
Ein alle zwei Atemzüge ertönendes Tröten wie von einem kleinen Jagd- oder Kriegshorn vermeldete, dass die Anweisung in Kraft war und nun befolgt werden musste. Das hieß, dass sämtliche Kundinnen und Kunden schnellstmöglich aus dem Gebäude von Gringotts geschafft werden sollten. Jeder von Menschen geräumte Bereich sollte unverzüglich danach verschlossen werden. Waren alle Menschen aus dem Gebäude heraus wurde auch das Tor vollständig verschlossen, alle Beförderungswagen verankert und die Eisenhaftkraft in den Fahrwegen von schlafend auf vollwirksam umgestellt. Sicher war da draußen nun die große Eile, ja auch viel Unmut, dachte Birkmock. Doch das war die einzige Möglichkeit, sich gegen einen neuerlichen Zugriff der Zauberstabträger zu verteidigen, ohne gleich hunderte von Toten zu riskieren.
Lyndon Carfax, der als Mitglied des hohen Rates des Lebens als Pater Decimus Canadensis eingeschworen war, beobachtete das blütenweiße Marmorgebäude mit den goldenen Lettern GRINGOTTS OTTAWA über dem noch weit offen stehenden silbernen Flügeltor am oberen Ende einer breiten Treppe aus Granitstufen. Links und rechts des Tores standen vier Kobolde in rot-goldenen Uniformen bereit, Kunden zu begrüßen und die Umgebung zu überwachen, ob ein möglicher Bankräuber auftauchen mochte. In gewisser Weise mochten Carfax und die zwanzig verteilten Mitglieder seiner Einsatzgruppe als bitterböse Bankräuber eingestuft werden, falls Bowland von Buggles die Freigabe zur Besetzung aller Zweigstellen erhielt.
"An alle Mitglieder der Einsatzgruppe Goldkorngasse: Sollte es ab zwölf Uhr zu einem erhöhten Aufmarsch von Sicherheitskobolden und/oder dem Verschluss des Eingangstores kommen gilt Aktionsplan "Wirbelnder Wall" und die Erlaubnis zum schnellen Vorstoß mit Sonderausrüstung in die Schalterhalle. Achtung, menschliches Leben ist nach möglichkeit zu schonen!" befahl Carfax über einen eingerichteten Vocamicus-Zauber.
"Wirbelnder Wall in Ausgangslage gemäß Einsatzvorgaben", erfolgte eine Klarmeldung von einer Teilgruppe, die weit über der Goldkorngasse eine Für Augen ohne magische Eigenschaften unsichtbare Vorrichtung bedienten. Diese war wie ein übergroßer Kronleuchter mit einer dreißig Meter durchmessenden Mittelplattform gestaltet. Sie besaß 24 auf dreifache Ausgangslänge ausfahrbare Arme, unter denen aktivierbare Magnete befestigt waren, die je nach Wunsch eine dauerhafte Polung haben oder bis zu hundertmal in der Sekunde die Polung wechseln konnten, wobei dann galt, dass zwei benachbarte Magneten gegensätzlich gepolt sein konnten. Carfax musste mal wieder den Beschaffungsdienst der Gesellschaft bewundern, die es hinbekommen hatte, die Pläne der Magnetkraftrotoren aus Australien zu schmuggeln, ohne dass das Zaubereiministerium in Canberra davon Wind bekommen hatte.
Gerade läutete die große Uhr auf dem achteckigen Versammlungshaus in der Mitte der Goldkorngasse die Mittagsstunde ein. Zugleich drang aus dem noch offenen Portal alle zwei Sekunden ein kurzes Hornsignal.
"Ah, sie geben Alarm. Offenbar wollen Sie alle Leute da raus haben", dachte Carfax und mentiloquierte seiner Frau Louanne, dass die Kobolde offenbar einen Großangriff erwarteten und entweder alle Besucher rausjagten oder an einem Ort zusammentrieben, um sie doch noch als Geiseln zu benutzen. Doch das mit den Geiseln war in dem Moment vom Tisch, als die ersten dreißig höchst verstört bis verärgert dreinschauenden Hexen und Zauberer das Gebäude verließen, immer von zwei Kobolden gedrängt, die sofort wieder hineineilten, um weitere Leute herauszutreiben.
"Sollen wir da rein und das aufhalten?" wollte Silverpot wissen, der zu den bereitstehenden Einsatzkräften am Boden gehörte.
"Nein, nicht, solange die wen anderes hinausschicken. Wir sollten denen keinen Anlass geben, Geiseln zu nehmen."
"Ja, doch wenn sie nur einen Teil der Leute rausschicken und so um die fünfzig Leute zurückhalten?" fragte Silverpot.
"Werden wir erst reingehen, wenn der wirbelnde Wall errichtet wurde, Silverpot. Wann das geschieht ordnet entweder der erste Administrator oder ich selbst an. Haben Sie das alle verstanden?" fragte Carfax. Alle Einsatzgruppenmitglieder bestätigten das.
Der Strom der Hexen und Zauberer wurde dichter und schneller. Offenbar übten die Sicherheitstruppen von Gringotts einen gewissen Nachdruck aus. Jedenfalls durften die aus dem Gebäude hinausgeschickten mit großen Lederbeuteln heraus, in denen sicher Gold und Silber verstaut war. Der Vorgang dauerte mehr als dreißig Minuten. Dann kamen keine Hexenund Zauberer mehr heraus. "Wirbelnden Wall errichten!" befahl Carfax.
"Wirbelnder Wall baut sich auf", erhielt Carfax die Bestätigung. Da sah er, wie zwei Wachkobolde nach oben blickten und dann sehr schnell ins Gebäude zurückrannten. Kaum waren sie in der großen Eingangshalle bewegten sich die silbernen Torflügel aufeinander zu. "Achtung, Tor offenhalten!" befahl Carfax. Das war das Zeichen für zehn Einsatztruppenmitglieder, die unvermittelt sichtbar wurden und mit zwischen sich gehaltenen Silberfässern auf die aufeinander zuschwingenden Torflügel zurannten. Doch in dem Moment flogen von innen flirrende Armbrustbolzen nach draußen und trafen zielgenau die silbernen Fässer. Diese entfielen ihren Trägern und knallten laut scheppernd auf den Boden. "Achtung! Federleichtzauber aus Sperrtonnen entladen!" rief einer der zehn. Damit wogen die Fässer nun statt wenigen Kilogramm wieder je fünf Tonnen. Außerdem blitzte es um die Einsatztruppler violett und silbern auf, wenn ihnen geltende Bolzen in die Schildaura ihrer DrachenhautUnterkleidung eindrangen und darin verglühten. Allerdings bremsten die Entladungen den schnellen Vormarsch der Einsatztruppen deutlich ab, so dass sie nicht mehr rechtzeitig kamen, um das Schließen des silbernen Tores zu verhindern. Die beiden Torflügel trafen sich. Es rasselte laut und deutlich. Sicher schlossen gerade mehr als zehn starke Riegel, die Quer und senkrecht verliefen, dachte Carfax. Sicher griffen auch Verzahnungen zwischen den Torflügeln und zwischen Torflügeln und Boden. zugleich vermeldete die Mannschaft oberhalb der frei schwebenden Plattform: "Wirbelnder Wall steht!"
"Drachendreck! Diese Entladungsbolzen haben uns voll ausgebremst", knurrte Silverpot über die Vocamicus-Verbindung.
"Seien Sie froh, dass die Schützen keine Brand- oder Sprengbolzen verwendet haben", sagte Carfax, der daran dachte, dass die Schützen unsichtbar für alle letzten Kunden und die draußen wartenden Sicherheitsleute aufmarschiert sein mussten. Er dachte einmal mehr daran, dass Buggles kein Ultimatum hätte aussprechen sollen, sondern ohne Vorwarnung alle Filialen besetzen sollen. Dann fiel ihm wieder ein, dass der hohe Rat des Lebens diesem Ultimatum seinen Segen gegeben hatte, weil es ja gerade darum ging, keine unbeteiligten Hexen und Zauberer zu gefährden. Außerdem wollten sie den anderen Kobolden weltweit keinen passenden Grund für einen vereinten Feldzug gegen alle Hexen und Zauberer liefern. Tja, wenn sie gleich um zwölf Uhr die Sperrtonnen gegen die Torflügel gestellt und deren Federleichtbezauberung aufgehoben hätten ... Es half nichts. Mater Vicesima Secunda hatte beschrieben, wie wirksam ein aus koboldverarbeitetem Silber gebautes Tor darauf einwirkende Gewalten abwehren konnte. Vor allem die sonst so durchschlagenden Bluttränen der Hecate waren eindeutig ungeeignet, ein Koboldtor zu knacken.
Viele der aus dem Gebäude gejagten Kunden blickten auf die sich offenbarenden Einsatzgruppenmitglieder und fragten, was jetzt los sei. Carfax sah zwei gerade mal anderthalb Meter große, völlig gleich aussehende Hexen mit pechschwarzem Haar, die sich die Köpfe hielten und immer wieder mit schmerzvollen Gesichtern auf den Platz vor der großen Treppe blickten. Eine von denen wandte sich an einen der Einsatzgruppenleute. Carfax trat hinzu und hörte noch mit: "Was für einen wilden Irrsinn veranstalten Sie mit der Erdmagnetkraft? Das tut mir im Kopf dröhnen wie zehn aufgescheuchte Hornissenvölker."
"Ja, das hast du richtig beschrieben, Schwester. Und es tut in den Augen weh wie hundert grelle Blitze pro Sekunde. Also was soll das bitte?"
"Ach, die beiden Ironquill-Schwestern", begrüßte Carfax die beiden Schwestern mit einer angedeuteten Verbeugung. "Es gab eine Reihe von Streitpunkten mit den Hütern von Gringotts und der Koboldgemeinde von Kanada. Sie drohten uns mit Schließung von Gringotts, wenn diese Unstimmigkeiten nicht bis heute beigelegt werden sollten. Wir mussten darauf androhen, die Bewegungsfreiheit der Bediensteten einzuschränken, sollten sie diese Drohung wahrmachen. Aber danke, dass Sie beide uns einen Eindruck vermitteln, wie unsere Gegenmaßnahme auf reinrassige Kobolde wirkt."
"Ach. Lyndon Carfax, der König von Icy Creek. Sie sind ja weit fort von Ihrem Heimatdörfchen", sagte eine, wohl Paula Ironquill, während ihre Schwester, wohl Pamela Ironquill zustimmend nickte.
"Ich bin im Auftrag der Nordamerikanischen Magieadministration als Zauberwesenbeauftragter hier, um die Ereignisse zu beobachten und zu berichten, Ms. Ironquill", sprach er mit sehr ernster Stimme. "Ach, dann hat sie dieser Aufuhr um die Vereinigung der drei Nordamerikanischen Zaubereiministerien weiter nach oben gespült wie ein Fettauge in siedender Suppe."
"Bitte ganz vorsichtig, die werte Dame. Ich bin Beamter in gehobener Rangstellung. Mich zu beleidigen kann sehr teuer werden,und Sie merken ja gerade, dass Sie nicht an ihr hier eingelagertes Vermögen kommen."
"Klar", sagte die zweite der Hexen, die es mittlerweile vermied, in Richtung Treppe zu blicken. "Dann können wir auch nicht diese unsägliche Gemischtrassenregistrationsgebühr zahlen, die Ihre Abteilung und dieser Cyrus Picton verzapft haben", sagte die ältere wieder. "Ja, was sich bei rechtlichen Auffälligkeiten noch schwerwiegender auf Sie beide auswirken dürfte, Madam Ironquill. Also haben Sie jetzt drei Möglichkeiten: Sie beide unterlassen jede unerwünschte Bemerkung, entfernen sich selbst von diesem Ort oder werden von meinen Mitarbeitern in Gewahrsam genommen. Die Wahl liegt bei Ihnen." Die beiden sahen einander an. Dann nickten sie. "Wir gehen", sagte die ältere und ergriff die Hand ihrer Schwester. Sie gingen beide an die hundert Schritte weiter. Dann disapparierten sie Seit an Seit.
"Öhm, wer waren oder sind die zwei bitte?" fragte Don Silverpot, der mit seinem Zauberstab einige unsichtbare Zauber ausgeführt hatte. Carfax erklärte es ihm. "Oha, dann kriegen die Spitzohren da drinnen ja erst recht Hirnsausen oder Nervenfflattern. Ob das dann so gut ist?"
"Hmm, Ja, ist zu bedenken", sagte Carfax. Er erteilte den Befehl, die Drehzahl des wirbelnden Walles auf ein Viertel zu senken. Vielleicht ergab sich daraus eine Möglichkeit, die da drinnen zur Aufgabe zu bewegen.
Birkmock hörte das zu den Horntönen dazugekommene Blöken, dass den Wutlauten eines Felsenbocks entlehnt war. Dann erfolgte eine Warnmeldung über den Sammelrufzauber: "Achtung, Zauberstabträger haben vielarmigen Körper über Gebäude ausgerichtet, könnte eine Waffe sein." Gleichzeitig merkte er, dass irgendwas um ihn herum in Aufruhr geriet. Dann spürte er, dass aus allen Richtungen starke Eisenfangkräfte auf ihn einwirkten, während er den Sinn für seinen Standort verlor. Desgleichen begann der wie eine Erdkugel aus Silber beschaffene Standortanzeiger zu rasseln und wie wild zu wackeln. Dabei drehte er sich hin und her und glühte immer heller auf. Jetzt begriff er, was geschah. Diese Zauberstabträger machten irgendwas, dass die Ortsweisekraft der Erde durcheinanderbrachte. Ja, es war, als umtose ihn ein Sturm aus Eisenfangkraft.
"Aufforderung zur Lagemeldung!" rief Birkmock. Seine Stimme hallte leicht verzerrt von den Wänden wider. Auch sah er, dass die mit Clinglock verbundene Silbermaske zitterte.
"AArrrg! Melde sehr schnell über uns kreisende Eisenfangkörper mit wechselnder .... aaaah!" kam es mit viel Knisternund Fauchen unterlegt aus dem Mund der Silbermaske.
"Kreisende Eisenfangkörper?!" rief Birkmock. "Hier Zweigstellenleiter Birkmock, wer kann noch klar sprechen?!" rief er. "Ich fordere eine Meldung von jedem Abschnitt!" legte er nach. Eine Minute verging, in der nur das wilde Rasseln des Standortbestätigers zu hören war. Dann ließ der Aufruhr um ihn herum deutlich nach. Doch es war nur eine Abschwächung, kein Verebben. Der Standortbestätiger klickte in schneller Folge und drehte sich nun mal hin und mal her.
"Die machen uns fertig", dachte Birkmock. "Diese überlangen, rundohrigen Zauberstabschwinger machen uns hier fertig." Er stemmte sich aus seinen Sessel. Dabei merkte er, dass ihm irgendwas Kraft entzogen hatte. Dennoch schaffte er es zur Tür. Er musste nach nebenan, wo der Nachrichtenraum war.
Als er die Tür aufstemmte hörte er das unheilvoll wimmernde Geräusch. Es klang, als wenn sieben unterschiedlich große Glasscheiben mit nassen Fingern angestrichen wurden. Etwas wackelig auf den Beinen erreichte er den Nachrichtenraum und legte seine rechte Hand auf die Stelle der Tür, die ihn als zutrittsberechtigten erfasste. Immerhin tat sie sich vor ihm auf.
Der diensthabende Nachrichtenschläger saß vor den sieben unterschiedlich großen Glocken, die in einem Halbkreis um ihn angeordnet waren. Von diesen ging das wimmernde Geräusch aus. "Hallo, Leiter Birkmock. Meine Ohren tun weh. Die Glocken sind gerade erst wieder leiser geworden. Irgendwas macht, dass sie von selbst schwingen, aber nicht läuten, sondern Dauertöne machen."
"Diese Zauberstabschwinger benutzen frei über unserem Haus kreisende Eisenfangkörper, die sie unterschiedlich schnell über uns kreisen lassen können", knurrte Birkmock. "Offenbar wirken die auf unsere Nachrichtenglocken ein. Haben Sie schon Notläuten versucht?"
"Nein, ist unmöglich, Herr Birkmock", sagte der Nachrichtenschläger vom Dienst. Er führte es dem Zweigstellenleiter auch vor, indem er mit seinem Schlegel eine der Glocken schlug und nur ein verzerrtes Scheppern und Klirren hervorrief. "Ich kann keine der nötigen Töne damit schlagen."
"Die haben diesen wilden Wirbel wieder heruntergebremst, womöglich, weil Sie wissen wollen, ob das uns was anhat. Diese feigen Zwergenkothaufen. Ich bin wieder im Leitungsraum. Sollen die Glocken da wieder läutbar sein Notruf nach London, am besten auch mit Läutefolge für den Bund! Falls die Glocken wieder lauter werden kommen Sie zu mir!"
"Zu Befehl, Zweigstellenleiter Birkmock.", bestätigte der Nachrichtenschläger vom Dienst.
Im Leitungsraum sah Birkmock, dass die Silbermaske ihren Mund und ihre Augenhöhlen geschlossen hatte. Gleichzeitig hörte er die wild wummernde Meldung: "Kobolde am Boden in Abschnitten eins bis 24 Ebenen 1, 2, 3, 4 und 5. Heiler erforderlich!"
"Kobolde am Boden, tot oder nur ohnmächtig", dachte Birkmock und dankte dem Umstand, dass der Leitungs- und der Nachrichtenglockenraum im Schnittpunkt aller Abschnittslinien lag. Also mochten viele in den äußeren Bereichen durch den Angriff mit den Eisenfangkörpern handlungsunfähig gemacht worden sein. Ein eiskalter Entsetzensschauer überkam ihn. Was, wenn außer ihm und dem Nachrichtenschläger niemand mehr lebte? Was, wenn nicht nur dieses Haus von Gringotts auf diese Weise angegriffen worden war? Im Augenblick konnten sie ja mit niemandem reden. Ihm wurde jetzt überdeutlich bewusst, dass die Zauberstabträger genau das geplant hatten. Deshalb waren die sich so sicher gewesen, dass sie es sich mit ihm und den anderen Zweigstellenleitern verderben konnten, wann und wie sie wollten. Ja, sicher, wenn ihretwegen mehrere Kobolde getötet worden waren hieß das nichts anderes als Krieg. Doch mit so einer Waffe konnten sie aus sicherer Entfernung wirken, auf dutzende oder hunderte von ihnen zugleich. Jetzt hatte er eine gewisse Ahnung, wie sich die Wolfsleute fühlten, als jemand dieses blaue Todeslicht gegen sie eingesetzt hatte.
Meister Schieferbart hatte darauf bestanden, im Falle eines ausbrechenden Krieges nicht nachzugeben, alle kampffähigen Leute zum Kampf zu treiben. Aber wie sollten die gegen jemanden kämpfen, der sie bis fünfhundert Körperlängen unter der Erde treffen konnte? Das würde kein Kampf mehr sein, nur noch ein gezieltes, gründliches Auslöschen. Er hatte eine Frau, sechs Nachkommen und von denen auch schon zwanzig Enkel. Wollte er, dass die alle ausgelöscht wurden, weil dieser neue Obersprecher Buggles keine Kobolde mehr in seinem Herrschaftsgebiet haben wollte? Nein, er wollte das nicht. Doch was blieb ihm dann übrig? - "Lieber nur mein Leben als das meiner Anvertrauten und deren Nachkommen."
"Birkmock an jeden, der mich noch hören kann", setzte er zu dem Schritt an, der das Ende seiner Laufbahn, womöglich auch das Ende seines Lebens bedeuten mochte. "Alle Warnstufen beenden! Anweisung fünf ist widerrufen! Haupttor öffnen! Grünes Tuch zeigen!"
Es dauerte eine quälend lange Minute. Dann wusste Birkmock, dass ihn wohl niemand gehört hatte. Denn das Warngeblöke war noch zu hören. Doch er konnte von seinem Raum aus das Tor öffnen. Dazu musste er nur vier Stellen in der Wand hinter dem steinernen Tisch in einer vorbestimmten Folge berühren. Doch zunächst suchte er in seinem Raum nach etwas, dass die Farbe von Grünstein hatte. Er fand es in Form eines kleinen mit Stroh gefüllten Spielzeugdrachens, den ihm seine Enkeltochter Xalia gefertigt hatte: "Ein Friedensdrache, der nur schöne Lieder singen aber kein Feuer spucken kann", hörte er ihre unschuldsvolle Beschreibung in seiner Erinnerung. Ja, er hatte ihr erzählt, dass der grüne Edelstein bei den Erdkindern das Zeichen für friedliches Sprechen war und wer diese Farbe an sich hatte nicht angegrifffen werden durfte. Also wollte er diesen Drachen als weithin sichtbares Friedenszeichen tragen. Jetzt konnte er das Tor öffnen. Aber halt! Er musste es so einrichten, dass es erst aufging, wenn er in seine Nähe kam. Also berührte er in der dafür vorgesehenen Weise die vier Verbindungsstellen an der Wand. Jedesmal vibrierte seine Hand ein wenig. Dann hörte er ein leises Klackenund Ticken. "Haupttor teilentriegelt bis Eintreffen Zweigstellenleiter!" klang eine merkwürdig verzerrte Wortmeldung aus der Wand.
Birkmock verließ den Zweigstellenleiterraum. Da alle Warnstufen noch in Kraft waren musste er die geheimen Gänge nutzen, die nur der Zweigstellenleiter nutzen konnte. Unterwegs spürte er, dass diese verwünschten Eisenfangkörper immer noch mit einer gewissen Geschwindigkeit über dem Gebäude kreisten. Er meinte immer wieder durch einen starken, in seinem Kopf brummenden Windstoß zu dringen, wenn jeder Eisenfangkörper über ihm vorbeizog. Doch solange sie diese Dinger nicht wieder so schnell werden ließen wie am Anfang konnte er es aushalten.
Da er durch die nur für ihn nutzbaren Gänge ging - immerhin wirkten die Öffnungszauber noch auf seine Berührung - konnte er nicht sehen, was mit seinen Mitarbeitern war. Das musste er nachher klären, wenn er diesen lauernden Angriff auf sich und seine Leute hoffentlich beenden konnte.
Es dauerte lange. Sein Kopf wummerte immer und immer wieder. Nur die klaren Wegzeichen in den Wänden und der Zug der Schwerkraft halfen ihm, seinen Weg zu finden. Als er endlich nach knapp einer halben Stunde durch eine Geheimtür in die Schalterhalle eintrat sah er alle Sicherheitstruppen mit und ohne Rüstungen am Boden liegen. Sie zuckten im Takt der hier am stärksten spürbaren Eisenfangkraftwechsel. Also lebten sie noch. Erleichtert betrachtete der ebenfalls wie unter starken Windstößen wankende Birkmock die weitgestreut liegenden Mitarbeiter. Dann trat er an das große, silberne Portal. Sein Kopf dröhnte unter den auftreffenden Eisenfangkräften. Doch er schaffte es, seine linke und dann auch seine rechte Hand an je einen Torflügel zu legen. Es klackte laut. Dann sprangen rasselnd und klackend alle noch geschlossenen Verriegelungen auf. Dann, mit einem letzten metallischen Klack, sprangen die beiden Torflügel auf. Langsam aber gleichmäßig tat sich das Tor auf.
Birkmock zwinkerte wegen des hellen Sonnenlichtes. Dann besann er sich, dass er gerade einem überstarken Feind gegenübertrat. Er nahm den um seinen Hals geshlungenen Stoffdrachen und streckte ihn mit beiden Händen nach vorne aus. Hoffentlich wussten die da draußen, was das bedeutete.
Carfax hatte in den letzten dreißig Minuten viel zu tun bekommen. Nachdem er seiner Frau zumentiloquiert hatte, was ihm die Ironquill-Schwestern berichtet hatten hatte er über seinen offiziellen Abteilungsvorgesetzten veranlasst, dass überall dort, wo die Magnetrotoren benutzt wurden, deren Drehzahl und Polungswechsel auf das in Ottawa eingestellte Maß verringert wurden. Denn sollten die blitzartigen Magnetkraftänderungen wirklich tödlich für Kobolde sein würden sie nichts erreichen, außer für Menschen nicht mehr zu betretene Häuser voller Koboldleichen.
Als es zum ersten mal im geschlossenen Tor rasselte standen alle Mitglieder der Einsatzgruppe bereit, um was immer geschah abzufangen. Dann, eine halbe Stunde später, rasselte und klackte es vielfach im Portal, und die beiden silbernen Torflügel taten sich auf. Dann sahen alle, die gerade vor Gringotts versammelt waren, wie ein älterer, überaus genährter Kobold aus der Eingangshalle wankte. Er keuchte. In den Händen hielt er einen smaragdgrünen Spielzeugdrachen mit großen, goldenen Kulleraugen.
"Nicht angreifen. Smaragdgrün ist die Unterhändlerfarbe!" rief Carfax den Kollegen zu, die schon ihre Zauberstäbe anhoben.
"Friedenund Gnade!" rief der Kobold mit erschöpfter, krächzender Stimme. "Ich, Birkmock, Leiter dieser Zweigstelle, ergebe mich Ihnen. Aber bitte beenden Sie diese Pein!"
Jetzt sahen alle, wie der Kobold unter unsichtbaren Schlägen zu zucken schien, ja wie von Windstößen mal nach links, rechts, vorne und hinten getrieben wurde. Carfax gab die Anweisung, die Magnete stillzulegen. Als das bestätigt wurde befahl er dem Kobold, stehenzubleiben und seine Leute zu erwarten. Ihm würde nichts getan.
In einer halben Minute eilten zehn Einsatzgruppenmitglieder in die Eingangshalle und fanden die dort gerade wieder zu sich kommenden Sicherheitstruppen. Sofort legten sie ihnen geschmiedete Eisenketten an. Die Türen waren jedoch alle verschlossen. Außerdem gab es immer noch das Alarmblöken. Birkmock, der von zwei Zauberern bewacht wurde, erwähnte, dass noch alle Fallen und Abwehrzauber wie die Feuergarben, der Schurkenschlucker und die Steinlanzen in Tätigkeit waren und die Zauberer deshalb besser nicht versuchen sollten, ins innere vorzudringen.
"Können Sie die Fallen unschädlich machen, damit wir prüfen, ob die Verliese noch in Ordnung sind?" wollte Carfax wissen. Birkmock erwähnte, dass er nur die Warnstufe auf "Wachsam" herabsenken könne, wo diese gerade auf die äußerste Abwehr tödlicher Bedrohungen eingestimmt war, wie er an den Symbolen über den Kassiertischen erkennen konnte.
"Dann tun Sie das."
"Nein, dieser Gartorknuck wird das nicht tun", sagte einer der gerade wieder aufwachenden Kobolde. "Arrwuck! Arrwuck!!" rief er dann noch. In diesen Ruf stimmten auch die anderen erwachenden Kobolde ein. Carfax gab Befehl, die Rufer zu knebeln. So verstummte zumindest hier oben der wütende Ausruf "Arrwuck!" Doch nun konnten sie über das Alarmgeblöke hinweg aus den Tiefen des Gebäudes weitere Rufe und das Trappeln vieler Stiefel hören. "Sonnenwälle vor die Türen!" zischte Carfax. Birkmock rief: "Nein, wenn Sie im Abwehrzustand verschlossene Türen mit einem Feuer- oder Sprengzauber belegen bekommen sie das fünfache an Gegenwehr zurück."
"Gut, alle raus hier!" befahl Carfax. Er hatte einen Einfall. Die Kobolde würden ihm die Türen öffnen. Er musste nur aufpassen, dass sie das Tor nicht zuschlugen. "Silverpot, Bluebaanks, jetzt die Sperrtonnen an die Torflügel!" zischte er über die Vocamicus-Verbindung, während andere die ersten Gefangenen auf Tragegestellen hinausbugsierten. Birkmock, der immer noch den smaragdgrünen Stoffdrachen in den Armen hielt, ließ sich ohne Widerstand nach draußen führen.
"Tja, ihr kleinen Spitzohren, dann kommt da mal raus!" knurrte Carfax, während er auf das Wort "Arrwuck!" immer lauter von jenseits der Zugangstüren hörte.
Als Carfax sicher war, dass die kampfeslustigen Kobolde nicht mehr all zu weit weg waren eilte er nach draußen und musste die Augen zukneifen. Denn zwanzig silberne Sperrtonnen mit je fünf Tonnen Gewicht, spiegelten das Licht der Mittagssonne wie die silbernen Torflügel, gegen die sie nuun gestellt waren.
"Achtung, die Türen gehen auf!" rief Silverpot, der im Schutze eines Tarnzaubers vor dem offenen Portal stand. Da flogen die Türen auch schon auf, und mit einem laut gellenden Kampfgeschrei rannten an die hundert silbern gerüstete Kobolde heraus. Viele von ihnen waren mit Armbrüsten bewaffnet.
"lasst die ersten raus, dann Wirbelwall mit höchster Drehzahl!" befahl Carfax.
Silverpot wich freiwillig aus, als die erste laut johlende Gruppe durch die Eingangshalle rannte und vorsorglich einen Schwarm Bolzen durch das weit offene Portal feuerte. Doch die Bolzen zersprühten alle an den vorsorglich aufgestellten Sonnenlichtwällen, die dadurch, dass sie von ihrer natürlichen Kraftquelle und deren Widerschein von den Tonnen und Torflügeln beleuchtet wurden, die volle Widerstandskraft aufboten, als seien es einen Meter dicke, sengendheiße Stahlwände. Selbst die vorhin noch so tückischen Entladungsbolzen zerplatzten an den Sonnenlichtwällen zu kleinen, blauen Feuerbällen, die wild zischend auf und abhüpften, dabei noch ein paar weitere Bolzen zerstörten und dann mit tiefem Plopplaut erloschen.
Die Torflügel erbebten. Gleichzeitig klang ein hektisches Quäk-Quäk auf der Halle. Offenbar war das das Zeichen dafür, dass das Tor nicht geschlossen werden konnte, dachte Carfax. Dann quollen die ersten silbern gepanzerten Kobolde aus dem offenen Portal. Sie zielten auf die Sperrtonnen und schossen die Entladungsbolzen ab. Diese schlugen auch in die Tonnen ein, flackerten silbern und zerfielen zu Staub. in den Fässern blieben nur kleine Löcher. Da sie mit Blei gefüllt waren passierte nichts weiteres.
Jetzt schwärmten sie aus. Einige wollten die Sperrtonnen von den Torflügeln wegschaffen, die Mehrheit jedoch stürmte in Viererreihen auf die Sonnenlichtwälle zu. Carfax ließ die erste Reihe dagegenrennen und sah, wie sie mit Wucht zurückgeprellt wurde. Es stimmte also, dass Koboldsilber von Sonnenlichtwällen besonders gut abgewiesen wurde. "Wall wie abgesprochen jetzt!" kommandierte Carfax mit unüberhörbarer Überlegenheit in der Stimme.
Augenblicklich schlugen Funken aus den silbernen Rüstungen. Wo sie gerade noch lautes Kampfgeschrei losgelassen hatten gellten nun Schmerzensschreie von den entschlossenen Kriegern. Sie gerieten aus dem Laufrhythmus, schienen wie unter heftigen Schlägen zu zucken, bis sie laut scheppernd durcheinanderpurzelten und liegenblieben. Auch von drinnen erklang lautes Geschrei und Geschepper. Dann war es ruhig. Birkmock, der bereits in einer fahrbaren Einzelzelle mit geschmiedeten Eisengittern saß, stöhnte auf. "Vielleicht hat das gereicht", sagte Carfax.
Nun stürmten wieder die Zauberer vom Einsatzkommando "Goldener Schlüssel" in das Gebäude und fanden weitere hundert Kobolde am Boden und alle Türen offen. "Gut, die mit der Sonderausrüstung können vorrücken. Aber bitte nichts vorsätzlich zerstören!" befahl Carfax.
Das bereits bewährte Sonderkommando reiner Tisch, das bei diesem Einsatz in Kanada mit einbezogen wurde, rückte nun mit den bereits bewährten Einsatzmitteln durch die erste offene Tür vor. So mochte es Stunden, ja Tage dauern, bis sie alle Gänge entflucht und alle Fallen hoffentlich ohne Verluste entschärft hatten. Wenn sie dabei noch auf Widerstand treffen würden konnten sie den mit den chinesischen Erdkraftgegenschwingungstrommeln entgegenwirken.
Carfax erstattete Meldung und erfuhr, dass es auch bei den anderen belagerten Gringottsgebäuden versuchte Ausfälle gepanzerter Kobolde gegeben hatte. Jedenfalls konnten die Verteidiger ebenso von den dort eingesetzten Magnetvorrichtungen kampfunfähig gemacht werden. Tiefer in die Gebäude eindringen wollten die anderen Gruppen noch nicht.
Die Aktion "Goldener Schlüssel" wurde von Administrator Buggles um 14:00 Uhr Ostküstenzeit an die Öffentlichkeit berichtet. "Somit rufen wir alle noch in unserem Verwaltungsbereich befindlichen Kobolde und ihre Familien auf, verlassen Sie das Hoheitsgebiet der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation. Einen Krieg mit uns wird niemand von Ihnen überleben." Das bild von Birkmock mit dem grünen Spielzeugdrachen wurde im Kristallherold und der Stimme des Westwinds gebracht. Doch während der Herold spottete, dass Birkmock wohl auf die Kraft eines echten Drachen gehofft hatte, erklärte der Westwind noch einmal, was es mit smaragdgrünen Gegenständen bei Kobolden auf sich hatte und Birkmock mit diesem Zeichen vielleicht mehr für den Frieden zwischen Menschen und Kobolden geleistet hatte als Buggles, Catlock und Picton je gewollt hatten.
Brittany schilderte Millie, Béatrice und Julius, , was sie von diesem Tag aus den Zeitungen, dem Rundfunk und von Linda Latierre-Knowles mitbekommen hatte, die die Unterhaltung dreier Ehefrauen von Gringottskobolden belauschen konnte.
"Dann ist es also amtlich, dass Buggles und seine Leute die australische Magnetfeldkreiselvorrichtung haben", sagte Julius. "Sagen wir es so, Julius. Offiziell hat die Administration lautstarke Tonfolgen durch die Wände und den Boden geschickt. Aber Lino erwähnte was von wirbelnder Eisenfangkraft. Buggles darf ja nicht raushängen lassen, dass er die Pläne für diese Magnetkreiselvorrichtung bekommen hat und von wem genau."
"Das verstehe ich bei der Kiste nicht, dass VM Buggles das durchgehen lässt und dem womöglich sogar geholfen hat, an die nötigen Sachen zu kommen. Denen müsste der Frieden mit den Kobolden doch noch wichtiger sein als Buggles."
"Oh, da fällt dir nichts zu ein?" grinste Brittany. "Dann sage ich mal, was Tante Martha dazu gesagt hat. Sie meinte, dass VM nicht nur gegen Werwölfe und Vampire, sondern auch Kobolde und Zwerge zu Felde zieht, um die unbestreitbare Vorherrschaft magischer Menschen festzumauern. Für die ist Nordamerika eine Art großes Versuchslabor, um Waffen gegen aufmüpfige Zauberwesen auszuprobieren und zu verbessern. Demnächst ist ja wieder Vollmond. Hoffentlich haben sich echt alle nordamerikanischen Werwölfe registrieren lassen."
"Autsch! Ja, das blaue Licht. Stimmt, hat er ja angedroht und muss jetzt auch liefern, so grausam und abfällig das auch klingt. Und wenn die jetzt auch eine Kobold-Massenabtötungswaffe haben können die weltweit auf die Pauke hauen, weil sie dann ja auch mit missliebigen Mitmenschen fertig werden.
"Buggles rechtfertigt das immer noch mit den Notstandsrechten, die seit der Erdmagiewelle gelten", erwiderte Brittany darauf.
"Ja, Kriegsrecht. Hatten wir hier in Frankreich auch mal", sagte Julius. "Wundere mich echt, dass Buggles sich noch als Administrator und nicht als Führer ansprechen lässt."
"Magus Primus, Julius. Der Mensch ist doch größenwahnsinnig genug."
"Ja, aber nur ein Strohmann, eine Marionette, die Verkehrung einer Kasperlefigur, genau wie damals Thicknesse in Großbritannien", schnaubte Julius verächtlich.
"Sei froh, dass dieses alte Armband nicht abgehört werden kann, sonst brächte dir das echt auch eine Reise ins Babywunderland ein", sagte Brittany. "Ach ja, wegen der Kobolde hat Gegenministerin Bullhorn angekündigt, dass sie über die hier bei uns lebenden Kobolde Verhandlungen mit deren obersten Räten aufnehmen wolle, dass es für alle Seiten erst mal besser sei, wenn die Kobolde sich an sicheren Orten versteckten und Gringotts tatsächlich solange verschlossen halten sollten, weil Buggles so oder so auf das grüne Ersatzgeld bestehen würde. Die Antwort darauf kriegen wir wohl in einer der nächsten Kolumnen von Lino oder im Frühstücksfunk mit Roddy."
