DER ROSENFRIEDEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Auswirkungen jener weltweiten Welle dunkler Magie, die bei der Vernichtung von Iaxathans Ankergefäß freigesetzt wurde, halten die ganze magische Welt in Atem. Schwarzmagische Gegenstände erwachen zu einem unheilvollen Eigenleben. Für dunkle Kräfte empfängliche Wesen schütteln jahrtausende alte Erstarrungszauber ab oder werden stärker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zaubereiministerien und davon unabhängiger Eingreiftruppen gegen dunkle Künste kommen nicht zur Ruhe. Als dann durch das schwere Seebeben vom 26. Dezember 2004 ein auf dem Meeresgrund liegender Unlichtkristall zerbricht und deshalb eine weltweite Entladung von Erdmagie auslöst gerät die gesamte Gesellschaftsstruktur der magischen Menschheit ins Wanken. Denn die Welle aus Erdmagie trifft dafür empfängliche Wesen wie Kobolde und Zwerge hart bis tödlich. In Australien wird die Koboldbank Gringotts zerstört. Anderswo müssen Filialen schließen. Verschiedene Gruppen versuchen das auszunutzen, um das jahrhundertealte Goldwertbestimmungsmonopol der Kobolde zu beenden. Ebenso wittert in den Vereinigten Staaten ein einzelner Zauberer die Chance, der mächtigste in Nordamerika zu werden: Lionel Buggles. Als dieser dann von der obskuren Gruppe Vita Magica unterworfen wird hilft diese ihm, seinen Traum für einige Monate zu verwirklichen, ganz Nordamerika unter seiner Führung zu vereinen, bis ihm die Führerin der Spinnenhexen für immer Einhalt gebietet.

Julius Latierre wird von Ashtaria beauftragt, einen eigenen Sohn zu zeugen. Da er mit Millie von den Mondtöchtern gesegnet wurde kann er dies jedoch erst nach einer Wartezeit von zwölf Jahren, weil er schon drei Töchter mit Millie hat. Ashtaria schickt Millie einen höchst beängstigenden Traum von einer Zukunft, in der sowohl Lahilliotas neue Ameisenkreaturen, die Nachtschatten der selbsternannten Nachtkaiserin und die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder die Menschheit auslöschen und Ashtarias Macht vollständig verschwinden mag, wenn es keine sieben Heilssternträger mehr gibt. Daher nutzen sie und Julius ein besonderes Gesetz, dass einem Ehemann erlaubt, mit einer unverheirateten Hexe ein Kind zu zeugen, welches die angetraute Frau nicht oder nicht früh genug bekommen kann. Als sogenannte Friedensretterin erwählen beide Millies Tante Béatrice, die seit dem unfreiwilligen Kindersegen in Millemerveilles die zweite Heilerin dort ist. Béatrice geht auf die Bitte ein und verbringt mit Julius mehrere Nächte, während Millie sich in den Künsten der Feuermagier aus dem alten Reich zu ende bilden lässt. Das Vorhaben gelingt. Béatrice empfängt einen Sohn. Kurz nach der erfolgreichen Zeugung wird Millie ebenfalls schwanger. Sie trägt Zwillingstöchter. Sie verzichtet auf ihr Recht, Béatrices Kind als ihres anzunehmen und überlässt den kleinen Félix seiner leiblichen Mutter. Sie selbst bringt in der Walpurgisnacht 2005 die beiden Töchter Flavine und Fylla zur Welt. Julius hat Ashtarias Auftrag ausgeführt. Er wartet darauf, ob und wo er den verwaisten Silberstern entgegennehmen kann. Er muss dafür noch eine gefährliche Aufgabe erledigen. Ashtaria stellt ihm drei zur Auswahl: Das verschollene Buch über das Geheimnis des großen, grauen Eisentrolls, den Zwerge und Kobolde gleichermaßen fürchten zu finden, einen mächtigen Dschinnenkönig finden und verhindern, dass dieser sich wieder zum Herren aller orientalischen Geisterwesen aufschwingt oder eine schwarzmagische Vorrichtung namens "Das Herz von Seth" unschädlich zu machen. Er entscheidet sich für die dritte gefahrvolle Aufgabe. Dank Goldschweif, seiner Temmie-Patrona und einer ausreichenden Dosis Felix Felicis übersteht er die auf dem Weg in die unterirdische Anlage lauernden Fallen und kann gerade noch rechtzeitig verhindern, dass der im Herzen des Seth angesammelte Hass und Zerstörungswille auf einen Schlag freigesetzt werden und damit alle fühlenden Wesen zu Mord und Krieg getrieben werden. . Um die unheilvolle, gewaltige Maschinerie der dunklen Kraft möglichst nie wieder in Gang zu setzen hilft ihm Madame Delamontagnes Hauselfe, den zentralen Raum unbetretbar zu machen. Weil Julius die ihm gestellte Aufgabe erledigt hat darf er das Geburtshaus von Hassan al-Burch Kitab aufsuchen, wo der verwaiste Silberstern liegt. Doch dieses wird von Ilithula, der Abgrundstochter mit Beziehung zu Windmagie bewacht. Er kann sie jedoch austricksen und den Heilsstern an sich nehmen. Zusammen mit den sechs anderen Sternträgerinnen und -trägern ruft er in Ashtarias Höhle des letzten Abschiedes die mächtige Formel aus, die die geballte Macht der sieben Sterne freisetzt. Damit wird er endgültig der sechste Sohn Ashtarias. Die Anrufung der Heilsformel bewirkt jedoch auch, dass die in Gestalt einer roten Riesenameisenkönigin gefangene Lahilliota wieder zur Hexe in Menschengestalt wird, allerdings immer nur im Wechsel mit ihrer Tiergestalt alle zwei Monate.

Wegen der Mordanschläge von London und Birmingham am 7. Juli regen Julius und seine Mutter eine internationale Zaubereikonferenz zum Thema elektronische Aufzeichnung und Verhüllung der Magie vor Videokameras an. Viele Zaubereiministerien gehen auf diesen Vorschlag ein. Die Konferenz findet Ende September Anfang Oktober in einer gesicherten Niederlassung des Japanischen Zaubereiministeriums statt. Dort werden fast alle Teilnehmer durch den Nebel des Mondfriedens darauf eingestimmt, einander zu vertrauen. Nur Julius und Nathalie entgehen diesem angeblich so friedlichen Vorbeugungszauber. Julius wird von Ashtarias Heilsstern geschützt, Nathalie durch den ihr aufgezwungenen Sonnensegen Euphrosynes. Nach einigen Tagen Beratung präsentieren die Japaner das gesuchte Mittel, den lautlosen Verberger, einen Gürtel, der seinen Träger für elektronische Aufnahmegeräte unsichtbar macht. Die Ministerien beschließen, für ihre Sondertruppen solche Gürtel anzuschaffen.

Catherine wird von Julius zu den Altmeistern Khalakatans gebracht, wo sie vollständig in Zaubern der alten Windmagier und Mondmagier ausgebildet wird. Während ihres Ausbleibens verfolgt Julius die Unruhen in den Vororten französischer Großstädte im November 2005. Als Catherine zurückkehrt bittet sie Julius, ihr die von ihm lange gehütete Flöte des Windkönigs Ailanorar zu überlassen. Er soll in der Zeit, die sie mit deren Schöpfer um den Besitz ringt auf ihre Kinder aufpassen. Mit dem Heilsstern verhindert er, dass Babette, Claudine und Justin von einem fremden Einfluss entseelt werden und hilft damit auch Catherine, Ailanorar zu bezwingen und somit die Flöte für sich zu erobern. Diese dient fortan nur noch ihr und ihren direkten Nachkommen.

Laurentine Hellersdorf nimmt eine Reise nach Amerika zum Anlass, sich in weiterführenden Abwehrzaubern ausbilden zu lassen. Hera Matine empfiehlt ihr Nachhilfestunden bei ihrer Nichte Louiselle Beaumont, die ihr auch in Beauxbatons ungern gesehene Zauber beibringt. Als Laurentine auf der Reise durch die Staaten wahrhaftig mit der Führerin der Spinnenschwestern zusammentrifft beschließen Louiselle und Hera, Laurentine in die Gemeinschaft der schweigsamen Schwestern aufzunehmen. Bei diesem Zeremoniell erweist sich, dass Ladonna Montefiori bereits Gefolgshexen in diese Gemeinschaft eingeschleust hat. Doch diese versagen beim Versuch, die Stuhlmeisterin Hera Matine zu töten und werden durch Schutzzauber des Versammlungsortes körperlich und geistig zu Neugeborenen zurückverjüngt und sollen ein neues Leben beginnen. Der Tsunami vom 26.12.2004, der auch für die Erdmagieturbulenzen verantwortlich ist, nimmt der trimagischen Gewinnerin beide Eltern. Sie braucht eine Zeit, um darüber hinwegzukommen, bis sich ihr im Traum und bei der Beerdigung eine rot-golden leuchtende Erscheinung zeigt, die große Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Schulfreundin Claire Dusoleil hat. Von da an ist sie wieder zuversichtlich, weiterleben zu können.

Laurentine und Louiselle setzen ihre Übungen fort. Dabei erkennt Laurentine, dass sie die ältere Hexe nicht nur als Lehrerin schätzt, sondern sich auch in sie verliebt. Bei einer Übung zur Abwehr eines Unfruchtbarkeitszaubers wendet Laurentine einen anderen Weg an als bisher bekannt. Dadurch drängt sie den ihr geltenden Zauber nicht nur zu Louiselle zurück, sondern bewirkt auch eine der wenigen hellen Verkehrungen eines ursprünglich bösartigen Zaubers. Statt für Monate unfruchtbar zu werden entsteht aus einer Eizelle Laurentines und Louiselles eine gemeinsame Tochter in Louiselles Gebärmutter. Damit kommen die zwei Hexen sprichwörtlich wie die Jungfrau zu einem Kind und müssen überlegen, wie sie mit dieser Verantwortung umgehen.

Das neue Jahr beginnt. In Nordamerika soll die neue Föderation aus Kanada, den USA und Mexikos ihre Arbeit aufnehmen. Was dabei für den Rest der Welt herumkommt wird sich zeigen müssen.

Während all dieser aufwühlenden und unerwarteten Ereignisse bereitet sich Ladonna Montefiori darauf vor, ihr nächstes großes Ziel zu erreichen, mit dem sie ihre Todfeindin Sardonia endgültig überflügeln will.

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01.01.2006

Sie wollten eigentlich länger ausschlafen. Doch Félix, Flavine und Fylla sahen das nicht so. Schon um fünf Uhr ging die morgentliche Quengelei los, weil die drei was brauchten. Julius konnte seine Tochter Aurore deshalb sehr gut verstehen, dass die genervt rief: "Eh, müssen die so laut?!" Doch er durfte sich das natürlich nicht anmerken lassen. So half er seiner amtlich angetrauten Ehefrau, die Zwei Schwestern Flavine und Fylla zu versorgen und ging dann noch zu Béatrice, um sich zu erkundigen, ob sie was brauchte. Danach beruhigte er Aurore, Chrysope und Clarimonde, denen das dreifach fordernde Babygeschrei den Schlaf verdorben hatte. "Du kannst weiterschlafen. Maman, Tante Trice und Papa passen auf euch auf", hatte er jeder der drei Größeren gesagt. Aurore sagte da einmal: "Warum habt ihr die Kleinen?" Darauf sagte er nach zwei Sekunden Bedenkzeit: "Weil deine Maman und ich gerne mit eigenen Kindern sein wollen und deshalb immer mal wieder wer dazugekommen ist. Wir haben aber dich und die anderen gleich doll lieb und passen auf, dass dir und keinem der anderen was böses passiert, solange wir das können und solange wir das dürfen."

"Häh?! Wieso nicht dürfen?" fragte Aurore. "Weil du ja irgendwann so ein großes Mädchen bist, dass du mit den jetzt schon größeren nach Beauxbatons hingehen kannst. Da dürfen wir nicht mit dir zusammen hin, weil es ja dann sonst viel zu voll da wird, wenn die da alle Mamans und Papas mitwohnen lassen."

"Achso, und wann ist das?" wollte Aurore noch wissen. Julius antwortete: "Wenn du elf Jahre alt bist, also in sechs Jahren." Er zählte es ihr an den Fingern vor, wie viele Jahre das noch waren. Dieses Jahr würde sie ja schon in die Grundschule gehen, um Lesen, Schreiben, Rechnen und einige andere ganz tolle Sachen zu lernen, mit denen sie dann in Beauxbatons die Zaubersachen lernen konnte, die er, Maman, Tante Trice und all die anderen hier wohnenden Großen schon konnten. Dann flüsterte er leise, dass es dann losginge, wenn der Sommer wieder da war. Er wünschte ihr noch einen guten Schlaf und zog sich in das Elternschlafzimmer zurück.

"Du warst aber jetzt lange bei unserer Großen am Bett", meinte Millie leise, während sie die beiden Schwestern in den Schlaf wiegte. Er erzählte ihr, was Aurore noch von ihm gewollt hatte. Sie grinste. "Du kannst das ganz gut, Mon Chérie. Aber ich merke das auch, dass es mit so vielen kleineren Kindern zugleich anstrengend ist. Aber das heißt nicht, dass wir die zwei, die noch ausstehen, nicht irgendwann noch hinkriegen." Er wusste was sie meinte. Er hatte damals in der dritten Klasse von Beauxbatons im Scherz behauptet, eine ganze Quidditchmannschaft gemeinsamer Kinder in ihren Augen sehen zu können. Tja, damals hatte er noch nicht gewusst, was für eine vermehrungsfreudige Familie die Latierres waren. Fünf gemeinsame Kinder hatten sie hinbekommen, zwei standen noch an.

Sie schafften es noch, bis zehn zu schlafen. dann wollten die drei Größeren aber doch noch was vom Tageslicht abhaben und wuselten durch das Haus.

Weil sie nicht zu heftig an den Essenszeiten herumändern wollten ließen sie das Frühstück ausfallen und aßen dafür schon um halb zwölf zu Mittag. Millie und Trice hatten beschlossen, ab heute weniger Eigenmilch an ihre drei Kleinsten zu verfüttern und sie nach und nach auf festere Nahrung umzustellen. Das kannte Julius ja auch schon von den drei Großen und hatte auch Übung darin, Früchte so zu zerschnippeln, dass sie mit anderen Sachen zu einem leicht bekömmlichen Babybrei verarbeitet werden konnten.

Am Nachmittag trafen sich viele zu einem Neujahresausflug draußen in der Gemeinde. Die Kinder freuten sich, miteinander spielen zu können. Da Millemerveilles im südfranzösischen Flachland lag gab es hier selten Schnee. Dafür hatten sie einen wirklich schönen Wintersonnentag. Julius kapierte, warum Aurore und Chrysope in der Sonne spielen wollten. Die beiden hatten die Monate unter der Dämmerkuppel noch gut in Erinnerung, wo sie keine Sonne gesehen hatten und nicht aus Millemerveilles rausgehen konnten.

Was sonst noch unter der Dämmerkuppel passiert war tobte und lärmte auf der großen Festtagswiese im Musikpark herum. Hatten hier gestern noch die Großen mit ihnen allen ins neue Jahr gefeiert gehörte der Platz schon heute wieder den vielen Kindern, die im Jahr nach Sardonias endgültiger Niederlage zur Welt gekommen waren und von Camille Dusoleil und deshalb auch von Millie Frühlingskinder genannt wurden. War das schon wieder solange her, dass er, Julius, zusammen mit Millie und Trice mitgeholfen hatte, all die kleinen wuselnden, quiekenden, kreischenden, lachenden und jauchzenden Jungen und Mädchen auf die Welt zu holen? Jedenfalls war im Musikpark der dritte große Spielplatz des Dorfes entstanden, besonders für die Spielmöglichkeiten kleiner Kinder zwischen einem und vier Jahren. Am Rande der großen Spiel- und Tobezone konnten sich die Eltern all der Kinder miteinander unterhalten, als wenn sie auf dem zentralen Gemeindeplatz zusammenkämen. Als die der Turmuhr von Viento del Sol nachempfundene Uhr vom Gemeindehaus und auch die vom Apfelhaus sechs Uhr abends schlugen wollten aber viele wieder nach hause. Julius sah es durchaus als sehr praktisch, dass die ganzen Kinder sich richtig hatten austoben können. Die waren dann zwar wegen der Müdigkeit erst etwas quengeliger, konnten aber dann auch die Nacht gut schlafen.

als alle fünf Mädchen und der Junge schliefen machten deren drei Eltern noch etwas Musik im Dauerklangkerker-Musikzimmer des Apfelhauses. Morgen früh würde Julius wieder mit Brittany und seiner Mutter sprechen, um zu hören, wie der erste Tag der neuen Föderation Nordamerikanischer Zauberer und Hexen verlaufen war.

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Es war nicht einfach für Romina Hamton, sich aus dem Trubel der Neujahrsfeier zu verabschieden. Warum war sie auch darauf eingegangen, mal wieder bei ihren Eltern in Chicago den Jahreswechsel zu begehen? Alle Gäste hatten sich einen Wettbewerb geliefert, wer das eigene Leben möglichst erfolgreich und überstrahlend darstellen konnte. Da Romina nicht vor so vielen Nichtmagiern ausplaudern durfte, was sie beruflich machte, hatte sie sich dezent aus diesem Wettlauf der Eitelkeiten herausgehalten. Ihre Eltern Jack und Ileen waren die einzigen, die von ihrer wahren Natur und somit ihrem wirklichen Leben wussten. Sie würden beide in diesem Jahr zwei Jubiläen feiern, den 75. Geburtstag, erst ihre Mutter im Mai und dann ihr Vater im September und am 31. Oktober ihren 50. Hochzeitstag begehen. Zu allen Festen war sie bereits am Silvesterabend eingeladen worden. Offizielle Karten würde sie aber dennoch bekommen. Dabei wusste Romina nicht einmal, ob sie bis zum Mai überleben würde.

Seitdem feststand, dass in Europa eine übermächtige dunkle Hexenkönigin aus jahrhundertelangem Zauberschlaf erwacht war und sich mehr und mehr zur Herrin ihrer Heimat aufgeschwungen hatte war ihr klar, dass sie so oder so den Tod finden würde, wenn sie gezwungen würde, sich für diese neue Hexenmeisterin oder ihre bisherige Anführerin entscheiden zu müssen. Doch das konnte sie ihren Eltern auf keinen Fall sagen. Sie erinnerte sich auch noch zu gut an ihre Mitschwester Tyche Lennox, die eines Tages wegen eines Auftrages für die höchste Schwester von der Erdoberfläche verschwand, ohne eine Leiche zu hinterlassen. So mochte es auch ihr einmal ergehen.

Sie hatte allen anderen Gästen noch einen erfolgreichen Start in das Jahr 2006 gewünscht und dann behauptet, sie müsse früh los, um den ersten Flieger nach Hause zu erwischen. Auch wenn sie offiziell frei hatte könne sie nicht wissen, ob nicht wer meinte, ihr schon am allerersten Tag des Jahres was aufbürden zu müssen. Einige von denen, die sich um möglichst erfolgreiche Selbstdarstellung gerangelt hatten, sahen sie mitleidig an. Das war genau, was denen andauernd blühte. Das war der Preis des Erfolges und des Reichtums.

Statt wie erzählt ein Flugzeug zu nehmen fuhr sie mit dem Taxi von ihren Eltern zu einer Adresse, wo sie wusste, dass dort niemand was mitbekommen konnte. Dort tat sie so, als würde sie in einem der Häuser wohnen und hörte, wie das Taxi wieder fortfuhr. Dann sah sie sich noch einmal um und zog aus ihrer nur von ihr benutzbaren Handtasche ihren Zauberstab. Mit einer gewandten Drehung auf dem rechten Absatz verschwand sie mit leisem Plopp aus jener Stadt, in der Licht und Schatten einander immer wieder abgelöst hatten.

Wieder in ihrer eigenen Wohnung holte sie das kleine silberne Zaubereradio hervor. Die Ansprache zur Gründung der Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer (FNHZ) war bereits um Mitternacht Washingtoner Zeit als Direktübertragung gesendet worden. Doch weil Nordamerika von Alaska bis runter zur Grenze nach Guatemala in vier Zeitzonen aufgeteilt war wurde die Rede jede Stunde wiederholt, so dass jeder und jede zur eigenen Mitternachtsstunde erfuhr, was alles neu und was noch wie bisher war. Gleich war es drei Uhr nachts. Sie musste nur einen Sender der betreffenden Region einstellen, um die Ansprache zu hören. Dann war es soweit.

Der Radiosprecher vor Ort erwähnte die Zusammenkunft der achtzehn Ratsmitglieder, je drei Hexen und drei Zauberer aus Kanada, den USA und Mexiko. Dann kündigte der Zeremonienmagier vor Ort an: "Ladies and Gentlemen, die Sprecherin und erste Administratorin des Rates der Nordamerikanischen Zaubererweltföderation, Ms. Atalanta Bullhorn!" Beifall brandete auf. Romina konnte aber auch den einen oder anderen Unmutslaut hören. Dann wurde es still.

"Guten Morgen und allen hier anwesenden Hexenund Zauberern und jenen an den magischen Rundfunkempfängern ein frohes neues und erfolgreiches Jahr 2006", begann die neue Ratssprecherin. "Mit dem letzten Glockenschlag der Mitternachtsstunde haben sich die drei nordamerikanischen Zaubererweltgemeinschaften Kanadas, der Vereinigten Staaten und Mexikos zu einer neuen, großen Gemeinschaft zusammengefunden, die einen weiteren großen Schritt in der Entwicklung unserer freien, von äußeren Einflüssen unabhängigen Gemeinschaft von Hexen und Zauberern vollzieht und im Zusammenleben mit anderen magischen Wesen erblühen und gedeihen soll. Ab dieser Minute besteht die Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer als aus dem Willen der Mehrheit ihrer Bewohner in Freiheit und Menschlichkeit vereintes Staats- und Verwaltungsgefüge. Sie alle, wie Sie hier und an den Rundfunkgeräten sitzen, haben mit Ihrer Stimme und Ihren Vorschlägen zur Gestaltung dieses neuen, stärkeren und dauerhafterem Gesamtgefüges beigetragen. Bevor ich Ihnen nun darlege, welche ersten Schritte der neue Föderationsrat unternehmen wird, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, mich bei all denen zu bedanken, die an dieser neuen, auf der Basis einer breiten Mehrheit gründenden Gemeinschaft mitgearbeitet haben, dies weiterhin tun und irgendwann in der Zukunft zum Wohl aller Mitbürgerinnen und Mitbürger tun werden. Auch wenn wir der Föderationsrat sind und durch die von unseren Rechtsvorgängern mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestattet wurden, müssen und wollen wir immer daran denken, dass wir ohne Sie nicht bestehen können, jene, die in ehrlichem Tun, aufrechter Haltung und Willen zur Erfüllung wichtiger Aufgaben mit uns zusammenleben."

Nach dieser Einleitung zählte Atalanta Bullhorn auf, welche so wichtigen Schritte das waren. Darunter fielen die gegenseitige Anerkennung von erworbenen Rangstufen, die Freiheit des Handels zwischen den Föderationsmitgliedern, sowie ein verstärkter Austausch in den akademischen Institutionen, von den Zaubererschulen bis zu den magischen Lehranstalten für höhere Alchemie, Thaumaturgie und den Wissenschaften über magische Lebewesen. Sie erwähnte, dass die Heilerzunft bereits vorlebte, wie eine einzelne Staatsgrenzen übergreifende Zusammenarbeit geregelt wurde und erfolgreich war. Dann kam sie auf das, was zur Gründung dieser neuen Gemeinschaft geführt hatte.

"Was unser aller Sicherheit angeht, so haben wir uns im Verlauf des Gründungsprozesses darauf verständigt, dass es eine gemeinsame Behörde zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit und Lebensgrundlage magischer Menschen geben wird. Egal ob Bedrohungen von innen oder außen, die neue Zentrale für magischen Schutz und Sicherheit wird sich diesen Herausforderungen stellen. Um Ihnen zu verdeutlichen, welche dies sind lassen Sie mich bitte folgendes ausführen." Sie machte eine kurze Pause. Niemand im Publikum wagte etwas zu äußern. Dann begann sie mit ihrer Ausführung.

"In den letzten Jahren sahen wir magischen Menschen in Kanada, den Vereinigten Staaten und Mexikos uns immer wieder jede Staatsgrenze verlachender Bedrohungen ausgeliefert und wären fast daran zerbrochen, uns im Wettstreit, wer diesen Gefahren wirksamer widerstehen kann, gegenseitig auszulöschen. Dies hätte jenen Mächten den Sieg beschert, die keine Freiheit und damit auch keine Ehrfurcht vor anderen Mitgeschöpfen wollen, die meinen, wegen ihrer Herkunft oder Daseinsform Vorrechte besitzen zu könnenund wenn sie sie nicht bekommen, mit Gewalt zu erobern, sowie solche, die der höchst verwerflichen Ansicht sind, sie dürften bestimmen, welche Hexe und welcher Zauberer wann und wie viel eigenen Nachwuchs hervorzubringen hat, um eine möglichst bevölkerungsreiche magische Gesellschaft zu formen, die aber nur im Sinne jener existieren darf, die solche Ansichten haben und mit unzulässigen Mitteln durchsetzen wollen. Eben jene, die dieses Ziel haben, wollten sich durch die erzwungene Zusammenlegung unserer drei Gründungsstaaten einen sicheren Handlungs- und Rückzugsbereich schaffen, ohne von anderen behelligt werden zu können. Als diese Machenschaft offenbar wurde mussten wir einsehen, dass ein ständiges konkurrieren noch so guter Nachbarn nicht gegen derartige Verwerflichkeiten schützt. Auch wollen wir jene Gruppierungen und Gesellschaften hier und heute davor warnen, uns weiterhin zu bedrohen oder anzugreifen, die meinen, sie seien wegen ihrer erworbenen Fähigkeiten oder Daseinsform zur alleinigen Machtausübung berechtigt oder könnten uns zwingen, ihre teilweise krankhafte Natur als schützenswertes Gut zu achten. Dem wird nicht so sein. Ob Vampire, Werwölfe, selbstherrliche Hexen- oder Zauberervereinigungen, ob Gesellschaften, die meinen, eine klare Führung ohne Diskussion mit untergebenen sei produktiver als ein gemeinsames, miteinander ausgearbeitetes Leben, werden erkennen, dass sie zu hoch gepokert haben. Denn unsere Sicherheitsvorkehrungen sind verbessert worden. Wir werden eine Organisation schaffen, die gezielt nach jenen fahndet, die unser aller Leben bedrohen und sie aus unserer Gemeinschaft entfernen. Weiterhin gilt, dass wer gegen die Gesetze zum Schutz von Leben und Eigentum verstößt, mit strengen Strafen rechnen muss. Da es schon durch alle Medien ging verrate ich kein Geheimnis mehr, wenn ich erwähne, dass die einstmalige Schreckensfestung Doomcastle nicht mehr dazu da sein wird, die von ihren Körpern gelösten Seelen der Schwerverbrecher unseres Landes zu hüten. Wer sich gegen die wichtigsten Gesetze vergeht, sei es durch Mitgliedschaft in einer umstürzlerischen Gruppierung oder durch schweren Diebstahl, dauerhafte Unterdrückung freier Wesen, Mord und Totschlag, wird sein oder ihr bisheriges Leben verlieren und im Sinne unserer Gemeinschaft neu erlernen müssen, was ein gedeihliches Leben ist. Jetzt mögen viele laut rufen, dass wir die neue Höchststrafe von eben jenen übernommen haben, die unsere Staaten unterwerfen und für sich nutzen wollten. Das dürfen Sie gerne weiterdenken. Wir haben uns darüber sehr lange und intensiv unterhalten und sind zu dem Schluss gekommen, dass die unfreiwillige Wiederverjüngung mit einhergehender Auslöschung aller Erinnerungen an die bisherigen Taten und Untaten die für unsere Gesellschaft wirtschaftlichere Alternative ist. Denn mit magischem Aufwand eine vom Körper gelöste Seele über Jahrhunderte in unserer Welt zu halten ist unproduktiv. Jemanden in ein neues, für sich und alle anderen sinnvolleres Leben hineinzuführen ist gnädiger und zugleich förderlicher für uns alle. Jene, die uns zeitweilig durch den bedauernswerten Lionel Buggles überwacht und kontrolliert haben, wollten derartig wiederverjüngte in ihren eigenen Reihen großziehen, um sie mit ihrer, nur der Heiligkeit eines bestimmten Zweckes dienlichen Denkweise zu unterwerfen. Das wirdnun nicht geschehen. Wer zur Höchststrafe, der Aufgabe des bisherigen Lebens, verurteilt wird, wird unter anderem Namen bei wohlgewählten und vom Amt für Familienfürsorge begleiteten Familien aufwachsen. Dies für alle, die meinen, jetzt wo Doomcastles Tor der Verdammnis nie wieder aufgehen wird fröhlich morden, rauben und misshandeln zu können. Die körperliche und geistige Enteignung bisheriger Lebenserrungenschaften ist es nicht wert, für ein paar Minuten im Rausch der Macht zu treiben.

Was Bedrohungen von außen angeht, so haben wir festgelegt, dass alle zur Bekämpfung schwarzmagischer Bedrohungen gegründeten Institutionen unter der Aufsicht des Föderationsrates weiterarbeiten werden. Damit meine ich die Liga gegen dunkle Künste, das Marie-Laveau-Institut in den Vereinigten Staaten, sowie die Sociedad libre contra herencias tenebrosas y bestias peligrosas in Mexiko. Es hat sich ja leider erwiesen, dass die genannten Institutionen und Gesellschaften in ihren Zuständigkeitsbereichen nichts gegen grenzübergreifende Gefahren unternehmen konnten oder durften. Jetzt, wo sie als teilautonom mit dem Föderationsrat und seinen Mitarbeitern assoziiert sind, besteht nicht nur die Möglichkeit, ihre Kräfte zu bündeln, sondern auch im Zuge von Hilfsgesuchen aus anderen Ländern außerhalb ihrer bisherigen Zuständigkeitsgebiete tätig werden zu dürfen. Genaueres ist noch mit den Vorständen der einzelnen Institutionen zu erörtern. Da zu bedenken ist, dass etliche Übereinkünfte zum Schutze Ihrer aller Leben geheim sein müssen darf und will ich nicht näher darauf eingehen. Am Ende wird sich dadurch auch erweisen, das jene, die meinte, Lionel Buggles durch einen Mordanschlag aus der Welt schaffen zu müssen, nicht nur jener obskuren, ja verboten gehörenden Gruppierung Vita Magica einen empfindlichen Schlag versetzte, sondern auch sich selbst. Denn nun, wo wir durch Umtriebe wie solche in der Überzeugung bestärkt wurden, dass getrenntes Marschieren nichts mehr einbringt, werden Sie, wo immer Sie sind, damit zu rechnen haben, von unseren entschlossenen Sicherheitskräften entdeckt und ergriffen zu werden. So bedenken Sie, ob Sie weiterhin auf unserem Grund und Boden ihre obskuren Ideen verfolgen können oder es nicht besser für Sie ist, sich zu stellen. Diesen Aufruf richte ich auch an jene, die dieser Attentäterin zur Seite stehen, ihr bei ihren Unternehmungen helfen und ihren Ideen ergeben sind. Bedenken Sie Ihr eigenes Leben und das Ihrer Freunde und Verwandten, wenn Sie weiterhin einer offenkundigen Ministermörderin Gefolgschaft leisten. Sollten Sie weiterhin im Besitz Ihres freien Willens und ohne Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit handeln können, so wenden Sie sich von dieser Person ab und suchen Sie Schutz und Hilfe bei jenen, die im Sinne der Freiheit und Menschlichkeit handeln.

