Die Auswirkungen jener weltweiten Welle dunkler Magie, die bei der Vernichtung von Iaxathans Ankergefäß freigesetzt wurde, halten die ganze magische Welt in Atem. Schwarzmagische Gegenstände erwachen zu einem unheilvollen Eigenleben. Für dunkle Kräfte empfängliche Wesen schütteln jahrtausende alte Erstarrungszauber ab oder werden stärker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zaubereiministerien und davon unabhängiger Eingreiftruppen gegen dunkle Künste kommen nicht zur Ruhe. Als dann durch das schwere Seebeben vom 26. Dezember 2004 ein auf dem Meeresgrund liegender Unlichtkristall zerbricht und deshalb eine weltweite Entladung von Erdmagie auslöst gerät die gesamte Gesellschaftsstruktur der magischen Menschheit ins Wanken. Denn die Welle aus Erdmagie trifft dafür empfängliche Wesen wie Kobolde und Zwerge hart bis tödlich. In Australien wird die Koboldbank Gringotts zerstört. Anderswo müssen Filialen schließen. Verschiedene Gruppen versuchen das auszunutzen, um das jahrhundertealte Goldwertbestimmungsmonopol der Kobolde zu beenden. Ebenso wittert in den Vereinigten Staaten ein einzelner Zauberer die Chance, der mächtigste in Nordamerika zu werden: Lionel Buggles. Als dieser dann von der obskuren Gruppe Vita Magica unterworfen wird hilft diese ihm, seinen Traum für einige Monate zu verwirklichen, ganz Nordamerika unter seiner Führung zu vereinen, bis ihm die Führerin der Spinnenhexen für immer Einhalt gebietet.
Julius Latierre wird von Ashtaria beauftragt, einen eigenen Sohn zu zeugen. Da er mit Millie von den Mondtöchtern gesegnet wurde kann er dies jedoch erst nach einer Wartezeit von zwölf Jahren, weil er schon drei Töchter mit Millie hat. Ashtaria schickt Millie einen höchst beängstigenden Traum von einer Zukunft, in der sowohl Lahilliotas neue Ameisenkreaturen, die Nachtschatten der selbsternannten Nachtkaiserin und die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder die Menschheit auslöschen und Ashtarias Macht vollständig verschwinden mag, wenn es keine sieben Heilssternträger mehr gibt. Daher nutzen sie und Julius ein besonderes Gesetz, dass einem Ehemann erlaubt, mit einer unverheirateten Hexe ein Kind zu zeugen, welches die angetraute Frau nicht oder nicht früh genug bekommen kann. Als sogenannte Friedensretterin erwählen beide Millies Tante Béatrice, die seit dem unfreiwilligen Kindersegen in Millemerveilles die zweite Heilerin dort ist. Béatrice geht auf die Bitte ein und verbringt mit Julius mehrere Nächte, während Millie sich in den Künsten der Feuermagier aus dem alten Reich zu ende bilden lässt. Das Vorhaben gelingt. Béatrice empfängt einen Sohn. Kurz nach der erfolgreichen Zeugung wird Millie ebenfalls schwanger. Sie trägt Zwillingstöchter. Sie verzichtet auf ihr Recht, Béatrices Kind als ihres anzunehmen und überlässt den kleinen Félix seiner leiblichen Mutter. Sie selbst bringt in der Walpurgisnacht 2005 die beiden Töchter Flavine und Fylla zur Welt. Julius hat Ashtarias Auftrag ausgeführt. Er wartet darauf, ob und wo er den verwaisten Silberstern entgegennehmen kann. Doch so einfach wird das nicht, da er ja nicht der Angehörige einer der sieben alten Familien ist.
Uschanaguran blickte durch die von seinem Vater erfundenen Gläser der scharfen Augen, die das menschliche Sehvermögen vervierfachen und ihm sogar die Nachtsicht verleihen konnten. Er beobachtete das Treiben am Hafen der Stadt Alexandria. Der einhundertzwanzig Sonnenjahre alte Meister der höheren Zauberkunst, vor allem der dem Licht, dem Leben und der Liebe verbundenen, beobachtete die festgemachten Ruderschiffe, von denen Lastenträger Amphoren und Kisten heruntertrugen und auf Ochsenkarren umluden. Es galt seit der Regentschaft von Ptolemaios dem zweiten, dass alles, was geschrieben war oder einen hohen künstlerischen Wert hatte, im neuen Haus der Musen zusammengetragen werden und für alle Forschenden und Lehrenden aufbewahrt werden sollte. Deshalb lebte Uschanaguran schon seit zehn Jahren in dieser Stadt. Er war dafür zuständig, die den magischen Künsten verbundenen Schriften und Gegenstände zu prüfen und im von griechischen, assyrischen und ägyptischen Magiern eingerichteten "verschwiegenen Haus" unterzubringen.
Viele hielten den grauhaarigen, ursprünglich aus Assyrien stammenden Magier für einen Schicksalsbegüterten, der ohne Zuhilfenahme eines Zauberkraftausrichters erkennen konnte, was bösartige Zauber enthielt oder nicht. In gewisser Weise stimmte das auch. Denn er war der lebende Erbe einer seit Jahrtausenden bestehenden Familie, die als eine von sieben über diese Welt wachte. Deshalb besaß er nicht nur besondere Kenntnisse über die Beschaffenheit der guten und bösen Zauber, sondern auch ein hochmächtiges Schmuckstück, das Erbzeichen seiner Sippe, das ihn als einen der sieben Lebenden auswies. Auf der Hut vor Neidern und den wahrhaftigen Feinden verbarg er dieses Schmuckstück meistens unter seinen sonnengelben Gewändern. Es war ein silberner Stern mit fünf an ihren Enden abgerundeten Strahlen, der Heilsstern der Kinder Ashtarias. Dieser warnte zuverlässig vor dunklem Zauberwerk und konnte schon ohne gezielte Befehle seines Trägers einen schützenden Mantel aus Zauberkraft um ihn breiten.
"Uschanaguran, bist du auf dem Dach?" rief seine Frau Samara aus dem Haus im nordosten der Stadt.
"Ja, meine Holde. Ich betrachte gerade das phönizische Ruderschiff, das entladen wird. Es scheint, als habe der Hüter des Musaions wieder einen großen Ankauf vollbracht!" rief er nach unten zurück. Er wusste, dass kein Feind sich seinem Haus weniger als hundert Schritte nähern konnte und somit auch nicht jeder mithören konnte, was er und seine Frau einander zuriefen.
Er liebte Samara seit der ersten Begegnung vor mehr als achtzig Sonnenjahren und hatte auch nie eine zweite oder dritte Frau dazugenommen. Dennoch sorgte ihn, dass sie zusammen nur acht Töchter gezeugt hatten. Denn der überlieferten Bräuche seiner Familie folgend durfte der Heilsstern Ashtarias nur von seinem Träger an das erstgeborene Kind vom selben Geschlecht weitergegeben werden. ging dies nicht, so blieb zu hoffen, dass das erste Kind des erstgeborenen dasselbe Geschlecht wie der Träger des Heilssterns besaß. Erst vor vier Sonnenjahren hatte ihm Assura, seine erstgeborene Tochter, diesen Erben geboren. Doch bis der kleine Buramesch alt und erfahren genug war, um das große Erbe anzutreten musste sein Großvater Uschanaguran noch ausharren.
"Meister Uschanaguran, seid ihr da?!" hörte er nun eine Männerstimme. Sie gehörte Philoktetes von Mykene, einem aus dem Rat der acht Vertrauten, dem geheimen Rat der Zauberer von Alexandria.
"Philo, ich sehe mir gerade die Neuankömmlinge an!" rief Uschanaguran zurück. "Ich komme herunter", fügte er noch hinzu.
Als er dann im kleinen Unterredungsraum seines Hauses dem mykenischen Magier gegenübersaß kam dieser gleich auf den Punkt: "Die Unbegüterten haben aus dem Schiff von Hamilcar eine mit Blei umschlossene Truhe geholt, die sie nicht aufbekommen. Jetzt will der Herr des Musaions versuchen lassen, die Truhe mit Gewalt zu öffnen. Am Ende ist da was gefährliches drin."
"Sowie die aus dem fernen Indus hergeschaffte Amphore mit den fünf mit Zaubertränken und Unterwerfungszaubern besprochenen Kobras?" fragte Uschanaguran.
"Ja, möglich ist das. Deshalb erbitte ich deine Begutachtung und falls nötig Hilfe", sagte Philoktetes mit der gebührenden Demut. Denn der Assyrer war im Rat der älteste und weiseste Magier.
"Gut, bevor wieder etwas übles geschieht", sagte er. "Wo befindet sich die Truhe jetzt?" "Sie ist im Haus der Voruntersuchungen. Die Gehilfen des Musaions wollen sie gleich genauer untersuchen", antwortete Philoktetes. "O dann drängt die Zeit", entfuhr es Uschanaguran. "So wollen wir uns eilen", trieb er sich und seinen Besucher an. "Sami, muss noch einmal ins Musaion!" gedankenrief er seiner Frau zu. Das ging zwischen den beiden besser als zwischen manchen Zwillingsgeschwistern. "Sei auf der Hut!" gedankenrief sie zurück.
Beide Magier nutzten die Fertigkeit des zeitlosen Schrittes oder auch kurzen Weges, um von einem Augenblick zum anderen im Raum der Voruntersuchungen zu erscheinen. Sogleich fühlte Uschanaguran, dass sein unter dem Gewand verborgener Heilsstern erbebte. Dies tat der dann, wenn der Hauch dunkler Magie in der Luft lag. Deshalb und weil nicht jeder in Alexandria wissen sollte, dass die Zauberer unvermittelt an einem Ort erscheinen konnten belegten sie die fünf Gehilfen des Musaionsleiters mit dem Zauber "Worte des Vergessens", mit dem sie ihnen die Erinnerungen nahmen, dass sie diese Truhe untersuchen sollten. Weil der Zauber zugleich eine kurze Ohnmacht bewirkte hatten die beiden genug zeit, die zwei Manneslängen lange Truhe zu ergreifen und durch einen geheimen Zugang in der scheinbar dicken, festen Felswand in das verschwiegene Haus hinüberzutragen.
"Es war sehr dringend, diese Truhe zu bergen. Mit Blei schließt ein Magier nur ein, was den Grundkräften Luft, Wasser und Erde entgegenwirken soll. Außerdem atmet diese Truhe den Hauch von Bosheit und Tod", sagte Uschanaguran.
"Dann ist dort was böses drin?" fragte Philoktetes. "Unverkennbar", sagte Uschanaguran, ohne jedoch darauf hinzuweisen, woher er das wusste. "Am besten bringen wir die Truhe in die Kammer der völligen Verhüllung, bevor ich sie mir ansehe."
"Du willst sie alleine öffnen?" fragte Philoktetes. "Zumindest will ich prüfen, ob der Inhalt gleich nach dem öffnen gefährlich wird oder ob es mit dunklen Zaubern geschützte Schriften sind, deren bösen Hauch ich erspüren kann", erwiderte Uschanaguran.
Philoktetes war anzusehen, dass ihm das nicht gefiel, den Meister mit der Truhe allein in der gegen viele Formen zerstörerischer Zauber abgesicherten Kammer alleinzulassen. Doch weil Uschanaguran der von allen anerkannte Ratsälteste war galt sein Wort wie ein Befehl.
So brachten sie die Truhe in die von kleinen, gelben Lichtsteinen erleuchtete Kammer. Philoktetes blickte die mit keiner Schrift und keinem Herrschaftszeichen geschmückte Truhe noch einmal an. Dann ließ er Uschanaguran damit allein.
Der altehrwürdige assyrische Magier prüfte zunächst mit Zaubern der Schlüssel und Schlösser, wie die Truhe verriegelt war. Er war auf der Hut vor Giftfallen oder eingebauten Klingen, die bei falscher Hantierung mit dem Schloss heraussprangen und den Unbefugten verletzen oder töten konnten. Tatsächlich hatte wer immer die Truhe verschlossen und verbleit hatte ein paar Gemeinheiten wie einen gespeicherten Feuerstoß eingewirkt. Erst als er alle magischen und schmiedehandwerklichen Fallen entdeckt und unschädlich gemacht hatte wagte er es, die Bleiversieglung mit einem Erhitzungszauber zu schmelzen und die Riegel umzulegen.
Es zischte leise, als die Truhe aufging. Doch es trat kein gefährlicher Qualm aus. Uschanaguran blickte durch die Gläser scharfer Augen, um alles viermal so gut zu sehen. Außerdem konnten die ihm nicht nur Nachtsicht geben, sondern ihn vor blendenden Blitzen schützen.
In der offenen Truhe lagen zwei dicke, mit dicken Elfenbeinringen zusammengehaltene Schriftrollen, sowie eine silberne Flasche, die außen mit den babylonischen Schriftzeichen für tödliche Gefahr und gnadenlose Wächter beschrieben war. Also mochte es was ähnliches sein wie mit den fünf indischen Kobras.
Mit dem Zauber "Zeige verborgenes Leben" prüfte er die Flasche auf lebenden Inhalt. Doch der Zauber löste nur eine nachtschwarze Funkenwolke aus, die laut knisternd an den Wänden zerstob. Wo sie Uschanaguran weniger als eine Armeslänge nahekamen zerplatzten sie mit lauten Knalllauten. Also war der Ursprung der dunklen Kraft die Flasche oder deren Inhalt.
Auch der Zauber "Zeige verborgene Gifte" wirkte nicht. Also zog sich der Magier Handschuhe über und setzte die aus der Haut eines Drachens gemachte Schutzmaske gegen giftigen Qualm oder gefährliche Pilzsporen auf. Dann stellte er die Flasche so hin, dass sie beim öffnen nichts direkt auf ihn spritzen würde und ging drei Schritte zurück. Dann wirkte er den Zauber "Öffne die Riegel!", mit dem nicht nur Tür- und Torriegel geöffnet werden konnten, sondern auch fest verschlossene Amphoren oder Flaschen. Es knisterte, als sich der bleierne Korken in der Öffnung drehte und dann herausschob. Dann erfolgte ein kurzes, lautes Zischen, als entführe der Flasche ein Schwall Luft. Also mochte sie einen tödlichen Brodem enthalten haben, dachte Uschanaguran und erwartete jeden Herzschlag das Aufschießen der wasserblauen Feuerwand gegen tödlichen Rauch und schädliche Luft. Doch die Wand aus Reinigungsfeuer flammte nicht auf. Statt dessen quollen leicht aus sich hellblau glimmende Rauchwolken aus der geöffneten Flasche heraus. Die Qualmwolken wuchsen sich zu länglichen, sich drehenden Gebilden aus, die erst stumpfartige, dann immer länger wachsende Arme ausbildeten. Der gebürtige Assyrer kannte solche Gebilde, das waren Luftgeister, die aus den Seelen verstorbener Menschen und den Zaubern der Luft entstehen konnten. Es waren vier, fünf, nein sieben solcher kleinen Geister, die aus der Flasche entschlüpften. Mit jedem dieser Geister erbebte Uschanagurans Heilsstern immer mehr. Also dies waren die auf der Flasche angekündigten gnadenlosen Wächter. Als die entfleuchenden Geisterwesen frei im Raum umherflogen wuchsen sie weiter an. Uschanaguran war sich sicher, dass sie ihn gleich angreifen würden. Deshalb holte er schnell den Heilsstern hervor und ließ ihn offen vor seiner Brust baumeln. Das mächtige Kleinod strahlte ein hellblaues Gegenlicht aus, das Uschanaguran mehr und mehr umschloss. Dann erfolgte der befürchtete Angriff.
Die sieben entschlüpften Geister stürzten sich von oben und aus sechs verschiedenen Himmelsrichtungen auf ihren Befreier. Doch wo ihre langen Arme auf das blaue Leuchten trafen zerbarsten die dunstartigen Gliedmaßen, und der entsprechende Luftgeist wurde zurückgeschleudert. Weitere biegsame Arme mit funkensprühenden Händen trafen auf das blaue Schutzlicht des Heilssterns. Immer wieder wurden die Angreifer davon zurückgeworfen. Doch statt geschwächt zu werden blähten sie sich kurz auf, um dann als zwei neue Luftgeister zu entstehen. Jetzt waren es schon achtzehn Angreifer. Uschanaguran erkannte, dass die Luftgeister von der Magie der Truhe und der hier bestehenden Luft ihre Kraft bezogen. Da half die reine Schutzkraft des Heilssterns wenig. Er sah, dass auch jene, die ihn bisher noch nicht unmittelbar getroffen hatten erst aufquollen und sich dann in zwei neue Geister aufspalteten. Es blitzte, krachte und prasselte, weil immer mehr dieser Geister ihn bestürmten. Sein Heilsstern erzitterte und hüpfte bei jedem Schlag, jedem bloßen Streifen über das blaue Schutzlicht. Uschanaguran versuchte es mit Beruhigungszaubern des Windes, Geistervertreibezaubern und dem Zauber "Folge dem Wort des Meisters", die ausgeschwärmten und sich weitervermehrenden Geister zu bändigen. Doch als er fühlte, wie ihm selbst mehr und mehr Kraft entwich sah er nur noch eine Möglichkeit:
"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"
Nachdem Uschanaguran die mächtigste Anrufung seiner Sippe ausgestoßen hatte schien sein Heilsstern in gleißendem Licht zu zerplatzen. Das Licht füllte den Raum aus und drängte die angreifenden Geister gegen Wände und Decke. Sie schrien mit wie von Wind verwehten Stimmen vor Schmerz und Wut. Dann meinte Uschanaguran, in einer goldenen Lichtkugel zu schweben und hörte, wie etwas großes, entschlossenes gegen die wild durcheinanderschreienden Luftgeister kämpfte. Da wusste er, dass er die höchst seltene Ehhre erfuhr, von der gnädigen Urmutter der sieben Stämme umfangen und beschützt zu sein. Dann hörte er ein lautes Heulen und Zischen, begleitet von einem vielstimmigen Aufschrei. Dann war es für drei Herzschläge still um ihn.
"Uschanaguran, träger meines Zeichens, entnimm der Heimstatt dieser Wächter das, was du entnehmen magst oder belasse es darin und verschließe die Flasche wieder mit dem Riegel des vereinenden Feuers. Doch eile dich, denn ich kann die Luft nicht lange aus diesem Raum aussperren!" klang eine entschlossene Frauenstimme um ihn herum. Dann fand er sich wieder in der Kammer der Untersuchungen. Doch was war los? Alle Wände, die Decke und der Boden waren von einem bläulichen Licht überdeckt. Doch was wirklich beängstigend war, er bekam keine Luft mehr. Seine Adern und Muskeln pochten schmerzhaft. Jetzt begriff er. Ashtarias Zauber hatte alle Luft aus der Kammer vertrieben und hielt sie nun draußen. Er fühlte, wie seine Lungen immer stärker anschwollen und blies den letzten Atem aus, um den Druck loszuwerden. Mit schneller Bewegung umschloss er seinen Kopf mit der Kugel der ständigen Frischluft. Jetzt konnte er zwar wieder atmen, doch drückte das seine Lungen schmerzhaft auseinander. Außerdem begannen die Adern seiner Haut immer mehr zu schwellen. Er musste sich beeilen.
Er sah die Flasche von oben her an und sah einen goldenen Ring mit einem schwarzen Kristall auf dem Grund. Doch sein Heilsstern drückte gegen seine Brust und trieb ihn zurück, als er versuchte, sich der Flasche zu nähern. Da ließ er sie einfach mit einem Zauber in den Kopfstand springen. Der goldene Ring rutschte heraus und fiel auf den Tisch. Es erklang kein Laut. Seine Augen schmerzten. Er meinte, blutige Tränen zu vergießen. Nur mit sehr großer Selbstbeherrschung und einem reinen Geisteszauber, Schmerzen zu verdrängen konnte er alle ihn peinigenden Qualen übergehen. Erst dann ließ er die Flasche sich wieder in ihre aufrechte Stellung zurückdrehen und ließ von Zauberhand den Korken in die Öffnung hineinspringen und sich fest darin hineindrücken. Dann wirkte er noch den Zauber des vereinenden Feuers, mit dem Feste Körper an der Stelle miteinander verschmolzen wurden, wo die purpurroten Flammen auftrafen. Alles sah er nun durch einen roten Vorhang aus blutigen Tränen. Als er sicher war, dass der Korken nun unentrinnbar mit der Flasche verbunden war und auch keine neue Luft mehr eindringen konnte senkte er seinen Zedernholzzauberstab mit dem Kern aus dem Schweif eines blütenweißen Einhorns.
Kaum hatte er die Flasche fest verschlossen erlosch das blaue Licht, dass Boden, Wände und Decken ausgekleidet hatte. Es zischte und fauchte, als von allen Seiten neue Luft in den Raum einströmte. Das Pochen in Adern und Muskeln verebbte. Doch nun erkannte der Erbe Ashtarias, dass alle unter der Haut liegenden Adern geplatzt waren. Nur der noch wirkende Schmerzverdrängungszauber hielt ihn bei Besinnung. Doch die Bewegungen fielen ihm schwerer als üblich. Sein Kopf wirkte um ein mehrfaches angeschwollen, und die aus seinen wild flatternden Augen strömenden Bluttränen liefen in die vor seinem Gesicht haftende Maske gegen Giftqualm und Pilzsporen. Er war offenbar ganz knapp dem Tod der reinen Leere entronnen, etwas, dass magische Forscher seit Jahrhunderten untersuchten und die Kundigen der Stoffe und ihrer Wechselwirkungen immer wieder herstellten, um außergewöhnliche Auswirkungen zu erzielen. Wenn er jetzt nicht was tat, dann tat er gleich nie wieder was. Denn er merkte, dass er trotz der Frischluftblase sehr schwer atmen konnte. Auch würde gleich die Schmerzverdrängung nachlassen.
Um gegen die Verletzungen anzuwirken musste er zunächst die Frischluftblase verschwinden lassen. Danach zielte er auf sich selbst und hoffte, dass der Heilsstern diesen gutartigen Zauber sogar verstärkte. Dann keuchte er das Lied der großen Genesung, das Meisterstück eines magischen Heilkundigen.
Er wurde vom Boden angehoben und in einer blutroten Wolke gebadet. Sein Heilsstern erwärmte sich und jagte seinerseits belebende Ströme in seinen Brustkorb. Er fühlte, wie seine Lungen wieder frei atmeten. Er sog das blutrote Licht in sich ein und atmete es wieder aus. Jeder Atemzug, jeder Herzschlag behob die erlittenen Verletzungen. Doch er spürte, dass er sich damit gerade selbst sehr erschöpfte. Alles begann sich um ihn zu drehen. Dann fiel vor seinen blutverklebten Augen ein dunkler Vorhang nieder.
Als er wieder aufwachte lag er im Haus der magischen Heilung. Eudoros von Makedonien, dessen Vater bei Alexanders Eroberungszügen dabeigewesen war, betrachtete den Magier aus Assyrien. Er war auch der einzige, der von Uschanagurans Erbschaft und Auftrag wusste.
"Da haben die Götter dich aber noch einmal gerade so von der Schwelle zum Totenland weggezogen, Uschanaguran. Hast du es echt gewagt, den Zauber der großen Genesung auf dich selbst anzuwenden?" Uschanaguran bejahte es mit brüchiger Stimme. "Wo immer du ihn gelernt hast, der Lehrmeister hat versäumt, zu warnen, dass dieser mächtige Zauber niemals zur Selbstheilung verwendet werden darf, weil er mit der Schwere der Verletzungen seinen preis fordert. Offenbar hat dein silberner Talisman den Zauber auch noch verstärkt, und du hast wohl eine Unzahl von Verletzungen erlitten. Wodurch?"
"Die Macht der reinen Leere, Meister Eudoros", krächzte Uschanaguran. Wieso hatte er gerade eine so gebrechliche Stimme, wo er doch den Zauber der großen Genesung auf sich selbst angewendet hatte. Er schaffte es dann noch, in kurzen Sätzen zu berichten, was ihm widerfahren war. Als der Heiler das alles gehört und für sich selbst aufgeschrieben hatte sagte dieser: "Also gibt es ihn doch, den Fluch der gefräßigen Windgeister. Es heißt, dass wer ein verschließbares Gefäß mit entsprechenden Schriftzeichen versehen kann, vermag so viele Luftgeister wie es frei bewegliche Himmelslichter gibt darin hineinzurufen. Er muss aber dann sämtliche Luft aus dem Gefäß absaugen und es dann noch so verschließen, dass keine neue Luft mehr eindringt, bevor ein Tag vorüber ist. Ab dann können die eingesperrten Luftgeister sofort auf jeden losgehen, der in der Nähe des Gefäßes wartet, sobald es geöffnet wird und frische Luft eindringen kann. Ein äußerst wirksamer und verwerflicher Zauber. Denn um ihn zu unterbrechen muss alle Luft der Umgebung fortgeschafft werden. Das hat dein Silberstern wohl vollbracht, als du die Macht deiner Vorfahren gerufen hast, Sternträger."
"Ja, hat er", erinnerte Uschanaguran an das, was er schon gesagt hatte.
"Offenbar hat die Reine leere deine Adern aufplatzen lassen und deine Lungen und Eingeweide verletzt, sonst hätte der Zauber der großen Genesung nicht so lange wirken müssen wie er gewirkt hat", murmelte Eudoros. Uschanaguran nickte. Dabei rutschte eines seiner langen Haare vor seine nicht mehr blutenden Augen. Er sah eine schloweiße Strähne. Er hatte doch silbergraues Haar gehabt. Sofort griff er sich mit seiner rechten Hand ins Haar. Dabei sah er, dass er scheinbar über Nacht wesentlich mehr Falten und Altersflecken bekommen hatte. Dann erhielt er die Bestätigung, er hatte marmorweißes Haar, das Haar eines hochbetaggten Mannes. Eudoros nickte schwerfällig und reichte ihm einen silbernen Spiegel. "Vorsicht, nicht dass dich noch der Schlag trifft."
Uschanaguran sah in das faltige Gesicht eines mindestens zweihundert Sonnenjahre alten Greises, auf dessen Nase das silberne Gestell der Gläser scharfer Augen thronte. Seine Haut war gelb und trocken wie Pergament. Er keuchte. So hätte er doch erst in vierzig oder fünfzig Jahren aussehen müssen.
"Du hast sicher mehr als vierzig Sonnenjahre Lebenszeit für deine eigene Genesung geopfert", sagte Eudoros. "Öhm, es wäre sicher sehr gut, wenn ich dabei bin, wenn du es Samara erklären möchtest."
"Wieso hat mich der Stern nicht davor beschützt?" fragte er eher sich selbst. Doch der Heilmagier gab ihm die Antwort: "Wahrscheinlich hat der den Zauber nur bestärkt, aber genau dadurch auch dessen Preis erhöht. Üblicherweise gilt, dass bei einer auf sich selbst wirkenden großen Genesung jeder Herzschlag ein Viertellebensjahr näher an den Tod heranträgt. Bei dir war es dann wohl ein ganzes Lebensjahr mit jedem Herzschlag, oder die große Genesung brauchte eine längere Zeit, um die vielen und schweren Verletzungen zu heilen. Wie erwähnt, die Götter waren mit dir, ob eure oder meine", sagte Eudoros. Atropos, die Schicksalsfrau mit der Schere, sollte deinen Lebensfaden noch nicht durchschneiden. Aber du solltest nun keine Zeit mehr verlieren, alles anzuschaffen, was du für die Zeit nach deinem Tod getan haben möchtest. Denn wie viele Jahre dir jetzt noch bleiben vermag ich nicht zu sagen. Aber jetzt schlaf dich erst mal aus. Meine Magd wird dich wecken und dir Essen und Wasser reichen, damit du wieder auf die Beine kommst."
"Was ist mit dem Ring aus der Flasche?" fragte Uschanaguran. "Philoktetes hat den Ring in eine silberne Schachtel gelegt, als er erkannte, wo du ihn hergenommen haben musstest. Er liest gerade die Schriftrolle aus der Truhe."
"Hoffentlich enthält die nicht auch noch eine solch tückische Falle", grummelte Uschanaguran. Dann beschloss er, die Anweisung des obersten magischen Heilers von Alexandria zu befolgen und zu schlafen.
Uschanaguran hatte gleich nach seiner Heimkehr und dem Geständnis an seine Frau seinen Jagdfalken "Windjäger" mit den Zaubern für schnelles Reisen und lange Ausdauer betraut und nach Assyrien zu Jassura, seiner Erstgeborenen geschickt. Er bat sie eindringlich, mit dem kleinen Buramesch nach Alexandria zu kommen. Auch wenn Buramesch gerade vier Jahre alt war musste er ihm sein Erbe übergeben, wie es der uralte Brauch war.
Als er Windjäger losgeschickt hatte beriet er sich mit den sieben anderen des Achterrates. Der Ring aus der mit Luftgeistern gefüllten Flasche war ein Ring der Söhne Seths, erkennbar an den betreffenden Hieroglyphen im Gold und dem eingefassten zwölfflächigen Kristall. Uschanaguran erinnerte sich, dass solch ein Kristall nur durch mehr als dreihundert gewaltsame Tode an einem Tag am selben Ort entstehen konnte. Unlichtkristall oder Stein des vielhundertfachen Todes wurde solch ein wortwörtlich verfestigtes Zeichen grenzenloser Grausamkeit genannt. Als er versuchte, den Kristall mit seinem Silberstern zu berühren kam er diesem nicht mal auf Armeslänge nahe. Die Macht des Kristalls und des Heilssterns wirkten gleichstark gegeneinander an.
"Auf dem Ring steht "siebter von neun", was heißt, dass die Anbeter des bösen Unterweltgottes zu neunt sind", beschrieb ein Kundiger der alten Lehren die uralte Bruderschaft, die in der Zeit der ersten ägyptischen Dynastie scheinbar aus dem Nichts heraus entstanden war. Doch es hatte sich herausgestellt, dass die Gründer dieser Bruderschaft bereits viel früher gelebt haben mussten und ihre Ringe an den jeweils erstgeborenen Sohn oder Neffen weitergegeben haben mussten. Uschanaguran zog ganz für sich selbst einen Vergleich mit den sieben Sippen Ashtarias. Auch hieß es, dass der Träger des Ringes mit Seth selbst in geistige Zwiesprache treten konnte. Allerdings hatten die Sethbrüder nicht mit dem dunklen Pharao zusammengewirkt, der vor Jahrtausenden eine umgekehrte Pyramide hatte errichten lassen und diese durch die Opferung blutjunger Knaben zu einem Auffang- und Bewahrungsgefäß für seinen eigenen Geist gemacht hatte. Ja, es fiel Uschanaguran ein, dass dieser dunkle König versucht hatte, die Geheimnisse der Söhne Seths zu ergründen, um sich selbst zum neuen dunklen Herrscher über alle Menschen der Welt aufzuschwingen und Seth es seinen Dienern unter Todesandrohung verboten habe, sich mit "diesem Emporkömmling" zu verbünden.
"Kein unmündiges Kind darf den dunklen Kristall berühren und ihn mit seiner Unwissenheitund Schwäche besudeln", zitierte Uschanaguran einen Spruch, den er im Zusammenhang mit den Unlichtkristallen gehört hatte. Jetzt, wo sie einen solchen erbeutet hatten, konnten sie überprüfen, was dieser Spruch zu bedeuten hatte.
"Wenn es noch acht frei herumlaufende Sethbrüder gibt müssen wir aufpassen, dass die nicht rausfinden, wo der siebte der neun Ringe angekommen ist", stellte Uschanaguran klar und erhielt einhellige Zustimmung.
Endlich waren sie da, Jassura und Buramesch. Ushanaguran, der seit seiner blitzartigen Alterung um fünfzig Jahre nur noch mit den Gläsern scharfer Augen herumlief, weil er sonst nur noch wie durch dicken Nebel sah, was weiter als eine Armeslänge vor ihm stand, grüßte seinen Enkelsohn. Doch der kleine Junge mit dem tiefschwarzen Haar, den wachen, dunkelbraunen Augen und dem von vielem guten Essen kugelrund geformten Bauch schrak zurück, als ihn dieser weißhaarige, gelbgesichtige Mann mit den großen, glitzernden Augen entgegenging. Doch dann beruhigte er sich wieder, als Uschanaguran lachte. War er froh, dass er schon vor zwanzig Jahren entschieden hatte, seine verbliebenen Zähne herausziehen zu lassen und sich zwei Reihen künstlicher Zähne mit Anwachssalbe passgenau an die Kiefer heften zu lassen. So musste er dem Jungen nicht auch noch zahnlos entgegenlächeln.
"Buramesch, Sohn meiner ersten Tochter. Meine alten Augen freuen sich, dich gesund und auffgeweckt zu sehen. Denn wahrlich, es kommt die Zeit, dass ich dir verkünden mag, welch große und wichtige Aufgabe wir Männer aus unserer Sippe zu erfüllen haben, um den Lauf der Welt zu erhalten", sagte Uschanaguran.
"Was ist dir genau zugestoßen, Vater", sagte nun Jassura. Doch Uschanaguran blickte sie verärgert an. auch wenn sie Burameschs Mutter war durfte sie nicht sprechen, wenn sie nicht angesprochen wurde.
"Ich weiß nicht, wie viele Tage oder Mondwechsel mir noch bleiben. Doch ich hoffe, das Schicksal gewährt mir die Zeit, dir alles nötige zu erklären."
"Mutter sagt, du hast Angst, dass die Todesfrau zu dir kommt und dich mitnehmen will, aber du weißt nicht, wann", sagte Buramesch.
"Ich habe nicht angst davor, ins Totenland zu gehen, sondern davor, dass ich gehen muss, bevor ich alles wichtige erbeten und getan habe. Zumindest bist du schon mit deiner Mutter zu mir gekommen, Sohn meiner Tochter. Deshalb hoffe ich, dass ich auch die beiden noch zu tun anstehenden Dinge vollenden kann."
"Vater, der Junge ist vier Jahre alt. Sein Vater, mein im unsinnigen Krieg um die Nachfolge des makedonischen Eroberers gefallener Gatte, würde nicht wollen, dass du ihn schon so früh auf dein Erbe einschwörst", wagte sich Jassura, ihm zu widersprechen. Er sah sie streng an und wollte gerade verärgert klarstellen, dass eine Frau im Rat von Männern zu schweigen habe. Da durchdrang ihn jene Stimme, die er beim Kampf gegen die gnadenlosen Luftgeister gehört hatte: "Träger meines Zeichens, ehre auch die Mutter, die deinen Erben geboren hat. Denn ohne sie wäre er nicht."
"Gut, Jassura, ich erkenne dein Recht auf sein Wohlbefinden und seinen Seelenfrieden an", knurrte Uschanaguran. "Du hast ihn sehr lieb und willst sicher sein, dass ihm nichts böses widerfährt. Genau dabei will ich ihm und damit dir helfen", sagte er nun und verdrängte den Tadel, den er eigentlich ausstoßen wollte.
"Wie willst du ihm helfen, Vater? Wenn du ihm alles erzählst, was deine Vorfahren dir auferlegt haben und wenn du ihm deinen Heilsstern gibst machst du deine Feinde zu seinen, wo er noch keinen einzigen hohen Zauber kennt oder gar vollbringen kann", sagte Jassura, die gemerkt hatte, dass sie doch mehr wagen konnte als einer Frau wie ihr zustand.
"Indem ich ihm das Zeichen umhänge, mit ihm die Anrufung der Kraft spreche, die meine Vorfahren und auch mich vor Gefahren beschützt hat und ihm somit einen großen Schutz gebe, damit er noch behüteter aufwachsen kann als sonst schon", sagte Uschanaguran. Dann sah er seinen Enkelsohn wieder an und sprach freundlich lächelnd:
"Sohn meiner Tochter, auch wenn deine Mutter und ich wissen, dass es noch sehr früh ist, so bin ich doch bereit, dir die wichtigsten Sachen zu erzählen. Wenn du sie kennst möchte ich dir eine Frage stellen. Du ganz alleine darfst dir aussuchen, was du darauf antwortest."
"So, darf er das", grummelte Jassura. Da sagte Uschanaguran: "Meine Tochter, ich erkenne deine Sorge an. Doch erkenne du bitte auch an, was ich, dein Vater, für dich und deine sieben Schwestern getan und von euch abgehalten habe. Bitte erkenne auch an, dass wenn ich es nicht vorherbestimmen kann, wie es nach mir weitergeht, alles verlorengeht, was unsere Sippe zusammenhält und gegen alle unsere Feinde stärkt. Du wärest nicht mit ihm hergekommen, wenn du es nicht in deinem inneren erkannt hättest, wie wichtig das hier ist."
"Ich bin gekommen, weil du Windjäger ein Papyrus mitgegeben hast, dass deine Zeit zu Ende geht und du mich und Buramesch bittest, dich noch einmal zu sehen, weil du ja wegen der ganzen hier zusammengetragenen Schriften und Gegenstände nicht fort kannst", fauchte Jassura. Doch dann machte sie eine beschwichtigende Geste. "Ich hoffe, du hast die Zeit mir und Buramesch alles zu erzählen, was du uns noch erzählen möchtest."
In den nächsten Tagesabschnitten sprach Uschanaguran mit seiner Tochter über das, was ihm geschehen war und dass er nur deshalb noch lebte, weil er den Heilsstern trug. Sie begriff, wie wichtig es war, dass diesen Söhnen des Seth ein Ende gemacht wurde. Mittlerweile wusste Uschanaguran auch, dass karthagische Zauberer den bei ihnen untergetauchten Hohepriester Xordesch überrumpelt und ihm seinen Ring fortgenommen hatten. Doch statt befreit aufzuatmen, weil ihm diese dunkle Last von Leib und Seele genommen worden war hatte Xordesch nur laut aufgeschrien und war dann innerhalb von nur fünf Atemzügen zu nichts als grauem Staub zerfallen, eine Strafe für jene, die es wagten, den Ring des Seth abzugeben oder zu verlieren. Dennoch war Uschanaguran sehr zuversichtlich, dass der Ring nicht erneut einem Sethdiener zufallen würde. Er erklärte seiner Tochter, was es mit der Ermahnung auf sich hatte, dass kein Kind den Kristall berühren sollte. Jassura traute dem ganzen nicht so recht. Sie erwiderte, dass es auch heißen konnte, dass in einem unschuldigen Kind die böse Macht besonders gut hervorbrechen konnte und dann sogar der düstere Totengott der Ägypter gestürzt werden mochte, um einem noch größeren Unheilsgeschöpf den Thron zu überlassen. Uschanaguran musste seine ganze über hundertzwanzig Sonnenjahre eingeübte Überzeugunskraft aufbieten, dass sie einem Versuch zustimmte.
Einen Vierteltag später betraten Uschanaguran und sein erstgeborener Enkelsohn eine von großen Feuerschalen erleuchteten Raum. "Hier liegen die großen Schätze, die die Menschen mit Magie hervorgebracht haben. Ich möchte dir gerne einen zeigen, der zwar unheimlich aussieht und wohl auch was macht, dass es dir Angst macht. Aber keine Furcht. Großvaters silberner Stern beschützt dich."
"Was für ein Schatz soll das sein?" fragte Buramesch neugierig. Zur Antwort ließ sein Großvater eine kleine, silberne Kiste mit eingeschriebenen Zeichen aufspringen. Darin lag auf einem kleinen, dunkelblauen Federkissen ein goldener Ring. Auf dem Ring saß ein ganz schwarzer Glasstein, der nicht wie ein Würfel aussah und auch nicht wie eine Kugel. Als Buramesch näher heranging erschauerte er. "Da kommt was kaltes von. Ich hab ein bisschen Angst."
"Ich pass auf dich auf. Das mit der Angst ist, damit kein erwachsener Mann diesen Stein wegnimmt und damit was böses anstellt. Aber du kannst den anfassen", sagte Uschanaguran. Buramesch blickte mit seinen dunkelbraunen Kinderaugen auf den offen vor ihm liegenden Ring. Der sah irgendwie zwischen ganz schön und ganz unheimlich aus. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, dass es Sachen gab, in denen Zauberei drin war, die irgendwas mit dem machte, der das Ding länger in der Hand hielt. Dann sah er, wie sein Großvater den Silberstern unter seinem Gewand hervorholte und in seine Richtung hielt. Der Stern schimmerte jetzt blau-golden. Da erkannte Buramesch, dass er keine Angst haben musste. Denn Großvaters Silberstern hatte einen ganz starken, nur guten Zauber in sich drin.
Der Erbe des Sternträgers trat vor, streckte seine rechte Hand aus und senkte sie über den Ring. Brr, das fühlte sich ganz kalt an, wie Wasser aus einem von einem Berg runterlaufenden Bach. Doch dann ließ er seine Hand genau auf den Kristall heruntersinken und bekam ihn zu fassen.
Es war für Buramesch, als machte ihm jemand die Finger ganz kalt. Gleichzeitig hörte er etwas wie lautes Schreien, aber nicht hier, sondern in seinem Kopf, aber auch nicht laut, sondern wie ganz weit weg. Dann merkte er, dass der ganz anders aussehende Stein zwischen seinen Fingern zerkrümelte wie ein kleines Stückchen Sandstein, wenn es fest genug gedrückt wurde. Er fand, dass die Schreie in seinem Kopf jetzt nicht schlimm sondern ganz fröhlich klangen, bevor sie ganz schnell ganz leise wurdenund dann aufhörten. Jetzt hielt er nur noch den goldenen Ring mit einem Loch in der Hand, dass nicht kreisrund oder mit nur vier Ecken war. "Großvater, der Stein ist zerkrümelt", sagte Buramesch mit Schuldbewusstem Aussehen. Doch sein uralter Großvater lächelte und lachte ihn dann ganz erfreut an. "Ja, der ist zerkrümelt. Aber genau das habe ich gehofft, Sohn meiner Tochter", lachte Großvater Uschanaguran. Dann verriet der ihm, dass der Ring Angst vor kleinen Kindern hatte, weil die noch nichts böses getan hatten und deshalb stärker waren als das, was den Stein im Ring gemacht hatte. Buramesch legte den nun steinlosen Goldring wieder auf das Kissen. Er trat zurück und sah, wie die kleine Silberkiste wieder zuklappte.
"Das und noch viel mehr wirst du alles wissen, wenn du groß genug bist, auch die ganze Kraft meines Silbersterns zu benutzen", verhieß Uschanaguran seinem erstgeborenen Enkel. Dieser straffte sich und sagte: "Erzählst du mir das alles, bevor die Todesfrau dich mitnehmen möchte?"
"Ich finde, das mache ich ganz gerne", sagte Uschanaguran sehr zufrieden.
Sie saß alleine in einem mit Kissen, Teppichen und vielem Zierrat geschmückten Raum, dem Raum der erhabenen Töchter. Jassura wusste, dass sie es nicht mehr aufhalten konnte. Sie wusste, dass sie es für Buramesch und seine drei großen Schwestern zulassen musste. Er war leider der rechtmäßige Erbe, durch Blut und Wort dazu bestimmt, diesen Silberstern zu bekommen, der schwerer als zehn Elefanten wiegen mochte, wenn das, was in seinem Namen anstand, das Schicksal aller Menschen betraf.
Sie erinnerte sich daran, wie sie nach Burameschs Bettgehzeit mit ihrem Vater gestritten hatte, dass der sie überrumpelt hatte, den Jungen an diesen bezauberten Ring ranzulassen, wo er doch gar nicht wusste, ob der den Kleinen nicht töten oder in etwas ganz übles verwandeln mochte. Nur weil der Versuch gut ausgegangen war hieß das nicht, dass der Einfall richtig war. Doch Uschanaguran hatte klargestellt, dass die neun Ringe des Seth gefunden und zerstört werden mussten. Ja, es war nun auch sicher, wie genau sie zerstört werden konnten. "Tochter Jassura, dieser Seth ist keine reine Erzählung. Es gibt ihn. Er ist kein lebendes Wesen, sondern ein uralter, böser Geist, der irgendwo auf dieser Erdkugel in einem Zaubergefäß steckt und immer wieder hofft, dass jemand mit genug Schuld und Machtgier seinen Rat erbittet. Meine Vorfahren hatten schon mit Dienern dieses bösen Geistes zu tun, dessen wahren Namen nur eingeweihte Träger des Sternes erfahren dürfen, wenn sie alt und erfahren genug sind, gegen seine Helfer zu kämpfen. Sicher war ich erschrocken, als ich erfuhr, dass die Geschichten um diese dunklen Kristalle genauso wahr sind wie die um den bösen Geist, den seine ägyptischen Anbeter Seth nennen oder auch den höchsten Diener der alles endenden Nacht. Ganz gleich, ob ich Buramesch den Heilsstern übergebe und damit die Überlieferung erfülle oder sterbe, ohne ihm den Stern zu geben. Er ist der nächste, der ihn tragen muss, will er nicht von den Feinden unserer Sippe wehrlos niedergemacht werden."
"Ja, und laut eurer Überlieferung dürfen die Mütter und Frauen von Sternenträgern nicht alles wissen, richtig?" hatte Jassura entgegnet. Ihr Vater hatte dann entgegengehalten, dass es zwei weibliche Nachfahren der Ureltern gab, die ihrerseits den ersten Töchtern oder den ersten Töchtern ihrer ersten Söhne ihren Stern weitervererbten. Also durften die Mütter von späteren Sternträgerinnen durchaus alles wissen, was die Siebenheit der Sippen Ashtarias im Laufe ihrer jahrtausendelangen Geschichte zusammentragen konnte.
Jetzt saß sie hier und musste abwarten, ob ihr Sohn mit oder ohne den Stern zurückkam.
Nur drei Räume weiter fort sangen Uschanaguran und sein Enkel Lieder von großen Reisen und lieben Zauberwesen, die halfen, dass böse Sachen zu guten Sachen wurden oder den Menschen nichts mehr tun konnten. Dann stellte der Träger des Silbersterns seinem erstgeborenen Enkelsohn die entscheidende Frage:
"Buramesch, Sohn meiner geliebten Tochter Jassura, ich habe dich zu mir hingerufen, um dir zu sagen, dass meine Zeit gekommen ist, zu den anderen zu gehen, die vor mir da waren, bevor die Todesfrau meint, mich in irgendein lichtloses Schattenland zu bringen. Deshalb frage ich dich, Sohn meiner Tochter, bist du bereit, möchtest du mir helfen, in Frieden und Ruhe hinüberzugehen und von mir das annehmen, was ich von meinem Vater erhielt und der von seinem Vater? Dann sage ja! Wenn du das nicht möchtest sageinfach nein."
Buramesch sah den silbernen Stern auf der sich hebenden und senkenden Brust seines Großvaters liegen. Das Ding sah sehr schön aus und machte auch, dass er sich ganz ruhig und entspannt fühlte. Er sollte den bekommen, damit sein Großvater in Ruhe einschlafen und zu den anderen gehen konnte, die vor ihm da gewesen waren. Er dachte, was seine Mutter gesagt hatte, dass es nicht immer nett und lustig war, diesen Stern zu haben. Doch sein Großvater hatte ihm erzählt, wie ganz wichtig das war, dass jemand diesen Stern bei sich hatte, um böse Sachen wegzumachen oder bei bösen Zauberern und Zauberinnen zu machen, keinem anderen was böses zu tun. Er wusste, dass er noch lange nicht groß genug war, gegen echt böse Ungeheuer oder Zauberer zu kämpfen. Aber der Stern würde ihn und seine Geschwister beschützen, wenn solche Ungeheuer zu ihm hinkamen. Ja, deshalb wollte er den Stern jetzt auch nehmen, wenn sein Großvater das ihm erlaubte. So sagte er laut und vernehmlich: "Ja, Großvater, ich möchte ihn nehmen."
"Dann fass ihn an und sing mit mir die ganz ganz alte Zauberformel, die Licht, Leben und Liebe zusammenbringt!" sagte Uschanaguran ganz beruhigt klingend.
Buramesch legte seine rechte Hand auf den silbernen, angenehm warmen Stern. Dann sangen beide die alte Zauberformel, die sein Großvater ihm in den letzten Tagen immer und immer wieder vorgesungen hatte.
"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"
Buramesch fühlte, dass es noch wärmer wurde, nicht nur an der Hand, sondern in ihm selbst drin. Der Stern wurde golden und immer heller. Das tat aber nicht weh in den Augen. Dann fühlte sich das so an, als wenn er ganz ruhig in einer großen, goldenen Halle in der Luft flog. Eigentlich hatte der doch immer Angst vor dem Herumfliegen gehabt. Doch hier war das gerade überhaupt nicht so. Dann hörte er die Stimme seines Großvaters irgendwie so, als wäre die genau in seinem Kopf drin: "Buramesch, Sohn meiner Tochter Jassura, ich danke dir für dein Vertrauen, deinen Mut und deine Liebe. So kann ich endlich zu den anderen hinübergehen. Gehe deinen Weg mit gerade hochgehaltenem Kopf und lasse dich nicht durch Angst oder Wut auf böse Sachen bringen. Wenn ich eingeschlafen bin sage deiner Mutter, sie möchte Windjäger zu denen hinschicken, deren Wohnorte ich auf dem kleinen Papyrus in der sonnengelben Schachtel aufgeschrieben habe. Das sind alles sehr liebe Menschen, die auch alle einen Silberstern tragen. Wenn du groß bist such dir eine liebe Frau und hab mit ihr neue Kinder. Wie das geht wirst du noch lernen. Wenn du einen Sohn hast gib ihm den Stern, wenn du und nur du merkst, dass deine Zeit gekommen ist. Wenn du Töchter hast warte, bis die erste von denen einen Sohn hat, dem gibst du dann den Stern, wenn du und nur du weißt, dass es Zeit ist. Lebe dein Leben in Frieden und Güte, Sohn meiner Tochter!"
Dann sah Buramesch noch Bilder vor sich, wie sein Großvater gegen gefährliche Zauberer gekämpft hatte und auch, wie er mit einem anderen Zauberer eine große mit Silber beschlagene Kiste in einen Raum getragen und dann mit einem gemeinsamen Zauber ganz weggemacht hatte, unsichtbar und unangreifbar, wie er es jetzt zum ersten mal hörte und auch den Namen von dem, was in der Kiste war, "Das Buch des nimmersatten, felsengrauen Riesenunholds".
Wie lange Buramesch in diesem goldenen Licht geflogen war und wie viele Sachen aus dem, was sein Großvater gemacht hatte er gesehen hatte wusste er nicht. Als das alles weg war und er wieder mit seinem jetzt ganz still und friedlich daliegenden Großvater allein war merkte er, dass er gerade mitgeholfen hatte, dass sein Großvater es geschafft hatte, zu den anderen zu gehen, die vor ihm da waren. Dann hörte er noch eine starke, aber ganz freundlich klingende Frauenstimme in sich selbst sagen: "Buramesch, früher Erbe einer großen Aufgabe. Nimm dein Erbe an und trage es, bis du alt genug bist, das zu tun, was dein Großvater und seine Vorväter getan haben. Erst dann treffe dich mit den anderen sechs Kinder nmeiner großen, alten Sippe! Das möchte ich von dir, ich, Ashtaria, die erste Mutter eurer Sippe."
Danach war Buramesch mit sich und seinen Ganzen Erlebnissen alleine. Er wusste, dass sein Großvater nicht mehr aufwachen würde. Tot hieß das und machte eigentlich allen Angst oder war ganz traurig. Aber für seinen Großvater war es nicht traurig, sondern ein ganz großer Gewinn. Er nahm den Silberstern, zog ihn ganz vorsichtig an der Kette über den Kopf des ganz still daliegenden Großvaters und hängte ihn sich dann selbst um.
Mit dem Stern vor dem Bauch, fast da, wo sein kleiner Zipfel war, ging er zurück zu seiner Mutter und erzählte ihr, dass Großvater jetzt für immer schlafen würde, damit er bei den anderen sein konnte, die vor ihm da waren. Seine Mutter musste erst weinen. Doch dann sagte sie: "So kann einer das auch sagen." Dann ging sie selbst hinüber, um sich von ihrem Vater zu verabschieden. Sie musste ihre Wut niederhalten, dass er sie und Buramesch so früh mit diesem Erbe beladen hatte. Doch als sie ihn sah, ganz friedlich mit geschlossenen Augen daliegend, konnte sie nicht mehr wütend sein. Sie sah ihn an und sagte nur: "Ich hoffe, Buramesch muss niemals bereuen, was du ihm jetzt schon aufgeladen hast, Vater. Schlaf wohl und in Frieden!"
Die weise Frau hatte ihm doch einen Schlaftrunk zu schlucken verabreicht. Eigentlich hatte er darauf bestanden, bei der Geburt seines ersten Kindes dabei zu sein. Doch Frau Saniara hatte gesagt, dass sowas für Männer ein sehr bestürzender Anblick sei. Dann hatte sie ihm noch einen Tee zur Beruhigung gereicht. Ja, beruhigt war er dann gewesen. Denn als er wieder aufwachte strahlte ihn die weise Frau an und sagte: "Ah, du bist wieder wach, Buramesch. Dein Sohn wartet schon, seinem Vater in die Augen sehen zu dürfen."
Seine Frau Igiara saß auf einer weichen Bettstatt im Raum der neuen Ankunft und hielt ein kleines Bündel mit großem, dunkelhaarigen Kopf in ihren Armen. Sie lächelte gequält. Offenbar hatte sie sehr große Schmerzen ertragen müssen. Dann sagte sie sehr stolz: "Hallo mein geliebter Angetrauter, das ist dein Sohn. Welchen Namen soll er tragen?"
Der Neugeborene wurde so gedreht, dass er seinen Vater ansehen konnte. Sein kleines, noch von den Anstrengungen der Geburt faltiges Gesicht blickte ihn mit einer Mischung aus Unsicherheit und Verdrossenheit an. Da wusste Buramesch, dass der kleine Junge Andurscharan heißen sollte, wie sein Urururgroßvater, dem sein Vater auch gesagt hatte, dass er bei seiner Geburt sehr unzufrieden ausgesehen hatte. Also war er hier Andurscharan der zweite, ja, und irgendwann würde er diesen silbernen Stern bekommen, den Buramesch seit zwanzig Jahren unter seinen Gewändern versteckte, bis auf drei Gelegenheiten, die Zusammenkunft der sieben Sternträger, wo er auch erzählt hatte, dass er einen dunklen Kristall durch bloßes anfassen zerkrümelt hatte, der Kampf gegen drei Heere der Söhne Seths, die versuchten, die geheimen Räume der Bibliothek von Alexandria zu stürmen, weil dort auch dunkles Zauberwissen aufbewahrt wurde, sowie bei der unheimlichen Begegnung mit der kinderäugigen Windstochter , die seinen Neffen Illiangasch entführen und auf ihre Art fressen wollte.
Die Söhne des Seth, das waren im Moment seine Hauptfeinde, denn die Windstochter schlief nach der Freisetzung der Kraft seines Heilssterns sicher noch in ihrem geheimen Versteck, wo sie nur jemand mit ungeweckter Zauberkraft wieder aufwecken konnte.
Da war Andurscharan und fing an zu schreien, wohl weil der große Mensch da vor ihm nicht so aussah und roch wie seine Mutter. Buramesch lächelte und begrüßte seinen neugeborenen Sohn. Der war jetzt noch ein Grund mehr, das Erbe Ashtarias zu erhalten und sich seiner immer würdig zu erweisen.
Ushanagurans Erbe hatte in den Jahren mit vielen Gefahren zu tun. Dabei half nicht, dass sich die Römer mit den Kathargern und auch mit afrikanischen Völkern bekriegten.
Buramesch übernahm das Erbe seines Großvaters und wurde Hüter der magischen Abteilung des Musaion von Alexandria. Dabei erfuhr er auch von den wirklich finsteren Hinterlassenschaften alter Zeiten. So wurde er einmal gerufen, um die Echtheit einer Aussage zu prüfen, demnach es im Land der Skyten ein riesenhaftes Grabmal geben sollte, in dem die Göttermutter aller Amazonen ruhen sollte, die bei den Hellenen auch als Titanin Bia bekannt gewesen sein sollte. als sein paar überneugierige Zauberer das in einer tiefen Höhle angelegte Grab wahrhaftig fanden und neben einem viele Dutzend Klafter langen Knochengerüst einer Frau auch die Teile einer vorzeitlichen Rüstung fanden, die dazu passte und einer nicht die Hände bei sich behalten konnte, das mindestens dreißig Klafter lange, zweischneidige Schwert anzufassen, um seine Beschaffenheit zu prüfen, wuchs dieser innerhalb von nur drei Atemzügen zu risenhafter Größe, wobei sich für einige Atemzüge auch sein Geschlecht von männlich zu weiblich änderte. Die Zeugen dieser unheimlichen Umwandlung zogen sich schnell zurück. Doch Buramesch blieb und erlebte mit, wie der zur Überriesin umgewandelte erst umherblickte und dann mit einem lauten Aufschrei das gerade gut in der Hand liegende Schwert in den eigenen Leib rammte und unter roten Funken innerhalb zweier Herzschläge wieder zusammenschrumpfte und dann in einem letzten roten Lichtblitz zu Asche zerfiel. Laut scheppernd war das Schwert der Bia dann auf dem Boden aufgeschlagen. So war Buramesch die traurige Pflicht geblieben, den anderen vom jähen Tod ihres Mitforschers zu berichten und den Zugang zur Grabkammer der Titanin mit Felsgestein und magischen Barrieren zu verschließen. Allerdings mochte jemand irgendwann so tollkühn sein, eine natürlich geborene und gereifte Frau mitzubringen, um Bia doch noch einen neuen Körper zu geben. Daher mussten sie alle bekannten magischen Siegel anbringen und am Ende die Lage des Grabes als unggreifbare Erinnerungen in sich festlegen. Die Schrift, wo es erwähnt wurde, wurde genau wie das Buch des grauen, nimmersatten Riesenunholds in einem der Zeit vorauseilendem Würfel versteckt, damit niemand auf die Idee kam, nach dem Grab zu suchen. So blieb Buramesch einer von wenigen, die sich an dieses unheilvolle Grab erinnerten.
Vor allem galt es, die Söhne Seths zu finden und zu entmachten. Da Buramesch nun wusste, dass es dem Ringträger den Tod brachte, wenn er entwaffnet wurde und er bei der endgültigen Einbeschwörung mit den sechs anderen gelobt hatte, nicht mit Absicht denkfähige Wesen zu töten mussten sie was anderes tun. Sie erkannten, dass Heilszauber die Macht eines Unlichtkristalls aufheben konnten, ebenso die Schreie neugeborener Kinder. Allerdings war es ausgeschlossen, unschuldige Säuglinge zu einer Schlacht mitzunehmen.
Die Schwierigkeit, nicht töten zu dürfen aber böse Wesen aufhalten zu müssen führte dazu, dass die Heilssternträger nur dort eingreifen konnten, wo dunkle Zauberkraft bekämpft werden konnte oder unter Unterwerfungszauber stehende Seth-Diener aus der magischen Versklavung erlöst werden konnten. Indes nutzten andere Zauberer und Zauberinnen aus, dass Kristalle eine Eigenschwingungszahl besaßen, bei der sie zerbrachen. Sie erschufen tragbare Vorrichtungen, die magische Wechselwirkungen erzeugten, die in ihrer Geschwindigkeit verändert werden konnten. So gelang es tatsächlich vier der Seth-Diener ihre Ringe in Schwingungen zu versetzen, dass sie sich und ihre Träger handlungsunfähig machten, ja, die Träger selbst zu Kristall erstarren ließen, bevor sie unter den auf sie treffenden Schwingungen zersprangen und zu Staub wurden.
Die verbliebenen Seth-Söhne zogen sich daraufhin zurück, um nur noch aus dem Hintergrund zu wirken. Die Jäger waren jetzt die Gejagten, bis Seth oder Iaxathan, wie der böse Geist, dem sie dienten, wirklich hieß, auf die Eingebung verfiel, den ihm nacheifernden Geist des dunklen Pharaos unterwerfen zu wollen.
Buramesh und die im oberen Niltal wohnende Heilssternträgerin Asathna aus der Linie der Isa konnten in einer Wintersonnenwendnacht mitverfolgen, wie Ixandesh, ein Ringträger, mit einer Horde blutroter Geisterwesen zu jener Stelle reiste, wo sich tief im Sand die umgekehrte Pyramide des dunklen Pharaos befand. Dessen Geist war dort nach dem Tod seines Körpers eingekerkert und erhoffte seine Rückkehr in einem lebenden Körper.
Als die Blutgeister erschienen zeigte sich, dass der bei Annäherung mächtiger Feinde entstehende Schutzzauber eines Heilssterns mit dem gleichen eines zweiten Sternes zu einer beide Träger zusammenwuchs und falls wie da gerade verwendet deren Flugteppich in eine blau-goldene Lichtkugel einschloss. Da sie nicht vorhatten, gegen Ixandesh und seine Blutgeister zu kämpfen, solange kein unschuldiger Mensch in Gefahr war konnten sie unerkannt und unbehelligt beobachten, wie die Blutgeister in den Boden eindrangen und der auf einem mit der Halskette der Knechtschaft unterworfenem Feuerlöwen reitende Ixandesh trotz eines starken als nachtschwarze Wolke erscheinenden Schutzzaubers in eine plötzlich aufklaffende Bodenspalte stürzte und der Erdspalt sich gleich danach wieder schloss. Dann war die silber-blaue Nachbildung des Feuerlöwens aus dem Boden geschossen, zwanzig Manneslängen nach oben gestiegenund dann in einem Regen aus silbernen und blauen Funken zerstoben. Was mit Ixandesh geschehen war blieb offen.
Immerhin hatten es Buramesch und die zwanzig Jahre ältere Asathna ausgehandelt, dass Burameschs Großnichte den Großneffen Asathnas heiratete, wodurch Burameschs Sippe doch noch auf ein paar schöne Töchter mit dem schwarzen, leicht gewelltem Haar und den dunkelbraunen Augen Asathnas hoffen konnte. unmittelbare oder sicher noch künftige Erben der Heilssterne durften einander nicht heiraten, so ein Gesetz der Ureltern, damit die sieben Linien nicht ineinanderflossen, sondern als sauber getrennte Siebenheit der Sippen bestehen blieben.
Er war auch froh, dass er die wohl schlimmste Hinterlassenschaft der Söhne Seths zumindest untätig machen konnte, eine große, mit dem Leid und dunklen Gedanken von Menschen genährte Anlage, die als "Das Herz des Seth" bezeichnet wurde. Es zu zerstören wäre bei der dort angesammelten Menge von Hass und Mordgedanken verwerflich gewesen. außerdem hatten die Erbauer etwas eingefügt, dass die Träger eines Heilssterns von den anderen Zauberern und Zauberinnen unterscheiden konnte. Buramesch hatte es gerade noch rechtzeitig mitbekommen, dass bei Eintritt eines Heilssternträgers die sofortige Freisetzung aller zerstörerischen Gedanken und Gefühle stattfand. So war nur geblieben, den Standort weiträumig mit Zaubern zu bestücken, die arglose Menschen darauf brachten, auf dem weiterführenden Weg nichts wertvolles oder wichtiges zu finden, sowie bei den dort als Wandervölker lebenden Wüstenstämmen die Angst vor dem Land des schlafenden Ungeistes zu verankern, dass sie weit genug davon entfernt blieben. Das Vorgehen war ein Erfolg. Denn das Herz des Seth schlug immer langsamer und schwächer, bis es eines Tages völlig zur Ruhe kam. Doch Buramesch war sicher, dass eine ausreichende Zahl von gewaltsamen Toden es wieder anregen mochte.
Andurscharan zählte auch schon 170 Jahre und bekleidete als oberster Rat für magische Heilkunst eine nicht minderwichtige Stellung wie sein Vater Buramesch. Trotz dessen unzähliger Reisen und sehr gefährlicher Erlebnisse hatte es der lebende Träger eines Heilssterns geschafft, über hundertneunzig Jahre alt zu werden. Doch das Alter machte vor den Heilssternträgern keinen Halt. So hatten Burameschs Beweglichkeit und Ausdauer immer mehr nachgelassen. Trotz bekannter Heiltränke gegen Altersgebrechen ließ sich der Verlauf nur verlangsamen, aber nicht aufhalten. So hatte Buramesch seit zwanzig Jahren immer wieder von solchen Tränken Gebrauch gemacht und damit noch einige Angelegenheiten geregelt, die er abschließen wollte. Doch jetzt war der Tag, den Andurscharan nie gewollt doch immer erwartet hatte. Und er fragte sich, ob er nicht schon zu alt war, diese Last zu schultern und im Sinne ihrer Schöpferin zu handeln.
Er hatte selbst doch schon zwei Söhne, sieben Enkelsöhne und zwölf Urenkel hinbekommen. Die Folge blieb also gewahrt. Doch sein Vater Buramesch hatte ihn, Andurscharan, seinen Erstgeborenen, zu sich gerufen.
"Hallo Vater, ich ging davon aus, dass du deinen zweihundertsten Sommer noch erleben möchtest", grüßte Andurscharan den noch betagteren Mann als jener, der er selbst war. Der Gebrauch von Ausdauertränken hatte Buramesch abmagern lassen. Bis zu einem Knochengerüst fehlten nur noch wenige Fingerbreit, musste Andurscharan feststellen.
"Sicher könnte ich das, aber dann wohl nur als Knochenmann mit durch die Rippen blasendem Wind, der mich auf zehn römische Meilen verrät. Abgesehen davon ist seit dem Tod deiner Mutter die Wärme aus dem Haus entschwunden, die mich immer wieder heimgeführt hat. Warum musste sie zuerst gehen", seufzte Buramesch. Andurscharan fühlte ihm das nach. Als seine Mutter Igiara vor zwei Jahren einen tödlichen Schlaganfall erlitten hatte und er, der Heiler, nichts mehr für sie hatte tun können als ihr die Augen zu schließen, hatten beide gestandenen Männer geweint wie Säuglinge, denen die Nuckel weggenommen worden waren. Igiara war der ruhige Punkt des Hauses, der fleischgewordene heimische Herd, an dem alle Angehörigen Wärme und Nahrung für Leib und Seele erhalten hatten. Tatsächlich hatte Andurscharans Vater bereits an dem Tag gedacht, zu den Vorausgegangenen hinüberzugehen. Doch offenbar galt es als ein ehernes Gesetz, dass der Übergang in Ruhe, Frieden und ggegenseitiger Erleichterung stattfinden musste, nicht in Trauer oder Verzweiflung. So hatte die Zeit, die alles gebiert und wieder verschlingt, die Seelenwunde weniger schmerzhaft werden lassen. Dann fiel Andurscharan ein, dass morgen Sommersonnenwende war. Die vielen hier in Alexandria bestehenden Sonnenkulte würden diesen Tag sehr fröhlich und sehr bunt und klangvoll feiern, ob ihr Sonnengott Helios, Apollo, Sol, Ra oder Shamash gerufen wurde.
"Gerade weil ich diesen Tag mit der beruhigenden Gewissheit anbrechen lassen möchte, dass du, mein erster Sohn, nicht mehr warten musst, sondern mit den anderen feiern gehen darfst, habe ich dich gerufen, dir heute dein Erbe zu übergeben, um die Wende zu einer neuen Zeit, zu einem neuen Wegabschnitt einzuleiten", sagte Andurscharans Vater mit brüchiger Stimme. Sein marmorweißer Bart wippte, als er lachte. Dann wurde er wieder ernst. "Und bevor du mir damit kommst, dass dein Sohn Issuran vierzig Jahre jünger ist als du und deshalb diesen Weg besser beschreiten kann als du und so weiter so darf die Folge nicht übersprungen werden, wenn ein geschlechtsgleicher Erbe in direkter Abfolge geboren ist. Tja, hättest damals als Mädchen zur Welt kommen sollen. Dann könnte ich jetzt Issuran den Heilsstern anbieten. Nur am Ende wäre aus dem auch eine Tochter geworden. Nein, ist schon ganz im Sinne unserer Vorfahren, wenn du jetzt die Frage beantwortest, die mir dein Urgroßvater Uschanaguran gestellt hat, wo ich mehr als eine halbe Manneslänge kürzer und um den Bauch herum wesentlich runder war." Er hustete einmal trocken. Dann stellte er mit der wohl letzten Kraft der Entschlossenheit die letzte Frage seines Lebens, ob Andurscharan das Erbe annehmen und in dessen Sinne nutzen würde. Andurscharan bejahte es laut. Dann durfte er den Heilsstern anfassen, den Sharvas, der erste Sohn Ashtarias, getragen hatte. Sie sprachen beide die uralte Heils- und Machtformel.
als sie gerade verhallte fühlte sich Andurscharan in einer goldenen Kugelschale schweben und hörte die Stimme seines Vaters: "Hüte die Gräber der Titanen, auf dass keiner von denen mehr aufersteht und halte den Hort des dunklen Herzens von Seth unter Beobachtung, dass niemand mehr dort durch Gewalttat stirbt! Sei weiterhin ein gütiger und aufrechter Heilmagier und achte die Frauen deiner Sippe ebenso wie die Männer! Dann wirst du dann, wenn dein letzter Tag kommt genauso dankbar und beruhigt hinübergehen. Lebe wohl und erfolgreich. " Dann erfuhr Andurscharan durch in seinen Geist einfließende Bilder vieles, was Buramesch erlebt hatte, aber auch was andere Vorfahren wie Uschanaguran erlebt hatten. Dann war es vorbei. Burameschs Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sein letzter Atemhauch war ruhig und leise entwichen. Seine Augen waren geschlossen.
Andurscharan nahm behutsam den silbernen Fünfzackstern an sich und hängte ihn sich um. Kaum berührte er dessen Brustkorb hörte er eine Frauenstimme, die er bis dahin noch nicht vernommen hatte: "Gib deinem Leben noch genug Jahre, dass jene erwachsen werden können, die du zur Jetztzeit noch als hoffnungsvolle Wölbungen in den Leibern ihrer Mütter erkennen kannst!"
Das war also Ashtaria, dachte Andurscharan. Sie wollte, dass er nicht gleich morgen seinem ersten Sohn den Stern anbot. Vielleicht sollte er damit noch etwas wichtiges erfüllen oder eben nur noch ein paar erhabene Jahre erleben. So verließ er ohne Trauer und Verdrossenheit die Schlafstube seines Vaters. Er würde es gleich seinen Verwandten mitteilen, dass sein Vater ihm das Erbe übergeben hatte. Die Frauenund Kinder durften dann um ihn weinen, wie sie schon um Andurscharans Mutter geweint hatten.
Vor dem Haus traf er die alte Asathna. Ihr leicht gewelltes Haar hatte die Nachtschwärze verloren. Doch es war nicht so weiß wie Marmor oder wie der Schnee auf den hohen Bergen, sondern mondlichtsilbern. Das machte sie irgendwie noch erhabener.
"Er hat ihn dir doch schon heute überreicht?" fragte sie. Andurscharan bejahte es. "Er möchte, dass ich das Sonnenwendfest als fröhlich mitfeiernder Mann erlebe."
"Und hat auch sie zu dir gesprochen?"
"Ja, das hat sie", sagte er. Doch er verschwieg was genau sie ihm gesagt hatte. Sein Vater hatte erwähnt, dass es nicht schicklich war, Ashtarias geheime Ratschläge oder Anweisungen weiterzuerzählen. Was sie einem im Augenblick des Übergangs sagte galt für den, der das Erbe erhielt, für niemanden sonst. So sagte er nur, dass er jetzt seine Frau und seine Kinder, Enkel und Urenkel aufsuchen würde. "Von deinen Urenkeln sind einige aus meiner Linie", sagte Asathna. Sie strahlte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an, die wie die Verheißung des kommenden Sonnenaufgangs waren.
"Ich bedanke mich auf jeden Fall dafür, dass du meinem Vater in den ersten Jahren geholfen hast, als er noch zusehen musste, wie er sein Erbe nutzen musste."
"Das war ich meiner Vormutter Isa schuldig, die ja die Schwester eures Urvaters Sharvas war", sagte Asathna. Dann gingen sie beide ihrer Wege, um sich irgendwann in den kommenden Jahren immer wieder zu begegnen, bis entweder sie oder er den Tag für gekommen hielt, sofern das Schicksal sie nicht vorher abberief und der Stern dann in das Haus der Geburt des letzten Trägers zurückkehrte und von seinem Erben erworben werden musste.
Das Grab der ruhelosen Herzen, so hieß diese Gegend der Sahara. Seit zweitausend Jahren und einigen mehr galt es als tödlich, in diesem Gebiet zu lagern. Hier sollten der Legende nach über tausend unschuldige Menschen einem unter der Erde wohnenden Dämon geopfert worden sein. Weil dieses Ungeheuer die Seelen der Getöteten verschlang hörten deren Herzen nicht zu schlagen auf, hieß es. Nur weil hier lange niemand mehr war sollten die ruhelosen Herzen und der sie am Leben haltende Dämon schlafen, bis hier erneut Menschen starben oder töteten.
Der Mann, der sich "Der Sandsturm" nannte, hatte deshalb nach dem letzten großen Ding diesen Ort als Rückzugsgebiet gewählt. Doch offenbar hatte da jemand geplaudert. Denn seine Wachen meldeten, dass drei Lastwagenkolonnen auf ihn zukamen. Deshalb hatte er seine Leute auf ihre Abwehrposten geschickt. Als einer von denen unter Berufung auf die Legende vom Dämonenland aufbegehrte zog Abdul seine schwere Armeepistole und rief: "Dann grüße diesen Dämon von Abdul, dem Sandsturm!" dann schickte er den Feigling zu dessen Vorvätern. "Wer noch?" hatte er dann gefragt. Doch keiner riskierte es.
"Wenn es Faruks Leute sind haltet bloß den Himmel im Blick. Der lässt gerne Leute am Boden angreifen und kommt dann mit seinen drei von Ägypten abgehandelten Hubschraubern", warnte Abdul. Dann grinste er. "Feuerstachel, wie weit hast du die Jungs mit den Stingers?"
"Sieben können das, Boss. Wir haben vierzig Raketen. Uns kommt keiner von oben, ob Jet oder Heli."
"Okay, lass deine Jungs antreten und sichere Ausgangsstellung nehmen. Wenn doch was von oben kommt wird das sofort und ohne Rückfrage vom Himmel geputzt! Ist das verstanden?"
"Ja, ist verstanden, Hauptmann", sagte der mit Feuerstachel angesprochene und besah den mal eben getöteten. Zumindest lief sein Blut nicht durch den Zeltboden in den Sand. Doch es war nur noch eine Frage von Minuten, bis hier weiteres Blut vergossen wurde.
"Heute ist ein geschichtsträchtiger Tag, an dem der Sandsturm den Blitz besiegt", sinnierte der Hauptmann einer berüchtigten Räuberbande. Dann war der Augenblick da, wo eine zweite, nicht minder berüchtigte Räuberbande auf Schussweite heran war. Da Abdul davon ausging, dass die in den Lastwagen nur einen Scheinangriff fuhren ließ er noch nicht schießen. Erst als ein Schwarm von Leuchtspurgeschossen und Panzerbrechern auf die in gepanzerten Trucks postierten Kameraden zufegte ließ Abdul das Gegenfeuer eröffnen. Er selbst hatte sich in seinen fahrenden Kommandobunker zurückgezogen, einen Vierzigtonner, dessen Auflieger ein einziger dicker Stahlcontainer mit eigener Luftversorgung war. Dreizöllige Panzerplatten in den Wänden und eine fünfzöllige, durchgehende Stahlplatte im Boden machten sein Fahrzeug für einfache MGs unknackbar und für Panzerfäuste schwer zu knacken. Außerdem konnte er zusammen mit seinen engsten Vertrauten von drinnen die schwenkbaren MGs und Flammenwerfer bedienen, um sich zudringliche Leute vom Hals zu schaffen. Wenn "der Blitz" einschlug hatte er den dafür passenden Farraday'schen Käfig um sich herum.
Der Hagel aus Schnellfeuerwaffen und das wilde Schwirren von Leuchtspurgeschossen erfüllte die Ebene und tauchte sie in ein bläulich-rotes Flackerlicht, als sei sie der Vorhof zur Hölle, ob die der Christen oder jene der Muslime. Dafür, dass es ein Scheinangriff sein mochte beharkten die Angreifer die hier lagernden Banditen sehr heftig. Nach nur einer halben Minute waren auf beiden Seiten schon zehn Kämpfer gestorben. Zwei der Angriffsfahrzeuge wurden so heftig getroffen, dass sie als lichterloh brennende Wracks über den Sand schabten. Die Raketenschützen waren jedoch noch in sicherer Deckung. Sie sollten erst hervorkommen, wenn sie auch was zum zielen hatten.
"Ach, da ist er ja!" rief Abdul über das laute Hämmern von Geschossen an die Panzerwände hinweg. Tatsächlich stießen von oben drei Helikopter nieder. Zwei flankierten den dritten, wendigsten von ihnen. Die zwei größeren schwenkten wohl Waffen auf das Lager ein, als ihnen gleich je zwei Raketen entgegenjagten. Doch die Hubschrauber spien gleißend helle Hitzeköder aus, in die die abgefeuerten Raketen voll hineinkrachten und für die Helikopter unschädlich verpufften. "Schweinefresser!" stieß Abdul aus. Dann belferten die MGs der Helikopter los, um sich das Landefeld freizufegen. Doch da jagte eine weitere Rakete zwischen den Hitzeködern hindurch zielsicher in den Rotor der Maschine rechts außen. Eine weitere stieß eine Flammenspur ziehend von ganz unten und wich einem der Hitzeköder aus und jagte ebenfalls in den wild wirbelnden Rotor. Dieser zerstob unter der Explosion zu tausenden wild in alle Richtung schwirrenden Geschossen. "Ups!!" Grinste Abdul. Er ging davon aus, dass Faruk der Blitz in der kleineren Maschine saß, die jetzt genauso wie ein Stein vom Himmel fiel wie ihre große Schwester. Keine fünf Sekunden später zerfetzten zwei weitere Raketen die Rotorblätter der dritten Maschine.
"Öhm, wie ging denn das jetzt? Stingers sind doch Hitzesucher", fragte Omar.
"Tja, Feuerstachel ist eben ein ganz schlauer. Der hat ein Dutzend von den Raketen so gepolt, dass sie Hitzequellen ausweichen um dafür bestimmte Schallquellen anzusteuern, eben Rotorblätter. Wusste ich bis gestern auch nicht, dass sowas geht. Alles eine Frage der Software, meint Feuerstachel."
"Und wenn der Blitz jetzt in einer der Maschinen saß war es das?" fragte Omar mit einer gewissen Vorfreude. "Nur wenn seine Leute den Befehl haben, ihm uns vom Hals zu halten."
"Aber sie halten immer noch auf uns drauf", meinte Omar und erbleichte. Denn jetzt packten die Angreifer wirklich heftige Sachen aus, nämlich Panzerabwehrraketen. Mit denen schlugen sie in nur einer halben Minute eine so breite Bresche, dass die hinteren Wagen schneller vorrücken konnten. Dann sah Abdul die vier Feuerspuren, die immer länger wurden und dann mit lautem Knall an seinem Bunkerfahrzeug endeten. Die Panzerplatten beulten sich ein. Weitere Raketen flogen an und schlugen auf. Jetzt brach die erste Panzerplatte. Omar wollte in Panik aus dem Wagen, doch um ihn herum war die Luft voller MG-Geschosse, vor allem die Leuchtspurmunition erfüllte die Luft mit tödlicher Hitze.
Als zwei weitere Raketen die linke Panzerwand durchbrachen und mit lautem Getöse im Inneren des bis dahin unknackbaren Wagens detonierten rissen sie Abdul und Omar mit sich ins Verderben.
Obwohl beide Gruppen scheinbar ihrer Führung beraubt waren hielten die Verteidiger solange die Stellung, bis keiner von ihnen mehr stand. Die Angreifer rückten vor und erkannten, dass hier nichts mehr zu holen war. Die Zelte brannten lichterloh. Die Trucks waren nur noch brennende und qualmende Wracks, und der Boden war bedeckt mit schrecklich zugerichteten Leichen. Es war wie ein Kriegsschauplatz. In gewisser Weise war es ja auch genau das. Zwei Banden hatten sich hier eine Schlacht um Bestehen oder Vergehen geliefert. Es schien so, als wenn die Truppe von Faruk dem Blitz den Sieg davongetragen habe. Doch als die Angreifer johlend mit letzten MP-Salven um sich schießend aus ihren ebenso gut ramponierten Fahrzeugen kletterten um ihrem im kleinen, ausbrennenden Helikopter gestorbenen Boss zu helfen, flogen zehn Raketen von oben her an und schlugen mit lauten Explosionen Krater in den Boden. Keiner der Banditen überstand diesen unerwarteten Beschuss. Sie erfuhren nicht mehr, dass Faruk der Blitz in fünfzig Kilometern eine Sicherheitsgruppe postiert hatte, die bei Ausfall der heimlichen Lagesender in den Hubschraubern einen letzten Vergeltungsschlag ausführen sollten. So kam es, dass alle, die an der Schlacht auf dem sogenannten Grab der unruhigen Herzen teilgenommen hatten, ihr Leben, ihr Blut und auch ihre unsterbliche Seele verloren.
"Gut, Yassir und Jakub. Die glauben jetzt alle, mich hat es erwischt. Wenn das auch die Armee und die anderen glauben können wir uns jetzt ganz seelenruhig nach Südamerika absetzen", sagte ein sichtlich überlegen grinsender Mann mit schwarzem Vollbart.
"War schon eine gute Idee, eine Satellitenverbindung zur Kommandokopter-Drohne aufzubauen", sagte Yassir, der Elektronikspezialist von Faruks Bande. "Ja, durchaus. Deshalb kriegst du ja auch dreißig Prozent von allem, was wir zusammenbekommen haben. Such dir ein schönes Land aus und bleib mir schön aus dem Weg!" erwiderte Faruk der Blitz. Für ihn war die Angelegenheit jetzt erledigt. Abdul, der Frechling, war mit seiner ganzen Bande erledigt worden. Damit war die vor fünf Jahren fällig gewordene Blutrache erfüllt.
Die drei listigen Banditen lachten und tranken sich gegenseitig zu. Faruk erwähnte, dass er wohl nach Mexiko übersiedeln würde. Yassir wollte nach Peru, weil er da Verwandte hatte. Jakub überlegte noch, ob er nach Brasilien oder Argentinien übersiedeln sollte.
Unvermittelt überkam Faruk und Jakub eine grimmige Kälte, die in ihnen selbst entstand und sich blitzartig vom Bauch in alle Teile ihrer Körper ausbreitete. . Dazu befiel sie beide ein starkes Schwindelgefühl. Alles drehte sich um den Banditen, der als "Der Blitz" bekannt gewesen war. Dann verlor er die Besinnung und bald auch das Leben.
Yassir sah, wie die beiden früheren Kumpane erst erbleichten und dann verstört um sich blickten. Als sie begriffen, was los war konnten sie schon nichts mehr machen. Sie klappten zusammen wie Taschenmesser und blieben liegen. Yassir zählte in Gedanken die Sekunden. Als er bei zehn ankam und die beiden anderen immer noch bewegungslos dalagen prüfte er vorsichtig, ob beide noch atmeten. Weil dem nicht so war prüfte er ihren Pulsschlag. Dabei erkannte er, dass sie schlagartig um mehr als zzwanzig Grad abgekühlt waren. Das hatte sie ihm nicht erzählt, dass das passierte. Doch er wusste jetzt, dass die beiden nicht mehr lebten. "tja, wolltest schlauer sein als wir anderen zusammen", grummelte Yassir überlegen auf Faruk deutend. Dann wandte er sich einem auf Energiesparmodus geschalteten Klapprechner zu, schaltete diesen ein und wählte den passwortgeschützten Ordner "Ruhestand" aus, den Faruk angelegt hatte. Er tippte das zwanzigstellige Passwort ein und bekam Zugriff auf die darin gespeicherten Daten, unter anderem, wo Abdul das aus der Golderpressung vor drei Wochen erhaltene Geld hingeschickt hatte. War doch gut gewesen, wen auf der anderen Seite der Tür zu haben, dachte Yassir und sah wieder Faruk an. Das Nummernkonto, wo der in Schweizer Franken eingelöste Goldwert geparkt wurde, würde dann sie herausbekommen, weil sie zur Zürcher Commerce Internationale die besseren Drähte hatte als er. Er schloss den Ordner mit einer vierstelligen Zahl. Dann fuhr er den Rechner vollständig herunter. Der war sozusagen sein Einstand, wenn er in nicht einmal zwanzig Stunden in Lima sein würde. Er musste nur vorher bescheid geben, dass er verreisen konnte.
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Denn dafür gab es in ihm und in der erhabenen Stätte keine Möglichkeit. Er wachte auf, weil viele Dutzend gewaltsame Tode dunkle Echos hinterließen, die das Herz des Seth berührten und es nach langer langer Zeit wieder zum schlagen brachten. Mit ihm erwachte auch der Statthalter oder auch der dreifache Bruder und verließ den ihn beherbergenden Stein der bindenden Worte. Schlag für Schlag kam das Herz des Seth wieder in sein übliches Regelmaß. Seine Schläge drangen als nicht mit Ohren vernehmbare Rufe durch die Erde hinaus und brachten die Dunkelheit der Nacht zum sanften Schwingen. Die fleischlosen Werber erwachten ebenfalls aus ihrer Starre und wisperten. Der Statthalter überprüfte, ob alles noch so war, wie es sein sollte. Niemand hatte in der Zeit, die für ihn nicht war und deshalb nichts bedeutete versucht, in die erhabene Stätte einzudringen. Wer das auf dem kurzen Weg gewagt hätte wäre unweigerlich im Mittelpunkt des großen Herzens angekommen und hätte dort den langsamen Tod des Verhungerns oder Erstickens erlitten. Sonst war niemand über den Zugang eingedrungen.
Der Statthalter fühlte, dass jedoch etwas mächtiges das Herz von Seth erreicht haben musste, eine unbändige Kraft aus hundertfacher Angst, Pein und Zerstörungslust. Doch die hatte nicht die richtigen Stellen berührt, um das Herz von Seth zum neuen Schlag anzuregen. Doch dieser unverhofffte und völlig lautlos erfolgte Kraftzuwachs mochte reichen, alle verdorbenen Wesen mit und ohne festen Körper herbeizurufen und ihm darzubringen. Er brauchte nur abzuwarten.
Sie waren mal wieder zusammen, er und seine Liebesgöttin. Diese hatte sich in den letzten Monaten immer nur aus der Ferne bei ihm gemeldet, meistens um ihm und seinen zwei Mitstreitern Murat Gögzun und Ali ben Faruk mitzuteilen, dass sie auf besondere Menschen ohne Schatten oder echte Vampire zu achten hatten. Auch wollte sie bald eine neue Außenstelle der Firma in Nordafrika gründen. Doch im Moment war sie so nahe bei ihm wie es näher nicht mehr ging.
"Es ist immer noch wie in der ersten Nacht", lobte sie ihren Gespielen und hörigen Helfer, nachdem er die zweite Runde leidenschaftlicher Vereinigung mit ihr erlebt hatte. Er keuchte am Rande der Ohnmacht: "Das freut mich, meine Liebesgöttin. Dann sah er ihr in die nachtschwarzen Augen und meinte, darin zu versinken wie in großen, tiefschwarzen Seen. Er drehte sich noch von ihr weg. Dann war er völlig besinnungslos.
"Du musst nicht alles mitbekommen. Aber danke für deine Gabe", säuselte Ullituhilia. Dann lauschte sie. Was war das denn?
Es war wie ein lauter werdendes Raunen, tief unter der Erde. Dann war es wieder fort. Nach nur zehn ihrer Herzschläge war es wieder zu hören. Kam da schon wieder eine erdmagische Welle auf sie alle zu, oder versuchte einer der beiden ihr bekannten Erdmagiekundigen wieder was, um sie herauszufordern? Sie beschloss, in die Mitte des Erdteils überzuwechseln, um genauer zu erfahren, was da los war.
Als sie nur mit einem leisen Säuseln und ohne Kleidung ihren Standort wechselte erfasste sie den nächsten kurzen Schub von schwacher Magie. Nun konnte sie das Raunen verstehen. Es war ein in altägyptisch gesprochener Ruf: "Komm zur Statt des großen Gottes!" Da begriff sie. Es war also doch noch nicht verschwunden, sondern hatte nur geruht, wie sie, nur wesentlich längere Zeit. "Schwestern, das alte Herz des dunklen Hochkönigs schlägt wieder!" rief sie in das eigene Gefüge der gedanklichen Verbindung hinein. Sie brauchte keiner der anderen zu erklären, was sie meinte. Da meldete sich Thurainilla, die Tochter der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen.
"Dann hat die Woge des großen Erwachens es auch wieder angeregt. Wo bist du, Schwester?" Ullituhilia beschrieb ihr den Ort mit Begriffen, die sie noch gut kannten. Keine Minute später stand eine kleine, zierliche Frau in dunkler Kleidung auf dem Plateau, auf dem Ullituhilia gerade war. Vom Aussehen her stammte sie aus Ostasien. Dass sie und Ullituhilia dieselbe Mutter hatten war ihnen nicht anzusehen.
"Horch, gleich ist es wieder so weit", erwiderte Ullituhilia und ergriff die Hand ihrer Schwester. Da erfolgte auch schon der nächste für Ohren unhörbare Ruf. "Komm zur Statt des großen Gottes!" Thurainilla legte ihre freie Hand an die Schläfe und wand sich. "Sie erbebte und jammerte: "Nein, wie damals, wo nur du und Tarlahilia mich abhalten konntet, in dieses gefräßige Ding reinzuspringen."
"Es ist immer noch da, wo wir es zuletzt erfasst haben, Schwester. Kannst du ihm widerstehen?"
"Wir sind so weit davon weg, und doch dringt sein Rufen tief in mich ein. Ich muss den Mantel der schützenden Dunkelheit ausbreiten", stöhnte sie und wirkte ihren Zauber, der sie in eine tiefschwarze Wolke kleidete. Doch diese erbebte, als der nächste unhörbare Ruf kam. "Nein, es wird noch stärker, Ullituhilia. Wir müssen hier weg. Ich darf hier nicht bleiben, sonst spring ich doch noch in dieses gefräßige Ding rein wie ein Frosch in das Maul eines Krokodils."
"Dann ist es wahrlich von derselben Kraft verstärkt worden, die das Erwachen der tief schlafenden Schwestern bewirkt hat und uns alle mit mehr Kraft erfüllt hat", seufzte Ullituhilia. "Gut, kehr zurück in deine eigene Höhle. Am Besten bleibst du da solange, bis Tarlahilia und ich herausgefunden haben, wie wir es wieder in seinen Schlaf versetzen können, ohne dass es uns vorher auffrisst. Dieser Möchtegern-Dunkelgott. Wenn ich nicht wüsste, dass die Blutsaugergötzin ihn schon verschlungen hat würde ich ihn aus seinem kleinen Spiegel herausprügeln", schnaubte sie. Denn wie Thurainilla fühlte sie Angst. Das kam sehr, sehr selten vor und war daher sehr ärgerlich.
Sie half Thurainilla noch, ihren Weg zurück in ihre eigene Schlafhöhle zu finden. Dann weckte sie ihre Schwester Tarlahilia, die nicht gerade erfreut war, weil sie als Sonnenverbundene meistens bei Tag unterwegs war. Doch als sie erfuhr was geschah stellte sie sich bei Ullituhilia ein und lauschte mit ihr zusammen. "Ja, das ist das Herz des Seth, die auch für uns gefährliche Hinterlassenschaft des alten Königs der dunklenKräfte", sagte Tarlahilia. "Verständlich, dass meine den Nachtstunden verbundene Schwester sofort davon durchflutet wurde. Aber was machen wir nun damit?"
"Jedenfalls nicht nach Algerien reisen, solange wir nicht wissen, wie wir dieses Ding aufhalten können, ohne es zu zerstören."
"Es wird Zeit, dass Mutter wieder sie selbst wird", knurrte Tarlahilia. "Wenn ich bedenke, dass ich ihr geholfen habe, mit dieser Tiergestalt ..." Ullituhilia bestätigte es. "Wir alle haben gedacht, wir könnten ihr damit zu mehr Macht und uns zu einer gehorsamen Streitmacht gegen die Blutsaugergötzin verhelfen, Schwester", grummelte sie. "Aber solange wir kein Mittel finden, sie aus dieser Riesenameisenkönigin herauszulocken nutzt es auch nichts, sie ständig zu rufen."
"Also erst mal nur eine Warnung an alle, nicht in das Gebiet einzudringen?" fragte Tarlahilia. Ihre Schwester meinte, dass sie das besser alle besprechen sollten.
Keine zehn Minuten später trafen sich alle wachen Töchter Lahilliotas auf dem Gipfel des Pico del Teide auf Tenerifa, neutralem Gebiet sozusagen. Dort berieten sie, was sie von damals noch wussten. Am Ende kamen sie zu dem Entschluss, dass Ullituhilia und Tarlahilia das Herz des Seth überwachen sollten und in den alten Schriften nachlesen sollten, ob es einen Weg gab, seine kraft unschädlich in Erde oder Himmel abzuleiten. Da sie keinen Versuch machen wollten, ihre als Riesenameisenkönigin lebende Mutter zu erreichen, erfuhr diese nicht, was sich unter der Wüste Algeriens regte.
Am Morgen nach Clarimondes zweitem Geburtstag und dem Feiertag in Millemerveilles schliefen die Latierres etwas länger, abgesehen davon, dass Félix Richard Roland um drei uhr und seine beiden Halbschwestern Flavine und Fylla um halb vier aufwachten, weil sie Hunger hatten.
Im Briefkasten lagen die morgenfrische Ausgabe der Temps de Liberté, sowie eine Einladung Blanche Faucons und der Brickstons, am achtzehnten Juli mit ihnen den zweiten Geburtstag von Justin James im Haus von Blanche zu feiern. Catherine erwähnte, dass sie eine Einreiseerlaubnis für ihre Schwiegereltern erhalten habe.
In der Zeitung stand der von Otto Latierre am Vortag geschriebene artikel über den Ausgang des trimagischen Turnieres auf der Burg Greifennest. Laura Brelles, die aus Gent stammende, im kirschroten Saal von Beauxbatons untergebrachte Championette, hatte "das Rad der Zeit" besiegt, einen über zwölf runden mit Unterkategorien gehenden Parcours, dessen Thema die Zeit und ihre Ausprägungen in der Natur und magischen Zivilisation war. Dabei hatten sie auch gegen Wesen wie Yetis, Feuerdschinnen und je einem Quintaped kämpfen müssen und Rätsel zu den Sternbildern, den Jahres- und Tageszeiten, sowie Gewandtheitsaufgaben erledigen müssen. Wer am schnellsten durchkam durfte dann in der aus dem Boden ragenden Radachse nach oben, noch an ein paar Elementarhindernissen vorbei und dann den trimagischen Pokal anfassen. Ja, und Laura Brelles war die schnellste. Die rothaarige Belgierin war dann mit dem nach oben gereckten Pokal neben einer stolz strahlenden Madame Faucon fotografiert worden. Da es ein magisches Foto war winkte Madame Faucons Abbild aus dem hellen Rahmen heraus, als Julius es ansah, und Laura drehte sich mal nach links und mal nach rechts ins Profil.
"Da siehst du, der Rrote Saal kann doch noch trimagische Champions bieten", bemerkte Millie zu Julius. "Och, sag das mal denen, die damals in Hogwarts aus dem roten Saal dabei waren", erwiderte Julius. Millie musste nur grinsen.
Was die Einladung zu Justins zweitem Geburtstag anging sagten sie sofort zu. An sonsten verging der Tag ohne besonderes Ereignis. Julius wartete weiter darauf, dass Ashtaria oder Ammayamiria ihm verrieten, ob und wo und wie er den siebten Silberstern finden konnte. Doch weder am Tag und erst recht nicht in der Nacht erhielt er dazu einen Hinweis. Dass es nur daran lag, dass Ashtaria von bestimmten Ereignissen nicht erfuhr oder unberührt blieb konnte er nicht wissen.
Jeff Bristol, offiziell Reporter der New York Times, betrat um 08:00 Uhr das Büro, dass er sich mit dem Kollegen Ralf Burton teilte. Ralf wirkte mal wieder so, als habe er eine ganze Nacht lang durchgetanzt. Gerade stürzte er den Inhalt eines großen Kaffeebechers in sich hinein, als wenn er am Rande des Verdurstens stünde. Jeff grüßte wie immer und fragte, ob "Mäuschen" was "gepiepst" hatte. Ralf schluckte erst den rest von schwarzem Kaffee hinunter, setzte den Plastikbecher auf dem Beistelltisch neben dem Schreibtisch ab und antwortete: "Es hat Zoff in der Bronx gegeben. Ein Bandenkrieg. Zwanzig Tote, alle erschossen. Die Gangster hatten alle die neusten MPs am Start. Die Cops sind noch dran, die Feds haben ihre Fingerabdruckexperten hingeschickt, um die in Stücke geschossenen Leichen zu identifizieren. Dann gab es noch ein illegales Straßenrennen auf der siebten Avenue, wahrscheinlich wieder ein paar Berufssöhne, die mit ihren neuen Spielzeugen auftrumpfen wollten. Sonst das übliche, Krach, häusliche Gewalt, drei Kneipenschlägereien. Nichts, womit wir gerade wen hinterm Ofen hervorlocken können."
"Öhm, die Bandenkriminalität mit neusten Waffen sollte aber was wert sein. Besteht da die Chance, mit einem der zuständigen Revierleiter zu reden?"
"Habe ich schon ausgehandelt. Bin gleich unterwegs, weil du sicher das große Jubelfest vom FBI feiern möchtest, dass die jetzt die Terrorbekämpfung und die Spionageabwehr zusammenlegen."
"Da hast du recht. Deshalb bin ich gleich in der New Yorker Niederlassung mit Medienreferentin Walker und dem Leiter für Spionageabwehr verabredet. Habe ich alles schon vom Wagen aus angeschoben. Ach ja, und falls Mäuschen noch was wegen einer schwarzen Müllkippe in der südlichen Bronx piepst schick mir das bitte als Text auf den Dienstrechner. Dann brauche ich nicht in den Funkverkehr reinzuhören, wenn ich wiederkomme."
"Du bist süß, Jeff. Ich weiß ja nicht mal, wie lange ich für das Interview wegbleibe."
"Ja, und offenbar hattest du gestern abend wieder länger Ausgang", grinste Jeff jungenhaft. Ralf knurrte, dass er bloß nicht davon anfangen sollte und Ralf nicht aus purem Vergnügen solange aufgeblieben war.
Jeff meldete sich bei Redakteur Dunston an und gleich wieder ab, weil er eben das eigentlich schon für den 26. Juni erhoffte Interview wegen der neuen Ausrichtung des FBIs führen würde.
"Sie sind doch auch an den illegalen Müllkippen dran, richtig?" fragte Dunston. Jeff bejahte das. "Könnte sein, dass wir Ärger mit einem Anwalt kriegen, der behauptet, Sie hätten in Ihrem Artikel die geschäftliche Integrität seines Clienten beschädigt. Das sollten wir ernstnehmen, immerhin haben Sie außerhalb des Artikels anklingen lassen, dass viele Müllhalden Mick Miles gehören."
"Alias Don Michele Milelli, Capo der Milelli-Familie mit Wurzeln in Catania auf Sizilien, Vater von drei Töchtern, Großvater von fünf Enkeln und Onkel von drei Neffen, von denen der älteste, Giuliano, aussichtsreichster Nachfolger und somit de facto Kronprinz des Clans ist, Mr. Dunston. Ist leider nicht das erste mal, dass die großen Familien versuchen, uns als geschäftsschädigend hinzustellen. In diesem unserem Lande kann ja schon ein Obsthändler verklagt werden, wenn er auf seine Bananen keinen Warnhinweis schreibt, dass das Betreten von Bananenschalen zum Ausgleiten führen kann, Sir."
"Zumindest wissen Sie, mit welchem hungrigen Wolf Sie in den Käfig steigen wollen", meinte Dunston. "Wolf ist wohl eher typisch für Don Silvio Buonnavista, Sir. Bei Michele Milelli denke ich eher an eine Schlange, die sich durch alles durchwindet und unerwartet zubeißt, wenn ihr wer auf den Körper zu treten droht. Und genau das befürchte ich, Sir."
"Mäuschen bleibt ja auf Empfang. Also viel Erfolg beim Besuch im FBI-Büro", sagte Dunstons Stimme. Jeff bedankte sich und legte auf.
"Dann sind wir beide jetzt erst mal im Außendienst", sagte Ralf. Jeff nickte und prüfte den Sitz seines Anzuges. Nicht dass Justine das nicht schon am Morgen ausgiebig geprüft hätte. doch die Fahrt mit seinem Mustang hatte sicher das Jacket ein wenig verknautscht.
Drei Stunden später kehrte Jeff mit einem üppig beschriebenen Notizblock zurück in sein Büro. Ralf war noch nicht da. die eigentlich verbotene Mithörsoftware "Mäuschen" hatte nichts über illegale Müllhalden aufgefangen. Allerdings bahnte sich da was wegen eines neuen Themas von Jeff an. Er hatte einen iroamerikanischen Immobilienmakler auf dem Schirm, der nicht nur schmutziges Geld in blitzsauberes Betongold umwandeln konnte, sondern auch verdächtig war, illegale Einwanderinnen von südlich des Rio Grande an New Yorker Zuhälter zu vermitteln, was eigentlich das Geschäft eines neapolitaners namens Don Alfredo Minotti war. Hoffentlich kamen sich Big al Cardigan und Don Al Minotti nicht ins Gehege. Dabei würde garantiert eine Menge Blut fließen.
Dass er beim FBI war veranlasste Jeff, über die von ihm heimlich aufgebaute Proxykette mit den Arkanetalgorithmen, die er auf einem passwortgesicherten USB-Stick bereithielt, auf die FBI-Datenbanken zuzugreifen, um zu sehen, was da demnächst noch alles anstand. Als er las, dass vom 3. bis zum 24. Juli ein Fortbildungsseminar erweiterte Terrorfahndung, illegale Finanztransaktionen und Kriminalität mit religiös fundamentalistischem Hintergrund anstand blinkten erst gelbe und dann rote Alarmlämpchen in seinem Kopf. An die zweihundert Männer und Frauen hatten sich bereits dafür eingeschrieben oder waren von ihren Vorgesetzten dazu verdonnert worden. Als er las, dass aus New York Samantha Brownloe und aus New Orleans Benita Corner dort mitmachen würden fand er, dass er das dem LI mitteilen sollte. So viele Agenten aus allen größeren Feldbüros und Stadtresidenzen und noch welche aus den neuen NATO-Ländern auf einem Haufen, dazu Experten in Terrorbekämpfung mit möglicherweise wichtigen Kontakten in die betreffenden Regionen könnten ein lohnendes Ziel für dunkle Mächte sein. Von Terroristen abgesehen, die diese Veranstaltung heimsuchen konnten ganz zu schweigen gab es gerade in der magischen Welt zwei sehr ausgebuffte und leider auch mit der magielosen Welt vertraute Organisationen, die so eine Veranstaltung für sich ausnutzen würden, um neue Mitglieder zu "werben".
Da Ralf noch nicht zurück war nutzte Jeff es aus, allein im Büro zu sein. Er holte einen goldenen, leicht pulsierenden Anhänger unter seinem Unterhemd hervor, der selbst die Metalldetektoren des FBI ausgetrickst hatte und drückte ihn sich an die Stirn, um mindestens viermal besser mentiloquieren zu können als ohne.
"Justine, ich lese hier in einem internen Bericht des FBI, dass die vom dritten bis zum vierundzwanzigsten Juli ein Fortbildungsseminar abhalten, bei dem über zweihundert vollwertige Agentinnen und Agenten mitmachen. Das ist in Montana, ein ehemaliger Atombunker der Regierung. Falls die Mondbanditen oder Götzinnendiener das mitkriegen könnten die da ungebeten reinschneien.""
"Woher sollten die das wissen, Jeff? Oder steht das im öffentlichen Internet?"
"Das war ein interner Bericht auf den abgeschirmten Seiten, auf die ich nur wegen Martha Merryweathers kleinen Helferlein draufgucken kann. Bren kann das aber sicher auch noch lesen. Aber ich trau vor allem den Mondbanditen zu, dass die schon wen haben, der die Datenbanken von denen knacken kann, und sei es, dass der oder die sich über die Kantinenbelieferungsfirmen reinschleicht, oder wie Martha das genannt hat: "Wenn du nicht zu Fuß durch das Tor kommst versteck dich im Lieferwagen!"
"Wie das trojanische Pferd. Verstehe. Öhm, ich geb's an unsere Fachleute für Lykos und Nocturnia weiter, wenn du es hinkriegst, einen vollständigen Ausdruck des Veranstaltungsplans zu verschicken."
"Geht klar, Just", schickte Jeff zurück.
Als er einen mehrseitigen Ausdruck von allen Seminarpunkten und gemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatte öffnete er seinen Aktenkoffer, legte die Unterlagen hinein, klapte den Koffer wieder zu und tippte dreimal mit dem rechten Zeigefinger gegen das linke Schloss. Der Koffer ruckelte einmal kurz. Dann klappte er von selbst wieder auf und offenbarte, dass er völlig leer war. "Die Sachen sind bei euch im Briefkasten", mentiloquierte Jeff noch. Justine bestätigte es und wünschte ihm noch einen erfolgreichen Arbeitstag.
Sie las die Bestätigung, dass sie auch angemeldet war. In drei Tagen würde sie eine Sondermaschine, die Kollegen aus anderen Ostküstenstädten abholte, zur Basis Hidden Walls bei Helena, Montana hinbringen. Dann würde die Aktion "Nachthimmel" anlaufen, der erste Streich zur Erlangung der Vorherrschaft innerhalb der Menschenwelt. 200 Kolleginnen und Kollegen, die nicht ahnten, welche Laus schon seit Jahren in ihrem Pelz wohnte. Guter Vergleich, wenn sie bedachte, dass eine Laus die gleiche Nahrung bevorzugte wie sie.
"Mutter und Göttin, die Reise ist bestätigt. Falls du möchtest kann ich dir gerne die Teilnehmerliste mitteilen", dachte Night Swallow an die Adresse ihrer allgegenwärtigen, sehr mächtigen Herrin. Zur Antwort erfüllte sie schlagartig eine solch starke Kraft, als wolle etwas sie mit der Stärke von vier Frauen auffüllen. Dann hatte sie das Gefühl, die Teilnehmerliste durchlesen zu müssen und betrachtete diese. Innerhalb von einer Minute hatte sie alle Einzelheiten des Planes und der Teilnehmer erfasst und ohne Umwege über Worte oder geschriebene Botschaften an ihre Herrin weitergeleitet.
"Und der Nachthimmel wird sternenklar auf diese Welt herabschauen", hörte sie die Stimme der Göttin. Dann fühlte sie, wie ihre Kraft wieder nachließ. Die Göttin hatte ihre Dienerin wieder verlassen, die am Tag nur halb so stark war wie in der Nacht. Doch das Gefühl, bald auf die zweithöchste Rangstufe der lebenden Dienerschaft zu steigen wärmte ihren Geist und ihren Körper gleichermaßen.
"Don Augusto, ich wollte nicht hergekommen sein", schnarrte Don Michele Milelli, der auf einem vergleichsweise schmalen Stuhl saß. Ihm gegenüber saß ein äußerlich kleiner und schmächtiger Mann, der einen Vater oder eine Mutter aus einem indigenen Volk haben musste. Der trhonte wie ein kleiner König auf einem breiten und hohen Sessel, der mit einem merkwürdigen roten Leder mit schwarzen Mustern bezogen war.
"Du wolltest es dir aber auch nicht mit mir verderben, wo Don Angelo dein Geschäft mit dem Wohlstandsmüll durchschaut und Ansprüche auf deine Vertriebswege gestellt hat, oder?" fragte Don Augusto Xocotl Paredes seinen Gast. Dieser verneinte das. "Und, was sagen die Nachbarn dazu?"
"Die halten sich zurück, weil sie keinen Krach mit mir oder Angelo wollen. Im Moment macht uns auch ein gewisser Al Cardigan von der grünen Insel Bauchschmerzen. Der wildert in fremden Revieren, noch nicht bei uns, aber könnte noch kommen", sagte Michele. Er war es eigentlich nicht gewohnt, irgendwohin zitiert zu werden. Doch hier galt eine besondere Lage. Seine Geschäfte mit illegalem Abfall, unter dessen Gestank er noch anderes anrüchiges versteckte, waren Prüfungsgegenstand verschiedener Behörden. Das nutzte sein Konkurrent Don Angelo aus, um die Vertriebswege für südamerikanische Erzeugnisse zu beanspruchen. Dann waren da eben die Iren, die sich jetzt mehr herausnahmen als vorher und die Neapolitaner, die meinten, den Durchhänger der Cosa Nostra auszunutzen, um eigene Pflöcke in Amerika einzuschlagen. Ja, er brauchte wirklich einen sehr starken Freund im Süden, wenn er seine Kunden noch mit bester Ware beliefern wollte.
"Nun, ich kann und werde dir sehr gerne helfen, Don Michele. Denn schließlich interessiert es mich auch, den Markt im Norden auszuschöpfen. Aber wer mit mir zusammengeht muss mir vorher einen Bluteid schwören, mich immer zu unterstützen und stets bereit zu sein, mir gegen alle Widrigkeiten zu helfen. Bist du dazu bereit, Don Michele?"
Der Capo der Milellis verzog das Gesicht. Ein Bluteid, wo es hieß, dass Paredes noch den alten Maya- oder Aztekengöttern huldigte? Er selbst glaubte zwar nicht an diese südamerikanischen Götzen. Aber die die das taten mochten noch die alten Rituale durchführen. Er straffte sich und sagte: "Ich werde keinen Eid schwören, solange ich von dir keine Garantie habe, dass ich deine Ware zum Vorzugspreis erhalten und verkaufen kann."
"Nun, ich sehe das so, dass du mich um Hilfe gebeten hast, weil der Küchenchef aus Queens, wie du ihn nanntest, den ganzen Osten für sich beansprucht und dich für einen lästigen Konkurrenten hält."
"Ja, weil ich dir eben meine bisherigen Vertriebsmöglichkeiten anbieten und dir obendrein Kontakte in andere Familien weiter nördlich und nach Europa verschaffen kann, wenn wir beide einig sind."
"o ja, das werden wir, bei meinem schützenden Hausgott Chantico, das werden wir. Und du wirst mir wie erwähnt alle Türen in dein Land öffnen, durch die ich gehen will."
"Auf gleicher Augenhöhe", wollte Michele klarstellen. "Nicht ganz. Du wirst mir entweder Gefolgschaft schwören, wie alle, die meinen Schutz und meine Dienste erbaten oder kannst gleich wieder in den Hubschrauber steigen und zum Flughafen zurückkehren. Aber dann bist du ohne Schutz und ich könnte mir vorstellen, mit Don Angelo zu sprechen, ob der sein Warenangebot nicht um rein biologische Produkte erweitern möchte."