"Ich fürchte, klein beigeben ist nicht die Sache aller Kobolde. Die können eher auf die Idee kommen, alle Gringottsgebäude in die Luft zu sprengen, Methode "Verbrannte Erde", Britt."
"Ja, das könnte denen einfallen. Zaubermächtig genug sind sie ja auch", raunte Brittany. Dann fragte sie Julius: "Und was ist bei euch los?"
"Mit den Kobolden haben wir jetzt wieder ein gescheites Abkommen und konnten auch die Meerleute gewinnen, ein gegenseitiges Achtungs- und Anerkennungsübereinkommen zu schließen, ähnlich wie es das mit den Veelas gibt. Aber Buggles' Krieg mit den Kobolden und die immer noch mit ihren Waffen klirrenden Zwerge könnten das leicht wieder in Stücke hauen. Denn falls die Kobolde ihren amerikanischen Artgenossen beistehen wollen könnten die uns für mögliche Unterstützer der Feinde halten. Ich hoffe, die europäischen Kobolde gehen nicht auf einen Vergeltungsfeldzug."
"Bisher wurde kein toter Kobold gemeldet. Aber das will nichts heißen", seufzte Brittany. "Richtig, das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit, gilt leider in allen Lebenswelten", antwortete Julius betrübt. Dem konnte Brittany nur zustimmen.
Wie jedesmal, wenn sie miteinander sprachen endete es damit, dass Britts Mann den kleinen Leonidas hereinbrachte, damit der Aurore einen "Gudn Moagen" wünschen konnte und sich von Aurore eine gute Nacht wünschen lassen durfte. Dann endete die magische Bild-Sprechunterhaltung.
Eine Viertelstunde hatte Buggles noch bis zur Fortsetzung seines Arbeitstages. Ein wenig bedauerte er es, dass er seine Mitarbeiter per amtlicher Aufforderung dazu verdonnert hatte, in Good Times Valley, dem Tal der guten Zeiten, wortwörtlich ihre Zelte aufzuschlagen. Doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien waren seit dem erfolgreichen Sturm auf gleich drei Gringottsfilialen hochgefährdet. Nur hier waren sie wirklich absolut sicher. Jetzt kam auch noch dazu, dass in der Vollmondnacht wieder blaues Mondlicht über Nordamerika erstrahlt war. Alle nicht registrierten Werwölfe waren dabei gestorben. Damit hatten sie nun auch wieder einen offenen Krieg mit den Mondgeschwistern, sofern von denen noch genug da waren. Doch Buggles war nicht so naiv zu denken, dass die wirklich wichtigen von denen sich nicht schon längst in einem unortbaren Versteck versammelt hatten und wie hartnäckiges Unkraut darauf warteten, bis alle sichtbaren Pflanzen abgezupft und deren Wurzelwerk umgepflügt worden war, um bald wieder zu sprießen.
"Hier, erster Administrator, unsere Abteilung für Waffen und Abwehrvorrichtungen hat hundert Wolfsblitzer fertiggestellt", sagte Alfonso Buenavida, ein mexikanischer Mitarbeiter, der ihm von seinen bald nicht mehr so heimlichen Unterstützern geschickt worden war. Er übergab dem Administrator ein Gerät, dass silbern glänzte und wie eine halb so große Version des berühmten Coltrevolvers Marke Peacemaker aussah. "Ein Revolver? Die Pelzwechsler sind mittlerweile immun gegen Mondsteinsilberkugeln beziehungsweise tragen Abwehrbänder gegen jede Form von Silber am Körper."
"Ja, wenn es denn Silberkugeln verschießen würde. Das Ding heißt Wolfsblitzer, weil es blaue Blitze verschießt, sozusagen konserviertes blaues Mondlicht. Unser Chefthaumaturg hat herausgefunden, dass die selbe Wirkung auf einzelne Lykanthropen erzielt werden kann, wenn die zwölf darin eingebauten Ladekammern je zwei Nächte lang das Mondlicht aufsaugen. Das können sie dann in dreißig Sekunden wieder abgeben, wobei die Mondlichtentladung zu einem gebündelten und durch einen verspiegelten Lauf ausgerichtet auf ein winziges Ziel gelenkt werden kann. So ähnlich wirkt eine Muggelvorrichtung, die Laser genannt wird."
"Habe mir schon gedacht, dass Ihr Chefthaumaturg diese Vorrichtung im Sinn hatte", sagte Buggles. "Aber dann wirkt dieser Strahl nicht nur auf Lykanthropen, oder?"
"Für Normalmenschen gerade mal so heiß wie eine brennende Zigarette auf nackter Haut, Schmerzhaft aber nur bei mehrsekündigem Beschuß tödlich. Bei Lykanthropen reicht nur eine halbe Sekunde, um innere Organe zu überhitzen und in eine schmerzhafte und tödliche Teilumwandlung zu zwingen. Sie dürfen dieses Gerät gerne behalten, als Anerkenntnis für Ihre geleisteten Dienste für die magische Menschheit Nordamerikas", sagte Buenavida. Buggles hörte durchaus eine gewisse Herablässigkeit aus der Stimme. Doch weil kein anderer diese kurze Unterhaltung weit genug von der Zeltstadt Good Times Valley entfernt mithörte konnte er so tun, als hätte er das nicht mitbekommen, dass ihn Buenavida für einen ihm unterlegenen Handlanger hielt.
Auf dem Weg zurück durch die Zeltstadt zum kleinen, E-förmigen Schloss mit den drei Außentürmen und dem einen Mittelturm verstaute Buggles sein Exemplar des Mondblitzers, der laut Buenavida gerade bis zur letzten Kammer aufgeladen war. Bald schon würden die damit ausgerüsteten Werwolfjäger auch bei Tag und außerhalb der Vollmondnächte auf Jagd gehen. Denn mit den Lykanthroskopen waren die unerwünschten Halbmenschen ja auch ohne Vollmond auffindbar.
"Erster Administrator, in meinem Posteingang stapeln sich hunderte von Protestnoten und Anfragen ausländischer Zaubererzeitungsreporter", sprach der neue Leiter für internationale Zusammenarbeit den ersten Administrator an. Dieser deutete auf das Schlossgebäude. "In fünf Minuten in meinem Büro, Clark. Catlock kann gerne auch dabei sein. Sicher meckern die alle wegen der Kobolde und haben Angst, dass deren Spitzohren auch aufbegehren könnten", erwiderte Buggles mit unüberhörbarer Verachtung.
"Öhm, ja das auf jeden Fall auch. Aber es geht wohl auch um die neuen Familiengesetze und die neuen Strafvollzugsbestimmungen. Aber wenn Sie es wünschen erst im Büro."
Als Buggles dann im Büro saß durfte ihm Clark Doyle alle Protestnoten vorlesen, die in den letzten 24 Stunden eingetroffen waren. "Klar, dass diese langohrige Schreiberhexe Latierre-Knowles sich von den Koboldinnen die überempfindlichen Ohren hat volljammern lassen. Aber wie konnte die ihre Erlebnisse aus VDS rausbekommen?"
"Öhm, wohl per Fernkopierkasten, einer Erfindung von Florymont Dusoleil in Millemerveilles. Jedenfalls fordert mein Kollege in Paris einen sofortigen Ausweisungsstop für die noch in der Föderation verbliebenen Kobolde und eine offizielle Entschuldigung an die Hauptzentrale von Gringotts, um eine mögliche Ausweitung des Konfliktes zu verhindern. Öhm, dasselbe will auch der deutsche Kollege zusammen mit dem Kollegen von der Finanzabteilung, einem gewissen Giesbert Heller, übrigens ein Koboldstämmiger. Tja, und der britische Kollege warnt vor einem großangelegten Vergeltungsfeldzug, weil er mitbekommen hat, dass Sie, erster Administrator, diesen Feldzug befohlen haben."
"Ja, und in China fällt gerade wieder ein Sack voller Reis um und in Little Daisyiys, Idahoe wurde wieder eine neue Blumenkönigin gekrönt", spottete Buggles. "Ich habe denen gestern schon allen geschrieben, dass wir, die Nordamerikanische Zaubererföderation, allen Verbindungen mit dem alten Europa entsagt haben und die jahrhundertealten Zöpfe abgeschnitten haben, was die Kobolde angeht. Die sollen lieber vor ihren eigenen Häusern kehren, auch was die Toleranz von Werwölfen angeht. Dass diese durch einen Akt seltener Familienverbundenheit ins Amt gehievte Ornelle Ventvit sich für ein friedliches Miteinander zwischen Menschen und Kobolden stark macht wird sie auf kurz oder lang international isolieren wie diese italienische Furie Montefiori. Haben die auch was zu meckern, Clark?"
"Öhm, nein, die verhalten sich still, wohl weil die ja keinen Kobold mehr in ihrem Land haben. Könnte höchstens passieren, dass der italienische Zaubereiminister uns gratuliert, wenn wir das auch hinkriegen. Aber Peru macht Front wegen der blauen Mondlichtstrahlen. Die schreiben, dass jetzt sämtliche Werwölfe bei denen in den Dschungel reinrennen und sich da verstecken und unschuldige Kinder beißen, wenn sie weit genug außerhalb unseres Hoheitsgebietes sind."
"Denen steht es frei, auch um Unterstützung zu bitten", sagte Buggles und erhielt ein leises, rein gedankliches "Genau" zur Antwort.
"Ich habe hier noch was bekommen, von dem der Schreiberling vom Herold meint, er wisse nicht, ob er das seinem Redakteur vorlegen darf oder nicht", sagte Catlock und las dem ersten Administrator vor, dass einige Heiler der Ansicht waren, dass der echte Lionel Buggles wohl vor Monaten entführt und gegen einen Vielsaft-Trank-Doppelgänger ausgetauscht worden sein sollte, der nun im Auftrag von Vita Magica die bisherige Weltordnung umstoßen solle. Buggles fragte, wer diesen gefährlichen Unsinn verzapft habe und erfuhr, dass es etliche Heilerinnen aus dem HPK und drei europäische Heiler waren, die es zumindest nicht ausschlossen, dass es so gelaufen sein könnte, da ja auch einmal ein ehemaliger Auror von einem Handlanger des britischen Massenmörders Riddle alias Lord Voldemort entführt und gegen einen als dieser Moody auftretenden Handlanger in Hogwarts am trimagischen Turnier gedreht hatte.
"Sie fordern eine heilmagische Überprüfung und Bestätigung, dass Sie Sie sind, Sir", sagte Catlock. Buggles grinste und sagte dann: "Teilen Sie dem handzahmen Schreiberling mit, dass dieser Artikel nur unnötige Panik auslösen wird, weil jeder jeden anderen für einen feindlichen Doppelgänger halten könnte. Dann wurde ihm klar, was das sollte. Die hatten erkannt, dass er nicht mehr aus der Sicherheit seiner neuen Residenz herauskam. Also wollten sie es hinkriegen, dass er freiwillig das Tal der guten Zeiten verließ. Das konnte denen so passen, dachte er. Dadurch war er zwar in derselben vertrackten Lage wie die Bewohner von Viento del Sol, Misty Mountain und dem Weißrosenweg. Überall in Nordamerika entstanden kleine Festungen, umgeben von unruhigem Niemandsland, in dem sich die verfeindeten Gruppen immer wieder zu einem Scharmützel treffen konnten, jedoch ohne große Ziele zu erreichen. Eigentlich hatte er nicht in so einer Welt leben oder arbeiten wollen. Doch ebenso eigentlich hatte er damals auch nicht das Beistandsabkommen mit Vita Magica unterschreiben wollen. Doch weil sie ihn dazu gezwungen hatten war er nun auch der Gefangene seiner eigenen Vorsichtsmaßnahmen. Aber das musste und würde nicht so bleiben, beschloss er für sich.
Mater Vicesima aß gerade mit ihren beiden jüngsten Töchtern Anne-Catherine und Berenice-Sophie zu mittag, als sie eine erschreckende Gedankenbotschaft erhielt: "Véronique, Niederlassungsüberwacher meldet völlige Vernichtung von Karussellniederlassung Eurasien!"."
"Wie bitte?!" gedankenrief die kinderreichste Hexe der geheimen Gesellschaft Vita Magica. "Hergang noch unklar. Anzeichen für massiven Feuerzauber wie auf Sizilien", erhielt sie zur Antwort. Sie fühlte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. Das sahen die zwei kleinen Mädchen, die sie im Auswahlkarussell Amerika von George Bluecastle empfangen hatte. So wunderte sie sich nicht, als Berenice-Sophie fragte, ob was böses war. "Ja, kleines, was ganz böses. Maman muss das gleich mit den anderen Großen besprechen. "Erbitte möglichst klare Ergebnisse bis eins. Bin dann im Niederlassungsüberwachungsraum", schickte sie zurück. Zu ihren Kindern sagte sie mit sehr belegter Stimme: "Gut, was geschehen ist ist nicht mehr zu ändern. Wir müssen essen, um weiter stark zu bleiben." Sie muste sich beherrschen, nicht vor ihren beiden jüngsten Kindern zu weinen anfangen.
Als sie es schaffte, die zwei zu den anderen schon laufenden Kindern zu bringen wechselte sie per besonderer Ferntorverbindung in die Überwachungsstelle für sämtliche über den Erdball verteilte Niederlassungen. Dort war die Aufregung groß, denn jeder der sechs gerade tätigen Zustandsbeobachter hatte Verwandte verloren, darunter auch gerade erst geborene Cousinen, Cousins, Nichten und Neffen. Dementsprechend bleich sahen die aus, die es mitbekommen hatten.
"Die Verbindung war auf einmal weg, nachdem wohl zwei neue Kandidaten in das dortige Karussell eingebracht wurden. Einer aus Tirol und einer aus Irland, die bisher keine eigenen Kinder gezeugt haben", berichtete Überwacher Simon Haselzweig. Seine Nichte hatte dort auf den Kandidaten für ihr fünftes Kind gewartet..
"Erst einmal möchte ich euch allen sagen, dass ich vollkommen mit euch allen mitfühle", seufzte Mater Vicesima Secunda. "Wenn es wirklich wie auf Sizilien war, dann war es wohl dieselbe Kanallie, die uns vernichten will und selbst verboten gehört!" schnaubte sie vor aufkommender Wut. "Aber wieso konnte einer dieser Kandidaten oder beide mit so einem verwerflichen Zauber am oder im Körper dort eingelassen werden, wo wir klargestellt haben, dass alle Kandidatinnen und Kandidaten zuerst im Quarantänehaus überprüft werden und bei Verdacht anhaftender Flüche oder einverleibter Zaubergegenstände sofort weit von uns allen weggeschickt werden sollen?"
"Tja, das können wir den Betreuer der Niederlassung nicht mehr fragen", seufzte Simon Haselzweig. Véronique fühlte nun auch Angst in sich aufsteigen. Woher wusste diese Furie, welche Kandidaten die Gesellschaft auserwählt hatte? Wie kam sie an die heran? warum waren die nicht vor der Einbringung in das Karussell überprüft worden? Sie erkannte, wie leicht sie selbst dabei sterben konnte, wenn sie in einer der nun noch zwei Karussellniederlassungen sein würde, ja dass auch welche von ihren noch lebenden Kindern sterben konnten, wie es ja in der Niederlassung Siziliens passiert war. Dann fiel ihr ein, dass Ladonna Montefiori bereits ein Netzwerk ihr unterworfener Hexen geknüpft hatte. Wenn da welche bei waren, die erfuhren, wer demnächst auf eines der Karussells gesetzt wurde ... "Gib Nachricht an alle Niederlassungen, bis auf weiteres keine Einführung von Nachwuchsverpflichteten, bis wir wissen, was passiert ist!"
"Öhm, das wird dem Rat nicht gefallen", sagte Simon. Doch er nickte. Mater Vicesima Secunda hatte die Oberhoheit über die Auswahlkarussells. Wenn sie befahl, dort keinen neuen mehr hineinzusetzen, dann galt das auch vor dem hohen Rat des Lebens.
"Simon, sicher sind auch Angehörige von Ratsmitgliedern bei diesem hinterhältigen Anschlag gestorben. Das hat der Rat also zu akzeptieren", erwähnte sie noch. Dann verfolgte sie mit, wie ihre neue Anweisung weitergegeben wurde. Erst als sie sicher war, dass bis auf weiteres keine neuen Nachwuchsverpflichtungskandidatinnen und -kandidaten in die noch verbleibenden Niederlassungen hineingeholt wurden, selbst wenn das hieß, dass man die gesteckte Frist nicht mehr ernstnahm, würden doch viele hundert magische Menschenleben gerettet werden.
"Ich finde raus, wie ich dich aus deiner Blutfeuerburg holen und dir alle Veelahaare ausrupfen kann, du Sabberhexentochter", schwor Véronique nur in Gedanken. Doch die düstere Erkenntnis, dass Ladonna ihr und ihren Mitstreitern den zweiten schweren Schlag versetzt hatte war bedrückend. Blieb am Ende nur noch der totale Rückzug in die geheimen Niederlassungen?
Er wusste, dass er in einer sehr schwachen Position war. Er kam nicht als großer Heerführer, der einen glorreichen Feldzug beginnen wollte, sondern als armer Bittsteller, gerade mal wie ein zerlumpter Straßenbettler. Sie hatten ihn in den letzten Tagen immer wieder in den Verstecken aufgestöbert, die er meinte, sicher zu haben. Er kam nicht zu seinen Verwandten im Weißrosenweg. Ja, vielmehr hatte Meister Schieferbart erfahren müssen, dass diese in dem Moment aus ihren sicheren Behausungen verschwunden waren, als er ihnen über die Nachrichtenglocken den Aufruf zum gewaltsamen Aufstand geschickt hatte. Auch der Versuch, die verrufene Spilunke der Gebrüder Ullmock und Gutterneck zu erreichen hätte ihn fast in die Fänge dieser vom grauen Eisentroll in diese Welt geworfenen Koboldjägern getrieben. Das blinde Schwein, eine von Kobolden und ruchlosen Zauberstabträgern geführte Schenke, war gleich nach dem Aufruf zur Ausweisung aller Kobolde gestürmt und geräumt worden. Beinahe hätte ein dort angebrachter Melder ihn und seine beiden Leibwächter Bullstock und Fennock verraten. In seinem Verweilhaus konnte er auch nicht bleiben, weil diese Magnetkraftwirbelvorrichtung darüber ausgerichtet worden war. So war Schieferbart nur die Flucht durch die Erde nach Lima geblieben, wo er sich mit seinem Ratsbruder Meister Felsenbart getroffen hatte, der den spanischsprachigen Teil Amerikas verwaltete und immer mal wieder darum gezankt hatte, wer die Mexikaner überwachen sollte. Bei dem hatte er schon einen Vorgeschmack erhalten, wie sehr er in Ungnade gefallen war. Denn Felsenbart hatte über sein Erscheinen gelacht und gesagt, dass er ja auch seltendämlich gewesen sei, sich mit drei Zaubereiministerien auf einmal anzulegen. Immerhin hatte er ihm das zeitlose Tor auf die Mutterinsel geöffnet und war mit ihm hindurchgetreten.
Jetzt saß Meister Schieferbart vor zehn weiteren erhabenen Alten, dem Rat der grauen Bärte. Allerdings fehlte Meister Morgenbart, der einst die Kobolde der ehemaligen britischen Überseebesitzungen auf der Südhalbkugel der Erde anngeführt hatte. Doch der war wie alle Kobolde Australiens und Neuseelands im wilden Aufruhr erzürnter Erdmagie getötet worden. Somit waren es mit ihm, Schieferbart, nur noch elf erhabene alte Kobolde.
"Ich verstehe, dass du dich unmöglich ergeben konntest, Bruder Schieferbart", sagte Meister Wolkenbart, der Oberste des Rates und Anführer der Kobolde auf den britischen Inseln und den Inseln im Ärmelkanal. "War ja auch ein wenig zu viel der Beleidigungen, die du und die deinen von diesen Zauberstabträgern abbekommen haben", fügte er mit vor unsäglicher Ironie triefender Betonung hinzu. Die anderen lachten. Dann sagte Wolkenbart noch: "Das war doch schon klar, dass dieser Buggles euch loswerden wollte, als der diese zugegeben sehr gemeinen Vielfachtäuschzauber in eure Gringotts-Zweigstellen reingeschmuggelt hat. Aber allein dass der oder seine Schurken das konnten ist schon ein Ausbund gesammelter Dummheit. Tja, und als der sich dann noch Kanada und Mexiko eingeheimst hat hättet ihr spätestens wissen müssen, dass ihr nur dann noch erlaubt wart, wenn ihr dem die Stiefel abgelutscht hättet. Aber nein, du erklärst dem noch den Krieg und erlaubst ihm dadurch erst recht, alle Kobolde rauszuwerfen, ja in beschimpfender Weise wie lebendes Schlachtvieh fortzukarren und auf Schiffen wegzuschaffen. Du hättest bei den Anzeichen einfach nur sagen sollen: "Gringotts bleibt zu, solange nicht geklärt ist, was da in den Staaten passiert ist. Dann hätten die nichts machen können."
"Ja, hätten die nicht?" stieß Schieferbart aus und schilderte nun alles, von den verstorbenen Kameraden bei der Erdmagieentladung, über die Einführung dieses grünen Notfallgeldes bis zu den angeblich leeren oder verwüsteten Verliesen in Gringotts. "Die haben uns von Anfang an gedemütigt. Als der dann wollte, dass wir ihm bessere Bedingungen boten und uns ihm vollständig unterwerfen sollten konnte ich nur mit einer blutigen Vergeltung drohen, um meine und unser aller Ehre zu wahren. Ich wusste genausowenig wie ihr, dass diese Schurken mittlerweile Gerätschaften haben, mit denen sie die Eisenweisekraft der Urmutter verwirbeln können oder dass die gezielt auf reine Erdzauber eindreschende Schwingungswellen machen können. Da hättet ihr alle den Krieg ausgerufen. Ja, und wenn sich das rumspricht, dass wir Gringotts nicht mehr gegen alle Angriffe und Eindringlinge absichern können, dann werden auch alle anderen sowas machen. Dann verlieren wir unseren Reichtum und unsere Freiheiten und dürfen dann wie diese langnasigen, widerlich willfährigen Hauselfen dienen. Doch ich weiß, dass ich versagt habe, weil ich den Krieg laut angedroht habe und ihn nicht gemäßg dem Grundsatz der verletzten Ehre ohne weitere lautstarke Ankündigung zu denen getragen habe. Wenn ich nicht auf den Ablauf dieser Frist gewartet, sondern gleich zum offenen Kampf geblasen hätte, dann hätten die uns auf Knien um Frieden anflehen müssen."
"Sehr große Worte, Bruder Schieferbart", sagte Bruder Mondbart, der Sprecher der Kobolde in den deutschsprachigen Ländern. "Und jetzt kommst du auf Knien angekrochen und flehst uns an, dir mit unseren Truppen beizustehen, um dein Land zurückzuerobern, wo wir hier in der alten Welt genug eigene Sorgen haben?"
"Ach ja, der neue Obersaufbart aus dem Schwarzwald", knurrte Schieferbart, der überlegen musste, wie er die Anfeindungen beantworten sollte. "Hat euch dieser neue kleine König schon den Krieg erklärt, Bruder Mondbart?" fragte er.
"Erst mal denen in Australien, weil die seinen Vater mit ihrer Erdmagie umgebracht haben sollen. Aber da kommt keiner von denen hin, weil deren Flugapparate nicht weit genug ffliegen können und die noch mehr Angst vor großen Schiffen haben als wir", grummelte Mondbart. "Doch seine Leute scharren schon mit den eisenbeschlagenen Stiefeln und rütteln an ihren Schwertern. Wenn wir jetzt mit allen Zauberstabträgern einen Krieg anfangen wird der das als willkommenen Anlass sehen, unsere Goldwertrechte einzuheimsen und den Zauberstabträgern noch mehr Waffen liefern, mit denen die uns dann erledigen können. Dann müssten wir gegen zwei Feindesmächte kämpfen, von denen die eine locker fliegende Fernwirkungswaffen einsetzen kann, die hunderte von uns auf einen Schlag kampfunfähig machen oder töten. Ach ja, frag mal unseren Bruder Silberbart, was bei den Russen los ist!"
Der erwähnte Ratsgenosse erhob sich und berichtete, dass Minister Arcadi die schrillen Quieker gegen die wenigen Kobolde einsetzte, die es in Russland gab und sogar Unterstützung von den überschönen, langhaarigen Wald-, Berg- und Flusstöchtern erhielte. "Insofern, Brüderchen, kannst du noch froh sein, wenn deine Landsleute noch auf Ministeriumskosten in die Urheimat geschickt werden und nicht verbrannt oder zerfleischt auf einen großen Abfallhaufen geworfen werden."
"Wenn wir jetzt offen zum Krieg gegen die Zaubererwelt aufrufen werden die sich alle gegen uns verbünden, die uns immer schon unsere Begabung mit Edelmetallen geneidet haben. Selbst wenn wir die stärkeren Waffen haben sollten würde dieser Krieg ewig dauern", sagte Meister Wolkenbart. "Mein Großvater hat damals mit den Zauberstabträgern das Abkommen der gegenseitigen Anerkennung ausgehandelt, nachdem ein paar gold- und Ruhmsüchtige Hitzköpfe gemeint haben, mit denen eine Blutfehde anzufangen und auf unserer Seite dreihundert Kämpfer gefallen sind, wir die Urmutter aber nur mit dem Fleisch von fünfzig Zauberstabträgern gefüttert haben. Also gehen sechs von uns auf einen von denen, und wir sind auch Zahlenmäßig weniger. DA sollten wir froh sein, dass wir weitestgehende Eigenständigkeit und Hausrecht in Gringotts haben. Also, wenn du denen nicht den Krieg angedroht hättest, wäre es wohl möglich gewesen, die paar Betrüger zu ermitteln, die den Kunden deiner Landsleute was vorgemacht haben."
"Wie war denn das in Frankreich, Bruder Gischtbart", fragte Schieferbart den Ratsgenossen, der den Mittelmeerraum zwischen Pyrenäen und Adriaküste anführte. Dieser erwähnte, dass es in Frankreich eine Einigung gab, wenngleich hier noch zu klären war, ob die französischen Zwerge sich auf das Getöse von Malin VII. einließen, er jedoch besorgt war, weil Italien genauso für die Kobolde verlorengegangen war wie Australien und wohl jetzt auch Nordamerika. Schieferbart begriff, dass die europäischen Mitbrüder lieber einen Frieden mit genug Zugeständnissen auf beiden Seiten haben wollten als einen Mehrfrontenkrieg. Er versuchte es jedoch, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die nordamerikanischen Zauberer offenbar neuartige Vorrichtungen hatten, mit denen sie selbst die vielschichtigen und mehrfach verwobenen Koboldzauber durchbrechen oder zur zerstörerischen Entladung treiben konnten und das nicht hingenommen werden durfte. Darauf meinte Bruder Gischtbart: "Ja, wir alle hier legen Wert auf unsere Ehre und unsere Goldverwertungsrechte, Bruder Schieferbart. Auch der Umstand, dass eine einzelne Hexe erst in unser Hauptgebäude in London und dann in Frankfurt eindringen und dort ungehindert etwas stehlen konnte ist an und für sich eine Beleidigung. Doch wenn wir uns jetzt zu Kriegsgeschrei hinreißen lassen zeigen wir überdeutlich, dass wir uns auf die Füße getreten fühlen und dass es was gibt, dass uns allen zusetzt."
"Ja, und wir sind bereit, mit den Zaubereiministerien weiterhin auf rein geschäftlicher Grundlage weiterzuleben, wenn die uns nicht mit einem Bündnis mit den Saufbärten kommen. Dann und erst dann steht sicher fest, dass nur ein Krieg die Lage klären kann. Doch im Moment, liebe Brüder im Rate, würden wir diesen Krieg verlieren, wenn die Zwerge, die Veelas, die Wassermenschen und wer auch noch so mit den Zauberstabträgern zusammengehen. Ja, und die dunkle Königin im stiefelförmigen Land hat auch schon deutlich gezeigt, dass sie uns lieber heute als morgen mit Stumpf und Stiel ausrotten möchte. Wollt ihr, dass ihr dafür noch von den Zauberstabträgern gedankt wird?"
"Meine Heimat ist meine Ehre. Ich will, dass meine Söhne, Brüder, Neffen und anderen Verwandten dort wieder frei und mit allen Rechten leben können und das tun, was wir gut können, das Gold zu werten und zu hüten. Das will ich wiederhaben, Brüder, auch wenn ihr gerade weiche Knie habt, weil da ein krakehlender Saufbartkönig und ein aus drei verschiedenen Sorten Lebensform zusammengeschmiedetes Weibsbild ist, dass sich für die Königin aller Zauberstabschwinger und Zauberwesen hält. Seit wann lassen wir uns denn von launischen Weibsbildern vorschreiben, was wir tun und was wir verlangen können?"
"Buggles und seine Handlanger werden bald merken, dass sie mit ihrem flüchtigen Tauschwertpapierzeug nicht annähernd so gut handel treiben können wie wir es mit den von uns geprägten Münzen und schnellen Zahlungsanweisungen schaffen", sagte Meister Wolkenbart. Schieferbart fühlte die ohnmächtige Wut, weil sie ihn hier nicht mehr für voll nahmen, ja ihn wie einen verstörten Kleinling ansprachen, der keine Ahnung hatte, was richtig und falsch war. Jetzt wusste er, dass er bis auf weiteres keine Hilfe von den anderen bekommen würde. Die wollten ihre laufenden Geschäftsbeziehungen nicht gefährden oder trauerten den bereits vollendeten Tatsachen hinterher. Versuche, in Australien neu anzufangen waren unterbunden worden. Italien war Todeszone für Kobolde, und wenn die in den deutschen Ländern zu viel forderten machten die da lebenden Zauberstabträger womöglich gemeinsame Sache mit den Zwergen. Seit wann waren sie vom Volk der Erde so leicht einzuschüchtern? Klare Frage, klare Antwort, seit dem Tag, an dem die große Wut der Urmutter über sie alle hereingebrochen war und deutlich gemacht hatte, wie verwundbar sie alle waren.
"Wir werden alle die, die zu uns geschickt werden unterbringen", sagte Bruder Wolkenbart zu Schieferbart. Das gleiche hoffe ich von unserem Mitbruder Felsenbart. Dieser feixte, dass er ja schon eine große Anzahl mexikanischer Flüchtlinge in den südamerikanischen Ländern untergebracht hatte und sicher noch eine Menge Gold von denen bekommen würde, wenn die nordamerikanischen Zauberer es ihnen nachzuschicken geruhten.
"Noch sind wir nicht aus den Staaten ganz raus. In Viento del Sol leben noch fünfzig Männer und jetzt vierhundert Weiber und Kleinlinge. Die sind da und bleiben da, auch wenn Buggles noch so sehr hinter uns herjagt."
"Hähäh! Aber du kannst nicht zu denen hin, weil die einen Zauber gemacht haben, der böse Feinde fernhält, ein schöner alter Ureinwohnerzauber", spöttelte Felsenbart. Die Mitstreiter Gischtbart und Wolkenbart riefen die zwei aus Amerika stammenden Ratsgenossen zur Ordnung. Dann sagte Wolkenbart: "Was wir tun können ist, Entschädigungen zu fordern im Sinne dessen, dass es zwischen uns und den Zauberstabträgern ja eine geschäftliche Vereinbarung gab. Wenn sie nicht darauf eingehen können wir immer noch beraten, ob wir alle Gringotts-Zweigstellen der Welt schließen."
"Wolki, du wirst alt. Habe ich schon befürchtet, als du uns das mit dieser einen Hexe nicht erzählt hast", knurrte Mondbart. "Und jetzt meinst du, wir machen noch mal alle Bankhäuser zu, wo die Zauberstabträger schon rausgefunden haben, dass es im Ernstfall auch ohne uns geht? Wenn du das schon wieder vergessen hast wirst du echt alt."
"Ja, und weil ich hier der älteste bin und zudem das Hausrecht habe verbitte ich mir deine Unverschämtheiten, Bruder Mondbart. Deshalb verurteile ich dich wegen Beleidigung eines gleichrangigen Mitstreiters zur Zahlung von einem Viertel deines Gewichtes in lupenrein geschliffenen Diamanten, zu entrichten bis zum kommenden Vollmond."
"Du verurteilst mich?" fragte Meister Mondbart. Die anderen nickten Wolkenbart zu. "Ja, ich sehe es ein, dass wir uns nicht noch gegenseitig fertigmachen sollten. Also, du kriegst ein Viertel meines statttlichen Gewichtes in blitzblank geschliffenen Klunkern, Bruder Wolkenbart." Alle anderen nickten bestätigend.
"Ach ja, Bruder Schieferbart, du könntest deinen exilierten Landsleuten und mir einen sehr großen Dienst erweisen, wenn du das von uns eingerichtete Ankunftsamt an der irischen Westküste betreuen würdest", sagte Wolkenbart unvermittelt. Schieferbart verzog das Gesicht. Hatte der andere ihn gerade zu einer Art Anreisemeldebeauftragten herabgestuft? Er überlegte einige Sekunden. Dann sagte er: "Nein, ich werde in die Nähe meiner einzig wahren Heimat zurückkehren und dort darauf warten, dass der Tag kommt, wo sie uns auf Knien um Verzeihung bitten und uns anflehen, wieder ihr Gold zu hüten."
"Ja, wenn der große graue Eisentroll sich in einen Berg aus reinem Gold verwandelt", meinte Felsenbart. Dann sagte Wolkenbart sehr streng klingend: "Du bist auf meinem Hoheitsgebiet. Du hast mehrfach bewiesen, dass du derzeitig weder ein vereintes Volk führen kannst noch auf große Reichtümer zurückgreifen kannst. Sei also dankbar, dass ich dir eine wichtige Aufgabe zugeteilt habe. Die wirst du erfüllen, Bruder Schieferbart, und zwar solange, bis wir ein weltweites Abkommen haben, das uns allen unbeschneidbares Wohnrecht auf allen Erdteilen gewährt. Auch wenn zu befürchten steht, dass sich dafür vorher der große graue Eisentroll in einen großen Berg reinen Goldes verwandeln muss, so bis du gerade hier besser aufgehoben als an den Grenzen deiner ehemaligen Heimat, wo sie dich vielleicht ergreifen, um dir alles zu entreißen, was du über uns weißt."
"Du kannst mir weder Befehle erteilen noch mich zu irgendwelchen niederen Diensten zwingen, Bruder Wolkenbart. Denn ich bin und bleibe ein Bewohner der nordamerikanischen Lande, durch Bodenrecht und durch Blutlinie. Ich werde mein Volk nicht aufgeben, nur weil ihr alle zu ängstlich seid."
"Ihr habt ihn gehört, meine Brüder. Er hat uns alle verspottet, weil er sein Versagen nicht einsehen will. Ich bot ihm eine sinnvolle Tätigkeit. Doch er schlug sie aus. Dann sei er nicht mehr unser Mitbruder!" Schieferbart sah den weißbärtigen Artgenossen an. Dieser sah ihn an. "Du kannst nach deiner Heimat suchen und deinem eigenen Volk, Urlnuck oder den von mir erbetenen dienst tun, um deinem Leben einen Sinn zu geben. Aber den Zierrat der hohen Rangstufe brauchst du dafür nicht mehr."
"Wage es nicht, Wolkenbart", knurrte Schieferbart. Doch das waren genau die vier Worte zu viel. Denn Wolkenbart ergriff einen Schlegel und hieb damit auf eine silberne Glocke. Sofort stürmten vier Leibwächter in schwarzen Drachenhautrüstungen mit Silberbeschlägen herein. "Trennt ihm den Bart ab, denn er hat sich als undankbar und unberechtigt erwiesen", sagte Wolkenbart.