Soweit zu dem, was wir, die achtzehn Mitglieder des Rates der Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer, die wir zusammen mit diesem Jahr geboren wurde, für Sie alle tun werden. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Möge der Geist der Gemeinschaft und Erkenntnis Sie auf allen ihren Wegen führen!"

Einige Sekunden herrschte Stille. Dann toste lauter Applaus aus dem Radio. Romina musste verächtlich grinsen. Die alte Inobskuratorin sollte es doch wissen, dass sowohl Ladonna Montefiori, als auch Anthelia ihre Mitglieder gegen jeden freiwilligen oder unnfreiwilligen Verrat abgesichert hatte. Darüber hinaus war die Frage, ob es sinnvoller war, sich diesem neuen Föderationsgericht zu stellen und am Ende als hilfloser Säugling bei einer auf Bullhorn und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter eingeschworenen, ja von denen überwachten Familie neu aufzuwachsen oder lieber für eine wichtige Sache zu sterben. Die faselte was von Freiheit und deutete in derselben Minute an, dass sie alle überwachen lassen wollte, die ihr verdächtig waren. Ganz sicher hatte die trotz des abgebrannten Archives noch eine lange Liste von Leuten, die weiterhin beobachtet werden sollten, entweder weil die selbst was angestellt hatten oder weil sie zu familien gehörten, die für die eine oder andere Gruppe interessant waren. So hatte es doch auch Anthelia gemacht, und genau das wusste Bullhorn sicher auch. Also konnte hinter jeder ecke ein offizieller oder informeller Mitarbeiter der neuen Sicherheitszentrale stehen.

Romina wusste nicht, ob Anthelia diese Rede kannte oder noch hören würde. Es mochte sein, dass die Rundfunksender sie über den Tag verteilt in voller Länge oder wichtigen Abschnitten wiederholen würden. Die Zeitungen würden das sicher tun. Da war sie doch gespannt, wie Anthelia diese Kampfansage aufnahm.

Genau zwölf Stunden später erfuhren Romina und alle anderen in der neuen Föderation wohnenden Hexen des Spinnenordens, was die höchste Schwester darüber dachte. Erst las sie die vollständige Rede Atalanta Bullhorns vor. Dann lud sie zu einer Interpretation der einzelnen Aussagen ein. Romina bekräftigte, dass sie nur die zwei Alternativen sah, entweder ihr bisheriges Leben an die Föderation abzugeben und als hilfloses Wickelhexlein in einer auf Linie gebrachten Familie aufzuwachsen oder für die Freiheit und die Vorherrschaft der Hexen zu sterben. Dem schlossen sich alle anderen an, auch wenn sie wussten, dass sie damit ihr Leben nur noch in Monaten oder Wochen vorausplanen durften.

"Schwestern, ist euch nicht aufgefallen, dass diese ach so aufrechte und menschenfreundliche Dame die anderen denk- und handlungsfähigen Zauberwesen nicht in ihre großartige Gründungsrede einbezogen hat?" fragte Anthelia. Alle andern wiegten die Köpfe und verzogen die Gesichter. "Also ist es euch aufgefallen. Ich wollte auch nicht eure Intelligenz in Frage stellen. Diese Föderation geht auf eine reine Vorherrschaft der magisch begabten Menschen aus, die in dem Sinne leben, dass sie die einzig wahren Herrscher der Welt sind. Damit macht diese kleine miese Heuchlerin nichts anderes als wir." Sie machte eine Pause von mindestens drei Sekunden. Romina dachte in der Zeit daran, was Buggles & Co. mit den Kobolden angestellt hatten. Ja, und von Gringotts hatte Bullhorn auch nichts gesagt. Dann sprach Anthelia weiter: "Sie verabscheut alle menschenförmigen Zauberwesen. Jene, die Verwandte in der Föderation haben werden ihre Rede genau darauf abgehört haben und sich nicht darin wiederfinden. Warum wohl? Ja, und sie will nur den Menschen die Vorherrschaft geben, den magischen Menschen. Am Ende denkt sie wie ich und wie ihr, dass sie, eine Hexe, über allen anderen Menschengruppen steht. Deshalb bleibe ich bei dem, was ich sagte, sie macht dasselbe wie wir und ist eine miese Heuchlerin, weil sie das nicht offen zugibt. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, was ich will. Ja, auch meine neue Erzfeindin Ladonna Montefiori hat es nie versteckt, für was sie eintritt und weshalb sie meint, die einzig wahre Königin aller Hexen und damit aller anderen Menschen zu sein. Auch hast du, Schwester Portia, völlig klar erkannt, dass die werte Dame Bullhorn eine Politik der Ummauerung betreiben will. Wäre sie nur für die USA angetreten, so hätte sie gegen die aus dem Süden Amerikas einsickernden Werwütigen sicher eine die ganze Grenze entlangführende Mauer gefordert, um diese Wesen abzuwehren. So kann die südliche Mauer an der Südgrenze von Mexiko geplant werden, sofern es ihren Inobskuratoren gelingt, die Werwölfe aus Mexiko wegzufangen oder mit diesen blauen Todesblitzen zu erschießen, die bei unbefallenen Menschen nur einen sengenden Schmerz verursachen. Allerdings unterschlägt die neue starke Hexe des Nordens die Erkenntnis, dass diese präzisen Werwolftötungsstrahlen das Produkt von Vita Magica sind. Hat sie es auch irgendwie gerechtfertigt, warum sie die Wiederverjüngung als Höchststrafe beibehalten will, so wird sie sich irgendwann fragen lassen müssen, wie sie die magischen Machenschaften Vita Magicas als rechtmäßige Einsatzmittel beibehalten konnte.

Abschließend, meine lieben treuen Schwestern, möchte ich euch klar und deutlich sagen, dass ich mich dieser neuen, im Rausch ihrer Macht schwebenden und ihren Beigeordneten, nicht stellen werde. Der Infanticorpore-Fluch wirkt nicht mehr bei mir, und wer mich tötet stirbt keine Sekunde danach und alle jene, die ihm oder ihr wichtig waren in wenigen Minuten oder Stunden, je danach wie schnell ich in meiner Nachtodesform an deren Wohnorte wechseln kann. Das alles weiß Atalanta Bullhorn nicht. Sie weiß auch nicht, dass ich die Schutzmethode gegen den Infanticorpore-Fluch und den Incapsovulus-Fluch verbessert habe. Falls doch eine von euch denkt, sich zu stellen und im Zweifelsfall alle Schandtaten mit einem Gedächtniszauber ausgestrichen zu bekommen, die möge sich darüber klar sein, dass sie damit niemandem mehr nützen kann. Wollt ihr das, euer Leben nutzlos fortwerfen?" Natürlich wollte das keine der Anwesenden. "Das freut mich. So möchte ich mich bei euch Bedanken, dass ihr trotz der neuen Androhungen und Verlockungen doch noch zu mir gefunden habt. Ich werde nun mit Hilfe von euch und den anderen Schwestern beobachten, wie der Rest der Welt sich verhält. Die Vampire, Werwölfe und Ladonna Montefiori und vor allem Vita Magica, werden Bullhorns Kampfansage prüfen und auf ihre eigene Weise beantworten. Bullhorn hat im Grunde allen anderen den Krieg erklärt. Ob das wirklich das ist, was die Mehrheit aller Mitbürgerinnen und Mitbürger wollte? Im Moment können wir nur dort handeln, wo wir innerhalb von Minuten eine Entscheidung erzielen können. Wo es schwieriger ist können wir nur beobachten und dann entscheiden, wie wir darauf antworten. Ich weiß, dies behagt euch nicht. Mir auch nicht. Aber Amerika ist nur ein Erdteil von fünfen. Sie werden lernen, dass die Welt doch ein bisschen größer ist."

Alle Schwestern verließen Tyches Refugium, das magisch gesicherte Hauptquartier der Spinnenschwestern. Nur Romina Hamton blieb noch. Denn sie sollte noch was mit der höchsten Schwester regeln.

"Ich habe das Bankkonto einer Nancy Webster aus Barstow, Kalifornien in die Kontodatenbank der Privatbank Brubaker & Söhne eingetragen. Dieses Geldhaus ist mir durch Recherchen in einem Internetcafé als Versteck für nicht ganz astreine Einkünfte oder an der Steuer vorbeigeschmuggelten Geldes bekannt geworden. So konnte ich es auch drehen, dass Nancy Webster ihr Konto mit der Einlösung eines Schecks über zehntausend Dollar eröffnen konnte, und zwar schon vor vier Monaten. War nicht einfach, die Datumsanzeige und den damit einhergehenden Zeitstempel bei neuen Einträgen entsprechend zu umgehen. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen, weil es für dich wohl zu umständlich oder unwichtig ist. Wie erwähnt, diese Nancy Webster hat einen Scheck eingelöst, der von einem Privatmensch aus Zürich in der Schweiz stammt. Dessen Kontonummer habe ich natürlich eingegeben, auch wenn ich nicht weiß, ob dahinter eine echte Person steht. wichtig ist ja nur, dass der Scheck als gedeckt erkannt und das Geld verbucht wurde. Öhm, wozu brauchst du denn ein Dollarkonto, höchste Schwester?""

"Weil ich in all den Jahren, die ich nach meiner erzwungenen Abwesenheit von der Welt wieder tätig sein kann lernen musste, dass die nichtmagische Welt noch mehr auf Prahlerei, mehr Schein als Sein und Gewinnstreben wert legt als die Zaubererwelt es schon tut. Wer in der nichtmagischen Welt was erreichen will muss entweder mit bereits erhaltenem Geld um sich werfen, so tun, als habe er oder sie viel Geld im Rücken oder jemandem eine Idee verkaufen, die dem Geldspender selbst Gewinne verspricht, wenn er dem Ideengeber genug Vorstreckt. Schwester Albertine hat mir vor drei Wochen eine Dokumentation über sogenannte Schneeballsysteme übergeben. Die beschimpfen uns als böse Hexen, wo es in der nichtmagischen Welt so viel einfacher ist, Schaden mit Verlockungen von leicht verdientem Geld anzurichten. Daher brauchte und brauche ich ein Dollarkonto. Du hast ja auch eins", sagte Anthelia. Romina nickte. Sie wollte ihr nicht erzählen, dass ihre Eltern ihr bereits vor zehn Jahren 100.000 Dollar überwiesen hatten, um ihr eigenständiges Leben abzusichern. In dem Moment, wo Anthelia lächelte wusste Romina, dass sie das entweder schon längst wusste oder gerade aus ihren Gedanken herausgefischt hatte. Sie verzog kurz das gesicht. Doch dann dachte sie, dass sie sich doch hätte absichern können. So blieb ihr nur noch, Anthelia die Papiere für das Konto, sowie eine grüne Kreditkarte zu geben, von der sie derzeitig wohl bis zu 4000 Dollar im Monat abbuchen konnte oder eben nichts mehr, wenn der Kredit nicht getilgt wurde.

"Und mit der anderen Karte, die du mir gegeben hast kann ich auch Geld abheben?" fragte Anthelia und las die erhaltenen Papiere. "Das ist es, was unser damaliger Kundschafter Ben Calder alias Cecil Wellington immer wieder erlebt hat. Gut, dann eben so", sagte sie.

Romina Hamton durfte nun in ihr Haus zurückkehren. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, weil sie einer zwielichtigen Bank zehntausend Dollar abgeluchst hatte, um auch in der nichtmagischen Welt Fuß fassen zu können. Denn leider hatte Anthelia recht, um die nichtmagischen Menschen zu beeindrucken musste sie deren Sprache sprechen, und die hieß US-Dollar. Sie erkannte nur, dass genau dieses Streben nach Ansehen und Geld der Treibstoff war, der die magielose Menschheit immer weiter auf den Abgrund der Vernichtung zutrieb. Doch sie hatte auch lernen müssen, dass grobe Gewalt und Unterdrückung diesen Irrweg nicht beendete, sondern nur umleitete. Es musste anders gehen. Sie hoffte nur, dass sie bald wussten, wie es gehen konnte.

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Jeff und Justine Bristol hörten Bullhorns getragene Rede zur Gründung der neuen Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer als Wiederholung um zwölf Uhr mittags. Sie dachten vor allem daran, dass das Laveau-Institut schon seit Jahren mit der mexikanischen Sociedad libre contra herencias tenebrosas y bestias peligrosas eine feste Vereinbarung hatte, eine wahrhaftige Waffenbruderschaft. Brauchte einer Hilfe, half der andere. Die Unstimmigkeit, die mal bestand, weil es beim LI Mitglieder gab, die sich genauso mit Inka- und Aztekenmagie auskannten wie die SL hatte sich spätestens durch das Aufkommen von multinationalen Vereinigungen wie den Spinnenschwestern erledigt.

"Wir sollen also jetzt nur noch im Auftrag der Föderation handeln, mein lieber Mann", grinste Justine. "Ja, das mussten wir doch schon bei Pole, Cartridge, Dime und Buggles", konterte Jeff. "Ja, aber musste sie deshalb gleich allen menschengestaltigen Zauberwesen den Krieg erklären?" fragte Justine. Jeff überlegte. Dann sagte er: "Stimmt, hat sie gemacht, indem sie sie nicht als anerkannten Teil der Gemeinschaft einbezogen hat. Die Kobolde haben sie ja schon rausgeworfen. Die Sabberhexen kriegen sie nicht so leicht zu fassen. Ja, und was mit Veelas oder Zwergen ist weiß ich nicht, was da so in Mexiko und Kanada lebt. Aber du hast leider Recht, Justine, Bullhorn hat offiziell klargestellt, dass sie nur die Menschen als vollwertige Gemeindemitglieder anerkennt."

"Und, glaubst du, dass die Spinnenhexe sich stellen wird?" wollte Justine wissen und grinste schon, weil sie Jeffs Antwort erahnte. Doch dessen Antwort verblüffte sie doch.

"Kann passieren, dass sie sich ihr stellt, um sie in Wiege und Windeln zurückzuschicken. Bullhorn sollte es wissen, dass die Führerin der Spinnenhexen in ihrer Spinnengestalt alle möglichen Flüche von sich abprallen lassenkann, sogar Avada Kedavra. Aber natürlich setzt sie voraus, dass längst nicht jeder und jede das weiß. Problem nur, die Spinnenschwestern wissen das, und wir vom LI wissen das, und wenn Bullhorn sie doch irgendwo findet weiß sie es spätestens dann auch." Dem konnte Justine nichts entgegnen.

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02.01.2006 christlicher Zeitrechnung

Der König hatte gerufen, und die Großmeister aller Gilden waren erschienen, um zu hören, was er zu sagen hatte.

"Ich werde es nicht länger dulden, dass die aus Britannien eingewanderten Gierfinger weiterhin das ganze geförderte Gold verwalten dürfen. Da sich die drei obersten Sprecher der deutschsprachigen Zauberstabträger mit diesen Gierfingern auf eine Fortsetzung dieses Unrechtsvertrages geeinigt haben, weil es diesen verweichlichten Bartverächtern so bequem ist, von den britischen Gierfingern abhängig zu sein, habe ich beschlossen, Güldenberg und allen anderen eine Frist zu setzen, dass sie diesen Spitzohren alles wieder wegnehmen und uns die hohe Ehre zurückgeben, alles geförderte Gold zu hüten und seinen Wert zu bestimmen. Ich hatte eigentlich vor, die Zauberstabträger an ihrer größten Angst zu packen, der Enthüllung der Zauberwelt. Doch dann ist mir klar geworden, dass sie uns dann erst recht kein Goldwertbestimmungsrecht zuerkennen werden. So muss sich unser Streben drauf richten, die Fähigkeiten der Spitzohren in Frage zu stellen. Ich weiß, Zauberstabträger haben das schon versucht und sind an ihren eigenen Leuten gescheitert. Wir müssen und wir werden es anders anstellen. Jedenfalls werde ich alle Boten für die in meinem Reich waltenden Zaubereiminister mit meiner Botschaft betrauen, wenn ich weiß, wie stark wir selbst sind. Großmeister Schattenhut, du erkundest die Einsatzmöglichkeiten deiner Gilde, von den Bereichsmeistern bis hinunter zum Lehrjungen. Der oberste Meister der Gilde der Kundschafter nickte und verbeugte sich zur Bestätigung dieses Befehls.

"Großmeister Wandermeister, wenn ich von Großmeister Schattenhut erfahre, was ich wissen muss, schickt mir die Boten für Güldenberg, Rheinquell und Rosshufler, damit ich diesen unmittelbar meine Ankündigung mitteilen kann." Ergin Wandermeister, Großmeister der Botengilde, verbeugte sich bestätigend vor dem König.

"Großmeister Schmetterhammer, wie viele Mann hast du unter Waffen?" wollte er vom Großmeister der Kriegergilde wissen. Der bereits mit einem langen, weißgrauen Bart gezierte Krieger erwähnte ein Heer aus 5000 Erprobten und 30.000 grundausgebildete Männer. "Noch will ich keinen offenen Kampf. Doch ich will sicher sein, dass wir obsiegen können, wenn ich doch den Befehl dazu erteile", stellte der König klar.

"Ihr könnt euch auf meine Männer verlassen, mein König", bekräftigte Kriegsgroßmeister Schmetterhammer.

Im Laufe des Tages erfuhr der König, wieviele geheime Kundschafter es gerade gab und wie sie ausgerüstet waren. Das stimmte ihn sehr zuversichtlich, es mit den Kobolden und falls nötig mit den Zauberstabträgern aufnehmen zu können. So bestellte er die drei Botengildenmitglieder Silberzunge, Bergrufer und Eisengriffel zu sich ein, um ihnen zu sagen, was sie gleich am nächsten Tag weiterzumelden hatten.

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03.01.2006

Es war wieder einmal Mitternacht. Wieder hatte sie alle zu sich hingerufen, die ihr durch freie Überzeugung oder gezielte Unterwerfung treu ergeben waren. Denn es standen große Entscheidungen bevor.

Sie saß an jenem achteckigen Steintisch, der auf einem Podest alles andere in der Grotte überragte. An den Wänden hingen leuchtende Laternen und in der Mitte der weitläufigen, natürlichen Höhle schwebte die wie aus kleinen, lebhaften roten Feuerzungen zusammengesetzt wirkende Erscheinung einer langstieligen Rose mit weit geöffnetem Blütenkelch, in dem Stempel und Staubgefäße wie tanzende Flammen loderten. Im rot-goldenen Widerschein dieser magischen Beleuchtung standen sie alle und lauschten ihr, die sie wie eine längst gekrönte Königin auf ihrem Thron saß. Eine teils feierliche, teils bedrückende Stille lag auf allen. Dann erhob sich die in nachtschwarzen Samt gehüllte Herrin dieses Hexenordens und sprach leise und dennoch von jeder hier verständlich.

"Meine treuen Töchter der Feuerrose. Ich verhieß euch, dass wir in diesem Jahr einen großen Schritt vorwärts tun werden. Ich verkündete euch, dass unser erhabener Orden bald die Grenzen unserer geliebten Heimat überwinden und noch weiter in den Europa heißenden Erdteil hinausreichen wird als er es schon vermag. Auch wenn wir durch eine wider mich und damit euch alle ankämpfende, auf nur ihre eigene Macht besonnene Hexe gestört wurden, so hat dies nur den Zeitpunkt unseres Erfolges verschoben, nicht dessen Eintritt. Denn wahrlich sage ich euch allen, die ihr wie ich auf dem Boden dieses geschichtsträchtigen Landes geboren wurdet, dass es wie einst die Bewohner Roms nun wir sein werden, die von hier aus die Welt erobern und in einem ewigen Frieden unter der mütterlichen Führung der Hexen lenken und bewahren werden. Der Friede im Zeichen der Rose, Pax Rosae, wird alle bisherigen Anstrengungen macht- und ruhmsüchtiger Hexen und Zauberer überwinden und vergessen machen. Wer dann noch meint, wider uns alle zu kämpfen wird entweder in Bedeutungslosigkeit versinken oder den eigenen Tod finden. Alle anderen, die mit und die ohne die erhabenen Kräfte oberhalb sklavischer Naturergebenheit geboren wurden, werden sich nach zu erwartetem Unbehagen und Unwillen willig und dankbar dieser neuen Ordnung ergeben und in ihr ihre Plätze finden, die ihnen Natur und Magie zugewiesen haben.

Ihr alle wurdet von mir auserwählt, mit mir für dieses heere Ziel zu kämpfen und nach dessen Vollendung unser aller dauerhafter Zukunft mitzugestalten. Noch darf ich nur euch in dieser ehrwürdigen, den Regeln der Feuerrose geweihten Höhle zusammenrufen und begrüßen. Doch wenn wir erst das nächste große Ziel erreicht haben, so wird von diesem von Mutter Erde in Jahrtausenden erbauten Hallen das neue Zeitalter der einzig naturgemäßen Herrschaft bestehen. Dann werde ich auch all jene eurer von mir berufenen Schwestern im Zeichen der Feuerrose hier hineinrufen können, um ihnen wie euch die wichtigen Aufgaben zuzuweisen, um dieses hohe Gut zu mehren und für alle kommenden Geschlechter zu bewahren. Wir sind schon viele, auch wenn unsere Widersacher und vor allem Widersacherinnen dies nicht wahrhaben wollen. Bald werden wir auch unüberseh- und unüberhörbar sein. Es dauert nicht mehr lange. Die ersten Zeichen sind bereits gesetzt und werden den von mir ersonnenen Weg erleuchten und uns ans erhoffte Ziel führen."

Nach dieser einer Alleinherrscherin gemäßen Einleitung erwähnte die Rosenkönigin nun, was in den vergangenen Monaten bereits geschehen war und was sie bis zum Jahrestag der starken Woge dunkler Zauberkraft vollenden mochte. Alle hier lauschten ihren Darlegungen. Keine die hier war, konnte ihr widersprechen, weder mit Worten noch mit Gedanken. Selbst die Zwergenbrütige Diana Camporosso oder die nach mehreren Generationen von einer reinrassigen Riesin abstammende Celestina Quatroventi waren ihr ergeben. Denn für sie bedeutete die Mitgliedschaft in der Schwesternschaft der Feuerrose eine baldige Aufwertung des eigenen Lebens. Auch wenn die beiden nicht zu den sieben Regionalverwalterinnen gehörten wähnten sie sich doch wichtig genug, um zum erstrebten Welterfolg beizutragen.

Die hier versammelten Hexen des Feuerrosenordens erfuhren, was genau ihre Königin vorhatte. Die welche es schon längst wussten überließen es ihrer Herrin, es genauer auszuführen. Zwar warnte die Rosenkönigin auch davor, dass die erkannten Feindinnen und Feinde davon ausgingen, dass die Feuerrose mehr Macht erlangen wollte. Doch ihr Vorgehen, nicht mehr direkt heraus, sondern einen Schritt nach dem anderen tuend, würde am Ende auch mit diesen verhassten Widersachern fertig. Nur Diana und Celestina, die vom direkten Einfluss der besonderen Magie ihrer Königin unberührt waren hörten eine gewisse Besorgnis in den Worten ihrer Königin. Diese Besorgnis gründete sich auf die Existenz jener, die wie sie beide von anderen humanoiden Zauberwesen abstammten, die Zwerge, Kobolde, Riesen und Waldfrauen, ja aber besonders jenen, die von den slawischen Zauberwesen namens Veela oder Vilie abstammten. Das lag daran, dass die Königin selbst zum Teil von diesen aus dem Osten stammenden Wesen abstammte und daher wusste, wie mächtig deren Abkömmlinge waren, aber auch daran, dass die Nachfahren von Veelas ihrem machtvollen Unterwerfungszauber widerstreben konnten, ja sie als ihre Feindin bekämpfen würden, bis keine mehr übrig war. Diana dachte daran, dass ihre Königin den sogenannten römischen Frieden als Vorbild für ihre Vorherrschaft und Gesellschaftsordnung sah. Doch auch im alten Imperium Romanum war es immer wieder zu Aufständen und regionalen Kriegen gekommen. Frieden durfte nur erleben, der sich unterwarf und die Errungenschaften der Machthaber demütig hinnahm. Genauso würde es auch sein, wenn die Feuerrose auch über allen anderen Zaubereiministerien der Welt loderte. Doch das von der Königin dargelegte Vorgehen versprach Erfolg, weil die allermeisten Zaubereiminister Europas und der restlichen Welt eben Männer waren, angehörige des leicht zu beeindruckenden und zu verführenden Geschlechtes, eine leichte Beute für jene, die auf ihrem Thron saß und sich schon für die Königin der gesamten Welt hielt.

Die Königin erwähnte jedoch auch, dass der Rosenfrieden nur dann vollständig und unumstößlich sein würde, wenn es gelang, die von den Krankheiten der Blutsucht und der Vollmondsklaverei befallenen aus der Welt zu tilgen. Jene, die sich selbst als Kinder der Nacht bezeichneten und eine geisterhafte Erscheinung als ihre wahre Göttin anbeteten mussten genauso von der Erdoberfläche verschwinden wie die mit dem Werwutkeim befallenen, sich deshalb als den Menschen überlegene Gruppe sehenden Pelzwechsler und Mondanheuler. Ja, auch das Menschsein hinter sich lassende Wesen wie die Geister, Nachtschatten und auch die von der Königin nur behutsam erwähnten vaterlosen Töchter der einstigen Hexengroßmeisterin Lahilliota mussten vergehen, da sie niemals der friedlichen Herrschaft aller Hexen unterworfen sein würden. Doch wenn erst einmal die Eigensinnigkeit territorialer Zaubereiverwaltungsgefüge beendet war und alle Zaubereiminister der Welt dem Wort der Königin folgten, wie es Barbanera jetzt schon tat, konnten diese mächtigen Widersacherinnen und Ausgeburten wirkungsvoll verfolgt und vernichtet werden.

Nachdem die Königin ihre von hohen Zielen und Rechtfertigungen ihrer Handlungen erfüllte Rede beendet hatte wählte sie aus den Reihen der Mitschwestern jene aus, die weiteren Vorhaben durchführen sollten. "Der Donner wird lauter, das Wetterleuchten heller und häufiger. Die selbstsicher grasenden Herden werden bald zusammendrängen, um vor dem reinigendem Gewitter in trügerischer Sicherheit zusammenzustehen", sagte die Königin, nachdem sie die weiteren Aufgaben verteilt und die bereits erledigten Aufgaben abgenickt hatte. Dann sagte sie: "Dieser dumme kleine Gernegroß im Schwarzwald spielt mir dabei genauso in die Karten, weil er aus lauter Angst, an Macht und Ansehen zu verlieren, gegen all die vorgeht, die sich für sein Reich zuständig halten. Im Getöse seiner Taten und im Schatten des gegen ihn erwachsenen Argwohns werden jene, die ich in die drei Länder schicke mithelfen, dass spätestens Ende März Europas Zaubereiministerien im gemeinsamen friedlichen Miteinander unter dem Zeichen der Feuerrose vereint sein werden. Das erheiternde dabei ist, dass die Minister bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass sie damit gegen uns vom Orden der Feuerrose erstarken werden. Ich danke euch, meine Töchter im Zeichen der Feuerrose und sende euch mit meinem Segen und meinem Wohlwollen zurück an eure Wohn- und Arbeitsstätten."

Alle hier versammelten Hexen bedankten sich für diesen Gruß und wünschten der Königin alle Macht und allen Ruhm der magischen Gemeinschaft. Dann durften sie disapparieren. Nur Diana Camporosso musste noch bleiben, weil die Königin sie für ein Zwiegespräch einbestellt hatte.

Als die wegen ihrer von Zwergen und Kobolden herrührend Kleinwüchsige Hexe vor den Thron ihrer Königin trat sagte diese: "Auch wenn du keine unmittelbaren Verbindungen zu den Zwergen hast, weil sie dich als unwerte Missgeburt ansehen, so weißt du doch eine Menge von deren Zauberfertigkeiten und ihrer Weltanschauung. wie können wir diesem widerspenstigen Volk beikommen, ohne gleich alle zu töten?"

"Wie du es sagtest, Mutter und Königin, die Zwerge legen keinen Wert darauf, mit mir zu reden und ich auch nicht mit denen. Aber zwei Sachen weiß ich: Sie werden keine Herrschaftsform hinnehmen, bei der Frauen bestimmen, was geschieht und sie fürchten den großen, grauen Eisentroll, der auch die Schreckgestalt Nummer eins der Kobolde ist. Daher steht für die Magiehistoriker und Zauberwesenkundler fest, dass es mal so ein Wesen gegeben hat, dass dieser mythischen Schreckgestalt als Vorbild gedient hat. Angeblich soll es auch ein Buch geben, in dem die Geschichte dieser Dämonengestalt erzählt wird und wie sie, die von acht wackeren Kobolden in den feurigen Schoß der Erde gestürzt und darin eingeschlossen wurde, wieder hervorgerufen werden kann. Ich habe mich damals, wo ich mehr über meine Vorfahren wissen wollte, in einigen Bibliotheken umgesehen und einzelne Bruchstücke alter, zwei- oder dreimal übersetzter Schriften gelesen. Demnach soll dieser große, graue Eisentroll aus einem Felsentrollpaar und einem Zauberer zusammengefügt worden sein. Wer deren Namen kennt und angeblich zu diesen dreien gehörende Dinge beschaffen und an einem Ort der dünnen Erdkruste beschwören kann vermag dieses Ungeheuer aus der Erde hervorzurufen und vielleicht nach seinem oder ihrem Willen zu lenken. Aber wie das mit der Beschwörung mächtiger Wesen so ist, ob sie gehorchen ist sehr fraglich. Daher passen die geheimen Kundschaftertruppen der Kobolde und Zwerge auf, ob jemand mehr über diese Kreatur weiß und ob es dieses angebliche Buch des grauen Eisentrolls wirklich gibt. Ja, und wie erwähnt wird sich kein reinrassiger Zwergenmann einer reinrassigen Menschenfrau unterwerfen. Zwerge gelten als strebsam, fleißig und hart gegen sich selbst. Sie können von Zauberern und Hexen für handwerkliche Arbeiten angeworben werden, und wer es schafft, einem Zwergenmann einen Schwur bei der Länge seines Bartes abzuringen hat einen lebenslangen Getreuen, solange der nicht gegen sein eigenes Volk kämpfen muss. Denn wie bei vielen anderen Gemeinschaften gilt die Abstammung als heilig und darf nicht verraten werden."