"Du wagst es, so mit mir zu reden!" ereiferte sich Michele. "Ich weiß jetzt wo du wohnst, roter Adler. Ein Wort von mir, und alle, denen du was schuldest rennen dir die Bude ein! Also, entweder Partnerschaft zu gleichen Teilen im gegenseitigen Respekt oder kein Geschäft."
"Ich weiß, dass deine sieben Krieger vor meinem Haus warten und du noch vier Großhubschrauber über den Rio Bravo beordert hast, um mir deine Macht zu zeigen. Dann zeige ich dir mal meine Macht", knurrte Paredes und legte seine linke Hand auf die gläserne Tischplatte. Dabei sprach er merkwürdig klingende Worte aus, von denen Michele vermutete, dass es eine Indiosprache war, vielleicht Nahuatl.
Die Tischplatte glühte erst blau auf, dann zeigte sie eine Ansicht auf das Haus aus der Vogelperspektive. Michele erkannte die um den kleinen Hügel aufgestellten Leibwächter, die gerade Blickkontakt mit den auf der Mauer um das Villengrundstück patrouillierenden Männern hielten. Michele verdrängte seine Bewunderung für diesen Trick. Sicher war der Glastisch ein hochauflösender Bildschirm, und über der Villa schwebte eine Beobachtungsdrohne. "Siehst du, was der rote Adler gerade sieht?" fragte Paredes. "Und jetzt zeige ich dir, wie schnell er zuschlägt." Er tippte mit dem Zeigefinger der linken Hand auf einen der sieben Begleiter Don Micheles. Unvermittelt schoss eine purpurrote Feuersäule genau dort in die Höhe, wo er stand. Die völlig rauchlos brennende Flamme loderte nur zwei Sekunden, dann fiel sie in sich zusammen. Der Begleiter Micheles war nicht mehr da. Natürlich hatten die anderen sechs das mitbekommen und suchten mit MPs im Anschlag nach dem Gegner. Die Wächter auf der Mauer nahmen hinter den Zinnen Deckung. Da flirrte es blau-rot aus der Mündung einer Maschinenpistole.
"Netter Zaubertrick, Don Augusto. Doch diese Videoshow kaufe ich dir nicht ab."
"Ruf ihn über dein kleines Funkgerät!" befahl Paredes. Michele verzog das Gesicht. Doch dann straffte er sich und holte ein streichholzschachtelgroßes Kästchen aus seiner Jackettasche. Er rief einen Namen hinein. Da kam die Antwort: "Capo, Eduardo ist gerade in einer Stichflamme verbrannt, einfach so."
"Dann los!" rief Michele schnell, weil er nicht wusste, was Paredes anstellen mochte, um ihn aufzuhalten.
Es polterte an der Zugangstür zum Besprechungsraum. Zugleich sah er, wie die anderen sechs den Hügel hochstürmten und alle sechs zugleich in purpurroten Flammensäulen vergingen. Dann hörte er noch von jenseits der Tür einen lauten Aufschrei. Das war sein Leibwächter Dario.
"Ich glaube, jetzt bist du ohne Begleitung", meinte Paredes ganz ruhig. "Und was den Zaubertrick angeht, so ist das kein Trick. Ich erlaube dir, als mein treuer Bote und Gefolgsmann von hier abzureisen. Ansonsten tröste ich deine Witwe Carlotta, damit sie nicht all zu viele Tränen vergießen muss. Ach ja, und deine Firma können sich dann die anderen acht aufteilen."
Michele griff an sein Jackett und zog blitzschnell eine kleine Pistole mit einem Lauf aus Keramik hervor, zielte auf Paredes und drückte ab. Ein leises Pfeifen erklang. Etwas knisterte vor Paredes in der Luft. Mehr geschah nicht. Michele drückte noch einmal ab. Noch einmal pfiff und knisterte es. Mehr geschah nicht. "Netter Versuch", lachte Paredes. "Wo hast du denn das Ding her, aus der Handtasche einer CIA-Agentin? Gut, du hattest deine Chancen. Jetzt ich", knurrte Paredes.
Michele wollte aufspringen, dem irgendwie unangreifbar wirkenden mit bloßen Händen an die Gurgel gehen. Er hatte waffenloses Töten gelernt und war für seinen Vater oftmals gegen unliebsame Leute eingesetzt worden. Doch als er von seinem Stuhl losspringen wollte schlugen blitzartig mehrere lederartige geschuppte Schnüre um Brust, Unterleib und Unterschenkel und hielten ihn fest. Dann sah er drei flache Köpfe, die ihn mit senkrecht geschlitzten grünen Augen anstarrten. Drei Schlangen hatten ihn an den Stuhl gefesselt. Einer der Köpfe näherte sich seinem Hals und öffnete das breite Maul.
"Denkst du ernsthaft, ich ließe jemanden wie dich in meine Nähe, ohne mich abzusichern, Micky. Ich weiß, dass du früher als Bereiniger für deinen Vater gearbeitet hast. Nun, was der rote Adler will kriegt er immer. willst du wirklich sterben und das Leben deines kleinen Bruders und seiner Söhne oder die Leben deiner kleinen, süßen Enkelkinder opfern?"
"Wie immer du das gemacht hast, Paredes, niemals werde ich, Don Michele Milelli, mich einem Halbblut unterwerfen", stieß der Gefesselte aus.
"Dann sei es", knurrte Paredes und zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf ihn. Die drei Schlangenköpfe ruckten vor und bissen zu, noch ehe Michele einen Abwehrversuch machen konnte.
Es war wie ein elektrischer Schlag, gefolgt von kochendem Wasser, das direkt in seine Adern einströmte. Rötlicher, pulsierender Nebel wallte vor seinen Augen auf. Er hörte sein Herz immer schneller und stärker pochen. Dann stürzte er in eine licht- und lautlose Leere hinein.
Paredes sah, wie sein Gegenüber unter den Schmerzen zuckte, die ihm die drei gliederlosen Wächter zugefügt hatten. Dann lächelte er triumphierend. "Und der rote Adler bekommt immer, was er will. Du solltest froh sein, von so einem starken Herren geführt zu werden, Kleiner Inselfürst."
Paredes griff unter den Tisch und zog einen länglichen Gegenstand und eine kleine, silberne Schale hervor. Dann gebot er mit der linken, dass die mit dem Stuhl verbundenen Schlangen von ihrem Opfer abließen und sich wieder zurückzogen.
Die nächsten Minuten vergingen damit, dass Paredes mit den beiden Utensilien, dem rechten Arm des leblosen Mannes und einer mehrmals wiederholten Abfolge aztekischer Beschwörungsformeln beschäftigt war. Dann erstrahlte die silberschale im selben Rot wie das in sie hineintropfende Blut Micheles. Der bis dahin völlig leblose Capo der Milellisippe zuckte mehrmals zusammen. Dann straffte er sich.
Michele meinte, am ganzen Körper zu brennen. Sein Kopf und seine Glieder schmerzten. Vor seinen Augen tanzten rote Kreise. Doch mit jedem Herzschlag kehrte sein klarer Blick zurück. Doch etwas war jetzt ganz anders. Er dachte nicht mehr daran, dass Paredes ihn übervorteilen und unterwerfen wollte. Er dachte daran, welches Glück er hatte, einen solch starken Herren zu haben. "Michele Milelli, Sohn des Giordano, gelobe mir ewige Treue bis über den Tod hinaus!" befahl Paredes. Michele hörte sich selbst mit leicht angeschlagener Stimme antworten: "Ich gelobe dir ewige Treue bis über den Tod hinaus, Don Augusto, mein Herr!"
"Dein Blut steht für das Blut deiner Nachkommen. Mit ihm sind auch sie an diesen Schwur gebunden", erwiderte Paredes und sang ein paar uralte Zauberworte in der Hochsprache der Azteken. Da meinte Michele, dass etwas ihn von innen her aufblies und im Takt seines Herzens pulsierte. Dann überkam Don Michele zum zweiten mal innerhalb von zwanzig Minuten die Bewusstlosigkeit.
Als er wieder aufwachte fühlte er sich kräftig und zufrieden. Er hatte den roten Adler auf seiner Seite und damit den stärksten Verbündeten, den er finden konnte. Es tat ihm leid, dass seine Leibwächter auf Grund eines Missverständnisses gestorben waren. Aber wo die waren gab es noch genug, die er anstellen konnte. Und was waren Menschen, wenn der rote Adler übernatürliche Mächte einsetzen konnte? Mit dieser Zuversicht kehrte er mit seinem Hubschrauber zum Flughafen von Merida zurück, wo er seinen Privatjet bestieg und nur wenige Stunden später wieder in seiner Heimat landete, ohne lästige Überprüfungen. Der Diplomatenstatus, den er sich erkauft hatte, machte es möglich.
Die altehrwürdige, die Aura von Macht und Unerbittlichkeit ausstrahlende Dame mit den tiefgrünen Augen blickte auf den Bildschirm ihres Privatrechners in einem nur von ihr betretbaren Zimmer. Der Goldtransfer aus Algerien war soeben ohne bleibende Spuren vollzogen worden. Damit hatte sie über Umwege 30 Millionen US-Dollar aus den Staaten und Europa in ihr Privatvermögen herübergeholt. Ihr getreuer aus Algerien, der seinem scheinbaren Anführer eine tödliche Dosis des Abkühltrankes Nummer zwei untergejubelt hatte, würde fünf Prozent der Transaktion abbekommen, wenn er nach Peru kam. Den rest konnte Margarita Isabel de Piedra Roja in ihre eigenen Geschäfte investieren oder einen Gutteil davon für den kleinen Aurelio anlegen, von dessen Ankunft im November sie heute erfahren hatte. Es hatte wirklich wieder geklappt, nach der kleinen Adelia noch einen Jungen zu empfangen und somit das alte Blut von Vittorio Pontebianco mit ihrem hochedlen Blut einer alten Zaubererfamilie der Inkazeit zu vereinen.
Als sie das geheime Arbeitszimmer wieder verließ hörte sie die Gedankenstimme ihrer ebenso zauberkundigen Nichte Esmeralda in ihrem Geist: "Tita Gita, ich habe es jetzt sogut wie amtlich, dass Mick Miles alias Michele Milelli wohl mit dem roten Adler von Merida Kontakt aufgenommen hat. Stiefonkel Victor hat sich da nicht geirrt."
"Paredes?! Dann darf sich Michele freuen, wenn der nur eine Beteiligung an Micheles Müllabladegeschäften haben will", gedankenknurrte Margarita de Piedra Roja. Da sowohl sie als auch Esmeralda magisch versierte Frauen waren wussten sie, dass Augusto Xocotl Paredes, ein mexikanischer Rauschgiftbaron, wohl auch magische fähigkeiten hatte. Denn anders war nicht zu erklären, dass er bei allen Revierkämpfen mexikanischer Drogenbanden noch unbehelligt geblieben war und wer es gewagt hatte, ihn direkt anzugreifen, mit Stumpf und Stiel ausgelöscht worden war. Insofern tat Paredes nichts anderes als sie und hatte sein Revier sicher. Da sie in Peru eine feste Größe war und er in Mexiko wohnte hoffte Margarita, dass sich beide nicht in die Quere kamen.
"Soll ich an der Sache dranbleiben, Tita Gita?" gedankenfragte Esmeralda.
"Besser nicht, Esmi. Wenn wirklich der rote Adler seine schützenden Schwingen über dem Müllprinzen der Bronx ausgebreitet hat sollen das die acht anderen großen Männer in New York klären. Die müssen uns da nicht mit reinziehen."
"Du hast Angst vor der Cosa Nostra, Tita Gita?" gedankenfragte Esmeralda.
"Pass auf, dass ich dich nicht in Aurelios allererste Windel verwandel und dich fünfmal von ihm vollmachen lasse, Mädchen", erwiderte Margarita. "Abgesehen von meinem eigenen Fremdverwandlungswiderstand trage ich genau wie du Mama Killas und Pacha Mamas Segen der Unversehrbarkeit in mir und reflektiere jeden böswilligen Zauber, der mich berühren soll. Aber Aurelio? Ach hat das doch geklappt, dass du Stiefonkel Victors Sohn austrägst?"
"Ja, hat mir Heilerin Buenamano heute mitgeteilt. Sie meinte natürlich mal wieder, ich sollte wegen ihm ein eher friedvolles, gefahrenfreies Leben führen, statt mich mit hiesigen Zauberpflanzen herumzuschlagen."
"Die weiß ja nicht, womit du dein Vermögen machst", gedankengrinste Esmeralda. "Sie weiß, dass mein seliger Mann das Geld verdient hat, und der Blutschwur, den ich ihr gegen alle Vorkehrungen der Heilerzunft abgerungen habe, hindert sie daran, mich in Gefahr für Freiheit oder Leben zu bringen. Aber wenn sie glauben will, dass ich nur mit hochgefährlichen Zauberpflanzen und Tränken zu tun habe soll mir das auch recht sein. Ei, jetzt sollten wir aber schluss machen. Mein Kopf ist sehr erhitzt", schickte Margarita noch zurück.
"Dann wünsche ich dir eine erholsame Nacht, Tita Gita." Die Angesprochene bedankte sich. Zumindest konnte sie in ihrem Haus auf der Hacienda mille Estrellas sorglos schlafen, weil ein mehrfach gestaffelter Wall des Inti vor Vampiren und der zweifache Ring des reinen Mondlichtes vor Werwölfen schützte.
Sonderagent Peter Steinway blickte auf die 200 Kolleginnen und Kollegen im Vorführraum der abgeschiedenen Ausbildungsstätte Hidden Walls. Es waren mehr Frauen als Männer, die dieses Seminar mitmachten. Die hatten wohl alle gedacht, nur theoretisches Zeug zu lernen. Da hatten die sich gründlich getäuscht. Die Kollegen von der Feldeinsatztruppe hatten die heute ganz schön durchs Gelände gejagt, durch mindestens drei Parcours getrieben und dann noch eine volle Schießprüfung abverlangt. Doch viele von denen waren dafür immer noch sehr munter und wirkten aufmerksam genug, sich jetzt noch einen Film über moderne Geiselnahmelösungen anzusehen, bevor es ins Bett ging.
"Kolleginnen und Kollegen, da das hier ein Fortbildungsseminar ist verstehen Sie sicher, dass dieser Film kein entspannender Kinostreifen ist. Ich bitte Sie also darum, sich alle Ihnen für besonders erinnerungswürdig erscheinenden Einzelheiten zu notieren und im Anschluss an den Film mit mir und Dr. Costa von der Psychologischen Sondereinsatzgruppe zu erörtern, was Sie verstanden haben und was wir Ihnen gerne noch mitgeben wollen. Ich kündige schon mal an, dass wir den Film am Ende der drei Wochen noch einmal ansehen und vergleichen, was sie heute davon mitbekommen haben und was Ihnen beim zweiten Ansehen noch auffiel, wenn die anderen Einheiten durchgenommen wurden. Wie immer gilt, jede Kleinigkeit kann lebenswichtig sein, und nicht immer ist das offensichtliche das wahrhaftige. In diesem Sinne: Viel Erfolg bei der Sichtung der folgenden Szenarien!"
Steinway trat vom Rednerpult zurück und winkte dem Techniker am Projektor. Die Breitbandlautsprecher erwachten mit dumpfem Knacken zum Leben, und auf der einem Großraumkino Ehre machenden Leinwand begann das erste Szenario, bewaffnete Geiselnehmer, die eine Schule überfielen und wie die bisherigen Rettungsmaßnahmen aussehen konnten.
In der hintersten Reihe des Kinosaales saß Sally Fields und unterdrückte ein überlegenes Lächeln. Da saßen sie alle wie Knabberzeug in einer großen Schale. Sie blickte sehr aufmerksam auf Steinway, der sich schon zu der kleinen Frau namens Laetitia Costa setzte und wohl schon mit ihr die zu besprechenden Punkte der Vorführung ansah. Der hatte keine Ahnung, was gleich passieren würde.
Mutter und Göttin, alle sehen den Film wie erwähnt. Soll ich?"
"Wenn es richtig laut wird", hörte sie die Gedankenstimme ihrer Göttin.
Der vorgeschlagene Zeitpunkt kam nach zwanzig Minuten. Gerade wurde eine von sechs Lösungsmöglichkeiten dargestellt, wie das Geiselbefreiungsteam des FBI die besetzte Schule befreien konnte, möglichst ohne unschuldige Jungen und Mädchen zu verletzen. Hierzu rückten die Beamten auf der Leinwand mit Schockgranaten gegen die Zugänge vor. Die Lautsprecher übertrugen die Explosionen so dumpf und krachend wie sie auch in echt zu hören sein würden. Gleichzeitig feuerten die nicht im ersten Ansatz geschockten Geiselnehmer mit ihren MPs. Das war eindeutig laut genug, fand Night Swallow. Sie griff in ihre Handtasche und öffnete die kleine Parfümflasche, die für Rotblütler nur eine wohlduftende Essenz enthielt, aber bei Berührung einer Nachttochter eine geheime Kammer öffnete, aus der nun ein unsichtbares, völlig geruchloses Gas entwich, was auf die giftimmunen Nachtkinder überhaupt keine Wirkung hatte, bei Rotblütlern aber bei Erreichen einer kleinen Menge pro Kubikmeter innerhalb von zehn Sekunden zu einer vorübergehenden Lähmung und bei längerem Einatmen zu einem tranceartigen Zustand führte, der dem vom Unterwerfungsblick erzeugten Zustand ähnelte, nur dass hier ein ganzer Kinosaal auf einmal betroffen sein würde. Dann konnten sie kommen, die Anwerber. Allerdings hatte sie sich ausgebeten, alle hier vertretenden Kolleginnen anzuwerben, die sie in einer Nacht anwerben konnte.
Lautlos und unsichtbar strömte das Verhängnis aus Night Swallows unheilvoller Parfümflasche und erfüllte den Vorführraum. Night Swallow merkte bereits, dass eine Wirkung eintrat. Doch ihr besonderes Blut vertilgte die darin einsickernden Partikel mit sanftem Prickeln. Es würde gerade eine Minute dauern, bis alle Reihen das etwas schwerer als Luft wiegende Gasgemisch eingeatmet hatten.
Sie sah, wie eine Reihe nach der anderen in eine entspannte Haltung verfiel und hörte auch die Herzen der ihr am nächsten sitzenden langsamer schlagen. Wenn sie genug eingeatmet hatten würden sie völlig handlungsunfähig, aber nicht völlig bewusstlos sein. Denn um zu ihren neuen Brüdern und Schwestern zu werden durften sie nicht völlig ohnmächtig sein. Sie mussten ja selbst was trinken können, wenn es ihnen befohlen wurde. Schon heute nacht würde sich der sternenklare Nachthimmel über den achso vorherrschenden Vereinigten Staaten von Amerika wölben.
Weitere Reihen von Zuschauern verfielen der unerwarteten und mit keinem Menschensinn erfassbaren Wirkung. Auch Steinway und seine Kollegin von der Psychoeinheit würden verfallen. Ja, die da würde Night Swallow auch persönlich in die Reihen der Nachtgeborenen hineinholen. Bisher merkte niemand, was vorging. Alle noch unbetroffenen blickten auf die Leinwand, wo ein blutiges Gemetzel mit viel Donner, Blitz und Bleihagel von Statten ging, weil einer der tollkühnen Befreier gleich am Anfang den Fehler gemacht hatte, zu früh seinen Standort und seine Absicht zu zeigen. Night Swallow hatte dieses Szenario schon mal gesehen. Falls sie es zuließ durfte Steinway am nächsten Morgen, wenn alle sorgfältig verpackt waren, fragen, welcher der Kollegen den entscheidenden Fehlstart gebaut hatte.
Ihre Augen durchdrangen die vom Widerschein des Filmgeschehens durchbrochene Dunkelheit. Deshalb konnte sie sehen, wie in den Reihen zwei und drei bei einer Kollegin und einem Kollegen unvermittelt etwas bläulich durchsichtiges die Köpfe einhüllte. Die beiden saßen ganz ruhig da, hatten keine verräterischen Handbewegungen gemacht. Jetzt sprangen auch bei drei weiteren Zuschauern diese bläulichen Blasen um ihre Köpfe. "Verrat! Wir sind verraten worden!" hörte sie eine sehr erboste Stimme, die Stimme der Göttin. Dabei erfuhr sie, die selbst nicht mit Magie hantieren konnte, dass die bläulichen Blasen sogenannte Kopfblasen waren und ihre Träger freie, unverdorbene Luft atmen ließen, ob in dichtestem Rauch, tödlichem Gas oder unter Wasser. Aber wie hatten diese Eindringlinge das gemacht, ohne Zauberstäbe und ohne zu merken, dass ... Magische Hilfsmittel, die jedes gefährliche Gas früh genug erspürten und handelten, fiel ihr ein, obwohl sie bisher nie davon gehört hatte.
"Ich schicke die Kristallkrieger, um die Störer zu erledigen. Dann wird der Nachthimmel weit und alles überspannend sein", verkündete die Göttin der Nachtkinder mit unüberhörbarem Zorn.
Ethisch mochte es fragwürdig sein, was sie getan hatten. Doch die Gefahr war zu groß, dass Werwölfe oder Vampire die Gunst der Stunde nutzen würden. Deshalb hatten die fünf Angehörigen des Laveau-Institutes die Haare von fünf eingeschriebenen FBI-Agenten erbeutet, die Originale in ihren Zimmern in Tiefschlaf versenkt und mit Vielsaft-Trank deren Erscheinungsformen und Stimmen übernommen, um den Abend durchzustehen. So würden sie es wohl jetzt jede Nacht machen müssen, bis die Fortbildung beendet war und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wieder an ihre üblichen Dienststandorte zurückkehrten.
"Probe des Gases gesichert. Ui, da kommen schon welche!" hörte Terry Rainford die Stimme ihres Einsatzgruppenleiters Abe Blackthorn, der gerade in der Gestalt von FBI-Sonderagent Matthias Winsloe steckte. Tatsächlich entstanden schwarze Punkte in der Luft, die schlagartig zu wirbelnden Spiralarmen anwuchsen. Aus diesen schälten sich zehn graue Gestalten, die weithin als Kristallstaubvampire bekannt waren. Doch gegen die hatte die Sondergruppe "Nachtfrieden" probate Mittel. Ehe die zehn grauen Vampire ihre Opfer anspringen konnten hatte jeder und jede der Einsatzgruppe zwei pistolen aus den unsichtbaren Holstern gezogen und auf je einen der zehn angelegt. Es bedurfte keines Kommandos. Fast zeitgleich ploppte es, und zehn kleine, harmlos wirkende Stöpsel pfiffen durch die Luft. Jedes Geschoss fand sein Ziel und erstrahlte unvermittelt blau. Wer getroffen wurde verschwand in einer himmelblauen Portschlüsselspirale. Keine drei Sekunden nach dem Erscheinen waren die zehn Übervampire fort und würden nicht mehr wiederkommen.
"Die wollen echt alle hier einkassieren. Wenn die noch welche schickt sofort beschießen!" hörte Terry den über den Vocamicus-Zauber erteilten Befehl von Blackthorn. Zugleich apparierten noch weitere Mitarbeiter des LIs, während auf der Kinoleinwand immer noch das gnadenlose Gemetzel zwischen Geiselnehmern und Befreiungsteam wütete.
"Drei normalvampire im Saal geortet, zwei Weiblich und einer männlich. Noch drei im Umkreis in Schränken versteckt!" hörte Terry einen anderen Kollegen, von dem sie gerade nicht wusste, wer es war. Da tauchten weitere zehn graue Vampire auf. Doch wie hundertfach geübt zielten die hier bereitstehenden LI-Mitarbeiter mit ihren Korkenpistolen auf die schwarzen Wirbel, warteten, bis diese verschwanden und ihre unheilvollen Passagiere freigaben. Diese hatten gerade eine halbe Sekunde, sich zu orientieren, da rissen sie zehn weitere ausgelöste Portschlüsselzauber aus dem Saal.
Die hier schon lauernden Blutsauger fühlten sich offenbar berufen, selbst in das Geschehen einzugreifen. Der männliche Vampir in einem schicken Abendanzug sprang vor, wollte sich die kleine, korpulente Psychologin greifen. Da rief eine der beiden Vampirinnen: "Halt, Nightfang, die ist mein!" Jetzt erkannte Terry die Frau. Es war Sally Fields. Die war also eine Vampirin und trug wohl die Solexfolie. Einer der gerade noch eingetroffenen Kolleginnen zielte mit seinem Zauberstab auf sie und rief einen altägyptischen Blutbann, der von böser Kraft verunreinigtes Blut gefrieren ließ. Damit konnten übliche Vampire wie mit der Ganzkörperklammer gebunden werden. Doch der Zauber hielt keine Sekunde vor. Denn eine tiefschwarze Aura quoll wie öliger Qualm aus dem Körper der Vampirin und löste den ihr aufgeladenen Zauberbann. Sie hechtete zur Seite und entging einem neuen Blutgefrierzauber. Dann entstanden wieder schwarze Spiralarme, und gleich zwanzig graue Vampire erschienen, die sich sofort ihre Ziele suchten. Ihr Erscheinen beeinträchtigte die Filmvorführung. Geräusche wurden verzerrt, und die Bilder flackerten in wilden Farbverkehrungen. Zehn der Neuankömmlinge kamen gerade auf fünf Meter an die Laveau-Mitarbeiter heran. Dann verschwanden sie in blauen Portschlüsselspiralen. Die weiteren zehn duckten sich und stürmten vor, voll gegen eine unsichtbare Wand und blieben darin hängen. Funken stoben, lösten jedoch kein Feuer aus. Dann erwischten die nächsten zehn Portierkorken ihre Ziele und beförderten sie fort von hier. Gemäß Quinn Hammersmiths Aussage war jeder Korken auf eine von 150 ausgewählten Säuglingsstationen in Krankenhäusern oder Entbindungsheimen ausgerichtet. Wenn ein grauer Vampir dort landete löste der Korken noch einen kurzen schrillen Ton aus, der alle Babys in Hörweite zum schreien trieb. Die Schreie neugeborener Menschen waren für diese Sorte Blutsauger so tödlich wie das Sonnenlicht für ihre gewöhnlichen Artgenossen.
Doch nun warf die unheilvolle Macht, die diese Wesen beherrschte, in fünf schnellen Schüben von je zehn Gegnern eine halbe Zenturie üblicher Blutsauger in diesen Saal. Da erloschen die Bilder auf der Leinwand, und aus den Lautsprechern drang nur noch ein verzerrtes Brummenund Grummeln. Dann war es dunkel und still, was den Film betraf.
"Fall Mittagsfackel!" rief Blackthorn. Um die Leute aus dem Laveau-Institut entstanden goldene Auren, in die Kleidung eingewirkte Sonnenzauber, die eigentlich gegen Nachtschatten entwickelt worden waren. Doch auf die nun eingetroffenen Vampire wirkten diese Zauber gleichermaßen abschreckend.
Nun stoben rote Funken durch den Saal und ballten sich an einem Punkt, an dem sich die Verbindungslinien zwischen den eingetroffenen Vampiren kreuzten. Schlagartig entstand eine über fünf Meter große, blutrot leuchtende Erscheinung. Terry hatte sie noch nie leibhaftig gesehen und erstarrte in Erstaunen. Dann sprach die aus roten Funken geborene Erscheinung mit einer mächtigen dröhnenden Stimme: "Ihr unseligen, rotblütigen Narren werdet meine Diener und mich nicht aufhalten, diese armen Narren da zu unseren Geschwistern zu machen! Ich, die große Mutter der Nacht, befehle: Macht euch diese Büttel Untertan!"
Mit diesen Worten zerfloss die rote Erscheinung zu einer einzigen roten Wolke, welche die hier eingetroffenen Vampire wie mit dem Beschleunigungszauber bestärkte und sie in schützende schwarze Auren hüllte. Nun griffen sie die Verteidiger der gerade in halber Ohnmacht gefangenen Menschen an.
Den Verteidigern aller hier gefangenen Menschen blieb erst einmal nichts, als einen durchgehenden Sonnenlichtwall zu zaubern. Doch die von ihrer Göttin bestärkten rannten dagegen an und brachten die Wand zum flackern. Sally Fields stürzte sich auf die ihr nächste Kollegin, laut Terrys per Gedächtnistrank memorierte Auskunft Sandra Finch aus Los Angeles. Da traf die halbohnmächtige FBI-Frau ein goldener Blitz und ließ sie von innen her aufleuchten. Sally Fields schaffte es gerade, die andere festzuhalten. Doch als ihre Schutzaura um den Kopf zurückwich wandte Sally sich geblendet ab. "Ras Gnade, Götzendienerin!" rief Blackthorn. "Fünfmal besser als der Sonnensegen des Trismegistos."
"Die Göttin ist mit uns, Rotblüter. Wir kriegen erst euch und dann die alle hier", sagte Sally Fields. Wie zur Bestätigung ihrer Worte kam unvermittelt roter Nebel auf. Dieser traf auf die Sonnenlichtwand und verdunkelte sie immer mehr. Sie flackerte und sprühte Funken. Dann drangen erste Schlieren des roten Dunstes hindurch und trieben auf die LI-Mitarbeiter zu, während Sally Fields von der Aura ihrer Göttin umkleidet mehr als zwei Meter groß wirkte. Dann geschah etwas unvorhersehbares.
Davidson, O'Hoolihan und Hammersmith saßen in einem würfelförmigen Raum. An drei von vier Wänden konnten sie die räumliche Darstellung der unsichtbaren Späheulen mitverfolgen, die mit den ersten Entsatztruppen in den Kinosaal des abgeschirmten FBI-Trainingskomplexes getragen worden waren und die sofort die vorgegebenen Positionen unter der Decke eingenommen hatten. So konnten die Beobachter mitverfolgen, was geschah.
Die grauen Vampire wurden schnell und zuverlässig abgewehrt. O'Hoolihan scherzte schon, dass Eileithyia Greensporn Quinn sicher noch einen Heuler schicken würde, weil er unschuldige Säuglinge in Dauerstress versetzte. Davidson hörte eine Männerstimme sagen: "Also, Sally Fields aus Boston ist eine Maulwürfin." Dann sahen die drei Beobachter, wie die Erscheinung der Vampirgötzin die Vernichtung der Gegner verkündete und ihre Kämpfer mit zusätzlicher Abwehrkraft versah. Zumindest wirkte die altägyptische Version des Sonnensegens auch auf eine mit dunkler Magie überfrachtete Blutsaugerin. Doch dann entstand auf der Seite der an die fünfzig Vampire, die zu je zehn erschienen waren, wieder ein roter Funkenstrom, der zu rotem Nebel wurde. Dieser durchdrang den Sonnenlichtwall. Wo Dunststreifen auf die dahinter wartenden Kollegen des Laveau-Institutes trafen zerstoben die schützenden Kopfblasen in kurzen, violetten Lichtentladungen. "Drachenmist! Das ist eine Abwandlung von Antiscotergia!" rief Quinn. Die beiden anderen begriffen sofort, was gemeint war. Doch wie sollten sie nun ihren Kollegen helfen, die drauf und dran waren, nun selbst dem immer noch im Raum treibenden Lähmgas zu verfallen?
"Werden die Gefangene machen?" fragte Quinn. Davidson schnaubte nur, während O'Hoolihan laut "Nein, nur Abkömmlinge!" rief. "Gut, dann machen wir auch keine Gefangenen!" rief Quinn Hammersmith. Noch ehe Davidson was sagen konnte tippte Quinn einen unterarmlangen, eiförmigen Gegenstand wie aus purem Silber an. Dieser leuchtete blau auf und verschwand, um keine zwei Sekunden später im Kinosaal zu erscheinen. "Die Definition gilt noch, dass Vampire keine Menschen mehr sind, Sir?" fragte er. Davidson verzog das Gesicht und sagte: "Nein, sind sie nicht mehr!" In dem Moment erstrahlte das silberne Ei. Silberne Flammen schlugen in den roten Nebel, der mittlerweile alle magischen Barrieren und Schutzbezauberungen aufgelöst hatte. Dann erstrahlte das portierte Ei in einem weißgelben Licht, wie die Sonne selbst. Das Licht breitete sich schlagartig aus, verdrängte den Nebel und traf auf die gerade auf ihre ausgewählten Opfer zueilenden Blutsauger. Diese erschienen für eine volle Sekunde wie völlig blanke Skelette. Dann zerbarsten sie in goldenen Flammen. Davidson sah die eine Vampirin, die einer der Mitarbeiter als Sally Fields identifiziert hatte. Diese stand noch einen Moment in einer schwarzen Aura. Dann zerstob diese, und aus dem Körper der Infiltratorin schlugen dieselben goldenen Flammen wie bei den anderen. Innerhalb von wenigen Sekunden gab es keinen Vampir und auch keinen roten Nebel mehr im Saal. Das eiförmige Ding hörte auf zu gleißen und nahm seine silberne Ursprungsfarbe wieder an. Dann verschwand es ohne begleitende Leuchteffekte. Quinn sagte nur: "Das bleibt da jetzt solange, bis alle wieder zu ihren Heimatdienstposten zurückkehren. Der weiße Spiegel kombiniert mit Intis Bollwerk, dem mächtigsten Sonnenzauber der Inkas", sagte Quinn. "Wenn ich richtig mitgestoppt habe kann das Ei noch fünf volle Minuten diesen Reinigungszauber entfalten. Solange kein Vampir im Umkreis von 300 Metern apportiert wird wird es vom Schild der Unerreichbarkeit geschützt. - Sie sagten, dass Vampire keine Menschen sind, Sir."
"Seit wann haben Sie diese Art von Flächenwaffe, Mr. Hammersmith?" wollte Davidson wissen. "Als ich ergründet habe, warum die Sonnenkinder diese Aura haben, die alle sonnenlichtempfindlichen Wesen zurücktreibt. Die haben das sozusagen ins Blut bekommen, was ich mit jeder Menge Golddraht, zwei Liter Goldblütenhonig und Mondsteinsilber hinbekommen habe. Im Moment habe ich fünf Stück von diesen Eiern."
"Wieso Eier und keine vollkommenen Kugeln oder Würfel?" wollte O'Hoolihan wissen. "aus dem mystischen Grund, weil aus jedem Ei neues Leben stammt, zumindest jenes, das aus mehr als einer einzigen Zelle besteht. Experimente mit einer vollkommenen Kugel haben zwar eine sphärische Ausbreitung des Zaubers bewirkt, diesen aber dann unaufhörlich und immer schneller ablaufen lassen, als hätte ich eine zweite Sonne erschaffen. Mann, war ich froh, die dreifache Gleitlichtbrille aufgehabt zu haben. Aber richtig heiß wurde mir, trotz feuerfester und gleichwarmer Kleidung", sagte Quinn Hammersmith.
"Ich habe Sie glaube ich schon mehrfach ersucht, mir regelmäßig eine aktualisierte Liste mit Ihren Neuheiten oder erfolgversprechenden Versuchen zukommen zu lassen, Mr. Hammersmith", grummelte Davidson. "Wenn ich Drachenritte wie diesen gerade befürworten soll will ich schon wissen, wie sie abgesichert und zum Erfolg gebracht werden können. Solche Überraschungen wie gerade eben schätze ich nicht."
"Das findet die Abgöttin der Vampire garantiert auch", grinste Sheena O'hoolihan und knuddelte den Ausrüstungsspezialisten.
"Können Sie die gezogenen Gasproben holen, um ein Gegenmittel gegen das Lähmgas zu erstellen?" fragte Davidson Hammersmith. Dieser bejahte es und stand auf. "Ich habe immer einen Gasvorgreifer mit. Ach ja, der hat mir bei den Experimenten mit dem Bollwerk Intis auch geholfen, als die Lufttemperatur mehr als Wassersiedetemperatur erreicht hat. Bis gleich!"
Quinn griff an seinen Gürtel und sagte "Drachenpups!" Dann verschwand er in einer blauen Portschlüsselspirale. Die beiden verbleibenden Beobachter konnten nun sehen, wie er nur zwei Sekunden später im Kinosaal auftauchte und sich keine Zehntelsekunde später eine magische Frischluftblase um seinen Kopf legte. Gerade flackerten auch bei den anderen wieder Kopfblasenzauber auf. Offenbar hatten die Gasvorgreifer sich von der Überrumpelung erholt. Doch die Kolleginnen und Kollegen waren dem tückischen Gas zum Opfer gefallen.
Quinn zog selbst noch einmal Gasproben und nahm die bereits entnommenen Gasproben an sich. Dann löste er den am Gürtel getragenen Portschlüssel erneut aus und erschien wieder im Beobachtungsraum.
"Die anderen sind alle halbohnmächtig, unfähig, aus eigenem Antrieb zu handeln", meldete Quinn. "Ich hoffe, ich kriege das schnell raus, was für ein Zeug die Götzinnendiener da ausgebracht haben. Bis gleich!"
Quinn verließ den Beobachtungsraum. Die beiden verbleibenden Beobachter sahen auf die drei Bildverpflanzungswände. "Dieses Laufbildabspielgerät muss durch die mehrfachen Flächenzauber überlastet worden sein", seufzte Sheena O'Hoolihan. "Hoffentlich haben die noch eine Kopie von ihrem Lehrfilm."
"Ich glaube, ich werde den Bristols und Brenda Brightgate die Jahresverdiensturkunde überreichen. Das wäre beinahe ins Auge gegangen", seufzte Davidson. Ich lese noch einmal nach, wer diese Sally Fields war."
"Ich schicke ein paar von uns hin, Mia auch, wenn sie mag. Wenn unser Bastelonkel und Barmixer die Zusammensetzung hat kann ich die an die Unterstützungstruppe weitergeben." Damit war Davidson einverstanden.
Zwei Stunden später konnten die Betroffenen durch eine gasförmige Gegenlösung aus dem Bann des Willensunterdrückungsgases befreit werden. Quinn hatte herausbekommen, dass es sowohl das auch den Nichtmagiern bekannte Scopolamin enthielt, aber auch die drei Gifte einer Runespore-Schlange, die zu einer geistigen Lähmung und bedingungslosem Gehorsam führten, sobald die Gaskonzentration auf die Hälfte sank. Eine Hundertschaft der LI-Mitarbeiter besorgte eine abgestimmte Gedächtniskorrektur bei allen 195 verbliebenen Zuschauerinnen und Zuschauern. Dieser Korrektur nach war Sally Fields keine Teilnehmerin an diesem Kurs, sondern war bereits vor zwei Tagen bei einer missglückten Bombenentschärfung verstorben.
Nachdem alle Spuren des Willenslähmgases mit Luftreinigungszaubern ausgetrieben worden waren konnten die Seminarteilnehmenden ihren vielschichtigen Fortbildungskurs fortsetzen. Das Silberei würde sie beschützen, falls die Abgöttin erneut versuchte, die Teilnehmer zu unterwerfen.
Es war ihr noch gelungen, trotz der massiven Welle unerträglicher Sonnenmagie alle aus ihren verbrennenden Leibern gelösten Seelen in sich aufzunehmen. Mit den Kristallkriegern war dies ihr nicht gelungen. Die waren mal wieder zu Plärrbälgern portiert worden und von diesen völlig unbeabsichtigt zu Staub zerschrien worden.
Nun mit allem, was Night Swallow gewusst, gefühlt und getan hatte vereint wusste die Göttin nun alles, was es über das FBI zu lernen gab. Auch wenn die Aktion "Nachthimmel" mit einer grellen Explosion unbekannter Sonnenmagie geendet hatte sah sich die Göttin nicht ganz als Verliererin. Sicher, jetzt würden diese selbstherrlichen Verteidiger der Rotblütler darauf achten, dass sie keine weiteren Sicherheitsbehörden der Rotblüter infiltrierte. Doch so umfangreich wie die organisiert waren mochte es hier und da eine Lücke geben. sie hatte sogar schon eine Idee, was sie demnächst machen wollte. Doch zunächst würde sie ihre üblichen Aktivitäten betreiben. Denn die Mondanheuler wurden auch wieder frech. Das lag garantiert daran, dass auch sie von Buggles' Leuten beharkt worden waren. Zu gerne wüsste sie, wie die blaue Todesstrahlung erzeugt wurde, um diesen Pelzwechslern die Felle über die Ohren zu ziehen, bevor sie sich in ihre armseligen Menschenformen zurückverwandeln konnten. Ja, Werwölfe lebendig zu häuten und mit den so gewonnenen Fellen Prunkgewänder ihrer Priester und Priesterinnen zu schneidern, das gefiel der Göttin der Nachtkinder. Sie musste nur herausbekommen, wie das anzustellen war.
"Ich werde dein Andenken ehren, Night Swallow. Denn auch wenn du im Kampf für unsere Sache dein Leben geben musstest, war deine Idee doch sehr beachtlich", dachte die Göttin.
Gerade hatte Davidson den beiden Bristols und deren Verwandte Brenda Brightgate vor allen am Einsatz "Nachtfrieden" beteiligten für die rechtzeitige Vorwarnung und Einsatzvorbereitung gedankt. Ohne Jeffs Wissen über das FBI und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätte das LI die Masseneingemeindung ausgerechnet während eines Lehrfilms über Geiselnahme und -befreiungsaktionen nicht verhindert. Dann hätten sie über hundert vampirisierte FBI-Leute in der Welt gehabt. "Es steht zu befürchten", setzte Jeff nach der Danksagung an, "Dass die Abgöttin Sally Fields Wissen gänzlich in sich aufgenommen hat und weiterhin Gebrauch davon machen wird. Daher müssen wir aufpassen, ob sich sowas irgendwann wiederholt. Wir wissen leider nicht, wann genau Sally Fields zur Vampirin wurde und somit auch nicht durch wen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Blutgötzin den Zugriff auf die Archive des FBI auch dazu nutzen kann, gefährliche Verbrecher zu suchen und für ihren Orden zu rekrutieren. Wir hatten gestern einen sehr wichtigen Erfolg. Aber wir hatten auch verdammt viel Glück, Leute. Ohne Quinns Sonnenei hätten die uns auch zu ihren Geschwistern gemacht. Das wäre das, was bei den Atomkraftwerkern der Nichtmagier als Supergau bezeichnet wird, der größte anzunehmende Unfall. Deshalb danke ich auch Mr. Hammersmith für seine kreativen Lösungen, die uns schon oft die Hälse gerettet haben, wie es gestern überdeutlich geschehen ist."
"Ja, und das Seminar läuft noch, Ladies and Gentlemen. Am Ende haben auch die Lykanthropen davon Wind bekommen und versuchen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihre obskure Mondbande hineinzubeißen", warf Blackthorn ein, der noch damit haderte, fast selbst zum Götzinnendiener geworden zu sein. "Die unsichtbaren Erkunder bleiben jetzt über dem Gelände. Die haben eingebaute Miniaturlykanthroskope", sagte Quinn. Das beruhigte Abe Blackthorn ein wenig.
Alle besprachen das nachbetrachtete und miterlebte, die Befürworter der hellen Künste, jene der Elementarkräfte und jene, die den dunklen, mitternächtigen Zauberkünsten hold waren. Die beiden zu Altmeisterinnen berufenen Zwillingsschwestern Kaliamadra und Iaighedona amüsierten sich über die Ideen der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder und dass diese offenbar durch die Einverleibung Iaxathans neue Gemeinheiten erlernt hatte. Iaighedona meinte zu ihrer Schwester: "Jetzt wissen wir wenigstens, dass es noch wen gibt, der den Hauch der fleischlosen Schwächung beherrscht. Hat den lebenden Lichtfolgeschergen vom Laveau-Institut nicht richtig gefallen, dass sie damit kampfunfähig gemacht wurden. Die verdanken das diesen unsichtbaren Spähvorrichtungen, die dieser Quinn Hammersmith gebaut hat. Ohne diese Dinger hätten die Leute um Davidson jetzt an die zwanzig treue Mitarbeiter weniger und zwanzig gefährliche Gegner mehr."
"O ja, das hätte die Umsicht und das Vertrauen innerhalb dieser Vereinigung sehr empfindlich gestört", feixte Kaliamadra. Dann sagte sie: "Aber womöglich wird alles Streben dieser Nachtgöttin und auch das ihrer Gegenspieler wertlos, wenn das wieder schlagende Herz des Seth seine volle Kraft erreicht."
"Da muss ich dir zustimmen, Schwester", erwiderte Iaighedona.
Als Jeff Bristol am Morgen des fünften Juli um 08:30 Uhr in das mit seinem Kollegen Ralf Burton geteilte Büro kam fand er einen Zettel auf der Tastatur seines Arbeitsrechners.
Bin spontan für einen Monat weg. Wichtige Außendienstrecherche. Keiner darf wissen, wo ich bin. Lass bei Anrufen nur meinen AB drangehen! E-Mails darfst du beantworten, aber nur mit meiner Adresse und Signatur. Ich erwarte derzeitig keine besonderen Anfragen oder Benachrichtigungen. Auch bitte keine Fragen an Dunston! Ich hoffe, du kannst den Laden in der Zeit alleine schmeißen.
Bis zum August!
Ralf
"Oder der Laden schmeißt mich", grummelte Jeff dem Zettel zugewandt. Das hatte er bisher noch nicht erlebt, dass sein Kollege einfach so wegfuhr, ohne zu erwähnen wohin. Jeff dachte an den obskuren Informanten Tinwhistle, der oder die bis auf eine Ausnahme exklusiv mit Ralf Burton unterhandelte. Vielleicht ging es auch um die Unterredungen, die Ralf mit dem Redakteur Mike Dunston hatte und von denen er Jeff nur erzählt hatte, dass es um die Vorbereitungen einer wichtigen Recherche ging. War die so geheim, dass er dem Kollegen nichts davon sagen durfte? Jeff musste innerlich grinsen. So hatte Ralf seine ganz eigenen Geheimnisse, wie er ja auch.
Jeff griff zu seinem Telefonhörer, drückte die drei Tasten für Dunstons internen Anschluss und wartete, bis dieser sich meldete. "Guten Morgen, Sir, hier Jeff. Bin bis auf weiteres allein im Büro. Hat das seine Richtigkeit?"
"Ja, die hat es, Jeff. Ich bat darum, Ihnen eine unverfängliche Mitteilung zu hinterlassen. Haben sie diese?"
"Die hat mich in die Finger gebissen, als ich meinen Rechner hochfahren wollte, Sir. Da steht auch, dass ich nicht mehr als was draufsteht von Ihnen fragen soll", erwiderte Jeff. "Auch das ist richtig, Jeff. Ich hoffe, wir beide können die Abteilung alleine in Gang halten", erwiderte Dunstons Stimme. "Hoffen können wir immer, Sir. Ich setz mich jetzt an die Sache mit Al Cardigan."
"Ja, tun Sie das!" bestätigte Dunston. "Öhm, Jeff, prüfen Sie bitte Mäuschen auf besondere Vorkommnisse!" wies Dunston ihn an. Jeff bestätigte das und legte den Hörer wieder auf.
Mäuschen war eine an und für sich illegale Einrichtung der Kriminalreporter. Es handelte sich um ein Computerprogramm, das den Polizeifunk abhörte und wichtige Meldungen auf einer gut versteckten Festplatte speicherte. Doch im Augenblick war nichts los außer drei Unfällen und zwei Ladendiebstählen in der 5. Avenue. So konnte es gerne bleiben, dachte Jeff. Doch er wusste, dass es schneller wieder unruhig wurde.
Gegen elf Uhr klingelte Ralfs Telefon. Wie es die Mitteilung vorsah ließ Jeff den Apparat klingeln. Wer immer was von Ralf wollte sollte es auf den Anrufbeantworter sprechen.
Mittags aß er mit den Kollegen aus den anderen Abteilungen in der Kantine. Dabei konnte er sich über die derzeitige Landespolitik unterhalten. Die USA standen immer noch in der Kritik wegen des Gefangenenlagers von Guantanamo auf Kuba und ob der Krieg in Afghanistan wirklich gerechtfertigt war, zumal keiner der "hohen Damen und Herren" wusste, was nach einem Abzug der allierten Truppen passieren würde. Nicht wenige unkten, dass die Taliban sofort wieder an die Macht kämen, wenn die Truppen abzogen. Dem konnte Jeff nicht ganz widersprechen. Andererseits wusste er, dass dem internationalen Terrorismus entgegengewirkt werden musste. Weniger schön war es, dass herausgekommen war, dass die Bush-Administration zusammen mit der britischen Regierung die angeblichen Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gefälscht hatten und so einen auf Lügen und falschen Beschuldigungen bauenden unrechtmäßigen Krieg vom Zaun gebrochen hatten. Dazu kamen noch seit Mai 2004 aufgekommene Vorwürfe, dass US-Soldaten oder Geheimdienstangehörige Gefangene im Abu-Ghuraib-Gefängnis gefoltert haben sollten. Falls das stimmte würde das Ansehen der USA noch weiter beschädigt. Der Zweck heiligte nicht jedes Mittel, dachte Jeff Bristol.
Nachmittags schrieb er noch einen Artikel über mögliche Geldwäscheverfahren mit panamesischen Banken. Der Polizeifunk meldete, dass es in Queens einen Code 187, also einen Mord oder Totschlag gegeben habe. Als Jeff den Namen Lorne O'Toole hörte merkte er auf. O'Toole gehörte wie sein derzeitiges Recherchesubjekt Alan Cardigan zum irischen Syndikat "Eisernes Kleeblatt". Entweder war es eine Femetat der Organisation oder ein Angriff von außerhalb. Falls zweites passiert war mochte das einen Vergeltungsschlag nach sich ziehen.
"Mr. Dunston, sie haben O'Toole umgebracht. Wer genau wissen die Cops noch nicht. Aber es sieht nach einer Hinrichtung im Bereich der Irischen Mafia aus."
"Gehörte O'Toole nicht zum gleichen Verein wie Cardigan?" fragte Dunston über Telefon. Jeff bejahte es und erwähnte, dass O'Toole für das Kleeblatt mehrere halblegale Transaktionen durchgeführt hatte. "Sie haben doch Ihren Informanten in der Organisation. Können Sie nachfragen, was da los war?" wollte Dunston wissen. Jeff erwähnte, dass er hierfür nur die Erlaubnis des Redakteures bräuche. Die bekam er.
"Hi, Grady, hier Jeff. Was ist denn da gerade bei euch in Queens los?" fragte Jeff, nachdem er eine nur ihm bekannte Nummer gewählt hatte. "Ach, ist das bei euch Zeitungsleuten schon angekommen. Jemand sucht wohl Ärger in der Zeitarbeiterbranche. Kann sein, dass da jemand Grundstücksgrenzen missachtet hat. Mehr konnte ich bis jetzt aber nicht rauskriegen", erwiderte Jeffs Kontakt im besten irischen Akzent. "Aber wenn Cardigan mit drinhängt kriegst du über unseren Kanal Nachricht."
"Wenn der mit drinhängen sollte will der Krieg mit den Neapolitanern. Ich hörte von noch wem aus eurer Gegend, dass er Don Alfredo eine Gruppe aus Südamerika abgeworben hat."
"Öhm, dann ist der lebensmüder als ich dachte, Jeff. Mit Don Alfredo legt sich keiner mit Verstand an. Vor dem kuschen ja sogar die neun großen Sizilianer", meinte Grady. "Na ja, sie akzeptieren sein Erbe und sein Revier. Mehr Entgegenkommen kriegen er und die anderen aus dem Club Napoli nicht."
"Burgfrieden, ne?" Jeff bejahte das. Wer Macht hatte wollte keinen blutigen Krieg riskieren, wenn er nicht offen und schmachvoll angegriffen wurde.
"Ich bleibe auf jeden Fall an der Geschichte dran", versicherte Jeff. Grady wünschte ihm dafür viel Glück. Jeff bedankte sich. Wenn O'Toole oder gar Cardigan sich mit den Ablegern der Camorra anlegte würden auch die großen neun der Cosa Nostra nicht all zu still halten. Jetzt bedauerte Jeff, dass Ralf Burton gerade nicht da war. Der hätte über Tinwhistle mehr rausbekommen können.
Da bis zum Feierabend keine weiteren Neuigkeiten vermeldet wurden fuhr Jeff in seinem schwarzen Mustang wieder nach Hause.
Der Morgen begann für Julius wie die meisten Morgen seit der Geburt der Zwillinge. Um halb vier war sozusagen Weckdienst. Brauchten die zwei kleinen Schwestern frische Windeln, war er zuständig. Ansonsten führte Millie vor, warum der Fütterungsakt bei Säuglingen Stillen genannt wurde. Wenn er schon dabei war, sich um die beiden Schwestern zu kümmern, half er auch Béatrice bei der Versorgung seines Sohnes. Sie fragte ihn in Gedanken: "Und, hat sie beschlossen, dass sie dir diesen Stern doch nicht überlassen will?"
"Kann sein, dass was ist, dass ihr sagt, ob es gerade nicht nötig ist, dass ich ihn bekomme", mentiloquierte Julius zurück. "Wird noch passieren, sonst hätte sie uns beide nicht dazu gebracht, ihn hier in die Welt zu setzen", gedankenantwortete Béatrice und strich den gerade von ihr trinkenden kleinen Latierre behutsam über den Rücken. Weder Gesicht noch Haltung sagten Julius, dass sie es bereute, den kleinen Félix geboren zu haben. andererseits konnte er sich vorstellen, dass Millie und sie sich durchaus veralbert fühlen mussten, wenn Ashtaria erst einen so heftigen Alarm gemacht hatte und dann Funkstille hielt. Oder wartete die darauf, dass er noch etwas wichtiges erledigte, bevor sie ihm den Stern gab? Er ging zwar davon aus, dass sie oder Ammayamiria ihn denken hören konnten. Doch wenn sie nicht antworteten waren sie eben nicht da. Er sollte bloß nicht jede Sekunde damit rechnen, dass eine der beiden transvitalen Entitäten ihn mal eben von wo immer wegrief. Für dringende Sachen gab es ja noch fünf zaubermächtige Erben und für Sachen mit Muggelweltberührung konnte auch Maria Valdez einspringen.
"Es wird die Damen Grandchapeau sicher mehr freuen als mich, was Interimsministerin Bullhorn mir in ihrem mir heute morgen zugestellten Antwortschreiben mitteilte", eröffnete Martha Merryweather die Berichterunde der allwerktäglichen Konferenz. "Wenn Madame Grandchapeau es erlaubt, möchte ich den Inhalt dieses Schreibens mit Hilfe des Vorlesezaubers wiedergeben." Nathalie erlaubte es.
So holte Julius' Mutter ein Pergamentblatt hervor und rief zunächst das Abbild der Verfasserin über dem Zettel hervor. Dann ließ sie mit dem Vorlesezauber den Inhalt mit Ministerin Bullhorns Stimme vorlesen.
Die Übergangszaubereiministerin begrüßte Martha Merrywweather und bekundete ihre Hoffnung, dass es ihren drei Kindern weiterhin gut ergehe. Dann kam sie schnell und ohne amtliches Drumherum auf den Punkt: "Da sie, Mrs. Merryweather, durch ihre vorsätzliche Unterbindung der bisherigen Internetbetätigungen das Vertrauen Ihrer bisherigen Mitarbeiterinnen nachhaltig erschüttert haben werde ich in der jetzigen Übergangsphase unserer Verwaltungsarbeit nicht darauf drängen, Sie wieder mit diesen Damen und Herren in einen Raum zu schicken, zumal sich mir und meinen Beratern die Existenzberechtigung Ihrer Untereinheit bis heute nicht erschließt. Sicher mag es in der nichtmagischen Welt über dieses Internet schneller möglich sein, Menschen über Vorkommnisse jeder Art zu informieren. Doch dafür extra menschliche Ressourcen abzustellen erscheint mir so wie Handels- und Finanzabteilungsleiter Picton nicht geboten. Falls doch, werde ich wohl die Abteilung mit neuen, loyalen Fachkundigen besetzen, sofern Sie nicht bereit sind, vor einer Wiedereinstellung ausführlichst über die Beschaffenheit und Arbeitsweise jenes Arkanet-Systems zu berichten. Außerdem ist zu prüfen, ob die von Ex-Minister Buggles suspendierte Staatsangehörigkeit wieder in Kraft treten oder dauerhaft aufgehoben bleiben wird. Dies möchte ich jedoch erst dann verbindlich verfügen, wenn die Abstimmung über eine Neuauflage der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation vorbei ist. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine angenehme Zeit ..."
"Wir hhaben uns doch ausführlichst darüber unterhalten, dass Ihr Verhalten, das Arkanet für die von Lionel Buggles beeinflussten unzugänglich zu machen, keinen Zerstörungsvorsatz beinhaltete, richtig?" fragte Nathalie Martha Merryweather, nachdem sie das Abbild Atalanta Bullhorns hatte verschwinden lassen. Julius' Mutter bestätigte das hier und vor allen Zeuginnen und Zeugen. "Auf dieser Grundlage habe ich Sie in die elektronische Nachrichtenverwaltung dieser Behörde einberufen. Offenbar ist sich die Interimsministerin der USA ihrer Autorität nicht mehr so sicher wie am dritten Juli noch. Insofern hoffe ich sehr, dass Ihre derzeitige Obdachgeberin Madame Eauvive auch weiterhin bereit ist, Ihnen Wohnraum und Zugang zu ausreichender Nahrung zu gewähren. Oder liegt diesbezüglich schon eine Ankündigung vor, wie lange Sie noch bei ihr wohnen dürfen?" Julius' Mutter beteuerte, dass Antoinette Eauvive ihr solange Obdach und Anteil an den Mahlzeiten gewährte, bis sie von sich aus einen anderen Wohnsitz für sich und ihre drei Kinder fände, den sie alleine bestreiten könne. Julius meldete sich.
"Außerdem sind die Ladies und Gentlemen in den nordamerikanischen Zauberergemeinschaften gerade uneins, wie es mit den Kobolden und Gringotts weitergeht und ob wieder mit Gold und Zahlungsanweisungen oder mit dem sogenannten Neugeld bezahlt wird. Insofern hat Madame Merryweather hier in Frankreich derzeit weniger finanzielle Engpässe zu befürchten." Seine Mutter grinste mädchenhaft, auch Rose Devereaux grinste. Nur Primula Arno wiegte den Kopf und bat ums Wort.
"Also für reinrassige Menschen gilt das. Aber für Zwergen- oder Riesenstämmige sind die Kobolde nicht sicher, ob sie nicht noch eine Extraabgabe verlangen sollen, eine "König Malin-Pauschale", wie es einer der Spitzohrigen mir echt vorgestern unter meine Nase geknallt hat."
"Stimmt, ist noch nicht ganz ausgestanden", meinte Belle Grandchapeau. Doch sonst konnten sie in diesem Zusammenhang nicht mehr beraten, weil es die Angelegenheiten der Finanz- und der Zauberwesenbehörde betraf.
Als sie nach der Konferenz in den Rechnerraum gingen erfuhren Primula, Martha und Julius, dass es in London eine Serie von Bombenanschlägen auf öffentliche Verkehrsmittel gegeben hatte. Für die gebürtigen Engländer war das ein heftiger Schreck in der Morgenstunde. Sie prüften sofort nach, ob ihnen bekannte Leute dabei zu Schaden gekommen waren. Doch von denen, die Voldemorts Vergeltungsanschlag auf die Nachbarschaft der Andrews' überlebt hatten war niemand zu Schaden gekommen.
"Jetzt werden sie in England noch mehr gegen muslimische Mitbürger hetzen", seufzte Martha ihrem Sohn zu. Dieser erwiderte: "Ja, und vor allem werden sie sehr laut nach mehr Videoüberwachung schreien. Das betrifft dann auch uns, auch in Frankreich. Denn was in London passiert ist kann auch jederzeit in Paris passieren, wo so viele aus den ehemaligen Kolonien hier untergekommen sind." Martha Merryweather bejahte es unwillig.
So verbrachten sie die Zeit bis zur Mittagspause damit, einen Kurzbericht über die Anschläge in London zu verfassen und diese als Grundlage für eine noch dichtere Kameraüberwachung zu bezeichnen, was hieß, dass magische Vorkommnisse noch wahrscheinlicher erkannt und aufgezeichnet werden konnten. Julius schlug seiner Mutter eher zum Scherz vor, dass ein Kameraverwirrzauber erfunden werden müsste, der echte Hexen und Zauberer genauso unaufnehmbar machte wie es Veelas und Veelastämmige waren. Da meinte sie, dass sie das als Antrag zur Durchführung eines Projektes einbringen würde, bei dem dann auch die Leitung der anderen Behörden, die mit Zauberwesen und magischen Vorkommnissen zu tun hatten, einbezogen werden sollten. So konnte ein kleiner Scherz einen Riesenbatzen zusätzlicher Arbeit einbrocken, dachte Julius.
Als sie dann nachmittags noch von Anschlägen in Birmingham erfuhren rief Julius über die Internet-Telefonsoftware bei den Brickstons an. Catherine erwähnte, dass ihr Schwiegervater von seinem Mobiltelefon aus angerufen habe, um "schnellstmöglich" zu versichern, dass ihm nichts passiert sei. Allerdings seien zwei seiner Busfahrerkollegen verletzt worden und lägen jetzt auf der Intensivstation. Julius sog Luft zwischen den Zähnen ein. "Er hat gesagt, dass der Termin am achtzehnten auf jeden Fall eingehalten werden kann", fügte Catherine noch hinzu. So konnte Julius über das Arkanet Pina und ihren Chef Tim Abrahams mitteilen, dass er bereits erfahren habe, dass die Eheleute Brickston nicht zu den Opfern der Birminghamer Anschläge gehörten.
"Wenn ich das so lese sehe ich immer noch dieses Flugzeug über uns hinweg in den Turm des Welthandelszentrums hineinfliegen", seufzte seine Mutter. Julius nickte. Er konnte sich auch noch sehr gut an die Stunden zwischen Hoffen und Bangen, Tränen der Furcht und Tränen der Freude erinnern. Da war Chrysope gerade erst ein paar Wochen in Millies fruchtbarem Schoß.
Zum Abschluss des Tages legte Martha ihrer Vorgesetzten den Bericht vor und erwähnte die ersten Grundzüge eines Projektes, dem sie den Arbeitstitel "Blickschutz" gegeben hatte. Belle Grandchapeau meinte dann: "Die Gefahr einer Überflutung der nichtmagischen Welt mit Überwachungskameras war ja schon länger bekannt. Aber jetzt dürfte sie akut werden. Wir besprechen das in der Konferenz und sehen, ob die anderen von Ihnen erwähnten Abteilungsleiterinnen und -leiter entsprechenden Handlungsbedarf sehen und Mitspracherecht einfordern."
Als Julius Millie und Béatrice erzählte, was in seinem Geburtsland geschehen war und auch, welche Rückschlüsse seine Mutter und er daraus zogen, meinte Béatrice: "Ja, ich erinnere mich an einen Ausflug in die von Ex-Kolonialbürgern bewohnten Vororte, weil da auch einige Hexen und Zauberer aus Algerien und dem Senegal untergekommen sind. Die meinten auch, dass die meisten Jugendlichen da vor lauter Langeweile und Frustration, nicht gebraucht oder gar erwünscht zu sein, auf dumme Gedanken kämen und ein Funke reiche, das angesammelte Schießpulver zu zünden." Das konnte Julius nicht abstreiten, da er von Catherine auch schon entsprechende Rückmeldungen bekommen habe, weshalb sie froh sei, dass sie in einem eher gehobenen Stadtviertel wohnte.
"Dann haben Martha und du aber in den nächsten Wochen viel zu tun", meinte Millie. Das konnte Julius auch nicht abstreiten.
Doch auch Aurore und Claudine würden viel zu tun haben. Denn Claudine hatte Aurore gefragt, ob sie für ihre kleinen Geschwister Musik machen wollte. Nach einigen bangen Sekunden hatte Aurore zugestimmt, zumal Miriam ja dann auch mit in die kleine Musikantinnengruppe einsteigen wollte. Da sowohl Millie als auch Béatrice während der Stillzeit meistens zu Hause waren konnten sie auf die drei achtgeben. Julius sollte das Ergebnis dann aber erst bei der Feier für die drei neuen Kinder selbst zu hören bekommen.
Von der gemalten Viviane Eauvive erfuhren die Latierres am Abend, dass Florymont eine Mischform aus U-Boot und Luftschiff bauen wollte, mit der sowohl die höheren Luftschichten über 20.000 Metern als auch wie bei der Nautilus die tiefsten Bereiche der Tiefsee erforscht werden könnten. Wegen der Eigenschaft zu fliegen und zu tauchen suchte Florymont einen Namen, der die beiden Eigenschaften zusammenfasste. Julius dachte an tauchfähige Seevögel wie Möwen oder Papageientaucher oder Kormorane. Deshalb ging er kurz noch einmal ins Baumhaus und ließ sich verschiedene Vogelnamen mit ihren wissenschaftlichen Namen ausdrucken. Diese Liste schickte er an Florymont.
Anthelia/Naaneavargia und Louisette Richelieu sahen zusammen über den gegen magische Einstrahlung abgeschirmten LCD-Fernseher einen Sonderbericht über die Anschlagsserie in London und Birmingham. Obwohl die beiden Hexenschwestern vieles heftige miterlebt oder gar bewirkt hatten blickten sie besorgt auf die Bilder der Zerstörung und hörten die Auszüge aus Stellungnahmen oder Kommentaren.
"Wird das nun zur Regel, dass sich die magielosen gegenseitig umbringen?" fragte Anthelia. Louisette wusste darauf keine Antwort. "Wenn das Leute aus den ehemaligen Kolonien waren wird das die Abneigung gegen Fremde steigern, die sowieso schon in England und auch Frankreich besteht."
"Nun, im Augenblick wissen die Ordnungshüter mit ihren unzulänglichen Mitteln nicht, wer die Angriffe auf die Untergrundbahn und Autoomnibusse ausgeführt hat. Immerhin könnten das ja auch erzürnte Briten gewesen sein, die genau das erreichen wollen, die Schuld auf die eingewanderten Bewohnerinnen und Bewohner ehemaliger Kolonienschieben", vermutete die höchste Schwester des Spinnenordens. Louisette begriff sofort, was sie meinte. Immerhin hatte der ehemalige US-Zaubereiminister Wishbone ja versucht, dem Spinnenorden die Schuld an seiner angeblichen Ermordung anzuhängen. So sagte Louisette: "Die Spekulationen dürften gerade wie aufgescheuchte Hornissen umherschwirren. Wahrscheinlich wird man erst in einigen Tagen wissen, wer dafür in Frage kommt. Aber was sicher geschehen wird ist, dass die Magielosen ihre öffentlichen Verkehrsmittel und viel mehr Straßen und Plätze mit Videokameras bestücken werden. Das könnte auch für uns sehr unangenehm werden." Anthelia nickte heftig. Sie wusste schließlich von ihrem einstigen Kundschafter Ben Calder, alias Cecil Wellington, was die Nichtmagier schon alles machen konnten. So sagte sie: "Dann müssen wir bei unseren Eingriffen ins Geschehen auf gute Unsichtbarkeit achten und/oder die Zeugen unserer Handlungen vergessen machen, dass wir da waren, ob lebendig oder elektrisch betrieben." Dem pflichtete Louisette bei. Anthelia erfasste, dass die wegen Ladonnas Werbung brauchbarer Hexen für tot und begraben gehaltene Hexe aus Monaco an Albertine Steinbeißer dachte, die ja genau dafür zuständig war, magische Ereignisse für Nichtmagier ungeschehen darzustellen. Sie vermisste sie. Anthelia dachte deshalb daran, wie ahnungslos Louisette noch war, was ihre nicht ganz heimliche Geliebte anging. Doch sie sagte nichts dazu.
"Es wird zeit, dass wir diesem Irrsinn ein Ende machen, höchste Schwester", sagte Louisette. Anthelia räumte ein, dass dies bei Einzeltätern oder überschaubaren Gruppen unbedingt anstand. Doch wenn sie irgendwie die Vorherrschaft der Hexen auf der ganzen Welt durchsetzen wollten ging das nur, wenn den Hütern und Lenkern jener Massenvernichtungswaffen mit Kernspaltungsfeuer die Kontrolle über eben diese Waffen entzogen werden könnte. Daran, so Anthelia, wolle sie nun arbeiten, wo die körperliche Gewalt wieder mehr Raum in den Völkern der Welt einnahm, nicht nur in den Entwicklungsländern. "Wir müssen auch davon ausgehen, dass Ladonna Sardonias Weg weiterverfolgt und den gewaltsamen Weg zur Vorherrschaft beschreitet, nachdem wir ihr die Möglichkeit nahmen, mehrere Zaubereiministerien zu beherrschen", sagte Anthelia. "Das ist ein Krieg an mehreren Fronten zugleich", stellte sie klar.
Die Königin hatte gerufen, und alle mussten kommen, die den Ruf vernehmen konnten. An die 200 alte und neue Schwestern erschienen in der Grotte, die der Treffpunkt der Feuerrosenschwesternschaft waren. Das Eintreffen zog sich über eine halbe Stunde hin. Dann erschien auch sie, die Rosenkönigin.
Wie immer trug die Herrin Italiens schwarze Kleidung. Heute war es ein nachtschwarzes Seidenkleid, dass ihr bis zu den Waden hinunterreichte. Ihr schwarzes Haar reichte bis auf ihren oberen Rücken herab. Ihre smaragdgrünen, kreisrunden Augen überstrichen jede hier anwesende Hexe von gerade erst mit der Schule fertig bis mehrfache Großmutter. Dann sprach sie:
"Schwestern im Bunde der Feuerrose. Die Ungebärdigen Hexen, die meinen, sich gegen unser Reich der Feuerrose auflehnen zu müssen, verzögern unseren großen Plan, diese Weltkugel unter die Führung unserer Schwesternschaft zu bringen. Ja, und die Schänder der Hexenehre, die sich unverfroren als Bewahrer und Mehrer magischen Lebens bezeichnen, haben selbst nach meiner unüberhörbaren Warnung, keine unfreiwilligen Zeugungsakte mehr zu erzwingen, ihre verwerfliche Tätigkeit fortgesetzt. Doch bald werden wir diesen Haufen die Hexenehre verachtender Halunken von der Erde tilgen.
Ich habe euch alle hergerufen, weil ich nun weiß, wie wir den von dieser Spinnenhexe vereitelten Griff nach Europa wiederholen können. Wir müssen zwar achtgeben, nicht zu schnell und nicht auffällig zu agieren. Doch wenn ihr tut, was ich bedacht und erwogen habe, dann wird das Jahr 2006 das Erblühen der Feuerrose in ganz Europa sehen. Jeder von euch ist für dieses Vorhaben eine wichtige Rolle bestimmt. Die Schwestern, die die Regionalherrinnen sind, haben ja bereits erste schriftliche Entwürfe erhalten. Doch euch allen, wie ihr in diesem erhabenen Bund vereint seid, will und werde ich nun erläutern, wie ich das vor Jahren schon gesteckte Ziel doch noch erreichen und uns alle zur führenden Macht auf diesem erdteil machen kann. Der Plan erstreckt sich auf einen Zeitraum von sieben bis neun Monaten, also ungefähr solange wie ein ungeborenes Menschenkind im schützenden Schoß seiner Mutter heranwächst. Dafür sehe ich mittlerweile mehr Erfolgsaussichten als bei der eigentlich schon sicheren Ministerkonferenz, die nur scheiterte, weil eine Abordnung unterwandert wurde. Also gilt es drei Dinge zu vollbringen: Die Unterwanderung der europäischen Ministerien zu enthüllen, die Minister auf eine gemeinsame scheinbar eigene linie zu bringen und sie dann an einem gegen neuerliche Störungen geschützten Ort zusammenzubringen, um sie dem Reich der Rose gewogen zu machen. Also hört alle her und bewahrt das Gehörte gut im Gedächtnis!"
Nun folgte über mehr als eine halbe Stunde eine ausführliche Darlegung von Ladonnas neuem Plan, doch noch die europäischen und dann auch andere Zaubereiministerien zu erobern. Dabei erwähnte sie auch, dass Frankreich, Großbritannien und Griechenland ihrer Führungen beraubt werden müssten, da Ornelle Ventvit durch einen Segen der Veelas gegen die Macht der Feuerrose abgesichert sei, Shacklebolt auf eine für Ladonna noch nicht bekannte Weise einen inneren Schutz besaß, ebenso wie der griechische Zaubereiminister Alexios Eudoros Anaxagoras. Daher müssten die drei entmachtet und handlungsunfähig an einen fernen Ort verbracht oder getötet werden. Zeitgleich wollte sie nach weiteren Niederlassungen von Vita Magica forschen und diese zerstören, um "Die Saat der Unerwünschten" auszulöschen. Alles in allem hätte jeder Zuhörer in diesem Moment wohl das eiskalte Grausen verspürt, mit welcher Entschlossenheit und Gnadenlosigkeit die Rosenkönigin vorgehen wollte. Doch die von ihr eingeschworenen Hexen vermochten nicht, sich gegen den Willen ihrer Königin aufzulehnen. Sie würden das tun, was diese jeder einzelnen von ihnen befahl. Als Ladonna Montefiori dies sicher wusste schickte sie ihre Schwestern und Unterworfenen zurück an ihre Wohnorte.
Anthelia, Portia Weaver und Louisette Richelieu hörten den Sprecher der Untersuchungskommission zum Verschwinden von Lionel Buggles aus Portias Zauberradio.
"So können wir hier und heute mit größtmöglicher Sicherheit feststellen, dass Madam Atalanta Bullhorn, derzeitig übergangsweise amtierende Zaubereiministerin der USA, keine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung am Verschwinden des ehemaligen Zaubereiministers Lionel Buggles angelastet werden kann. Die Zeugenaussagen über ihren Verbleib, so wie die auf Kommissionsbeschluss vom 10. Juli 2005 verfügte Befragung unter Einwirkung von Veritaserum ergab keinen Verdacht und auch keinen Hinweis darauf, dass sie die Beseitigung von Lionel Buggles veranlasst oder ausgeführt hat. Vielmehr sehen wir von der Untersuchungskommission des neuen Zwölferrates der magischen Rechtsprechung uns veranlasst, Madam Bullhorn für ihre Besonnenheit und ihren Willen zu friedlichem Miteinander aller Hexen und Zauberer zu danken. Es besteht kein Anlass, sie ihres derzeitigen Amtes zu entheben und/oder sie wegen Tatbeteiligung an einem magisch ausgeführten Mord zu verklagen. Allerdings müssen wir von der Untersuchungskommission rügen, dass die bisherigen Anstrengungen zur Ermittlung und Ergreifung des oder der Täter nicht ausreichen und geklärt werden muss, ob noch vor der in ganz Nordamerika stattfindenden Befragung zur Zukunft unserer drei Zaubereiverwaltungsbereiche verschärfende Maßnahmen getroffen werden sollten, um noch vor der Auszählung der Stimmen zu wissen, wer warum und wie Buggles Verschwinden bewirkt hat. Wir schließen uns der von Madam Bullhorn am 3. Juli gemachten Aussage an, dass ein Mord nicht ungestraft bleiben darf, egal aus welchen Beweggründen er verübt wurde. Auch wenn wir wissen, dass unsere Untersuchung kein befriedigendes Ergebnis über Tat und Täter erbracht hat hoffen wir, dass wir alle nun im Vertrauen auf eine besonnene und integere Amtsführung die Zeit bis zur Entscheidung über die Zukunft der drei nordamerikanischen Zaubereiverwaltungsgebiete nutzen können, um die nach dem Ergebnis bestmögliche Sicherheit gegen die bestehenden Feinde und Feindesgruppen zu erwirken. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."
Verhaltener Applaus erklang aus dem kleinen Radio. "Na, ob Bullhorn jetzt mit blütenweißem Umhang aus dieser Sache herauskommt, höchste Schwester?" fragte Portia.
"Hoffe du besser, dass die begonnenen Untersuchungen dich nicht zur Verdächtigen machen", sagte Louisette. Portia nickte. Denn den Tipp mit der Hauselfenabwehr in Good Times Castle hatte Anthelia von ihr erhalten. Kam man ihr drauf, konnte sie das die Freiheit oder das Leben kosten.
"Der neue oberste Richter wurde nun gefragt, ob erwiesene Mörder nun wieder mit einer Trennung an Leib und Seele rechnen mussten oder wie von Buggles unter Einfluss von Vita Magica umgesetzt vollständig an Körper und Geist zu Neugeborenen zurückverjüngt wurden, um noch einmal zu ordentlichen Mitgliedern der magischen Gemeinschaft aufzuwachsen.
"Wie nach dem Verschwinden von Lionel Buggles und der Enthüllung der von meinem Vorgänger mitgetragenen Fremdbestimmung durch Vita Magica erklärt bleiben alle wegen schwerer Verbrechen angeklagten zunächst als an Leib und Seele unangetastete Personen in Haft, bis über die Wiedereinführung der Seelenkerker oder die von Vita Magica bevorzugte Wiederverjüngung entschieden ist. Es galt und gilt, Untaten so zu bestrafen, dass mögliche Folgetäterinnen oder Nutznießer solcher Taten von solchen Untaten abgehalten werden. Im Augenblick können und wollen wir nicht hervorheben, ob eine Hinrichtung, eine Trennung von Leib und Seele zur ewigen Verwahrung zwischen Leben und Tod oder die vollständige Wiederverjüngung unter Verlust aller stofflichen und geistigen Errungenschaften die größere Abschreckung ausübt. Deshalb werden wir diese schwerwiegende Entscheidung erst dann treffen, wenn über das gesamte Gefüge der nordamerikanischen Zaubereiverwaltungen abgestimmt wurde. Bitte haben Sie dafür Verständnis."
"Als wenn Hinrichtungen Leute von Morden und Diebstählen abgeschreckt hätten", grinste Anthelia, während Portia an Louisettes Worte dachte. Galgen, Fallbeil oder Gifttrunk, Seelenglas oder Wiege und Windeln, nichts davon erschien ihr erstrebenswert. Anthelia sagte nur: "Ihr seht es ein, dass es doch die bessere Lösung war, dass ich mich nicht zu Buggles' Beseitigung bekannt habe. Jetzt muss Atalanta Bullhorn damit leben, dass nicht jeder ihr glaubt. Auch wenn in diesem Land der Grundsatz gilt, nicht die Unschuld beweisen zu müssen, sondern die Schuld, so wissen wir doch alle, dass einmal beschuldigte ihr Leben lang damit behelligt werden, dass sie beschuldigt wurden, vor allem, wenn die Anklagen in aller Öffentlichkeit vorgebracht wurden.
"Soll ich euch Beispiele nennen, wie schnell erwiesene Mittäter bei großen Verbrechen rehabilitiert wurden, weil sie es schafften ihre Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt auszuschließen?" fragte Louisette und zählte genug Beispiele aus der unrühmlichen Amtszeit von Didier und Pétain auf. Portia verwies auch darauf, wie viele von Buggles' Getreuen sich auf die ihnen aufgezwungenen Treuebekenntnisse berufen hatten, um nicht für die ihnen nachweisbaren Untaten bestraft zu werden.
"Hier noch eine Meldung bezüglich des mit dem Schloss der zeitweiligen Nordamerikanischen Zaubereiadministration verbrannten Dokumentenbestandes", setzte der für den gerade gehörten Sender tätige Nachrichtensprecher an: "Nach Abschluss der von den Archivaren vorgenommenen Untersuchungen steht fest, dass wir sämtliche Unterlagen des US-Zaubereiministeriums verloren haben und es nur auf einzelne Regionen bezogene Akten gibt, die in den entsprechenden Niederlassungen verwahrt wurden. Ebenso beklagt Kanada den Verlust von neunzig Prozent des eigenen Dokumentenbestandes, geht aber davon aus, dass das Zaubereiministerium in Großbritannien Kopien der fraglichen Dokumente besitzt und hofft darauf, Kopien der Kopien zu erhalten. Die entsprechende Anfrage sei bereits in London eingereicht worden. Mexikos derzeitiges Zaubereiministerium verzeichnet einen Dokumentenverlust von einhundert Prozent, da ja unter Buggles verfügt wurde, sämtliche Dokumente am vermeintlich sicheren Ort Good Times Castle zusammenzutragen. Sollten sich für die mexikanischen Zaubererweltbürger daraus Schwierigkeiten mit Behörden oder Eigentumsfragen ergeben behält sich der amtierende Zaubereiminister Mexikos eine Sammelforderung gegen das US-Zaubereiministerium vor, unabhängig von der am ersten September erfolgenden Auszählung der Umfragestimmen. Beobachter sind sich uneins, ob diese Aussichten einer Neuauflage der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation förderlich oder abträglich sind."
"Da werden sich in Mexiko sicher einige freuen, wenn ihre Akten verschwunden bleiben", feixte Anthelia. Portia nickte.
"Na, ob die zu spätem Kindersegen gebrachten Hexen und Zauberer wieder nachweisen müssen, dass Vita Magica sie beeinflusst hat?" wollte Portia wissen. Anthelia entgegnete darauf: "Ja, das könnte eines der angedeuteten Probleme sein, selbst wenn die Betroffenen heilmagisch nachweisen können, dass sie unfreiwillig Nachwuchs erbrütet haben. Die Heilerunterlagen lagen ja nicht in Good Times Castle." Das wiederum genügte Louisette und Portia, beruhigt dreinzuschauen, selbst wenn sie beide nicht zu den Betroffenen gehörten. Doch für Beth McGuire war es schon wichtig, dass sie offiziell zu den Opfern Vita magicas gehörte.
"Was macht Jacqueline?" wollte Anthelia von Louisette wissen.
"Sie hat es geschafft, in der Elektrorechnerabteilung des Zaubereiministeriums zu arbeiten", sagte Louisette. "Doch wenn du es mir nicht klar befiehlst kann und will ich mit ihr keinen Kontakt aufnehmen, höchste Schwester."
"Solange diese Veelabrütige nicht wieder in einem magischen Tiefschlaf auf dem Meeresgrund liegt sollte deine Nichte nicht wissen, dass es dich noch gibt, Schwester Louisette. Aber vielleicht benötigen wir irgendwann ihren Zugang zu diesen Rechnergeräten, wo dieses Internet immer einflussreicher und schier allgegenwärtig wird."
"Da hast du recht, höchste Schwester. Vor allem nach den Anschlägen in Großbritannien will das französische Zaubereiministerium einen Plan umsetzen, dass magische Wesen und Vorgänge vor elektrischen Bilderfassungsgeräten verborgen oder bereits gemachte Aufzeichnungen schnell und gründlich gelöscht werden können. Sie nennen es "Projekt Blickschutz"", berichtete Louisette.
"Soso. Hat Jacqueline es ihren Eltern erzählt?" wollte Anthelia wissen. "Nein, ihrer Base, der Tochter meiner Schwägerin", sagte Louisette.
"Ich werde mich mit Schwester Albertine darüber unterhalten", sagte Anthelia. Louisette lächelte bei der Nennung dieses Namens. Portia grinste verächtlich, unterließ jedoch jede Andeutung über Louisettes lesbisches Verhältnis.
"Wenn wir mehr über dieses Projekt wissen entscheide ich, inwieweit wir davon profitieren können. Sollte die deutsche Zaubereiverwaltung mit in die Umsetzung einbezogen werden bekommen wir ja auch einen Zugriff darauf", stellte Anthelia klar. Damit waren beide Mitschwestern zufrieden.
Weil die Latierres ja noch zur Geburtstagsfeier für Justin James eingeladen waren hatten die Brocklehursts erwähnt, mit den Gästen für die Willkommensfeier am Morgen des 19. Juli herüberzukommen. Lucky Merryweather war somit der erste Gast aus den USA, der mit einem der Pendelluftschiffe aus Viento del Sol herüberkam. Antoinette Eauvive hatte ihn eingeladen, mit seiner Frau und seinen drei Kindern bis zum vierundzwanzigsten zusammen in ihrem Schloss zu wohnen, und er hatte es angenommen.
Trotzdem er eigentlich froh über das anstehende Wiedersehen sein sollte und wo er früher ein Spaßvogel unter der Sonne war wirkte er sehr ernst und verdrossen, als er die Strickleiter des Luftschiffes heruntergeklettert war.
"Hallo, Martha, Hallo Julius. Nett, dass ihr mich abholen kommt", sagte er nur. Er umarmte seine Frau kurz, küsste sie jedoch nicht, was sie etwas verwunderte. Julius nahm ihr die Worte aus dem Mund und fragte ihn, was ihm auf der Seele liege.
"Unser Land dfliegt bald aus der Bahn, Julius. Wenn du mit wem aus unseren Staaten redest kann es in einem Moment ganz freundlich laufen und dann, bei einem Wort, voll den Kessel zum überlaufen bringen. Das habe ich mit dem Namensvetter deines Jungen erlebt, als der mit unserem neuen Gemeinderat für Kulturveranstaltungen darüber sprach, wie denn die Gage für unser Sommerfest bezahlt würde. Der hat dann ziemlich übel getönt, dass er doch nicht solchen Unsinn fragen solle und froh sein sollte, dass er überhaupt noch amerikanische Musik spielen dürfe, da ja viele wohl nur noch das lateinamerikanische Zeug von südlich des Rio Grande hören wollten. Da hat er gemeint, dass auch er eine Familie habe, die darauf angewisen sei, dass er das Essen für sie bezahlen könne und ein warmes Feuer und ein festes, dichtes Dach über dem Kopf hinbekommen müsse. Unser Kulturrat mag keine Country- und Westernmusik. Er ist Klassikfan. tja, und mich hat er dann bei der Gelegenheit noch gefragt, was ich nun ohne die Glocke für einen Käse machen wollte, wo "Man", also unsere Pausenfüllerministerin, deiner Mutter ja indirekt die Einreise in die Staaten verboten habe. Die Kinder dürfe sie wohl zurückschicken, aber nicht mehr selbst mitkommen, wenn sie kein Touristenvisum mitbrächte."
"Hallo, geht's noch? Ihr seid verheiratet, auch und vor allem bezeugt von einem US-Zeremonienmagier. Und gemäß den Familienstandsrechten darf die Mutter amerikanischer Staatsbürger, solange diese Minderjährig sind, mit diesen Kindern jederzeit Wohnsitz in den Staaten haben.", ereiferte sich Julius.
"Nicht nur ich frage mich, ob das mit Atalanta Bullhorn so eine Verbesserung ist, Julius. Aber da sie bisher noch nicht aus VDS rausgezaubert wurde tut sie nichts, was denen da böses will."
"Wenn sie meiner Mutter, deiner Ehefrau, Sabotage oder was noch schlimmeres vorwerfen will, dann soll sie das klar und deutlich aussprechen", sagte Julius. Darauf sagte seine Mutter, die bisher still danebengestanden hatte: "Ich bin gerade anwesend, Julius. Insofern, Lucky, wenn du deshalb Krach mit Bullhorn hast, weil du mit mir, einer klar bekennenden Verfechterin der Freiheit, verheiratet bist und sie es bisher nicht nötig hat, mich persönlich zu meinem Vorgehen mit dem Arkanet zu befragen, meinetwegen auch im Rahmen einer Vorladung, kann, will und werde ich ihr nicht helfen. Vielleicht hat sie auch schon eine Sanduhr im Kopf, die immer voller wird und auf der das Wort "Rücktritt" draufsteht. Weiß ich sowas."
"Interessante Vermutung. Müsste Chloe Palmer mal nachsehen, ob es so ist", grummelte Lucky. "Jedenfalls ist es in den Staaten gerade echt unlustig, sagt der Spaßvogel vom Dienst", fügte er noch hinzu. "Ach ja, und die Kobolde liefern sich gerade ein Wettstarren mit dem Zaubereiministerium, ob sie ihre ganzen Rechte wiederkriegen oder nicht. Und je länger das geht, desto lauter werden die, die die "Fremdbestimmung nichtmenschlicher Wesen" über unseren Arbeitslohn und unser Vermögen endgültig abschaffen wollen und alle Kobolde, Sabberhexen und die paar Zwerge, die es bei uns gibt, mit einem netten Gruß nach Europa zurückschicken wollen. Dabei sind schon alle Kobolde aus den USA raus, bis auf die in VDS wohnenden und die drei, die immer wieder nach Kanada zurückreisen, wenn sie mit Picton verhandelt haben. Das der überhaupt noch arbeiten darf, wo der auch an Buggles langer Leine gehangen hat, fragen sich eh viele Leute. Aber dann kommt immer der Spruch, dass er ja nichts für das konnte, was er unter Buggles' und Vita Magicas Joch für ein Ochse war. Muuuh!"
"Lucky, ich fürchte, das können wir hier und heute nicht ändern", sagte Julius' Mutter. "Antoinette schickt gleich Clémentine her, damit wir zusammen per Flohpulver ins Château Florissant reisen. Die drei freuen sich schon, ihren Daddy wiederzusehen. Sei also bitte auch ein Daddy, der sich freut!"
"Martha, ich finde es sehr schön, dass deine Heimstattgeberin mich bis zum 24. Juli bei sich wohnen lassen möchte. Aber du musst jetzt nicht an mir herummaßregeln, dafür hast du die Drillinge oder den hier."
"Lucky, du hast damals gesagt, dass wir zwei keinen Ärger haben müssen. Ich finde, das war damals eine sehr gute Idee", sagte Julius dazu. Seine Mutter nickte ihm zu und sagte: "Ich möchte nur, dass die Kinder nicht denken, du kämst nicht gerne zu ihnen. Mehr war und ist nicht,."
Millie kam mit Aurore auf dem Besen angeflogen, um ihren Schwiegerstiefvater zu begrüßen. Dabei bekam sie es dann auch mit, dass dieser im Moment nicht so gut gelaunt war. Sie wetterte das aber damit ab, dass er ja jetzt Urlaub von den ganzen Problemen in VDS und den Staaten habe und sich doch einfach nur mal wieder freuen dürfe. Er sah zu ihr hinauf. Er war nur 1,75 Meter groß. Dann sagte er: "Gut, ich bin hier, die Bullhorn und die Kobolde sind jetzt weit genug weg. Ihr habt mich eingeladen, bei der Willkommensfeier für eure Drei Kinder mitzufeiern. Da möchte ich es hinkriegen, mich auch mal zu freuen." Millie nickte. Julius fand es immer wieder bemerkenswert, mit welcher Ruhe Millie Spannungen bewältigen konnte, bevor sie ausuferten. Dann sahen die Latierres zu, wie Julius' Mutter und Lucky von Clémentine Eauvive abgeholt wurden.
"Ist das immer noch der gleiche, der damals immer irgendwelchen Unsinn gemacht hat, wie das Ding mit den Feuererbsen oder die Kanariencremeschnitten?" fragte Millie.
"Manche Psychologen und magischen Heiler behaupten, dass eine Vater- oder Mutterschaft einen Menschen ernster werden lässt. Ob wir uns groß verändert haben kann wohl nur wer sagen, der uns früher anders kannte als wir sind", sagte Julius und verschwieg ihr, dass sie beide sich durchaus verändert hatten. Während Julius früher auch viele Streiche ausgeheckt hatte und bei Claire nicht wusste, wohin das führen sollte fand er bei Millie sowohl eine ehrliche Rückmeldung, was ihn gerade umtrieb als auch eine feste Basis, die er sich nicht verderben wollte.
Da sie es nun Julius' Mutter überlassen mussten, mit Lucky zurechtzukommen widmeten sie sich der weiteren Vorbereitung des Willkommensfestes und der Vorfreude auf den Geburtstag von Justin James.
Millie und Julius hatten für den Sohn der Brickstons eine Kinderrutsche besorgt, die nach bedarf im Wohnzimmer oder im Garten aufgebaut und verlängert werden konnte. Als Babette, die nun richtig aufgeblüht aussah, fragte, ob sie da auch noch mit spielen durfte sagte Julius: "Ich dachte, du wolltest nur noch auf einem Besen fliegen."
"Ach, stimmt, habe ich ja nur Millie geschrieben, dass der Junge, den ich gerne auf den Besen gehoben hätte, doch noch einen Rückzieher gemacht hat. Er meinte sowas wie, dass er erst mal alleine in der Welt herumkommen wollte und erst dann eine Familie gründen wolle, wenn er wüsste, wo genau. Zumindest hat er mir das zwei Tage vor der üblichen Besenfliegerei gesagt, dass ich nicht so blöd rumgeflogen bin wie Millies große Schwester."
"Da kannst du echt froh sein, Babette. Du hast das ja mitgekriegt, wie heftig das die Mädels runtergezogen hat, die bis dahin dachten, wen sicher zu haben", sagte Millie dazu.
Julius unterhielt sich noch mit James und Jennifer Brickston über England und wie da jetzt die Stimmung sei. "Nun, wir müssen uns wohl langsam die Frage stellen, wie sorgfältig die Einbürgerung ausländischer Männer und Frauen geprüft und vollzogen werden kann, um sicherzustellen, dass die neuen Bürgerinnen und Bürger nicht zu solchen Zeitbomben werden, wie sie bei uns am siebten Juli gezündet haben", sagte Jennifer Brickston. "Eine gute Freundin aus der Nachbarschaft betrauert einen Neffen, der bei diesen Anschlägen ums Leben kam und hat ganz offen für einen Einwanderungs- und Flüchtlingsstop plädiert, auch um unsere grundsolide britische Kultur zu bewahren und uns nicht in einer Form von später Vergeltung kolonisieren zu lassen. Wie erwähnt, das ist ihre Meinung, aber ich muss zumindest bedenken, dass die Stimmung zwischen urwüchsigen Briten und Migranten durch diese Attentate nicht verbessert wird."
"Ja, Jenn, wobei die erwähnte Nachbarin die Tochter eines Colonels ist, der zwanzig Jahre einen Stützpunkt der britischen Armee in Indien kommandiert hat und nach dem Ende der Kolonialzeit fast als Bettler auf der Straße gelandet wäre, weil keine zivile Firma einen abgedankten Oberst einstellen wollte, bis der dann in Birmingham bei den Stadtwerken im Zuteilungsbüro für Kehrmaschinen und Stadtbusse unterkam. Der ist sozusagen mein direkter Vorgesetzter, Julius.""
"Mir macht eher Sorgen, dass in England jetzt alle mehr Videoüberwachung haben wollen", gestand Julius ein. "Aber wenn Sie meinen, dass Sie sich dann echt sicherer fühlen ..."
"Verstehe, falls doch mal wer von euch dieses Appariermanöver machen muss und das auf einer Festplatte landet", meinte James. "Ich persönlich finde es gut, wenn in den Bussen mehr Videoüberwachung ist. Viele, nicht alle, vergessen gerne, dass so ein Busfahrer auch ein Mensch und eine Respektsperson ist. Aber wenn die mit den Frauen, die sie neun Monate im Bauch getragen haben schon so abfällig umspringen, warum sollen die dann mit einem bei dem sie gerade mal zwanzig Minuten im Bus herumgefahren werden freundlicher umspringen."
"Oha, so heftig?" fragte Julius.
"Ich hab's schon ein paarrmal erlebt und wollte das unterbinden. Aber da sagte eine der Mütter, dass ich mich nicht in deren Sachen einzumischen habe und "meinen Bus" zu fahren hätte, damit wir nicht "irgendwo gegenknallen". was willst du da noch machen?" fragte James Brickston.
"Öhm, haben Sie als Busfahrer nicht sowas wie Haus- oder Kapitänsrecht. Wenn jemand Ihnen dumm kommt können Sie den doch bei der nächsten Station rauswerfen", sagte Julius.
"Ja, da laufen schon Prozesse, weil Kollegen von mir das schon durchgezogen haben, Julius. Bis dahin gilt, erst eingreifen, wenn Blut fließt oder jemand sichtbar an der Seele verletzt wird. Aber stell du dich mal zwischen einen Haufen pöbelnder Pubertiere ... ich meine, ich muss immer abwägen, ob ich auch im Namen der friedlichen Fahrgäste meine Fahrtauglichkeit riskieren muss oder es besser lassen sollte. Und das wissen diese Arschlöcher auch. 'tschuldigung, Jenn, ich weiß, tut deinen Ohren weh, aber kann nur so und nicht anders gesagt werden."
"Nur dass ich dir keinen Maulkorb anhexen kann wie die Dame da hinten", sagte Jennifer und deutete mit der ganzen Hand auf Blanche Faucon. James sah sie an und erbleichte um die Nase. "Stimmt, die ist ja auch so, öhm, bedacht auf gute Wortwahl."
"Kein Kommentar wegen gewisser Befangenheit", sagte Julius. Dann meinte er zu James Brickston: "Ich hoffe, du gehst nicht an dem Job kaputt."
"In England geht's noch. Aber die in den Staaten müssen ja schon aufpassen, dass nicht gleich wer 'ne Knarre zieht, weil der Busfahrer zu heftig bremst", sagte James. Darauf meinte Jennifer: "Es kommt da wohl auch auf die Gegend und die Leute an."
"Jenn, ist wie in der U-Bahn. Da fährt alles mit, ob Straßenmädchen oder Bankierswitwe, ob Hilfsarbeiter oder Manager. Aber das wolltest du bis heute nicht begreifen, dass so'n bus wie'n Aufzug ist, wo du jeden treffen kannst."
"Ich denke, das sollte bei einem fröhlichen Ereignis wie einem Kindergeburtstag nicht all zu vertiefend ausdiskutiert werden", gestand Jennifer Brickston ein und sah zu, wie die schon größeren Kinder auf der Wiese vor dem Haus spielten und der kleine Justin bei Millie auf dem Schoß saß und sich ansah, wie Flavine ihre Nachmittagsration trank. "Öhm, Jimmy, komm da bitte weg und lass die Dame in Ruhe!" rief Jennifer. Doch Julius meinte: "Meine Tochter ist züchtig unter einem Stillumhang. Er wundert sich wohl nur, dass er sie nuckeln hört, wenn er sich nicht noch daran erinnert, wie das bei ihm lief."
"Ja, aber dass sie eine derart offene Umgangsweise mit derartig intimen Verrichtungen pflegen ist für mich immer noch sehr gewöhnungsbedürftig", erwiderte Jennifer.
"Ich denk mal, wenn Julius' Frau das nicht gewollt hätte, dass mein Enkel zusieht, wie ein noch kleineres Kind was zu schlucken kriegt hätte die den Catherine garantiert vor die Füße gestellt. Aber wo ist denn das andere kleine Mädchen?"
"Die schläft wohl noch. Wir feiern ja morgen ihre offizielle Willkommensfeier", sagte Julius zu James Brickston.
"Drei auf einmal und dann noch öhm, von zwei verschiedenen Frauen geboren ... Ich hoffe, die drei kommen mit dieser Konstellation zurecht", sagte Jennifer. "Jenn, das ist jetzt aber echt nicht mehr deine Baustelle. Die drei müssen das hinkriegen, nicht wir oder Catherine", murrte James.
Julius unterhielt sich dann noch mit Madeleine L'eauvite und ihrem Mann François. "Ihr habt dann morgen aber ein wesentlich volleres Haus", meinte Madeleine. Julius stritt das nicht ab. "Vor allem Leute aus drei Erdteilen. Aber ihr seid ja auch dabei", sagte er. "Oja, ich bin vor allem gespannt, mich mit deiner großen Bekannten Aurora Dawn über Australien und wie die da ohne Gringotts auskommen zu unterhalten." Das verstand Julius.
Da Justin keine Geburtstagstruhe hatte konnte er die für ihn zusammengetragenen Geschenke selbst auspacken, sofern sie nicht zu kompliziert verpackt waren. Die neue Kinderrutschbahn durfte er gleich in Blanches Garten ausprobieren. Da wollten auch die kleineren Latierres gerne mitspielen, weshalb Julius klarstellen musste, dass "der Justin" sagen sollte, wer wann rutschen durfte. Außerdem hatten Chrysieund Clarimonde ja eigene Gartenspielgeräte.
Nach den Auspacken wurde eine Wacheinteilung festgelegt, wer die spielenden oder schon schlafenden Kinder beaufsichtigte, wobei Jennifer Brickston die Erlaubnis erhielt, nicht zu den Wachenden eingeteilt werden zu müssen, da sie Angst hatte, einem der Kinder könnte was magisches passieren. Aber das war völlig unnötig, weil Claudine die kleineren sehr gut im Zug hatte, auch die bereits sehr starke Aurore.
Die gerade nicht Wache hatten durften sich unterhalten oder zu leiser Musik aus dem von den Latierres mit ruhiger oder fröhlicher, kindertauglicher Musik bestücktem Musikfass tanzen, bis die Kinder alle so müde waren, dass sie schlafengehen oder nach Hause wollten.
"Ich dachte eigentlich, dass es in der nichtmagischen Welt nicht so heftig werden kann, wenn sich wer ärgert", meinte Millie, als Julius ihr und Béatrice noch erzählte, was James Brickston ihm über seinen Berufsalltag erzählt hatte.
"Hauen, treten und beißen können Leute auch ohne Magie. Ja, und dann wird es immer krasser, weil viele aus sogenannten Prekären Verhältnissen Gewalt als legitimes Mittel der Verständigung sehen und Messer, Schlagringe oder abgebrochene Getränkeflaschen als Waffen dabei haben. Ohne magischen Heiler bei der Hand können die damit verursachten Verletzungen schon sehr, sehr nachhaltig werden. Und in den Staaten oder Mexiko musst du echt aufpassen, dass keiner eine Pistole rausholt und mal eben auf dich schießt. Das ist echt eine Frage der Lage und wie du gelernt hast, sowas runterzukühlen, bevor es aus der Bahn fliegt. Das wird ja noch schlimmer, weil das auch in den Oberschulen für sogenannte einfache Leute überhand nimmt, dass Schüler sich nichts mehr von den Lehrern vorschreiben lassen wollen. Wir leben in der Zaubererwelt echt noch auf einer friedlichen Insel, auch wenn zwischendurch ein Hurrikan oder ein Erdbeben passiert", seufzte Julius. Dem konnten Millie und Béatrice nicht widersprechen.
Julius war froh, dass er die Zeit bis zum Sommerball freibekommen hatte. Nachdem er und seine Mutter gut vorgearbeitet hatten sollten sich die an dem Projekt "Blickschutz" zu beteiligenden Abteilungen ihre Beiträge überlegen und dann ab dem ersten August beraten, wie sie die einzelnen Punkte zusammenbringen konnten. Die Ministerin hatte dem Vorhaben auf jeden Fall hohe Priorität eingeräumt.
Julius durfte die Gäste aus den Staaten abholen. Aurore wollte unbedingt dabei sein, um Leonidas abzuholen. Mit ihm zusammen kamen dann auch Brittany und Linus, sowie die Eheleute Chimers, Melanies Schwester Myrna und die Porters, die es genossen hatten, ein paar Tage in den Staaten zu sein. Allerdings wirkte Plinius Porter sehr besorgt, vielleicht wegen Gringotts und seiner Arbeit dort, vielleicht auch wegen was anderem. Seine Frau trieb ihn jedoch dazu, etwas lockerer dreinzuschauen.
Gloria schien im vergangenen Jahr noch mehr zur eleganten Hexe geworden zu sein. Ihre hellblonden Locken fielen weich bis auf ihre Schultern, und sie trug ein smaragdgrünes Kleid, dass von der Abstufung her zu ihren graugrünen Augen passte.
Und, ihr zwei versteht euch immer noch so gut, wenn ich den Grund für die Einladung nehme", meinte Melanie Chimers, die gerade selbst sichtbar guter Hoffnung war. Julius grinste und bejahte es.
Aurora Dawn kam zusammen mit Rosey und allen Dusoleils zur Feier. Pina brachte die Hollingsworth-Schwestern und die Malones aus Belgien mit. Damit war die ganze alte Sechserbande wieder beisammen, wie sie zwei Jahre lang in Hogwarts gelernt hatte, erkannte Julius. Betty und Jenna Hollingsworth hatten jetzt einen Vertrag bei den Holyhead Harpies, wo sie als Zwillings-Jagdgespann auftraten.
Die Familie Dumas kam zusammen mit den Lumières, bei denen auch Barbara van Heldern, ihr Mann Gustav und die gemeinsamen Kinder waren. Die Eheleute Céline und Robert Dornier mit ihren Kindern und Constance Dornier mit ihrer seit zwei Jahren zur Schule gehenden Tochter Cythera reisten zusammen mit den Lagranges und Brickstons an. Claudine war bereits seit Mittag im Haus, um mit Aurore und Miriam die letzten Feinabstimmungen für ihren Auftritt zu erledigen.
Die Familie Montferre traf um halb vier Uhr Nachmittags ein. Dann kamen noch die Delamontagnes mit ihren nun fünf minderjährigen Kindern dazu. damit war ein Gutteil der großen Wiesengrundstücke zum großen Kinderspielplatz bestimmt.
Catherine und Joe kamen per Reisesphäre, während alle Latierres, die auf der Gästeliste standen, auf der geflügelten Risenkuh Temmie angeritten kamen. Offenbar hatte die ihren Federleichtzauber gemacht, dass sie den großen Trageaufsatz mühelos auf dem Rücken befördern konnte.
Gegen vier uhr waren endlich alle Gäste da. Milie, Béatrice und Julius begrüßten sie alle formvollendet. Dann berichteten sie, wie außergewöhnlich es war, dass die drei auf die Welt kamen. Dabei hielten sie sich an das, was sie mit Hera Matine und Professeur Fixus besprochen hatten.
Als sie die drei ganz jungen Gastgeber heraustrugen und offiziell vorstelllten applaudierten alle Gäste. Dann kündigte Millie an, dass die ganz große Schwester der neuen Haus- und Weltbewohner etwas mit ihrer Tante Miriam und Claudine Brickston eingeübt hatte und winkte den dreien. Applaus begrüßte die drei einheitlich in grün-goldenen Sommerkleidern steckenden Hexenmädchen.
Aurore spielte auf ihrer kleinen, goldenen Kinderharfe die Akkorde und Unterstimme, während Claudine auf einem Metallophon und Miriam auf dem Xylophon der Latierres spielte. So konnten alle drei in wunderschön harmonierenden Stimmen drei Lieder für die neuen Kinder singen, die alles schöne der Welt beschrieben, wie Sonnentage, bunte Blumen, fröhliches Lachen und auch die bunten Herbstsachen und den Schnee im Winter, die Sterne und den Mond in der Nacht und all die Vögel, die in den Bäumen saßen oder am Himmel flogen. Als die drei ihren Auftritt beendeten klatschten alle Gäste laut Beifall. Viele der Mütter hatten kleine Tränen der Rührung in den Augen. Ja, und auch Julius musste sich nicht schämen, sehr stolz auf seine erste Tochter zu sein. Als jemand "Zugabe!" rief mussten die drei sich ansehen. Dann nickte Aurore Claudine zu und die wiederum Miriam. Sie legten ihre bisherigen Instrumente weg. Claudine nahm eine Schellentrommel und klopfte einen Takt an. Dann sangen die drei ein Lied über den Lauf der Sonne und des Mondes, dass sowohl als Weck- wie auch Wiegenlied eingesetzt werden konnte, wenn die Sonnen- oder Mondstrophen weggelassen wurden. Dann sangen sie noch dreistimmig den Begrüßungschoral "Ecce dies vitam novam". Julius fragte sich, wer den dreien das Lied beigebracht hatte, wo die doch kein Latein konnten. Weil er die drei Sängerinnen wohl fragend angesehen hatte hörte er Madame Faucons Stimme in seinem Kopf: "Claudine wollte wissen, was bei neuen Kindern immer gerne gesungen wird. So habe ich es ihr und dann auch den beiden anderen beigebracht."
Als die Festgäste sich noch einmal bei den drei jungen Sängerinnen bedankt hatten und diese mit einer synchronen, formvollendeten Verbeugung abgingen trat der ganz in hellgrün gekleidete Zeremonienmagier Laroche zu den jungen Eltern. Sie zeigten ihm die Kinder und legten sie in ihre Wiegen. Dann sagte Laroche in wohlgeübter Feierstimmung:
"Liebe Gäste. Zunächst möchte ich mich bei unseren drei jungen Musikantinnen bedanken, die dieses Fest so schön melodisch eröffnet haben. Musik, so hat einmal ein leider nicht mehr unter uns weilender Großmeister aller Zauberfertigkeiten erwähnt, sei ein größerer Zauber als alles, was an Zauberschulen gelehrt werden könne. Somit kann die lange, lange Reise der drei heute zu ehrenden von einem sehr schönen und machtvollen Zauber getragen werden, wohin auch immer sie hinführt. Ich freue mich immer, wenn mir ein junges Elternpaar die frohe Botschaft verkündet, dass es Nachwuchs bekommen hat. Um so mehr freue ich mich, wenn ich die große Ehre habe, diesen Nachwuchs höchstamtlich in unserer Mitte und auf dieser Welt begrüßen zu dürfen. Natürlich ist es das oberste Recht der Eltern und dann der Hebamme, den neuen Zaubererweltbürger als erste im Leben zu begrüßen. Viele Eltern belassen es dann auch dabei und feiern die Ankunft ihres neuen Familienmitgliedes ganz ohne offizielle Willkommenszeremonie. Daher ist es mir wie erwähnt eine besondere Freude, wenn jemand wie ich die Ehre erhalte, die höchstamtliche Begrüßung zu vollziehen.
Wie wir alle soeben erfuhren zeigt sich wieder einmal, welche unerwarteten Wege die Liebe und das Leben beschreiten können, das wir heute einen ganz besonderen Anlass haben, dass drei Kinder von zwei verschiedenen Müttern in Liebe getragenund unter den von der Natur auferlegten Schmerzen geboren wurden, und doch einen Vater haben, ohne dass die beiden Mütter sich um dessen Zeit und Zuwendung streiten müssen. Daher haben wir heute kein Elternpaar, sondern ein Elterntriangel zu feiern, wobei ich nicht weiß, ob es dies in der Zaubererwelt schon einmal gab und wenn ja wann und wo. Für mich ist es heute das erste mal und wahrscheinlich einzigartig. So begrüße ich dich, Félix Richard Roland, der du zuerst auf diese Welt gelangt bist, dich Flavine, die du deiner Schwester den Weg in dieses Leben geebnet hast und dich, Fylla, die die bereits begonnene Vertrautheit im schützenden Schoß der gemeinsamen Mutter im gemeinsamen Leben auf dieser Welt hoffentlich sehr, sehr lange beibehalten wird. Mögt ihr in einer größtenteils friedlichen Welt aufwachsen, euch auch bei aufkommenden Meinungsverschiedenheiten immer wieder an eure Verbundenheit erinnern und gestärkt aus allen schweren Stunden hervortreten! Ich wünsche euch dreien all die Liebe und all das Gute, dass ihr aus dieser Welt empfangen könnt und die Kraft, alles euch begegnende mit Zuversicht und Entschlossenheit zu bewältigen, ohne dabei eure Mitbewohner gegen euch aufzubringen. Seit uns alle drei willkommen!" Mit diesen Worten ließ er goldene Funken über den zwei Wiegen tanzen. Wieder klatschten alle Beifall.
"Wie es bei so einem feierlichen Akt Brauch ist laden wir, Millie, Béatrice und ich euch nun ein, einzeln an den drei Kindern vorbeizugehen und ihnen eure ganz persönlichen Wünsche und Ratschläge mit auf den langen, langen Weg durchs Leben zuzuflüstern", sagte Julius, der von Millie und Béatrice dazu beauftragt worden war.