Schieferbart versuchte, sich dem Zugriff der Hausgarde zu entziehen. Doch die waren zu schnell und zu stark. Zwei ergriffen ihn bei den Armen. Einer drückte ihn auf den hochlehnigen Stuhl zurück. Dann kam der vierte Wächter mit einem blitzenden Silberdolch an und schnitt ihm mit großer Eile und Geschick den unteren Teil seines Bartes ab. Schieferbart fühlte, wie die Klinge gefährlich an seinem Hals entlangfuhr. Hier und jetzt mit durchgeschnittener Kehle zu verenden wie eine geschlachtete Felsengeiß wollte er nicht. So musste er sich gefallen lassen, wie ihm auch der Wangenteil seines schiefergrauen Bartes abrasiert wurde. Als wenn das nicht schon demütigend genug war musste er auch noch hinnehmen, wie ihm das Gewand des Ratsmitgliedes vom Körper gerissen wurde und er einen erdbraunen Umhang ohne Verzierungen übergeworfen bekam. "So geh und suche deine Heimat und dein Volk, Urlnuck. Möge dir die allgebärende Urmutter gnädig sein!" sagte Meister Wolkenbart, während der entbartete und seiner Rangbekleidung entledigte Kobold aus Nordamerika von zwei Wächtern abgeführt wurde, um außerhalb des Beratungshauses einen Freien Zugang zur festen Erde zu erhalten. Er wusste, dass sie gleich noch die ihm abgetrennten Barthaare verbrennen würden, um ihn als unbefugten zu kennzeichnen, der dieses Gebäude niemals nicht mehr betreten durfte. Denn wer als Sohn des Erdvolkes von einem Ratssprecher der Gnade der allgebärenden Urmutter anempfohlen wurde konnte und würde keine Hilfe mehr von jenen erhalten, auf dessen Boden er sich aufhielt. Tiefer als er jetzt gestürzt war lauerte nur noch der große graue Eisentroll.
"Und dieser hinterlistige Felsenbart wird sich den ganzen Erdteil einverleiben, wenn der mit Buggles ein Abkommen treffen kann", dachte der ehemalige Schieferbart. Tja, er hätte wohl doch mit Rubycutter ein Stillhalteabkommen treffen sollen. Aber er hatte ja vorher nicht gewusst, was die Zauberstabträger gegen seine Artgenossen aufbieten konnten und wie eingeschüchtert die anderen Graubärte nun waren.
Es war schon die siebte Sondersitzung innerhalb eines Monats. Anthelia/Naaneavargia wusste, dass es ihren Schwestern schwerfiel, von ihren bekannten Wohn- und Arbeitsstätten fortzukommen, ohne aufzufallen. Doch die neue Lage erforderte eine umfassende Beratung. Diesmal hatte sie auch alle aus Europa und allen ehemaligen europäischen Kolonien eingeschworenen Hexen ihres Ordens dazugebeten. Denn was gerade in Nordamerika vorging mochte weltweite Auswirkungen haben.
Zunächst einmal unterrichtete sie ihre Mitschwestern darüber, dass sie am 6. Juni als heimliche Zeugin der kurzn magnetischen Belagerung von Gringotts New York mitbekommen hatte, wie diese Magnetfeldkreiselvorrichtung auf die Kobolde gewirkt und sie zum teil zu einer Art panikartigen Massenselbsttötung und zum anderen Teil zur Aufgabe getrieben hatte. Sie stellte klar, dass die Leute um Lionel Buggles nun zwar in dieses und alle anderen nordamerikanischen Gringotts-Gebäude hineingelangt waren, jedoch nicht an die Verliese und deren Inhalt herankamen, weil die Koboldzauber immer noch und womöglich noch aggressiver gegen Eindringlinge und Diebe wirkten. Allerdings, so erwähnte sie, sei sie schon beeindruckt, mit welchen auf Erdzauber ausgerichteten Gerätschaften Buggles' Leute ausgerüstet seien und dass es je danach, ob die Verliese erhalten oder vernichtet werden sollten, in wenigen Tagen oder einem Vierteljahr möglich sei, alle Koboldzauber von Gringotts zu durchdringen oder gar restlos auszulöschen. Sie verschwieg ihren Mitschwestern dabei, was sie von den beteiligten Hexen und Zauberern mitbekommen hatte und dass die für unbezauberte Augen unsichtbaren Plattformen mit den aus- und einfahrbaren Armen mit angesetzten Magneten auch ihrem Erdmagnetspürsinn arg zugesetzt hatten. Allerdings war das ja kein natürlicher Sinn, sondern eine von Naaneavargia erlernte und geübte Sinneserweiterung, die sie beliebig nutzen oder abschwächen konnte. Auch hatte sie an den Gedanken der über ihr dahinfliegenden Patrouillenzauberer und zwei auf dem Boden herumlaufender Leute unterscheiden können, wer womöglich aus freiem Willen und wer unter einem dauerhaften Geisteseinfluss handelte. Jene, die sie für beeinflusst hielt, dachten mit einem wie ein leicht dumpf wummerndes Echo klingenden Gedanken, während jene, die sie für unbeeinflusst hielt so frei und klar dachten, wie sie es üblicherweise erfassen konnte. Allerdings hatte sie keine Gedanken erfasst, die mit Vita Magica zu tun hatten. Das mochte jedoch nichts heißen, weil sie davon ausging, dass die Angehörigen dieser auch ihr verhassten Gruppierung dieses Wissen tunlichst mit dem Divitiae-Mentis-Zauber vor jeder Enthüllung verbargen, sofern sie nicht in ihren auffälligen Riesenbabyverkleidungen herumliefen.
"Dann haben wir jetzt echt Krieg mit den Kobolden?" wollte Melonia wissen. Anthelia/Naaneavargia musste das wohl bestätigen. "Es sind allein da, wo ich mich im Schutz verschiedener Unauffindbarkeitszauber aufgehalten habe an die hundert Kobolde gestorben, die meisten beim Versuch, durch den wirbelnden Wall ständig die Kraftrichtungen wechselnder Magnetfelder zu brechen, aber auch viele, weil deren Gehirne schlicht weg von den Überreizungen ausgebrannt wurden. Zumindest entnahm ich das den Gedanken jener, die nach der Aufgabe von Gringotts in die Schalterhalle vordrangen und dort alle die zum Kampf bereitstehenden Kobolde tot vorfanden."
"Dann werden die wohl ihren Geheimtrupp schicken, falls die sich von dem Schlag erholt haben, den ihnen Buggles' Leute zugefügt haben", erwiderte Portia Weaver.
"Ja, und vor allem werden die Kobolde außerhalb Nordamerikas jeden Handel verweigern, der nicht von einem der ihren unterstützt wird. Will heißen, nur Kobolde dürfen Goldüberweisungen durchführen. Nur koboldgeprägte Münzen sind im Ausland gültige Zahlungsmittel", sagte Albertrude Steinbeißer. Sie erwähnte dazu, dass sie von einem Kollegen aus der deutschen Handels -und Finanzbehörde entsprechendes mitbekommen hatte, zumal der Leiter eben jener Behörde selbst ein koboldstämmiger sei und deshalb ein natürliches Interesse daran hatte, es sich nicht mit den Kobolden zu verscherzen, auch wenn ihm das im Moment Schwierigkeiten wegen der immer mehr aufbegehrenden Zwerge einbrockte.
"Dann, höchste Schwester und ihr anderen Schwestern, ist doch die Frage, was es Buggles und wohl auch Vita Magica bringt, es sich mit den Kobolden zu verderben?" wollte die südamerikanische Mitschwester Alicia wissen. Darauf antwortete Anthelia: "Vita Magica strebt die vollkommene Vorherrschaft der Hexen und Zauberer über alle anderen magischen Geschöpfe an. Sie wollen festlegen, wer es wert ist, zu leben und wer es wert ist, für die Interessen ihrer eigenen Mitglieder und Angehörigen zu arbeiten oder nicht. Die Wwerwesen haben sie bereits als auszurottende Gruppe eingestuft. Aber dazu komme ich gleich noch. Was die Kobolde angeht war die Welle ungerichteter Erdmagie eine Art Weckruf für alle, denen die Goldwertbestimmung und Handelsüberwachung der Kobolde ein Stachel im Fleisch war. Falls es gelingt, dieses Goldwertalleinbestimmungsrecht in Nordamerika dauerhaft zu beenden, können sie das auch in allen anderen Ländern durchsetzen. Im Grunde sind die nordamerikanischen Hoheitsgebiete ein sehr großes Versuchsfeld für so viele Dinge gleichzeitig, für deren Familienzuwachsansichten, für deren Ansichten über gute und schlechte Zauberwesen und inwieweit sie ganze Länder und Völker beherrschen können, ohne selbst in Erscheinung treten zu müssen. Im Grunde, so ungern ich das zugeben muss, machen diese Fortpflanzungserzwinger nichts anderes als das, was auch wir vorhaben, nämlich eine Vorherrschaft zu errichten, die klare und unumstößliche Beschränkungen für bestimmte Gruppen festlegt. Wir könnten also abwarten, ob sich deren Ansprüche und Vorhaben durchsetzen oder nicht. Doch weil diese Leute eben meinen, Hexen seien grundsätzlich Zuchtstuten oder Legehennen müssen und werden wir diesen Widerlingen Einhalt gebieten. Aber auch dazu gleich noch einmal mehr. Jetzt geht es erst einmal um das zweite Anliegen, weshalb ich euch herbat", sagte die höchste Schwester.
Nun bat sie die aus Kanada, den USA und Mexiko stammenden Schwestern, was über die letzte Vollmondnacht zu berichten. Diese erwähnten, dass sie mitbekommen hatten, wie an mehreren Stellen des Landes jenes blaue Licht aufgeleuchtet hatte, unter dem Werwölfe innerhalb von Sekunden bis zur Selbstentzündung aufgeheizt wurden. Es habe zehn nichtregistrierte Lykanthropen erwischt, weil die Registrierten alle auf Druck von Buggles' Werwolfüberwachungsbehörde in die ersten provisorischen Sammellager eingezogen seien, bis deren schön weit von allen unbelasteten Menschen errichtete Werwolfsiedlung Pacific Moon fertig sei. Ob auch Mondgeschwister unter den toten Werwölfen seien wusste hier keine. Dann erwähnte Schwester Delila aus Toronto, dass sie als Mitglied der Zauberwesenüberwachung mitbekommen habe, wie am Tag nach Vollmond mehrere unsichtbare Zauberer durch die Stadt gezogen seien und mit kleinen Handfeuerwaffen der Magielosen nachempfundenen Vorrichtungen auf scheinbar arglose Leute geschossen hätten. Allerdings seien dies keine festen Geschosse gewesen, sondern flirrende, nadelfein gebündelte blaue Lichtstrahlen gewesen. Die davon getroffenen wären augenblicklich tot umgefallen, wobei aus den getroffenen Körperstellen schwarzer Qualm ausgetreten sei, als hätten stark erhitzte Brandpfeile sie getroffen. Danach seien Vergissmichs aufgetaucht, die die Zeugen dieser Angriffe behandelt hätten. "Kommando blauer Blitz", so nannte sich diese Einsatztruppe für Kanada und womöglich auch für das gesamte Hoheitsgebiet der Föderation, so Delila.
"Ich bestätige das - La Tropa Rayo Azul", sagte die mexikanischstämmige Mitschwester Malvina aus Tihuana. Dann berichtete sie, wie erst eine von Gringo-Touristen gerne besuchte Tanzbar von blauem Licht überflutet worden war und am Morgen danach ebenfalls auf Harvey-Besen reitende Zauberer mit diesen kleinen Blaulichtstrahlenpistolen herumgeflogen waren. "Sah aus wie in einem dieser Weltraummärchenfilme, von denen ja gerade wieder einer so viel Publikum anzieht", sagte Malvina und sah dabei die aus der nichtmagischen Welt stammenden Mitschwestern Romina, Agata und Morna an. Diese nickten.
"Also haben wir es mit dem bereits bekannten Massenabtötungsartefakt von Vita Magica zu tun, als auch mit einer wohl auf Einzelziele ausgelegten Abwandlung, die die am Tage anscheinend arglos herumlaufenden Lykanthropen töten kann, sofern es Lykanthropen waren", sagte Anthelia. "Wenn dieses Einsatzkommando blauer Blitz genug dieser Einzelzielvernichtungswaffen erhalten hat werden die Mondgeschwister ihre Drohung kaum wahrmachen können und für jedes getötete Mitglied keine sechs unbefallenen Menschen beißen können. Wenn ich das richtig zusammengezählt habe kamen bei den am hellen Tage stattfindenden Nachfolgeaktionen insgesamt zehn weitere Lykanthropieverdächtige um, richtig." Die mit diesem Vorgang vertrauten Schwestern nickten. "Dann werden die es jetzt wissen, dass sie auch am Tag nicht unbehelligt bleiben. Denn sicher haben Buggles und seine Leute jene trefflichen Werwolfaufspürgerätschaften dabei, die meines Wissens nach im Marie-Laveau-Institut erfunden wurden." Auch hier nickten alle. "Besteht für euch, die ihr mit diesen Zauberwesenfachleuten zu tun habt, die Möglichkeit, eine oder zwei dieser neuartigen Einzelzielwaffen zu erbeuten, ohne dass es den anderen auffällt?" fragte Anthelia noch. Die Angesprochenen schüttelten ihre Köpfe. "Sagen wir es so: Auch für unser Vorhaben wäre eine derartige Werwolfabtötungsvorrichtung sehr brauchbar. Daher fordere ich euch auf, sofern ihr weder Leib noch Leben riskieren müsst, die Pläne dieser Waffe zu beschaffen, damit wir ergründen, ob wir sie für unsere Schwesternschaft nachbauen können oder nicht. Womöglich ist hierfür auch ein besonderes Material nötig. Aber das können wir nur erfahren, wenn wir näheres über dieses Todesstrahlgerät wissen. Bei der Gelegenheit, wurde es auch schon gegen unbefallene Menschen benutzt?" Hierauf wusste keine eine Antwort. "Ich vermute, dass wer immer dieses Mordwerkzeug erfunden hat Versuche an lebenden Wesen machen musste, um deren Wirksamkeit zu überprüfen und nach Bedarf zu verändern. Vielleicht wirkt diese Waffe auch gegen Vampire. Denn sie erinnert mich in gewisser Weise an die Sonnenlichtkeulen des alten Reiches, die gesammeltes Sonnenlicht bündeln und in einem Bruchteil der Zeit, die seine Sammlung dauerte, auf ein ausgewähltes Ziel übertragen konnten. Insofern wäre es für mich auch sehr erstrebenswert zu wissen, wer genau diese Vorrichtungen ersonnen und gefertigt hat. Am Ende hat diese Person noch Zugang zu den fast vergessenen Quellen der alten Magie, die mit dem alten Reich vor vielen Jahrtausenden unterging. Ich kenne zwei, die Zugang zu diesem alten Wissen haben. Doch die sind ganz sicher keine freiwilligen Helfer von Vita Magica, zumal die eine von ihnen an einem gut abgeschirmten Ort wohnt und der andere gelernt hat, sich vor geistigen Zugriffen zu schützen", sagte Anthelia.
"Du willst also eine von diesen Waffen haben, höchste Schwester", sagte Delila. Anthelia nickte energisch. "Gut, ich kenne einen, der damit hantiert hat. Wenn du ihn willst besorge ich ihn dir."
"Ich will nur eine solche Waffe haben und das möglichst unauffällig, Schwester Delila", erwiderte die oberste Spinnenhexe. "Wenn wir nämlich jetzt welche von denen einfangen und egal für wie lange festhalten wissen die sofort, dass wer hinter ihnen her ist. Abgesehen davon haben jene, die die Baupläne kennen diese sicher in ihrem Geist versiegelt. Es reicht mir also eine von diesen Waffen, Schwester Delila."
"Ich meine, ich hätte dir einen bringen können, der ziemlich sicher zu denen von Vita Magica gehört, höchste Schwester", erwiderte Delila.
"Ja, und genau die sind ganz sicher gegen unfreiwilligen Verrat geschützt, genauso wie du und alle anderen hier. Sicher könnte ich den dazu bringen, mir etwas zu verraten. Aber am Ende verliert er noch sein Gedächtnis, und sein Fortbleiben fällt auf. Nein, sieh zu, dass du eine dieser Waffen beschaffen kannst! Mehr geht im Augenblick nicht", bekräftigte Anthelia ihren Einwand. Delila Wittley nickte beipflichtend.
Es ging dann noch um das Für und Wider der blauen Todesstrahlen und inwieweit es überhaupt möglich sei, die Lykanthropie vollständig aus der Welt zu schaffen. Sie waren sich darin einig, dass sie die Pläne dieser Vorrichtungen und fertige Ausführungen erbeuten wollten, wenngleich Vita Magica die Pläne garantiert an einem geheimen Ort verwahrte. So konnten sie im Grunde nur hoffen, beim nächsten Vollmond eine der Vorrichtungen zu erwischen, mit der Werwölfe auf großer Fläche umgebracht werden konnten. Damit endete die heutige Sondersitzung.
Als die Mitschwestern sich nacheinander verabschiedeten und in ihre gewohnten Umgebungen zurückkehrten verblieben noch Albertrude Steinbeißer, Louisette Richelieu und Portia Weaver bei Anthelia.
"Euch drei wollte ich wegen der Sache mit den Kobolden und Zwergen noch einmal sprechen", sagte Anthelia. Die drei bei ihr sitzenden Mitschwestern sahen sie aufmerksam an. "Schwester Albertine, du hast erwähnt, dass dieser neue Zwergenkönig jede Verhandlung mit den Kobolden ablehnt, solange nicht klar ist, wer für den Tod seines Vaters und aller anderen Zwerge aufkommt und ob er ein Goldwertbestimmungsmitspracherecht erhält, richtig?"
"Es wurde ein eigenes Sonderbüro mit zwanzig Mitarbeitern eingerichtet, das diesen Konflikt beenden soll, höchste Schwester", sagte Albertrude. "Allerdings sieht es gerade nicht danach aus, dass Malin VII. von seiner sehr hohen Forderung abrücken wird. Er will die Zwerge zur neuen Führungsriege im magischen Handel machen und die Toten aller Zwergenvölker rächen. Er hofft, dass ihm dann auch die Könige der nordischen Urvölker die Gefolgschaft schwören, wie er es bei den wenigen britischen und den italienischen Zwergen schon erreicht hat."
"Soso, die italienischen Zwerge wollen ihm folgen?" fragte Anthelia. Albertrude erwiderte, dass diese sich von Malin Unterstützung gegen das italienische Zaubereiministerium erhofften. "Will sagen, ob er mit ihnen zusammen einen Krieg gegen Ladonnas Marionetten führt", fügte die wie Anthelia aus zwei Hexenseelen zu einer machtvollen Hexe vereinte hinzu. "Ihn ärgert wohl, dass er die Belgier und Franzosen nicht auf seine Seite ziehen konnte, weil die belgischen Zwerge sich zu gut mit den französischen verstehen und die darauf warten, dass die französischen Kobolde sich dazu herablassen, mit ihnen über eine Änderung des Goldwertmitbestimmungsrechtes zu verhandeln. Aber dazu kann Luisette sicher mehr sagen, falls die ihre Kontakte noch nicht gekappt haben."
"Haben sie noch nicht gefunden, meine holde", sagte Louisette Richelieu ein wenig verstimmt. Dann berichtete sie, dass ein Abkommen zwischen Menschen, Zwergen und Kobolden in Frankreich möglich war, allerdings nur, weil der für die Kobolde sprechende Graubart Gischtbart mehr Sinn im Frieden sah als in einem blutigen Krieg sowohl mit den Menschen als auch mit den Zwergen. Allerdings würde diese Unterhandlung so geheim geführt, dass die magische Öffentlichkeit nichts davon mitbekam, auch um das Ansehen der Kobolde in Frankreich zu sichern und den Zwergen keine Möglichkeit zu bieten, gezielt dagegen vorzugehen. "Meister Gischtbart hat von Ministerin Ventvit Personenschutz angeboten bekommen. Doch er hat ihn abgelehnt und sich darauf berufen, dass er den Bund der zehntausend Augen und Ohren zu seinem Schutz einfordern kann, auch und vor allem, um nicht von Zwergen getötet zu werden. Dieser Malin ist ein Kriegshetzer übelster Sorte.""
"Wohl wahr, Schwester Louisette", bestätigte Albertrude. "Der meint jetzt, seinen verstorbenen Vater übertreffen zu können und in einem Jahr das alles hinzukriegen, was sein Vater in einem Jahrhundert nicht erreicht hat. Von wegen Weckruf durch die Welle der Erdmagie, Schwestern. Auch er empfindet den Aufruhr der Erdzauber als Weckruf, um das seiner Meinung nach ehrlose Stillhalten der Zwerge zu beenden."
"So, was wollen die denn machen, streiken?" fragte Louisette ihre Mitschwester, von der sie wohl noch annahm, dass diese ihre Geliebte Albertine war.
"Vor allem nach Gründen suchen, um sich und anderen die Köpfe einzuschlagen, Schwester Louisette", erwiderte Albertrude harsch. Anthelia gebot mit einer Handbewegung Ruhe. Dann sagte sie an Portia Weavers Adresse: "Du hast mitbekommen, wie irrsinnig das ist, was Buggles und seine Leute hier anstellen. Auch wenn es in den Staaten nur wenige Zwerge gibt, die meisten von denen sind heimlich aus Deutschland eingewandert. Will sagen, die könnten sich Malin VII. verbunden fühlen um das Macht- und Bevölkerungsvakuum auszufüllen, dass die Vertreibung der Kobolde hinterlassen hat. Also bitte ich dich, da auch genauer hinzuhören, wer da was zu tun hat!"
"Ich bin in dem Bereich nicht tätig, höchste Schwester. Ich bin in der Goldwertbestimmung tätig, nicht im Zauberwesenbüro", warf Portia ein.
"Dennoch gehe ich davon aus, dass auch deine Behörde auf kurz oder lang von eingewanderten Zwergen kontaktiert wird, die Ansprüche stellen oder ganz diplomatisch formuliert ihre große Besorgnis äußern, dass durch die Wirrungen der letzten Wochen ein sehr gefährliches Ungleichgewicht im Austausch von Gold und Wertstoffen wirksam werden könnte und sie, die Zwerge, ja durchaus bereit wären, an einer Beruhigung der Lage mitzuwirken, wenn ..."
"Bei allem Respekt, höchste Schwester, aber Zwerge sind keine Diplomaten. Wenn die was wollen, dann sagen die das so, und wenn sie was nicht wollen stampfen sie auf den Boden", grummelte Portia Weaver und erhielt wortlose Zustimmung von ihren beiden anderen Mitschwestern. Anthelia/Naaneavargia grinste mädchenhaft und sagte: "Dann wäre Malin aber kein König, sondern der Häuptling eines Barbarenstammes - Huuuwaaaa!!" Sie erwähnte dann noch, dass Anthelia damals, wo sie ihr erstes Leben geführt habe, durchaus kultivierte, wenn auch sehr humorlose zwerge angetroffen habe, die ihre Anliegen vor dem britischen Zaubereiministerium vorbringen konnten, ohne in wütende Schrei- oder Brüllorgien zu verfallen. Darauf meinte Louisette:
"Ich war ja bis zu Ladonnas Feuerrosenzauber nur Apparierüberwacherin. Aber ich habe das schon mitbekommen, wie Zwergenmänner sehr ausfällig und gewalttätig auftreten konnten, wenn sie sich beleidigt oder ungeachtet fühlten. Portia und Albertrude nickten zustimmend. Anthelia sagte ganz ungeachtet der ihr entgegengebrachten kritik: "Ich habe auch nicht behauptet, dass alle Zwerge kultiviert sind, die es aus irgendeinem Grund geschafft haben, einen hohen Rang zu erreichen. Manche mussten dafür nur die richtigen Frauen beschlafen, um von deren Vätern mit mehr Gold oder Ansehen bedacht zu werden. Aber das darf man einem zwerg auf gar keinem Fall auch nur im Ansatz unterstellen."
"Das stimmt. Es sei denn, jemand möchte sterben und will nicht selbst hand an sich legen", sagte Albertrude verächtlich. Dem konnten die drei anderen nicht widersprechen.
"So halten wir fest, dass ihr drei über eure heimlichen Verbindungen verfolgen möchtet, wie sich die Lage in Deutschland und Frankreich und bei uns in den nordamerikanischen Ländern weiterentwickelt, damit wir früh genug erfahren, wie wir auf einen bevorstehenden Krieg reagieren können", sagte Anthelia.
Der Mitschwester Portia Weaver mentiloquierte sie noch zu, so gut es ging noch mehr über die bestehenden Abwehrzauber im Tal der guten Zeiten zu erfahren, vor allem wie es gegen neuerliche Hauselfenüberfälle geschützt werde.
"Wie erwähnt, ich bin nur in der Goldwertabteilung, nicht in der Sicherheitsabteilung", sagte Portia. Doch der strenge Blick ihrer obersten Anführerin gemahnte sie, zumindest zuzustimmen, ihr mögliches zu tun.
Sie musste es selbst erspüren, was solchen Feinden wie sie es war harrte, die versuchten, in das von Bergen umfasste Tal in den St.-Gabriel-Bergen einzudringen. Dass sie dort nicht nach belieben apparieren konnte wusste sie längst. Das dort auch keiner auf einem unangemeldeten Besen einfliegen konnte vermutete sie. Doch sie musste es genau wissen.
Auf ihrem neuen Harvey-Besen, der zur Unsichtbarkeitsbezauberung auch einen Fluggeräuschdämpfungszauber besaß, glitt sie behutsam von der Höhe des südlichen Berges herunter und steuerte das noch im tiefen Schlaf liegende Tal an, in dessen Mitte sich das E-förmige Schlösschen befand. In mehr als eintausend Metern Höhe über Grund spürte sie nichts von einem wirkenden Abwehrzauber. Das änderte sich, als sie nur noch neunhundert Meter über Grund flog. Dort fühlte sie die sanften Schwingungen unsichtbarer Stränge, die zwischen den Bergen ausgespannt waren und wohl alles flugbezauberte, das nicht mit einer davor schützenden Aura versehen war, abfangen und vielleicht sogar zerstören mochten. Fast wäre Anthelia gegen einen solchen Strang geflogen, den sie nur fühlte, weil er von den Bergen her schwache Erdzauberkräfte übermittelte und wohl auch eine Spur dunkler Magie enthielt, die sie wegen Dairons letzter Aufwallung spürte. So zog sie ihren Besen schnell wieder nach oben und kehrte auf das Plateau zurück, von dem aus sie ihren Erkundungsflug begonnen hatte. Dort versenkte sie den Besen in einer Felsennische und belegte sich mit verschiedenen Unortbarkeitszaubern. Dann wünschte sie sich, in ihrer unheimlichen wie überaus machtvollen Zweitgestalt zu erscheinen. Innerhalb von zwei Sekunden hockte statt der überragend schönen Hexe eine menschengroße, schwarze Spinne auf dem Felsen und lief einige Meter weit abwärts. Den Gedanken, zu Fuß ins Tal einzudringen verwarf sie. Am Ende gab es dort bezauberte Steine, die bei Berührung weitermeldeten, wer sie berührte. Wen sie nicht erfassen konnten und trotzdem berührt wurden würden sie wohl als tödlichen Feind weitermelden. Also wollte sie versuchen, im freien Flug hinunterzukommen.
Sie riskierte es, sichtbar zu bleiben, da Unsichtbarkeit und besenloser Flug einander so sehr auszehrten, dass sie nur wenige Minuten Ausdauer hatte. Sie richtete sich so aus, dass sie außerhalb des Mondlichts flog. So mochte sie für zufällig nach oben blickende Beobachter ohne Ferngläser als Nachtinsekt oder Vogel erscheinen, wenn sie gegen den von kleinen Wolken bevölkerten Himmel zu erkennen war.
Wie vorhin sank sie bis auf neunhundert Meter herab und riskierte es, gegen einen der für sie noch besser spürbaren Stränge aus Zauberkraft zu stoßen. Sie meinte, ein leises, vielstimmiges Sirren zu hören. Doch mehr geschah nicht, als sie den Strang durchflog. Falls dort unten Zauber wirkten, die auf Unterbrechung der Stränge ansprachen, dann hatte sie wohl schon alarm ausgelöst. Doch sie musste es wissen, ob sie mit einem Gefolge in dieses Tal eindringen konnte, falls es nötig war.
Die Stränge durchschnitten die Luft kreuz und quer und immer versetzt zueinander, so dass es sehr schwer war, zwischen ihnen hindurchzuschlüpfen. Auf einem Besen war das so gut wie unmöglich, keinen Strang zu berühren. Sie hörte auch, ob dort unten jemand auf sie aufmerksam geworden war. Doch offenbar hielten ihre Unortbarkeitszauber vor. Doch als sie fast bis auf zehn Meter über dem Boden war fühlte sie, dass von dort etwas ausging, das wohl auch Unortbarkeitszauber aufheben konnte. Ja, sie fühlte auch, dass in dem Boden ein pulsierendes Netz aus Erdzaubern steckte, die wohl die Bewegungen von Wesen auf dem Boden erfassen, einordnen und weitermelden konnten. Wenn sie jetzt landete löste sie mit Sicherheit Alarm aus. So stieg sie wieder auf wie ein aus der Flasche springender Champagnerkorken, nahm dabei hin, dass sie weitere Zauberkraftstränge durchflog und eilte durch die Luft zurück an ihren Startplatz. Dort blieb sie einige Minuten als schwarze Spinne, um zu erlauschen, ob jemand ihr nachstellte. Doch von unten kam nichts. Entweder hatte sie wirklich niemanden aufgescheucht, oder ihre Annäherung war lediglich aufgezeichnet worden, solange sie keinen offenen Angriff ausgeführt hatte. So oder so war gerade niemand hinter ihr her.
Sie verwandelte sich in ihre menschliche Erscheinungsform zurück, holte ihren Tarnbesen aus dem Versteck und flog damit fort, weil sie sicher war, dass sie mindestens zwei Kilometer vom Tal entfernt sein musste, um ungefährdet disapparieren zu können.
"Womöglich können die da unten ganze Hundertschaften anfligender oder fest aufsetzender Verfolger abwehren. Es wird also eine Einzelaktion sein, die über Sieg oder Niederlage entscheidet", dachte die höchste Spinnenschwester mit gewisser Verärgerung.
Catlock war da, ebenso der Leiter der Zaubertierbehörde und zwei Leute aus der thaumaturgischen Abteilung der Administration von Colorado Springs. Magus Primus Lionel Buggles sah sie alle an. Dann sagte er: "Besteht keine Möglichkeit, die von den Briten ins Land geschmuggelten Abwehrvorrichtungen der bisher so nützlichen Mitsehaugen auszukontern? Abgesehen davon sollte auch geklärt werden, auf welchem Wege diese Gegenmaßnahmen gegen unseren Überwachungsdienst ins Land kamen."
"Zur ersten Frage, Sir, diese im Propagandarundfunk als Mitsehvernebeler bezeichneten Geräte können ohne die Mithilfe des Mitsehaugenerfinders Hugo Dawn nicht gekontert werden. Es ist sogar gesichert, dass dieser, nachdem wir seine Einwände gegen die Nutzung seiner Erfindung nicht erhört haben, tatkräftig an diesen Vernebelungsgeräten mitgewirkt hat und die Pläne dafür nach Viento del Sol und ins Laveau-Institut geschickt hat", sagte Catlock und erhielt eine wortlose Zustimmung eines hauseigenen Thaumaturgen. "Damit ist auch sicher, dass die Geräte hier im Lande hergestellt und auf dem Wege der üblichen Posteulen, des Apparierens oder sogar des Flohnetzes an alle verteilt wurden, die sich von uns beobachtet fühlen, ob zu recht oder zu unrecht."
"Mittel und Gegenmittel, Erster Administrator", sagte Bowman, der ehemalige Ministeriumsvertreter aus Kanada und derzeit Verwalter aller Teilstaaten und Regionen nördlich der Mason-Dixon-Linie.
"Mit anderen Worten, die als sehr zuverlässig, diskret und flexibel einsetzbare Überwachungsmethode ist obsolet geworden", grummelte Buggles. Denn er wusste es auch schon aus anderer Quelle, dass die Zeit der an Sing- und Greifvögeln angebrachten Mitsehaugen vorbei war.
"Sie können immer noch in Großbritannien Beschwerde einlegen, dass jemand sich in die inneren Angelegenheiten Nordamerikas einmischt", meinte Clark Doyle, der Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. Buggles stierte ihn verdrossen an und verzog dann das Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse.
"Die mit der Nase darauf stoßen, dass wir deren Erfindung dazu eingesetzt haben, um keine wildlebenden Tiere, sondern unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu überwachen und uns dann beklagen, dass das jetzt nicht mehr geht? Wie lange wollen Sie den Ihnen zugeteilten Job noch ausüben?" fragte Buggles. "Ich habe nur auf die bestehenden Abkommen und Vereinbarungen der Glomaco und der internationalen Zaubererweltkonföderation hingewiesen", sagte der gescholtene Mitarbeiter. Buggles gab diesem Einwand statt. Dann meinte er: "Es sei denn, wir ermitteln, dass ausländische Hexen und Zauberer aktiv auf unserem Hoheitsgebiet gegen uns intrigieren und Sabotageakte verüben. Dann werden wir uns sicher sehr lautstark bei den Absendern beschweren."
"Nun, immerhin hat sich die Lage etwas beruhigt, seitdem die größten Aufrührer außerhalb der Verbotenen Siedlungen vor Gericht gestellt wurden und von denen etliche den neuen Regeln nach abgestraft wurden", sagte Catlock. Er spielte auf die vor zwei Tagen erfolgte Festnahme von fünf Hexen und vier Zauberern an, die die Abschaffung der neuen Familienabgaben forderten und zugleich gegen das Recht junger Leute auf Teilnahme an Festlichkeiten zur möglichen partnerfindung vorgingen.
"Was das Laveau-Institut angeht sollten wir da wohl noch einmal klarstellen, dass dessen Mitarbeiter jederzeit wegen Beteiligung an schädlichen Handlungen gegen den Frieden und die Sicherheit vor Gericht gebracht und abgeurteilt werden können. Es darf nicht sein, meine Herren, dass diese Einrichtung sich weiterhin anmaßt, eigenen Rechtsprinzipien folgen zu dürfen. Ich ging davon aus, dass diese Leute nach dem fehlgeschlagenen Entführungsversuch gegen mich und Sie, Mr. Catlock, begriffen hätten, dass sie sich mehr damit schaden, wenn sie weiter gegen uns opponieren."
"Bei allem Respekt, Sir, aber diese Hoffnung war von vorne herein verfehlt. Denn das Laveau-Institut geht weiterhin davon aus, dass unsere Administration fremdbestimmt und von ausländischen Mächten mit zweifelhaftem Gebaren unterwandert ist. Dem könnten wir zum jetzigen Zeitpunkt nur dadurch entgegenwirken, indem wir die Führungsebene des Laveau-Institutes austauschen. Dazu müssten wir aber den genauen Standort der Einrichtung kennen."
"Legen Sie diesen verdammten Bayoo-Sumpf trocken oder schreiben Sie alle Außendienstmitarbeiter des Laveauinstitutes zur Fahndung und Festnahme aus, bis die uns zu ihrem Stützpunkt hinführen, aber finden Sie den Standort!"
"Wir können den Sumpf nicht trockenlegen, weil der vom Mississippi gespeist wird. Der Versuch einzelne Mitarbeiter zu Befragungen einzubestellen misslang, weil diese über mitgeführte Vorwarnvorrichtungen erfuhren, dass jemand ihnen zu Leibe rücken wollte. Außerdem haben Sie diesen Leuten freie Hand gelassen, weil Sie sie nach der misslungenen Entführung als zuverlässige Mitstreiter ausgegeben haben, die unsere Sicherheitsvorkehrungen verbessern halfen. Der Kollege Waterford, der in der Zentrale des Auslandsnachrichtendienstes tätig ist, hat schon versucht, die ebendort tätige Laveau-Mitarbeiterin Brenda Brightgate dazu zu bringen, sich zu uns zu bekennen. Ergebnis, der Kollege Waterford drohte als angeblicher Maulwurf einer ausländischen Spionagetruppe aufzufliegen, weil er ihr eben solches angedroht hat. Daher ist er auf unser Anraten unauffällig geworden. Wir benötigen die Informationen aus den sicherheitsrelevanten Behörden der nichtmagischen Welt, seitdem wir die Elektrorechnerabteilung verloren haben", sagte Catlock und nickte dem Kollegen Richway aus dem Büro für friedliche Koexistenz zu.
"Das stimmt, Sir. Wir dürfen uns in den Bereichen Behördenüberwachung keinen Personalverlust leisten", sagte Richway. Buggles verzog das Gesicht. Dann sagte er: "Ja, und wir dürfen unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch nicht auf die Nasen binden, dass wir bis vor zwei Tagen eine lückenlose Überwachung betrieben haben und das nun nicht mehr können. Die, die damit rechnen werden von sich aus auf der Hut vor Enthüllungen sein. Jene, die sich nun dagegen abschirmen könnten wir zu Verdächtigen erklären, die bei einem noch so geringen Anlass vorgeladen werden können."