"Das deckt sich mit dem, was ich in meinem ersten Leben bereits erfuhr. Ich weiß auch noch, dass Sardonia von diesem Urdämon aller Kobolde und Zwerge geredet hat. Diese französische Plage war darauf versessen, mächtige Zauberwesen zu beherrschen. Soweit wir wissen ist sie genau daran gescheitert. Deshalb will ich nicht die Beherrschung dieser Kreaturen, sondern deren Eindämmung oder Vernichtung. Also noch einmal, was müssen wir tun, um uns die Zwerge vom Hals zu halten, um sie nicht zu Hoffnungsträgern unserer Feinde werden zu lassen?"

"Nun, die alte Losung Divide et impera, die du, meine Königin, bereits bei den achso überlegen tuenden Lupi Romani verwendet hast, mag auch bei Zwergenkönigen gelingen. Um diese Zauberwesenart aus unseren Vorhaben und Verwaltungsgefügen herauszuhalten müssten sie in ständiger Uneinigkeit gehalten werden, bestenfalls so mit sich selbst beschäftigt werden, dass sie keine Zeit und keine Kraft mehr auf eine Mitsprache in unseren Angelegenheiten verwenden können. Doch wenn du wirklich bald ganz Europa beherrschst könnten die Zwerge es erfahren und sich gegen die eine, machtunwerte Machträuberin zur Wehr setzen wollen. Viele Zwerge sehen in König Malin in Deutschland eine Art Heilsbringer, der ihre Art und ihre Volksstämme gegen uns magische Menschen vereinen und angeblich vorenthaltene Rechte erstreiten wird. Du hast ja erwähnt, dass Malin das deutsche Zaubereiministerium aufgefordert hat, den Zwergen die Goldverwahrung und Goldwertbestimmung zu übertragen und die Kobolde aus dem Land zu jagen, wie Barbanera es mit den in Italien und auf Sardinien hausenden Spitzohren gemacht hat."

"Also, entweder sähen wir dauerhaftes Misstrauen zwischen den neun Königreichen der Zwerge oder verkünden, dass uns der große, graue Eisentroll dient und wir ihn jederzeit gegen alle uns feindlichen Gruppen aussenden können", raunte die Rosenkönigin. "Öhm, es steht zu vermuten, dass die Zwerge versuchen werden, über ihre Späher und Spione zu erfahren, was in den Zaubereiministerien geschieht. Weißt du, wie die das anstellen können?"

"Da müsste ich selbst eine Spionin der Zwerge sein, um das zu wissen, meine Königin", erwiderte Diana ein wenig verwegen. Doch weil die Königin sie weder tadelnd ansah noch streng zurechtwies fuhr sie fort: "Sie werden versuchen, die Sicherungen an den Eingängenund Stockwerkzugängen innerhalb des Ministeriums zu überwinden um entweder Aufzeichnungen zu stehlen oder mit ihrer zauberstablosen Magie hergestellte Mithörvorrichtungen zu verstecken um zu erfahren, was das Zaubereiministerium gegen sie planen könnte", sagte Diana Camporosso. Die Rosenkönigin fragte folgerichtig, ob solche Mithörvorrichtungen eine ständige Verbindung zu ihren Nutzern unterhielten oder die mitgehörten Gespräche sammelten, um sie zu einem festgelegten Zeitpunkt weiterzureichen. Darauf konnte Diana keine Antwort geben. Sie erwähnte nur, dass Zwerge in allen Elementarformen der Magie bewandert waren, obgleich sie der Elementarkraft Erde immer noch am stärksten verbunden waren. Allerdings brauchten sie für ihre Zauber wesentlich mehr Zeit als Zauberstabnutzer. Außerdem konnten sie nicht wie die Kobolde durch festes Gestein reisen, als wäre es reine Luft, sondern bedienten sich Fahrzeugen und Flugapparaten. Sie habe auch davon gehört, dass die Botengilde der Zwerge versteckte Raumtore ähnlich den langwierig einrichtbaren Teleportalen verwenden könne, die ein erdmagisches Gegenstück zum Flohnetz darstellten. Königin Ladonna hörte ihr sehr aufmerksam zu und nickte. Dann blickte sie überlegen auf Diana herunter. "Gut, ob es den Spionen mit ihrer eigentümlichen Magie möglich ist bei uns einzudringen und unerbeten mitzuhören, was wir im Ministerium planen weiß ich nicht. Aber das mit dem Wegenetz und dem grauen Eisentroll sollten wir für uns ausnutzen können. Danke, du hast mein Wissen doch um einige wichtige Punkte erweitert. Du darfst nun ebenfalls nach Hause zurückkehren, meine Tochter." Diana Camporosso verbeugte sich vor ihrer Herrin im schwarzen Samtkleid. Dann nahm sie ihren Zauberstab und verschwand.

Die Rosenkönigin war nun alleine in ihrer Versammlungsgrotte. Mit den Zwergen konnte sie auch fertig werden, davon war sie jetzt überzeugt. Falls es nicht anders ging wollte sie sie töten. Sie dachte daran, dass sie vielleicht selbst nach jenem geheimnisvollen Buch des grauen Eisentrolls suchen und dessen Ursprung erkunden sollte. Falls es dieses Ungeheuer wirklich gab, von dem sie damals auch schon gehört hatte, wollte sie es sicher nicht mal eben so herbeirufen, sofern es wirklich die Jahrtausende überdauert haben sollte. Sie war nicht so einfältig wie Sardonia, die meinte, selbst die mächtigsten Kreaturen unter ihre Herrschaft zwingen zu können, wo sie wusste, dass schon Veelas und kleine Vampire ihrem Feuerrosenduft widerstreben konnten. Ja, und sie wusste auch nicht, warum Albertine Steinbeißer, die Hexe mit den magischen Kunstaugen, ihr damals widerstehen und sie zu alledem noch demütigen konnte. Doch mit der würde sie bald abrechnen. Die würde dann nur die Wahl haben, sich bedingungslos zu unterwerfen oder vor ihr zu Staub zu zerfallen.

Mit einem lässigen Zauberstabschwenk ließ sie die bis dahin frei schwebende Erscheinung einer Rose aus reinem roten Feuer vergehen und löschte mit "Omnoctes Lanternas!" alle brennenden Laternen. Nun war es dunkel in der Versammlungsgrotte des Feuerrosenordens. Die sich bereits als Königin anreden lassende Tochter zweier Mütter drehte sich geschmeidig auf dem rechten Absatz und verschwand mit leisem Plopp in leerer Luft.

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Seine hochamtliche Bezeichnung lautete zaubereiministerieller Ansprechpartner für Angehörige der mit zauberkräften begüterten, denk- und handlungsfähigen Lebensform namens Schwarzalb oder Zwerg zur Aufrechterhaltung gedeihlichen und friedlichen Umgangs zwischen zauberisch begabten Menschen und Schwarzalben, sowie zum Austausch beide Seiten betreffender Kenntnisse, Meinungen und Vorschläge und Vermeidung oder Bewältigung aufkommender Streitigkeiten zwischen benannten Gruppen. Doch keiner benutzte beim Sprechen dieses Begriffsungeheuer. Sie stutzten es einfach auf Zwergenverbindungsbeauftragter herunter.

Hanno Erlenhain übte das Amt des Zwergenverbindungsbeauftragten nun schon im zwölften Jahr aus. Die ersten zehn Jahre davon waren nur allmonatliches Begrüßen, kurze Informationsweitergabe und respektvolle Verabschiedung. Mit Herren Austri Goldkehle hatte er sich so immer gut verstanden. Doch das letzte Jahr hatte es regelrecht in sich gehabt. Seitdem der große Aufruhr von Erdmagie die ganze Welt umtost hatte war Erlenhains Amt eines der anstrengendsten Tätigkeiten unterhalb der Lichtwacheneinsätze. Dabei hatte er damals gedacht, mit den wenigen bestandenen UTZs wäre er noch gut im Ministerium untergekommen, weil er als Sprachtalent erkannt worden war. Seit einem Jahr hatte er nicht mehr mit Herrn Goldkehle zu tun, sondern mit AnAndvari Silberzunge. Der hatte ihm im Auftrag seines neuen Königs Malin VII. erklärt, dass eben dieser König Malin ihn auserwählt hatte, weil er sich nicht von großen Zauberstabträgern einschüchtern ließe. Ja, und der lag ihm seit dem nicht mehr monatlich, sondern alle drei Tage in den Ohren, dass das deutsche Zaubereiministerium den Zwergen, den wahren Urvölkern des deutschsprachigen Raumes, das Goldverwahrungs- und Goldwertbestimmungsrecht zuerkennen sollte. Doch der Minister hatte immer und immer wieder klargestellt, dass es richtig und wichtig sei, den Zustand vor der sogenannten Goldebbe wieder herzustellen. Jede davon abweichende Entscheidung würde das Gold in den Gringottsverliesen endgültig unerreichbar machen. Ja, und immer wieder hatte Erlenhain seinem neuen Kontakt zu den Zwergen diese Entscheidung mitgeteilt, mündlich und schriftlich. So rechnete er damit, dass Andvari Silberzunge heute auch nichts anderes fordern würde.

Es war Punkt neun Uhr, als jemand mit hörbar kleinen Fingern ziemlich laut an die Tür klopfte. Hanno Erlenhain legte seinen Notizblock zurecht und rief: "Kommen sie bitte herein, Herr Silberzunge!"

Ein kleinwüchsiges Wesen mit dunkelgrauem Haar und Vollbart, gekleidet in der violetten Kleidung der Botengilde, betrat das Amtszimmer Erlenhains. "Morgen, Herr Erlenhain!" Grummelte der kleine Mann. "Ihnen Auch ein frohes und erfolgreiches neues Jahr, Herr Silberzunge", erwiderte Erlenhain.

"Wie kann denn ein Jahr froh sein? Außerdem ist Ihr Kalender drei Monate hinterher. Wir Schwarzalben haben schon zur Nebelzeit das neue Jahr begrüßt und haben schon das siebentausendzweiundachtzigste."

"Ja, Ihr Vorgänger erwähnte, dass Sie eine andere Zeitrechnung benutzen", sagte Erlenhain und dachte für sich "Die noch obskurer ist als unsere." Laut sagte er: "Bevor Sie wieder als ungebetener Gast eingestuft werden bitte ich Sie, sich hinzu..." In dem Moment schnellte Silberzunge schon von dem Stuhl hoch, auf den er sich unaufgefordert setzen wollte. Er stieß einen Fluch in seiner Muttersprache aus, der übersetzt "Dreckholz" lautete. Erlenhain deutete auf einen Zettel an der Wand, auf dem stand, dass in diesem Raum zur unmissverständlichen Unterhaltung Hochdeutsch benutzt werden möge. "War für diese Schleuder da", knurrte Silberzunge. "Natürlich. Hiermit bitte ich sie, Herrn Silberzunge, auf diesem Stuhl Platz zu nehmen. Der Zwerg in Violett vom Kegelhut bis zu den Sandalen setzte sich noch einmal hin. Diesmal blieb der Stuhl friedlich.

"Darf ich fragen, wie sich Ihr Herr und König befindet?"

"Das haben Sie gerade getan", knurrte Silberzunge und legte nach: "Mein Herr und König, Malin VII. Eisenknoter, möge ihm sein Bart nie ausfallen und möge er ruhmreiche Zeiten erleben, befindet sich in den Hallen des Herrschers in der Stadt unter den Bergen. Er ist sehr ungehalten, dass er bis heute keine ihn erfreulich stimmende Nachricht von Ihnen und Ihrem Vorgesetzten erhalten hat. Daher schickt er mich, um Ihnen das hier zu sagen: So spricht mein Herr und König. "Ich wünsche dem Zaubereiminister Deutschlands, dass er den nach seiner Zeitrechnung anstehenden Jahreswechsel glücklich und zuversichtlich vollzogen hat. So wird er, da bin ich sicher, meinen wiederholten Vorschlägen endlich zuneigen und das unrechtmäßig von den Briten und anderen Koboldfreunden aufgezwungene Abkommen mit den aus Britannien eingewanderten Gierfingern und Spitzohren aufkündigen und das Goldverwahrungs- und Goldwertbestimmungsrecht an das einzig dazu berechtigte Volk zurückgeben, den Schwarzalben. Die Bedingungen, zu denen die Übergabe erfolgen soll sind bereits mehrmals erwähnt worden und weiterhin unverändert. Herr Minister Güldenberg soll dem von Kobolden abstammenden Handels- und Goldverwaltungsbeamten Giesbert Heller endlich die wohlverdiente Freistellung ausfertigen, dann die Kobolde dazu auffordern, die Schlüssel und Zauber zur Beseitigung ihrer Diebesfallen und anderer Sicherheitseinrichtungen zu übergeben und dann auf ihre Heimatinseln zurückkehren, wo sie hingehören. Um das alles hinzubekommen haben sie, Herr Minister Güldenberg, bis zur Tag-und-Nacht-Gleiche am Beginn der Warmzeit. Sollten Sie meinen, die gierfingrigen Kobolde seien immer noch hochanständige Geschäftspartner und ehrliche Verwahrer, werden wir Ihnen beweisen, dass dem nicht so ist. Abgesehen davon wird ein neuer Handelsabteilungsleiter schnell herausfinden, wie häufig diese Spitzohren Sie schon am nicht vorhandenen Bart gezupft haben, ohne dass Sie das mitbekommen haben. Sollten sich die Kobolde weigern, von hier wegzugehen, weil die meinen, sie wären doch genauso hier geboren worden wie wir Schwarzalben, die wir hier schon wohnten, bevor es die ersten behaarten Menschen hier gab, dann werden wir ab dem Tag, der in Ihren Kalendern als zweiundzwanzigster März benannt ist, diese Plage ein für alle mal aus Ihrem und unserem geliebten Heimatland vertreiben. Wer uns dabei in den Weg gerät muss mit bleibenden Schäden rechnen. Kriegen Sie es also hin, diese spitzohrigen Spitzbuben zur freiwilligen Auswanderung zu veranlassen. Die Italiener haben es auch hinbekommen und die Russen genauso." So spricht mein Herr und König."

"Ein Ultimatum? Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass Ihr König uns nur noch bis zum Frühlingsanfang Zeit lässt, um unser Gold in Ihre Hände zu übergeben?"

"Zur treuen Verwahrung und ehrlichen Wertsteigerung", berichtigte Andvari Silberzunge.

"Sie haben erwähnt, dass die Bedingungen sich nicht verändert haben. Ja, unsere auch nicht. Wie ich Ihnen bereits mehrfach mitgeteilt habe war es uns wichtig, die guten Verhältnisse im magischen Wahren- und Währungsverkehr schnellstmöglich wieder ins Lot zu bringen. Da wir nun einmal seit 1613 unserer Zeitrechnung ein bindendes Abkommen mit den Kobolden haben legt es der Minister nicht darauf an, einen neuerlichen Streitfall mit diesem Volk vom Zaun zu brechen. Abgesehen davon wird Minister Güldenberg es nicht dulden, wenn sich auf unserem Boden zwei verfeindete Gruppen mit Zauberkraft und magischen Waffen bekriegen, ob über oder unter der Erde. Offenbar leidet Ihr Herr und König unter Vergesslichkeit, weil ich diese klare Antwort meines Vorgesetzten bereits dreimal so und nicht anders ausgesprochen habe. Oder haben Sie vielleicht Ihrem König was falsches erzählt, um nicht von ihm bestraft zu werden? Dann muss ich davon ausgehen, dass dieses Gespräch ebenso falsch wiedergegeben wird."

"Das ist eine Beleidigung, und das mir, der ich offen sichtbar in der Kluft der Botengilde hier bin. Ich bin durch Gildenschwur verpflichtet, das gehörte so weiterzusagen, wie ich es hörte. Außerdem bin ich meinem Herrn und König zur vollen Wahrheit verpflichtet. Sie missachten meine Kleidung und damit meinen Stand, meine Ehre und damit auch die Ehre der Gilde. Nehmen Sie das von eben sofort zurück!"

"Ich bin dazu bereit, wenn Sie bei der Länge Ihres Bartes schwören, dass Sie meine Antworten an Ihren König immer so wiedergaben, wie ich sie ausgesprochen habe", sagte Erlenhain selbst sehr ungehalten.

"Ich werde doch nicht den heiligsten aller Schwüre darauf verwenden, um zu bestätigen, was meine Kleidung schon verrät. Oder können Sie keine Farben mehr unterscheiden?"

"Doch, kann ich noch ganz gut, mittelhelles Violett, fast wie bei Amethysten", sagte Erlenhain jetzt etwas ruhiger, während der Besucher bebte.

"Es bleibt dabei. Mein König fordert die Ablösung der Kobolde und ihres Nachkömmlings Giesbert Heller. Bis zum Frühlingsanfang haben Sie und Ihre Vorgesetzten Zeit, das hinzubekommen. Danach sind wir dran. Dann werden Sie mit uns verhandeln müssen. Mein Herr und König könnte dann alles an Hinhaltungen und Beleidigungen wieder hervorholen, um zu beschließen, wer wie viel Gold zugeteilt bekommt."

"Das werte ich jetzt wiederum als Drohung eines Raubüberfalls auf alle redlichen Zaubererweltbewohner", erwiderte Erlenhain ganz laut, dass es dem Zwerg in den hochempfindlichen Ohren nachklirren musste. "Ich könnte Sie für diese Aussage hier und jetzt festnehmen lassen. Aber Sie sind ja nur der Bote, nicht der, der mit diesen Plänen spielt."

"Werden Sie dem Minister des Königs Worte weitergeben? fragte Silberzunge ein wenig zurückhaltender als eben noch."

"Dies schwöre ich bei der Länge meines Bartes", erwiderte Erlenhain und tippte sich an seinen bewusst getragenen blonden Vollbart. Silberzunge verzog das Gesicht. Dann nickte er. "So habe ich gesprochen und bitte um die Erlaubnis, das gehörte an meinen Herren weiterzuberichten", setzte der Bote mit der festgeschriebenen Abschiedsformel an. Erlenhain nickte und erwiderte ebenso vorgeschrieben: "Ich danke Ihnen, Bote des Königs und werde das von Ihnen gehörte meinem Vorgesetzten weiterberichten. Sie haben die Erlaubnis, mich zu verlassen." Silberzunge stand auf und wandte sich der Tür zu. Seine violetten Lederhosen knirschten leise. Dann verließ er das Büro mit schnellen, entschlossenen Schritten. Die Tür fiel zu und wurde vom Achtsamkeitszauber, der unzulässiges Türenknallen verhinderte, kurz vor dem Zuschlagen abgefangen. Leise schloss sich die Tür.

"Tja, und die kleine feine Feder hat dich auch Wort für Wort gehört", dachte Erlenhain. Eigentlich brauchte er keinen Notizblock. Doch zur Dienstvorschrift gehörte es, einen solchen sichtbar auf dem Tisch bereitliegen zu haben. Außerdem konnte selbst ein Zwerg dann nicht hören, wie hinter einer einseitig für Schall durchlässigen Zauberwand die Flotte-Schreibefeder arbeitete. Das hatte er sich von seinem Kollegen vom Koboldverbindungsbüro abgeguckt, der wesentlich mehr Gründe hatte, jedes Wort wie gesagt festzuhalten. Bei Malins Boten galt das wohl auch.

Wenige Minuten nach dieser aufwühlenden, jede diplomatische Gesprächsetikette entbehrenden Unterhaltung las Minister Güldenberg die wortgetreue Abschrift des Gespräches. "Soso, ist es Ihnen doch gelungen, diesem Burschen mehr zu entlocken als er eigentlich sagen wollte", grummelte Heinrich Güldenberg.

"Sie meinen wegen der Aussage, dass die Zwerge nach dem Sturm auf Gringotts bestimmen, wer wie viel Gold behalten darf?" fragte Erlenhain. "Ja, ich fürchte, das ist tatsächlich der Gedanke, den König Malin hat, wenn wir ihm nicht geben, worauf er meint, ein Anrecht zu haben. Er braucht einen großen Erfolg, auch vor den anderen Königin der Erdkinder, Herr Erlenhain. Es kann nur sein, dass Silberzunge nicht mehr zu Ihnen geschickt wird, wenn sein offenbar größenwahnsinniger Herr erfährt, was der Ihnen erzählt hat. Der sollte ja nur das Ultimatum überbringenund schon mal die Antwort mitnehmen."

"Ja, stimmt, sollte er", sagte Erlenhain.

Güldenberg berief eine spontane Besprechung der für Handel- und Zauberwesen zuständigen Abteilungsleiter ein. Auch Andronicus Wetterspitz holte er dazu. Dann durfte Hanno die Mitschrift der Unterhaltung von eben noch einmal vorlesen. Die Anwesenden blickten erst ihn und dann einander verstimmt an. "Der rüstet zum Krieg oder ist schon damit fertig. Sonst wäre der nicht so frech", grummelte Giesbert Heller.

"Ja, und womöglich plant er Anschläge auf die Kobolde, um uns zu zeigen, wie unzuverlässig die sind. Das werden die nicht hinnehmen. Dann wird es Krieg geben", fügte der Leiter der Zauberwesenbehörde hinzu.

"Dann müssten wir die eigentlich warnen, wandte darauf der Koboldverbindungsbeauftragte Wilhelm Birkenklotz ein.

"Das machenSie auf jeden Fall, Willi", knurrte Heller. "Weil sonst mach ich das mit dem Chef von Gringotts Frankfurt."

"Hallo, wer hier wem was möglicherweise über Krieg und Frieden entscheidendes mitteilt entscheide immer noch ich, meine Herren!" rief Güldenberg sehr verstimmt. Die Anwesenden sahen ihn an und nickten dann. "Sie warten jetzt ab, ob Silberzunge in den nächsten Tagen wiederkommt und berichtet, was sein König auf unsere Antwort erwidert beziehungsweise teilen ihm dann mit, dass wir uns weder erpressen lassen noch dass wir es dulden, wenn jemand mit räuberischer Aneignung droht. Sollte sein König danach immer noch diese Haltung an den Tag legen behalten wir uns vor, ihn in seiner eigenen Höhle einzusperren, weil unser Gefängnis für Menschen gedacht ist und nicht für größenwahnsinnige Zwerge."

"Leidet nicht jeder Zwerg irgendwann an Größenwahn?" fragte Heller unüberhörbar gehässig. "Ja, wobei früher Zwerge, Kobolde und Gnome in denselben Topf geworfen und durchgekocht wurden", legte Willi Birkenklotz nach. "Schluss jetzt!" bellte der Minister. Das genügte auch, um die unangebrachte Kindergartenatmosphäre zu beseitigen. Jetzt sahen sich alle ernst an. "Sie machen es bitte so, wie ich es gerade festgelegt habe, Herr Erlenhain! Danach sehen und hören wir weiter." Hanno Erlenhain nickte bestätigend. So konnten sie alle wieder in ihre Büros zurückkehren.

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"Wie bitte?! Du hast dem einfachen Boten von denen gesagt, ich würde dann festlegen, wer wie viel Gold behält?!!" brüllte Malin Eisenknoter Andvari Silberzunge an. Dieser krümmte sich vor Schmerz und Angst vor seinem König.

"Er wollte wissen, was geschieht, wenn sie Heller und die Kobolde nicht fortjagen", stammelte Silberzunge.

"Die werden jetzt erst recht mit diesen Spitzohren zusammengehen, um uns zu bekriegen", zischte der König sehr gefährlich. "Aber das wird ihnen nicht helfen. Aber das wirst du denen nicht mehr sagen. Ich verstoße dich als meinen eigenen Boten zu Güldenberg", sagte Malin. Lass dir von deinem Großmeister eine andere Aufgabe zuteilen! Er soll mir einen neuen Boten zuteilen."

"Mein Herr und König, lasst Gnade walten!"

"Sei froh, dass ich dich nicht wegen Verrates an deinem eigenen Bart an die Decke hängen lasse", knurrte der König. "Und jetzt verschwinde, oder ich werde dich als gefährlichen Eindringling behandeln." Silberzunge Sprang auf und sah in die Ecken, wo Leibgardisten standen. Deshalb warf er sich herum und rannte um sein Leben aus der Besprechungshöhle. Die Leibgardisten, alles Mitglieder der Kriegergilde, blieben ruhig stehen. Sie hatten einen Bartschwur abgelegt, nur dann was zu sagen oder zu tun, wenn es der König befahl und durften auch niemandem verraten, was sie in seiner Anwesenheit hörten.

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05.01.2006

Diana Camporosso starrte auf die silberne Kugelschale, die in etwa wie ein Goldfischglas aussah. Darin wogte eine tiefschwarze, ölige Flüssigkeit. Die Schale erzitterte leicht. Es war unheimlich. Doch daran sollte sie als eine treue Tochter der Feuerrose längst gewöhnt sein.

Ladonna Montefiori kam in einem schwarzen Ganzkörperschutzanzug für mit höchstgiftigen Substanzen hantierenden Alchemisten herein. Ihr langes Har war nicht zu sehen, aber ihre atemberaubend schöne Figur. Diana verstand nun, dass diese Frau eine Königin war.

"Du musst dir auch einen Schutzanzug anziehen. Wenn ich das letzte Agens in den Trank der dunklen Helfer einfülle wird jede helle Hautpartie von den Ausdünstungen zerfressen, und es kann dir passieren, dass deine schlimmsten Ängste und Erinnerungen aus dir heraus gestalt annehmen wie eine Mischung aus Nachtschatten und Irrwicht. Willst du nicht wirklich", klang Ladonnas Stimme durch die Vollmaske immer noch glockenhell zu Diana.

"Du hast mir nicht verraten wollen, was genau du hier braust, meine Königin. Aber wenn ich jetzt aus Versehen den Finger in die Substanz gesteckt hätte?"

"Wäre dir nicht gelungen, weil ich eine unsichtbare Campana Protectiva viventum darüber gespannt habe, die aber auch nur solange hält, wie die Suspension in der Mondsteinsilberschale noch nicht die letzte Zutat, das Agens activandum erhalten hat."

"Italienisch ist eine Tochter des Latein, ebenso wie Französisch und Spanisch. Habe ich richtig verstanden, dass diese ölige Masse solange Inaktiv bleibt, bis du ihr die Aufweckzutat zugeführt hast?" wollte Diana wissen. "Ja, so ist es. Und jetzt zieh dir gütigst den bereitliegenden Ganzkörperschutzanzug an!" Drang Ladonnas Stimme durch die schwarze Vollmaske um Kopf und Gesicht.

Diana griff sich das, was wie die abgestreifte Haut eines Afrikaners aussah. Dann entledigte sie sich ihrer Kleidung und berührte den Bauchbereich des schlaffen Ganzkörperanzuges. er klaffte auf. Diana hatte schon mal so ein Ding anziehen wollen. Doch das war ihr zu groß geworden. Ein berühmter Biomathurg und Alchemist, Girolamo Spalanzani, hatte diese Art von Anzügen entwickelt, weit vor den neuartigen Duotectus-Anzügen aus Frankreich. Doch solche Anzüge wurden nur an italienische Alchemisten, Heiler und Thaumaturgen veräußert, weil die angeblich so teuer in der Herstellung waren, dass sich der Kaufinteressent erst einmal eigenes Gold herstellen müsste.

Diana wunderte sich, dass sie so leicht in den Anzug schlüpfen konnte. Als sie die Bauchklappe wieder schloss zog sich dieser leise zischend zusammen und schmiegte sich vollständig ihrer Haut an. "So ähnlich müssen diese Sonnenschutzfolien der Vampirgötzin funktionieren", sagte Diana, als sie merkte, dass sie frische Luft durch die Maske atmen konnte und ihre Augen hinter den durchsichtigen Halbkugeln trotzdem noch alles scharf sehen konnten.

Gut, dann fülle ich jetzt das letzte Agens ein", sagte Ladonna. Dann griff sie unter den Tisch mit der silbernen Kugelschale und holte eine kleine Phiole hervor. Diese öffnete sie mit zwei Fingern. Diana sah nur ein kleines schwarzes Knäuel, als habe jemand mit pech eingefärbte Wolle auf die Größe einer Pistazie zusammengeschrumpft. Diana wollte fragen was das war, als Ladonna mit einer silbernen Pincette in die Phiole griff und das Winzknäuel herauszog. Jetzt meinte Diana zu erkennen, was es sein musste. Die Farbe und die hauchzarte Faserung. Ladonna hatte eines oder mehrere ihrer eigenen Haare zu diesem Wollknäuel zusammengedreht. Jetzt hielt sie das Winzknäuel über die schale und öffnete die Pincette. Das winzige Knäuel fiel in die handtellergroße Öffnung der Kugel hinein. "Jetzt ganz ruhig stehenbleiben. Keine ausufernde Bewegung, egal wie langsam!" warnte Ladonna Montefiori.

Es blubberte. Für zwei Sekunden flimmerte es grün-rot über der Schale. Dann stiegen kleine dunkle Blasen heraus und schwebten in der Luft. Diana erstarrte vor Schreck, als eine dieser gallertartigen Blasen gegen ihren Kopf stieß und davon abprallte. Dabei meinte sie, starke Wut und Hass zu empfinden. Es war nur ein winziger Moment. Dann trieb die Kugel weiter. Da traf sie die nächste und die nächste und die übernächste. Es wurden immer mehr, die aus der öligen Substanz entwichen, durch die Luft trieben und gegen Decke und Wände, aber auch gegen die zwei dunklen Braukünstlerinnen prallten. Diana wurde von diesen unheimlichen Bläschen förmlich eingedeckt, fühlte abwechselnd Angst, Hass und Wut, als wenn sie von entsprechenden Gefühlszaubern beharkt würde. Da sie nicht wusste, ob sie sprechen durfte oder nicht sagte sie nichts. Doch sie konnte mentiloquieren.

"Meine Königin, was hast du da auf uns losgelassen?"

"Das in der Schale ist die Essenz aus fünfzig gewaltsamen Toden mit weiteren Zutaten, die nur durch das Leid der sie spendenden Lebewesen gewonnen werden konnten. Näheres willst du nicht wissen. Nur noch so viel. Das letzte Agens war ein Stück abgestorbener Haut, von mir freiwillig unter den dazu passenden Schmerzen entnommen und mit dem letzten Zauber belegt, um zu bewirken, was uns gerade bestürmt", schickte Ladonna zurück.