Die erste, die den dreien alles gute wünschte, war die ältere Barbara Latierre. Da es üblich war, dass die Eltern nicht mithörten, was ihren neuen Kindern gesagt wurde, bekam Julius nicht mit, was die Mutter von Ursuline Latierre den drei Ururenkeln mit auf den Weg gab. Dann kamen Ursuline und Ferdinand mit den bereits sprachfähigen Kindern. Dann kamen Millies Eltern mit Miriam. Dann Martine und Alon mit Héméra. Dann Julius Mutter zusammen mit Lucky Merryweather und deren drei Kinder, Julius Halbgeschwister. Dann kamen noch die anderen Latierres. Ab dann gab es keine feste Rangfolge mehr, außer das Blanche vor Catherines Familie an den Wiegen vorbeiging. Danach ging sie zu den anderen hinüber. Dabei mentiloquierte sie an Julius:
"Ich hoffe, der Grund für eure Vereinbarung bringt euch niemals in Konflikt miteinander. Denn ich weiß wohl, dass ihr drei etwas ausgehandelt haben müsst, weil ich die Eigenschaften der Mondburghochzeit kenne."
Die Lebensprozession, wie Laroche es nannte, dauerte wegen der vielen sprachfähigen Gäste mehr als eine halbe Stunde an. Dann gab es Kaffee und Kuchen für die großen und halbgroßen Gäste.
Barbara Latierre die ältere war kurz vor Ablauf ihrer Monatsfrist mit der Begründung disappariert, sich um die noch auf dem Hof gehaltenen Kühe kümmern zu wollen, wo ja viele der Latierres gerade hier waren. Als sie fort war hörte Julius sie noch mentiloquieren: "Millie, Trice und du kommt bitte zu mir, wenn eure Hausgäste abgereist sind. Ich habe noch je eine Kirsche für eure drei neuen Kinder." Mehr musste sie nicht mitteilen.
Weil es wieder sehr warm geworden war wurden alle Säuglinge in der großen Empfangshalle untergebracht und wie schon häufig wechselnde Wachen eingeteilt. Das Prinzip hatte sich bei Feiern mit großem Familienanhang bewährt und erlaubte jeder und jedem, zwischendurch zu tanzen und zu trinken, ohne die schlafenden Babys zu vernachlässigen.
Für das Abendessen hatte Blanche Faucon die Erlaubnis, mit Millie zusammen in der oberen Wohnküche zu werkeln, während Brittany zusammen mit Béatrice in der unteren Küche am Herd stand und rein vegane Sachen zubereitete. Millie und Béatrice hatten von Brittany je ein kleines grünes Buch geschenkt bekommen, dass Brittany zusammen mit den an vegetarischer bis veganer Kochkunst interessierten Hexen Vera Greenlief und Euphania Marshbanks in der Zeit unter der sogenannten Käseglocke zusammengeschrieben und im internationalen Zauberbuchverlag "Grüne Bücher in Hülle und Fülle" herausgebracht hatte. Dieser Verlag hatte sich auf naturliebende Hexen und Zauberer spezialisiert und verhandelte laut Aurora Dawn gerade über eine rein nordamerikanische Erweiterung des kleinen Hexengartens, bei dem nicht nur Aufzucht und Heilwirkung, sondern eben auch Zierpflanzen und Nahrungsgrundlagen einbezogen werden sollten. Hierfür brauchte Aurora jedoch wie damals schon das Einverständnis ihrer Zunftsprecherin. Doch da diese Ende August mit den anderen Zunftsprecherinnen und -sprechern des Weltverbandes magischer Heilkunst in Toledo zusammentreffen würde bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Buchprojekt genehmigt werden mochte.Nach dem vier-Gänge-Menü für Veganer und Nichtveganer durfte wieder getanzt werden. Wer was trinken wollte durfte an einem von fünf Fässern, eins für Met und Wein und drei mit verschiedenen Fruchtsäften, einen Becher vollgeschenkt bekommen. Julius fiel es natürlich auf, dass seine Mutter ihren Mann dazu abgestellt hatte, die Fässer zu bedienen.
Es liefen vor allem für Kinder und Jugendliche gemachte Lieder, darunter Claudines derzeitiger Dauerbrenner von einem Mädchen, das sich mit Malzeug und Phantasie "ihre perfekte Welt" malte. Babette, die mit Julius auf dieses Stück tanzte, verzog zwar erst das Gesicht. Doch den Kehrreim, der darauf endete, dass die Ich-Erzählerin am Ende in einem Wunderland einschlief, den kannte und konnte sie. Die gestandenen Familienmütter baten darum, diese Musikaufzeichnung für die eigenen Familien-Musikfässer kopiert zu bekommen.
"Ganz viele Babys", schwärmte Claudine, als sie mit ihrer Mutter die Babywache beendet hatte und selbst schon gähnte. "Ja, aber die zwei von mir nehme ich wieder mit", meinte Martine dazu grinsend.
Die Feier ging bis kurz vor zwölf. Dann teilten Millie und Béatrice an alle die gerade nicht schwanger oder in Stillzeit waren Gläser mit Sekt und an sich und alle gerade in Mutterschaft weilenden Hexen und die Veganerin Brittany Traubensaft aus. Dann zählte Millie leise die verbleibenden Sekunden herunter. Als es genau zwölf Uhr Mitternacht war rief sie: "Julius, mein geliebter Mann, ich wünsche dir alles alles gute zum Geburtstag! Sei bedankt für all die schöne Zeit, die wir schon hatten und ich hoffe, dass dies nur der kurze Anfang einer noch längeren gemeinsamen Zeit ist. Hoch sollst du leben!"
Diesem Glückwunsch schlossen sich nun alle an. Julius fühlte kleine Tränen in die Augen steigen. Dann bedankte er sich bei allen, die es bisher mit ihm ausgehalten hatten und es hoffentlich noch sehr lange mit ihm aushalten würden.
Da das Apfelhaus nicht zu nahe an anderen Häusern stand sangen sie leise ein Geburtstagslied. Dann stießen sie nacheinander mit ihm auf sein Leben an. Dreiundzwanzig Jahre war er jetzt alt. Er dachte daran, dass er schon Sachen erlebt hatte, die ihn leicht das Leben hätten kosten können. Insofern war dieses junge Alter schon was besonderes, ja und dass er mit dreiundzwanzig schon sechs Kinder hatte, wo andere junge Männer in diesem Alter noch von einer Beziehung zur nächsten wechselten, um sich auszuprobieren, war auch was besonderes.
Mit von vielen Küssen heißen Wangen bedankte er sich bei seinen Gästen und lud sie ein, morgen nachmittag ab vier Uhr wiederzukommen. "Es ist ja noch eine Menge von heute übrig, dass ich ja nicht alleine aufessen kann und auch nicht aufessen will", sagte er noch. Alle lachten. Kevin meinte dann noch: "Klar, das ganze Veganerzeugs von Britt würde ich auch nicht alleine essen."
"Dann müsstest du erst mal was davon probiert haben, um es essen zu können", meinte Brittany grinsend. "Schlaft gut."
"O Mann, wollte Kevin dir schon den Geburtstag versauen, wo er gerade erst angefangen hat", grummelte Millie, als sie und Julius allein im Elternzimmer waren. Julius konnte ihr diese Frage nur damit beantworten, dass er eine Menge vom Met gekippt hatte. "Dann soll die gesamte Bergwerksbelegschaft Zwerge seinen Kopf von innen beharken", grinste Millie.
Julius holte dann noch ein kleines Paket unter seinem Festumhang hervor. "Alles gute zum Hochzeitstag, Mamille. Ist das schon acht Jahre her, dass wir vor Laroche auf den Stühlen gesessen haben? Heftig!"
"Ja, und damals durften Ma und Pa noch was dagegen sagen. Haben sie aber nicht", erinnerte sich auch Millie. Dann packte sie das mit kleinen rosaroten Glückschweinchen verzierte Paket aus. "Jau, der Zwillingstraglingssack, den sich Sandrine besorgt hat und der nach den ganzen Frühlingskindern nirgendwo in Frankreich mehr zu kriegen war. Öhm, du hast den doch hoffentlich nicht bei Florymont bezahlen müssen."
"ich wollte das eigentlich schon, weil er ja als Mehrlingsvater auch jeden Knut braucht. Aber Camille bestand darauf, dass was in der Familie gegeben wird, nicht mit Galleonen und Sickel verrechnet werden darf. Tja, und du weißt ja, wer die Königin im Garten der Sonne ist." Milie grinste. Julius nickte nur.
Da die beiden kleinen Schwestern noch einmal wach wurden und Hunger hatten gab ihre Mutter ihnen zu trinken. Dabei sah sie Julius sehr entspannt an. "Denkst du, dass Britt und Linus jetzt in ihrem Zimmer nach Leos Geschwisterchen rufen?"
"Regt dich das an oder bist du eifersüchtig?" fragte er, während er sich neben seine Frau legte und aufpasste, die Kleinen nicht aus dem Saugrhythmus zu bringen. "Es gefällt mir, mir vorzustellen, dass die beiden unser Haus für genauso gelungen zum Ruf nach dem kleinen, bunten Vogel halten wie wir. Eifersüchtig?"
"Wie die kleinen da so bei dir liegen weiß ich jetzt nicht, ob ich dir darauf eine Antwort geben mag", sagte er vieldeutig. "Irgendwie könnte ich dabei auch gut einschlafen."
"Die sind gleich Satt, dann bin ich auch wieder etwas leichter und dann kann ich dich gerne noch einmal fragen", säuselte sie.
Als die Zwillinge sich sattgetrunken hatten und nach einem kurzen Aufstoßer wohlig einschliefen bezauberte Millie sie mit dem Zauber, der sie gut durchschlafen ließ. Dann legte sie sich herausfordernd neben Julius hin und fragte ihn: "Und, eifersüchtig auf Britt und Linus?" Er antwortete ihr nicht mit Worten. Aber seine Antwort gefiel ihr so gut, dass sie beide erst eine Stunde später ans Einschlafen denken konnten.
"Er genießt immer noch die Liebe der Lebendigen, die Freude des Fleisches, aber auch die große Anerkennung, die damit verbunden ist", sagte die Mutter zur Tochter.
"Natürlich tut er das, weil er eine Angetraute hat, die daraus keinen Hehl macht, dass sie sehr gerne mit ihm eins wird und auch weiterhin seine Kinder bekommen möchte", sagte die Tochter zur Mutter. "Und wo wir dabei sind, Mutter, hast du wirklich nicht daran gedreht, dass sie von ihm gleich zwei Töchter bekommt, wo sie ihn mit gewisser Verärgerung an ihre Tante ausgeliehen hat?"
"Du meinst, um ihr einen Ausgleich zu bieten, dass sein Sohn von einer anderen getragen und geboren wird? Dass sie wieder Mutter wurde mag mir behagen, weil es hilft, dass die drei ihren Frieden bewahren, was für ihn und den kleinen Jungen sehr wichtig ist. Dass sie gleich Zwillinge bekam kann eher von den Mondtöchtern kommen, weil die sich um das Abkommen geprellt fühlen, oder es kommt von ihrem Besuch in jener alten Stadt, in der die Geheimnisse der Elemente, der hellenund dunklen Kräfte bewahrt und vermittelt werden. Was genau zutrifft vermag auch ich nicht zu sagen", erwiderte die Mutter.
"Wann wirst du ihm die letzte Bewährungsaufgabe geben?" fragte die Tochter. "Wenn er die nötige innere Bereitschaft hat, wenn er nicht damit hadern muss, anderes zu vernachlässigen oder dann, wenn ich erfahre, dass die anderen sechs mit den bestehenden Anforderungen alleine nicht zurechtkommen."
"ich vertraue dir", erwiderte die Tochter und dachte daran, dass sie dies ja schon durch ihre Geburt bewiesen habe, anders als Kinder aus Fleisch und Blut, die unabhängig von ihrem Vertrauen geboren wurden, aber meistens ihrer Mutter trauten.
Da Félix erst in drei Tagen eine neue Wochenwindel umgelegt bekommen würde und er ja direkt neben dem Bett seiner Mutter in der Wiege lag bekamen die anderen Hausbewohner und Gäste nicht mit, wann er aufwachte.
Jedenfalls wirkten sie alle um neun Uhr Morgens beim Frühstück ausgeruht genug, auch wenn Julius meinte, dass Linus sich so bewegte, als habe er überall Muskelkater. Doch das konnte auch ein Trugschluss wegen der Vermutung sein, die Millie geäußert hatte.
Um für die Feier am Nachmittag wieder einen vorzeigbaren Garten hinzukriegen packten alle an, die schon laufen konnten, aber auch Camille, die für eine kurze Inspektion herüberkam. Mittags vertilgten die Latierres, Brocklehursts und Pina Watermelon noch Reste von der in Conservatempus-Schüsseln frischgehaltenen Vorspeise, da es abends ja wieder was gegrilltes geben sollte.
Da die Dusoleils Millie und Julius einen eigenen Begrüßungsstuhl geschenkt hatten, der auf den Geburtstag des darauf sitzenden und den magischen Türverschluss des Apfelhauses abgestimmt war, konnte Julius ab viertel vor vier die wieder zusammenkommenden Gäste mit dem Satz: "Tritt ein, o Gast, genieß' die Rast!" begrüßen lassen.
Jetzt durfte er die dreiundzwanzig schlanken Bienenwachskerzen auf einer großen, regenbogenfarbig unterteilten Torte auspusten. Dabei wünschte er sich, dass was immer Ashtaria ihm noch abverlangen würde, er dem Gewachsen sein und seinen Kindern weiterhin ein guter Vater und den beiden Frauen ein guter Ehemann und Unterstützer sein mochte.
Kevin Malone und seine Frau sangen den Irischen Segen, eine Abfolge von vielen guten Wünschen, die einen leicht schmunzeln ließen. Vor allem: "Mögest du schon vierzig Jahre im Himmel weilen, bevor der Teufel deinen Tod bemerkt." Sollte das heißen, dass dann erst entschieden wurde, ob jemand doch noch in die Hölle kam oder weil der Teufel angeblich nicht in den Himmel dürfe dieser zweihörnige Bösewicht wutschnaubend mit dem Huf stampfen musste, weil ihm wieder einmal eine Menschenseele entgangen war?Darauf meinte Lucky zu Kevin: "Wer sagt euch Iren denn, dass jemand erst sterben muss, um in den Himmel zu kommen?" Darauf war erst betretenes Schweigen. Dann meinte Patrice: "Stimmt, das Lied ist von Katholiken erdichtet worden, Kevin. Die dürfen sich nicht über schöne Sachen freuen, bevor sie sterben. Das meint Mr. Merryweather damit, dass wir ja schon im Leben glücklich und friedlich miteinander klarkommen dürfen und nicht erst im christlichen Himmelreich." Diese klare Aussage entspannte die Lage wieder. So konnten Melanie Chimers, ihre Schwester Myrna, deren gemeinsame Tante Dione, deren Tochter Gloria, Pina Watermelon und Olivia Fielding ihn immer wieder umtanzend ein anderes Segenslied anstimmen, dass keinem Gott und keinem Himmelreich verbunden war, sondern das für Lange Zeit die Sonne über ihm scheinen, Liebe ihn umgeben und sein inneres Licht ihn immer sicher heimführen mochte. Das trieb nicht nur ihm Tränen der Rührung in die Augen, sondern auch Millie, Béatrice und Plinius Porter.
Dann aßen und tranken sie erst einmal. Danach umwanderte Julius alle Tische, um sich mit den Gästen zu unterhalten.
Florymont verkündete stolz, dass er bereits die Skizze des neuen tauchfähigen Luftschiffes oder flugfähigen U-Bootes fertig hatte. "Phalacrocorax nenne ich das Gefährt, nach dem Gattungsnamen des Kormorans. Klingt auf jeden Fall exotisch genug für so ein Fahrzeug", wisperte Florymont. Julius bekundete ein ehrliches Interesse, mit diesem Zwei-Wege-Fahrzeug zu verreisen, wenn es aus der Experimentierphase heraus sei.
Als er bei den Porters vorbeikam, die sich mit Pinas Verwandschaft zusammengesetzt hatten, erzählte Plinius dem Gastgeber, dass er hoffe, dass sein Vater diesen Segen von der Sonne und dem inneren Licht auch gut gebrauchen könne. Seit dem weltweiten Gringotts-Ausfall und den Querälen um Buggles und Vita Magica pendele der nur noch zwischen seinem Büro beim Kristallherold und dem betrunkenen Drachen hin und her. Meistens bekäme er spät abends ein kleines Gästezimmer, um nicht noch durch den halben Weißrosenweg wanken zu müssen oder sich beim Apparieren doch noch in alle Teile zu zerlegen. Daher mache sich nicht nur Plinius Porter ernste Sorgen, sondern auch seine Schwester Geraldine, Mel und Myrna und auch die älteren Damen Patricia Redlief und Maya Unittamo. Julius hakte nach, ob das mit Gringotts den Umschwung bewirkt hätte.
"Na ja, weil er sonst ja auch bei jedem Quidditch- und Quodpotspiel dabei war. Da die Spieler ja wegen der unsicheren Bezahlung im andauernden Ausstand sind fiel das für ihn weg", sagte Glorias Vater. "Gut, für mich war es bis Februar auch hart, jeden Tag zu Hause zu sein. Di hat mich dann kurzerhand eingespannt, die geschäftliche Korrespondenz für ihren Kosmetikhandel zu erledigen." Die erwähnte nickte bestätigend. Julius machte sich derweil seine Gedanken. Mochte es Plinius' Vater, Glorias Großvater Livius jetzt, wo er seine Zeit nicht mit Arbeit überfrachten konnte richtig auffallen, dass seine Frau Jane nicht mehr auf ihn wartete, wenn er nach Hause kam? Oder lag es daran, dass er sich jetzt, wo weder seine Frau Jane da war, seine Kinder alle groß und aus dem Haus waren und auch noch die Arbeitsgrundlage weggebrochen war die Frage stellte, wofür er noch lebte? Womöglich hatte sich das Plinius auch schon gefragt, denn er sagte: "Maya Unittamo hat ihm mal vor Bachus und allen da gerade mitzechenden Leuten im Drachen vorgehalten, dass das nicht klappen würde, sich so heftig zu besaufen, dass er seinen eigenen Tod verschlafen würde. Denn selbst wenn das gelänge müsste er danach im Betrunkenen Drachen weiterspuken und die anderen Geister bedienen, die jedes Jahr zu Halloween in den zugemauerten Keller kämen, um dort ihre Feier zu haben, und da seien echt schaurige Leute bei."
"Das ist aber sehr gewagt von Madam Unittamo gewesen", erwiderte Julius. "Ja, aber wirksam. Mein Vater hat an dem Abend keinen Schluck Alkohol mehr getrunken und war am nächsten Tag länger im Büro als in der Wirtschaft." Er beugte sich zu Julius hin und flüsterte ihm zu: "Kann sein, dass meine Mutter der wandelbaren Nachbarin mal gesteckt hat, dass mein Vater Angst vor zerstückelten Geistern hat, vor allem vor Geisterköpfen, die ohne ihre Körper durch die Gegend schwebten oder über Tischen in der Luft hingen."
"Dann hätte der aber nicht in Hogwarts sein dürfen", raunte Julius.
"Dann bring die Geschichte auch ganz zu Ende, Onkel Plinius und erzähl Julius, dass Oma Pat ihm angedroht habe, ihn auf dem Markt der lustigen Witwen anzubieten, wenn er nicht bald wieder was oder wen fände, für die oder das er leben wolle", sagte Melanie Chimers. Julius fragte, was der Markt der lustigen Witwen sei. Mel erwähnte, dass verwitwete Hexen sich jeden Monat einmal trafen, falls sie wollten, sich gegenseitig unverheiratete Brüder oder verwitwete Anverwandte vorstellten um dann auszulosen, wer mit wem zum Ball der goldenen Herzen gehen soll. Das ist jedes Jahr am zweiten Februar, wenn der Frühling bevorsteht, weil das früher ein keltischer Hexenfeiertag war. Ja, ich seh's dir an und sag's gleich, es kommt dabei kein Murmeltier vor." Sie musste jedoch selbst grinsen wie Julius. "Na ja, und für viele Zauberer ist das die letzte Gelegenheit, noch einmal richtig auszugehen und vielleicht noch eine neue Frau für's restliche Leben kennenzulernen, zumindest bei uns in den Staaten. War auch dieses Jahr, hat Oma Pat erwähnt."
"Die dürft ihr gerne von mir grüßen, ich las sowas, dass sie sich für die Unversehrtheit der Hexen vor ungewollten Dingen einsetzt, wohl eine Gegenbewegung zu Vita Magica."
"Das ist richtig, Julius", sagte Melanie Chimers.
Er sprach noch mit seinem Stiefvater, dass er froh sei, jetzt ein paar Tage frei zu haben und sich das alte Europa ansehen zu dürfen. Da das internationale Flohnetz ja gut funktioniere könnten sie jeden Tag an einen anderen Ort reisen. Er meinte dann nur, dass er sich um seinen Brieffreund Francesco in Neapel sorgte. Seitdem Italien ja für ausländische Zauberer und Hexen zur wahren Todeszone geworden sei könne er ja nicht nachprüfen, was dort los sei. Auch das habe ihn immer wieder beunruhigt. Aber Marthas Adoptivmutter habe ihm einen Kanal zu den italienischen Heilkundigen geöffnet, weil Francesco ja Sohn eines Heilers sei. So könne er die Tage, die er und Martha mit den Kindern verbrachten genug erfahren. "Madame Eauvive bot mir sogar an, meinen Job in den Staaten zu pausieren und einstweilen hier in Frankreich zu wohnen. Aber das kann ich leider nicht machen, weil die sowieso schon sehr argwöhnisch waren, als ich erwähnte, dass ich dich und deine Verwandtschaft besuchen wolle. Offenbar hat Marthas Streich mit den Elektrorechnern doch mehr zum aufschreien gebracht als zum lachen."
"Es sollte ja auch keiner lachen", berichtigte Martha. "Und das Laveau-Institut, Mum?" fragte Julius.
"Habe ich echt schon vorgefühlt. Aber Nathalie und Antoinette haben davon Wind bekommen und klargestellt, dass ich hier in Europa im Moment mehr für die guten Beziehungen zwischen Menschen mit und ohne magische Kräfte in aller Welt tun könnte als im Rechnerraum eines Zitat "nicht immer zweifellosen Institutes, wo angeblich der Geist einer auf eigene Macht ausgegangenen Voodookönigin über Personal und Ausrichtung befindet" Zitat Ende."
"Martha, die wollen dich nur für sich einspannen", sagte Lucky dazu. "Du bist die, die entscheidet, womit und für was du dein Leben lebst."
"Ich muss mich in der Lage für befangen erklären, weil ohne das Laveau-Institut hätte ich nicht früh genug herausgefunden, was mit meinem Vater los war", sagte Julius und wusste, dass das seine Mutter gerade sehr heftig treffen mochte. Falls dem so war verbarg sie es jedoch ganz gut. Denn sie verzog keine Miene und sagte nur: "Na ja, aber sie haben es auch zugelassen, dass du dieser Kreatur in die Hände gefallen bist, anstatt dich gesondert zu schützen. Ja, und auch ich verdanke dem Laveau-Institut sehr viel, genau wie Lucky und die Kinder." Lucky nickte. Denn die meisten Abwehrzauber um sein und Marthas Haus waren vom Laveau-Institut. Deshalb wiederholte er, dass seine Frau alleine die letzte Entscheidung habe, für wen und was sie weiterleben wolle.
Beim großen Geschenkeauspacken bekam Julius neben neuen Büchern aus allen Bereichen der Zauberei auch von Florymont und Arcadia Priestley gefertigte Zaubergegenstände. Florymont hatte für ihn einen unsichtbaren Rucksack mit Rauminhaltsbezauberung gemacht, in den er sogar einen Rennbesen hineintun könne. "Damit sind Hexen und Zauberer auf längeren Reisen unabhängig von Unterbringungsmöglichkeiten und fallen nicht auf, wenn sie den Rucksack fest genug zuschnüeren. Das Patent ist seit einem Monat erteilt. Ich darf die Rucksäcke auch verkaufen", sagte Florymont.
Camille schenkte ihm einen Satz besonders reiß- und Säurefester Arbeitskleidung für Garten und Labor, den sie gleich für sich und für Jeanne und ihn mitgeordert hatte, sobald das mit den Zahlungsanweisungen wieder ging.
Von Aurora Dawn bekam er einen Sonnennugget, ein besonderes Goldstück, das bei seiner Förderung vom ersten Sonnenlicht berührt wurde und daher ideal geeignet sei, den gleichen Sonnenlichtzauber zu machen wie das Vielzeug, nur dass die Sonnenlichtkugel doppelt so groß würde und das Licht bis zu zwölf Stunden gespeichert werden könne. "Von den Goldstücken gibt es nur hundert, Julius. Also fühl dich geehrt, den einzigen außerhalb Australiens zu haben."
"Ui", sagte Julius und betrachtete die eingeritzten Zeichen. "Augenblick, das ist ja keine europäische Schrift", sagte er. "Nein, das sind Bildzeichen des Ananguvolkes, das auch im Land des Uluru wohnt. Ein Kollege von mir hat es bei deren Magiern hinbekommen, dass du so einen Sonnenstein haben darfst. Öhm, du musst ihn nur, nicht heute, auf dein Blut einstimmen, damit er dich als seinen zu beleuchtenden Herren anerkennt."
"Heiß", freute sich Julius. Millie, die mitverfolgte, was er bekam wirkte hinter seinem Rücken ein paar Zauber und sagte: "Stimmt, der wurde voll mit der Sonne verbunden, auch wenn sie nicht scheint. Aber Pinkenbach gilt immer noch für ein Goldstück seiner Größe", mentiloquierte sie ihm. Wie beschlossen wurde diesen Abend wieder gegrillt, wobei Brittany das vegane Angebot bereitstellte und dabei mit Blanche Faucon und Madeleine L'eauvite Gewürzmischungen ausprobierte. Lucky musste auf Wunsch seiner Frau wieder an den Fässern stehen und zapfen, ließ sich aber gerne von den kleineren Geburtstagsgästen helfen. "Wir haben es jetzt amtlich, auch wenn der Direktor der Grundschule von Paris es nicht wirklich gutheißt, dass Miriam wie Claudine nach den Ferien die Schuljahre bis Beaux in Millemerveilles lernen soll", erwähnte Hippolyte Latierre, als Julius sie fragte, wie die Besprechung gelaufen war. Er sagte dann: "Im dritten Jahr ist ja auch Nachmittagsunterricht. Da können die Kinder in der Schulmensa essen. Also musst du dir keine Sorgen machen, dass Miriam nur noch bei uns ist." "Sag das mal Miriam", grinste Julius' Schwiegermutter. "Zumindest mag sie hier bei euch doch mehr Anklang haben als in Paris", sagte Hippolyte. Der Abend klang wieder mit Musik und Tanz aus. um viertel vor zwölf verabschiedeten sich alle Gäste, die nicht in Millemerveilles wohnten und wünschten den Gastgebern und einander noch schöne Sommertage und weiterhin eine friedliche Zeit. Als Julius wieder neben seiner Frau im Bett lag und zusah, wie Flavine und Fylla ihre letzte Tagesmilch bekamen meinte er: "Lucky sah heute wesentlich entspannter aus und hat auch wieder mehr gescherzt als gestern." "Ich sagte es ja, dass Antoinette Eauvive sicher was angeschoben hat, dass es ihm wieder besser geht, Monju." Nachdem die zwei jüngsten Mädchen satt waren drehten sich beide in ihre bevorzugte Einschlafhaltung. Sie mussten es ja nicht jede Nacht so spät werden lassen.
"Hast du gewusst, dass es im fernen Südland solche Zaubergoldsteine gibt, Mutter?" fragte die Tochter. Die Mutter erwähnte, dass sie auch in ihrem jetzigen Dasein immer noch was neues lernen konnte und bedauerte, dass das Südland mit den weithüpfenden Grasfressern und den dunkelhäutigen Völkern, die selbst zurückkehrende Wurfhölzer fertigen konnten, zu ihrer körperlichen Lebzeit nicht mehr bekannt war. Sicher hatte sie erfahren, dass es irgendwo tief im Süden ein solches Land gab, doch nicht wo. So habe sie keines ihrer sieben Kinder dort hinschicken können, um auch dort eine Blutlinie der hellen Ordnung zu beheimaten.
"Ich möchte deine Frage vor einem Tag beantworten, meine Tochter. Wenn der Tag, an dem deine Seelenmutter Claire gefeiert wird vorüber ist, werde ich wohl zu ihm sprechen und ihm die möglichen Aufgaben anbieten, deren Bewältigung ihn als würdigen Erben ausweisen können. Zwar bin ich mir sicher, dass jemand anderes das Haus des blauen Königs besser finden und diesen bändigen kann. Doch was die beiden anderen Sachen angeht bkönnte einer, der noch kein Sternträger ist, sehr wertvolle Dienste leisten."
Die Tochter fragte, was die drei Aufgaben seien. Jede davon konnte den Suchenden töten, wenn er die falschen Dinge tat oder an wütende Gegner geriet. Das einzige beruhigende war, dass Julius nicht alle drei Aufgaben erledigen musste, sondern nur eine einzige davon, um sich als würdig zu erweisen.
"Was kannst und willst du für deine völlig vom Weg abgekommene Schwester tun, Mutter?" wollte die Tochter wissen.
"Ich habe sie damals gewarnt, sich nicht darauf einzulassen, meine Tochter. Sie wollte nicht auf mich hören. Ihr helfen können, so ungern ich dies zugebe, nur ihre eigenen Ausgeburten mit ihren verschiedenen Kräften. Vielleicht geht es auch, wenn ich wieder die frühere Stärke in der Welt der Körperlichen Wesen ausüben kann. Doch darauf kann und will ich mich nicht festlegen. Warum fragst du?"
"Weil ihre neue Brut schlimmer sein kann als die neun Töchter, die sie aus sich heraus erschaffen hat", erwiderte die Tochter. Ihre Mutter konnte das nicht abstreiten.
Kurz nach Sonnenaufgang reisten Millie, Béatrice und Julius kurz durch die Zauberschrankverbindung zwischen ihrem Haus und dem Latierrehof. Dort wurden sie schon von Barbara Latierre der jüngeren begrüßt. "Es war klar, dass ihr heute erst kommen könnt. Hoffentlich hat der Baum noch Kirschen", grummelte Béatrices zweitälteste Schwester. Doch die drei Besucher sagten nichts. Sie wollten keine Zeit vertun.
Sie flogen auf mitgebrachten Besen zu jener Obstbaumgruppe hinüber, aus der ein majestätischer Kirschbaum mit einer Unmenge von Zweigen herausragte. "Ah, da seid ihr doch noch", hörte Julius eine leicht ungehaltene Gedankenstimme. Er schickte zurück, dass die letzten Gäste erst gestern abend mit dem Luftschiff abgeflogen seien. "Gut, es sind noch mehr als genug da. Aber die Zeit dafür geht vorbei", erwiderte die weibliche Gedankenstimme.
Millie, Béatrice und Julius pflückten je eine Kirsche und schluckten sie mit Kern hinunter. "Wenn der Kern wieder aus euch herausfindet pflanzt jede und jeder von euch den eigenen an einer Stelle, wo genug Platz ist. Dann haben Félix, Flaviene und Fylla je einen eigenen Nachkommen von mir, mit dem sie über euch verbunden sind. Dies sei mein Beitrag zu eurer weiteren Sicherheit", gedankensprach die in der Gestalt des großen Kirschbaums ausharrende Großmutter Béatrices, Urgroßmutter Mildrids und somit Schwiegerurgroßmutter von Julius.
Innerhalb von zwei Minuten kehrten sie über die Verschwindeschrankverbindung mit Zwischenhalt im Sonnenblumenschloss zurück nach Millemerveilles.
"Wenn sie genug Sonne und Wasser zur Verfügung hatte kann Großmutter Barbara die Verbindung über die Kirschkerne verdreifachen", erklärte Béatrice. "Ja, und da ihr ja mit den Apfelbäumen aus Camilles Garten und Ashtarias belebender und verbindender Magie bereits einen mächtigen Schutzwall um euer Haus gezogen habt kann sie darüber wohl auch mitverfolgen, wie es uns und den Kindern geht, wenn alle Bäume Früchte tragen und diese von Vögeln oder von uns gegessen werden."
"Mit anderen Worten, sie kann uns aus der Ferne überwachen", murrte Julius. "Auf uns achtgeben, Julius", berichtigte Béatrice. Doch auch Millie war nicht so begeistert. Vor allem wusste sie noch was: "Ja, zumal du und ich unsere Kinder ja zwischendurch mal stillen, solange die Kerne in unseren Bäuchen stecken. Damit vereinigen wir etwas, was die Kinder und die Kerne erfahren haben." Béatrice nickte zustimmend, sagte aber sonst nichs. Julius beschloss, ebenfalls keinen Kommentar dazu abzugeben. Außerdem war heute der dreiundzwanzigste Juli.
Es blieb eine Tradition, die keiner brechen wollte, obwohl sie Freude und zugleich Wehmut bedeutete. Morgens besuchten die Latierres nach den Dusoleils den begrünten Hügel, auf dem ein bereits beachtlicher Apfelbaum im vollen Saft stand und gedachten der darunter begrabenen Claire Dusoleil. Millie hoffte, dass sie immer noch damit zurechtkam, dass Julius mit ihr zusammen war und erwähnte leise, was sie beide zusammen mit Béatrice im letzten Jahr ausgeheckt hatten. "Aber das hast du garantiert mitbekommen", sagte sie lauter.
Nachmittags trafen sich erwachsene und Kinder der Dusoleil-Familie und Latierres im Garten der Sonne. Florymont hatte darauf bestanden, dass Uranie und ihre Kinder ebenfalls dazu kamen. Da Claire selbst nicht mehr feiern konnte beschränkten sie sich darauf, im Haus zu bleiben.
Als es dann doch später Abend wurde und die Bewohner des Apfelhauses wieder zusammen in der Wohnküche waren erwähnte Julius: "Ich hoffe, was immer Ashtaria mir noch auflädt, dass Ammayamiria ein gutes Wort für mich eingelegt hat. Jedenfalls möchte ich bald gerne wissen, was genau ich tun soll oder darf."
"Ja, aber sieh bitte zu, dass du wenigstens einen Tag Vorbereitungszeit hast, falls es nicht auf jede Sekunde ankommt", sagte Béatrice. Julius hoffte, dass Ashtaria ihm das genehmigte.
Wie es der Lauf der Natur war verließen die geschluckten Kirschkerne die drei erwachsenen Apfelhausbewohner einen Tag später. Wie von der älteren Barbara erbeten pflanzten sie drei ihren jeweiligen Kern mit ein wenig der damit herausgedrückten Verdauungsrückstände im Garten und sahen zu, dass sie sicher eingegraben waren und blieben. Wenn in wenigen Jahren neue Kirschbäume daraus gewachsen waren, die dann eigene Früchte ausbilden konnten schloss sich der neue Überwachungskreis. Doch Julius sah das nicht mehr so ablehnend. Bei allem, was gerade er so erlebt hatte war es sicher mal gut, wenn noch wer wusste, wo er war oder was er zuvor erlebt hatte.
Julius schaffte es im wieder aufgegriffenen Schachturnier ins Finale und lieferte sich mit Ursuline Latierre eine lange Partie, bis kurz vor zwölf Uhr Mitternacht Julius den entscheidenden Zug machte. "Oh, da hätte ich wohl doch besser zehn Züge vorher den Läufer ein Feld weiterziehen sollen", meinte Ursuline. Dann beglückwünschte sie ihren siegreichen Endspielgegner.
In den folgenden Tagen waren die Zeitungen damit voll, dass die europäischen Kobolde jede Geschäftsbeziehung mit Nordamerika aussetzen würden, wenn die drei dortigen Ministerien nicht klarstellten, dass die dort geborenen Kobolde wieder ihr Wohnrecht erhielten, das Goldwertbestimmungsrecht zurückbekamen und obendrein für jeden Tag, den sie von jedem Handel ausgeschlossen waren, eine Entschädigung von einem Zehntel des eigenen Körpergewichtes in Gold erhalten sollen. Auch dass Australien auf eine geheimnisvolle Weise wieder an eigenes Gold kam und die dortige Zaubereiverwaltung bekundete, eine von Kobolden unabhängige Bank zu gründen stimmte die europäischen Kobolde nicht besser gelaunt.
Brittany erzählte Julius, dass Atalanta Bullhorn vor einer Kommission zum Verschwinden von Lionel Buggles hatte aussagen müssen, da sie die unbestreitbare Nutznießerin dieses Vorfalls war. Natürlich wurde weiterhin nach der Person gesucht, die Buggles hatte verschwinden lassen. Doch Julius ging davon aus, dass weder dessen Leiche noch dessen Mörder oder Mörderin gefunden würde.
Das Projekt "Blickschutz würde ab dem zweiten August in eine reine Abstimmungsphase eintreten. Solange bekam Martha Merryweather noch frei.
Beim Sommerball von Millemerveilles am 28. Juli schafften es Millie und Julius nach den Eheleuten Jeanne und Bruno Dusoleil und vor den Eheleuten Camille und Florymont Dusoleil wieder auf das Siegertreppchen. Julius fragte sich alleine, was hier los war, bevor er und Claire angefangen hatten, die goldenen Tanzschuhe zu sammeln.
Am 29. Juli teilte Nathalie Julius per Posteule mit, dass ab dem dritten August drei Schichten pro Tag an den Poststellen und den Rechnern arbeiten würden, um das Projekt Blickschutz mit den anderen Zaubereiministerien auszuarbeiten. Per auslosung wurde bestimmt, wer welcher Schicht angehörte. Julius war froh, dass er für die geraden Werktage im August die Tagschicht zwischen acht uhr Morgens und vier Uhr nachmittags bekam. Um allen Beteiligten noch eine Zeit der Muße und Vorbereitung zu geben beurlaubte sie alle bis zum zweiten August. Julius dachte mehr als einmal, dass der August für ihn ein Schicksalsmonat war. Wenn Ashtaria ihm was zu tun geben wollte, dann wohl in diesem Monat.
Sie ging davon aus, dass sie dem dunklen Herzen standhielt, wenn sie ihre Kraftquelle, die Sonne, ansehen und anzapfen konnte. So sicherte Tarlahilia, die Tochter der schwarzen Mittagssonne, dass niemand sie beobachten würde. Danach nahm sie die Gestalt einer schwarzen Fledermaus an, die größer als ein Mensch war. Wer sie jetzt so sah mochte sie gar für einen Vampir halten.
Da ihre Mutter bei ihrer vaterlosen Zeugung keinen Tagvogel zur Verfügung hatte, da diese bei Sonnenfinsternis nicht mehr flogen, hatte sie in den wenigen Dutzend Atemzügen, die der Mond die Sonne verdeckte eine Schwarze Fledermaus eingefangen und deren Blut zur Unterstreichung des Rituals benutzt, mit dem sie ihrer künftigen Tochter eine flugfähige Zweitgestalt verleihen wollte. In dieser Form konnte sie wesentlich besser hören, ja ähnlich wie eine Fledermaus Bilder hören, allerdings nicht im Bereich der übermenschlich hohen, sondern unter menschlichem Hörvermögen tiefe Töne. So konnte sie mit ihren Klicklauten aus großer Höhe unterirdische Hohlräume erlauschen und über viele Kilometer entfernt auch Meereswellen, Erderschütterungen oder Gewitter wahrnehmen. Da sie der Sonne verbunden war konnte sie selbst dann noch was sehen, wenn sie direkt in die gleißende Sonne blickte. So flog die Riesenfledermaus genau auf die grelle, heiße Sonnenkugel am Himmel zu, um sich an ihr mit zusätzlicher Kraft aufzuladen. Dies tat sie solange, bis aus ihrem Körper orangerote Funken sprühten, die zu einer flirrenden Umhüllung von ihr wurden.
Jetzt stieß sie aus mehr als tausend Menschenlängen in die Tiefe und lauschte in den Boden hinein. Ja, da waren ganz schwache, sehr tiefe Töne, die jedes dafür empfängliche Tier davon abhielten, näherzukommen. Sie wollte jedoch das Zentrum aufsuchen. Nun hörte sie aus dem dumpfen langsamen Auf- und Ab eines Tones einen undeutlichen Ruft. Sie erkannte ihn sofort. Denn es war genau der, den sie und ihre Schwestern Ullituhilia und Thurainilla vor über einem Monddurchgang schon gehört hatten. Hier war sie richtig!
Der für Ohren unhörbare Ruf, der in der wellenartig auf- und abklingenden Schwingung steckte, kroch in ihren Geist, wollte ihn mehr und mehr durchdringen. Sie schirmte sich mit dem Schild der Sonnenwehr dagegen ab. Doch der Ruf klang immer lauter, je näher sie dem Boden kam. Dann war ihr, als zöge jede neue Schwingung sie noch schneller herunter als die irdische Schwerkraft es tat. Tarlahilia kämpfte darum, den inneren Wall aufrecht zu halten. Um ihren Körper erstrahlte violett-goldenes Licht. Doch die Macht in der Tiefe bahnte sich einen Weg, je näher sie der Erde und damit einen der Grundpfeiler dieser mächtigen Kraft kam.
"Komm zur Statt des großen Gottes! Komm zur Statt des großen Gottes!!!" Sie war bereit, ihm, dem höchsten aller Götter, zu dienen. Was??!! Sie schwang die Flügel aus wie nie zuvor und stieß ein so lautes Schnarren aus, dass die Luft erzitterte. Damit übertönte sie den immer lauteren Ruf für die Zeit, die nötig war, um wieder an Höhe zu gewinnen. Sie schraubte sich mit schnell flappenden Flughäuten höher und höher, bloß weg von der Erdoberfläche. Die sie umstrahlende violett-goldene Leuchterscheinung erlosch. Der sie lockende Ruf wurde jetzt leiser und leiser. Sie hörte nur noch das in tiefsten Tönen klingende langsame rumoren der tief im Boden verborgenen Vorrichtung. Dann war auch das nicht mehr zu hören. Endlich war sie außer Gefahr. Sie, eines der mächtigsten Wesen der Welt, hatte den Rückzug antreten müssen, weil sie sonst die Gefangene des dunklen Herzens geworden wäre. Sie flog zurück zu ihrem Ausgangspunkt und landete.
"Ich darf mich ihm nicht mal im Fluge nähern", stieß sie in Gedanken an ihre Schwester Ullituhilia aus. "Wahrlich, die dunkle Woge hat nicht nur uns mächtiger gemacht, sondern auch dieses Unding, dass dieser Gernegroß aus dem alten Reich hinterlassen hat, um seine Armee williger Geister und toten Schwertkämpfer zu erschaffen."
"Und, hast du noch was gespürt, Schwester?" fragte die Tochter des schwarzen Felsens über die Gedankenverbindung.
"Ja, etwas. Der Sonne entzogene, keine Blutsauger, sondern entkörperte Seelen, die bloßgelegt nur noch von der dunklen Kraft in der Welt gehalten werden, solange keine Sonne sie trifft. Die alten Wächter sind auch erwacht und werden jeden töten und zu ihrem Artgenossen machen, der sich ihnen nähert."
"Gilt das auch für uns?" wollte Ullituhilia wissen, die in Südafrika weilte.
"Ich werde es nicht erproben", knurrte Tarlahilia. Ullituhilia stimmte ihr da ohne weiteres zu. Sie wandte nur ein, dass jede Seele, die dieses Gebilde nährte den Lockruf verstärken würde, bis auch unbegüterte Menschen ihn hören und ihm folgen mussten. Da die beiden Schwestern von menschlicher, vor allem männlicher Zugänglichkeit lebten hieße das, ihnen die Nahrung zu entziehen. Aber sie konnten auch nichts dagegen tun. Tarlahilia war ihre letzte Hoffnung gewesen, das Herz des Seth wieder zur Ruhe zu bringen.
Er wusste, dass er träumte. Doch wie bei solchen Träumen konnte er nicht aufwachen. Etwas fremdes, übermächtiges wirkte auf ihn ein, um ihm im Schlaf etwas zu zeigen.
Zunächst schwebte er durch einen Tunnel aus halbdurchsichtigem, goldenen Licht. Er sah hinter der sich sanft drehenden Wand Erlebnisse, die er alle kannte. Das waren Erinnerungen an Erlebnisse, die alle etwas gemeinsam hatten. Sie hatten alle was mit Ashtarias Macht zu tun, ob die Anrufungen in der alten Festung, das Aufgehen von Aurélie Odin und Claire Dusoleil in der gemeinsamen Entität Ammayamiria, die Erlebnisse mit Ilithula und Hallitti, mit Itoluhila und ihrer Schwester Errithalaia, sowie die Erlebnisse, bei denen er auch ohne Stern die mächtige Formel gerufen hatte, ob bei der Bezauberung seines Denkariums, bbei der Vertreibung von Geistern wie Sardonia und die Zusammenkunft mit den lebenden Heilssternträgern in Ashtarias astralem Schoß. Er erinnerte sich an Ammayamiria und da vor allem an ihre Entstehung, sowie die Errichtung des Lichternetzes über Millemerveilles zusammen mit den drei anderen Sternträgern Camille, Maria und Adrian. Hieß das hier und jetzt, dass er gleich den verwaisten Stern finden konnte?
Als habe er mit der Frage den Ausgang des Tunnels geöffnet plumpste er unvermittelt auf eine Waldlichtung. Der Wind umstrich seinen Körper. Er hörte das leise Plätschern einer Quelle und roch frischen Waldboden. Wenn er nach oben sah erkannte er die mächtigen Wipfel der Bäume, die jedoch diesen Platz freihielten. Um sich herum sah er die turmhohen, schroffen Stämme ihm unbekannter Bäume. Dass es Bäume waren erkannte er nur daran, dass sie aus Stämmen, Ästen, Zweigen und Blättern bestanden. Er konnte auch weit oben die ersten Fruchtknoten erkennen, also hatten sie in dieser Gegend auch Sommer. Doch die von oben niederscheinende Sonne war nicht so heiß wie die über Südfrankreich. Zudem bemerkte er, dass die Lichtung auf der Kuppe eines Hügels liegen musste. Denn der sie umgebende Wald folgte einem sanften Gefälle. Wo war er und was bedeutete der Wald?
Ohne laut zu verursachen trat eine Erscheinung aus reinem weißgoldenem Licht aus dem Wald direkt vor ihm. Er erkannte sie sofort. Das war Ashtaria selbst.
"Ich bin erfreut, dass du endlich den Weg hierher gefunden hast, Julius, mein sechster Sohn. Dies ist der Wald der wichtigen Beratungen und Entscheidungen, der auf einer Insel liegt, die hinter dem Mantel der Zeit verborgen ist, wie noch fünf weitere. Eine Stunde hier ist außerhalb gerade eine halbe Minute. So viel zu deinen Fragen, wo du hier bist. Denn du hast beschlossen, den Weg zu dem verwaisten Erbzeichen zu finden. Doch bevor du das Haus, wo es seit dem Tod seines letzten rechtmäßigen Trägers verwahrt wird, finden und betreten darfst, gebietet die alte Erbfolge, dass du eine Tat vollbringst, die seiner würdig ist. Mit diser Tat in Geist und Seele wird der verwaiste Stern dich als seinen neuen und rechtmäßigen Träger annehmen und meine und deine Macht vereinen, wenn du sie zur Rettung und zum Schutz dir Anvertrauter einsetzt. Du wirst jetzt einwerfen, dass jede Tat wohl deinen Tod bringen kann. Deshalb hieß ich dich, einen Sohn zu zeugen. Deshalb musste ich deiner Frau die Schrecken einer möglichen, hoffentlich noch abwendbaren Zukunft entgegenhalten um sie dazu zu bringen, dich einer anderen zu überlassen, die nicht an die Kraft der Mondfestung gebunden ist und zudem weiß, wie die gezielte Empfängnis eines Sohnes oder einer Tochter zu ermöglichen ist. Sie musste Vertrauen zu euch haben und ihr musstet ihr vertrauen. Wenn es nur um Stärke oder geistige Begabungen gegangen wäre, dann hätte ich vielleicht Vorschläge gemacht, wie meine jüngste Tochter Ammayamiria sie dir unterbreitete, als ihr beiden noch in meinem Schoße heranwuchset", sagte Ashtaria und schien jede mögliche Frage von Julius vorauszuahnen. Denn er hatte durchaus wissen wollen, was das mit diesem Albtraum sollte, wozu er unbedingt einen Sohn zeugen sollte und was jetzt von ihm verlangt wurde. Dann dachte er an frühere Rollenspielsitzungen vor Hogwarts, wo sie Rätseljagden machen mussten, um bestimmte Gegenstände oder Trankzutaten zu finden oder irgendwelche wichtigen Leute aus den Händen böser Wesen zu befreien. Insofern war das hier auch eine weitere Quest, nur mit dem Unterschied, dass er dabei echt sterben konnte.
"Jeder, der oder die einen der Sterne erben sollte erwies sich vorher schon als würdig, durch Taten, die den Fortbestand der Menschen und einer möglichst friedlichen Welt dienten. Somit wussten die Vererber, dass sie den Stern an einen oder eine Würdige weitergeben konnten, wenn die Zeit gekommen war. Dir kann leider niemand den Stern übergeben und daher wissen, was du vorher getan hast. Um ihn an dich zu nehmen musst du eine in meinem Dienst erfüllte Aufgabe in deiner Erinnerung tragen. Doch kannst du dabei den Tod finden."
"Ja, und dann bleibt der Stern solange liegen, bis Félix sich als würdig erweist, oder muss der dann auch erst einen Sohn haben?" fragte Julius. "Ja, und ja", erwiderte Ashtaria auf diese Fragen. "und wenn er nicht will?" fragte Julius. "So bleibt ihm ein Leben wie jedem anderen, allerdings mit der ständig aufkommenden Frage, ob er in der einen Lage nicht hätte helfen können oder in der anderen Lage nicht mit den Seinen vor größerem Ungemach bewahrt worden wäre, hätte er das Erbe angenommen."
"Gut zu wissen", erwiderte Julius. Er könnte also auch auf das Erbe verzichten. "Dann dürftest du aber die mächtige Anrufung nicht mehr verwenden. Denn diese ruft meine Macht. Nur in den sieben Sternen ist sie zielbezogen, nicht auf nutzlose Zerstreuung ausgelegt. Ich habe dich die Anrufung bisher meistens ausrufen lassen, weil es noch sieben Träger des Sternes gab, die eine ungehinderte Zerstreuung unbewusst verhindert haben. Im Moment wäre es sehr verheerend, wenn du ohne einen Heilsstern in Rufweite die Anrufung aussprächest, weil sie dich auszehren und schwächen würde. Dann bliebe mir nur, dich zu mir zu nehmen und entweder über die Weltenbrücke ziehen zu lassen oder dich in mich aufzunehmen und dich mit allen Vorausgegangenen eins werden zu lassen. Nimmst du dein Erbe an, so wird dir das nur bei einem gewaltsamen Tod widerfahren oder, was wesentlich schmerzloser und erhabener ist, du übergibst das Erbe an deinen Nachfolger und schläfst friedlich ein. Deshalb war es wichtig, einen Sohn zu haben. Warum keine Tochter wie Aurore es annehmen kann liegt an der Reinheit von Blut und Geschlecht in der Folge. Warum dies so ist enthüllt sich nur dem oder der, die einen der sieben Sterne erhält und von diesem als rechtmäßiger Erbe oder rechtmäßige Erbin anerkannt wird. So frage ich dich jetzt höchst entschieden: Bist du, Julius, Sohn von Martha und Richard, bereit, die Aufgabe zu erwählen, die dich als würdig bestätigt, das Erbzeichen der erloschenen Linie von Sharvas zu erhalten?"
"Ich bin bereit", sagte Julius. "So wähle aus einer der drei Aufgaben, die ich dir nun in lebendigen Bildern und Worten erläutere!" erwiderte Ashtaria.
Julius kannte es aus Denkariumssitzungen und auch Träumen von Temmie und Ammayamiria. Daher war er gar nicht verwundert, als er sich ohne Übergang in einem tiefen Gewölbe sah, dass von mehreren Öllampen in ein goldenes Licht getaucht wurde. Hier standen drei Zauberer. Einer war bereits alt und besaß hellgraues Haar und einen Bart. Die zwei anderen mochten an die fünfzig Jahre alt sein. Alle drei standen sie vor einer silbern beschlagenen Kiste.
"Dann ist die Legende aus dem Nordland keine Erzählung, sondern eine an den Rand der Vergessenheit geratene Begebenheit, Meister Uschanaguran?" fragte einer der jüngeren Zauberer. Der Angesprochene, um den Julius eine schwache, silberne Aura erkannte bestätigte es. "Den unglücklichen Zauberer gab es und er musste gegen ein Brutpaar aus zwei Eislandfelsenriesen kämpfen", setzte der, der Uschanaguran genannt wurde, zu erzählen an. Da sah Julius, wie ein hagerer Zauberer mit einem leuchtenden Holzstab in einer weiten Granithöhle umhersuchte, angeblich um Mondstaubpilze zu finden, deren Fleisch in einem Trank gerührt die Fähigkeit verleihen sollte, bei auftreffendem Mondlicht völlig unsichtbar und lautlos zu wandeln. Dann geriet der Zauberer, der offenbar keinen Namen hatte, an zwei zehn Meter hohe Ungetüme, einen Trollmann und eine mit ziemlich ausladenden Brüsten begüterte Trollfrau. Doch sie beide waren was Gebiss und Körperkraft anging gleichberechtigt.
Erst wehrte sich der Zauberer mit Anrufungen des gebundenen Seines. Doch dann verließen ihn seine Ideen. Die zwei Trolle kamen auf ihn zu. Das Trollweib knurrte: "Lass mal schmecken, ob dein Fleisch ein gutes Futter für meinen Felsling ist, Kleiner!"
"Zurück mit dir im Namen der großen Mutter Erde, die Leben gibt und erhält!" rief der Zauberer und schaffte es wirklich, das Trollweib zu bannen. Der Trollmann lachte laut und wie eine kaputte Motorsäge. Dann wollte er sich vorbeugen. Da rief der Zauberer: "In friedlichem Leben seien wir vereint!" Daraufhin schnellte ein weißblaues Licht aus dem Zauberstab und traf den Trollmann, schuf eine Verbindung. Seine Frau wollte ihm helfen und trat dazwischen. Da gabelte sich der weißblaue Strahl zu einem waagerecht liegenden Y, dessen kurze Schenkel in die beiden Trolle eindrangen und sie aus sich heraus immer heller leuchten ließen. Die beiden wurden zusammengedrängt. Das licht wurde immer heller. Dann zog der längere Teil des magischen Lichtgebildes seinen Beschwörer wie an einer flirrenden Kette an die Trolle heran, die immer greller aufleuchteten und schrien. Dann verwuchsen sie zu einem einzigen, hell leuchtenden Etwas, in das der Zauberer hineingezogen und restlos verschlungen wurde. Es knallte. Dann stand statt zweier Trolle und einem Zauberer ein etwa acht Meter großes Geschöpf da, dass einen weiblichen Oberkörper und männliche Geschlechtsorgane besaß. Das Zwitterwesen blickte sich mit riesengroßen Augen um, musste wohl seiner Lage und Daseinsform erst einmal gewahr werden. Dann lachte es laut auf. "So bin ich im Frieden vereint!" brüllte das neue Wesen.
Das Bild verschwamm in Nebel, aus dem erst verwaschen und dann deutlich Uschanagurans Bericht erklang. "Der Helfer des Unglückseligen konnte diesen unheilvollen Vorgang beobachten und ihn später weiterberichten. Als versucht wurde, die neue Daseinsform wieder in einzelne Wesen zu trennen stellte sich heraus, dass sie jeden Zauber abwehrte und sehr beweglich und körperlich stark war. Ja, sie konnte durch festes Gestein gehen, solange kein hoher Metallanteil darin war. Sie wurde gejagt, doch blieb immer sieger. Sie lernte, dass lebendig verschlungene Nordlandkleinwesen nicht nur mehr Kraft und Größe vermittelten, sondern sie auch unangreifbarer machten." Julius sah nun die Bilder der hinter Zwergen und Kobolden herjagenden Zwittergestalt und dass sie bei jedem lebendig verschluckten Kobold oder Zwerg an Größe zunahm. Dabei wurde die felsgraue Haut immer dicker und begann metallisch zu glänzen. Wie von einem Stadionsprecher geführt wuchs der neuartige Troll unter den Beschreibungen des gerade unsichtbaren Erzählers noch weiter, überragte bald die üblichen Trolle um das dreifache, dann das vierfache. Die kleinwüchsigen Zauberwesen nannten ihn bald nur noch den großen, grauen Eisentroll. Denn mit jeder weiteren Größenzunahme konnte das Wesen auch durch immer dickere Metallwände dringen. Auch wwehrte es ihm entgegengeschleuderte Zauber mit bloßen Händen ab und zerbrach selbst die für unzerstörbar geltenden Kobold- und Zwergenwaffen. das einzige, was ihm entgegenwirkte war natürliches Feuer. Magisches Feuer löschte der völlig unbeabsichtigt entstandene Trollzwitter mit einer Armbewegung. Doch wo es mit natürlich entzündeten Geschossen zu tun bekam half nur die immer dicker gewordene Eisenhaut.
"Und ich verschlinge eure Seelen!" brüllte dass nun über fünfzig Meter große Ungetüm. Tatsächlich erwähnte Uschanaguran, dass zwei Zauberern durch pures anstarrenund tiefes Einatmen die Seelen entzogen worden waren und dass der Troll danach gewusst hatte, mit was man ihn bekämpfte.
"Am Ende", so Uschanagurans Stimme aus dem Hintergrund, "War es einer Gruppe aufopferungsvoller Krieger zu verdanken, dass diese das Verhängnis für alle Rassen aufhielten."
Julius sah nun acht Kobolde in schimmernden Silberrüstungen. Sie griffen den Wohnberg der Trollmutation anund lockten sie hinter sich her über das sturmgepeitschte Nordmeer zu einer Insel, auf der Eis und Feuer miteinander in ewigem Wettstreit standen. Der graue Eisentroll apparierte mit einem Schlag wie von hundert Tonnen Dynamit. "Da seid ihr kleinen Frechlinge. Jetzt seid ihr mein!" brüllte das Ungeheuer mit einer von allen Hängen hallenden Stimme, dass es von einigen der Berge echte Lawinenabgänge gab. Julius fröstelte es, dass sowas durch einen dummen Zufall bei einem Friedenszauber gekommen sein sollte. Er erinnerte sich, dass Millie mal von dem schlimmsten Angstmacher der Zwerge gesprochen hatte, dies jedoch nie im Seminar laut auszusprechen wagen wollte, weil Koldorin aus dem Zwergenverbindungsbüro anwesend war.
Die acht Kobolde nutzten das Beben der umliegenden Berge und sprengten ein Loch in den Kraterwall. Dann schleuderten drei von ihnen ein in Brand gesetztes Netz und fingen den Troll damit ein. "Waaaa!!" brüllte das Ungetüm. Julius hörte es und erkannte es aus Uschanagurans Bericht, dass das Netz aus den Sehnen von Drachen mit einem leichten Goldüberzug bestand und nun mit Pech und Brenngebräu bestrichen war. Der brennende Troll wand sich im Netz, bekam es jedoch nicht los. Er stürmte blindlings vor und kämpfte gegen alle acht zugleich. Als er dann in die Gesprengte Öffnung sa wurde dem Unwesen bange. Doch wie so oft wurde auch hier Angst zur unbändigen Wut. Das Ungeheuer versuchte um sich zu schlagen und zerrte dabei an dem Netz, in dem fünf der Acht ihre Hände vergruben, um das Monstrum zu bändigen. Dann brach der Boden ganz weg, und die fünf Schergen und ihr Fang stürzten in die Tiefe, in der Julius ganz tief unten ein dunkelrotes Schimmern sah. "So nahm der große, graue Riesenunhold fünf der ihn bekämpfenden Hescher mit sich ins verderben", beschrieb Uschanaguran den letzten Teil der ihm bekannten Geschichte. Somit schlossen die drei Überlebenden den freigesprengten Vulkan und ließen ihn mit einer Menge Erdmagie in sich zusammenbrechen, damit der nimmersatte Riesenunhold niemals mehr daraus hervorklettern konnte. Doch sie verbreiteten die Geschichte, dass der felsengraue Riesenunhold nicht wirklich starb, weil er sich von Erdgestein genauso ernähren konnte wie von Fleisch, Blut und Seelen. Er sei nur dazu verdammt, tief im Schoße der Erde herumzuschwimmen. Nur in langen, dunklen Nächten, so die kleinwüchsigen Erdverbundenen, entsteige sein Geist dem Körper und könne unartige, also nicht den Koboldvorgaben folgende Kobolde, erspüren und sauge ihnen dann das Leben und die Seele aus."
"Ja, und warum wir hier und heute diese Sammlung zu verstecken haben liegt daran, dass etliche Geschlechter von Zauberern später jemand die Namen der beiden gefräßigen Riesen und des Zauberers herausfand. Diese Namen könnten den tief in der Erde herumirrenden Riesenunhold wieder zu uns hochrufen. Der Mann schrieb es sofort in mehrere Schriftrollen. Da er zurecht fürchtete, dass die spitzohrigen Erdleute ihn aus Angst und die lebenden Nordlandunholde aus göttlicher Verehrung des felsgrauen, ehernen Riesenunholdes erwischen und ihm das Wissen entreißen konnten habe er es in diese Kiste gepackt und über das Meer aus dem Nordland nach Afrika gesendet."
"Ja, und wie ich fühlen kann strahlt diese Truhe einen Zauber aus, der von geübten Spitzohren erspürt werden kann. Außerdem stellte sich heraus, dass die Truhe sich jedem Versuch entzieht, sie dauerhaft einzuschließen. Offenbar wirkt in den Schriftrollen bereits der Fluch des Eisentrolls, der seine Rückkehr herbeiführen will", sagte Uschanaguran. Kein räumliches Versteck und kein bindender Zauber vermag die Truhe zu halten, sobald die Sonne fort ist und der Mond aufgeht."
"Mondlichtzwang", sagte einer der jüngeren Zauberer. "Aber wieso hat der Kenner dieser Schriften die Truhe damit bezaubert, dass sie immer freies Mondlicht auf sich haben will?"
"Das mag nicht seine Absicht gewesen sein. Aber er muss das falsche Silber erwischt haben, welches auf es wirkende Zauber dunkel verkehrt", sagte Uschanaguran und erntete Nicken. "Stimmt, das Silber aus Bergen, in denen unschuldige Kinder starben, um es zu fördern kann diese Eigenschaft annehmen", sagte der zweite jüngere Zauberer. "Aber woher kannte der Schreiber die Namen?" wollte der erste wissen. Uschanaguran erwähnte, dass der Zauberer wohl Aufzeichnungen des Unglücksseligen gefunden habe, der alle Trolle der Umgebung beim Namen kannte. Als es zur Verschmelzung kam fehlte ein Trollpaar. Also konnten es nur diese zwei sein, die mit dem Zauber des wahren Namens nicht zu entdecken waren."
"Dann können wir diese Truhe nur mit dem Mantel der vorauseilenden Zeit verbergen. Ihm kann nichts entrinnen, solange die Bedingungen für eine Rückkehr noch nicht eingetreten sind", sagte der zweite Zauberer.
Julius sah noch, wie die drei die Kiste in eine Nische stellten und dann in ein ähnliches nebelhaftes Feld einschlossen, wie das, dass er in Garumitan gesehen hatte. Die Truhe verschwand. Dann bekam er als Zeitrafferfilm ohne Kommentar mit, wie die mächtige Bücherei durch Plünderungen oder gezielte Umverteilung immer kleiner wurde, wie sie immer wieder erbebte und dann irgendwann keine Bücher mehr enthielt. Da wusste er, wo sie einmal gewesen war und sah die aus Beschreibungen bekannte alte Hafenstadt Alexandria von oben wie von einem fliegenden Besen oder Teppich aus. Dann versank die Stadt im Nebel und machte der Lichtung Platz.
Die zweite Aufgabe bestand darin, das Haus des blauen Königs zu finden. Der Blaue König war der Sohn eines weiblichen Luftdschinns und eines männlichen Erddschinns, die wegen der geeigneten Planetenstellung ein Kind zeugten. Julius scherzte, dass ein blauer Dschinn auch der Erzfeind der bezaubernden Jeannie war. Darauf fand er sich nach dem aus der Fernsehserie bekannten Djojioioing-Geräusch in einer mehrere Meter hohen Flasche neben einer wunderschönen Frau in orientalischen Gewändern. "Huch, du bist der, dem ich die Flasche überlassen soll, wenn ich mit meinem Meister Hochzeit mache? So sei es. Pass gut darauf auf", flötete die Wunderfrau und löste sich in einer Rauchsäule auf, die nach oben aus der haushohen Flasche verschwand. "Ey, so habe ich das nicht gemeint, Ashtaria. Bitte erzähle mir die Geschichte vom blauen König weiter!" Doch es kam keine Antwort. Dann versuchte er es mit dem Blinzeln, mit dem die Fernseh-Jeannie ihre Magie gewirkt hatte. Doch es gelang nicht. Natürlich, er war ja kein Flaschengeist oder war von der früheren Besitzerin gebannt worden. Dann machte er was anderes. Er rannte an der Innenwand entlang, bis die Flasche ins Taumeln geriet, lautstark eierte und dann umfiel. Er rollte sich zusammen, als das gläserne Ungetüm laut polternd über die Unterlage kullerte und unterdrückte einen Aufschrei, als es nach unten fiel. Er sah gerade noch, dass er in einem für Titanen gebauten Wohnzimmer war, das einem Amerikaner in den 1960ern wohl gefallen mochte. Dann krachte und schepperte es, und er stand wieder auf der Waldlichtung. Ashtaria stand neben ihm und sah ihn sehr ernst an. "Treibe niemals Scherze mit mir, Julius Latierre! Ich bin nicht Ammayamiria."
Nachdem Julius dies begriffen hatte durfte er die Geschichte um den blauen König, einem Hybriden aus Luft- und Erdgeist mit überragenden Kräften, weiterverfolgen. Tatsächlich erwies sich dieser blaue Dschinn als sehr machtbewusst und wollte ein Reich der Geister auf Erden und zur Luft begründen. Doch dann wurde er von einem der Silbersternträger und mehreren Mitstreitern in seinem Haus, einem blassblauen Riesenei wie von einem Felsenvogel, in die Tiefe eines Weltmeeres versenkt. Von Wasser überdeckt konnte er nicht mehr viel machen. Doch es hieß, dass wer ihn fand und unter freien Himmel zurückholte, würde ihn befreien. Anders als bei Aladins Lampengeist würde der blaue König einem aber für seine Befreiung keine Wünsche erfüllen, sondern ihn oder sie zur Ehre verschlingen, ihm den Weg zurück in die Welt zu ermöglichen. Weil die meisten Dschinns ihre Freiheit höher schätzten als das Leben trachteten sie danach, jeden, der den blauen König suchte oder gar zu beschwören versuchte, umzubringen."
"Wer der Geisterkunde mächtig ist kann sich ihrer erwehren, daher kenne ich wen von einer anderen Brückengängerin, die ihn suchen könnte. Doch sie hat im Moment andere Pflichten zu erfüllen", sagte Ashtaria.
Nun bekam Julius die Geschichte eines Zauberers vorgeführt, der Menschen durch Tod und Magie in gehorsame Geister verwandelte und diese je nach Elementarverbundenheit in Panzerplatten oder Steuerungsvorrichtungen von modernen Panzern oder Flugzeugen einsperrte, um diesen Maschinen noch mehr Geschwindigkeit, Unverwüstlichkeit und Schlagkraft zu verleihen. Er hatte sich nur bei einigen seiner Geschöpfe übernommen und sich in eine Höhle voller klagender Seelen zurückgezogen. Jetzt wusste Julius, was mit den besonderen Waffen im Irak los war. Er bekam nun mit, wie der als Wunderschmied bezeichnete Geistermeister aus Todesangst heraus seine Urmutter anrief, eine blaue transvitale Entität, die sich als die Nachtodform der legendären Königin von Sabah erwies, welche mit dem jüdischen König Salomon zu tun hatte. Diese bestrafte den Geisterbeschwörer und Wunderschmied, indem sie ihn in seine eigene Schwester Sirah verwandelte und ihr auferlegte, zwei Söhne und zwei Töchter von einem Mann mit ungeweckten Zauberkräften zu bekommen oder nach dem Tod als weibliches Nutztier wiedergeboren zu werden, immer und immer wieder. Die nächste Szene zeigte Sirah dann bei der ersten Niederkunft. Ihr Mann Ali, mit dem sie in einem Dorf, was "Zum Glücksturm" hieß wohnte, wartete auf das erste Kind. Dann sah er Sirah bereits mit dem nächsten Kind im Unterleib und erfuhr, dass sie wohl im Dezember das zweite Kind bekommen würde und daher gerade keine Zeit habe, die Rückkehr des blauen Königs zu verhindern.
Julius dachte erst, nur ein Traum halt. Doch was transvitale Entitäten konnten hatte er schon bei Ammayamiria erleben dürfen oder müssen. Sie konnten einem den Zugang zu bestimmten Orten verwehren, sogar Halbriesinnen schrumpfen lassen und mit der richtigen Anrufung in einer blitzartig verstreichenden Nacht ein ganzes Dorf mit einem Netz aus goldenen Zauberkraftsträngen überziehen und die Beschwörerinnen und Beschwörer dabei in sich herumtragen. Also mochte eine weniger freundliche transvitale Entität durchaus einen Mann in seine eigene Schwester verwandeln können. Ja, und auch einen unbrechbaren Wiedergeburtsfluch oder besser ein Geas konnte so eine Entität sicher auch wirken.
Als Julius nach der dritten Aufgabe fragte fand er sich auf einer ausgedehnten Anhöhe mitten in einer Wüste. Auch hier war es gerade dunkle Nacht. Julius fühlte die auf ihn einströmende Kälte und den Wind, der den feinen Sand vor sich hertrieb. Knapp über dem glasklar erkennbaren Horizont konnte er die Schatten ferner Berggipfel erkennen. Er blickte nach oben und sah einen kristallklaren Sternenhimmel über sich. Er meinte, die Sterne greifen zu können, so nah erschienen ihm die hellsten. Er wusste, dass viele Astronomen gerne in solche weit ab von modernen Städten liegenden Gegenden zogen, um einen von keinem Streulicht verdorbenen Sternenhimmel beobachten zu können. Nichts hier deutete darauf hin, dass hier etwas so gefährliches lauern mochte, dass er oder ein anderer von Ashtaria betrauter Mensch mit Zauberkräften etwas dagegen unternehmen musste. "Verliere dich jetzt in dem Anblick und bedenke, dass du dies nicht tun darfst, solltest du das hier wartende Übel unschädlich machen wollen", hörte er Ashtarias Stimme von oben her, als sei sie der Mond, der ihn beobachte wie er diesen. Dann erschien sie wieder in ihrer weißgoldenen Gestalt neben ihm. "Hier unten, südlich der Gestade des Meeres, das heute als Mittelmeer bezeichnet wird, soll eine Hinterlassenschaft des größten Anhängers der dunklen Wege ruhen, dass meine Nachfahren bisher beschrieben haben", sagte Ashtaria. Dann machte sie eine von Horizont zu Horizont weisende Handbewegung.
Übergangslos fand sich Julius in einen Schreibzimmer, an dessen Wänden handgemalte Karten aushingen. Er war gerade zu einer Besprechung zweier Männer dazugekommen, die ihn jedoch nicht bemerkten. Also war er mal wieder in einer Erinnerung oder einer erzählten Szene.
"Ihr seid euch ganz sicher, dass die alle zehn Atemzüge erfolgende Wellenbewegung auf jene Hinterlassenschaft hindeutet, die als "Das Herz von Seth" bezeichnet wird, Boreas?" fragte ein schon mehr als sechzig Jahre zählender Zauberer, um den Julius jene Silberaura sehen konnte, die er auch schon bei Uschanaguran gesehen hatte. Also war das ein Sternträger.
"Es ist bestätigt, Meister Buramesch, dass es diese Hinterlassenschaft gibt", sagte ein etwas jüngerer Zauberer mit schwarzer Igelfrisur. Der ältere machte eine bejahende Geste. Julius erkannte, dass es ein Sohn oder Enkel von Uschanaguran sein mochte.
"Besteht die Möglichkeit, seinen Standort genauer zu bestimmen und falls ja, in das Versteck einzudringen?" wollte Buramesch wissen. "Die Wellen dunkler Kraft breiten sich sehr weit aus. Es ist nicht einfach ihre Quelle zu erfassen. Wir erkennen jedoch, dass sie mindestens fünfhundert Manneslängen tief unter der Erde zu finden sein muss, dort, wo kein freies Sonnenlicht hinfallen kann."
"So werden wir mit hundert Getreuen die Quelle genauer umstellen und sie prüfen."
"Fürchtet ihr, dass die rastlosen Toten, die in den letzten Nächten in die Dörfer westlich des Nils eindrangen, von dieser Quelle gestärkt und gelenkt werden?" Wollte Boreas wissen.
"Ich muss dies nach der Entdeckung des regelmäßigen Aufkommens dunkler Kraft befürchten", sagte Buramesch. "Außerdem werde ich noch die Schriften von Kanoras' Boten erforschen. Der hat ja mit dem Erwachen des Herzens von Seth gedroht, bevor er sich selbst den Tod gab und zu einem der nachtdunklen Rastlosen wurde und mir nur blieb, ihn von diesem Dasein zu erlösen."
Julius horchte auf. Der Name Kanoras war ihm wohl vertraut. So hieß ein Wesen, das mörderische Schattenwesen an sich binden und lenken konnte. Also kannten die Kinder Ashtarias dieses aus einem gewaltigen Gehirn bestehende Ungeheuer damals schon. Aber einschläfern oder vernichten konnten sie es damals noch nicht.
"Ich kann vierzig meiner Sucher aus den anderen Landen zurückrufen, Meister Buramesch, sagte Boreas. Womöglich können die Meister von Erde, Wasser und Feuer auch so viele zusammenbringen", fügte er noch hinzu.
"Ich danke dir, Boreas. Da zu fürchten ist, dass die Nacht die Zeit der hörigen Helfer des Herzens ist sollten wir, auch weil die dem Feuer und damit der Sonne verbundenen ihre volle Kraft nutzen können, am Tage die Quelle suchen", legte Buramesch fest. Boreas sah es ein.
Julius bekam dann wieder von Ashtaria kommentiert mit, dass Buramesch, der Enkel von Uschanaguran, mit hundert Magiern der vier großen Urkräfte auf fliegenden Teppichen und geflügelten Rappen, die dem Sagentier Pegasus entstammt sein mochten, über der Wüste dahinflogen. Als sie erkannten, dass sie aus der Höhe nichts fanden landeten sie. Hier erfassten die der Erde verbundenen Zauberer mit besonderen Steinen, dass wirklich alle zehn Atemzüge eine an- und abschwellende Kraft dunkler Ausprägung wirkte. Es gelang den Ursprungsort einzukreisen. Doch als sie dort ankamen wuchs eine pechschwarze Festung aus dem Boden, aus der übermenschlich große, aus belebter Erde bestehende Krieger in spiegelnden Rüstungen hervorstürmten und die Störenfriede oder Todfeinde mit brennenden Speeren und Blitze schleudernden Schwertern angriffen. Auch wühlten sich hunderte lebende Leichen aus dem Boden wie hungrige Sandwürmer und fielen über die Helfer Burameschs her. Die Feuermagier unter Leitung eines gewissen Pyrogaster von Neapolis konnten die Wüstenzombies mit blauen Feuerbällen niederkämpfen. Die in Spiegelrüstungen kämpfenden Golems waren jedoch gegen auf Licht getragene Zauber immun. Das musste ein Schüler Pyrogasters erfahren, als er einen der künstlichen Krieger mit einem Feuerball zusetzen wollte. Nur gut, dass der Feuermagier auf Eigenschutz achtete und die auf ihn zurückfauchende Flammenkugel mit einem silbernen Schild abfing. Auch die auf Lichtstrahlen getragenen Zauber schlugen quer oder wurden zu gefährlichen Rückprallern. Erst als die Erdzauberer die verspiegelten Golems in plötzlich aufklaffende Erdspalten reinstampfen ließen und diese wieder verschlossen gelang es, den Widerstand zu brechen. Buramesch betrat die Festung. Laut Ashtarias Hintergrundkommentar fühlte er, dass dort eine sehr starke dunkle Kraft wirkte, die aus großer Tiefe stammte. Im nächsten Moment sah Julius den Sternenträger mit erleuchtetem Zauberstab eine steile Wendeltreppe hinablaufen und dabei weitere ihm entgegeneilende Zombies mit einem blauen Lichtstrahl in unbelebte Körper zurückverwandeln. Dann drangen blutrote Geisterwesen aus den Wänden und aus dem Schacht der Treppe vor und versuchten, ihn zu berühren. Doch dabei zerplatzten sie in blau-goldenen Blitzen an der weit ausgreifenden Aura des Heilssterns. Julius kannte diese blutroten Dämonenwesen auch schon. Es waren die von Sardonia geknechteten Seelen hunderter Opfer, um ihre Kuppel aufrechtzuhalten und die ihr am Ende eine turmhohe Gestalt verschafft hatten.
"Buramesch drang tiefer in das innere des versteckten Hortes böser Mächte vor. Doch dann erkannte er, dass er in eine Falle gelockt werden sollte", hörte er Ashtarias Stimme. Tatsächlich begann Burameschs Heilssternaura immer stärker zu flackern, und das Flackern griff auf die grauen Wände über. Der Heilssternträger erahnte mehr als es zu wissen, dass etwas mit seinem Kleinod wechselwirkte und sich zu einer immer stärkeren Eigenschwingung aufzuschaukeln begann. Sofort kehrte er um und rannte die Treppe nach oben, offenbar unter Verwendung eines Beschleunigungszaubers. Denn Julius sah die immer noch aus den Wänden dringenden blutroten Geister so langsam fliegen, als seien es von der untergehenden Sonne angeleuchtete Schönwetterwolken. Er konnte sogar Gesichter in den eiförmigen, wabernden Geisterkörpern erkennen und sah deren Qual und Verdrossenheit. Natürlich waren es unterdrückte, versklavte Seelen, die für ihren Meister neue Sklaven fangen sollten, so wie es in Millemerveilles auch stattgefunden hatte und wohl auch geklappt hätte, wären nicht viele so vernünftig gewesen, Goldblütenhonigphiolen am Körper zu tragen.
"Buramesch fand heraus, dass dort, wo sich das Herz des Seth befinden musste, ein auf seinen und jedes anderen Erben Heilsstern abgestimmter Nachschwingungszauber eingerichtet worden sein musste. Also hatten die Söhne des Seth, die damals die Feinde meiner am Nil lebenden Nachfahren waren, die Ausstrahlung der Heilssterne genauso erforscht wie meine Nachfahren die Beschaffenheit und Auswirkungen der Unlichtkristalle, jedoch ohne einen meiner Nachfahren gefangennehmen oder töten zu müssen. Diese sehr betrübliche Erkenntnis bewog Buramesch, alle anderen lebenden Erben vor dem Herzen des Seth zu warnen",. beschloss Ashtaria ihre Erläuterung, zu der nur noch räumliche Einzelbilder vor Julius auftauchten. Dabei sah er auch eine Heilssternträgerin, die dasselbe Haar und die gleiche Augenfarbe wie Camille Dusoleil und ihre Töchter hatten. "Asathna die Quellenhüterin", hörte er ihren Namen aus Ashtarias scheinbar allgegenwärtigem Mund. "Sie ist wahrhaftig eine Nachfahrin meiner Tochter Isa und eine weit weit vorauslebende Vorfahrin Camilles."
Mit einem kurzen Säuseln und goldenem Flirren kehrte Julius auf die geträumte Waldlichtung zurück, wo Ashtaria sich ihm wieder in ihrer leuchtenden Gestalt zeigte.
"meine Nachgeborenen haben damals alle wandelnden Leichen aufgestöbert und vernichtet. Sie haben dafür gesorgt, dass das Herz des Seth, das vom Leid und Tod anderer Menschen in Gang gehalten wurde, zu schlagen aufhörte, ohne es zu zerstören. Unser aller Glück war, dass es heute nicht unter einer der großen Städte ruht, in denen die Enge und die Hast der Menschen und die Habgier weniger zu ständigen Bluttaten führt. Denn dann wäre das Herz des Seth wohl schon vor etlichen Jahren erwacht. Ich fürchte jedoch, dass durch die Welle dunkler Kräfte, die auch die tief schlafenden Abgrundstöchter geweckt hat, auch das Herz des Seth wieder zu schlagen begonnen hat und nach neuen Opfern giert. Somit ist es sicher sehr gefährlich bis tödlich, sich ihm zu nähern."
"Ja, aber ihr habt es damals nicht wirklich unschädlich gemacht. Das mit dem Buch in der Zeitkapsel und dem unter Wasser gefangenen blauen Dschinn mag noch vorhalten", sagte Julius. "Deshalb denke ich, dass diese Hinterlassenschaft zumindest überprüft werden sollte. Aber wenn es in Ägypten ist müssten die dortigen Ministeriumszauberer es mit ihren Spürsteinen erfassen können, das gleiche gilt, soweit ich weiß, für Tunesien und Algerien."
"Wenn dem so sein sollte wäre das sehr gefährlich für jene, die diesen Kraftwellen folgen", sagte Ashtaria. "Und ein anderer Brückenseher, der noch einen menschlichen Verbindungspunkt in Ägypten hat, hätte mich sicher längst davor gewarnt, wenn die dortigen Zaubereiüberwacher das regelmäßige An- und Abschwellen dunkler Erd- und Mitternachtskraft entdeckt hätten. Jedenfalls hat Buramesch gelesen, dass die bereits der Dunkelheit verfallenen Wesen davon regelrecht gerufen werden wie die Schafe von der Stimme ihres Schäfers. Wenn sie ihm verfallen könnten sie ihre gesamte Kraft dem Herzen darbringen und/oder von diesem zum weiteren Beutezug getrieben werden. Doch auch der blaue König könnte bereits wieder aufgewacht sein, wenn die dunkle Woge ihn auch in seinem untermeerischen Gefängnis durchflutet und gestärkt hat. Was das Buch des großen, grauen Riesenunholds betrifft könnte jemand ergründen, wo eine Unebenheit im Lauf der Zeit ist und versuchen, es zurückzuholen. Ob es in der Umhüllung vorauseilender Zeit von der dunklen woge unberührt blieb weiß ich nicht", sagte Ashtaria. Julius beruhigte sie, dass eine solche Zeitabschirmung dunkle Kräfte zuverlässig vom Rest der Welt abschloss und dann wohl auch umgekehrt. Dann sagte er entschlossen: "Gib mir einen Tag Zeit, dann werde ich dorthin reisen, wo das Herz des Seth gefunden wurde. Wo genau ist das?"
"Ich werde dir sowohl die genaue Lage des Ortes als auch genug Kraft zur zeitlosen Reise dorthin vermitteln. Du darfst aber keine menschliche Unterstützung auf die Reise mitnehmen. Daher musst du jenes goldene halbe Herz, über das du mit Mildrid verbunden bist, zurücklassen, wie auch das aus dem Himmelsbergerz gefertigte Armband, mit dem du ferne Freunde und Verwandte erreichen kannst. Ansonsten darfst du alles mitnehmen, was dir nach dem gerade nachbetrachteten Geschehen als nötige Ausrüstung erscheint", legte Ashtaria fest. "So sag es noch einmal laut, welche der drei Aufgaben du zur Erlangung des verwaisten Erbzeichens erfüllen willst!"
"Ich will nach dem Herzen des Seth sehen und ergründen, wie gefährlich es noch oder schon wieder ist", sagte Julius nun verbindlich. Das kannte er auch schon von den Rollenspielsitzungen. Er hatte die Quest angenommen und musste sie nun durchspielen. "Es ist alles andere als ein Spiel", bemerkte Ashtaria, die wohl seine Gedanken mitgehört hatte. Doch das wusste er in dem Moment schon, wo er mit angesehen hatte, wie die Golems, Zombies und Blutgeister über die angerückten Magier hergefallen waren.
Warum es auch immer nötig war, er glitt zum Schluss durch den goldenen Tunnel, durch den er in Ashtarias Welt eingedrungen war. Diesmal war der Ausgang seine Seite des Ehebettes.
Julius hatte am Morgen nach dem Traum von Ashtaria erst einmal nichts erwähnt. Erst als Aurore und Chrysope zu Sandrine und ihren Zwillingen gebracht worden waren erzählte Julius Millie und Béatrice im Schutze des Dauerklangkerkers im Musikzimmer von der nächtlichen Zusammenkunft. "Immerhin hat sie dir nicht verboten, uns davon zu erzählen", meinte Béatrice ein wenig verstimmt. Millie schloss sich ihrer Tante an und sagte: "Gut, wir haben damit gerechnet, dass sie irgendwann wegen des Silbersterns bei dir anklopft, Julius. Aber dir jetzt noch genau eine Aufgabe ans Bein zu hängen, für die du diesen Stern bräuchtest ist doch heftig. Ja, und dass weder ich noch sonst wer mitbekommt, ob du noch am Leben bist oder nicht ist gemein."
"Sie hat mir nur gesagt, ich soll keine menschliche Unterstützung haben, zumindest nicht genau während der Aufgabe. Wie sie das betont hat weiß sie, dass ich mit Temmie mentiloquieren kann ... und dass ich Goldschweif als meine Vertraute mitnehmen kann", erwiderte Julius sehr gefasst. "Wenn dieses sogenannte Herz in einem mit Fallen gespicktem Labyrinth liegt ist ein Kniesel die beste Hilfe, um da durchzukommen."
"Ja, aber du hast erzählt, dass Goldschweif bei der Sache mit Slytherins grausamen Bildern so erschöpft war, dass sie am Ende von Slytherins Abbild unter Imperius ausgefragt werden konnte", sagte Millie. Béatrice wollte darauf noch einmal von Julius hören, was ihm genau passiert war. "Nett, als eure Vertrauensheilerin jetzt schon davon zu erfahren, dass du eine sehr anstrengende und seelisch belastende Erinnerung mit dir herumträgst, Julius. Aber wenn meine Kollegin Rossignol das mit dir austherapieren konnte will ich dazu nicht noch mehr sagen. Aber was ich wegen Millies Einwand einwerfen möchte ist, dass es Stärkungstränke ähnlich dem Wachhaltetrank gibt, der auf magische und unmagische Säugetiere abgestimmt werden kann und ihre Tagesausdauer und Gewandtheit verstärkt. Klär das mit Goldschweif, ob sie mit dir gegen diese Blutgeister und Spiegelgolems kämpfen will! Öhm, dann solltest du dir genau überlegen, ob du mehr Ausdauer oder mehr Erfolgsaussichten antrinken möchtest, das nur als heilmagischer Rat."
"Das habe ich schon, Trice. Ich kann mir immer wieder neue Ausdauer aus der Erde selbst holen, mit einem Zauber, der "Lied der nährenden Mutter Erde" heißt. Dazu muss ich nur mit beiden Füßen auf festem Erdboden stehen. Also trinke ich vorher vom Felix Felicis, den Mrs. Barley mir geschenkt hat, am besten für zwölf Stunden, beginnend heute abend, auch für den Fall, dass Goldschweif mich nicht begleiten möchte."
"Du willst das also heute Nacht durchziehen, Julius?" fragte Millie. "Ja, weil ich es endlich hinter mich bringen will", sagte Julius.
"Gut, ich prüfe, ob ich von dem Tierkonditionsexpansionstrank noch was da habe. Du erklärst Goldschweif, ohne für sie unverständliche Begriffe zu erwähnen, was du vorhast und dass ich ihr dafür was zu trinken geben möchte, was sie länger wach und beweglicher macht. Lehnt sie das ab, weil sie mir nicht vertraut, dann bleibt sie hier, Julius. Auch ein Kniesel kann bei Ermüdung Fehler machen, wie wir Menschen." Julius widersprach nicht.
Julius erzählt mir, während um uns so ein mit der Kraft brummender Wind bläst, der macht, dass uns keiner hören kann, dass er in eine tiefe Höhle runtersteigen muss, wo böse Wesen wohnen, die andere Menschen fangen und fressen wollen und da auch so blutrote Fresser sind, die keinen lebenden Körper haben. Er fragt mich, ob ich ihm helfen will, weil er Angst vor gefährlichen Wegen hat, die ihn umbringen können. Ich sage sofort, dass ich mit ihm zusammen daruntergehe, damit er nicht alleine gegen die Zweifußläuferjäger kämpfen muss. Dann sagt der mir, dass Béatrice, die sein männliches Junges gekriegt hat, ein Wasser hat, das macht, dass ich länger wach und beweglich bleibe und ob ich das trinke, weil ich sonst nicht mit ihm mitgehen darf. Trice ist eine Gute. Sie kennt sich mit Sachen aus, die machen, dass einem nichts mehr weh tut und kann Wunden wieder zumachen. Weil Julius mit der die Stimmung ausgelebt hat und die von dem ein Junges bekommen hat traue ich der auch. Denn die weiß, wie gut das für Julius ist, dass ich bei ihm und seinen beiden Weibchen wohne und auch mit auf die Jungen von denen aufpasse. Gut, dass ich erst in fünf Sonnen wieder in der Stimmung bin.
Er lässt mich neben sich herlaufen und sagt der Trice, dass ich ihr Wachhaltewasser trinken möchte. Die sagt, dass sie dafür ein paar von meinen Fellbüscheln haben will. Ganz vorsichtig schneidet sie mir was von meinem Schwanzende ab, tut nicht weh. "Wenn es dunkel wird, Julius, dann gibst du ihr den Trank und bringst sie dazu, ihn ganz leerzutrinken. Dann kann sie einen vollen Tag lang nicht müde werden und bekommt auch keine Gelenkschmerzen wegen Überanstrengung", sagt Trice. Julius erzählt mir das. Ich sage ruhig, dass ich das verstehe, dass ich einen vollen Sonnenlauf nicht schlafen muss und mir beim Laufen, springen und Kämpfen nichts weh tun kann, wenn ich viel machen muss. Er sagt es der Trice, weil die mich ja nicht verstehen kann. Sie macht das mit dem Gesicht, was die Zweifußläufer grinsen nennen und immer dann machen, wenn sie sich über was freuen oder etwas besonders lustig finden. Ist so wie Lächeln, nur noch stärker zu sehen.
Den ganzen Tag lang schlafe ich deshalb in meinem Haus auf dem Baum. Erst als die Sonne wieder in ihrem Schlafloch verschwindet kletter ich runter und laufe zu dem Runden haus hin.
Brr, dieses Wachhaltewasser sieht nicht zum trinken aus und hat so einen kribbelnden Geruch. Es ist wie wildes Blubberwasser in einem schnellen Wasserlauf, wenn viel Wasser von oben runterfällt. Aber weil ich Julius nicht alleine gegen die Zweifußfresser kämpfen lassen will muss ich das trinken.
Uauuu, das kribbelt in meinem Bauch wie damals, als ich hinter der Beauxbatons-Höhle diesen großen Haufen mit den Bodenkrabblern gefundenund ganz neugierig mehrere von denen lebendig runtergeschluckt habe. Brrr-rrr-rrr. Huch?! Jetzt wird mir ganz warm, als wenn in meinem Bauch die Sonne drinsteckt. Oh, ist auch herrlich. Meine Beine und mein Schwanz lassen sich jetzt leichter bewegen und ich höre ein wenig mehr als vorher, wohl weil ich jetzt noch wacher bin. Ja, ich bekomme die in den Bäumen singende gute Kraft mit, die bis ganz hoch reicht und irgendwo da oben in die ganzen Äste auseinandergeht, die aus reiner, guter Kraft sind.
Ich trinke das ganze ganz seltsame Wasser weg und sehe Trice an. sie fragt Julius, wie es mir geht. Ich sage dem, dass es mir jetzt ganz gut geht. Die kleine Sonne in meinem Bauch hat sich jetzt in warmes Wummern in allen Teilen von mir aufgelöst. Julius erwähnt das. Dann umarmen Millie und Trice ihn und schmatzen ihm ihre Münder auf das Gesicht. Ich merke, dass Julius sein Verbindungsding nicht mehr am Körper hat, dass mit einem anderen an Millie schwingt. Darf er nur mich mitnehmen, nichts von ihr? Dann sehe ich, wie der noch merkwürdigeres Blubberwasser trinkt und fühle, dass er dadurch eine stärkere Eigenkrafft ausstrahlt. Offenbar brauchte der das auch, um besser kämpfen zu können, weil die Zweifußläufer ja nicht so schnell und stark sind wie wir. Dann holt er noch was, das er trinken kann. Jetzt sehe ich, dass seine Haut ganz fest wird wie die Schale von Vogeleiern, nur noch härter. Trotzdem kann er sich weiter so bewegen wie vorher. Was es nicht alles für Wasser gibt. Dann zieht er noch was drüber, dass auch sehr fest ist und auch gegen brennendes Wasser schützen soll, wie er mir sagt. Erst dann darf ich auf seine Schulter. Oh, er hat auch was am Körper, dass mich durchkribbelt, aber macht, dass er und ich wohl vor Sachen der Kraft sicher sind, die nicht mit Krallen und Zähnen gemacht werden.
Jetzt gleich geht es los. Gleich werden wir ... O nein, der will mit mir durch dieses viel zu enge, dunkle Zeug, um ganz schnell anderswo hinzukommen? Ich quengel erst. Doch weil er sofort sagt, dass ich sonst hierbleiben soll bin ich sofort wieder ruhig. Nachher stirbt der noch, weil ich dieses Durchquetsch-Springzeug nicht mag. Dann ist es auch schon soweit. Mmmm, drückt das auf mich und macht, dass ich keine Luft mehr kriege. Aaah! Wieder frei atmen! Aber jetzt sind wir wirklich ganz woanders, ganz weit von da, wo die Runde Schlafhöhle von Millie, Trice und Julius ist. War doch besser als mit diesem Fliegeding, mit dem wir damals ganz schnell zu Millies Eltern hingeflogen sind.
Julius hatte Trice gefragt, ob der Durodermistrank mit Felix Felicis kompatibel war. Sie berichtigte ihn, dass der Begriff für eine zeitgleiche Einname simultanverträglichkeit laute und bejahte es. Nur Wachhhaltetrank, Unsichtbarkeitszauber und -tränke sowie Derivate des sowieso schon tückischen Kreiselflugtrankes würden unerwünschte Nebenwirkungen äußern.
Bevor er den Durodermistrank nahm steckte er sich noch einen der Allversteher-Ohrringe ins linke ohr. Er würde ja in ein Land reisen, dessen Sprache er nicht konnte. Außerdem steckte er sich ein blaues Stofftaschentuch unter sein Unterhemd. Dieses hatte Béatrice Latierre in einen wörtlich auslösbaren Portschlüssel verwandelt, falls er von wo auch immer ganz plötzlich fortmusste und keine Locattractus-Falle auslösen wollte.
Zusätzlich zum Hautschutztrank Durodermis zog er noch die neue Arbeitskleidung an, die er von Camille bekommen hatte. Die war schon fast ein Duotectus-Anzug, nur dass er keine Kopfblasenkapuze überziehen konnte, sondern einen nicht ganz so hohen, jägergrünen Zaubererhut. Dazu nahm er noch den an einer goldbeschichteten Kette hängenden Sonnengoldstein mit, den er vorsorglich schon mit vollen zwölf Stunden Sonnenlicht aufgeladen hatte.
Millie hatte ihm wegen der Blutgeister geraten, auch eine der Sonnenkeulen mitzunehmen, die sie von den Sonnentöchtern Faidaria, Gwendatammaya und Gisirdaria bekommen hatten. Je nach Einstellung konnte er die darin gespeicherten zweihundert Stunden auf einhundert Quadratmeter aufgetroffenes Sonnenlicht als daumendicken Strahl verschießen, womit er in einer Sekunde drei Stunden Sonnenlicht verfeuerte oder den Strahl auf die Fläche einer Nadelspitze bündeln und jede Sekunde eine halbe Stunde Sonnenlicht abfeuern. Ja, und wenn er schon eine Laserkanone aus Atlantis mitnahm legte er sich auch einen der beiden Gürtel mit einer Mondlichtverfestigungskugel an, die zwei Wochen lang jede Nacht das auftreffende Mondlicht gespeichert hatte. Je nach ihm entgegenwirkender körperlicher oder Elementarkraft konnte er damit zwischen fünf Minuten unter Höchstbelastung und zwei Tagen ohne jede Belastung im Dauerbetrieb einen Mondschild bauen, der ihn als silberne, körpernahe Blase umgab, aus der heraus er jedoch Zauber wirken konnte.
Nun noch die Goldblütenhonigphiole mit Phönixtränen, die er von Blanche Faucon einmal zum Geburtstag bekommen hatte, jetzt war er top ausgerüstet. Dennoch wusste er, dass es immer noch eine Menge Überraschungen geben mochte.
"Komm bloß zurück, wenn du die Kleinen noch mit den UTZ-Zeugnissen winken sehen willst, Julius Latierre", sagte Millie. "Ja, und lass dich von Ashtaria nicht verleiten, dein Leben wegzuwerfen, nur weil sie uns dazu gebracht hat, deinen männlichen Erben auf die Welt zu bringen!" legte Béatrice nach.
Nun standen er und die auf seiner rechten Schulter sitzende Goldschweif allein vor dem Apfelhaus im Fünfeck der mit Ashtarias Segen erfüllten Apfelbäume. "Ashtaria, wir sind bereit!"
Jetzt musste es sich zeigen, ob Ashtaria ihm Goldschweif als Begleiterin durchgehen ließ oder einen erzählte, dass sie so nicht gewettet habe. Doch als er von den fünf Apfelbäumen einen Hauch wärme fühlte, die er wie sommerlichen Wind ein- und ausatmen konnte, wusste er, dass sie ihm die vierbeinige Begleiterin erlaubte. Die endgültige Bestätigung dafür erhielt er, als ihm wie von einer externen Festplatte ins Gehirn überspielt die Entfernung von hier und die Richtung zu jenem Ort einfiel, wo Buramesch versucht hatte, in das unterirdische Gebäude einzudringen, wo das Herz des Seth sein sollte. Da er als Madrashainorian gelernt hatte, sich auf das Erdmagnetfeld einzustimmen und so Richtungen und seinen Standort spüren konnte, vermochte er mit den Angaben noch besser umzugehen als ein anderer, der nur die Lage und Entfernung in sein Bewusstsein eingeflößt bekam. Jetzt sah er auch jene Wüstenlandschaft vor sich, in welcher der Zugang zu diesem unterirdischen Gebäude sein sollte. Als er sich absolut sicher war, alles wichtige über den Zielort zu wissen hörte er Ashtarias Stimme in sich: "Nun geh den zeitlosen Weg und achte auf dein Leben und das deiner vierbeinigen Vertrauten! Erweise dich des wartenden Erbes als würdig!"
Julius drehte sich auf dem rechten Stiefelabsatz und hörte Goldschweifs kurzes Quengeln, als er mit ihr in jenes völlig dunkle und zusammenquetschende Zwischending zwischen Hiersein und Dortsein eindrang. Es dauerte einen kräftigen Herzschlag, Dann ließ die alle Glieder und den Körper zusammenquetschende Enge wieder nach.
Zunächst prüfte er, ob er und Goldschweif noch vollständig waren. Dann blickte er sich um. Ja, diesen Abschnitt der Wüste kannte er. Jetzt wusste er auch, dass es die Sahara war, von den Standortgegebenheiten und seinen Erdkundekenntnissen nach wohl irgendwo in Algerien. Er vermied es, in den Nachthimmel zu sehen, um die sicher superklar erkennbaren Sterne nicht anzusehen. Er hatte jetzt einen gefährlichen, hoffentlich nicht unmöglichen Auftrag. Er kam sich vor wie ein Agent zwischen dem IMF-Team oder dem bionischen Geheimagenten Steve Austin.
"Hier singt eine tiefe, lauernde Kraft, Julius. Sie kommt von ganz unten. Aber ich kann nicht hören, aus welcher Sonnenstandsrichtung. Die Goldblütenphiole summt dazwischen und macht, dass ich nicht die volle Stärke hören kann", maunzte Goldschweif.
"Das ist auch gut so, Goldie. Glaub's mir, du möchtest nicht von bösen Stimmen im Kopf gequält oder zu bösen Sachen getrieben werden", zischte Julius leise. "Hörst du auch noch anderes, Welche, die sich da unten bewegen?" fragte er. Goldschweif lauschte wohl und streckte sich einmal, wohl um über ihren Körper eine genaue Richtungserfassung zu kriegen. "Ich höre leise singende Kraft aus halber Mittagsrichtung. Da könnte was sein. Hmm, hier sind mal große Tiere verbrannt."
"Echt?!" fragte Julius. Dann kam ihm der Einfall, einen Suchzauber für menschliche Überreste zu machen. Was dieser verriet machte ihn frösteln, als er mehr als zwanzig Spuren von Leichen fand, aber keinen der toten Körper mehr sehen konnte. Sicher hatten sich die Geier die Toten geholt. Woran sie gestorben waren erfasste Julius mit einem zauber, der eisenhaltige Gegenstände in Zauberstabausrichtung sichtbar machte. Er fand eine Menge Metallsplitter im Boden, die wie zerfetzte Röhren oder zerstückelte Kugeln aussahen. Dann sah er die vom Sand der letzten Wochen überdeckten Wracks von Lastwagen, Jeeps und drei restlos ausgebrannte Hubschrauberwracks. Hier hatte es einen Kampf gegeben. Doch wer da gegen wen gekämpft hatte wusste er nicht. Er wusste nur eins, Goldschweifs Warnung und die Kampfspuren hier verrieten, dass er gerade goldrichtig war, um das neu schlagende Herz des Seth zu finden.
Die Goldblütenhonigphiole in der Außentasche seines an die Körperformen angepassten Drachenhautanzugs vibrierte in einem klaren Rhythmus von dreißig Pulsen pro Minute, wie seine Armbanduhr verriet. Also schlug das Herz des Seth schneller als bei Burameschs Expedition. Das konnte an der Masse der gewaltsamen Tode liegen und/oder an der dunklen Woge, die das letzte große Erbe Iaxathans bestärkt hatte.
Julius, höre von unten was hochkommen, wühlt sich wie eine ganz große Ratte durch den Boden", warnte Goldschweif.
Der sein Erbe suchende sechste Sohn Ashtarias legte die linke Hand an das Kugelanhängsel seines Mondschildgürtels und dachte "Panguri daru faiminiai." Wie unter hohem Druck herausspritzendes Quecksilber, das von hellem Licht beleuchtet wurde, sprühte silberweißes Licht aus der Kugel und verteilte sich innerhalb einer Sekunde lautlos über Julius und Goldschweif. Dann umgab sie beide eine silberne, durchsichtige Lichtblase.
"Feste Körper ohne Klopfer aber mit darin wimmernder Kraft", erwähnte Goldschweif. Julius überlegte nicht lange. Wenn das das Empfangskommitee war, dann zeigte es ihm genau die Richtung, wo er und Goldschweif hin mussten.
Der Statthalter wartete auf weitere Menschen, die seiner wiedererwachten Truppe zum Opfer fallen sollten. Die da oben in einer blutigen Schlacht mit viel Metall und Feuer gestorbenen waren nicht zu gebrauchen gewesen. Zwar hatten ihre Todeswellen das Herz des Seth wieder zum Schlagen gebracht und ihn aufgeweckt. Doch ihre Seelen waren zu schnell aus der stofflichen Welt gewichen, als dass die blutfarbenen Einberufer sie noch hätten einverleiben und als ihre Abkömmlinge wieder ausscheiden können. Deren Körper waren unrettbar verbrannt oder zerrissen. Deshalb musste Seths Statthalter warten.
Was ihm noch mehr Unmut machte war, dass seine Rufe nach Seth bis jetzt ungehört blieben. Seth würde seinen dem Tod vorenthaltenen Diener antworten, allein schon, um ihm klare Anweisungen zu geben. Oder strafte ihn Seth für sein Versagen, weil er es hatte zulassen müssen, dass der fast in die tödliche Falle gegangene Lichtsternträger alle Menschen vom Hort des Herzens ferngehalten hatte?
Endlich war einer gekommen, der gleich bei der Ankunft verriet, dass er ein starker Zauberkundiger war. Die Lebenskraft starker Zauberkundiger war immer willkommen. Doch dann fühlte der Statthalter über das Geflecht der Befehle und Nachrichten, dass der Mensch mit einem geistesstarken Tierwesen angekommen war. Was sollte das? Hatten die Zauberkundigen jetzt niedere Tiere als Diener?
Erkunder und Ergreifer ins Freie! Fasst den Fremden! Falle für zeitlos Reisende volle Stärke!" befahl er für Menschenohren unhörbar.Julius brauchte Goldshweifs Warnung nicht, dass noch ein Zauber in Kraft getreten war. Denn er hatte bereits die Idee gehabt, die Worte der im Schoß der Erde wirkenden Kraft zu sprechen. So konnte er den im Süden aus dem Boden aufsteigenden Lichtvorhang aus silber-blauen Schlieren erkennen, die nach unten immer häufiger wurden. Als er den Horizont betrachtete erkannte er, dass er von einem magischen Wall, der scheinbar bis zu den Sternen reichte, umschlossen wurde. Das war sicher eine Falle für Apparatoren, die versuchten, von hier zu flüchten oder von außen in den Wirkungsbereich eindrangen. Er kannte den Locattractus-Zauber. Da kam ihm die Idee, die Kraftlinien des neuen Zaubers zu überprüfen, wo sie sich besonders konzentrierten. Er lief los und wollte gerade einen in die Tiefe reichenden Zusatzzauber wirken, als Goldschweif "fliegende Körper ohne Klopfer aber mit Wimmerkraft!" rief.
Er wirbelte herum. Da kamen wahrhaftig mehr als zehn das Licht von Mond und Sternen vollkommen spiegelnde Gestalten, die den Vogelmenschen in der Himmelsburg ähnelten. Es konnten aber auch Mischungen zwischen Weihnachtsengeln und Christbaumkugeln sein. An und für sich waren die mindestens anderthalb Meter großen, mit je zwei wild schwirrenden Glitzerflügen auf dem Rücken dahinjagenden Geschöpfe sehr schön. Doch für Julius und Goldschweif waren sie jetzt auch sehr gefährlich. Hatten sie den Auftrag, ihn gefangenzunehmen oder zu töten? Beides wäre ein fataler Fehlschlag in der Aufklärung und der Missionsdurchführung, dachte Julius.
Er wusste von der Vision Ashtarias, dass alle auf Licht und hellem Feuer wirkenden Zauber voll reflektiert wurden. Tja, die kannten damals noch nicht Professor Viridians Pechspiegelzauber. Damit konnten nicht nur eitle Leute geärgert werden, sondern auch alle Sonnenbrillen undurchsichtig und alle Zauberspiegel unbrauchbar gemacht werden. Allerdings würde das geflügelte Begrüßungskommitee sofort zum Gegenangriff übergehen, bevor er alle getroffen hatte. Also galt es, den Entspiegelungszauber mit einem Golemvernichtungszauber zu koppeln, nein besser den Entspiegelungszauber mit den Worten für festen Stein zu feinem Staub zu addieren. So zielte er auf den ihm nächsten der geflügelten Gegner und rief:
Addo superficies speculi lucem totam absorbato cum pausa minimaa Panhidur sut Naanpanhidur!"
Der geflügelte Gegner blickte ihn mit violett glühenden Augen an. Da verdunkelte sich seine Oberfläche. Für eine halbe Sekunde flog ein pechschwarzer, kugelbäuchiger Weihnachtsengel mit zangenartigen Händen auf ihn zu, um dann in einem grünen Blitz zu einer Wolke aus schwarzem Staub auseinanderzuplatzen. Wie zu erwarten war flogen ihm dafür violette Lichtbündel entgegen, die sich zu einem Netz über ihm verwoben. Sie wollten ihn also fangen. "Repetitio ultima!" rief er nun. Das hatte er in der Abschlussklasse von Beauxbatons gelernt, dass komplizierte Zauber beim wiederholen nicht mehr voll erwähnt werden mussten, sondern der zuletzt bis drittletzt gewirkte Zauber wiederholt werden konnte. Da er eine Additivzauberei ausgeführt hatte wurde diese auch als letzter Zauber gespeichert und vollständig wiederholt. Diesmal ging es sogar noch schneller, weil die Zeit ihn zu sprechen kürzer war. So dauerte es beim nächsten Weihnachtsbaumkugel-Engel-Hybriden nur noch eine Zehntelsekunde zwischen Spiegeltrübung und Explosion. Das lag auch daran, dass er die gleichen Gegner bekämpfte und somit deren Aussehen und Beschaffenheit beschleunigend wirkten.
Das Netz über ihm zerriss, weil jetzt schon vier, nein fünf der Angreifer zerstört waren. Doch es kamen noch weitere nach, die meinten, um ihn oder weit über ihn vorbeifliegen zu können, um ihn von hinten zu erwischen. Jenen, denen das trotz der schnellen Zielbewegungen gelang blühte der Mondschild. Denn dieser prellte die zupackenden Zangenhände ab und schien sie zudem mit elektrischem Strom zu überladen.
Julius fühlte, dass er kurz davor stand, sich in einer Mischung aus Euphorie und Überlegenheit zu verlieren. Das war eine der Gefahren bei Felix Felicis, dass der Nutzer dadurch unvorsichtig werden mochte. Deshalb dachte er für zwei bis drei Sekunden "Was mich stört verschwinde!" In der Zeit spannen die noch intakten Spiegelflieger ein neues Netz und wollten es gerade auf ihn niedersinken lassen. Julius vollführte eine Kreiselbewegung und rief "Durato Ultima!" Nun brauchte er nicht mehr neu zu zaubern. Sein letzter Zauber wiederholte sich nun jede halbe Sekunde oder erst, wenn er einen weiteren Gegner anvisierte. Dann zerbarst der vorerst letzte geflügelte Gegner.
"Die geflügelten Fänger sind alle weg", vermeldete Goldschweif. Julius nickte und suchte den Ort, von dem sie alle gekommen waren. Er fand in nur fünfhundert Metern Entfernung einen drei Meter durchmessenden Zylinder, der aus dem Boden gewachsen schien. Er verdrängte den Impuls, genau dort zu apparieren und bedachte, dass jedes Apparieren ihn und Goldschweif töten konnte. Also machte er erst den Zauber zur Stärkung seiner Ausdauer. Dabei erkannte er, dass er statt der nur zehn Sekunden für eine volle Tagesausdauer bald eine Minute brauchte. Also war in der Erde was, dass belebende Zauber schwächte. Gut zu wissen, dachte er. Dann probierte er den Freiflugzauber aus. Der gelang. So konnte er die Strecke ohne ständig im weichen Sand einzusinken überwinden, und das in nur einer Viertelminute. Er wollte gerade landen, als er sah, wie ein Rundbogentor mehr und mehr im Boden versank. Er landete und sprach die Worte für Einhalt der Erde. Damit konnte er für genau zwölf Ruhepulsherzschläge jede magische Bewegung innerhalb der Erde anhalten. Doch dann würde sie die verlorene Zeit in nur einer Sekunde wieder aufholen. Damit konnte man örtlich begrenzte Erdbeben machen oder den Einsturz von Häusern noch spektakulärer ablaufen lassen.