"Dann haben wir bereits über eine Million Verdächtige, wenn Sie die Flächenwirkung dieser Mitsehvernebelungsvorrichtungen bedenken, Sir." Buggles nickte verdrossen. Das von anderer Stelle ausgeklügelte Prinzip der völligen Ordnung geriet immer mehr in Schieflage. Allein schon, dass in den Zeitungen immer wieder der Verdacht aufkam, der erste Administrator sei nur ein Doppelgänger, der von irgendwem eingesetzt worden sei und auch, dass die Familien der Administrationsmitarbeiter nicht mehr an ihren früheren Wohnorten lebten bot für die sich der Nachrichtenordnung entziehenden Zeitungen und Radiosender immer wieder Angriffsflächen.
"Kommen wir auf die Kobolde. Mr. Rubycutter, wie viele sind noch im Lande?"
"Wir vermuten noch zweihundert im gesamten Föderationsgebiet, aber an die 900 verteilt auf die beiden verbotenen Siedlungen und den Weißrosenweg, wenngleich es dort einige Schwankungen gab, seitdem der immer noch gesuchte Patriarch namens Meister Schieferbart offen zum gewaltsamen Widerstand seiner Artgenossen aufgerufen hat. Etliche der Kobolde, die das erfuhren wurden aus Viento del Sol und Misty Mountain abgewiesen, vor allem männliche Kobolde. Wir dürfen, ja müssen davon ausgehen, dass die hier in Nordamerika geborenen und aufgewachsenen Kobolde versuchen werden, ihre Rückkehr zu uns zu erwirken, solange wir die Föderation nicht gänzhlich von allen Kobolden befreit haben", sagte Rubycutter.
"Haben wir mittlerweile vollen Zugriff auf alle Verliese von Gringotts?" fragte Buggles. "Nein, im Grunde haben wir nur die Stollen und Zwischenhallen sicher. Selbst mit legalen Schlüsseln ist keine der Türen zu öffnen. Da wir nicht mit den neuartigen Erdzauberkraftgegenschwingungsgeräten vorgehen dürfen gilt, dass nur die Berührung von Kobolden die Türen entriegeln kann."
"Tja, dann werden wir in nicht all zu ferner Zeit entscheiden müssen, ob wir alles Gold in Gringotts verloren geben oder uns mit den Kobolden wieder vertragen, zum Preis, dass die horrende Entschädigungsforderungen erheben werden", sagte Administrator Buggles. "Solange wir nicht den gesamten Goldvorrat aller Zauberer und Hexen Nordamerikas kennen besteht nur die Möglichkeit, mehr grüne Tauschwertscheine zu erzeugen und in Verkehr zu bringen. Doch wenn es zu viele davon gibt haben wir eine Entwertung und damit wieder mehr ungemach. Aber das darf der Mitarbeiter Picton erarbeiten."
"Da Sie meine Zuständigkeit erwähnen, Sir, ich erbitte nach wie vor, dass wir alles unternehmen sollten, die Verliese zu öffnen, damit die Inhaber ihre Werteinlagen in unser Geld umtauschen können und wir somit eine vollständige Beherrschung des Tauschwertverkehres erreichen."
"Gut, Cyrus. Das heißt, wir müssen weiterhin herausfinden, wie wir die Türen öffnen können. Aber wir können die auf dem Hoheitsgebiet liegenden Gold- und Silbervorkommen ausbeuten, bevor die Nichtmagier diese Lagerstätten beanspruchen. Daher gebe ich die Erlaubnis, diese Lagerstätten mit höchstmöglicher Ausbeute pro Tag zu bearbeiten, natürlich unter strickter Einhaltung der Geheimhaltung der Zauberei." Cyrus Picton bestätigte das.
"Reaktion der Werwölfe?" wollte der Minister noch von dem neuen Werwolfbeauftragten wissen.
"Die Registrierten Lykanthropen haben nach gewissem Unmut der Zusammenlegung in der Provinz Alberta zugestimmt. Die an unsere Behörden ausgehändigten Mondlichtbündelstrahler erwiesen sich bei der Jagd auf tagaktive Lykanthropen als in jeder Hinsicht durchschlagend. Wir konnten tatsächlich zehn Mondgeschwister eliminieren, die versucht haben, die Drohung ihres Führungskaders wahrzumachen und für jeden Gefangenen zwei und jeden getöteten Werwolf sechs unbelastete Menschen zu infizieren. Unsere Erfolge dürfen den Mondgeschwistern nicht behagen. Wir gehen sogar davon aus, dass wir auch ohne die großflächige Beleuchtung mit verfremdeten Vollmondlicht alle kriminellen Werwölfe ausschalten werden", Referierte der neue Werwolfbeauftragte der Administration. Dann legte er noch die Kartenansicht der einheitlichen Werwolfansiedlung Pacific Moon vor. Alles in allem würden dort dreimal so viele Leute leben können, wie es registrierte Werwölfe gab. Die Ansiedlung wurde seit Ende Mai im Schnellverfahren hochgezogen und sollte bis zum ersten August vollständig ausgebaut sein. Da verwandelte Werwölfe kein Flohnetz benutzen konnten bestand keine Besorgnis, dort auch Haushalte an das Flohnetz anzuschließen.
"Gut, meine Herren, dann gehen Sie bitte an Ihre zugeteilten Arbeitsplätze zurück!" sagte Lionel Buggles.
Als alle fort waren holte er noch einmal die tagesfrische Ausgabe der Stimme des Westwinds aus der Schublade. Mit der Redaktion würde er sich demnächst noch einmal sehr gründlich unterhalten, weil die mal wieder meinten, einen Artikel von Linda Latierre-Knowles zu bringen. Die hatte Atalanta Bullhorn interviewt und ganz zum Schluss geschrieben:
So kann ich meinem Rundfunkkollegen Roddy Krueger nur beipflichten, dass wir alle im Tal der guten Zeiten leben. Denn so wie es jetzt aussieht kann es in Jeder Richtung nur nach oben gehen. Doch für viele mag dieser Aufstieg zu anstrengend und/oder zu gefährlich sein, wenn nicht für einen selbst, dann aber für geliebte Mitmenschen.
"Der Tag wird kommen, wo diese Spötter und Wortklauber verstummen werden", dachte der erste Administrator Nordamerikas. Doch wann dieser Tag kommen und womit das Verstummen erreicht werden würde stand noch nicht fest.
Delila Wittley hatte Wort gehalten und es geschafft, eine jener neuen Werwolfabtötungswaffen zu besorgen. Es war eine kleine, silberne Abpparatur, die wie eine verkleinerte Ausgabe eines Trommelrevolvers beschaffen war. "Ich konnte eine neue Lieferung abpassen und zwei dieser Waffen unaufällig herausfischen", sagte Delila Wittley. "Wird ihnen erst auffallen, wenn sie die nächste Einsatzgruppe damit ausstatten."
"Hast du meine Anweisungen bezüglich Nachverfolgbarkeit befolgt, Schwester Delila?" Die gefragte nickte. "Mit deinem Unortbarkeitskristall konnte ich mich hoffentlich gegen alle Such- und Rückschauzauber absichern. Aber das sanfte Pulsieren von dem hat mich schon ganz merkwürdig angeregt, als ich durch die Sicherheitszauber gehen musste."
"Höchst interessant, dass der Kristall der Verborgenheit auf gegen ihn wirkende Zauber diese Wirkung hat, je tiefer er im Körper des von ihm zu bergenden steckt", grinste Anthelia und überlegte, ob sie diesen Effekt nicht selbst ausprobieren wollte, zumal sie eh davon ausgehen musste, dass sie irgendwann ins Innerste der von Vita Magica korrumpierten Zaubereiverwaltung vordringen musste. Doch dann fand sie zu ihrer sachlichen Haltung zurück undd sagte: "Sie werden irgendwann merken, dass jemand zwei ihrer neuen Mordwerkzeuge entwendet hat. Sie werden auch nachprüfen, wer darauf Zugriff hatte, Schwester Delila. Hier bekommst du noch einen Vorwarner. Der ist von anderen Zaubern nicht zu erkennen, wenn du ihn auch dort hintust, wo der Kristall der Verborgenheit gewirkt hat."
"Mach der dann auch so wuschig?" fragte Delila. Anthelia schloss das nicht grundweg aus, meinte dann aber, dass dann, wenn der reagierte, jemand sie unmittelbar bedrohte und sie zusehen musste, zu flüchten. Das sah Delila ein, zumal auch die Niederlassung gegen unerlaubtes Apparieren und Disapparieren abgesichert war.
Als Delila fort war untersuchte Anthelia die ihr zugespielten Waffen. Sie stellte zunächst fest, dass diese keinen Körperspeicher hatten. Dafür konnte sie mit Anthelias Wissen eine Menge kristallisierter Mondmagie in jeder der zwölf Kammern erfassen. Der Lauf bestand aus einer Mischung aus Silber und Saphirpulver. Innen war er mit einem kristallinen Spiralgewinde ausgekleidet, dessen vorderes Ende in einer kleinen Kugel mündete, die wohl alles bündeln sollte, was durch die Spirale geschickt wurde. Mit weiteren Prüfzaubern erkannte sie, dass der Kristall aus einem fremdartigen Material bestand, das lange Zeit außerhalb des Einflusses der Erde verbracht hatte. Als sie versuchshalber einen Affinitätsprüfzauber darauf sprach stellte sie fest, dass die Kristallspirale mit dem Mond wechselwirkte. Hieß dass, dass dieses Material von der kleinen Himmelsschwester selbst entnommen war? Sie wusste von Ben Calder alias Cecil Wellington, dass die Magielosen etliche Pfund Gestein von der Oberfläche des Mondes zur Erde gebracht hatten. Also hatte Vita Magica Zugang zu diesem Material. Denn sie ging jetzt um so mehr davon aus, ein weiteres Produkt dieser Fortpflanzungserzwinger in Händen zu haben, weil es schon merkwürdig war, dass diese Waffe jetzt erst in den Besitz der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation gelangt war. Gleichzeitig dachte sie aber auch, dass diese Waffe nicht in beliebiger Stückzahl hergestellt werden konnte, wenn sie wahrhaftig mit Bestandteilen des Mondes selbst hergestellt wurde. Aber diesen Leuten war es offenbar überaus wichtig, unerwünschte Werwölfe zu töten. Einmal mehr fragte sie sich, warum sie hierfür nicht den Todesfluch benutzten. Doch als sie probehalber ein paar Sekunden der gespeicherten Strahlungskraft in den leeren Himmel schoss wusste sie warum. Die Strahlen waren völlig lautlos und haardünn gebündelt. Das machte sie am Tag wesentlich unauffälliger als den Todesfluch.
"Es wird dauern, bis ich alle Geheimnisse dieser Vorrichtung ergründet haben werde", dachte Anthelia/Naaneavargia. Dann dachte sie daran, dass es im Moment wichtigere Vorhaben gab. Sie musste Buggles und seine Leute aufhalten. Denn mittlerweile waren schon mehrere Hexen, die vorher nicht in Doomcastle eingekerkert waren, vor die Wahl gestellt worden, sich schwängern zu lassen oder selbst noch einmal als Neugeborene anzufangen. Auch wusste sie, dass viele Leute nach Misty Mountain und Viento del Sol geflüchtet waren, um den Nachstellungen zu entgehen, auch wenn die beiden Orte von der Nahrungsmittelversorgung von außen abgeriegelt waren. Doch mit den Luftschiffen, die weit über jeder Patruoille hinwegsausen konnten, war die Lebensmittelversorgung gesichert. Doch wer in Viento del Sol oder Misty Mountain Zuflucht fand entzog sich auch ihren eigenen Vorhaben. Am Ende blieben nur noch die ausgewiesenen Feinde der Ortsansässigen übrig.
Trotzdem sie im Mittagsraum der herrschaftlichen Villa Vista del Mar saßen und die Sonne zu ihnen hereinleuchtete war die Stimmung sehr gedrückt. Anaximander Greendale, der Familienpatriarch, raufte sich ein ums andere mal die spärlichen Haare und blickte immer wieder auf fünf leere Stühle am großen Tisch, der sowohl als Konferenztisch wie als Tafel diente. "Bevor du es mir wieder vorhältst, geliebte Enkeltochter, ja, sie waren gewarnt, allein schon, weil die Ashfords von diesen Verbrechern aufgepickt wurden und die Brocklehursts sich gerade so noch nach VDS flüchten konnten. Aber da Anaxagoras und die strammen Jungs Ajax und Aegidius ihre Häuser nicht dem Feind überlassen wollten haben sie es versucht, dieser Bande zu trotzen. Ergebnis, wir wissen nur, dass sie nach einem kurzen heftigen Zauberkampf festgenommen und dem vereinten Richterrat vorgeführt wurden. Dieser hat dann auf Grund der in den Häusern gefundenen Unterlagen befunden, dass sie Mitverschwörer eines geplanten Umsturzes seien und die neuen Höchststrafen ausgesprochen, ganz öffentlich. Allerdings wurden sie nicht bei der alten Greensporn abgeliefert, sondern sind auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Na, was heißt das?"
"Dass die Fortpflanzungserzwinger immer unverfrorener zeigen, dass sie die wahren Machthaber dieser neuen Dreizackföderation sind, sich die edle Blutlinie der Greendales einverleiben wollten", sagte Japetus McDuffy, der mehr unwillig als entschlossen zu dieser Versammlung auf die versteckte Insel Roderics Refugium gekommen war. Alle anderen nickten. Anaximander Greendale wollte noch was dazu loswerden, doch seine Frau Adelaide kam ihm zuvor.
"Ja, wir haben sie alle gewarnt, Goddy, Silas, Adriana und ich, dass sie besser alle Unterlagen aus den Häusern holen und hier in Sicherheit bringen sollten und dann selbst hier unterschlüpfen sollten. Aber die hielten uns für eingeschüchtert und sich wohl für die einzigen verbliebenen Verteidiger unserer Familienehre. Jetzt dienen sie diesen Verbrechern als Zuchtvieh, und Buggles kann mit den erbeuteten Unterlagen noch mehr über uns herausfinden, um uns endgültig zu vernichten."
"Sie sind nicht bei Madam Greensporn und ihren Säuglingspflegerinnen gelandet?" wollte Japetus McDuffy wissen.
"Wir verlieren zwar täglich mehr und mehr Kontakte in den Rest der Welt. Aber das wissen wir sicher, dass sie dort nicht angekommen sind", sagte Adelaide Greendale. "Ach ja, und die Familie Ross bei Denver musste ebenfalls Haus und Hof verlassen und ist wie ein Großteil der übrigen Southerlandsippschaft in Viento del Sol untergekommen. Das Jacquelinee Corbeau ja da nicht reinkann, weil sie offenbar als Ministerialbeamtin als Feindin der dort geborenen Hexen und Zauberer eingestuft wurde lässt befürchten, dass bald auch die Southerlandsippe keine Bedeutung mehr hat", sagte Adelaide. Godiva Cartridge sah ihren Großvater an und wartete, bis der ihr zunickte.
"Ich konnte noch ein paar ehemalige Schulkameradinnen erreichen, die das unselige Ding mit der Liga rechtschaffender Hexen überlebt haben. Leute, wir alle sind zur Fahndung ausgeschrieben, wie auch die Brocklehursts und die Hammersmiths, die noch nicht nachweislich in Viento del Sol sind. Buggles und seine Puppenspieler wollen es jetzt wissen. Offenbar stehen sie selbst unter großem Zeitdruck, warum auch immer."
"Warum auch immer?" wiederholte Japetus McDuffy ihre letzten Worte als Frage und beantwortete diese: "Deren Lügen bringen nur dort Erfolg, wo es Leute gibt, die sich locker darauf einschwören lassen, dass sie endlich die alten Verflechtungen unserer Welt aufbrechen und die mächtigen Familien entmachten können. Wenn Buggles diese als Feinde des Friedens und der Sicherheit präsentieren kann klatschen ihm alle Beifall, die immer schon gewusst haben, dass wir und die Southerlands ihnen alles vorenthalten haben, was sie meinen, dass es ihnen zusteht. Außerdem vertrauen diese Obergangster von Vita Magica nicht darauf, dass die Mehrheit der amerikanischen Hexen und Zauberer Rückgratt- und hirnlose Flubberwürmer sind. Nur wenn sie die alten Strukturen zerstören und neue errichten und zugleich ein Gefüge aus ständiger Furcht verbreiten hoffen sie, ähnlich stabile Machtverhältnisse zu schaffen wie es die italienische Hybridin wohl geschafft hat oder wie es Leute wie Grindelwald und der britische Massenmörder mit dem unaussprechlichen Namen geschafft hat. Wenn die alle wissen, dass euch, den Greendales oder den Southerlands nur die Alternativen Exil oder Neuaufwachsen in versteckten Menschenzuchtställen bleibt werden sich jene, die sich für nicht so mächtig halten, schön kleinmachen und bloß nicht auffallen. Je mehr diese Banditen von uns erledigt haben - ja, ich sehe die völlige Wiederverjüngung auch als eine Form von Auslöschung an - desto sicherer können die sein, dass ihnen niemand mehr dumm kommt, weil ja die anderen Ministerien sich bisher so schön zurückhalten, ganz gemäß der Glomako-Vereinbarung, sich nicht in innere Angelegenheiten eines anerkannten Zaubereiministeriums einzumischen."
"Anerkannt? Von wegen", sagte Godiva Cartridge. "Ich konnte auch über die kleine Porträtverbindung nach Australien klären, dass sie Buggles nicht mehr als rechtmäßigen Verwaltungschef anerkennen und bereits mit Atalanta Bullhorn in Kontakt stehen, wie und wann die Staaten, Kanada und Mexiko aus der Gewalt der VM-Marionetten Buggles und Catlock befreit werden können. Allerdings sorgen sich die Australier, dass das britische Zaubereiministerium sich sehr still verhält, seitdem Shacklebolt den Kanadiern die Entscheidungsfreiheit zugestanden hat, eigenständig zu sein oder sich einem neuen Bündnis anzuschließen. Einige Leute aus Shacklebolts Umfeld haben sehr leise angefragt, was Buggles dem ehemaligen Auroren angeboten hat, damit er ihm Kanada überlässt. Shacklebolt sucht jetzt nach Erklärungen, warum er das nicht hat kommen sehen und ob er den Kanadiern Hilfe anbieten darf oder soll, sich aus dieser so unvermittelt zusammengeknoteten Föderation zu lösen. Tja, und seltsamerweise sind die meisten Kanadier mittlerweile froh, dass sie mit den anderen beiden eine gemeinsame Verwaltungseinheit haben. Offenbar sind die, die der alten Zeit verbunden waren, sehr früh sehr stumm geworden."
"Ja, und die Mexikaner wollten die Vereinigung mit Buggles, weil der denen versprochen hat, diese beißwütigen Mondanheuler aus ihrem Land zu jagen oder gleich an Ort und Stelle umzubringen", sagte Japetus McDuffy.
"Will sagen, wer immer versucht, Buggles zu entmachten bekommt womöglich Ärger mit Kanada und Mexiko", vermutete Adelaide Greendale. Dann sagte sie: "Ja, und was das Fernhalten von VDS für eingetragene Administrationsmitarbeiter angeht, so muss ich annehmen, dass Buggles sie alle auf magische Weise an sich gebunden hat." Einige Sekunden Stille folgten dieser starken Behauptung. Dann nickten viele. "Das gibt insofern auch Sinn, dass er so keinen Umsturz aus den eigenen Reihen zu fürchten hat. Also hängen seine Mitarbeiter quasi an ihm, sind seinem Befehl unterworfen und unfähig, gegen ihn aufzubegehren. Damit tun sie das, was Vita Magica will."
"Ja, und deiner Einschätzung folgend ging diese magische Abhängigkeit dann erst von Vita Magica auf Buggles über und von dem auf die anderen. Dann dürfte er sich Kanadas Bowland und Mexikos Piedraroja genauso gefügig gemacht haben, vielleicht durch den Imperius-Fluch", vermutete Anaximander Greendale. Seine Enkeltochter Godiva pflichtete ihm bei. Denn sowas war ja in Frankreich im dunklen Jahr 1997 auch geschehen. So war es kein Wunder, dass Anaximander aufstand und mit aller Entschlossenheit sagte: "Dann ist es klar: Buggles muss weg. Fällt er aus bricht dieses ganze Konstrukt von Vita Magica in sich zusammen."
"Gut gebrüllt, Löwe", warf Japetus McDuffy ein. "Wie wollt ihr ihn loswerden, wo der sich seit dem ersten Juni nie ohne mindestens fünf Leibwächter aus seinem idyllischen Bergtal heraustraut und dieses da selbst genauso gut abgesichert ist wie diese Insel, auf der wir alle jetzt ausgelagert sind?"
"Ja, stimmt, das Laveau-Institut hat's ja mit Hauselfen versucht, die ihn oder Catlock ergreifen sollen. Dagegen sind die abgesichert", wandte Lavinius Greendale, Godivas Vetter aus Cloudy Canyon ein.
"Ja, mit Schlafgassprühvorrichtungen und aus den Wänden schlagende Abwehrzauber. Aber wenn wir einen unserer Elfen mit mehrfachen Schildzaubern und einer Kopfblase ausstatten hat der mindestens zehn Sekunden zeit, zu Buggles direkt ins Büro zu apparieren, ihn mit einem Gummihammer niederzuschlagen und in unser anderes sicheres Haus bei Montgomery zu schaffen, bevor er Hilfe von anderen Truppen oder Hauselfen kriegt."
"Leute, der hat doch sicher noch diese Schummeltruppe in der Hinterhand, die damals versucht hat, sich die Quidditchweltmeisterschaft zu ergaunern", sagte Japetus McDuffy verächtlich. "Wenn der die darauf abgestimmt hat, dass sie kommen, wenn er in unmittelbarer Gefahr ist haben wir keine Chance mehr, den zu kriegen."
"Doch, haben wir", widersprach Godiva Cartridge ihrem Onkel mütterlicherseits. Dieser sah sie verstört an. sie sprach ganz ruhig weiter: "Es ist mittlerweile erwiesen, dass diese Bande in Gegenwart starker Sonnenzauber eben kein Glück mehr hat, ja sogar geschwächt wird. Dieser Inkazauber bezieht seine Macht aus den Kräften von Mond und Erde. Bei natürlichem Sonnenlicht ist das ohne Bedeutung, aber wenn jemand altägyptische Sonnenzauber oder eben Sonnenkraftzauber aus den alten Inka- oder Aztekenreichen an einem Ort wirkt verlässt sie das Glück. Oder was glaubt ihr, warum es den Leuten in Millemerveilles gelungen ist, sie festzunehmen? Die haben dort seit letztem Jahr einen neuen Schutzzauber errichtet, der wohl auch mit Sonnenmagie verquickt ist. Also brauchen wir unseren Vollstrecker nur mit in Kraft gesetzten Sonnenzaubern auszustatten. Ich denke, der Mantel des Ra dürfte da praktisch sein, weil der auch viele dunkle Zauber schwächt und Vampire und Nachtschatten auf Abstand hält."
"Achso, und du meinst, dass ein Hauself dann an Buggles herankommen, ihn ergreifen und verschwinden kann, ohne dass diese Schummeltruppe ihm helfen kann?" wollte Japetus McDuffy wissen.
"Hoffen tu ich das. Wenn nicht sollten wir uns daran gewöhnen, dass Amerika bald vollständig von Vita Magica regiert wird. Oder glaubt ihr, die würden sich mit Nordamerika zufriedengeben?" erwiderte Godiva Cartridge. Keiner hier glaubte das.
"Pech nur, dass Ajax unser Experte für orientalische Elementarzauber war", grummelte Anaximander Greendale. "Wir haben die Magien des Morgenlandes hier bei uns in der Bibliothek und auch das Buch "Die Sphären der Sphinx", das sich im besonderen mit altägyptischen Zaubern beschäftigt", erwiderte Godiva sehr zuversichtlich. Dann sagte sie noch: "Allerdings weiß ich, dass die altägyptischen Sonnenzauber am stärksten wirken, wenn sie von Zauberern ausgeführt werden, während die Mond-, Erd- und wasserzauber eher von Hexen gewirkt werden können, warum auch immer."
"Weil deren alter Sonnengott Ra oder Re genauso ein Männchen war wie dessen Sohn Horus", warf Lavinius Greendale ein. "Ja, ein bisschen kenne ich mich mit deren alten Götterwelten aus, Leute", fügte er hinzu.
"Gut, dann lernst du diesen erwähnten Sonnenzauber oder einen, der noch stärker wirkt", sagte Anaximander Greendale. Lavinius sah seinen Großvater verdutzt an. Dann nickte er. Vorwitz führte immer zum Nachsitzen, hatte ihm Ares Bullhorn damals in Thorntails mitgegeben, wenn er meinte, schon mehr können zu wollen als der Lehrplan verlangte.
"Gut, wir gehen es an, mindestens einen unserer Kampfelfen, die wir noch retten konnten, mit den entsprechenden Zaubern auszustatten, damit er mindestens eine Minute durchhält, was immer gegen ihn aufgeboten wird. Gleichzeitig müssen wir rauskriegen, wo genau Buggles sein Büro hat. Denn auch wenn Elfen zielgenau zu jemandem apparieren können, dessen Name und Aussehen dem Meister oder dem Elfen selbst vertraut sind, sollten wir keine Sekunde mehr als nötig mit der Suche nach seinem Büro vertun", legte Anaximander fest. Keiner wagte dem zu widersprechen. Denn wenn der Familiensprecher was beschloss, konnte es höchstens in Einzelheiten abgeändert werden, aber nicht im ganzen abgelehnt werden. Das wussten die Greendales an diesem Tisch auf jeden Fall.
Chrysander Cartridge, der wegen seines zurückverjüngten Körpers das Schlafbedürfnis eines Kleinkindes befriedigen musste, erfuhr später von seiner Ziehmutter Godiva, was die Besprechung ergeben hatte. Dann sagte er: "Falls das nicht klappt, Mom Godiva, wird Buggles das Hauselfenzuteilungsamt dazu kriegen, sämtliche registrierten Elfen von uns zur Abtötung auszuschreiben. Ja, er könnte sogar wie bei den Kobolden drauf kommen, dass Nordamerika eine hauselfenfreie Zone wird."
"Gegen das Apparieren von Hauselfen ist noch kein Zauber erfunden worden, Chrysander", sagte Godiva Cartridge. "Genauso wie gegen den Feuersphärenflug der Phönixe."
"Stimmt, mit einem Phönix wäre Buggles schneller zu kriegen, weil die natürliche Feuerelementarverbundene und somit auch sonnenzauberaffin sind."
"Ja, nur dass es auf der ganzen Welt gerade mal zwanzig registrierte Phönixe in Zaubererfamilien gibt und das auch nur, weil sie deren ausfallenden Federn an die Zauberstabmacher verkaufen wollen", sagte Godiva. "Der verstorbene Albus Dumbledore hatte ja auch einen. Doch wo der abgeblieben ist weiß bis heute niemand."
"Stimmt, hat Shacklebolt auch erwähnt, als ich noch groß und anerkannt war", sagte Chrysander Cartridge verdrossen. "Der große dunkle Krieger hat mal vermutet, dass dieser Phönix bei Harry Potter untergekommen sei. Doch dem sei nicht so."
"Phönixe suchen sich ihre menschlichen Vertrauten sehr gründlich aus und kommen zu denen, wenn sie das für richtig halten, noch mehr als Kniesel", sagte Godiva.
"Apropos Kniesel, Sternenstaub ist ja in Frankreich offenbar genauso fleißig wie in den Staaten, hat Tante Abigail geschrieben."
"Ja, das ist wohl wahr, zumal er in Millemerveilles neben seiner offiziellen Angetrauten Goldschweif auch noch vier weitere Knieselweibchen mit seinem Nachwuchs beehren kann. Tante Abigail wollte schon anfragen, ob sie eines der dabei entstandenen Jungen kriegen könne. Aber meine Cousine Prue hat ihr begreiflich gemacht, dass Stäubchen deshalb aus den Staaten raus sei, weil er schon so viele eigene Junge hier zustandegebracht habe."
"Vertragen die zwei sich noch gut, wo Tante Abigail jetzt nicht mehr aus VDS rauskommt?" wollte Chrysander wissen. "Tante Abigail wohnt nicht mehr bei Prunella über dem Zaubertierladen, sondern bei den Beams im sonnigen Gemüt."
"Holz- oder Drachenhornklasse?" fragte Chrysander verschmitzt grinsend. "Im Moment wohl in der Silberklasse, weil ihr Drachenhorn zu dekadent ist und Holz zu weit unter ihrer Würde ist. Abgesehen davon sind sich Tante Abigail und Mrs. Beam noch nicht einig, wie genau sie den Aufenthalt bezahlen soll, obwohl die Beams ja wegen der Verbannung von VDS sonst keine Übernachtungsgäste mehr haben."
"Hätte mich auch gewundert, wenn Großtante Abigail sich mit der lustigen Prunella mehr als eine Woche verstanden hätte, auch wenn sie deren Mutter ist."
"Ja, weil Prue nicht den Weg ins Zaubereiministerium gesucht hat wie wir zwei hübschen. Das trägt ihr Tante Abigail bis heute noch nach, was sie doch alles hätte verdienen und wen sie da hätte finden können, statt des Magiezoologen Humbert Blackbird."
"Mein früheres Ich war aber noch ganz weit davon weg, Zaubereiminister zu werden, als es dich traf, meine geduldige, nährende Ziehmutter."
"Na und? Du warst aber da schon wichtiger als ein reisender Haustierfachverkäufer, zumindest für die alle, die jetzt zusehen müssen, zumindest noch weiterleben zu dürfen." Chrysander verstand es sehr wohl.
GRAUSAMER GEGENSCHLAG DER GRAUBÄRTE GERADE GESTOPPT
Vor gerade einmal fünfzig Minuten erreichte unsere Redaktion die Mitteilung aus der Sicherheitsüberwachung der Nordamerikanischen Magieadministration, dass in den späten Abendstunden des 18. Juni eine Gruppe aus 100 schwerbewaffneten Kobolden versucht hat, in eine Sprengstofffabrik der nichtmagischen Welt einzudringen, wohl um dort hochwirksame Explosivstoffe zu entwenden. Nur der Umsicht der Sicherheitsüberwachung unter dem Leiter Catlock, sowie seinen Stellvertretern Woodgrove und Buenavida ist es zu verdanken, dass die 100 Eindringlinge erfasst und gefasst werden konnten. Sie versuchten zwar, auf die für Kobolde übliche Weise zu entkommen, haben dabei jedoch nicht das umfangreiche Netz aus dicken Kunststoffleitungen rund um die Fabrikationsanlage einbezogen. Viele von ihnen wurden beim Versuch, an diesen vorbeizueilen, davon abgeprellt und besinnungslos an die Erdoberfläche geworfen. Außerdem, so betonte Gesetzesüberwacher Catlock mit gewisser Genugtuung, sei es den Einsatzgruppen gegen feindliche Erdmagiewesen möglich, solche wirksam an der Flucht zu hindern und ihnen so nur die Wahl zwischen Aufgabe, Wahnsinn oder Tod zu lassen.
Als es gelang, alle 100 Eindringlinge festzunehmen stellte sich heraus, dass deren Anführer kein geringerer war als der Häuptling oder Hauptsprecher der nordamerikanischen Koboldgemeinschaft, genannt Meister Schieferbart. Über die Einzelheiten des der Festnahme folgenden Verhöres wollten sich weder Catlock noch Woodgrove oder Bunavida äußern. Sie gaben nur bekannt, dass sie nun, wo sie seiner habhaft werden konnten, die Wurzel des Widerstandes der Kobolde vollständig aus dem Boden unserer freien und mächtigen Zauberergemeinschaft entfernen können. Die 99 mit Schieferbart mitgefangenen Eindringlinge wurden gemäß der neuen Kobolderlasse auf eines der gemieteten Frachtschiffe verbracht, um sie auf weit ab unseres Erdteils vorgelagerten Inseln auszusetzen, da, so Catlock, die für Menschen geltenden Strafen auf Kobolde nicht angewandt würden. Auf die Frage, ob die Gefangenen nicht zur allgemeinen Abschreckung hingerichtet werden sollten sagte uns der Koboldverwaltungsbeauftragte Lesley Rubycutter, dass jeder tote Kobold eine weitere Vergeltungsaktion provozieren würde. Sie fern ihrer früheren Ansiedlungen sich selbst zu überlassen sei für diese auf Goldgewinn und Einfluss abzielenden Wesen eine viel einprägsamere Strafe und könne auch als abschreckenderes Beispiel für die noch auf Vergeltung lauernden Kobolde außerhalb unserer Landesgrenzen dienen. Die Vorstellung, nicht heldenhaft im Kampf zu sterben, sondern überwundenund fern der erwählten Heimat das restliche, wohl noch lange Leben verbringen zu müssen, sei schlimmer als die Angst vor dem Tod, so Rubycutter. Daher ist auch zu denken, dass der ergriffene Meister Schieferbart nicht hingerichtet oder dauerhaft eingekerkert wird, sondern als schändlicher Versager in die Urheimat der Kobolde zurückgesandt wird, wo er sich vor seinesgleichen verantworten soll, warum er es nicht schaffte, die Interessen der nordamerikanischen Kobolde zu wahren.
"Es sind bei den Übernahmen der Gringotts-Filialen schon zu viele auf vermeintliche Heldentaten ausgehende Kobolde gestorben. Wir werden diese Spirale aus Tod und Vergeltung nicht von uns aus weiterdrehen", so Rubycutter in Anwesenheit von Catlock und Woodgrove. Auch sagte er: "So wie die Kollegen in Australien, Russland und ja, auch Italien verfügen wir in der Nordamerikanischen Magieadministration über genug Mittel, unerwünscht ins Land eindringende Kobolde frühzeitig zu orten und sie dann auch in Gewahrsam zu nehmen, bis über ihre Ausweisung entschieden wird."
Wo Meister Schieferbart ist und ob er noch verhört wird oder bereits des Landes verwiesen wurde wollte uns keiner der Verantwortlichen mitteilen. Woodgrove betonte, dass diese Angaben die Sicherheit unserer Föderation betreffen und daher nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Er warnte ausdrücklich davor, dem Verbleib und Zustand von Schieferbart nachzuforschen, da dies den geltenden Notstandsgesetzen nach als Verrat an der Administration gewertet werden kann. Auf Verrat steht wie auf Mord die vollständige Wiederverjüngung mit Verlust bisheriger geistiger und stofflicher Besitztümer.
SCT....UNSER GOLD BLEIBT GRÜN
In den letzten Tagen wurden immer wieder Anfragen an die Nordamerikanische Behörde für magischen Handel und Finanzen gerichtet, inwiefern die von Hexen und Zauberern vollzogene Übernahme der entkoboldeten Gringotts-Gebäude unseren magischen Mitmenschen den Zugang zu ihren daselbst eingelagerten Gold- und Wertanlagen ermöglicht oder dauerhaft vereitelt wurde. Jim Tincook, Pressereferent von Behördenleiter Cyrus Picton, trat daher an uns und unsere Kollegen anderer magischer Nachrichtenverbreiter heran, um die häufigsten Fragen punktgenau und unmissverständlich zu beantworten. Hier sind die Fragen und Antworten
- Ist unser Gold noch in Gringotts? Wir konnten die Kobolde davon abhalten, die Verliese zu plündern. Deshalb ist Ihr Gold noch in Gringotts.
- warum haben Sie die Kobolde aus Gringotts vertrieben? - Die Kobolde drohten oftmals damit, alle dort eingelagerten Gold- und Wertanlagen zu entwenden und uns damit endgültig zu enteignen.
- War es nicht möglich, die Kobolde zur weiteren Zusammenarbeit zu bewegen? - Wir haben es versucht, doch diese bestanden auf die bedingungslose Beibehaltung ihrer früheren Rechte und forderten weitere Rechte nach, die wir im Namen unser aller Lebenssicherheit nicht erfüllen konnten.
- Besteht Gefahr für unser Gold, wenn keine Kobolde es mehr hüten? - Das hoffen wir nicht, sind aber auf viele Gefährdungen vorbereitet.
- Werden Sie von der Finanzabteilung die Verliese für uns öffnen können? - Dies können wir nur dann verbindlich bejahen, wenn wir alle Widrigkeiten erfasst und die Gefährdung des eingelagerten Eigentums durch Entziehungs- und Zerstörungszauber ausschließen können.