"Und was errgibt das? Unlichtkristalle?" gedankenfragte Diana Camporosso.

"O, doch kein Mythos. Erzähl mir demnächst mal mehr davon", gedankenantwortete die Rosenkönigin. Dann wäre sie fast selbst erschrocken zurückgesprungen, weil ihr gleich zwei Gallertkügelchen voll gegen die Augenschutzlinsen klatschten.

Jetzt konnte Diana sehen, wie die von ihr und der Königin abgeprallten Blasen immer größer und durchscheinender wurden. Diana mochte ihren geschützten Augen nicht mehr trauen als sie sah, das in den Blasen winzige, völlig schwarze Menschenkörper schwammen wie Föten in Fruchtblasen. Nur fehlte hier die pulsierende Nabelschnur. Dafür wuchsen die schwebenden Blasen wahrhaftig bis auf Neugeborenengröße und wurden von den in ihnen steckenden Geschöpfen oder Gebilden regelrecht eingeatmet. "Jetzt musst du ganz besonders ruhig verharren. Die Adaptatio umbrae originis beginnt", mentiloquierte Ladonna ihrer treuen Untertanin. Was damit gemeint war erkannte Diana einige Sekunden später, als die "geschlüpften" Geschöpfe zu nachtschwarzen, geisterhaften Wesen auswuchsen, die aussahen wie ... "Nachtschatten?!" konnte Diana noch einen klaren Gedanken versenden.

"Nicht ganz", schickte Ladonna zurück.

Mehr und mehr dieser aus Fruchtblasen schlüpfenden Schattengebilde entstanden und wuchsen auf die Größe von Ladonna und Diana Camporosso. Sie umschwebten sie, umtanzten sie, wurden von den noch ungeschlüpften Schatten weggestoßen, ja sogar von den winzigen Keimblasen, wie Diana sie jetzt für sich nannte. Immer noch stiegen solche aus der silbernen Kugelschale heraus und umschwirrten die beiden wahrlich dunklen Hexen. Immermehr der Schatten wurden ohne Schrei und ohne helfende Hebamme geboren. Immer mehr schatten drängten sich um die beiden. Diana fühlte immer wieder Berührungen an ihrem Anzug und wie dieser kurz erbebte. Immer wenn sie eine der kleinen Blasen traf empfand sie Wut und Hass, dazwischen Angst vor dem, was sie da losgelassen hatten oder noch loslassen würden. Sie war sich jetzt absolut sicher, dass diese Züchtungen tödlich für ungeschützte wesen waren. Weiter und weiter, mehr und mehr quollen Keimblasen aus der Schale, schwebten aufquellende Fruchtblasenimitationen wie schwarze Ballons durch den Raum und entließen die kleinen Schatten, die sich zu ausgewachsenen Dunkelgeistern weiterentwickelten, die ihrerseits versuchten, die beiden lebenden Wesen in diesem Raum zu ergreifen, und doch zu schwach waren, sie festzuhalten.

Wie lange diese Brut des Grauens andauerte konnte Diana nicht sagen, weil sie keine Uhr trug. Ladonna hatte sie ausdrücklich darauf hingewiesen, nichts am Körper zu tragen, was die Verbindung mit dem Schutzanzug stören konnte. So konnte sie nur vermuten, dass es eine Viertelstunde dauerte, bis keine Blase mehr aus der Schale emporstieg. Ladonna gebot Diana mit einem Gedanken, noch durchzuhalten.

Nun sah Diana, wie die ersten erbrüteten Schatten sich zusammenzogen und dabei eine bekannte räumliche Gestalt annahmen, die einer pistaziengroßen, schwarzen Kugel.

Die Kugeln filen zu Boden und tippten auf der offenbar federnden Oberfläche auf, bis sie liegenblieben. Immer mehr Schatten wurden zu solchen, feststofflichen Globuli, die titschend wie kleine Quaffel über den Boden hüpften und dann liegenblieben wie von einem Kind ausgestreute Murmeln. Doch Diana war sich weiterhin sicher, dass diese schwarzen Murmeln keinesfalls harmlos waren.

Endlich schwebten keine Schatten mehr herum. Sie waren alle zu wpistaziengroßen Kugeln geworden, nicht gallertartig wie die Keimblasen, sondern fest wie aus Glas oder Stein, doch völlig undurchsichtig.

"Jetzt müssen wir die mit nichtmagischen Kehrgeräten einsammeln und in kleine Silberdosen umfüllen, solange es gerade mal rotes Licht im Raum gibt. Solange musst du noch den Anzug tragen. Ach ja, vor allem musst du nachher, bevor du den Anzug wieder ausziehen willst, alle deine Kleidungsstücke von den Schuhen bis zur Bluse durchsuchen, bestenfalls hier auf den Tisch ausschütteln. Es könnten durchaus welche von den Umbrulae agitantes hineingeraten sein. Wenn du so einen in Stasis verfallenen Jagdschatten mehr als zehn Herzschläge unbemerkt am Körper trägst erwacht er wieder und zehrt dir sämtliche Lebensenergie aus, wie seine große Schwester, die Umbra nocturna vera, der wahrhaftige Nachtschatten."

"Warum hast du mich nicht vorher gewarnt, dass ich mich besser draußen umkleiden soll?" fragte Diana. "Habe ich getan. Ich habe dir gesagt, ich ziehe mich jetzt im Nebenraum um. Mach das besser auch. Hast du nicht gehört, trotz der guten Ohren?"

"Ich wollte warten, bis du fertig bist. Die Zeiten, wo ich mich mit anderen Mädchen im selben Raum umgezogen habe sind ein wenig länger her", erwiderte Diana leicht beschämt und auch verängstigt, weil Ladonna es nicht mochte, wenn man ihr nicht aufs Wort gehorchte. Doch die lachte hinter ihrer Maske, während sie mit Kehrblech, Handfeger und kleinen Silberdosen hantierte. Sie lachte laut und glockenhell. Dann drückte sie ihrer Gehilfin ebenfalls Putzgeräte in die behandschuhten Hände.

Beim Einsammeln der erstarrten Jagdschatten erklärte Ladonna der nun ein wenig zitternden Untertanin, dass diese erbrüteten Schattengebilde keine eigene Intelligenz wie wahre Nachtschatten besaßen, sondern nach ihrer Erweckung auf alles losgingen, was nicht mit bestimmten Schutzzaubern an Kleidung oder Körper vor ihrer Wahrnehmung abgeschirmt wurde. Doch wie bei den Wahren Schatten konnte einfaches Licht sie lähmen oder bei ausreichender Stärke zerfließen lassen. Ganz besonders aggressiv wurden sie, wenn sie abrupt aus ihrer Erstarrung gerissen wurden, in dem ihre Stasisformen aus großer Höhe auf unbezaubertem Boden prallten und zersprangen. Dann erwähnte sie noch, warum sie diese gefährlichen Etwasse erbrütet hatte und dass dies nur mit Mondsteinsilberschalen ginge, da in denen eben die Macht des Mondes enthalten sei.

"Und woher hast du die Rezeptur, meine Mutter und Königin?" fragte Diana. "Aus den im doppeltem Sinne dunkelsten Ecken des Archives des Zaubereiministeriums Italiens. Ich hörte mal davon, dass die Papisten in ihrem geistigen Zentrum all die Bücher aufbewahren, von denen sie nie wollen, dass sie jemals wieder jemand liest, weil die Inhalte ihre Gesinnung und Ausrichtung in Frage stellen, ja widerlegen können. Sowas ähnliches haben die Zauberräte der italienischen Stadtstaaten mit den Erkenntnissen mächtiger Hexen und Zauberer gemacht. Tja, und wer Zugang zu diesen tiefen Hallen verderblichen Wissens hat kann sowas erlernen wie ich und es auch noch anwenden."

"Aber du warst doch nicht mehr im Archiv, seitdem du das Ministerium unterworfen hast, Mutter und Königin", wandte Diana ein. Ladonna kicherte. "Eben genau, weil ich mir viele wichtige Leute da unterworfen habe brauche ich nicht selbst da runter zu gehen. Ja, und die wissen das hinterher nicht einmal, dass sie für mich von deren Divitiae prohibitae was mitgebracht haben."

"Verbotene Schätze? Das passt zu dem, was wir gerade hier veranstaltet haben, meine Mutter und Königin. Ladonna wollte ihr da nicht widersprechen.

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01.02.2006

Drei mal zwölf, vier mal neun oder sechs mal sechs Jahre alt zu werden musste in der magischen Welt unbedingt ähnlich groß gefeiert werden wie eine durch 25 teilbare Anzahl an Lebensjahren, Soviel stand fest. Deshalb beging Béatrice Latierre ihren 36. Geburtstag auch richtig groß. Da sie offiziell die zweite Heilerin von Millemerveilles war und höchstoffiziell im Apfelhaus wohnte wurde das große darum herum verlaufende Grundstück für diese besondere Quadratzahl geschmückt, alle geladenen Gäste, die Musik machen konnten hatten sich in den Tagen davor getroffen und Stücke eingeübt. Alte Schulkameradinnen von Béatrice waren herübergekommen um zu sehen, wie sie jetzt wohnte. Als sie mitbekamen, dass sie von einem Verheirateten Mann ein Kind bekommen durfte waren nicht wenige der geladenen Hexen erstaunt und auch ein wenig verunsichert. Die einen fanden es großartigg, dass Millie das akzeptierte. Die anderen wussten nicht, ob sie sich je auf sowas einlassen konnten. Julius konnte die halbe Jahrgangsstufe des roten Saales von damals mitbekommen und meinte im Scherz, dass das ja schon einem Klassentreffen gleichkäme. Die anderen lachten darüber.

Laurentine strahlte vor Freude, dass Béatrice auch sie zusammen mit der ganzen Familie Brickston eingeladen hatte. Babette hatte sich sogar einen freien Nachmittag erbitten können, um aus ihrer Mannschafts-WG in Lyon nach Millemerveilles kommen zu dürfen. Zwar würden die Lyoneser Löwen in einer Woche gegen die Pariser Pelikane spielen, doch Babette war zuversichtlich, dass sie als Auswechseljägerin schon gut genug war, um mehrere Tore zu schießen, auch wenn die zwei Montferre-Schwestern Sabine und Sandra ihr nahelegten, schon mal ihre Knochen durchzunummerieren.

Aurore konnte mit den mitgebrachten Kindern der anderen Gäste im Garten spielen. Die Aufsicht über die wilde Bande führten die Eltern abwechselnd, sodass die geradenicht auf Kinder aufpassenden Eltern sich in der großen Eingangs- und Festhalle unterhalten konnten. Florymont hatte die Wandelraumtruhe für Geburtstagsgeschenke nachgerüstet, so dass sie jetzt nicht nur auch von Félix, Flavine und Fylla benutzt werden konnte, sondern auch für Béatrice. So verlief das bei Geburtstagsfesten übliche Geschenkeauspackritual spannend, weil alle nur das nächste Geschenk sahen, sobald das auf dem Truhendeckel angezeigte Geburtstagskind es aus der unergründlichen Schwärze des Wandelraums gezogen hatte. Dabei kamen viele Kleider zum Vorschein, die sie in ihrer Freizeit tragen konnte. Auch bekam sie vieleBücher in Französischer, spanischer und englischer Sprache. So richtig freuen konnte sich Béatrice über die Eintrittskarten zu einem am 4. April im Pariser Haus der Wohlklänge in der Rue de Camouflage stattfindenden Konzert der 30 Transcendents, einer aus dreißig Musikerinnen und Musikern bestehenden Formation, die ausschließlich auf Glasharfen und anderen sphärische Töne hervorbringenden Instrumenten spielte. Da sie zu dem Konzert einen Begleiter oder eine Begleiterin ihrer Wahl mitnehmen durfte wollte sie sich bis zum zweiten April festlegen, wen sie für würdig befand, mit ihr drei Stunden lang in die Welt sphärischer Klänge und Harmonien einzutauchen.

Da sie ja jetzt selbst eine Maman war bekam sie von ihrer Mutter einen goldenen Schlüssel zur Kammer der Mütter im Sonnenblumenschloss. Was dort war durften nur Töchter und Enkeltöchter der Schlossbesitzer wissen und anwenden, die mindestens ein Kind geboren hatten und bereits das berühmte magische Quadrat aus vier mal neun Jahren vollendet hatten. "Bin ich froh, dass du es geschafft hast", sagte Ursuline zu ihrer jüngsten von ihrem leider schon verstorbenen ersten Mann Roland bekommenen Tochter und küsste sie zweimal auf jede Wange. Beiden standen kleine Tränen in den Augen. Nicht nur Julius und Millie sahen das, sondern auch Hera Matine, die dienstälteste Heilerin von Millemerveilles. sie nickte unmerklich. Doch Julius las daran irgendwie ab, dass sie wohl gerne noch einmal über diese Ehrung und was alles da dranhing reden wollte.

Ebenso fiel ihm auf, dass Hera und Laurentine sich zwischendurch in das Klangkerker-Arbeitszimmer zurückzogen, um irgendwas miteinander zu bereden, was sonst niemand mitbekommen sollte. Doch er sagte nichts. Catherine hatte ihm ja erzählt, dass Laurentine Hera als ihre magische Hausheilerin auserwählt hatte. Vielleicht war da noch was therapeutisches wegen des unerwarteten Todes ihrer Eltern und was da an Seelenballast dranhing. Was wirklich hinter der Tür des magisch gegen alle Formen der Belauschung gesicherten Raumes besprochen wurde bekam er ebennicht mit.

Er freute sich mit seiner Schwiegertante und von Millie ausdrücklich gestatteten zeitweiligen Beischlafgefährtin und deshalb Mutter seines ersten und vielleicht einzigen Sohnes, dass sie noch so viele alte Freundinnen hatte und "die alten Zeiten" aufleben lassen konnte. Natürlich freute er sich auch für Millie, wenn sie von den anderen Hexen für die Stärke, Geduld und Entschlossenheit gelobt wurde, in den jungen Jahren schon so viele eigene Kinder zu haben.

Er mischte sich jedoch nicht in die Frauengespräche ein, sondern unterhielt sich mit seinem Schwiegergroßvater Ferdinand über die Aussichten, dass die Yankees und die Mexikaner jetzt irgendwie miteinander auskommen mussten, auch ohne die Babymacherbande als Ehestifter. "Ja, Opa Ferdi, da kann noch einiges auf uns alle hier und über'm Teich zukommen. Die haben das sicher nicht so locker weggesteckt, das die von ihnen geführte Marionette Buggles verschwunden ist, womöglich von einer bestimmten Hexe umgebracht wurde", sagte Julius. Auf die zu erwartende Frage, ob er jetzt die Spinnenhexe oder Ladonna Montefiori meinte antwortete er: "Ich meine die Oberste des Spinnenordens, weil die wohl irgendwo in den Staaten ihr Hauptquartier hat und deshalb mehr damit zu tun hat, was in Nordamerika passiert. Was Ladonna Montefiori angeht denke ich, dass die sich auf Italien und Europa konzentriert. Die heckt garantiert gerade was aus, was wir nicht mitbekommen sollen, bis es zu spät zum Eingreifen ist. Den Fehler von damals, wo zu viele wussten, dass sich die Zaubereiminister Europas an einem Ort trafen, wird sie nicht noch mal machen. Ja, und warum ich denke, dass die Spinnenhexenführerin Buggles umgebracht hat, um diese Dreizackadministration zu beenden liegt auch daran, dass sie sich schon länger mit Vita Magica angelegt hat als Ladonna Montefiori."

"Du gehst davon aus, dass die Wiedererwachte in Italien was neues Plant. Die stammt doch von Veelas ab. Hast du da was im Buschwerk rascheln hören, was die wissen?" fragte Ferdinand Latierre.

"Ich möchte es so sagen, Opa Ferdi, was ich von den Veelas während meiner Dienstzeiten höre ist streng vertraulich bis geheim. Offiziell beziehungsweise als Privatperson kann ich aber sagen, dass diese Wiedererwachte sich damals mit Sardonia überworfen und verloren hat. Die meint jetzt, in wenigen Jahren alles nachholen zu müssen, was Sardonia ihr versaut hat und vor allem, die ganzen Jahrhunderte, in denen sie als dunkles Dornröschen irgendwo geschlafen hat in nur zehn Jahren wieder aufzuholen. Das Problem bei intelligenten Machtsüchtigen ist, dass sie eben intelligent sind und dass sie schnell lernen, die Worte zu finden, mit denen sie die weniger intelligenten oder leichter einzuschüchternden hinter sich bringen können. So haben das Sardonia und Anthelia damals, Grindelwald in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Tom Riddle und Vengor am Ende des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts hinbekommen, mehr als ein halbes Jahr Angst und Schrecken zu verbreiten."

"Tom Riddle, also der, dessen Name nicht genannt werden darf?" fragte Ferdinand etwas verängstigt. "Nichts für ungut, Opa Ferdi, aber findest du es nicht merkwürdig, dass wir über Sardonia und Ladonna ganz ruhig reden können, obwohl die genauso, vielleicht sogar noch gefährlicher sind als eben besagter Tom Riddle, und du bekommst immer noch Angst bei einem provokanten Kampfnamen? Ich bin ja schon so respektvoll, diesen Kampfnamen nicht auszusprechen, seitdem ich weiß, wie dieser Psychopath wirklich geheißen hat. Ja, und bevor du es erwähnst, ich habe nicht mitbekommen, wie der damals in meinem Geburtsland gehaust hat, wie viele Leute er gequält und durch Imperius-Fluch und Terror zum Mitmachen gezwungen hat. Aber ich habe das dunkle Jahr miterlebt und die Zeit hier unter der Dämmerkuppel, als Sardonias Erbe noch mal richtig aufgeblüht ist. Das genügt mir voll und ganz. außerdem weiß ich auch aus der nichtmagischen Welt, dass da, wo eine Clique von Leuten, die anderen einreden kann, es gäbe eine Herrenrasse oder ein Herrenvolk immer auf Angst und Denkunwilligkeit der breiten Masse gesetzt hat. Wo deren Saat aufging gab's am Ende immer viel Blut, Tränen und das achso geliebte Heimatland als einzigen Trümmerhaufen. Meine Mutter hat da ja viel zu recherchiert und zusammengefasst."

"Line meint, ich sollte das mal lesen, was deine Mutter dem Ministerium damals über mächtige Tyrannen geschrieben hat. Aber wenn da dasselbe steht wie im Buch "Dunkle Imperien von damals bis heute" fürchte ich, dass da nicht viel anderes steht. Ja, und ich gebe dir recht, dass es schon komisch rüberkommt, dass wir, die wir die Auswirkungen der ersten dunklen Zeit nach Grindelwald mitbekommen haben, immer noch ängstlich sind, wenn besagter Name erwähnt wird, wo wir über das wirklich dunkle Jahrhundert Sardonias oder anderer gefährlicher Hexen und Zauberer ganz sachlich reden können. Aber du hast ja selbst gerade gesagt, dass Ladonna meinen könte, dass sie was nachzuholen und zu rächen hat, was ihr von Sardonia zugefügt wurde. Dann denkst du, dass sie heute noch in den Bahnen denkt, was sie damals, weit vor unserer Lebenszeit, hätte hinkriegen können?"

"Zum teil", setzte Julius an. "Einerseits will sie wohl zeigen, dass sie mächtiger sein kann als Sardonia. Sie hält sich wegen ihrer Abstammung für allen anderen überlegen also für das eine wahre Alpha-Weibchen. Das haben gefälligst alle zu schlucken. Wer das nicht macht ist eindeutig ihr Feind und natürlich vor allem ihre Feindin. Deshalb denkt sie noch in Sardonias Bahnen, die Königin aller Hexen zu sein. Aber jetzt kommts, andererseits wurde sie wohl von jemandem aus der nichtmagischen Welt aufgeweckt und konnte oder musste lernen, was in der Zeit, die sie verschlafen hat, alles neues passiert ist. Dann musste sie selbst schlucken, dass sich die modernen Hexen und Zauberer das bieten lassen, versteckt zu leben und den Nichtmagiern eine Menge technischer Möglichkeiten durchgehen lassen, die wegen ihrer Energieerzeugung nicht so gesund für die Umwelt sind. Das muss ich leider so sagen, auch wenn mein Vater fleißig mitgeholfen hat, an diesen umweltfeindlichen Sachen mitzustricken und mir deshalb Essen, Kleidung und Schulbücher bezahlen konnte. Ja,aber Ladonna will als weithin bekannte und gefürchtete Hexenkönigin leben. Das kann sie nur, wenn sie die Zaubereigeheimhaltung beendet und die Menschen ohne Magie zu dummen, leibeigenen Ackerbauern und Handwerkern degradiert. Das wollte Anthelias Wiedergeburt auch, als sie die Spinnenschwesternschaft gegründet hat. Aber sie musste wohl einen heftigen Tiefschlag hinnehmen, der ihr gezeigt hat, dass mit roher körperlicher und geistiger Gewalt nichts zu gewinnen ist. Die Lektion hat Ladonna zwar auch schon abbekommen, eben von Sardonia. Aber die denkt jetzt, dass Sardonia ihre Chance vergeigt hat, die Welt zur reinen, von Hexen geführten Arbeiter- und Bauernzivilisation zu machen, wo die Hexen die Herrscherklasse sind, die Zauberer denen als nützliche Dreingabe helfen, das alles zu beherrschen und bei der Nachwuchserbringung helfen und die Nichtmagier nur solange geduldet werden, solange sie brav die Hexen auf ihren Thronen vergöttern und bedingungslos gehorchen, auch ohne Imperius-Fluch. Deshalb wage ich mal die laienhafte Auswertung, dass Ladonna das alles nachholen will, was Sardonia versäumt hat. Aber Sardonia hat sie nur in diesen Tiefschlaf versenkt, weil sie sie nicht töten wollte, um sich nicht mit hunderten von Veelas und deren Nachkommen bekriegen zu müssen. Ja, kann also sein, dass Ladonna denkt oder das auch echt so war, dass Sardonia Angst vor ihren und der anderen Veelakräften hatte. Soweit das, was ich als Privatmensch ohne volle Psychomorphologieausbildung einschätzen kann. Danke für's Zuhören!"

"Hmm, ja, du hast mir allen Käse vom Brot genommen, den ich noch hätte auflegen können", sagte Ferdinand und sah, wie seine älteste eigene Tochter Patricia ihrer Halbschwester erklärte, wie sie Den Wechselgrößen-Lese-Schreib-Apparat benutzen konnte, den sie von ihrem Bruder Otto geschenkt bekommen hatte. Patricia und Marc waren da schon selbst so gut drin, dass sie behaupten konnten, ein neues Bedienungshandbuch schreiben zu können, zumal sie auch noch Tricks gefunden hatten, die der Erfinder Otto Latierre selbst beim Zusammentüfteln und Bezaubern noch nicht im Sinn hatte. "Bei denen, die Computer programmieren heißt es, dass ein Programm, das richtig gut läuft, nur noch nicht ausgiebig genug getestet wurde", sagte Marc. Julius nickte zustimmend.

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Sie konnten die Stimmen und die leise aus dem Musikfass dringende Festmusik noch gut hören. Doch man konnte sie von draußen nicht mehr hören, weder mit Ohr an der Tür noch mit Fernbelauschungsmitteln. Hera wartete, bis Laurentine sich ihr gegenüber hinsetzte und bequem machte. Dann griff die erste Heilerin und Hebamme von Millemerveilles in eine winzige Tasche ihres hellblauen Kleides und zog ein winziges Ding hervor, dass unverzüglich nach Verlassen seiner Aufbewahrung zu einem rosaroten Aktenordner anschwoll.

"Du hast ja von Louiselle gehört, dass sie das absichern möchte, dass du im Fall, dass ihr oder der kleinen Lucine was passiert, vollumfänglich über alle heilmagischen oder rechtlichen Angelegenheiten informiert werden sollst, falls dies möglich ist", begann Hera. "Sogesehen hätte ich dich auch zu mir hinbitten oder euch beide in Louiselles kleinem Schloss oder ihrem Stadthäuschen in Avignon aufsuchen können. Aber weil die letzten Rechtsangelegenheiten gerne einen Monat oder mehr durchgekaut werden wollte ich die Gelegenheit nutzen, das heute zu klären. Du kannst ja auf Nachfragen nachher sagen, dass du noch was rechtliches wegen meiner Auswahl als Heilerin erledigen musstest, was nicht jeder mitkriegen und auch nicht wissen muss. Immerhin wohnst du ja nicht in Millemerveilles." Laurentine nickte. "Wäre dann sogar die Wahrheit", sagte die junge Lehrerin und baldige zweite Mutter einer von Louiselle getragenen gemeinsamen Tochter.

"Du hast ja berechtigte Bedenken geäußert, eure Beziehung und die baldige eingeschlechtliche Elternschaft in Millemerveilles bekannt zu machen. Die Leute hier sind auch wegen der ihnen aufgezwungenen Mehrlingsnachkommen noch mehr auf die Einhaltung althergebrachter Familienmodelle festgelegt. Catherine könnten wir zwar einweihen, aber sie würde es wohl Joe und ihren Kindern nicht erklären können, wie ihr beide unter demselben Dach wohnt. Es besteht dann ja auch die unangenehme Möglichkeit, dass Claudine es aus Versehen in ihrer Klasse herumerzählt, dass du, ihre Lehrerin, mit einer anderen Frau, die ein Baby kriegt, im selben Haus wohnst wie sie." Laurentine nickte heftig.

"Ja, und Louiselle will jetzt, wo es ganz amtlich ist, dass sie schwanger ist, dass ich möglichst mit allem zu tun habe und haben darf, was mit dem Kind zu tun hat, also auch Säuglingspflege und Colaktation. Dazu wäre es aber sehr vorteilhaft, so meine neue ... öhm ... Gefährtin, Freundin oder Partnerin, dass sie, Lucine und ich unter demmselben Dach wohnen, zumal sie ja auch ihre Arbeit weitermachen möchte, wenn sie aus der Babypause raus ist. In der magielosen Welt können zwei Frauen mit Kind in größeren Städten schon in derselben Wohnung zusammenleben, ohne dumm aufzufallen. Aber in der Zaubererwelt ..."

"Ist es auch möglich", schnitt Hera Laurentine den Wortfaden ab. "Es heißt dann aber nicht Lebenspartnerschaft oder eheähnliches Verhältnis gleichgeschlechtlicher Paare, sonddern Fürsorgepartnerschaft. Es ist möglich, dass zwei Zaubererweltangehörige, die sich zu einem gemeinsamen Leben entschlossen haben, als Verantwortungsgemeinschaft zusammenleben können, wo der eine über heilmagische und rechtliche Belange des anderen in Kenntnis gesetzt werden oder sich zu anstehenden Vorhaben rechtlich verbindlich einlassen oder entscheiden darf, also wenn der Partner trotz aller magischen Mittel im Koma liegt oder eine längere, umfangreiche Heilbehandlung erhalten muss und nicht selbst für seine behördlichen Sachen sorgen kann. Wollen beide sich um ein minderjähriges Kind kümmern und können nicht heiraten, weil es keine ggleichgeschlechtliche Ehe gibt oder beide Partner Halb- oder Vollgeschwister sind, so muss dieses Verhältnis als Fürsorgegemeinschaft verbindlich eingetragen werden und ein gemeinsamer Wohnsitz für die Adressenkartei der Familienbehörde und den Flohregulierungsrat angegeben werden. Ja, und Louiselle hat mir auch gesagt, dass sie für die Absicherung Lucines eine solche Fürsorgepartnerschaft wünscht, also dann auch, dass ihr beide mit der Kleinen zusammenwohnt. Auch wäre das für Lucine sinnvoll, weil der Geburtenschreiber von Beauxbatons ganz sachlich die beiden Elternteile vermerkt, wobei ich gerade nicht weiß, wie der mit zwei Müttern zurechtkommt. Aber er wird es irgendwie aufzeichnen, und Madame Faucon wird es dann auch mitbekommen, was bei euch los ist. Dann solltet ihr der guten Blanche Faucon ein Dokument vorlegen können, das ihr sagt, dass ihr eine rechtlich verbindliche Fürsorgepartnerschaft eingegangen seid. Ohne dich jetzt unter zu viel Druck setzen zu wollen könnte sie sogar öffentlich machen, dass da zwei auf magische Weise zu einem gemeinsamen Kind gekommene Hexen existieren, von denen die eine unter dem Dach ihrer Tochter wohnt. Daher wäre das schon günstig, eine solche Partnerschaft mit gemeinsamem Wohnsitz zu vereinbaren. Louiselle und ich können dich nicht dazu zwingen, weil es eine sehr einschneidende Entscheidung ist und du ja nie vorhattest, mit ihr ein gemeinsames Kind auf den Weg zu bringen." Laurentine nickte. Allerdings dachte sie für sich immer noch daran, dass sie ja im Grunde Schuld war, weil sie diesen einen Abwehrzauber angewandt hatte, um der vorübergehenden Unfruchtbarkeit zu entgehen. Laurentine fragte dann, was die Alternativen zu dieser Fürsorgepartnerschaft seien. Hera zählte sie auf. Die schlimmste fand Laurentine, dass Louiselle das Kind gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben würde und sie beide nichts mehr von ihr mitbekommen dürften, bis sie alt genug sei, die volle Wahrheit zu erfahren. Trotzdem würde der Geburtenschreiber von Beauxbatons Lucines Geburt notieren, ob mit Vermerk, dass da zwei Mütter waren oder nur mit dem Vermerk: "Vater nicht feststellbar" wussten sie beide nicht. Auch hatte sich Laurentine schon irgendwie an den Gedanken gewöhnt, ein eigenes Kind großzuziehen und dabei um die Schmerzen der Niederkunft herumzukommen. Tja, und es sich mit Louiselle verscherzen, die ihr so viel wichtiges beigebracht hatte und ihr so gut tat wollte sie auch nicht. Dann fragte sie, wo sie Heras Meinung nach am günstigsten leben könnte, ohne Gerede zu verursachen und zugleich noch eine Möglichkeit hatte, mit der nichtmagischen Welt in Verbindung zu bleiben. Weiterhin in Paris bei den Brickstons im Schutz des Sanctuafugium-Zaubers wohnen ginge zwar, aber dann müssten auch Claudine und Justin irgendwie darauf hingewiesen werden, dass Laurentine mit einer Hexe mit kleinem Kind im Haus wohnte. Darauf meinte Laurentine: "Also, Claudine könnte ich das, wenn ihre Mutter dabei ist, sicher gut erklären, dass Louiselle und ich beschlossen haben, uns um ihre Tochter zu kümmern. Aber wenn sie das in Millemerveilles nur einmal irgendwem so erzählt kriegt die werte Madame Dumas das ziemlich sicher mit und könnte mir nahelegen, mir einen anderen Beruf zu suchen, da hast du leider schon recht, Hera. Aber im kleinen Schlösschen kann ich keinen Rechner und kein elektronisches Telefon, ob Festnetz oder Mobil, betreiben, weil es da schon mal keine Stromversorgung gibt. Ihr Haus in Avignon hat wohl auch eine Mehrfachstaffelung starker Schutzzauber wie Beauxbatons, weshalb da auch kein Rechner länger als drei Sekunden am Stück laufen kann. Wie wichtig mir die Verbindung zu meinen nichtmagischen Verwandten ist weiß Louiselle. Öhm, in Millemerveilles kann ich erst recht nicht wohnen, wegen erwähnter Bedenken der Leute hier. Also, das mit der Erreichbarkeit ist die einzige Beschränkung, sonst bin ich sofort bereit, diese Fürsorgepartnerschaftsformulare auszufüllen, die wohl in dem Ordner da auf dem Tisch sind", sagte Laurentine.