"Fangt ihn, ergreift ihn. Spinnt ihn in euer Netz des festen Blickes!" befahl der Statthalter, der durch die Augen des Führungsgreifers blicken konnte, sobald er den dafür gemachten Kristall berührte. Doch dann begannen die Greifer nacheinander und in immer schnellerer Abfolge ihre Spiegelhaut und dann ihre Beschaffenheit zu verlieren. Der Statthalter spürte jede Vernichtung wie eine Erschütterung. Er zog den Anführer in größere Höhe, um diesen nicht auch gleich zu verlieren. Seine geflügelten Gehilfen schafften es, an den Fremden heranzukommen. Doch wenn sie ihn fassen wollten drückte ihnen die Selbe Kraft die Zangenhände auseinander und entzog ihnen zugleich eigene Körperkraft. "Das Mondlichtgeflecht um ihn, er hat versteinertes Mondlicht um sich", dachte der Statthalter. Von seinem fernen Herrn und Gott wusste er, dass das erste Volk der Götter diese Macht kannte, Mondlicht in eine halbflüssige Form zu bringen, die dann jeden davon benetzten Körper in einen Hauch aus Unzwingsteinhartem Mondlicht einschloss. Der Fremde hatte Zugriff auf die Gegenstände des Göttervolkes. "Seth, ein Nachfahre deines Volkes zerstört meine Ergreifer. Was soll ich tun?" rief er über die sonst so wirksame Verbindungsstelle. Doch sein Herr und Gott antwortete ihm nicht.
"Dann sende ich ihm die blutfarbenen Fänger und Einberufer", dachte der Statthalter und befahl dem Turm des Ausgangstores, wieder einzufahren. Doch da flog der andere ohne Flügel und ohne einen auf tote Dinge legbaren Zauber auf den kurzen Turm zu und hielt die Bewegung an.
"Dann soll er eben von allen Dienern ergriffen oder getötet werden", dachte der Statthalter, der auch als der dreifache Bruder bekannt war.
Muau! Ich mag das Fliegen nicht, vor allem, wenn es mit einem Sirren der Kraft durch alle meine Körperteile gemacht wird. Aber so kommt Julius über diesen viel zu weichen Sandboden weg und ist jetzt bei dem mit der Kraft surrenden hohen Höhleneingang. Er landet wieder. Ah, tut das gut, wenn dieses Gesirre aufhört. Oh, er macht wieder was, das die Erde durchläuft und die nach unten sinkende Höhle festhält. Ah, klar, da ist der offene Eingang. Ich warne ihn vor einem ganz tiefen Loch mit lauernden Sachen drin. Er versteht und sammelt aus dem weichen Sand kleine Steine. dann fliegt der wieder mit dieser sirrenden Kraft los, als würden der und ich aus vielen vielen Stechsaugern bestehen, die bei Warmzeit immer nachts kommen, diese lästigen Fliegetiere. Aber zum Fangen üben sind die immer ganz gut.
Julius hörte es wohl, dass Goldschweif nicht gerne mit Magie durch die Luft getragen werden wollte. Doch sie warnte ihn vor einem tiefen Loch hinter dem Eingang und auch vor lauernden Sachen darin. Also fingen da schon die erwarteten Fallen oder Fallenzauber an.
Er sah schnell auf seine Uhr und erkannte, dass er noch fünf Sekunden hatte. Er klaubte mit der linken Hand mehr als zwanzig Steine aus dem Sand auf und flog dann schnell durch das Tor. Mit einem schon sehr schmerzhaften Knirschen und rumpeln rutschte der Turm in die Tiefe. Julius steckte alle Steine bis auf drei in seine Tasche. Für den Zauber musste er keinen festen Boden unter den Füßen haben. Denn den Trick kannte er aus dem Buch über höhere Fluchabwehr. "Aura fraudens vitae". Er musste sich nur den Stein gegen seine Körpermitte halten und dann den kurzen Zauber denken. Dann engorgierte er den Stein bis zur Pinkenbachobergrenze und ließ ihn fallen. Er machte jetzt dasselbe wie bei der Vernichtung der verspiegelten Fluggolems. So ließ er alle zehn Sekunden einen Stein mit seiner scheinbaren Lebensaura nach unten fallen. Wenn er einen Draht oder einen Auslösemechanismus kitzelte mochte die Falle ihn zerstören, war danach aber erst einmal unschädlich.
Es krachte und zischte, prasselte und schepperte. Dann klang es wie ein überschlagender Blitz, dann wie ein Feuerstoß. Als er nach fünfzehn Steinen fürchtete, nicht genug für die ganzen Fallen da unten zu haben hörte er erst weit unten ein lautes Aufknallen. Der Stein war offenbar unten angekommen. Zur Sicherheit wiederholte er es mit zwei weiteren Steinen. Jetzt hatte er noch zwei Steinchen übrig. Ob er den Gag da unten wiederholen konnte wusste er nicht. Aber dafür hatte er ja Felix im Blut und Goldschweif auf der Schulter.
Er sank weiter. Goldschweif schnurrte, dass alle Lauersachen nicht mehr da waren. Dann kam er tatsächlich nach über einem halben Kilometer Sinken auf einer einzigen großen Steinplatte auf. Da klang eine Stimme wie von drei Männern zugleich: "Ah, ein neuer Besucher. Verweile eine Zeit! Verweile für immer!!"
Wie machte der das? Er schien immer einen gleichbeschaffenen Abkömmling aus sich heraus zu gebären wie eine lästige Blattlaus. Dieser Abkömmling flog nach unten und löste eine der lauernden Vorrichtungen wie das Fressfeuer, den ehernen Biss oder den Zorn der Luft aus. Wo einer dieser Abkömmlinge auf einen Auslöser traf sprang die Falle sofort in Tätigkeit. Doch das waren nur scheinbare abkömmlinge, Trugbilder. Der hatte mit ihn erwartenden Fallen gerechnet. Der? Er musste noch mal prüfen. Ja, der Mensch war männlich, aber das von ihm getragene Tier war weiblich. Mehr konnte der Statthalter aus dem Geflecht für Befehle und Nachrichten nicht heraushören. "Der macht alle meine Fallen unbrauchbar", fluchte der Statthalter, der sich noch damit abfinden musste, dass er seine ganze Doppelzwölfheit Erkunder und Ergreifer verloren hatte, wo nicht mal einer von denen hätte vernichtet werden dürfen. Jetzt machte der auchnoch die im Schacht auf Unbefugte lauernden Fallen unbrauchbar, die er nur deshalb in Kraft gesetzt hatte, weil der Eindringling keiner von diesen Lichtersternträgern war. Ihm kam in den Sinn, dass das Tier ihm sagte, wo und was für fallen warteten. Damit sanken die Möglichkeiten, ihn auf dem Weg durch die Gänge und Räume zu stellen oder zu fällen gerade auf ein sehr kleines Maß. Dann wollte er ihn eben verhungern lassen. Er befahl den Steinen hundert Längen über der letzten Bodenklappe, sich leise und langsam aus ihrer Wand zu schieben und dann zusammenzufügen. Die wurden dann so hart wie Unzwingstein und mit einem zusätzlichen Zauber gegen Aufweichung und Sprengung getränkt. Das gleiche galt auch schon für die Bodenluke.
Als er erfasste, dass der Fremdling und sein Tier auf der Bodenluke gelandet waren konnte er nicht an sich halten und begrüßte ihn über das Geflecht der Befehle und Nachrichten.
"Ah, der Herr der tausend Fallen und Verliese! Welche Ehre!" Rief Julius in derselben Sprache wie die Begrüßung. Er wusste nicht, was das für eine Sprache war. Aber der Allversteher machte, dass er wie mit dem Wechselzungentrank jede gehörte Sprache verstehen und sprechen konnte, solange er den Ohrring trug.
"Wenn du oder dein Fallenwarntier es noch nicht bemerkt habt, der Fluchtweg nach oben ist nun versperrt. Der Turm ist mit euch zusammen tief in die Erde gesunken, tausend Längen tief. Ihr kommt dort nicht mehr lebend raus. Das Ka deines Tieres wird nach dem Hungertod von einem meiner Todessauger verzehrt. Dein Ka, Frechling wird von einem meiner Einberufer aufgenommen, sobald es deinen Leib verlässt. Genieße die letzten Tage deines vorwitzigen Lebens!"
"Goldie, was hörst du?" fragte Julius, bevor er irgendwelche Erkundungszauber machen wollte, die vielleicht doch noch eine Falle auslösten. Goldschweif sagte: "Böser Klopfer jetzt noch lauter. Höre fremde Stimme, kann aber nicht hören was die sagt. Goldhonigphiole hilft noch. Ah, Arme der Kraft unter Boden, halten sie an den Wänden, treffen sich in der Mitte."
Julius grinste. Also hielt eine Zauberei diese Platte in ihrer Lage. Deshalb wendete er wieder den Zauber zur Aufspürung der in der Erde verlaufenden Zauberkräfte an. Weil Goldschweif was von Armen gesagt hatte oder weil Julius die Kraftströme als Halterung verstand sah er wirklich acht grünlich-blau flimmernde Arme, die aus der runden Schachtwand wuchsen und sich in der Mitte mit langen, ineinandergreifenden Händen hielten. Löste er alle Kraftlinien aus fiel er womöglich noch einmal einige hundert Meter in die Tiefe. Also reichte es, wenn er von den acht armen nur sechs oder sieben auslöschte.
Mit genau auf die Himmelsrichtungen Morgen, Halbmittag, Mittag, Halbabend, Abend, Halbmitternacht und Halbmorgen bezogenen Zaubersprüchen der Erdvertrauten löste er eine Kraftlinie nacheinander auf. Nur die im Norden, also Mitternachtsrichtung ließ er in Kraft. Kurz bevor er die Halbmorgen-Linie auslöschte wählte er noch den Freiflugzauber. Dann klappte die Luke unter ihm weg und hing an einem unsichtbaren Strang.
"Lauernde Sachen in Halbmittag und Abend, freier Weg im Morgen", sagte Goldschweif. Julius fragte, ob sie einen Mittelpunkt der Kraft spürte. Sie lauschte und streckte sich. Dann sagte sie: "Goldblütenphiole übertönt die ganz leisen Kraftströme. Ich weiß gerade nicht, wo wir hin sollen.
Julius brachte das im Sonnennugget gespeicherte Sonnenlicht zum leuchten. Anders als bei seinem Vielzeug bekam er so eine weißgoldene, drei seiner Längen über ihm leuchtende Kugel von einem halben Meter Durchmesser, die schon gut und weit leuchten konnte. Dann warnte Goldschweif ihn vor körperlosen Fressern. Da kamen sie auch schon aus den Wänden, blutrote Geister.
Der Statthalter Seths, Hüter des großen Herzens, erkannte, dass sein ungebetener Besucher kein Verlangen hatte, den langsamen Hungertod zu erdulden. Ja, der ertastete die Kraftstränge, welche die schwere Bodenluke hielten und löste diese bis auf einen auf. Die Luke klappte auf, und der andere mit seinem tierischen Fallenwarner drang tiefer in den Hort des großen Herzens vor. Also sollten ihn die körperlosen Fänger und Seelenkrieger erledigen. Er gab den entsprechenden Befehl über das Gewebe von Nachrichten und Befehlen und schickte zehn von ihnen zum Eingang in die Hallen des großen Herzens. Sie sollten eigentlich reichen.
"Das niedere Tierwesen aus der Brut der Bastet könnt ihr völlig verzehren. Den unerwünschten Eindringling macht zu einem der euren!" befahl der Statthalter über das Verbindungsnetz zu allen und allem innerhalb seiner Zuständigkeit.
Julius kannte die blutroten Gebilde noch von Sardonias letztem Aufgebot. Er ging davon aus, dass die Goldblütenhonigphiole sie zurückprellen würde. Doch soweit kamen die blutroten Geisterwesen nicht. Kaum dass die zehn gefährlichen Gespensterwesen aus den Wänden hervorschnellten, sprühten orangerote Funken um sie herum. Sie erzitterten. Dann zerstoben sie mit lautem Aufschrei zu orangeroten Lichtentladungen. Julius meinte eine Mischung aus Todesschrei und Jubel zu hören, als die ersten drei Angreifer zersprühten. Gleichzeitig fühlte er den aktivierten Sonnennugget erbeben. Dessen Lichtzauber wechselwirkte offenbar mit den blutroten Lichtgeistern und bekämpfte diese äußerst wirkungsvoll. Denn innerhalb von vier Sekunden waren nicht nur die ersten drei, sondern vier weitere Blutgeister zerstört. Die verbliebenen drei zogen sich einige Meter zurück, bis sie keine orangeroten Funken mehr versprühten. Sie hielten leicht zitternd und flirrend Abstand. Künstlich gespeichertes und wider freigesetztes Sonnenlicht war natürlich kein Vergleich zur natürlichen Licht- und Lebensquelle aller Erdbewohner, wusste Julius. Aber jetzt wusste er, dass er sich diese blutroten Unheilsgeschöpfe gut vom Hals halten konnte. Er lief einfach los, nachdem Goldschweif ihm außer den roten Gegnern keine weiteren Gefahren verkündet hatte. Als er auf die blutroten Geisterwesen zurannte verschwanden die drei im Boden. Julius argwöhnte, dass sie sich von unten an ihn heranschleichen und wie zuschnappende Haie zu ihm hochschnellen würden. Deshalb wendete er erneut den Freiflugzauber an. So würden die Goldblütenhonigphiole und der Mondschild eine schützende Blase um ihn bilden.
Tatsächlich schoss ohne Vorwarnung eine blutrote Lichtkugel von unten her auf ihn zu. Sie hätte ihn sicher voll getroffen, wenn er nicht schon drei Meter über dem Boden schweben würde und die Sonnenlichtsphäre seines Zaubernuggets den Bereich gut ausgeleuchtet hätte. So zerbarst die rote Lichtkugel in einer orangeroten Lichtentladung. Offenbar reichte das den beiden im Boden versteckten Unheilsgeschöpfen aus, keinen Angriffsversuch zu starten. Denn Julius konnte nun scheinbar unbehelligt dem Gang folgen, in den er eingedrungen war.
"Ganz gefährliche Tretsteine voraus, sind durch schwache Schwingung der Kraft verbunden", warnte Goldschweif ihren Vertrauten. Dieser verhielt den freien Flug und fragte, wo genau die Tretsteine waren. Sie zeigte es ihm mit den ausgestreckten Vorderpfoten.
Julius wirkte jenen Zauber, der für zwölf ruhige Herzschläge jede magische Erdbewegung unterband. Dann wirkte er noch Viridians Zauber vom verhaltenen Melder, der jeden nicht darauf abgestimmten Meldezauber für eine volle Minute unwirksam machte, ohne dessen Anwender darauf hinzuweisen, dass wer gegen ihn vorgegangen war. Viridian hatte es in seinem Buch "Gemeine Hintertürchen" so erläutert, dass jeder übliche Annäherungsmeldezauber mit einem Bezauberungsmelder abgesichert werden sollte, um seinen Meldeunterbrechungszauber zu kontern. Falls der unbekannte Hüter dieser Anlage diese Vorkehrung getroffen hatte wusste der nun, dass er, Julius, unsichtbare Meldeverbindungen erfassen und bekämpfen konnte. Falls nicht, dann nicht.
Weil Goldschweif Entwarnung gab konnte er so weitere hundert Meter zurücklegen. Er erfuhr, dass die Tretsteine wohl schwere Gewichte von der Decke hätten krachen lassen. Andere Kontakte, die nicht mit Annäherungsmeldern versehen waren, lösten wohl tödliche Geschosse aus den Wänden aus. Doch Dank Goldschweif konnte er die Auslösesteine umgehen, bis er auf eine Abzweigung zusteuerte.
Dieser Frechling widerstand den Fängern. Ja, er hatte es geschafft, eine Menge Sonnenlicht in einer frei mit ihm mitwandernden Umhüllung heraufzubeschwören, so dass sieben von ihnen regelrecht davon zerschnitten wurden. Einer der verbliebenen hatte dann versucht, ihn direkt durch den Boden zu ergreifen. Doch der Gegner hatte das wohl geahnt und wieder diesen Zauber flügellosen Fliegens gewirkt, sodass der Angriff schnell und kläglich gescheitert war. Jetzt waren von den zehn vorausgesandten körperlosen Kriegern nur noch zwei verblieben, die der fühlbaren Anwesenheit eines Lebewesens folgten, dabei aber im sicheren boden blieben.
Das der Frechling unsichtbare Meldestränge erkennen und wohl unterbrechen konnte und dass das von ihm mitgebrachte Katzenwesen ihm zeigte, wo er gefahrlos den Boden berühren konnte war dem Statthalter ja bereits bewusst. Dennoch ärgerte ihn, dass der unerwünschte Eindringling schon weiter gekommen war als er ursprünglich erwartet hatte. Nun kam der zum ersten Abzweig. Jeder davon ausgehende Weg enthielt genug tödliche Fallen, um eine ganze Streitmacht mit Klingen und Zaubern kämpfender Krieger zu vernichten. Doch nur ein Weg würde ihn zu den Hallen des großen Herzens führen. Dem Statthalter blieb die Hoffnung, dass der Feind sich im Gewirr der durch Zauberkraft verschiebbaren Gänge und der noch nicht ausgelösten Fallen rettungslos verausgaben und am Ende doch den verdienten Tod finden würde. Außerdem hatte er ja noch die gepanzerten Getreuen. Diese wollte er losschicken, um dem anderen die Zeit zu nehmen, die seiner harrenden Fallen zu zerstören oder bis auf weiteres unwirksam zu machen.
Drei Gänge zweigten von dem Gang ab, den Julius und Goldschweif gekommen waren. Jeder davon mochte zu weiteren tödlichen Fallen führen, aber wohl nur einer würde sie zum Herz von Seth führen, wenngleich Julius gerade überlegte, ob es so klug war, genau ins Zentrum der dunklen Installation zu wollen. Denn die davon ausgehenden Wellen dunkler Magie mochten bei zunehmender Annäherung auch die Goldblütenhonigbarriere durchdringen. Goldschweif machte jetzt schon keine Anstalten, von seiner rechten Schulter abzuspringen um ihm den richtigen Weg zu suchen, wie Kniesel es in Vollendung konnten.
"Drei böse Wege, Julius. Wo willst du hingehen? Da wo das böse Klopfen herkommt ist es ganz bestimmt am schlimmsten", sagte Goldschweif.
"Ich überlege gerade, wie ich dieses böse Klopfen anhalten kann, ohne das kaputt zu machen oder zu töten, von wo es kommt", erwiederte Julius. Zwar hatte Felix Felicis seine eigene Intuition erheblich gesteigert, aber ohne klares Ziel, auf das er hinwirken wollte, nützte diese ihm nichts. Dann fauchte Goldschweif:
"Die zwei bösen Körperlosen sind hinter uns. Sind weit genug im dunkeln aber warten, uns zu fangen oder aufzufressen."
"Wo und wie weit genau hinter uns?" wollte Julius wissen. Zwei Gegner unter sich im Boden oder im Rücken zu haben war ihm nicht recht. Goldschweif gab ihm mit ihrem Schweif und geknurrten Richtungsworten eine klare Auskunft. Er zog die Sonnenlichtkeule frei und entsicherte diese. Dann landete er. Er lauschte zwei Sekunden in den Gang zurück. Dann erkannte er, dass die beiden verbliebenen Gegner wohl aus den Seitenwänden auf ihn losgehen wollten. Doch dann war ihm, als würde etwas die zwei von ihm wegholen. Goldschweif zischte: "Böse Körperlose geflohen oder von wem gerufen." Julius nickte und sicherte die magische Energiestrahlwaffe aus dem Bestand der Sonnenkinder wieder. "Dann kommen gleich wohl neue Gegner, Goldie. Wir gehen einen Weg, der nicht gleich zum Klopfen führt. Was lauert da auf uns?"
Goldschweif straffte sich und lauschte. Dann erzählte sie ihm was von gespannten Haaren und zugedeckten Löchern, in denen beißendes Wasser war. Julius legte das als Falltüren mit Säuregruben aus und die Haare als gespannte Seile, die ohne weitere Zauberkraft Fallen auslösten. Dann erbebte Goldschweif. "Böse Kämpfer ohne innere Klopfer, aber schwer!" fauchte sie. Julius lauschte. Noch hörte er sie nicht, weil er statt eines Lupaures-Ohrrings lieber den Allversteher trug. Doch er war sich sicher, dass Goldschweif superfeines Katzengehör solche Angreifer hörte. Er kam auf die Idee, die Erde zu befragen. Dafür landete er knapp am Ende des langen Ganges vor den drei weiterführenden Wegen. Mit dem Zauber "Lied der umhergehenden Schritte" erfasste er, dass aus dem Gang, den er gerade gekommen war, mehrere schwere Wesen herankamen. Sofort drehte er sich um. Jetzt hörte er sie auch.
Es waren die Schritte von eisernen Sohlen auf festem Gestein. Er musste sofort an Kampfroboter denken, die in vielen Computerspielen dem Spieler zusetzen wollten. Nach dem Begrüßungskommando an der Oberfläche war das nicht abwegig. Außerdem strahlte seine tragbare Lichtquelle genug Leuchtkraft und Zauberkraft aus, um solchen Gegnern ein gutes Ziel zu bieten, so wie der Stern von Bethlehem für die drei Weisen aus dem Morgenland. Dann sah er dunkelrote Lichter in der Dunkelheit.
"Böse Kämpfer auch aus dem Halbmittags- und dem Abendrichtungsweg!" warnte Goldschweif. "Die haben keine bösen Sachen ausgelöst?" fragte Julius. "Nein, die haben keine bösen Sachen ausgelöst", sagte Goldschweif. Damit war für Julius alles klar. Die Gegner wollten ihn in eine bestimmte Richtung drängen, gefangennehmen oder töten.
Nun glitzerte es im äußersten Bereich der von der Sonnenlichtkugel beleuchteten Fläche golden. Julius erkannte, dass es einmal mehr vollkommen spiegelnde Gebilde waren. Dann erkannte er die ihm entgegenstampfenden Gegner.
Es waren an die drei Meter hohe, menschenförmige Gestalten auf wuchtigen Beinen mit zwei Kniegelenken, die auf entengleich breiten Füßen herankamen. Im immer mehr gespiegelten Licht erkannte er ihre vier Arme, die wie die Beine statt eines Ellenbogengelenks zwei Gelenke aufwiesen und damit erheblich beweglicher waren. Die Köpfe der Unheimlichen glichen denen von Großkatzen mit gefährlichen Gebissen, rot glimmenden Augen mit senkrechten Pupillen und in verschiedene Richtungen drehbaren spitzen Ohren. Dann erklang wieder jene dreifache Männerstimme aus allen Richtungen: "Vernichtet ihn, meine ehernen Getreuen!"
Der Statthalter wähnte sich diesmal auf der Gewinnerseite. Denn gegen die je zehn aus drei Richtungen anrückenden Getreuen mochte der Eindringling nicht bestehen, falls er nicht den einzigen ihm freigelassenen Weg nahm und in die dort wartenden Fallen geriet. Er befahl ihnen, den Eindringling zu vernichten, auch wenn er wusste, dass dieser durch den Schild aus verfestigtem Mondlicht nicht so leicht zu zerstören war. Gleichzeitig befahl er den körperlosen Anwerbern, sich vor der goldenen Halle der Einberufenen zusammenzurotten, falls der Eindringling die ihm entgegengetretenen Verteidiger und alle Fallen überstehen und trotz des mehrstöckigen Irrwegenetzes dorthin gelangen mochte, wo der Statthalter Seths über dessen größtes Werk nach dem ewigen Auge der Mitternacht wachte. Denn er wusste, dass künstlich gesammeltes und wiedergegebenes Sonnenlicht nicht so dauerhaft und kraftvoll war wie Licht und Wärme der Sonne selbst.
Der mit drei Stimmen sprechende Befehlshaber wollte also Science-Fiction-Aktion? Die sollte er haben, dachte Julius und zog zu seinem Zauberstab noch die Sonnenkeule. Da flogen ihm bereits erste hellblau glühende Metallpfeile aus den Waffen der spiegelnden Gegner entgegen. Julius fühlte, wie sein von Millie vorbehandelter Ehering schlagartig wärmer wurde, als die ersten blauen Pfeile knappf vor dem Mondschild waren und jedes Schwungs beraubt herunterfielen und leise zischend in den Boden drangen wie ein glutheißes Messer in einen Fettklumpen. Den Schild erreichte keiner der Pfeile. Julius fiel ein, dass er die Sonnenkeule nur gegen nichtverspiegelte Gegenstände oder Wesen einsetzen sollte. Alle jetzt auf ihn zustampfenden und mit ihren Blauen Pfeilen auf ihn schießenden Gegner nacheinander zu entspiegeln würde zu lange dauern. "Feinde aus Stein oder Eisen?" fragte er Goldschweif schnell, als ihm eine weitere Salve blauer Pfeile entgegensirrte. "Kein Stein in denen, viel Glitzerzeug mit lauter Kraft", erwiederte Goldschweif. Damit fiel die gegen die geflügelten Abfangjäger da oben bewährte Kombination aus.
Als eine ganze Wolke blauer Pfeile heranfauchte meinte Julius, sein Ring wolle sich gleich durch seinen Finger brennen. Doch die Pfeile fielen laut prasselnd zu Boden. Aber nun waren die ersten künstlichen Gegner auf fünf Meter heran. "Pangai Madrash naachlaikai ..." setzte Julius an und beendete den Ausruf mit dem altaxarroischen Wort für die gerade ausgewählte Himmelsrichtung. Als die ersten Gegner ihn ergreifen wollten ploppte zwischen ihm und diesen eine graublaue Lichtwand zur ganzen Breite und Höhe des Ganges auf. Die magischen Maschinenwesen berührten diese Lichtwand und standen für einige Sekunden in blaues Elmsfeuer gehüllt da. Julius belegte erst alle drei Richtungen mit diesem Zauber, bevor er erkannte, dass die Angreifer die graublauen Schutzwälle in nicht einmal einer Minute erschöpfen würden, obwohl sie eigentlich für eine halbe Erddrehungszeit bestehen bleiben sollten. Doch die Minute mochte reichen. Die blauen Pfeile prallten laut pingelnd von den Lichtwänden ab und schlugen auf die Absender zurück. Wo sie in die Wände schlugen sprengten sie diese als weißblaue Minifeuerbälle auf. Wo sie die verspiegelten Verteidiger dieses dunklen Stützpunktes trafen bohrten sie sich erst bis zum Schaft in diese hinein, um diese dann mit lauten Donnerschlägen in Stücke zu sprengen. Also waren die Spiegelroboter nicht gegen ihre eigenen Waffen immun", erkannte Julius und pries die intensive Ausbildung Madrashainorians und Felix Felicis, die ihm eingegeben hatten, den Wall gegen Metallkörper zu wirken, auch wenn die verspiegelten Gegner dessen Kraft reflektierten und somit nur zurückgehalten wurden, bis diese erschöpft war.
Julius wendete nun eine Kombination aus Entspiegelungs- und Schnellrostzauber an, wo die Angreifer sich nicht gegenseitig mit ihren Feuerladungspfeilen aus der Welt schossen. Er verzichtete auf die Sonnenkeule, auch wenn das sehr stilvoll gewesen wäre, feindliche Roboter mit Energiestrahlen zu vernichten.
Nach nur einer halben Minute standen in jeder Richtung noch je zwei Gegner. Julius beharkte sie mit der nun addierten Kombination aus Entspiegelungs- und Schnellrostzauber, so dass diese erst dunkel anliefen und dann durch ihre eigenen Bewegungen in ihre Einzelteile zerfielen, die beim Aufschlagen zu rotbraunen Staubhaufen auseinanderplatzten.
"Kommen noch welche von der vierten Richtung?" wollte Julius wissen. Goldschweif verneinte es, erwähnte aber, dass nun eine noch größere Abteilung der spiegelnden Kämpfer aus den drei bisherigen Richtungen anrückten. "Oha, die Führungsebene hier will es jetzt wissen", seufzte Julius. Offenbar trauten die, die diese Basis der schwarzen Magie beaufsichtigten den wartenden Fallen nicht über den Weg oder wollten sicherstellen, dass der Gegner endlich in sie hineingetrieben wurde. Julius erkannte, dass er sich bereits gut angestrengt hatte. Gegen womöglich eine ganze Zenturie dieser altägyptischen Vorläufer moderner Kampfroboter kam er sicher nicht an. Dann ritt ihn ein felixgoldener Frechheitswichtel. Wenn die so auf Spiegelzauber standen, warum nicht. Warum nicht auch mal Feuer mit Feuer bekämpfen, in dem Fall schwarzmagische Automata mit einem Fluch?
Der Statthalter Seths erbebte, ja loderte förmlich vor Wut. Dreißig festkörperliche Kämpfer reichten nicht aus, den Gegner zu vernichten. Der hatte offenbar nicht nur einen Mondlichtschild um sich, sondern trug auch etwas bei sich, das Zauberfeuer von ihm fernhielt, sodass die mit dem Feueratem wütender Drachen geladenen Eisenpfeile nicht zu ihm vordrangen. Dann hatte der noch Wände aus Metallabweisungszauberkraft aufgebaut. Die konnten zwar durch die Spiegelpanzerung geschwächt werden. Dafür bekamen die dann ihre eigenen Drachenfeuerpfeile ab und vergingen in deren Glut. "Alle Ehernen Getreuen zum Angriff auf den Gegner, den Weg der tausend Tode freihalten!" befahl der Statthalter. Er ärgerte sich sehr, dass er in den Wänden keine Unzauber eingewirkt hatte, die fremde Zauber unterbinden konnten. Doch damit wären auch alle magischen Annäherungsmelder und Fallenzauber geschwächt worden. Er konnte nur das verwenden, was die Heimstatt des Herzens des Seth aufbieten konnte. So bekam er nur mit, dass der andere wieder was ausführte, um die ihm entgegentretenden Verteidiger zu bekämpfen, konnte es jedoch nicht verhindern. Er hoffte nur, dass es sich bei der Zahl von zusammen hundertsiebzig Kriegern schnell erschöpfen und ihn entweder angreifbar machte oder zur erhofften Flucht in den einzig freigehaltenen Gang trieb, auch wenn er und seine Fallenwarnerin wussten, dass dort weitere Todesvorrichtungen auf sie lauerten. Dann bekam er mit, was der andere angestellt hatte und wurde zu einer viele Manneslängen hohen, vor wilder Wut weißglühenden Erscheinung, die laut durch die goldene Halle der Einberufenen schrie und zeterte.
Er hatte diesen Stationären Fluch bisher nie verwendet, weil der ziemlich übel war und lebende Wesen schwer verletzen oder töten konnte. Doch jetzt galt es, gegen unbeseelte Gegner anzukämpfen. Die wurden jedoch von Magie angetriebenund würden dabei sicher den Fluch auslösen.
Julius fuhr die Breite und Höhe des ersten Ganges ab. Dann murmelte er leise: "Adversarius obscurus ex speculo argento pernitioso originato!" Dabei dachte er an einen bewaffneten Krieger, der sich selbst in einem Spiegel bei Mondlicht sah und mit ganzer Wut auf diesen einschlug.
Er hörte die heranstampfenden Gegner aus drei Richtungen. Doch er war voll auf seinen Zauber konzentriert. Auch Goldschweif verhielt sich ruhig. Er fühlte, wie die dunkle Anrufung ihn Kraft kostete. Dann sah er die aus drei Richtungen in Dreierreihen anrückenden Gegner. Soeben beendete er die dritte Ausführung des dunklen zaubers, der als "Finsterer Widersacher" bekannt war. Würde der gegen die selbst spiegelnden Panzerkrieger mit den vier Armen helfen?
Als die ersten drei Krieger aus Nordosten nur noch zehn Schritte entfernt waren flirrte eine silberne, halbdurchsichtige Lichtwand auf. Julius konnte wie durch glitzernden Nebel erkennen, wie die verspiegelten Kunstgeschöpfe verharrten und dann ihre Waffen ausrichteten. Er warf sich zu boden. Dann begann ein wildes Krachen und Donnern, Klirren und Scheppern, das immer lauter wurde. Julius fühlte, dass er hier nicht lange bleiben durfte. Er hörte Goldschweif: "Böse Kämpfer werden mehr und schlagen sich gegenseitig!"
Julius sah, wie hinter der silbernen Dunstwand immer mehr verspiegelte Panzerkrieger auftauchten, die in silberne Blitze gebadet wurden, aus denen wieder neue Krieger entstanden und sofort zum Angriff auf die ihnen nächsten Feinde übergingen. "O, Mist, ich habe eine Endlosrückkopplung verzapft", dachte Julius, als ihm schlagartig klar wurde, was er da ausgelöst hatte. Musste er hier weg? Nein, er schuf schnell die grüne Schutzkuppel gegen alle der Erde verbundenen Gewalten und lud sie zudem noch mit dem zauber "Lied der Stille" auf, mit dem schallschluckende Barrieren erschaffen werden konnten. Nun fühlte er nur noch das immer wildere Beben unter seinem Körper. Da er nicht von aufblitzenden Lichtern geblendet werden wollte blickte er konzentriert auf den Boden. Das Beben wurde immer wilder. Gleich würden wohl die ersten Risse in der Erde entstehen. Schnell schuf er noch den Bodenschutz vor aus der Erde drohenden Gewalten.
Julius wagte es kurz, in das Inferno aus sich schlagenden Panzerkriegern hineinzusehen. Sie schossen nicht mehr aufeinander, sondern schlugen sich. Doch weil es immer mehr wurden zogen sie die Wände, den Boden und die Decke in Mitleidenschaft. Der Fluch des finsteren Widersachers wurde von den ihn auslösenden immer und immer wieder gespiegelt und erzeugte so neue gleichwertige Gegner, die erst verschwanden, wenn deren Originale vernichtet waren. Denn gegen körperliche Angriffe schützten deren Spiegeloberflächen nicht, und wenn ein Original von sechs, sieben oder acht finsteren Widersachern zugleich beharkt wurde hielt es auch nicht lange stand. Vor allem pflanzte sich die Macht des finsteren Widersachers wie ein Echo in einem Tunnel nach hinten fort und erfasste so die nachrückenden Panzerkrieger. Hätte Julius nicht den Schallschutz in seine Kuppel aus schützender Erdmagie eingewirkt wären ihm und vor allem Goldschweif sicher schon die Trommelfelle geplatzt, so wild und heftig schlugen sich die ständig mehr werdenden Spiegelkrieger. Wo einer seine Feuerpfeile abfeuerte bekam der von gleich drei Widersachern entsprechende Antwort und verging innerhalb einer Sekunde in weißblauem Feuer. So blieb Julius nur übrig, auf den grün schimmernden Boden zu sehen, in dem immer wieder Risse entstanden, aber von seinem Zauber versiegelt wurden. Er bangte, dass die Wände und Decken diesen immer wilderen Kampf nicht überstehen konnten. Wenn das hier alles zusammenbrach mochte es einen Selbstvernichtungsimpuls auslösen. Dann dachte er beruhigt, dass er noch nicht wirklich tief in diese Anlage vorgedrungen war, um das Herz des Seth zu beschädigen und dass es keinen Sinn machte, eine Selbstvernichtung auszulösen, nur weil ein paar magische Roboter vernichtet wurden. Weil dann hätten Seths Gegner schon vor Jahrtausenden diese Anlage mit sich zusammen aus der Welt geschafft. Unvermittelt durchzuckte ihn der drängende Gedanke, sich und Goldschweif die Augen zu schützen. So zauberte er schnell mit "Obscura!" eine dunkle Augenbinde über Goldschweifs Augen und tat dies dann auch mit sich selbst, keine Sekunde zu früh. Obwohl er auch weiterhin mit dem Gesicht nach unten blickte sah er den mit einem heftigen Mehrfachbeben einhergehenden, goldenen Lichtschein durch die sonst so lichtundurchlässige Augenbinde. Goldschweif quengelte: "Zerstörungslicht, alle Gegner in grellem Brand vernichtet."
Es bebte noch einige Sekunden nach, empfand Julius durch die Berührung mit dem Bodenschutzzauber. Dann war es vorbei. Er hatte das Gefühl, jetzt alle Schutzmaßnahmen widerrufen zu können. So löste er zunächst die magische Augenbinde von seinen Augen, dann von Goldschweifs Gesicht. Dann ließ er die grüne Schutzkuppel in sich zusammenfallen und ihre Kraft in die Erde zurückfließen, aus der sie heraufbeschworen worden war. Als er dann sah, dass die Wände der drei besetzten Gänge wie mit einer viele große Blasen einschließenden Glasur ausgekleidet waren und an die hundert tiefschwarze, unförmige Klumpen auf dem Boden lagen, aus denen noch grauer Qualm stieg wusste er, was passiert war. Die magicomechanischen Gegner waren allesamt vernichtet. Entweder hatte die ständig zunehmende Übermacht eine Selbstvernichtungsschaltung ausgelöst, oder die finsteren Widersacher hatten mit den erworbenen Kenntnissen über ihre Originale eine solche Vernichtungsschaltung ausgelöst, um den endgültigen Sieg zu erringen.
"Goldschweif, sind in den zwei vorher besetzten Gängen noch Fallen?" fragte er seine Begleiterin. Diese streckte und drehte sich langsam. Dann maunzte sie: "Gang in Halbmittagsrichtung und in Mittagsrichtung frei aber mit heißem Boden."
"Das tut uns im Moment nichts", sagte Julius beruhigend und berührte mit dem Ringfinger der linken Hand Goldschweifs linke Flanke. Die Knieselkätzin knurrte: "Eh, singende Kraft geht in meinen Bauch rein, macht mir Hunger."
"Du bekommst gleich was zu essen, wenn du mir geholfen hast, den Weg zum Raum des Befehlshabers zu finden", sagte er.
"Der die Befehle gibt wohnt .... da lang", knurrte Goldschweif und zeigte mit der rechten Vorderpfote in den glasierten Gang in Halbmittagsrichtung. Julius nickte und lauschte, ob noch von wo Gefahr drohte außer aus dem Gang, den die verspiegelten Krieger freigelassen hatten. Als er sicher war, dass von dort nichts kam holte er einen Fleischkeks für Goldschweif aus seinem Gepäck und fütterte seine Vertraute. Dann wendete er den Ausdaueraufladezauber an. Wie er schon oben erfahren hatte wirkte dieser hier unten nicht so schnell wie auf unbezaubertem Boden. Doch nach einer Minute fühlte er sich wieder stark genug, die nächste etappe in diesem altägyptischen Kerkerlabyrinth anzutreten.
Zunächst hob er die in die Gänge hineingewirkten Flüche auf, wobei er sich zwei Menschenwesen vorstellte, die einander die Hand reichten, während er die Aufhebungsformel sprach. Er wollte schließlich nicht in seine eigene Falle hineingeraten, wenn er doch wieder hier lang musste. Dabei stellte er fest, dass die verhexte Zone offenbar auf ein hundertfaches gewachsen sein musste. Denn als er die Aufhebungsformel vollendet hatte fauchte es laut, und die Gänge sahen so aus wie in silbernen Nebel gehüllt, bevor die Magieentladung vorbei war. "Ui, Anmerkung für später: Finsterer Widersacher kann bei Kampf mit verspiegelten Wesen fortlaufende Rückkopplung auslösen", dachte er. Dann setzte er seinen Weg fort.
Dieser sterbliche Widerling hatte selbst Fallenzauber gewirkt, die er, der Statthalter noch nicht gekannt hatte. Damit hatte er die ehernen Getreuen gegen gleichstarke Gegner aus dem Nichts kämpfen lassen, wobei der Statthalter schon merkte, dass dabei dunkle Energie aus Wut und Vernichtungswillen aufkam und schlagartig verstärkt wurde, bis der Grad der Aufladung die Kräfte des Herzens selbst ansaugte, um stärker zu werden. Das hatte wiederum zur Vernichtung all der gerade davon erfüllten Kämpfer geführt, aber auch alle in Ruhezustand versetzten Zauberfallen entladen und alle rein körperlichen Fallen durch Überhitzung unbeweglich gemacht. Es gab nun keine ehernen Getreuen mehr. Seelenlose Krieger aus belebten Leichen konnte der Statthalter gerade nicht aufbieten, weil alle dem Herzen unterworfenen Diener dieser Art bereits vor langer Zeit vernichtet worden waren und jene, die das Herz erweckt hatten, in zerstörerischem Feuer vollständig verbrannt waren.
Was der Statthalter auch als schlimm empfand war, dass die freigesetzte Vernichtungswut die unsichtbaren Melder hinweggefegt hatte, die über Zauberkräfte oder lebende Eindringlinge Kunde gaben. So konnte der dreifache Bruder und Hüter des Herzens des Seth nicht wissen, ob der Widersacher noch lebte oder gerade in einen der drei von der Vernichtungskraft betroffenen Gänge unterwegs war. Sollte er hoffen, dass der andere seinem eigenen Zauber zum Opfer gefallen war? Dann erfasste er, dass etwas oder jemand Kraft aus der Erde selbst sog, konnte aber nicht erkennen, wo genau sie hinfloss. Er erfasste nur, dass jemand die Essenz des irdischen Lebens aus dem Leib der großen Mutter hervorrief, die durch die dunklen zauber stark abgeschwächt wurde. Jetzt wusste er, dass der Gegner noch lebte. Denn mit einem ähnlichen Zauber hatte dieser sich wohl selbst bestärkt.
"Du wirst deinen Weg fortsetzen müssen, Widerwärtiger. Mögest du in diesem Netz der vielen Irrwege verloren gehen und schmachvoll verenden. Dann wird dein Körper ein neuer Diener werden", dachte der Statthalter Seths mit unverhohlener Gehässigkeit.
Den von Millie Bezauberten Ring gegen Goldschweif gedrückt lief er in den Halbmittagsrichtungsgang hinein und fühlte, wie mit jedem Schritt ein leichtes Kribbeln durch den Ring ging. Millies Hitze- und Feuerschutz hielt die Bodenhitze von ihm und Goldschweif ab. Ja, er konnte sogar ohne Kopfblase atmen, weil die angestaute Heißluft knapp einen Meter vor ihm auf atembare Temperaturen heruntergekühlt wurde.
Er passierte die zerstörten Panzerkrieger, die als unförmige Klumpen oder in Fetzen geschlagene Einzelstücke herumlagen. Wie lang der Gang war wollte er nicht einschätzen. Er erkannte nur, dass hier wohl mal mechanische Fallen verbaut gewesen waren, wie Falltüren, Selbstschussanlagen und sogar ein Fallgitter, dessen armdicke Stäbe stark angeschmolzen und verdreht über dem Boden hingen. Julius beseitigte alle sperrigen Hindernisse mit Reducto-Flüchen. Dann hörte er Goldschweifs Warnung: "Vorsicht, böse Stimmen an nächster Abzweigung.
Der dreifache Bruder flirrte für einen Augenblick, als der unsichtbare Melder in der Nähe der Wand der gnadenlosen Furcht die Annäherung zweier lebender Wesen verkündete. Der Feind und seine niedere Vertraute waren also den Halbmittagsgang entlanggeeilt. Wenn sie jetzt gegen die Wand der gnadenlosen Furcht stießen würden sie in ihren allerschlimmsten Angstvorstellungen eingeschlossen sein, von der Stimme des Verderbens in den Irrsinn getrieben werdenund entweder in tödlicher Schockstarre verharren, bis der Tod sie ereilte, sie ohne Verstand weiterrannten, bis die nächste gestellte Falle sie einfing und tötete oder sich selbst töten, um die gnadenlose Furcht zu beenden. konnte dieses der Bastet zugeteilte Wesen das voraussehen? Nach nur wenigen Schlägen des großen Herzens wusste der Statthalter es.
Julius ließ sich von Goldschweif ganz ausführlich berichten, wie die "böse Stimme" klang und was sie sagte. "Du bist verloren, niemand hilft dir mehr. Nur der Tod kann dich erlösen", so übersetzte Goldschweif die "böse Stimme.
Julius prüfte mit einem Flucherkenner, was vor ihm lauerte. Sie hatten es gerade noch geschafft, außerhalb der Wirkungszone zu bleiben. Er vermutete, dass es eine alte Form jenes Albtraumzaubers war, den die Erbauer der sogenannten Friedenslager verwendet hatten, um die dort eingesperrten zu brechen und von jedem weiteren Fluchtversuch abzubringen. Er könnte sich mit dem Lied des inneren Friedens gegen geistige Beeinflussungen abschirmen, aber nicht Goldschweif, weil dieser Zauber rein innerlich angewandt wurde. Außerdem konnte die Falle auch eine Komponente enthalten, die den geistigen Qualen körperliche Pein zufügte. Dagegen mochte dann die Phioloe schützen, deren Wirkungsaura ihn und Goldschweif abschirmte. Ja, und womöglich bestand die Zauberfalle aus mehreren Zaubern, die jeder für sich gebrochen werden musste und bei falscher Abfolge tödliche Kräfte freisetzte. Sollte er hier den Fluchumkehrer anwenden? Nein, dann mochte die Falle so wirken, dass wer in sie hineingeriet nicht mehr hinaus wollte, so wie bei Amatas Ruhestatt. Dann fiel ihm ein, nach der Quelle zu fragen. Goldschweif lauschte. Sie verharrte einige Sekunden in völliger Anspannung. Dann sagte sie: "Die Stimme kommt aus Mitternachtsrichtung und ist vor uns ganz laut."
Julius überdachte alle Zauber der Erdvertrauten und die gegen geistige Qualen wirkenden Zauber aus der modernen Zauberei. Er könnte den Zauber "Lied der reinigenden Erde" aufrufen. Doch weil hier im Grunde alles von dunkler Magie erfüllt war konnte es dazu führen, dass alles um und über ihm zusammenstürzte und er schlagartig alle Ausdauer verlor und unter allem hier begraben wurde. Außerdem musste er die Quelle genau anzielen. Warum ihm nach vielem Verknüpfen und Verwerfen einfiel, den Angriffslustabwender mit dem Illusionsbrecher zu verbinden leitete er wohl auch dank Felix Felicis davon ab, dass diese Falle ein quasi lauerndes Raubtier war, das nicht auf Fleisch, sondern Gedanken und Gefühle ausging und dass die meisten Illusionen auf die Wahrnehmung wirkten. Da auch schon im alten Reich bekannt war, einzelne Zauber zu einem zeitgleich ablaufenden Mischzauber zu vereinen oder in einer Handlung abfolgen zu lassen stimmte er sich auf die nötigen Worte ein. Dann zielte er nach Norden, der Mitternachtsrichtung, die bei den dunklen Magiern des alten Reiches die Quelle für die meisten Zauber war. Dann sprach er: "Undarkuhai Katarashan katashar a Kaliain Daxarahi!" - Verwebe Weiche Täuschung mit weiche Tod in Mitternachtsrichtung vollbringe!
Es geschah ohne großes Lichtgewitter, ohne lautes Gefauch oder fliegende Funken. Das einzig sichtbare war ein weißgoldenes Licht an Julius' zauberstabspitze. Allerdings fühlten er und Goldschweif, dass etwas darauf reagierte. Einen Augenblick lang meinten beide, eine wütende Männerstimme aufbrüllen zu hören, die dann schlagartig zum Lachen eines fröhlichen Babys wurde. Dann meinten beide, ein leichtes Erzittern der Luft zu spüren. Danach erlosch das weißgoldene Flirren an der Zauberstabspitze. "Böse Stimme jetzt weg", sagte Goldschweif nach vier bangen Sekunden. Julius fragte schnell, welche Falle sie noch witterte und erfuhr, dass weiter hinten im Gang wieder Fallgruben, Pfeilschussanlagen und wohl aus der Wand schlagendes Feuer lauerten. So lief er los und blockierte die mechanischen Fallen mit gezielten Verkeilungszaubern, mied die Kontaktsteine für die Selbstschussanlage und überstand die aus den Wänden schlagenden Flammengarben dank Mondschild und Millies Schutzzaubern im Ehering. Dabei ließ er sich von Goldschweif verraten, wo es weiterging, um den der die Befehle gab zu treffen.
Ich sage und zeige Julius, wo die bösen Sachen sind, die uns töten wollen. Mich stört dabei, dass keine neuen Kämpfer mehr kommen, um gegen uns zu kämpfen. Hat der, der die Befehle gibt, keine Kämpfer mehr?
Es geht nun weiter durch Gänge, die Julius erst aufmachen muss, ohne eine Fang- oder Tötungssache auszulösen. Jetzt, wo wir wissen, was die Böse Stimme ist und wie er sie wegjagen kann können wir fünf weitere solcher auf uns wartenden Stimmen verscheuchen. Ich fühle, dass der, der die Befehle gibt, wie eine Spinne in einem großen Netz sitzt, über dass er alles mitbekommt und versucht, jeden Feind einzufangen. Auch hofft er wohl, dass wir uns in den vielen verschiedenen Laufgängen und Kletterröhren verlieren, die es hier gibt. Als dann noch etwas auslöst, dass drei Gänge anders dreht helfe ich ihm, die richtige Richtung zu behalten. Ich ärgere mich, nicht vor ihm herlaufen zu können. Aber seine Schutzkräfte können mich nur mitbeschützen, wenn ich auf seiner Schulter sitze.
Ui! Fast hätte ich die Sache mit dem von oben herunterfallenden fressenden Wasser nicht mitbekommen, weil die fast zu weit weg war. Gerade noch rechtzeitig konnte Julius zurückspringen und einen Zauberwall gegen das ganz gemein in Nase, Augen und Ohren beißende Wasser machen, bis es sich in den Boden hineingefressen hat und weg ist. Jetzt müssen wir fliegen, um nicht von den kleinen Pfützen aufgefressen zu werden. Ich hasse das Fliegen, weil ich das nicht selbst lenken kann! Ah, endlich kann er wieder auf den Füßen weiterlaufen. Ah, da in Halbmorgenrichtung und etwas weiter unter uns höre ich die Kraft dessen, der die Befehle gibt. Oha! Vor dem Ort sind eine ganze Menge böser körperloser Fresser, die wie eine Wand zusammenstehen.
Der Statthalter wollte sich nicht mehr ärgern. Doch jede Falle, die seine Gegner rechtzeitig fanden und unschädlich machten war wie eine persönliche Niederlage für ihn. Selbst der Säurefall, ausgelöst durch die bloße Lebenshaucherkennung eines Gegners aber ganz weit über diesem, wurde vereitelt. Die aus der Magensäure der großen Götterschlangen herausdestillierte Säure, verstärkt mit dem Ausscheidungswasser von Drachen, drang nicht durch die gegen Feuer, Wasser und Erde wirkende Schutzwand, die dieser Fremde aufbaute. Auch kamen sie ihm immer näher, unbeirrt, zielstrebig und entschlossen. Dieses Warntier musste auch eine Art Wegfinder sein. Er hatte mal davon gehört, dass bestimmte Tiere einmal beschrittene Wege im Gedächtnis behielten und wiederfanden oder auch, das Wandervögel einen Sinn für die unsichtbare Eisenweisekraft der Erde besaßen, um den richtigen Flugweg zu finden. Dieses Tierwesen mochte eine besondere Züchtung sein, die auch unbekannte Ziele ansteuern konnte, ohne sich zu verlaufen. Dann sollten es eben die körperlosen Werber richten, und falls die auch noch versagten, würde ihm die letzte Falle vor der Tür zur goldenen Halle das Verhängnis bringen. Denn diese wurde erst bei falscher Ausführung bestimmter Deutungen ausgelöst.
Es war eine blutrote, wabernde Wand, auf die Julius und Goldschweif zusteuerten. Goldschweif hatte ihn bereits davor gewarnt, dass es die zu einem Verbund zusammengekommenen Blutgeister waren, mit denen sie es vorhin schon zu tun bekommen hatten. Noch wirkte die Sonnenlichtkugel als Lichtquelle. Doch Julius wollte es nicht darauf anlegen, dass der Sonnennugget durch die Blutgeister ausgelaugt wurde. Er steckte den Zauberstab fort und zog die Sonnenkeule.
"Du bist weitergekommen als ich erhofft habe, Eindringling!" dröhnte die dreifache Männerstimme wie aus in Decke und Wänden verbauten Lautsprechern. "Doch nun werden die körperlosen Werber dein Ka erbeuten und es in ihre Reihen zwingen und dein Leib wird der erste Außendiener nach langer Zeit."
"Du bist der Hüter dieser Hallen?" fragte Julius, der davon ausging, dass der Feind noch einen Angriffsbefehl erteilen musste. "Ja, der bin ich, der ewige Hüter des Herzens des Seth", bekam er zur Antwort.
"Seth ist nicht mehr in der Welt, eine seiner eigenen Dienerinnen hat ihn vom Thron gestürzt und wohl in sich hineingeschlungen, um seine Macht und sein Wissen zu erbeuten", erwiderte Julius, der im Moment keine Angst vor den über hundert Blutgeistern hatte.
"Das ist eine Lüge!" rief die Dreifachstimme. "Seth ist unbesiegbar. Sein unbeugsamer Geist wohnt in seinem Auge der Mitternacht und wacht über alle seine Diener und Getreuen!"
"So, ist das so? Dann frag ihn mal, was du jetzt machen sollst, um mich daran zu hindern, in deinen Befehlsraum reinzukommen", sprach Julius bewusst provokant. Die Wand aus zusammengedrängten Blutgeistern erstarrte vollkommen zu einer blutroten Lichtmauer ohne Ausprägungen.
"Seth befiehlt deinen Tod und die Vernichtung deiner widerlichen Züchtung", sagte die Stimme. Doch Julius hörte ihr an, dass sie alles andere als überzeugt klang, wirklich einen solchen Befehl erhalten zu haben. Deshalb sagte er: "Ach, dann hat dein Herrund Abgott das schon beschlossen, bevor ich in dein Reich eingedrungen bin?"
"J-ja, das hat er", schnarrte die Dreifachstimme. Dann rief sie: "So tilgt ihn und Bastets verwerfliche Brut aus dieser Welt!"
Julius zielte mit der Sonnenkeule und betätigte den Abzug, als die bis dahin starre Wand zu einem wild wabernden Gewimmel wurde. Ein stecknadeldünner Lichtstrahl zischte beinahe unhörbar durch die Luft und bohrte sich in die ihm entgegentreibende Masse. Unvermittelt glühte es dort orangerot, wo der Strahl traf, und mit einem kurzen vielfachen Aufschrei verschwand ein Stück von der Wand. Julius begann nun den Strahl zu fächern. Dabei löste er weitere orangerote Lichtentladungen und einen Orkan aus Todesschreien aus. Jede Sekunde strahlte die Sonnenkeule eine halbe Stunde gesammeltes Sonnenlicht ab. Julius ließ die Sonnenkeule zehn Sekunden lang wild wirbeln, nicht nur auf eine Stelle deuten. Das Ergebnis war ein orangerotes Gewusel solcher Geister, die bereits zu viel gesammeltes Sonnenlicht abbekommen hatten und vergingen und solchen, die den scheinbar chaotisch zielenden Strahlen auszuweichen trachteten. Julius wusste auch, dass er die Keule höchstens dreißig Sekunden am Stück strahlen lassen durfte. Dann war sie zu heiß und konnte selbst schmelzen. So nutzte er die eingewirkten Abkühlzauber und beschränkte den Dauerbeschuss auf je fünf Sekunden, wenn die Wand aus Blutgeistern weiter auf ihn zutrieb. Er sah auch, dass die Geisterwesen durch die Wände oder die Decke zu entweichen versuchten, es aber nicht schafften. Offenbar wirkten hier Geisterbannzauber, die nichtstoffliche Angreifer zurückhalten und das Durchdringen von Wänden verhindern sollten.
Julius sah, dass einige der Blutgeister trotz des breitstreuenden Beschusses auszubrechen ansetzten. Schnell zog er seinen Zauberstab und rief "Murus Solis Maxima!" Mit einem vernehmlichen Knacklaut entstand nun genau vor ihm eine den Gang in Höhe und Breite ausfüllende Wand aus goldenem Licht, die von seiner Seite her durchsichtig war. Gleichzeitig fühlte er, wie der Sonnennugget wie ein kleiner Transformator vibrierte. Natürlich zog der Sonnenlichtwall Energie aus dem, was das magische Goldstück gespeichert hatte. Jedenfalls prallten die sich schon in Sicherheit wähnenden Blutgeister voll gegen den Wall, glühten orangerot auf und torkelten zurück. Goldschweif zischte: "Gute Abwehr! Aber welche von denen sind durch Löcher wie Mäuse. Aufpassen von hinten!"
Julius wirbelte herum und baute schnell noch eine Sonnenlichtmauer auf, weil das ja der bisher letzte Zauber von ihm gewesen war. Die soeben durch den hinter ihnen liegenden Gang jagenden Blutgeister krachten ungebremst dagegen, blähten sich laut aufschreiend zu orangeroten Flächen auf und zerstoben dann, wobei Julius meinte, erleichterte Aufschreie zu hören. Sein Sonnennugget vibrierte nun noch stärker. Julius wusste, dass er wohl nicht mehr die elf Stunden reichen würde, die er noch aufgeladen war. Da kam ihm der Einfall, die Lichtwände mit der Sonnenkeule nachzuladen.
Nun mit auf daumendicke Strahlen gestelltem Strahl schaffte er es, den Lichtwall weiter aufzuladen. "Davon haben mir die Totgesagten und ihre neue Königin nichts erzählt", dachte Julius leicht erheitert.
Die ihn bestürmenden Blutgeister prallten nun gegen die immer wieder aufgeladenen Sonnenlichtwälle, vergingen daran oder wurden abgeprellt. Julius kam noch eine Idee. Er holte die Goldblütenhonigphiole hervor und hielt sie an den Sonnennugget. Die Sonnenlichtwände wurden nun goldgelb und fast undurchsichtig, aber für Julius und Goldschweif nicht zu hell. Es Knallte immer wieder, als würden überstark aufgeblasene Luftballons platzen, und er war sich auch sicher, dass etwas ähnliches geschah. Immer wieder machte es peng, peng, peng. Immer wieder meinte er, Schmerzenslaute zu hören, die sich mit Jubelschreien vermischten. So ähnlich hatte ihm Temmie damals die Vernichtung der meisten verbannten Dementoren geschildert. Nun hörte er auch einen unbändigen Wutschrei wie aus drei großen Mäulern zugleich. Der Befehlshaber merkte wohl, dass seine letzte Streitmacht aufgerieben wurde. Denn er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass hier, tief unter der Erde, Zauber der Sonne angewendet werden konnten, die stark genug waren, um die Blutgeister zu vernichten. Dann war es vorbei. Goldschweif zischte: "Er hat die verbliebenen zurückgerufen. Die Tür kann von denen durchflogen werden."
"Du wirst die Hallen des Herzens nicht mehr verlassen, Fremdling. Alle Luft in diesen Hallen wird versiegen, und du und dein Tier werdet qualvoll ersticken. Und dann bekommen meine Diener dein Ka, und ich werde alles wissen, was du wusstest. Ich habe alle äußeren Zugänge versperrt. Du kommst nicht mehr hinaus, auch wenn die der Bastet geweihte Ausgeburt auf deiner Schulter jeden weg erkennt. Aber du kannst dein Ende erheblich erträglicher machen. Versuch einfach, den zeitlosen Weg zu gehen!"
"Um dann in einer Todesfalle zu landen", dachte Julius nur für sich. Da er immer wieder das Lied des inneren Friedens wirkte konnte der andere keinen Gedanken von ihm aufschnappen.
"Ich habe eine viel bessere Idee, Hüter des Herzens. Ich komme zu dir rein, und wir klären, ob das mit Seths Vermächtnis echt noch einen Sinn macht, wo dein Herr und Meister längst vergangen ist", sagte Julius Latierre. Ein lautes, höhnisches Lachen hallte ihm zur Antwort entgegen. In wie vielen Superheldencomics hatten die jeweiligen Bösen so überlegen gelacht und dann platt am Boden gelegen?
"Du brauchst nur die goldene Tür aufzubekommen. Aber dahinter warten meine verbliebenen Diener, und du wirst sie nicht mehr zurücktreiben können, weil Ras Macht hinter dieser Tür vom Atem Seths verblasen wird. So wähle: Dein langsames Ende oder dein schnelles.".
Julius wusste, dass es gegen Sonnenlichtzauber auch dunkle Gegenzauber gab. Einer davon hatte Sardonias Kuppel zum Gefängnis für alle Bewohner Millemerveilles gemacht. Andererseits wusste er, dass er mit reinen Erdverschiebungszaubern nichts ausrichten konnte. Er erkannte, dass trotz Goldschweifs besonderen Instinkten die größte auf ihn wartende Falle längst zugeschnappt hatte. Andererseits empfand er deshalb weder Angst noch Verzweiflung. Das konnte am Glückstrank liegen, der solche Gefühle unterdrücken mochte. Doch irgendwie hatte er noch Hoffnung, diesem Irrsinn zu entkommen, ja die von Ashtaria aufgetragene Mission erfolgreich zu beenden. Er musste nur durch die Tür da vor ihm und überstehen, was dahinter war. Wieder eine goldene Tür, hinter die man wohl besser nicht schauen sollte.
"Was spürst du von hinter der Tür?" fragte Julius seine Begleiterin. Diese grummelte: "Böse singende Kraft in Tür und Wänden. Alle körperlosen Fresser sind dahinter in kleinen Löchern wie Mäuse und zittern, weil dein Sonnenzauber die verjagt oder gefressen hat. Doch der Dreifache sagt wohl die Wahrheit."
"Das hinter der Tür kein Sonnenzauber wirkt?" flüsterte Julius. Goldschweif bejahte es.
"So ist es!" dröhnte die Dreifachstimme überlegen.
"Tja, das hat ihm dieses goldschwänzige Wundertier wohl nicht verraten, dass der zum Dreifachgeist verschmolzene alle Ausgänge nach oben verschlossen hat", feixte Kaliamadra. Ihre Zwillingsschwester Iaighedona stimmte ihr zu. Dann fügte sie noch hinzu: "Dann wird Iaxathans letztes großes Geschenk an die Welt wohl weiterbestehen, stärker werden und am Ende wohl alle von Mitternachtsgedanken erfüllten Wesen vereinen, und Ashtaria wird sich grämen, ihren sechsten Sohn in diese Falle getrieben zu haben."
"Schwester, er hat sich doch ausgesucht, in dieses dunkle Riesengebäude hinabzusteigen. Er hätte doch auch das verschwundene Buch des großen grauen Eisenriesens suchen oder das verschollene Haus des blauen Geisterkönigs finden können."
"Ich würde mich ja freuen, dass eine große Hinterlassenschaft der wahren Macht unüberwindlich ist, Schwester. Aber mich zwickt der Gedanke, dass Iaxathans gewaltige Hassumwälzvorrichtung ganz aus dem Lauf gerät und alle gesammelte Mord- und Zerstörungslust auf einmal freigibt und die jetztzeitigen Menschen davon in die totale Vernichtung getrieben werden. Was das heißt weißt du ja leider so gut wie ich."
"Ja, dass es dann keine denkfähigen und schöpferischen Wesen mehr gibt und wir dadurch auch immer mehr an Kraft verlieren, bis wir selbst für alle Zeit erlöschen müssen", erwiderte Iaighedona mit sichtlichem Unbehagen. "So müssen wir hoffen, dass jemand kommt, der Iaxathans Hass- und Todesumwälzer richtig nutzen und die Welt unter der Herrschaft der Mitternächtigen vereinen kann, ohne Iaxathans letzten Willen zu erfüllen."
Julius löste die vor der Tür errichtete Sonnenlichtwand auf, ließ die im Gang hinter sich jedoch bestehen, um nicht doch noch von hinten angegriffen zu werden. Er stimmte einmal mehr das Lied des inneren Friedens an, um seinen Geist vor Einflüssen und Ausforschungen zu schützen. Denn hier stand er wortwörtlich im Vorzimmer des Endgegners dieser mörderischen Suche. Er musste jetzt genau überlegen, was er tun wollte und was er besser lassen sollte. Denn falls der Lenker dieser unterirdischen Bastion des Bösen seine Felle davonschwimmen sah mochte der auf die sehr unangenehme Idee kommen, den Selbstvernichtungsknopf zu drücken. Da laut den Visionen von Ashtaria das Herz des Seth allen Hass und alle Mordlust der Umgebung in sich einsog und umwälzte war es gewissermaßen mit sämtlichen Atomsprengköpfen der Welt gekoppelt. Eine falsche Handlung konnte den dritten und letzten Weltkrieg auslösen. Aber diese Supermaschine der schwarzen Magie weiterlaufen lassen konnte er auch nicht. Denn dann mochte es eben in zehn oder zwanzig Jahren zum Atomkrieg kommen. Ja, das war es, was Iaxathan wollte, die völlige Selbstvernichtung der Menschheit, weil die seiner Meinung nach eine Fehlentwicklung war. Wenn er das nicht zulassen wollte musste er durch diese Tür und wen auch immer dahinter überwältigen, bevor der die Selbstvernichtungsschaltung auslöste.
Julius betrachtete die Tür genauer. Sie war glatt und goldfarben. Vor ihr war eine Bodenplatte. Als er diese betrat knisterte die über ihm schwebende Sonnenlichtkugel, und sein Sonnennugget kühlte schlagartig ab, als sauge ihm etwas die Energie ab. Also stimmte es, dass hinter dieser Tür oder schon davor kein Sonnenlichtzauber mehr wirkte. Da Julius nicht ohne helles Licht durch die ganzen Gänge irren wollte führte er die Handlung aus, die den Nugget inaktivierte und den Rest der in ihm enthaltenen Sonnenlichtzeit einfror. Dann kam er auf eine neue Idee. Er konnte Zauberstablicht machen, das nur mittelbar mit Sonnenlicht zu tun hatte. Doch im weißgelben Licht war ja nichts außer golden glänzendes Metall zu sehen gewesen. Er wusste, dass Gold alle Farben außer Blau reflektierte. Er rief mit "Laculilumos" ein himmelblaues Licht an seiner Zauberstabspitze hervor und ließ dieses über die nun größtenteils schwarz aussehende Tür hinwegtasten, bis er eine rechteckige Stelle fand, die aus dem tiefschwarzen hervorschimmerte. Er verstärkte die Helligkeit des Zauberlichtes, bis er ein scharf abgegrenztes silbernes Feld auf schwarzem Hintergrund sah, auf dem altägyptische Schriftzeichen zu erkennen waren. Tja, er hatte keine Omnilexbrille, die auf Hieroglyphen eingerichtet war. Aber er hatte Laurentines Geburtstagsgeschenk von seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag dabei, weil er genau mit sowas gerechnet hatte.
"Warn mich, wenn von der Tür oder sonst wo was droht", flüsterte Julius. Dann holte er das Xenographophon hervor, das wie ein medizinisches Stetoskop aussah, wobei der Teil zum Auflegen auf die abzuhörende Stelle wie eine kleine Silberglocke aussah. Er führte es so, dass es genau in der Mitte der lesbaren Zeilen verharrte und wartete, bis es vibrierte. Dann Murmelte er "Audio!" Daraufhin begannen die Zeichen zu verwischen, und in den Ohrsteckern klang eine leicht quietschende Stimme in wellenförmig wechselnder Lautstärke:
"Wer durch mich hindurchgehen und dem Statthalter Seths seine Aufwartung oder Unterwerfung bekunden will muss den Schlüssel aufheben und ihn durch die Augen des Meisters betrachten und nutzen. Nur ... Krrrks! Krssreuer Diii-nschschser des Se-he-heth kann das Öffnen ...."
Die Zeichen verschwammen zu einem undeutbaren Punktewirrwarr, während die Lesevorrichtung wild erzitterte und immer heißer wurde. Was immer die Schrift an der Tür sagen wollte war gegen Entschlüsselungszauber abgesichert. Julius ließ sofort das Abhörteil sinken. Die Schriftzeichen an der Tür formierten sich wieder.
"Nur ein treuer Diener Seths kann hindurch, also wer, der den Meister gut genug kennt um zu wissen, wie er die Welt sieht", dachte Julius. Dann sah er im blauen Zauberstablicht, dass auch die goldene Bodenplatte, auf die er sich ganz bewusst nicht gestellt hatte, Schriftzeichen enthielt. Er hätte fast laut losgelacht. Denn diese Schrift kannte er so gut, dass er keinen Fremdschriftenvertoner brauchte, denn das war die für magische Texte und Poesie gebräuchliche Schrift des alten Reiches.
Eigentlich hätte ihn diese Erkenntnis umhauen müssen. Doch im Grunde verriet diese Entdeckung nur, dass hier wirklich altes Wissen angewendet worden war und entweder ein Schüler Iaxathans oder der dunkle König selbst mitgewirkt hatte. Julius ging jedoch von einem gelehrigen Schüler aus, der die alte Schrift als "die Geheimschrift der Bruderschaft" bewahrt und nur ganz wenigen weitergegeben hatte. Jedenfalls konnte er ohne jede magische Übersetzungshilfe lesen:
Wenn die weiße Schwester den Morgen grüßt und die Sonne in das klare Himmelsgewölbe steigt ergießt sich der eilige Fluss ins Meer und der Baum des Lebens reckt sich nach oben.
Neben den Textzeilen waren mehrere Bildsymbole aufgereiht, die verschiedene Naturerscheinungen wie einen zunehmenden und abnehmenden Mond, eine Sonne, eine Gewitterwolke mit Blitz, ein Stück Himmel mit kleinen Wolken, einen Baum, ein Herz, einen Totenkopf, eine Flamme und noch mehrere Dutzend weitere Zeichen. Allen Zeichen war gemein, dass sie ein winziges Loch in der Mitte hatten und von einer geschlossenen kreislinie umfasst wurden. Das schrie förmlich danach, mit einem Zauberstab oder sonstigen Zauberkraftausrichter genau auf diese Zeichen zu tippen, wie Julius' Mutter es ihm von neuartigen Mobiltelefonen berichtet hatte. Dann wurde ihm klar, was er machen musste. Er musste den in der uralten Schrift und Sprache geschriebenen Satz durch Berührung der richtigen Bildsymbole nachvollziehen, um die Tür zu entriegeln. Wer das konnte durfte hinein, wer nicht wurde womöglich vom Blitz erschlagen oder von einem Flammenstrahl eingeäschert oder erstarrte zu Stein. Nein, Versteinerung drohte ihm nicht, weil hier keine Statuen erfolgloser Vorläufer herumstanden.
Julius unterdrückte den Impuls, den Satz auf der Bodenplatte halblaut nachzusprechen. Am Ende löste er genau damit die letzte Falle aus. Immerhin hatte er sich schon was überlegt, um gegen die hinter der Tür lauernden Geister anzugehen, wenn Sonnenlichtzauber nicht mehr halfen.
"Durch die Augen des Meisters", dachte Julius an eine Stelle der Inschrift an der Tür. Iaxathan nannte sich erster Diener der alles endenden Dunkelheit, war König aller Schwarzmagier von Altaxarroi. Also sah der doch alles anders als die anderen Leute. Dann fiel Julius ein, was gemeint war. Die Augen des Meisters hieß, alles gesehene oder gelesene ins Gegenteil zu setzen, nicht nur von der Wortbedeutung her, sondern auch von der Abfolge, also das letzte zuerst und das erste zuletzt, wobei hier Sonne durch Mond und klarer Himmel durch Unwetter zu ersetzen war. Soweit wohl richtig, dachte Julius und freute sich, kein mieses Gefühl zu haben. Doch was waren die Gegenteile aller vorkommenden Haupt- und Tätigkeitswörter im Text? Gut, das Herz stand für Leben und der Totenkopf wohl für den Tod. Aber was war das Gegenteil eines Meeres und was das eines eiligen Flusses? Er prüfte die vorhandenen Bildsymbole. Das Meer wurde hier als blaue Fläche mit mittelhohen Wellen dargestellt, ein eiliger Fluss als langgezogene blaue Linie mit weißen Schaumtupfern zwischen grasgrünen Flächen, die sein Ufer darstellten. Er suchte weiter, bis er etwas wie eine Sanddüne erkannte, auf der einzelne Knochen lagen. Stand das für die Wüste? In einer Wüste gab es kein fließendes Wasser, bis auf einige wenige Oasen, und wer dort ohne Wasser herumirrte verdurstete und zerfiel wohl irgendwann, wenn ihn die Geier nicht restlos auffraßen. Felix gab ihm ein gutes Gefühl, dass die Wüste das Gegenteil des Meeres war.
Als er eine weiße Fläche von graubrauner Fläche umschlossen fand und sich erinnerte, dass so ein vereister See dargestellt worden war, als Madraschainorian das Kartenlesen erlernt hatte kniff er sich fast in einen Arm. Ja, ein gefrorener, völlig starr ruhender See war ein genaues Gegenteil eines eiligen Flusses.
Gab es ein Gegenteil von Baum? Er bedachte alle Eigenschaften eimes Baumes: Mehrjährige Großpflanze mit holzbildendem Stamm und Astwerk, wächst ständig nach oben, waren die für alle Bäume der Erde gleichgeltenden Eigenschaften. Dann entdeckte er neben etlichen Symbolen für leblose Dinge und Umgebungen auch ein schwarzes Quadrat, von dessen oberer Seite mehrere zapfenartige weiße Gebilde zur Unterseite hinwiesen. Er dachte an eine Tropfsteinhöhle und die dort von der Decke herabwachsenden Stalaktiten. Ja, das war es! Stalaktiten waren keine Lebewesen, führten kein Holz in sich und wuchsen nach unten. Darauf konnte wohl nur kommen, wer wie er gerade Felix Felicis im Blut hatte, dachte Julius.
Für Morgen setzte er abend, symbolisiert durch eine mittelblaue Fläche mit einzelnen Sternen, während für den Morgen eine gerade gelb gewordene Sonne unter weißgolden angeleuchteten Wolken stand.
Wer mit der weißen Schwester gemeint war wusste Julius auch so. Denn so hieß bei den Menschen des alten Reiches der erdnächste, innere Planet, der damals für Schönheit, Hoffnung und Frieden gestanden hatte. Also war dessen Gegenstück der blutige Bruder, der für Unheil, Gefahr und Krieg stand. Er brauchte also nur Venus durch Mars zu ersetzen.
So hangelte er sich Wort für Wort von hinten nach vorne durch, überprüfte sein Ergebnis noch zweimal, bis er ganz sicher war, jetzt keinen Fehler zu machen. Dann berührte er die von ihm für richtig erkannten Bildsymbole in der umgekehrten Reihenfolge der Erwähnung im Satz mit seinem immer noch leuchtenden zauberstab. Jedes angewählte Symbol glühte in derselben blauen Farbe auf. Julius fühlte keinen Argwohn, dass das verkehrt sein mochte. Natürlich musste wer immer hier unten war mit einer Lichtquelle hantieren.
Als er das stilisierte Bild des Planeten Mars auf schwarzem Hintergrund berührte erstrahlte dieses so blau wie die darauf beobachtbaren Sonnenauf- und Untergänge. Goldschweif ruckte nur, zuckte aber nicht wie erschrocken. "Du hast was aufgeweckt, was in die Tür fließt", schnurrte sie.
Mit leisen Klicklauten wurden offenbar genausoviele Schlösser entsperrt wie er Bildsymbole aktivierte. Als er den Rätselsatz in seinen Gegenteilswörtern von hinten nach vorne durchgegangen war klackte es laut, und die massive Metalltür schwang auf. Julius fühlte einen kalten Windhauch von drinnen und spürte, wie seine Goldblütenhonigphiole stärker vibrierte. Von da drinnen wirkte dunkle Magie auf ihn ein.
Julius überkam der Drang, sich eine Kopfblase zu zaubern. Blitzschnell führte er die nötigen Handlungen aus. Bei Goldschweif machte er das auch, ohne dass sie sich dagegen auflehnte. Tatsächlich waberte ein bleigrauer Nebel aus dem Raum hinter der Tür und umfloss die beiden.
Bevor er in den vom grauen Nebel erfüllten Raum eintrat wechselte er das Zauberstablicht zum gewohnten warmen weißen Licht. Er wollte schließlich alles so sehen, wie es unter hellem Licht erschien.
Julius trat entschlossen über die Schwelle. Dabei fühlte er einen leichten Druck auf den Kopf und hörte Goldschweif bedrohlich knurren. Seine Goldblütenhonigphiole erzitterte und ergoss einen Schwall Wärme in seinen Brustkorb. Dann hatte er die Schwelle überquert und stand im vom Rest des austretenden Nebels verschwommen erkennbaren Raum.
Es war ein fensterloser, würfelförmiger Raum von zehn Metern Kantenlänge. An den nun golden glänzenden Wänden erkannte er eine Vielzahl quadratischer schwarzer Kacheln, die wohl aus Obsidian bestanden. Er meinte innerhalb der Kacheln dunstartige Gesichter zu erkennen, die teils gequält teils belauernd zu ihm hinüberblickten. Damit hatte er insgeheim gerechnet. Was ganz neu für ihn war war das tiefschwarze Gebilde in der Raummitte, das wie ein versteinerter Riesenkrake mit nicht acht, sondern neun Armen und einem thronartigen Sitz darauf aussah. Darauf saß eine violett leuchtende Erscheinung, wie er sie schon einige Male hatte ansehen dürfen oder müssen. Es war kein gewöhnliches Geisterwesen, sondern eine transvitale Entität. Doch diese unterschied sich von denen, die er schon kannte. Sie war vier Meter groß, kugelbäuchig und besaß sechs lange, dünne Arme. Der Oberkörper war flach wie ein Bügelbrett, was bedeuten mochte, dass das magische Wesen männlichen Geschlechts war. Neben den sechs Armen waren die drei Köpfe auffällig, die aus einem einzigen Halsentsprossen wie bei einer Runespor-Schlange. Die Köpfe waren so wie bei anderen Menschen auch, nur dass sie völlig haarlos waren. Die Augen waren vergrößert und glommen um einiges heller als die restliche Erscheinung. Julius brauchte Goldschweif nicht, um zu wissen, dass er den Hüter dieser unterirdischen Anlage vor sich hatte. Jetzt wusste er auch, warum dieser immer mit einer dreifachen Stimme gesprochen hatte.
Seine eigene Logik und Felix Felicis geboten ihm jedoch, nicht zu lange auf die befremdliche Entität zu blicken, weil die schwarzen Kacheln blutrot zu schimmern begannen. Julius dachte an alle seine sechs Kinder, von Aurore über Chrysope, Clarimonde, Félix Richard Roland bis Flavine und Fylla, als er den Mondfeuerzauber mit dem Neumondlicht kombinierte. Unvermittelt entstand über ihm eine dunkelgraue Kugel, aus der silberne Funken auf die schwarzen Kacheln überschlugen. Wo sie trafen erlosch der blutrote Schimmer. "Keine Sonnenzauber", sagte Julius, als er sah, wie die violette Entität auf ihrem Krakenthron die anfliegenden Funken wegschlug wie lästige Insekten.
"Fleischling, wie kannst du es wagen, in dieser Halle der Einberufenen diesen verächtlichen Zauber neuen Lebens zu rufen. Fort damit!" blafften die drei Köpfe völlig simultan, während auch die letzte schwarze Kachel von silbernen Funken getroffen und somit blockiert wurde.
"Du bist der Hüter?" fragte Julius. Die dreiköpfige Entität bejahte es. "Ja, und du bist der vorwitzige Lebendige, der sich anmaßt, das Erbe des Meisters zu schmähen. Du kannst es und mich nicht besiegen. Also lass alle Schilde fallen und ergib dich der Einberufung! Es sind noch genug Wohnsteine frei."
"Danke, nein. Ich bin hier, um die uns anwidernde Vorrichtung anzuhalten", sagte Julius frei heraus. Warum sollte er jetzt auch heucheln, wie toll diese Anlage war?
"Nimm diesen verwerflichen Lebensmondzauber zurück. Er beleidigt mich und meine Diener."
"Öhm, geht jetzt nicht mehr, weil der Zauber solange wirkt, wie feindselige Geister in meiner Nähe sind und ich hier erst wieder weggehe, wenn ich das Herz des Seth wieder zum Schlafen gebracht habe. Es lockt unliebsame Wesen an, die es all zu gerne erobern möchten, weil sein Schöpfer und Besitzer nicht mehr da ist."
"Du wagst immer noch, mich zu belügen?" ereiferte sich die dreiköpfige Gestalt. "Seth kann nicht vergehen. Sein Mitternachtsauge ist unzerstörbar in der Nimmertagshöhle und kann jeden unterwerfen der es erblickt. Ich bin die Dreiheit der treuesten Diener, der drei zusammen in einem Schoß herangetragenen Brüder, vereint im Leben und durch die Gnade des Meisters über den Tod hinaus. Seth hat mich eingesetzt, als seinen Statthalter, seinen allerersten Diener, Hüter des Herzens, Lenker der Krieger des größten aller Götter, größer als Osiris und Ra, dessen Macht in diesem Raum nicht wirkt."
"Ich sage es noch einmal, Hüter des Herzens, Seth oder auch Iaxathan ist entmachtet worden. Eine seiner Dienerinnen hat sich über ihn erhoben und ihn aus seinem angeblich so unzerstörbaren Mitternachtsauge herausgelockt, worauf sich dieses selbst zerstört hat und so die Welt mit dunkler Kraft überflutet hat, dass alle Widersacher Seths erhoffen, sein Erbe anzutreten. Willst du, dass diese Vorrichtung solchen Feinden Seths in die Hände fällt?"
"Du kennst den wahren Namen des Meisters", erschauerten die drei Köpfe, und die mittleren Arme der Entität machten eine zurückweisende Geste. Julius ritt wieder ein golden sprudelnder Frechheitswichtel als er sagte: "Ja, und wie du weißt dürfen nur die treuesten Diener des Meisters dessen Namen kennen, um ihn direkt zu rufen. Oder woher denkst du, sein Statthalter, warum ich weiß, was ihm geschah, lange bevor du wiedererwacht bist?"
"Wenn du einer seiner treuen Diener wärest hättest du nicht mit der Kraft des Ra gegen meine Diener gefochten. Du sprichst mit der Zunge von Apep."
"Der Sonnenvater kann nicht nur Licht und Leben spenden, sondern auch das Feuer der Zerstörung und den Tod bringen. Die wahren Diener wissen das längst alle. Doch als das Herz des Seth wieder zu schlagen begann erwachte die Begehrlichkeit, sowohl bei der sich zur Göttin aller Nachtkinder aufschwingenden, wie auch bei allen jetztzeitigen Zauberinnen und zauberern, die all zu gerne Seths wahre Macht auf Erden unterwerfen wollen. Eigentlich wollte ich friedlich mit dir unterhandeln. Doch du hast mir gleich alle Verteidiger dieser Anlage auf den Hals geschickt. Ich musste sie niederkämpfen, um dich zur Einsicht zu bringen. Jetzt fehlen sie, wenn die wahren Feinde herkommen, die Königin der schwarzen Schattengeister, die Diener der sich zur Göttin der Nachtkinder erklärenden, die den Meister niedergerungen und wohl in sich hineingeschlungen hat wie Apep die Seelen der mutlosen."
"Ich werde das Herz nicht anhalten. Es muss schlagen, seinen unhörbaren Ruf in die Welt senden, Hass und Tötungslust in die Seelen der Lebendigen treiben und die letzte Schlacht der Welt verkünden und begleiten, damit Seths Wille obsiegt", sprach die dreiköpfige Entität. "Wenn du einer der Diener des Meisters bist, so leg den verwerflichen Zierrat ab, der deine Gedanken vor seinem Wort schützt und bekenne dich bar jeder zauberischen Verhüllung zu ihm, dem Meister."
"Er ist nicht mehr da, Hüter des Herzens", wiederholte Julius. "Und meinen Schild gegen gedankliche Belauschung halte ich genauso aufrecht wie den Schutz meines Atems vor dieser dunkelgrauen Erbsensuppe, die wohl meinen Willen schwächen soll, damit du meinen Körper zu einem willfährigen Werkzeug machen kannst. Nein, der mir anvertraute Schutz bleibt an mir und in Kraft", erwiderte Julius und verstärkte das Lied des inneren Friedens.
"Der Atem des Seth in diesem Raum hat dich trotz deines Gedankenschutzes als seinen Feind erkannt. Doch weil du die Tür öffnen kontest und den wahren Namen des großen Gottes kennst bedeutet das, dass du von Seths erbitterter Todfeindin, der Erbin der Lichtkönigin, entsandt worden sein musst. So werde entweder freiwillig Seths Diener oder erleide einen qualvollen Tod durch meine Hand. Denn deine Lebensmondfunken können mir nichts anhaben. Sie fallen mir nur lästig wie vom Kuhmist zehrende Schmeißfliegen. Also weg damit und her mit deinem Ka!"
"Mein Ka gehört mir und wird nach meinem körperlichen Ende in friedliche Gefilde einkehren", sagte Julius unerwartet ruhig. Sein Trick, als Sethdiener aufzutreten hatte nicht geklappt, trotz Felix Felicis. Oder hatte er diese Lüge nur deshalb aufgetischt, um Zeit zu gewinnen? Ja, das war es wohl. Denn gerade verschwand der rest des grauen Nebels aus dem Raum, und die Feuermondfunken flogen noch häufiger umher. Vor allem luden sie wohl die ganze Zeit seinen Mondschild nach. Denn dieser erstrahlte immer heller und ausladender. Das hatten ihm die Totgesagten auch nicht verraten, dass das Mondfeuer Mondschilde nachladen konnte.
"Wenn du das Herz nicht anhältst, Statthalter eines gestürzten und verschlungenen Gottes, so werde ich das tun", sagte Julius, während die Entität sich vorbeugte. Julius blieb vorsorglich aus der Reichweite der neun Krakenarme, die bis jetzt wie exotische Stuhlbeine wirkten. Doch ihm schwante, dass diese Obsidiantentakel bei Bedarf ein höchst unangenehmes Eigenleben haben mochten.
"Seth soll verschlungen worden sein? Dann verschlinge ich dich jetzt und mache mir dein Ka zu eigen", schnaubten die drei Köpfe gleichzeitig. Julius war sich absolut sicher, dass die Entität diese Ankündigung wahrmachen konnte. Er wusste, das transvitale Entitäten lebende Menschen einschrumpfen und/oder in sich aufnehmen konnten, wenn sie mächtig genug waren. Und der da war aus drei Seelen zusammengefügt worden, nur nicht so vollkommen wie Pentaia oder Ammayamiria. Pentaia war durch den Fluchumkehrer entstanden, während Ammayamiria durch die Magie einer anderen, noch mächtigeren TVE entstanden war.
Julius zielte schnell nach oben zur dunkelgrauen Sphäre und stellte sich vor, wie er im Licht des Vollmondes wilde Liebe mit seiner Frau machte. Dabei rief er: "Expecto Patronum!" Gerade als die violette Entität ihn zu ergreifen versuchte brach aus Julius Zauberstab eine gewaltige silberweiße Erscheinung hervor, erst ein gehörnter Kopf, dann Vorderhand und Beine und dann der restliche Körper einer Riesenkuh mit Flügeln. Die Erscheinung wurde sofort von silberweißen Funken aus der grauen Sphäre überschüttet und erstrahlte, während sie der gegnerischen Entität die gebogenen Hörner entgegenrammte. Goldschweif jaulte, wohl wegen magischer Sinnesüberreizung. Dann sahen beide, wie die violette Entität gegen die getäfelte Wand geschleudert wurde. Die Temmie-Patrona, strahlend weiß und konturscharf, nagelte den dreifachen Bruder förmlich an die Wand. Er versuchte wohl mit Zaubergesten dagegen anzukämpfen. Doch alle seine Mühen wurden von der nun im Takt von Julius' Herzschlag pulsierenden Mondkraftsphäre geschluckt und als silberweiße Mondfeuerfunken wieder ausgestoßen. Je mehr sich der dreifache Bruder gegen die ihn festhaltende Patronus-Version von Temmie wehrte, desto mehr Mondfeuerfunken entstanden. Wo sie den Patronus oder den Mondschild trafen luden sie diesen mehr und mehr nach. Wo sie auf den nun unbeweglichen Statthalter trafen brachten sie ihn zum Flackern. Dabei sah Julius, dass violette Funken aus dem Krakenthron flogenund zu der violetten Entität hinüberstoben. Also lud der Trhon den Dreiköpfigen nach, wie die Mondkraftsphäre den Patronus. Im Moment war es unglaublicherweise so, dass die Mondkraft stärker war, aber wohl deshalb, weil die silbernen Funken auf eine große Fläche auftreffen konnten. "Temmie, den Thron bedecken!" rief Julius seiner Patrona zu. Doch der Thron erwachte wie schon zu befürchten war zu einem Eigenleben. Die neun Tentakel hoben ihn an und trugen ihn mit steigender Geschwindigkeit auf Julius zu. Dieser argwöhnte, gleich von mindestens zwei Fangarmen umschlungen und dann wohl ausgezehrt zu werden. Er hatte jetzt nur noch die Tür hinter sich. Etwas verriet ihm, dass er die trotz Mondschild nicht berühren sollte. So sprang er gerade noch rechtzeitig zur Seite und duckte sich unter zwei auf ihn zuzischenden Fangarmen weg. Da kam ihm die Idee, denselben Trick wie damals bei den beiden goldenen Dienerinnen von Kallergos anzuwenden, welchen Laurentine beim trimagischen Turnier auch gegen ein anderes Krakenmonster verwendet hatte. Er tanzte gleich drei ihm entgegenfliegende Fangarme aus und zielte dabei wie zufällig unter den runden Körper. "Deterrestris Maxima!" rief er. Unvermittelt löste sich das Zwischending zwischen Riesenkrake und Königsthron vom Boden und schnellte gegen die Decke. Alle neun Arme wurden von der Wirkung des Schwerkraftumkehrzaubers an die Decke gedrückt. Zwar kämpfte das Gebilde darum, wieder nach unten zu kommen, schaffte aber immer nur fünf Meter, bevor es wieder nach oben gehoben wurde.
"So sei mein Vergehen Seths endgültiger Triumph!" rief die an die Wand gedrängte Entität mit merkwürdig auf-und abschwingender Dreifachstimme. Da begriff Julius. Die Verbindung zwischen der Entität und dem Krakentrhon hielt das Herz des Seth in Gang. Wurde die Verbindung unterbrochen oder völlig zerstört zerstörte sich wohl auch die ganze teuflische Installation aus dem Altertum. Andererseits hatte Julius seit seinem Abenteuer mit dem Superdibbuk Otschungu einige weitere Zauber studiert, um Geisterwesen in ihren Ankergegenständen oder materiellen Foki einzusperren, je nach eigener Mächtigkeit zwischen einem Tag und bis wieder wer so blöd war, die dunkle Seele aufzuwecken. Deshalb zielte er jetzt von unten gegen den sich von der Decke abstoßenden Krakenthron und sang die Beschwörungsformel aus dem babylonischen Kulturkreis herunter, als habe er sie schon hundertmal verwendet. "Heh, was machst du?!" rief der Statthalter mit immer schwächerer Dreifachstimme. Dann bekam dieser mit, was Julius machte.
Die violette Erscheinungsform zerstob innerhalb zweier Atemzüge und flog als ungeordnete Funkenwolke nach oben und in den krakenartigen Körper hinein. Dieser erglühte für einige Sekunden im selben violetten Licht. Julius war sicher, dass sein Einkerkerungszauber nur den einen Tag vorhalten würde. Dann hörte er eine blubbernde Stimme von der Decke her:
"Du hast mich geschwächt und mit dem Thron des Statthalters verschmolzen, Bursche. Aber dafür werde ich nun den gesammelten Hass und die gesammelte Tötungsfreude aus Seths Herzen in die Welt bringen. Und du kannst nichts mehr dagegen tun." Mit diesen Worten verschwand das krakenförmige Artefakt mit lautem Knall.
"Julius, folge ihm mit Goldschweif und meiner Nachbildung!" hörte er leise und ohne üblichen Nachhall Temmies celloartige Gedankenstimme in seinem Geist. Hatte sie ihn bisher überwacht? Das war jetzt erst einmal unwichtig. Wichtig war, dass er die Vernichtungsschaltung aufhalten musste. Aber wie konnte er das? Die Tür war zu und ließ sich garantiert nicht aufzaubern. Apparieren konnte er auch vergessen, weil er dann ebenso todsicher in einer Locattractus-Falle landen würde. Wie sollte die Nachbildung ... Hubert Rauhfels! Der hatte seinen Patronus damals dazu gebracht, ihn zu verschlucken und so vor den verbliebenen Nachtschatten zu beschützen. So rief er: "Temmie, schluck mich und Goldschweif runter und bring uns dahin, wo ich dich hinleite!"
Unvermittelt wuchs die von den Mondfeuerfunken gespeiste Nachbildung Temmies. Julius sprang ihr entgegen und rutschte fast ohne anzustoßen in ihr Maul und landete keine drei Sekunden später in einer völlig organ- und knochenlosen Leibeshöhle. Goldschweif fing unermittelt an wie während einer Rolligkeit zu maunzen. Er hörte "Schönes Sein, schöne Stimmung. Bin sehr gerne hier."
DIESES VON MITTERNACHTSKRAFT GETRÄNKTE BAUWERK UNTER DER ERDE HAT IHN VON MIR ABGETRENNT. ICH HATTE RICHTIG VIEL ANGST, DASS ER LÄNGST UMKAM. DOCH ALS ER SEINE MIR NACHEMPFUNDENE INNERE BESCHÜTZERIN HERVORRIEF BEKAM ICH WIEDER VERBINDUNG MIT IHM. ES WAR SCHWER, DOCH ICH KONNTE IHM ZURUFEN, WAS ER TUN SOLL. JULIUS KANN GOLDSCHWEIFS TIERHAFTES inneres Selbst MIT MEINER NACHBILDUNG VEREINEN. ICH RUFE IHM DURCH DIE BESTEHENDEN STÖRUNGEN ZU, DASS ER IHREN KÖRPER ABLEGEN SOLL. ER TUT ES. JA, DIE VERBINDUNG ZWISCHEN UNS DREIEN REICHT. DIE NACHBILDUNG VON MIR ERFASST, WO DER HAUPTFEIND IST UND DURCHDRINGT DIE FESTEN HINDERNISSE. DIE AUFLADUNG MIT MONDKRAFT HAT SIE SO STARK GEMACHT, DASS SIE SELBST DURCH DIE MITTERNÄCHTIGE BARRIERE IN DER TÜR DRINGEN UND AUCH DURCH ALLE DAMIT GETRÄNKTEN BODENSTEINE TAUCHEN KANN. DER GLÜCKSTRANK VON JULIUS, DIE GOLDBLÜTENHONIGFLASCHE UND GOLDSCHWEIFS BESONDERER MIT IHM UND MIR GLEICHERMAßEN VERBUNDENER SPÜRSINN HELFEN MEINER NACHBILDUNG, IHREN WEG ZU FINDEN.
Julius hatte das bisher noch nie erlebt. Seine eigene Patrona hatte ihn lebendig verschlungen. Dann hatte er die wie im Liebesrausch maunzende Goldschweif auf den silberweißen Boden ihrer Leibeshöhle abgelegt. Sofort danach war die mächtige Nachbildung Temmies losgeprescht, durch die Tür, die dabei ein bedrohliches Brummen von sich gab und dann durch mindestens drei Böden hindurch nach unten. Mit irrwitziger Geschwindigkeit jagte die silberweiße Riesenkuh durch weitere Gänge, wobei die darin lauernden Fallen zu spät auslösten oder schlicht weg durchbrochen wurden. Hätte Julius das vorher gewusst ...
Durch Goldschweifs Berührung wusste die Patronus-Version von Artemis vom grünen Rain, wo der Endgegner war. Denn nach unzähligen Abbiegungen, wobei immer etwas versuchte, die Patrona zu bremsen, durchdrangen sie eine drei Meter dicke Wand, aus der Blitze und Funken auf die Patrona überschlugen, jedoch von ihr abglitten. Dann spie ihn die Patronus-Temmie wieder aus. Goldschweif blieb jedoch in ihr zurück. Er wollte schon rufen, dass sie die Knieselin auch freigeben sollte. Doch das empfand er irgendwie als gerade nicht angebracht. So sah er, wie die Patrona auf die Größe eines gewöhnlichen Hausrindes zusammenschrumpfte, dabei jedoch weiterhin silberweiß erstrahlte. Seit wann hatten Patroni solche Sachen drauf? Oder wurde die Temmie-Erscheinung von wem anderen ferngesteuert, von ihm oder Goldschweif? Er verdrängte die Frage, weil er hier und jetzt im Zentrum des Verderbens war und alle Konzentration für das brauchte, was anstand.
Er stand in einem zylindrischen Raum, dessen Wände alle fünf Sekunden laut brummten und dann wieder verstummten. In diesem Raum standen neun große gläserne Behälter, die ihn an die Überdauerungszylinder der Altmeister erinnerten. Doch mit der Form hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Denn statt silberweißer Geistesessenz enthielten die neun aufrechtstehenden Walzenkörper eine tiefschwarze, ölartige Flüssigkeit. In dieser schwamm jeweils ein nackter Mann über zwanzig Jahren. an Kopf und Bauch waren spiralförmige Schläuche befestigt, durch die im Takt des Gebrumms in den Wänden eine dunkle Flüssigkeit gepumpt wurde. Julius dachte an das, was seine Mutter in New Orleans erlebt hatte und erkannte, dass wie bei Kanoras künstlich am Leben gehaltene Menschen das wortwörtliche Herzstück bildeten. Dann sah er den immer noch im Bann der Schwerkraftumkehr unter der Decke schwebenden Krakenthron. Die neun Arme versuchten wohl, die Oberseiten der neun Zylinder zu berühren. Julius folgte den verzweifelten Versuchen und erkannte jetzt erst die durchsichtigen Rohrleitungen, die unter der Decke und an den Wänden entlang verliefen. Durch sie wurde jene teerschwarze, ölige Flüssigkeit umgewälzt, die die Zylinder ausfüllte und wohl auch in die Körper der neun Gefangenen hinein- und herausgepumpt wurde. Und noch etwas verspürte Julius. Sein Lied des Inneren Friedens ließ nach. Denn das Gebrumm aus den Wänden wurde in seinem Kopf zu einem lauten Wutschrei, der ihn selbst mit unbändigem Zorn zu erfüllen drohte. Sofort sah er auf die auf Hausrindergröße zusammengeschrumpfte-Projektion. Doch er sah Goldschweif nicht. Er rief nach ihr. Wie aus einem Brunnenschacht kam die Antwort: "Mir geht es sehr sehr gut. Keine Angst." Es klang nicht nach Zorn oder Angriffslust. Deshalb hatte er die Patrona nicht angewiesen, auch Goldschweif wieder auszuspucken. Die verdichtete Patrona war der ideale Schutz für das magische Tierwesen in ihrem inneren.
"Willkommen im Herzen des Seth, schwacher Menschensohn!" blubberte die Stimme aus dem Krakenthron. "Wie ich erkenne hast du dein fallenkundiges Schoßtier verloren und vertraust auf eine Mondlichtkuh. Doch die wird bald unter den gleichmäßigen und kraftvollen Schlägen des großen Herzens zerfließen wie Fett im Brattopf."
"Du kannst den Schwebezauber nicht abschütteln, weil er dich dann erst gar nicht berührt hätte", widersprach Julius, der merkte, dass er selbst bereits immer wütender wurde. Doch die Wut wurde immer wieder abgeschwächt. Ja, es stimmte. Etwas pumpte Zorn und Hass in ihn hinein und aus ihm heraus, wohl um ihn zu verstärken und zu sammeln. Er dachte mit letzter Anstrengung das Lied des inneren Friedens. Endlich konnte er sich gegen die Beeinflussung stemmen. Doch wenn er nicht bald hier herauskam oder diesen Irssinssapparat stoppte war das nur ein kurzer Aufschub. Nein, er durfte jetzt keine Angst haben. Noch wirkte der Glückstrank in ihm. Noch konnte er folgerichtige Entscheidungen treffen. Da sah er, wie der Krakenthron von der Decke fiel. "So ging es", blubberte die künstliche Stimme, die scheinbar aus dem Thronsessel drang. "Jetzt werde ich die neun ausgelagerten Herzen wieder mit ihren Trägern vereinen und darüber die Schlagzahl des großen Herzens in unerträgliche Höhen treiben, bis es alle in ihm gebündelte Wut, Hassgefühle und Tötungslust freisetzt. Und du hast die Ehre, Zeuge von Seths großem Endsieg zu werden."
"Das heißt, die neun Menschen und die ihnen entrissenen Herzen leben noch?" fragte Julius unvermittelt ruhig.
"Ja, das tun sie. Und nur weil sie voneinander getrennt am Leben gehalten werden sammeln sie alle Wut und allen Hass, der auf dieser Welt erbrütet wird und verdichten ihn, bis er stofflich wird und weitere zerstörerische Gedanken und Gefühle in sich aufnehmen kann. Die große dunkle Woge, die vor einer mir nicht erfassbaren Zeit diese Anlage berührte und mich erwachen ließ, ohne handeln zu können, hat den Vorrat vervielfacht. Die Saat ist gereift, so werdet ihr nun ernten, was in all den Jahrtausenden gewachsen ist."
"Das du dich da mal nicht ganz gründlich irrst", dachte Julius und zielte auf einen der neun Arme, der gerade anstalten machte, einen bestimmten Zylinder zu berühren. "Lentavita! Lentavita! Lentavita!" rief er. Unmittelbar danach erstarrte der Fangarm, ohne den Zylinder zu berühren. Julius zielte auf den ganzen Krakenkörper und rief wieder "Lentavita!" Der schwarze Krakenthron versuchte, auszuweichen. Doch da erlahmten bereits die verbliebenen acht Arme. Julius belegte den Krakenthron noch einmal und noch einmal mit dem Verlangsamungszauber. Jetzt stand der Krakenkörper starr auf acht der neun Tentakelenden. Der neunte Arm war noch in einer geschlängelten Haltung auf einen der Zylinder gerichtet. Julius Latierre zielte nun auf jeden der Zylinder und wiederholzauberte. Doch diesmal erzielte er keine Wirkung, wohl weil die ölige Flüssigkeit im Zylinder die Lebensverzögerungsmagie schluckte. Dann fiel ihm was anderes ein. Erst einmal verstärkte er das Lied des inneren Friedens. Dann berührte er den ersten Zylinder direkt mit dem Zauberstab und wirkte das Lied des dauerhaften Schlafes. Das gelang offenbar, denn das Pulsieren der Verbindungsschläuche verlangsamte sich, und die teerartige Flüssigkeit erstarrte wie hart werdender Straßenbelag. So wiederholzauberte er am zweiten Zylinder und erzielte in nur zwei Sekunden die gleiche Wirkung wie beim ersten. So schaffte er es auch beim dritten Zylinder.
Er wollte gerade den vierten anzielen, als aus dem erstarrten Krakenartefakt violette Funken drangen. Julius wusste sofort, was das hieß.
"Wärest du darauf gekommen, dass künstlich am Leben gehaltene Herzen mit dem Verzögerungszauber erstarrt werden können, Iaighedona?" fragte Kaliamadra.
"Muss der Glückstrank sein, den der Junge geschluckt hat", grummelte Iaighedona. "Ja, aber der kann nur erfolgreich verstärken, was dem Trinkenden naheliegend erfolgversprechend erscheint oder die eigene Körpergewandtheit und Abstimmung steigern", widersprach Kaliamadra. "Wenn er diesen Zauber nicht gekannt hätte wäre er sicher nicht darauf verfallen, dass er lebende Organe verlangsamen kann. Oh, er will jetzt die mit flüssiger Zerstörungslust gefüllten Behälter als Dauerschlafkammern bezaubern. Das könnte gelingen. Oha, der gefangene Wächtergeist drängt aus seinem Kerker", sagte Kaliamadra.
"Du wirst mich nicht daran hindern, meinen letzten Befehl auszuführen, bevor ich mit allem hier über die Weltenbrücke in das gelobte Land der völligen Freiheit hinübergehen werde, wo ich die von aller Wut und allem Hass getriebenen Seelen begrüßen darf, die Seths Herz auf die Reise schickt. Mit ihnen werde ich dann Seths nächsten Sieg erstreiten, die Eroberung der Lichtgefilde und das Reich der ungesäten Seelen. Dann wird die alles endende Nacht herrschen, in der wir dann alle erfreut aufgehen dürfen", freute sich der immer mehr aus dem erstarrten Krakenartefakt entsteigende Dreiköpfige. "Eigentlich hatte ich vor, dich unwissend und ohne vorwarnung in die Woge der freiwerdenden Zerstörungswut hineingeraten zu lassen. Aber wo du hier bist wirst du mir helfen. Ich werde dich hier, wo keine andere Macht als die Seths wirkt, in mich aufnehmen und zu einem Teil von mir werden lassen."
"Wenn hier nur Seths Macht wirkt, wieso kannst du deinen Krakenkörper nicht mehr bewegen und musstest aus ihm herausschlüpfen?" fragte Julius. "Und wieso erstarrt dieses teerartige Gebräu in den Zylindern eins bis drei zu einer steinharten Form?" Julius deutete auf die ersten bezauberten Zylinder. Diese wirkten nun wirklich wie mit pechschwarzem Gestein gefüllt. Darin waren die Körper der bedauernswerten Menschen eingebacken wie Urzeitbienen in Bernstein. Das Pulsieren der jeweils zwei Schläuche hatte aufgehört. Zugleich brummte es langsamer und unsteter.
"Was?! Oh Nein!" ereiferte sich die dreiköpfige Entität. "Wenn ich deinen Geist verschlungen habe werde ich diesen verwerflichen Erstarrungszauber wieder aufheben. Komm her!" rief der dreifache Bruder und stürzte sich auf Julius Latierre.
Sie hatte es versucht und nicht geschafft. Da sie noch stillte wollte sie auch keinen Schlaftrank einnehmen. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um ihren geliebten Mann Julius. Hoffentlich kam er bald wieder, gesund an Leib und Seele. Falls nicht, sollte sie dann Ashtaria oder Ammayamiria deswegen anklagen? Es würde eh nichts bringen, dachte Millie Latierre. Da hörte sie Temmies Gedankenstimme in sich:
"Er ist dem Herzen des Unheils nun so nahe, dass ich nicht weiß, ob er es übersteht, Mildrid. Sei dir bitte gewiss, dass ich mit dir fühle und weiterhin versuchen werde, ihm beizustehen."
"Kannst du mir ein Bild zeigen, wo dieses Herz des Seth liegt. Ich kann mit dem Kleid dahin, ohne Angst vor Locattractus-Fallen oder dergleichen."
"Das würde ich dir jetzt nicht raten, weil die Kraftströme dort immer stärker werden. Da kann dich Kailishaias Kleid nicht vor schützen. Und wenn du daran denkst mit Faiyandria dort einzudringen wirst du genau das erreichen, was Iaxathan immer schon erreichen wollte, nämlich den letzten, tödlichen Aufruhr der Erde. So bedauerlich es ist, Millie, du und ich können gerade nur warten und hoffen."
"Was meinst du mit letztem Aufruhr?" wollte Millie wissen. Temmie erklärte es ihr. Daraufhin erbleichte die fünffache Mutter. Doch dann fragte sie, warum es nicht schon vor Jahrtausenden geschehen war, wo dieses sogenannte Herz des Seth erschaffen worden war. "Weil die Menge der dazu nötigen Wut und Mordlust damals noch nicht ausreichte. Das Herz musste über viele Jahrhunderte den Hass und die Todeswünsche der Umgebung einsammeln, um annähernd so mächtig zu werden. Außerdem hat es mehr als zweitausend Jahre stillgestanden, ohne weitere Hassgefühle und Mordgedanken zu verschlingen. Die dunkle Welle nach der Vernichtung von Iaxathans letzter Heimstatt dürfte aber nun den Vorrat so sehr vervielfacht haben, dass es nun die nötige Stärke hat."
"Und diese gesammelte Wut und Mordlust kann nicht kontrolliert abgelassen werden wie gebrauchtes Badewasser oder in einen anderen Zustand versetzt werden?"
"Nicht mehr bei dieser Menge, Millie. Jetzt müsste es wieder über ein Jahr lang von allen menschlichen Empfindungen abgeschnitten bleiben, um wieder einzuschlafen. Doch das ist wohl nicht mehr zu erhoffen."
"Ich weiß nicht, ob ich mehr Angst oder Wut haben soll, Temmie", gestand Millie der großen, gehörnten Vertrauten ein.
"Hege Hoffnung, Millie. Selbst als meine alte Heimat von einem unbändigen Krieg um Macht und Vorherrschaft zerstört wurde blieb noch genug Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sonst hätten die Mitternachtsfolger schon längst die Welt vernichtet." Dem konnte Millie nicht widersprechen. Zu gut war ihr noch bewusst, wie alle um das Leben von Harry Potter gebangt hatten, weil alle gehofft hatten, dass er den Unnennbaren besiegte. Ja, und diese Hoffnung hatte sich erfüllt. So musste sie hoffen, dass ihr Mann, der ein wesentlich stärkerer und umfassend gebildeterer Zauberer war als der damalige Harry Potter, auch mit Hilfe von Goldschweif und allen ihm mitgegebenen Hilfs- und Schutzzaubern aus dieser Gefahr herauskam.
Julius disapparierte, um gleich darauf nur zehn Meter entfernt zu apparieren. Das reichte jedoch, um dem Angriff der Entität zu entgehen. Den Trick konnte er nicht ständig bringen, weil das hier eine Locattractus-Falle war, wie er nun sicher wusste. Außerdem musste er schon wieder gegen einen aufkommenden Wutanfall ankämpfen. von seiner Zeit mit Madame Maximes Blut im Körper hatte er eine gewisse Übung darin, Zorneswallungen niederzuringen. Doch das würde Zeit kosten.
Gerade stieß der dreifache Bruder wieder auf ihn nieder, als Julius der Einfall kam, zwischen die neun aufgestellten Zylinder zu springen. Er warf sich nieder, als die Entität über ihm herabstieß .... und auf ein unsichtbares Hindernis prallte. Ein Wutschrei aus allen drei Mäulern zugleich erscholl. Julius verstärkte sofort das Lied des inneren Friedens.
"Du mutlose Maade, komm zwischen den Erhaltern raus!"
"Öhm, nein!" rief Julius. Denn jetzt wusste er, was Felix Felicis ihm eingegeben hatte. Die neun Behälter hier waren mit einem Abwehrzauber gegen körperlose Wesen abgesichert, womöglich auch, um die aus den Körper gelösten Seelen daran zu hindern, wieder in ihre angestammten Körper zurückzukehren. So hatten die das also gemacht. Sie hatten die Wirtskörper erst an Leib und Seele getrennt, die Seelen dann irgendwo eingekerkert und die Körper mit dunklem Zauber irgendwo zwischen Leben und Tod in Gang gehalten, als Hassgefühlsammler und -umwälzer. Womöglich blieben die entseelten Körper auch solange am Leben, wie ihre ausgelagerten Herzen schlagen konnten oder in einer Stasis erhalten blieben. Selbst die violette Entität konnte den Abwehrzauber über den Zylindern nicht durchdringen, solange sie nicht mit dem Krakentrhon verbunden war. Doch genau der war gerade außer Betrieb.