- Was bringt es uns allen, wenn wir doch nicht an unser Gold kommen? - In erster Linie die Sicherheit, dass das Gold nicht verloren ist, sondern eben nur zeitweilig unzugänglich ist. Des weiteren können wir so verhindern, dass Ihr Gold von Unbefugten in Verkehr gebracht wird und Ihnen somit verlorengeht.
- Werden wir deshalb weiterhin oder gar dauerhaft das grüne Notgeld verwenden müssen? - Ja, werden wir. Deshalb heißt das Notgeld ab dem 18. Juni auch Neugeld. Seine Wertbestimmung liegt bei der Handels- und Finanzabteilung und wird an vergangenen Handelseinkünften, Gehältern und Arbeitslöhnen ausgerichtet.
- Gehen Sie davon aus, mit den Kobolden doch noch zu einer beiderseits annehmbaren Übereinkunft zu gelangen? - Derzeitig liegen die Chancen dafür bei fast null, was vor allem an der sturen Beharrlichkeit der Kobolde liegt, ihre früher großzügig zuerkannten Befugnisse als naturgegebenes Recht festzuschreiben und sehr hohe, ja unbezahlbare Entschädigungen fordern, die wir im Namen unser aller Lebensqualitätssicherung nicht entrichten können und auch nicht entrichten werden.
- Was müssten die Kobolde tun, damit sie wieder Wohn- und Arbeitsrechte in unserer Föderation erhalten? - Sie müssten sich vollständig und ohne Einschränkungen zur Administrationsführung bekennen, die Vorherrschaft magischer Menschen als unbedingte Aufenthaltsberechtigungsgrundlage anerkennen und auf jede bereits erhobene Forderung nach Entschädigungszahlungen verzichten.
- Wie weit wollen oder dürfen Sie gehen, um den Kobolden entgegenzukommen? - Das habe ich im Grunde schon beantwortet. Dennoch, wir lehnen jede Forderung der Kobolde nach Widerherstellung früherer Befugnisse ab, verweisen jede Vorstellung von Aufwertung ihrer Befugnisse ins Reich unerfüllbarer Träume und weisen jede überhöhte Entschädigungsforderung als unbezahlbar zurück. Wir sind jedoch bereit, den Angehörigen unglücklicherweise bei den Auseinandersetzungen um Gringotts verstorbener Kobolde eine einmalige Verdienstausfallszahlung zu erstatten, wenn wir nachprüfen können, welche Gehälter ein Gringotts-Angestellter zu Lebzeiten erhielt und was ein Angehöriger der Sicherheitstruppen der Kobolde verdiente. Da die Kobolde diese Auskünfte bis heute verweigert haben können wir somit keine verbindliche Aussage über eine angemessene Entschädigungszahlung treffen.
- Was machen wir, wenn uns die weltweite Koboldgemeinschaft den bewaffneten Krieg erklärt oder diesen unerklärt beginnt? - Wir werden uns wehren, und die Kobolde werden jeden Gewaltakt gegen uns bereuen.
- Wie sehen Ihre Kollegen im Ausland unsere Haltung zu Gringotts und das von Ihnen ausgegebene Geld? - Die Kollegen in anderen Zaubereiadministrationen sind sich darüber noch nicht einig. Ich möchte zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf einzelne Meinungen eingehen, um die sachliche Diskussion nicht unnötig zu überhitzen. Ich kann und will Ihnen allen garantieren, dass wir keine Not leiden und Jede und Jeder in unserer Föderation alle hier erzeugten Güter und angebotenen Dienstleistungen erhalten kann, wann und wo er oder sie dieser bedarf.
Zusammengefasst heißt dies, werter Mr. Picton: Unser Gold bleibt weiter grün und die Kaufkraftbestimmung erfolgt auf Grundlage vorhergehender Einkommens- und Umsatzberichte. Somit ist unser aller Ehrlichkeit der Boden, auf dem unsere Handels- und Dienstleistungsgesellschaft bauen darf.
Warum Cyrus Picton dem bis auf weiteres unzugänglichen Gold keine Träne nachweint liegt sicher auch daran, dass es nun, nach den Jahrhunderten der den Kobolden gewährten Sonderrechte, die Heimlichtuerei über die Werteinlagen und die geheimen Goldflüsse zwischen den Kobolden vorbei ist und wir nun endlich eine Grundlage haben, genau zu bestimmen, was welches Ding oder welche Arbeit wirklich wert ist, weil die Handels- und Finanzbehörde genau weiß, wie viel Neugeld im Umlauf ist. Somit haben die Kobolde gänzlich gegen ihre eigene Absicht mitgeholfen, die lange für unbedingt erforderliche Kopplung an den Goldwert ohne alles erfassende Überwachung zu beenden und damit den magischen Handel national und international reaktionsschneller, anpassbarer und gerechter zu gestalten, vor allem was die für das Leben nötigen Ausgaben wie Lebensmittel, Kleidung, Schulbildung, Reisemöglichkeiten und Heilmittel angeht. somit haben sich die Kobolde in gewisser Weise durch ihre "sture Beharrlichkeit" selbst arbeitslos gemacht.
RDWM
Véronique hatte beschlossen, mit ihren Kindern und einigen anderen Mitgliedern des hohen Rates, so wie der australischstämmigen Heilerin Valerie Dorkin in die Unterwasserniederlassung umzusiedeln. Dafür gab es drei Gründe. Zum einen war diese Niederlassung nicht für durch die Erde reisende Wesen wie Kobolde erreichbar. Zum zweiten war sie ohne Tieftauchvorrichtungen nicht von außen erreichbar. Zum dritten wurden hier die Kopien aus den mittlerweile in das Schlösschen Good Times Castle zusammengetragenen Archivs der Nordamerikanischen zaubererwelt angeliefert. Somit wurde diese Niederlassung das zweite nordamerikanische Zaubererweltarchiv.
Mittlerweile hatte Perdy das Prinzip des Distantigeminuskastens, den Florymont Dusoleil erfunden hatte, in einer eigenen Fernkopiervorrichtung nachvollzogen. "So brauchen wir keine direkten Abschriften mehr zu machen", hatte Perdy erwähnt. Er ging davon aus, dass bis Oktober diesen Jahres alle Aufzeichnungen kopiert und archiviert sein würden.
Als an diesem Tag der hohe Rat des Lebens wieder einmal in der Aquasphäre 1 tagte ging es auch um die vernichtete Karussellniederlassung Eurasien.
"Wir haben jetzt eine ungefähre Ahnung, warum unsere Quarantänemaßnahmen die zwei Kandidaten durchgelassen haben und wieso die erst dann zu magischen Bomben wurden, als sie im selben Karussell fuhren", eröffnete Perdy mit gewissem Ingrimm. "Sie hat es gemacht wie bei Sprengstoffen aus zwei oder drei Komponenten, von denen jede für sich harmlos ist, aber wenn sie unter bestimmten Bedingungen zusammengebracht werden und auf dieselbe Weise angeregt werden ihre mörderische Kraft entfesseln. Sie kriegt irgendwie mit, wen wir demnächst einladen werden, geht selbst zu denen hin oder schickt wen, der oder die ihr unterworfen ist und macht, dass eine der zwei Komponenten in den Körper der Hexe oder des Zauberers eingeführt wird, möglicherweise als Blutfluch. Weil wir ja grundsätzlich nur magisch begabte und ausgebildete Menschen zur Nachwuchsförderung einbestellen überlagern deren eigenen ruhenden Kräfte die schwache Schwingung des Fluches. Der kann mit Malediktometern nicht erfasst werden, solange wie gesagt eine bestimmte Anregung ausbleibt. Tja, und die Anregung ist Sex, ob aus eigenem Willen vollzogen oder wie von uns angeregt ist hier wohl egal."
"Halt mal, heißt dass, jeder neue Karusselllkandidat oder jede Kandidatin könnte einen geheimen Fluch in sich tragen, den wir mit unseren Malediktometern nicht feststellen können?" wollte Pater Duodecimus Occidentalis wissen, der heute eigentlich nur verkünden wollte, dass die Archivzusammenlegung vollendet war.
"Nach allem, was wir jetzt wissen ja. Denn jeder und jede wurde vorher in unseren Quarantäne- und Auffangstationen überprüft, bevor es in eine der Karussellniederlassungen weiterging. Außerdem wissen wir, dass die Montefiori sicher schon Verbündete in Europa hat, die unsere möglichen Kandidaten auskundschaften können", sagte Véronique mit großer Verachtung. "Und was Perdy und Valerie herausbekommen haben erklärt den Massenmord in der Karussellniederlassung Eurasien."
"Heißt das, dass diese italienische Sabberhexenbrut uns die Auswahl neuer Kandidaten verdorben hat?" wollte eine Miträtin aus Osteuropa wissen, deren Neffe in der eurasischen Karussellniederlassung getötet wurde.
"Das heißt, dass wir herausfinden müssen, wie wir diesen schlummernden Zauber ohne Einsatz von Incantivacuumkristallen entladen können, ohne die Trägerin oder den Träger und uns selbst zu töten", sagte Perdy. "Wieso ist doch einfach. Wir holen immer nur zwei Kandidaten täglich in die beiden verbliebenen Karussellniederlassungen und lassen sie da ihre Pflicht tun. Überleben sie es fünfmal, dann holen wir die nächsten zwei und so weiter", schlug Pater Decimus Canadensis vor, der auf die Uhr blickte, um bloß nicht zu lange wegzubleiben.
"Wenn das reicht, Leute. Einmal kann reichen, um die Komponente zu entladen. Aber diese Hybridin ist nicht blöd. Die kann sich denken, dass unsere Kandidaten auch ohne Kinderwunsch mit wem Liebe machen. Wenn da die Komponente schon freigesetzt würde, ohne ihn umzubringen wäre das ja sinnlos, die damit zu beladen", sagte Perdy. "Nur wenn die beiden Komponenten - immerhin ist davon auszugehen, dass es nur zwei sind - in unmittelbarer Nähe zueinander zeitgleich angeregt werden setzen die ihre volle Vernichtungskraft frei, sowie bei einer Clamp'schen Kommotion. Da passiert ja auch erst das Unheil, wenn die zwei oder drei sich verdrängenden Tränke zusammentreffen und nicht vorher."
"Auch wissen wir nicht, ob dieser Zauber auf die Natur der Sabberhexen oder Veelas zurückgeht oder eben eine Kombination aus beiden ist", sagte Mater Vicesima Secunda. "Also bleibt am Ende nur, je zwei Kandidatinnen oder Kandidaten auszuwählen. Da die beiden unfreiwilligen Vernichtungsträger ja männlich waren beschließe ich, dass die ausgewählten Zauberer statt der hundert Pflichtrunden nur noch zehn zu verbringen haben. Durch die verbesserte Rezeptur unseres Prokonzeptivverstärkers dürfte die Zeugungswahrscheinlichkeit bei über sechs von zehn liegen. Die ausgewählten Kandidatinnen werden nur auf eines der Karussells gelassen, wenn kein männlicher Kandidat in der Niederlassung ist. Solange werden sie bei uns im Zauberschlaf gehalten und wie auf übliche Weise durch zeitweilige Vertreterinnen ersetzt."
"Das könnte gehen", sagte Perdy. "Wichtig ist ja, dass nicht zwei gleichzeitig nahe beieinander mit zugeteilten Partnern nach dem kleinen, bunten Vogel rufen", warf Pater Duodecimus Occidentalis ein. Perdy und Véronique nickten. Dann sagte sie: "Gut, wir versuchen es. Falls es doch noch einen solchen Anschlag gibt, sollten wir jedoch alle Kinder aus den Karussellniederlassungen in die anderen noch dreißig Niederlassungen umsiedeln, also auch die aus der chilenischen Niederlassung, die eh schon zu gut bekannt ist."
"Gut, du hast diese Auswahl angeregt und mit uns ausgearbeitet, Mater Vicesima Secunda. Du hast zu bestimmen, wie sie stattfindet", sagte Mater Nona Borealis.
Als das nun besprochen und beschlossen war ging es wieder um den goldenen Dreizack und auch darum, dass es bald in Südamerika eine weitere Zaubererweltallianz geben würde. Vielleicht konnten sie dann auch eine Zusammenführung von Nord- und Südamerika hinbekommen. Doch das stand noch in den Sternen, fanden alle Anwesenden.
Nach der Ratssitzung kehrten alle, die in der restlichen Zaubererwelt zu tun hatten an ihre Wohn- und Arbeitsorte zurück. So blieben am Ende Véronique mit ihren beiden jüngsten Töchtern, Valerie, Eartha Dime und Perdy in der Niederlassung. Véronique erfuhr über die Bilderverbindung zum Haus der Brickstons, dass Catherine und Julius sich ganz unbekümmert in Hörweite der gemalten Claudine Rocher über die Auswirkungen eines Krieges zwischen Kobolden und Menschen unterhalten hatten. Sie konnte es nachvollziehen, dass die beiden über die Vorgänge in den Staaten besorgt waren. Auch konnte sie es beiden nicht ausreden, dass die davon überzeugt waren, dass Lionel Buggles unter dem Einfluss Vita Magicas stand. Denn jeder dahingehende Versuch wäre verdächtig.
Valerie untersuchte in der Zeit Eartha Dime, die wegen des Ausbleibens ihrer Monatsblutung nachsehen lassen wollte, ob sie vielleicht schwanger geworden war. Falls ja, dann würde sich sicher jemand ganz doll freuen. Falls nein konnte sie vielleicht demnächst noch mal auf ein freudiges Ereignis hinarbeiten.
"Also, Eartha, dein Körper stellt sich um. Das kann von einem gerade eingenisteten Embryo kommen, den ich im Moment nicht sehen kann, oder von der Wunschvorstellung oder irgendwelchen Stressauslösern", sagte Valerie zu ihrer Patientin. "Am besten prüfe ich das in zwei Wochen noch einmal nach, falls du bis dahin nicht menstruieren musstest."
"Alles klar, Val. Danke dir", erwiderte Eartha Dime. Sie dachte nur daran, dass sie in der Zeit vielleicht noch was an den ersten Administrator Nordamerikas zu überbringen haben mochte.
Godiva und Chrysander wollten unbedingt dabei sein, zusehen, wie der große Befreiungsschlag stattfinden sollte. Eingehüllt in dünne Goldketten, weil die keine Kleidung waren, angetan mit dem üblichen Kissenbezugartigen Kleidungsstück, allerdings ohne das Wappen der Greendales, bekam der muskulöse Hauself Buddy noch einen besonderen Schutzhelm auf den Kopf gesetzt, der um seinen Kopf eine Kopfblase erzeugte, bis er den Helm wieder abnahm. Es hatte einige Versuche gebraucht, um den von Florymont Dusoleil für die Duotectus-Anzüge entwickelten Atemschutz zumindest provisorisch hinzubekommen. Ansonsten trug Buddy kleine Kristalle am Körper, in denen Schildzauber eingewirkt waren, darunter auch ein Prallschild gegen Geschosse aus nichtbelebtem Stoff. Das war wichtig, weil eine vollständige Materieabwehr die Ergreifung des Ziels Lionel Buggles verhindert hätte.
"Betäube ihn unverzüglich und ddisapparier mit ihm, bevor die Schutzvorkehrungen aufgebraucht sind!" befahl Anaximander Greendale seinem Diener. Dieser nickte und sagte, dass er in nur einer Viertelminute wieder da sei. Dann wartete er auf den entscheidenden Befehl: "Los, hol Lionel Buggles her!" Mit einem scharfen Knall verschwand der dienstbare Hauself in leerer Luft.
Buggles saß gerade mit Catlock über den weiteren Plänen für die Bekämpfung des Widerstandes, als mit lautem Knall ein kleines Wesen mit mehreren Goldketten um den Hals und Armbändern auftauchte. Catlock erstarrte, ebenso der erste Administrator. Das kleine Wesen wollte vorspringen. Doch nach nur einer Viertelsekunde entstand um seinen Körper eine jadegrüne Leuchtblase, schloss es vollständig ein und verschwand mit ihm zusammen mit dumpfem Plopp und einem leichten Nachknistern.
"Verdammt, das war heftig", knurrte Catlock. "Tja, aber jetzt wissen wir, dass die neue Absicherung wirkt, Ray. Haben Sie gesehen, was sie dem kleinen Burschen alles mitgegeben haben?"
"Öhm, nein, ging mir zu schnell", sagte Catlock. "Stimmt, schnell war das. Aber den flirrenden Helm und den Gummihammer habe ich schon erkannt. Der Bursche sollte mich wohl niederschlagen und dann wegschleppen. Der Helm hat wohl eine Kopfblase gemacht, weil sich das ja herumgesprochen hat, dass wir unerlaubte Hauselfen mit SG3 empfangen."
"Das hätte uns beide aber dann auch umgehauen", sagte Catlock. Dann musste er grinsen. "Deshalb machen wir das ja nicht mehr. Öhm, wo werden die unerwünschten Hauselfen abgeliefert?" fragte er noch einmal. Buggles erwähnte es. Catlock erschauerte erst. Doch dann musste er lachen. "Tja, wenn das wieder die Laveaus waren haben die jetzt einen Elfen weniger."
"Ja, wenn es die Laveaus waren, Ray", knurrte Buggles. "Der kann von jedem Ort der Welt gekommen sein. Na ja, in spätestens einer Minute wissen die, dass er mich nicht befehlsgemäß abgeholt hat", grinste Buggles.
Der Lebenszeichenüberwacher pingelte, sobald Buddy disappariert war. Doch es dauerte nur zehn Sekunden, da entrang sich dem Überwacher ein schrilles Rasseln und dann ein einziger scheppernder Molldreiklang. Gleichzeitig fiel der Zeiger des Überwachungsgerätes auf die vollkommene Nullstellung zurück.
"Dhrachendreck!!" brüllte Anaximander. Chrysander Cartridge starrte auf den Punkt, wo Buddy disappariert war. Dann nickte er. "Netter Versuch, Grandpa Nax", sagte er.
"Der hätte den Kerl in einer Sekunde niederhauen und gleichzeitig fest greifen können und nach einer weiteren Sekunde disapparieren müssen, zum feuerroten Donnervogel noch eins!!" schimpfte Anaximander Greendale. "Aber die haben ihn überwältigt und gleich umgebracht. Wie haben die das hingekriegt, trotz Kopfblasenhelm, Geschoss- und Fremdzauberabwehr?"
"Öhm, ein anderer Hausellf?" fragte Chrysander. Sein offizieller Urgroßvater Anaximander sah ihn an, wiegte den Kopf und sagte: "Den hätte Buddy locker niedergeschlagen", schnaubte der Patriarch der Greendales. Seine Frau sagte dann: "Nein, ich fürchte, das war ein Transportzauber, ähnnlich wie ein Portschlüssel, frrag mich aber bitte nicht, wie der so schnell an Buddy angeheftet werden konnte."
"Ach ja, ein Portschlüssel, der ihn wegträgt und ... ihn gleich in eine tödliche Falle reinwirft, die selbst die Zauberschutzausrüstung überwinden kann", seufzte Anaximander. Chrysander nickte und legte nach: "Immerhin hat sein Lebenszeichenübermittler noch zehn Sekunden durchgehalten, bis er ausgefallen oder zerstört war. Aber in der Zeit hätte er doch noch flüchten können, es sei denn, der Schock bei der Ankunft hat ihm gleich die Besinnung geraubt."
"Schock, was für ein Schock?!" wollte der Herr der Insel wissen. Chrysander sah seine Ziehmutter an, dann alle hier anwesenden. "Kälteschock, Hitzeschock, Überdruck der Tiefsee, luftleerer Raum oder mitten hinein in glühende Lava mitten unter dem Yellow Stone."
"Ich sag's gerne noch einmal: Drachendreck!!" stieß Anaximander Greendale aus. Der erhoffte Befreiungsschlag war ein totaler Fehlschlag geworden. Mehr noch, jetzt würde Buggles nie mehr aus der Sicherheit seiner neuen Festung heraustreten und konnte von da aus weiter seine Mitmenschen tyrannisieren. Da tröstete es auch nicht, dass er dadurch genauso ein Gefangener War wie die Bewohner und Gäste von Viento del Sol oder die auf Roderics Refugium.
Der erste Administrator und sein Gesetzesüberwacher hatten per hausweitem Rundruf sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Versammlungssaal bestellt. Dort erwähnte Buggles, dass vor zwanzig Minuten erneut versucht worden sei, ihn mittels eines Hauselfens zu entführen oder gar zu töten. "Das Laveau-Institut hat uns ja freundlicherweise gezeigt, worauf wir bei derartigen Angriffen zu achten haben. Entsprechend wurden die Abwehrmaßnahmen verbessert und vor allem beschleunigt. Jeder Hauself, der innerhalb der Hochsicherheitsbereiche appariert muss eine auf ihn abgestimmte Halsmanschette tragen. Überall in den Wänden sind auf solche Markierungsgegenstände ausgerichtete Spürzauber eingewirkt. Um einen blitzartigen Mordanschlag oder einen Entführungsversuch mittels Disapparition zu vereiteln reagiert das Sicherheitssystem innerhalb von nur einer Viertelsekunde. Ist der Hauself nicht markiert wird er sofort in ein berührungsloses Portierungsfeld eingeschlossen, das ihn innerhalb der nächsten halben Sekunde auf den Grund des Pazifiks versetzt, so um die 1000 Meter unter der Oberfläche. Da es für Hauselfen keine Duotectus-Anzüge gibt ist das für jeden Elfen absolut tödlich. Von ihm bleibt nach den nächsten Sekunden nichts mehr übrig, und zum disapparieren dürfte der Luftmangel, die Kälte und der alles zerquetschende Überdruck zu große Schmerzen verursachen, um noch einen sicheren Fluchtort zu determinieren. Es besteht für mich und damit auch für Sie kein Grund zur Angst, dass Sie oder ich je Opfer eines feigen Hauselfenüberfalls werden können. Allerdings befehle ich Ihnen allen um mein und auch Ihr Leben willen, dass Sie alle darüber Stillschweigen bewahren und es auch Ihren Angehörigen nicht verraten, wie gut wir hier gesichert sind. Es reicht völlig aus, zu sagen, dass Sie und ich in diesem Haus, ja in diesem Tal unangreifbar sind."
"Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir Ihnen allen empfohlen haben, dass Ihre Angehörigen in den gleichwarmen Wohnzelten untergebracht sind, damit niemandem etwas zustößt, nur weil es gewisse Elemente gibt, die unsere Amtsführung ablehnen und uns lieber gestern als morgen aus der Welt schaffen möchten", sagte nnun noch Blake Woodgrove, der sich offenbar gut mit den hiesigen Abwehrmaßnahmen auskannte.
"Von wem, meinen Sie, kam der Elf, erster Administrator?" wollte eine seiner Mitarbeiterinnen wissen. Er sah sie an und sagte dann: "Ging zu schnell, um das zu sehen. Ist auch völlig unwichtig, weil diejenigen, die den geschickt haben jetzt sicher versuchen, außer Landes zu kommen, falls der Elf nicht aus Australien oder China zu uns geschickt wurde."
"Das sollten wir dann aber genauer wissen, bevor diese Leute noch einen davon herschicken, der gleich nach der Ankunft explodiert", sagte ein Mitarbeiter Catlocks. Die anderen nickten. "Um explodieren zu können muss so ein Hauself sicher sein, am richtigen Ziel zu sein. Eine Zehntel- bis Viertelsekunde ist zu kurz, um das klarzustellen. Dann explodiert er eben tief im nicht ganz so stillen Ozean. Der geht davon nicht kaputt", knurrte Buggles.
"Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit sind also entscheidend", dachte eine, die nicht wie die meisten anderen hier dem Befehl von Buggles hilflos und willfährig unterworfen war. Doch was würde diese Information bringen, wenn außer Hauselfen niemand im Büro von Buggles apparieren konnte?
Mater Vicesima Secunda hatte den leichten Schrecken ihres Unterworfenen körperlich wahrgenommen. Bei der Nachbetrachtung hatte sie selbst einen leichten Schrecken bekommen. Denn dieser ungewöhnlich muskulöse Hauself war verflixt nahe an Buggles heranappariert und gerade so noch von Perdys besonderer Versetzunssphäre umschlossen worden. Sie erzählte ihm, was passiert war und fragte ihn, ob die Eindringlingsabwehr nicht ganz unerwünscht auch Buggles einschließen und fortschaffen konnte, wenn der Eindringling näher als einen Meter an Buggles herankam.
"Der Zauber erkennt Buggles' Lebensaura in Verbindung mit dem von dir und mir entwickelten Markierungsschmuckstück, also seinem Siegelring. Der Eindringling wird dann von ihm zurückgestoßen und eingeschlossen, ohne ihn selbst völlig unbeabsichtigt mitzubefördern."
"Du weißt, dass ich mit Buggles einen besonderen Zauber ausgeführt habe, der mich auch teilweise körperlich mit ihm verbindet?" erinnerte Véronique ihren Zögling und Vater von vieren ihrer Kinder daran, wie wichtig ihr Buggles' Unversehrtheit war.
"Also, er kann nicht aus Versehen in meiner Unterseefalle landen, weil mein Erkennungszauber ihn als nicht zu versetzen erfasst", bekräftigte Perdy. Sie beide hatten ja auch daran gedacht, dass die Führerin der Spinnenhexen mit jenem mysteriösen Flammenschwert den Feuersphärensprung eines Phönix nachahmen konnte. Gegen sowas halfen die gegen Zauberstabnutzer wirkenden Appariersperren und das eingerichtete Portschloss nichts. Aber falls die Spinnenhexe es wirklich wagen sollte, in den Überwachungsbereich von Good Times Valley einzudringen würde sie auf den Grund des Pazifiks geschleudert, wo kein wie stark auch immer wirkender Feuerzauber ausgeführt werden konnte. Auch für Apparatoren war die Tiefe zu groß, um dort zu erscheinen, weil das Wasser in dieser Tiefe nicht verdrängt werden konnte und den Apparator an die Oberfläche oder den Ausgangsort zurückwarf.
"Ich wollte es eben nur noch einmal genau wissen, welche Absicherungen du für die uns gefügigen Leute eingebaut hast, Perdy", beteuerte Mater Vicesima Secunda. Er nickte verständnisvoll. Schließlich war ihm auch sehr daran gelegen, dass die immer noch laufende Operation "Goldener Dreizack" nicht scheiterte. Was er ihr jedoch nicht sagte war, dass er auch was für den Fall eingerichtet hatte, dass es doch wem gelingen sollte, Buggles zu töten, ob mit Gift oder einer nichtmagischen Schusswaffe. Doch so besorgt wie sie war wollte er ihr das nicht verraten.
Einmal mehr dachte sie daran, dass sie eigentlich mehrere Simulacra von Buggles hätte herstellen müssen. Doch allein die Konstellation Unterworfener und magisch bindender Vertrag machten so eine Täuschung sinnlos. Denn hätte sie genug Körperproben von ihm vor der Blutbezauberung genommen, wäre ein damit hergestelltes Simulacrum schwerer zu lenken gewesen als das Original, selbst wenn es an dieses gekoppelt wurde. Hätte sie erst nach ihrem Unterwerfungszauber Körperproben von ihm genommen hätte sie damit keine ihm gleichenden Nachbildungen erschaffen können, weil diese dann eher wie seine und ihre gemeinsamen Söhne oder Töchter ausgesehen hätten. Damit hätten sie die Mitarbeiter von Buggles unmöglich täuschen können. Außerdem mussten der orginale Vertragsunterzeichner und der Vertrag selbst in der Nähe aller anderen davon unterworfenen verbleiben, um den Unterwerfungszauber dauerhaft aufrechtzuhalten. Deshalb konnte sie nicht in die Versuchung geführt werden, gegen zwei der fünf goldenen Regeln Vita Magicas zu verstoßen.
"Höchste Schwester, wenn du oder wer anderes mit einem Hauselfen oder mit einem Phönix durch die Apparier- und Portschlüsselabwehr schlüpfst landest du keine zwei Sekunden später auf dem Grund der Tiefsee", vermeldete Portia Weaver, nachdem sie Anthelia mehrmals anmentiloquiert und um ein Treffen im Versammlungshaus gebeten hatte. Sie wirkte sehr alarmiert. Anthelia/Naaneavargia ließ sich erzählen, was Buggles seinen Leuten über die Falle für unerwünschte Eindringlinge erzählt hatte. "Er hat keinen Grund, euch was vorzuschwindeln, solange er denkt, dass ihm alle treu ergeben sind", erwiderte die höchste Schwester mit gewissem Unmut. "Öhm, aber diese Bande darf keine Menschen umbringen", fügte sie hinzu. "Das mag sein. Aber er ist offenbar zu wichtig, dass er auf keinen Fall gefährdet werden darf, höchste Schwester. Es ist ziemlich sicher, dass er der Ankerpunkt für die Unterwerfung von allen anderen ist. Die müssen ihn schützen, wenn es sein muss durch den Tod seiner Feinde. Also, höchste Schwester, versuch nicht an ihn heranzukommen, wenn du nicht gegen den Druck in tausend Metern Meerestiefe gefeit bist! Es sei denn, du verwandelst dich vorher in eine Meerfrau."
"Weißt du, auf welche Weise der Erfassungszauber die Unerwünschten erkennt und zielgenau fortschafft?" fragte sie. Portia musste eingestehen, dass sie es nicht genau wusste. Sie erwähnte nur, dass Hauselfen Markierungsartefakte am Körper trugen und zwischen Apparieren und Eindringlingsabwehr gerade eine Viertelsekunde verging. Niemand konnte so schnell sein, wer nicht vorher wusste, wo der Administrator saß und sich mit einem Beschleunigungszauber belegt hatte.
"Gut, ich habe da so eine Ahnung, wie dieser Zauber wirkt, hätte es nur gerne hochamtlich erfahren, Schwester Portia. Auf jeden Fall danke ich dir für die Warnung. Ich will ja schließlich nicht in eine tödliche Falle tappen", sagte die höchste Schwester. Portia nickte.
"Falls mich die Falle erwischt sterbe ich unter dem gewaltigen Wasserdruck. Kann ich mich vorher gegen diesen absichern, so bin ich auf dem Meeresboden gefangen, sofern ich nicht unter den Meeresgrund abtauche und hoffe, nicht zu weit von einer Insel oder dem Festland entfernt zu sein", dachte sie weiter. "Ich komme mit Yanxothars Klinge zu Buggles hin, aber mit der Klinge nicht mehr vom Zielort der Falle weg", ließ sie ihre Gedanken weiterschweifen. Also musste sie zusehen, dass der Eindringlingserfassungszauber sie eben nicht erfasste. Doch wie genau?
"So werde ich wohl darauf verzichten, in eigener Person in dieses unerträglich gut gesicherte Schlösschen einzudringen", wutschnaubte Anthelia. Portia nickte schwerfällig. Offenbar hatte sie gehofft, dass die unverwüstliche Spinnenhexe und ihr besonders mächtiges Feuerschwert die unsägliche Vorherrschaft von Buggles und seinen Hinterleuten beenden würden. Aber auch für eine wie Anthelia gab es noch natürliche Barrieren.
"Jedenfalls hast du mich vor dieser Falle bewahrt, Schwester Portia", sagte Anthelia/Naaneavargia ein wenig freundlicher. Dann verabschiedete sie die Mitschwester, damit diese wieder unauffällig an ihren offiziellen Wohnort zurückkehren konnte.
Als Portia fort war begab sich Anthelia/Naaneavargia in einen auf ihre einmalige Lebensaura geprägten Kellerraum, wo sie ihre wichtigsten Gegenstände aufbewahrte. An einer Wand hing die Drachenlederscheide mit Yanxothars Feuerschwert. An einem Kleiderbügel hing Sardonias Mantel. In einer großen, silbernen Truhe lagen der neue Entomolith und das ebenfalls von Sardonia geerbte Denkarium. Von all diesen Dingen konnte sie für ihre Einzelaktion nur das Flammenschwert gebrauchen. Doch das brachte ihr nur dann was, wenn sie nicht doch von Buggles' Eindringlingsabtransportzauber erfasst wurde. Allerdings gab es da noch den scharlachroten Schrank, den sie nur wenige Wochen nach dem Einzug in Tyches ehemaliges Wohnhaus hier hineingestellt hatte. Dessen inhalt würde ihr wesentlich bessere Überlebenschancen bieten, jetzt wo sie wusste, was ihr drohte. Wichtig war für sie, dass Portia nun davon ausging, dass auch die mächtige Anthelia nicht zu Buggles vordringen konnte. Auch wenn diese eindeutig noch auf der Seite der schwarzen Spinne stand durfte sie durch nichts verraten, dass sie mit einem Schlag der obersten Anführerin rechnete.
Dann fiel Anthelia noch was ein. Die Gegner kannten sie und ihr mächtiges Feuerschwert womöglich. Sie musste also davon ausgehen, wenn sie ihr Eindringen nicht verhindern konnten, trotzdem ihren Unterworfenen, dem fast alle anderen unterworfen waren, vor ihr zu schützen. Sie kannte eine Menge Tricks, jemandem etwas vorzutäuschen. Ja, in Täuschen steckte Tauschen, dachte die höchste Spinnenschwester. Sie nickte. Sicher, keiner von Buggles' Leuten, vielleicht nicht einmal die ihm auch so zuarbeitenden Leute von Vita Magica, durften auch nur eine Ahnung haben, falls das durchgeführt wurde, woran Anthelia gerade dachte. Sie versuchte sich in die Denkweise dieser Fortpflanzungserzwinger hineinzuversetzen. Würde sie es hinnehmen, wenn sie erfuhr, dass sie über Monate oder Jahre einer Unwürdigen gedient hätte. Sowohl Anthelias als auch Naaneavargias Erfahrungen und Ansichten hatten darauf nur eine einzige Antwort: Nein, würde sie nicht. Ja, und Leute, deren hohes, ja heeres Ziel es war, möglichst viele magische Menschen auf dem Weg von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt in die Welt zu bringen mochten da noch mehr Ablehnung äußern. Denn wenn es denen nur um magische Menschen an sich ginge konnten sie ähnlich den an Lebewesen herumpfuschenden Igor Bokanowski jeden Tag hunderte, ja tausende von künstlich erschaffenen magischen Menschen auf diese Welt bringen, ohne die vielen Jahre zwischen Zeugung und Reifung abwarten zu müssen.
Aber selbst wenn Vita Magica in der Hinsicht sehr strenge Vorgaben aufgestellt hatte hieß das nicht, dass es nicht doch geheime Ausnahmen gab, und sei es, dass nur eine Handvoll kundiger Mitstreiter davon wusste und es durchführen konnte. Also würde sie sich auch darauf einrichten. Sie musste verächtlich grinsen, als sie daran dachte, wie die große Sardonia einmal gegen eine derartige Täuschung vorgegangen war. Sie war sich hier ganz sicher, dass das Wissen darum nur Sardonias weiblichen Blutsverwandten übergeben worden war, anders als mancher Zauber, den Sardonia erfunden und weiterentwickelt hatte, um möglichst viele bedingungslos gehorsame Untergebene zu haben und von denen sie nun überzeugt war, dass eine ranghohe Hexe dieser Schurkentruppe Buggles damit hörig gestimmt hatte.
"Ja, so könnte es gehen. Alles eine Frage von Wissen und Übung", dachte die höchste Schwester des Spinnenordens.
Die Frühstückspause war vorbei. Die ordentlich mit einem silbernen Halsring markierte Elfe hatte das Tablett mit dem leeren Teller und der leeren Tasse abgeräumt und war verschwunden. Lionel Buggles warf noch einen Blick über das Tal. Er sah das Schulzelt, in dem die Kinder seiner Untergebenen unterrichtet wurden, das Küchenzelt, indem die haushaltstüchtigen Angehörigen gemeinsam für ihre fleißigen Verwandten kochten, brieten oder grillten. Rauch kräuselte sich aus dem Abzug, das Zeichen für beständiges Wohlbefinden. Heute Abend wollten sie sogar ein Johannesfeuer entzünden, weil die aus Louisiana stammenden Talbewohner diese Tradition schätzten. Womöglich würde er dieser Feier auch beiwohnen.