"Ich weiß von Julius, wie merkwürdig das schon war, als er seine Ausrüstung schon hier auf dem Grundstück hatte, weil er da nur eine Stunde pro Tag an die entsprechenden Geräte gehen konnte", sagte Hera Matine. Ich sehe es auch aus anderen, dir sehr gut bekannten Gründen ein, dass du diese Verbindung zur nichtmagischen Welt aufrechterhalten möchtest." Hera wiegte den Kopf und machte leise "Hmm". Dann fragte sie: "Dann bleibt am Ende doch nur, die gute Geneviève einzuweihen, nicht über eure gleichgeschlechtliche Beziehung, sondern über den Unfall bei euren Zauberübungen und dass da deshalb ein kleines Mädchen auf die Welt kommen wird, das nichts für seine Entstehungsgeschichte kann, aber von beiden leiblichen Elternteilen betreut werden muss. Dann könntest du mit Louiselle hier in Millemerveilles wohnen. Baugrund ist noch genug da, und wenn du nicht so ein Haus wie Millie, Béatrice und Julius haben möchtest kann innerhalb von einem Monat ein völlig neues Steinhaus nach euren eigenen Bedürfnissen gebaut werden. Ich biete dir und Louiesselle an, mit euch zusammen bei Geneviève vorzusprechen und das hinzubekommen, dass es kein Gerede gibt."

"Stimmt, wir könnten rein offiziell in zwei getrennten Wohnungen wohnen, aber mit Zwischentür", erwiderte Laurentine und strahlte regelrecht wie eine gerade aufgehende Sonne. "Ihr könnt ja bei euch Rechner laufen lassen, weiß ich ja von Julius. Es sind zwar immer noch nicht alle so begeistert davon, aber sehen es ein, dass sie damit leben müssen, dass Leute solche Geräte haben und damit arbeiten oder ihre Kontakte pflegen."

"Gut, dann frage ich unter dem Vorbehalt, dass wir dann noch einen gemeinsamen Wohnsitz einrichten, falls Geneviève dich weiterhin hier in Millemerveilles als Lehrerin beschäftigt, ob du die Formulare für eine Fürsorgepartnerschaft ausfüllen möchtest", sagte Hera. "Ich helfe dir natürlich dabei", bot die Heilerin an. Laurentine überlegte. Wenn sie jetzt was ausfüllte und unterschrieb war es amtlich und nicht mehr ohne weitere Komplikationen umzudrehen. Dann straffte sie sich und sagte: "Ja, bitte, hilf mir."

Laurentine wunderte sich, dass die Formulare in sechzehnfacher Ausfertigung vorlagen, wo sie nur eine für jedes Mitglied der Fürsorgegemeinschaft und eine Ausgabe für die Familienstandsbehörde und den Flohregulierungsrat brauchte. Hera meinte, dass sie dergleichen auch für einen anderen konkreten Fall mitgebracht hatte. Laurentine zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen und zischte: "Na klar, die Dreierbeziehung im Apfelhaus. Keine weitere Frage." Hera nickte bestätigend.

Da sie die Wohnsitzfrage noch vertagen mussten bis das Gespräch mit Geneviève Dumas gelaufen war dauerte das Ausfüllen der Formulare nur zehn Minuten. als Grund für Lucines Entstehung wurde eine "Bis dahin unbekannte Auswirkung eines angewandten Abwehrzaubers" eingetragen. Das war für alle besser, als von einem Unfall oder einem "nicht beabsichtigten" Umstand zu schreiben. Hera hatte zurecht darauf verwiesen, dass Lucine irgendwann diese Dokumente nachlesen könnte und sie deshalb sehr verbittert reagieren könnte. "Es hat schon genug Fälle in der Zaubereigeschichte gegeben, wo Mütter ihre späteren Mörderinnen oder Mörder geboren haben oder Zauberer von ihren sie hassenden Söhnen zum Duell gefordert wurden. Ihr wollt euch keine Feindin aus eurem eigenen Fleisch und Blut heranziehen", hatte Hera gesagt.

Als sie fertig waren konnte Hera den Ordner wieder in die Winztasche ihres Kleides praktizieren, ohne dass er von außen zu erkennen war. "So, da du mich ja als deine Heilerin ausgewählt hast machen wir einen Termin mit Geneviève Dumas, am besten in den nächsten zehn Tagen. Wissen wir dann, woran wir bei ihr sind und ob du deinen bisherigen Beruf behalten kannst, auch wenn du in Millemerveilles wohnst, sehen wir weiter", sagte Hera Laut und mentiloquierte: "Ich werde für den zwanzigsten eine Vollversammlung aller Schwestern ansetzen. Halt dich bitte zur Verfügung!" Laurentine sah Hera an und mentiloquierte: "Verstanden, erste Sprecherin." Dann konnten sie den Raum wieder verlassen.

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Julius half seiner Frau und seiner Schwiegergroßmutter Ursuline in der Küche bei der Vorbereitung des mehrgängigen Abendessens. Derweil klangen von unten die neuesten Erfolgstitel der magischen Popmusik herauf.

"Öhm, vielleicht, wenn du willst, kannst du nachher noch mit Madame Granddbois über das reden, was du über die Magie der australischen Ureinwohner mitbekommen hast", meinte Millie. Julius erwiderte, dass es ja nicht so viel war, zumal er seinen Ausflug zum Uluru damals besser nicht breittrat. "Ei, stimmt, solltest du besser nicht erwähnen", erwiderte seine Angetraute.

Dennoch wurde es während des Essens und danach nicht langweilig. Julius konnte sich mit Claudette und ihrem Mann Jean-Paul über ihm bekannt gewordene Unterschiede in der Magie unterhalten und auch noch mal erwähnen, was er über das betrügerische Glücksritual mitbekommen hatte, mit dem die US-Mannschaft die letzte Quidditchweltmeisterschaft gewinnen wollte.

Später wurde noch getanzt, und Julius konnte einmal mehr keinen Tanz auslassen, weil auch die ehemaligen Mitschülerinnen von Béatrice wissen wollten, was an allen Berichten über seine Tanzkunst stimmte. Als dann alle im Haus wohnenden Kinder bettfertig gemacht werden sollten bedankte sich Béatrice bei allen, die ihr diesen besonderen Geburtstag so schön und unvergesslich gestaltet hatten. Dann verabschiedeten sich die Gäste, die selbst Kinder hatten, damit diese auch noch zeitig in die Betten fanden. Die dann noch blieben mussten leise genug sein, um den Schlaf von Aurore, Chrysope, Clarimonde, Félix, Flavine und Fylla nicht zu stören. Aber gegen halb zwölf verließen auch die feierlaunigsten Gäste das Apfelhaus.

Nur Hera Matine war noch da. Im Musikraum, der auch ein Dauerklangkerker war, verkündete sie: "Ich habe die nötigen Formulare beschafft, ihr drei. Es ist auf jeden Fall besser, euch so abzusichern, dass es keine heilerrechtlichen und Familienstandsrechtlichen Fragen mehr gibt." So füllten Béatrice, Millie und Julius die Formulare aus, die sie drei zu einer Fürsorgegemeinschaft erklärten und damit jede von jedem alle heilerrechtlichen und andersgelagerten Dinge erfahren durfte. Damit heirateten Millie und Julius Béatrice in gewisser Weise, auch wenn es natürlich keine Ehe im eigentlichen Sinne war. Kurz vor dem Ende des ersten Februars unterschrieben alle auch Hera die Dokumente. Morgen würden der Flohregulierungsrat und die Familienstandsbehörde, sowie die Zentralkartei der französischen Heilmagiezunft wissen, dass Béatrice ihren beiden Heimstattgebern erlaubt hatte, über ihren Gesundheitszustand informiert zu werden, sollte dies nötig sein. Julius sah es Béatrice an, dass sie sehr erleichtert war, dass sie jetzt alles rechtskräftig hatten, was ihre besondere Dreierbeziehung anging.

Kurz nach Mitternacht lagen Millie und Julius im Elternschlafzimmer im Bett und genossen die Ruhe in jenem Haus, dass nicht umsonst "Apfel des Lebens" hieß.

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02.02.2006

Die Lange Nacht war wieder da. Die Sonne war bereits vor vier Stunden unter den weißen Horizont gesunken. Sie hatte mal wieder nur wenig Licht und noch weniger Wärme gespendet. Nun regierten wieder der Mond und die Sterne den Himmel. Womöglich würde auch das eine oder andere Polarlicht am Himmel erglühen. Doch darauf legten es die acht in rosenrote Umhänge gekleideten Hexen nicht an, die auf ihren kältewiderstandsfähigen Flugbesen über die von Eis und Schnee bedeckte Landschaft dahinflogen. Ihr Auftrag lautete, das geheime Bergwerk der schwedischen Zaubererwelt zu besetzen und das hochwertige, gut zu magnetisierende Eisen für ihre Königin sicherzustellen und die dort lebenden Hexen und Zauberer zu vertreiben. So hieß es für die acht Schwestern der Feuerrose. Hierzu sollten sie neben ihren eigenen Zauberkräften noch besondere Mitbringsel einsetzen, die ihnen die Rosenkönigin mitgegeben hatte. Die hatte über ihre schwedische Statthalterin Anne Berglund vierundzwanzig kleine schwarze Kugeln in lichtdichten Ledersäckchen an die acht Schwestern verteilen lassen. Wenn sie über der kleinen Zauberersiedlung an der Nordflanke des Luossavaara-Berges angelangt waren sollten sie die Unternehmung Eisspeer durchführen. Das zur gleichen Zeit auch andere Einsatzgrüppchen in den Nachbarländern Norwegen und Dänemark unterwegs waren wussten sie nicht. Sie wussten auch nicht, was genau es mit den kleinen schwarzen Kugeln auf sich hatte.

"Obacht, gleich sind wir da. Rechnet mit Gegenschlägen, sobald wir vorgehen", schickte die Anführerin des kleinen Trupps eine Vocamicus-Botschaft an ihre Begleiterinnen. Dann holte sie die erste von drei ihr mitgegebenen Kugeln aus dem lichtdichten Ledersack. Sie fühlte, dass diese in ihrer Hand erzitterte.

"Und los!" rief sie über den Vocamicus-Zauber ihren Schwestern zu. Sofort fecherten sie alle auseinander und stießen wie Adler auf Beutefang nieder. Gleichzeitig warf die Anführerin die freigezogene Kugel von sich und sah, wie diese auf dem Boden aufschlug. Dann sah sie, was es damit auf sich hatte und erschrak erst. Doch dann dachte sie, dass die Königin sich schon was dabei gedacht hatte.

Acht Häuser begannen zu brennen. Eine weitere Feuerkugel traf das gerade leere Gemeindehaus und verwandelte es in einen lodernden, qualmenden Trümmerhaufen. Die hier wohnenden Menschen verließen laut rufend und schreiend ihre Häuser. Abwehrzauber blitzten auf, die die anfliegenden und immer wieder Feuerzauber schleudernden Hexen zurückzudrängen versuchten, aber nicht gegen die vorab eingewirkten Gegenzauber ankamen. Doch das schlimmste waren die aus den herabfallenden Kugeln entschlüpfenden Unheilsboten, schwärzer als der Nachthimmel mit eisblau leuchtenden Augen. Es waren menschengroße Erscheinungen, die wie Gespenster wirkten, wenn sie nicht völlig schwarz und undurchsichtig gewesen wären, Nachtschatten. Immer mehr von ihnen begannen, die noch nicht brennenden Häuser anzusteuern. für unsere Kaiserin und die Königin der Fleischlichen!" stießen die düsteren Spukgestalten aus. Ihre Stimmen klangen wie durch Tür- und Fensterritzen dringendes Windgeheul.

Die ersten Wachzauberer des Ortes nahmen den Kampf gegen den über sie hereinbrechenden Überfalltrupp auf. Hinzu kamen noch herbeigerufene Ministeriumszauberer, die vier der acht Hexen zur Landung zwangen. Die vier anderen mussten der Übermacht entgegenschlagender Zauberflüche weichen und flohen. Drei Menschen waren durch die Berührung mit den freigesetzten Nachtschatten zu Eisblöcken gefroren. Dann jedoch wurden die Unheilsbringer von gleißenden Sonnenspeeren getroffen und restlos aufgelöst. Die vier Hexen, die man fangen konnte, wurden nach Stockholm geschafft, wo sie weitergehend verhört werden sollten.

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Norwegens Zaubereiminister Lasse Sigurson wurde unsanft aus seinem Schlaf gerissen. Seine Frau murrte verärgert. Er flüsterte ihr zu, weiterzuschlafen. Sicher sei nur wieder jemand auf die Idee gekommen, irgendwo ein Rudel Trolle einfallen zu lassen oder habe einen alten Zauber der nördlichen Naturvölker benutzt, um seine Umgebung mit Zauberschlaf oder gnadenloser Angst zu überziehen.

"Was ist so dringend, dass meine Frau und ich nicht weiterschlafen durften, Heimdall?" fragte er seinen Sicherheitsüberwacher Heimdall Gunnarson.

"Ein Überfall von acht Hexen und nach neuesten Erkenntnissen vierundzwanzig Nachtschatten auf unsere Siedlung Norderborg. Die wollten offenbar das dortige Archiv für altnordische Zaubergegenstände plündern, waren wohl hinter Freyas Federkleid und Ráns Wellenschlegel her. Die kamen durch die Vorwarnzauber durch und konnten die vorgewirkten Feindpreller ebenso abwehren", sagte Gunnarson.

"Nachtschatten? Vierundzwanzig Nachtschatten?" fragte Sigurson. Gunnarson bestätigte es. "Die haben allen Ernstes versucht, die dort wohnenden Leute einzufrieren. Aber vielen da ist rechtzeitig eingefallen, wie diesen Spukerscheinungen beizukommen ist. Diese Nachtgeschöpfe haben gerufen "Für unsere Kaiserin und die Königin der Fleischlichen."

"Die Kaiserin der Nachtschatten? Das ist jetzt nicht wahr, Heimdall!" ereiferte sich Sigurson, den eine sehr üble Ahnung umtrieb.

"Doch, es ist bestätigt von Ohrenzeugen und den noch unversehrten Tonsammelkrügen. Die Nachtschatten waren im Auftrag ihrer selbsternannten Kaiserin unterwegs."

"Die Königin der Fleischlichen, wer soll das sein? Da kommen vier Kandidatinnen in Frage", knurrte Sigurson.

"Das hätten wir auch gerne erfahren. Zwei Hexen konnten wir festnehmen. Aber als wir sie auf die Kettenstühle im Verhörraum setzten haben die sich vor unseren Augen in langstielige rote Rosen mit Wurzelwerk verwandelt und sind in roten Lichtspiralen wie bei einem exotischen Portschlüssel verschwunden."

"Rote Rosen?" fragte Sigurson. "Ja, und bei der einen, die meine Leute nur tot bergen konnten wurde das Zeichen einer Rose unter deren linker Brust gefunden, das nur bei reinem Rotlicht sichtbar wird."

"Sie also. Gut, dann fallen die Spinnenhexe und die als Ráns Stimme bekannte Dunkelhexe und Ganglot Vielvarg aus, wenngleich ich bei der letzten fürchte, dass die sich bei dieser selbsternannten Rosenkönigin einschmeicheln könnte oder gar von dieser rekrutiert wird."

"Sie meinen Ladonna Montefiori, Herr Minister", sagte Heimdall Gunnarson. Der Minister bejahte es. "Ja, doch wieso machen die Nachtschatten bei ihr mit, wo die doch entweder einzelgängerische Gestalten oder eben an diese neue Nachtschattenmutter gebunden sind?" fragte Gunnarson.

"Das sollten Sie herausfinden, Heimdall. Ich wage als Minister mal die Vermutung, dass Ladonna einen Pakt mit dieser Nachtschattenkönigin geschlossen hat oder anstrebt, weil sie dieses Mordgespenst als gute Helferin gegen die Blutsauger einspannen kann. Diese Nachtschattenkaiserin hat wohl erkannt, dass sie mit einer Zauberstabträgerin auf ihrer Seite höhere Fortbestandschancen hat als ohne. Vielleicht will sie Ladonna aber auch irgendwann einverleiben oder zu einer ihrer fleischlosen Töchter machen", sagte Sigurson.

"Dann paktieren die miteinander. Dann können wir uns aber noch wärmer anziehen als die Winterzeit es verlangt", knurrte Gunnarson. Sein Vorgesetzter konnte dem da nicht widersprechen. "Zumindest wissen wir jetzt was den Hexen passiert, die dieser schwarzhaarigen Rosenzüchterin dienen und zum Verrat gezwungen werden sollen."

"Sieht so aus. Ob es bei allen so ist wissen wir nicht. Jedenfalls konnten meine Leute den Überfall zurückweisen und drei der acht Angreiferinnen auf ihren Besen und alle von ihnen mitgebrachten Nachtschatten unschädlich machen. Allerdings sollten wir bessere Abwehrzauber errichten."

"Öhm, von wem wissen wir, dass sie Ráns Stimme oder Ganglot Vielvarg dient?" fragte Sigurson. Sein Mitarbeiter Gunnarson musste laut lachen. "Das wissen wir erst, wenn wir eine von denen auf frischer Tat ertappen konnten und die sich nicht in einen Vogel, einen Fisch oder in eine Wolke aus Schmelzfeuer verwandelt", sagte Gunnarson.

"Ich frage jetzt, was Ladonna in Norwegen will. Gut, wir haben Artefakte, die auf die angeblichen alten Götter zurückgehen. Aber die gibt es auch bei der da unten auf der Stiefelhalbinsel."

"Wobei wir seit Barbaneras Amtsantritt nichts mehr von da unten mitbekommen", wies Gunnarson seinen Vorgesetzten auf einen betrüblichen Umstand hin. "Ja, aber dennoch ist es ein weiter weg, von da unten hier herauf."

"Wer sagt, dass die acht Hexen aus Italien stammen?" fragte Sigurson. Gunnarson grummelte und nickte. "Klar, die wollten ihrer Königin ein wertvolles Treuebekundungsgeschenk machen. Aber selbst diese blaue Hexe, die sich als Ráns Stimme bezeichnet und von der wir bis heute nicht wissen, wer sich dahinter verbirgt, kam nicht an den Wellenschlegel, der angeblich das Meer bezähmen oder aufpeitschen kann."

"Hat sie auch nicht nötig, wo sie einen Speer haben soll, der angeblich aus einem ausgebrochenen Zahn der Midgardschlange geschnitzt worden sein soll", sagte Sigurson und erinnerte sich an die Begebenheit mit einer wahrhaftigen, steinernen Risenschlange, die selbst im Tiefschlaf Menschen anlocken, Zauber unterbinden und die in ihren Leib vordringenden Menschen versteinern konnte. Deshalb war er was Artefakte alter Machtwesen anging nicht mehr so skeptisch wie früher, wo er die Hinterlassenschaften alter Götter als Zaubererweltversion des römisch-katholischen Reliquienkultes verspottet hatte. Da fiel ihm noch etwas ein.

"Kann es sein, dass Ladonna das legendäre Zepter des Pluto oder die Fackel der Hecate gefunden hat?" fragte er Gunnarson.

"Hmm, was die Fackel angeht behaupten die Kollegen in Athen, dass sie dieses Artefakt hoher Feuer- und Seelenmagie schon vor eintausend Jahren sichergestellt haben und die sich Töchter der Hecate nennenden Hexen dieses Ding bewachen, weil es dazu neigt, Zauberer zu irgendwelchem Unsinn zu verführen. Ja, und Hecates Töchter sind auf den Ausgleich zwischen Licht und Dunkelheit festgelegt. Die umzustimmen dürfte selbst einer Ladonna Montefiori schwerfallen."

"Ja, aber nach dem, was damals in diesem italienischen Kastell passierte nicht unmöglich", erwiderte Sigurson. Dann fragte er nach dem Zepter. "Wenn es das gab, dann haben es womöglich die Lupi Romani an sich gebracht, diese außergesetzlichen Bruderschaften. Hmm, die könnte die bei der Gelegenheit gleich mal vom Tisch räumen", knurrte Gunnarson. "Ja, aber von dem Ding heißt es, damit könnten der Dunkelheit verfallene Menschen wie halbe Widergänger gelenkt und die Seelen aller Geister wie mit dem Imperius unterworfen werden, je böser sie zu lebzeiten waren, desto leichter. Allerdings heißt es auch, dass das Zepter mit einem Fluch belegt sei, der jeden, der es längere Zeit in der Nähe habe langsam und qualvoll töte, um seine Seele ins Reich des Hades oder Pluto hinabzuziehen."

"Öhm, habe ich Sie oder Ihre Artefaktfachleute schon gefragt, mir mal eine geordnete Dokumentation aller von alten Göttern hinterlassenen Dinge anzufertigen, Heimdall?"

"Bisher nicht. Aber ich würde Sie dann sowieso an den Archivar arkaner und diviner Artefakte verweisen", sagte Gunnarson. Sigurson nickte. Natürlich musste er da anfragen. Doch der würde ihn fragen, wo denn jener Hammer geblieben sei, der Thors Waffe Mjölnir zum Vorbild gedient haben mochte. Doch an das Ding konnten sie im Moment nicht herankommen, was sicher auch gut war, dachte Sigurson.

"Bleiben Sie wachsam und belegen Sie die nächsten gefangenen Hexen mit einem Contramutatus-Zauber, damit die nicht auch als rote Rosen verschwinden!" wies der Zaubereiminister seinen Sicherheitsüberwacher an.

Lasse Sigurson wollte gerade in seine Privatgemächer zurückkehren, da erhielt er über eines der drei Bilder mit kräftigen Wikingern eine Botschaft aus Schweden und Dänemark. Die Nachrichten besagten, dass es in den Bündnisländern unter dem Schild Odins und Friggs ähniche Überfälle gegeben habe und dass auch dort die Gefangenen beim Versuch, sie zu verhören, zu langstieligen Rosen geworden seien.

"Bei Kiruna soll der Nagel der Welt aufbewahrt werden, ein aus reinem Himmelssteineisen geschmiedeter Körper, der jeden Erdzauber in der Umgebung unterbindet und deshalb von den dortigen Zwergen als unberührbares Ding bezeichnet wurde. Wenn Ladonna hinter diesem Artefakt her war bekam sie auch noch Ärger mit den Zwergen, selbst wenn sich die neun Könige aller Weltgegenden häufig um irgendwas zankten und gerade der im deutschsprachigen Raum regierende König Malin als erfolgsgierender Schwertrassler und Hammerschwinger auftrat. Das konnte noch was geben", dachte Lasse Sigurson.

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Die reuige Rotkappe galt als berühmteste Schenke Deutschlands, sehr zum Leidwesen des Feenkruges auf Feensand, dem purzelnden Pittermännchen in Köln oder dem Wirtshaus zum gurgelnden Riesen im Zaubererviertel von München. Hier sollte Vincenza Moretti dem Zaubereiministerium was richtig lästiges zumuten, eine zünftige Wirtshausprügelei.

Aus dem Vorhaben wurde so aber nichts. Denn als die Abgesandte der Rosenkönigin in ihrem von Diana Camporosso gewebten Tarnkleid auf die Flügeltür mit dem Bild einer knienden, den Hut vor einem übergroßen Weinkrug ziehenden Rotkappe zuging blies ihr ein heißer Wind wie aus dem Herzen der Sahara entgegen. Sie fühlte den unsichtbaren, sandfreien Sturm durch alle ihre Fasern jagen und konnte sich nicht dagegen wehren, auf mehr als zwanzig Schritte Abstand zurückgedrängt zu werden. Irgendwas war in dem Schankhaus, dass sie abwies, vielleicht, weil sie die Abgesandte der Rosenkönigin war. Vielleicht hatten die Betreiber der Schenke Kontakt mit mächtigen Zauberwesen. Sie versuchte es erneut. Diesmal war es, als drücke sie eine übergroße weiche Wand aus heißen Daunenfedern zurück. Als sie ein drittes mal versuchte, die magische Abwehr zu durchschreiten wurde sie förmlich von einer unsichtbaren Hand um die Hüften gepackt und ruppig zurückgeworfen. Das war überdeutlich. Schnell suchte sie Deckung mehr als fünfzig Meter entfernt. Denn sie fürchtete, dass jemand diese Abwehrzauberei mitbekommen hatte. Doch sie sah niemanden heraustreten. Sie hörte nur die von mehreren Spielleuten aufgeführte Musik und das fröhliche Schwatzen und Lachen der Gäste, zwischendurch mal ein mehr oder weniger stimmsicheres "Heri, noch eins!" oder "Los, lass mir die Luft aus dem Krug!"

Es war kurz nach Mitternacht, als die Tür aufging und drei lachende, sehr stark schwankende Männer in bereits etwas unordentlichen Umhängen heraustorkelten und versuchten, auf ihre aus Lederfutteralen rutschende Besen zu klettern. An den Gesichtern sah sie, dass die drei Brüder waren.

Erst dachte sie, dass die drei nicht so recht als Ersatzziele in Frage kamen. Doch dann bemerkte sie, dass die Besen der drei Brüder nicht so willig bestiegen werden wollten. Die magischen Flughilfen bockten wie scheue Pferde, schlingerten und wanden sich. Immer wieder warf der eine oder andere Besen seinen Reiter ab. "Ja, Ragazzi, saufen und dann fliegen will gelernt sein", dachte Vincenza. Dann entschloss sie sich, die steigende Frustration der drei auszunutzen. Sie zielte mit ihrem Zauberstab auf den älteren der drei und dachte "Ignis Irae animam inflamato!"

"Verdammter Dreckstecken hier! Hat wohl in der Pissrinne gelegen was?!" schrie er und schlug auf den Besen, der unverzüglich auf ihn zurückschlug. Zur selben Zeit wiederholzauberte Vincenza und jagte auch dem gerade wieder vom Besen geplumpsten Bruder lodernde Wut ein. Der sprang auf, riss den ihm widertrebenden Besen hoch und schlug damit um sich, wobei er seinen den dritten Bruder traf, der gerade versuchte, den Besen von hinten zwischen seinen Beinen durchzuschieben. Auch ihm versetzte die unsichtbare Hexe den Wutfeuerzauber. "Eh, volltroll!" rief der gerade von seinem Bruder am Kopf getroffene und schwang nun seinen Besen. Dieser entglitt ihn und flog ohne Reiter davon. "Du Trollhirn. Jetzt ist mein Besen weg", lallte der gerade um sein Fluggerät gebrachte und hieb dem Bruder, der ihn aus Wut gehauen hatte die rechte Faust ins Gesicht. Darauf brach zwischen den beiden und dann allen dreien ein wildes Handgemenge aus. Vincenza fand noch ein Ziel, dass gerade des Weges kam, einen Nachtwächter. Der geriet fast schon so in Wut und wollte die drei mit Zauberkraft aufhalten. Das wiederum merkte der jüngste Bruder und zog seinen Zauberstab frei. Vincenza suchte sofort deckung, um nicht von Irrläufern getroffen zu werden. Da flogen schon die ersten Zauberflüche durch die Nacht. Auch wenn die drei Brüder sehr viel getrunken hatten konnten sie mindestens sehr bedrohlich wirkende Zauber auf die Reise schicken. Zwei flatternde Flüche flogen auf die Schenke zu und zerstoben mit lautem Pong in goldenen Blitzen, bevor sie die Wand oder Tür erreichten. Damit stand fest, dass ein starker Abwehrzauber die Schenke umgab.

"Eh, lass meinen Bruder in Ruhe, Schnarchhahn!" rief der mittlere dem Wächter zu, der gerade den älteren Bruder mit einem Fesselzauber treffen wollte. Dann apparierten noch drei Wächter. Vincenza grinste und verpasste denen nicht den Wutfeuerzauber, sondern den Hassbrüter Crescodium. Das machte die drei dazugekommenen Wächter richtig wild. Weitere Wächter apparierten und versuchten, die Lage zu bereinigen. Schon tobte eine wilde Zauberschlacht. Viele Flüche zerschellten an der unsichtbaren Abwehr um das Wirtshaus. Andere krachten in die Wände von Nachbargebäuden. Zwei schlugen laut prasselnd mehrere Kopfsteine aus der Straße heraus. Da nun die Wächter auch gegeneinander fochten wusste wohl keiner mehr, wer auf welcher Seite stand, bis die Schwenktür aufging, und ein Mann mit Schürze heraustrat. Vincenza meinte beim Anblick des Mannes, dass dieser von innen her leuchtete und dieses Licht immer heller wurde, bis sie nicht mehr hinsehen konnte. So hörte sie nur noch: "Is jetz amal gut hier!" Dann hörte sie nur ein kurzes Rauschen. Dann war Ruhe. Sie sah sich um. Der Fremde steckte gerade etwas fort, dass an einer Kette hing, aber schon unter der Kleidung verschwand, bevor sie es erkannte. Die gerade eben noch kämpfenden Zauberer standen völlig betreten da und sahen einander an. Vincenza wartete, bis die drei Brüder und die in unerklärliche Rage geratenen Nachtwächter sich beruhigt hatten. Sie hatte nicht gesehen, wie der Schankwirt die magische Schlacht beendet hatte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass noch mehr vom Lärm angelockte Wachzauberer auftauchten. Dann erkannte sie, dass der Wirt in ihre Richtung blickte, als könne er sie sehen. Sie hatte von magischen Kunstaugen gehört, die sowas möglich machten und wusste, dass eine deutsche Ministerialhexe wegen eines magischen Unfalls, bei dem sie ihr natürliches Augenlicht verloren hatte, zwei solcher Kunstaugen erhalten hatte. Sie zögerte nicht lange und disapparierte, bevor der Wirt noch irgendwem verraten konnte, dass sie da war. Jetzt wollte sie das Wirtshaus zum gurgelnden Riesen aufsuchen. Vielleicht konnte sie dort die eigentlich erhoffte Massenprügelei entfesseln.