"Ich befehle dir, komm da raus!" riefen die drei Köpfe des Statthalters.
"Du hast mir nichts zu befehlen. Ich gehorche nur menschenfreundlichen Anweisungen, und du willst die ganze Menschheit auslöschen, weil ein durchgeknallter Irrsinniger dir das als einzig wahre Heilslehre verkauft hat", sagte Julius. Er sah noch einmal, wie der dreifache Bruder sich gegen die unsichtbare Absperrung warf. Dann dachte er daran, das eigentliche Vorhaben zu Ende zu bringen, nicht von außen, sondern von innerhalb des Neunerkreises. Drei Zylinder hatte er ja schon bezaubert.
Als er den vierten mit dem Dauerschlafzauber der Erdvertrauten belegt hatte sah er, wie die violette Entität in den erstarrten Krakenthronkörper zurückkehren wollte. Er war jedoch zuversichtlich, dass der Dreiköpfige diesen Körper nicht erneut gegen ihn lenken konnte. So bezauberte er Zylinder Nummer Fünf und sechs. Er bemerkte die damit geschaffene Veränderung. Das Brummen wurde leiser und dröhnte nicht mehr so sehr. Jeder weitere Zylinder, der erstarrte, verlangsamte den Fluss der dunklen Flüssigkeit in den Rohrleitungen. Ja, weil die neun nicht mehr synchron liefen geriet die Pumpvorrichtung durcheinander. Julius machte weiter.
"Nein, mein erster Quellkörper", rief die sich als Funkenstrom aus dem Krakenthron lösende Dreifachentität. Sie nahm gerade wieder ihre bisherige Form an, als die Flüssigkeit in Zylinder sieben erstarrte und zu einer pechschwarzen, steinharten Masse wurde. Gleichzeitig löste sich ein Kopf und ein Armpaar in eine Wolke langsam dahintrudelnder Funken auf. Was übrig blieb hatte nur noch zwei Köpfe und vier Arme und war am Bauch auch nicht mehr so rund. "Du Irrsinniger. Du wagst es, gegen die Gebote des höchsten aller Götter zu verstoßen. Dafür wird sein Fluch dich treffen", jammerten die zwei verbliebenen Köpfe, während der als Funkenwolke abgespaltene Teil in den neunarmigen Krakenkörper eindrang und darin verschwand. Julius vertat keine weitere Sekunde mit Nachgrübeln, warum genau das passierte. Er bezauberte den achten Zylinder, während die nun geschwächte TVE oder besser, die auf halbem Wege dazu verhungerte Entität erneut gegen die unsichtbare Barriere anstürmte, bis sich ein weiterer Teil von ihr ablöste und als Funkenwolke auf den Krakenthronkörper zutrieb und darin versickerte wie Landregen in trockenem Sand.
"Meine Brüder. Du hast mich von meinen Brüdern losgeschnitten, du erbärmlicher Wicht. Ich werde ..."
"Genauso schlafen wie die anderen", dachte Julius und bezauberte in aller Ruhe Zylinder Nummer neun. Das führte dazu, dass der nun als einfacher, violett flimmernder Geist mit einem Kopf und zwei Armen aussehende Rest des Statthalters ebenfalls zu einer langsam treibenden Funkenwolke auseinanderfiel und ganz langsam wie bei einer Zeitlupenaufnahme in den erstarrten Krakenkörper eindrang. In dem Moment erbebten der Boden und die Wände. Dann kam auch der letzte Rest der Umwälzung zum Stillstand. Julius bangte zehn volle Sekunden, dass gleich alles mit Getöse auseinanderfliegen und ihn in einer magischen Energieentladung zerfetzen würde. Doch nichts geschah. Nur wusste er auch, dass er nicht auf übliche Weise aus diesem an die hundert Meter hohen, von durchsichtigen Rohrleitungen ausgekleideten Raum flüchten konnte. Falls es hier irgendwo eine Tür gab, dann war die jetzt wohl fest verschlossen. Immerhin hatte das regelmäßige Gebrumm aufgehört, und er fühlte auch keine Vibration mehr in der Goldblütenhonigphiole. Der böse Zauber, der hier seit einigen Wochen zu neuem Dasein erwacht war, schlief nun wieder. Julius erkante nun auch, was den von ihm in magischen Überdauerungsschlaf gezauberten widerfahren war. Sie waren allesamt in Unlichtkristalle eingeschlossen worden, die jedoch nicht ihre zwölfseitige Würfelform annehmen konnten. Jedenfalls war das Material der Zylinder bruchsicher. Neun kristalline Zylinder mit ebenso erstarrtem Inhalt und etliche Kilometer Rohrleitung mit gleichartigem Inhalt waren das, was von Iaxathans Höllenmaschine im Titanenformat übriggeblieben war. Der Atomkrieg würde also nicht in wenigen Stunden stattfinden. Die Menschheit hatte eine neue Chance erhalten, die begangenen Fehler zu erkennen und zu berichtigen. Die Wut eines einzigen, hochgradig wahnhaften Geistes war wortwörtlich erstarrt.
Er wollte gerade darüber nachdenken, wie er hier wieder herauskam, als er fühlte, dass etwas bedrohliches auf ihn zujagte. Sofort fielen ihm die verbliebenen Blutgeister ein. Die waren noch eine große Gefahr für alle Menschen, wenn die es schafften, an die Oberfläche zu kommen. Julius versuchte, den Sonnennugget zu aktivieren. Doch das gelang nicht. Also wirkte hier unten auch eine Kraft gegen Sonnenzauber. Aber die Temmie-Patrona stand in ihrer geschrumpften Form immer noch konturscharf und silberweiß erstrahlend wie zwanzig Vollmonde da. Darin steckte Goldschweif sicher vor bösartigen Gefühlsbeeinflussungen.
Dann drangen die ersten Blutgeister zwischen den Rohrleitungen herein. "Er hat es angehalten. Frevler!" rief eine verwaschene Männerstimme. "Auf ihn!" brüllte ein Pulk von blutroten Rachegeistern.
Einige jagten auf die verkleinerte Patronus-Gestalt zu, die jedoch mit einem schnellen und weiten, ja schon katzenhaften Satz auswich und dann die Flügel ausspannte, um mit vorgereckten Hörnern in zwei Blutgeister zugleich hineinzustoßen. Diese schrien auf und flogen wie abgefeuerte Kanonenkugeln Richtung Wand davon. Geradeso flutschten sie zwischen zwei Rohrleitungen hindurch und verschwanden in der Wand. Daraufhin ließen die anderen von der fliegenden Patrona ab und gesellten sich zu denen, die Julius bestürmten.
Julius verwarf die Idee, die Sonnenkeule zu benutzen, weil hier ja nichts mit Sonnenzaubern ging. Ebenso empfahl es sich nicht, die Mondkraftkombination von vorhin zu nutzen, weil er sicher war, dass die silbernen Funken auch mit der hier materialisierten Bosheit wechselwirken würden. Dann fiel ihm ein, dass er seinen erneuerten Lebensauraverstärker noch nicht eingesetzt hatte, weil der ja Goldschweifs Fähigkeiten blockiert hätte. Das holte er nun nach und schob zudem noch eine zweite Goldblütenhonigphiole unter sein Hemd, die er in seinem Brustbeutel mittgeführt hatte. So ausgerüstet und das Lied des inneren Friedens anstimmend verlies er den nicht mehr lange sicheren Unterschlupf. Die Blutgeister meinten, ihn sofort erwischen zu können. Doch viele schraken bereits vor der verstärkten Lebensaura zurück. Wer es doch wagte, ihn frontal oder von oben oder hinten her anzuspringen prallte knisternd zurück. Zwei direkt von oben niedersausende Blutgeister wurden von der blitzartig dazwischenstoßenden Temmie-Projektion auf die Hörner genommen und wie ihre Artgenossen davon abgefeuert wie von Kanonen. Dabei prallten sie an ein dickes Hauptrohr unter der Decke und blieben daran haften. Drei weitere Geister flogen gegen die erkalteten Rohrleitungen. An diesen blieben Sie hängen wie Fliegen an einem Fliegenfänger. Sie erbebten und stießen ein verzerrtes Klagegeheul aus. Als weitere Artgenossen ihnen zu Hilfe kommen wollten blieben auch sie an den dunklen Rohren hängen oder blieben an den gefangenen Kameraden haften wie die Leute im Märchen von der goldenen Gans. Die erstarrte Zerstörungswut wirkte auf die Blutgeister wie ein superstarker Magnet, dessen Feld zwar nicht weit in den Raum reichte, aber dafür bei direkter Berührung unentrinnbar wurde.
"Es muss wieder schlagen, sonst sind wir nutzlos", krakehlte einer der Blutgeister und versuchte, Julius zu ergreifen. Dabei wurde auch er gegen eines der Rohre geschleudert und blieb hängen. Die Temmie-Patrona jagte derweil hereinfliegende Geister direkt gegen die an Wänden und unter der Decke verlaufenden Rohre, wo sie jammernd und klagend hängen blieben. Jetzt konnte Julius auch erkennen, dass die gefangenen Blutgeister immer mehr schrumpften. Obwohl die in den Rohren beförderte Substanz erstarrt war saugte sie offenbar noch die dunkle Magie aus den eingefangenen Dämonenwesen. Als die anderen das auch erkannten flüchteten sie laut schreiend aus dem trommelförmigen Riesenraum.
"Von hier weg komme ich wie ich hier hingekommen bin. Aber diese Blutgeister sind eine weitere Zeitbombe. Die Fokussteine", dachte er. Dann sah er die neben ihm landende Patronus-Temmie an. Auch wenn das Lied des inneren Friedens noch in ihm wirkte brauchte er ihr nichts zuzurufen. Sie wuchs von selbst wieder auf doppelte Ursprungsgröße und nahm Julius mit ihrem silberweiß leuchtenden Maul auf. Keine drei Sekunden später lag er neben Goldschweif auf einem warmen, weichen Widerstand. "Zum Raum, wo wir hergekommen sind!" rief Julius. Mit einem wie von zwanzig Kühen gleichzeitig ausgestoßenen Muuuuh flog die aus gutartiger Magie gemachte Beschützerin los und glitt zwischen Zwei der dünneren Rohre hindurch. Julius sa wieder dunkle Funken, die auf die halbdurchsichtige Patrona einprasselten, aber gleich zerstoben. Dann ging es viel schneller als vorher zum goldenen Würfelraum. Denn für die Patrona galten keine festen Hindernisse und offenbar auch keine Zauberfallen, sodass sie den geraden Weg nehmen konnte. Goldschweif atmete ruhig und gab keinen Laut von sich. Julius streichelte ihr über den geraden, völlig entspannten Rücken und hörte statt eines katzentypischen Schnurrens ein behagliches Schnauben der ihn und sie umschließenden Patrona. Wie mächtig diese beschworenen Helfer sein konnten hatte er bis dahin nicht gewusst, auch wenn er schon mehrfach Zeuge geworden war, wie sie ganze Zenturien von Dementoren verjagt hatten. Nur seine Uhr verriet, dass sie gerade neun Sekunden brauchten, um in den goldenen Würfelraum zurückzukehren. Ohne Anweisung würgte ihn die Patronus-Temmie wieder aus. Doch wieder behielt sie Goldschweif in sich und schrumpfte auf gewöhnliche Hausrindgröße zusammen. Julius wusste, dass er die silberweiße Erscheinung nicht fragen konnte, wie sie Goldschweif in sich zurückhalten konnte und warum. Es gab wichtigeres.
Er spürte, dass seine eigene Kraft vor dem Versiegen war. Offenbar zehrte die fortwährende Anwesenheit seiner Patrona von seinen körperlichen und geistigen Reserven. Doch er wollte die Blutgeistergefahr noch bannen. Sollte er wie bei Sardonia den Fluchumkehrer nutzen? Der würde diesmal nichts bringen, weil die Verstärkung durch Ashtharias Magie fehlte. Aber er konnte einen generellen Einkerkerungszauber auf alle in Hörweite befindlichen Geister ausführen.
"Kuckuck! Hier bin ich!" rief er. "Ja, und hier sind wir!" rief einer der hier verbliebenen Geister. "Du wirst sofort alles widerrufen, was das große Herz angehalten hat, oder wir werden erst deine Seele und dann all die deiner geliebten und vertrauten Mitgeschöpfe verschlingen."
"Echt jetzt?" fragte Julius. Der über dem ehemaligen Standort des Krakentrhons schwebende Blutgeist bestätigte das. "Dann kann ich das erst recht nicht, was ihr von mir wollt", entgegnete Julius. "Dann suchen wir eben neue Diener über dem Herzen", stießen mehrere Blutgeister aus. Das hatte Julius befürchtet. Deshalb beschwor er erneut die Kombination Neumondkugel und Mondfeuer. Das wirkte. Die hier versammelten Blutgeister wurden in ihre Fokustafeln zurückgedrängt. Alle anderen Blutgeister stürmten durch die kleinen Löcher in der Decke, wurden von der mit Goldblütenhonig verstärkten Lebensaura von Julius zurückgedrängt und dann wie alle anderen in ihren Fokustafeln eingesperrt. Erst als Julius fühlte, dass keiner der Blutgeister mehr frei herumflog hob er den kombinierten Mondzauber auf. Jetzt mochte er noch eine volle Minute haben, bis die eingesperrten Geisterwesen wieder freikamen. Doch er wirkte nun in jede der sechs Richtungen den Zauber "Spiritus sinister incarceratus in habitaculo selecto", eine aus dem arabischen Kulturkreis übernommene und in die Standardzaubersprachen Latein und Altgriechisch übersetzte Bannformel, die an bestimmte Orte oder Gegenstände gebundene Geister dazu zwang, mit diesen Gegenständen zu verschmelzen und bis zur Zerstörung dieser Gegenstände damit verbunden zu bleiben. Als er sicher war, jede der hier angebrachten Kacheln bezaubert zu haben sammelte er die Tafeln ein. Er fühlte dabei, wie die angehäufte Magie der Blutgeister die beiden Phiolen erbeben ließ. Doch er wollte auf Nummer Sicher gehen. Er löste jede der Tafeln von den goldenen Wänden und ordnete sie zu zwanzig Stapeln zu zehn Tafeln an. Dann apportierte er eine mit Eisen beschlagene Truhe, deren Aufenthaltsort ihm wohl Felix Felicis verraten hatte oder er einfach davon ausging, dass hier auch mal lebende Menschen gewohnt hatten. Jedenfalls verstaute er alle Tafeln darin. Dann wirkte er den Conservatempus-Zauber auf die Truhe und versiegelte sie zudem mit dem Zauber "Ewige Obhut" aus dem Erdmagiefundus des alten Reiches. Hierfür wählte er vier nur ihm vertraute Passwörter aus, die Namen von Madrashainorians Kindheitsfreunden. Jetzt konnte niemand mehr die Truhe öffnen, der diese vier Namen nicht kannte. Da die Tür weiterhin bombenfest verschlossen blieb kamen ab jetzt nur noch Leute mit dem Phönixfeuersprung hier herein oder auf dieselbe Weise wie Julius hereingekommen war. Er überlegte kurz, ob er die Patronus-Temmie verschwinden lassen konnte, um mit Goldschweif den mitgenommenen Portschlüssel zu verwenden. Da fiel ihm siedendheiß ein, das in den Wänden noch viel schwarze Magie steckte und Goldschweif womöglich davon beeinflusst werden konnte, sobald die schützende Patrona um sie herum verschwunden war. Außerdem hatte er gelernt, dass in völlig mit gold ausgekleideten Räumen keine Portschlüssel ausgelöst werden konnten, weil das Gold den Kontakt zur freien Erde und den Gestirnen behinderte. Vom trommelförmigen Raum aus wäre es wohl möglich, dachte Julius und erkannte, dass er dann genausogut mit der Temmie-Patrona an die Oberfläche zurückkehren konnte. Ja, er war zuversichtlich, dass seine eigene Ausdauer sie noch lange genug aufrechterhalten konnte. Draußen konnte er dann immer noch den eingesteckten Portschlüssel auslösen.
Die Patronus-Temmie wuchs ohne Befehl wieder auf die Doppelte Größe des Originaltieres. Julius wusste, dass das ihm die ganze Kraft nahm. Doch anders ging es nicht. Weil dieses mal keine echten Feinde in der Nähe waren musste sich Julius beeilen. "Verschling mich und bring mich so schnell du kannst möglichst weit von hier nach oben unter freien Himmel!" befahl er.
Langsam hatte er übung darin, sich von seiner mehr als elefantengroßen Patrona lebendig verschlucken zu lassen. Doch was jetzt wirklich neu war, die Patronus-Temmie stieß senkrecht durch die goldene Decke, vorbei an zu spät auslösenden Selbstschussanlagen, durch weitere Decken und dann durch massives Gestein nach oben. Julius spürte mit seinem trainierten Gespür für das Erdmagnetfeld, dass die Patronus-Temmie in einem 45-Grad-Winkel aufstieg, wodurch sie mit jedem Höhenmeter auch einen Meter Abstand zum Ausgangsort gewann. Es dauerte nur dreißig Sekunden, da durchstieß die silberweiße Erscheinung mit ihren beiden Passagieren die Erdoberfläche und raste mit schnell schlagenden Flügeln noch drei Kilometer weiter, bis sie landete und unvermittelt um Julius und Goldschweif herum verschwand. Ihr Auftrag war erfüllt. Er nahm die leicht wimmernde Knieselkätzin in die Arme und streichelte sie. Dann sagte er, dass sie jetzt ganz schnell wieder nach Hause reisen würden. Goldschweif murrte, dass sie den Weg durch das dunkle, alles zusammendrückende Zeug nicht mochte. Julius wusste nicht, ob es sie beruhigte, dass er einen anderen Weg nehmen würde. Dann rief er laut: "Energie!"
Für eine volle Sekunde strahlte eine blaue Lichtspirale auf. Als diese erlosch rotierte nur noch eine mannshohe Staubspirale über dem Punkt, an dem Julius mit Goldschweif gerade noch gestanden hatte.
Ui, es ist vorbei. Temmie hat mich wieder aus sich herausgelassen, obwohl wir so gut zusammen geklungen haben. Jetzt weiß ich, warum sie es liebtt, zu fliegen. Jetzt weiß ich, dass sie Julius genauso liebt wie ich, auch wenn sie von ihm keine Jungen bekommen kann, genau wie ich. Das war richtig schön und hat mir mehr Freude gemacht als zwanzig ausgelebte Liebesstimmungen hintereinander. Wir waren eins. Wir konnten Julius helfen. Ich konnte machen, dass Temmie bei ihm blieb, solange ich in ihr drin war. Jetzt sind wir wieder am Apfelhaus. Ich bin ein wenig traurig, weil ich nicht mehr bei Temmie bin. Irgendwie fehlt mir da was. Doch dann merke ich, dass ich durch das in ihr drin in die Stimmung gekommen bin. Wo ist Dusty? Ich geh ihn suchen, bevor das herrliche Gefühl wieder weg ist. Oh, der soll mir gleich zehn neue Klopfer in den Bauch legen, wenn er dafür so lange mit mir zusammenbleiben kann, wie ich das gerade will.
DER LEUCHTENDE BESCHÜTZER, DEN AUCH MEINE FRÜHEREN MITMENSCHEN KANNTEN, IST EIN NOCH KRAFTVOLLERES HILFSMITTEL ALS ICH JE GEDACHT HABE. DADURCH KONNTE ICH MIT JULIUS IN VERBINDUNG TRETEN UND IHM HELFEN. JA, UND WEIL ER ZU DIESEM KATZENWESEN GOLDSCHWEIF EINE ÄHNLICHE VERSTÄNDIGUNGSVERBINDUNG WIE ZU MIR HAT HALF ER MIR, DER LEBENDEN URSPRUNGS-TEMMIE, MIT IHREM TIERHAFTEN INNEREN SELBST VERBINDUNG ZU KNÜPFEN. DA IHR INNERES SELBST ZWAR EINE HOHE AUFFASSUNGSGABE HAT ABER TROTZ HERAUSRAGENDEM ZAUBERKRAFTSPÜRSINN NICHT MIT MEINEM INNEREN SELBST GLEICHHALTEN KANN ÜBERNAHM ICH SIE UNFREIWILLIG. DAS WAR BEÄNGSTIGEND UND BEGLÜCKEND ZUGLEICH. DENN JETZT WEIß ICH, WIE SICH JULIUS GEFÜHLT HAT, ALS SEIN INNERES SELBST EINMAL IN DIESEM KÖRPER GESTECKT HAT. GOLDSCHWEIF UND ICH KONNTEN MEINE BERUFENE NACHBILDUNG AUS GUTARTIGER KRAFT DER FREUDE UND DES LEBENS SICHER LENKEN UND AM ORT HALTEN, SOLANGE SIE GEBRAUCHT WURDE. DAS WAR AUCH GANZ WICHTIG, WEIL GOLDSCHWEIF DADURCH VOR DEN BÖSEN WOGEN AUS DER VERWERFLICHEN VORRICHTUNG MEINES TODFEINDES BESCHÜTZT WURDE. DOCH ALS WIR WIEDER WEIT GENUG VON IAXATHANS GANZ BÖSER VORRICHTUNG GELANDET SIND WAR MEINE NACHBILDUNG NICHT MEHR NÖTIG. ICH HABE NOCH GESPÜRT, WIE GOLDSCHWEIF GANZ TRAURIG WURDE, WEIL ICH DIE FÜR UNS BEIDE HILFREICHE UND BEGLÜCKENDE VEREINIGUNG BEENDET HABE. ABER SIE LEBT IHR LEBEN UND ICH MEINES.
Julius wollte sich noch einmal für eine Denkariumssitzung mit Ausdauer aufladen, bevor er sich auf den regulären Arbeitstag vorbereitete. Seine Uhr zeigte fünf Uhr morgens, als er Goldschweif nachblickte, die mit leicht schwingendem Hinterteil davoneilte. Er hatte von ihr gehört, dass sie wohl durch diese besondere zeitweilige Symbiose mit der Patronus-Temmie vorzeitig in Fortpflanzungsstimmung gekommen war. Wehe dem Kater, den sie fand, dachte Julius.
Béatrice beaufsichtigte ihn, während er Dank Ashtarias lebensbejahendem Segen nur zehn Sekunden brauchte, um die fast verbrauchte Tagesausdauer vollständig aufzufrischen. "Auch gut zu wissen, dass wenn ich mal todmüde bin ich nur hierherkommen muss um mich schlagartig wieder aufzuladen", sagte er. Béatrice meinte dazu, dass er aber sicher die Grundsubstanz für künftiges Leben anzapfte, das in der Erde ruhte. Er nickte. So ähnlich hatten es Madrashainorians Lehrmeister auch erklärt, warum Erdvertraute das nicht andauernd so machen sollten. So legte er nach: "Außerdem, so hat Madrashainorian gelernt, brauchen alle Menschen einmal während einer Erddrehung ihren Traumschlaf. Das deckt sich ja auch mit den Heilererkenntnissen, die ich mitbekommen durfte."
"Ja, das ist auch richtig. Und nachdem du einen realen Albtraum durchgemacht hast solltest du am Abend des Tages, der gerade anbricht, früher ins Bett gehen, am besten zusammen mit Chrysope."
"Öhm, ich soll mich mit Chrysie in ein Bett legen? Da passe ich doch gar nicht rein", erwiderte Julius. Béatrice knuffte ihn dafür in die Seite und schnarrte: "Frecher Bursche. Nein, du sollst nicht mit deiner Tochter Chrysope ins gleiche Bett gehen, sondern zur gleichen Zeit wie sie. Und das ist jetzt eine unmissverständliche Heileranweisung, Monsieur Latierre. Wir alle sind froh, dass du wieder da bist. Wahnsinnig werden musst du jetzt auch nicht mehr.""Wollen wir hoffen, dass Ashtaria mich nicht doch noch in eine völlige Irrsinnssache reintreibt. Die gerade eben war ja schon heftig genug. Ohne die ganzen Hilfsmittel und ohne Millie, Temmie und Goldschweif wäre ich da womöglich nicht lebend rausgekommen oder wirklichwahnsinnig geworden", gestand Julius ein.
Er lagerte noch alle wichtigen Erlebnisse der Nacht in das familieneigene Denkarium aus. Dann ging er in sich und lauschte, ob er dem stillen Dienst von seiner heimlichen Mission berichten durfte. Immerhin bestand noch die Gefahr, dass die neun schlafenden Diener des Seth von irgendwem irgendwann wiedererweckt werden konnten und damit auch der Statthalter wieder aktiv wurde. Dann fiel ihm ein, dass Millie mit ihrem Kleid und Catherine in den trommelförmigen Umwälzraum hinunterspringen könnten, weil der Feuersprung nicht von einem Locattractus-Zauber beeinflusst werden konnte. Aber was sollten sie dort machen? Selbst Felix Felicis gab ihm darauf im Moment keine Antwort außer, den stillen Dienst zu informieren. Gleichzeitig empfand er Zuversicht, dass Ashtaria ihm das nicht verbieten würde, wenn er sicherstellte, dass außer dem Kreis der Eingeweihten keiner erfuhr, was er angestellt hatte.
Deshalb kopierte er erneut die Erinnerungen an seine Erlebnisse, um sie in einer großen Kristallphiole zu lagern. Er dachte dann an das teerartige Unwesen Armus aus der zweiten Star-Trek-Serie, das der eigenen Aussage nach aus abgesonderter Bosheit entstanden war und dazu verdammt war, einsam auf dem von seinen Bewohnern verlassenen Planeten zu vegetieren. Er kopierte auch die Erinnerung an diese Fernsehfolge in eine kleine Erinnerungsflasche, um ein Beispiel zu geben, wie sich nichtmagische Geschichtenerfinder eine ohne als solche benannte Magie erzeugte Sachen vorstellten, die heute unmöglich waren.
Im Musikraum erzählte er Millie und Béatrice seine Erlebnisse. Als er von Béatrice gefragt wurde, ob er Angst oder Unbehagen empfunden hatte verneinte er das. "Ja, das macht der Glückstrank. Er stärkt nicht nur die Intuition und Gewandtheit und verbessert die Denkfähigkeit, sondern unterdrückt alle negativen Gefühle. Deshalb kann übermäßiger Erfolg auch zu unbeherrschbarer Euphorie und Selbstüberschätzung führen. Es war wichtig, ihn bei diesem Einsatz benutzt zu haben. Aber du solltest den Gebrauch auf nur solche lebensgefährlich zu werden drohenden Sachen beschränken."
"Das mit diesen Spionagegeräten bei Gabrielles Hochzeit war doch auch so ein Grund", wandte Millie ein. "Das streite ich auch nicht ab, zumal Julius ja dabei wirklich ohne die richtige Intuition eine vorzeitige Selbstvernichtung hätte auslösen können und die Enthüllung der Zaubererwelt zu einer ungleich größeren Katastrophe hätte führen können. Öhm, du hast erwähnt, dass du erst gehandelt hast und erst nach bereinigter Lage erkannt hast, warum dein handeln richtig war, Julius. Da viele Hexen und Zauberer eher auf Gefühle und reine Erfahrungen setzen und nicht Logik als Denkgerüst benutzen erleben das die meisten nur unbewusst. Felix Felicis halt. Zaubertrankmeisterinnen und -meister, die nach der zertifizierung von Felix Felicis die Gründe für seine Wirksamkeit erforscht haben nennen das Kausalunkenntnis. Du handelst, ohne die Ursache dafür zu kennen, wobei es dir erst seltsam vorkommt, warum du so handelst. Das kann soweit gehen, dass ein Anwender von Felix Felicis erst Wochen später erfährt, dass sein Handeln den gewünschten Erfolg bringt, beispielsweise die Teilnahme an einemGlücksspiel oder warum jemand in eine Stadt reist, die er oder sie nie zuvor besucht hat, wenn dort etwas ist, was ihm oder ihr erst Tage oder wochen Später ein Erfolgserlebnis bringt. Es soll sogar Leute gegeben haben, denen der Trank als Brautwerbungshilfe gedient haben soll. Doch weil der Trank erstens so kompliziert zu brauen ist, zweitens aus seltenen Zutaten erstellt werden muss und drittens eben auch die Nebenwirkung hat, sich selbst zu überschätzen oder in unbändige Euphorie zu verfallen, dürfen Heilerinnen und Heiler nicht in diese Richtungen forschen. Abgesehen davon ist es viel erhabener, aus ganz eigener Urteilskraft eine so wichtige Entscheidung getroffen zu haben. Gut, die Mondtöchter haben euch zu sich reingelassen, weil sie erkannten, dass ihr beide sehr gut zusammenpasst, Millie und Julius. Sie hätten das auch ablehnen können. Öhm, aber mich interessiert noch diese angebliche transvitale Entität dieses Statthalters. Er war sowohl an den krakenarmigen Thronsessel als auch an seine drei lebenden Körper gebunden?" wollte sie wissen. Julius wiederholte noch einmal wortwörtlich, was der Statthalter ihm darüber verraten hatte und was er beim Dauerschlafzauber beobachtet hatte.
"Das war keine transvitale Entität, Julius. Eine echte TVE wie Ammayamiria oder Ashtaria ist von jeder toten Materie losgelöst. Nur die Gefühle und Erinnerungen der mit ihren ursprünglichen Körpern verbundenen Menschen befähigt sie, in unserer Wirklichkeit zu handeln. Es soll da Berichte geben, wie stark eine ein-, Zwei- oder mehrseelenentität im Vergleich zu einem einfachen Geist oder einer gut ausgebildeten Hexe oder einem Zauberer sein soll. Aber das habe ich in meiner Ausbildung und Praxis bisher nicht gelernt, zumal transvitale Entitäten noch seltener sind als Geister, die schon seltener als lebende Hexen und Zauberer sind, die wiederum einen winzigen Anteil an der gesamten Menschheit ausmachen", dozierte Béatrice. Julius nickte. Dann sagte Félix' Mutter: "Unter dem Vorbehalt, dass ein Geisterwesenexperte mir da widerspricht vermute ich, dass der Statthalter eine durch dunkle Magie entstandene Verkupplung zwischen Körper, Seele und totem Gegenstand war, ein interexistentielles Triangulum, oder auch Daseinsdreieck. Seine Körper waren in der dunkelmagischen Erhaltungslösung gefangen, sein Herz wurde durch eine Pumpvorrichtung ersetzt, schlug jedoch wohl auch in jenem Krakenarmthronsessel."
"Es waren drei Brüder", sagte Julius. Béatrice nickte. "Was noch mehr für ein solches schwarzmagisches Machwerk spricht, Julius. Hierbei werden die aus ihren Körpern gelösten Seelen mit vorbezauberten Gegenständen verbunden, die Körper jedoch am Leben gehalten, sodass die Seele bei Berührung des Ankerartefaktes mit ihm verbunden wird oder sogar verschmolzen wird. Es ist die Vorstufe dessen, was als Horkrux bezeichnet wird, Julius." Julius und Millie pfiffen durch die Zähne. Mit dem Begriff konnten sie eindeutig was anfangen. "So vermute ich, wie gesagt unter Vorbehalt, von einem ausgebildeten Experten für dunkle Magie und Geisterkunde korrigiert werden zu können, dass dieses ganze Herz des Seth ähnlich wie dieser schwarze Spiegel, den Adrian Moonriver und Maria Valdez erwähnt haben, eine solche Verknüpfung zwischen Lebewesen, entkörperter Seele und totem Gegenstand war, eben um zerstörerische Gefühle anzusammeln und in stofflicher Form zu speichern und dieser Statthalter eben die sklavisch ergebene Schaltstelle dieser verboten gehörenden Installation wurde, weil seine drei Ausgangskörper wohl unverbrüchlich treue Diener dieses Abgottes aus Ägypten waren."
"Joh, schon heftiger Tobak", meinte Julius. Dann erwähnte Millie noch einmal die mitgeführten Geschenke der Sonnenkinder und wie die auf artgleiche Zauber wirkten. Julius nickte. Béatrice meinte nur dazu, dass die Sonnenkinder wohl keine Veranlassung sahen, diese möglichkeiten zu erwähnen. Zumindest konnte sie erklären, warum Julius' Mondfeuer-Neumondlicht-Kombination seinen Patronus dermaßen aufgeladen hatte, dass er bis zur Abreise aus den unterirdischen Räumlichkeiten stabil bleiben und Goldschweif so wirksam vor den Wutwellen schützen konnte wie mehrere Goldblütenhonigphiolen zusammen. "Du hast mit gewissem Grinsen eine unter dem Vollmond vollzogene Liebesnacht mit Millie erwähnt. Da Millie die Mutter deiner meisten Kinder ist ist sie auch die Quelle für den Mondfeuerzauber. Du hast also wie bei der Sache mit dem finsteren Widersacher eine Wechselwirkung erzeugt, die den Patronus bestärkt hat. Aber auf jeden Fall interessant zu wissen, dass gegen spiegelnde Gegner der finstere Widersacher zu einer Aufschaukelung führt. das war mir selbst noch nicht bewusst. Kann sein, dass die erwiesenen Experten für Flüche und Abwehrzauber das schon wussten." Julius nickte. Vielleicht wussten Catherine und Blanche das längst und er hatte es heute erst gelernt. Auch ein Missionserfolg, wie das Wissen um ein Daseinsdreieck. Das würde er sicher bald wissen.
Die verbleibende Zeit bis zum Frühstück nutzte Julius, um im Baumhaus die neuesten Nachrichten aus der magielosen Welt zu lesen. Ihn ritt kurz der feuerrote Wichtel, auf zwei Sportereignisse des kommenden Wochenendes zu wetten. Doch dann fiel ihm ein, dass er dann ja auch angeben musste, wohin das viele Geld geschickt werden sollte. Der aus dem 21. Jahrhundert in die 1950er gereiste Biff hatte damit kein Problem gehabt, weil der seine Gewinne immer in Bar einkassiert hatte. Sollte er vor dem Arbeitsbeginn mal eben nach Montecarlo, ganz ohne telekinetische Manipulationen ein paar tausend Euro am Roulettetisch abräumen? Ohoha, dieser Glückstrank war wahrhaftig eine verdammt große Versuchung. Außerdem hatte das berühmte Casino von Montecarlo gerade geschlossen, und nach Las Vegas wollte er garantiert nicht, solange die in den Staaten gerade nicht wussten, wie es in der Zaubererwelt weitergehen würde. Als er las, dass in den Staaten die nächste Hurrikansaison bevorstand fiel ihm ein, Brenda Brightgate zu schreiben, dass sie sich wohl in diesem Jahr vor schweren Überschwemmungen vorsehen sollten. Auch wenn er noch nicht benennen konnte, wann und wo sowas stattfand bat er darum, dass der Weißrosenweg diesmal besonders auf der Hut war. Dann fuhr er den Rechner wieder herunter und apparierte ins Haus zurück, um seine größeren Kinder zu wecken, falls die nicht längst auf den Beinen waren.
"Es hat aufgehört. Es ist nicht in einem gewaltigen Aufruhr zerborsten", bemerkte Thurainilla, als sie einmal mehr ihre Spürsinne eingesetzt hatte. Ullituhilia erhob sich gerade vom Boden. "Ja, ich fühle auch keine Restkraft durch die Erde laufen und keinen Nachhall einer magischen Entladung wie nach dem Aufruhr um das Seebeben. Es hat wahrhaftig aufgehört zu schlagen, ohne zersprungen zu sein. Offenbar hat sich doch wer gefunden, der oder die es anhalten konnte, obwohl dort unten viele tödliche Verteidiger wohnen."
"Ob das nun die letzte Hinterlassenschaft dieses MöchtegernZauberkaisers Iaxathan war?" fragte Thurainilla.
"Du meinst abgesehen von der im Mitternachtsdiamanten eingelagerten Tausendseele, die sich als Göttin der Nachtkinder bezeichnet?" wollte Ullituhilia wissen. Ihre Schwester bejahte das. "Die reicht völlig aus", knurrte die Tochter des schwarzen Felsens. "Wo wir dabei sind, ich muss dann wieder in mein neues Wohngebiet zurück um zu verhüten, dass diese Lanzahnbrut sich bei mir breitzumachen wagt. Abgesehen davon sollten wir bald was wegen Mutter unternehmen, dass sie endlich wieder sie selbst wird." Dem konnte Thurainilla nur beipflichten.
Mit dem dritten August verband Julius eine Menge haarsträubender Erlebnisse, wegen denen er eigentlich an diesem Tag zweimal Geburtstag feiern konnte. Im Bezug auf den gefährlichen Ausflug in das Herz des Seth hatte erseltsamerweise nicht solche unbehaglichen Erinnerungen. Das mochte an der von Felix Felicis vermittelten Zuversicht und Selbstsicherheit gelegen haben und daran, dass er von anfang an wusste, dass er sich in große Gefahr begeben würde und entsprechend vorbereitet war. Jetzt referierte er mit einem schriftlichen Bericht vor den Mitgliedern des stillen Dienstes, all jenen, denen er damals die vier alten Zauber Ianshiras beigebracht hatte. Er erwähnte, dass Ashtaria ihn beauftragt habe, den herrenlos gewordenen Silberstern zu findenund in Besitz zu nehmen, um die sieben Sterne wieder mächtig zu machen. Dafür habe er noch eine Aufgabe erledigen müssen. Dann erzählte er, was genau er erledigt hatte und was er dabei gelernt, erfahren und empfunden hatte. Da Hera zu den Eingeweihten gehörte und von ihm und Béatrice schon vorgewarnt worden war wunderte es ihn nicht, dass sie einwarf, dass es wohl damit sicher sei, dass es noch mehr solcher dunklen Hinterlassenschaften auf der Welt gebe und dass sie auch im Wissen, dass die Sache am Ende gut ausgegangen sei, jede weitere solche Geheimmission ablehnte, solange Julius sich um seine Familie zu kümmern habe. Dann diskutierten sie über alles, was er erlebt hatte. Phoebus Delamontagne bestätigte, dass der Statthalter wohl ein interexistentielles Triangulum gewesen sei und nannte zwei weitere Beispiele aus früherer Zeit. "Damit ist uns also auch bekant, dass die alten Ägypter diese grausame Art der Versklavung schon kannten, womöglich schon die Bewohner des versunkenen Reiches. Ich vermute stark, dass Sie, Monsieur Latierre, uns diese ganzen aufwühlenden Erkenntnisse weitergeben durften, weil Ihre Widergebärerin Ashtaria offenbar möchte, dass noch mehr in der Abwehr dunkler Künste bewanderte Hexen oder Zauberer die von Ihnen in Tiefschlaf versetzten Männer aus der unheilvollen Apparatur lösen, ohne deren Selbstvernichtung auszulösen, richtig?" Julius bestätigte das.
Blanche Faucon bat ums Wort und erhielt es von ihrer Tochter Catherine. Sie wandte sich zuerst an Phoebus Delamontagne: "Phoebus, ich verstehe sehr gut, dass die Liga sich um diese Angelegenheit kümmern sollte. Ich muss jedoch den Ihnen sicher längst bekannten Umstand erwähnen, dass die Liga gegen dunkle Künste in Algerien zum einen keinen einheimischen Vertreter mehr hat, seitdem die arabischstämmigen Zauberer die Ausweisung europäischer Zauberer und Hexen betrieben haben, um sich auch in magiepolitischer Hinsicht vom "französischen Joch" zu befreien. Die wenigen Kontakte, die die Liga dorthin behalten hat laufen im wesentlichen über Ägypten und Marokko. Die Gefahr, Begehrlichkeiten zu wecken, weil unter der algerischen Wüste eine Unmenge materialisierter Mordlust gelagert ist, darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Denn der Umstand, dass dieses sogenannte Herz erst wieder aktiv wurde, als über ihm eine massenhafte Tötung stattfand und nicht schon vor Jahrhunderten legt nahe, dass die dortigen Zaubereibehörden es schlicht noch nicht wussten, welche brandgefährliche Hinterlassenschaft aus den dunklen Zirkeln des Pharaonenreiches unter ihren Füßen ruhte. Und falls es Erwähnungen gab, so wurden sie wohl im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende zu einer Legende von sehr vielen aus Ägypten erklärt. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass die Kobolde von Gringotts in den letzten hundert Jahren intensive Beutezüge in vergessenen Grabstätten und versunkenen Palästen durchgeführt haben und die Algerier und ägypter dem nicht immer hold waren. Meistens bedienten und bedienen sich die Betreiber von Gringotts mit Zauberstab hantierender Menschen, um Flüche und andere magische Hindernisse aus dem Weg zu schaffen. Wenn wir jetzt anregen, dass dort, wo Monsieur Latierre war, nach einer dunklen Hinterlassenschaft gesucht werden soll, dann rufen wir auch die Kobolde von Gringotts auf den Plan, und die haben, wie Sie alle wissen, gerade sehr großen Bedarf, ihre eigene Rangstellung in unserer Welt zu verbessern. Auch hier könnten Begehrlichkeiten aufkommen, zumal Monsieur Latierre schon viele Hindernisse aus dem Weg geschafft hat. Man könnte sich also quasi ungefährdet bedienen, ob an den thaumaturgischen Vorrichtungen oder an der dort gelagerten Essenz von Hass und Mordlust, um letztere als Erpressungsmittel gegen uns einzusetzen, zum Beispiel eine ganze Stadtbevölkerung in eine tobsüchtige Meute zu verwandeln oder, wie es Monsieur Latierre auch in seinem Bericht andeutete, die Kernspaltungsbomben dies- und jenseits des Atlantiks gegen unschuldige Menschen einzusetzen und damit den letzten großen Krieg der Menschheit zu entfesseln. Deshalb kann ich zu meinem allergrößten Bedauern nur abraten, einen Trupp von Spezialisten dort hineinzuschicken, der womöglich erst noch gegen die noch nicht ausgelösten Fallen bestehen muss, ohne einen Schluck Glückstrank oder einen Kniesel als Warner und Wegfinder mitzuführen." Alle nickten. Dann wandte sie sich an Julius Latierre:
"Im Augenblick sehe ich wegen der Locattractus-Falle auch keine Möglichkeit, dass jemand dort unten welches Unternehmen auch immer erfolgreich durchführen kann, ohne den eigenen Hunger- oder Erstickungstod zu erleiden. Wie tief, sagten Sie, lag die Installation unter Tage?" Julius gab die ungefähre Tiefe mit eintausend Metern an. "Dann dürfen wir auch getrost davon absehen, Portschlüssel zu benutzen, da diese aus spatialthaumaturgischen Gründen Kontakt zu den Gestirnen am Himmel wie der festen Erde benötigen, weshalb sie für Reiseziele auf offenem Meer schwierig und für An- oder Abreise unter Tage völlig ungeeignet sind. Sie lösen schlicht nicht aus, weil sie die Wechselwirkung zwischen Erde, Sonne und Mond benötigen und die Erde dort unten alleinherrschend ist." Belle Grandchapeau und Madeleine L'eauvite nickten beipflichtend. Julius verzog das Gesicht und dachte daran, dass er sich bis zu der Einkerkerung der Blutgeister sicher gewesen war, mit einem Portschlüssel problemlos wegzukommen. Aber was brachte ein raketenbetriebener Schleudersitz, wenn über einem kilometerdickes Gestein war? "Womöglich kannten die Erbauer dieser Unheilsanlage bereits diese Zusammenhänge und wählten deshalb einen Ort so tief unter der Erde, um eben den Einfluss aller Gestirne auszuschließen. Die Ägyptischen Astronomen und Astrologen waren sehr kundige Leute." Julius nickte. "Natürlich stelle ich nicht in Frage, dass dieses sogenannte Herz des Seth weiterhin eine sehr große Bedrohung für die Menschheit darstellt und Sie, Monsieur Latierre, leider nur das Uhrwerk blockieren konnten, dass die Vernichtung auslösen wird. Den Mechanismus als solchen konnten Sie alleine nicht demontieren, auch nicht mit Hilfe des Glückstrankes." Julius nickte verhalten. Dann bat er selbst noch einmal ums Wort und erhielt es.
"Das mit den Begehrlichkeiten möchte ich gerne noch einmal aufgreifen, Madame Faucon. Denn ich war in einem würfelförmigen Raum, der eine massivgoldene Zugangstür besitzt und innen auf jeden Fall mit purem Gold ausgekleidet ist. Selbst wenn das nur Goldblech ist könnten das mehrere Millionen Galleonen sein, die da verbaut wurden, auch wenn da noch eine mir unbekannte dunkle Magie drinsteckt. Es könnte zu Besitzansprüchen kommen und dabei genau das ausgelöst werden, was ich gerade so noch verhindert habe. Womöglich gibt es da sogar noch mehr aus purem Gold gemachte Dinge. Ich kenne den algerischen und den ägyptischen Leiter für Handel und Finanzen im Zaubereiministerium nicht, aber wenn wir hier in Frankreich einen versteckten Goldschatz finden würde Monsieur Colbert auch gerne wollen, dass das Ministerium ihn sicherstellt. Ja, und die da gelagerten Essenzen aus Hass und Gewalttrieb können schlimmer wirken als Atombomben oder Giftgas, worüber diese Runde ja doch genug weiß, um keinen Einsatz damit zu provozieren. Also sollte schon jemand wie ich eine geheime Mission oder auch ein schwarzes Unternehmen durchführen, um die Gefahr des Hassumwälzers zu beseitigen. Wenn in tausend Metern Tiefe kein Portschlüssel mehr funktioniert geht es nur durch Eindringen von außen."
"Die erwisene Höchsttiefe unter der Erde, wo ein gesunder Hauself noch apparieren und disapparieren kann ist nur durch die Tiefentemperatur begrenzt. War es dort heiß, Monsieur Latierre?" Julius verneinte es und vermutete einen Hitzeschutzzauber. Dann ahnte er, was die füllige Dorfrätin aus Millemerveilles vorschlagen würde. "Ich verfüge über eine äußerst Loyale Hauselfe. Wenn sie die genauen Bezugspunkte erfährt kann sie ganz genau dort apparieren, wo diese Unheilsvorrichtung ist. Ihrer Schilderung nach ist diese ja gerade außer Betrieb und streut somit keine dunkle Zauberkraft aus. Dann kann sie dort hinein und die Saat des Sandes legen. Diese dürfte dann innerhalb von zwei Stunden alle verfügbaren Stellen des Raumes mit festem Sand ausfüllen, der in nur einem Tag zu festem Sandstein verdichtet wird. Ich weiß, Beau-Papa, dass das auch schwarze Magie ist. Aber in dem Fall müssen wir Feuer mit Feuer bekämpfen."
"Julius sah die Dorfrätin verdutzt an. Von so einem Erdzauber hatte er beziehungsweise Madrashainorian bisher nichts gehört. Deshalb fragte er sie: "Ist das dunkle Erdmagie?"
"Eine Hybridform aus Erd- und Teleportationszauber, Monsieur Latierre. Ist erst seit eintausend Jahren nur wenigen Wüstenmagiern bekannt, die damit Tributzahlungen erpressen, dass sie Felder und ganze Dörfer versanden oder gar in Sandstein einbacken lassen", erwiderte Eleonore Delamontagne. Ihr Schwiegervater räusperte sich und hakte ein: "Ja, und deshalb wird er von den orientalischen Magiern gnadenlos bekämpft, was heißt, dass jeder, der diesen Zauber kennt oder Anleitungen dazu in Besitz hat seines Gedächtnisses oder gar seines Lebens verlustig geht. Öhm, ich erbitte noch einmal eine Unterredung mit meiner sehr enthusiastischen Schwiegertochter, wenn diese Sitzung beendet ist."
"Achso, und diese Saat des Sandes sammelt von irgendwoher Sand ein und häuft ihn in einem bestimmten Bereich auf, bis alles wortwörtlich versandet ist", meinte Julius. Catherine mahnte Gesprächsdisziplin anund ergriff als Vorsitzende dieses heimlichen Dienstes das Wort: "Ich kann mir schon denken, woher Sie Kenntnisse über die Saat des Sandes haben, Madame Delamontagne. Professeur Dellamontagne, ich muss Ihrer Schwiegertochter leider beipflichten, dass es nötig ist, jeden Zugang zu diesem sogenannten Herzen Seths für alle Zeiten unmöglich zu machen. Da es leider nicht möglich ist, die neun darin eingekerkerten Menschen zu befreien, zumal ihr Blut mittlerweile gegen eine schwarzmagische Suspension ausgetauscht worden sein mag und ihre Herzen ehedem in einer anderen Vorrichtung aufbewahrt werden galt und gilt es ja nur, sie vom Rest der Unheilsapparatur zu lösen, damit sie nicht als Ausrichter und Verstärker der darin enthaltenden Zerstörungswut dienen können. Wir müssen also deren Tod herbeiführen, ohne die Anlage zu zerstören. Somit mag es sarkastisch klingen, wenn ich sage, dass es dann humaner ist, sie für alle Zeiten und unerreichbar zu begraben, ihnen sozusagen ihren ewigen Frieden zu geben, selbst wenn sie nicht ganz versterben können. Daher frage ich Sie, Monsieur Latiere, ob Sie bereit sind, der Hauselfe Madame Delamontagnes die Standortwerte zu geben oder noch besser, ihr als Zielführer zu dienen, um den von Madame Delamontagne vorgeschlagenen Vorgang einzuleiten, sofern diese Runde mehrheitlich zustimmt?"
"Ich erkenne Ihre Argumentation an, da die neun Betroffenen unabtrennbar mit der Anlage verbunden sind und de facto schon seit Jahrhunderten tot sind. Ich bin bereit, Madame Delamontagnes Hauselfe die Standortkoordinaten zu geben oder ihr als Zielführer zu dienen, wenn diese Runde dem Vorschlag mehrheitlich zustimmt."
Nun erfolgte die namentliche Abstimmung. Selbst Phoebus Delamontagne stimmte dem Vorschlag seiner Schwiegertochter zu. Damit war der Plan gefasst, möglichst bald ein zweites Unternehmen an den algerischen Zaubereibehörden vorbei durchzuführen.
Es war um 04:10 Uhr, als ein lauter, schriller Ton aus den Deckenlautsprechern des unterirdischen Schlafzimmers tönte. In dem darunter stehenden Bett regte sich eine Person und öffnete die Augen. "Klarmeldung!" forderte die Person. Der schrille Ton verstummte, und aus dem Lautsprecher drang eine computergenerierte Stimme:
"Exitus Vertrauter M-null null zwei um 04:09:30 Uhr." Es folgten GPS-Koordinaten, bei denen die Breitengradangabe im Minusbereich lag. Die aus dem Schlaf gerissene Person befahl per Stimmkommando, alle verfügbaren Daten zum Zeitpunkt und Standort zu sammeln und in den gesicherten Ordner zum Vertrauten 002 zu übertragen. Dann dachte die Person: "Ich hatte ihn gewarnt, sich nicht mit diesem Kerl einzulassen. Sollte ich rausfinden, dass der Schuld hat verteile ich den über die ganze Ostküste."
Eigentlich sollte an diesem fünften August Ralf Burton von seiner geheimen Reise zurückkehren. Doch bisher war er nicht wieder aufgetaucht. Jeff fragte Dunston, ob die Mission, auf die er Ralf geschickt hatte, weiterliefe. Dunston verneinte das. Auch er machte sich Sorgen.
Um elf Uhr kam die Agenturmeldung aus dem Indischen Ozean, dass das Kreuzfahrtschiff Southern Cruise Jade in einem aufkommenden Zyklon in Seenot geraten und von einer wahrhaftigen Monsterwelle unter Wasser gedrückt und zerschlagen worden war. Da gestand ihm Dunston, dass Ralf an Bord dieses Schiffes als Küchenhilfskraft gearbeitet habe, um die Machenschaften von Clive Huggins, dem Kulikönig, auf die Schliche zu kommen.
"Eigentlich wollte er gestern schon im australischen Melbourne von Bord gehen. Doch offenbar hatte er sich das nicht wagen dürfen, um nicht im allerletzten Augenblick aufzufliegen. Dann hatte er wohl nur noch diesen einen Tag leben dürfen, bevor er mit 2400 Passagieren und 1000 Mann Besatzung im Südpazifik versank.
Jeff dachte daran, wie trübsinnig das war, keinem lieben Menschen sagen zu dürfen, wo man gerade war und auch keinem in der letzten Minute noch ein trauriges aber zumindest sicheres "Danke für alles und lebe wohl!" zu wünschen.
"Offiziell war Ralf Burton in unserem Auftrag im mittleren Osten, um die Lage nach dem Ende des Irakkrieges zu beobachten", sagte Dunston. "Die großen Bosse aus der obersten Etage tüfteln jetzt daran, wie sie Ralfs Tod erklären und begründen können."
"Was ist mit Tinwhistle? Ralf erwähnte mal sowas, dass wir im Fall seines Ablebens erfahren, wer das ist."
"Solange es nicht durch die Nachrichten geht, dass er tot ist und ab da eine Uhr einen Monat lang läuft komme ich nicht an seine Daten heran. Nicht mal der Sysadmin kann die jetzt schon freischalten, ohne zu riskieren, dass sie alle vernichtet werden", grummelte Dunston.
"Und wenn Tinwhistle anruft oder mailt, Sir?" hakte Jeff nach. "Bleibt es wie den ganzen Monat lang. Keine Anrufe annehmen, und Mails nur mit Ralfs Adresse und Signatur beantworten."
"Soll ich solange im Büro alleine weiterarbeiten?" fragte Jeff. "Die anderen sind froh über ihre Büros", sagte Dunston. "Versuchen Sie, den Luxus eines Einzelbüros zu genießen. Vielleicht kriegen Sie ja nach mir das Büro hier und den Sessel, der drinsteht."
"Wie Sie meinen, Sir", sagte Jeff Bristol. "Und was ist mit Ralfs Sachen?" fragte er noch.
"Lasse ich abholen, wenn Sie Feierabend haben, Jeff. Oder hat Ralf Ihnen irgendwas versprochen, was nicht dem Haus gehört?"
"Er meinte mal aus Scherz, dass ich seine kleine Yacht am Hafen bekäme, wenn er nicht mehr da sei. Aber die Yacht habe ich bis heute nicht gesehen."
"So, wussten Sie es noch nicht, dass der selige Kollege eine 20-Meter-Kajütenyacht von seinem Onkel aus der Wallstraße geerbt hat. Ich habe das Schiffchen schon einmal besichtigt, als es darum ging, ob er nun bei uns weitermacht oder sich ins sorglose Aktionärsleben zurückzieht. Er meinte damals, dass er die Yacht nur deshalb behalte und in Schuss halte, weil sie zu viele schöne Stunden Erinnerung bedeute. Wer immer sie bekommt soll glücklich damit werden!"
"Einen Privatjet hatte Ralf aber nicht, oder?" fragte Jeff. "Hmm, hat er nichts von gesagt, wohl weil die Buchhaltung dann seine hohen Spesen abgelehnt hätte." Das musste Jeff einsehen. Ihm fiel auf, wie wenig er eigentlich von Ralf Burton wusste. Ja, der hatte genauso seine Geheimnisse gehütet wie er selbst. Ob eines davon, der obskure Informant Tinwhistle, einmal enthüllt wurde wusste er nicht zu sagen. Wollte er sich darauf freuen oder befürchten, dass dieser ständig verkleidete Mensch, dessen Geschlecht Jeff nicht hatte erkennen können, ihn als neuen Kontakter auswählte? Er wusste es nicht.
Die Grübelei wegen Ralfs tod wurde jäh beendet, als Jeff kurz vor der Mittagspause einen Anruf von Grady erhielt, jenem Informanten im irischen Viertel von Queens.
"Mr. Bristol, ich glaube, A. C. wird langsam größenwahnsinnig. Ich habe von zwei Leuten aus der hüpfenden Banshee, dass A. C. vorhat, die Personalagentur eines Alfredo Agostini zu übernehmen. Sie wissen die, die südamerikanische Leiharbeiter ins Land holt."
"Ist das wahr, Grady? mach da bloß keinen Witz, Grady. Ist A. C. echt so lebensmüde?"
"Der glaubt wohl, unsterblich zu sein, obwohl er aus Irland ist und kein Highlander. Ich konnte leider nich' weiter buddeln", sagte Grady. "Ich hörte nur sowas, dass A. C. wohl versucht, die Personalbeschaffer von diesem Alfredo abzuwerben."
"Was dem nicht gelingen wird, weil die alle ihrer Heimaterde und damit denen, die auch darauf wuchsen verbunden sind", sagte Bristol. "Oder hat er Rückendeckung?"
"Wenn ich das wüsste wäre ich wohl auch einer von denen, Mr. Bristol", erwiderte Grady. "Ich häng mich schon verdammt weit zum Fenster raus. Wenn mir wer die Füße wegkickt rausch ich in den Abgrund. Also, was soll ich machen?"
"Erst mal wieder ganz ins Zimmer zurückziehen, Grady. Dann nur zuhören, nicht fragen und ganz sicher nicht irgendwo drangehen, was dir nicht gehört, Grady", sagte Jeff. "Ich versuch noch mehr rauszukriegen. Aber bei dem geringen Gesprächsbedarf, den die Leute haben wird das sehr schwer sein."
"Geht klar, Mr. Bristol", sagte Grady. Dann legte der irischstämmige Informant auf.
"Wenn sich das eiserne Kleeblatt mit der Camorra anlegt freut sich die Cosa Nostra", dachte Jeff. Er bedauerte es, keinen Informanten bei den italoamerikanischen Gangstern zu haben. Doch bei denen galt Omertá, das Gesetz des Schweigens. Das hieß, dass es außer den unmittelbar beteiligten niemand mitbekam, wo es brodelte. Erst wenn es sich entlud würden sie es alle mitbekommen.
Um sich von Gradys alarmierendem Anruf abzulenken, weil er in der Angelegenheit gerade nichts tun konnte, wenn er keine schlafenden Hunde aufwecken wollte, befasste er sich mit den vom FBI erhaltenen Aktenauszügen über die illegalen Müllhalden in der Bronx, von denen vermutet wurde, dass sie dem Milelli-Clan gehörten. Doch wie üblich war es nicht möglich, denen zu beweisen, dass sie mit diesen Müllkippen Geld machten, Omertá halt.
Als Jeff am späten Abend wieder in Brewster eintraf erfuhr er, dass das Laveau-Institut ein Ultimatum erhalten habe, sich bis zum ersten September klar und deutlich zu äußern, ob es eine dem Zaubereiministerium untergeordnete Institution sein würde oder auf alle gewährten Sonderrechte verzichten wolle.
"Oh, Madam Bullhorn steht unter Druck", bemerkte Jeff dazu. "Sie will noch vor der Stimmenauszählung einen Erfolg verbuchen und das LI möglicherweise als Mitbringsel für eine mögliche Neuauflage der nordamerikanischen Föderation klarmachen. Öhm, und was sagt der Führungsrat?"
"Der sagt, dass dieses Ultimatum eines von vielen ist, die wir schon bekommen haben und wir auch ohne ministerielle Sonderrechte arbeiten können, weil wir genug unabhängige Quellen haben und weil wir über das Arkanet auch mehr Nachrichtenzugang zum Rest der Welt haben. Ich denke auch, dass es das ist, was Bullhorn so anpiekst, dass wir noch im Internet unterwegs sind, während das Zaubereiministerium seit Martha Merryweathers Notabschaltung keinen Arkanetzugang mehr hat."
"Nur, dass die werte Madam Bullhorn schon häufiger getönt hat, dass das Zaubereiministerium kein Internet braucht", sagte Jeff. Dann grinste er: "Genau deshalb will sie das LI klarmachen. Dann kann sie behaupten, dass das Zaubereiministerium kein Internet anschaffen und bezahlen will, aber die Zugangsmöglichkeiten des LIs nutzen kann, falls doch mal Bedarf bestehen sollte. Aber Davidson und die anderen lehnen eine klare Unterordnung ab?"
"Das werden Sie Bullhorns Leuten erst am Tag der Stimmenauszählung über den Sender am Weißrosenweg verkünden, wenn der dann noch da ist."
"Häh?! Wieso soll der nicht mehr da sein?" fragte Jeff.
"Das LI argwöhnt, dass die diesjährige Hurrikansaison die Südostküste der USA betreffen könnte, also Florida, Mississippi und Louisiana. Deshalb werden gerade im Weißrosenweg gerade umfangreiche Renovierungsarbeiten bei den Wasserschutzzaubern gemacht", sagte Justine. Jeff verstand. Ja, mit schweren Stürmen mussten sie im Sommer ja immer rechnen, auch hier in New York, wenngleich Tropenstürme einen längeren Weg bis hier herauf zurücklegen mussten als bis nach Miami oder New Orleans. Zumindest wusste er jetzt, dass das LI sich auch weiterhin keinem Zaubereiministerium unterordnen würde. Ob es auch diesmal größtenteils unbehelligt bleiben würde blieb abzuwarten. Am Ende kam Lucinda Friley doch noch auf den Gedanken, ihn festzunehmen. Darauf musste er zumindest gefasst bleiben.
Jeff erzählte seiner Frau, dass sein bisheriger Bürokollege Ralf Burton bei einer geheimen Recherchemission umgekommen war und dass dadurch neue Fragen aufkamen, auch, ob dieser obskure Informant Tinwhistle weiter mit der Times zusammenarbeiten würde oder nicht.
"Du denkst, dieses sich in einer Vollrüstung und mit einer künstlichen Stimme tarnende Subjekt könnte dich als neuen Kontakt auswählen, wenn es erfährt, dass der bisherige Kontakt nicht mehr lebt?" fragte Justine. Ihr Mann überlegte einige Sekunden. Dann antwortete er: "Sagen wir es so, Tinwhistle hat uns wohl nicht nötig. Also müssten wir irgendwas tun oder sagen, dass den Eindruck vermittelt, wir hätten ihn oder sie nötig. Was mich persönlich angeht können wir gerne auf diesen obskuren Informanten verzichten, wenn der wirklich in der Führungsriege einer gefährlichen Verbrecherbande mitmischt. Der oder die könnte uns immer wieder manipulieren und instrumentalisieren, um eigene Ziele zu erreichen. Dafür habe ich nicht diesen Job angenommen."
"Wie mit dieser Fabrik, wo sich ein paar untergeordnete Mafiosi getroffen haben?" fragte Justine. Jeff bejahte das. "Dann solltest du Dunston klarmachen, dass, wenn er die genauen Hintergründe dieses obskuren Informanten erfährt, du nicht als neuer Ansprechpartner für ihn zur Verfügung stehst. Am Ende deckt diese Organisation noch deine Tarnung auf und trachtet danach, das auszunutzen." Jeff musste zugeben, dass diese Möglichkeit bestand, auch wenn sie noch so unwahrscheinlich war. Dann erwähnte er, dass ja erst einmal bekannt werden musste, wie Ralf Burton gestorben war. Denn dass er auf einem Kreuzfahrtschiff verdeckt ermittelt hatte durfte ja keiner wissen.
Es war schon ein komisches Gefühl, nach so kurzer Zeit wieder hier zu stehen. Im Licht der mitgebrachten Laterne sah diese Anlage noch unheimlicher aus als bei Zauberstabbeleuchtung. Außerdem wusste Julius nicht, ob er das richtige tat. Er hatte am Abend Besuch von Gigie erhalten, die ihm im Flüsterton gesagt hatte, dass er ihr den Weg zeigen sollte, um "den bösen Raum" zu verschließen. Er hatte sie erst angesehen und den kleinen Rucksack auf dem Rücken der Elfe bemerkt. Dann hatte er genickt und ihre Hand ergriffen. Er stellte sich den genauen Standort wie auf einer Magnetfeldkarte vor und dachte auch an die dort gesehenen Einrichtungen. Dann waren sie beide disappariert.
Jetzt stand er hier, wusste nicht, ob das immer noch zu Ashtarias Auftrag gehörte oder er nicht gerade seine Chance verspielte, diese Nacht noch als freie Seele zu überstehen, falls er was tat, was der mächtigen Entität missfiel. Anders als bei seinem letzten Besuch hier fühlte er jetzt die unheimliche Kraft, die in den Rohren schlummerte. Er holte seine Goldblütenhonigphiole aus dem Brustbeutel und fühlte sogleich, dass die unheimliche Bedrohungsstimmung verschwand.
"Böse Zauber in den ganzen Rohren machen Gigie ganz viel Angst. Aber Madame Delamontagne sagt: Gigie apparier mit Monsieur Latierre in den bösen Raum und lege die Scheibe hin. Dann streu das rote Pulver drauf und warte eine Minute", sagte Gigie. Dann sah sie den in jeder Hinsicht obskuren Körper, der wie eine Mischung aus neunarmigem Kraken und angewachsenem Thronsessel aussah. Wie bei Julius letztem Besuch stand das Konstrukt so, als wolle es einen seiner Arme auf einen der Zylinder legen. Einen Moment bangte er, dass das Konstrukt wegen des Lentavita-Zaubers noch eingeschränkt bewegungsfähig war. Dann sah er, wie Gigie mit ihrem rechten Finger darauf zeigte. Unvermittelt hob der Krakenthron vom Boden ab und sauste wie auf einem unsichtbaren Servierwagen durch den Raum. Dann drehte sich das schwarze Konstrukt und kam mit der Lehne des Throns zuerst auf den Boden auf. Es bekam Schlagseite und blieb auf drei starren Fangarmen liegen. "Böses Ding war ganz nahe an ganz bedrohlich brummenden Steinsäulen", sagte Gigie ruhig. Julius nickte. Vielleicht hätte er das mit dem Schwebe- oder Locomotorzauber auch machen können. Doch jetzt lag der Krakenthron auf der Seite.
Nun öffnete Gigie ihren kleinen Rucksack und griff hinein. Offenbar konnte oder durfte sie das nicht telekinetisch tun. Als sie ihre Hände wieder herauszog hielt sie einen einfach aussehenden Gegenstand in ihren Händen. Es war eine rostrote Steinscheibe. Sie enthielt Julius' fremde Schriftzeichen, die in mehreren Spiralen eingeritzt waren. Einige Zeichen erkannte er als arabisch, vermutete nun, dass es gar altarabisch war, die Zaubersprache des vorderen Orients vom Iran abgesehen.
"Die Worte des rufes nach dem Sand des Verderbens", erklang eine weibliche Gedankenstimme in ihm. Das war nicht Temmies Stimme gewesen. Das war Ashtarias Stimme!
Jetzt sah er, wie Gigie den Raum mit ihren Händen ausmaß und dann den Mittelpunkt ansteuerte. Dort legte sie die Scheibe mit den Schriftzeichen nach oben hin. Dann griff sie erneut in ihren Rucksack und zog einen kleinen Lederbeutel heraus. Sie öffnete ihn und begann, von außen nach innen ein feines, im Laternenlicht blutrotes Pulver auszustreuen. Dabei sang sie mehrere tiefe Töne, die er bisher noch nie von ihr gehört hatte. Die Scheibe begann nun im selben Rotton zu glühen. Julius fühlte unmittelbar, dass ein der Erde verbundener Zauber in Kraft trat. Er nahm seinen Zauberstab und wirkte jenen Zauber, mit dem er fremde Magien erkennen konnte. So sah er eine sich von der Scheibe nach oben windende Spirale, die bis zur Decke aufragte. Er fürchtete schon, dass sie eines der starren Rohre berühren und damit wechselwirken mochte. Dann begann sie, sich immer schneller zu drehen. Jetzt sah er die ersten Sandwolken, noch während Gigie den Rest des roten Pulbers auf die Scheibe streute, dass sie nun einen halben Zentimeter dick damit bedeckt war.
Julius fühlte, wie sich in der Decke eine starke Magie ausbreitete. Er fürchtete immer noch, dass die erstarrten Rohre den Zauber ansaugen und zerstreuen mochten. Denn er konnte die hier hängengebliebenen Blutgeister nicht mehr sehen. Die waren also vollständig absorbiert worden.
Jetzt spürte er weitere Erdmagie von der Decke her und sah Sand in unterschiedlicher Größe herabregnen. Der Sandregen verteilte sich gleichmäßig über den Raum und wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Dann war Gigie wieder bei ihm. Sie konnte hier gefahrlos apparieren.
"Monsieur Latierre, bitte nehmen Sie meine Hand!" sagte die Elfe und hielt ihm ihre nun leere rechte Hand hin. Währenddessen riselte immer mehr Sand von der Decke herunter. Julius war bereits von einer dünnen Sandschicht bedeckt. Auch die Zylinder und der Boden waren bereits mit einer dünnen Sandschicht überzogen wie mit Puderzucker. Dann erfolgte der Appariersprung.
"Gigie hat alles gemacht, was Meisterin Eleonore Delamontagne ihr befohlen hat", meldete die Elfe nun mit ihrer üblichen Piepsstimme sprechend. Dann sah sie den an ihr und ihm haftenden Sand. "Oh, muss erst alles wegputzen, bevor Sie wieder nach Hause dürfen", sagte Gigie, nun ganz eine Haushaltshilfe, während Eleonore Delamontagne ihr und Julius ansah, dass ihre Mission nicht im Sand verlaufen war.
"Und das ist echt ein Fluch?" fragte Julius. "Öhm, das rote Pulver sah aus wie getrocknetes Blut."
"Ja, war es auch. Meines", sagte die blondhaarige, sehr beleibte Hexe und vielfache Mutter mit unüberhörbarer Entschlossenheit. "Blut des Anrufers mit Sand aus der Gegend, in der der Fluch wirken soll. Je mehr Sand dort liegt desto schneller wirkt er, bis die eingravierte Zeit abgelaufen ist, in diesem Fall fünf volle Tage, oder bis es keinen winzigen Spalt mehr gibt, in den noch was hineinpasst. Dieser Ort wird so dicht mit Sand gefüllt, dass dieser zu Sandstein verdichtet wird."
Gerade fischte Gigie einen Handfeger aus der leeren Luft und wedelte damit. Da fiel der Sand von Julius ab und sammelte sich zu einem Haufen in einer Kehrschaufel. Er musste sich bücken, dass sie ihm auch die Haare sandfrei machen konte, die Füße heben, damit kein Sandkorn an seinen Schuhen hängenblieb und ging sogar um seine Beine herum. Dann benutzte sie den magischen Handfeger, um sich selbst sandfrei zu putzen, wobei sie ungeniert ihre Beine wie zum Spagat abspreizte und Julius wegsehen musste, um ihren kleinen Unterschied nicht ansehen zu müssen. "Du musst sie nicht heiraten, Julius", lachte Eleonore. Dann sagte sie: "Wie sagen die Militärleute bei den britischen und amerikanischen Muggeln: Auftrag ausgeführt." Julius nickte.
"Darf Gigie Sie wieder nach Hause bringen?" fragte die Elfe, nachdem sie die Kehrschaufel und den Handfeger mit einer kurzen Berührung anderswohinteleportiert hatte. Julius sah Eleonore an. Diese nickte. "Ja, du darfst", sagte er und reichte dem kleinwüchsigen Zauberwesen seine Hand. Keine Sekunde später stand er vor seinem Apfelhaus.
"Auftrag ausgeführt", dachte er, als er sich noch mal begutachtet hatte und völlig sandfrei ins Elternschlafzimmer kam. Millie wartete auf ihn. Er wiederholte die Bestätigung. "Schon heftig, mit einem Fluch einen verfluchten Ort lahmzulegen, aber leider nicht das erste mal", sagte sie. Julius nickte. Dann sagte er: "Falls ich es jetzt vermasselt habe, den Silberstern zu kriegen soll es eben so sein, nur weil wir auf den letzten Metern noch mit dunkler Magie hantiert haben."
"Dann wärst du wohl nicht mehr hier, weil du doch erwähnt hast, dass Ashtaria dich sofort zu sich ruft, wenn du was machst, was ihr nicht gefällt", erwiderte seine Frau lächelnd. "Kann immer noch kommen. Die hat Zeit", sagte Julius.
"Jetzt hör aber auf! Sie ist kein über dir hängendes Schwert oder Fallbeil", knurrte Millie verdrossen. Doch gerade sie wusste, wie unerbittlich Ashtaria ihre Interessen bekunden konnte. Julius begriff, dass er sich nicht darauf einlassen durfte, jeden Moment mit einem Angriff der Entität zu rechnen. Er entschuldigte sich für sein Unken und küsste seine Frau. Sie erwiderte diese Zärtlichkeit und umarmte ihn. "Ich pass auf dich auf, mein Erdenprinz, Pangyanimiria beschützt dich vor bösen Hexen", flüsterte sie ihm ins Ohr.
"Da siehst du es, meine Wurfschwester, dass das Gerede von den reinen Gutes-Tuer-Zaubern auch nur Heuchelei ist. Wenn sie Angst kriegen beißen auch flauschige Wollschafe um sich", spottete Kaliamadra. Ihre Zwillingsschwester Iaighedona erwiderte darauf: "Gib jetzt nicht dem kleinen Söhnchen Ashtarias die Schuld, dass die, denen er das mit Iaxathans Todesrufer erzählt hat alles versanden lassen wollen. Vielleicht bekommt er deshalb das kleine Silbersternchen nicht, dass die wiedergeborene Windmacherin so eifrig bewacht wie eine Löwin ihr neugeborenes Jungtier. Wir sollten lieber froh sein, dass Iaxathans letzte Trommelaufführung nicht stattfindet und wir die Menschen noch ein paar Jahre lang beobachten können, vor allem die, die meinen, für ihren Herrgott Leute umbringen zu müssen oder die, die anderen vorgaukeln, sie wären ganz friedlich und doch heimlich an eine Erweiterung ihrer eigenen Herrschaft denken. Das wäre alles in einer einzigen Nacht vom Feuer des unbändigen Hasses hinweggefegt worden."
"Ja, Schwester, da hast du recht", erwiderte Kaliamadra. "Und vielleicht findet noch wer von den die ganze Freiheit der Magie verehrenden den Weg zu uns. Hast du die Gedanken dieser dicken goldhaarigen Frau gelesen, als sie das mit dem Sandfluch angeführt hat."
"O ja. Die Sache mit den fünf notsüchtigen Zauberern in der weiten weiten Wüste, wo sie, noch ganz jung und unschuldig, fast ihre achso wichtige Unschuld verloren hätte. Was hat die die fünf fertiggemacht. Das werde ich mir gleich noch einmal in der Rückschau ansehen und vielleicht sogar dabei in ihre Wahrnehmung von damals schlüpfen", sinnierte Kaliamadra. Ihre Schwester erwiderte: "Ich weiß, du schlüpfst gerne in andere Frauenkörper, selbst wenn sie noch ungeboren sind."
"Das war ein Versehen von nur zwanzig Jahren. Ich habe die Vergangenheitsrückschau zu schnell zurückverfolgt", knurrte Kaliamadra. "Aber jedenfalls füllt nun der Sand der Zeit die Saatkammer des Seth." Dem konnte und wollte ihre Schwester nicht widersprechen. Sie entgegnete nur:
"Viel Spaß in Eleonore Champverds Vergangenheit. Ich verfolge den Zwiestreit zwischen den Nachtgeborenen und den Pelzwechslern weiter."
"Ich dachte, du wolltest der Rosenzüchterin weiter zusehen, weil die neue Ideen für eine bessere Welt hat", hielt Kaliamadra ihrer Schwester entgegen.
"Die Rosengärtnerin hat derzeitig damit zu tun, die Rangstellung in den Reihen europäischer Dunkelhexen zu halten. Sie weiß, dass sie sich nicht in Frankreich betätigen darf und sucht nach Wegen, sich in Amerika neue Gefolgsschwestern zu verschaffen. Doch dabei wird sie wohl bald mit der Verschmelzung aus Naaneavargia und Anthelia zu tun bekommen", sagte Iaighedona.
"Er hat den Fluch nicht gekannt und nur geholfen, ihn zu platzieren", sagte die Tochter zur Mutter. Diese erwiderte ernst: "Was eigentlich auch schon schlimm genug ist. Doch in letzter Folge aller denkbaren Ereignisse blieb wohl nur, die schreckliche Brutstatt Iaxathans zu versiegeln, auf dass dort niemand mehr hineingelangen kann. Doch ich mag diesen zauber nicht. Er hat immer wieder meine lebenden Söhne beschäftigt, wenn mal wieder ein böser Zauberer ein Dorf versklaven wollte und es zur Bekräftigung der Drohung halb unter Sand verschwinden ließ. Sowas möchte ich nicht von einem, den ich aus diesem meinem Schoß hinausgeboren habe. Deshalb verbittert es mich, dass ausgerechnet dieser Unheilszauber das Unheil, dass unter dem Sand der großen Wüste lauerte, endgültig aufhalten muss. Doch du hast recht, meine Tochter. Die Siebenheit muss wieder hergestellt werden, und er hat sich als würdig erwiesen. So soll es geschehen."
Hallitti ähnelte Ilithula wahrhaftig wie ein Ei dem anderen. Das ärgerte beide. Denn trotzdem sie Schwestern waren dachten sie zu gerne an die Zeit, wo jede ganz anders als die andere ausgesehen hatte. Vor allem ärgerte es sie, warum sie Zwillingsschwestern geworden waren und dass der, der ihnen das zugefügt hatte, unter dem Schutz ihrer ersten und machtvollen Mutter stand, auch wenn jene gerade zu tief in der erwählten Zweitgestalt steckte und nichts anderes tat als ständig Eier zu legen, aus denen Halblinge aus Menschen und Ameisen schlüpften. Es sollte einen Weg geben, sie aus dieser niederen Tierform zurückzuholen. Doch dazu brauchten sie bestimmte Dinge und leider auch Zeit, diese vorzubereiten. In der Zeit wollte Ilithula wenigstens dafür sorgen, dass keine und keiner sich dem von einem wütenden Sandsturm unter einer hohen Düne verschütteten Haus Al-Burch Kitabs näherte. Denn darin lag, wie auch immer dort hingekommen, der herrenlose Silberstern.
"Du beschwörst den dunklen Wind der Schwächung, Ilithula? Hast du echt noch Angst, dass nach der langen Zeit noch wer kommt, um den Silberstern zu holen?" fragte Hallitti, die wiedergeborene Tochter des dunklen Feuers.
"Sagen wir es mal so, meine liebe Zwillingsschwester: Solange es nur sechs Träger dieser verwünschten Lichtsterne gibt ist unsere überfürsorgliche Tante Ashtaria geschwächt. Ja, sie könnte sogar vergehen, je häufiger jemand mit einem der verbliebenen Sterne ihre Macht anruft. Deshalb werden sich viele von denen hüten, direkt gegen uns anzutreten. Also muss ich, die weiß, wo der siebte Stern ist, dafür sorgen, dass er da auch bleibt, wo er ist. Den kurzen Weg ins Haus hinein kann niemand gehen, der nicht von männlichem Geschlecht und nicht von seinem Blut ist. Also könnte nur wer versuchen, durch eine der Türen zu gehen. Damit das nicht passiert, und damit sich die ganze Folter mit unserer Wiedergeburt gelohnt hat, Hallitti, beschwöre ich einen eine Meile messenden Ring des Windes der Schwächung um das Haus. Der saugt auch mit Flugzaubern belegten Gegenständen alle Kraft ab und zerfrisst Frischluftatemzauber innerhalb von zwanzig Atemzügen. Dann bleibt der kleine Silberstern da, wo er hingeraten ist und unsere menschenfreundliche Tante mag hoffen, noch ein Jahrhundert lang zu bestehen, bevor sie mit allen in sich aufgenommenen Kindern und Kindeskindern im Strom des Vergessens zerfließt."
"Das wird sie nicht zulassen", grummelte Hallitti. "Ach, jetzt begreifst du, meine feurige Türöffnerin, warum ich gerade den dunklen Wind der Schwächung mache." Hallitti begriff. Dann sagte sie ohne Anflug von Gehässigkeit: "Ich kann deinen Zauber mit der Wut des Lebensfeuers verbinden. Dazu muss ich jedoch Gestein von kürzlich ausgebrochenen Feuerbergen aus allen von hier sichtbaren Himmelsrichtungen einsammeln und einen Tag mit Sonnenlicht, brennendem Pech und meiner Lebensessenz behandeln. Wenn ich die Steine dann so auslege, dass sie in die Richtung weisen, in der ihr Heimatfeuerberg steht, erhitzt sich jeder gleichwarm bleibende Körper, der auf dem Boden steht innerhalb von zehn Herzschlägen auf mehr als Siedetemperatur von Blei. Das übersteht keiner, der nicht den entsprechenden Vorsorgezauber kann und bereits ausgeführt hat. Darf ich?"
"Einen Tag lang? Bis dahin weht der Wind der Schwächung längst. Aber sei es, meine seit dem ersten Herzschlag wohlbekannte Schwester. Geh bitte und sammel deine Feuerbergsteine ein und mach deine Gemeinheit, während ich meine Gemeinheit vollende!"
"Wie du es sagst, Kleine Schwester. Aber vergiss bitte nicht, sie so zu wirken, dass unsereins nicht davon getötet wird. Es sei denn, du möchtest nachholen, was Itoluhila dir damals aufgebürdet hat", sagte Hallitti und verschwand geräuschlos im Nichts. Diese Kunst beherrschten nur die noch acht wachen Töchter der Lahilliota.
"Nein, nicht noch einmal", knurrte Ilithula. Dann holte sie aus einem halb im Sand vergrabenen Ledersack einen weiteren Vogelknochen hervor, den sie mit den für die nötige Ausrichtung wichtigen Zaubern besprechen wollte. Zwar stand bereits eine halbe Meile um das Haus ein Ring aus dem dunklen Wind der Schwächung. Doch sie wollte ihn auf eine Meile Breite bringen, damit wirklich niemand zu Fuß oder aus der Luft das Haus der Al-Burch Kitabs erreichen konnte. Das hatte sie schon damals versucht, wo sie ihren ersten Körper gehabt hatte. Doch da hatte der alte Hassan wirksam gegengehalten. Das einzige, was sie geschafft hatte war, dass seine Töchter unfruchtbar geblieben waren und somit keinen Enkelsohn gebären würden. Doch wenn Ashtaria einen anderen erwählte? Einen ihrer nicht in direkter Blutlinie von ihr abstammenden Schützlinge. Wieder dachte sie an den größten Fehlschlag ihres ersten Lebens zurück. Hatte er sich damit gar das Recht erschlichen, den siebten Stern zu bekommen? Seine verwünschenswerte Segensformel kannte der ja schon. Außerdem hatten die verachteten Verwandten ihr ihre Dienerin entrissen und womöglich in das Land hinter der Weltenbrücke gebracht, wo sie nicht hinkommen würde, weil sie dazu verdingt war, nach dem körperlichen Tod von einer ihrer wachen Schwestern wiedergeboren zu werden, immer und immer wieder. Dass es ausgerechnet Tarlahilia war, die sie und Hallitti neu empfangen und geboren hatte ärgerte sie genauso wie Hallitti. Denn sie hatten in der Sonnenlichtvertrauten immer eine gewisse Gegenspielerin gesehen. Jetzt mussten sie sie ehren, als gnadenvolle zweite Mutter und sahen ihr auch noch ähnlich.
Sie musste sich auf ihren Zauber besinnen. Sie eilte zu der Stelle, wo sie den bezauberten Knochen hinlegen wollte, nachdem sie den hohlen Knochen einige Dutzend Atemzüge lang vom frei wehenden Wind durchblasen ließ. Dann besprach sie den Knochen mit den ersten Zaubern. Sie wartete und schied aus ihrem Unterleib die orangerote Substanz freiwerdender Lebenskraft aus, um den Knochen auf sie zu prägen. Dann hhielt sie ihn erneut in den Wind, wartete einige Atemzüge lang und sprach die zweite Reihe von Zauberwörtern darauf. Da fühlte sie ein kurzes Erbeben der Luft. Der Wind der Verkündung hatte einen Eindringling in den von ihr abzusichernden Bereich umstrichenund darauf reagiert. Das musste sie klären, wer das war, bevor er im bereits wehenden Wind der Schwächung den Tod fand. Sie wollte jedoch nicht wahllos nach ihm suchen, zumal sie aus dieser Entfernung keinen Gedanken aufschnappen konnte. Doch sie war die Tochter des dunklen Windes, Königin der Lüfte.
Sie verscharrte den halb bezauberten Knochen im Boden. Er konnte ihren schon wirkenden Zauber nicht verderben. Dann lief sie zehn Schritte weit davon fort. Nun besann sie sich auf ihre Zweitgestalt und atmete tief ein und aus, fühlte im Geiste den Wind unter ihren Flügeln. Ihre Kleidung verschwamm, während ihr Körper anwuchs. Bei tage wolkengrau glänzende Federn sprossen aus ihrem Körper, während ihre Arme zu mächtigen Flügeln wurden. Ihre langen, schlanken Beine wurden zu elfenbeinfarbenen Beinen mit messerscharfen Fängen. Ihr schönes Gesicht nahm das Aussehen eines mächtigen Greifvogels mit bernsteingelben Augen und elfenbeinfarbenen Schnabel an. Sie verzichtete auf den Schrei des vollendeten Wandels, den sie früher immer ausgestoßen hatte. Sie stieß sich ab und schraubte sich höher und höher in den Nachthimmel. Anders als bei nur am tag ausfliegenden Greifvögeln konnte sie auch in stockdunkler Nacht so gut wie ein gefiederter Jäger sehen. Sie genoss es, die Königin des Windes zu sein, höher und höher hinaufzusteigen. Wie hatte es sie gefreut, als sie nach dem Genuss von zwei willigen Beilagergespielen endlich ihre ganze altvertraute Macht wiederentdeckt hatte. Dafür hatte es sich gelohnt, aus Tarlahilias engem Schoß hinauszukriechen, ein Jahr lang ihre Milch einzusaugen und sich gefallen lassen zu müssen, dass Hallitti immer noch ihre ältere Schwester geblieben war. Auch konnte sie mit ihren Vogelaugen die herrlich pulsierende Ausstrahlung lebender Wesen sehen. So entging ihr nicht, dass in der Ebene mehrere Kamele schliefen und weit entfernt von hier ein Zeltlager stand. Ja, das war das von dem Scheich, dessen Sohn sie um seinen Jagdfalken gebracht hatte und den sie sich nächste Nacht zuführen würde. Dann sah sie noch einen einzelnen Menschen, der Lebensausstrahlung nach ein junger Mann, der geradewegs auf den von ihr so mächtig abgesicherten Sandhaufen zuschritt. Der war zu Fuß unterwegs? Sie besann sich auf sein Aussehen. Das Haar schimmerte im Licht von Mond und Sternen. Augenblick, den kannte sie doch! Sie prüfte, wie hoch sie über dem Boden war, um keinen verräterischen Schatten zu werfen. Auch achtete sie darauf, nicht in den silbernen Mondstrahlen herumzufliegen. Sie beschleunigte ein wenig und flog dem am Boden voraneilenden voraus. Dann drehte sie beinahe auf der Stelle und flog in die Gegenrichtung. Jetzt sah sie ihn von vorne und hatte die ganze Gewissheit. Der junge Bursche da unten war Julius Latierre, geborener Andrews, Neffe des von ihr einverleibten Claude Andrews, den Itoluhila ihr wie einen Angelköder hingeworfen hatte, um sich nicht mit Hallittis körperlosem Geist schwängern zu lassen, diese Wasserkröte. Wenn der jetzt hier war, dann doch nur, weil ihm wer verraten hatte, dass hier das vergrabene Geburtshaus der Al-Burch Kitab-Sippe lag. Ja, und warum war der hier, wegen des verfluchten Silbersterns. Dachte der denn, er habe jetzt ein Anrecht darauf, weil die missliebige Tante ihn mit ihrem Schutz und Lebenssegen getränkt hatte? So oder so würde dieser Bursche gleich seine letzten Atemzüge tun. Denn nun war ihr klar, was passiert war. Der Junge wollte bei dem Haus ankommen. Doch da hatte ihn wohl die Zurückweisung unerlaubter Ankömmlinge auf dem zeitlosen Weg abgewiesen. Nun musste er zu Fuß zurücklaufen. Womöglich war er froh, dass er nicht gleich in seine Einzelknochen zerlegt worden war. Doch haltt, wenn er gleich starb, ohne dass sie aus ihm herausgeholt hatte, wo die Flöte des großen Windkönigs war oder diese für sie holte, dann würde sie niemals erfahren, ob sie auf dieser Flöte spielen und damit noch viel mächtiger werden konnte als ihre anderen Schwestern. Nein, der durfte noch nicht sterben. Sie musste ihn abfangen und dann am besten gleich in ihre Höhle tragen. Leider konnte sie ja nicht mit ihm den zeitlosen Weg gehen. Aber wenn sie ihn schon mal hatte, dann behielt sie ihn gleich bei sich. Sie legte die Flügel an und stieß hinunter.
Er mochte gerade noch fünfhundert Schritte vom klar erkennbaren Sandhaufen entfernt sein, als seine Goldblütenhonigphiole vibrierte. Um ihn herum begann die Luft blau zu flimmern. Dann spürte er einen Druck auf beiden Lungenflügeln und merkte, dass das Atmen nicht mehr so leicht ging. Die blaue Aura um ihn wurde heller, die Phiole begann wild zu brummen. Doch immer noch hatte er Atemprobleme. Er war in einen tückischen Luftelementarzauber geraten, garantiert schwarzmagisch. Die Phiole hielt wohl einiges ab, ja warnte ihn sogar. Doch sie hielt nicht alles von ihm ab. Er fühlte sogar, dass sie immer kälter wurde. Etwas entzog ihr Energie. Wenn der Goldblütenhonig gefror war es das mit ihm. Er wandte sich um und rannte keuchend davon. Die blaue Aura erlosch, und auch das wilde Vibrieren der Phiole verging schlagartig. Ebenso übergangslos konnte er wieder frei atmen. Er genoss es, während er weiterlief, um nicht in den Ausläufern dieses Erstickungszaubers zu bleiben. Er dachte daran, die Kopfblase zu zaubern. Würde die bei einem so heftigen Flächen- und Dauerzauber wirken?
Was ihn warnte wusste er nicht. Es mochte das erneute Vibrieren der Phiole sein, oder ein kurzer Schattenwurf auf dem Boden. Jedenfalls sprang er reflexartig nach links weg, wie er es im Karatetraining gelernt hatte, wenn ihm jemand mit einer überlangen Schlagwaffe zusetzen wollte. Deshalb entging er dem gewaltigen Etwas, das von oben heruntergekommen war. Als er sah, dass es ein Vogel größer als ein Andencondor war erschauerte er. Dann versuchte der gefiderte Angreifer, den Fangversuch von eben zu wiederholen. Da blitzte seine Goldblütenphiole in der Tasche auf, strahlte ein helles, gold-grünes Licht um ihn aus und summte leise. Der Riesenvogel verfehlte ihn erneut und drehte mit lautem Aufschrei ab, offenbar, weil das Licht seiner magischen Aura ihn geblendet hatte. Also war das ein schwarzmagisches Tier, wohl dazu da, die Umgebung zu überwachen und mögliche Feinde zu erledigen, die dem bösen Erstickungszauber nicht zur Beute fielen oder wenn sie es taten, keine Leichen zu hinterlassen.
Dann machte es richtig laut Klick in seinem Kopf. Natürlich wusste er, wer ihn da gerade beharken wollte. Auch wenn er sie nie in dieser Erscheinungsform gesehen hatte, auch wenn er bis vor den 26. April 2003 noch gehofft hatte, niemals mehr von ihr zu hören, wusste er jetzt, wer ihm die Falle gestellt hatte und als übergroßer Greifvogel auf ihn losgegangen war.
Er blickte nach oben, wo die als grauer Greifvogel herumfliegende Abgrundstochter gerade hundert Meter über ihm ihre Kreise zog. Doch solange seine gold-grüne Aura leuchtete, solange seine Goldblütenhonigphiole mit Phönixtränenzusatz summte, solange konnte die da ihm nichts antun, wusste er jetzt. Auch beglückwünschte er sich zu seiner Vorkehrung, das Lied des inneren Friedens angestimmt zu haben. Deshalb tat er das gleich noch einmal. Das hatte ihr schon damals nicht gefallen, wusste er noch viel zu gut. Auch konnte sie ihn selbst in ihrer Höhle nicht mit ihren Händen berühren, weil ihm da schon Ashtarias Aura angehaftet hatte. Und genau die wurde jetzt von seiner Phiole verstärkt, weil sie auch ein Teil von Darxandrias Herrscheraura geworden war. Hier, außerhalb ihrer eigenen Höhle, half ihm alles, was helle Kräfte verstärkte.
Er fühlte einen leichten Druck auf dem Kopf. Sicher versuchte die gerade, ihn auszuforschen. Deshalb dachte er schnell noch einmal das ihn schützende Lied des inneren Friedens.
Sie hätte es doch wissen müssen! Erst war er wohl von ihrem Schattenwurf gewarnt worden und unerwartet schnell und zielgenau zur Seite gesprungen, Dann hatte sie sich ihm bis auf halbe Länge genähert. Da war um ihn herum ein solch schmerzhaft helles Licht aufgestrahlt, wie es sonst nur von einem dieser Silbersterne ausging, auch wenn die gerade nicht mit ganzer Kraft wirken mussten. Er hatte Ashtarias Lebenshauch an sich und noch was bei sich, dass Schutzzauber verstärkte. Ja, wahrscheinlich dieses klebrige Zeug aus der Goldblüte, das die Abwehrzauber ihres Trägers verstärken konnte. Außerdem hatte der sich mal wieder gegen ihren Gedankenhörsinn verschlossen. Nun wusste der auch, wer sie war. Aber was half ihr das. Der war wegen dieser Phiole noch rechtzeitig aus dem Bann des Windes der Schwächung entkommen. Nicht auszudenken, wenn Hallittis Todesfeuer den noch erwischt hätte. Aber jetzt war ihr klar, dass sie ihn nicht einmal anspucken konnte. Was blieb ihr. Der würde doch jetzt wieder den kurzen Weg gehen und alle anderen warnen, was hier los war. So kam er zwar nicht an den Silberstern heran, aber die anderen wussten dann, dass hier der Tod auf sie wartete.
Aber wo er schon mal hier war wollte sie ihn doch noch begrüßen, wie es unter "Verwandten" Sitte und Anstand war. Als wenn sie jemals viel von Sitten gehalten hätte. Doch einen gewissen Spaß wollte sie doch noch haben, seine Enttäuschung zu erleben. So landete sie mehr als fünfzig Schritte entfernt. Diese verfluchte Lebenshauchverstärkung! Sie konnte ihn mit ihren Vogelaugen nicht länger als zwei Herzschläge ansehen. Innerhalb von drei eigenen Herzschlägen wurde sie wieder zur makellos schönen, orientalisch braunen jungen Frau.
Julius verfolgte, wie die Feindin noch ein paarmal über ihm kreiste und dann landete. Er ging davon aus, dass sie sich jetzt in ihrer eigentlichen Beutefanggestalt zeigte. Als sie sich dann tatsächlich in eine superschöne Menschenfrau verwandelte wurde das Licht der ihn umgebenden Aura ein wenig schwächer. Also war sie in dieser Entfernung und dieser Gestalt weniger gefährlich für ihn. Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein. Er hielt seine Gedanken weiterhin verschlossen und wartete, was sie tun würde. So konnte er erkennen, dass sie anders aussah als damals. Natürlich, sie hatte ihren ursprünglichen Körper verloren und war von einer ihrer Schwestern zusammen mit Hallitti wiedergeboren worden, nachdem die dunkle Welle um die Welt gelaufen war. Also ähnelte sie ihrer neuen Mutter. Von der bei Mondlicht zu vermutenden Hauttönung her mochte das die afrikanische Sonnenlichtlenkerin sein. Als ihm das klar wurde beschloss er, ihr entgegenzugehen.
Sie näherten sich beide bis auf fünf Schritte. Da begann seine Aura wieder heller zu werden. Deshalb zog sie sich um zwei Meter zurück. Julius unterließ es, sie zu verhöhnen, indem er ihr weiter entgegenzugehen versuchte. Er wollte sie nicht in die Enge treiben und schon gar nicht mit ihr kämpfen.
"Salemaleikum!" rief er, weil er davon ausging, dass sie immer noch der arabischen Sprache mächtig war.
"Wie überaus witzig, Schützling meiner missliebigen Tante. Weißt du, wer ich bin?" fragte sie auf Englisch. Ihre Stimme war der Hammer. Damit konnte sie Soulgrößen wie Tina Turner und Grace Jones die Neidesblässe in die Gesichter treiben.
"Die Windfrau, die damals meinte, mir einen unvergesslichen Seminarbesuch zu verschaffen und gehofft hat, ich würde mit ihrer damals gut verpackten Schwester zusammen ihr neuer Sohn werden. Ich habe mitbekommen, dass Hallitti und du nun echte Zwillingsschwestern geworden seid, wusste aber bis gerade eben nicht, von welcher von euch ihr wiedergeboren wurdet. Hast du diesen gemeinen Erstickungszauber da hinter uns gemacht?"
"Wer sonst? Diese Düne da ist verbotener Boden. Keiner von euch kurzlebigen darf ihn betreten."
"Verbotener Boden", tat Julius ahnungslos. Doch das kaufte ihm die Tochter des düsteren Sturmwindes nicht ab. "Du weißt ganz gut, was hier verborgen ist, Julius Latierre", zischte sie. "Und ich sage dir noch was. Keiner kommt da dran. Das verwünschte Ding bleibt jetzt für immer versteckt. Abgesehen davon bist du kein lebender Erbe dessen, dem es gehört hat und kannst es somit auch nicht verwenden, selbst wenn du es finden würdest. Da muste Julius grinsen. Dann sagte er: "Sowie das silberne Kreuz?" Sie fauchte wie eine gereizte Katze. "Sicher, womöglich hat dir dieses für Leben und ein friedliches Miteinander so sehr eintretende Weib, das die Schwester meiner Mutter ist erzählt, du seist der rechtmäßige Erbe, weil der wahre Erbe nur Töchter hinbekommen hat. Und sicher, du konntest diese verwünschte Anrufung, mit der diese ehemalig sieben Nachkommen von ihr ihre Silbersternchen zu voller Kraft erwecken. Klar denkt sie jetzt, du seist ein willkommener Ersatz. Aber spätestens dann, wenn du stirbst hat dieser Stern keinen Wert mehr. Also lass es besser bleiben, ihn haben zu wollen. Du und deine eigenen Töchter lebt sicher ruhiger ohne das Ding."
"Ashtaria hat mir mehr oder weniger aufgenötigt, mir diesen Stern zu holen, auch deshalb, damit er nicht nutzlos unter dem Sand der Sahara herumliegt. Die hat mir angedroht, dass ich meines eigenen Lebens nicht mehr froh werde, wenn ich das nicht tue. Und wie du sehen kannst hat sie mir einen gewissen Anteil ihrer Lebensaura aufgeladen, was ihr hilft, mich überall zu finden, wo ich mich vor ihr verstecken will. Die will haben, dass alle sieben Sterne wieder strahlen, und ich will haben, dass ich weiterhin mit meiner Familie ein friedliches Leben habe. Wenn deine Mutter was will weiß sie doch auch, wie sie's kriegt. Wie geht es ihr eigentlich?"
"Welche Mutter meinst du genau?" antwortete Ilithula mit einer Gegenfrage. "Lahilliota. Deine größere Schwester Itoluhila hat mir berichtet, dass sie wieder aufgewacht ist und dass wir deshalb keinen Krach miteinander haben möchten, also ich euch nichts tun darf und ihr mir nicht und auch meiner Frau und meinen Kindern nicht", erwiderte Julius. "Das muss ich dann wohl verschlafen haben", grinste Ilithula. Ihre Zähne waren vollkommen regelmäßig und schneeweiß.
"Tja, aber Tarlahilia dürfte euch das beim Stillen sicher mitgegeben haben, dass eure Mutter Lahilliota diesen Waffenstillstand verkündet hat. Soll mir auch ganz recht sein. Die Nachtschattenfrau und die Vampirgöttin sind ja echt schon heftig genug, oder?" Er verstärkte noch einmal das Lied des inneren Friedens.
"Was Lahilliota, meine ehrwürdige Mutter damals verkündet hat habe ich wie erwähnt verschlafen und somit nicht als ihre Anweisung gehört. Hallitti übrigens auch nicht. Wenn du mit uns friedlich auskommen möchtest verzichte auf Ashtarias Erbe! Womöglich können Hallitti und ich und vielleicht auch unsere Wiedergebärerin dir helfen, dich endgültig davon loszumachen. Dann kannst du auf uns zählen, wenn dir was zustößt. Ja, und diese Blutsaugergötzin und diese selbsternannte Schattenkönigin sind uns auch lästig, für wahr. Doch genau deshalb soll der siebte Stern bleiben, wo er ist."
"Ashtaria hat mir aufgetragen, ihn zu bergen und an Stelle des bisherigen Trägers weiterzutragen. Ich weiß wie mächtig sie ist. Du und deine Zwillingsschwester wisst es auch. Also muss ich da wohl hin und ihn holen. Womöglich wirkt dein Fallenzauber nicht im Haus selbst. Dann kann ich da reinapparieren. So tief im Boden kann das ja nicht sein."
"Hineinapparieren kannst du nicht, weil ein Zauber drinnen das verhindert. Draußen wirkt mein Abwehrzauber. Der wird dich auch mit der Phiole bei dir in nur hundert Atemzügen töten. Ich denke, das wollte meine missliebige Tante nicht, oder vielleicht doch? Ach ja, hat sie dir auch erzählt, was denen passiert, die dieses Silberding ihr Leben lang mit sich getragen haben, wenn sie dann doch zu alt sind, um ihr noch zu nützen? Sie fängt ihre Seelen und verleibt sie sich ein, um sich an ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zu mästen. So bleibt sie mächtig, und genau deshalb will sie, dass jemand wie du den Silberstern bekommt."
"Und was gibt es neues in der Welt?" fragte Julius unbeeindruckt. Dann legte er nach: "Sie hat es mich in einer Traumvision sehen lassen, als sie mir das Leben gerettet hat, dass die, die sich ihr anvertrauen, mit ihr und allen Vorfahren eins werden. Ob sie mir diese Ehre gewährt oder lieber möchte, dass ich zu meinen leiblichen Vorfahren gehe erfahre ich erst, wenn es soweit ist. ich kann also nicht ins Haus reinapparieren?" Ilithula grinste und sagte "Nein, kannst du nicht." Und ich würde vorher tot umfallen, weil das Haus unter einer sechzig Meter hohen Sanddüne vergraben ist?" fragte er. "Kein Ausgrabezauber wirkt so schnell, dass du es noch erleben würdest, das Haus zu Fuß betreten zu können, vorausgesetzt, meine heuchlerische Tante hat dir überhaupt den Schlüssel gegeben."
Julius tastete sich ab und schüttelte dann den Kopf. "O, Mist! Sie meinte, wenn ich vor dem Haus stehe würde ich schon reinkommen, wegen der von ihr aufgeprägten Aura. Deshalb dachte ich ja auch, ich könnte reinapparieren."
"Kannst du mal sehen. Da hat sie dich doch glatt belogen, diese angebliche Men-schen-frrreun-din", knurrte Ilithula. Dann musste sie wieder grinsen. "Tja, ahnungsloser Kurzlebiger, ohne den Haustürschlüssel kommst du da nicht rein, und den hatte der letzte Hausbesitzer wohl dabei, als sie ihn ins Grab legten. Denn der Schlüssel zu diesem Haus ist was ... naaa, kommst du drauf?"
"Das richtige Passwort? "Sesam öffne dich" vielleicht", erwiderte Julius übertrieben unernst.
"Nein, Julius Latierre. Der richtige Schlüssel ist ... das richtige Blut. Nur wer ein Blutsverwandter des wahren Trägers ist kann da reingehen. Und damit keiner meint, eine seiner noch lebenden Töchter beschwatzen zu können, ihm die Tür aufzumachen habe ich das Haus unter dem Sand begraben und den Zauber des Windes der Schwächung errichtet, der übrigens auch jede Kopfblasenzauberei innerhalb von nur zwanzig Atemzügen erschöpft, ich bin nicht einfältig."
Julius wollte auf diese letzte Selbsteinschätzung besser nichts sagen. Auch hielt er sich gut zurück, dass Lahilliota gerade als übergroße Ameisenkönigin herumlief. Er stellte noch eine Frage, um die Lage endgültig zu klären: "Wenn ich jetzt auf den Stern verzichten muss, wie du gerade gesagt hast, dann bin ich doch keine Gefahr für euch. Lasst ihr zwei mich dann auch in Frieden und meine Verwandten und Freunde auch?
"Das was mich damals interessiert hat interessiert mich noch mehr denn je, Julius. Du hast damals die grauen Vögel des mächtigen Windkönigs gerufen, wohl mit seiner Flöte. Die will ich jetzt immer noch haben. Tja, und ob Hallitti euch in Ruhe lässt hängt davon ab, wie du ihr die beiden Niederlagen vergelten kannst, die mit den weißen Hexen und der mit dem silbernen Zauberstab und dass wir über ein Jahr untätig verschlafen mussten und wohl noch ewig weitergeschlafen hätten. Ich kann sie herrufen und wir klären das gleich hier, wo sonst niemand dabei ist."
"Also ihr seid weiter hinter mir und meinen Freunden und Verwandten her", seufzte Julius. "Habt ihr dann auch schon drei Gräber geschaufelt, eins für mich und je eins für eure gegenwärtigen Körper?"
"Ach, das chinesische Sprichwort", grinste Ilithula. "Wir müssen dich nicht töten. Außerdem müssten wir dazu auf jeden Fall diesen widerlichen Krafthauch unserer Tante von dir abbekommen. Aber das müsstest du dann freiwillig tun. Dann können deine Kinder - wieviele sind es jetzt? unbehelligt von uns aufwachsen und ihr kleines, beschauliches, unaufregendes Leben leben", schnarrte Ilithula. Julius zeigte, dass er das als Drohung verstanden hatte, ohne es zu sagen. Dann seufzte er und sagte:
"Dann müssen meine Kinder eben an einem geschützten Ort bleiben, ihr ganzes leben. Öhm, deine Schwester und du wisst, wo wir wohnen, nehme ich an?"
"Ja, Millemerveilles, ein Ort, der offenbar von den Kindern meiner missliebigen Tante geliebt wird. Ja, und ich weiß auch, dass sie dir mächtige Erdzauber beigebracht haben, dass du dieses Nest Sardonias zu einem Bollwerk gegen Feinde gemacht hast, zusammen mit diesen Bälgern meiner Tante."
"Was meinst du denn, warum ich gefragt habe, wie tief das Haus verbuddelt ist. Ich kann den genialen Ausgrabezauber. Aber der bräuchte bei sechzig Metern Sandtiefe immer noch ... hmm ... oh ... eine Minute. Mist!" erwiderte Julius. Was er wissen wollte wusste er jetzt. Ilithula wusste, dass er mächtige Erdzauber konnte. Aber sie wusste wohl nicht, wie viele genau. Denn sie lächelte überlegen. Offenbar wollte sie ihrer erdverbundenen Schwester Ullituhilia stecken, dass er nicht so superausgebildet war wie sie es wohl vermutet hatte. Da wäre er gerne dabei, wenn sie ihr dann vielleicht was anderes erzählte. Doch jetzt galt es erst mal, diese Unterhaltung zu beenden, ohne dass es doch noch knallte.
Er verstärkte noch einmal das Lied des inneren Friedens. Dann sagte er: "Tja, dann muss ich wohl nach Millemerveilles zurückkehren, meiner Familie sagen, dass sie solange nicht mehr da rausdürfen, bis ihr das mit euren Schwestern geklärt habt, ob das Wort eurer Mutter gilt oder nicht und ich drauf warten muss, was Ashtaria mit mir anstellt, weil ich ihren Willen nicht erfüllt habe."
"Sie kennt sicher Gnade mit einem wenig erfahrenen Zauberer, der nur weil er ein bisschen bessere Zauberkraft hat von ihr auserwählt wurde und es dann doch nicht geschafft hat. Ob Hallitti Gnade kennt weiß ich im Moment nicht. Tja, und wann unsere ehrwürdige Mutter wieder mit uns reden möchte weiß ich auch nicht. Dann verschwinde besser jetzt, bevor ich doch noch Hallitti herrufe und wir beide ausprobieren, wie lange deine Abwehr noch hält."
"Stimmt, will ich nicht wirklich", sagte Julius nur. Er blickte noch einmal sehnsuchtsvoll auf den Sandhaufen. Dann disapparierte er.
"Kleiner, das war wohl nichts", dachte Ilithula. Doch irgendwie gefiel ihr nicht, wie diszipliniert er seine Gedanken vor ihr verschlossen gehalten hatte. Natürlich missfiel ihr auch, dass dieser Schutz von Ashtaria so stark an ihm haftete, als sei er doch einer ihrer lebenden Erben, ja, als habe sie ihn leibhaftig zur Welt gebracht. Aber was war das für ein grünes Licht in dieser Ausstrahlung? Irgendwas sagte ihr, dass es was mit der Erde zu tun hatte. Doch weil sie eine dem Wind verbundene war konnte sie nicht genau erkennen, was. Wichtig war nur, dass er nicht ins Haus unter der Düne hineinkam und der Silberstern der missliebigen Tante für immer dort blieb. Sie musste jetzt den Zauber zu Ende bringen, damit auch weiterhin niemand in die Nähe des Hauses kam. Hätte sie ihm erzählt, dass er nur bis auf fünfzig Schritte an den Sandhaufen herangemusst hätte wäre der doch sicher noch einmal losgelaufen, mit Kopfblasenzauber und dann kurz vor dem Ziel zusammengebrochen. Na gut, dann hätte Hallitti keinen Grund mehr, ihm hinterherzujagen. Das machte sie berechenbar, leicht zu ködern wie damals, wo diese Hexen in Weiß es vorhergesehen hatten, dass sie sich Julius holen würde. Das wenigstens musste sie ihr sagen. Noch was, sie musste davon ausgehen, dass ihre missliebige Tante auch die Kinder dieses überschätzten Zauberers beschützte. Wie viele Kinder hatte der jetzt noch einmal?
Sie wechselte wieder in den Wirkungsbereich ihres Todeszaubers. Der tat ihr und auch keiner ihrer Schwestern was. Deshalb trat er jetzt auch nicht in Kraft. Gut, dass dieser Bursche nicht darauf kam, dass sie diesen Zauber noch einmal nachbessern musste.
Sie holte den Vogelknochen aus dem Sand, den sie schon zum Teil bezaubert hatte. Wie zu befürchten war war die ganze bereits aufgeprägte Magie verflogen, weil die Vollendung gefehlt hatte. Na ja, dann war sie wenigstens von den anderen Knochen aufgenommen worden. Sie entlud den Knochen. Doch das gab ihm den Rest. Er zerfiel in einer hellblauen Entladung. Also holte sie ihre Umhängetasche und holte den zweiten für brauchbar gehaltenen Vogelknochen hervor. Sie begann ihn neu zu bezaubern, wobei sie immer wieder freie Luft durch den Röhrenknochen blasen ließ und ihn in alle Himmelsrichtungen hielt. Sie war so konzentriert, dass sie es erst merkte, als es eine bestimmte Stärke überstieg.