Buggles horchte in sich hinein. Er war sein eigener Gefangener, solange es Leute gab, die ihn lieber tot sehen würden. Doch in diesem blühenden, gut versteckten Tal konnte er es aushalten. Wenn es ein goldener Käfig war, dann war dieser groß genug, um nicht dauernd gegen die Gitterstäbe zu stoßen. Ja, und die nicht unmittelbar unter dem Bann der Anerkenntnisbestätigung stehenden Hexen und Zauberer zwischen null und hundert Lebensjahren hatten es eingesehen, dass sie da draußen als Ziele gegen ihre eigenen Verwandten eingesetzt werden konnten. Immerhin hatte die neue Brigade Blauer Blitz vorgestern und gestern zehn weitere Werwölfe erlegt. Er rechnete eigentlich jeden Tag damit, dass die Mondgeschwister entweder aus der Föderation verschwanden oder ihre Kapitulation anboten. Die einzigen, die ihm wirklich eine gewisse Sorge machten waren die Spinnenhexe mit dem Feuerschwert, mit dem sie angeblich oder wahrhaftig wie ein Phönix verreisen konnte oder Ladonna Montefiori, die mit ihren Veela- und Sabberhexenkräften ganze Gruppen von Leuten unterwerfen konnte. Doch selbst wenn die eine wirklich den Feuersprung des Phönix machen konnte und die andere die Kräfte von Sabberhexen und Veelas in sich vereinte würde der erweiterte Abwehrzauber gegen unbefugte Eindringlinge zu schnell reagieren, um sie wirklich gefährlich werden zu lassen. Ja, und sie müssten dann ja drei Sachen wissen. Sie mussten wissen, wo genau er im Turmzimmer saß, dass es diese höchst faszinierende wie unheimliche Versetzungssphäre gab und wie die tödliche Falle beschaffen war. Das alles hatte er zur Geheimsache erklärt. Niemand seiner Leute, Hexen oder Zauberer, konnte es gegen seinen Willen verraten. Allerdings musste er auf der Hut sein, sobald er die schützende Festung verließ. Er war wie ein Ungeborener, der nicht weiterwachsen wollte, weil er in der Welt aus Luft und Licht zu viele Feinde hatte. Hatte sie das wirklich so gewollt?
Plötzlich explodierte vor ihm ein orangeroter Feuerball. Kaum dass er dachte, dass es wohl diese Spinnenhexe mit dem Feuerschwert war klammerte diese sich bereits mit einem Arm an ihm fest, ehe die berühmte Viertelsekunde vorüber war. Er fühlte etwas eiskaltes von ihr in seinen Körper ausstrahlen und bangte, dass er gleich mit ihr zusammen in der jadegrünen Sphäre verschwinden mochte. Da fühlte er, wie sie ihm etwas in die Seite drückte und dann mitsamt seinem schwarzen Ohrensessel umkippte. Er bekam den Tisch nicht mehr zu fassen und landete auf dem Boden. Er wusste, dass er jetzt die letzte Absicherung verloren hatte. Da sah er, wie um ihn ein bläuliches Licht erglühte und alle seine Körperkonturen nachzeichnete. Was sollte das denn? Diese Frage blieb für ihn für immer unbeantwortet. Denn in diesem Moment umschloss ihn genau jene grüne Leuchtblase, die sonst unbefugte Hauselfen umschließen und fortschaffen sollte. Als er für eine Sekunde schwerelos durch einen unendlichen Raum trieb dachte er an sie, die ihn ihrem Willen unterworfen hatte. Würde sie mitbekommen, dass er gleich starb? Da schlug es bereits dunkel und mit eiskaltem, mörderischen Druck um ihn herum zusammen, presste ihm alle Luft aus den Lungen, drückte auf jede Körperstelle wie der Transit beim Apparieren, doch verging nicht mehr, sondern quetschte wortwörtlich alles Leben aus ihm heraus. So galt sein allerletzter Gedanke seiner eigenen Überheblichkeit, dass er meinte, der größte Zauberer Nordamerikas zu sein. Dann fühlte er nur noch den letzten Schmerz, unter dem sein Schädel, seine Rippen und sein Unterkörper zusammengedrückt wurden.
Mater Vicesima Secunda hatte ihre zwei Töchter in die französische Niederlassung gebracht, weil sie heute alle Verbindungen ausloten wollte, die sie über ihre Kinder und Kindeskinder hatte, abgesehen von jenen, die sie aus guten Gründen für tot und begraben hielten. Die Unterwasserniederlassung, Perdys ganzer utopisch-technischer Stolz, bot ihr hierfür die nötige Abgeschiedenheit, abgesehen von Perdy in seiner Überwachungszentrale, Valerie in ihrem explosionsfesten und mit allen möglichen Gerätschaften ausgestatteten Zaubertranklabor und Eartha Dime, die darauf hoffte, Perdys erstes Kind in dessen zweitem Leben in sich zu tragen.
Gerade wollte sie sich auf ihre Tochter Sarah in der Nähe von Strassburg einstimmen, um sie nach dem Stand zwischen magischen Menschen, Zwergen und Kobolden zu fragen, als etwas sie mitten im Unterbauch traf, ein Gefühl wie ein Eisbrocken, direkt in ihre Gebärmutter hinein. Der Kälteschauer jagte sofort durch ihren ganzen Bauchraum in ihre Brust, Arme, Beine und bis in den Kopf. Sie saß starr wie gefroren auf ihrem Stuhl und sah nicht mehr ihr eigenes Gemach in der Unterwasserniederlassung, sondern fand sich in einem runden Turmzimmer in einer halben Umklammerung von einer Gestalt in einem scharlachroten Ganzkörperanzug. Sie vermeinte, ein orangerot flirrendes Licht wie eine flimmernde Flammengarbe über sich und der Gestalt zu sehen. Dann raubte die durch ihren Körper jagende Kälte die Besinnung. Kraftlos sank sie in ihrem Sessel zusammen.
Sie hatte mit Beth, Melonia und Romina geübt, wie sie es anstellen musste, direkt nach dem apparieren auf eine ihr vor dem Auftauchen nicht bekannte Stelle anzuspringen, wo die Zielperson war und sie mit einem Arm zu umgreifen. Auch hatte sie den "Lauf des lauten Lichtes" geübt, der in Yanxothars Klinge eingewirkt war. Erst als sie es zehnmal mit je einer von drei anderen Schwestern als Portia ausprobiert hatte, beschloss sie, ihr Vorhaben zu verwirklichen. Heute, am Tag, wo auch in der magischen Welt Freudenfeuer zur Sonnenwende entzündet wurden, war es so weit. Ihr Ziel war das kleine Schloss im Tal der guten Zeiten.
Sie fühlte, wie der Zauber der Feuerreise sie ans Ziel trug. In ihrem jetzigen Zeitempfindungszustand war das wie ein behäbiges Auf und Ab in einer Unendlichkeit aus Feuer in allen Tönen von gelborange bis rubinrot. Dann fühlte sie die irdische Schwere wieder. Um sie herum zerflossen die Flammen zu in Decke und Boden davonstiebenden Funken. Sofort blickte sie sich um und sprang auf den schwarzen Sessel zu. Mit der Rechten Hand das Schwert hochreißend umschlang sie Buggles' scheinbar erstarrten Körper mit dem linken Arm. Dabei prasselten und knisterten blaue, violette und rote Blitze zwischen ihr und dem Sessel, offenbar Rückprellzauber. Diese taten ihr jedoch nichts, weil sie in weiser Voraussicht unter ihrem Schutzanzug ein mit Contramotus-Zauber belegtes Mieder trug. Vorbereitung war eben alles.
Sie fühlte die Wechselwirkung zwischen ihm und sich. Ihr Zauber wirkte auf den Zauber, der ihn fest und nicht von sich aus lösbar an eine mächtige, fruchtbare Hexe band. Sie sah durch den gläsernen Kopfblasenhelm, den sie trug, wie sich vor seinem Gesicht eine blutrote Funkenwolke bildete, aus der heraus geisterhaft das Gesicht einer Frau mit meergrünen Augen entstand und sofort wieder zerfiel, weil Anthelias Zauber den Einfluss ihres Blutes niederrang. Denn sie hatte sich mit der dunklen Aura des Todes umgeben, jenem Zauber, der die eigene Lebensaura restlos abdunkelte und solange vorhielt, bis sie mehrere Stunden natürlichen Schlaf genossen hatte. Außerdem trug sie in ihrem Körper einen Kristall der Verborgenheit, der bei Berührung mit der Erde jeden Ortungszauber um den davon berührten Erdvertrauten herumlenkte.
Jetzt wusste sie zwei Dinge, dass sie den OriginalBuggles und kein Simulacrum vor sich hatte und dass dieser mit dem von Sardonia persönlich weiterentwickelten Zauber der Unterwerfung unter fruchtbares Hexenblut belegt worden war. Gegen den konnte sie im Augenblick nicht ankämpfen, weil sie dafür natürlich entströmendes Monatsblut einsetzen musste und nicht in der entsprechenden Phase ihres Fruchtbarkeitskreislaufes war.
Sie hatte gehofft, es nicht verwenden zu müssen. Doch der Zauber zur Unterwerfung unter die Macht fruchtbaren Hexenblutes gebot ihr, eines der beiden einzigen schnell wirkenden Mittel zu nutzen. So drückte sie Buggles mit ihrer behandschuhten linken Hand eine kleine, halbfeste Scheibe, gerade mal münzgroß in die Seite und stieß Buggles mit solcher Wucht zur Seite, dass er mit dem Sessel umkippte und zur Seite wegglitt und dabei immer mehr in die waagerechte geriet. Sie selbst sprang zurück, hoffte darauf, dass ihre Vorkehrungen reichten. Würde der Erdzauber "Lied des fremden Hauches" so wirken, wie sie hoffte?
Valerie Dorkin befasste sich gerade mit den Aufzeichnungen über die Magnetfeldempfindlichkeit der Kobolde. Sicher konnten sie damit auch aufmüpfige Zwerge züchtigen. Da bimmelte eine kleine, helle Glocke, und eine metallisch krächzende Stimme plärrte: "Notfall in Raum fünf! Notfall in Raum fünf!"
Valerie wusste, wer in Raum Nummer fünf wohnte. Sie erschrak. Was war mit Mater Vicesima Secunda? Sie sprang auf, packte ihre Heilerausrüstungstasche und rief: "Zum Notfallort!"
Ein smaragdgrünes Licht umflutete sie, schien sie vom Boden aufzuheben und für einen winzigen Augenblick durch einen schwerelosen Raum zu tragen. Dann stand sie genau neben dem breiten Sessel, in dem Mater Vicesima Secunda saß.
Valerie war den Anblick magisch verstümmelter Menschen, Verbrennungsopfern oder von Tieren verletzter Patienten gewohnt. Doch als sie ihre Mitstreiterin und die gerade kinderreichste Angehörige des hohen Rates sah erschrak sie doch. Véronique hing mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel. Ihr Rock und der Sessel, sowie der Boden waren völlig blutgetränkt. Eine höchst besorgniserregende, immer größer werdende Laache bildete sich auf dem Boden . Valerie starrte zwei wertvolle Sekunden auf das entsetzliche Bild ihrer Mitstreiterin. Dann handelte sie endlich.
Zunächst verzögerte sie mit zwei Lentavita-Zaubern alle Lebensfunktionen der Besinnungslosen. Das brachte den Blutfluss zum versiegen. Doch was schon ausgeströmt war war alarmierend. So beschwor sie eine Trage herauf und fixierte Genick und Wirbelsäule der Patientin. Dann hob sie sie auf die Trage und wollte gerade aus dem Zimmer eilen, als ihr die schwärzlichen Schleimbrocken in der bereits bestehenden Blutlaache auffielen. Trotz ihrer Heilerausbildung erschauerte sie. Was sie da sah war noch bedenklicher als es zunächst angemutet hatte. Sie fühlte, wie ihr eigenes Blut aus dem Gesicht wich. Doch sie musste jetzt klar denken und all ihr Wissen und Können aufbieten, um die Schwerverletzte zu retten, auch wenn sie nicht wusste, was dieser überhaupt zugestoßen war.
Sie nutzte den Schnelltransportzauber aus, um sich und die Trage in einer Sekunde in den Heilungstrakt zu befördern. Dort bettete sie die Patientin auf den Behandlungstisch um. Dann zauberte sie ihr mit dem Nudatus-Zauber alle Kleidung vom Körper, was ihr schwerfiel. Denn Blut an oder in der Kleidung erschwerte den Entkleidungszauber, weil dieser ja nur die Kleidung von lebenden Menschen lösen sollte und nicht deren Haut oder Fleisch betreffen durfte. Danach reinigte sie die Patientin erst einmal, um zu überblicken, ob es äußere Verletzungen gab. Dem war nicht so. Doch sie erkannte, dass Véronique aus dem Unterleib blutete. Das passte zu der gemachten Beobachtung. Deshalb wählte sie nicht den Vitalis-Revelius-Zauber, sondern gleich einen Einblickspiegel, um ihr in den Körper zu sehen. Sie erbebte. Ja, ihre große Befürchtung wurde zur grausamen Gewissheit. Sowas hatte sie bisher noch bei keiner Hexe gesehen. Es gab Zauber, die die inneren Organe von Hexen und Zauberern verletzen konnten. Aber so gründlich und heftig wirkte keiner davon. Véroniques innere Geschlechtsorgane waren nicht mehr vorhanden. Statt ihrer lag nur noch angeschwärzter, blutiger Schleim in ihrer Bauchhöhle, von dem schon etwas nach außen abgeflossen war. Die Verbindungsadern bluteten Tropfen für Tropfen nach, wobei bereits die Gerinnung ansetzte, da der Blutkreislauf verzögert worden war. Valerie fühlte, wie ihre Beine weich wurden. Sie musste sofort sitzen, um nicht selbst umzukippen. Dann hörte sie Perdys Stimme in beiden Ohren klingen: "Val, ich kriege hier eine Notfallmeldung Stufe drei rein. Was ist mit Véronique?"
"Perdy, irgendwas hat sie zielgenau am Unterleib verletzt, was eindeutig magisches. Ich weiß noch nicht was, aber wenn ich das nicht beheben kann wird sie entweder sterben oder ihr restliches Leben lang keine Kinder mehr bekommen können. Jetzt weiß ich nicht, was ihr selbst als schlimmer vorkommt. Aber ich bin dran, Perdy. Sie ist in meinem Heilraum. Aber ich verstehe nicht, dass sowas möglich ist, wo die Niederlassung gegen Fernflüche abgeschottet ist."
"Was?! Sie ist an ihrem Unterleib verletzt? wie genau?" wollte Perdy wissen. Er klang jetzt eher wie ein eingeschüchtertes kleines Kind als wie ein gut überlegender Planer und Überwacher.
Valerie verwies ihn ungehalten darauf, dass sie erst die Behandlung so weit sie konnte durchführen musste. Er sollte in der Zeit nachprüfen, wo der Angriff oder was immer hergekommen war und vor allem, wieso er Véronique nicht gleich getötet und so zielgenau an den inneren Geschlechtsorganen Verletzt hatte.
Als sie die nötige Ruhe hatte und neben dem Behandlungstisch auf einem erhöhten Stuhl saß prüfte sie, ob von den geschädigten Organen noch was zu retten war. Weil dem leider nicht so war ennntfernte sie die unförmigen Überreste mit entsprechenden Zaubern, die bei unkonzentrierter Anwendung auch locker intakte Eingeweide aus dem Körper lösen konnten. Dann hantierte sie mit Einblickspiegel und Vergrößerungsglas und fügte die durchtrennten Adern wieder zusammen, dass zumindest keine Nachblutung mehr stattfand. All das hielt sie davon ab, sich wieder in die aufgekommene Bestürzung hineinfallen zu lassen. Erst als sie sicher war, dass ihre Patientin zumindest weiterleben konnte, hob sie die doppelte Körperverzögerung auf. Véronique war jedoch weiterhin bewusstlos. Valerie winkte einem von vier Metallbehältern auf sechs Speichenrädern zu, der anruckte und leise zu ihr hinrollte. Das Behältnis wirkte wie eine Mischung aus einem plattgedrückten Weinfass und einem Sarg. Sie hatte sich von Perdy und einem Artikel aus dem Heilerherold anspornen lassen, vier neuartige Intensivheiltanks für die futuruistische Unterwasserniederlassung zu beschaffen. Sie bettete die Patientin in den herbeigewunkenen Tank. Danach setzte sie ihr eine silberne Atemmaske auf. Daraufhin verschloss sie den großen Behälter. Dann ließ sie aus dem daran angeschlossenen Rauminhaltsvergrößerungsbehälter eine fast glasklare Flüssigkeit einströmen, in der ein Keimfreielixier, ein Diptamderivat und eine Warmhaltelösung enthalten waren. Die Flüssigkeit füllte den gesamten Heiltank aus. Véronique sollte jetzt mindestens einen vollen Tag schlafen, überwacht von fünf Lebensanzeigevorrichtungen. Bei Schwerstverletzten oder Opfern von andauernd wirkenden Fernflüchen waren diese Tanks das neueste und zugleich umstrittenste, was es in der Heilerzunft gab. Denn die Traditionalisten lehnten diese schon an "Muggelmurksapparaturen" erinnernden Hilfsmittel ab. Auch Valeries offizielle Vorgesetzte Laura Morehead gewann dieser Art von Patientenversorgung nicht viel ab, während Bethesda Herbregis aus der Sana-Novodies-Klinik dieses Hilfsmittel bereits erfolgreich eingesetzt hatte, um einen von vier Bundabundos zugleich verheerten Patienten zu behandeln und vollständig zu heilen. Valerie tippte mit ihrem Zauberstab an ein Symbol, das wie ein geschlossenes Vorhängeschloss aussah. Der Tank schimmerte nun golden, die durchsichtige Oberseite wurde undurchsichtig. Véronique war nun vollständig von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt und gegen weitere Fernzauber geschützt.
"Perdy, ich habe Véronique in einen der neuen Heiltanks gelegt, weil ich nicht weiß, ob von außen nicht noch was auf sie einwirkt, was ich bei der Untersuchung nicht finden konnte. Ich halte sie mindestens einen vollen Tag in völliger Ruhe. Dann prüfe ich nach, ob ich sie wieder vollständig heilen kann", meldete Valerie. Mehrere Sekunden lang blieb es still. Dann antwortete Perdys bestürzte Stimme.
Anthelia sah grüne Lichtstränge, die sich aus allen Raumrichtungen bildeten. Zunächst sah es danach aus, als wollten diese sich auf sie stürzen. Doch sie überflogen sie, wirbelten an ihr vorbei und schnürten sich um Buggles zu einem immer dichteren Lichtgewebe zusammen. Als dieses nahtlos zu einer mannsgroßen Leuchtblase geschlossen war pulsierte diese für die Dauer, die Anthelia gerade als eine Sekunde empfand. Dann begann die Leuchtblase mit dem Umschlossenen geisterhaft durchsichtig zu werden. Sie sah noch das vor Entsetzen starre Gesicht von Lionel Buggles durch das grüne Licht schimmern, bevor dieses mit ihm schlagartig zusammenschrumpfte und erlosch.
Sofort sah sich anthelia um. Rote und blaue Blitze schossen auf ihre Feuerklinge zu, prallten davon ab und zerstoben. Doch von dem grünen Leuchten war nichts zu sehen. "Wo war der Vertrag?" Sie war sich sicher, dass Buggles dieses verwerfliche Dokument in seiner Nähe haben musse. War er in einem der Schränke? Dann fiel ihr ein, dass er sicher noch nicht alle Angestellten damit unterworfen hatte. Sie sah auf dem Tisch, wie eine Pergamentrolle geradewegs in einer offenen Schublade verschwand und diese sich innerhalb einer halben Sekunde dumpf schabend und laut krachend schloss. Anthelia war froh, den gläsernen Kopfblasenhelm zu tragen, der auch überlaute Geräusche abfing. Doch nun wusste sie, wo der Vertrag hin war. Sie holte mit dem immer noch lodernden Feuerschwert aus und schlug zu.
Die Schreibtischplatte bot einen gewissen Widerstand und brannte nicht. Doch der Widerstand reichte nicht aus. Yanxotahrs Klinge, immer wieder umtost von blauen und roten Blitzen, durchschnitt die Schreibtischplatte wie ein heißes Messer einen Klumpen Fett, trennte ein Stück davon ab. Anthelia kantete die Klinge ein wenig und riss sie nach oben, wobei sie nun von unten her ein weiteres Stück aus der offenbar gegen Feuerschäden gesicherten Platte heraustrennte.
Immer wieder ließ sie das Schwert hinab- und wieder hinaufsausen, bis sie die erste Schublade herausgetrennt hatte. Diese trudelte rotglühend zu Boden. Antehlia sah sich immer nach neuen grünen Lichtsträngen um. Denn wurde sie erwischt und wie Buggles eingeschlossen musste sie darauf vertrauen, dass der getragene Duotectus-Anzug wirklich bis mehr als dreitausend Metern Wassertiefe schützte. Immerhin hatte sie schon frühzeitig drei davon besorgt und nach ihren Bedürfnissen einfärben lassen.
Als das Schwert die zweite Schublade aus dem nun in mehr als acht Trümmer zerhackten Schreibtisch gelöst hatte wusste sie, dass sie tatsächlich nicht als fremdes Wesen erfasst wurde. Nur gegen Feuerzauber wirkende Abwehrzauber schossen auf das Schwert zu, wurden davon jedoch mühelos geschluckt und als knackende Funkenentladungen wieder ausgestoßen.
Die oberste Spinnenhexe ging in die Hocke, richtete ihr Schwert dabei so lotrecht wie möglich nach oben. Von der Decke her zuckten blaue und rote Blitze. Sicher gab es schon Alarm im Schloss. Dann sah sie, wie aus einem kurzen, wilden Flirren heraus ein kleines Wesen auftauchte, ein Hauself, der sich scheinbar sehr behäbig nach ihr umdrehte. Sie ließ die Klinge kurz von rechts nach links durch die Luft zischen, und von dem kleinen Helfer blieb nur eine rotglühende Aschewolke übrig. Ein kurzes Seufzen drang vom Schwert her in ihren Geist. Yanxothar bereute den Tod dieses harmlosen Wesens. Doch seine Klinge und damit er waren ihr verbunden, so sein eigenes Gesetz. Sie griff nach der einen Metallkonstruktion, die Schublade und Panzerschrank in einem War. Sie klemmte sie sich zwischen die Beine. Die zweite Schublade klemmte sie sich unter den Arm. Dann dachte sie konzentriert die Auslösegedanken für die Feuerreise.
Das Schwert loderte noch heller und blähte sich scheinbar auf. Es sprühte immer mehr funken, die um sie herum zu einer flammenden Kugel verdichtet wurden. Dann schloss sich die Feuersphäre vollständig um sie. Sie wurde vom Boden angehoben und glitt erneut durch einen schwerelosen Raum aus gelborangem bis rubinrotem Feuer. Sie glaubte zwischendurch weißglühende Stränge von unten und oben vorbeijagen zu sehen. Doch das mochte auch eine Sinnestäuschung sein, da sie immer noch vom Zauber "Lauf des lauten Lichtes" durchdrungen war, der sie selbst auf das zehnfache beschleunigte und somit jede Wahrnehmung auf ein zehntel des üblichen verlangsamte.
Endlich riss die sie tragende Feuersphäre wieder auf. Der sonst so allgegenwärtige Griff der großen Mutter bekam sie wieder zu fassen. Sie federte den sanften Aufsetzer zusätzlich ab. Dabei polterte die zwischen den Beinen eingeklemmte Metallkonstruktion zu Boden. Anthelia balancierte sich und das immer noch lodernde Schwert aus, damit es bloß nicht mit etwas in ihrem Kellerraum in Berührung kam. Dann winkte sie behutsam und dachte daran, aus dem Lauf des lauten Lichtes herauszutreten. Scheinbar änderte sich nichts um sie. Doch sie merkte innerlich, dass etwas in das Schwert zurückfloss. "Der kleine Diener war einem Feind verbunden", hörte sie eine männliche Gedankenstimme seufzen. Sie dachte zurück: "Ich wollte den Elfen nicht töten, Meister des Feuers. Aber er hätte weitere wie ihn geholt und womöglich noch mehr an die Feinde gebundene Menschen herbeigeschafft."
"Dies enthüllte sich auch meinem Geist", erwiderte Yanxothars Gedankenstimme. "Doch nun hast du mit meiner Hilfe einen nicht aus eigenem Willen handelnden in den Tod geschleudert und wirst mit dieser Seelenlast weiterleben müssen, wie mit allem, was du dir schon auf die Seele geladen hast, Naaneavargia, die du eins mit einer dunklen Tochter wurdest."
"Mit dieser Seelenlast kann ich besser leben als damit, dass er im Namen seiner Unterdrücker weiteres Unheil über sein Heimatland gebracht hätte. Denn sie hätten niemals genug davon bekommen, ihn gegen andere einzusetzen. Wie du erkannt hast war er nur ein Werkzeug, eine willige, wirkende Hülle derer, die meine Feinde sind, von machtvollem fremdem Blut getränkt."
"Und nun willst du den Anker seiner Knechtschaft auch noch zerstören. So sei es", erwiderte Yanxothars Gedankenstimme.
Cindy Clayton blickte wie ihre Mitschüler und Mitschülerinnen auf die Tafel. Mrs. Mahony hatte gerade links die Zahlen von 1 bis 10 und rechts davon die Zahlen 9, 18, 27 bis 90 aufgeschrieben und erzählte noch einmal, dass das Malnehmen nichts anderes als ein schnelles Zusammenzählen war, wenn immer die gleiche Zahl dazugezählt werden musste und dass das Einmaleins mit neun was besonderes war. Doch warum das besonders war erzählte sie nicht. Denn die Lehrerin begann zu schwanken wie Gras im Wind und kippte dann einfach um. Jetzt lag sie auf dem Boden. Cindy, deren Vater als Zaubertrankprüfer in dem arbeitete, was die Erwachsenen Nordamerikanische Magieadministration nannten, blickte verängstigt auf die umgekippte Lehrerin. Auch die anderen aus ihrer Klasse sahen sehr erschrocken auf Mrs. Mahony. Lisa Greenbroke rief nach ihr, wollte sie aufwecken. Da rief Juana Puentealto, die am Fenster ganz rechts saß: "No Papa que pasa!" Mike Southgate wollte die mexikanische Klassenkameradin schon anquatschen, Englisch zu reden, als er auch sah, was der so Angst machte. Darauf sprangen alle Schüler wie von einer Welle angehoben von ihren Stühlen hoch und rannten zu den Fenstern.
Cindy sah mehr als zwanzig fliegende Besen, die über diesem langen, von großen Bergen umgebenenden Tal herunterfielen. Ja, die Besen mit den Hexen und Zauberern drauf fielen einfach von oben runter. Die darauf sitzenden hingen eher darauf. Sie hielten sich nicht mal fest. Alle Schüler stießen laute Schreckensrufe aus, als sie ihre Daddys, Moms oder Onkel und Tanten sahen. Sie hatten alle Angst, dass die Besen gleich ganz schnell auf den Boden knallten und die die auf denen saßen dann tot waren. Da sahen sie, dass um die Besen viele viele kleine blaue und silberne Lichter herumflogen und die Besen von einem Augenblick zum anderen viel langsamer fielen. Ja, die fielen jetzt nicht mehr, sondern kamen ganz gemütlich runter. Erst als sie auf dem Boden waren kippten auch die, die auf denen saßen herunter und lagen jetzt auf dem Boden, ohne was zu machen.
Ohne Erlaubnis und ohne Aufforderung rannten alle aus der Klasse raus. Im Gang zwischen den fünf Klassen und drei Übungszimmern trafen sie die die aus der ersten bis zur fünften Klasse. Wie eine Herde vom Donnerschlag erschreckter Pferde rannten die Jungen und Mädchen nach draußen, hin zu denen, die auf den Besen runtergekommen waren. Zugleich hörten sie ein ziemlich lautes, nicht gwirklich lustiges Getröte vom viertürmigen Schloss her. Irgendwas war da passiert oder passierte noch. Cindy dachte nur daran, dass ihr Daddy im Schloss war. War dem auch was passiert?
Shana Moreland genoss ihre Macht wie am ersten Tag. Sie hatte ein eigenes Büro und brauchte nur Anweisungen zu erteilen, ohne großartige Erklärungen abgeben zu müssen. Sie war gerade dabei, die mit Catlock, Woodgrove und dem vereinten Rat der magischen Richter erarbeitete Neuregelung der magischen Bildungsstätten durchzulesen, ob diese so an alle Zauberschulen Nordamerikas geschickt werden konnte, als ein durchdringendes, disharmonisches Tröten in ihre Ohren drang. Es hielt zwei Sekunden vor. Dann vergingen zwei Sekunden Stille, bis es erneut erklang. Sie kannte dieses Hornsignal. Es kündigte einen versuchten oder bereits erfolgten Angriff mit Elementarzaubern an. Zwar hatten Shanas wahre Mitstreiter dieses Haus und das Tal gegen viele solche Zauber gewappnet. Aber wer es versuchte, mit Dämonsfeuer, Erdbebenzauber oder magisch beschworenem Wind anzugreifen konnte durchaus ein paar Sekunden lang was anrichten, bevor die Gegenzauber griffen. Dann würde das Getröte gleich wieder vorbei sein. Doch es hörte nicht nur nicht auf, sondern ging in eine höhere Tonlage über und wurde zu kurzen Warntönen, als wenn der Angriff nicht nur weiterging, sondern sogar gewisse Teilerfolge erzielte.
"Shana, Louanne, Lyndon, Alfonso, Fernando und Sergio, seid ihr noch da?!" hörte sie die Stimme von Blake Woodgrove in beiden Ohren zugleich. Ihr Mitstreiter aus Kanada, der sich rühmen konnte, zwölf eigene Kinder zu haben und somit der mit den meisten eigenen Kindern in ganz Amerika zu sein, klang ziemlich aufgeregt. Deshalb hob sie schnell den linken Arm vor ihr Gesicht und sprach dem kleinen blauen Stein mit dem eingewirkten Ohrensymbol zugewandt: "Blake, ich bin noch da." Sie wartete und hörte mal von links, mal von vorne, mal von hinten und von rechts die anderen Gerufenen antworten. Dann erklangen noch wie von Meeresrauschen unterlegt die Antworten der zehn anderen auf die Administration verteilten Mitstreiter, die alle nach und nach in wichtige Positionen berufen worden waren und in den Außenstellen zu tun hatten. Ramón aus Tihuana, der vor zwei Monaten zwei neue Töchter im Leben begrüßt hatte und somit bis auf zwei Kinder an sie, Shana herangekommen war, vermeldete, dass er gerade alle seine mit ihm fliegenden Mitarbeiter verloren hatte. Die seien einfach nach vorne gekippt und dann in die Tiefe gestürzt. Darauf meinte Sergio: "Da mach dir keinen Kopf, Compadre, die Gringobesen haben alle Notfalllandezauber. Wer drauf ohnmächtig wird bleibt solange fest drangebunden, bis der Besen sicher auf dem Boden ist", antwortete Sergio Ponchoverde, der es bisher nur auf vier eigene Kinder gebracht hatte.
"Bitte Ruhe! Muss klären, warum alle Sekundärgebundenen auf einmal besinnungslos wurden. Sieht nach einem Angriff aus, den unser zum zweiten mal aufwachsender Chefthaumaturg offenbar nicht vorausgesehen hat. Muss sofort in Buggles' Turmzimmer, nachsehen, ob mit dem noch alles in Ordnung ist. Alle anderen bleiben erst mal auf ihren Posten!" ordnete Woodgrove an. Sie alle hatten sich darauf eingelassen, dass der Kanadier wegen seiner Rangstufe im hohen Rat das Kommando hatte, wenn was außergewöhnliches passierte. Shana, die das Befehlen mehr mochte als das Gehorchen schluckte gerade so noch eine verdrossene Antwort hinunter. Denn auch sie hatte das Unbehagen in Woodgroves Stimme gehört. Ein Angriff, den der äußerlich dreizehn Jahre alte Wunderknabe Perdy und seine französische Mentorin nicht vorausgesehen hatten? Das klang wirklich nicht gut. Am Ende wollte mal wieder wer Buggles entführen oder gleich beim Eintreffen umbringen. Angeblich sollte das nicht möglich sein. Doch war es wirklich unmöglich?
Shana prüfte schnell, was mit ihren hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war. Die alle lagen oder hingen besinnungslos in ihren Einzel- und Großraumbüros herum. Die einen lagen links und rechts neben ihren Stühlen. Die anderen lagen mit den Oberkörpern auf den Schreibtischen oder lehnten mit herabhängenden Armen und nach vorne gebeugten Köpfen auf den Stühlen. Es sah so aus, als wenn sie mitten in einer Bewegung das Bewusstsein verloren hatten.
Shana benutzte ihr besonderes Armband, um nach dem Heiler vom Dienst zu rufen. Fernando Rioverde erwiderte darauf: "Bin mit Blake unterwegs ins Turmzimmer. Da kann die Ursache für alles sein, Shana."
"Das wollen wir nicht hoffen", erwiderte Blake Woodgrove darauf. Dann war es erst einmal wieder ruhig.
Shana kehrte in ihr Einzelbüro zurück, um dort auf Neuigkeiten zu warten, auch wenn diese alles andere als erfreulich sein mochten. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass alles, worauf sie hingearbeitet hatten, kurz vor dem Scheitern stand. Doch über die besondere Rundrufbezauberung wollte sie es nicht herumreichen.
Blake winkte Fernando Rioverde energisch hinter sich her, als sie sich auf halbem Weg zum Turmzimmer trafen. Vor dem Arbeitszimmer des Administrators flimmerte die Luft und machte, dass die Tür und die Wände in einem schwachen Grün fflirrten. "Schön, der Eisenwindwall, den Perdy auch als Sperrfeldzauber bezeichnet hat", knurrte er. Dann rief er: "Berechtigung scharlachroter Schild! Tür freigeben!" Eine Sekunde lang ertönte ein lauter werdendes Schwirren. Dann verschwand die flimmernde Barriere mit einem vernehmlichen Knack und nachknisternden grünen Funken. Gleichzeitig klickte es viermal in der Tür, bevor diese von selbst aufschwang.
Woodgrove musste sich anstrengen, nicht zusammenzufahren, als er das innere des Turmzimmers sah. Dort war niemand zu sehen, kein Besucher, kein Eindringling, aber auch kein Lionel Buggles. Das allein war schon besorgniserregend. Doch dass Buggles' pompöser schwarzer Sessel auf der Seite lag und dass sein Schreibtisch in mehrere angekohlte, schwach qualmende Trümmerstücke zerlegt war erhöhte Woodgroves Alarmstimmung. Ja, hier war etwas unerwartetes, höchst unerwünschtes passiert.
"Perdy, drei rote Glocken!" rief er seinem rechten Handgelenk zu, wo er wie alle wahren Mitstreiter ein an die Hautfarbe des Trägers angeglichenes Armband trug, das in bestimmten Fällen zusätzliche Möglichkeiten bot. Er rief dann noch: "Lionel Buggles scheinbar aus Arbeitszimmer verschwunden, Schreibtisch wie von glühenden Äxten zerschlagen und ... Sicherheitsschubladen nicht mehr vorhanden. Verdammt, unser Vertrag ist weg."
"Wenn er denn in den Schubladen war", sagte Fernando und fing sich von Blake Woodgrove einen äußerst ungehaltenen Blick ein. Beide hörten nun Perdys am Stimmbruch entlangkratzende Antwort:
"Was?! Das könnte mit einem üblen Vorfall bei uns passen. Kuckt nach, ob Buggles echt nicht mehr im Zimmer ist und dann mit allen Mitteln, was da passiert ist, Blake."
"Was denkst du?" knurrte Woodgrove. Doch er verstand. Sie mussten sicher sein.
Erst holte er eine der vor Jahren der kanadischen Außenstelle zugeschanzten Rückschaubrillen aus Frankreich hervor und setzte sie auf. Doch als er die letzten Minuten nachbetrachten wollte sah er nur einen tiefgrauen Nebel ohne Formen und Abmessungen. "Na klar, mal wieder Unortbarkeitszauber", knurrte er. Er nahm die mal wieder nutzlose Rückschaubrille ab und tauschte sie gegen eine Brille, die die unsichtbare Strahlung warmer Körper sichtbar machen konnte. Er sah keine unsichtbaren Wesen, aber dafür etwas, das wie geisterhafte Feuerwolken aussah, sowas wie durch Milchglas leuchtende Flammen. Um dem weiter auf den Grund zu gehen wechselte er mit "Volle Wärmesicht" in den Wärmebilderkennungsmodus. Jetzt sah er zwei den Raum ausfüllende Wolken aus flirrendem roten Dunst, in deren Zentren etwa zwei Meter durchmessende, bereits aufeinander zuwachsende Feuerbälle hingen. Auch sah er orange glühende Spuren, die auf die zu den auf dem Boden liegenden Trümmer des Schreibtisches führten und an den in dieser Ansicht hellroten, glatten Schnittkanten endeten. Diese Ansicht verriet ihm endgültig, was hier geschehen war.