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"Sagt mir mal, was gerade mit euch los war!" wollte Heribert Frohwein von denen wissen, die sich ohne sichtbaren Grund eine Zauberschlacht auf offener Straße geliefert hatten. Gerade erwachten die Wachen aus der kurzen Trance, die ein goldener Lichtblitz verursacht hatte, den der Schankwirt irgendwie auf sie alle abgeschossen hatte.

"Ich sage nichts ohne Erlaubnis meines Vorgesetzten", grummelte einer der Wächter. Keno Klippstein, der älteste der Klippsteinbrüder, tönte, dass er nur seinen "besoffenen Bruder" hatte zurechtweisen wollen, weil der ihn mit dem Besen gehauen hatte.

So kam heraus, dass alle aus einem unerfindlichen Grund in wilde Wut geraten waren und beinahe berserkergleich auf jeden am nächsten stehenden losgegangen waren. Heribert sah, wie zwei Lichtwächter dazukamen und übergab denen den Fall. Er kehrte in das Wirtshaus zurück, wo sein Sohn Dankward und die anderen Bedienungen die Gäste bei Laune gehalten hatten. "Jau, willst du doch noch bei den Lichtwächtern anfangen, Heri?" fragte Lutz Kornhäuser, einer der Stammgäste.

"Die sind durch einen Wutmacherzauber aufeinandergehetzt worden. Ich habe sogar gemeint, dass da wer zwischen den Häusern lauert. Aber sehen konnte ich nur einen leichten Nebel."

"Dann ruf die im Ministerium her. Die haben Enttarnungsbrillen", rief einer der Gäste. "Ja, nur hatte ich den Eindruck, dass wer immer das war sich ganz schnell abgesetzt hat. Aber schon dreist, hier vor meiner Schenke eine Straßenschlacht anzuheizen", knurrte Heribert Frohwein. Er wollte eigentlich nicht so viel erzählen. Doch den goldenen Blitz, den sein Heilsstern ausgestrahlt hatte, als er den freigezogen hatte, mochten alle gesehen haben. Doch dass er keinen Nebelstreifen, sondern einen roten, schattenartigen Umriss erkannt hatte und sein Talisman wild erbebt war verschwieg er den Gästen dann doch.

Sie sahen noch zu, wie die drei Klippstein-Brüder von den mittlerweile beruhigten Stadtwachen auf dderen Besen mitgenommen wurden. Von irgendwoher schwirrte ein reiterloser Besen heran und folgte den davonfliegenden Zauberern.

Um die Stimmung wieder aufzuhellen spendierte Heribert Frohwein eine Lokalrunde, wobei natürlich jeder nur das bekam, was er oder sie wirklich trinken wollte. Dabei überwog mal wieder die Fraktion Bier gegenüber der Fraktion Apfelwein. Ein ordentlicher Äppler war eben nur was für gestandene Hessen.

Eine halbe Stunde später betrat Andronicus Wetterspitz in Begleitung von drei Lichtwächtern die Schenke und winkte Heribert Frohwein. Dieser nickte, ging auf den Chef der Lichtwachen zu und geleitete ihn ohne weitere Aufforderung in das kleinere der Hinterzimmer, das ein Dauerklangkerker war.

"Also, Herr Frohwein, wie genau haben Sie diesen Aufruhr beendet? Wir wissen ja, dass Sie auch zu jener illusteren Gruppe von Zauberern und Hexen gehören, die sich Kinder Ashtarias nennen. Haben Sie eine von deren Zaubersprüchen gerufen?" fragte Wetterspitz gerade heraus.

"Das war nicht nötig, weil mein Erbstück sofort einen Friedenslichtzauber ausgelöst hat, also einen Zauber, der künstlich erzeugte Wut- oder Hassgefühle vertreibt. Offenbar war die Zahl der so bezauberten Leute groß genug, dass der Zauber von selbst losging."

"Friedenslicht? Besteht doch die Chance, dass auch wir berufsmäßigen Friedensstifter und Schutzleute den lernen dürfen?" fragte Wetterspitz. "Nicht von mir und nicht von einem anderen Kind Ashtarias", sagte Heribert Frohwein. "Aber soweit ich weiß wurde mit derartigen Zaubern im Orient schon vor zweitausend Jahren erfolgreich das Böse besänftigt."

"Ja, toll, die Araber oder Perser fragen, wo die einem auch nichts beibringen wollen, der nicht zu Allah und den Propheten betet und ein Sohn des jeweiligen Landes ist", schnaubte Wetterspitz. Er wusste, dass er weder Frohwein noch einem anderen Kind Ashtarias aufzwingen konnte, ihm deren Geheimnisse preiszugeben. So fragte er nur noch nach Heriberts Eindruck, wer die künstliche Wut ausgelöst hatte. Der Wirt der reuigen Rotkappe erwähnte nun die rote, schemenhafte Gestalt, von der er nicht sagen konnte, ob sie Mann oder Frau war. "Ich hätte noch zehn Schritte näher gehen können. Dann hätte mein Erbstück wohl die Tarnung unterbrochen. Aber da war die andere Person schon disappariert, richtig leise."

"Ein roter Schatten? Sie konnten kein Gesicht erkennen?" wollte Wetterspitz wissen. Frohwein bestätigte es. "Wären Sie mit einer Erinnerungslotung einverstanden?" fragte Wetterspitz. "Nein, bin ich nicht", sagte Heribert Frohwein. "Ich könnte sie anordnen", erwiderte Wetterspitz. "Ja, und der Minister hat mir nach der Sache mit den spukenden Bildern zugesichert, dass niemand mich wegen meiner besonderen Erbschaft oder Kenntnisse behelligen darf. Also nein", erwiderte Frohwein. Andronicus Wetterspitz sah ihn durchdringend an. Frohweins unter der Schürze und dem Unterzeug versteckter Heilsstern erzitterte sanft. Wetterspitz schrak zurück wie von einem grellen Licht geblendet. "Ja, ist ja gut, zum Donnerwetter!" knurrte er mit schmerzerfüllter Stimme. "Ich nehme Ihre Zeugenaussage so auf, wie Sie Sie meinen Mitarbeitern gegenüber gemacht haben. Noch einen erquicklichen Abend", knurrte der oberste Lichtwächter. Dann verließen sie beide das Hinterzimmer wieder. "Pfahlhauer und Kreuznagel, wir sind hier fertig. Ab zum Rapport!" rief er seinen beiden Begleitern zu, die vom Haus zwei Gläser Eifler Prickelsprudel erhalten hatten. Deshalb konnten die zwei nur salutieren, weil sie mit geschlossenen Mündern aufstoßen mussten. Dann verließen sie die Schenke.

"Dankward, du hättest den zwei Herren sagen sollen, dass das Prickelwasser nur zum Ansetzen mit Äppelwoi gedacht ist."

"Ei den wollte isch dene anbiede. Aber die maante, se wär'n im Dienst", erwiderte Dankward Frohwein mit lausbübischem Grinsen. "Auch wieder wahr", erwiderte Heribert mit gleichfalls lausbübischem Grinsen. Dann erzählte ihm Thekla Fliedergassner, dass sie gerade von ihrer Schwester bei den Lichtwachen in München gehört habe, dass es im Wirtshaus zum gurgelnden Riesen zu einer ganz heftigen Rauferei gekommen sei, bei der dann auch Zauberstäbe gezogen worden waren. Die halbe Einrichtung sei zerflucht worden und musste mit zusätzlichen Reparaturzaubern geflickt werden als sie einfach nur wieder zusammenzufügen.

"also darauf war der oder die aus", grummelte Heribert. "Hast du deiner Schwester gemelot, dass es hier auch fast zu einer offenen Straßenschlacht gekommen ist?" fragte er. "Deshalb hat die mich ja angedacht", erwiderte die aus Oberbayern stammende Hexe, die auf Besuch bei ihrem Vetter war, der morgen silberne Hochzeit in der reuigen Rotkappe feiern wollte.

"Offenbar will da jemand unsere Lichtwächter ärgern und scheut nicht davor zurück, arglose Leute zu verletzen", meinte Heribert Frohwein.

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Heinz, du musst das klären, dass ich auch diesen Hessen Frohwein verhören darf, wenn ich denke, dass der uns noch was zu sagen hat", knurrte Andronicus Wetterspitz, als er den deutschen Zaubereiminister noch in dieser Nacht aus dem Schlaf geklopft hatte. "Andi, du weißt verdammt genau, dass wir von dem und den anderen mittlerweile bekannten Kindern Ashtarias nichts erfahren werden, weil deren Schutzzauber das übel vergelten könnten. Du kannst ihm auch sein Schutzsternchen nicht wegnehmen, weil das einen Diebstahlschutz hat. Also gilt mein Wort, dass ihm keiner dafür was am Zeug flicken kann, wenn er meint, etwas nicht aussagen zu müssen. Und, warst du auch im Riesen? Der Steinhuber-Schorsch hat gleich deine Kollegen aus ganz Bayern alarmiert."

"Ja, ich war kurz da, als ich bei der Rückkehr in die Basis erfuhr, dass es da auch richtig zünftig gekracht hat. Und ja, ich weiß auch, dass Ewald Kesselschmidt in Köln ebenfalls eine magisch entfachte Schlägerei angezeigt hat. Nur im Feenkrug ist es still geblieben, wohl weil die dortige Wirtin wohl in weiser Voraussicht Aura-Calma-Kissen auf den Bänken verteilt hat, als die von wo auch immer hörte, was in Frankfurt und dann noch in München geschehen ist. Die hat übrigens angeboten, diese Schutzkissen gegen unerwünschte Gefühlsveränderungen für alle zünnftigen Kneipen, Schenken und Bierbuden herstellen zu lassen, sagt der friesische Kollege Holger Meerschaum."

"Klar, nutze die Gelegenheit", knurrte Güldenberg. "Die Feenkrügerin Wiebke Mondhaar geborene Heckenwurz hat damals ja auch eine halbe Schneiderwerkstatt mitgeheiratet. Da war ich gerade mal in der Artefaktarchivierungsstelle", grummelte Güldenberg. "Die können Runenweben und Zaubertextilien und -polster machen. Aber wenn wer fünfzig Galleonen für ein Aura-Calma-Ruhekissen hat, warum nicht?"

"Frag das mal deinen Mitarbeiter Heller", machte Wetterspitz einen nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag.

"Ich will dich nicht langweilen, Andi, aber auf die Gefahr, dass du das schon selbst erkannt hast nur so viel: Die Wirtshausunruhen sollen wohl ein Vorgeschmack für was größeres sein. Wenn das rumgeht, dass in den Schenken mal eben zwanzig Zauberer übereinander herfallen und nicht im ehrlichen Faustkampf, sondern gleich mit Flüchen draufhalten könnte es Leuten einfallen, da nicht mehr hinzugehen. Abgesehen davon könnten solche Unruhen auch an weitaus sensibleren Orten ausbrechen, mal vom Zaubereiministerium, Gringotts und Burg Greifennest abgesehen."

"Hmm, bei der Gelegenheit, im Greifenkrug ist nichts passiert, oder?" fragte Wetterspitz.

"Du weißt noch, wie sie uns zwei da um elf rausgeworfen haben, weil deren Hausordnung jede öffentliche Gemütlichkeit nach elf Uhr untersagt", grummelte Güldenberg. Wetterspitz erinnerte sich. Sie waren damals im Penultimanerjahr gewesen und hatten versucht, die zugestandene Zeit zu überreizen. Abgesehen vom Rausschmiss aus dem Greifenkrug hatte es noch eine sehr laute Standpauke vom Grafen Oskar gesetzt und einen vollen Tag Putzdienst ohne Zauberkraft. Ja, das waren noch wilde Zeiten ohne Angst vor öffentlichem Abstieg.

"Tagsüber werden die sich das auch nicht trauen", meinte Wetterspitz. "Vielleicht doch. Gib besser eine Warnung an deine LVOs raus, dass die aufpassen dass es da nicht so ausufert wie im gurgelnden Riesen. Sonst kriegen du und ich je einen Heuler von der Gräfin und vom Gemeindevorstand", warnte Heinrich Güldenberg. "Oh, neh, wir brauchen unsere Ohren noch", sagte Wetterspitz. Dann wünschte er seinem Vorgesetzten und gutem Freund aus Schulzeiten noch eine erholsame Restnacht.

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07.02.2006

Er fühlte sich geehrt, dass er diesen Auftrag ausführen durfte. Der war zwar nicht sonderlich gefährlich, weil er ja genug von Kundschafter Valdurino Dunkelauges kundigen Handwerkern mitbekam, um sich zu verbergen. Aber dafür konnten sie endlich die längst überfälligen Ohren im Zaubereiministerium unterbringen, die keiner dort finden würde.

Orrogino Leisefuß zwengte sich in das kleine, blauerzfarbene Gefährt, das wie der Kolben einer Wasserpumpe geformt war. Er bettete sich so bequem er konnte in die weichen Polster des Zwischendings zwischen Liege und Sessel. Über ihm schoben sich die zwei halben Türen zu und verriegelten sich rasselnd mit 36 kleinen Riegeln. Dann fühlte er unter seinem Kopf ein leichtes Zittern. Er blickte nach vorne. "Tiefenboot Steinsäule, bereit zum Aussetzen?" fragte eine Männerstimme. "Hier tiefenboot Steinsäule. Bereit zum Aussetzen", sprach Orrogino Leisefuß. Da fühlte er erst einen Stoß in den Rücken, eine schwungvolle Aufwärtsbewegung und dann ein ruckartiges Überkippen nach vorne. Es summte vernehmlich in den Außenwänden, wurde zu einem schwirrenden Geräusch auf erst tiefer und dann immer höherer Tonlage. Das Tiefenboot war aus seiner Lagerstätte hinausgeschleudert worden und stieß nun in die festen Gesteinsschichten vor, wo es mit kreisenden Vortriebszaubern der Erde wie eine kleine aber zielgerichtete Erdstoßwelle dahinjagen konnte, zu dem Ziel, das in die höchst umfangreichen Steuerungsteile eingewirkt worden war.

Die geheime Lagerhalle für Tiefenboote, mit denen die Schwarzalben seit vierhundert Jahren die angeborene Fähigkeit der Kobolde ausglichen, durch festes Gestein und ungediegenes Erz zu reisen, lag fünfzig Zwergenmeilen vom Zaubereiministerium in Rom entfernt. Das Tiefenboot musste erst so tief nach unten, um unter allen unterirdischen Gängen und Leitungen hindurchzukommen und erst in der Nähe des unterirdischen Zugangs für Boten anderer Zauberwesenarten wieder durch die Oberfläche stoßen.

Orrogino Leisefuß nutzte die wenige Zeit, die die Reise dauerte, um noch einmal alle Ausrüstungsgüter zu prüfen. Wenn er ankam muste er noch den letzten Knopf seiner Mehrzweck-Lederjacke schließen, um die darin eingewirkte Unsichtbarkeit und unerfassbarkeit in Kraft zu setzen. Nicht einmal sein Lebenshauch oder das Wärmelicht seiner Körperwärme konnte dann noch erkannt werden. Der Gürtel enthielt verschiedene Ausrüstungsgüter, aber vor allem die zehn fingerhutgroßen Silberbehälter mit dem Neumondsilbersand der heimlichen Einkehr, die größte alchemistische Erfindung der letzten zwanzig Jahre, von einem Tiroler Großbrauer erfunden und auf die Verwendung bestmöglich abgestimmt. Darüber hinaus trug er den Helm der freien Luft und des enthüllenden Blickes, der ihm nicht nur Frische Luft auch in dichtestem Rauch oder trübem Wasser bot, sondern alle in Wänden oder türen verlaufenden Zauber sichtbar machte. Damit konnte er noch verbleibende Fallen erkennen, bevor sie zuschnappten. Doch das Kernstück seiner Mission waren sechzehn einfach Mithörkristallplättchen und die unsichtbaren Ohren der gesammelten Worte, die er in bestimmten Räumen anbringen musste.

Ein leises Pingeln verriet ihm, dass das Tiefenbot gleich sein eingewirktes Ziel erreichte. Als es noch mal pingelte sank die Tonhöhe des Arbeitsgeräusches schlagartig ab. Dann kippte das Boot nach hinten und stieg auf. Es summte noch einmal kurz, dann lag das Tiefenboot still.

Orrogino Leisefuß berührte mit der rechten Hand die geshlossene Tür. Ein kurzes Stechen in allen Fingern brachte ihn fast zum zurückzucken. Dann öffneten sich die 36 Riegel. Mit leisem Klick teilte sich die Tür. Die zwei Hälften glitten in die seitenwände. Orrogino Leisefuß schloss nun den obersten Knopf seiner Jacke und fühlte die einsetzende Unauffindbarkeit. Mit den Lautlosstiefeln an den Füßen - etwas ungewohnt für einen, der es gewohnt war barfuß zu laufen, konnte er zudem unhörbar vorankommen.

Er schälte sich aus der Blauerzfarbenen Walze und betrat festen Boden. Er tippte sich mit zwei Fingern der rechten Hand an einen knopfartigen Vorsprung seines Gürtels. Die zweiteilige Tür schloss sich wieder, und das Tiefenboot versank waagerecht im Boden, so schnell, als wäre es ein Senkblei in klarem Wasser. Es würde nun hundert seiner Körperlängen darauf warten, dass er den bewussten Knopf mit zwei anderen Fingern seiner rechten Hand berührte. Doch dafür musste er näher als zehn Schritte von diesem Ort entfernt sein.

Sein Auftrag begann. Ab jetzt war er ganz auf sich allein gestellt. Bekamen Sie ihn trotz aller Vorkehrungen doch zu fassen blieb ihm nur der letzte Fluchtweg. Das Wort des befreienden Feuers. Doch das wollte er erst dann rufen, wenn sie ihn wirklich in eine unentrinnbare Lage drängten.

Lautlos und unsichtbar wie ein sanfter Windhauch eilte Orrogino Leisefuß durch einen dunklen Gang, den er nur Dank des Helmes der Enthüllung erkennen konnte. Er machte aus völliger Dunkelheit eine mondhelle Umgebung.

Da war die verborgene Tür, nur erkennbar an den sehr schwachen, wogenden Wellen aus Zauberkräften verschiedener Quellen und Wirkungsweisen. jetzt galt es. Jetzt würde sich zeigen, ob die Gilde der Alchemisten übertrieben hatte oder das Mittel für unbemerktes Eindringen bereitstellen konnten. Er hoffte nur, dass hinter der Tür kein Mondspiegel lauerte, der Aus dem Silber der Eierschalen der indischen Flügelschlange und dem geschmolzenen Eisen aus Himmelssteinen gemacht war. Der konnte jeden fremden Zauber schlucken, sobald er seine endgültige feste Form gewonnen hatte.

Orrogino Leisefuß befühlte seinen Gürtel, den er mit dem klar eingestimmten Enthüllungshelm auf dem Kopf sehen konnte. Er bekam einen der Fingerhüte zu fassen und drehte ihn aus seiner kleinen ledernen Umhüllung heraus. Dann hielt er den winzigen Behälter in beiden händen und drehte behutsam die obere und untere Hälfte gegeneinander. Es knirschte nicht einmal. Dann hatte er den Deckel abgeschraubt und hielt den Behälter senkrecht. Er trat gerade noch nahe genug an die Tür heran, dass er nicht in einen der lautlos wogenden Zauberkraftstränge hineingeriet und schleuderte den für ihn bläulich-silbernen Inhalt nach vorne.

Der glitzernde Sand traf auf die versteckte Tür und den Boden. Sogleich glühte er immer heller. Erst Blitze und dann Funken sprühten lautlos daraus hervor, rasten an der Tür hoch und wieder hinunter. Es wurde immer heller. Der Beauftragte von König Huorchino V. Feuerklinge hielt sich die linke Hand an den Helm. Jetzt sah er nur noch eine dunkle Wand, an der es blau und silbern flackerte und sprühte. Dann klickte es mehrfach, bis es etwas lauter klackte, und ein senkrechter Streifen Licht in den Gang schien. Die Tür war offen.

Orrogino Leisefuß nahm die Hand vom Helm und konnte wieder sehen, ob da noch Zauberkräfte waren. Er sah nur noch grauen Staub auf dem Boden. Der musste weg, sonst fiel vielleicht doch was auf. Er hob einen Fuß und hielt ihn über den kleinen Staubhaufen. "Lösche die Spur!" dachte er nur. Sein Stiefelabsatz erbebte. Dann flog der feine Staub nach oben und verschwand in der Stiefelsohle.

Orrogino Leisefuß betrat das Untergeschoss des Zaubereiministeriums. Der Sand der heimlichen Einkehr hatte auch die hinter der Tür liegenden Zauber unterbrochen, und zwar so, dass sie erst in einer Stunde wieder wirkten. Solange wollte er hier nicht sein.

ER drückte die Tür von innen zu, ohne sie zu verriegeln. Dann lief er los, ohne Angst vor weiteren Meldezaubern. Denn er war ja unauffindbar.

Bei einer Tür zu einem der Nottreppenhäuser brachte er die zweite Ladung Neumondsand der heimlichen Einkehr zur Anwendung und sammelte auch diesen mit seinem Staubsammelstiefel ein, sobald die Tür offen war.

Da er wie jeder gute Kundschafter den Bau- und Belegungsplan des italienischen Zaubereiministeriums auswendig kannte wusste er, bei welcher Tür er noch einmal Sand verstreuen musste, um die Abteilung für magische Wesen zu betreten. Dort brachte er an jeder Ecke je einen Mithörkristall an, den er nur mit einem anderen kristallförmigen Gegenstand, bestenfalls magisch, zusammenbringen musste. Er wählte hierfür die an der Decke hängenden, gerade nur dunkelrot glosenden Leuchtkristallsphären. Um an sie heranzukommen musste er sich nur kräftig abstoßen und sich bis zur Decke hochtragen lassen. Noch bevor ihn die Schwerkraft wieder nach unten zog drückte er eine hauchdünne Kristallscheibe mit den durch Runen eingewirktem Mithörzauber auf die Leuchtkugel. Dann ließ er sich einfach wieder fallen und landete völlig geräuschlos auf dem Boden. Er spürte es jedoch in seinen Stiefeln, dass die einigen Lärm hatten schlucken müssen.

Die Amtsstube des Zwergenansprechbeamten war nur mit einem Türverschlusszauber gesichert. Hierfür brauchte er gerade einige Körner Sand. In der Amtsstube selbst fand er nur einen gläsernen Aschenbecher. Der war gerade leer. Er legte den Mithörkristall genau hinein. Da knallte es scharf.

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König Huorchino hatte die Einladung angenommen, in den Saal der Fernüberwachung der Kundschaftergilde zu gehen. Dort erwarteten ihn Großmeister Valdurino Dunkelauge und sein oberster Fernhorcher Hadurino Nachtohr.

Auf der Türzum Saal stand in Amtsrunen: "Bitte leise sein". Im Saal selbst waren dutzende von schmalen Tischen, auf denen wiederum fünfbeinige Gestelle standen, die oben ringförmige Halterungen hatten. In mehreren Halterungen hing ein silberner Gegenstand, der wie eine Bratpfanne ohne Stiel beschaffen war. Vor diesen Silberpfannen saß ein Schwarzalb in der dunkelblauen Kluft der Kundschaftergilde und hielt das Ende eines spiralförmigen Hörrohres an den Mittelpunkt der Pfanne.

Valdurino Dunkelauge empfing seinen Herren und König und führte ihn zu Fernhorcher Nachtohr. Dieser verbeugte sich tief, sagte aber nichts und führte seinen Gebieter durch den Saal. Überall da, wo gerade eine der Silberpfannen aus sich heraus schimmerte blieben sie kurz stehen. "Er hat die ersten Kristalle gelegt. Er ist schnell unterwegs", wisperte Nachtohr. "Ich habe für jede Mithörschale, die er in Tätigkeit setzt drei meiner Horcher eingeteilt. Wenn Ihr wirklich alles erfahren wollt, was im Ministerium gesagt wird können wir aber nicht die Grenze belauschen, um zu hören, wann sich wieder Kobolde anzuschleichen versuchen. Dies ist nur ein Hinweis, kein Widerspruch."

"Ich erkenne deine Besorgnis an und bedanke mich für deine Dienste", flüsterte der König so leise er konnte. Doch weil hier ausnahmslos die besten Ohren des Reiches versammelt warenund Zwerge ohnehin schon vielfach besser als Menschen hören konnten war das für die Anwesenden wohl immer noch sehr laut.

So behalfen sie sich mit Fingerzeigen und Kopfbewegungen, um sich mitzuteilen, wie ihr Kundschafter seinen Auftrag ausführte. Dann hörten sie aus der gerade schwach leuchtenden Pfanne einen lauten Knall. Alle im Saal der Fernhorcher zuckten zusammen. Doch keiner wagte es, sich laut darüber zu beklagen.

"Was war das?" zischte der König. Der Horcher hielt sich statt einer Antwort eine Hand an die Nase und deutete eine Nasenverlängerung an. Zugleich tat er mit der anderen so, als müsse er sehr große Augen abmessen. Der Großmeister beugte sich zu dem König und flüsterte ihm ins Ohr: "Ein Putzelf. Hätten wir mit rechnen müssen."

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Orrogino Leisefuß schrak zusammen, als das überlaute Geräusch in seinen Ohren schmerzte. Dann sah er das Wesen, dass nicht viel größer als er selbst war. Es hatte übergroße Augen und Ohren. Die Augen mochten ihn nicht sehen. Aber er durfte gerade nicht atmen.

Das Wesen, ein Hauself, steuerte mit seinen Zauberkräften eine Aufführung von Putzlappen und einem Besen, die durch die Amtsstube jagtenund alles was Staub und Krümel war gnadenlos mit sich fortrissen und hinein in eine Kehrschaufel oder einen an der linken Hand des Elfen hängenden Eimer mit Wischwasser beförderten. Orrogino wagte Sprünge bis zur Decke, um die Putzgerätschaften auch dorthin zu lassen, wo er gerade noch stand. Er schaffte es immer, hinter dem Hauselfen zu landen. Dann hatte das kleine Zauberwesen alle Oberflächen des Zimmers geputzt. Mit einem zweiten lauten Knall verschwand es wieder.

"Na klar, der durfte nicht die Tür öffnen", dachte der Beauftragte des Königs. Er wartete noch, bis er es weiter weg noch einmal knallen hörte. Dann verließ er die Amtsstube und suchte jene des Gesamtleiters.

Ja, die war ein Dauerklangkerker, wie der Helm der Enthüllung ihm zeigte, als er mit einer weiteren Priese magischen Sandes die Tür entsperrt hatte. Er tauchte sofort unter den Schreibtisch und brachte dort ein ohrenförmiges Etwas an, das sogleich die Farbe der von ihm belegten Oberfläche annahm und kurz erbebte. Das Ohr der gesammelten Worte war aufnahmebereit. Sobald die Tür geschlossen wurde sammelte es so viele Worte ein, wie an einem Achteltag gesagt werden konnten. Wurde die Tür erneut geöffnet, übermittelte es diese gesammelten Worte mit dreitausendsechshundertfacher Geschwindigkeit in die freie Luft, wo die darauf abgestimmte Mithörpfanne es auffing und in einen anderen Sammelbehälter einlagerte. Ein Wortschreiber, was die Zauberer auch als Schreibefeder kannten, konnte dann alle geführten Gespräche auf Höhlenziegenpergament übertragen und somit eine umfassende Sammlung nützlicher Neuigkeiten anlegen. Das die Zwerge das konnten wussten die Zauberstabträger nicht. Diesen unschätzbaren Vorteil wollten sie auch nicht aus der Hand geben. Wer es wagte, das Ohr der gesammelten Worte mit den Fingern zu berühren und wegzunehmen konnte glatt eine Hand verlieren, weil es sich dann nämlich in einem kleinen Feuerball selbstvernichtete.

Auf weitere Erscheinungs- und Verschwindeknalllaute des Hauselfens lauschend nutzte Orrogino Leisefuß das Treppenhaus und begab sich in die Abteilung für Handel und zwischenstaatliche Anliegen. Denn es war den Dienern des Königs auch wichtig, welche Handelsbeschlüsse gefasst wurden und wie sich Italien mit anderen Ländern verständigte.

Dann suchte er die Abteilung für Personenverkehr auf, weil da wichtig war, wie die Grenzen gegen unerwünschte Eindringlinge gesichert wurden und wer wie wohinkam. Hier gab es keinen Dauerklangkerker. So kamen er und die anderen Kundschafter mit den vier weiträumig horchfähigen Mithörkristallen aus.

Auf dem Stockwerk des Ministers, wo auch die Amtsstuben für die Überwacher magischer Sicherheit lagen, musste er eine vollständige Ladung Sand vor der Tür zur Amtsstube des Ministers verstreuen, weil dort ein regelrechter Vorhang aus magischen Kräften hing. Dieser löste sich nicht auf, sondern rollte sich nach oben zusammen. Schnell legte er die letzten Ohren der gesammelten Worte unter Barbaneras Schreibtisch und im zur Amtsstube gehörenden Badezimmer aus. Dann beeilte er sich, in das Treppenhaus zurückzukehren.

Wie bisher gelangte er unsichtbar und lautlos nach unten. Er hatte für seinen Auftrag weniger Zeit gebraucht, als der von ihm gestreute Sand die Zugangstür offenhielt. Gut so. Genau das war sein Plan gewesen.

Er lief zurück zu der Stelle, wo sein Tiefenboot Steinsäule unter der Oberfläche wartete. Er öffnete den obersten Knopf seiner Jacke und wurde wieder sichtbar und erfassbar. Schnell legte er zwei Finger seiner rechten Hand an die knopfartige Verzierung des Gürtels. Dann fühlte er es auch schon, wie etwas aus der Tiefe stieg und dann neben ihm heraussprang wie ein Korken aus der Weinflasche. Die zweiteilige gewölbte Tür tat sich für ihn auf. Er sprang in die kleine Kabine und ließ die Tür wieder zufahren. "Heimkehr!" befahl er leise.

Das Tiefenboot drehte sich einmal halb um die Hochachse. Dann kippte es so unerwartet stark nach vorne, dass Orrogino Leisefuß fast einen Fluch ausgestoßen hätte.

Das Tiefenboot jagte mit Erdstoßausbreitungsgeschwindigkeit zurück zu seiner Lagerstätte. Jetzt war keine Verfolgung mehr möglich. Er selbst hatte auch darauf geachtet, nichts an sich heranzulassen, dass ihm einen Fernortungsmarkierer anhängen konnte.