Sie hatte gerade die vorletzte Bezauberung auf den Knochen aufgesprochen, als sie fühlte, dass von dem Sandhaufen etwas fremdes ausging. Nein, so fremd war es nicht. Es war die Lebenskraft der ungeliebten Tante, und sie hatte sich verstärkt. Sie überstrahlte den ihr schon lästig gefallenen Abwehrzauber. Das konnte sie bis in diese Entfernung fühlen. Es fühlte sich gerade so an, als sei in dem Haus unter dem Sandhaufen etwas aufgewacht. Etwas aufgewacht?!
Julius war an einen Ort appariert, der nur zwanzig Kilometer westlich des Sandhaufens war. Er hoffte, dass Ilithula keinen seiner Gedanken mitgehört hatte. Denn jetzt galt es.
Er besann sich auf das, was er als Madrashainorian erlernt hatte. Am Anfang war es nicht einfach gewesen, die Durchdringung zu erschaffen, die ihn vor dem festen Gestein und der Atemnot unter der Erde schützte. Doch er hatte es gelernt, natürlich in Vollendung, weil Madrashmironda ihn sonst sicher nicht mehr in seine Welt zurückgelassen hätte. Darauf verließ er sich nun. Als er sicher war, die richtige Ausrichtung zu haben, stampfte er mit dem rechten Fuß auf und stürzte förmlich in den festen Boden hinein. Keine Sekunde später war er sechzig Meter tiefer. Dann dachte er daran, mit tausendfacher Schrittgeschwindigkeit zu reisen. Er wünschte sich, einfach vorwärts zu kommen, den Magnetfeldlinien folgend. Er fühlte, wie er sich dem Ziel näherte. Er kam nicht so schnell voran wie durch massives Felsgestein. Aber er war immer noch zehnmal schneller als der schnellste Rennbesen, den Ganymed 15 eingeschlossen. Als er fühlte, dass er seinem Ziel auf einen Kilometer nahe war bremste er und erreichte es nur vier Herzschläge später. Er bremste ganz ab und richtete sich aus. Zu lange durfte er nicht stillstehen, weil der Zauber auf Bewegung ausgelegt war. Es reichte ihm aber, nun die genaue Austrittsstelle zu finden. Er kannte das Haus nicht und wusste auch nicht, ob er nicht gleich wieder abgewiesen wurde. Doch er musste es einfach riskieren.
Er schnellte aus einem Steinfußboden heraus und stand keine Zehntelsekunde später auf festem Boden. Er rechnete damit, gleich eine Kopfblase zaubern zu müssen, um die entscheidenden Sekunden Zeit zu haben. Doch die blaue Aura, die seine Phiole vorhin in dieser Windmagiefalle ausgestrahlt hatte blieb aus. Doch dafür schimmerte es wieder golden um ihn, mit diesmal mehr grünanteilen. Darxandrias Aura reagierte auch von selbst auf weiße Magie, wusste er. Mit der Goldblütenhonigphiole wurde sie verstärkt. Dann hörte er eine Stimme und ärgerte sich, dass er seinen Allversteher-Ohrring nicht angesteckt hatte. Die Stimme klang ein wenig ungehalten, wenn er das aus der schnellen, womöglich arabischen Ansage heraushörte. Zumindest war es eine magische Sprachaufzeichnung. Dann begriff er, dass ja immer noch das Lied des inneren Friedens in Kraft war. Er hob dessen Wirkung sogleich auf. Da fühlte er, wie etwas in seinen Kopf hineintastete und sah erst, dass die goldene Aura noch heller wurde. Dann sah er Bilder vor seinem geistigen Auge, wie er das Herz des Seth bekämpft und die neun am Leben gehaltenen Verbindungsstellen dazu in ewigen Schlaf gezaubert hatte, wie er mit Ashtaria auf Ammayamirias Wiese gesprochen hatte und alles was er mit den Kindern Ashtarias erlebt hatte, über die letzte Begegnung mit Itoluhila und Errithalaia, das Lichternetz, die zumindest zeitweilige Schlafbezauberung von Ilithula und Hallitti, Camilles Wiegensegen mit ihrem Silberstern, sowie den Geburtsakt von Ammayamiria und ihm aus Ashtarias astralem Leib. Auch bekam er noch einmal seine Begegnung mit Hallitti und seinem Vater mit. Dann war er wieder in jenem fensterlosen Raum, in dem nur zwei alte Truhen standen. Dann hörte er wieder die Stimme, diesmal direkt in seinem Kopf, und sie sprach Englisch mit ihm:
"Schützling unserer großen Vormutter. Ich, der ewige Wächter dieses Hauses, habe deine Erlebnisse und Absichten erfasst, auch wenn du dich vorhin vor mir zu verschließen vermochtest. Ich erkenne den dir aufgeprägten Lebenshauch der mächtigen Vormutter. Ashtaria trug dir auf, das Erbe meines Stammes zu empfangen, und du hast ihr und der Welt einen sehr wichtigen Dienst erwiesen. Das macht dich würdig, dieses Erbe zu erhalten. So folge deinem Gefühl, das dich leitet, den Raum zu finden, wo der letzte Träger des machtvollen Zeichens einst das Licht dieser Welt erblickte! Ich, der ewige Wächter des Hauses Al-Burch Kitab, heiße dich als Erben meines ehrwürdigen Stammes willkommen, Julius Latierre, Sohn des Richard."
Unvermittelt fühlte Julius eine auf ihn wirkende Ausstrahlung. Es mochte ein Windhauch sein oder eine Wärmequelle. Es konnte aber auch ein sehr leiser, schön klingender Ton sein. Er erfasste es mit allen Sinnen zugleich und doch mit keinem. Jedenfalls bekam er eine Richtung. Es ging nach Osten.
Er stieg zunächst eine Treppe hinauf. Dann durchquerte er einen Flur. Sein Zauberstablicht fiel auf scheinbar uralte Möbel, die dennoch keine Spuren von Wurmbefall oder anderen Alterserscheinungen aufwiesen. Er passierte eine halb geöffnete Tür, hinter der er eine Küche mit einer rußigen Herdstelle sah, einen Waschraum ohne sowas wie eine Toilette, einen verschlossenen Raum, auf dessen Türblatt zwei stilisierte Bücher aufgemalt waren, vielleicht eine Bibliothek. Dann kam er noch an zwei kleinen Schlafräumen vorbei. Schließlich, ganz im osten, betrat er den großen Elternschlafraum mit einem für Könige geeigneten Himmelbett, dessen Baldachin überhaupt keine Spuren von Mottenfraß oder Verblichenheit aufwies. Alles wirkte so, als sei es für lange Zeit konserviert worden, als Museum oder seltene Andachtsstelle. Hier war die nicht klar bestimmbare aber deutliche Ausstrahlung am stärksten. Er musste sich bücken. Ja, da auf dem Boden neben einem geschlossenen Nachttopf lag, die silberne feine Kette langgestreckt, das silberne Amulett, der fünfstrahlige Stern mit abgerundeten Enden, wie er ihn von Camille Dusoleil und Adrian Moonriver kannte. Der Stern spiegelte das Leuchten seiner gerade sichtbaren Aura. Oder leuchtete er aus sich selbst heraus in jener Farbenmischung? Julius fühlte, dass ein weiteres Zögern jetzt nicht angebracht war. Er griff nach der silbernen Kette, zog sie und das magische Kleinod an sich und hängte sich die Kette um, als sei das das selbstverständlichste von der Welt.
Ilithula starrte in die Richtung des Sandhaufens. Ja, es war stärker geworden, dieses abwehrende Leuchten. Es war, als sei gerade jetzt etwas dort eingetreten, dass seine ganze schützende Kraft beanspruchte.
Die Tochter des düsteren Windes ahnte es, dass ihr aufgefrischter Fallenzauber nicht mehr nützen würde. Sie warf den bezauberten Falkenflügelknochen wütend von sich. Kalter Wind begann, sie zu umwehen. Ihre Verbundenheit mit dem flüchtigen und wankelmütigen Element konnte solche ungewollten Luftbewegungen auslösen.
"Wie kann das sein. Niemand kommt da rein ohne Blutschlüssel", dachte sie und wechselte in die Nähe des Hauses. Doch als sie dort Gestalt annahm strahlte der Sandhaufen vor ihr golden auf. Das Haus schirmte sich gegen sie ab. Also war jemand darin, den es schützen musste. Dann fühlte sie die klare Ausstrahlung eines von einem lebenden Wesen getragenen Silbersterns. Sie fühlte keine Gedanken. Denn ein Silberstern der missliebigen Tante verhüllte den Geist seines Trägers oder seiner Trägerin vor fremden Wesen. Doch sie wusste, wer es war. Sie wusste, dass er sie mal wieder zur Närrin gehalten hatte. Ja, nur Julius Latierre konnte es geschafft haben, den eigentlich für alle Zeiten unberührbar bleibenden Silberstern zu finden und an sich zu nehmen. Dann spürte sie, wie sich die neue Ausstrahlung nach Westen bewegte bis sie auf einmal nicht mehr da war. Das goldene Leuchten aus dem Sandhaufen verging wieder. Doch dafür begann der Sand zu beben, geriet ins rutschen. Sie sah es nicht mit den Augen. Doch sie fühlte es mit ihren Sinnen, dass das Haus sich seiner aufgezwungenen Last entledigte, den Sand einfach abschüttelte wie ein Kamel den Sand aus dem Fell schüttelt, wenn es den Sandsturm überstanden hat. Es kam immer mehr von ihm zum Vorschein. Dann flog der abgeworfene Sand wie aus hundert Riesenschlünden gepustet in alle Windrichtungen davon. Nur Ilithulas eigener Schutz vor fremdem Wind bewahrte sie davor, von dem Sand überschüttet zu werden, mit dem sie das Haus bedeckt hatte. Der Sandhaufen löste sich immer mehr auf. Dann erklang eine mächtige Stimme aus dem Haus:
"Tochter ohne Vater, Tochter der Schwester und Todfeindin unserer ersten Mutter, verlasse diesen Ort! Du bist hier nicht erwünscht und wirst hier nicht mehr herkommen. Pack deinen tödlichen Windzauber und zerstreue ihn in alle Winde, auf dass das Haus Burch Kitab wieder frei von Nachstellungen und Drohungen stehen kann!"
"Wer bist du?" rief sie in demselben arabischen Dialekt, mit dem die Stimme gesprochen hatte. "Ich bin der ewige Wächter der Sippe Al-Burch Kitab, Hüter ihrer Schätze, Bewahrer ihrer Errungenschaften. So weiche von diesem Orte oder erleide die Qual der uneinsichtigen Untäter!"
"Ein magischer Haushüter", knurrte Ilithula. Doch weil der Wächter das Haus freigeräumt hatte und weil er sie erkannt und angesprochen hatte und weil der das Haus umgebende Abwehrzauber wieder stärker wurde wich die Tochter des düsteren Windes.
Es war wie bei einer Denkariumssitzung. Unvermittelt meinte er, in einen goldenen Tunnel hineinzustürzen und dann wie in einem 360-Grad-Kino Erlebnisse aus vergangenen Tagen, Jahren und Jahrhunderten zu erleben, seine eigenen und die anderer Leute. Er bekam mit, wie jemand im Kugelhagel eines Hinterhaltes ums Lebenkam, wie er Aurélies Heilsstern aktivierte und so in Ashtarias Astralleib eingebettet wurde. Er sah weitere Vorfahren dessen, der diesen Stern zuletzt getragen hatte. Dabei war auch eine Szene, wie ein Träger auf einem Schiff von dessen Besatzung bedroht wurde, wie ein anderer Träger in einer schimmernden Rüstung auf einem geflügelten Tier, dass irgendwie wie ein Zwischending zwischen Drache und Greif aussah, gegen den schwarzen Käfer mit goldenen Punkten kämpfte, als der die jüngste Abgrundstochter unterwegs war. Waren das alles Erinnerungsfragmente derer, die diesen Stern getragen hatten? Womöglich galt dies für Gefahrenmomente. Dann war da wieder nur der goldene Tunnel, der in diesem alten Ehegattenzimmer endete. Julius fühlte, wie der Heilsstern Hassans an seinem Brustkorb pulsierte und ähnlich wärmende Ströme in ihn hineinsandte wie sonst die Herzanhängerverbindung. Das ließ ihn daran denken, dass er unbedingt prüfen musste, ob beide magischen Schmuckstücke miteinander konnten. Doch halt, das wusste er doch schon von Marias Kreuz und Camilles Bruder des Sternes, den er hier und jetzt als sein Eigentum angenommen hatte, der ihn als seinen Eigentümer, seinen neuen Herren und Vererber angenommen hatte. Dann ließ das warme Pulsieren nach und die Stimme des Wächters sprach wieder direkt in seinen Kopf: "Würdiger Erbe meiner leider erloschenen Herrschaft, trage nun die Kunde deiner Erbschaft zu den anderen, auf dass sie sich mit dir in der Höhle des letzten Abschiedes vereinen und mit dir die erhabene Anrufung aussprechen, auf dass ihr sieben einander verbunden seid durch die erste Mutter Ashtaria! Erst dort, wenn alle sieben zusammen sind, darfst du diese mächtige Anrufung aussprechen, nicht vorher. Denn nur wenn alle sieben einander vorgestellt sind, darf jeder sein Erbe nach Sitte und Auftrag der erhabenen Vormutter nutzen. Du bist nun frei, dieses Haus auf dem zeitlosen Weg zu verlassen, Julius Latierre. Lebe wohl, mitfühlend und entschlossen!"
Ein kurzes Beben erfüllte die Luft. Julius sah für einen Sekundenbruchteil das Musikzimmer im Apfelhaus, von wo er die Reise in die Wüste Jordaniens angetreten hatte. Er nickte in Richtung Osten, obwohl er nicht wusste, ob der Wächter das sah. Dann hob er seinen Zauberstab und drehte sich auf dem Stifelabsatz.
Als er wieder im Musikzimmer war glühte der neue alte Silberstern in einem warmn goldenen Licht. Darauf erstrahlte auch die von verschiedenen mächtigen Wesen aufgeprägte Aura, weißgold mit grünen Schlieren. Dann war alles so, wie er es schon mehrfach erlebt hatte. Der Silberstern erlosch, würde aber wieder erstrahlen, wenn er an dem Ort war, zu dem er hinsollte. "Du hast die Stimme des ewigen Wächters vernommen, Julius, mein sechster Sohn. Halte dich an seine Worte!" hörte er nun Ashtarias Stimme in seinem Kopf. Das konnte noch was geben, wenn die nun auch andauernd mit ihm mentiloquierte.
Apropos mentiloquieren! Er griff nach der Kette für den Herzanhänger und streifte sich diese auch noch über den Kopf. Als der Anhänger vor seiner Brust hing berührte er den Heilsstern. Doch es geschah nichts. Kein Knistern, keine Abstoßung, keine Lichtblitze oder dergleichen. Doch er fühlte, wie der Herzanhänger wieder zu pulsieren begann. Ja, so kannte er es von den Erlebnissen mit Camilles Heilsstern. Der konnte er ja gleich an diesem Morgen die frohe Kunde geben und dann noch mit Maria Valdez E-Mails austauschen. Da fiel ihm ein, dass er den Stern vielleicht nicht bei der Arbeit an einem Rechner tragen sollte. Dessen magische Aura konnte ausreichen, jeden Hochleistungs-PC aus den Schuhen zu hauen und dabei auch noch in seine Einzelteile zu zerlegen. Die Sonnenkinder hatten es ihm erzählt, dass deren Ausstrahlung manchen Rechner aus dem Tritt gebracht hatte.
Dann werde ich mich mal hinlegen. Das Sternchen kann ich ja in der Silberschachtel aufbewahren, in der auch der Allversteher drin ist", dachte Julius. Das würde was geben, wenn er Millie und Béatrice morgen früh seine Neuerwerbung vorführte.
Ullituhilia lachte laut und überlegen, als ihre mit dem Wind spielende Schwester ihr eingestand, dass Julius Latierre den siebten Stern an sich genommen hatte. "Tja, ich hätte dir verraten können, dass er vielleicht auch die alten Erdzauber gelernt hat, wie jemand wie die kleinwüchsigen Spitzohren oder diese legendären Schlangenkrieger durch festes Erdgestein reisen kann", sagte sie mit schadenfrohem Grinsen. Ilithula funkelte ihre der Erde vertraute Schwester wütend an. "Was soll daran bitte lustig sein, dass unsere größte Feindin wieder erstarken konnte und jetzt noch einen neuen Erben in ihren Reihen hat? Denkst du, der wird vor uns zurückweichen?"
"Liebe Schwester, bei allem, was du mit der Burch-Kitab-Sippe ausgefochten hast, es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand den siebten Stern holt. Ja, und soll ich dir noch was sagen? Ich bin sehr erheitert und froh, ja froh, dass es dieser Julius Latierre ist, auch wenn er mich damals mit mindestens zwei anderen Kindern Ashtarias sehr schmerzhaft vertrieben hat. Aber er hat Zugang zu den alten Zaubern der Erde, genau wie diese Spinnenschwester. Wenn wir es richtig anstellen können wir die beiden gegeneinander ausspielen, vor allem jedoch kann er mit den alten Erdzaubern gegen unsere wirklich tödlichen Feinde kämpfen, diese selbsternannte Göttin der Blutschlürfer und dieses Schattenweib, vor dem selbst Thurainilla mittlerweile Angst hat. Verstehst du, Ilithula, er darf für uns gegen all diese verfemten Weiber antreten. Solange brauchen wir Ashtarias Kraft noch. Außerdem gilt das Wort unserer Mutter, die immer noch deine Mutter ist, auch wenn Tarlahilia Hallitti und dich neu auf die Welt drücken musste. Sie hat in Dankbarkeit für ihre Befreiung und den neuerhaltenen Körper befohlen, ihn nicht anzurühren, solange er keiner von uns direkt schadet. Daran müsst ihr beiden Nachgeborenen euch halten."
"Nenn mich nicht nachgeboren, du kamst nach mir zur Welt, Ullituhilia."
"Ja, vor mehr als viertausend Jahren. Aber du bist ja sogesehen gerade mal ... wag dich nicht", grummelte Ullituhilia. Ilithula wuchsen bereits graue Federn, und ihre aufreizend kurze Kleidung begann zu flimmern, als wolle sie sich gleich auflösen. "Du weißt, dass Vögel Kerbtiere fressen?" fragte Ilithula.
"Du weißt, dass jede, die einer anderen Schwester schadet grausam darunter leidet. Willst du wieder schlafen oder als uralte Frau durch die Welt wandern. Frag mal Hallitti, wie das war, in einem nicht passenden Körper zu stecken und immer wieder zu vergreisen. Ach neh, hast du sicher längst, als ihr Geist in deinen Schoß einfuhr, ohne dort neu aufzukeimen."
"Ich wollte dich vor einer neuen Bedrohung warnen, und du verspottest mich", knurrte Ilithula. "Ja und ja, Ilithula. Du hättest dem begabten Zauberknaben nicht verraten dürfen, wie tief er tauchen muss, um ganz sicher unter das Haus zu kommen."
"Woher ... Arg!" knurrte Ilithula. Dann zischte sie: "Und du weißt auch, dass keine in die Gedanken der anderen eindringen darf, weil das auch wie ein Angriff ist. So steht es in den Schriftrollen, die unsere erhabene Mutter, möge sie von ihrer selbstverschuldeten Abwegigkeit kuriert werden, unseren Ammen überlassen hat."
"Och, jetzt auf einmal gilt ihr Wort was für dich", feixte Ullituhilia. "Wendig wie der Wind, dem du verbunden bist."
"Und du stur und unverrückbar wie die Felsen, an denen deine Kraft hängt", knurrte Ilithula. Dann verbeugte sie sich schnell und verschwand wieder. "Della, Schätzchen, kommst du bitte heute Nacht zu mir? Ich möchte dir eine sehr spannende Geschichte erzählen", schickte sie eine Gedankenbotschaft an ihre erste menschliche Dienerin. Keine zehn Sekunden später kam die Antwort: "Herrin, ich habe heute eine Verabredung. Aber um halb sieben könnte ich kurz zu dir kommen, ohne dass es auffällt."
"Ja, dann machen wir das doch so", erwiderte Ullituhilia. Auch wenn sie Della Witherspoon hätte züchtigen können, weil sie einfach die Einbestellungszeit abgeändert hatte wollte sie mit der lebenshungrigen Hexe nicht so umspringen. Denn sie gab ihr immer gerne von dem ab, was sie von anderen jungen Männern in sich aufnahm. Vielleicht sollte sie sie mit sich im Lebenskrug vereinen, mit ihr zerfließen und dann wieder zurückkehren, als Zwillingsschwesternpaar, ohne erst in einem viel zu engen Mutterbauch eingesperrt zu sein und mit Mühe und Schmerzen daraus hinauszukriechen. Doch nein, sie brauchte eine, die in der magischen Welt bekannt war und Verbindungen hatte, keine Zwillingsschwester. Außerdem wollte sie heute noch ihr angeblich seriöses Import-Export-Unternehmen um zwei Warenlieferanten erweitern. Zudem wusste sie, dass die afrikanische Gemeinde der Götzinnensekte versuchte, mit den Beutelschneidern und Geldwucherern in Kapstadt ins Geschäft zu kommen. Nein, sie wollte keine Fledermäuse vor der eigenen Haustür haben.
Er hatte sich bisher immer gefragt, wie das sein würde, Heilssternträger zu sein, nicht nur leihweise wie bei Camilles Stern. Jetzt würde er es wortwörtlich notgedrungen lernen, obwohl er genau wusste, wie wenig er von Ashtarias Kindern und deren Vorfahren wusste. Als wenn er nicht schon genug um die Ohren hatte.
Millie freute sich, dass er nicht von Ashtaria von ihr weggeholt wurde, ja dass die ganze Sache mit der Friedensretterin und dem kleinen Félix doch was gebracht hatte. Ihr war anzusehen, dass sie beruhigter war, wo sie wusste, dass Julius andauernd mit heftigen Kreaturen aneinandergeriet.
Nach dem Frühstück kam Camille kurz herüber. Sie hatte im Traum von Ammayamiria erfahren, dass Julius nun kurz davor stand, in die Gemeinschaft der sieben einzutreten. Die beiden Silbersterne erkannten einander und erfüllten beide Träger mit wohliger Wärme und Geborgenheit. Julius scherzte, dass der von ihm geholte Heilsstern wohl froh war, wieder gebraucht zu werden. Camille mentiloquierte ihm: "Im Grunde vollendest du den Weg, den du damals mit dieser Festung begonnen hast, auch wenn es traurig ist, dass dafür mehrere liebe Menschen sterben mussten."
Béatrice gestand ein, in Julius' Nähe wieder gewisse Gelüste zu fühlen, wohl weil sie sich herrlich warm und angeregt fühlte. Dafür konnte sie die Aura des Heilssterns nicht anmessen. Denn offenbar wirkte ein Abwehrzauber, der gegen von außen eindringende Zauber ankämpfte. Allerdings pulsierte der Herzanhänger noch. Julius erwähnte, dass der Heilsstern seinen Träger vor Erkennungszaubern unauffindbar machte. Maria Valdez und Adrian Moonriver hatten das erwähnt.
Er legte den Silberstern in die von Millie zum Hochzeitstag geschenkte Schnuckschatulle mit vier kleinen Körperspeicherschlössern. Denn im Ministerium und vor allem im Computerraum würde der Silberstern selbst unter dem Umhang eine verräterische bis störende Ausstrahlung aufweisen. Die Silberschatulle legte er in den Blutsiegelschrank. Dieser glomm nach dem Schließen für drei volle Sekunden golden auf. Dann war er wieder wie sonst. Offenbar hatte der Heilsstern mit den bereits wirkenden Segenszaubern Ashtarias interagiert, sozusagen die Hände geschüttelt. Ob das was für den Zugang zu dem Schrank bedeutete wusste Julius nicht.
Im Büro interviewte er Léto zur Fotounsichtbarkeit von Veelas. Diese grinste und erwähnte, dass nur Veelastämmige dieses ohne Zauberstab hinbekamen. Sie verriet ihm jedoch, dass es was mit Mokushas Segen zu tun hatte, den Jede Veelastämmige erhielt, die während der langen Schwangerschaft von ganzen fünf Jahren dreimal auf Mokushas Insel für das Wohl ihres Kindes gebetet habe. Das war für ihn irgendwo zwischen Religion und Esoterik, leider nichts, was mit reproduzierbaren Zaubersprüchen und Handwerkskunst umgesetzt werden konnte.
Nach der Büroeigenen Konferenz bei Nathalie Grandchapeau ging es in der Projektgruppe "Blickschutz" um erste Ansätze, mechanische und elektronische Kameras auszutricksen, ohne gleich aufzufallen. Alle waren sich einig, dass sie noch einen langen Weg zu gehen hatten.
Nach dem Mittagessen bat die für neue Schülerinnen und Schüler eingeteilte Kollegin aus der Abteilung für magische Familien, Ausbildung und Studien Julius um einen persönlichen Erfahrungsaustausch, da es im kurz bevorstehenden neuen Schuljahr dreißig nichtmagische neue Schülerinnen und Schüler in Beauxbatons geben würde. Julius fragte Madame Grandpontier, was dieses Jahr anders sei als in den Jahren zuvor. Sie erwähnte, dass es einen neuen Schüler mit naturwissenschaftlich ausgerichteten Eltern gebe, dessen Mutter eine in Frankreich geborene und ausgebildete Humanbiologin und der Vater ein Physikprofessor aus England sei, der vor zwölf Jahren eine Gastprofessur an der Sorbonne angetreten habe und dort seine zukünftige Frau und Mutter seines Sohnes Maurice kennengelernt habe und der Liebe wegen aus England nach Frankreich übergesiedelt sei.
"Ihre Geschichte und die von Mademoiselle Hellersdorf haben ja überdeutlich gezeigt, wie überaus wichtig es ist, sich schon vor dem ersten Schultag eingehend mit der Auffassung der Eltern über Beauxbatons zu befassen. Jetzt ist es so, dass der Vater des Jungen Maurice Usher nach Erhalt der Aufnahmebestätigung erwägt, mit seiner ganzen Familie nach Großbritannien zurückzukehren oder, wie seine Gattin mir schrieb, gar einen Lehrstuhl in Princeton in den USA anzunehmen, ganz offenkundig, weil er meint, dass sein Sohn dann in keine magische Lehranstalt umgeschult werden müsse", erwähnte Madame Grandpontier. Julius seufzte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis mal wieder ein Schlauberger wie damals sein Vater oder wie der hoffentlich seligen Frieden genießende Monsieur Hellersdorf damit um die Ecke kam, seinem Kind ja keine bitterböse, weltfremde, widernatürliche Zaubereiausbildung zuzumuten, zumal er ja als renommierter Wissenschaftler ein bei Freunden und Kollegen vorzeigbares Kind präsentieren müsse, um einen guten Ruf als Erziehungsberechtigter zu erwerben oder zu behaupten.
So erwähnte Julius, was ihm und seinen Eltern widerfahren war und dass er ja die ersten beiden Zauberschuljahre in Hogwarts verbracht habe und er mindestens drei US-amerikanische Zaubererschulen vom Namen und eine davon von eigenem Anschauen her kannte. "Ich interessiere mich, wo es keine Zaubereischule gibt. Ach ja, die Eltern von dem Jungen könnten nach Russland, Bulgarien oder Rumänien auswandern. Durmstrang nimmt meines Wissens nach immer noch keine Kinder aus nichtmagischen Familien auf", erwiderte er mit nicht ganz so amtlich neutralem Sarkasmus.
"Monsieur Descartes gab mir Vollmachten, jeden, der oder die durch eigene Erfahrungen mit diesem Problem vertraut ist zu beraten, wie ich vorgehen soll und gegebenenfalls um Amtshilfe zu ersuchen, sollte mir die Lage zu unübersichtlich werden", sagte Madame Grandpontier. Julius nickte nur. Um nicht in den nächsten Tagen noch mehr eingespannt zu sein, zumal das Projekt "Blickschutz" schon einen Gutteil seiner Aufmerksamkeit forderte, fertigte er mit seiner Flotte-Schreibe-Feder einen zehn Pergamentrollen füllenden Bericht im Beisein von Madame Grandpontier an. Diese wartete, bis er fertig war und las das geschriebene. "Ui, eine Menge Material. Aber danke für diese Grundlage. Stehen Sie mir für weitere Rückfragen zur Verfügung?" Julius bejahte es, räumte jedoch ein, dass sie ja gerade ein für die Zaubereigeheimhaltung wichtiges Gemeinschaftsprojekt mehrerer Abteilungen vorbereiteten und demnächst auch durchführen wollten. Madame Grandpontier hatte bereits davon gehört und versicherte, sich nur noch in wirklich dringenden Fällen an ihn zu wenden.
So verging der Nachmittag. Um fünf Uhr apparierte Julius wieder in der Wohnküche des Apfelhauses. Dort erfuhr er, dass Camille ihm die Anschriften von Heribert Frohwein, Jophiel Bensalom, Adrian Moonriver und Don Domingo Casa Grande de Las Lunas zugeschickt hatte. Denn sie wusste, dass er möglichst bald alle noch lebenden Silbersternträgerinnen und -träger zusammenrufen musste, um mit ihnen die magische Verbindung zu vollziehen. Die Adresse von María Isabel (Maribel) Valdez hatte er bereits erhalten, als sie mit Camille, Millie, Adrian und ihm das mächtige Schutznetz über Millemerveilles ausgespannt hatten. Das war schon bald zwei volle Jahre her. Wie schnell doch die Zeit verging!
Julius schickte sein altgedientes Schleiereulenmännchen Francis nach England zu Adrian Moonriver hin. Die Nachricht war kurz und für Uneingeweihte völlig unbedeutend klingend.
Bitte um Treffen in den nächsten zehn Tagen wegen letzter anstehender Zusammenkunft!
J. Latierre
Dann begab er sich in das Postamt von Millemerveilles, wo er die wortgleiche Nachricht an die anderen Adressatinnen und Adressaten verschickte. Auch Camille bekam eine solche Einladung. Er hoffte, dass er alle auf einen gemeinsamen Termin festnageln konnte und vor allem, dass er selbst an diesem Tag frei hatte. Auch hoffte er, dass die übertölpelte Abgrundstochter ihre wachen Schwestern nicht gegen ihn aufbrachte und er die feierliche Einberufung in die Siebenheit der Silbersternträgerinnen und -träger noch erleben konnte. Zwar hatte er jetzt auch einen mächtigen Heilsstern, durfte ihn laut Ashtaria jedoch nicht mit dessen alter Segensformel aktivieren, solange diese Eingliederungszeremonie nicht vollzogen war.
Wieder zurück im Apfelhaus bekam er eine lautstarke Maßregelung seiner zweitgeborenen Tochter Chrysope von seiner Frau mit. Chrysie hatte ein neues Spiel erfunden: Wie viel Papier schluckt der Klospülzauber, ohne die Schüssel unrettbar zu verstopfen. So hatte Chrysie zwei Rollen Toilettenpapier auf beide Klos verteilt und dann ausprobiert, ob die Spülung und der damit gekoppelte Reststoffbeseitigungszauber noch ging. Der hatte sich dann wortwörtlich verschluckt und eine Alarmbimmel ausgelöst.
"Jetzt wissen wir wenigstens, dass Temmie und ihre Schwestern bei uns nicht aufs Klo können", sagte Julius darauf. Millie funkelte ihn dafür rehbraun an. So sagte er: "Ja, aber du darfst die Klos von uns nicht zustopfen. Sonst geht von denen, die draufmüssen alles daneben. Dann stinkt uns das die Badezimmer voll und ist pfui eecklig. Also lass das sein!" Chrysie verzog ihr Gesicht und schüttelte sich angewidert. Dann durfte sie in ihr eigenes Zimmer zurück. Julius rief ihr noch nach, dass sie dann zwei Tage lang nichts süßes mehr bekam, weil er erst mal neues Papier kaufen musste. Das traf wohl noch härter.
"Ich habe echt gedacht, du nimmst die noch in Schutz", knurrte Millie. "Kam das so rüber?" wollte Julius wissen. Millie atmete kurz durch. Dann nickte sie. "'tschuldigung, wollte ich nicht so rüberbringen. Ich weiß ja, dass wir uns wegen der Kinder nicht gegeneinander aufbringen lassen wollen", sagte er leise genug, dass keines seiner schon laufenden Kinder das hörte. Gerade jetzt plärrten die Zwillinge wie eine Doppelsirene los. Auch Félix machte lautstark auf sich aufmerksam. "Die müssen noch nicht selbst aufs Klo gehen", bemerkte Julius dazu.
"Weil das so ist darfst du die alle wickeln", sagte Millie und bekam stumme Zustimmung von Béatrice. Julius sah ein, dass er da vielleicht ein wenig zu derb geredet hatte. Dennoch sah er das Problem mit den verstopften Klos und das Windelnwechseln bei allen drei Babys als echt kleineres Übel im Vergleich zu den ihn nun möglicherweise wieder jagenden Abgrundstöchtern.
"Trice hat in die Schüsseln Rotsalz reingekippt. Du kennst das?" fragte Millie, als Julius ihr zwei frischgewickelte kleine Mädchen übergab. Er nickte. "Ui, hoffentlich hat das die Rohre und die Zauberpumpte im unteren Fußboden nicht zerfressen."
"Neh, hat es nicht. Danach konnte der Wegspülzauber wieder voll wirken", meinte Millie.
"Wusste nicht, dass Heiler Rotsalz in der Ausrüstung haben", wandte sich Julius an seine Schwiegertante und die Mutter seines ersten Sohnes.
"Ist nicht die Standardausrüstung, aber für Heiler leichter zu beschaffen als für andere Zaubererweltbürger. Ja, und ich bestätige, dass das schon eine sehr heftige Maßnahme war. Aber das Papier hat die Hauptwirkung von dieser fraglos aggressiven Substanz geschluckt, bevor es wegspülbar zersetzt war."
"Pass mal auf, was der hier so anstellt, wenn der selbst laufen und greifen kann", sagte Julius auf Félix deutend. "Du meinst, wenn der die Experimentierfreude von uns beiden in sich vereint?" fragte Béatrice schelmisch grinsend. Julius nickte, wobei er eigentlich eher an Streiche dachte, die er alleine oder zusammen mit den Jungs von der Bubblegum-Bande verzapft hatte. Aber das erste verstopfte Klo hatte er erst mit fünfeinhalb Jahren hingekriegt, auch weil er wissen wollte, wie viel Papier in die Schüssel reinpasst, ohne vorher abzuziehen. Das gestand er Béatrice ein. Diese meinte, dass sie das im Sonnenblumenschloss einmal mit Waschlauge hinbekommen hatte, das halbe Elternbadezimmer in ein Schaumparadies zu verwandeln. Julius musste laut lachen. Sowas hatte er mit acht Jahren angestellt, weil er ausprobieren wollte, ob man mit einem auf Turbokraft hochgeschalteten Haartrockner und einem Trichter aus einem Eimer voll Seifenlauge möglichst große Seifenblasen rausblubbern lassen konnte. Die Antwort war "ja, das ging", aber zum Preis, dass der halbe Putzeimer seinen Inhalt eingebüßt und der sich als dicker weißer Schaumteppich über alle Flächen des Badezimmers verteilt hatte. "Dabei hatte ich noch mal Glück, dass mir der Fön nicht in den Eimer geplumpst ist und mir noch einen heftigen Stromschlag mitgegeben hat, wo schon so viel Wasser aus dem Eimer rausgeblasen worden war. Dann stünde ich vielleicht heute nicht hier. Na ja, aber zwei Wochen Stubenarrest hat es gesetzt und eine Schreibstrafe "Haartrockner sind zum Anrühren von Putzwasser völlig ungeeignet" hundertmal aufzuschreiben", beendete Julius den Bericht über seine "Badezimmerexperimente". Das brachte Béatrice zum lachen. "Lass das Millie nicht hören. Sonst meint sie, dass Chrysie nur deine Tochter sei."
"Wird ihr nicht einfallen, weil sie dann fragen müsste, wer sie dann geboren hat", sagte Julius. Béatrice schmunzelte.
Beim Abendessen war wieder alles soweit gut, abgesehen davon, dass Julius' Urteil vollstreckt und Chrysope der Nachtisch verweigert wurde. Jetzt hieß es entschlossen und streng zu bleiben, weil Chrysope nun alle Register einer bockigen, plärrenden dreijährigen zog, was Aurore dazu anstachelte, dazwischenzuschrillen, dass die ja selbst schuld war, wenn keiner hier aufs Klo konnte.
So war es am Ende auch schwierig, Chrysope ins Bett zu kriegen. Doch um halb neun waren ihre ganze Wut und ihr ganzer Trotz aufgebraucht, und sie schlief unter dem Gesang ihres Vaters ein.
"Tja, das sind die kleineren Sorgen von Eltern", meinte Julius zu Millie, als sie beide mit Béatrice noch ein wenig Musik machten."Interessant, hat Ma auch mal erzählt, als Patricia mit ihrem ersten echten Flugbesen den grünen Salon umgemäht hat", sagte Béatrice. "Aber wir müssen echt aufpassen, dass wir die nicht merken lassen, wie uns das selbst amüsiert."
"Trice, du hast das mittlere Klo gesehen. Die hat uns da vorher noch genug reingemacht, was in die Windeln der beiden Kleinsten zusammen reingepasst hätte", sagte Millie. "Ja, das habe ich", sagte Trice ruhig.
"Aber Rotsalz ist häftiger als konzentrierte Natronlauge. Da musst du voll aufpassen, dass das Zeug nicht zu lange mit angefeuchteter Luft zusammen ist", sagte Julius. Seine Schwiegertante bejahte das. "Was meinst du, warum die zwei Schüsseln so heiß geworden sind, dass sie fast zersprungen wären", fügte sie an. Millie sog Luft zwischen den Zähnen durch.
Gegen halb elf lagen alle drei Erwachsenen in ihren Betten. Im Apfelhaus kehrte die verdiente Nachtruhe ein.
Die große, fruchtbare Königin erwachte aus einem von merkwürdigen Traumbildern durchwirkten Schlaf. Mal wieder hatte sie davon geträumt, dass sie eine schwächliche Menschenfrau war, die in einem Haus, das Universität hieß, über die mickrigen kleinen Artgenossen der Regentin geforscht hatte, nicht weil sie damit ihr tägliches Brot verdienen wollte, sondern weil sie die Zeit hatte, einen alten Traum zu erfüllen und sich mehr mit den verschiedenen Kerbtieren zu befassen. Alison Gilmore hatte sie in diesem Traum geheißen. Dann war sie wieder als Lahilliota, die Meisterin des Lebens unterwegs gewesen oder hatte gerade eines von neun mit besonderer Kraft angefüllte Kinder im eigenen Leib ausgebrütet. Nachdem die Königin wieder aufgewacht war konnte sie mehrere Herzschläge lang nicht so recht empfinden, wer und was sie wirklich war. Einen Augenblick lang hörte sie den inneren Aufschrei, dass sie endlich ihre frühere Beschaffenheit wiederbekommen sollte. Doch dann konnte sie diese Anwandlung zurückdrängen. Ja, sie war früher mal Lahilliota gewesen. Ebenso wusste sie noch alles, was die und die in ihr eingebettete Alison Andrews geborene Gilmore wussten. Doch das war längst vorbei. Sie war jetzt die große Königin, von ihren Begattern auch als Rote Majestät oder vermehrungsfreudige Mutter bezeichnet. Sie wusste, dass ihr Volk ausersehen war, gegen andere, ebenso vermehrungsfreudige Wesen zu kämpfen. Wenn ihnen dabei Menschen in den Weg geraten sollten durften diese entweder getötet und als Futter für die Krieger verwendet werden oder wenn besonders begabt zu neuen Begattern der Königin umgeformt werden, so wie Arion Vendredi. der hatte zwar als Kundschafter in der zaubererwelt versagt und war verjagt worden. Doch als Wissender über die heutige Zaubererwelt war er immer noch brauchbar.
Wieder einmal hörte sie die fernen Stimmen von zweibeinigen Weibchen, von denen sie wusste, dass das Lahilliotas selbsterbrütete Töchter waren. Sie riefen einander und verabredeten sich. Doch was sie wollten bekam die rote Regentin nicht mit. Sie argwöhnte jedoch, dass die im Bauch herangebrüteten Weibchen, die beim Begattungsakt nur die Kraft ihrer Begatter in sich aufnahmen, aber keine eigene Bauchbrut aufkeimen ließen, immer wieder versuchten, sie dazu zu bringen, dass sie die alte Lahilliota wurde, die tief in ihrem Leib und ihrem Wesen eingeschlossen war. "Noch einmal gelingt es euch nicht, mich in diese schwächliche, kaum fruchtbare Gestalt zurückzudrängen", dachte die wie eine gewaltige Rotameisenkönigin aussehende Herrin vom Berg der ersten Empfängnis. "Ich bin was ich bin und bleibe wie ich bin", bekräftigte sie nur für sich. Sie konnte zwar die Gedankenstimmen der bestehenden Töchter hören, aber ihnen in dieser Gestalt nicht in der ferne antworten. Sie dachte daran, dass sie sie womöglich demnächst alle töten und als Nahrung für sich und die noch unaufgekeimten Nachkommen verwerten wollte. Bestimmt wurde sie dadurch noch stärker und konnte auch in ihrer erhabenen Gestalt die Dinge wirken, die Lahilliota als Zweibeinige mit einem Kraftausrichter wirken konnte, zum Beispiel den zeitlosen Ortswechsel oder die Schwächung und Vernichtung feindlicher Angreifer. "Wenn ihr es wieder versucht, mich klein und schwach zu reden werde ich euch alle verschlingen und in mir aufgehen lassen", dachte die rote Regentin einen der wenigen nichttierhaften Gedanken, zu denen sie ab und an fähig war. Dann übermannte sie wieder der Drang, weitere zwölf Eier zu legen. Die Zahl der neuen Eier wurde immer kleiner. Sicher musste sie bald wieder begattet werden. Dann sollten Arion und die noch lebenden Begatter ihr weitere willige Befruchter beschaffen.
"Meine Königin, dein Volk hat neue Nahrungsquellen gefunden", teilte Arion Vendredi auf Grundlage ausgesandter Duftstoffe und direkter Gedankenübermittlung mit. "Außerdem haben meine ahnungslosen Verbindungsleute erzählt, dass diese Nachtschattenfrau sich seit ihrem letzten größeren Angriff schon seit drei Monaten nicht mehr rührt. Auch ihre Schattenkrieger sind scheinbar verschwunden."
"Sie sind sicher nicht aus der Welt, Arion", erwiderte die geflügelte Königin des roten Volkes auf gedanklichem Weg. "Sie wurde nur zurückgedrängt. Sie hat womöglich einen neuen Feind gefunden."
"So wird es wohl sein, meine Königin. Was tun wir nun?" wollte Arion wissen.
"Was machen die Erdleute mit den spitzen Ohren oder die Kleinen in den Berghöhlen?"
"Sie streiten sich immer noch darum, wer sagen darf, wie viel ein Goldstück wert sein soll", erwiderte Arion Vendredi.
"Sollen sie doch, solange ich sie lasse. Vielleicht sind sie auch ergiebige Nahrungsquellen für uns, weil in denen Erdzauber stecken", erwiderte die rote Regentin. "Weißt du, wann du einen von den Spitzohren oder Langbärten ergreifen und herbringen kannst, ohne dass alle anderen was davon mitbekommen?"
"Wenn du einen von den Zwergen einfangen lässt ist es möglich, dass er in seinem Blut den Zwergenzauber "Letzter Ruf" trägt, der dann für darauf abgestimmte Mithörgeräte hörbar wird, wenn sein herz zu schlagen aufhört", teilte Arion mit. "Und die Kobolde können mit einem Aufstampfen im Erdboden verschwinden, solange unter ihren Füßen kein aus Erdöl hergestellter Kunststoff oder handgeschmiedetes Eisen lagert."
"Das ist sehr ärgerlich", erwiderte die Königin. Sie wollte zu gerne ausprobieren, ob es zutraf, dass sie das Wissen und Können eines lebendig verschlungenen Gefangenen in sich aufnehmen konnte oder dieser nach dem Tod als eines ihrer Kinder wiedergeboren wurde und dann als völlig gehorsamer Diener alle Fragen beantworten und jeden Auftrag erfüllen würde, so wie Arion, obwohl der nur einen Teil ihres Blutes im Körper hatte, um zu sein, was er nun war.
"Schwester, noch ist Zeit und Möglichkeit, aus deinem eigenen Kerker zu entrinnen", hörte sie eine weit entfernte Frauenstimme sagen. "Doch wenn du nicht abkehrst wirst du dich selbst vergessen und nicht mehr sein, als eine ungeheuerliche tierhafte Ausgeburt des Schreckens, unfähig zu denken", sprach die Frauenstimme erneut. Die große, fruchtbare Königin erbebte. Sie kannte diese Stimme. Doch die, der sie gehörte, war nicht mehr körperlich da. Nur ihre eigenen Nachkommen gab es noch.
"Ich bin die mächtige Königin vom Berge des machtvollen Volkes", dachte sie zurück. "Keiner kann mich aufhalten", fügte sie noch hinzu. "Außer du selbst, Schwester", erklang die andere Stimme mit einem Tonfall, den die in ihr gefangenen Erfahrungen Lahilliotas als bedauerlich einordneten.
"Suche und finde einen Weg, mir einen Zwerg und einen Kobold zu bringen, bevor die Zeit des nächsten Begattungsfluges ist!" befahl die rote Regentin ihrem treuen Diener Arion Vendredi. Dieser bestätigte den Befehl. Dann durfte er sich zurückziehen.
Es war nicht das erste mal, dass sie sich alle trafen, die wach und ungebunden waren. Doch diesmal ging es um zwei sehr wichtige Dinge, die über die Zukunft ihres Daseins entscheiden mochten. Eine solche Anspannung hatten die acht Töchter der Lahilliota nur zweimal verspürt, immer dann, wenn ihre jüngste Schwester wieder versuchte, sie alle nacheinander zu entkörpern, um sich ihre magische Energie einzuverleiben. Diesmal bedrohten sie gleich mmehrere mächtige Feinde. Die selbsternannte Göttin der Vampire hatte offenbar befunden, die uralten Feindinnen zu vernichten. Und die übermächtige Nachtschattenfrau ging wie die zur Riesenameise gewordene Lahilliota davon aus, mit möglichst vielen völlig gehorsamen Nachkommen möglichst viel Macht zu erlangen. Damit stand sie in direkter Gegnerschaft zu Thurainilla, der Tochter der kosmischen Finsternis. Auch die Sonnenkinder durften sie als ihre neuen, mächtigen Gegner einordnen. Denn diese hatten ja dafür gesorgt, dass Hallitti in ihrem zeitweiligen Gastkörper gestellt und geschwächt wurde, als sie versucht hatte, ihren wiederverjüngten Abhängigen zu töten. Wer waren da noch die von sich aus nicht auf gewaltsame Unterwerfung und Vernichtung ausgehenden Kinder Ashtarias?
"Die Blutsauger werden auch immer frecher", sagte Itoluhila. "Gestern haben wieder zwei versucht, in meine Vergnügungshäuser einzudringen. Ich musste echt aufpassen, nicht das gesamte Mobiliar zu zerlegen, um sie zu erledigen."
"Noch wissen die nicht, wie viele von uns wach sind und wo. Aber ich bekomme mit, dass sie auch bei mir in Südafrika um sich beißen", erwähnte Ullituhilia verärgert. "Vor allem stört mich, dass sie wohl auch Zugang zu jetztzeitigen Waffenherstellern suchen."
"Habe ich auch mitbekommen", pflichtete Tarlahilia ihrer Schwester bei. "Wolltet ihr nicht rauskriegen, wo dieser verwünschte Zauberstein ist, in dem diese angebliche Göttin haust?" wandte sie sich dann noch an Itoluhila und Eranilithanila, die Tochter der tödlichen Tiefe. Die beiden auf ihre Weise mit tiefem Meer befassten nickten. "Ich konnte bei einem der Langzähne eine Verbindung zu seiner Herrin erspüren. Die wollte ihn schnell zurückholen. Doch da merkte die wohl, dass ich das mitbekomme", sagte Itoluhila. "Dieser Stein ist wahrhaftig irgendwo weit westlich Europas, wohl tatsächlich im Golfstrom. Doch wie tief dort und ob nicht ständig in Bewegung weiß ich nicht. Aber wenn ich das weiß heißt das nicht, dass wir ihn dort auch sofort wegholen oder vernichten können. Am Ende lösen wir noch so eine dunkle Woge aus, nur diesmal allein zu Gunsten der Blutschlürfer", sagte Itoluhila. Alle außer der Tochter des dunklen Feuers nickten.
"Soll das heißen, Schwester, dass du dich nicht traust, diesen unsäglichen Kraftstein der Blutschlürfer zu vernichten, wenn du weißt, wo er ist?" fragte Hallitti sehr erbost. "Nur wenn ich weiß, dass die darin enthaltene Kraft aller Blutschlürfer nicht die auf der Erde herumlaufenden mächtiger macht als wir es sind, Schwester Hallitti. Bedenke, dass wir nur noch acht sind!" erwiderte Itoluhila darauf ganz ruhig. Hallitti grinste verächtlich und erwähnte, dass das dunkle Feuer jede Form von Magie als Nahrung nutzte und somit alles von Magie erfüllte zerstören konnte, wenn sie das wollte. Das wiederum brachte Thurainilla dazu, ihr zu widersprechen: "Das dunkle Feuer unterliegt der kosmischen Dunkelheit, die ich rufen und lenken kann, Schwester des dunklen Feuers. Das hast du doch vor zweitausend Jahren mal ausprobiert, nicht wahr?" Hallittis verächtliches Grinsen wich einer verdrossenen Miene. Die Tochter des dunklen Feuers schnaubte, dass sie sich wohl erinnerte. Es ärgerte sie, dass ihr die eigene Schwester vor allen anderen diese Schmach in Erinnerung zurückrief. Dann musste auch noch Ullituhilia einwenden, dass dunkles Feuer von weißem Feuer gelöscht werden konnte, wie es die Kinder der verachteten Tante herbeirufen konnten, und wie es wohl auch aus ihren Silbersternen ausbrach, sobald dunkles Feuer in ihre Reichweite geriet. "Das hast du doch auch schon erfahren müssen, Schwester Hallitti, als du gegen die Urenkeltochter der Isa kämpfen wolltest, weil sie deinen gerade erlangten Abhängigen von dir losbinden wollte, nicht wahr?" Hallitti funkelte ihre der Erde verbundene Schwester wütend an. Hatte die doch Thurainillas Vorwurf noch einen draufgesetzt. Doch dann erkannte sie eine Gelegenheit, eigene Anliegen zu bekunden.
"Genau deshalb war es Ilithula und mir so wichtig, dass diese Silbersterne unauffindbar verschwinden. Deshalb müssen wir ja auch dafür sorgen, dass der neue Schützling unserer verwünschten Tante nicht die volle Macht des verwaisten Sternes erlangt und nutzt, wo er schon den verdammenswürdigen Ausspruch kennt, seine volle Kraft zu wecken. Aber nein, ihr wollt ja das Wort einer Frau befolgen, die so töricht war, sich voll und ganz den Gelüsten einer Ameisenkönigin zu unterwerfen." Ilithula nickte. Das wiederum verstimmte die sechs anderen Schwestern.
"Du sprichst von unserer Mutter, der Quelle unser aller Leben", wandte Ullituhilia ein und bekam wortlose Zustimmung von allen außer Ilithula. "Ja, und sie hat ihn zum Unantastbaren erklärt, weil er sie aus der Unterwerfung der jüngsten Schwester herausgelöst hat, damit Itoluhila ihr einen neuen Körper geben konnte. Auch wir müssen die Regeln der Dankbarkeit achten, Schwester."
"Dankbarkeit? Dieser armselige Bursche hat doch nur um sein viel zu kurzes Leben gekämpft, nicht weil er unserer Mutter einen Dienst erweisen wollte", widersprach Ilithula. "Also hat er ihre Dankbarkeit nicht verdient und somit kein Schutzrecht."
"Sogesehen müsstet Hallitti und du ja dann auch dem Wesen unendlich dankbar sein, dass die Woge dunkler Kräfte um die Welt geschickt hat", warf Tarlahilia spöttisch dreinschauend ein. "Will sagen, wenn ihr erfahrt, wer das war, gilt ihm oder ihr eure Gefolgschaft. Aber Da ich es war, die euch wiedergebar gilt eure Gefolgschaft mir. Ihr seid mir in körperlich-seelischer Verbundenheit und großen Schmerzen verbunden, und ich sage euch beiden aufbegehrenden Töchtern, dass das Wort unserer Mutter gilt. Der Zauberer Julius Erdengrund darf von keiner von uns angetastet werden, solange er nicht bewusst und gezielt gegen eine von uns die Hand erhebt oder seine Zauberkraft walten lässt." Eigentlich ging Tarlahilia davon aus, dass die von ihr wiedergeborenen das ohne Widerwort hinnahmen. Doch Ilithula entgegnete:
"Das du uns in dir herangetragen und wiedergeboren hast wurde vom Zufall bestimmt. Es hätte ja auch ullituhilia oder Itoluhila treffen können. Außerdem hat dieser Zauberer nicht nur den Schutz unserer all zu menschenfreundlichen Tante erhalten, sondern besitzt auch die Flöte des Windkönigs aus dem alten Reich. Diese verleiht ihm eine viel zu große Macht, um ihn unbedrängt herumlaufen zu lassen. Wenn er dann auch noch von dem entwendeten Silberstern als rechtmäßiger Träger angenommen werden sollte wird er nicht scheuen, die Hand oder Zauberkräfte gegen uns zu erheben, Schwestern. Deshalb müssen wir ihm einhalt gebieten."
"Ach, die Geschichte von den Gegenständen der alten Gottkönige aus dem versunkenen Reich", erwiderte Itoluhila. Tarlahilia sah ihre dem Wasser und Eis verbundene Schwester warnend an und sagte: "Spotte nicht, Itoluhila. Die Geschichten um die Schlangenmenschen und grauen Riesenvögel erwiesen sich doch auch als richtig. Doch die Flöte des Windkönigs verwehrt jedem den Zugriff, der nicht vom Blut eben jenes ist. Wer sie dennoch zu ergreifen versucht, dessen Seele verschlingt der Geist des Windkönigs, sodass dessen Körper handlungsunfähig und bar jedes Überlebenswillens verhungert oder verdurstet. Wenn ich das eben richtig verstanden habe, Ullituhilia, so wurde diesem Zauberer das alte Wissen der mächtigen Erdmeister anvertraut. Also kann er nicht wie du dem Wind verbunden sein, Ilithula."
"Und ich sage dir, meiner geehrten Wiedergebärerin, dass er doch dieses Instrument aus alter Zeit benutzt haben muss. Denn nur damit ließen sich die irgendwo weit weit über uns in einer ewig am Himmel fliegenden Festung gezüchteten Kriegsvögel des Windkönigs rufen", knurrte Ilithula. Darauf meinte Ullituhilia: "Dann hätte er aber nicht das Wissen der alten Erdmeister erwerben dürfen. Denn soweit wir alle wissen behielten die Lenker der Weltkräfte ihr Wissen für sich und gaben es nur an die ihrem Kreis eingegliederten weiter. Und ich habe es erlebt, dass Julius Latierre jene mächtige Anrufung vollzog, die einen Ort oder einen Gegenstand mit der erhaltenden Kraft der Erde erfüllt. Daher wusste ich das auch, dass er wohl auch die Kunst des Reisens durch die Erdentiefen gelernt hat."
"Und warum, Ullituhilia, hast du das keiner von uns erzählt?" schnarrte Ilithula. "Keine von euch hat mich gefragt, was die alten Erdvertrauten alles konnten", antwortete Ullituhilia trocken.
"Was den jungen Zauberer angeht, der die Gunst unserer Tante erworben hat, Schwestern, so gilt immer noch der unserer Mutter geleistete Blutschwur, ihn und seine Nachkommen nicht an Leib und Seele anzutasten, solange er keiner von uns gewollt und gezielt zu Leibe gerückt ist, nachdem er unserer Mutter zur Freiheit verholfen hat. Damit ist auch gemeint, dass wir ihn nicht ängstigen oder traurig machen dürfen, indem wir wen schädigen oder töten, die oder der ihm wichtig ist", stellte Itoluhila noch einmal klar. Da hier alle wussten, dass sie maßgeblich mitgewirkt hatte, um Lahilliota einen neuen Körper zu verschaffen verzogen alle die Gesichter. Natürlich konnte Itoluhila dieselbe Dankbarkeit ihrer Mutter erwarten wie Julius Latierre. Hallitti wagte noch einen Widerspruch, weil sie erwähnte, dass sie diesen Blutschwur nicht mitgeleistet hatte. Darauf erwiderte Tarlahilia: "Ja, aber ich gab mein Blut für den Schwur, und von diesem floss auch etwas in dich und Ilithula, als ihr in meinem Schoß herangereift seid und bildete auch einen Teil der Milch, die ihr beiden im Jahr zwischen Geburt und Vollendung in euch einsaugen durftet. Also gilt dieser Schwur auch für euch beide.""Ich bleibe dabei, dass Julius Latierre die alte Flöte des mächtigen Windkönigs hat oder zumindest weiß, wo sie ist. Er könnte sie gegen uns einsetzen, wenn wir ihn nicht aufhalten", beharrte Ilithula auf ihrem Standpunkt. Thurainilla erschlug diesen Einwand mit einem einzigen Satz:
"Vielleicht musste er sie dort abgeben, wo die Kriegsvögel herkamen und vergaß danach, wo sie ist, damit kein anderer nicht vom alten Windkönig abstammender sie noch einmal benutzen kann, wo die Schlangenmenschen jetzt restlos vernichtet sind." Ilithula funkelte die wie eine Frau aus Ostasien aussehende Schwester verärgert an. Ullituhilia legte dann noch nach:
"Woher weißt du denn, dass er, der Erdvertraute, diese Flöte gespielt haben soll, wo es doch heißt, dass nur Windvertraute sie spielen dürfen, die von diesem alten König abstammen?"
"Meine damalige Dienerin Semiramis Bitterling hat es mir verraten, dass ein Ruster-Simonowsky-Zauberer aus Frankreich, der in England geboren wurde, das alte Wissen um die grauen Riesenvögel genutzt hat. Es gab zu diesem Zeitpunkt nur einen, auf den diese Bezeichnung zutraf", grummelte Ilithula. "Dann, meine werte Schwester, hat Thurainilla wohl recht, und er musste dieses Instrument in der Festung seines Schöpfers lassen und vergessen, dass sie dort ist und wie die grauen Riesenvögel zu rufen sind. Oder hast du mitbekommen, dass diese Vögel nach Australien gerufen wurden, als dort die letzten Schlangenkrieger erschienen sind?" Ilithula verzog das Gesicht und knirschte ein verdrossenes "Nein, habe ich nicht", hervor. Ihr Vorhaben, an dieses machtvolle Musikinstrument zu gelangen, wo sie sich für stärker als alle Kurzlebigen hielt, wurde immer undurchführbarer. Denn wenn Julius wahrhaftig nur deshalb die alten Erdkräfte nutzen lernen durfte, wenn er alles mit der Flöte des Windkönigs verbundene Wissen vergessen musste konnte sie ihn auch nicht dazu zwingen, sie zum Versteck der Flöte hinzuführen. Das ärgerte sie sichtbar.
Ullituhilia griff nun wieder das Thema Mitternachtsdiamant auf. "Womöglich würde es völlig ausreichen, die Verbindung zwischen dem Mitternachtsstein und seinen Hörigen zu unterbrechen, wenn wir wissen, wo er genau liegt. Aber das mag unsere Mutter bestimmen, wer da wie eingesetzt werden kann."
So ging es nun um ihre gemeinsame erste Mutter Lahilliota. Um sie wieder aus der Gefangenschaft in Tiergestalt zu befreien. Denn sie fürchteten zurecht, dass sie bald nicht mehr benötigt würden, weil die rote Regentin schon mehr als tausend treue Nachkommen hatte. Allerdings würden ihr bald die Begatter ausgehen, weil diese sich zu sehr erschöpften. Da Arion Vendredi als ihr Kundschafter aufgeflogen war mochte dieser ebenfalls bald im Auftrag seiner Königin sein Leben im beglückenden Hochzeitsflug lassen. Und dann?"
"Wir bekommen sie nur wieder zurück, wenn wir den großen Schwur der elementaren Verbundenheit wirken", sagte Itoluhila. Das sahen alle ein. Dafür mussten sie Feste Objekte beschaffen, die mit dem jeweiligen Element einer der Töchter verbunden waren. So musste Hallitti einen noch glühenden Lavabrocken aus einem tätigen Vulkan im Süden der Welt beschaffen, Itoluhila ein Stück Polareis aus dem Norden, Ullituhilia einen kopfgroßen Stein aus dem Fuß eines Berges westlich von Lahilliotas Wohnstatt und Ilithula einen prall mit Ostwind gefüllten Ledersack aus dem Osten beschaffen. Die anderen teilten die halben Himmelsrichtungen ein. Die Tochter der tödlichen Tiefen wollte ein Stück Tiefseeboden an der tiefsten Stelle der Ozeane suchen. Tarlahilia, die Tochter der schwarzen Mittagssonne und Erithalillia, die Tochter des dunklen Mondes mussten zur Zenitzeit ihrer zugeordneten Himmelskörper ein ausreichend großes Stück Gold und Silber beschaffen, das mit dem Blut eines mit Untaten belasteten Mannes bei der Sonne und einer gnadenlosen Frau beim Mond benetzt und mit der Lebenskraft der jeweiligen Tochter Lahilliotas magisch aufgeladen wurde. Thurainilla indes musste in eine Kristallkugel eine ganze Tropennneumondnacht eingefangene Dunkelheit einschließen, die beim Befreiungsritual auf die verwandelte Mutter geschleudert werden sollte.
"So gehen wir es an, alle nötigen Bestandteile zu beschaffen, damit die Meisterin des Lebens wieder frei von niederen Trieben wandeln und handeln kann", beschloss Ullituhilia die Zusammenkunft, weil sie die Erstgeborene der acht Schwestern war. Damit konnte nun jede an ihren eigenen Wohnort zurückkehren.
"Und wir dürfen ihm nicht einmal drohen?" fragte Ilithula in Gedanken ihre Zwillingsschwester. Diese schickte zurück: "So habe ich diesen Schwur verstanden, den unsere Wiedergebärerin abgelegt hat. Das missfällt mir auch, dass wir nicht einmal einem seiner Gefährten etwas antun können, um ihn zu strafen."
"Und du glaubst daran, dass uns dieser Eid bindet?" wollte Ilithula wissen. "Wenn ich das nicht glauben würde hätte ich meinen ehemaligen Abhängigen längst schon getötet. Aber so habe ich auch keine Verbindung mehr zu ihm, nachdem wir zwei aus Tarlahilias Schoß neu geboren wurden", gedankenknurrte Hallitti. Ilithula machte eine Pause von einer halben Minute, dann gedankensprach sie: "Und wenn Mutter nicht wieder sie selbst wird? Bindet uns dann noch dieser Eid?"
"Dann wohl nicht mehr", erwiderte Hallitti. "Aber wenn du jetzt meinst, ihre Befreiung zu vereiteln wirst du all die anderen gegen dich haben. Dann könnte dir und vielleicht auch mir widerfahren, was wir Errithalaia auferlegt haben. Willst du das, nachdem wir endlich wieder frei auf dieser Weltenkugel herumlaufen können?"
"Wusste nicht, dass du so mutlos bist, große Schwester", gedankenspöttelte Ilithula.
"Ich war mehrere Monde lang in deinem dunklen Leib eingekerkert, ohne Aussicht, daraus hervorzukommen. Dann waren wir beide in Tarlahilias Schoß und mussten uns einen immer engeren Raum teilen. Ich werde meine wiedergewonnene Freiheit nicht wegen deiner schon irrsinnigen Beharrung auf dieses Flötending aufs Spiel setzen. Und wenn du immer noch die kluge, überblickende Schwester bist, dann wirst du es auch nicht wagen, für etwas, von dem du nicht mal weißt, ob es noch auf dieser Welt ist, deine Freiheit zu verlieren. Du hast es genauso mitbekommen wie ich, dass die anderen uns sehr argwöhnisch überwacht haben. Wenn wir gegen sie aufbegehren oder gar ihre Macht angreifen oder die Treue zu Mutter brechen haben wir beide sechs Todfeindinnen gegen uns. Ja, ich weiß, früher hätte ich nur mein Ziel verfolgt, ohne Rücksprache mit den anderen. Doch jetzt, wo Mutter zumindest wieder körperlich in der Welt ist und wir zu viele mächtige Feinde haben will ich es mir mit ihnen nicht verderben."
"Ja, und diese Staubbändigerin Ullituhilia und diese Freudenhauskönigin Itoluhila könnten zur ewigen Finsternis noch einmal recht haben, dass Julius diese Flöte in der Festung des Windkönigs zurücklassen musste und es nicht mal mehr weiß, dass er sie je hatte. Für diese Erkenntnis meine Freiheit aufzugeben ist auch nicht mein Ziel. Also sehen wir zu, dass wir Mutter aus dieser Ameisenkönigin herauslösen können, damit sie uns sagt, wie wir die ganzen Widersacher wieder loswerden können!"
Julius und Millie standen zusammen mit ihrer Tochter Aurore sowie Camille und ihrer Tochter Chloé am Luftschifflandeplatz von Millemerveilles. Gerade sahen sie, wie eines der beiden zwischen hier und Viento del Sol pendelnden Überseeluftschiffe aus großer Höhe herabfiel und beinahe im Sturzflug auf den Landeplatz zuhielt. Hundert Meter darüber wurde die rasante Abwärtsbewegung abrupt abgefangen. Das Luftschiff sank nun wie eine große Feder langsam nach unten, bis es auf der Ankerhöhe war. Die magischen Ankertaue schnellten wie blitzartig kriechende Schlangen aus den Lagern und befestigten das himmelblaue Luftfahrzeug sicher. Dann klappten die insgesamt vier Ausstiegsluken auf. Aus jeder von ihnen fiel eine Strickleiter nach unten. Über diese verließen zwanzig Fluggäste die Gondel. Davon waren fünfzehn Bürgerinnen und Bürger Millemerveilles und fünf Gäste aus Nordamerika. Für Camille, Millie und Julius waren eine Frau im grünen Hosenanzug und ihre achtjährige Tochter wichtig. Das südländisch aussehende Mädchen wollte wohl an seiner Mutter vorbeiklettern. Doch die hwies es an, nicht so ungestüm zu sein. Julius hielt vorsorglich seinen Zauberstab bereit, um die Achtjährige abzufangen, falls sie fiel. Doch Mutter und Kind schafften es unfallfrei bis auf den Boden herunter. Sofort liefen Camille, Millie und Julius hin, sie zu begrüßen. Julius begrüßte erst die Mutter, während Camille die kleine Marisol Virginia Valdez in die Arme nahm.
Diesmal empfand Julius die reine Gefühlsverbundenheit mit der mexikanischstämmigen Frau ohne nach außen wirksame Zauberkräfte noch stärker. Wieder war ihm, als trüge sie ihn wie einen Ungeborenen in sich, obwohl er körperlich fühlte, dass er sie umarmte. Auch meinte er, ein altes spanisches Kinderlied leise in seinem Geist zu hören. Er fühlte den noch nicht ganz zu seinem Erbstück gewordenen Heilsstern warm und sanft pulsieren, etwas schneller als den Herzanhänger, aber dafür stärker und durchdringender als dieser. Dann schwand dieses starke Gefühl größter Verbundenheit, und er war ganz im hier und Jezt und fühlte Marias Lippen einmal links und einmal rechts auf seinen Wangen. Er erwiderte diese hier statthaften Begrüßungsküsschen.
"Es freut mich, dass es dir gelungen ist, den verwaisten Stern zu finden", wisperte Maria Julius ins Ohr. Seit sie gemeinsam mit ihm, Millie, Camille und Adrian das neue Schutznetz über Millemerveilles errichtet hatte waren sie per du. Dann sah sie Camille auf sich zukommen und lächelte sie an. Die zwei lebenden Erbinnen Ashtarias begrüßten sich so wie zwei einander nach langer Zeit wiedersehende Cousinen. In gewisser Weise waren sie das ja auch, wusste Julius.
Die drei Mädchen begrüßten sich erst mit Umarmungen. Da Marisol kein Französisch sprach übernahm Aurore die Übersetzung aus dem Englischen, während Camille, Millie und Julius mit Maria Spanisch sprachen.
Da Maria es mittlerweile gewohnt war, auf einem Besen mitgenommen zu werden - obgleich dies erwiesenen Nichtmagiern eigentlich verboten war -, nahm Millie sie und Marisol auf dem Familienbesen der Latierres mit, während Aurore hinter ihrem Vater auf dessen Ganymed 10 reiten durfte und Chloé hinter ihrer Mutter saß. Da die Dusoleils ja vor anderthalb Jahren vierfachen Nachwuchs bekommen hatten und Millie schon sehr gut und Julius mehr als ausreichend Spanisch konnten hatten sie sich geeinigt, dass Mutter und Tochter Valdez im Apfelhaus übernachteten, zumal ja auch von dort aus die entscheidende Reise stattfinden sollte, wenn Adrian Moonriver und/oder don Domingo Casagrande nach Millemerveilles kommen konnten, ohne aufzufallen. Denn die beiden kannten den genauen Zielort, während Camille und Maria ihn bisher nie betreten hatten, obwohl sie als legitime Trägerinnen ihrer Erbstücke Ashtarias galten und handeln durften.
Da Maria Valdez schon einmal einen Tag im Apfelhaus zugebracht hatte staunte sie nicht mehr über dieses exotische kleine Bauwerk, in dem eine Großfamilie unterkommen und noch ein bis vier große und kleine Gäste unterbringen konnte. Da Marisol auch Englisch konnte konnte Aurore richtig stolz als Übersetzerin zwwischen ihr und ihren schon sprechenden Schwestern auftreten. Millie als "Mutter des Hauses" und somit für Sachen wie Unterbringung und Gästekomfort zuständig, zeigte den Valdez' ihr Gästezimmer, in dem vor etwas mehr als einem Monat die Familie Brocklehurst übernachtet hatte. Sie begrüßten dann noch Béatrice, die solange auf die Zwillinge und Félix aufgepasst hatte.
Dann erzählten sie sich die Erlebnisse seit der Errichtung des neuen, sicheren Schutznetzes. Weil dabei auch die Goldebbe und die besondere Stellung von Gringotts Millemerveilles erwähnt wurden konnte Maria die Grüße des Gemeindesprechers von Cloudy Canyon und Mrs. Hammersmith aus Viento del Sol überbringen, dass die ins Exil gejagten Kobolde eine Rückkehr nach Nordamerika verweigerten, solange sie keine offizielle Entschuldigung von allen beteiligten Zaubereiministern erhielten und für jeden Kobold eine Entschädigung in Form seines halben Gewichtes in Gold oder seines Zehntelgewichtes in geschliffenen Diamanten von mindestens vier Karat erhielten und Verdienstausfälle über die Zeit des nordamerikanischen Neugeldes ausbezahlt bekamen. Eine Anfrage bei den drei ehemaligen föderierten Zaubereifinanzabteilungsleitern ergab, dass eine derart hohe Entschädigungssumme nicht bezahlt werden würde, zumal der neue Zwölferrat der USA in einem Schnellverfahren entschieden hatte, dass alle unter Buggles entstandenen Schäden nur von magischen Menschen oder von solchen abstammender Nachkommen geltend gemacht werden könnten und bereits durch die Finanzprojekte der Dreizackföderation weitestgehend abgegolten worden seien.
"Das wird den Graubärten aus Amerika nicht gefallen", meinte Julius, auch wenn er kein Koboldexperte war. "Nun, deshalb haben die Exilkobolde auch ihre europäischen Artgenossen darauf gebracht, Nordamerika mit einem Handelsverbot, wir würden das Embargo nennen, zu belegen. Falls Atalanta Bullhorn und die zwei Zaubereiverwaltungschefs aus Mexiko und Kanada bis morgen, also dem 16. August, nicht alle von den ausgewiesenen Kobolden gestellten Bedingungen erfüllen wollen sie mit den anderswo in der Welt tätigen Kobolden drei Jahre und drei Tage lang jeden Handel mit der nordamerikanischen Zaubererwelt unterbinden, also keine Tauschgüter zulassen, also auch keine Rohgold oder Rohsilberanteile oder Edelsteine. Interimsministerin Bullhorn hat diese Frist bereits als unannehmbar und unverschämt abgetan. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir, die wir aus Nordamerika angereist sind, eintauschbare Wertgüter mitgebracht haben. Öhm, ich habe US-Dollar von meinem Bankkonto abgehoben, die ich hier in Euro umtauschen kann. Soweit ihr mir das erzählt habt tauschen diese kleinwüchsigen Bankleute Euros in die hier gültige Gold-Silber-Bronze-Währung ein." Millie und Julius nickten bestätigend. "Das wollte mir von den vier anderen aus den Staaten keiner glauben, dass die sich nichtmagisches Geld holen sollten, um es für ihre Europareise in diese Galleonenmünzen umzutauschen. Könnte sein, dass diese betagte Dame aus Misty Mountain, die mit mir im Luftschiff gesessen hat, etwas von ihrem Schmuck veräußern muss, wenn sie hier essen und trinken will."
"Solange es keine Erbstücke sind", erwiderte Julius darauf. Irgendwie wirkte das schon seltsam, dass Nordamerika mit einem Handels- und Finanzembargo belegt werden sollte, wo früher die USA immer gleich diese handelspolitische Keule geschwungen hatten, wenn ihnen die Politik eines anderen Landes nicht passte. Aber hier waren es ja nicht die Menschen, die sowas entschieden, sondern Kobolde, die sich in ihrer Ehre gekränkt fühlten und möglichst viel Gewinn daraus ziehen wollten.
"Du hast es nicht mitbekommen, weil du da gerade von Cludy Canyon nach Viento del Sol unterwegs warst, Maria, aber mein Verwandter und direkter Boss Gilbert hat mir vor einer Stunde per Distantigeminuskasten zugeschickt, dass die in VDS wohnenden und arbeitenden Kobolde eine Solidaritätserklärung an die Tür von Gringotts gehängt und eine große Sanduhr daneben aufgestellt haben, an der ein Zettel hängt, dass die Kunden nur noch bis zum Ablaufen der Uhr Zeit haben, ihre Verliese leerzuräumen oder alles darin für drei Jahre und drei Tage eingesperrt bleibt", sagte Millie. "Die anderen Filialen sind ja alle schon zu, seitdem Buggles und seine Banditen versucht haben, die Gringottsfilialen zu besetzen."
"Ja, hat mir Mrs. Hammersmith auch so erzählt. Aber ihr kommt wieder alle an eure Einlagen heran?" Millie und Julius nickten. Damit war dieses ernste Thema einstweilen abgehandelt.
Bevor es Abendessen gab erzählte Julius Maria die Erlebnisse mit dem "Herzen des Seth". "merkwürdig, ich bekam keine solche Aufgabe zugewiesen, als mir enthüllt wurde, dass ich auch eine Erbin Ashtarias bin", sagte Maria. Dann wiegte sie den Kopf und straffte sich. "Womöglich zählte Ashtaria meine Erlebnisse mit den Dementoren, sowie mit den beiden Abgrundstöchtern Hallitti und Itoluhila als solche Bewährungsproben und auch, dass ich dir damals gegen Ilithula geholfen habe. Öhm, und Lilith persönlich, oder wie sie bei denen selbst genannt wird, hat ihren dämonischen Töchtern befohlen, dich und deine Angehörigen in Ruhe zu lassen, obwohl du ihnen so zugesetzt hast?"
"Ja, weil ich ihr indirekt geholfen habe, aus der Abhängigkeit von ihrer jüngsten Tochter freizukommen und sie danach den Körper meiner Tante Alison in Besitz nehmen konnte", seufzte Julius und schilderte ihr noch einmal die Einzelheiten seiner Begegnung mit der Tochter der fliehenden Zeit. Maria nickte. "Ja, doch auch ein sehr hoher Preis, den diese Begegnung von dir gefordert hat. Ja, und seitdem ist diese Lahilliota keine Frau mehr, sondern womöglich eine monströse Ameisenkönigin?" Julius erwähnte die Hinweise, die er darüber hatte, ddass die Mutter der Abgrundsschwestern wohl in der Gestalt einer roten Riesenameise steckte und äußerte die Vermutung, dass diese Tiergestalt aus den Vorlieben seiner Tante Alison für Staaten bildende Insekten zurückging, die neben Bridge ihr Hobby waren.
"Oh, dann kann ich mir vorstellen, dass diese Dämonentöchter jetzt sehr besorgt sind, weil ihre angebetete Mutter keine alles überblickende und beherrschende Abgöttin, sondern ein übergroßes Tier ist."
"Falls sie nur noch tierhafte Empfindungen hat, Maria. Ich behaupte jedoch, dass sie noch einen Gutteil ihrer hohen Intelligenz hat und den nach Befridigung aller Instinkte auch noch einsetzt. Das Ding mit Vendredi und sicher noch einigen anderen Männern fällt keinem niederen Tier ein, dass nur Futter und Fortpflanzung im Hirn hat. Aber da stimme ich dir zu, dass es den wieder wachen Abgrundstöchtern ziemlich heftige Kopf- und Bauchschmerzen macht, dass ihre angebetete Mutter und Königin jetzt die Instinkte einer Ameisenkönigin hat. Das kann nämlich auch dazu führen, dass die eines Tages beschließt, die ohne männliche Hilfe ausgebrüteten Töchter loszuwerden, weil die ihre neue, überragende Daseinsform verachten und bekämpfen. Sollte es zu so einem Kampf kommen ist es völlig egal, wer den Kampf gewinnt. Denn in jedem Fall wird's dann für uns Erben Ashtarias ziemlich finster."
"Du meinst weil beim Sieg der Unheilsmutter diese ihre neuen Kinder auf uns hetzt, um uns endgültig auszulöschen und bei einem Sieg der Abgrundstöchter jede Anbetung ihr gegenüber vergessen ist und sie dann wieder ihre eigenen Ideen umsetzen, auch die, dir oder mir ans Leben zu gehen?" Julius bejahte das unverzüglich.
"Hast du das diesem wiedergeborenen Jungspund Adrian auch schon erzählt?" fragte Maria. Julius deutete ein Nicken an. "Ich habe ihm nur geschrieben, dass wir alle nur solange die volle Macht Ashtarias nutzen können, wenn wir dieses Zusammenkunftsritual machen. Seltsamerweise hat er dem sofort zugestimmt."
"Immerhin durfte er wieder zurückkommen", sprach Maria etwas aus, ohne darauf einzugehen, worauf sie sich bezog. Julius und sie wussten es auch so, was sie meinte.
Die Valdez' genossen das mehrgängige Abendessen. Dann machten sie vor der Schlafenszeit der jüngsten Kinder noch Musik. Maria sang jenes alte Kinderlied, dass Julius bei der Begrüßung in seinem Geist hatte klingen hören. Es stammte aus der Heimatregion von Marias Großmutter väterlicherseits, von der sie das als Silberkreuz beschaffene Erbe Ashtarias erhalten hatte.
Gegen neun Uhr brachten sie die größeren und mittleren Kinder zu Bett. Um halb elf lagen auch alle Erwachsenen in ihren Betten.
Hallitti trug eine rot leuchtende Lichtkugel in ihren Händen. Darin schwebte ein orangerot glühender Klumpen aus halbflüssigem Gestein, Lava aus einem Vulkan Indonesiens, eingehüllt in die Blase des unermüdlichen Feuers, dass ähnlich wie eine magielose Thermoskanne heiße Inhalte auf ihrer Ausgangstemperatur hielt. Ebenso hielt Itoluhila eine eisblau flirrende Lichtblase in ihren Händen, in der ein kopfgroßes Stück reinen Eises schwebte, das genau über dem Nordpol die Grenze zwischen Eis und Meerwasser bildete. Ihr schützender Lichtglobus war die Sphäre der untaubaren Kälte, die eben alles unter dem Wassergefrierpunkt auf Temperatur hielt. Thurainilla trug eine kopfgroße Kugel aus völlig schwarzem Stoff in den Händen. Ilithula hielt eine sich ständig ein- und ausbeulende Blase aus himmelblauem Stoff in den Händen, in der sie einen vollen Tag lang den aus dem Osten wehenden Wind eingesammelt hatte. So hatten auch alle anderen Teile der Welt, die mit ihrem verbundenen Element oder Gestirn verwoben waren dabei. Thurainilla hütete sich dabei vor dem sonnenhell gleißenden Goldglobus, den Tarlahilia in ihren Händen hielt.
"So wollen wir nun das Werk beginnen", sagte Ullituhilia und wiegte den großen Basaltstein, den sie aus dem Fuß des von hier westlichen Berges beschafft hatte. Da sie die Erstgeborene war akzeptierten fünf der anderen sie uneingeschränkt und die als Zwillinge wiedergeborenen sie mit gewissem Unmut als Sprecherin und Anführerin.
"Wir müssen in den Berg hinein und bis zu der Bruthöhle. Der kurze Weg ist uns versperrt worden, wie Hallitti sehr schmerzhaft erfahren musste. Ich wurde bei meinem Versuch, durch die Erde zu reisen unterhalb des Berges zurückgeprellt. Also bleibt uns nur der Weg über die Zugangshöhlen in den Bergflanken. Jede aus ihrer zugewiesenen Himmelsrichtung, wobei Tarlahilia und Erithalillia von oben her eindringen. Wir treffen uns dann in ihrer Bruthöhle. Lasst euch nicht von ihrer neuen Brut niederkämpfen!"
"Dürfen wir sie töten?" fragte Hallitti. "Besser nicht", grummelte Ullituhilia nach einigen Sekunden. "Aber wir sollten uns von der auch nicht töten lassen. Bekommt eine von euch mit, dass die Seele einer anderen in ihren Schoß einkehrt und dort als neues Kind aufkeimt brechen wir den Vormarsch sofort ab, weil ohne die volle Macht von acht Schwestern jeder Versuch der Loslösung sinnlos ist." Das sahen ausnahmslos alle anderen sieben ein. So luden sie ihre Mitbringsel in die mitgebrachten Tragesäcke, wechselten in ihre wehrhaften und meistens flugfähigen Zweitgestalten und schwärmten aus. Nur Erithalillia besaß keine flugfähige Gestalt. Sie erschien als beinahe elefantengroße, silbergraue Wölfin mit mondlichtfarbenen Augen. Doch auch in dieser Gestalt konnte sie sich schneller bewegen als als Menschenfrau. Mit ihren diamantharten Krallen und schnellen wie kraftvollen Pranken schuf sie sich die nötigen Vertiefungen in ihrer Bergwand, um gewandt und zielstrebig nach oben zu klettern.
Ihre Schwester der tödlichen Tiefen kroch in ihrer Zweitgestalt, die wie eine Mischung aus Krake und Schnecke aussah, auf den am tiefsten gelegenen Zugangsspalt zu, der scheinbar zu schmal war, um die riesenhafte Kreatur durchzulassen. Sie rutschte flink auf einer silbrigen Schleimspur auf den Spalt zu. Dann weichte das von ihr getragene dunkelgrüne Schneckenhaus auf. Ihr Körper zog sich wie von unsichtbarer Hand gezogen in die Länge und schlängelte sich ohne Mühe durch den Spalt.
Die Tochter des dunklen Mondes witterte mit ihrer Wolfsnase die Gefahr, die weiter oben drohte. Vier neue Kinder der Urmutter hockten hinter Felsen und beobachteten in Menschengestalt den Vormarsch der Abgrundstöchter. Sie fühlte, dass diese Wächter sich jederzeit in menschengroße Ameisen verwandeln konnten. Dann würde es sich zeigen, ob die übergroßen Kräfte der Ameisenmenschen den Kräften und der Geschwindigkeit einer metergroßen Wölfin überlegen waren. Erithalillia hatte jedoch gehofft, nicht vier auf einmal gegen sich zu haben, sondern einen nach dem anderen bezwingen zu können. "Auf der Hut, Schwestern, Wächter im Berghang!" schickte sie eine Gedankenbotschaft an die anderen.
"Ja, hier oben sind gleich zehn von denen", bekam sie von Thurainilla zurück."
"Nicht Geistsprechen, Schwestern. Besinnt euch ganz auf mögliche Widersacher!" hörten sie den Befehl Ullituhilias.
Ilithula, die als gewaltiger Adler auf den Osthang des Berges zuflog, hing zwischen der Hoffnung, dass Ullituhilia bald nicht mehr die Bestimmerin sein mochte und der Furcht, dass ihre Schwester womöglich zu den ersten gehörte, die starben und damit der ganze Vorstoß scheiterte. Auch bestand die Gefahr, dass sie heute alle ihre körperliche Daseinsform verloren. Wer würde sie dann alle wiedergebären? Die Antwort war grausam einfach: Die rote Ameisenkönigin würde alle entkörperten Seelen in sich aufnehmen und womöglich restlos in sich zerfließen lassen. Ja, das mochte auch das Ziel der fünf Wächter sein, die ihre überscharfen Raubfvogelaugen aus mehr als zweitausend Schritten erkannten. Doch es galt, dieses unsägliche Missverhältnis zu beenden, dass zwischen ihr und ihrer Mutter entstanden war.
Hallitti flog in ihrer Erscheinungsform als von roten Schuppen überzogene Mischung aus Affe, Kriechtier und federlosem Vogel auf den südlichen Berghang zu und erkannte vier auf sie lauernde Ameisenmenschen. Sie hüllte sich in einen Mantel aus dunklen Flammen ein. In ihrer Gestalt konnte sie sogar Dinge ergreifen und benutzen wie in ihrer Menschengestalt. Das mochte ihr mehr Vorteile verschaffen als den anderen, die mit Flügeln oder Tatzen nicht so geschickt zugreifen konnten. Höchstens Eranilithanila mochte noch Vorteile haben, weil sie acht gelenkige und starke Fangarme besaß.
Als Eranilithanila direkt mit in dem Gang hinter dem Spalt wartenden Ameisenmenschen zusammentraf hörte sie den geistigen Ruf: "Für Königin und Volk!" Dann wurden die vier als Menschen wartenden Gegner zu großen Ameisen mit Menschenköpfen, von denen lange, haarige Fühler ausgingen, die sich jedoch sofort zurückklappten, damit die Gegner mit Wucht in ihre erwiesene Widersacherin hineinrennen konnten wie lebende Rammböcke auf sechs Beinen. Eranilithanila sog per Gedankenkraft mehr Macht aus dem festen, unausgehöhlten Untergrund und ließ blitzschnell und laut pfeifend ihre vier vorderen Arme vorschnellen. Jeder Arm sollte einen der Gegner umschlingen und hochreißen. Da fühlte sie, wie die Gegner mit ihrem voll auf die Köpfe gebündeltem Gewicht in ihren gummiartigen Körper einschlugen und zurückfederten. Jetzt bekam sie zwei der vier mit ihren mit tellergroßen Saugnäpfen bewehrten Fangarmen zu fassen und versuchte, sie hochzureißen. Doch die übermenschlich starken Gegner kämpften dagegen an, umschlungen und gewürgt zu werden. Sie krallten sich mit ihren Kerbtierfüßen in den Boden und zogen in die Gegenrichtung. Die sie festhaltenden Arme wurden dabei immer länger gezogen. Zugleich merkte die Tochter der tödlichen Tiefe, wie von oben zwei weitere Gegner direkt auf sie heruntersprangen und versuchten, ihre schwertscharfen Beißwerkzeuge in ihren Leib zu graben. Doch sie erwischten nur das mehr als stahlharte grüne Schneckenhaus und glitten laut quietschend davon ab. Dann liefen sie auf dem schneckenhaus entlang und suchten nach Einlässen. Da Eranilithanila gerade mit den ersten vier Gegnern kämpfte musste sie warten, bis einer der Gegner in Reichweite ihrer rückwärtigen Arme geriet. Dann fegte sie ihn mit ganzer Wucht von sich herunter und gegen den Höhlenzugang.
Hallitti kam wegen ihrer Feuerummantelung leichter durch. Zwar wollten es zwei der Gegner wissen und stürzten sich auf sie, prallten jedoch von der Flammenhülle um sie herum ab, statt darin zu verbrennen. Da wusste Hallitti, dass die Ameisenmenschen gegen das dunkle Feuer gepanzert waren. Doch es vershaffte ihr den Zugang, den sie brauchte. Sie prellte die ihr im Weg stehenden Ameisenmenschen zur Seite und setzte ihren Weg in den Berg fort.
Ilithula ließ mit einem Atemzug eine Wolke aus nachtschwarzem Nebel vor sich entstehen, der jedem, der in sie hineingeriet, die Atemluft raubte. Das wirkte auch auf die ihr entgegenstehenden Gegner. Diese starben zwar nicht, wurden aber langsamer, während die Tochter des düsteren Windes ihre Adlerflügel zusammenzog und auf ihren mit rasiermesserscharfen Krallen in den östlichen Höhleneingang hineinlief. Die Ameisenmenschen versuchten sie mit trägen Bewegungen zu beißen oder zu umzingeln. Da wurde sie wieder zur Menschenfrau und schlüpfte, nun in einem laut zischenden Mantel aus kreisender, mit dunkler Magie aufgeladener Luft umhüllt, zwischen ihren ersten Gegnern hindurch. Auch sie vernahm den Kampfruf: "Für Königin und Volk!" und nahm mit ihrer besonders empfindlichen Nase wahr, dass dieser Ruf nicht nur als Gedankenruf, sondern auch als Duftwolken verbreitet wurde. Da kam ihr der Einfall, diese Duftverständigung zu unterbrechen, indem sie immer wieder Windstöße auslöste. Allerdings fühlte sie, dass der Berg mit vielen Abwehrzaubern auch gegen Luftbewegungszauber versehen war. Ihre eigentlich orkanartigen Windböen gerieten nur zu lauen Lüftchen. Das einzige, was ihr gelang war der kurzfristige Nebel der Atemlosigkeit, der dem Zauber des Windes der Schwächung verwandt war und die Umkleidung mit dem Mantel des wehrenden Windes, der jede körperliche Angriffsform von ihr abhielt, vom Schlag mit und ohne Waffe bis zum überschallschnellen Geschoss. So konnten selbst die nun zwanzig gegen sie anstürmenden Ameisenmenschen sie nicht aufhalten, als sie weiter und weiter in die verwirrenden Gänge des Berges eindrang. Auch als die Gegner sie mit für alles andere tödlicher Säure bespritzten wurde jene vom Mantel des wehrenden Windes erfasst und davongewirbelt, bevor sie Ilithulas empfindliche Haut benetzen konnte. Der größte Nachteil dieses Schutzes war jedoch, dass sie pro Stunde ein halbes von ihr einverleibtes Leben verbrauchte und nur die Anzahl von zwölf ganzen Menschenleben in sich aufnehmen konnte. Wie viele davon sie im direkten Kampf mit ihrer eigenen Mutter einsetzen musste wusste sie ja noch nicht.
Itoluhila wendete eine ähnliche Taktik an. Als sie als Riesenrochen mit weit ausladenden Flossen, die auch als Flügel dienen konnten, auf den nördlichen Zugang zum Berg der ersten Empfängnis zuflatterte quoll aus ihrem Körper dunkler Nebel. Da sie nicht töten durfte hatte sie den Mantel der eisigen Gegenwehr beschworen, der sich aus der hier spärlichen Luftfeuchtigkeit bildete. Deshalb fürchtete sie schon, dass die auf sie wartenden Wächter ihre gefährlichen Beißzangen durch diesen Schutzmantel schlagen oder sie mit ihrer überragenden Körperkraft anspringen oder anrennen konnten. Doch es war wie ein Wunder. Als die vier sie erwartenden Wächter gegen sie anrannten prallten sie wie von einer massiven Felswand ab und wurden mehr als zehn ihrer Längen zurückgeworfen. Dabei überschlugen sie sich in der Luft und kamen auf den Rücken zu liegen. Doch sie waren nicht hilflos wie umgeworfene Käfer, sondern rollten sich sogleich zur Seite herum und kamen wieder auf die je sechs flinken und starken Füße. Itoluhila landete und nahm innerhalb eines Herzschlages ihre Menschengestalt an. Da stürzten die zurückgeworfenen Wächter wieder auf sie los. Mit einer schnellen, zweihändigen Geste erschug sie einen dunkelblauen Eisball von der Größe ihres Kopfes. Diesen schleuderte sie dem nächsten sie anrennenden Wächter entgegen und traf voll. Der Eisball zersprang laut klirrend, obwohl dunkles Eis eigentlich unbrechbar und untaubar war außer durch Anrufungen von Sonnenkraft. Die Wirkung genügte ihr jedoch völlig. Denn der Ameisenmensch erstarrte und fiel auf den Boden. Stimmt, so hätte sie auch jene verwünschte schwarze Spinne besiegen können, die sich angemaßt hatte, ihre Beutezüge zu stören, wenn diese sich nicht mit nach außen wirksamen Zauberkräften gewehrt hätte. "Zu kalt für Ameisen", spottete sie und schickte sofort drei weitere Eisbälle auf die Reise. Jeder fand sein Ziel und entlud seine weit unter arktischen Wintertemperaturen liegende Kälte auf die getroffenen Gegner. Sicher würden die Ameisenmenschen nicht zu lange erstarrt bleiben. Doch bis dahin war sie wohl am Ziel.
Tarlahilia, die trotz ihrer Verbundenheit mit der Sonne als lederflügliges Fledertier unterwegs war, versuchte ihre Gegner durch Entzug von Körperwärme zu bekämpfen. Doch diese Macht wurde von deren roten Kerbtierpanzern abgefangen. Doch dann kam sie auf die Idee, den Boden vor ihnen mit gesammelter Sonnenkraft aufzuschmelzen. Das wirkte. Die Ameisenmenschen gerieten in das aufgeweichte Gestein hinein und sanken ein. So konnte auch sie ihren Weg in den Berg freikämpfen.
Thurainilla hatte es da schwerer als ihre Schwestern. Sie versuchte zwar, durch die lähmende Dunkelheit den Gegnern Kraft und Willensstärke zu rauben, scheiterte jedoch an deren magieabweisenden Panzern. Auch ihr mit einer gefährlichen Hohlspitze bewehrter Rüssel fand keinen Zugang und prallte ab. So blieb ihr nur, sich noch einmal zurückzuziehen und den auf ihrem haarigen Nachtfalterkörper landenden Ameisenmenschen durch einen vollendeten Überschlag in der Luft abzuwerfen. Sie fand erst dann einen Zugang in den Berg, als ihr einfiel, den Hauch der feindlichen Schatten zu wirken, der die Schatten erkannter Feinde zu deren zeitweiligen Gegnern machte, immer so stark und entschlossen wie sie selbst waren. So schaffte sie es, die Ameisenmenschen für zumindest fünf Herzschläge von sich abzulenken. Erst dann verflüchtigten sich die feindlichen Schatten, die sonst bis zur Erschöpfung der Gegner hätten bestehen bleiben müssen. Als sie in tiefster Dunkelheit im Berg ankam wurde sie wieder zur Menschenfrau und umgab sich selbst mit einem Mantel verdichteter Dunkelheit, der die nun auf sie losgehenden Ameisenmenschen zwar nicht niederrang, aber zumindest wie von straff gespannten, stählernen Netzen zurückprallen ließ. Doch jeder Anprall sog der Lenkerin der Dunkelheitszauber ein Viertelleben ab. Da auch sie nur zwölf Menschenleben in ihren Körper aufsaugen konnte hieß das, dass sie gerade achtundvierzig Anpraller riskieren konnte, ohne zusammenzubrechen und überwältigt zu werden. Da kam ihr die Idee, selbst zu einem halben Schatten zu werden. Sie merkte zwar, dass die Daseinsform ihrer körperlosen Zwillingsschwester fehlte, um diesen Zauber in Vollendung zu bringen. Doch dafür, genausoschnell zu werden wie die sie angreifenden Ameisenmenschen und ihnen ohne gezieltes Denken ausweichen zu können, wie ein Schatten vor dem auswich, der ihn warf, reichte es völlig. Das hinderte sie zwar auch, gezielt weiterzulaufen, weil immer wer auf sie lossprang oder -rannte, verschaffte ihr jedoch die nötige Zeit, um über einen besseren Abwehrzauber nachzudenken.
Dann kam ihr die Idee, den Wall der fünffachen Vergeltung zu wirken. Der konnte jeden böswilligen Zauber mit fünffacher Wucht auf dessen Absender zurückschleudern. Dafür musste sie jedoch erst einmal weiter zurücklaufen und den Schattenartigkeitszauber aufheben. So lief sie in Richtung Höhlenzugang, gefolgt von den sie vor sich hertreibenden Ameisenkriegern. Dann hob sie erst den bisherigen Verteidigungszauber auf und erschuf unmittelbar einen doppelt so breit wie sie und anderthalb mal so hoch wie sie ausgeprägten Schild aus völliger Dunkelheit. Als einer der Ameisenmänner dagegenprallte flog er sogleich mit fünffacher Wucht davon zurück und krachte laut gegen eine Wand. Der zweite Gegner prallte ebenso ab, riss im Rückprall seinen Kameraden mit sich und rutschte laut schabend über den Boden. So ging es also. Sie musste nur vor Angriffen von hinten sicher sein.
Mit einer Hand den Schild des fünffachen Rückpralls führend warf sie mit der anderen hand in jeden Zugang, den sie passierte einen diesen ausstopfenden zweiten Wall des fünffachen Rückpralls. Sie merkte dabei, dass diese Zauber genauso ihre Kräfte aufzehrten, auch wenn der vielfache Tod, den sie bereits herbeigeführt hatte, im Zusammenspiel mit der hier vorherrschenden Dunkelheit schier unzerstörbar wirkte. Doch sie wollte ans Ziel. Niemand sollte sie aufhalten.
Mittlerweile hatte die nach oben kletternde Tochter des Mondes ihre auf sie wartenden Gegner erreicht und fand sich mit diesen in einem wilden Kampf. Dabei büßte sie drei der zwölf eingesaugten Leben ein. Erst als sie um sich herum den Hauch des Neumondes entstehen ließ, der sie für feindliche Augen unsichtbar und bei körperlichen Angriffen unerreichbar machte, schaffte sie es am Rande der Erschöpfung, bis in die von ihr angesteuerte Eingangshöhle zu kommen, wo sie wieder zu jener makellosen, weißhäutigen Schönheit mit silbernen Augen und schulterlangem, dunkelblondem Haar wurde. Nun im dunkelgrau flirrenen Hauch des neuen Mondes eingehüllt konnte sie leise und unentdeckt weiterschleichen. Zwar mochten die Gegner gegen Zauber und Körperkräfte gefeit sein, konnten aber die Sinnestäuschung nicht durchdringen, die die Mondtochter um sich verbreitete.
Tarlahilia fühlte, dass ihre Kräfte innerhalb der Höhle nicht so stark waren wie unter freiem, von der Sonne beherrschtem Himmel. Dennoch wirkte sie den Glanz des Sonnenkönigs, der ihren Körper selbst weißgelb erstrahlen ließ und beim Kampf gegen lichtempfindliche Wesen deutliche Vorteile brachte. So konnte sie auch an den Ameisenmenschen vorbeilaufen, die sie nicht genau ansehen konnten, ohne starke Kopfschmerzen zu erleiden. Tarlahilia wusste jedoch, dass auch sie pro Stunde ein gespeichertes Menschenleben aufbrauchte, wenn sie diesen Verteidigungszauber aufrechterhielt.
Die Tochter der tödlichen Tiefen wähnte sich schon von den sie bestürmenden Ameisenmenschen in Stücke gerissen, als ihr einfiel, deren Gewicht auf ein zwölffaches zu erhöhen. Das gelang auch in ihrer wehrhaften Zweitgestalt. Allerdings wirkte dieser per Gedankenkraft ausführbare Zauber nicht wie üblich. Als die sie festhaltenden Krieger davon berührt wurdenprallte die Kraft von diesen auf sie zurück, jedoch nicht als Beschwerniszauber, sondern als plötzlicher Schwebezauber. Sie schnellte förmlich an die Decke und verdankte ihrem gegen nichtmagisches Gestein und Metall gepanzertem Haus, dass sie nicht an der Decke zerdrückt wurde. Allerdings verloren die sie haltenden Ameisen den Halt, weil sie zurückgeprellt wurden und stürzten die drei Körperlängen in die tiefe.
Die für sie völlig ungewohnte Lage lähmte ihre Entschlusskraft für mehr als vier Herzschläge. Die sie von unten anspringenden ameisenkrieger federten jedoch mit Beinen und Beißzangen von ihr zurück. Dann fiel ihr ein, dass sie auf diese Weise auch weitergelangen konnte. Sie schaffte es mit ihren Fangarmen, sich mit der Unterseite nach oben gegen die Decke zu drehen und zog sich nun mit den daran anhaftenden, schwerfällig wirkenden Fangarmen weiter, während die von unten gegen sie anstürmenden Ameisenmänner und -frauen von ihrem Schneckenhaus und dem Wirkungsbereich ihres verdrehten Überschwerezaubers zurückgeworfen wurden. So ging es also auch. Wenn ihr gelang, den Zauber am Ziel wieder aufzuheben hatte sie eine sehr nützliche Nebenform ihres sonstigen Kampfzaubers entdeckt. Sie hoffte nur, dass es ihr gelingen mochte, den Zauber wieder aufzuheben.
Die rote Königin verhielt in der stetigen Eiablage. Sie hörte und roch die Botschaften ihrer in die Gänge ausgesandten Wächter. Der Großteil ihres Volkes wartete darauf, gegen die nun deutlich gegen sie aufbegehrenden Zweibeinigen zu kämpfen. Sie wollten es also nun wissen. Gut, dann sollten sie halt hier und heute ihr körperliches Dasein verlieren. Entweder würden ihre freigesetzten Seelen dann aus der Welt verschwinden, wenn keine mehr da war, die sie in sich aufnehmen und als neue Töchter wiedergebären konnte, oder sie, die ehemals zweibeinige Mutter dieser mächtigen Gegnerinnen, würde die entkörperten Töchter an sich ziehen und in sich einsaugen, um sie in sich aufgehen zu lassen. Immerhin wagten die Aufbegehrenden es noch nicht, ihre neuen Kinder zu töten. Vielleicht konnten sie das auch nicht. Diejenige, die sie damals mit der verfinsterten Mittagssonne verbunden hatte, hatte es ja versucht, ihre Gegner mit gebündelter Sonnenhitze zu zerschmelzen oder zu verbrennen. Doch die Panzer der Krieger wehrten solche Zauber ab. Was ihr missfiel war, dass dunkles Zaubereis ihre Krieger lähmen konnte. Ja, sie verfielen sogar in einen Zustand geistiger Verlangsamung, dass sie ihre Gedanken nur mit halber Geschwindigkeit und zu einem verzerrten Gebrumm verstümmelt wahrnehmen konnte. Doch sie fühlte auch, dass die Lähmung nicht von dauer sein würde.
Dunkles Feuer und der Wall der fünffachen Vergeltung prellten ihre Krieger von den Feindinnen ab, weil hier zwei Herde dunkler Zauber wie mit gleichen Polen einander zugekehrter Magnete abstießen. So konnte die Schattenspielerin und Dunkelheitsformerin wohl genug freie Bahn erkämpfen, um bis zu ihr vorzudringen.
Sie nahm die weit fort scheinenden und in einem mittelhohen Rauschen zu versickern scheinenden Gedanken der Mondgebundenen wahr. Doch ihre Krieger konnten sie nicht sehen. Auch als die Königin ihnen zurief, direkt vor sich zu suchen verfehlten sie sie. So schickte sie zwei Hundertschaften ihrer Kinder dorthin, wo die Mondgebundene entlangkommen musste, wenn sie zu ihr, der Mutter, hin wollte. "Versperrt ihr die Zuwege. Berührt ihr sie, haltet sie fest und bringt sie zu mir. Nicht töten, solange die anderen ihr näher sind als ich!" befahl sie. Ihr war ein Einfall gekommen, der die sonst vorherrschende Beharrung auf Überleben und Vermehrung überwog. Hier und jetzt konnte sie prüfen, ob eine Vermutung stimmte, die sie aus den Tiefen von Lahilliotas Erinnerungen schöpfte. Was, wenn eine ihrer ohne Mannessaat empfangene Tochter näher bei ihr als bei einer der anderen Töchter starb? Würde sie diese dann wiederempfangen oder gar die ganze in ihr gebündelte Kraft in sich aufnehmen und die entleibte Seele in ihrem eigenen Geist zergehen lassen wie Fett im heißen Topf? Besonders jetzt, wo sie in ihrer erhabenen Gestalt wachte konnte die Antwort auf diese Frage sehr bedeutsam sein. Dann fiel ihr ein, was bei der sich unsichtbar haltenden gelang auch bei den sieben anderen wirken mochte. "Versperrt alle zu meinem Brutraum führenden Wege so, dass nichts und niemand durchkommt!" schickte sie einen nur für ihre direkten Abkömmlinge hörbaren Befehl aus, den sie mit einer starken Wolke Botenstoff aus ihren viele Klafter langen Fühlern unterstrich.
Sie musste einfach noch genug menschlichen Verstand haben. Anders konnte sich Itoluhila nicht erklären, wieso auf einmal keiner mehr versuchte, gegen sie anzukämpfen, sondern in beiden ihr möglichen Gängen Richtung Brutkammer nun ineinander verhakte Ameisenkrieger in vier unpassierbaren Reihen hintereinanderstanden und sich zu einer dreistöckigen, lebenden Barriere übereinanderschichteten, so dass gerade mal eine kleine Maus unter oder über ihnen hindurch konnte. Da nützte ihr auch ihr Nebel des dunklen Eises nicht viel, weil dieser nicht so weit reichte und zudem die lebende Absperrung nicht beseitigte. Gerade so konnte sie zwei zuschnappenden Zangen entrinnen und in den Gang zurückweichen, durch den sie gekommen war. Hätte sie nicht den Sack mit dem dauerhaft tiefgekühlten Stück Nordpoleis auf dem Rücken, so könnte sie vielleicht in Nebelform zwischen den Gegnern durchkriechen. Doch damit würde sie den Tiefkühlzauber aufheben. Hier in den Gängen war es tropisch heiß und feucht. Das von ihr mitgeführte Eisstück würde langsam aber unaufhaltsam auftauen, wenn sie wieder feststofflich wurde. Bis sie es wieder einfror dauerte es mehr als zehn Herzschläge. Eine Zeit, die reichte, dass mehr als zehn Gegner sie niederwerfen und töten konnten. Das wussten auch die anderen Schwestern.
"Wir kommen nicht durch", hörte sie Hallitti gedankenknurren. "Diese Ausgeburten ihres vertückten Versuches prellen zerstörende Zauber ab, sogar mein dunkles Feuer."
"Ich komme auch nicht weiter. Musste mich hinter einem aus dem Boden gezwungenen Wall der schützenden Erde zurückziehen und mich in eine Nebenkammer retten", gedankenschnaubte Ullituhilia.
"Sollen wir abbrechen?" fragte Thurainilla, die schon sehr erschöpft klang.
"Wenn wir das tun hat sie gewonnen, und wir kriegen sie nie wieder zurück", warf Tarlahilia ein. Darauf entgegnete Ilithula: "Dann soll es halt so sein. Dann ist unsere Mutter tot."
"Ja, und die Kinder ihrer Torheit dürfen dann unsere Nahrung vernichten?" wollte die Tochter der tödlichen Tiefen wissen, die gerade an einen Punkt gelangt war, wo auch ihr die Reihen und übereinandergestapelten Gegner den Weg versperrten.
"Also weiter", gedankenschnaubte Ullituhilia.
Itoluhila, die es gewohnt war, sich die nächsten Schritte ihrer Feinde vorauszudenken, erkannte, dass sie gerade in einer Zwickmühle steckten. Sicher mochten bereits weitere Ausgeburten der veränderten Mutter die Rückwege versperren. Dann konnte sie denen befehlen, die erklärten Gegnerinnen zusammenzutreiben, entweder um sie an Ort und Stelle zu töten oder der Königin vorzuführen, um deren letztes Urteil abzuwarten. Zogen sie sich wieder nach draußen zurück, sofern die Gänge und Schächte noch unbesetzt waren, konnten und würden die Ameisenkrieger sich über die ganze Welt verbreiten und alles menschliche Leben vernichten. Also schien Flucht kein Ausweg zu sein. Wie hatten sie auch davon ausgehen dürfen, dass eine Ameisenkönigin, die über tausend Junge geboren hatte, von nur acht einzelnen Wesen angegriffen werden konnte? Sie hatten sich zu sehr auf ihre magischen Superkräfte verlassen, erkannte jene, die in Spanien als schwarzer Engel gefürchtet wurde. Der von ihr offiziell geehelichte Kurzlebige würde aus ihrer Abhängigkeit freikommen und erkennen, wen er da geheiratet hatte und vor allem danach trachten, die kleine Malvina umzubringen, die er für ein mit der Tochter Satans gezeugtes Dämonenkind halten musste. Sie wunderte sich über ihre mütterlichen Anwandlungen, wo sie früher doch jede und jeden verspottet hatte, der oder die zu viel für einen anderen Menschen empfand. Doch genau das hielt sie jetzt davon ab, ohne Rücksicht auf das eigene Leben vorzustoßen, zumal sie nicht wusste, wie genau sie durch die Blockade brechen konnte, wenn sie nicht als Nebelform hindurch wollte. Sie versuchte noch einmal, den kurzen Weg zu gehen und erkannte bei einem sich unvermittelt um sie drehenden und sie haltenden kurzen Lichtwirbel, dass es immer noch nicht gelang. Natürlich hatte ihre Mutter alle Sperren eingerichtet, um solche Wesen wie sie fernzuhalten.
Sie hörte hinter sich das leise schnelle Trippeln von Füßen auf dem körnigen Boden. Ja, sie kamen jetzt auch von hinten. Doch sie konnte noch in einen Seitengang ausweichen, von dem sie wusste, dass er nach draußen führte. Vielleicht fiel ihr dabei auch ein, wie sie in die Brutkammer vordringen konnte.