"Perdy, mach fünf rote Glocken draus. Buggles wurde von wem entführt, der oder besser die die Feuersphärenreise der Phönixe nachmachen kann. Sie kam hier an, hat ihn unangefochten überwältigt, dann den Schreibtisch mit einem wie geschmiedetes Drachenfeuer wirkenden Zauber zerlegt und ist dann mit Buggles und den beiden Schreibtischtresoren ebenso unangefochten in einer zweiten Feuerreisesphäre verschwunden. Wenn das die war, die den Spinnenorden anführt hat die jetzt Buggles und den Beistandsvertrag. Perdy, die kann uns jetzt fertigmachen, wenn wir nicht rauskriegen, wo sie hin ist." Woodgrove fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach und merkte, dass er fast wie ein aufgeregter Hund zu hächeln begann. Er sah Fernando Rioverde. Der war kreidebleich geworden, was für einen Viertelindio schon was heißen sollte. Sicher sah er gerade nicht viel gesünder oder erfreuter aus.
"Leute, die konnte unmöglich solange im Zimmer sein, dass die den Schreibtisch zerlegen konnte. Buggles war auch vor dem Eindringlingsabwehrzauber sicher, solange der in seinem Sessel saß oder sich ... am Schreibtisch festhielt", erwiderte Perdy nun sehr bestürzt. Woodgrove gab ihm darauf hin sehr erbost klingend einen weiteren Kurzbericht:
"Sämtliche Sekundärgebundenen ohnmächtig. Arbeitssessel umgekippt wie nach kräftigem Stoß. Schreibtisch durch gebündeltes zauberfeuer in mehr als zehn Stücke zerhackt, obwohl eigentlich feuerfest."
"Was, alle Mitarbeiter ohnmächtig? Drachendreck, dann ist Buggles besinnungslos oder tot. Nett, dass du mir das jetzt erst mitteilst, Blake."
"Dito, du Wunderknabe", knurrte Blake Woodgrove. "Mann, wenn Buggles tot ist sind über dreitausend Sekundärgebannte entweder für länger ohnmächtig oder demnächst wieder wach und begreifen, was ihnen passiert ist. Hier im Haus sind zweitausend, die anderen in den Außenstellen. Außerdem hat dieses Biest den Vertrag, Perdy. Öhm, was ist denn bei euch abgelaufen?"
"Nett, dass du fragst, Blake. Véronique hat es übel erwischt. Sie ist schwer verletzt worden und liegt jetzt im Heiltank, weil Val meint, sie könnte von außen verflucht worden sein. Aber wir vertun Zeit. Mach dich bitte zu unseren vierundzwanzig Durchwinkern und gib denen das Kennwort "Blutiger Dreizack! Ist Fernando bei dir?"
"Ja, bin bei Blake", sagte Fernando, der über sein eigenes Armband in den direkten Rundsprechzauber einbezogen war. "Gut, du reist mit Sergio in die Regionalverwaltung Süd und hältst dich bereit, von da aus die Föderation zusammenzuhalten. Die Eheleute Carfax, falls sie mithören, bitte das gleiche in der Regionalverwaltung Nord", hörten sie Perdys Stimme.
"Perdy, dieses Feuerschwertmädel hat den Vertrag von uns. Wenn die den auch noch vernichtet ..." stieß Woodgrove aus.
"Dann hätte die das schon gemacht, wenn sie könnte. Aber der Vertrag wird beim ersten Versuch, die Tresorschublade zu knacken per Verschickungszauber in unsere chilenische Niederlassung übersendet. Das geht so schnell, dass die den nicht zu fassen kriegen kann. Also sieh bitte zu, dass wir nicht bald den zerbrochenen Dreizzack haben!"
"Ich wollte es nur anmerken, dass ich als Mitunterzeichner schon ein sehr berechtigtes Interesse daran habe, dass dieser Vertrag nicht in falsche Hände gerät oder gar mit magischen Mitteln zerstört wird. Also prüf gütigst nach, ob die für Buggles gemachte Ausgabe noch sicher ist oder wo sie gerade ist."
"Man, Blake, denkst du, mir geht das quer am Hinterteil vorbei. Ich habe auch Angst, dass allen was passiert, die unterschrieben haben. Aber deshalb jetzt rumzuzetern macht's nicht besser", stieß Perdys Stimme sich leicht überschlagend aus. Blake Woodgrove sagte dazu nichts mehr. Er erkannte, dass er gerade wertvolle Zeit vergeben hatte. Ja, er hatte Angst, dass ihm irgendwas passierte, wenn der Beistandsvertrag magisch zerstört wurde. Andererseits sollte doch nur einen die Strafe treffen, der den Vertrag mitunterschrieben hatte und nun meinte, ihn nicht mehr befolgen zu müssen.
"Val, Buggles ist wohl aus seinem Arbeitszimmer entführt worden und entweder ohnmächtig oder tot", verriet Perdy der australischstämmigen Mitstreiterin. Dann berichtete er in Stichworten, was er von Woodgrove erfahren hatte. Sie begriff, dass Buggles' möglicher Tod Véroniques bedenklichen Zustand herbeigeführt hatte. Jetzt begriff sie auch, warum sich Véronique so sicher gewesen war, dass Buggles alles tun musste, was sie von ihm verlangte, egal wie weit er von ihr weg war. Sie hatte mal davon gehört, dass skrupellose Hexen, wohl in dunklen Schwesternschaften, einen Zauber konnten, mit dem sie andere Leute dauerhaft unterwerfen konnten. Hierzu sollten sie ihr eigenes Monatsblut verwenden. Doch selbst in den Schattenbibliotheken der Heilerzunft gab es keine genaue Beschreibung dieses Zaubers. Auch stand er nicht im berühmt-berüchtigten Buch "Potentia Matrium", das sämtliche von erwachsenen Hexen ausführbare Unterwerfungs- oder Fernbeeinflussungszauber enthielt. Offenbar hatte Véronique diesen Zauber erlernt. Darüber würde sie mit dieser wohl noch einmal reden müssen, dachte Valerie. Dann fragte sie nach dem Verbleib des Exemplars des Beistandsvertrages.
"Wollte Woodgrove schon wissen. Ich prüfe das schon nach, Val. Ui, Vertrag in unortbarem Bereich. War zu erwarten, dass dieses Spinnenweib den nicht auf dem Trafalgar-Platz oder dem Times-Platz abgelegt hat. Moment, kriege auch keine Verbindung zum Tresor."
"Aber die chilenische Niederlassung steht noch?" fragte Valerie. Perdy schwieg für fünf Sekunden. "Immerhin das. Chile und Neuseeland sind noch da. Hätte uns auch noch gefehlt", hörte sie ihn zumindest beruhigt antworten. Aber das der Vertrag an einem unortbaren Ort war gefiel ihm wohl genausowenig wie ihr.
"Soll ich zu dir in den Überwachungsraum kommen?" fragte Valerie über den Rundrufzauber. "Nett gemeint, Val. Aber mir geht es körperlich gut. Ich bin nur tief bestürzt, weil Véroniques und mein schlimmster Albtraum gerade wahrgeworden ist. Sieh bitte zu, dass du sie am Leben hältst! Ich würde mir mein ganzes restliches Leben lang vorwürfe machen, wenn ich sie auf dem Gewissen hätte", seufzte Perdy. Dann stieß er aus: "Nein, sie macht es doch. Pass auf Véronique auf, Val! An alle Beteiligten Goldener Dreizack, Fall zerbrochener Dreizack! Ich wiederhole, Fall zerbrochener Dreizack!" hörte Valerie ihn noch.
Anthelia ahnte, dass sie den Vertrag womöglich nicht erlangen konnte, wenn sie nicht gewisse Vorkehrungen traf. So umgab sie den ganzen Kellerraum mit mehreren Zaubern der Erde, die das, was in ihnen war in ihnen zurückhielt. Das sperrte zwar auch sie ein, wenn Gefahr drohte. Doch wenn sie wissen wollte, was die ganze leidige Geschichte in Gang gebracht hatte, dann musste sie sicherstellen, dass kein Notteleportationszauber die Schubladen oder den in ihnen eingeschlossenen Vertrag an einen sicheren Ort brachte.
Nun ging sie daran, die Schublade mit der Feuerklinge Yanxothars behutsam aufzuschneiden. Dabei sprühten immer wieder Funken, zuckten Blitze, die jedoch von der Klinge verschlungen wurden. Dann bekam sie die erste Schublade auf. Tatsächlich lag darin die Pergamentrolle. Diese flimmerte. Ebenso flimmerten die Wände in einem schon ins Goldbraun übergehenden Wechsel aus Rot und Grün. "Nichts da, du bleibbst bei der guten Anthelia/Naaneavargia", grummelte die oberste der Spinnenschwestern und griff mit der immer noch behandschuhten Hand in die aufgeschnittene Schublade. Sie bekam die Rolle zu fassen. Mit lautem Piff-Paff zuckten zwei blaue Blitze aus der Rolle durch den Raum. Anthelia fürchtete schon, dass sich der Vertrag in einer letzten Auflehnung gegen seine Erbeutung zerstört hatte. Doch das wäre ja für dessen Erfinder genauso kontraproduktiv gewesen, dachte sie mit Anthelias Erfahrungsanteil.
Sie ließ die Flammen an Yanxothars Schwert erlöschen und steckte die mächtige Waffe aus Naaneavargias Heimat in die schwarze Drachenhautscheide zurück, die sie extra dafür angeschafft hatte. Dann entrollte sie die erbeuteten Pergamente auf dem Tisch und erkannte sofort, dass es ein neuerlicher Vertrag zwischen Vita Magica und dem Zaubereiministerium war. Sie erkannte auch, dass irgendwas versuchte, die geschriebenen Zeilen zu verwischen. Doch was immer es war wirkte nicht gegen den Enthüllungszauber, den Anthelia vorsorglich auf den Tisch gesprochen hatte, um darauf abgelegte Schriftstücke lesbar zu machen. So konnte die immer noch im scharlachroten Duotectus-Anzug steckende Hexenmeisterin alle Punkte des Vertrages lesen. Sie verzog ein ums andere mal das Gesicht, wenn sie las, welche Bedingungen Buggles zu erfüllen hatte, um "den Beistand" von Vita Magica zu erhalten. Darin stand auch eindeutig, wie alleinstehende Zauberer und Hexen dazu gedrängt werden sollten, wenn schon nicht zu heiraten, aber dann wenigstens eigene Kinder in die Welt zu setzen. Auch die Sache mit Doomcastles Gefangenen stand Tinte auf Pergament in diesem Vertrag. Ja, und gegen ihren Orden ging es auch. Wenn alle die Familiengesetze und den Strafvollzug betreffenden Dinge beschlossen und in Vollzug gesetzt worden waren, so sollte Buggles als einen der nächsten Punkte ein Verbot aller Hexen- und Zaubererorden durchsetzen und jede Hexe und jeden Zauberer einzeln befragen, ob er oder sie Mitglied in einem Orden war. Dabei sollte die Kammer der Wahrheit zum Einsatz kommen, ein Relikt aus der Makusa-Zeit, wo Befragte je mehr sie logen je größere Schmerzen erlitten, bis sie alle gestellten Fragen vollständig wahrheitsgemäß beantwortet hatten. Weil der in der Kammer der Wahrheit wirkende Peinigungszauber dem Cruciatus-Fluch sehr nahe kam hatte das Zaubereiministerium diese Form der hochnotpeinlichen Befragung genauso abgeschafft wie die körperliche Todesstrafe unter Beibehaltung der herausgelösten Seele.
"Hätt ich das gewusst, dass ich nur Sardonias Band des fruchtbaren Blutes hätte wirken müssen ... Aber nein, der kann zu leicht auf die Anwenderin zurückfallen", dachte Anthelia. Dabei dachte sie, dass sie die Urheberin von Buggles' Versklavung tatsächlich für eine relative Sekunde gesehen hatte. Diese meergrünen Augen, die erschrocken und zugleich erzürnt dreingeschaut hatten. War das eine ranghohe Hexe von Vita Magica gewesen?
Anthelia prüfte die unter dem Vertrag aufgeführten Unterschriften. Da las sie, dass auch eine Mater Vicesima Secunda unterschrieben hatte, welche offenbar wegen zweiundzwanzig eigener Kinder die Könign dieser Fortpflanzungserzwingersekte war. Hatte diese womöglich den Blutzauber auf Buggles gelegt? Anthelia konnte sich sofort ausmalen, wie genau die andere den auf eigene Macht ausgegangenen Zauberer unter ihren Bann genommen hatte. Ja, das war unauflöslich, es sei denn durch die Empfängnis eines Kindes und damit verbundene Unterbrechung des Fruchtbarkeitszyklus', ihren eigenen oder seinen tod. Doch wo sie ihn nun mit der dunklen Aura des Todes durchdrungen hatte mochte sein Tod auch ihren Tod herbeiführen. Na und? Falls nicht, würden die zwei sich irgendwann über den Weg laufen. Die andere hätte dann sicher eine ganz große Wut auf sie, aber Anthelia hatte auch eine verdammt große Wut auf diese Banditen, die eine Hexe nicht als eigenständiges, den Gedanken und Ideen verbundenes Wesen, sondern als reine Gebärvorrichtung ansahen. Ja, selbst diese Mater Vicesima Secunda schien sich diesem Diktat über Hexen zu beugen, als wenn es nichts anderes für Hexen zu tun gäbe. Sicher, nach der Fusion mit Naaneavargia liebte sie die leibliche Liebe und würde sich wohl bald zur Feier des Sieges über Vita Magica wieder einen starken Mann ins Bett holen. Doch deshalb andauernd gleich schwanger zu werden und immer wieder neue Kinder großzufüttern, das konnten die Hexen machen, die meinten, nur dann und nur deshalb die Wonnen des Lebenstanzes erleben zu dürfen. Doch das sollten sie dann auch freiwillig tun.
Anthelia las nun auch eine Passage, die jeden, der sich per Unterschrift zur Amtsführung und der Person Lionel Buggles bekannte, Teil des Vertrages wurde, also tun musste, was Buggles vertraglich zusicherte. Sie musste wider ihhren Unmut grinsen. So hatten die das also angestellt, dass ihnen alle Mitarbeiter folgten und hündisch ergeben waren. außerdem war damit klar, warum sowohl der natürlich geborene Lionel Buggles als auch der Vertrag an sich in diesem Schlösschen sein mussten, weil nur ständige Anwesenheit des Zauberankers den Zauber aufrechterhielt. Dann war da noch die zu erwartende Forderung, gewissen Damen und Herren einflussreiche Posten zu verschaffen, darunter einer Shana Moreland, einer Louanne und einem Lyndon Carfax und einem Blake Woodgrove. Alles in allem hätte sie, wo sie nur als Wiedergeburt von Sardonias Nichte unterwegs war, genau so einen Fessel- und Knebelvertrag aufgesetzt, um sich das Ministerium zu sichern. Ja, sie hatte ja bereits einmal einen Zaubereiminister kontrolliert. Doch sie hatte damals schon gewusst, dass zu viel auf einmal nur Unmut erregte. Vita Magica hatte gedacht, dass sie alles auf einmal haben konnten oder besser, so viel wie ging. Insofern hatten diese Fortpflanzungserzwinger ihr, die selbst hohe Herrschaftsziele hatte, eine ganz wichtige Lektion erteilt: Zu viel auf einmal bringt am Ende nichts. Doch tat es das?
Anthelia überlegte, ob sie diesen Vertrag dieser Möchtegernordenskriegerin Bullhorn oder einem anderen nicht davon beeinflussten unter die Nase halten sollte. Dann fiel ihr ein, dass trotz Buggles wahrscheinlichem Ende noch alle seine Leute unter diesem Vertrag standen und ihn erfüllen mussten. Also musste sie ihn vernichten. Das tat sie am besten außerhalb des Hauses. Dabei musste sie auch daran denken, was den Unterzeichnern blühen mochte. Denn im Vertrag stand ganz deutlich:
Sollte dieses verbindliche Dokument vorsätzlich und mit aller Entschlossenheit beschädigt oder gar zerstört werden, so soll alle, die ihn unterschrieben und jener Person, ob Hexe oder Zauberer, welche ihn mutwillig zerstörte, eine gnadenlose und unumkehrbare Strafe treffen, die der Art der Zerstörung entsprechen soll.
"Das wollen wir doch mal sehen", dachte Anthelia.
Die Dokumente wurden gleichmäßig auf dem Boden verteilt, und zwar außerhalb des Wirkungsbereiches vom Lied der kraftvollen Mutter Erde. Dann brachte Anthelia auf jede Seite einen grünen Stein auf, den sie bezaubert hatte. Dann zog sie sich in das Haus zurück und verwandelte sich in die schwarze Spinne.
Nun sah sie, wie der Vertrag in grünen und goldenen Lichtentladungen zerfiel und darüber eine turmhohe graue Staubspirale kreiselte. Gleichzeitig umtobten das Haus blaue, grüne und violette Blitze, die andauernd versuchten, über die Grundstücksgrenze zu dringen und dabei im Boden verschwanden. Dieses Blitzgewitter dauerte mehrere Sekunden an. Dann war es vorbei. Die schwarze Spinne trippelte auf ihren acht haarigen Beinen hinaus und bewegte die nicht minder behaarten Taster, um die Luft auf für sie gefährliche Magie oder Stoffe zu prüfen. Sie nahm jedoch nur noch das prickeln plötzlicher Zersetzungszauber wahr, die sich jedoch schon zu weit ausgedünnt und abgeschwächt hatten, dass sie niemandem mehr gefährlich werden konnten. Doch sie hatte viele der Blitze von ihrem Grundstück fortjagen sehen können. Wenn stimmte, was im Vertrag stand, so würden die anderen Unterzeichner jetzt eine grausame, unumkehrbare Bestrafung erhalten. Das interessierte sie schon.
Als sie endgültig sicher war, dass ihr heute keine Vernichtung mehr bevorstand eilte die Spinne zurück in das Haus, wo sie wieder zu jener überragendschönen Hexe wurde. "Schon interessant, dass der Duotectus-Anzug die Verwandlung mitgemacht hat", dachte Anthelia. Dann klappte sie endlich den durchsichtigen, mehr als diamanthart wirkenden Kugelhelm auf, der zu einer silbernen Folienkapuze wurde, die im scharlachroten Anzug verschwand. Nun wollte sie sich erkundigen, was ihr Eingreifen bewirkt oder auch angerichtet hatte.
Blake Woodgrove stand Chrysostomos Ironside gegenüber und erklärte ihm gerade, dass Buggles wohl tot sei und Bowland und Piedraroja entweder unauffindbar, handlungsunfähig oder tot waren. Ironside nickte ihm zu. Er war darauf abgestimmt, dass er Woodgrove und andere aus der Gesellschaft anzuerkennen hatte. So wollte der oberste Richter gerade die entsprechenden Dokumente hervorholen, um Woodgrove als vorübergehenden ersten Administrator zu bestätigen, als Perdys Warnung in Woodgroves Ohren drang. Doch Blake Woodgrove, alias Pater Duodecimus Occidentalis, konnte es nicht mehr aufhalten, was nun geschah.
Er spürte ein Kribbeln im Boden. Dann war ihm, als jage etwas eiskaltes direkt durch seine Beine, den Unterleib bis unter seine Haarspitzen hoch. Augenblicklich erstarrte er. Er konnte nichts mehr tun, nicht mal mehr atmen. Er fühlte nichts mehr. Dann hörte er noch seinen Ratsnamen und seinen vollständigen Namen, sah sein eigenes Gesicht in einem rot-grünen Flimmerlicht vor sich wie in einem Spiegel. Dann erlosch mit einem grellen Blitz alles, was ihn ausmachte.
Für den obersten Richter der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation bot sich ein grauenvolles Bild. Gerade eben noch hatte er dem Stellvertreter Catlocks zusichern wollen, ihn als neuen ersten Administrator zu vereidigen, als dieser wie von einem Erstarrungszauber getroffen dastand, sich innerhalb einer Sekunde felsgrau verfärbte und dann für acht weitere Sekunden wie seine eigene, aus Naturfels herausgeschlagene Statue dastand und dann zum Höhepunkt des erschreckenden Vorganges mit einem lauten Prasseln wie ein Vampir bei voller Mittagssonne zu einem einzigen großen Staubhaufen zerfiel.
Chrysostomos Ironside konnte den Blick nicht von dem lösen, was von Woodgrove übriggeblieben war. Was für ein mächtiger Zauber hatte den mal eben vernichtet? Ja, konnte derselbe Zauber auch ihm zusetzen, ihn und seine Leute einfach so auslöschen?
Erst als sein Kollege Picket an die Tür klopfte und wissen wollte, was los war, konnte sich Ironside wieder rühren. Er merkte, dass ihm die ganze Zeit der Mund offengestanden hatte und sein Rachen entsprechend ausgetrocknet war. So antwortete er mit krächzender Stimme, dass Woodgrove gerade vor seinen Augen zu Staub zerfallen war.
"Die denken, wir hätten das gemacht", meinte Picket und meinte den hohen Rat des Lebens, dem sie wie sie dachten seit vielen Jahren verbunden waren.
Perdy hatte den Beistandsvertrag auf einem schwarzen Granittisch abgelegt und zur Sicherheit unter einer durchsichtigen, rötlichen Kraftglocke abgeschirmt. Auch wenn die Unterwasserniederlassung unortbar war wollte er nicht riskieren, dass die Gegenseite über die erbeutete Ausgabe des Vertrages herausbekam, wo die zweite Ausgabe davon lag.
Als dann die auf dem untersten Pergament stehenden Namen aller nordamerikanischen Mitglieder des hohen Rates und der von Mater Vicesima Secunda grün-rot flirrten und zu sich über das gesamte Dokument ausbreitenden Lichtflecken wurden wusste er, dass die Andere es geschafft hatte, die zweite Ausgabe des Vertrages zu vernichten, nicht mit ihrem Feuerschwert, sondern mit einem wohl der Erde zugehörigen Zauber. Als die bei ihm aufbewahrte Ausgabe des Vertrages in einer rot-grünen Funkenwolke zu grauem Staub zerfiel war sich Perdy sicher, dass die Unterzeichner selbst was abbekamen. Er hatte sie noch gewarnt. Doch was zur dreigeschwänzten Gorgone hätten die jetzt noch dagegen tun können?
Er rief nach Valerie und fragte sehr bestürzt, was mit Véronique sei. Valerie erwiderte, dass Véronique weiterhin ruhig atmend und tief schlafend in dem Intensivheiltank lag. Perdy atmete auf. Also hatte die mehrfache Abschirmung gegen von außen wirkende Zauber sie beschützt. Doch das war nur ein schwacher trost. Denn als Eartha über den Rundrufzauber nach den Mitstreitern in Nordamerika rief kam heraus, dass im Schloss selbst nur Shana Moreland und Fernando Rioverde überlebt hatten. Dann bekam er über die dem Distantigeminuskasten nachempfundene Nachrichtenschreibvorrichtung aus dem Haus der Richter mit, was Ironside beobachtet hatte. Damit war ziemlich sicher, dass alle, die den Beistandsvertrag unterschrieben hatten, auf dieselbe gruselige Weise ihr Leben verloren hatten.
Als Valerie noch vermeldete, dass die Spuren von Véroniques Blut und ausgeschiedener Rückstände zu nichts als trockenem Staub zerronnen waren dachte er daran, dass er seine Mentorin und zeitweilige Geliebte, seine älteste Mitkämpferin, fast an die andere verloren hatte, die genauso zielgerichtet und skrupellos vorgehen konnte wie Vita Magica oder Ladonna Montefiori.
"Los, Shana und Fernando, in den Grünen Kellerraum! Wenn ihr da seid ruft laut "Zerbrochener Dreizack! Wir müssen uns jetzt ganz schnell zurückziehen, egal ob die Sekundärgebannten weiter ohnmächtig sind oder aufwachen", sagte Perdy.
"Meine Mitarbeiter regen sich. Die wachen wieder auf, Perdy. Kann sein, dass die sich nicht mehr an alles erinnern. Aber darauf hoffen sollte ich nicht", hörten Eartha und Perdy Shanas Stimme. Fernando Rioverde ergänzte: "Ich bekomme das über das von Valerie und dir gemachte Modell des Tals mit, dass alle Besinnungslosen langsam wieder zu sich kommen. Ich setz mich wie befohlen ab, Compañeros!"
"An alle Beteiligten der Operation goldener Dreizack. glutroter zerbrochener Dreizack. Ich wiederhole, glutroter zerbrochener Dreizack. Alle, die das hier hören können setzen sich sofort mit anvertrauten Portschlüsseln in die zugeteilten Verstecke ab und bleiben dort bis weitere Anweisungen ergehen!" befahl Perdy über den von ihm eingerichteten Rundrufzauber, für den seine Helfer hunderte von Fokussteinen im gesamten nordamerikanischen Raum verteilt hatten. An und für sich war dieser Zauber sehr nützlich für jedes magische Ministerium. Doch Perdy wollte diesen Zauber in den Reihen der Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens behalten.
Ray Catlock dröhnte der Schädel. Seine Glider schmerzten. Sein Herz pochte heftig in seiner Brust. Wo war er hier? Wie war er hergekommen? Erst dachte er, er habe in seinem Bett gelegen und sei gerade aus einem sehr bedrückenden Albtraum erwacht. Doch er lag auf dem Boden im Gras. Neben sich sah er gerade noch eine Hauselfe, die ihn prüfend ansah, bevor sie disapparierte. Wo war er denn hier.
Er kämpfte sich auf die Beine. Seine Füße kribbelten wild, als habe er hunderte von Ameisen unter den Fußsohlen, die alle versuchten, ihn zu beißen. Dann sah er durch die überanstrengten Augen, dass er in einem langgezogenen Tal stand, dass von allen Seiten von hohen Bergen umgeben war. Irgendwie dachte er an die Träume, die er eben noch gehabt zu haben glaubte. Ja, da hatte es dieses Tal gegeben. Good Times Valley. Er sah andere Leute, erwachsene und Kinder, die aufgeregt um ihn herumstanden und wissen wollten, wie es ihm ging. Als er sich selbst darüber klar war erwähnten die, die offenbar völlig wach waren, dass sie außerhalb des Residentzschlosses der Nordamerikanischen Zaubererföderation waren und er bis eben noch ohnmächtig gewesen war. Auf seine Frage, was er hier zu tun hatte, erfuhr er, was in den letzten Tagen hier geschehen war. Währenddessen mussten sie zusehen, wie über dem E-förmigen Schloss eine grüne Kuppel entstand, und das Schloss dann innerhalb von einer halben Minute immer heller glühte, bis es in einer Feuerelementarentladung verging und damit alles, was er dort an Unterlagen zurückgelassen haben mochte, die bewiesen, dass er nicht geträumt hatte, sondern das alles unter einem verbotenen Zauber erlebt hatte.
"Buggles? Wo ist Buggles?" fragte er. Doch darauf konnte ihm keiner Antworten. Dann sagte Catlock: "Wenn das alles echt passiert ist haben die von Vita Magica uns überrumpelt und ferngesteuert, diese Sabberhexenbrut. Aber die Richter?"
"Öhm, wenn Sie Ironside meinen, Mr. Catlock, der und die anderen haben Buggles und Woodgrove alles erlaubt, was er denen vorgelegt hat", sagte die Frau eines Mitarbeiters aus der Strafverfolgungsabteilung.
"Was?! Na wartet." Er fordete sämtliche Besen die in dieser bunten Zeltstadt greifbar waren, trommelte hundert seiner Leute zusammen und verteilte die Aufgaben. Dann flogen sie ab oder disapparierten, um den obersten Richtern ihre unangemeldete Aufwartung zu machen.
Shana beeilte sich, durch die nur für höhere Angestellten eingerichteten Geheimgänge zu kommen. Sie hatte sämtliche ihre Arbeit betreffenden Unterlagen mit einem Aufrufezauber eingesammelt und in ihre Rauminhaltsvergrößerte Aktentasche gesteckt. Sie wollte schließlich nichts zurücklassen, was auf ihre Entscheidungen und Anordnungen hinwies. Wenn die alle, die jetzt langsam aus der Besinnungslosigkeit erwachten, sich nicht erinnerten, dann sollten sie auch nichts finden, was ihnen die verlorenen Erinnerungen zurückbrachte. Falls sie sich doch erinnerten wollten sie denen die nun wieder ihre Feinde sein würden nichts hinterlassen, mit dem sie weiterarbeiten konnten. Zwar tat es Shana in der Seele weh, die Errungenschaften einfach aufzugeben. Doch ihre Freiheit und ihr Leben waren wichtiger als der Kampf um eine zerbrechende Vorherrschaft. Buggles Überwinderin hatte gezielt oder unbewusst einen heftigen Schlag gelandet, von dem sich Vita Magica erst einmal erholen musste. Da brachte es nichts, sich der sicher bald wütend nach ihnen jagenden Meute als lohnendes Ziel anzubieten.
Vor einer gewölbten grünen Tür traf sie Fernando, der mit hektischen Bewegungen hinter sich deutete und dann auf die Tür zeigte. "Sind wir echt die einzigen?" fragte er auf Englisch. Shana bejahte es. "Bueno, dann müssen wir jetzt weg von hier. Ich konnte gerade noch drei Leuten von Catlock aus dem Weg gehen, die hier herumirren. Die wissen wohl noch nicht, wo sie sind und was sie hier zu tun hatten."
"Dann los, rein da. "Berechtigung scharlachroter Schild. Tür freigeben!" rief Shana. Da rasselte es in der Tür, und sie glitt lautlos in die Wand zurück. Beide beeilten sich, in den für zwölf Leute ausreichenden, zylinderförmigen Raum mit der rundum laufenden grünen Wand, der grünen Decke und ebenso grünem Boden zu gelangen. Shana fragte per Rundrufzauber, ob noch wer von der Operation "Goldener Dreizack" im Schloss oder im Tal sei. Keine Antwort. also ließ sie die Tür wieder zugleiten. "auf Drei!" sagte sie zu Fernando und zählte an. Bei "Drei" riefen beide "Zerbrochener Dreizack!"
die gesamte Innenfläche des Raumes glühte grün auf. Dann meinten beide in einem unendlichen grünen Raum schwerelos zu treiben. Doch nach nur einer Sekunde zog die irdische Schwerkraft an ihnen, und sie fanden sich in einem scharlachroten Raum wieder, der genauso zylindrisch beschaffen war wie der grüne Raum. "Perdy und seine Vorlieben für fiktive Maschinen der Zukunft", grummelte Shana. Doch dann erkannte sie, dass ihnen diese Leidenschaft wohl gerade das Leben, aber mindestens die Bewegungsfreiheit gerettet hatte.
Die Tür ging von selbst auf, als Shana die Wand berührte. So betraten sie und Fernando die erleuchteten Gänge der Unterwasserniederlassung Aquasphäre 1.
Das bisher tönende Tröten verstummte. Dann klang die am Stimmbruch entlangkratzende Stimme eines Jungen, wohl eine Aufzeichnung: "An alle Haus- und Gartenelfen. Bringt alle Hexen und Zauberer weit genug ins Tal raus! Alle Hauselfen bringen alle Hexen und Zauberer aus dem Schloss ins Tal raus!"
Dieser Befehl war den Elfen bei der Einrichtung als "Rettungshilfe" eingegeben worden. Deshalb befolgten sie ihn schnell und zuverlässig. Wo niemand von sich aus die rettenden Ausgänge fand traf ein hilfreicher Ellf ein, ergriff zwei oder drei und apparierte mit ihnen am anderen Ende des Tales. Auch wurden viele noch ohnmächtige Hexen und Zauberer aus dem Schloss geschafft. Innerhalb von nur fünf Minuten schafften es die nützlichen Zauberwesen, jeden magischen Menschen hinauszubringen. Sie bekamen alle nicht mit, wie in der Zeit alle Schränke und Regale aus dem Archiv in grünen Lichtspiralen verschwanden. Perdy hatte es bereits bei der Einrichtung einkalkuliert, dass das gesamte Zaubererweltarchiv der drei magischen Verwaltungsbereiche vor feindlichem Zugriff in Sicherheit geschafft werden musste. Er war damals jedoch von europäischen oder südamerikanischen Zaubereiministerien ausgegangen, die wohl meinen mochten, Nordamerika von Leuten wie Buggles "befreien" zu müssen. So gelangte das aus Kanada, den Staaten und Mexiko zusammengetragene Zaubererweltarchiv mit allen Schriftstücken, Ausrüstungsgütern und Mustern neuer Gegenstände vollständig in die Unterwasserniederlassung.
Als weder ein Elf noch ein magischer Mensch im Schloss war schlugen alle Türen und Tore zu und verriegelten sich. Dann ertönte ein langsam von unten nach oben aufsteigender Sirrton. Zugleich stülpte sich von der höchsten Turmspitze eine sattgrün flirrende Zauberkraftkuppel über das Schloss und seinen Garten. Aus den im Garten zwischen lebenden Zaubergewächsen versteckten Attrappen von Bäumen und Sträuchern gingen unsichtbare Strahlen auf das Schloss über. Dieses begann immer mehr zu glühen, erst dunkelrot, dann gelb. Als der aufsteigende Ton seinen höchsten für Menschenohren noch wahrnehmbaren Punkt erreichte erstrahlte das Schloss weißblau. Dann zerbarst es in einer Serie weißblauer Feuerbälle. Alles vom tiefsten Keller bis zur höchsten Turmspitze verging in diesem weißblauen Inferno. Jene, die außerhalb davon waren hörten nichts. Doch sie spürten die Beben im Boden. Dann stürzte die weißblaue Glutwolke in sich zusammen. orangerote Dunstwolken wirbelten umher, prallten gegen die immer noch bestehende grüne Lichtkuppel und zerstoben daran. Dann, als auch der letzte Gluthauch erlosch, zerfiel die grüne Glocke mit lautem Prasseln. Dort wo bis gerade eben noch das Schloss Good Times Castle gestanden hatte, klaffte nun ein tiefer Krater. Niemand, der außerhalb der Vernichtungszone war, hatte Schaden davongetragen. Selbst das helle Licht war durch die aufgebaute Zauberkraftglocke abgemindert worden. Kein die Ohren beeinträchtigender Donnerschlag war zu hören gewesen. Alle herausgeschafften sahen einander an. Die meisten wussten nicht, wie ihnen geschehen war. Denn für sie waren die letzten Monate wie ein merkwürdiger Traum vergangen. So mussten sie sich von den wachgebliebenen Angehörigen berichten lassen, was passiert war.
Atalanta Bullhorn erfuhr eine Stunde nach der Vernichtung von Good Times Castle, was dort passiert war. Wenngleich ihr keiner alles berichten konnte reichte das, was sie erfuhr schon völlig aus. Ihr wurde klar, dass jemand Buggles trotz all der dort geltenden Sicherheitszauber überwältigt und entweder verschleppt oder getötet haben musste. Darauf waren dessen Getreue aus einem auferlegten Bann erwacht, keineswegs dem Imperius-Fluch, sondern einer wohl mit einem Fokusartefakt auferlegten magischen Bindung. Deshalb waren also alle Getreuen von Buggles vom PN-Zauber um Viento del Sol und Misty Mountain abgewiesen worden. Deshalb hatten sie so durchschlagende Gesetzesänderungen durchgesetzt, die zehn Meilen gegen den Wind nach Vita Magica stanken. Doch irgendwie hatte sich die Bande wohl vertan, dass sie Buggles zum Fokus ihrer Unterwerfungsbezauberung gemacht hatten. Doch wie genau sie das gemacht hatten und warum es jetzt nicht mehr wirkte musste sie noch herausfinden. Dafür war sie trotz ihres inoffiziellen Amtes immer noch Inobskuratorin. Ihr war jedoch klar, dass auch die 24 Richter mit VM gemeinsame Sache gemacht haben mussten oder besser von VM für deren Zwecke instrumentalisiert worden waren. Sie wollte die Gunst der Stunde nutzen, diese Marionetten persönlich von der Bühne zu holen. Doch als sie mit hundert Getreuen vor dem neuen Gerichtshaus ankam traf sie bereits auf Ray Catlock. "Ach, die werte Majorin Bullhorn. Wollten sie den Richtern beistehen oder sie absetzen? Für beides kommen sie eine Viertelstunde zu spät", schnaubte Catlock.