Als er dem Boot wieder entstieg wartete der Bootsmeister vom Dienst schon auf ihn. "Melde im Namen seiner Erhabenheit und Stärke, König Huorchino, dass ich, Kundschaftsgeselle zweithöchster Ordnung Orrogino Sohn von Anturino Sohn von Oldur Leisefuß, den mir anvertrauten Auftrag vollständig und ohne entdeckt zu werden ausgeführt habe."

"Verstanden und erfreut", sagte der Bootsmeister vom Dienstund übergab dem Beauftragten einen Zettel. "Den bringst du Großmeister Dunkelauge. Glückwunsch!"

Orrogino Leisefuß beeilte sich, zum Saal der Fernhorcher zu gelangen. Dort übergab er den überreichten Zettel an seinen zweithöchsten Dienstherren und verbeugte sich ganz tief, weil sein höchster Dienstherr ebenfalls anwesend war.

"Jetzt werde ich jeden üblen Darmwind hören, den Barbanera und seine Leute entfahren lassen. Bald werden wir wissen, ob Barbanera noch Herr oder schon Knecht ist", frohlockte der König unangebracht Laut. Die Fernhorcher wandten sich um und unterdrückten die Regung, sich zu beklagen. Denn das war der König. Der durfte sich selbst über eine Dienstvorschrift hinwegsetzen, wenn ihm danach war, solange er damit nicht das ganze Volk gefährdete.

König Huorchino und die beiden anderen, die hier nicht Dienst hatten verließen die Halle des Horchens und begaben sich in ihre jeweiligen Schlafräume, denn es war ja schon eine Stunde nach Mitternacht.

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09.02.2006

Die Uhr im Wohnzimmer Hera Matines zeigte halb fünf nachmittags. Vier Hexen saßen an Heras Tisch und unterhielten sich. Die eine war die Hausherrin selbst, die zweitälteste war die amtierende Schuldirektrice von Millemerveilles, Geneviève Dumas. Die drittälteste war Louiselle Beaumont und die jüngste Laurentine Hellersdorf.

"Es klingt so, als sollte ich mich auf einiges gefasst machen, und vor allem, weil die Mademoiselle Beaumont von dir mit eingeladen wurde, Hera", sagte Madame Dumas. "Wer möchte mir was sagen?" fragte sie nun wie eine altgediente Lehrerin klingend.

Laurentine straffte sich und begann zu erzählen, wie sie aus Sorgen vor Nachstellungen dunkler Hexen eine Möglichkeit gesucht hatte, in ihrer Freizeit Weiterbildungsstunden in Zaubereiabwehr zu erhalten und von Hera auf ihre Nichte Louiselle verwiesen wurde. Ab da erwähnte sie nur, dass die Stunden sehr anspruchsvoll gelaufen seien, bis es zu jener Lektion gekommen sei, dass Laurentine einen Unfruchtbarkeitsfluch abwehren sollte und wie sie das getan hatte. Hera hatte bis dahin völlig ruhig zugehört, während Madame Dumas immer wieder versucht war, den Bericht Laurentines zu unterbrechen. Aber als Laurentine damit endete, dass statt dass sie unfruchtbar wurde Louiselle mit ihrer beider gemeinsamen Tochter schwanger geworden sei und das sofort heilmagisch bestätigt worden war verzog die Lehrerin das Gesicht und sah Louiselle verdrossen an. Diese blieb jedoch nach außen hin ruhig.

"Gut, Mademoiselle Hellersdorf ist erwachsen und hat das gesetzlich verbriefte Recht, sich im Rahmen der Zaubereigesetze weiterzubilden. Aber das geht dann doch wohl zu weit, Mademoiselle Beaumont. Ja, ich habe von diesem üblen Fluch gehört. Doch dass er auch auf eine andere Weise als einen starken Schild zu beschwören abgewehrt werden kann ist mir neu. Dennoch hätten Sie meine Mitarbeiterin Mademoiselle Hellersdorf fast in eine üble Lage gebracht, die sie für mehrere Monate quasi berufsunfähig gemacht hätte. Auch habe ich gerade aus dem, was Sie, werte Mitarbeiterin Hellersdorf, nicht erzählt haben herausgehört, dass dieser Fluch nicht das einzige jenseits der vertretbaren Lerneinheiten ist, mit dem sie sich befasst haben. Haben Sie wirklich so viel Angst gehabt, ihnen könnte jemand zu Leibe rücken?" fragte sie zum schluss. Laurentine sagte sofort und völlig unbeeindruckt: "Ja, das hatte und das habe ich, seitdem klar ist, dass mehr als eine dunkle Hexengilde Nachwuchs sucht. Auch musste ich damit rechnen, dass mir jene Gruppierung, der Sie, Madame La Directrice und die anderen Kolleginnen vile unbeabsichtigte Kinder zu verdanken haben, mein achso hochbegabtes Zaubertalent gerne in ihnen gefällige Nachkommen einbringen möchte. Schließlich wissen wir alle, was Ihrem Schwiegersohn Gérard passiert ist und Sandrine deshalb als Witwe geführt wird, die sogar einige monate jünger ist als ich." Dann knallte sie ihrer Noch-Vorgesetzten vor, dass sie wahrhaftig in den Staaten einer Hexe begegnet sei, von der Catherine Brickston und Julius Latierre bestätigt hatten, dass es die oberste Führerin der Spinnenhexenschwesternschaft sei. also sei die Angst ja durchaus berechtigt. Geneviève Dumas sah Hera an. Die sagte nur: "Ich komm gleich dran, Geneviève. Bitte höre dir noch zu ende an, was Laurentine und meine Nichte Louiselle von sich aus berichten!"

als die beiden erwähnten das getan hatten erwähnte Hera, dass sie eben auch von einer akuten Bedrohungslage ausgegangen sei und es sich ja wohl als gerechtfertigte Maßnahme erwiesen habe, Laurentine und Louiselle zusammenzubringen. Geneviève sah die beiden verdutzt an. "Oha, Geneviève, als Lehrerin und Schülerin", knurrte Hera. Dann erwähnte sie, dass sie ja beider Vertrauensheilerin sei und daher eine begonnene Schwangerschaft bestätigt habe. Dann erwähnte sie die Fürsorgepartnerschaftsregel, da diesem unbeabsichtigt entstandenen Mädchen ja kein Vorwurf zu machen sei und es daher auch in "geordneten Verhältnissen" aufwachsen möge. Geneviève wollte sie unterbrechen, fing sich aber einen höchst strengen Blick der Heilerin ein. So sagte Hera noch: "Ich bin diejenige, die als Heilerin dazu rät, dass die beiden es Familienstandsrechtlich klären, dass sie beide für meine Großnichte gleiche Rechte und Pflichten einzugehen haben, aber auch deshalb Rechte bekommen, über die jeweils andere informiert zu werden, falls es um vertrauliche Angelegenheiten geht. Wie du es sagtest, Geneviève, die beiden sind Erwachsen und haben sich daher gänzlich ohne Zwang und ohne eine jugendliche Laune zu diesem Schritt entschlossen. an und für sich müssten wir es weder dir noch sonst wem erzählen. Warum wir es dennoch tun kommt daher, dass Laurentine auch weiterhin verantwortlich in unserer Schule unterrichten möchte."

"Verstehe ich das dann so, dass Sie nur dann weiterhin für uns arbeiten möchte, wenn ich dieses, öhm, Zwei-Mütter-Verhältnis akzeptiere?" fragte Geneviève. Louiselle sah die Schuldirektorin ohne jede Regung an. Laurentine straffte sich und erwiderte: "Mademoiselle Beaumont und ich wissen, welche Verantwortung wir übernehmen werden, wenn wir uns um ... unser Kind kümmern. Daher sind zwei Sachen wichtig, dass sie und ich nahe genug beieinander wohnen können, um die Kleine gemeinsam großzuziehen. Laut Madame Matine muss für eine Fürsorgepartnerschaft ein gemeinsamer Wohnsitz registriert werden. Ja, und zum anderen möchte ich bei meiner Arbeit nicht ständig in irgendwelche Erklärungsnöte geraten, warum zwei alleinstehende Hexen im selben Haus wohnen, die keine leiblichen Schwestern sind. Das würde nämlich auch passieren, wenn Mademoiselle Beaumont in die von mir angemietete Wohnung nach Paris zieht." Louiselle nickte.

"Achso, und ich soll diejenige sein, die dieses Gerede unterbindet?" fragte Madame Dumas. Laurentine sah Hera an, die ihr zunickte. "Ich fürchte, ganz könnten Sie das nicht abstellen, Madame Dumas. Aber Sie haben die Entscheidung, ob ich weiterhin bei Ihnen arbeiten darf und wie das Verhältnis zu den Kollegen und vor allem Kolleginnen ist."

"Achso, es geht Ihnen beiden darum, ob ich bei den anderen Kollegen und Kolleginnen für Sie eintreten kann, falls es doch üble Nachrede geben sollte, Mademoiselle Hellersdorf und ob ich mich weiter für Sie verwende, wenn der Elternbeirat der Meinung ist, Sie erfüllten nicht mehr die moralischen Anforderungen für unsere Lehranstalt? Da kann ich Ihnen nur sagen, da muss ich Sie enttäuschen. Ich kann nicht für etwas eintreten, von dessen Ursprung ich selbst nicht sonderlich begeistert bin. Es steht Ihnen beiden Frei, sich einen gemeinsamen Wohnsitz zu suchen, falls es für uns alle auf dasselbe hinausläuft, ob Sie hier oder in Paris wohnen. Nun weiß ich als erfahrene Lehrerin, dass aus Fehlern gelernt werden kann und gelernt werden muss. Sie beide haben sich zu diesem Versuch verstiegen und sie, Mademoiselle Beaumont, müssen nun wortwörtlich die Folgen tragen. Falls Sie, Mademoiselle Hellersdorf, Angst vor übler Nachrede oder gar offener Ablehnung und Anfreindung haben, vergessen Sie es, hier in Millemerveilles eine gemeinsame Bleibe zu finden. Das sage ich, weil gerade nach der Schurkerei mit meinem Schwiegersohn und der noch größeren Schurkerei mit uns allen hier überaus verständlich ist, dass jede Familie hier in der gewohnten, meinetwegen althergebrachten Weise weiterleben möchte. Wenn zwei unverheiratete Hexen, die keine Schwestern sind, in einem Haus zusammenwohnen, und dann kommt da noch ein Kind auf die Welt, gibt es da, wo es passiert Gerede, wenn Sie nicht gerade in diesem überlauten Sündenpfuhl von Paris oder Marseilles der Nichtmagier wohnen. Wenn Sie also Wert darauf legen, weiterhin für unsere Schule tätig zu sein, Mademoiselle Hellersdorf, dann dürfen Sie nicht in Millemerveilles zusammen mit einer anderen alleinstehenden Hexe wohnen."

"Gut, ich wollte es von Ihrer Antwort abhängig machen, ob ich mit Mademoiselle Beaumont hier wohnen und zugleich arbeiten kann. Dann suchen wir uns eben woanders eine Wohnung oder klären es mit den Eheleuten Brickston, ob ich weiterhin bei denen wohnen darf, ohne dass es Gerede gibt. Falls doch was aufkommt, was mir zusetzt, bin ich weg", sagte Laurentine unvermittelt entschlossen. Louiselle sah sie beipflichtend an. Geneviève verzog wieder ihr Gesicht. So überdeutlich hatte ihr wohl noch keiner und erst recht keine wesentlich jüngere angesagt, was passieren würde. Dann straffte sie sich und sagte: "Damit müssen wir beide dann wohl leben. Bis dahin versuchen Sie gütigst, nichts von Ihrem Experiment herumzutratschen oder zuzulassen, dass dies geschieht. Dann werde ich es so behandeln, dass dieses Gespräch nicht stattgefunden hat. Sie, Mademoiselle Hellersdorf, sind ja selbst nicht schwanger."

"Gut, mit dieser Aussage müssen wir also leben", kam Hera Laurentine oder ihrer Nichte mit einer Antwort zuvor. "Solange Laurentine selbst nicht schwanger wird oder Mademoiselle Beaumont beim Stillen hilft darf sie weiter für dich arbeiten, Geneviève."

"Für uns alle, Hera. Immerhin ist ja eine Großnichte von dir bei uns in der Schule", grummelte Geneviève Dumas. Sie wusste zu gut, was sie an Laurentine und vor allem an Hera Matine hatte.

"Wenn das wirklich dein letztes Wort ist, Geneviève, dann danken wir dir für deine Aufmerksamkeit und deine klare Entscheidung", sagte Hera. Die zwei jüngeren Hexen nickten zustimmend.

"Dann begebe ich mich wieder zu mir nach Hause. Drei kleine Jungen brauchen die sechsfache Zuwendung", seufzte sie. Sie stand auf und verabschiedete sich von den beiden jüngeren Hexen.

"War es das, was ihr wissen wolltet?" wollte nun Hera wissen. Louiselle und Laurentine nickten eifrig. Dann meinte Hera: "wie erwähnt, mir liegt eine Menge daran, dass du auf die elektrischen oder elektronischen Verbindungen zugreifen kannst. Dann machte sie einen Vorschlag.

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"Und, wie war es heute wieder?" fragte Millie ihren Mann.

"Ich habe eine Nachricht aus Deutschland bekommen, wie wird das hinkriegen, dass sich Zitaat "unsere Zwerge und Kobolde" Zitat Ende nicht mehr um das Goldwertbestimmungsrecht zanken. Es war eher eine Nebenfrage, nachdem es darum gegangen war, ob die aus Japan eingehandelten Gürtel gegen Kameraaufnahmen ihr Gold wert waren und ob dafür weitere Anträge für Goldanweisungen an die Finanzabteilung geschickt werden sollten", sagte Julius. Ich konnte Bärbel Weizengold zurückschreiben, dass die von unseren Leuten benutzten Gürtel im Praxistest wirklich für Kameraaugen unsichtbar machen. Nur an das Einsaugen der letzten aufgezeichneten fünfzehn Minuten muss man sich als Nutzer gewöhnen, weil du echt alle Bilder als regenbogenfarbenen flirrenden Lichtstrom aus der Kamera auf dich zufliegen siehst. Ich habe das mal nach einem solchen Streich mit der Rückschaubrille nachgeprüft. Du siehst echt alle Bilder, die die Kamera gemacht hat in umgekehrter Reihenfolge, also die letzten zuerst, in kleinen, schillernden Seifenblasen. Dabei leuchten zwei von den japanischen Schriftzeichen am Gürtel abwechselnd in Grün, Blau und Rot. Wenn alle Bilder im Gürtel sind Haut der als Gegenstrom einfach eineKette Seifenblasen mit Standbildern, aber mit der passenden Uhrzeit eingeblendet in die Kamera zurück. Wie die das rausgekriegt haben, die verschiedenen Speichermittel derartig auszutricksen weiß wohl nur Izanami, die Göttin der Unterwelt."

"Achso, was war mit den Kobolden bei denen?" wollte Millie wissen. Julius erwähnte nur, was Bärbel ihm berichtet hatte. "Oi, hoffentlich hauen die sich nicht noch gegenseitig", meinte sie. Julius nickte. Er kannte ja ihren Vortrag über das Volk der Zwerge noch ganz gut. Deshalb wussten beide, dass sie nicht viel machen konnten. In Millemerveilles hatten sie die Kobolde mit jenem Bannwort unterworfen, mit dem Adrian Moonriver die Kobolde unter dem Zentralteich gebändigt hatte, die Julius wegen seiner Erdmagiebeschwörung fertig machen wollten. Das durften sie aber keinesfalls raushängen lassen, dass sie dieses Wort konnten. Die anderen Kobolde könnten sich genötigt fühlen, einen Präventivschlag gegen ihn zu führen, um nicht selbst Opfer dieses durchschlagenden Wortes zu werden. Was noch schlimmer war: Die Zwerge könnten sie beide als geniale Waffen gegen die Kobolde einsetzen. Das war ihnen bewusst geworden, als die Zwerge in Deutschland ihren neuen König bekommen hatten und der sofort die große Kriegstrommel geschlagen hatte. Deshalb galt noch mehr, nicht raushängen zu lassen, wie sie die Kobolde im Zweifelsfall zu lammfrommen Hauselfen umformen konnten. Sie dachten nicht daran, dass wohl noch andere sich für dieses machtvolle Bannwort interessierten.

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Catherine sah die drei Hexen an, die in Laurentines Wohnung im zu einem Klankerker gemachten Arbeitszimmer saßen. Gerade hatte sie von Laurentine, Louiselle und Hera die haarsträubende Geschichte gehört, was bei den heimlichen Nachhilfestunden in Fluchabwehr passiert war. Sie fixierte erst Laurentine, dann Louiselle und dann Hera mit ihren Saphirblauen Augen. dann fragte sie alle drei?

"Eine ganz einfache und ganz bescheidene Frage, die Damen. Warum erzählt ihr mir das jetzt erst?" Ihr Blick blieb an Louiselle hängen. Diese grinste überlegen. "Versuch es gar nicht erst, Catherine. Selbst deine Mutter knallt bei mir gegen eine dicke Granitwand."

"Hatte ich auch nicht vor. Ich wollte die Kleine legilimentieren, warum Sie liber bei dir ist und nicht in Laurentines Bauch eingezogen ist", erwiderte Catherine. "Und jetzt möchte ich sehr gerne die Antwort auf meine ganz einfache Frage hören."

Laurentine erwähnte, was sie wegen ihrer Anstellung befürchtete und dass sie dachte, dass Claudine ganz unbeabsichtigt ausplaudern könnte, dass sie sich um eine andere Hexe und deren Kind kümmern müsse und die deshalb mit ihr, Laurentine, in derselben Wohnung wohnen könnte."

"Verstehe, und bei dir geht ja kein Elektrogerät, Louiselle", wandte sich Catherine an Louiselle. Diese sagte: "Ich habe es Laurentine angeboten, bei mir zu wohnen. Aber sie sagte, dass sie die ganzen Elektrosachen braucht, um mit ihren Anverwandten weiterzusprechen. Ohne Flohnetz und Eulenpost könnte ich wohl auch nicht leben."

"Öhm, Laurentine, wie gut kennst du meine Tochter Claudine?" fragte Catherine, während sie hera eine zum abwarten aufordernde Geste zeigte. "Oder besser, was für Eigenschaften hast du an ihr mitbekommen?"

"Sie ist quirlig, aufgeweckt, neugierig, manchmal sehr penetrant wissensdurstig, fleißig, probiert auch gerne Sachen aus, ohne vorher zu fragen, ist hilfsbereit und einfühlsam, aber zum Teil auch bestimmend, wenn sie meint, etwas müsse jetzt einfach mal gemacht werden. Hat sie wohl von ihren beiden Omas." Louiselle grinste und Hera sah Laurentine an, als müsse sie sie gleich ausschimpfen. Doch da Catherine die Hausherrin war sollte die das tun, falls sie es nötig hatte.

"Hilfsbereit und einfühlsam. Ja, wenn sie merkt, dass jemand was hat möchte sie helfen und gibt nicht eher Ruhe, bis sie weiß, wie das gehen soll oder ihr jemand laut sagt, dass sie es lassen soll. Ich bin zumindest froh, dass du die für deinen Beruf nötige Einschätzungsgabe hast, Laurentine. So, Madame et Mesdemoiselles, wann soll eure Kleine ankommen?" Louiselle sah Hera an, die dann abwinkte. "Laut meiner Heilerin hat die Kleine die ersten drei Entwicklungswochen übersprungen, wächst aber jetzt mit der üblichen Geschwindigkeit in mir heran. Also muss ich wohl erst im Juni oder Juli rausfinden, ob das Kinderkriegen genauso weh tut wie der Cruciatusfluch."

"Wenn du weißt, für wen du das durchmachst ist es auszuhalten", sagte Catherine. Hera nickte ihr zu. "Du meinst erst, du überlebst es nichtund das kleine Wesen zerreißt dich von innen her. Aber wenn du es dann auf dem Arm oder an der Brust hast freust du dich nur, dass es da ist."

"Außer du hast den Babyblues", warf Laurentine ein. "Wie heißt das bitte?" fragte Hera. Laurentine überlegte kurz und nannte dann den nichtmagischen Fachbegriff Postnatale Depression, wenn eine Mutter ihr Kind nicht annahm, es ihr bestenfalls egal war und sie es schlimmstenfalls verabscheute.

"Abgesehen davon, dass ich mit den mir anvertrauten Müttern genug Gedankentechniken durchgehe, um das zu vermeiden, Laurentine und Louiselle, was möchtest du sagen, Catherine?"

"Das Louiselle hier einziehtund mit dir eine Fürsorgegemeinschaft bildet, also wenn zwei, die nicht heiraten dürfen, ein minderjähriges Kind und einander versorgen wollen. Du, Louiselle, kriegst die Kleine hier, damit unser Safu-Zauber sie akzeptiert, wobei er das ja jetzt schon tut, weil du ja sonst längst abgewiesen worden wärest, Louiselle. Ihr seid beide volljährig und daher eigenverantwortlich und auch keine Schülerinnen mehr. Da wird meine hochangesehene Mutter das akzeptieren müssen, wenn der Geburtenschreiber in Beauxbatons das ausgibt. Was Claudine angeht sagen wir ihr, dass du, Laurentine, Louiselle angeboten hast, ihr zu helfen, das kleine Mädchen, dass sie bekommt großzuziehen, weil das zu zweit immer noch besser geht als alleine und dass die Kleine sonst immer den ganzen Tag zu hause alleine bleiben muss, wenn nicht mal einer für sie da ist. Wenn die nach dem Papa von der kleinen fragt sagen wir der, dass der bei einer ganz bösen und nicht zu erzählenden Sache gestorben ist. Das macht sie dann zwar traurig, aber danach wird sie, da bin ich mir ganz sicher, erst recht wollen, dass es der kleinen- wie soll sie noch mal heißen? - auch so gut geht. Ich kann ihr auch erzählen, dass ich dich aus der Liga kenne und wir gut bekannt sind."

"Catherine, und du meinst, das geht alles so, wie du es denkst?" fragte Hera. "Ich sollte meine Tochter ja wohl am besten kennen. Solange sie nicht in die Schule ging hatte ich sie ja die meiste Zeit bei mir und davon die ersten neun Monate sogar in mir. Die ist sicher sehr froh, wenn du, Laurentine, auch nicht mehr alleine in der großen Wohnung wohnen musst. Die fragt mich immer wieder, ob du nicht Angst hast, weil du hier alleine bist oder ob du immer noch traurig wegen deiner Eltern bist, und ich habe aufgehört, ihr irgendwas zu sagen, sondern nur, dass ich das eben nicht weiß, aber ich dir vertraue, Laurentine. Kann ich dir noch vertrauen, Laurentine Hellersdorf?

"Ich hoffe sehr ja", sagte Laurentine. Catherine nickte über die gewisse Einschränkung "hoffe". Dann straffte sie sich und sagte:

"Ich stelle nur zwei Bedingungen: Bedingung eins, ich werde die Patin von der Kleinen." Laurentine und Louiselle sahen erst sich, dann Catherine und dann wieder einander an. Hera blieb weiterhin ruhig. Denn sie wusste ja, dass Catherine wusste, wer in letzter Konsequenz Schuld an dieser Lage trug. So sagte Catherine: "Die zweite Bedingung ist, dass wir unten nichts mitbekommen, was ihr zwei großen Mädchen nachts treiben könntet, falls euch danach sein sollte. Egal was ihr hier anstellt, es muss bei uns unten still sein. Ach ja, Zauberflüche klappen hier ja nicht, wegen Safu."

"Du bist süß, Catherine", meinte Louiselle. "Ja, weiß ich, aber bitte nicht weitersagen", konterte Catherine und brachte damit alle zum lachen. Laurentine grinste nur: "und was ist mit der Wohnungsmiete. Da müsste ich ja dann noch was drauflegen."

"Sag das Joe und der verlangt eine Grundmiete von zweitausend Euro für jede Hexe, die nicht seine Frau oder sein Fleisch und Blut ist", erwiderte Catherine.

"Sähe ihm ähnlich", schaltete sich Hera Matine ein. Dann fragte sie die beiden, ob sie mit allen Bedingungen einverstanden seien. Die sahen einander an, überlegten kurz und nickten zeitgleich. Dann sagten sie beide vernehmlich "Ja", als habe sie wer gefragt, ob sie heiraten wollten. Catherine dachte einen Moment, dass es im Grunde sowas sein mochte, da sie ja ein gemeinsames Kind erwarteten, ein Zwei-Mütter-Kind wie Ladonna Montefiori. Das brachte sie auf die Idee, noch einmal genau nachzufragen, wie sie das hinbekommen hatten, so ganz beruflich. Louieselle und Laurentine erwähnte, wie sie das angestellt hatten. "Das war also damit gemeint: "Die Kraft, die sonst Winterdörre schafft wurde frühling und ließ mich erblühen."."

"Wie bitte?!" fragten die drei anderen Hexen. Catherine holte zur Unterlegung ihres Zitates eine von ihr übersetzte Ausgabe des geheimen Tagebuches von Ladonna Montefiori hervor und las den Abschnitt über ihre Entstehung. "Das ist damit gemeint, nicht, dass sie im Winter gezeugt und im Frühling geboren wurde, sondern dass eine an und für sich verdorrende Kraft neues Leben ermöglicht hat."

"Das habe ich den beiden auch schon gesag", erwiderte Hera Matine ein wenig verdrossen. "Aber offenbar war es wirklich eine der wenigen hellen Verkehrungen, die die Lehre von den hellenund dunklen Künsten kennt." Laurentine erwiderte: "Ist wie in Goethes Theaterstück "Faust", wo der tragische Titelheld immer mehr wissen will und das mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht mehr schafft. Der ruft deshalb Geister aus anderen Welten, von denen einer, ein Unterteufel namens Mephistopheles oder Mephisto sich so vorstellt, dass er nur ein Teil jener Kraft sei, die immer böses wolle und dabei gutes schafft. Ich kann das im Französischen nicht reimgetreu wiedergeben, weil ich nur die Deutsche Fassung kenne."

"Dann mach mal", sagte Louiselle auf Deutsch, was Hera und Catherine verstanden. Laurentine deklamierte nun den berühmten Vorstellungsreim des erwähnten Teufels vollständig.

"Das ist des Pudels kern", rundete Hera diese Stegreifdarbietung Laurentines mit einem wohlwollenden Lächeln ab. Dann fragte sie, ob die drei einen Vertrag schließen wollten oder es auf reiner Vertrauensbasis laufen sollte. Catherine meinte dazu, dass sie und Laurentine das mit Joe und anschließend mit Claudine bereden sollten, allerdings mit der erwähnten Erklärung über die Entstehung des Kindes.

Als Catherine wieder alleine nach unten ging dachte sie: "Jetzt kriegt diese alte Kinderpflückerin doch noch ihren Willen, dass Laurentine noch mehr unter ihrer Fuchtel steht. Aber schon merkwürdig beruhigend zu wissen, wie Ladonnas zwei Mütter das angestellt haben. Da hätte man in all den fünfhundert Jahren echt drauf kommen können." Dann dachte sie an Geneviève, die klargestellt hatte, dass die beiden nicht in Millemerveilles wohnen sollten. Sardonias Dämmerkuppel und der von Vita Magica verursachte Kinderansturm hatten da viele wieder in alte Denkmuster zurückgeworfen, dass sie nur noch für ihre Familien leben sollten und Familien eben Papa, Maman und mindestens ein Kind sein durften.

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10.02.2006

"Und, wie verhalten sich unsere Zwerge?" gedankenfragte Ladonna Montefiori ihren Statthalter, der offiziell amtierender Zaubereiminister Italiens war. Dieser sandte über die mit seiner Königin bestehende Gedankenbrücke zurück: "Mein Zwergenverbindungszauberer hat mir folgendes mitgeteilt: Der für unser Ministerium abgestellte Gesprächspartner aus der Botengilde der Zwerge, Haldrino Boccamiele, hat beteuert, dass es König Huorchino ungemein wichtig sei, jetzt, wo die Kobolde in ihre wahre Heimat zurückgekehrt seien, der magischen Welt "helfend zur Seite zu stehen" , was heißt, dass sie den Anspruch auf die Goldwertbestimmung erheben."

"Soso, wo wir die Arbeit hatten, diese Spitzohren davon zu überzeugen, uns Gringotts Mailand, Rom, Neapel und Catania ohne weitere Gegenwehr zu übergeben und vorher alle Diebesabwehrzauber zu widerrufen kommen die Zwerge an und wollen übernehmen? Ich hoffe, Marcello hat diesem Zwerg klargemacht, dass Zauberer- und Hexengold nur noch von Zauberern und Hexen gehütet und bewertet wird. Falls er dem irgendwas in Aussicht gestellt haben sollte wird er sich dafür vor mir persönlich zu verantworten haben."

"Nein, natürlich hat er dem Zwergenboten keine Zusage gemacht oder eine solche auch nur andeutungsweise in Aussicht gestellt. Denn Boccamiele war nach der Unterredung gar nicht mehr so süß und sanft, sondern eher giftzüngig. Er hat Marcello entgegnet, dass sein König nur noch solange geduldig warten wird, wie es für ihn zum Vorteil sei. Je länger es dauere, bis wir eine seiner Meinung nach zukunftssichere Entscheidung träfen, desto schwerwiegender könnten die Auswirkungen sein. Das war eine klare Drohung, wenn auch weder mit einem klaren Ultimatum noch mit einer klaren Ankündigung, was nach Ablauf des solchen geschehen würde, meine Königin."

"Muss er auch nicht, wo er davon ausgehen darf, dass wir wissen, was der Zwergenkönig in Deutschland gerade anstrebt und wie lange er dem dortigen Zaubereiministerium Zeit gibt. Er will warten, wie die Deutschen Zauberer damit umgehen und ob sie auf Malins Drohgebärden eingehen oder nicht und falls nicht, dann will er wissen, wie es sich für die Zaubererwelt auswirkt. Er möchte gerne auf der Seite der Sieger stehen. Gewinnt Malin, fordert er dasselbe hier in Italien. Unterliegt dieser aufsässige Höhlenkönig, kann Huorchino immer noch einräumen, dass er der geduldigere Herrscher unter dem Berge ist und wir mit ihm sicher eine für beide Seiten annehmbare Vereinbarung treffen werden."

"Da werdet Ihr wohl recht haben, meine Königin", gedankenantwortete Zaubereiminister Barbanera. Dann fragte er, wann er seine Nachbarn aus Spanien, Portugal und Griechenland fragen solle, ob sie angesichts der vielfältigen Bedrohungslage die Mittelmeerkoalition wiederbeleben sollten."