Erithalillia erkannte, dass sie so nicht mehr weiterkam. Die vor ihr den Weg versperrenden hatten genau die richtige Vorgehensweise gewählt, um einen unsichtbaren Gegner abzufangen. Denn egal wie sie sich an den hier aufgestapelten Ameisenmenschen vorbeiwinden wollte würde sie einen von denen berühren und damit verraten, wo sie war. Ja, auch ihr Atem, ihre Körperwärme oder jedes kleinste Geräusch konnte sie verraten. Dann würde die ganze Masse auf sie niederdrücken und sie entweder am Boden halten oder umbringen. Sie hörte den leise geraunten Schlachtruf: "Für Königin und Volk!" in all den vor ihr aufgereihten und gestapelten Gegnern hallen. Sie warteten auf sie. Nur einzelne Fühler zuckten. Einmal klappten die Beißwerkzeuge der am weitesten vorne stehenden auseinander und wieder zusammen. Wie Itoluhila wusste sie, dass sie in der ihnen eigenen Nebelform nicht weiterziehen konnte, weil dann das von ihr mit zwei gesammelten Leben bezauberte Silberstück, dass die Kraft einer ganzen Mondnacht aufgenommen hatte, restlos entladen würde. Als Wölfin kam sie hier auch nicht weiter, egal wie schnell sie laufen konnte. Auch hörte sie bereits, wie hinter ihr neue Gegner aus den passierten Gängen kamen. Es war ja unmöglich gewesen, sich den rücken freizuhalten. Vielleicht wollten die Nachrückenden auch nur die Barriere verlängern. Ihr blieb nur noch, an den hinter ihr auflaufenden Gegnern vorbeizuhuschen, bis sie einen sicheren Abzweig fand, um sich einen neuen Weg zu suchen. Sie wusste, dass der Brutraum auf der vierthöchsten Ebene des Höhlenverbundes lag und aus zwölf Richtungen angesteuert werden konnte. In der Nähe davon war ein senkrechter Schacht von oben. Da kam sicher Tarlahilia herein. Da musste sie auch hin.
Sie wechselte die Gestalt und hüllte sich schnell wieder in den Hauch des neuen Mondes ein. Dann rannte sie auf ihrer eigenen Spur zurück, bis sie die Feinde herannahen hörte. Sie wich nach links aus und folgte einem Gang bis zu einer Gabelung in drei weitere Gänge, von denen einer in die Richtung führte, aus der Ullituhilia anrücken wollte. Die beiden anderen Gänge waren noch frei, weil sie nicht direkt zum Brutraum führten. Gerade so entkam sie einer Zwölfergruppe Ameisenkrieger, die wohl dazu abgestellt war, die direkten Zugänge zu versperren. Unterwegs hörte sie Ullituhilia frohlocken, dass sie einen Weg gefunden hatte, trotz der gegen Erdmagie wirkenden Zauber eine Wand einzureißen und durch den Spalt in einen anderen Raum zu schlüpfen. Tarlahilia erwähnte auch, dass sie nun angefangen habe, die Decke über den ihr entgegenstehenden aufzuschmelzen. Gelang ihr das, den Gang höher zu machen, konnte sie über die Gegner hinwegfliegen. Erithalillia haderte wieder damit, dass ihre besonderen Kräfte zum einen von der Mondphase abhängig waren und zum anderen nur auf geistiger Ebene wirkten. Sie hatte es schon versucht, den Gegnern Wut oder Angst einzuflößen. Doch dabei war sie immer gegen eine lautstark "Für Königin und Volk!" dröhnende Gedankenbarriere geprallt. Geschlechtliche Lust konnte sie den Ameisenkriegern in ihrer jetzigen Form auch nicht einflößen, weil diese in dieser Form unfruchtbar und somit ohne Fortpflanzungstrieb waren. Die Lage war klar: Nur mit dem Sieg über die Königin konnte der Schwarm oder das Volk besiegt werden.
"Erithalillia, wo genau bist du?" hörte sie Tarlahilia direkt in ihrem Kopf. Sie besann sich auf ihren Standortsinn, der jedoch wegen der Tiefe unter der Erde ungenau wirkte. Doch der Sonnenschwester genügten die ungefähren Angaben. "Gut, ich bin wohl drei lange Gänge und drei Stockwerke von dir weg. Ich versuche, durchzukommen. Mach das, was du mir mal erzählt hast, als wir gegen den Sternenpriester der Sumerer kämpfen mussten, der uns unterwerfen wollte!"
"Ach du meinst die Anrufung der umgekehrten Kraft? Das könnte wirken", erwiderte Erithalillia. "Gut, dann mach das und komm zu mir. Ich mach das hier gerade, um meine Gegner hinter mir zu lassen, indem ich der Luft die Wärme nehme. Kälte vertragen die nicht."
"Ich versuche es", gedankengrummelte Erithalillia. Die umgekehrte Anrufung ihrer Kraftquelle würde sie einige Lebenskraft kosten. Aber das konnte gehen. Anstatt die Gegner direkt beeinflussen zu wollen oder sich deren Sinnen zu verbergen musste sie sich überdeutlich und überweit erfassbar machen. Sie musste sozusagen die den Mond bindende Kraft der Erde mit dem den Mond als Spiegel nutzenden Sonnenlicht vereinen, also die Abwesenheit des Mondes beschwören. Dadurch würde sie strahlendhell wie die Sonne selbst und mochte für solange, wie sie genug geraubtes Leben in sich hatte auch so heiß werden. Sie brauchte also dann nur in die schmelzende Erde einzudringen und darin zu schwimmen, solange sie diese Kraft aufrechthalten konnte.
Sie wollte sich für diese zeitaufwendige Anrufung der umgekehrten Kraft in eine Seitenkammer zurückziehen. Doch da versperrten ihr bereits zwölf weitere Ameisenkrieger den Rückweg. Von vorne drängten weitere Zwölfergruppen nach und liefen bis zur Gabelung vorwärts. Ihr blieb nur, in den noch nicht besetzten Nebengang auszuweichen. So kam sie in eine kleine Kammer, die nur diesen einen Zugang hatte und drei schmale Lüftungsschlitze in der Decke. In Nebelform könnte sie von hier flüchten. Immerhin konnte sie hier die Anrufung wirken, auch wenn sie jetzt weiter vom eigentlichen Zugang entfernt war. Doch sie musste es nun tun.
Sie nahm menschliche Gestalt an und kniete sich hin. Sie legte ihre rechte Hand auf die Erde, während ihre linke Hand in der Luft herumtastete. Mit ihrem Spürsinn für Sonne und Mond suchte sie den Sonnenstand. Doch so tief unter der Erde war das schwierig. Den Mond fand sie eher, weil der näher war. Dann meinte sie, die richtige Stellung zu haben.
Sie beschwor die hellen Tage, wo Sonne und Erde durch Licht und Wärme miteinander verbunden waren. Sie fühlte, dass sie das viel mehr Kraft kostete als jede Mondbeschwörung. Sie fühlte, wie ihre bisherige Schutzbezauberung von ihr abfiel und sie aus der tiefen Erde und vom Himmel her neue Kraftströme erfasste, die jedoch nicht in ihr angesammelt, sondern durch sie hindurchgeleitet wurden wie Flüssigkeit durch ein Leitungsrohr. Dabei spülte der Durchfluss immer mehr ihrer eigenen Kraft aus ihr heraus. Doch sie musste es schaffen, sich selbst zur sonnenhell strahlenden, Hitze verbreitenden Wesenheit zu machen, auch wenn sie dafür acht oder neun gesammelte Leben aufbrauchte.
Sie meinte gerade, dass ihre Haut goldene Funken sprühte und fühlte, wie sich die Luft um sie erwärmte, da liefen acht Ameisenkrieger auf einmal in die Kammer hinein. Sie sprang erschrocken auf und verlor dadurch die Verbindung zwischen Sonne und Erde.
Ilithula indes versuchte, die vor ihr aufgereihten und gestapelten Krieger mit ihrem Mantel des wehrenden Windes zur Seite zu drängen. Doch diese bildeten eine stahlharte Absperrung, die jeden Rammbock pulverisiert hätte. So war ihr nur geblieben, sich zurückzuziehen und nach einem neuen Weg zu suchen. Sicher wusste sie nur, dass sie nicht in ihrer Raubvogelform weiterkam. In niedrigen Höhlen und schmalen Gängen waren ihre mächtigen Flügel nur hinderlich. Das galt dann auch für alle anderen Schwestern, die flugfähige Zweitgestalten hatten.
Sie erschuf mit mächtigen Zaubergesten eine immer schneller kreisende Windhose, die sie gezielt in den Gang hineinlenkte, in den sie eindringen wollte. Der wilde Wirbelwind drang laut fauchend in die übereinander geschichteten Krieger hinein und rüttelte an ihnen. Doch sie waren so gut ineinander verhakt, dass der magische Wind sie nicht durcheinanderwerfen konnte. So verlor die kleine Windhose ihre zerstörerische Kraft und zerfloss, je weiter sie in den Gang vordringen konnte. Ilithula verwünschte den Umstand, dass sie hier unten nicht die gesamten Luftmassen unter freiem Himmel herbeirufen konnte. Dann hörte sie trotz des verwehenden Sturmwindes, wie weiter hinten weitere Gegner auftauchten, jetzt, wo sie ihren Standort so überdeutlich verraten hatte. Ihr blieb nur noch, sich wieder in den Mantel des wehrenden Windes zu hüllen und an den auf sie angesetzten Ameisenkriegern vorbeizudrängen, bis sie in einen Raum kam, der einen Lüftungsschacht nach oben besaß. Durch diesen konnte sie wenigstens ihre eigene, bewegliche Barriere verstärken und so die auf sie eindringenden Krieger auf Abstand halten. Wie lange sie das konnte hing nun von den noch verbliebenen Leben in ihr ab.
Hallitti war darauf gekommen, die Decke über der Barriere mit dunklem Feuer zu entzünden. Das gelang auch, weil in dem Stein Magie wirkte und wohl auch ein winziger Anteil Erz enthalten war. Das schwarzflammige Feuer breitete sich erst langsam und dann sprunghaft an der Decke entlang aus, entzündete auch die Wände. Der Tochter des dunklen Feuers war zwar bewusst, dass sie den ganzen Berg in Trümmern legen konnte, wenn das dunkle Feuer sich ungehemmt weiter ausbreitete. Doch soweit wollte sie es nicht kommen lassen. Sie wollte ja nicht alle ihre sieben Schwestern auf einmal im Bauch haben und dann eine nach der anderen wiedergebären. So setzte sie den Flammen eine räumliche Begrenzung. Ihr ging es nur darum, die Decke über den Ameisenkriegern zum Einsturz zu bringen. Das gelang ihr nach nur zwei Minuten.
Erst knarrte die Decke. Dann rieselten erste Brocken aus den schwarzen Flammen. Dann krachten die ersten Trümmer zu Boden. Hallitti wollte schon jubeln, als sie hörte, dass hinter ihr wieder Krieger aufmarschierten. Sie ließen sich jedoch Zeit, versuchten nicht, sie anzugreifen, weil sie ja um sich immer noch den Mantel dunkler Flammen hatte. Doch was die Nachrücker taten mochte für sie verheerender sein. Sie blockierten wohl die zwei ihr möglichen Rückwege. Doch sie wollte ja nach vorne, weiter nach vorne zur Brutkammer.
Endlich polterte und donnerte die aufgebrannte Decke nieder, riss dabei so viel Felsgestein mit sich, dass die vor ihr hockenden Krieger davon begraben wurden. Hallitti brachte das dunkle Feuer zum erlöschen und lief los, um über die Trümmer und die darunter begrabenen Krieger hinwegzuklettern. Da bewegten die sich. Natürlich konnten die das vielfache des eigenen Körpergewichtes aushalten, wusste die Tochter des dunklen Feuers. Aber wenn die dachten, die vielen tausend Tonnen Felsgestein über sich abzuschütteln hatten die sich wohl getäuscht. Hallitti lief und kletterte weiter.
Als dann die Trümmer unter ihr schlagartig in die Höhe schnellten verlor sie den Halt und fiel nach vorne. Sie landete bäuchlings auf den sich bewegenden Trümmern und riss schnell ihre Hände zurück, um sich nichts einzuklemmen. Dabei schwebte sie von einer unerwarteten Kraft angehoben nach oben. Sie stieg soweit, wie die aus ihrem Körper schlagenden Flammenzungen reichten. Da wusste sie, dass diese abstoßend auf die unter den Felsen wütenden Ameisenkrieger wirkten. Sie selbst konnte jedoch im Moment keine Bewegung ausführen. Sie spürte, wie unter ihr alles zur Ruhe kam. Aber sie sank nicht mehr nach unten. Ihre mächtigste Schutzvorkehrung wirkte auf sie wie ein Anhebezauber. Der hielt die Krieger unter ihr nieder, dass sie nichts mehr machen konnten. Doch wenn sie das Feuer auslöschte und sich wieder auf die Trümmer fallen ließ konnten die unter ihr begrabenen Ameisenmenschen sich wieder bewegen und sie dann angreifen. Patt!!
Erithalillia fühlte, wie mehrere Beißzangen nach ihr schnappten und ihre Arme und dann die Beine zu fassen bekamen. Die gegen sie losgeschickten, vollständigen Riesenameisen hielten sie gerade so fest, dass sie sie davontragen konnten. Also hatten sie noch nicht den Befehl, sie zu töten. War das eine Hoffnung? Nein, wohl eher nicht!
"Ewige Finsternis, sie haben mich gepackt. Ich kann mich nicht mehr befreien. Vielleicht kann ich mich noch vernebeln", schickte die Tochter des dunklen Mondes an ihre Schwestern. Sie versuchte es. Doch ihre Kräfte flossen unmittelbar über ihre umschlossenen Gliedmaßen ab. Sie konnte sich nicht in ihre Nebelgestalt verwandeln. "Ich komme nicht mehr frei. Schwestern, wenn die mich töten Rückzug wie geplant! Verschwindet sofort, solange ihr könnt!"
Itoluhila hörte den Gedankenruf ihrer Schwester Erithalillia und bangte, dass damit die Unternehmung gescheitert war. Sie könnte noch den Vereisungsnebel in die besetzten Gänge schicken und die dortigen Krieger einfrieren. Doch ohne sich selbst zu vernebeln kam sie eben nicht zwischen diesen hindurch. Dann fühlte sie eine ihrem eigenen Zauber entgegenstehende Kraft und auch, dass ihre feurige Schwester Hallitti damit zu tun hatte. Trotzdem in den Wänden und Decken Elementarabwehrzauber wirkten konnte sich Hallittis dunkles Feuer immer weiter durchfressen. Hoffentlich konnte die es noch bändigen. Sonst konnte der ganze von Magie erfüllte Berg der ersten Empfängnis davon pulverisiert werden und sie alle mit ihm. Gut, sie konnte einen Panzer dunklen Eises um sich schließen. Nur Wärme verbreitendes Zauberfeuer konnte dem was anhaben. Aber die anderen. "Hallitti!" rief sie in Gedanken. Doch offenbar war ihre wiedergeborene Schwester zu sehr damit beschäftigt, ihren dunklen Feuerzauber zu wirken.
Erithalillia versuchte noch einmal, sich den sie haltenden Zangen zu entwinden und merkte dabei nur, dass diese ihre besonders reißfeste Lederkleidung durchschnitten. Wenn sie sich weiter wand würden die sie haltenden Mandibeln in ihr Fleisch schneiden. Dann verlor sie doch noch ihre Gliedmaßen. Dann konnte sie nur von Glück reden, wenn sie schnell verblutete und ihre Seele aus dem verstümmelten Körper freikam.
Sie hörte einen Fernen Ruf Itoluhilas an ihre Schwester Hallitti. Was tat diese bloß?
"Ewige Finsternis! Die Ungeheuer haben sich auf meine Vereisungszauber eingestellt. Ich kann gleich nicht mehr!" rief Tarlahilia. Würde die gleich auch gefangen und fortgeschleppt? Sicher ging es zur Königin.
Tarlahilia hatte sich zu früh gefreut, dass sie eine Anrufung der ewigen Nacht ohne Sonne und Mond gemacht hatte. Erst hatte sich um sie herum eisiger Nebel gebildet wie bei Itoluhilas Zaubern. Der hatte die Wände und Decken eingehüllt und mit einer immer dickeren Eisschicht überzogen. Die ihr entgegenlaufenden Krieger waren auf dem Eis ausgerutscht und hatten sich dabei immer langsamer bewegt. Doch dann hatten die am Boden liegenden einen immer dichteren Teppich gebildet, über den dann immer mehr Krieger nachrückten. Das einzige Glück für die Tochter der schwarzen Mittagssonne war, dass die Gegner sich bei der zunehmenden Kälte immer langsamer bewegten. Doch dann kamen welche die lichterloh brannten! Wieso brannten die? Als sie es erkannte verwünschte sie ihre Idee. Deren Königin hatte auf die wohl ausgestreuten Meldungen geantwortet und die Nachrücker in eine brennbare Flüssigkeit eintauchen lassen. Wie auch immer hatten die sich dann entzündet und dann, weil sie gegen Feuer gefeit waren, eine brauchbare Wärmequelle am Körper getragen, um nicht unterkühlt zu werden. Immer mehr lodernde Riesenameisen kamen, keine Ameisenmenschen, sondern vollständige Kerbtiere von menschlicher Größe. So blieb Tarlahilia nur, die Flammen durch Entzug der Wärme zu löschen. Doch je mehr brennende Widersacher kamen, desto schwerer wurde dies. Ihr blieb nur der Rückzug in eine für Menschen gerade noch ausreichend große Kammer mit einem Vorlegbaren Stein. Diesen schob sie vor, nachdem sie gesichert hatte, dass über ihr ein dünner Luftauslass angebracht war. Dann verschmolz sie mit dem Rest ihrer eingelagerten Sonnenkraft den Stein mit dem Rand des Eingangs, sodass die überstarken Ameisen den Stein nicht mehr fortziehen konnten. Sie hatte sich selbst eingesperrt. An ein Weiterkommen war jetzt nicht zu denken.
Sie hörte, wie Erithalillia ihre Gefangennahme meldete und auch, dass sie sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte. Würde auch sie die Gefangene der roten Königin werden?
Erithalilliabekam mit, wie sie in die Brutkammer getragen wurde. Da hockte sie, die rote Königin. Ihre vier Flügel waren über ihrem Rücken zusammengefaltet. Ihre haarigen Fühler streckten sich ihr entgegen. Dann sprach die Ungeheuerlichkeit, in der die mächtige Lahilliota eingeschlossen war:
"Ah, Erithalillia. Du bist also die erste, die meine Kinder gefunden haben. Was hast du da auf deinem Rücken?" Erithalillia wollte nicht antworten. Ja, sie verschloss ihren Geist gegen mögliches Gedankenlesen. "Zweihundertfünfzig, nimm es ihr ab und zeig es mir her!" befahl sie einem Krieger, der Erithalillia gerade nicht festhielt. Die aus der Brut der roten Königin hervorgegangene Riesenameise trippelte vor, öffnete die Beißzangen, umfasste Erithalillias Rucksack und zerrte ihn von ihr weg. Er zerriss eher, als dass die anderen Krieger der Gefangenen unbefohlen was abbeißen konnten. Da fiel der Silberbrocken zu boden, der wie schwaches Mondlicht glänzte. Zweihundertfünfzig nahm ihn, wobei Funken zwischen dem Kerbtiergeschöpf und dem Silberbrocken sprühten und trug es vor die Königin. Diese begutachtete es, tastete es kurz mit dem rechten Fühler ab, wobei leise knisternd Funken zwischen den Haaren sprühten. "Haua! Aber das wolltet ihr mit mir anstellen, mich mit dem von der, die ich mal war gelernten großen Schwesternschwur in meine zweibeinige Frühform zurückzwingen, wie? Gut, das wird nun nicht mehr geschehen", zischte die halb gedankliche und halb hörbare Stimme der roten Königin. Dann befahl sie Zweihundertfünfzig, den leuchtenden Silberbrocken zum Abfallausgang zu schaffen. Erithalillia wusste nun, dass die Unternehmung gescheitert war. "Schwestern, verschwindet wenn ihr könnt! Mein Kraftverstärker wurde mir weggenommen. Ich muss mit meiner Entleibung rechnen!" schickte die Tochter des dunklen Mondes an ihre Schwestern, wohl wissend, dass die rote Königin es mithören mochte.
Die Anderen bekamen diesen Ruf mit und suchten sich einen vorerst sicheren Rückzugsort. Ihre schwesterliche Verbundenheit verlangte, die Gefangene nicht feige im Stich zu lassen. So berieten sie noch, was sie noch tun konnten. Die Schwester der tödlichen Tiefen und jene des schwarzen Felsens wollten noch versuchen, den Boden und die Wände einzureißen um neue Durchgänge zu öffnen. Itoluhila wollte versuchen, die blockierenden Krieger mit dunklem Eis einzufrieren und somit kampfunfähig zu machen, um andere Wege freizukriegen. Tarlahilia konnte nun, wo die große Beschwörung nicht mehr gelingen mochte, ihren mit Sonnenkraft aufgeladenen Goldklumpen einsetzen, die ihr auflauernden Krieger zu beseitigen. Jetzt ging es nur noch um Überleben oder sterben.
Alle wollten nur noch zu Erithalillia hin, um ihr zu helfen. Doch da ertönte ein lauter, langer Aufschrei im gemeinsam genutzten Raum gedanklicher Mitteilungen. Der Aufschrei verschwamm immer mehr und wurde leiser. Alle bangten nun, zu wem von ihnen die ihrem Körper entrissene Seele der dem Mond verbundenen Schwester überwechseln würde. Es wurde still. Keine dachte was.
Die rote Königin, Mutter der vielen tausend, betrachtete das von ihren Kerbtieraugen zerlegte Bild der Gefangenen. In ihr regten sich drei verschiedene Gefühle. Da war der Drang, mächtiger zu werden, wenn sie diese Feindin töten ließ. Da war die Genugtuung, eine der Gegnerinnen überwunden zu haben. Doch da war auch die Sorge um ihre aus dem Leib geborene Tochter, die sie selbst noch hatte aufwachsen sehen können und wie diese einen dunklen Mondkult nur von Frauen und Zauberinnen begründet hatte. Durfte sie sie jetzt wirklich töten lassen? War es nicht feige, sie von wem anderen töten zu lassen? Dann jedoch überkam sie der Gedanke, dass die da ihre neue, viel stärkere und überlegene Daseinsform zerstören wollte. Die da war undankbar. Und auf Undankbarkeit stand der Tod. Doch sie wollte nicht eine niedere Kriegerin tun lassen, was sie selbst tun musste. So befahl sie den fünf Kriegern, die Gefangene genau vor sie hinzulegen. Als dies geschah versuchte die andere noch, sich in Nebelform aufzulösen. Doch da hatten die scharfen, kraftvollen Beißzangen der Königin bereits zugeschnappt.
Auch die Regentin hörte den langen Aufschrei und sah die dem mit einem Biss zerstückelten Leib entweichende Seele wie ein weißes, flirrendes Wölkchen. Doch dann sog sie die umgebende Luft ein und damit das, was von Erithalillia entwich.
Unvermittelt durchflutete sie eine unbändige Kraft. Bilder und Gefühle strömten in ihr von Vermehrungsdrang und Überlegenheiterfülltes Bewusstsein. Sie sah die Erlebnisse der Getöteten vom Augenblick ihres Todes bis zurück in den Mutterleib, hörte die Stimme der, die sie selbst war. Dabei überkam sie wieder jenes Gefühl, dass sie ihre eigene Tochter umgebracht hatte. Der Gedanke, eine gefährliche Feindin getötet zu haben wurde von etwas überlagert, dass sie bis dahin weder in der einen noch anderen Form gefühlt hatte. Deshalb wusste sie auch nicht, ob es schmerzvolle Reue oder ein schlechtes Gewissen war. Sie fühlte nur, dass ihr Körper im Feuer dieses seelischen Aufruhrs verformt wurde. Nein, sie wollte doch nicht wieder so werden wie früher. Nein, sie war die Königin der hunderttausend. Auch wenn die geistige Stimme der Getöteten in ihr aufschrie und sie anklagte wollte sie so bleiben wie sie war. Erst als der innere Aufschrei leiser und leiser wurde ließ auch dieser Schmerz nach. Ja, und auch die Verformung kehrte sich wieder um. Sie wurde wieder die rote Königin. Doch als sie wieder frei von innerem Aufruhr denken konnte erkannte sie, dass sie zwar stärker, aber nicht wirklich mächtiger geworden war. Sie kannte nun alles, was Erithalillia gewusst und vollbracht hatte, doch damit konnte sie in ihrer erhabenen Form nichts anfangen, bis vielleicht auf den Gang über den kurzen Weg. Was sie auf jeden Fall nun fühlte war, wie sich die in ihr eingesogene Seele Erithalillias zum kleinen Kind zurückentwickelte und mit einem letzten leisen, langen Aufschrei verstummte. Nun war sie wieder allein mit sich, hörte jedoch nun, wie sich die noch im Berg umhersuchenden Schwestern hastig abstimmten, ob sie schnell verschwinden sollten. Sie teilten sich mit, dass keine von ihnen was verspürt hatte, dass die offenbar getötete bei einer von ihnen untergekommen war. Das machte den anderen sieben sichtlich sorgen. Dann rief Hallitti: "Verdammt, die alte hat sich Erithalillias Seele einverleibt, Schwestern. Die wird nicht mehr wiederkommen."
"Kann sein. Dann besser alle weg hier!" hörte die Königin Ullituhilia rufen.
Die große Ameisenkönigin wusste nicht, was sie ihren Kriegern nun befehlen sollte. Denn das Vorhaben der sieben anderen war ja nun gescheitert. Laufen lassen oder ebenfalls zu ihr bringen?
Itoluhila fühlte, dass Hallitti in der Nähe war. Sie schwebte gerade noch über den von ihr niedergehaltenen Kriegern. Nun hatte Ullituhilia den schnellen Rückzug befohlen, weil sie die älteste der nun noch sieben Schwestern war. Itoluhila ließ ihren Tragesack mit der Eiskugel fallen und dachte dieser ein "Verdampfe!" zu. Dann wollte sie sich in Nebelform auflösen und durch die für keine der Riesenameisen durchlässige Spalte in der Decke davonmachen. Da hörte sie einen zwischen Schreck und Wut schwingenden Gedankenaufschrei Hallittis. "Verwünschtes Ungezifer!" Dann erklang zum zweiten Mal an diesem Tag ein lauter, schmerzvoller Aufschrei im Gedankenraum der Töchter Lahilliotas. Doch diesmal verwischte die geistige Stimme nicht, sondern wurde lauter und klarer, bis sie abbrach und als schlagartig leiser gewordener aber noch lange nachklingender Nachhall verebbte. Zugleich sah Itoluhila über sich das Gesicht der vor kurzem erst wiedergeborenen Schwester, deren Aussehen sich innerhalb einer halben Sekunde veränderte. Sah sie erst wie vor einer Stunde aus, wirkte sie nun wie ein Kind von nur drei Jahren. Dann sah die Tochter des schwarzen Wassers die violett umleuchtete Geistererscheinung jener Hallitti, die sie vor der Sache mit den Hexen in Weiß gekannt hatte. Sie war auf weniger als Unterarmlänge geschrumpft und beinahe Unsichtbar. Itoluhila spürte eine schlagartige Erwärmung ihres Unterleibes. Dann war ihr, als bliese ihr jemand oder etwas glutheiße Luft direkt durch ihr Geschlecht in den Unterbauch. Gleichzeitig hörte sie eine von Wut und enttäuschung getragene Gedankenstimme "Nicht schon wieder!" dann fühlte sie für zwei Sekunden ihre Eingeweide erbeben. Dann war es vorbei. Nein, es begann nun etwas neues.
Hallitti hatte nur ihren Mantel dunkler Flammen um sich auflösen müssen, um ihren Tragsack loszuwerden, um in die Nebelgestalt einzutreten. Darum fiel sie eine Sekunde lang aus mehr als zwei Metern höhe. Im gleichen Augenblick teilten sich die unter ihr liegenden Trümmer, und vier tödliche Beißzangen schnappten nach ihr. Sie verwünschte den Umstand, dass sie erst den Schutzzauber auflösen musste und verwünschte nun die menschengroßen Ameisen, die die Gelegenheit ausnutzten. Dann fühlte sie die letzten Schmerzen dieses körperlichen Lebens. Zwei Mandibeln erwischten sie am Hals, zwei bohrten sich in ihren Brustkorb. Was genau ihr den Todesstoß versetzte bekam sie schon nicht mehr mit, weil sie schlagartig aus ihrem Körper gerissen und in einen warmen, violetten Strudel hineingesogen wurde. Als sie das Gesicht, dann den Körper am Ende des Strudels sah wusste sie, was ihr nun widerfuhr. Es geschah nun doch, was sie eigentlich vor Jahren schon herbeiführen wollte und eigentlich jetzt nicht noch einmal erleben wollte. Doch sie erlebte es.
Sie sah den violett leuchtenden Körper ihrer Schwester Itoluhila größer und größer werden und dann, wie sie ohne Aufprallwucht in ihren Unterleib hineingezogen wurde. Es wurde dunkel um sie, und sie hörte das laute Fauchen großer Lungen und das gleichmäßige schnelle Pochen eines großen Herzens. Dann endete der unerbittliche Sog. Sie schwebte in völliger Dunkelheit. Sie dachte "Nicht schon wieder!" Doch ändern konnten sie und die, bei der sie nun war, nichts mehr daran.
Die Königin des roten Volkes vernahm den lauten Todesschrei jener, die sie als Wiedergeburt von Hallitti miterlebt hatte. Weil diese nicht in ihre Richtung flog war sie sicher, dass eine der ihr nahen Schwestern sie eingefangen und in sich aufgenommen hatte. Sie fühlte eine starke Erschütterung in ihrem Geist und empfand erneut sowas wie Reue und Verlustschmerz. Sie fühlte, wie ihr Körper dadurch verformt wurde, aber nach nur drei Herzschlägen wieder die erhabene Erscheinung annahm.
"Hallitti, was ist?" rief Tarlahilia. "Sie ist entkörpert!" rief Itoluhila rein gedanklich. "Ich war ihr am nächsten. Sie ist jetzt bei mir."
"Was?!" stieß Ilithula wütend aus. "Lässt sich nicht mehr ändern", klang leise und dumpf Hallittis Gedankenstimme. "Macht dass ihr wegkommt, sonst kriegen diese Krabbeltiere uns alle noch. Ich merke, dass Itoluhila mich richtig aufnimmt. Wir sehen uns in neun Monden wieder, Schwestern!"
"Gut, raus jetzt, alle!" rief Ullituhilia. "Das wird mir dieses Ameisenweib büßen!" stieß Ilithula aus. "Ich räume den ganzen Berg mit meinem stärksten Wind ab!" Darauf erfolgte keine Antwort, wohl weil Hallittis letzte Geistesregung der vor undenklich langer Zeit eingeprägten Wiederempfängnis im Leib einer Mitschwester ggalt.
"Erst mal alle raus hier!" rief Ullituhilia.
"Wir kommen wieder, rote Ameisenkönigin!" rief Ilithula. Tarlahilia fügte hinzu: "Und wir holen unsere Schwester Erithalillia zurück."
Die Königin des roten Volkes dachte allen zurück: "Ja, indem ihr eins mit mir und ihr werdet, ihr euch selbst überschätzenden Undankbaren!" Zwar war da sowas wie ein wenig Bedauern, weil sie Erithalillia gezielt entkörpert hatte. Aber da sie diese in sich aufgenommen und so ihre Lebenskraft und ihr gesamtes erlebtes Leben in sich zurückgenommen hatte gab es für echte Reue keinen Grund.
Ob die anderen ihre Mitbringsel als letzten Gruß an die tödlichen Leibgardisten entfesselten oder nicht war ihr nun egal. Itoluhila prüfte, ob sie nach der Aufnahme von Hallittis Geist noch frei die Gestalt wechseln konnte. Sie konnte sich noch in Nebelform auflösen. Sie flog hinaus, als die von ihr abgelegte Eiskugel in einer violetten Dampfwolke auseinanderplatzte. Sie suchte sich die nur für sie durchquerbaren Schächte und Ritzen aus. Dabei fühlte sie, wie von verschiedenen Seiten Windstöße gegen sie anbliesen und sie zu zerstreuen trachteten. Doch sie schaffte es, ihren in weißen Nebel aufgelösten Körper zusammenzuhalten. Dann gelangte sie auf die dem Gipfel nächste Ebene und wehte in einen Stollen hinaus, der gerade von Dutzenden von roten Ameisen besetzt wurde. Deren Anführer waren solche, die Menschenköpfe hatten und ihnen befahlen die Ausgänge zu besetzen. Die zur Mutter und Königin dieses Volkes gewordene Daseinsform, in der eigentlich noch die von ihr und den anderen zu ehrende Lahilliota eingebettet sein musste, wollte keine der Angreiferinnen entkommen lassen. Dabei wollten sie sie doch nur aus dieser tierhaften Missgestalt herauslösen, ihr die alte Erhabenheit und Fähigkeiten wiedergeben. Doch das, was sie jetzt war, wollte so bleiben wie sie war.
So blieb Itoluhila, die spürte, dass sie nicht mehr ganz für sich alleine war, als Nebelgestalt zwischen den aufmarschierenden Wachtruppen hindurchzuwabern, über sie hinwegzustreichen und dann, mit einem letzten Schwung von Gedankenkraft, ans Tageslicht zurückzukehren. Sofort fühlte sie den sie durchwehenden, an ihrem gasförmigen Körper zerrenden Wind. Doch sie musste noch mindestens zwanzig Schritte weit fliegen, bevor sie es wagen konnte, in ihre flugfähige Gestalt zurückzukehren. Dabei war die bange Frage, ob sie das noch konnte, wo sie Hallittis entleibtes Ich in sich aufgenommen hatte. Doch dieses gab keinen worthaften Gedanken von sich. Es war so, als bange es selbst darum, noch einen weiteren Tod zu erleiden, bevor es zum dritten mal geboren werden mochte.
Endlich konnte sie es wagen, feste Form anzunehmen. So wurde sie innerhalb eines einzigen Gedankens erst zu jener überaus anziehenden Frau mit der milchkaffeefarbenen Haut, den wasserblauen Augen und dem schwarzblauen Haar. Sie fiel in die Tiefe. Das verhalf ihr, noch schneller die Gestalt eines schwarzen Stachelrochens mit weit ausgespannten Gliedmaßen anzunehmen, die im Wasser als Flossen und in der Luft als Flügel dienten. Sie fing ihren Sturz ab und schwang sich mit gleichmäßigen Schwüngen zurück auf eine für sie annehmbare Höhe. Da sah sie eine schwarze Fledermaus, die sich ihr näherte, sowie einen überlebensgroßen, silbergrauen Adler, die genau auf sie zukamen. "Ist sie wirklich in dir gelandet, Itoluhila?" hörte sie Tarlahilias verärgerte Stimme. Itoluhila lauschte und schickte ein bejahendes: "Ja, sie nistet sich gerade vollständig ein", zurück. Da gedankenwisperte Hallitti: "Ich merke, dass ich gleich bis irgendwann nichts mehr mitkriege. Sag der Wassertreterin, dass sie bloß gut auf mich aufpassen soll, dass ich der nicht weit vorher rausfalle."
"Keine Sorge, kleine Tochter. Ich habe Übung im Kinderkriegen. Du bekommst eine nette große Schwester und einen sehr umgänglichen Stiefdaddy", schickte Itoluhila zurück. Die zwei neben ihr fliegenden Schwestern blickten sie genau an und nickten wie Menschen. Sie hatten erfasst, dass die Tochter der einen und Zwillingsschwester der anderen wieder einmal für längere Zeit handlungsunfähig sein und als Itoluhilas Tochter zurückkommen musste.
"Bist du immernoch überzeugt, dass wir uns an den Eid unserer Mutter halten sollen, Itoluhila?" wollte die als Riesenadler verkörperte Ilithula wissen. Itoluhila sah ihre gefiderte Schwester an und gedankenantwortete: "Du meinst, weil du deine Rache an diesem überragend talentierten Kurzlebigen haben willst, Ilithula? Solange noch eine winzige Hoffnung besteht, dass unsere Mutter wieder zurückkehrt ist sie nicht tot. Solange sie nicht tot ist gilt unser Eid, zumindest von meiner Seite her. Und wenn die, die vorher noch deine Zwillingsschwester war, das erst begreift, wenn sie mit mir durch eine Nabelschnur verbunden ist, dann wird sie einsehen, dass Rache nur Gegenrache macht. Sei lieber darauf gefasst, dass die Ameisenkönigin jetzt Appetit auf unser aller Seelen bekommen hat und wir erst einmal weit genug von ihr fort bleiben sollten." Tarlahilia, die immer noch Itoluhila anblickte und dabei wohl unhörbare Töne ausstieß dachte zurück: "Es ärgert mich, über ein Jahr halbuntätig verbracht zu haben, indem ich sie für nichts und wieder nichts ausgetragen und gestillt habe. Es ärgert mich auch, dass ich einen Teil meiner gesammelten Lebenskraft in ihren neuen Krug einflößen musste. Doch du hast leider recht, Itoluhila. Solange Mutter nicht unwiederbringlich mit Leib und Seele aus der Welt getilgt wurde gilt ihr Gesetz und jedes von ihr verfügte Wort. Ich ärgere mich auch, dass ich mitgeholfen habe, ihr diese Riege von Begattern zugeführt zu haben, die uns diese Brut eingebracht haben. Ja, und dieses Gezücht könnte uns allen unsere Nahrung verderben. Das macht mich wütend."
"Weil sie Angst hat", dachte Ilithula unverhüllt. "Das habe ich vernommen, Schwester und Tochter", gedankenblaffte Tarlahilia. Dann hörten sie die Gedankenstimmen der anderen. Außer Erithalillia und Hallitti waren alle Töchter Lahilliotas dem Berg der ersten Empfängnis entronnen, der nun nicht mehr war als ein steinerner Ameisenbau. Die Erhabenheit dieses Ortes drohte unter den Erlebnissen der letzten Stunde verschüttet zu werden. Doch Itoluhila hegte immer noch die Hoffnung, ihre Mutter aus ihrer selbstverschuldeten Misslichkeit befreien zu können, auch wenn sie gerade nur noch zu sechst waren.
"Am besten kehrt ihr nun alle zurück in eure Wohnstätten und trinkt neues Leben. Wer weiß, ob die rote Königin nicht wahrhaftig zur Jagd auf uns alle aufrufen wird", sagte Ulituhilia, als sie alle weit genug vom Berg ihres Schicksals in der Wüste gelandet waren. Dann wünschte sie Itoluhila alles Glück und alles Durchhaltevermögen für die beschwerliche wie erhabene Aufgabe, Hallittis Seele in einem neuen Körper auf die Welt zurückzubringen.
Maria, Camille und Julius saßen in der Wohnküche des Apfelhauses zusammen. Sie beobachteten die draußen auf den weiten Wiesen um das runde Haus spielenden Kinder. Da auch Chrysope schon ein wenig Englisch konnte kam sie wie Aurore mit Marisol gut klar, zumal auch Claudine und Chloé da waren, so dass Marisol sich nicht wegen so vieler kleiner Kinder langweilen mochte.
"Und die kommt bei euch in Cloudy Canyon mit den ganzen Zaubererkindern gut klar?" fragte Camille Maria Isabel genannt Maribel. Diese nickte und meinte, dass sie schon merke, dass sie eine Außenseiterin sei, weil sie keine zaubernde Mom habe und selbst wohl auch nicht zaubern könne. Darauf meinte Camille: "Das kannst du noch nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin stammst du von einer Familie, die in den ersten hundertfünfzig Generationen nur aus magischen Leuten bestand. Falls dein seliger Mann Enrique unerweckte Zaubergaben hatte kann das in Marisol immer noch aufwachen."
"Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will, eine Hexe als Tochter. Nichts gegen dich, Camille und auch nicht gegen Almadora und Vergilio. Doch irgendwie weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn Marisol irgendwann mal magische Dinge tun kann, ohne das Silberkreuz und ..."
"Zum beispiel auf Aurores Besen fliegen?" fragte Camille und deutete nach draußen, wo Marisol gerade ganz alleine auf Aurores für Kinder über vier Jahren geeigneten Ganymed Primus etwa zwei Meter über der Wiese dahinflog und von Aurore, Chloé, Claudine und Chrysope begeisterten Beifall bekam. "Öhm, die fliegt alleine?" fragte Maribel und wollte aufspringen. "Öhm, das macht der Besen wohl von sich aus", stieß sie noch aus. Doch Camille sagte: "Nein, der Besen steigt nur auf, wenn er wen trägt, der in sich schwache, magische Kräfte hat, die noch nicht offenbart wurden. Tja, ich denke, Darmirias nächste Nachfahrin wird eigenständig zaubern können."
"Oha", sagte Maribel. "öhm, bis wann ist sowas amtlich?"
"Spätestens bis zum Brief aus Thorntails oder Dragon Breath oder der mexikanischen Zauberschule", sagte Julius. "Wir hatten in Beaux auch schon Fälle, wo neue Schüler noch zwei Monate vor dem Schuljahresende als unbedingt aufzunehmen vermerkt wurden, weil sie da irgendwas heftiges magisches angestellt haben. Am besten klärst du das mit Almadora und Vergilio, wie ihr deine Tochter darauf hinführt."
"Erst mal muss sie mit diesem Besen heil runterkommen", bibberte Maribel, die eigentlich nicht so leicht zu ängstigen war. Dann sah sie, wie Claudine auf ihrem eigenen Besen neben Marisol herflog und ihr zeigte, wie sie sicher landen konnte. "Mamita, soy una bruja verdadera!" rief Marisol.
"Sí lo vi, mi hijita. Ten cuidado por favor!" rief Maribel aus dem Fenster hinaus.
"Öhm, heißt es nicht "Lo he visto"?" wollte Camille wissen. Julius erwiderte: "Die Perfektform gibt's nur im europäischen Spanisch. Die Amerikaner benutzen die Vergangenheitsform, die bei in einem Moment oder Handlungsakt abgeschlossene Handlungen beschreibt auch für Sachen, die gerade vor einer Minute gelaufen sind, wo wir Europäer noch die Perfektform benutzen."
"So hat meine Spanischlehrerin an der Universität es auch erklärt, als ich zwei Jahre Kunstgeschichte studiert habe", sagte Maribel.
Sie sahen gerade zu, wie Marisol Aurores Besen mit einer Sicherheit landete, als habe sie schon jahrelanges Besenflugtraining bekommen, als Camille, Maribel und Julius ein kurzes, heftiges Erbeben ihrer mächtigen Erbstücke fühlten. Da sie gerade in einem von Ashtarias Segen erfülltem Haus waren sahen sie auch ein kurzes goldenes Aufflackern, als wolle ein Feuer in der Luft entflammen und müsse sofort wieder erlöschen. "Was bitte war das denn?" wollte Maria wissen. Julius sah Camille an. Diese wiegte den Kopf und meinte: "Hoffentlich ist nicht wieder einer von uns ohne Erben gestorben."
"Wenn ich an das letzte mal denke, wo das passiert ist", meinte Julius dazu. Die beiden Frauen nickten. an und für sich erhoffte sich Julius eine Antwort von Ashtaria. Doch diese schwieg. Dafür hörte er Temmies Gedankenstimme: "Ich habe eine Wechselwirkung zwischen euch und dem restlichen Raum gefühlt, als würde die hohe Kraft Ashtarias sich kurz weiter ausdehnen und habe sich dann wieder zurückgezogen. Es war wie ein lange nachklingender Ton auf einer viele Längen messenden Saite." Julius schickte zurück, dass er ein kurzes Aufflackern gesehen hatte, weil wohl gerade drei Silbersternträger zugleich in einem Kraftzentrum von Ashtarias Magie zusammensaßen.
"Das dürft ihr mit denen klären, die ihr heute noch erwartet", schickte Temmie zurück.
"Vielleicht können uns Adrian oder Jophiel was darüber sagen", meinte Julius. "Die kennen die Magie Ashtarias doch noch besser als wir drei zusammen."
"Julius, siehst du das auch, dass Maribels Tochter auf Rories Besen fliegen kann?" hörte er Millie von weiter unten rufen. Er erwiderte, dass sie das gerade mitbekommen hatten. Er fragte sie, ob sie noch was gemerkt habe. "Ich nicht", sagte sie. "War denn sonst noch was?"
"Ein kurzes goldenes Aufflackern und Erbeben unserer Talismane", erwiderte Julius. "Ui, vielleicht will Ashtaria euch anzeigen, dass es bald losgeht." Julius schloss das nicht aus.
Zwei stunden später landete eine kleine Kutsche mit vorgespanntem geflügelten Schimmel. Aus der Kutsche stiegen Adrian Moonriver, sowie der jüdische Zauberer Jophiel Bensalom, der halbindigene Don Domingo Casagrande de las Lunas aus Peru und der aus Frankfurt am Main stammende Heribert Frohwein. Adrian wirkte in Begleitung der drei anderen Zauberer wie ein Unistudent zwischen altgedienten Professoren, dachte Julius. Dabei war Adrian rein geistig über hundertzwanzig Jahre altund hatte durch die Gnade der alten Meister Khalakatans eine von ihm nicht erwähnte Zeit lang weiterführende Zauber der hellen Künste erlernt.
"Ah, da sind die anderen vier", flötete Camille erfreut und sah, dass Jophiel und Don Domingo auch ihre Ehefrauen mitgebracht hatten. Nur der Deutsche Heribert Frohwein war ohne Begleitung angereist.
Julius begrüßte die Ankömmlinge herzlich auf der Landewiese, während Millie zusah, wie Marisol noch einmal mit Aurores Besen aufstieg und unter Claudines Aufsicht ein paar Runden drehte. Er führte sie in das kleine Arbeitszimmer, das wegen seiner geringen Größe und Abgeschiedenheit öfters als Klangkerkerzimmer benutzt wurde und neben dem Musikzimmer zum Dauerklangkerker gemacht worden war, nachdem Florymont Dusoleil die Unbedenklichkeit für diesen zusätzlichen Dauerzauber zertifiziert hatte. So konnten sie unabhörbar gleich auf die anstehenden Punkte kommen.
"Ja, ich habe es auch gerade gespürt, dass mein Sternchen gebebt hat. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ihr drei hier sicher wartet hätte ich gefürchtet, dass wieder wem von uns was passiert ist", sagte Adrian. Jophiel bestätigte es. Auch Don Domingo, dessen Frau Hidalga sich mit Millie unterhielt, erwähnte, dass wohl irgendwas im Gefüge Ashtarias erschüttert wurde, jedoch nicht zum schlechten, sondern nur etwas, das die Verbundenheit aller berührt habe. "Vielleicht haben diese Drecksweiber von Lahilliota wider versucht, uns was zu tun", vermutete Frohwein, der ein mit seinem Heimatdialekt eingefärbtes Englisch sprach, weil er des Französischen nicht so mächtig war.
"Klar, wo Ilithula mitbekommen hat, dass ich den letzten Stern geborgen habe", sagte Julius und erzählte noch einmal die Begebenheit mit der Tochter des düsteren Windes. Adrian meinte dazu: "Oh, dann haben die sicher was versucht, um uns noch vor dem Treffen eins einzuschenken und hatten Pech, dass drei von uns schon hier in Millemerveilles sind und die anderen vier gerade auch in derselben Flugkarrosse zusammengehockt haben. Dann sollten wir gleich heute abend los."
"Stimmt, wir sollten es hinter uns bringen, damit sich das Genöle meiner Anverwandten gelohnt hat, warum wir nicht zur zweifachen Zwillingsgeburtstagsfeier kommen konnten."
"Oha, sowas kann einem noch jahrelang nachgetragen werden. Wichtige Verwandte von euch?" fragte Don Domingo. Julius erwähnte, dass zwei Mädchen aus seiner Zauberschule und noch zwei verschwägerte Cousinen von ihm heute Geburtstag feierten. Darauf meinte Don Domingo: "Ja, Geburtstage sind auch schöner als Trauerfeiern. Mein Schwager feiert jedes Jahr an diesem Tag den Tod dieses Hüftwackelbardens aus Memphis, den die Nomagitos als Rock-'n-Roll-König bezeichnen."
"Stimmt, is ja auch heute", erwiderte Julius. Dann fragte er, ob sie noch irgendwelche Vorbereitungen zu treffen hatten. "An und für sich nur, dass wir, die wir diese Höhle kennen, einen Portschlüssel bauen müssen, der uns alle da hinbringt und zwar so, dass alle, die daran hängen wollen, durch Auflegen ihres Heilssternes legitimieren, dass sie dort auch sein dürfen", sagte Adrian Moonriver. Domingo Casagrande de las Lunas nickte. "Der Wiederverjüngte hier und ich sind die einzigen, die das vollständige Erbschaftsritual durchgeführt haben. Könnte deshalb auch sein, dass Ashtaria so viel Wert darauf gelegt hat, dass du einen Sohn zeugst, Julius." Julius nickte. Wenn er das richtig betrachtete kannten nur die Erben das Ritual, die von ihren Vätern oder Müttern genug darüber erzählt bekommen hatten oder es schon selbst durchlaufen hatten. Camille wusste nicht, wo die Höhle war. Julius hatte sie nur einmal in einem sehr intensiven Traum von Ashtaria mitbekommen und Maribel war bis zu der Sache mit Itoluhila und der Schlacht in der Burg eines dunklen Magiers nicht mal klar gewesen, dass sie Ashtarias Erbin war. Immerhin hatte sie von ihrer Großmutter väterlicherseits das Silberkreuz bekommen, dass viel früher auch mal ein fünfzackiger Stern gewesen war.
Der Portschlüssel, den sie erschufen, war eine silberne Suppenschüssel, die Camille den Latierres aus dem Vermächtnis ihrer Mutter übergeben hatte, als klar war, dass Julius zur Gemeinschaft der lebenden Erben gehörte. Als Don Domingo, Jophiel und Adrian sich per Erinnerungsaufhellungszauber ohne Gedächtnistrank die Höhle klar und deutlich mit allen räumlichen Bezugswerten vorgestellt hatten schrieben sie mit silberner Tinte die nötigen Zauberrunen in die Schüssel. Dann legten alle versammelten Erben Ashtarias ihre Talismane von außen an die Suppenschüssel. Jophiel und Don Domingo sprachen worte, die Julius als "Ich bezeuge die Wahrhaftigkeit der Erben" verstand. Dann leuchteten alle sieben Talismane kurz silbern auf und brachten die Schüssel zum leuchten. Danach wirkte Adrian als geistig ältester der Erben den Portschlüsselzauber. "In zehn Sekunden geht's los, Brüder und Schwestern im großen Geiste einer altehrwürdigen Dame", sagte er und zählte mit Blick auf seine silberne Armbanduhr die letzten Sekunden herunter wie bei einem Raketenstart. Als er "Null" sagen wollte riss es sie alle sieben auf einmal in einen bunten Wirbel hinüber.
Millie beschäftigte derweil die beiden Ehefrauen von Don Domingo und Jophiel Bensalom. Deborah, die Frau von Jophiel, war eine ebenso begeisterte Gartenhexe wie Besenfliegerin und erfreute sich an den magischen und nichtmagischen Anpflanzungen. Señora Casagrande interessierte sich eher für Zaubertiere und magische Malerei. So erfreute sie sich an den Knieseln und führte eine kurze Unterhaltung mit der gemalten Viviane Eauvive und Aurora Dawn. Als Madame Bensalom bei der Gelegenheit erfuhr, dass Auroras Vollporträt von Regan Dawn gemalt worden war verzog sie kurz das Gesicht. "Ja, das war eine begabte Malerin, aber noch bessere Quidditchspielerin. Schade, dass sie so früh verstorben ist."
"Sie ist genauso gestorben wie sie es immer wollte, nicht siechend im Bett, sondern glücklich bei etwas, was sie immer sehr gerne getan hat", erwiderte die gemalte Aurora Dawn. Millie indes schweifte mit ihren Gedanken zu Julius. Hoffentlich ging alles glatt, und sie hatten danach erst einmal Ruhe.
Die Landung mit dem Portschlüssel verlief ein wenig Holperig. Alle sieben Reisenden purzelten übereinander. Die silberne Schüssel schepperte auf den Boden und schlidderte etliche Meter davon. Die sieben Talismane, die alle offen trugen spendeten ein schwaches, warmes Goldlicht, so dass sich alle gegenseitig ansehen konnten.
Julius erkannte die Höhle aus dem einen Traum, den er damals geträumt hatte, als Millie gerade ihre auf die Vorweihnachtszeit angesetzten UTZ-Prüfungen gemacht hatte. Er erkannte alle Unebenheiten der Wände wieder und sah auch das aus einem Marmorblock gehauene Bett, nur dass es gerade keine Matratze hatte. Ja, darauf hatte sie damals gelegen, Ashtaria. Jetzt, wo er sich daran erinnerte, meinte er auch, sie zu spüren, ihre Anwesenheit, ihre über all die Jahrtausende bewahrte Aura. Doch das lag wohl an den sieben in dieser unterirdischen Räumlichkeit zusammengebrachten Talismane, die weiterhin ihr goldenes Licht ausstrahlten.
Don Domingo erwähnte nun, dass sein Vater ihn zweimal mit hierhergenommen hatte, um ihm, dem künftigen Erben, zu zeigen, wo die gemeinsame Blutlinie ihr Heiligtum hatte. "Eigentlich reicht es völlig aus, wenn ein Träger des Sterns seinem Erben den Stern in die Hand drückt und sie zusammen die machtvolle Formel rufen", sagte Adrian Moonriver. "Ich habe es bei meinem Großvater so mitbekommen, als mein Vater den Stern bekam, den dann nach fünfzig Jahren ich übernehmen durfte. Aber wenn Ashtaria dir, Julius, befohlen hat, dich mit uns hier zu treffen, damit wir dich als einen rechtmäßigen Erben anerkennen, dann soll das wohl so sein. Ach ja, Maribel, du hast ja bis zu der Sache mit den Dementoren nicht gewusst, dass du auch zur magischen Welt gehörst und dein Kreuz eigentlich auch so ein vollendet geschmiedetes Pentagramm ist wie das von mir und den anderen hier."
"Ja, das stimmt. Ich ging bis dahin nur davon aus, ein von einem katholischen Priester geweihtes Kreuz zu tragen. Ich wundere mich nur, dass es mich nicht schon viel früher auf dunkle Mächte hingewiesen hat."
"Das liegt daran, dass du bis dahin noch nicht in einer von böswilligen Zauberern und Zauberwesen ausgelösten Gefahrenlage warst", sagte Jophiel. Erst wer um die Macht des Zeichens weiß und/oder sie anruft erweckt es vollends und kann von ihm nicht nur beschützt, sondern auch vorgewarnt werden. So steht es geschrieben im goldenen Buch des Lichtes."
"Ja, und jetzt, wo du weißt, was du geerbt hast, Maribel, dürfen wir zusammen mit Julius auch dich in die Gemeinschaft der Sieben aufnehmen", fügte Adrian Moonriver hinzu. Dann entzündeten Adrian, Jophiel, Domingo und Heribert vier rote Kerzen, während Camille und Maribel zwei weiße Kerzen entzünden durften. Eine rote Kerze war noch übrig, als sie sie auf dem siebenarmigen Leuchter platzierten, der Ähnlichkeiten mit einer jüdischen Menorah besaß, aber wohl viel viel älter war als das alte Testament der Bibel. Womöglich hatte nicht einmal der Stammvater Abraham gewusst, dass es diesen Leuchter gab. "Julius, du darfst deine Kerze entzünden, wenn du auf deine Rechtmäßigkeit geprüft wurdest", sagte Don Domingo. Adrian nickte zustimmend.
So stellten sie sich alle so, dass jeder eine der Kerzen vor sich hatte. Sie ergriffen einander bei den Händen und schlossen das Siebeneck um den Leuchter, der genau auf der ehemaligen Bettstatt platziert war, als sei diese ein Altar. In gewisser Weise war es das ja auch, dachte Julius. Nur dass hier eine eindeutig existente Wesenheit verehrt wurde, die einst als lebende Erzmagierin der hellen Künste gewirkt und sieben Kinder geboren hatte.
"So rufen wir dich an, Ashtaria, unser aller erste Mutter, machtvoll und erfüllt von Liebe und Fürsorge für die deinen und alle Menschen dieser weiten Welt", sprach Domingo die Einleitung zur alles entscheidenden Zeremonie. Julius fühlte, wie der von ihm getragene Heilsstern sich bereits erwärmte und noch eine Spur heller strahlte. Dann nickte der peruanische Sternträger. Alle atmeten ein und sprachen im Chor die Formel, die selbst Maribel mittlerweile in der alten Sprache einsingen konnte:
"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"
Wie herrlich war das. Ihr war eingefallen, dass der Krug der entkörperten Mondtochter ja noch an seinem Platz sein musste. Ein einziger Wunsch hatte gereicht, sie, die Königin des roten Volkes, dorthin zu tragen. Eingehüllt in violettes Licht war sie genau in der Höhle erschienen, die sonst nur Erithalillia auf diese Weise hatte betreten können. Sie fühlte nicht einmal eine Abwehrreaktion, als sie den offenen Krug ansteuerte, der zwischen dunkelrot und golden flackerte. Er erkannte, dass seine Herrin in dieser gewaltigen Ameisenkönigin steckte, doch eben nicht alleine und nicht mehr so stark wie sonst war. Zwar konnte die Königin des roten Volkes keine Rottöne erkennen, vermochte aber zu erfassen, dass der Krug zwischen Hingabe und Ablehnung schwang. Als sie sich dann mit der Entschlossenheit eines Wesens, dass sich als Herrscher der Lage empfindet, über den Krug beugte sah sie die vielen darin gefangenen Leben aufblitzen und herumwirbeln. Konnte sie es wagen, ihren Kopf hineinzutauchen und die darin aufgewühlte Lebenskraft zu trinken? Sie wagte es.
Sie stand in hellem Licht, als sie die ersten ausgelagerten Leben in sich einatmete und wie warmes Wasser trank. Sie hörte die Schmerzenslaute gepeinigter Männer, die im unvollendeten Augenblick ihres Todes gefangen waren. Sie sah Bilder vergangener Leben vor ihrem inneren Auge. Da verspürte sie wieder diese merkwürdige Anwandlung von Schuld und Reue. Diese Leben waren ihretwegen geraubt und hier eingelagert worden. Ihretwegen litten die entkörperten Seelen darunter, nicht aus dieser Welt entweichen zu können. Jetzt, wo sie sie in sich aufsog, erloschen sie vollständig. Sie erkannte wieder, dass sie die Meisterin des Lebens war, Lahilliota. Sie wollte beweisen, dass weibliche Wesen auch ohne männliche Besamung Kinder bekommen konnten. Dass sie diesen Kindern eingepflanzt hatte, sich von der Lebenskraft geschlechtsfähiger Menschen zu ernähren sollte nur deren Schutz vor Mord und Unterwerfung dienen. Dass sie damit Geißeln der Menschheit erschaffen hatte war ihr damals bewusst, aber auch gleichgültig gewesen. Deshalb hatte sie Ashtaria, ihre sieben Jahre ältere Schwester, verachtet, weil die dem unversehrten Menschenleben alles andere unterstellte, auch die Möglichkeit, die Welt zu beherrschen. Deshalb hatten sich ihre Wege getrennt.
Jetzt erspürte sie, welchen hohen Tribut die Kurzlebigen an ihre Töchter zu zahlen hatten, nur damit diese ewig leben konnten. Solange sie die hier eingelagerten Leeben trank empfand sie diese nagende Schuld. Doch irgendwann fühlte sie, dass jedes weitere verschlungene Leben ihren Geist überladen und ihren Körper zerstören konnte. So ließ sie den verwaisten Lebenskrug zurück und wünschte sich in ihre eigene Bruthöhle zurück.
Kaum war sie dort quollen mehr als dreißig befruchtete Eier aus ihrem Hinterleib. Ihr mächtiger Ameisenkörper hatte die ihm zugeführte Lebenskraft nicht länger halten können und diese nun in einem neuen Gelege ausgeschieden. Sie fühlte, dass dies auch die letzten befruchteten Eier waren, die sie legen konnte. Zwei unbefruchtete Eier rutschten noch nach und zerplatzten laut klatschend auf dem Boden der Brutgrube. Die Eiablage hatte sie sehr angestrengt. Dennoch fühlte sie immer noch mehr Kraft und Ausdauer in allen Enden ihres Körpers beben. Ja, sie war mächtig, sie war stark. Diese Anwandlung eben, das war doch nur, weil sie eine getötet hatte, die sie bis dahin für eine unverbrüchlich treue Tochter gehalten hatte.
Sie wollte gerade nach den Brutpflegern rufen, damit sie das im großen Schub ausgestoßene Gelege sicher unterbrachten, als sie einen fernen Chor das Lieblingslied Ashtarias sprechen hörte. Ihr wurde sofort klar, dass die Nachfahren und Erben von Lahilliotas Schwester versuchten, gemeinsam gegen sie vorzugehen. Doch sie konnte sie nicht orten, nicht davon abbringen, gegen sie zu kämpfen. Sie würde sich zu gerne zu ihnen hinwünschen. Als der Chor der fernen Stimmen die letzten Worte ausgestoßen hatte, wusste sie, dass gleich etwas erschütterndes geschehen würde.
Da sah sie in Richtung Südosten ein fernes, hellgoldenes Licht aufleuchten, das immer größer wurde oder immer näher heranraste. Sie schrie vor Angst auf, als das Licht wie ein Blitz in der Nacht auf sie einschlug und sie vollständig einhüllte. Sie schrie laut auf, als habe sie mehr als eine Stimme. Sie fühlte, wie ihre Glieder von diesem Licht zerkocht wurden und fühlte, wie sie in einem Strudel aus heißer Glut herumgewirbelt wurde. Etwas drang in jede ihrer Körperöffnungen ein und füllte sie aus. Sie ging davon aus, gleich endgültig zu vergehen. Ashtarias Brut hatte es geschafft, die Erzfeindin zu vernichten. Wieder überkam sie ein Gefühl von Schuld und Reue. Was hatte sie der Welt aufgebürdet? Was hatte sie ihr angetan? Was würde sie der Welt hinterlassen?
ICH MERKE ES, ER IST IN DER VON ASHTARIAS KRAFT ERFÜLLTEN HÖHLE. JETZT RUFT ER MIT ALLEN SECHS ANDEREN DIE VON MEINEM FRÜHEREN SEIN ÜBERLIEFERTE SEGENSFORMEL AUS. JETZT DARF ER ENDLICH DAZUGEHÖREN.
HUUUMMMMUUUHHHHH!!! ICH WUSSTE GAR NICHT, WIE STARK EINE MÄCHTIGE FREISETZUNG GESAMMELTER LIEBE UND LEBENSFREUDE SEIN KANN. OOIIII! ES DURCHBRAUST MICH SO HEFTIG, DASS ICH MEINE, MEINE MILCH MÜSSE GLEICH SIEDEN. ICH MUSS MICH AUS JULIUS' GEIST ZURÜCKZIEHEN, UM KEINE KOPFSCHMERZEN ZU FÜHLEN. O, DIE ANRUFUNG HAT EINE WOGE GROßER KRAFT AUSGELÖST, WESENTLICH ANGENEHMER ALS DIE VERNICHTUNGSWOGE, ALS DIE SONNENKINDER LAMIA UND IHRE SCHÄNDLICHEN NACHTKINDER VON DER ERDE GETILGT HABEN, ANGENEHMER ALS DIE AUS BOSHEIT, HASS UND ZERSTÖRUNGSWUT GEMACHTE WOGE, DIE NACH DER VERNICHTUNG VON IAXATHANS SCHÄNDLICHEM SPIEGEL UM DIE WELT GEDONNERT IST. DOCH OBWOHL ICH SIE SPÜREN KANN MEINE ICH, DASS SIE SCHWÄCHER ALS DIE BEIDEN ANDEREN WELTUMLAUFENDEN WELLEN IST. ICH MERKE JEDOCH, DASS SIE IRGENDWO WIDERHALLT. NEIN, ES IST KEIN WIDERHALL. ES IST EINE DURCHDRINGUNG UND VERSTÄRKUNG, JEDOCH NICHT AUF DER SELBEN SCHWINGUNGSEBENE WIE DIE ANRUFUNG ASHTARIAS. ES IST WAS ÄHNLICHES, DARAUF ANSPRECHENDES, ABER DENNOCH VON IHR ENTFREMDETES. DANN ZIEHT SICH DIE KRAFT WIEDER ZURÜCK. SIE VEREBBT NICHT, SONDERN FLIEßT ZU IHREM AUSGANGSPUNKT ZURÜCK. DAS GEWEBE DER HOHEN KRAFT SCHWINGT SPÜRBAR NACH. WER WIE ICH FÜR DIESE ANRUFUNG EMPFÄNGLICH WAR WEIß NUN, DASS JEMAND MÄCHTIGES ASHTARIAS GUNST ERHALTEN HAT. ICH DENKE AN DIE VATERLOSEN TÖCHTER. WENN SIE DIESE KRAFT AUCH VERSPÜRT HABEN KÖNNTEN SIE ES ALS EINE OFFENE KRIEGSERKLÄRUNG ANSEHEN. ICH HOFFE NUR, DASS JULIUS UND CAMILLE DARAUF VORBEREITET SIND. DOCH NUN IST ER ENDGÜLTIG EINER VON IHNEN. ASHTARIA HAT NUN IHREN WILLEN BEKOMMEN. ICH VERSUCHE NOCH EINMAL, MICH IN JULIUS' WAHRNEHMUNGEN EINZUFÜGEN, DOCH ICH ERFASSE IHN GERADE NICHT. IST ER ETWA AUS DER WELT VERSCHWUNDEN?
Er meinte erst, in eine Wasserstoffbombenexplosion geraten zu sein. Ein Lichtblitz heller als tausend Sonnen strahlte vor ihm und um ihn herum auf. Dann fühlte er sich völlig schwerelos in einem weißglühenden Tunnel dahintreiben. Er fühlte seinen Körper nicht mehr. Hatte er zu viel gewagt? war er tot? "Nein, Julius, du bist alles andere als tot", hörte er direkt in seinem Kopf die Stimme derer, die er und die anderen sechs gerade mit der mächtigen Formel angerufen hatten.
Zunächst meinte er, durch den weißen Tunnel auf eine andere Höhle zuzurasen. Er sah eine große Ansammlung überlebensgroßer Rotameisen, die wie vom Blitz getroffen erzitterten und sich nicht rühren konnten. Er sah deren Königin, die über einer Grube hockte und von violettem Licht umflossen wurde, das schlagartig immer heller wurde, bis er in den Leib der gigantischen Kreatur hineinsehen konnte. Dort sah er eine nackte Frau, die er kannte. Es war seine Tante Alison. Sie schien in der vom Licht aufgelösten Masse des ehemaligen Ameisenleibes gefangen zu sein. Sofort war ihm klar, dass das auch genau so war. Er hörte sie aufschreien, erst vor Angst, dann vor Schmerz und dann vor schon an wilde Wonne grenzenden Verzückung. Dann sah er, wie seine Tante sich in eine junge Frau mit mittelbrauner Haut, schwarzem Haar und dunkelbraunen Augen verwandelte. Die vom Licht getränkte Masse verging. Die im Raum erbebenden Ameisenkreaturen erstarrten wie versteinert. Die junge Frau, vom Aussehen her gerade erst neunzehn Jahre alt, schwebte im goldenen Licht. Dann stürzte Julius in den weißen Tunnel zurück. Die Erscheinung der orientalischen Schönheit, die wohl im Körper seiner Tante eingebettet war, die wiederum in jener Riesenameisenkönigin steckte, wurde kleiner und Kleiner. Dann begann eine Reise durch die Jahrtausende, von der Julius nicht wusste, ob sie nur Sekunden oder Jahrzehnte dauerte.
Zunächst sah er sich mit Camille und den anderen an der silbernen Suppenschüssel. Dann sah er sich mit Goldschweif auf dem Arm, die ihm zuschnurrte, dass der von ihm getragene Stern eine gute, männliche Kraft ausstrahlte, die der Bruder der Kraft von Camilles Silberstern war. Er sah sich noch einmal in der gigantischen Zylinderhalle tief unter der algerischen Wüste, wo Eleonores Hauselfe den Behälter mit der Saat des Sandes ausleerte. Dabei fühlte er ein gewisses Zwicken seines Gewissens. Er hatte es willentlich zugelassen, dass ein Hort böser Kraft mit einem anderen bösen Zauber versperrt wurde. Doch dann ging es weiter durch seine Erlebnisse, über die Errichtung des Lichternetzes über Millemerveilles, den Kampf gegen die vier rachsüchtigen Geisterschwestern, an allen Punkten vorbei, wo er die mächtige Formel hatte aussrufen hören oder sie selbst ausgerufen hatte, also auch die Party der Sterlings, wobei sein Aufenthalt in Whitesand Valley verschwiegen wurde. Die Rückschau auf sein eigenes Leben endete bei seiner zweiten Geburt als Ashtarias Sohn. Seltsamerweise ließ Ashtaria dabei Madrashainorians Existenz völlig aus. Dann sah er die Bilder, die er bereits im Haus der Al-Burch Kitabs in der Vision des Heilsterns gesehen hatte. Er sah Hassan im Kugelhagel von hinterhältigen Mördern sterben. Dann sah er durch dessen Augen, was er alles für Ashtaria erledigt hatte. Er bekam mit, wie sich Hassan die Todfeindschaft Ilithulas zugezogen hatte, nämlich dadurch, dass er ihr jeden auf der Welt herumlaufenden Abhängigen entzogen und durch den Infanticorpore-Zauber mit anschließendem Gedächtnislöschzauber zu einem neuen Leben verholfen hatte. Nur die Dienerin der Unheilstochter konnte er nicht finden, obgleich er die gesamte Bruderschaft des blauen Morgensterns hinter sich hatte. Womöglich band der Eid der Bruderschaft ihn damals schon an die Grenzen des arabisch-persisch-indischen Kulturraums, sodass er nicht mitbekommen konnte, dass die Zaubertrankbraumeisterin Semiramis Bitterling jene Dienerin gewesen war, dachte Julius. Außerdem bekam er mit, wie Ilithula Hassans Töchter heimgesucht und sie mit ihrer verdorbenen Lebenskraft verseucht hatte, dass sie keine eigenen Kinder mehr gebären konnten. Selbst der Heilsstern hatte diese üble Gabe nicht restlos ausräumen können, da bereits sämtliche befruchtungsfähigen Eier abgestorben waren. So mächtig konnten also diese Abgrundstöchter sein, erkannte Julius.
So beobachtete er Hassans Taten für Ashtaria weiter, bis zu dem Zeitpunkt, wo er das Erbstück von seinem Vater bekommen hatte. Danach wechselte er die Wahrnehmung. Nun war er Hassans Vater, sah Hassan selbst immer jünger werden, während sein Vater Ibrahim im Auftrag des blauen Morgensterns gegen orientalische Dschinnen kämpfte, einen Übergriff von ägyptischen Schlangenkultangehörigen auf ganz Nordafrika vereitelte und auch das Versteck des mythischen Drachenhybriden Mushushu besuchte, wo der Drache Marduks, des babylonischen Stadtgottes, in einem goldenen Kokon schlief, dessen Kraft von mehreren das Sonnen- und Mondlicht sammelnden Kristallen stammte. Also hatte es jenes Fabelwesen wirklich gegeben. Ibrahim hatte überlegt, ob er es erwecken und es als seinen höchsten Vertrauten an sich binden sollte. Doch dann hatte er diesen Einfall verworfen. Das aus mehreren Tieren zusammengekreuzte Ungetüm war zu stark und schwer zu beherrschen. Daher ließ er den Drachen in seinem goldenen Kokon tief unter der Erde weiterschlafen.
Er erlebte mit, wie Ibrahim mit nur zwanzig Jahren von seinem Vater Davud den Heilsstern erbte. Sogleich erlebte Julius alles aus Davuds direkter Wahrnehmung heraus. Eigentlich war Davud noch sehr jung. Doch ein heimtückischer Giftanschlag, ausgeführt von Abaddon, dem Henker des blauen Königs, hatte seinem Leben ein vorzeitiges Ende bereitet. Der Heilsstern hatte nur die dunkle Magie des verabreichten Giftes niederhalten können. Doch die das Körpergewebe langsam zerfressende Komponente, wohl ein Virus, hatte der Stern nicht aufheben können. Abaddon musste das gewusst und in seinen Mordplan einbezogen haben. Vor dem Anschlag hatte Davud den turmhohen, hellblau flimmernden König der Geister, den blauen Dschinn, in einem zähen Kampf niedergerungen und in sein Haus zurückgedrängt, das wahrhaftig das ausgehöhlte Ei eines Felsenvogels war. Der Superdschinn hatte ihm vor seiner Einkerkerung blutige Rache geschworen. "Ich werde noch das Blut deiner Kinder trinken und die Knochen deiner Kindeskinder zerbeißen, wenn meine Zeit gekommen ist", hörte Julius den wie ein Flaschengeist aus den Märchen aus tausendundeiner Nacht in sein weißblaues Haus zurückstrudelnden. Davud hatte das eiförmige Gehäuse dann mit Ashtarias Heilsstern versiegelt und es mit einem mächtigen Teleportationszauber "in die von keiner Sonne erreichbaren Fluten des alle Welt umspannenden Meeres" geschickt. Er verstand nun, warum Ashtaria ihm die Suche nach diesem Haus des blauen Königs als entscheidende Aufgabe angeboten hatte.
So ging es weiter, von Davud zu Kasim, zu Sadek, Musa, Yussuf und noch viel weiter zurück. Er bekam die Gründung des Ordens vom blauen Morgenstern mit und wie die Wissensschätze aus der arabischen und indischen Welt in der Festung des alten Wissens vor dem Zugriff unbefugter Leute versteckt worden waren. Dort hörte er einmal mehr jene Prophezeiung, deretwegen er in letzter Konsequenz nun durch die vergangenen Leben ehemaliger Silbersternträger trieb. Er erlebte mit, wie einer der weit zurück lebenden Vorfahren aus der Sharvaslinie bei einer Schiffsreise mit Errithallaia zusammengetroffen war und erfuhr auch, was es mit Seths Herzen und dem Buch des grauen Eisentrolls genau auf sich hatte. Jetzt wusste er, dass Ashtaria all dieses Wissen über all die Zeit in sich und/oder dem Heilsstern aufbewahrt hatte, um den Träger auf neuerliche Fälle zu stoßen, die damit zu tun hatten. Er erfuhr, dass es insgesamt zwanzig Gräber einstiger Überriesen gab, die "in der ungeschriebenen Vorzeit" die Welt mit Krieg und Zerstörung überzogen hatten. Zehn begrabene Turmkrieger, von den Griechen Titanen genannt, ruhten auf dem Meeresgrund, wo das alte Reich gelegen haben sollte. Zehn Gräber gab es noch auf den Kontinenten und Inseln. Er erlebte mit, wie ein viele Manneslängen langes Schwert gefunden worden war, dass am Gürtel einer gigantischen Knochenfrau hing. Es wurde vermutet, dass die Tote die Titanin Bia gewesen war, welche von den späteren Griechen als Verkörperung der rohen Gewalt gefürchtet wurde, aber von skytischen Kriegerinnen als ihre mächtige Beschützerin und Gründermutter verehrt wurde. . Auch erfuhr Julius, dass es im südlichen Teil Ägyptens eine umgekehrt erbaute Pyramide gab, in der der Geist eines dem Gott Seth verbundenen Pharaos, dessen Namen keiner mehr kennen und nennen wollte, eingeschlossen war. Dabei sah er auch Camilles weit zurück lebende Vorfahrin. Er erlebte mit, wie ein kleiner Junge namens Buramesch den Stern von seinem Großvater erhalten hatte. Daraufhin wechselte er erneut die Wahrnehmung und erfuhr, warum Burameschs Großvater seinem Enkel den Stern schon so früh hatte übergeben müssen. Er konnte die alte ägyptische Hafenstadt Alexandria miterleben, die damals unter griechischer Herrschaft errichtet worden war. Einmal meinte er sogar, den weltberühmten Eroberer Alexander den Großen leibhaftig zu sehen. Gut, so groß war er körperlich nicht gewesen. Aber den von damaligen Geschichtsschreibern erwähnten Taten nach mochte er als groß gegolten haben.
Die Reise durch die Leben der vorangegangenen Träger ging weiter und weiter, bis er in Sharvas' Wahrnehmung erwachte, als dieser den Heilsstern mit hilfe seiner sechs Geschwister erstmalig aktivierte und dabei - er musste es wohl glauben - die Nabelschnur als materiellen Anker zwischen sich und seiner Mutter und damit zwischen seiner Mutter und seinen Geschwistern eingesetzt hatte. Hieß das, dass die spiralförmige Schnur im Heilsstern steckte?
Am Ende fiel er laut schreiend aus einem weißgoldenen, sich wild drehenden Tunnel heraus und fand sich mit den sechs anderen in jener rein astralkörperlichen Form wieder, in der ihm und den anderen Ashtaria vom Tod Hassans erzählt hatte. Ja, sie alle schwebten wieder in jener großen, goldenen Lichtkugel, Ashtarias astralem Uterus. Dann hörte er ihre von allen Seiten zugleich klingende Stimme laut und rein wie eine große Kirchenglocke: "So habt ihr alle euren Weg zu mir gesucht und euch gefunden. Ich begrüße dich nun, Julius, mein sechster Sohn, den ich weit nach meinem fleischlichen Ende wieder in die Welt zurückgebar, zusammen mit Ammayamiria. Nun bist du wortwörtlich in den Schoß meiner lange wirkenden Sippschaft zurückgekehrt. Ihr alle seid mir willkommen als Träger der Erbzeichen, die euch große Macht, aber nicht minder große Verantwortung auferlegen. Die Welt war immer ein Ort von Licht und Schatten. Beides muss einander dulden, weil keines alleine bestehen kann. Das reine Licht verwischt die Wirklichkeit zur unkenntnlichen, unbeweglichen Daseinsform. Der reine Schatten frisst alle Formen und Gedanken, bis er nur noch sich selbst zur Nahrung findet und an sich selbst vergeht. Euer Los und Auftrag ist es, die Welt im gesunden Gleichgewicht zu halten, damit all die Menschen, denen nicht vergönnt war, so viel Weisheit und Macht zu erwerben, ohne daran zu verderben, weiterbestehen können im Ringen um ihren Platz auf der Welt, ohne sie restlos zu vernichten. Und wie ihr alle an der Geschichte eurer Ahnen gesehen habt ist es immer ein Weg voller Gefahren und Versuchungen. Maria Isabel, die du als Maria Purificación geboren wurdest, ängstige dich nicht vor deinem Erbe, dass in deiner Tochter erwacht und ihr helfen mag, dein Werk auf der Erde fortzusetzen, wenn irgendwann die Zeit kommt, wo du dein Erbstück an sie übergeben magst. Sie ist und bleibt deine Tochter, heute und alle Zeit lang. Sie führt nur fort, was in deiner langen Ahnenlinie begründet ist. Adrian, auch wenn du niemandem erzählen magst, welches große Geschenk dir die alten Lehrer unter dem Meer gemacht haben, so hoffe ich, dass dein früherer Groll gegen jeden, der deiner Meinung nach mehr wusste als du ihm oder ihr zubilligen wolltest, vergangen ist und du dein wiedergeschenktes Leben nutzen wirst, um der Gemeinschaft der nun wieder sieben Erben zu helfen, nicht nur in einem kleinen Teil der Welt, sondern auf dem gesamten Erdenball die dunklen Kräfte zurückzuweisen, wo immer sie um sich greifen wollen. Was die einst neun vaterlosen Töchter meiner Schwester angeht, so kann ich euch verkünden, dass eine von ihnen von der eigenen Mutter in unbeherrschter Gier zurückgenommen und einverleibt wurde und eine andere der unerwünschten Brut meiner Schwester zum Opfer fiel und nun gemäß der von Lahilliota selbst geschmiedeten Abläufe im Leib einer anderen ihrer Schwestern neu heranwachsen muss. Ich danke euch allen, dass ihr mir habt helfen können, meiner fast in einen selbst gegrabenen Abgrund stürzenden Schwester einen gewissen Halt zurückgegeben zu haben. Julius, sei beruhigt, dass die vaterlosen Töchter meiner Schwester dich oder die deinen nicht von sich aus behelligen werden. Doch vermeide die Fehler Hassans, zu viel auf einmal zu wagen! So gebe ich euch nun als wiedererstandene und bestärkte Siebenheit meiner Erbschaft zurück in eure Welt und vertraue euch die Leben aller Menschen an, die eures Schutzes bedürfen." Mit diesen letzten Worten fielen sie alle aus der goldenen Lichtsphäre heraus und landeten wieder als bekleidete Menschen aus Fleisch und Blut auf dem Boden der von sechs Kerzen und sieben Heilssternen erleuchteten Höhle.
"Juju, du darfst jetzt auch deine Kerze anzünden", hörte er eine altvertraute und Saiten von Freude und Schmerz anzupfende Stimme in seinem Kopf. Er verdrängte es, zu nicken. Er trat vor und entzündete die siebte Kerze an jener, die Camille entzündet hatte. Der Kreis war nun geschlossen. Die neue Siebenheit der Erben Ashtarias war vollendet.
Es tat verdammt weh und war zugleich das erregendste Gefühl, was sie jemals erlebt hatte. Es war, als brenne ihr etwas das Fleisch von den Knochen, als walke jemand in ihren Eingeweiden. Dann meinte sie, in warmem, golden leuchtendem Wasser zu schwimmen. Sie erkannte, dass sie wieder eine Menschenfrau war. Die tierhaften Triebe waren verdrängt. Sie erkannte, dass sie wohl mit den Tränen der Ewigkeit einen großen Fehler gemacht hatte. Dann hörte sie die Stimme, die sie eigentlich verachtete. Doch hier und jetzt war sie ihr willkommen.
"Meine Schwester, auch wenn du viele unverzeihliche Dinge getan hast und es dir mit einem Großteil der Welt verdorben hast, auch wenn du meine Warnungen wegen der verderbten Tränen der Ewigkeit verachtet hast, so kann und will ich nicht zulassen, dass du an dir selbst zu Grunde gehst und nur noch ein niederes Tier im Leib einer gottgleichen, aber unbändigen Daseinsform wirst. Dank meiner nun wieder sieben vereinten Kinder war ich im Stande, dir aus deinem tierhaften Leib herauszuhelfen, etwas, was deine Töchter dir gewähren wollten, du sie aber nicht ließest. Nun hast du eine von ihnen in dir vergehen lassen und musst somit ihr Erbe genauso tragen wie sie einst deines von dir auferlegt bekam. Ihr darfst du danken, dass du nicht alle Tage als riesenhafte Ameisenkönigin leben musst. Doch konnte ich die Macht der Tränen nur abschwächen, dass du alle zwei Mondwechsel in die Tiergestalt zurückschlüpfen musst und dann damit leben musst, die davon erbrüteten Nachkommen zu leiten. Zwei Monde wird dich dieses Dasein binden, bevor du wieder Lahilliota werden kannst, auch wenn du einen geraubten Körper bewohnst. Sei dankbar, dass es Wesen gibt, die mehr für das friedliche Leben und die Bewahrung ihrer Mitgeschöpfe aufbringen als du es tatest. Du musst dich nicht bei jedem einzelnen bedanken. Doch empfehle ich dir an, deine Töchter zu friedlichem Umgang mit aller Welt anzuleiten und meine Kinder nicht weiterhin als ihre Feinde zu sehen, sofern sie ihre angeborene Beschaffenheit maßvoll nutzen. Hallitti, deine feuergebundene Tochter, muss nun den Preis für ihre ungestüme Gier und Herrschsucht bezahlen, indem sie zum dritten mal auf ihre Geburt hinwachsen muss. Sie mag euch ein Beispiel sein, wohin übermäßige Gier und Machtstreben führen können. Lahilliota, auch wenn du viele unverzeihliche Dinge getan hast habe ich nie aufgehört, an das zu glauben, was in jeder von uns erblüht ist, die Fähigkeit, zu lieben und zu umsorgen. Auch wenn ich mal wieder gegen eine Felswand ansprechen mag, so hoffe ich, dass dich wenigstens der Widerhall dieser Worte begleiten mag. Die Brut deiner von den Tränen der Ewigkeit erweckten Zweitgestalt wird solange schlafen, wie sie keine Duftzeichen von ihrer Königin erhalten können. Ebenso ergeht es jenen, denen du dein vergiftetes Blut in die Adern hast treiben lassen. Nutze die Zeit deiner Menschengestalt, um zu bedenken, für was und wozu du diese Nachkommenschaft erbrütet hast und suche einen Weg, die von deinem vergifteten Blut veränderten zu befreien, falls du nicht erneut dem tierhaften Drang nach ungezählter Nachkommenschaft verfallen möchtest! Ich weiß, du hörst nicht mehr gerne auf meine Worte. Aber ich bitte dich um deinet Willen, bedenke wenigstens, was für eine Gelegenheit du hast, die Auswirkungen deiner Taten zu verringern, wenn du die Taten selbst auch nicht mehr zurücknehmen kannst. Ich, deine Schwester Ashtaria, grüße dich, meine Schwester Lahilliota."
Dann verschwanden die Stimme und das goldene Licht. Lahilliota fand sich völlig unbekleidet in der Brutgrube der roten Königin wieder. Sie erkannte, was in den letzten Stunden geschehen war und auch, dass sie ihre eigene Tochter Erithalillia getötet und ihre Lebenskraft verschlungen hatte. Im Augenblick war sie wieder die kurz nach dem Erwachsenwerden beschaffene Lahilliota. Auch erinnerte sie sich an Alison Andrews' Leben. Nun wurde ihr völlig klar, warum sie nach dem Genuss der Tränen der Ewigkeit unbedingt eine rote Waldameisenkönign hatte werden müssen. Sie schlug sich verärgert vor den Kopf. Ja, die Warnungen hatte sie wohl gehört und gelesen. Wer das innere Tier aus sich freisetzte konnte in diesem selbst lebenslang eingesperrt bleiben. Dabei hatte sie so viel zu tun, ja und was ihre Töchter taten konnte sie auch nicht so wie bisher weitergehen lassen. Aber sollte sie Ashtaria jetzt dafür danken, dass sie diese beschwerliche Erkenntnis hatte? Früher hatte sie ihre Schwester immer verachtet, weil sie dem natürlichen Leben mehr Rechte gab als den Möglichkeiten, mit Magie eine eigene Weltordnung zu gestalten. Doch wo hatte es sie hingeführt? Erst war sie jahrtausendelang die Gefangene im Leib Errithalaias gewesen. Dann hatte sie der Unsterblichkeit wegen die Tränen der Ewigkeit getrunken, zuerst gedacht, die innere Tiergestalt einer Eule zu besitzen und war als rote Ameisenkönigin wiedererwacht, nur weil Alison Andrews von diesen Tieren so begeistert gewesen war.
Zwei Mondwechsel von heute an durfte sie also als Menschenfrau leben. Dann musste sie wieder die rote Regentin sein, aufpassen, sich nicht wieder in deren tierhafter Natur zu verlieren, bevor die zwei Monate wieder um waren und sie wieder eine junge, unsterbliche Menschenfrau sein durfte. Sie kannte die Wergestaltigen. Die einen waren vom Stand des Mondes abhängig. Andere von ihren eigenen Launen. Wieder andere konnten sich willentlich wandeln. Sie gehörte zu einer eigenen Einteilung.
Zunächst einmal holte sie sich aus ihren verschlossenen Schränken ihre Kleidung und ihren Kraftausrichter. Dann beging sie die weit verzweigten Gänge innerhalb des Berges. Das war ihr Reich, zweifellos. Doch überall traf sie auf erstarrte Riesenameisen. Bei einigen meinte sie, dass sie mitten in der Verwandlung zwischen Mensch und Ameise steckengeblieben waren. Diese Wesen waren ihr Werk. Dann fiel ihr ein, dass sie ja auch deshalb viele Nachkommen haben wollte, um gegen die Blutsaugerbrut zu kämpfen. Warum hatte sie das nicht schon längst getan?
Nun fiel ihr ein, dass sie sich noch bei ihren nur noch sechs oder sieben Töchtern entschuldigen musste. Sicher, den Tod der Tochter des Mondes konnte sie nicht rückgängig machen. Aber sie konnte wenigstens erklären, dass sie nicht absichtlich so gehandelt hatte. Auch wollte sie wissen, in wessen Leib Hallittis entkörpertes Ich eingebettet worden war. Die würde auch nicht wirklich dankbar sein, ihretwegen in kurzer Zeit wieder zum ein Jahr lang hilflosen Säugling werden zu müssen. Auch war wichtig, dass sie den verbliebenen Töchtern noch einmal klarmachte, dass es keinen Sinn machte, gegen Ashtarias Nachkommen zu kämpfen, wo sie alle dieselben schlimmen Feinde hatten.
Als sie sicher war, dass sie nicht so schnell wieder zur roten Ameisenkönigin wurde rief sie gedanklich nach ihren Töchtern und lud sie ein, sich vor dem Berg der ersten Empfängnis zu treffen. Sie war bereit, alles anzuhören, von der Ehrenbezeugung bis zum Fluch, weil sie zwei von ihnen umgebracht hatte. Vielleicht sollte sie ihr eigenes Leben anbieten, um die Verbrechen an ihren Töchtern ... Nein, das würde Ashtaria nicht zulassen. Denn nun war ihr klar, dass ihre zur über vieles wachenden Erscheinungsform aufgestiegene Schwester nicht ihren Tod wollte. Denn sonst hätte sie sie vorhin schon aus ihrem Körper herauslösen und selbst verschlingen können. Also konnte sie ihrem Leben kein eigenes Ende setzen oder wem anderes auftragen, sie zu entleiben. Ja, sie musste mit all dem leben, was sie erschaffenund vollbracht hatte. Dank der Tränen der Ewigkeit würde das auch ewig dauern.
Um nicht aufzufallen waren die anderen Kinder Ashtarias wieder mit der Pendelkutsche an die Dorfgrenze gereist. Dort waren sie dann in verschiedene Richtungen appariert. Adrian und Don Domingo hatten ihm angeboten, ihm weiterführende Kenntnisse über den nun von ihm jederzeit voll nutzbaren Heilstern zu geben. Dazu sollte vor allem jener Trick gehören, durch bestehende Appariersperren hindurch zu kommen und wieder zu verschwinden. Außerdem wollte er gerne wissen, was nun mit den Töchtern Lahilliotas war. Stimmte es, dass wieder eine von denen im Körper einer überlebenden Schwester neu ausgetragen wurde? Galt Lahilliotas Wort noch, dass keine von denen ihm oder seinen Freunden und Nachkommen ans Leben wollte? Erst wenn er diese Fragen beantwortet bekommen haben würde konnte er hoffentlich ohne jeden Tag gegen die Mächte der Finsternis ankämpfen zu müssen seinen Weg in der Zaubererwelt fortsetzen, sich über lachende Kinder freuen oder zwishen Tadel und Erheiterung festhängen, wenn wieder eines davon einen Streich gespielt oder die eigenen Verhaltensgrenzen überschritten hatte. Es war schon irgendwie süß, dass Aurore Marisol den Besen ausgeliehen hatte. Auch als er von Aurore erzählt bekam, dass Claudine Marisol gefragt hatte, ob sie nicht auch mal fliegen wollte, war das immer noch ein großzügiger Akt Aurores. Jetzt wusste Maribel wenigstens, dass ihre Tochter wohl doch mal eine Hexe sein würde. Ja, und was der Clou war: Maribels Silberkreuz hatte sich nach der Reise in Ashtarias astralen Leib in den fünfzackigen Stern zurückverwandelt, als der es ursprünglich geschmiedet worden war. Auf eine Stumme Frage Maribels, warum das nun so war hatte Adrian nur vergnügt grinsend behauptet, dass sie nun eben voll und ganz dazugehörte und somit auch einen Silberstern wie alle anderen trug. Das erzählte sie dann auch Millie. Die meinte dazu noch: "Tja, wo er recht hat. Abgesehen davon hast du selbst doch erwähnt, dass du mit dem Vorgehen der römisch-katholischen Kirche nicht mehr wirklich klarkommst. Da musst du auch kein Silberkreuz mehr haben, wenn du auch mit einem Fünfzackstern an das Gute im Menschen und in der Welt glauben möchtest." Tja, das hatte Maribel wohl eingesehen.
Julius nutzte noch eine Stunde ohne den Heilsstern, um in seinem Baumhaus die neuesten Nachrichten zu hören und lauschte auch dem Lied "Ich lebe um zu erzählen" von Madonna. Er erfuhr auch, dass die stets für neue Selbstdarstellungstricks berühmt-berüchtigte Sängerin im Herbst ein neues Album veröffentlichen wollte, auf dem größtenteils tanzclubtaugliche Stücke enthalten sein sollten. Sicher würde er mitbekommen, was davon in den Hitparaden dieser Welt landen würde.
Sie hatten es beide gespürt, die Frau, die sich Teresa Dolores Morrow nannte und seit bald zwei Jahren amtlich mit dem Klinikarzt Lyndon Morrow verheiratet war und jene, die ihren Körper verloren hatte und gerade dabei war, in ihr neu aufzukeimen um als vaterlose Tochter in ihr heranzuwachsen. Die Woge der ihnen entgegenwirkenden Kraft hatte sie fast ohnmächtig werden lassen. Sie hatte für einige Sekunden alle Taten von ihr vorbeirauschen sehen, wie die Tötung aller Unholde, die sich die käuflichen Frauen von Sevilla und Granada aneignen wollten, die Bindung ihrer Abhängigen. Aber da waren auch die letzten Taten jener, die da in sie eingekehrt war und ihre nächste Tochter werden sollte. Am Ende hatte sie ihre Mutter Lahilliota gesehen, wie sie aus der übergroßen roten Ameisenkönigin herausgelöst wurde und ihrer als weißgoldene Leuchterscheinung auftretenden Schwester Ashtaria gegenüberstand. Dann war die übermächtige Woge weitergezogen, ohne einen Gegensog zu verursachen. "Ich dachte, du hättest mich abgetrieben und ich sei deshalb in das grelle Licht der alles fressenden Flammen gestürzt", hörte sie die leicht gedämpft klingende Stimme ihrer künftigen Tochter. Nebenan hatte Malvina auch "Eh, helles Licht, stecke in heißem Wasser!" gerufen. Gut, dass Lyndon gerade seine Schicht hatte.
"Es war, was Ilithula und du vermutet habt, dass unsere Vettern ihn in ihre Reihen hineingerufen und mit ihrer gemeinsamen Urmutter vertraut gemacht haben, falls das nicht schon von der selbst besorgt wurde. Schlaf weiter und gedeihe in Ruhe."
"Ja, in der, die mich nie haben wollte und mich dieser Windsbraut in den Bauch getrieben hat, wo ich nicht aufkeimen durfte", maulte die andere, wobei ihre Stimme schon leiser klang. "Ja, aber jetzt bist du bei mir und bleibst da, bis du aus meinem beweglichem Schoß hinauskrabbeln darfst. Deine große Schwester Mal freut sich schon, eine kleine Schwester zu kriegen."
"Auch das noch. Muss ich eben noch mal aus einer von euch raus. Habe ja Übung."
"Stimmt, ich auch", erwiderte die makellos schöne Frau mit der milchkaffeefarbenen Haut, zu der die wasserblauen Augen irgendwie nicht recht passen wollten. Als habe die andere gerade daran gedacht flüsterte ihre Gedankenstimme noch: "Wenigstens werde ich dann diese Kriegstrommler-Haarkrause los."
"So das Gesetz unserer Mutter. Öhm, bevor du in dem befruchteten Ei verschwindest, das durch deine Einkehr in mir entlangwandert, Hallitti, was immer die gemacht haben hat unsere Mutter offenbar aus der Kerbtierhülle rausgebrannt."
"Ja, habe ich durch den roten Nebel auch gesehen, der endlich wieder dunkel wird", wisperte Hallittis Gedankenstimme. Dann schwieg sie. Womöglich würde sich die nun zu neuem körperlichen Leben erwachende Schwester erst wieder melden, wenn ihre körperlichen Sinne wieder voll entwickelt waren.
Itoluhila beschloss, Lyndon gleich nach Ende seiner Schicht zum Beilager zu rufen, damit er später, wenn ihre neue Schwangerschaft offenkundig wurde, davon ausging, dass er die Kleine gezeugt hatte.
Malvina trippelte aus ihrem Kinderzimmer herüber. "Mutter, was ist dir passiert. Habe zwei Stimmen von dir gehört." Itoluhila hob sie auf ihren Schoß und legte ihre kleine rechte Hand auf ihren Unterbauch. "Ich habe heute erfahren, dass du bald eine kleine Schwester bekommst, Ignacia. Aber psst, muss Daddy noch nicht wissen."
"Oh nein, hast du eine deiner Schwestern in dich aufnehmen müssen, weil wer die umgebracht hat?" wollte Malvina wissen. "Ja, so kann man das auch sagen", erwiderte Itoluhila vergnügt. Die Ursprüngliche Missstimmung, weil sie am Ende doch mit Hallitti schwanger geworden war verschwand hinter der Erkenntnis, dass sie nun Tarlahilias Rangstellung bekommen und Hallitti von weiterem Unsinn abhalten konnte. Sie war auch gespannt, wie die zwei mit ausgereiftem Geist geborenen Töchter dann miteinander umgingen. Nach außen mussten sie die Schwestern geben, die nicht immer friedlich miteinander waren, aber auch von niemandem gegeneinander aufgebracht werden wollten. Aber nach einem Jahr würde Hallitti die Jahre vom Säugling zur Erwachsenen überspringen und dann wieder ihr eigenes Leben führen, während Malvina Morrow dazu verurteilt war, auf natürliche Weise groß zu werden. Denn anders als bei Hallitti war Malvina keine von Lahilliota geborene, sondern der durch die dunkle Woge vom April 2003 im Körper ihrer Meisterin wiederempfangene Geist der einstigen Hexe und leidenschaftlichen Gebärerin Messaline Lesauvage geborene Boisgrand.
"Wie willst du dem das sagen, dass die andere, die jetzt in dir drin ist ein Jahr nach der Geburt schlagartig groß wird und als erwachsene Frau wegziehen will?"
"Das kriege ich hin, wenn es so weit ist", gedankensprach Itoluhila."
Unvermittelt hörten sie Lahilliotas Stimme im Geiste, weil Malvina gerade auf dem Schoß ihrer zweiten Mutter saß und somit genug Körperkontakt mit ihr und Hallitti hatte. Die gemeinsame Mutter der vaterlosen Schwestern bat um Verzeihung, weil zwei von ihnen wegen einer groben Unterschätzung ihres Versuches sterben mussten. Dann bat sie alle, in zwei Tagen zur Ebene der Lebensfreude zu kommen, dem zweiten Ort, mit dem Mutter und Töchter etwas verbanden. Natürlich wollte Tarlahilia wissen, ob sie jetzt darauf aus war, auch alle anderen zu töten und sich einzuverleiben, wie sie es mit der Schwester des dunklen Mondes getan hatte. "Was würde es mir bringen, nun wo wieder alle sieben Sterne strahlen und mächtiger leuchten als zuvor?" war die Antwort. "Doch muss ich euch allen mitteilen, wie es mit meiner körperlich-seelischen Daseinsform weitergeht und warum ich meiner überfürsorglichen Schwwester ungewollt danken muss."
"Wann willst du uns da sehen?" hörte Itoluhila Thurainilla fragen. "Zwischen Morgengrauen und Sonnenaufgang, wenn die Nacht noch nicht ganz vergangen und der Tag noch nicht begonnen", erwiderte Lahilliotas Gedankenstimme. Tarlahilia erwiderte darauf: "Klar, weil ich die Sonne brauche, um mächtiger zu sein als ihr alle."
"So mächtig, dass du deine ältere Zwillingstochter nicht vor den roten Kriegern beschützen konntest", stichelte Thurainilla. "Achte deine Worte, Schattenlenkerin! Ohne uns stehst du gegen dieses Nachtschattenweib ganz alleine", gedankenschnaubte Tarlahilia für alle anderen mitverfolgbar. Da gedankensprach Itoluhila: "Ich werde zusehen, dass niemand mitbekommt, dass ich um die gewünschte Zeit meinen neuen Wohnsitz verlasse. Doch wirst du uns in deiner Kerbtiergestalt begrüßen, werde ich dich für viele Jahre in untaubarem Eis einfrieren", drohte sie. "Oha, du drohst deiner eigenen Mutter?" fragte Lahilliota. "Ich drohe der, in der unsere Mutter so lange eingesperrt war, dass wir schon fürchten mussten, dass sie erloschen war", entgegnete Itoluhila. "Ich bin noch unter euch und werde wohl auch solange unter euch weilen, bis die Sonne erlischt und der Mond entweder vom Himmel fällt oder in den Tiefen des Weltenraumes verschwindet", erwiderte Lahilliota. Darauf konnten die anderen erst einmal nichts erwidern. Sie sagten zu, gemeinsam auf der Ebene der Lebensfreude zu erscheinen. Das nahm Lahilliota als verbindliche Zusage hin. Danach war wieder Ruhe im geistigen Gefüge der vaterlosen Töchter.
Malvina wusste nicht, ob sie echt eine kleine Schwester haben wollte, die ihr nach nur einem Jahr in jeder Hinsicht über den Kopf wachsen würde, wo sie die volle Kindheit und Jugend durchleben musste, bis sie selbst wieder stark und mächtig sein durfte. Doch Itoluhila konnte nichts daran ändern. Nur ihre Mutter, die diesen Zauber gewirkt hatte, bevor jede von ihnen geboren war, könnte da was machen. Doch konnte sie überhaupt noch was machen, wo sie jetzt von dieser Ameisenkönigin besessen war?
Gegen neun Uhr abends bimmelte die melodische Türklingel am Hause der Morrows. Malvina tat so, als schliefe sie schon. Doch sicher hatte sie sich wieder eine Zeitung stiebitzt und las, um ihrem dem Alter zu weit vorauseilenden Geist was zu tun zu geben.
Als Itoluhila fühlte, wer vor der Tür stand erschauderte sie. Dann hörte sie die Gedankenstimme ihrer Mutter: "Ja, meine Wasser und Eis lenkende Tochter, ich bin es. Öffne mir."
Sie sah wieder so aus, wie sie Itoluhilas Lebenskrug entstiegen war, Mittelbraune Haut, dunkelbraune Augen, schulterlanges, nachtschwarzes Haar. Körperlich wirkte sie wie gerade erst neunzehn Jahre alt. Sie trug die für junge Frauen und Mädchen übliche Sommerbekleidung und weiße Laufschuhe.
Um kein Aufsehen zu verursachen ließ Itoluhila die andere schnell ins Haus. Im Moment wirkte die nicht so, als würde die gleich wieder zur Riesenameise werden.
"Ich dachte, wir treffen uns erst übermorgen", sagte Itoluhila leise, als sie im Wohnzimmer waren. "Mir fiel ein, dass du in dieser Gegend wohnst und auch, dass du ein Telefon mit Geheimnummer und Rufnummernverheimlichung hast, um mit deinen spanischen Freunden und Kolleginnen zu reden. Ich möchte jemandem meinen Dank auf dieses Anrufentgegennehmegerät sprechen."
"Du meinst Julius? Wieso dank?" fragte Itoluhila leise. Da erzählte ihr die wiederverkörperte Urmutter der ehemals neun vaterlosen Schwestern, was ihr nach der Flucht der acht wachen Töchter zugestoßen war und dass sie das auch beim Treffen auf der Ebene der Lebensfreude genauer schildern würde. "Jedenfalls muss ich meiner Schwester widerwillig dankbar sein, dass sie mir geholfen hat, aus dieser vermehrungssüchtigen Ameisenkönigin herauszukommen, zumindest für je zwei Monate im Wechsel."
"Natürlich darfst du mit ihm telefonieren, Mutter. Doch er ist nicht persönlich erreichbar, eben nur über dieses Anrufbeantwortergerät", sagte Itoluhila.
Lahilliota nahm das schnurlose Telefon, gab die geheime Ziffernfolge ein, um eine geheime Adressliste aufzurufen und wählte aus dieser eine Mobilfunkrufnummer. Als sie hörte, dass die elektrische Anrufentgegennahme sprach wartete sie auf den Piepton. Dann sagte sie mit Alison Andrews' Stimme: "Hallo mein lieber Nefffe. Wie ich hörte durftest du heute mit den anderen Kindern meiner Schwester das große Willkommen feiern. Glückwunsch dazu. Du weißt ja, wie viel Verantwortung du damit übernimmst. Aber bei der Gelegenheit hast du mir auch aus einer sehr großen und für mich alleine unbewältigbaren Zwangslage herausgeholfen. Auch wenn das nicht deine Absicht war sage ich dir und auch meiner herzensguten Schwester vielen Dank dafür. Ich werde meinen Mädchen sagen, dass die Vereinbarung weitergilt, solange ihr euch auch daran haltet. Wir haben zusammen so viel um die Ohren, dass wir uns keinen weiteren Familienzank leisten können, das siehst du sicher ein. Wie erwähnt bedanke ich mich bei dir und allen anderen, die bei der großen Willkommensfeier mitgemacht haben und grüße auch meine liebe Schwester. Aber der habe ich das ja schon gesagt, als sie mir geholfen hat. Falls es sonst mal was geben sollte, wobei du unsere Hilfe brauchen könntest - streite das bitte nicht gleich entschieden ab! - melde dich einfach im Foyer eines spanischen Spezialitätenlokals namens Casa del Sol in Sevilla und sage das Stichwort "Tia mia me envió! Dir und allen deinen geliebten Angehörigen noch eine gute Zeit, bis zum nächsten mal."
Sie legte auf und grinste mädchenhaft. Dann sagte sie wieder mit ihrer eigenen Stimme: "Das wird ihm sicher genauso zu denken geben wie deinen anderen Schwestern, wenn ich übermorgen mit euch rede. Aber du kennst jetzt die Losung."
"Und du denkst, der lässt sich herab, uns um Hilfe zu bitten?" fragte Itoluhila und vernahm ein verhaltenes Kichern tief in sich selbst.
"Wie erwähnt haben wir alle sehr viel um die Ohren. Deshalb kann keiner wissen, wer wann wessen Hilfe braucht", sagte Lahilliota. Dann sah sie Itoluhila genau an.
"mir fiel auch ein, dass eine von euch Hallitti in sich aufgenommen haben muss. Als mir bewusst wurde, dass du das bist und ja für unsere Familie in der magielosen Welt der Kurzlebigen tätig bist fiel mir auch ein, dass du durch die gleiche dunkle Woge, die mich im Leib und Triebgeflecht der roten Königin eingesperrt hat, deine langjährige Dienerin Messaline wiedergeboren hast. Ah, wie aufs Stichwort beim Theater." Die Tür ging auf und Malvina trat ein. Itoluhila wollte sie gerade mit einem strengen Blick in ihr Zimmer zurückschicken, da sagte Lahilliota: "Nein, sie soll bleiben. Es ist sehr wichtig für euch beide und für den, den du als ihren Vater darstellst. Setz dich, Malvina. Auch wenn ich nicht so aussehe, ich bin deine Oma Lahilliota."
"Ich weiß, wer du bist", sagte Malvina mit einer Mischung aus Furcht und Anerkennung. Dann setzte sie sich auf den hohen Kinderstuhl, den ihre Mutter ihr hier hingestellt hatte. "Ist sie, die in dir wohnt, schon in den Schlaf der Wiederreifung gefallen?" fragte Lahilliota. "Dachte ich erst. Doch was immer deine Schwester gemacht hat oder was ihre lebenden Erben gemacht haben hat sie für einige Minuten wieder aufgeweckt."
"Wie dem auch sei: es wird besser sein, wenn sie genauso viel Zeit zum Wachsen bekommt wie Malvina. Da ich diejenige war, die euch allen damals die Eigenschaft verliehen hat, ein Jahr nach der Wiedergeburt wieder erwachsen zu werden werde ich das in eurem Fall ändern, auch wenn ihr dann erst einmal nur sieben sein werdet."
"Ja, weil die rote Königin meine Schwester des dunklen Mondes verschlungen hat. Besteht die Möglichkeit, dass sie zurückkommt?"
"Nein, bedauerlicherweise nicht mehr. Wessen Geist ich in mich aufnehme wird ein Teil von mir und es bleiben. Leider hat die jüngste von euch diese Eigenschaft ins Gegenteil verkehrt und mich in sich hinübergezerrt, als sie geboren wurde. Ich kann jetzt all das, was ich Erithalillia mit den Empfängnisritualen mitgab selbst tun, habe ich schon erfasst. Und vor allem kann ich, wie du gemerkt hast, unbemerkt von dir oder jeder anderen erfassen, wo welche von euch gerade ist. Vielleicht ist das eine neue Eigenschaft von Erithalillias Seite oder von meiner überfürsorglichen Schwester. Wie dem auch sei, ich möchte, dass du Hallitti wie ein gewöhnliches Kind bekommst und sie die ganze Zeit braucht, um aufzuwachsen, wie Malvina sie braucht."
"Das wird sie dir nicht verzeihen, Mutter", sagte Itoluhila und hörte bereits ein verärgertes Grummeln tief in ihrem Geist. "Sie wird es hinnehmen müssen, weil ihr für uns alle wichtige Kundschafter sein werdet, bei den Erwachsenen und bei den Kindern. Daher werde ich das Wort der schnellen Wiederreifung für sie zurücknehmen."
"So, und wer sagt, dass ich das ..." erwiderte Itoluhila. Da sah sie Lahilliotas dunkelbraune Augen mondlichtfarben aufleuchten und meinte, etwas halte sie an allen Gliedmaßen fest: "ich sage das, weil ich erkannt habe, dass Hallitti uns allen nur Verdruss bringen wird, sobald sie von dir entwöhnt ist und wieder ihren eigenen Lebenskrug haben will. Selbst als rote Königin bekam ich mit, dass sie und Ilithula weiterhin auf Vergeltung ausgegangen sind, ja und ich weiß auch, was Ilithula im Sinn hat. Doch das werde ich euch allen bei dem von mir erbetenen Treffen mitteilen. Jedenfalls werde ich jetzt das Wort der schnellen Wiederreifung von deiner künftigen Leibesfrucht nehmen, und du und sie werdet es hinnehmen und sicher auch irgendwann verstehen, warum ich dies tue." Das mondlichtglänzen in den Augen verging. Itoluhila konnte sich wieder bewegen. Dann fühlte sie, wie die rechte Hand der scheinbar blutjungen Frau auf ihrem Unterbauch landete, während diese mit der anderen ihren Zauberstab freizog.
"Nein, wenn die das macht kann ich euch und ihr nicht helfen. Ich muss groß und reif sein, um meine Kräfte ..." begehrte Hallitti auf. Doch ihre Stimme klang so leise und dumpf, dass nur Itoluhila und Lahilliota verstehen konnten, was sie dachte. Dann vollzog die Besucherin einen Zauber, aus dem Itoluhila den Namen Hallitis und die Aufforderung: "Werde, wachse, nimm dir die Zeit" heraushörte, obwohl Lahilliota die uralte Sprache benutzte. Dann glomm ihre freie Hand violett. Der Lichtschein brachte Itoluhilas Bauch zum erglühen. "Nein, nicht. Sei mir gnädig!" versuchte Hallitti noch einmal, dem neuen Schicksal entgegenzuwirken. Dann legte Lahilliota ihre glühende Hand auf Malvinas Kopf. Diese erstarrte. "So wie die, die vor dir kam sollst du wachsen ruhig und wach", sagte sie in der alten Sprache. "Wachse wie deine Schwester, die vor dir in diesem Schoße wuchs und gedieh!" befahl sie noch. Dann vollendete sie den Zauber mit "So wie gesagt, so geschehe es hier und jetzt und weiterhin!"