Sie erfuhr, dass die 24 Richter bei Eintreffen der Einsatzgruppe um Catlock mit grün leuchtenden Portschlüsseln das weite gesucht hatten. Das wiederum deutete darauf hin, dass die Richter seit einer unbestimmten Zeit mit VM gemeinsame Sache gemacht haben mussten. Wie tief war die Unterwanderung in die Verwaltungsbereiche der nordamerikanischen Zaubererwelt vorgedrungen? Wann hätten sie und die Inobskuratoren das eigentlich mitbekommen müssen, dass Buggles sich mit diesen Leuten eingelassen hatte? Sicher , sie hatte immer dagegen aufbegehrt, was er erzählte, was er tat oder hatte tun lassen. Doch sie musste sich vorwerfen lassen, es nicht mitbekommen zu haben, ab wann er bereits die Marionette dieser Verbrecherbande gewesen war. außerdem galt es nun, die aus ihren Löchern gekrabbelten Bandenmitglieder zu suchen, sofern diese nicht längst abgetaucht waren. So lud sie Catlock ein, sie nach Viento del Sol zu begleiten. Dadurch bekam sie auch mit, dass er offenbar für die dortigen Einwohner kein Feind mehr war.
Sie hatte das schon einmal bewusst miterlebt. Es war nichts wirklich neues, und sie konnte sich sogar damit arrangieren, mindestens ein Jahr lang von jemandem herumgetragen und mit Flüssignahrung, bestenfalls Ammenmilch ernährt werden zu müssen.
Als Valerie ihr gesagt hatte, dass sie in diesem Leben kein weiteres Kind mehr empfangen und gebären konnte war für sie fast eine Welt zusammengebrochen. All ihr Leben und Streben diente dem Zweck, möglicchst viele magische Menschen durch Zeugung und Geburt auf die Welt zu bringen. Zuerst war tiefer Hass in ihr erwacht, Hass auf diese Hexe mit dem Feuerschwert, die ihr das angetan und bei der Gelegenheit auch zwölf treue Weggefährten umgebracht hatte. Dann war ihr jedoch klargeworden, dass Hass ihr jetzt nichts mehr bringen würde. Die Weggefährten hatten ja selbst entschieden, diesen Vertrag mit Buggles zu schließen und sich allem auszuliefern, was daranhing. Auch hätte sie ja nicht diesen Zauber mit ihm ausführen müssen, nur um sicherzustellen, dass er ihr bedingungslos unterworfen war und sie ihn auch aus sicherer Entfernung anleiten und überwachen konnte. Von wegen sichere Entfernung! So hatte sie sich ja selbst was vorgemacht.
Dann hatte sie überlegt, ob sie mit den beiden Kindern, die sie von George Bluecastle bekommen hatte, genug eigene Kinder in diese nicht immer friedliche Welt gesetzt hatte. Sie konnte sie beide großziehen und ihnen gute Ausgangsmöglichkeiten schaffen, um ihr weitere loyale Enkel zu bescheren. Ja, sie konnte aus dem Hintergrund heraus alles weiterlenken und bei sich bietenden Gelegenheiten ihre Kenntnisse und Fertigkeiten anwenden. Doch irgendwie würde sie sich nicht mehr als ganze Frau empfinden, die neues Leben in sich selbst spüren und nähren und auch wenn es weh tat dieses neue Leben zur Welt bringen konnte. Nein, sie wollte das wieder erleben, wenn das möglich war. Sie erinnerte sich, dass die körperliche Wiederverjüngung auch die allermeisten magischen Verletzungen und Verstümmelungen behob. Bei ständig voranschreitenden Flüchen musste es schon der Iterapartio-Zauber sein. Aber für das, was ihr durch ihr gewissermaßen größenwahnsinniges Tun zugestoßen war reichte die reine Körperverjüngung. Deshalb hatte sie ihre jüngsten Kinder zu ihrer Tochter Sarah in die Nähe von Bayonne gebracht, wo diese ihre dem Stillalter entwachsenen Anne-Catherine und Sophie-Berenice in Obhut gab. Die beiden Mädchen bekamen von ihrer Mutter die aufgeprägte Erinnerung, dass diese bei ihrer Geburt gestorben war und sie immer schon bei ihrer älteren Schwester Sarah gewohnt hatten. Doch sie fügte in ihren Gedächtniszauber ein, dass die beiden, wenn sie zwanzig Jahre alt wurden, automatisch wussten, was genau mit ihrer Mutter passiert war. Als Auslöser für diese Erinnerung sollte das Ausblasen von zwanzig Geburtstagskerzen dienen.
Zwar hatte Sarah ihre Mutter gefragt, ob sie ernsthaft eine Wiederverjüngung hinnehmen wollte, nur um weitere Kinder zu bekommen. Da hätte ihre Mutter sie fast selbst mit dem Infanticorpore-Fluch belegt. Doch so unberechtigt war die Frage ja nicht. So hatte sie ihr geantwortet, dass sie derjenigen, die ihr die Fruchtbarkeit geraubt hatte, keine Genugtuung bieten wolle, sie damit entwertet zu haben. Natürlich musste sie bei einer Wiederverjüngung vierzehn Jahre warten, bis sie wieder in den Rat des Lebens aufgenommen werden konnte. Wie anstrengend das für einen Wiederverjüngten sein würde sah sie ja an Perdy. Dennoch wollte sie auch wieder eigene Kinder bekommen, ihre alte Blutlinie mit anderen magischen Blutlinien oder vielversprechenden Halbmuggelstämmigen vereinen.
Als das alles erledigt war hatte sie die Heilerin Valerie Dorkin darum gebeten, sie dreißig bis vierzig Jahre vor dem eigentlich geplanten Termin wiederzuverjüngen, ohne ihr das Gedächtnis zu nehmen. Als Valerie sich anbot, sie gemäß der Tradition neu großzuziehen hatte sie jedoch abgelehnt. "Ich weiß, deine Kollegin Aurora Dawn hat ein angeblich aus dem Nichts zugefallenes Mädchen als ihre Still- und Ziehtochter zuerkannt bekommen. Aber wenn du das jetzt auch machst werden Laura Morehead und deine anderen Kolleginnen und Kollegen nachhaken, woher du dieses kleine, hoffentlich süße Mädchen hast. Nein, du bist uns da, wo du offiziell arbeitest, zu wichtig um derartig aufzufallen. Außerdem gilt es ja, die freigewordenen Plätze im hohen Rat des Lebens zu besetzen. Eine weitere australische Mitstreiterin dürfte die Vielfalt des Rates verstärken."
Es war nun offiziell, dass Eartha Dime von Perdy mindestens ein Kind empfangen hatte. Er war also wieder zeugungsfähig, was den Wiederaufwachsenden sehr freute, auch wenn er genau wie seine wiederverjüngte Mentorin mit den Unterlassungsfehlern und deren Folgen haderte. Eartha hatte sich Shana Moreland anvertraut, die wie alle anderen überlebenden Mitstreiterinnen und Mitstreiter erst einmal aus Nordamerika verschwinden mussten, weil eben zu viele Leute mitbekommen hatten, wessen Interessen sie vertraten und auch durchzusetzen wussten. . Wie heftig Eartha unter den Auswirkungen von Buggles' Beseitigung litt zeigte diese nicht. Die freiwillig wiederverjüngte konnte nur vermuten, dass Eartha sich auch in der Macht gesonnt hatte, die sie auf Buggles ausgeübt hatte.
Nachdem sie ihren ersten Tag im dritten Leben überstanden hatte und froh war, dass die magische Säuglingspflege seit ihrer ersten Wiederverjüngung beachtliche Fortschritte gemacht hatte, wurde sie von Shana in einem Tragetuch in den Versammlungsraum getragen. Da sie gerade nicht weiter als 25 Zentimeter sehen und auch keine Farben erkennen konnte nahm sie die anderen Anwesenden nur als riesenhafte, graue Schemen war. Unheimlich war das schon. Doch sie kannte das schon vom letzten mal.
Der älteste des Rates durfte die Sitzung eröffnen und bat zunächst um eine Schweigeminute für die verstorbenen Mitstreiter. Er nannte ihre Namen und eröffnete die Minute. Als diese vorbei war berichteten alle als Zeugen geladenen Überlebenden der anfangs so gut verlaufenen Operation "Goldener Dreizack", darunter die vierundzwanzig ehemaligen obersten Richter Nordamerikas. Denn diese hatten vor Catlock und seinen Mitstreitern fliehen müssen, weil ihnen völlig zurecht unterstellt wurde, mit den sogenannten Unterdrückern kolaboriert zu haben. Es war jedoch kein Chaos ausgebrochen, da die aus dem Sekundärbann erwachten sofort mit Atalanta Bullhorn und ihren Getreuen zusammengekommen waren. Da das alte Ministeriumsgebäude noch stand und ja alle Hauselfen überlebt hatten konnte es zumindest in den USA weitergehen. Auch Mexiko und Kanada würden von Piedraroja und Bowland weiterverwaltet. Allerdings, so hatte es die Wiederverjüngte von ihrer neuen Ziehmutter erfahren, wollten sie wohl eine Umfrage starten, ob die drei Verwaltungsbereiche nicht erneut und diesmal mit großem Rückhalt der magischen Bevölkerung zu einer Konföderation oder einer Föderation vereint werden sollten. Bis dahin würde Bullhorn als bereits von vielen akzeptierte Interimsministerin die USA weiterführen und Bowland und Piedraroja zusehen, ob sie ihre Länder weiterführten oder ihre Ämter an unbescholtene Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter abgaben. Natürlich war auch das Misstrauen groß, weil immer noch Mitstreiter der Gesellschaft in den Reihen der Ministeriumsbeamten vermutet wurden. Doch Bullhorn hatte dem ganz schnell Einhalt geboten. Denn sie hatte kurzentschlossen verfügt, dass ihr Ministerium bis zur endgültigen Entscheidung von Viento del Sol aus geführt wurde. Wer dort nicht hineinkam war ein direkter oder möglicher Feind der dort lebenden Leute. Ein besseres Prüfungskriterium für integre Hexen und Zauberer gab es nicht. Ihr, die gerade wieder einen Tag in Wiege und Windeln zugebracht hatte war es gleichgültig, ob der goldene Dreizack in einem Chaos oder einer neuen Ordnung endete. Sie haderte eher mit ihren eigenen Fehlern, ja mit ihrer eindeutig strafbaren Überheblichkeit.
Als ihr ein Dexter-Cogison um den Hals gebunden wurde und sie nach wenigen Sekunden ihre Gedanken in englischer Sprache vertonen konnte teilte sie ihren Mitstreitern mit, dass sie Buggles mit einem Blutzauber an sich gebunden hatte, den nur fruchtbare Hexen ausführen konnten. Sie habe dabei wohl mehr eingesetzt als es die Erfinderin dieses Zaubers, deren Namen sie nicht nennen würde, sicher ausgeführt hatte. So hatte sie gedacht, dass Buggles ihr bis zur Empfängnis ihres nächsten Kindes bedingungslos unterworfen blieb. Bis dahin, so ihre eigene Vorstellung, hätten sie ihn durch einen Mitstreiter oder eine Mitstreiterin aus den eigenen Reihen ersetzt, möglicherweise Pater Duodecimus Occidentalis. Als sie diesen Namen cogisoniert hatte fühlte sie das eisige Schweigen der anderen auf sich lasten, während sie sicher in Shanas großen, weichen Armen lag und sich anstrengen musste, nicht zu sehr an ihre nährenden Brüste denken zu müssen, damit es nicht aus dem Cogison heraussprudelte. als Perdy das Schweigen brach und darum bat, dass die Wiederverjüngte weiterberichtete teilte sie den Anwesenden mit, dass die nicht mehr lebenden Ratsmitglieder auf ihre Zusage, Buggles sei unverbrüchlich gehorsam, zugestimmt hatten, dass er alle seine Mitarbeiter an sich und damit an die Gesellschaft binden sollte. Damit hätten sie eigentlich schon den entscheidenden Fehler begangen, so die Wiederverjüngte. Denn so war Buggles die entscheidende Schwachstelle der ganzen Unternehmung geworden. Um das auszugleichen hatten Perdy und andere Thaumaturgen das Tal und das Schloss mit Abwehr- und Fallenzaubern gespickt, die anfliegende, apparierende oder durch den Erdboden reisende Gegner aufhalten und falls es keine Menschen waren augenblicklich vernichten sollten. Warum die Spinnenhexe nicht als Unbefugte erfasst und bekämpft worden war wollte Perdy gleich noch ausführen. Die Wiederverjüngte beendete ihren zwischen Beichte und Erkenntnis verlaufenden Bericht damit, dass sie für ihre Überheblichkeit beinahe mit dem Leben bezahlt hätte und nun, wo sie wusste, dass sie als erwachsene Hexe keine weiteren Kinder mehr hätte bekommen können, die Rückkehr in Wiege und Windeln unter Beibehaltung ihrer bisherigen Erfahrungen und Erinnerungen als "gerechte Strafe" akzeptiert habe. Denn sie wisse, dass sie bis zum wiedererreichten vierzehnten Lebensjahr kein Mitspracherecht im Rat haben würde, bis dahin von ihrer neuen Ziehmutter Shana Moreland abhängig sein und ja auch ihren das eigene Aufwachsen gewährleistenden Anweisungen unterworfen sein würde und hoffe, durch das Dexter-Cogison zumindest eine pflegeleichtere Pflegetochter zu sein, als damals, wo sie zum ersten Mal die Wiederverjüngung auf sich genommen hatte und es noch keine Wochenwindeln und noch kein Cogison gegeben hatte.
"Auch wenn ich hier in Shanas Armen liege und von ihrer bereits gekosteten Milch abhängig bin hoffe ich doch, dass ihr mich nicht für zu befangen haltet, wenn ich euch vorschlage, dass ihr Shana auch ohne achtes oder neuntes eigenes Kind als vollwertige Miträtin einschwören mögt, als Mater Septima Occidentalis oder wie immer sie sich dann nennen mag. Ich weiß es natürlich, dass unsere Regeln da strickt sind und habe sie ja einst selbst mitverfasst. Deshalb ist es nur ein Vorschlag, nicht mehr."
"Wie sollen wir dich nennen, wo du jetzt wieder aufwächst und die Regeln sagen, dass jemand bei Wiederverjüngung alle bisherigen Namens- und Vermögensansprüche abzutreten hat?" wollte ein australischer Mitrat wissen. Darauf sagte Shana: "Gemäß unserer Regeln, dass die neue Mutter den Namen bestimnen darf, wird sie vom 25. Juni, dem Tag ihrer dritten Geburt an, den Namen Lucille Moreland tragen." Die Wiederverjüngte hatte diesen Namen bisher noch nicht erfahren. Doch sie cogisonierte, dass sie einverstanden war. Denn sie wusste, dass Shana ihrer nächsten Tochter diesen Namen in Erinnerung an ihre Urgroßmutter aus York in England zulegen wollte, falls diese im Sommer zur Welt gekommen wäre. Außerdem war Lucille auch in Frankreich ein gern gewählter Mädchenname bei jungen Hexenmüttern, womit sie nicht damit hadern musste, dass sie nicht wie beim letzten Mal in ihrer Heimat Frankreich aufwachsen würde.
Nachdem das geklärt war durfte Lucille Moreland noch Perdys schwere Beichte mithören, dass er nämlich unterlassen hatte, den Erfassungszauber auf mitgeführte Zaubergegenstände statt auf Lebensauren zu prägen. Dass sei Buggles und somit der ehemaligen Véronique zum Verhängnis geworden. Denn die Spinnenhexe hatte wohl einen Zauber benutzt, der ihre Lebensaura regelrecht verdunkeln konnte und war somit nicht vom Fremdwesenerfassungszauber entdeckt worden. So hatten nur die auf Elementarkraftzauber ansprechenden Zauber versucht, die wirkenden Zauber zu unterbrechen, wass bei "diesem verfluchten Feuerschwert" jedoch kläglich danebengegangen sei, da dieses selbst umgebende Feuer- und Unfeuerzauber beeinflussen konnte. Dass die Spinnenhexe Buggles einen Zauber auferlegt hatte, der dessen eigene Lebensaura verfremdet und somit als die eines Unbefugten ausgegeben hatte habe Perdy auch nicht einkalkuliert. Lucille, die zwischen völliger Aufmerksamkeit, aufkommendem Hunger und Schlafbedürfnis festhing bat per langsamem Armheben noch einmal um Aufmerksamkeit. "Damit stehen drei Sachen fest, liebe bis auf weiteres ehemalige Ratskameradinnen und -kameraden: Die Spinnenhexe wusste von der Falle, die auf jeden Eindringling wartete, es ist erwiesen, dass es diesen Aurenverdunkelungszauber gibt, und sie wusste auch, dass Buggles der Dreh- und Angelpunkt unserer Unternehmung war. Punkt eins und zwei lassen leider nur zu, dass jemand aus Buggles' Reihen ihr das verraten haben muss, auch wenn Buggles jede Hexe in seiner Umgebung unter den Sekundärbann gestellt hat. Doch offenbar reichte dieser nicht aus, um einen bereits zuvor auferlegten Treuefluch zu überlagern. Für eure späteren Entscheidungen sollte das sehr wichtig sein, das zu bedenken. Wer die Verräterin war oder ist ist jetzt, wo die Unternehmung gescheitert ist unwichtig geworden. Ja, das sage ich, auch wenn ich wegen dieser Verräterin meinen fruchtbaren Schoß verloren habe und deshalb jetzt wieder neu aufwachsen muss. Aber sie zu suchen und zu bestrafen ist Zeitvergeudung. Danke noch mal für eure Aufmerksamkeit."
"Ja, was unsere Unternehmungen in Südamerika angeht, so müssen wir eben auch damit rechnen, dass die Spinnenschwestern, die sowieso noch bestehenden Nachtfraktionshexen und vielleicht auch schon Ladonna Montefiori ihre Gefolgshexen da hat", seufzte Perdy. "Deshalb sollten wir es bei Argentinien, Brasilien, Peru und Chile gleich so halten, dass wir nicht alle Last auf einen einzigen Unterworfenen aufladen. Wenn ihr meint, ihr müsstet mir auch eine Strafe auferlegen wie Lucille sie sich selbst schon auferlegt hat, dann bitte. Ich war vielleicht auch zu überheblich, was die Absicherungen anging."
"Hallo, du wirst nicht mit dem Kleinen oder der Kleinen da in meinem Bauch neu aufwachsen, sondern anständig für uns da sein und mich heiraten, wenn du vierzehn neue Lebensjahre alt bist, Kleiner", stieß Eartha Dime aus. "Ich habe schon zwei Kinder von einem Vater, der nichts von denen wissen soll. Das dritte oder die beiden Kinder drei und vier sollen mit einem Vater großwerden."
"Eingeschworene Eartha, du bist in diesem Rat leider nicht Vorschlags- oder gar entscheidungsberechtigt", sagte Pater Duodecimus Mediteranus sehr ungehalten. Nur weil Valerie bei dir eine erfolgreich begonnene Schwangerschaft festgestellt hat können wir dich nicht für diese Anmaßung bestrafen. Aber reiz es bitte nicht aus, dass am Ende du ohne eigene Erinnerungen mit dem in dir wachsenden Kind bei einer anderen Mitstreiterin neu aufwachsen musst, und zwar ohne eigenes Gedächtnis. Lies dir dazu bitte noch einmal die Regeln unserer Gemeinschaft durch oder frage sie da, was Perdix Diggle und Claudine Rocher damals festgeschrieben und mit dem damaligen hohen Rat einhellig beschlossen haben, wenn jemand die Hierarchie des Rates missachtet. Danke!"
"Na ja, ich wollte nur sagen, dass ich mich eurem Urteil unterwerfe", sagte Perdy noch einmal.
Danach berichteten Shana, Fernando und alle anderen, was ihnen passiert war. Auch wurden die 24 Richter dazugeholt, die draußen warten mussten. Sie erwähnten, dass sie alle verräterischen Aufzeichnungen der letzten zwei Monate noch hatten mitnehmen können. Doch jetzt sei es wohl so, dass Nordamerika kein handlungsfähiges Gerichtswesen habe, was für wirkliche Feinde der magischen Gemeinschaft eine Einladung war, sich dort auszubreiten." Darauf erwähnte einer der anderen Räte: "Schön, dass ihr das jetzt erkennt, wo ihr erst vor einem wütenden Mob weglaufen musstet, um nicht zerflucht oder als neue Bewohner von Doomcastle eingekerkert zu werden. Wird sowieso interessant, ob die unsere Gesetzesnovellen alle umstoßen oder einige von denen beibehalten werden."
"Na ja, die Wiederverjüngung ohne Beibehaltung des Gedächtnisses kommt einer Hinrichtung näher als sonst was. Könnte sein, dass Bullhorn sie beibehält und vielleicht sogar als für Inobskuratoren zulässiges Gewaltmittel bei auf frischer Tat ertappten Hexen und Zauberern empfiehlt", sagte Chrysostomos Ironside. Dann durften die 24 wieder gehen. Sie sollten gemäß getroffener Absprachen auf andere englischsprachige Niederlassungen verteilt werden, um dort ihrer Verpflichtung nachzukommen, neue Zaubererweltkinder auf den Weg zu bringen.
Am Ende der langen Ratssitzung beschlossen die Mitglieder, dass Shana Moreland nicht vor der Geburt ihres eigenen achten Kindes aufgenommen werden sollte, aber das Perdy bei Erreichen des vierzehnten Lebensjahres wieder als Mitglied eingeschworen würde, wie es ja sowieso geplant war. Seine Verfehlung wegen der Absicherung von Lionel Buggles sahen sie ihm nach, weil sie ja alle auf diesen einen Zauberer gesetzt hatten und somit eine Mitschuld am Scheitern der Unternehmung "Goldener Dreizack" trugen. Das war viel mehr, als Perdy und Lucille erhoffen konnten.
Als sich Shana, Eartha, Perdy und Lucille dann in Valeries Unterbringung in der Niederlassung trafen meinte Perdy: "Ui, und ich dachte schon, neben Lucille in einer Wiege zu landen und mit ihr neu groß zu werden."
"Die wissen, dass du mit geschickten Händen noch zu wichtig für die bist, als dich wiederzuverjüngen, Perdy", cogisonierte Lucille Moreland. "Du weißt ja, wo du alles findest, was du brauchst."
"Ja, weiß ich. Gilt noch das alte Passwort, Lucille?" fragte er. Sie cogisonierte ein "Ja". Dann musste sie sich sehr anstrengen, nicht preiszugeben, wie es lautete. Denn wer es kannte konnte die machtvolle Erinnerungsschöpf- und Verpflanzungsvorrichtung nutzen, die sie zuletzt bei den vierundzwanzig Richtern Nordamerikas eingesetzt hatte und die sie zu gerne auch an dieser Spinnenhexe oder einem der Kinder Ashtarias angewendet hätte.
Als Lucille ausgiebig gähnte nahm ihr Shana das Cogison ab. "War ein bisschen viel für deinen kleinen Kopf, wie?" fragte sie. Lucille, die jetzt höchstens noch mentiloquieren konnte, gab nur ein bestätigendes Glucksen von sich. Sie dachte daran, dass sie wohl kein Kind von Julius Latierre bekommen würde. Aber jetzt, wo sie neu aufwuchs, bestand die Möglichkeit, von dessen außerehelichem Sohn Félix Richard Roland das eine oder andere Kind zu bekommen. Damit konnte sie sogar ihre eigene Blutlinie mit der der Latierres von Barbara Ursulines Seite her zusammenfügen. Das war doch auch ein Ziel, auf das sie entschlossen hinwachsen mochte.
Sie waren alle da, die Reporterinnen und Reporter aus Kanada, Mexiko und den USA, ob aus den einst außergesetzlichen Siedlungen Viento del Sol und Misty Mountain oder dem Rest der neuen Welt. Linda Latierre-Knowles ließ sich nicht anmerken, wie die von ihr erlauschten Gespräche ihr Genugtuung und dann wieder Unbehagen waren. Viele Mitarbeiter von Lionel Buggles haderten damit, was sie unter dessen Einfluss alles getan hatten. Immerhin war es noch gelungen, einige bis zur Aburteilung eingesperrte Hexen und Zauberer aus den Zellen für befristet inhaftierte in Doomcastle herauszuholen, bevor diese als vollständig wiederverjüngte in irgendwelchen Niederlassungen Vita Magicas oder in den Heilstätten der Zaubererwelt landeten.
Heute wollte es Atalanta Bullhorn ganz offiziell machen, was sie in den letzten Tagen nur angedeutet hatte. Als sie vor die versammelten Dorfräte, Reporter und geladene Ehrengäste trat wirkte sie sehr entschlossen. Hinter ihr standen Murray Bowland aus Kanada und Andrés Piedraroja aus Mexiko. Dahinter reihten sich je drei Hexen und drei Zauberer aus jedem der drei Verwaltungsbereiche.
"Ladies and Gentlemen, liebe Gastgeber aus Viento del Sol, geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Nachrichtenverbreiter, geehrte Zuschauerschaft", begann die ehemalige Inobskuratorin. "Ich trete heute vor Sie alle hin, um Ihnen mit großem Stolz und großer Freude zu verkünden, dass ich mit den Herren Bowland und Piedraroja eine Übereinkunft getroffen habe, die für unseren erhabenen Erdteil Nordamerika zukunftsweisend sein wird. Wir laden Sie alle ein, bis zum ersten September verbindlich darüber abzustimmen, ob wir auch nach der unrühmlichen Episode mit Lionel Buggles und seinen mutmaßlichen Hinterleuten von Vita Magica eine geeinte, handlungsfähige Zaubererweltföderation haben oder weiterhin als drei den nichtmagischen Staatsgefügen angeglichene Magieadministrationen fortsetzen sollen. Sicher ist in jedem Fall, dass wie auch immer Sie, Ladies and Gentlemen, sich mehrheitlich entscheiden mögen, die Zeit des einfachen Nebeneinanders und teilweisen Gegeneinanders vorbei ist. Je nach Beschluss der Bevölkerungsmehrheit werden wir die uns weiterhin bedrohenden Kräfte, die Werwölfe, die Vampire und ja auch Vita Magica und die dunklen Orden von Hexen und Zauberern bekämpfen, sie daran hindern, erneut und diesmal endgültig die Macht in unseren Hoheitsgebieten zu ergreifen und gegen Ihre grundlegenden Interessen zu handeln, egal in wessen Namen und zu welchem angeblich so hohem Ziel. Um dieses Vorhaben nicht als reine Ein-Hexen- oder Ein-Zauberer-Schau zu veranstalten, wie es Lionel Buggles getan hat und darüber ins Verderben gestürzt ist, haben wir drei bereits jetzt beschlossen, je einen Sechserrat aus je drei Hexen und drei Zauberern zu berufen, der alle maßgeblichen Entscheidungen plant, ausarbeitet und mit Stimmenmehrheit beschließt. Alle anderen Abteilungen bleiben bis auf diverse Personaländerungen in ihren bisherigen Strukturen bestehen. Da wir nicht jedem einzelnen von Ihnen den Prozess machen können, nur weil die einen oder anderen unter dem Zwang der ungebetenen Machthaber Dinge taten oder zumindest veranlassten, die geliebten Anverwandten und Freunden zum bitteren Verhängnis wurden, bleibt nur, Ihnen allen die Möglichkeit zur Bewährung einzuräumen, damit Sie beweisen können, dass Sie bei freiem Willen und Achtung des eigenen Gewissens anders handeln als sie es unter dem Zwang Lionel Buggles' und seiner Hinterleute getan haben. Es ist jetzt nicht die Zeit für Vergeltung, sondern für einen Neuaufbau, eine Bereinigung der bestehenden Unstimmigkeiten, ohne dauernd mit dem Finger auf den einen oder die andere zu zeigen. Natürlich weiß ich auch, dass es vielen in den drei Ländern missfällt, dass wir nicht mehr über das Verschwinden von Lionel Buggles erfahren haben und auch nicht, ob er nur verschwunden ist oder ermordet wurde. Sollte er noch leben, so sei ihm gesagt, dass er weder in Kanada, noch den USA, noch Mexiko auf Asyl oder Bewegungsfreiheit hoffen darf. Selbst wenn auch er nur ein Opfer übler Machenschaften war, so müssen wir ihm doch sehr bedauerlicherweise unterstellen, dass er ja den Kontakt mit diesen Verbrechern gesucht hat. Denn ein seiner Verantwortung bewusster Minister hätte sich ohne auferlegten Zwang niemals mit solchen Individuen wie die von Vita Magica eingelassen. Also muss er irgendwo seinen Vorteil gesehen haben, mit diesen Subjekten zusammenzuarbeiten, bis diese die Gunst der Stunde nutzten, ihn zu ihrem willigen Erfüllungsgehilfen zu machen und ihn dazu brachten, alle anderen unter seinen Einfluss zu stellen.
Sollte er von dritter Seite ermordet worden sein, so spreche ich den Mörder oder die Mörderin nun direkt an: Wer immer sie sind und welches Motiv Sie zu dieser Tat getrieben hat, erwarten Sie keine Dankbarkeit von uns allen! Der gewaltsame Tod eines Menschen, ob mit oder ohne magische Kräfte, ob einfacher Trankbraugehilfe oder Zaubereiminister, ist und bleibt ein unverzeihliches Verbrechen, dass eine auf Frieden und Miteinander ausgerichtete Gesellschaft nicht tolerieren darf, egal welches Motiv die Tat bedingt hat. Sollten wir ergründen, wer Sie sind und wo Sie zu finden sind werden wir Sie zur Verantwortung ziehen und entsprechend der Gesetze verurteilen, die Mord bestrafen. Sie sind hiermit belehrt."
Linda musste sich sehr beherrschen, Bullhorn nicht als Heuchlerin zu beschimpfen. Denn im Grunde verdankte die ehemalige Inobskuratorin, dass sie jetzt doch als Zaubereiministerin arbeiten durfte und auch, dass sie größtenteils ungefährdet innerhalb der USA, Kanadas und Mexikos reisen und auftreten durfte. Wenn es nach Buggles gegangen wäre hätte man sie doch längst wiederverjüngt, um sie endlich mundtot zu machen. Somit hatte ihr Buggles' Mörder oder besser Mörderin den größten Gefallen ihres Lebens getan und konnte womöglich eine Gegenleistung einfordern, natürlich nicht offiziell, in aller Öffentlichkeit wie jetzt diese Bekanntmachung. Aber Bullhorn wusste sicher, dass sie nur vom Wohlwollen und auch der Entschlossenheit von jemand anderem abhängig war. Das nagte ganz sicher an ihrer Inobskuratorenseele. Sicher mochte sie deshalb bald von ihrem vorübergehenden Amt zurücktreten, so wie es Linda auch schon aus Mexiko gehört hatte, dass Piedrarojas Frau ihrem Mann geraten hatte, sein Amt zur Verfügung zu stellen, damit jemand unbelastetes die Geschicke Mexikos lenkte, bis feststand, ob es weiterhin eine eigenständige Zaubereiverwaltung geben sollte oder Mexiko Teil einer neuerlichen Föderation sein würde.
Dann war da ja auch die Sache mit den Kobolden. Die Ausweisungsaktionen würden von diesen Zauberwesen nicht als Taten eines Irren oder eines Fremdgesteuerten hingenommen. Zudem gab es auf beiden Seiten Tote, und die Kobolde würden auf eine Form von Wiedergutmachung bestehen, was wiederum sehr hitzige Debatten auslösen würde. Auch da würde Bullhorn oder Piedraroja noch etliches zerschmettertes Porzellan aufkehren müssen.
Linda erinnerte sich an etwas, was Brittany Brocklehurst ihr von Julius Latierre weitergegeben hatte. "Buggles war ein Supergau, ein schwerer Unfall in der Zaubererweltpolitik. Supergaus haben die miese Angewohnheit, jahrelang nachzuwirken, wie Radioaktive Strahlung bei Störfällen in Atomkraftwerken oder Giftteppiche bei gestörten Erdölverarbeitungsvorgängen oder beschädigten chemischen Fabriken." So war es wohl auch, dachte Linda. Denn es gab auch Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Buggles' Entmachtung betrauerten, ja regelrecht gegen Bullhorn und die anderen aufbegehrten, weil Buggles zum ersten mal gezeigt hatte, wie ein starkes, großes Nordamerika sich gegen alle Widrigkeiten durchsetzen musste, und sei es mit bis dahin als unzulässigen Mitteln bekannten Maßnahmen. Ja, Buggles hatte bewusst oder unbewusst eine große Flasche aufgemacht, aus der nicht nur ein Dschinn entwichen war, sondern eine ganze Familie widerspenstiger Flaschengeister, die jjetzt alle in den Köpfen der Zauberergemeinschaft ihren Spuk trieben und sich nicht so schnell wieder einfangen lassen würden. Denn allein die Bedrohung durch die Werwölfe hatte doch viele dazu getrieben, nach echten Abschussquoten für Lykanthropen zu rufen und jeden unregistrierten Werwolf beklatscht hatten, der unter dem wieder eingesetzten blauen Mondlicht gestorben war.
Auch beklagten sich viele, die die alten Freiheitsrechte unbescholtener Menschen mit magischen Kräften einforderten, dass Atalanta Bullhorn die unter Buggles erlassenen Gesetze nicht unverzüglich aufhob, sondern diese zunächst mal auf ihre ethische Tragfähigkeit und gesellschaftliche Notwendigkeit prüfen wollte. "Zu behaupten, alles von Buggles und seinen Untergebenen erlassene sei grundverkehrt wäre zu simpel und würde mehr Verunsicherung bringen als neue Freiheiten und Frieden. Daher werden wir jede Gesetzesnovelle und jeden Erlass überprüfen. Nur die Vollstreckung von Urteilen wird bis auf weiteres ausgesetzt, bis wir wissen, ob die angeklagten Taten wirklich unserer Rechtsauffassung widersprechen oder keine Untaten sind", hatte Atalanta Bullhorn allen Reportern gegenüber erwähnt. Das galt auch und vor allem für die Sonderabgabe von Menschen mit Zauberwesenabstammung, die Bullhorn auch schon vor der Goldebbe und der aus dem Boden gestampften Magieföderation verteidigt hatte.
Ja, die Zukunft war nicht so sicher und hoffnungsvoll, wie Bullhorn sie gerade geprisen hatte. Es lag viel Arbeit vor denen, die sie mitgestalten wollten oder mussten.
Es knallten die Korken. Goldene Kelche stießen klingend aneinander. Es war wie eine zweite Walpurgisnachtfeier. Denn die Spinnenschwestern feierten ihren Sieg über Vita Magica. Sicher, Atalanta Bullhorn hatte lautstark die Moralkeule geschwungen, das man mit Mörderinnen keine Gnade haben würde. Doch für Anthelia, Portia, Melonia, Delila und all die anderen war das jetzt nur lautes Getöse einer Hexe, die eigentlich wusste, was sie jener ruchlosen Mörderin zu verdanken hatte. Portia erwähnte, dass sie nicht nach Viento del Sol hineingelangte. Aber da sie dort niemanden hatte, der sie mal zum Essen einladen mochte, störte sie das auch nicht. Sie dachte daran, dass sie der höchsten Schwester den entscheidenden Tipp gegeben und ihr die Lage des Büros genauestens beschrieben hatte. Melonia meinte:
"Meine Nichte Hellen war am 20. Juni auf dieser Kennenlernparty. Ich habe ihr den Trank der folgenlosen Freuden ins Essen gerührt. Das hat sie zwar erst heftig durchgerüttelt. Aber als sie sich wieder erholt hat war sie mir dankbar. Denn dieser Mo Lomax hätte sie garantiert nicht wegen eines oder wie vieler Kinder geheiratet."
"Na ja, aber nicht jede Hexe hat so eine entschlossene Tante", meinte Albertrude Steinbeißer. Das sie gerade selbst schwanger war wussten nur sie und Anthelia. Dann sagte Louisette noch: "Ach ja, ich erfuhr auch, wer das trimagische Turnier gewonnen hat und dass meine Nichte Jacqueline alle UTZs geschafft hat. Wie gut diese werden erfahre ich wohl erst Mitte Juli. Aber ich bin superstolz, liebe Mitschwestern. Schade, dass ich nicht mehr mit ihr zusammen feiern kann."
"Vielleicht bekommst du sie ja irgendwann zu deiner französischen Mitschwester, Schwester Louisette", sagte Albertrude, die ihren Alkoholverzicht damit begründete, dass sie mit zwei biomaturgischen Augen noch schlimmer doppelt sehen mochte als mit zwei natürlichen. Das hatte alle anderen lauthals kreischen lassen vor lachen.
"So erhebe ich erneut den Pokal auf die Entschlossenheit und Zielstrebigkeit starker und kundiger Hexen, die jeder ihre Leiber und Seelen auferlegten Knechtschaft trotzen", brachte Anthelia einen weiteren Trinkspruch aus. Dann stieß sie erst mit Albertrude, dann mit Portia, dann mit Louisette und dann mit allen anderen an. Heute war ein Feiertag. Was morgen oder übermorgen auf sie alle zukam sollte bis morgen oder übermorgen ruhen.
Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite Seit ihrem Start am 1. Juli 2023 besuchten 577 Internetnutzer diese Seite.