Zwischen Malvina und Itoluhilas Bauchdecke sprang ein violetter Lichtblitz über. Ein kurzer Aufschrei aus den Tiefen des Geistesraumes erklang. Dann war alles vorbei. "So, sie wird nun wie jedes kurzlebige Kind in dir heranwachsen, geboren werden und dann die Jahre brauchen, bis sie groß und stark genug ist, um wieder ihre Fähigkeiten auszunutzen. Das darfst du den anderen auch ruhig mitteilen, sobald ihr mich alle gemeinsam erblickt", sagte Lahilliota. Dann nickte sie Malvina zu und säuselte: "Vertrag dich gut mit deiner kleinen Schwester, du weißt nie, ob du nicht doch mal irgendwann auf sie angewiesen bist oder sie auf dich." Dann strahlte es kurz silbern auf, und ohne jedes Geräusch war Lahilliota fort.
""Das hat sie getan, weil ich ihr nicht folgen wollte", wimmerte Hallitis Gedankenstimme. "Doch wieso bin ich jetzt so müde?" Die letzten Worte vergingen wie Widerhall von weit auseinanderstehenden Wänden einer gewaltigen Höhle. Auch Itoluhila fühlte nun eine bleierne Schläfrigkeit. Sie argwöhnte zwar, dass das von ihrer so unversehens aufgetauchten Mutter kam, konnte aber nichts dagegen tun. Auch Malvina gähnte. So beschlossen beide, sich hinzulegen. Wenn Lyndon morgen früh von seiner Schicht kam konnte sie ja einen kleinen Teil seiner Lebenskraft in sich aufnehmen, auch um ihn als Vater der gerade für die nächsten achtzehn Jahre festgelegten Tochter einzustimmen.
Erst meldete sich Flavine. Zwei Sekunden später krähte Fylla. Fünf Sekunden später antwortete Félix Richard Roland. Die Nacht war vorbei.
"Eh, sind die laut!" protestierte Marisol Valdez aus dem Gästezimmer. Ihre Mutter rief sie leise zur Ordnung und erwähnte, dass sie als Baby nicht viel leiser gewesen war. Aurore, Chrysope und Clarimonde wurden auch wach. Julius brachte sie dazu, wieder zu schlafen, bis die kleine Temmie muh machte. Dann fragte er Béatrice, ob er ihr helfen konnte. "Nein, der hat nur Hunger. Ich habe das Stillkissen auf den Knien, Julius. Aber danke für das Angebot", erwiderte Béatrice. Auch die Zwillinge brauchten nur Millies warme, nährende Milch. In zwei Monaten würde sie wieder anfangen, auch andere Flüssignahrung beizugeben und sie so ganz langsam entwöhnen. Denn sie genoss es, eine junge Mutter zu sein. Auch wenn die Versorgung von Zwillingen nicht nur doppelt sondern wohl auch dreimal so anstrengend war wollte sie diese Erfahrung nicht gegen ein kinderloses Leben eintauschen, hatte sie ihm und Béatrice verraten.
Julius fiel ein, dass er bis zum Morgenmuhen der Miniaturtemmie alle gestern erhaltenen Visionen in das Denkarium überspielen konnte. Wer wusste schon, wann er wieder auf etwas davon zurückgreifen musste. Für diesen Fall hatte ihm Félix' Mutter erlaubt, ein paar Tropfen von Bicranius Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit zu trinken, um die zu erinnernden Dinge möglichst wirklichkeitsgetreu ins Bewusstsein zu rufen.
Da der Trank die Nebenwirkung hatte, Gefühle zu unterdrücken, staunte er nicht, dass er so viele Einzelheiten aus den Leben der vorherigen Träger seines Silbersternes mitbekommen hatte. Auch konnte er sich nicht darüber wundern, dass der von ihm getragene Heilsstern sanft im Takt des Herzanhängers mitpulsierte, während Julius eine Erinnerung nach der anderen in das familieneigene Denkarium übertrug. Dabei waren es nicht die ganzen Leben der Vorgänger, sondern eben jene Dinge, die er auch ohne Heilsstern für wichtig genug hielt, um sie in einem Erinnerungssammelbehälter festzuhalten. Als er die Erlebnisse von Buramesch in das Denkarium einfüllte fiel ihm ein, dass er auch schon von anderswo her von einer umgedrehten Pyramide gehört hatte und dass dort in der Nähe auch Tarlahilias Lebenskrug gewesen sein sollte.
Einmal mehr sah er in Uschanagurans Erinnerungen eine Begegnung mit dem Makedonenherrscher Alexander und bekam auf diese Weise sogar mit, dass Uschanagurans jüngerer Bruder das nicht minder weltberühmte Streitross Bukephalos gezüchtet hatte. Also hatten sich die alten Magier von damals schon mehr von dem jungen König versprochen als nur neue Gebiete. Natürlich, es ging um das alte Wissen des Morgenlandes und damit auch um das, was aus der Zeit von Altaxarroi, das damals schon von den Gelehrten Atlantis genannt worden war, in der Welt verblieben war. Er tauchte so tief in die Auslagerung der alten Erinnerungen ein, dass er nicht mitbekam, dass Béatrice die Bibliothek betrat, sich hinter ihm niederkniete und dann, als er den Abschnitt von Uschanagurans Erlebnissen ausgelagert hatte, die rechte Hand auf die Schulter legte. Er erschrak nicht, weil der Gedächtnistrank auch keine plötzliche Angst oder Abwehrstimmung zuließ. Doch er drehte sich um und sah ihr in die rehbraunen Augen. "Es ist wohl sehr viel, was du in dieser kurzen Zeit in deinen Kopf hineingestopft bekommen hast, richtig?" fragte sie ruhig und ja schon sehr fürsorglich.
"Ich kann mich jetzt, wo ich für zwei Stunden Trank im Kopf habe an insgesamt dreihundert Lebensabschnitte verschiedener Vorgänger erinnern. Aber die haben nicht ihre ganze Lebenszeit in dem Stern abgespeichert, sondern nur die Dinge, die sie von sich aus für wichtig und überliefernswert gehalten haben. Aber viel ist es."
"Gut, ich pass auf dich auf, falls du dich überanstrengst, Julius. Solange kannst du weitermachen", sagte Béatrice und nahm ihn in eine halbe Umarmung, damit er seinen Rücken entlasten konnte.
So lagerte er die gesehenen Dinge weiter aus, bis er an den Punkt kam, wo der Silberstern von Sharvas zum ersten mal seine Kraft freigesetzt hatte, also bei seiner ersten Aktivierung. Zu gerne hätte er gewusst, wie die Silbersterne geschmiedet und bezaubert worden waren und wie es kam, dass sie einerseits gegen alle körperlichen und elementaren Gewaltformen gefeit waren, ja sogar das dunkle Feuer zurückdrängen konnten, aber sich trotzdem noch in andere, von den Trägern anerkannte Schmuckstücke verwandeln konnten. Doch das war und blieb wohl das Geheimnis der sieben Kinder Ashtarias. Womöglich würde er es erst erfahren, wenn ihm Ashtaria die Wahl ließ, entweder ganz über die Weltenbrücke zu den bereits verstorbenen Vorfahren zu gehen oder eins mit ihrem geistigen Körper und damit allen darin aufgegangenen Vorgängern von ihm zu werden.
"Ich bin fertig", sagte Julius, nachdem er geprüft hatte, ob auch alle von ihm erworbenen Erinnerungen sicher übertragen worden waren. "Gut, du weißt, dass du auf den Gedächtnistrank keinen Wachhaltetrank nehmen darfst, weil dein Gehirn nach dessen Abklingen erst recht erschöpft ist?" fragte sie. Julius wusste das natürlich, weil er das gelernt hatte und sich im Moment an wirklich alles erinnern konnte, was er sozusagen vom ersten Herzschlag an erlebt hatte. "Gut, hast du heute viel im Büro zu tun?"
"Wegen Blickschutz wollen wir einen Weg besprechen, die Lebensaura magischer Menschen in elektromagnetische Signale umzuwandeln, die dann wieder in winzigen RFID-Empfängern machen, dass das Hintergrundbild von vor dem Durchqueren der Person an die Stelle der aufgenommenen Person in die Aufnahme eingefügt wird, wenn wir eine Zeitverzögerung von einem Bild Pro Sekunde nach Echtzeit hinkriegen. Klappt das, können wir überlegen, ob dann sämtliche Kameras der Welt mit solchen Mikroempfängern und Vertuschungsprogrammierung auf den Markt gebracht werden können, ohne dass die Erfinder der Originalkameras mitkriegen, dass wir an deren Geräten herummanipulieren. Weil anders kriegen wir das nicht hin."
"Interessant", sagte Béatrice. "Also ist die Frage, wie magische Energieschwingungen in gewöhnliche Elektrowellen umgewandelt werden?"
"Ja, daran wird geforscht und zwar so, dass nicht die Lebensauraträger diese Elektrowellen machen, sondern die an öffentlichen Plätzen eingebauten Verheimlichungsgeräte, wenn die ein Magiepotential messen."
"Na dann viel Glück", sagte Béatrice noch. Das Julius gerade etwas ausgeplaudert hatte, was eigentlich auf vierthöchster Geheimhaltungsstufe war kümmerte ihn nicht, weil sie seine Heilerin war und er sogar Millie Sachen mit S0-Status mitgeteilt hatte, wenn auch nicht mal eben über gesprochene Worte.
Als die Minitemmie muhte klang der Gedächtnistrank ab. Julius merkte schon, dass er seinem Kopf über zehn Stunden Tagesausdauer abverlangt hatte. Doch er konnte das mit einem großen Schluck Kaffee und Kopfschmerzunterdrückungstropfen überspielen.
Da er an diesem Morgen nur über die Standorte der Videoüberwachung und die gängigen Bildaufnahmeverfahren sprechen musste brauchte er sich nicht groß anzustrengen. Der Heilsstern ruhte während seines Arbeitstages in der Schatulle mit Körperspeicherfunktion.
Gegen Abend verabschiedeten sie Maribel und Marisol, die ja nun einige Tage früher als vermutet wieder nach Hause fliegen konnten.
Alle verbliebenen sechs waren froh, ihre Mutter als junge Menschenfrau zu sehen, als diese aus einem Silberblitz heraus ohne Geräusche erschien. Dann verkündete diese ihnen allen, was geschehen war und die sieben Sterne nun wieder mit ganzer Kraft strahlten und damit Ashtaria seit wohl vielen Jahren wieder ihre ganze überweltliche Macht bekommen hatte. Ilithula zeigte offen, dass ihr das missfiel, ja nahm es wohl auch persönlich. Die anderen fünf sahen Lahilliota eher erwartungsvoll an. So erwähnte diese noch: "Eure Schwester Erithalillia ist eins mit mir geworden. Nun, wo ich für zwei Monate wieder in menschlicher Gestalt leben und wirken darf, bis mich die rote Königin wieder überkommt und ich zusehen muss, nicht erneut von ihr vereinnahmt zu werden, weiß ich nun alles und kann alles, was ich ihr damals mitgab. Ich kann auch erkennen, wer von euch wo ist. Komm nicht auf den Einfall, mir ans Leben zu wollen, Ilithula. Ich würde dich gemäß meinen Regeln mit in den Tod reißen, ohne dass du noch einmal wiedergeboren würdest." Tatsächlich hatte Ilithula gedacht, dass ihre Mutter nun noch mächtiger und überwachender geworden war. Sie verzog ihr Gesicht. Dann sagte Lahilliota noch etwas, was die sechs verbliebenen verwunderte:
"Auch habe ich beschlossen und vollzogen, dass Hallitti, die in schwesterlicher Fürsorge von Itoluhila empfangen wurde, nicht gleich nach einem erlebten Jahr wieder zur alten Größe aufwächst, sondern zusammen mit ihrer bereits vorher geborenen Halbschwester Malvina aufwächst und als Kundschafterin in der Welt junger Menschen für uns handeln soll. Dies sei die Bußleistung dafür, dass sie uns alle mit ihrem Übereifer nach der ersten Erweckung fast in den Untergang getrieben hat. Denn glaubt ihr wahrlich, dass sich die heute lebenden Hexen und Zauberer noch so leicht von uns zum Narren halten lassen können? Auch die Magielosen haben sich weiterentwickelt, wenn auch nicht gerade auf eine begrüßenswerte Stufe. Sie haben Vorrichtungen und Werkzeuge, mit denen sie innerhalb von Sekunden weltweit berichten können, wenn eine von uns etwas unternommen hat, wenn dies auffällig genug ist, um in der Welt weitergereicht zu werden. Sicher, Itoluhila hat die Erfindungen der Magieunfähigen nutzen können um euch, Ullituhilia, Tarlahilia und Thurainilla aus dem von den Morgensternbrüdern auferlegten Schlaf zu wecken, wofür ihr ihr dankbar sein solltet. Aber Hallitti hat durch ihren Übereifer und vielfältigen Hunger dafür gesorgt, dass die magische und nichtmagische Welt ihr und damit euch anderen fast den Garaus gemacht hätte. Daher habe ich beschlossen und vollzogen, dass sie das Leben der Kurzlebigen bis zur Erwachsenenstufe nacherleben soll und dann erst auf die euch verliehene Weise unsterblich jung zu bleiben. Ach ja, wer meint, mein Wort widerrufen zu können, indem sie Itoluhila tötet oder Itoluhila ihre neue Tochter vor der Geburt abtreibt, die verliert wie in meinen Regeln verkündet alle Jugendjahre und wird als Greisin an der Schwelle zum Tode weiterleben müssen, wie es die Strafe ist, wenn eine von euch eine Schwester an Körper und Wohlbefinden bedroht. Also, lasst Hallitti in Ruhe aufwachsen! Ach ja, und wer mich zu töten versucht sei gewarnt, dass ich durch das, was mich mit der roten Königin verbunden hat, unangreifbar geworden bin. Aber das sagte ich euch ja schon, als ich mit Hilfe von Itoluhila und Ashtarias sechstem Sohn Julius Latierre einen neuen Körper erhielt und aus der inneren Gefangenschaft Errithallaias befreit wurde. Ja, und damit komme ich zu dem, was euch allen wohl am wenigsten behagen wird: Ab heute gilt mein Wort, dass wir alle den lebenden und künftigen Erben Ashtarias, einschließlich Julius Latierre, ewige Dankbarkeit schulden, die wir dadurch bekunden, dass wir keiner und keinem von ihnen an Leib und Seele schaden, solange sie nicht gegen eine von euch oder mich selbst körperliche oder magische Vernichtungskraft anzuwenden trachten. Sie werden damit leben müssen, dass es uns gibt, und wir werden damit leben, dass ihr und ich der unerbetenen aber nichts desto trotz hilfreichen Gnade meiner überfürsorglichen Schwester unser Dasein zu verdanken haben. Ja, Ilithula, ich weiß, was du sagen willst und darfst es gleich auch sagen." Tatsächlich hatte Ilithula angesetzt, einen Einwand zu machen. "Nur noch zum schluss: Dies ist mein Wort, ihr seid durch den Blutschwur mit mir, wie ich jetzt vor euch stehe, und in meiner Abwesenheit daran gebunden. Ja, ich habe es dem Jungen schon mitgeteilt. Dafür sind diese neuartigen Fernsprecher wirklich sehr brauchbar. Soweit das, was ich euch allen auf direktem Wege von Angesicht zu Angesicht mitzuteilen hatte. So, wer möchte was darauf antworten?"
Ilithula wollte antworten und warf ein, dass die Zeit in der Ameisenkönigin ihrer Mutter wohl das Hirn verdorrt hatte, dass sie meinte, dass sie die Kinder Ashtarias in Ruhe lassen sollen, wo die doch von ihrer Übermutter gelernt hatten, die vaterlosen Töchter zu bekämpfen. Außerdem solle sie sich wegen des Todes von Erithalillia und Hallitti selbst entleiben, weil sie gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen habe, keiner Blutsverwandten ein Leid zuzufügen. Auch solle sie diesen Zauber widerrufen, der Hallitti erst in achtzehn Jahren wieder voll handlungsfähig mache. Ja, und was die Kurzlebigen anginge, so sei ihr, Lahilliota, doch überhaupt nicht klar, auf welchen voll loderndem Feuer steckenden Abgrund diese die ganze Welt zutrieben. Was sollten sie dann noch von denen lernen? Sie würde auf jeden Fall um die Größe und Vorherrschaft der Schwestern der Macht kämpfen, wenn es sein müsse auch ohne die Mithilfe der anderen, jetzt, wo ihre Zwillingsschwester nicht mehr da sei.
"Lange Rede und unbedingt ernstzunehmende Ankündigungen, Ilithula", setzte Lahilliota an, nachdem Tarlahilia ihrer als eigene Tochter wiedergeborenen Schwester zugenickt hatte. "Erstens weiß ich aus der Erfahrung jener, deren Leib ich übernehmen durfte, wie die jetztzeitlichen Menschen leben und welchem Größenwahn sie alle verfallen sind, dass jeder von ihnen unendlich Reich und wichtig werden kann und alles von Mutter Erde bereitgestellte auf ewig bestehe und davon immer mehr und mehr entnommen werden dürfe, um unendliches Wachstum zu schaffen. Ja, ich weiß das. Meine Körperspenderin war mit einem Mann zusammen, der damit Geld gemacht hat, solchen Leuten Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Deshalb weiß ich aber auch, dass sich die Kurzlebigen gegenseitig belauern, wer mehr erreicht hat als der andere und nur eine sehr, sehr dünne Schicht aus Wohlstand und Gesetzen verhindert, dass sie wie rivalisierende Pelzwechsler übereinander herfallen, um des Nachbarn Besitz an sich zu reißen. Schwindet das eine oder das andere kann das immer noch eintreten. Und genau deshalb brauchen wir wen, die uns berichtet, wie vor allem die Kinder und Halbwüchsigen dieser auf ewiges Wachstum hoffenden Menschheit in dieses Denken und Handeln hineingeführt werden, um sie dann, wenn es droht, uns alle zu vernichten, Einhalt zu erzwingen. Ich bin und bleibe die Meisterin des Lebens, nicht des weltweiten Müllhaufens und eines Gebirges aus Leichen. Ja, und weil die sich alle belauern sind auch überall Berichterstatter und Überwachungsgeräte. Deshalb wurde Hallittis Treiben damals in diesem Internet-Netzwerk verbreitet. Nur die Angst vor Schuldzuweisungen und Unfähigkeitsbehauptungen trieb den in den Staaten lenkenden Zaubereiverwalter dazu, all das vor den magischen Kurzlebigen geheimhalten zu wollen. Ein entschlossener Zauberer, womöglich einer jener Morgensternbruderschaft, hätte gleich nach Hallittis zweitem Beutezug zur Jagd auf sie und ihren Abhängigen geblasen. Dann wäre sie viel viel früher entkörpert worden, ja ihre Wiedergebärerin wäre gesucht und ebenfalls entkörpert worden, wie es ihr ja dann später auch widerfahren ist und dann auch dir, Ilithula. Wer von uns beiden hat hier also das Ameisengehirn?!"
Ilithula versuchte krampfhaft ihre Gedanken zu verbergen. Doch die merkwürdig silbern leuchtenden Augen ihrer jugendlich schönen Mutter brannten sich förmlich in ihren Kopf hinein. So sagte sie in einem plötzlichen Ansturm von Aufsässigkeit: "Du hast recht, ehrenwerte Mutter. Die Kurzlebigen vergiften sich und die Welt und jagen einem Traum von ständiger Bereicherung und wachsender Größe nach. Wer anders als ich, die Tochter des düsteren Windes, weiß besser, was die schon alles in die Luft geblasen haben, um ihre Massenherstellungsmaschinen und Selbstfahrwagen in Gang zu halten. Genau deshalb müssen wir diesen Kurzlebigen jetzt schon Einhalt bieten, sie wieder zu dem machen, was sie sind, nützliche Hilfskräfte und ja, wohlschmeckende Nahrung und nicht von diesen maschinengemachten Speisen vergiftete schwere Kost. Aber wir sind nur zu sechst, und weil du Hallitti dazu verurteilt hast, wie jedes kurzlebige Mädchen aufzuwachsen werden wir auch nur zu sechst bleiben. Die Erben Ashtarias werden sich nicht gegen die Kurzlebigen stellen, selbst wenn die ihnen ihren Giftmüll in die Vorgärten werfen sollten. Und die anderen magischen Kurzlebigen sind genauso nur mit sich selbst beschäftigt und wollen nichts gegen diese irrlaufende Entwicklung tun, weil sie dann ja ihre Geheimhaltung aufgeben müssten, diese heuchlerischen Feiglinge. Genau deshalb werde ich mein mögliches tun, um die nötige Macht zu erringen, um diesem Irrsinn Einhalt zu gebieten, egal, was ich dafür tun muss und egal, wer sich mir dabei in den Weg stellt. Ich werde sie finden, die Erbschaft des alten Windkönigs."
"Und dann? Willst du mächtiger werden als wir alle zusammen?" fragte Lahilliota scheinbar völlig unbekümmert. "Falls möglich und nötig ja", stieß Ilithula aus. "Ich wollte dieses Ding damals schon haben, als mir Hallittis körperloses Selbst zuflog und ich zusehen musste, wie ich sie auf die Welt zurückbringe. Deshalb wollte ich diesen Burschen, den Sohn ihres letzten Abhängigen, dazu bewegen, sich in meinem Lebenskrug zu entleiben und dann mit ihr zusammen von mir wiedergeboren zu werden. Er wusste, wie die grauen Riesenvögel des alten Windkönigs gerufen werden konnten. Dieses Wissen würde mir und damit auch euch nützen, diese Feuerstrahl-Eisenvögel zu bekämpfen, mit denen die Kurzlebigen ihre sogenannte Zivilisation über die Welt verteilen. Jetzt, wo ich wieder da bin, werde ich dieses Ziel weiterverfolgen, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Julius Latierre nicht mehr weiß, wo das Machtinstrument des alten Windkönigs ist. Aber dafür muss ich ihn zum Reden bringen."
"Und wie erwähnt bei der Gelegenheit mächtiger werden als wir alle zusammen?" fragte Lahilliota.
"Ja, zu unser aller Wohl, Ameisenkönigin. Geh zurück zu deiner Brut und spiel mit denen neue Weltordnung!" sagte Ilithula noch sehr wütend. Ihr war nicht bewusst, dass sie gerade ausgeplaudert hatte, dass sie bereit war, sich über alle anderen zu erheben, um ihren ganz eigenen Weg zu gehen. "Ihr habt sie gehört, meine Töchter. Wollt ihr unter ihr dienen, wenn sie wirklich die Macht des Windkönigs mit sich vereinen könnte?"
"Nein!" riefen alle anderen wie aus einem Mund. Itoluhila horchte in sich hinein. Doch Halittis Geist war nun endgültig in den Schlaf der Wiederreifung gefallen. Tarlahilia funkelte die von ihr wiedergeborene wütend an. In ihren Augen glomm es hellblau. Alle hier wussten, dass sie tödliche Hitzestrahlen schleudern konnte. Da fing Lahilliotas silbern leuchtender Blick den blau leuchtenden Blick der Tochter der schwarzen Sonne ein. Das blaue Licht erlosch. "Ihr wollt nicht unter ihr dienen", sagte Lahilliota. Dann fragte sie Ilithula: "Willst du uns unterwerfen, damit wir das tun, was nur du für richtig hältst?"
"Ja", stieß Ilithula aus.
"Das würde uns und die ganze Welt in genau den lodernden Abgrund stürzen, den du erwähnt hast", sagte Lahilliota ruhig. "Das darf und werde ich nicht zulassen", sagte sie. So geh schlafen, bis dich ein ahnungsloser Wandersmann mit unerwachter Zauberkraft weckt!"
"Niemals!" rief Ilithula. Da schossen aus Lahilliotas Augen silberne Lichtstrahlen hervor und hüllten sie vollkommen ein. Ilithula wehrte sich. Sie erstrahlte von innen her in violettem Licht. Wind kam auf. Da schien ihr Unterleib in orangerotem Licht zu zerbersten. Sie schrie auf. Der Wind wurde zum Sturm. Die Erde bebte. Alle wachen Schwestern wurden von den eiskalten Windböen gepackt und durchgeschüttelt. Ihre langen Haare flogen im brausenden Aufruhr der Luft. Dann, mit einem Schlag, endete alles. Der Wind flaute vollkommen ab. Das orangerote Licht aus Ilithulas Unterleib erlosch ebenso, wie das sie umschließende Silberlicht. Dann blitzte es violett auf, und Ilithula war verschwunden. Alle hatten mitbekommen, wie ihre Mutter eine Verbindung zwischen Mond, Luft und Erde erzeugt hatte und so Ilithulas gesammelte Lebenskraft innerhalb von wenigen Atemzügen aus ihr herausgesogen und in die Erde abgeleitet hatte. was vor allem Ullituhilia deutlich gespürt hatte. Als kein zusätzliches Leben mehr in Ilithulas Körper enthalten war, hatte dieser im eingewirkten magischen Reflex den letzten Sprung unmittelbar in ihren Lebenskrug ausgeführt. Zu schwach, um von der dortigen Lebenskraft zu trinken würde sie nun starr daliegen, bis ihr Geist von der Lebenskraft eines mit ungeweckter Zauberkraft versehenen Mannes berührt und zum Beben gebracht wurde. Erst dann würde sie wieder aufwachen.
"Mutter, dir ist bewusst, dass du sie gerade zu deiner Feindin gemacht hast", wagte Tarlahilia eine Bemerkung. Die Angesprochene nickte, erwiderte jedoch: "Sie hat sich bereits vorher zu unser aller Feindin erklärt. Ich habe es in ihrem Geist gelesen, dass sie immer daran gedacht hatte, jene sagenumwobene Flöte zu finden, mit der die Kräfte des Windes gelenkt werden können. Doch damit hätte sie uns alle in den von ihr ausgemalten lodernden Abgrund gestürzt. Tarlahilia, ich bedauere es, dass du dir die Beschwernisse einer Schwangerschaft und die Schmerzen der Niederkunft hast antun müssen, um sie wiederzugebären. Aber wenn du wie alle anderen hier nachdenkst wirst du erkennen, dass Ilithula an ihrem Schicksal selbst schuld ist. Sie und Hallitti hätten sich einfach nur ruhig und maßvoll verhalten und unseren Gesetzen unterordnen müssen."
"Du hast gerade unsere Zahl um eine weitere mächtige Streiterin verringert", bemerkte Itoluhila, die nicht wusste, ob sie froh oder besorgt sein sollte. "Dies ist mir bewusst. Aber wenn die Kinder der überfürsorglichen Schwester keinen Versuch machen, gegen uns anzukämpfen können wir auch zu fünft oder sechst mit den uns umschleichenden Feinden fertig werden. Ja, uns sollte Ilithula wieder erweckt werden, dann werden wir das alle merken, ob sie nachdenkt oder gleich zur Rache wider uns antritt. Möchte noch eine von euch was zu alle dem hier sagen?" Dem war nicht so. "Dann bedanke ich mich trotz des unschönen Abschlusses für eure Einsatzbereitschaft und eure Treue, meine Töchter. Wer in den nächsten beiden Monden meinen Rat oder meine Hilfe sucht findet mich im Berg der ersten Empfängnis. Keine Furcht vor den roten Kriegerinnen und Kriegern. Sie schlafen, solange die rote Königin in mir schläft, auch das hat meine Schwester mit ihrer unerbetenen Hilfe erreicht. Womöglich sind es aber jene Krieger, die wir brauchen, um gegen die vermehrungswütigen Blutsauger und Schattenwesen zu bestehen. Gehabt euch bis auf weiteres wohl!" Mit diesen Worten verschwand Lahilliota in einem silbernen Lichtblitz.
"Ich habe es immer schon gewusst, dass Ilithula diese in den Geschichten der Vorzeit erwähnte Zauberflöte sucht", gestand Tarlahilia ein. "Doch ich hoffte, ihr Wachstum in mir und unser Kampf gegen alle Feinde hätte sie davon abgebracht, ihre eigenen Wege zu gehen. Ich werde zusehen, dass mein oberster Diener Zugang zu den Wissensnetzen der Kurzlebigen bekommt, damit wir wissen, wo unsere Feinde gerade sind und was sie tun. Also gehabt euch alle wohl!" Mit diesen Worten verschwand Tarlahilia ohne zusätzlichen Lichteffekt.
Itoluhila apparierte in ihrem eigenen Zimmer in der Casa del Sol. Zwar hatte sie mit Lyndon bereits Hallittis Entstehungsgrund klargemacht, doch ihr war nach dieser aufwühlenden Versammlung nach noch ein wenig mehr "wohlschmeckender Nahrung". Hier konnte sie davon mehr als genug haben.
Mike Dunston verkündete seinen Kollegen, dass er die traurige Mitteilung machen musste, dass Ralf Burton vorgestern bei einem Patrouilleneinsatz in der Gegend von Basra mit einer Einheit Marineinfanteristen Opfer einer Panzermine geworden war. Von ihm seien nur wenige, höchst unansehnliche Überreste geblieben, die mit Genehmigung des auswärtigen Amtes und der Angehörigen des Toten verbrannt wurden. Die Asche würde in einer Urne zurück in die Staaten kommen.
Jeff, der die traurige Mitteilung mitgehört hatte dachte daran, dass Ralf so doch noch ein Kriegsheld wurde, auch wenn er das nie angestrebt hatte. Dann dachte er noch, wann und wie der geheimnisvolle Informant Tinwhistle auf diese Meldung reagieren würde, wo er oder sie Ralfs persönliche Informationsquelle gewesen war. Hoffentlich kam dieses Subjekt nicht auf die tolle Idee, ihn, Jeff Bristol, als neuen persönlichen Kontakt auszuwählen. Er hatte ja wahrlich genug um die Ohren, vor allem, wo sich ein Bandenkrieg zwischen der irischen Organisation "Eisernes Kleeblatt" und dem kleinen aber gemeinen Ableger der neapolitanischen Camorra anbahnte. Da würde er genug zu schreiben kriegen.
Julius hatte dem stillen Dienst gerade einen vollständigen Bericht vorgelegt und erklärt, dass er nun als sechster Sohn Ashtarias in deren Sinne handeln dürfe. Blanche Faucon hatte zur Probe das aus Silber, Saphiren und Diamanten gefertigte Amulett der weißen Hexe Eulalia Bellavista hervorgeholt und es in die Nähe von Julius' Silberstern gehalten. Zwischen beiden Gegenständen spannte sich ein silberner Lichbogen, und alle hier fühlten eine große Zuversicht und Sicherheit. Das galt jedoch nicht für Joe. Denn dessen Stimme rief laut: "Ey, was ihr jetzt gerade macht, mir ist voll der Rechner abgeschmiert."
"Halten wir fest, die beiden den hellen Künsten entstammenden Artefakte erkennen einander als wesensgleich und unterstützend an und verbreiten offenbar eine weitläufige Aura, die auf elektronische Gerätschaften störend wirkt", stellte Blanche fest und zog das Amulett mit gewisser Mühe wieder zurück. Der silberne Lichtbogen erlosch.
Catherine ging hinaus und half Joe, seinen Rechner wieder in Gang zu kriegen, sofern er von magischen Energien gestört worden war. Alle warteten, bis sie wiederkam.
"Dann erwähne ich auch, dass ich den Stern auch auf seinen Einfluss auf elektronische Geräte geprüft habe", sagte Julius. "Ich kann damit bis auf zweifache Armlänge an einen laufenden Rechner herantreten, wobei jedoch schon Bildstörungen möglich sind. Unterschreite ich den Abstand passiert das, was Joes Rechner widerfahren ist. Daher trage ich den Stern bei Arbeiten an Computern nicht. Öhm, es kann auch sein, dass der Stern, wenn er mit ganzer Kraft aktiviert wird, einen vielfach größeren Einflussbereich hat und dann sämtliche elektronischen Geräte ausfallen, die in diesem Einflussbereich arbeiten. Das sollte ich, der in der magielosen Welt zu tun hat, immer bedenken."
"Ich bin auf jeden Fall beruhigt, dass dein Vorhaben gelungen ist, in die Erbengemeinschaft Ashtarias aufgenommen zu werden, Julius", sagte Blanche Faucon. "Mit dieser Beruhigung, dass es nun noch einen Ansprechpartner mehr gibt, wenn es zu Übergriffen der dunklen Seite kommt, kann ich das neue Schuljahr beginnen. Öhm, deine Behörde bekommt von mir noch ein offizielles Dankesschreiben, dass du die Angelegenheit mit dem Jungen Maurice zum allgemeinen Einverständnis erledigt hast, Julius."
"Na ja, Blanche, es ist immer sehr viel besser, mit wem als über einen zu sprechen und dabei die nötigen Erfahrungen einbringen zu können", sagte Julius. Dem konnte Belle nur zustimmen, die ja Julius direkte Vorgesetzte war.
"Was kriegt ihr aus den Staaten mit, Millie und Julius?" fragte Madeleine L'eauvite.
"Wegen der Verfügung der Kobolde, wo kein Kobold von Gringotts ist kann auch kein Handel mit Koboldgold stattfinden haben Ministerin Bullhorn und die zeitweiligen Minister von Mexiko und Kanada klargestellt, dass sie ab dem 18. August eigene Edelmetallvorkommen und Edelsteinminen ausbeuten werden und direkt mit den direkten Nachbarn Tauschvereinbarungen abgeschlossen haben. Davon sollen die Kobolde hier in Europa nichts mitkriegen, weil die dann auch hier wieder auf die große Trommel hauen könnten, wo wir gerade dieses Goldverwahrungsabkommen mit denen und den Zwergen haben."
"Und Australien?" wollte Belle wissen, die wusste, dass Julius Kontakte dorthin hatte. "Für die gilt ja das gleiche, was in den Staaten gilt. Wo kein Kobold aus Gringotts ist kann kein Koboldgold hingeschickt werden. Ja, und die Australier haben es geschafft, die Goldvorräte im Gringotts-Krater auszugraben. Aber Psst, C5, nichts für die Zeitungen hier. Könnte sein, dass die Kobolde hier dann meinen, Entschädigungen einfordern zu können. Jedenfalls werden Ministerin Rockridge und Finanz- und Handelsabteilungsleiter Badhurst in Australien gerade als Helden der Goldebbe gefeiert. Irgendwann werden die Kobolde das auch hier mitkriegen. Aber das muss ja nicht heute sein", sagte Julius.
"Das ist wohl richtig", sagte Blanche Faucon. "Aber gut zu wissen, wenn ich mit dem australischen Kollegen von Redrock über einen Schüleraustausch unterhandeln werde. Immerhin ist das mit den USA wieder im Lot, auch wenn die Kollegen dort noch zum Abwarten raten, bis die Abstimmung über eine Wiedergründung der Nordamerikanischen Zaubererföderation abgeschlossen ist. Derzeitig könnte es sowohl eine neue Föderation geben, als auch ein völliger Zerfall aller Bundesstaaten innerhalb Nordamerikas in einzelne Interessensgebiete oder die Beibehaltung der drei Hauptverwaltungsgebiete vor Buggles' und Vita Magicas Staatsstreich." Julius bejahte dies. Das hatte ihm Brittany auch schon erklärt.
"Dann können wir uns wieder auf den Heimweg machen", sagte Hera Matine, die Julius' Bericht sehr aufmerksam mitverfolgt hatte.
Es war nicht eingetreten, dass Miriam dauernd bei Millie und Julius zum Mittagessen blieb. Martine hatte ihre Schichten nun so gelegt, dass sie nach dem Schulschluss in Millemerveilles ankommen und Miriam abholen und nach Paris zurückbringen konnte, ohne am Apfelhaus vorbeischauen zu müssen. Ansonsten war es ein wenig ruhiger in Millemerveilles geworden, weil alle Kinder und Jugendlichen ab elf Jahren wieder in Beauxbatons waren. Deren Eltern kümmerten sich wieder mehr um die eher ungewollt dazubekommenen Nachkommen.
Julius hatte am Vorabend im Baumhaus die Mailbox seiner Mobilnummer abgehört und dabei eine "Grußbotschaft" seiner verschollenen Tante Alison vorgefunden. Sie hatte sich noch einmal bei ihm für die geleistete Hilfe bei einer schwierigen Zwangslage bedankt und noch einmal versichert, dass sie und ihre leiblichen Töchter ihm keinen Ärger machen würden. Also war Lahilliota wieder handlungsfähig. Er hatte wahrhaftig mitbekommen, dass sie die rote Ameisenkönigin war und jetzt wohl wieder als Menschenfrau beziehungsweise Hexe herumlaufen konnte. Sollte ihn das beruhigen, dass sie ihre "leiblichen Töchter" noch gut im Zug hatte und die ihm nichts tun durften? So wie er Ilithula mitbekommen hatte war das nicht so ganz sicher.
Sie hatten gerade gefrühstückt. Es lief das übliche Morgenritual, was für Brittany und Leonidas eher ein Abendritual war. "Irgendwer hat denen im LI wohl früh genug einen wichtigen Tipp wegen der Hurrikansaison gegeben, Julius. Ich bekam von Mel und Myrna vorhin je eine Eule, dass die im Weißrosenweg die Wasserabführzauber nachstellen mussten, weil das Laveau-Institut was von mal wieder zu testenden Notfallmaßnahmen erwähnt hatte. Die müssen echt neue Ableitungszauber einbauen. Haben die vor drei Stunden erst geschafft, weil sie die ganze Straße entlang vorgehen mussten. Also wenn Katrina echt nach Louisiana kommt dürfte der Weißrosenweg größtenteils sicher sein, Julius. Aber natürlich hoffen viele, dass die Staaten und Mexiko nicht heftiger beharkt werden als Florida schon beharkt wurde."
"Dann haben die wohl wieder von Marie einen Tipp bekommen", sagte Julius ruhig. Innerlich freute er sich jedoch, dass sein Einfall von vor einigen Wochen rechtzeitig weitergegeben worden war.
"Und wie geht es euch allen so?" fragte er."Im Moment geht es uns allen ganz gut", sagte Brittany mit einem merkwürdig hintergründigen Unterton. "Jetzt, wo wir auch keine Kobolde mehr hier haben und über das Neugeld alles regeln müssen haben sich die Neider endlich verzogen, die uns unterstellt haben, wir hätten einen Sonderstatus. Aber das mit dem Umtauschen in euer Gold muss noch ein wenig ausgefeilt werden, vor allem, weil da wohl ein paar Kobolde ihre langen Finger ins Getriebe gesteckt haben und versuchen, uns vom Rest der Welt abzuschneiden, nach dem Motto: Wer den Yankees hilft wird arm" oder sowas. Ich hörte nur von Aurora, dass die in Australien schon eigene Galleonen machen und die vom Finanzhüter da über hundert gesicherte Zahlungsstuben ausgegeben werden."
"Ja, stimmt, hat sie mir auch erzählt. Öhm, aber du guckst so, als überlegtest du, ob du uns noch was erzählen müsstest oder es erst mal lassen sollst", meinte Millie und grinste. "Hast du vielleicht ein bisschen mehr Gepäck von uns mit nach Hause gebracht, als Linus und du die Ankunft unserer drei neuen Mitbewohner gefeiert habt?"
"Mann, Millie, Spaßverderberin!" knurrte Brittany. "Noch weiß ich das nicht hundertprozentig. Aber ich bin schon zwei Wochen drüber. Chloe Palmer soll das in einer Woche klarstellen, ob oder ob nicht. Falls ja kriegt ihr das natürlich sofort von mir. Wenn nicht, dann nicht."
"Ui, ich denke, wir sollten das Doppelbett austauschen. Nicht dass demnächst noch ein älteres Paar unerwarteten Zuwachs von uns mit nach Hause nimmt", sagte Julius und grinste.
"Wie erwähnt, nächste Woche weiß ich es sicher, ob Britts Backstube wieder vorgeheizt ist. Und das Bett lasst bitte so wie es ist, sage ich auch im Namen von Linus."
"Ui, wenn ich überlege, dass da vor kurzem eine alleinstehende Mutter mit ihrer Tochter übernachtet hat", meinte Julius zu Millie. Die grinste zurück. "Dann hätte die ihren Namen voll verdient, falls dabei was passiert wäre", erwiderte sie. Julius grinste.
"Hups, ihr hattet Mary Dovebeak bei euch zu Gast? Wie kam das denn?" wollte Brittany wissen. Millie übernahm die Antwort:
"Nein, die Tochter von Onkel Luckys Abschlussballpartnerin war nicht bei uns. Wusste nicht, dass die eine Tochter hat. Aber eine Maria war bei uns, eine aus dem erweiterten Bekanntenkreis, die gerne zurückgezogen lebt. Die und ihre Tochter waren bei uns."
"Ui, dann war es Maria Valdez, die wegen dieser Abgrundsdirnen aus Spanien flüchten musste. Klar, gemeinsame Erlebnisse austauschen. Muss ich ja auch nicht alles wissen. Bin ja keine Reporterin", erwiderte Brittany und schenkte Millie damit zweifach ein. Die steckte das aber locker weg und sagte: "Neh, nur eine vielleicht schwangere Gemeinderatssekretärin. Da kriegst du genug Zeug auf den Tisch, das nicht jeder wissen muss."
"Wohl wahr", knurrte Brittany. So, und jetzt das übliche?" Julius und Millie nickten und winkten Aurore, Chrysope und Clarimonde näher zu sich. Dann begrüßten sich die drei Kinder der Latierres und Brittanys Leonidas, wobei Aurore ihm eine gute Nacht wünschte und Leonidas den dreien einen "Gudn Moagn!" zurief. Danach wurde die Bildverbindung beendet.
"Das letzte mal, wo Brittany bei euch ein Kind empfangen hat musstet ihr Clarimonde auf den Weg bringen", sagte Béatrice. Julius erwiderte darauf: "Ja, nur dass wir ja schon zwei Kinder Vorsprung haben, sollte Brittany wen neues erwarten." Darüber mussten die erwachsenen Hexen lachen. Julius war zumindest froh, dass in New Orleans alles für die ungebetene Besucherin namens Katrina vorbereitet war.
"Ich denke, die Fernsehsender und das Internet waren schneller als jede Eule oder Kontaktfeuer", sagte Brittany Brocklehursts räumliches Abbild am Morgen nach dem 29. August, der wohl für viele Bewohner Louisianas in trauriger Erinnerung bleiben würde. Julius bestätigte, dass sie alle gestern bei den Brickstons die Nachrichten verfolgt hatten, weil Catherines Schwiegereltern Reisebekannte in New Orleans hatten. "Wir haben noch nichts aus dem Weißrosenweg. Weißt du da was?" fragte Julius.
"Zitat aus dem Kristallherold von heute abend: "Weißrosenweg trotz Hurrikanabwehrzaubern unter Wasser. Zum Glück hielten alle Wasserabweiser an den Häusern. Betrunkener Drache vollständig überflutet, möglicherweise fünfzig Gäste eingeschlossen. Rettungsarbeiten Laufen. Zitat Ende. Der Sender aus dem Weißrosenweg hat vor vier Stunden "Roter Regenschirm" gemeldet. Das heißt, dass da nur in Häuser reinapparieren sollen, die da auch wohnen. Kann sein, dass die Apparierabwehr einiger Häuser auch das von Mels und Myrnas Opa Hilfskräfte abgewiesen hat. Hoffentlich waren die so schlau mit Kopfblasen dahinzuapparieren."
"Allein schon wegen des umhertreibenden Abfalls und aller Ausscheidungen aus den Kanälen", sagte Julius trübselig. Er fühlte mit den Bewohnern von New Orleans, die das Pech hatten, dass gleich zwei Schutzdeiche brachen und die Stadt deshalb zu großen Teilen überflutet worden war, weil sie sieben Meter unter Meeresspiegelhöhe lag.
"Ministerin Bullhorn hat den Notfallplan "Roter Drache" ausgerufen, also das, was bei den Nichtmagiern der nationale Notstand ist. Alles was wassertaugliche Fahrzeuge hat und sich mit Unterwasserarbeiten auskennt soll da hin und wird vom Ministerium unterstützt, mit Neugeld natürlich. Außerdem wurde die Auszählung der Stimmen für oder gegen eine neue Föderation auf Mitte September verschoben, weil die Rettungsmaßnahmen Vorrang haben und erst einmal vollständig abgeschlossen sein sollen, bevor Zitat "Kutsche und Pferde ausgetauscht werden könnten" Zitat Ende. Ich wurde von Mrs. Hammersmith ausdrücklich angewiesen, gleich ins Bett zu gehen und erst um neun Uhr unserer Zeit wieder bei ihr im Büro aufzutauchen. Hatte bis vor zwei Stunden Überstunden draufgelegt, um unseren Beitrag zur Unterstützung abzustimmen. Ich hätte die Zeit besser mit Quodpot verbracht, dann wäre ich jetzt nicht so platt."
"Öhm, falls die was brauchen, was wir haben, Britt, möchte Mrs. Hammersmith unseren Dorfrat antexten. Ich schick gleich eine Eule rüber zu Madame Delamontagne und schreibe der, dass ich von dir einen Kurzbericht mit dem erwähnten Kristallheroldabschnitt bekommen habe."
"Na ja, wir selbst brauchen ja keine Hilfe, hoffe ich. Aber falls ihr denen in N. O. helfen wollt könnt ihr das ja über euer Arkanet ... Ach neh, geht ja nicht mehr, weil Bullhorn deine Mom nicht mehr da haben wollte."
"Übers LI geht's noch", sagte Julius. "Nicht das am Ende noch St. Louis Nummer eins abgesoffen ist."
"Ruf da bloß keinen großen Drachen, Julius. Am Ende sind da doch ein paar stillgelegte Zombies verbuddelt, die meinen, jetzt die Stadt aufmischen zu müssen", erwiderte Brittany. "Ich dachte eher daran, dass da Marie Laveaus Grabhaus steht. Ich weiß nicht, ob ihr das gefällt, wenn ihre Gebeine wegschwimmen."
"Könnte ärgerlich sein", sagte Brittany. "Okay, falls wir was brauchen, das ihr habt digekastelt euch Stella an, gebe ich weiter, wenn ich bei ihr vorsprechen darf."
Das übliche Überseegrußritual der Kinder fiel wegen der betrüblichen Nachrichten etwas weniger beschwingt aus, auch wenn Viento del Sol selbst nicht betroffen war. Aber sicher hatten da etliche Leute Freunde oder Verwandte. Julius dachte an das Haus der Porters. Hoffentlich war das gegen die Wassermassen abgesichert. Dann dachte er daran, dass die nichtmagischen Bewohner der Jazzmetropole im Mississippidelta nicht so viel Glück hatten. Wieviele Menschenleben und Sachschäden die Überflutung der Stadt forderte würde wohl erst in einigen Wochen bekannt sein.
Als Julius im Büro war fand er eine Anfrage von Pierre Marceau vor. Hatte er die Ehe schon satt? Nein, er hatte Brieffreunde in New Orleans und wollte wissen, ob Julius was drehen konnte, um zu klären, wie es denen ging, weil er sonst wohl erst mal für nichts mehr zu gebrauchen war, so Gabrielle. Julius musste wieder den Ernst der Anfrage grinsen. Gabrielle wollte von ihm wissen, was mit Pierres Freunden los war, weil er sonst zu nichts mehr zu gebrauchen war. Das klang schon so zweideutig, dass es schon wieder eindeutig war. Aber warum schrieb sie ihm das nicht selbst? Klare Frage, klare Antwort: Weil eine Dame sowas nicht schrieb.
Nicht nur um das Eheleben der Marceaus zu retten, sondern auch wegen der aus Frankreich übergesiedelten Hexen und Zauberer aus der Kolonialzeit, die dort Nachkommen bekommen hatten, durfte Julius höchst offiziell das Laveau-Institut anschreiben und die Anteilnahme bekunden. Er bekam zur Antwort:
Sehr geehrter Monsieur Latierre,
danke für Ihre bekundete Anteilnahme wegen der trotz aller Vorbereitungen doch schwerwiegenden Lage. Zunächst darf ich Ihnen einen Gruß unserer Namensgeberin übermitteln, das ihr langjähriges Zuhause noch steht und sie uns somit weiterhin unterstützen kann. Des weiteren haben sich Ihre Vorschläge und Maries Anweisungen bezüglich der Hurrikanvorbereitungen gut ergänzt, so dass wir bisher nur zehn Todesopfer zu beklagen haben, Hilfskräfte aus anderen Zauberergemeinden, die versucht haben, in den Weißrosenweg vorzudringen und nicht früh genug an Atemschutzmaßnahmen gedacht haben. Unsere Namensgeberin hat jedoch was von klagenden Häusern verkündet. Die suchen die von uns abgestellten Rettungsexperten gerade. Denn außer dem Weißrosenweg gibt es ja noch anderswo in New Orleans Häuser von Mitgliedern unserer Gemeinschaft.
Wir nehmen das von Ihrer Behörde unterbreitete Angebot sehr gerne zur Kenntnis und möchten prüfen, inwieweit wir welche Unterstützung erbitten können oder müssen. Wir erfuhren auch, dass bereits der Gemeinderat ihrer Heimatortschaft Unterstützung angeboten hat. Womöglich wird auch von VDS aus geprüft, worin eine erfolgsversprechende Unterstützung besteht.
Die Familie Rosier befindet sich wohlauf, da sie bereits vor zwei Tagen zu Verwandten in Olympia, Washington gereist sind, um abzuwarten, wie sich die Naturkatastrophe auswirkt. Ihr Client wird zeitnahe nach dieser unserer Nachricht von Mr. Jean und Ms. Lorene Rosier kontaktiert. Bitte geben Sie dies Ihrem Clienten so weiter!
Ansonsten hoffen wir, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen, sowie Ihre Familienangehörigen wohlauf sind und wünschen Ihnen trotz der betrüblichen Nachrichten aus unserem geliebten Heimatort einen freundlichen und stressarmen Tag und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
S. O'Hoolihan
"Sie schrieben nichts von einem Clienten, den Sie haben", meinte Belle zu Julius, als sie aus der für ihre aufgeprägte Aura ausreichenden Entfernung mitlesen konnte. "Da wird wohl wer wieder mit alten Knochen gewürfelt haben", sagte Julius. Denn dass er sich um Maries Haus sorgte hatte er auch nur Brittany gesagt, und die wohnte zu weit weg, um von Marie belauscht zu werden. Also hatte sie wohl vorausgesehen, dass er sich nach dem Verbleib ihres "langjährigen Zuhauses" und der Verfassung einer Familie Rosier erkundigen wollte.
Am Nachmittag erfuhr Julius, dass Atalanta Bullhorn über den Gemeinderat von Viento del Sol die Entsendung des gelben Ausflugs-U-Bootes Nautilus angefragt hatte und konnte mitverfolgen, wie eines der Luftschiffe das knallgelbe Touristen-U-Boot für an die hundert Passagiere durch eine vergrößerte Frachtluke an Bord nahm.
"Bedauerlich, dass die Phalacrocorax noch nicht durch alle Leistungstests ist, Julius. Sonst hätten Bruno und ich sie persönlich rübergeflogen. Aber irgendwie scheinen Flugzauber und Überdruckausgleichszauber nicht so gut zusammenzugehen, trotz Pinkenbachexpander", grummelte Florymont Dusoleil.
"Dafür darf dann Lino mit unserem sonnengelben Blubberboot durch die überfluteten Straßen fahren, weil die dann hören kann, wo wer Hilfe braucht", sagte Millie.
"Öhm, die Himmelswurst geht gleich beim Bayoo runter, wo Mrs. O'Hoolihan das Boot und unsere Leute begrüßt", vergewisserte sich Julius. Florymont nickte. "Ich fürchte nur, dass deren Bastelonkel erst einmal alles genau untersuchen möchte, um zu wissen, wie ich unsere Nautilus gestrickt habe. Die haben im LI so einen, der noch schlimmer ist als ich, weil der nicht nur abgedrehte Zaubergegenstände baut, sondern auch ein überragender Alchemist ist. Mit der Kombi kannst du die ganze Welt aus den Angeln heben."
"Joh, wohl war. Dann heißt der Mensch auch noch Q. Hammersmith", wusste Julius, weil Brittanys Vorgesetzte mit eben jenem "Bastelonkel" verwandt war. Florymont verstand den Gag an der Sache nicht. Als Julius es ihm erklärte musste er grinsen. "Ui, oha, dann hätte ich besser doch einen Selbstvernichtungsschalter einbauen sollen." Julius musste grinsen, auch wenn der Anlass alles andere als komisch war.
Die Nautilus flog im Bauch des eilig umgebauten Luftschiffes davon und würde in wohl einer Stunde vor Ort sein. Hera meinte dann, dass genug Keimbannelixier im U-Boot sei, um die ganze Straße cholerafrei zu spülen. Julius nickte. Überflutungen und Stromausfälle und vor allem frei herumschwimmende Ausscheidungen konnten leicht zu Seuchen führen. Auch damit mussten die Nichtmagier rechnen, und er ärgerte sich, dass sie denen nicht helfen konnten.
Spät abends erhielt Millie per Digeka eine kurze Meldung über den ersten Einsatz der Nautilus in den überfluteten Straßen von New Orleans. Als sie die Meldung vollständig gelesen und die für die Zeitung freigegebenen Anmerkungen überprüft hatte fragte Béatrice, woher der rosarote Delphin gekommen sei, der bei dem Einsatz so hilfreich gewesen sei. Julius fragte zurück, ob sie das nicht ahne. Millie grinste. Jetzt begriff auch Béatrice den Gag. "Sie hat immer schon einen sehr skurilen Humor gehabt. Ich weiß noch genau, wie sie bei einem Gastvortrag in der Delourdesklinik über transfigurative Unterstützungszauber ihren linken Arm abgenommen und vor sich auf den Tisch gelegt hat, ohne zu bluten. Das hat einige Heileranwärter heftig aufspringen lassen, bis sie dann erwähnt hat, dass sie ja noch zwei Reservearme habe und dann zu einer Art indischer Göttin geworden war, wobei der abgetrennte Arm verschwunden ist. Direktrice Eauvive wollte sie da eigentlich wegen höchst gefährlichen Unfugs aus dem Saal weisen. Doch die wandlungsfähige Dame hat dann klargestellt, wie Amputationen ohne Blutverlust durchgeführt werden konnten und wie mögliche Ersatzglieder gezaubert werden konnten. Insofern ist ein rosaroter Delphin harmlos."
"Ja, und hilfreich", erwiderte Julius. "Na ja, Bruno hätte nur fast eine der Spucktüten vollgewürgt, weil sie vor der Einfahrt in den Weißrosenweg mehrere tote Menschen und Tiere passiert haben, Ddarunter kleine Katzen, die noch nicht gut genug klettern konnten", wandte Millie mit hörbarem Unbehagen ein.
"Die toten Leute werden ihm wohl eher zugesetzt haben. Ertrinken soll keine schönen Leichen hinterlassen", sagte Julius und fing sich von Béatrice einen Kniff in die Nase ein. Er bat für die mögliche Taktlosigkeit um Entschuldigung und freute sich auch, dass alle Leute aus dem Betrunkenen Drachen geborgen werden konnten, bevor der Wasserabweisezauber wirklich heftig zu flackern angefangen hatte.
GRINGOTTSCHEFDIREKTOR IN LONDON BESCHWERT SICH ÜBER UNZULÄSSIGE UNTERSTÜTZUNG IN NEW ORLEANS
"WENN IHR DENEN HELFT GIBT ES KEIN GOLD MEHR VON UNS"
Nachdem der Mirroir Magique gestern ausführlich über die große Solidarität französischer Hexen und Zauberer mit den Bewohnern von Louisiana berichtete erhielt der Chefredakteur die Kopie eines Rundbriefes des Gringottsdirektors in London, der für alle Gringottszweigstellen Europas spricht. Er bekundete seine Empörung, dass unser Land und andere europäische Zaubererweltgemeinden ohne Rückfragen Goldmittel aus Gringotts abgerufen hätten, die über Umwege nach New York transferiert wurden, von wo sie dem US-Zaubereiministerium zugekommen seien, um die Rettungs- und Bergungsmaßnahmen und einen in der Zukunft anstehenden Wiederaufbau in New Orleans zu unterstützen. In diesem Brief, der schon Heulerqualität hat, droht Gringottsdirektor Glitterrock: "Wenn ihr denen Gold gebt gibt es von uns kein Gold mehr!" Damit spielt er unbestreitbar auf den seit dem 17. August geltenden Beschluss aller Gringottsleiter Europas an, dass nur dort Koboldgold hingeschickt werden darf, wo auch Gringottskobolde arbeiten. Da dies in den nordamerikanischen Zaubereigemeinschaften nicht der Fall ist wirft Glitterrock allen Vertrauensbruch und Ehrverletzung aller Gringottskobolde vor. Seiner hier nicht in allen Einzelheiten wiedergebbaren Äußerungen nach sollten alle die, die Gold in welcher Form auch immer nach Amerika geschickt haben, diese Zahlungen umgehend zurückfordern und zugleich den hier tätigen Gringottsmitarbeitern eine Entschädigungssumme von 20 in Worten zwanzig Prozent der "unrechtmäßig" transferierten Summe erstatten. Ministerin Ventvit, die vor allem wegen der großen Unterstützung aus der französischen Zaubererweltgemeinschaft ein Lob an die Gold-, Sach- und Arbeitszeitspenderinnen und -spender ausgesprochen hat, wird im Laufe dieses Tages zusammen mit Finanzabteilungsleiter Colbert und dem neuen Koboldverbindungsbeauftragten eine Stellungnahme zu dieser Drohung abgeben. Wir vom Mirroir werden diesen Auftritt verfolgen und darüber berichten. Bis dahin bitten wir Sie alle, erst einmal Ruhe zu bewahren und nicht in übereilter Hast die Ersparnisse in Gringotts abzuheben. Dies könnte nach Einschätzung aus dem Büro für Zauberwesen als weiterer Vertrauensbruch gegen Gringotts und Missachtung der rechtlichen Belange der Kobolde ausgelegt werden. Bitte bewahren Sie Ruhe!
Das Ministerium war ein aufgescheuchter Ameisenhaufen. So empfand es nicht nur Julius Latierre. Viele hatten wohl den kurzen Artikel im Mirroir Magique gelesen und wollten nun wissen, wie es weiterging. Gerade hatte sich das Verhältnis zu Gringotts wieder eingespielt.
"Wer hat denn da gepetzt, dass wir Gold in die Staaten gerollt haben?" war eine der Fragen, die durch die Gänge, Büros und Aufzugskabinen gereicht wurden. Julius argwöhnte schon, dass ein Gringottskobold von Millemerveilles den Abtransport der Nautilus oder anderer Hilfslieferungen beobachtet haben mochte. Doch dann erfuhr er aus der Pressekonferenz, dass die Kobolde bei den Diamantenhändlern in den Niederlanden, Belgien und England Agenten hatten, die den Ankauf großer Mengen Edelsteine mit Goldmünzen aus Koboldprägung weitergemeldet hatten und etliche Edelsteine mit Auffindezaubern belegt hatten, um deren Weg nachzuverfolgen, da die Koboldverwaltung argwöhnte, dass das strickte Handelsverbot mit Nordamerika und Australien auf dem Weg des Edelsteinan- und -verkaufs unterlaufen werden sollte, was ja dann auch eingetreten sei. Allerdings konnte Mademoiselle Ventvit auch verkünden, dass sie dem Sprecher der französischen Koboldgemeinschaft die klare Zusage abgerungen habe, dass Menschen genauso das Recht hätten, anderen Menschen zu helfen, sowie die Kobolde das Recht hätten, anderen Kobolden zu helfen und eben auch bei der Unterbringung ins Exil geschickter Kobolde aus Kanada und Louisiana Menschen Kobolden geholfen hätten und weiterhin mit dem Zaubereiministerium in Viento del Sol in Verbindung stünden, um die Lage der nordamerikanischen Kobolde zu verbessern. Dies alles drohe durch den Aufruf eines Zweigstellenleiters in London in Verruf und damit zur Unwirksamkeit zu geraten. Darauf hatte der für den Mittelmeerraum sprechende Koboldpatriarch Meister Gischtbart zugesichert, dass von französischer Seite her keine Schließung von Gringotts bevorstehe, auch nicht von spanischer oder portugiesischer Seite.
"Es kann und wird nicht von der Laune eines angeblich in seiner Ehre gekränkten Bankhausleiters abhängen, ob wir alle in Frieden und wirtschaftlichem Wohlstand leben dürfen oder nicht", so die Ministerin. Das war zumindest der für die Presse gültige Teil.
Nathalie durfte Julius noch vor dem Mittagessen zu einer Eilkonferenz mitnehmen, da er als Kontakter zu den Zauberern in New Orleans einen Bericht über die dortigen Hilfseinsetze geben sollte.
Die weiße Rose an der Decke war nicht nur Julius vertraut. Auch konnte er an der Anwesenheitsliste erkennen, dass die Lage nicht so beruhigt worden war wie die Ministerin es verkündet hatte.
"Monsieur Latierre, Sie sind bis Geheimhaltungsstufe S0 freigegebn. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass über Verlauf und Beschlüsse dieser Konferenz nichts an die Presse gelangen darf, da Sie ja mit einer Journalistin der Temps verheiratet sind", sagte die Ministerin. "Öhm, sollte sich aus dieser Verbindung ein gewisses Misstrauen im Bezug auf die hier zu erörternden Dinge ergeben, bitte ich vorab um entsprechende Wortmeldungen", sagte Ministerin Ventvit. Der Koboldverbindungssprecher merkte zwar an, dass die Versuchung groß sei, geheime Dinge an eine höchst vertraute Verwandte weiterzureichen, Julius jedoch wohl um die Auswirkungen eines Geheimnisverrates wissen dürfte. Julius bestätigte das. Barbara Latierre, die als Abteilungsleiterin für magische Wesen anwesend war sagte, dass sie den Hinweis an Julius auch für sich buchen würde, da die erwähnte Journalistin ihre Nichte sei. Colbert aus der Finanzabteilung pflichtete den Vorrednern bei und sprach Julius sein Vertrauen aus. Dasselbe tat Nathalie Grandchapeau. Julius sah, dass sie einen der silbernen Ohrringe trug.
Zunächst durfte er seinen Bericht vorlegen und auch ein Dankesschreiben des Laveau-Institutes für die rasche und punktgenaue Hilfe aus Frankreich. Immerhin seien fast alle wegen der fluktuierenden Wasserabweisezauber an einer Flucht durch Disapparieren gehinderten Bewohner und Besucher des Weißrosenweges noch vor dem Zusammenbruch der Wasserabweisezauber gerettet worden, auch der in einem Zustand großer Desorientierung in seinem Haus aufgefundene Mr. Livius Porter, der selbst keine Klopfzeichen oder Rufe von sich geben konnte. Man bedauere den Verlust von fünfzig Mitbürgern, die wegen unzureichender Wasserabweisezauber in ihren Häusern ertrunken seien und nicht im Schutze des Weißrosenweges gewohnt hätten. Die wegen des andauernden Wasserdrucks nachlassenden Abhaltezauber zusammengebrochenen Häuser beherbergten noch die Habseligkeiten, die bei der Rettung nicht mitgeführt werden konnten. Hier hoffe man auf einen von den Ministern der Staaten, Kanadas und Mexikos auf einen Entschädigungs- und Wiederaufbaufond, wenn die Wassermassen wieder abgeflossen seien und die Schäden im einzelnen erfasst werden könnten.
"Wieso konnten die nicht von drinnen disapparieren?" wollte Monsieur Colbert wissen. Julius blickte in die Runde, weil er die Frage nicht beantworten konnte. Da meldete sich Nathalie Grandchapeau. "Weil die Wasserabweisezauber auf Silberne Türbeschläge und Jalousien gewirkt wurden, wobei das Silber als Verbindung zwischen Wasser und Mond als Ecke eines thaumaturgischen Dreiecks diente, bei dem eine Zone räumlicher Abweisung auf eine unbelebte Bedrohung, in dem Fall wasser, fungierte. Dieser Zauber ist bei reinen Sturmflutanströmungen überaus wirksam und kann Häuser über mehr als einen Tag vor Überflutung schützen. Je mehr Wasser jedoch um das zu schützende Objekt zusammenkommt, desto stärker wirkt sich die räumliche Abgrenzung aus, vor allem im Mengenverhältnis des verwendeten Silbers. Dadurch konnten die Bewohnerinnen der überfluteten Häuser keine auf den Raum einwirkenden Zauber mehr ausführen, keine Apportationen, Asportationen oder Apparitionen. Das hat wohl auch zu den bedauerlichen Todesfällen geführt, als die ersten Helfer ohne Kopfblase in die überfluteten Häuser hineinwollten." Julius konnte sich gerade noch beherrschen, Luft durch die Zähne zu saugen. Der Schutz war für die Leute zur Todesfalle geworden. "Tja, und wegen des andauernden und zunehmenden Wasserdrucks von allen Seiten hielten diese Zauber dann auch nicht so lange vor wie bei reinen Regen- oder Sturmfluten."
"Immerhin wurden die Wasserableitungszauber in den öffentlichen Gebäuden runderneuert", fügte Julius noch hinzu. "Ja, weil der Wasserschutz von der Reinheit des verbauten Silbers abhängig ist. Je mehr es anläuft, desto instabiler oder kurzfristiger wirkt er", fügte Nathalie noch hinzu. Die Ministerin sah die Leiterin der Behörde für friedliche Koexistenz verwundert an, weil die sich offenbar so gut auskannte, obwohl sie keine ausgebildete Thaumaturgin war.
"Thaumaturgisches Dreieck? Oha, ist wohl lange her, dass ich den Begriff mal vor den Augen hatte", seufzte Barbara Latierre. Julius nickte nur, weil er Nathalies Ausführung vollkommen nachvollziehen konnte.
"Auf jeden Fall vielen Dank für Ihren Bericht und Grüße an die Absender aus dem Laveau-Institut", sagte die Ministerin. Dann ging es darum, warum hier eine Rose hing. Denn es war mit Nichten so friedlich abgelaufen, wie die Ministerin es in der Presseverlautbarung dargestellt hatte. Gischtbart hatte vielmehr Druck von einer anderen Stelle erhalten, sicherzustellen, dass kein französisches Koboldgold für belgische Diamanten ausgegeben werden sollte oder die Kunden, die diese Steine angekauft hatten mit horrenden Entschädigungsgebühren oder Verliesvorenthalt zu konfrontieren. Pierroche hatte das jedoch abgelehnt, da er nicht schon wieder wegen unzuverlässiger Goldverkehrszusagen belangt werden wollte. Deshalb gäbe es nun unter den Kobolden des Festlandes und Britanniens einen Konflikt, dessen Ende noch nicht abzusehen sei. Auch hatte Gischtbart erwähnt, dass wenn sie, wobei er keinen Namen nannte, herausfänden, wer das Handelsverbot mit Nordamerika und Australien unterlaufe, ziemlich sicher großen bis unumkehrbaren Schaden erleiden würde. "Ja, so wie es sich anhört empfand ich es auch: Eine Morddrohung gegen alle, die sich offen oder nachverfolgbar an dem Gold-Diamanten-Eintausch für die Opfer von Louisiana beteiligten. Deshalb diese weiße Rose dort oben. Kein magischer Mensch außerhalb dieses Raumes darf davon was erfahren", sagte die Ministerin.
"Dann kriegen wir aber alle Ärger, wenn wirklich jemand deshalb stirbt", sagte Julius und sah den Koboldverbindungsbeamten an. Dieser nickte verhalten und bat ums Wort.
"Ich offe, die Antwort der Ministerin ist schon dort, wo sie hin soll. Sie hat erwidert, dass für jeden von Koboldhand oder durch einen magischen Unfall sterbenden Zauberer zehn Kobolde in ein schmiedeeisernes Gefängnis geschafft würden, wo sie qualvoll verhungern würden, ob dabei welche von den Mördern oder zumindest deren Angehörige sind sei egal. Habe ich das richtig zitiert, Mademoiselle Ventvit."
"Ja, haben Sie", bestätigte die Ministerin. "Ich bin es nun wirklich leid, dieses Thema, ob wir alle noch mit den Kobolden friedlichen Gold- und Wertstoffhandel treiben können oder nicht, zu einer Frage von Leben und Tod zu machen. sie wissen alle, dass ich mich für die friedliche Koexistenz aller Menschen und Zauberwesen verwende und dies auch in meiner Antrittsrede verkündet habe. Es kann jedoch nicht sein, dass der geheime Überwachungs- und Vollstreckungsdienst der Kobolde Menschenleben bedrohen darf und diese Drohung womöglich auch wahrmacht. Mag sein, dass diese selbst von den Kobolden gefürchteten Spione und Henker ihre eigenen Leute nicht besonders hoch einschätzen. Aber wenn sie zum Tod anderer Kobolde führen geraten sie sicher auch bei den Kobolden in Misskredit. Ab einem bestimmten Punkt wird Angst zu Wut und Wut zu Entschlossenheit. Darauf setze ich, und ich hoffe, die unsichtbaren Augen und Ohren hinter dieser Morddrohung wissen das auch. Solange niemand stirbt muss auch niemand davon wissen, daher die eingangs gestellte Vertrauensfrage. Kommt jemand ums Leben, werden wir sehr schnell ermitteln, ob Menschen oder Kobolde dahinterstecken. wir sind und bleiben eine auf Recht und Ordnung gründende Verwaltungsbehörde. Ja, und Monsieur Latierre, ich sehe Ihnen die Frage an, dass wenn wir keine Leiche finden sollten, woher wir dann wissen, dass jemand ermordet wurde und nicht auf unbestimmte Zeit verreist ist. Das wiederum wissen die Kobolde nicht und dürfen es auch nicht wissen, dass sehr verschwiegene Thaumaturgen mittlerweile die Unsichtbarkeitszauber der Kobolde nachvollziehen und ein Ortungsverfahren dagegen entwickeln konnten, das mit einem lautlosen und ebenso für Kobolde unsichtbarem Meldezauber verknüpft wurde. Wir können damit gezielt Bereiche überwachen, wo wir mit unsichtbaren Kobolden rechnen müssen. Auch diese Information darf diesen Raum auf keinem Weg verlassen. Alles auf Stufe S0, Messieursdames. Da hob Julius noch einmal die Hand und bat ums Wort: "Dann muss ich doch jetzt Ffragen, warum ich das wissen darf, wenn ich es nicht weitergeben darf, wofür ich vollstes Verständnis habe."
"Weil Sie gleich im Anschluss an diese Geheimkonferenz mit mir eine Besprechung mit Madame Léto haben werden, die ebenso geheim ist wie diese Konferenz und daher in diesem Raum stattfinden wird. Also behalten Sie bitte das gerade gehörte für sich und verweilen Sie weiter in diesem Raum!" erwiderte die Ministerin.
So ging es nun darum, wie dieser Unsichtbarkeitsaufspürzauber wirkte, ohne den Kobolden zu zeigen, dass sie aufgespürt wurden. Früher waren Fußangeln oder schlichte Mausefallen oder Leimstreifen geeignet, unsichtbare Kobolde solange festzuhalten, bis ihre Unsichtbarkeit in die Erde abgeflossen war, aus der sie sie bezogen. Julius musste eingestehen, dass das für Leute, die nicht die altaxarroischen Elementarzauber konnten genial war. Es wurde daran gearbeitet, diese Zauber kostengünstig herzustellen, was bisher durch ehrenamtliche Arbeiten gewährleistet wurde. Damit konnte dann ein Netz errichtet werden, dass jeden unsichtbaren Kobold erfassen konnte. Bei der Gelegenheit wurde auch daran gearbeitet, die von Zauberstabträgern ausführbare Unsichtbarkeit zu unterlaufen, um derartig verhüllte Gegner zu kriegen. Dabei, das musste sie einräumen, griffen sie auch auf Erkenntnisse aus dem Dunklen Jahr zurück, wo unsichtbare Eindringlinge geortet werden konnten, die in eine größere Ortschaft eindrangen. Auch das sollte keiner wissen, weil sonst wieder welche "Heuchelei" und "Klar, der Zweck heiligt die Mittel!" rufen würden. Denn längst nicht alle Zauber waren gutartig.
"Kommen wir nun zum Aktionsplan, den Madame Latierre für den Fall einer menschengefährdenden Aktivität seitens der Kobolde erarbeitet hat." Barbara Latierre erwähnte nun, was bei der Aufspürung eines unsichtbaren Koboldes geschehen sollte. Erwischten sie einen Attentäter, hatte der die Wahl zwischen Aussetzen auf einer Insel irgendwo im Südatlantik oder erwähnte Hungerhaft in einem schmiedeeisernen Kasten. Julius ritt der Wichtel, nach Wortmeldung einzuwerfen, dass auf Erdölbasis erzeugte Kunststoffkisten den gleichen Effekt hätten und in der Anschaffung billiger seien. Dass er damit womöglich mithalf, Kobolde qualvoll hinzurichten wusste er und räumte ein, dass er hoffte, dass diese drastische Vergeltungsmaßnahme niemals ausgeführt werden müsse, sowie die Atommächte auch immer noch hofften, niemals ihre Kernwaffen einzusetzen. Was Kernwaffen waren wusste der Koboldverbindungsbeauftragte nicht. "Ist nicht so heftig wie die SNG, aber nicht minder zerstörerisch, wenn genug Waffen eingesetzt werden können", sagte Ventvit. Julius überlegte kurz, was mit SNG gemeint war und erbleichte. Natürlich war damit die Substantia non Grata, der unerwünschte Stoff gemeint, der in kleinsten Mengen große Verheerungen anrichten konnte. Das Zeug, was die Nichtmagier Antimaterie nannten, kannte der Kollege aus dem Koboldverbindungsbüro, wie er an dessen plötzlicher Gesichtsblässe ablesen konnte.
"Ich nehme Ihren Einwurf und Ihre Hoffnung als Ansatz für meine Abschlussbemerkung, Monsieur Latierre und füge dem hinzu: Wenn die Kobolde, vor allem deren Bankleiter und Gemeindevorstände sich auf dieses höchst fragwürdige Unterfangen von Drohung und Vergeltung einlassen, dann gefährden sie maßgeblich ihre eigene Existenz. Denn die Nordamerikaner haben sehr deutlich vorgeführt, dass es wirksame Massenabtötungswaffen gegen Kobolde gibt, die üblichen Menschen nichts anhaben. Da auch und vor allem der sich selbst als Bund, der alles sieht und alles weiß bezeichnende Geheimdienst der Kobolde dies sehr genau weiß, wird er sich die Frage stellen müssen, wie viele tote Kobolde die Aufrechterhaltung eines Handelsverbotes rechtfertigen. Ich schätze Gischtbart so ein, dass er es auf jeden Fall nicht darauf anlegen will. Damit sind wir dann wieder bei dem, was ich vor der versammelten Nachrichtenzunft verlautbart habe. Sollte Ihre Ehegattin, Monsieur Latierre, oder Ihre Nichte, Madame Latierre, Sie fragen, ob Sie nähere Kenntnisse erhalten haben, so geben sie bitte zur Antwort, dass Meister Gischtbart erschrak und einen blutigen Krieg befürchtet, sollte es wieder zu Zugangsbeschränkungen kommen. Verweisen Sie auf die Aktionen in Nordamerika, die zur Besetzung von Gringotts durch Zauberer der Dreizackföderation und die Exilierung der Kobolde führten. Die wurden ja doch sehr ausgiebig wiedergegeben. Ansonsten hoffe ich sehr, dass Ihr aller Vertrauen in mein Wohlwollen magischen Wesen gegenüber nicht zu großen Schaden erlitten hat und bedanke mich für Ihre Teilnahme und vor allem Verschwiegenheit. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Arbeitstag."
Julius wartete, bis alle anderen weg waren. Dann sagte die Ministerin: "Ich frage mich ernsthaft, ob ich bei der nächsten Wahl noch einmal antreten soll. Wie hat Armand Grandchapeau diesen Drecksberuf aushalten können."
"Wie ein Toilettenputzer oder Kanalreiniger. Wenn es keiner macht ersaufen wir alle in der Sch.. öhm, Schweinerei", sagte Julius, der voll und ganz verstand, was die Ministerin so aufbrachte.
"Öhm, wir haben aber nicht erfahren, ob Ihre Vergeltungsdrohung auch am Ziel angekommen ist", sagte Julius. "Doch, ist es. Es wurde nicht gesagt oder mentiloquiert, aber der Kollege hat einen entsprechenden Gesichtsausdruck gezeigt, dass er schon wusste, wen er da ansprechen musste", sagte die Ministerin. Dann nahm sie eine kleine Silberglocke ohne Klöppel und winkte damit. Zwei Minuten später betrat Léto den Konferenzraum.Nun ging es darum, dass die Veelas, die ja wegen ihrer Fähigkeiten auch gegen unsichtbare Kobolde eingesetzt werden konnten, auf entsprechende Betätigungen in der Nachbarschaft achtgeben sollten und Léto eine geheime Sondervollmacht für ihre Blutsverwandten erhielt, ähnlich wie bei der Suche nach Ladonnas Agentinnen auf unsichtbare Kobolde aufzupassen. Julius hatte mal wieder die fragwürdige Ehre, als geheimer Mitwisser zu dienen aber jetzt auch als Kontaktperson für diesen Supersondergeheimauftrag, von dem natürlich auch niemand was mitbekommen durfte, weil das schon klar in die Richtung Bespitzelung lief. Das erwähnte auch Léto. Als sie dann unter dem Zeichen der Rose erfuhr, was in diesem Raum vorher erwähnt worden war und es diesen Raum nicht verlassen durfte sagte sie: "Glitterrock steht unter der Herrschaft eines sogenannten Leitwächters, eines Führungsoffiziers jenes lästigen Vereines, der sich als Bund der zehntausend Augen und Ohren bezeichnet. Die gehen über Leichen, auch über die unschuldiger Kobolde, Ornelle. Deshalb sind sie ja so gefürchtet wie der Verbrecher, dessen Namen Sie alle nicht nennen wollen, obwohl es nicht sein wahrer Name war. Aber mit der Vermutung, das zu viel Angstdruck eine Überlebenswut und Entschlossenheit hervorrufen könnte haben Sie hoffentlich recht. Also, wenn uns vom Ältestenrat eine derartige Vergeltungsandrohung zukäme würden wir denen, die wir für fähig halten, solche Untaten zu begehen, klarmachen, dass sie unsere Gemeinschaft zu verlassen haben, notfalls dadurch, dass deren älteste Blutsverwandten, bestenfalls deren Großmütter oder Urgroßmütter, den letzten Schnitt vollführen."
"Von dem du mir bis heute nicht sagen wolltest, was damit gemeint ist", sagte Julius.
"Weil es das übelste noch vor dem Tod ist, was man einem Kind Mokushas zufügen kann. Wer das macht, ohne dazu berechtigt zu sein, hätte früher genauso die Blutrache der Veelastämmigen hervorgerufen wie bei einer Tötung, ja, sogar schlimmere Tötungsweisen gerechtfertigt. Nur die älteste Blutsverwandte darf das tun, und dann auch nur, wenn sie ganz und gar sicher ist, dass der oder die betroffene sich im Leben nicht mehr bessern oder den angerichteten Schaden nicht mehr begleichen kann. Euphrosyne ist da noch einmal drum herumgekommen. Ich stand schon ganz nahe davor, es bei ihr zu machen", entgegnete Léto mit unverkennbarer Verärgerung.
"Der letzte Schnitt ist, wenn man einem Veelastämmigen alle Kopf- und Intimhaare bis auf ein einziges Kopfhaar abschneidet und dabei die Ahnenfolge von ihm Rückwärts bis zur Ururgroßmutter der ausführenden Vollstreckerin ausspricht, also sozusagen die Ahnenfolge abschneidet", sagte Ornelle. Léto funkelte sie stahlblau an, während Julius mal wieder das Lied des inneren Friedens anstimmte. Denn er trug ja seinen Silberstern nicht bei sich.
"Ich habe dir das nicht gesagt, Ornelle, und wegen der Rose dort oben bleibt das auch so, dass du es nicht gesagt hast. Aber um deine Neugier endgültig zu befriedigen, Julius: Ja, wer so behandelt wird und das eigene Leben nur noch an einem einzigen Haar hängt, kann danach nie wieder die Veelakräfte ausführen und altert mit zehnfacher Geschwindigkeit. In den Sagen Osteuropas wurde behauptet, dass schon der Verlust eines einzigen Haares eine Veela töten kann. Der letzte Schnitt kommt dem sehr, sehr nahe. Denn wenn eine Veela alle Haare gewaltsam verliert stirbt sie auf der Stelle. Wird nicht der rituelle letzte Schnitt ausgeführt, sondern nur die Haare bis auf eines abgetrennt, dauert es zwei Jahre, bis die Veela ihre Kräfte wieder einsetzen kann, ist aber bis dahin um zwanzig Jahre gealtert. Beim letzten Schnitt verläuft die Alterung bis zum frühen Tod weiter, ohne dass die Betroffene ihre Kräfte je wieder einsetzen kann. So, ich hoffe jetzt, dass du mich nie wieder danach fragst, Julius."
"Ich bitte für meine Neugier um Entschuldigung und versichere, dass ich alle Fragen bezüglich dieser drastischen Bestrafungsweise beantwortet bekam und nicht weiter davon sprechen oder anderen darüber berichten werde", sagte Julius für ein nicht mitgeschriebenes Protokoll.
"Gut, du bist einverstanden, deine Verwandten ins Vertrauen zu ziehen, für uns bis zur Einrichtung einer eigenen Absicherung die Umgebung zu beobachten?" fragte Ornelle Ventvit. Léto atmete tief ein, dass jedem Halbwüchsigen die Luft wegbleiben mochte und sagte dann: "Weil wir in diesem Land so sicher leben möchten wie möglich und Wert auf friedliches Miteinander legen. Gut, klingt etwas scheinheilig, dafür, dass wir unsere nachbarn beobachten sollen. Aber wenn sich erweist, dass es keinen Grund mehr dafür gibt muss es auch keiner wissen." Julius bezeugte ohne Protokoll und Unterschrift, dass er diese Zusage mitbekommen hatte.
Dann war es auch schon fast zwölf Uhr. Julius beschloss, jetzt schon zum Mittagessen zu gehen. Man hatte ihm wieder eine Menge Zeug aufgeladen. Dagegen war der Heilsstern ein Klacks. Das alles nur, weil ein paar selbstherrliche Wichte mit spitzen Ohren nicht einsehen wollten, dass Menschen Menschen halfen, egal wo diese wohnten.
"Gewalt mit Vergeltung zu bedrohen war noch nie einfach", hörte er Temmies Gedankenstimme. Da wusste er, dass die Rose nicht ganz so zuverlässig geholfen hatte. Doch er tadelte die große Vertraute nicht dafür, dass sie bei ihm mitgehört hatte. So war er mit diesem Ballast an schmutziger Politik nicht alleine.
Um nicht doch noch von der Geheimkonferenz anzufangen sah Julius zu, dass er im Speisesaal weder mit Barbara noch Midas Colbert zusammentraf. Diese dachten wohl wie er und hatten sich schön weit voneinander hingesetzt. Julius unterhielt sich mit seiner Kollegin und Schwiegertante Primula Arno über die Abstimmung der Hilfsmaßnahmen in Louisiana. "Mrs. Hammersmith hat die letzten Mitsehaugen aus Buggles' Beständen eingesetzt, um abgerichtete Falken zur Suche nach Vermissten im Cajun-Gebiet einzusetzen", sagte Primula. Julius erfuhr, dass Stella Hammersmith vom Laveau-Institut aus E-Mails verschicken konnte. Besser, sie konnte von der Außenstelle des Institutes aus mailen, weil im Institut selbst kein elektronisches Gerät funktionierte und längst nicht jeder dort hineinkam. "Dann sitzt sie jetzt im Bayoogebiet und koordiniert die Suche?" fragte Julius. "So ist es. Dieses knallgelbe U-Boot, was ihr denen geschickt habt, ist jetzt in den anderen Stadtteilen unterwegs, um dort lebende Zauberer und Hexen aufzusammeln. Die haben es da umbenannt, nicht mehr Nautilus, sondern Good Hope."
"Gute Hoffnung? Och joh, und hat Bruno den Namenswechsel bestätigt?" wollte Julius wissen. "Für den Missionseinsatz auf jeden Fall", sagte Primula.
Julius Mutter Martha betreute derweil drei Anwärter, die erst ein Jahr im Ministerium waren und erst einmal die ganze Bürokratie und Vorschriften hatten pauken müssen. So konnte Julius mit ihr keine private Unterhaltung führen.
Belle löste Primula ab, während Jacqueline Richelieu, die als Anwärterin durch die einzelnen Bereiche der Behörde praktizieren sollte, die Feinheiten einer IP-Adress-Recherche ausprobierte.
Später im Apfelhaus gab er wegen der Verlautbarung vom Morgen genau das wider, was Ornelle gesagt hatte. "Ja, weiß ich schon von Tante Babs. Aber für sowas braucht man keinen Geheimraum, in dem alle hohen Leute zusammenkommen, die sich mit den Kobolden und dem Handel befassen", sagte Millie. "Diesmal so heftig, dass du es mir mal nicht erzählen willst? Haben wir jetzt Krieg mit den Kobolden oder ist eine Todeskandidatenliste gefunden worden?"
"Bitte nicht spekulieren. Die Wahrheit ist heftig genug", seufzte Julius. "Deshalb darf davon nichts aber auch garr nichts angedeutet oder vermutet werden", sagte er.
"Gut, ich sehe es ein, die haben dir was erzählt, was echt heftig ist und ich dir dabei nicht helfen kann. Sonst hätte es mir Temmie schon längst weitergereicht, und das weißt du."
"Da hast du recht, Millie, zumal ich selbst auch nichts dabei machen darf, sondern es nur mitbekommen habe. Mer ist nicht drin, dictum sub rosa."
"Das wiederum könnte ich so jetzt in die Temps schreiben und damit alle Wichtel und Kobolde aufs Dach scheuchen. Aber ich sehe es ein, dass das dir nicht gefällt, es zu wissen. Dann sollte ich das auch nicht wissen wollen. Ich leg dir das nicht als Vertrauensverlust aus, Monju. War doch klar, dass die dir und Tante Babs irgendwann doch mal die wirklichen Hammersachen erzählen oder abverlangen, von denen echt keiner mehr als nötig was wissen sollte", sagte Millie. "Ich zitiere dann Tante Babs, weil die offiziell für Kobolde Zuständig ist und halte dich ganz raus", sagte sie noch. Das beruhigte Julius.
Dass die Nautilus im Moment als Good Hope durch die Sümpfe schnurrte durfte Millie jedoch bringen. Sie fragte Gilbert jedoch, warum er das noch nicht erwähnt hatte. Die Digeka-Antwort lautete: "Da war wohl euer Internet wieder schneller als unsere Eulen und Sprechdosen."
Julius schaffte es, den restlichen Nachmittag und Abend fröhlich genug für seine Kinder zu sein, auch wenn er mal hier und da ein strenges Wort sprechen musste, wenn Chrysope meinte, Clarimonde an den Haaren zu reißen oder versuchte, Aurores ersten brauchbaren Flugbesen zu stiebitzen. Er musste erkennen, dass wo Aurore als die große Schwester echt schon mehr Vernunft zeigte, als für eine Fünfjährige zu erwarten war, gebärdete sich die Mittlere als kleiner Frechdachs, und dass, obwohl sie am Murmeltiertag geboren worden war.
"Die Rettungsaktion für New Orleans hat die neuesten Umfragen umgeworfen. Jetzt wollen doch sehr viele eine neue Föderation, weil die als solche mehr machen kann als die Einzelstaaten. Aber das werden sich die Kleinstaatler nicht lange bieten lassen", berichtete Brittany. "Ach ja, und Stella meint, dass unsere Übergangsministerin ziemlich angenervt ist, dass Tante Martha mit dem LI die Rettungsaktionen abgestimmt hat und somit klargemacht hat, dass die ohne eindeutige Genehmigung des Zaubereiministeriums mehr Internetknoten in den Staaten eingerichtet hat. Habe ich ihr auch schon gesagt. Sie sagte dann "Quod erat expectandum", was immer das heißt."
"Was zu erwarten war", übersetzte Julius Brittanys lateinisches Zitat. Dann fragte er, ob deshalb noch Ärger anstand. Brittany meinte dazu, dass sie dafür Bullhorns Gedanken lesen müsste, und die könnte garantiert sehr gut okklumentieren. So zog er seine Frage zurück. Er würde es sowieso früher mitbekommen als ihm oder seiner Mutter lieb war. Brittany las das wohl von seinem Gesicht ab und sagte noch: "Im Zweifelsfall kann sie offiziell für das LI arbeiten, wenn klar ist, wie es im Land weitergeht." Das nahm Julius als beruhigende Aussicht zur Kenntnis.
Dann ging es noch um die Hilfe für die Sturm- und Überflutungsopfer. Zum Glück war es bei der für Zaubererweltverhältnisse schon ziemlich hohen Zahl von 50 Todesopfern geblieben. Das gelbe U-Boot aus Millemerveilles unterstützte nach den Rettungsfahrten nun die reine Schadensaufnahme. Große und/oder hohe Häuser wie der Betrunkene Drache waren zusammengebrochen, allerdings erst Stunden nach der Rettung der Eingeschlossenen. Das war den bis dahin tadellos wirkenden Wasserableitungszaubern zu verdanken gewesen, die erst dann zusammengebrochen waren, als die Talsenke von New Orleans mehr als sieben Meter hoch überflutet worden war. Mr. Davidsons Haus am Pontchartrainsee war aus seinen Fundamenten gerissen und umgespült worden. Auf Wassereinbrüche empfindlich reagierende Zaubergegenstände hatten ihr magisches Innenleben mit wilden Entladungen ausgehaucht. Livius' Porters Haus im Weißrosenweg stand noch, wohl weil dort wie in vielen anderen reinen Wohnhäusern durolignumelixierverstärkte Dachbalken verbaut wurden. Jede Lenzpumpe in den Schatten stellende Wasserabführzauber asportierten das in die häuser eindringende Wasser alle zwei Minuten. Doch es zeichnete sich ab, dass eine Menge Austrocknungszauber nötig waren, um die Böden und Wände zu entfeuchten und Schimmelpilzbefall zu verhüten. Was die Seuchengefahr anging war aus allen Teilen Nordamerikas Keimbann- und Blutreinigungselixier gestellt worden. Heilzunftsprecherin Greensporn hatte sich mit ihrem südamerikanischen Kollegen abgesprochen, jeden Tropfen gegen die üblichen Übel zu spenden, um die aus dem überfluteten New Orleans und Umgebung entkommenen vor ansteckenden Krankheiten zu schützen. Die Good Hope, ehemals Nautilus sollte laut Absprache zwischen Frankreich und den USA noch zwei volle Wochen in den Überflutungsgebieten eingesetzt werden, um wertvolle Gegenstände aus einsturzgefährdeten Häusern zu bergen. Hierfür fuhren dann auch Experten aus der Handelsabteilung und der Rechtsabteilung mit, um gleich bei Bergung von Dingen die Eigentümer zu vermerken.
"Viele Zauberergemälde sind vom Salzwasser aufgeweicht und zerfressen worden", sagte Brittany. "Das gilt leider auch für magische Fotos. Du kriegst das sicher aus dem LI mit, dass die in den ersten Tagen ziemlich viel damit zu tun hatten, Aufzeichnungen und Artefakte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sichern. Mels und Myrnas Opa Livius wurde aus dem HPK entlassen, nachdem sie ihn vollständig ausgenüchtert haben. Laut Mel und Myrna durfte er sich schon eine lange Strafpredigt von den dortigen Heilern anhören. Der wohnt jetzt im Glashutturm. Mels Oma Pat hat ihr geeult, dass sie schon jeden Tropfen Trinkalkohol ins Klo geschüttet hat. Falls Mr. Porter echt an der Kette von Mr. Booze hängt kommen da sehr harte Zeiten auf ihn zu. Der wollte sich echt totsaufen, Julius. Wie tief unten muss jemand sein, um das zu wollen?"
"Das kann ich dir erst beantworten, sollte es mich jemals so tief runterziehen, was ich nicht hoffe", sagte Julius. Millie und Béatrice sahen ihn erst verstört und dann erleichtert an. Brittany nickte. Für sie als Veganerin war jedes Rauschmittel ein unnötiges Gift.
"Dann hoffe ich sehr, dass er wieder auf die Beine kommt, und nicht nur körperlich", sagte Julius.
Nach dem Frühstück ging es im Ministerium weiter um das Projekt "Blickschutz". Nach den Nordamerikanern sollten auch die Ostasiaten gefragt werden, ob sie sich an einer weltumspannenden Abschirmung gegen elektronische Aufzeichnungen beteiligen wollten. Denn immer mehr elektronische Geräte stammten aus China, Taiwan, Südkorea und vor allem Japan. Julius dachte daran, dass wenn es in Europa Drachen, Nixen, Kobolde und Einhörner gab, es wohl auch die japanischen Yokai gab, von denen ihm sein Karatelehrer Tanaka einmal erzählt hatte, wenn sie Pausen zwischen Übungseinheiten gemacht hatten. Es wäre sicher nicht von Vorteil für die Zaubereigeheimhaltung, wenn ein langhhälsiger Rukorukubi von einer Überwachungskamera erfasst wurde oder ein fliegender Tengu gesichtet wurde. Da es mit Japan seit zwei Jahren auch eine Arkanetverbindung gab durfte er die elektronische Korrespondenz eröffnen. Da er die Namen Funayama und Hashimoto kannte konnte er diese im Anschreiben selbst persönlich anreden und musste nicht auf das neutrale "Ladies and Gentlemen" zurückgreifen. Er schrieb auf Englisch und besann sich auf lange, die Ehre und Anerkennung des Ministeriums betonenden Vorworten, bis er fragte, ob ein gewisses Interesse daran bestünde, magische Wesen oder im Einsatz befindliche Beamte des hochehrenwerten Ministeriums für magische Menschen, Wesen und Vorgänge vor den immer allgegenwärtiger werdenden elektronischen Augen nichtmagischer Überwachungsbehörden zu verhüllen. Allein bis zu dieser Anfrage brauchte er schon bald eine volle Seite. Dann schilderte er noch das Projekt auf drei Seiten und auch, dass viele mit dem Thema der zunehmenden Überwachungs- und Mobiltelefonkameras befassten fürchteten, dass die internationale Zaubereigeheimhaltung daran scheiterte. Er schloss den mehrseitigen Brief mit dem Hinweis, dass sein Zaubereiministerium in Geduld und ruhiger Erwartung auf die nach einer unbestimmten Bedenkzeit warten würde.
"Woher hast du das, dass du mit sovielen Bescheidenheits- und Zurückhaltungsbekundungen schreibst?" wollte Primula Arno wissen. Jacqueline Richelieu, die gerade die Trefferquoten bei Google was Zauberwesen anging ausgereizt hatte, kam herüber und las den Brief mit. "Oha, musste mein Onkel auch mal lernen, dass er einem japanischen Geschäftspartner erst demütig kommen musste, solange er von ihm was wollte. Aber dieses Blicckschutzprojekt ist doch eher was, das wir denen verkaufen wollen, oder?" fragte Babettes ehemalige Klassenkameradin.
"Nicht ganz. Die haben viele Elektronikfirmen, die Kameras und Mobiltelefone herstellen. Was bringt es uns, wenn wir im Westen alle Kameras austricksen, aber japanische Kameras fleißig Trolle, Drachen oder zaubernde Zauberer mitschneiden können. Deshalb müssen wir die mit ins Boot holen", sagte Julius. "Jetzt wo wir wenigstens ein Konzept haben, wie es ablaufen kann, können wir die fragen, was sie dabei tun möchten oder ob sie noch bessere Vorschläge haben. Am Ende haben die schon längst sowas im Gebrauch. Dann können wir es sein, die was von ihnen haben möchten."
"Ups! Könnte sein, wo die so doll auf Roboter und andere elektronische Spielsachen sind", sagte Jacqueline."
"Immerhin stammte der Steuerchip von Doc Browns Fluxkompensator auch aus Japan", warf Julius ein. Jacqueline musste erst überlegen. Dann lachte sie. "Stimmt, musste erst wieder nachdenken, weil Sci-Fi-Filme nicht ganz so meins sind."
"Stimmt, kommen weder kleine niedliche Ferkel noch Barbiepuppen vor", sagte Julius. "Wohl deshalb", knurrte Jacqueline. "Stimmt, die könnten echt mal einen reinen Barbiefilm drehen. Da würde ich glatt dreimal reingehen, egal ob alleine, mit Tochter oder Enkeltochter."
"Wovon habt ihr es jetzt?" fragte Primula. Julius erklärte es ihr während er die lange Mail mit den angehängten Ablaufgrafiken auf die Reise nach Japan schickte. "Ach diese Puppen mit den viel zu langen Beinen sind das. Soll das eher ein Schönheitsideal für Männer oder echt für Mädchen sein?"
"Hatte ich bisher keine Zeit, darüber nachzudenken", sagte Julius grinsend.
Nathalie kam herein und erkundigte sich. Wie abgesprochen siezten sich die im Rechnerraum tätigen, solange eine der Grandchapeau-Hexen in Hörweite war. Julius hörte die Kleinjungenstimme von Demetrius in seinem Geist: "Maman will einen Ausdruck der Elektromitteilung, falls du die schon fertig hast." Julius druckte den mehrseitigen Brief und die mitgeschickten Anlagen aus. "Das habe ich an die Abteilung elektronische Nachrichten der Behörde für die Beobachtung und Verständigung zwischen magischer und nichtmagischer Welt geschickt, wie sie in unserem Adressbuch steht", sagte er. Nathalie nickte und zog sich damit zurück. Ihm fiel dabei auf, dass sie wieder einen der silbernen Ohrringe trug. Also konnte sie ihrem kleinen Daueruntermieter vorlesen, was im Brief stand.
"Ah, die Antwort auf meine Anfrage in Belgien, wegen zwei von da stammenden Beauxbatons-Schülern. Die muss ich an die Ausbildungsabteilung weitergeben", sagte Jacqueline und druckte die erhaltene E-Mail aus. Dann verließ sie den Rechnerraum.
"gut, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachricht über das Büro von Herrn Funayama hinausgelangt groß genug, Monsieur Latierre. "Es ist auch gut, dass Sie von Ihrer Dienstadresse und mit ihrem Namen unter der Nachricht versendet haben. Ihre Mutter hatte mit ihm und seiner Vorgesetzten Hashimoto direkt zu tun, als sie den Japanischen Arkanetknoten einrichtete. Womöglich hilft das, dass Sie zeitnah eine Antwort erhalten", sagte Nathalie. Dann erhob sie sich und winkte den beiden Anwesenden. "Sagen Sie Mademoiselle Richelieu bitte, sie möge sich den Nachmittag für eine mündliche Abfrage in geltenden Gesetzen freihalten, um zu ergründen, wie viel sie schon kennt und wo noch Lernbedarf besteht! Danke." Sie ging hinaus. Dabei fing Julius noch Demetrius' Gedankenstimme auf: "Du darfst mittags wieder mit ihr und mir zusammen essen." Dann schloss sich die Tür.
"Oha, Lieblingsthema von Madame Grandchapeau, Leute die trockenen Regeln und Vorschriften herunterbeten lassen und amtliche Formulierungen üben lassen. Musste ich auch machen, als ich im ersten Halbjahr war", meinte Primula Arno. "Hat meine damalige Vorgesetzte auch viel Wert drauf gelegt. Doch sie meinte, dass ich das in der Praxis eher lernen würde", sagte Julius.
Zehn Minuten später war Jacqueline wieder da. Sie wirkte ziemlich angenervt. "Mann, da spring ich schon und mach mich klein für diese Muggelleute und kriege dann noch einen Abriss von Descartes' Kettenhündin, dass ich denen zu viel Honig um den Mund geschmiert hätte. Dabei hat Königin Blanche mich gelobt, dass ich die Kiste mit den zwei Mädchen aus Anderlecht so geräuschlos über die Bühne gebracht habe und die jetzt im violetten Saal wohnen dürfen."
"Ja, und weil Murphy ein gemeiner Sadist ist hat Nathalie dich heute Nachmittag zum Herbeten und Einprägen amtlicher Vorschriften und Ausdrucksweise einbestellt", sagte Julius.
"Mist, da habe ich mich noch nicht so reingekniet. Ich dachte, ich dürfte erst mal ein halbes Jahr im Rechnerraum arbeiten", grummelte Jacqueline. Primula grinste schadenfroh. "Das ist die Amtshierarchie, Mädchen. Du brauchst nicht zu denken, weil deine Vorgesetzte das für dich tut."
"Den Spruch sollte ich mir mal merken. Dann bin ich vielleicht weniger gefrustet", erwiderte Jacqueline. Dann nahm sie ihre eigene Arbeit wieder auf.
Eine Stunde später kam bereits eine Antwort aus Tokio. Ein oder eine Masa Daidoji schrieb, dass die "sehr achtsame Anfrage" an die ehrenwerte Frau Hashimoto weitergeleitet worden sei. Diese habe beschlossen, der Anfrage Aufmerksamkeit zu gewähren und über die für alle Seiten annehmbare Antwort nachzudenken. Diese Bestätigung druckte Julius aus und schickte den Ausdruck zu Nathalie und dem Leiter für internationale Zusammenarbeit, der ganz sicher bester Laune sein würde, dass seine Eule nach Tokio wohl noch ein paar Tage unterwegs sein würde, während Julius bereits aus seiner Zuständigkeit eine Antwort auf dem Tisch hatte.
Als Mittagszeit war unterhielt sich Julius mit Nathalie und Demetrius über die Hilfsleistungen für New Orleans und umgebung. Er erwähnte, dass er einige Leute aus dem Weißrosenweg kannte und mitfühlte, weil denen trotz der Wasserabweisezauber die Häuser überflutet und zerstört worden waren. "Na ja, aber es wären mehr Leute gestorben, wenn die ihre Wasserabweisezauber nicht noch mal überprüft hätten, Julius", cogisonierte Demetrius. "Allein im betrunkenen Drachen mussten zwanzig Silberjalousien und zehn silberne Haltenägel ausgetauscht werden, gerade noch rechtzeitig, bevor Katrina die Stadt erreichte und die Deiche brachen."
"Das habe ich auch gehört", dachte Julius, der mal wieder einen der weiteren Cogison-Ohrringe trug. "Ich hörte sowas, dass sie frühzeitig auf die Prüfung ihrer Schutzzauber hingewiesen worden seien."
"Soso, du hörtest das", erwiderte Demetrius auf die für ihn mögliche Weise. Nathalie erwiderte ebenfalls über die Cogison-Verbindung: "Belle durfte die Dankesworte entgegennehmen, dass die Umsicht eines unserer Mitarbeiter mit nichtmagischen Wurzeln eine ungleich schlimmere Katastrophe verhindert habe, weil er früh genug auf die möglichen Auswirkungen eines schweren Sturmes hingewiesen habe und das Laveau-Institut darauf gedrängt habe, dass alle in Louisiana lebenden Hexen und Zauberer ihre Schutzzauber prüften. Die haben da jedes Jahr tropische Wirbelstürme. Wie bist du darauf gekommen, dass es diesmal Louisiana erwischen würde?"
"Hmm, weil ich da halt wen kenne, um die ich mir Sorgen machte und da gerade am Rechner saß, als mir das einfiel", sagte Julius. Er wollte bloß nicht zugeben, dass er da wohl noch unter dem Einfluss von Felix Felicis stand, nachdem er sich durch das Herz des Seth gekämpft hatte.
"Jedenfalls sind da alle gerettet worden, die in ihren Häusern eingeschlossen waren. Jetzt müssen sie überlegen, ob beim Neuaufbau noch einmal die gleichen Wasserschutzzauber benutzt werden sollen oder es noch eine Möglichkeit geben soll, im Gefahrenfall zu disapparieren", cogisonierte Nathalie, damit Demetrius es ungedämpft von ihr mitbekam. Julius pflichtete bei, dass es für solche Gefahren Notausgänge geben sollte.
"Bleib da bitte weiter dran, Julius! Wie immer sie die Verwaltung Nordamerikas fortführen wollen ist es wichtig, gute Beziehungen in die Staaten zu haben", cogisonierte Nathalie. Demetrius fügte dem hinzu: "Zumindest was das Laveau-Institut angeht. Was die Hauptverwaltung angeht und diese ganzen Gouverneursstellen bin ich da nicht so zuversichtlich. Da könnten doch viele ihre eigenen Ideen verwirklichen und sich die ganze mögliche Föderation am Ende als großer Ledersack voller wilder Bienen entwickeln, die drauf ausgehen, sich gegenseitig abzustechen."
"Das hoffe ich doch mal nicht", erwiderte Julius. "Weil du nicht alle kennst, die da in den letzten Wochen aus ihren Löchern gekrabbelt kamen", erwiderte Nathalie. "Vielleicht hast du von dem einen oder der anderen schon gehört. Aber Demetrius' Vater kannte da noch Leute, die der Zeit des allgegenwärtigen MAKUSA nachgetrauert haben und dann eher für nur Texas oder nur Georgia eingetreten sind." Demetrius bestätigte das. Julius erkannte, dass Nathalies "Bauchgefühl" nicht so danebenliegen mochte. Immerhin hatte Brittany von vielen Gruppierungen geredet, die ihre eigenen Ansichten durchsetzen wollten, von Nomajfreien Zaubererweltinstitutionen, über von allen europäischen Einflüssen freie Leute bishin zu reinen Zauberer- oder reinen Hexenclubs, die die Vorherrschaft bestimmter Geschlechter oder Familien verlangten. Das alles stand ja nun zur Wahl und würde wegen Katrina erst Mitte September offiziell bekanntgegeben. Dazu kam nun noch das Koboldembargo gegen amerikanische Produkte, weil Bullhorn keine Anstalten gemacht hatte, die Kobolde ins Land zurückzulassen und denen auch noch Entschädigungen zu zahlen. Am Ende lief es echt auf ein unseliges Prinzip "Wir gegen alle anderen" hinaus. Deshalb wollten die von VDS auch noch nicht ihren Feindeswehrzauber aufheben. Deshalb zogen auch viele kalifornische Hexen und Zauberer aus den Städten nach VDS hin. Seine Mutter wollte da ja auch wohnen, falls sie ein Haus bekam und falls sie dort auch einen Computer laufen lassen konnte.
Immerhin hatten die französischen Kobolde sich klar dazu geäußert, Gringotts offenzuhalten. Das stimmte ihn zuversichtlich als er wieder in den Rechnerraum zurückkehrte. Dort fand er eine ausführliche Antwort von einer Kazuko Hashimoto aus der kaiserlichen Behörde für umsichtiges achten auf friedliches Miteinander zwischen Menschen mit und ohne zauberische Kräfte. Er pfiff fast vor Erstaunen. Die Büroleiterin persönlich schrieb auf seine Anfrage.
Der mit den nötigen Achtungs- und Respektsformeln versehene Brief war eine Einladung an die Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit, sowie für magische Gesetze und die Verwaltung magischer Wesen, wie auch die Behörde für friedliche Koexistenz, so wie deren Unterabteilungsleiter für elektronische Verständigungs- und Aufzeichnungsverfahren und Handhabung von Vorkommnissen zwischen magischer und Nichtmagischer Welt. Das Einverständnis der schnellen Weiterleitung voraussetzend hatte Frau Hashimoto die Anfrage vom Morgen an die betreffenden Abteilungen ihres Zaubereiministeriums weitergeleitet. Das Treffen konnte je nach Terminlage und Zustimmungsbereitschaft zwischen dem 20. September und 10. Oktober in Tokio stattfinden. Frau Hashimoto stellte trotz aller Bescheidenheitsfloskeln klar, dass es ihrem Zaubereiministerium sehr wichtig sei, das erörterte Problem zur Zufriedenheit aller damit befassten Zaubereiministerien zu lösen, da sie ja ebenfalls erkannt hatte, wie viele feststehende und bewegliche Kameras mit Internetverbindung es in ihrem Land gab. Auch sei es sicher von Vorteil, diese neue Ausgangslage mit den chinesischen Kollegen zu erörtern. Doch dies, so Frau Hashimoto weiter, wolle sie vom Ausgang der sicherlich "höchst erkenntnisfördernden" Unterredung mit den europäischen Vertretern erwägen, um den chinesischen Kollegen nicht den Eindruck zu vermitteln, sie seien in einer Gruppe vieler ausländischer Vertreter in untergeordneter Stellung. Sie hatten bis zum zehnten September Zeit, über die Einladung nachzudenken und dann auf dem schnellsten Wege die Antwort zu versenden.
Mit dieser Einladung ging Julius zu Nathalie, sowie den anderen darin erwähnten Abteilungsschefs, darunter Barbara. "Die werden sich umgucken, wie viele Frauen bei uns hohe Ämter haben dürfen", sagte Barbara. Dann las sie das lange Schreiben noch einmal und grinste Julius an: "Da steht, dass wir unsere jeweils besten Leute für Berührungen zwischen Muggelwelt und Zaubererwelt mitnehmen mögen. Kann sein, dass Nathalie dich in die Gruppe mit einteilt, wenn sie mit mir und dem Kollegen aus der internationalen Zusammenarbeit klar hat, ob sie dahingehen oder nicht."
"Hier steht auch, dass wir entweder Wechselzungentrank trinken können oder wegen der internationalen Ausrichtung des Projektes die Unterredung auf Englisch führen. Wer von deinen Mitarbeitern kann von der Desinformationsbehörde am besten Englisch? "Jacqueline Dubois", sagte Barbara Latierre. "Ich bespreche das mit ihr", sagte sie.
"Oh, meine Eule kann unmöglich schon vor Ort sein", grummelte der Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit. Doch dann sagte er: "War zu befürchten, dass die Kollegin Grandchapeau ihre ganze Kompetenz in die Waagschale wirft, um möglichst schnell Informationen einzuholen. Ich nutze die in diesem Anschreiben gewährte Bedenkzeit. Danke!"
Als Julius am späten Nachmittag wieder in Millemerveilles war erfuhr er, dass Florymont Dusoleil nach New Orleans hinübergeflogen war, um sich mit den dortigen Thaumaturgen über sein U-Boot zu unterhalten. Dann erzählte er Millie, was er heute erlebt hatte, und was unter der Stufe C4 für sie aber nicht für die Zeitung bekannt sein durfte. "o, nach Japan. Wenn die dich mitnehmen hüte dich vor den Fuchsfrauen. Die können ziemlich umgarnend sein."
"Ich habe die Abgrundstöchter und die grüne Gurga überstanden, da komme ich hoffentlich auch mit einer Kitsune klar", sagte Julius darauf lächelnd. "Aber ich nehme ja den Herzanhänger mit, falls sie mich mitnehmen wollen", fügte er noch hinzu. Millie grinste nur und sagte: "Demetrius' Maman und Tante Babs werden da sicher drauf bestehen, dass du als Experte für elektronische Geräte mitreist." Das wollte Julius nicht kategorisch ausschließen.
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