"Du machst gar nichts dergleichen, weil die anderen sonst davon ausgehen, dass ich sie wieder an einem Ort zusammenbringen will, um mich auch ihrer Gefolgschaft zu versichern. Lass sie auf dich zukommen und dir einen Vorschlag machen, wo ihr euch treffen könnt!" schickte Ladonna zurück. "Aber meine Königin, wenn sie alle denken, ich sei nicht mehr Herr meiner eigenen Entscheidungen werden sie mich nicht zu einem Treffen einladen. Außerdem könnten die dann ja auch die französische Zaubereiministerin einladen, der Widerbelebung der Societas magica mare nostri beizutreten, auch wenn die Gründungsstatuten eindeutig nur Zauberer als Beteiligte vorsehen."

"Sie werden die Französin nicht fragen, eben wegen dieser alten Statuten, die, wie du sicher weißt, nicht unmaßgeblich von jenen Schurkenfamilien mitgeformt wurden, die sich als Lupi Romani bezeichneten, ein reiner Patriarchenverein. Auch wenn dein Vorgänger einen Großteil der vier verbliebenen Familien außer Landes gejagt oder gleich in den tiefsten Verliesen vergraben hat gibt es gerade in Spanien und Portugal und deren ehemalige Überseebesitzungen noch genug Anhänger dieser vier alten Familien. Nein, mein treuer Statthalter, das muss und das wird anders ablaufen. Führe du die von mir erteilten Anweisungen weiter aus und halte die Notstandsmaßnahmen in Kraft, die wegen meines angeblich noch angestrebten Machtgewinns ergriffen wurden. Wenn es zu einem Treffen der romanischen Mittelmeerzauberer und ja auch der Griechen und Osmanen kommt, werden sie dich schon deshalb dazubitten, um zu klären, ob du wirklich noch Herr deines eigenen Willens bist und falls ja, dich mit Freuden in ihren Kreis zurückbitten."

"Ihr meint, falls sie mich dazubitten, meine Königin", wagte Barbanera es, seine Herrin zu berichtigen. Diese erwiderte mit unüberhörbarem Tadel: "Ich wäge meine Worte immer sorgfältig ab, Pontio Barbanera. Wage es nicht noch einmal, meine Worte zu hinterfragen oder umzudeuten! Ich sagte "wenn" und meine es auch so, dass es nur noch gewisser Voraussetzungen bedarf, dass die angeblich achso freien Zaubereiminister Spaniens, Portugals, Griechenlands und der zusammengeschrumpften Hoheitsgebiete der Osmanen zusammenkommen und dich dazubitten werden. Jetzt setz deine Arbeit für dein Land und meine Herrschaft weiter fort!"

"Jawohl, meine Königin", schickte Barbanera unterwürfig zurück.

Ladonna beendete die starke Gedankenverbindung. "Klar, dieser Zwergenkönig will wissen, welches die sichere Seite für ihn ist. Gut, er verhängt noch keine Frist. Dann wird Pontio das tun, wenn ich mehr in der Hand habe." Danach lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf eine von ihr ohne Einbeziehung des Zaubereiministeriums geplante und vorbereitete Unternehmung. Es galt, in vier Ländern eine weitere überdeutliche Warnung zu verkünden, dass sie mit den Umtrieben einer gewissen Gruppierung nicht einverstanden war. Auch würde diese Warnung auf dem einen oder anderen Weg zu jenen Hexenorden gelangen, die sich ihr nach wie vor verweigerten. Hier musste sie ein behutsames "Vielleicht" benutzen, wenn sie daran dachte, dass diese Hexenorden ihren Widerstand gegen sie aufgeben würden, um das Leben ihrer geliebten Angehörigen willen. Denn Frankreich und Spanien hatten ihrem Vorstoß erfolgreich vereitelt, sonst hätte sie schon längst die Mittelmeerländer alle zusammen. Ja, und die fehlgeschlagene Unterwerfung der anderen europäischen Zaubereiminister war an Spioninnen der Spinnenhexen in Deutschland gescheitert. Das durfte ihr auch nicht noch einmal geschehen.

"Unternehmung Wiegenholz soll anlaufen!" gedankensprach Ladonna zu acht ihrer getreuen Schwestern, die sich an jene herangeschlichen hatten, die auf der Liste der Fortpflanzungserzwinger standen. Die würden es noch in den nächsten Tagen erfahren, dass sie, Ladonna Montefiori, Königin aller Hexen, die alleinige Entscheidung traf, welche anderen Hexen wessen Kinder zu bekommen hatten.

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12.02.2006

Über ein halbes Jahr war es nun schon wieder her, dass sie das Opfer ihrer eigenen Überheblichkeit geworden war. Langsam konnte sie wenigstens auf allen Vieren krabbeln. Doch noch fühlte sie nichts von einsetzendem Zahnwuchs. Daher musste sie für wirklich wichtige Mitteilungen immer noch ein Cogison umgehängt bekommen. Aber das geschah so selten, weil ihre neue Still- und Ziehmutter Shana Moreland wollte, dass sie sich wie ein gewöhnlich heranwachsender Säugling verhielt, also um alles nötige laut schrie. Tja, so ausgeliefert war ein neuer Mensch in den ersten Wochen und Monaten, dachte Lucille Moreland.

Sie lauschte. Eartha und Perdy unterhielten sich auf dem Flur zu Shanas Wohnung. Eartha würde in zwei bis drei Wochen Perdys Kind bekommen, ein wirklich unschuldiges kleines Mädchen, dem sie den Namen Priscilla geben wollten, nach Earthas Großmutter mütterlicherseits. Einer von den beiden klopfte an die Tür. Shana legte ihr Strickzeug hin und lief an der krabbelnden Lucille vorbei zur Tür.

"Och joh, Lucille ist auch wach", flötete Perdy, während seine unübersehbar hoffnungsvoll gerundete Ehefrau sich keuchend in einen Sessel sinken ließ.

"Und, was sagt der Rat?" fragte Shana. Perdy grummelte: "Ich konnte denen das nicht ausreden, obwohl sie mir jetzt schon die volle Mitsprache gestattet haben. Die wollen die zwei verbliebenen Karussells wieder anfahren und weil unser Regenbogenwind so durchschlagend gut ist wollen sie noch zwei neue bauen. Ich war so dämlich, dem Rat ja eine Abschrift der Baupläne zu geben, weil die altvorderen meinten, wir müssten Ladonnas bösen Streich bald ausgleichen, jetzt wo wir wissen, wie sie das angestellt hat. Es dürfe nicht sein, dass wegen einer einzigen Sabberhexentochter die magische Menschheit ausstirbt, hat Pater Decimus Marenostri gemeint. Der ist noch sauer, weil der nicht mehr nach Italien rein kann."

"Also hat der Rat sich entschieden, die beiden Karussells wieder anzufahren. Aber wo wollen sie die zwei neuen hinstellen, weil da wo die vorher waren würden die uns ja sofort wiederfinden", meinte Shana Moreland verdrossen.

"Natürlich werden die nicht an derselben Stelle hingestellt. Ich hörte was vom Tafelgebirge in Südafrika und von der Höhle unter dem Kebnekaise in Schweden, die Mater Duodecima Borealis vorgeschlagen hat."

"Soso, meinen die, die wären weit genug weg von Ladonnas Land?" fragte sich Lucille. Zu gerne würde sie mentiloquieren. Doch dieses flauschig regenbogenfarbige Band um ihren Linken Arm unterband das. Zu allem Verdruss fühlte sie auch, wie sie unter sich ließ. Shana hätte ihr echt eine Wochenwindel anziehen sollen.

"Moment, du hast doch Vetorecht, oder, Perdy?" fragte Shana Moreland. "Wegen Véroniques Erbschaft?" fragte Perdy. "Weißt du, was die mir erzählt haben, dass sie das Ding dem ältesten, voll ausgewachsenen hätte übergeben müssen, als sie zum ersten Mal selbst in Wiege und Windeln zurück wollte. Daher sollte ich denen die Pläne dafür überlassen oder dann eben die Beschlüsse des Rates zu deren Verwendung akzeptieren oder genau so klein und schnuckelig werden wie Lucille." Das war für Lucille Moreland das Stichwort. Sie schrie laut und fordernd. Shana sah sie an. Doch weil sie nicht aufhörte näherte sie sich ihr und stellte fest, dass wieder vier Stunden um waren. "Oh, ja, was oben rein geht muss irgendwann unten wieder raus. Ich führe euch mal vor, was ihr zwei demnächst machen müsst", sagte Shana und holte aus dem Nichts einen Wickeltisch.

Lucille empfand eher Scham, weil sie sich selbst besudelt hatte. Doch dann dachte sie, dass es den beiden, vor allem der werdenden Mutter, ganz gut tat, zu sehen, wie es bald mit der kleinen Priscilla erledigt werden musste. Es war ja für die zwei auch schon wieder mehr als ein Jahr her, wo Eartha das an ihren Zwillingen anwenden musste.

"Willst du sie nicht baden?" fragte Eartha ein wenig angeekelt, während Perdy ganz ruhig dabeistand und sich nicht anmerken ließ, wie ihn die schmutzige Seite der Säuglingspflege anrührte.

"Ich kann sie auch so sauberkriegen. Baden tun wir heute abend wieder, nicht war, Lucille?" Die angesprochene konnte gerade nicht mehr tun als ihr Gesichtchen zu verziehen.

"Also für alle, die mithören können", sagte Perdy. "Ich wurde offiziell beauftragt, jedem Karussellfahrenden, der oder die die auferlegte Pflicht erfüllt hat, mit dem Erinnerungsumformer eine harmlose Erinnerung zu geben oder selbst noch mal zum kleinen Windelfüller zu werden, wobei sie mir sogar in Aussicht gestellt haben, mich vollständig zu reinitiieren, weil ja dann sicher die Pläne für die Haube an alle Ratsmitglieder gingen."

Lucille quengelte laut und versuchte, Worte zu formulieren. Perdy hörte es sich an und sagte dann: "Shana, mach ihr bitte mal den Sprechbalg drum!"

"Ach, du meinst, sie will mehr sagen, als dass sie mal wieder nass war?" fragte Shana. Doch offenbar funkelten sie gerade zu viele Augenpaare an. Lucille konnte schon ganz gut streng blicken. Das war für Shana schon unheimlich, wie willensstark das kleine Wesen war, dessen Wiederaufwachsen sie betreuen durfte.

Als Lucille das Cogison trug und das Antimentiloquismus-Armband dafür abgenommen wurde brabbelte der rosarote Blasebalg erst. Dann vertonte er Lucilles Gedanken.

"An Mom Shana, danke, dass du mir eine neue Windel umgelegt hast. An Eartha und Perdy und auch den hohen Rat des Lebens: wenn ihr schon die Karussells wieder anfahrt bringt auf jeden Fall alle nicht zur Bedienung nötigen Leute in andere Niederlassungen, vor allem die Kinder. Lasst keinen mit wem in derselben Niederlassung, der gerade neu einberufen wurde! Wenn ihr das gemacht habt könnt ihr es mit fünf Hexen und Zauberern die Woche probieren. Falls dabei nichts passiert Glück gehabt. Jedenfalls solltet ihr davon ausgehen, dass Ladonna Montefiori aus ihren ersten Versuchen genauso gelernt hat wie wir. Ihre Abart von Schmelzfeuer ist tückischer als dunkles Feuer."

"Ja, dass die Sabberhexentochter auch weitergedacht hat und was neues gegen uns ausprobiert habe ich denen auch gesagt, liebe Lucille. Aber die wollen es nicht glauben. Die bestehen darauf, dass wir so erfahren sind, dass wir jede nötige Sicherung eingebaut haben und dass wir uns wieder zurückmelden müssen, um nicht für ausgerottet erklärt zu werden", schnaubte Perdy.

"Wenn dieses Weib nicht genau darauf ausgeht, Perdy", erwiderte Lucille. "Denkt ihr, ich würde gerne alles aufgeben, was wir aufgebaut haben. Aber du hast es genauso gesehen wie ich, was die mit unserem Stützpunkt auf Sizilien angestellt hat und weißt auch, wie viele unschuldige Kinder dabei starben. Ich gehe so weit zu behaupten, dass dieses mischblütige Monstrum gefährlicher ist als die Spinnenhexe."

"Offenbar nicht, weil die Spinnenhexe der dann nicht die Tour mit den ganzen Zaubereiministern versaut hätte", knurrte Perdy. Doch Eartha gebot ihm lieber zu schweigen und fragte: "Das mit den Ministern war ein Versuch, der nicht geklappt hat. Habt ihr nach dem ersten Versuch gleich aufgegeben?" Betroffenes Schweigen auch bei Lucille. Erst nach einer halben Minute straffte sich Perdy und sagte: "Du bist nicht nur rund, du bist richtig gescheit, Eartha Dime. Die Frage hätte ich denen genauso vor die hohen Köpfe knallen müssen."

"Ach ja, und wegen der Haube, baldiger junger Vater, du darfst denen auch sagen, dass ich seit damals, als ich noch nicht Véronique hieß, bestimme, wem ich vertraue, dass sie in auch meinem Sinne richtig bedient wird. Jetzt, wo ich Lucille bin liegt die Verantwortung bei dir. Wenn sie dich auch noch klein machen, damit du als Priscillas Halbbruder aufwachsen darfst, dann kann niemand die Haube bedienen außer mir. Und ich kann sie mit den kleinen Händen noch nicht bedienen, zumal ich dafür mindestens noch einen meter länger sein muss als jetzt. Wer also meint, sie bedienen zu können, riskiert, dass der Behandelte entweder alle Erinnerungen unrettbar verliert, zumindest vergisst, wer er oder sie war oder, was der schlimmste anzunehmende Unfall wäre, mit einem vollständig erhaltenen und nicht mehr umformbaren Gedächtnis weiterlebt, ob erwachsen oder verjüngt. Oder habe ich euch nicht gesagt, dass unser Ehrengast Shacklebolt bei seiner Erinnerungsinfusion gegen alle Formen geistiger Beeinflussung und Ausforschung immun geworden sein mag?" Wieder stille. Dann cogisonierte Lucille weiter: "Darfst du denen bei der nächsten Sitzung so weitergeben ... halt! Das könnte genau ein neuer Auslöser sein, mit dem Ladonna uns vernichten will, dass jemand, der unter die Haube gesetzt wird durch die Erinnerungsumformung einen mentalmagischen Auslöser erwischt, der ihn und alles im Umkreis von hundert Metern in Flammen aufgehen lässt."

"Cmm, Lucille, du weißt, welche Sturschädel das sind, wir wissen das beide", grummelte Perdy.

"Ja, weiß ich. Zwei von denen habe ich sogar schon kennengelernt, als sie gerade zur Welt kamen", cogisonierte Lucille, "Aber wenn wir die nicht warnen machen wir uns zu Ladonnas Komplizen, wegen Nichtanzeige einer bevorstehenden Untat."

"Autsch! Das zieht."

"So, bevor hier eine Art Gegenrat entsteht, Leute, ihr schreibt das jetzt alles auf, was ihr gerade diskutiert. Ich gehe damit zu meinem Großonkel und leg dem das vor. Der ist im Rat und kann das vorbringen", sagte Shana Moreland sehr verärgert.

"Ja, mach das bitte", sagte Eartha. "Die ganze Unheilsbeschwörung geht mir schon auf den Bauch, und da ist schon genug drin."

"Ja, und wenn du die Kleine mit deinem Enkel auf dem Arm erleben willst, Eartha, seht zu, dass diese Sturschädel das bedenken und erst prüfen, ob die für das Karussell ausgewählten nicht doch eine Spur von bösartiger Magie im Körper haben", cogisonierte Lucille.

Eine Stunde später kehrte Shana von ihrem Ausflug zu ihrem Großonkel zurück, der im Rat saß. Sie wirkte nicht wirklich beruhigt. "Der hat eure Vorschläge genommen und gesagt, dass das mit den vielen Kindern in den Karussellniederlassungen stimmt. Die werden noch vor der Einbringung der ersten Auserwählten umgesiedelt. Ansonsten gilt, dass du, Perdy, die Erinnerungsumformung vornehmen sollst oder per Ratsbeschluss dazu verpflichtet werden sollst, die Pläne dafür herauszugeben. Der Rat wird sich wohl Ende Februar wieder zusammensetzen, wenn die beiden verbliebenen Karussells angefahren wurden. Ende März sollst du dich dann entschieden haben, Perdy."

"Botschaft angekommen, Shana. Danke! Öhm, Braucht man mich bis dahin?"

"Gute Frage. Moment, er sagte, du hättest solange zeit, bis die ersten aus Karussell Chile herauskommen, also so um den zwanzigsten März herum", erwiderte Shana. Perdy nickte verstehend. Lucille, die auf Earthas Knien saß und dem Herzen der kleinen Priscilla zuhörte cogisonierte: "Dann zieh dich mit den Plänen in die Unterwasserkugel zurück, Perdy. Womöglich werden wir da mehrere Mutter-Kind-Zimmer bereitstellen."

"Öhm, du meinst, wir kriegen den Fall Dornröschen, Lucille?" fragte Perdy.

"ja, Perdy, damit müssen wir rechnen. Ich habe richtig Angst vor diesem Weib, und das will was heißen", gestand Lucille.

"Das kommt selten vor, dass du sagst, dass du vor wem Angst hast, - Lucille", seufzte Perdy. "Aber soll ich dir was sagen, ich habe auch Schiss."

"Schiss? Soll ich dich auch windeln, Perdy?" fragte Shana. Perdy grummelte nur unartikuliert.

"Leute, war da nicht noch was mit der Südamerikakoalition?" wollte Eartha wissen.

"Ja, die ist im Amt, und ja, unsere Leute lassen sich da nicht vor Ende Mai blicken, weil wir nicht noch mal auffliegen wollen", sagte Perdy. "Okay, Eartha, möchtest du mit in die Unterwasserkugel?"

"Ja, möchte ich, damit du da nicht so allein bist."

"Val ist doch gerade da."

"Genau deshalb muss ich da mitkommen", knurrte Eartha und hob Lucille gerade noch sanft genug von ihrem Schoß herunter.

"Bevor ich dir das Cogison wieder abmache, Lucille, was bitte ist der Fall Dornröschen?" fragte Shana.

"Perdy und ich haben das besprochen, als Ladonna es fast geschafft hätte, mehrere Zaubereiminister mit ihrem Feuerrosenzauber zu unterwerfen. Da ist uns erst aufgegangen, wie mächtig sie wirklich ist. Falls sie das nocheinmal versucht, ja sogar schafft oder uns selbst nochmal angreift, dann sollen alle, die gerade Kinder zu betreuen oder in Erwartung haben in zwei Niederlassungen und dort mindestens solange versteckt bleiben, bis die Kinder alt genug sind, um selbst zu entscheiden, ob sie gegen diese Furie kämpfen wollen oder nicht. Wir müssten dann so tun, als gebe es uns nicht mehr, auch auf die Gefahr hin, dass die Magielosen in der Zeit die Welt in eine Giftkugel umwandeln, auf der nur noch giftresistente Pilze und Bakterien leben können, oder bis wir ein erfolgversprechendes Gegenmittel gegen Ladonnas Magie entwickelt haben oder von wem erbeuten können. Wir überwachen die Welt da draußen dann über unsere gemalten Fürsprecher und Informantinnen."

"Du meinst wie das Bild von Claudine Rocher, das die Verwandten von ihr im Blick behält?" erkundigte sich Shana.

"Genau das", cogisonierte jene, die als Baby Lucille neu aufwachsen musste und sich ärgerte, nicht selbst etwas gegen Ladonna und ihre Gemeinheiten tun zu können.

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13.02.2006

Julius hatte am Morgen an einer als Geheim eingestuften Besprechung mit der Zaubereiministerin persönlich, sowie den Leiterinnen und Leitern für Sicherheit, Zauberwesen und friedliche Koexistenz teilgenommen. Das Thema war, was passieren sollte, falls Ladonna Montefiori oder die Spinnenhexen ihre Geduld verloren und mit Gewalt gegen das Zaubereiministerium vorgingen. Als das Gespräch vorbei war hofften alle, dass sie für die Umsetzung noch Zeit hatten. Julius war nur froh, dass ihn in der Zeit keiner vermisst hatte.

Er kannte das Gefühl schon, wie seltsam es war, zwei herzallerliebsten Frauen was für den Valentinstag auszusuchen. Weill Trice und Millie lieber Naschwerk statt Schnittblumen hatten war er nach Dienstschluss mal eben in den Honigtopf in London herübergerauscht, wo er auch Mike Whitesand traf, der abgedrehte Sachen wie Zwiebeln in Erdbeermarmeladenkrapfen mit Chilipulver oder Kürbispasteten mit grüner Paprika kaufte. "Darf ich gratulieren?" fragte Julius leise. "Ach, hat Prudence das noch nicht an Pina oder Gloria weitergereicht, dass wir im Juni wen neues bekommen?" fragte Mike. "Ja, dann dürft ihr uns gratulieren. Das Tat julius. "Und wollt ihr schon wissen, was es wirt?" fragte er noch.

"Es sind zwei und werden wohl, wenn meine Schwiegertante das richtig gesehen hat, Pearl und Pia heißen", grinste er. Julius grinste zurück. "Viel Spaß beim Wickeldienst, wenn die kleinen erst mal da sind." Mike näherte sich Julius und raunte ihm zu: "Als Mel das hörte ist die erst mal für fünf Tage abgetaucht. Der geht jetzt offenbar auf, dass sie wohl nichts kleines kriegen wird." "Haben viele in Millemerveilles auch gedacht", erwiderte Julius. Mike wusste sogleich was er meinte. "Ja, aber das möchte meine Schwester nicht nachmachen."

Julius besuchte dann noch einmal den tropfenden Kessel. Hier fing die Laufbahn vieler Hexen und Zauberer an, wenn sie zum ersten mal in die Winkelgasse wollten. Seine Laufbahn hatte im Haus Morgendämmerung in Australien angefangen.

Wieder zurück in Millemerveilles gab er Mikes nachricht weiter. Millieund Beatrice freuten sich.

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14.02.2006

Ladonna verabscheute den Valentinstag. Dieses Getue um die achso tiefe und einzig wahre Liebe widerte sie an. Die Hexen und Zauberer hatten sich diesen Unsinn von den Moggli abgeschaut und machten bei diesem heuchlerischen Spektakel auch noch mit. So war sie froh, dass sie schön weit außerhalb jeder besiedelten Gegend mit zehn residenten Schwestern Einzelgespräche führen konnte. Alle wollten wissen, wann der Rosenfrieden endlich erblühen würde. Sie musste aufpassen, nur soviel zu verraten, dass die Fragenden den Eindruck hatten, genug zu wissen, ohne wirklich wichtiges zu früh zu erfahren. Die Unternehmung Nadelstiche lief auf jeden Fall in den deutschsprachigen Ländern. Wo sie gerade besonders viel Freude dran hatte war eine vom Zaun gebrochene Blutfehde zwischen den Spanischen und Portugiesischen Nebenlinien der Familien Manorossa und Fulminicaldi. das würde die zwei Minister Rodrigo Pataleón in Spanien und Silvio Montebranco in Portugal darauf bringen, die alte Verhandlungsinsel zu reaktivieren, wo bei Grenzübergriffen Verhandlungen auf höchster Ebene stattzufinden pflegten. Da sie es geschafft hatte, eines der Gemälde im Büro Pataleóns auszutauschen konnte sie in ihrer Residenz bei Florenz jeden Abend erfahren, was der Minister vorhatte. Ebenso hatte sie zehn treue Schwestern in Portugal, die ihr berichten konnten, was Minister Montebranco beabsichtigte.

Am Abend erfuhr sie über das kompromittierte Bild in Madrid, dass der Minister mit seiner Ehefrau Carmen Estrella den ganzen Tag an der Costa del Sol zugebracht hatte. Dabei erfuhr sie etwas, was ihr Vorhaben gefährden mochte.

Die beiden hatten sich vor vier Jahren, als sie ihren dreißigsten Hochzeitstag begingen, neue Eheringe machen und mit Gefühlsverbindungszaubern belegen lassen, wie sie auch in besonderen Partnerschmuckstücken aus den Vereinigten Staaten zur Anwendung kamen. Seine Frau hatte am Abend noch gesagt, dass sie froh war, das er immer noch so viel für sie empfand und dass sie deshalb sicher sein konnte, es früh genug mitzubekommen, wenn ihm was passierte, um ihm zu helfen.

"Nicht gut, aber auch nicht unmöglich", knurrte sie. "Ja, vielleicht wirst du dann mehr von ihm mitbekommen als dir lieb ist, kleine Lockenpuppe", dachte sie.

"Meine Königin, König Huorchino hat mir seinen Boten Haldrino Boccamiele geschickt. Der bietet uns an, dass er die verschlossenen Türen von Gringotts aufmacht, wenn wir ihm und seinem Volk dafür alle Rechte der Kobolde überlassen und ihm Sonderstatuten für Edelmetall- und Zauberhandwerkhandel einräumen", hörte Ladonna die Gedankenstimme ihres obersten Statthalters in Italien, Pontio Barbanera.

"Bis wann gibt er uns gnädigerweise Zeit?" wollte sie wissen, als sie die Gedankenbrücke zu ihm erweckt hatte. "Bis zur Tag-und-Nacht-Gleiche, meine Königin. Ich sollte das mit meinen Fachleuten für Handel und gute Beziehungen erörtern, hat mir dieser Boccamiele persönlich gesagt, als Verbindungsbeamter Venuto ihn zu mir geführt hat."

"Hast du das alles schriftlich, was Huorchino Spatafuoco will, Pontio?" fragte sie noch. Zur Antwort holte der italienische Zaubereiminister eine Schriftrolle hervor und breitete sie so aus, dass er und damit sie selbst lesen konnte, was der König der italienischen Zwerge vorschlug. Das war schon ein ziemlich dreister Forderungskatalog. Er endete damit, dass sein Volk im Falle einer vollständigen Ablehnung aller Vorschläge davon ausgehen musste, dass es sein Geburtsrecht mit allen Mitteln wahren würde, was schon wie eine Kriegserklärung klang.

"Soso, er will das Goldbewahrungsmonopol der zurecht aus deinem Land gejagten Kobolde haben oder Krieg mit uns führen. Öhm, wir müssen unbedingt außerhalb des Ministeriums bereden, wie wir verhindern, dass er einen seiner Spione zu dir einschmuggelt. Die zwergische Erdmagie ist für Zauberstabnutzer schwer bis gar nicht nachverfolgbar. Also sei weiter auf der Hut!"

"Verstanden, meine Königin", erwiderte Barbanera über die Gedankenbrücke.

"Kobolde hätten das schnell heraus, wenn Zwerge uns auskundschaften wollen. Aber die könnten dabei selbst Mithörgegenstände anbringen. Das hieße den Drachen mit einem Basilisken auszutreiben. Nein, sie mussten anders vorgehen. Immerhin wusste sie jetzt, dass es irgendwann im alten Ägypten mal eine Aufzeichnung über den großen, grauen Eisentroll gegeben haben sollte. Die war wie vieles andere in der legendären Bibliothek von Alexandria verstaut gewesen. Doch wo war sie heute? Wenn sie mehr über den Angstgegner der Zwerge und Kobolde wusste hatte sie ein echtes Druckmittel, so wie die Atombombenmächte, die ihre Feinde mit der Androhung eines Atomkrieges auf abstand hielten und hofften, niemals wirklich solche Waffen einsetzen zu müssen.

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Julius hatte für seine beiden Frauen je ein Blumenbeet angelegt, in dem er jahreszeitlich bedingte ein- und mehrjährige Blütenpflanzen ziehen konnte. Darüber hinaus bekam Millie eine Jumboschachtel Schokofrösche, Fruchtgummidrachen in zwölf heißen Geschmacksrichtungen, die mit "Iss den Drachen, bevor er dich frisst" beworben wurden und mehrere neue Ambrosius-Schokolade, die nach einer Begegnung mit Dementoren die verlorene Freude am Leben zurückbrachte und ohne Dementoren schön durchwärmte und den Stress, ob Arbeit oder Alltag, vertrieb.

Trice hatte er im Honigtopf Wildbeerenhonigsterne, die nachts leuchten konnten und ein englisches Liederbuch besorgt, auf dessen Einband vier fröhliche Zauberer in ständig die Farben wechselnden Umhängen herumtanzten.

"Juhu, Papa, Tante Rora is' auf einer Karte!" Rief Aurore aus der Wohnküche im dritten Stock, als er gerade Béatrice die goldenen Honigsterne übergab.

"Na, isst du der Maman ihre Valentinssüßigkeiten weg, Kronprinzessin?" fragte Julius, als er wieder in der Küche war. "Mpmpff" konnte Aurore nur machen, weil sie zwei ganze Schokofrösche in ihren Mund gesteckt hatte. Julius nahm die zwei Karten. Eine zeigte einen blondhaarigen Zauberer mit einer Harfe Taliesin Towerhill, der angeblich größte Barde der Zaubereigeschichte, der von sich behauptete, genug Lieder für zwei ganze Leben in sich zu haben. Das zweite zeigte Aurora Dawn in jenem roten Kleid, in dem er sie zum allerersten mal gesehen hatte. Sie schien ihn zu erkennen und lächelte sehr erfreut. Nun konnte er seiner Erstgeborenen alle wichtigen Sachen aus Aurora Dawns Leben vorlesen und endete damit: "Sie half maßgeblich bei der Eindämmung der zweiten Schlangenkriegerpest im Jahre 2003 mit und konnte viele hundert Menschen mit und ohne Magie vom hochansteckenden Schlangenmenschenkeim befreien. Ihre Hilfsbereitschaft und Einsatzfreude erreichte einen weiteren Höhepunkt, als sie die verwaiste Tochter einer Hexe aufnahm und ihretwegen zur Amme und Ziehmutter wurde"

"Kuck mal, Monju, dann stehst du auch mit drin. Denn ohne dich hätten die das nicht so locker hinbekommen", sagte Millie leise. Julius nickte.

Alles in allem wurde es ein sehr schöner Valentinstag. Auch wenn dieser Tag zu einem kitschigen Konkurrenzkampf um buntere Blumen und größere Berge von Süßigkeiten zu verkommen drohte war es doch schön, dass es einen Tag der Liebenden Weltweit gab. Er hatte ja mitbekommen, was Hass und Großmachtsucht in beiden Welten anrichten konnten und argwöhnte, dass die Welt schon auf das nächste Unglück zurollte. Er hoffte nur, dass das jetzt kein Anfang einer Paranoia war, wie sie Desumbrateuren mit langer Diensterfahrung blühen konnte.

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17.02.2006

Rodrigo Dario Lopez Pataleón, der Zaubereiminister Spaniens, hatte den Alarmplan Drachenstrm ausgerufen. Denn seit mehreren Wochen kam es immer wieder an bestimmten Orten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zauberern und Hexen, die versuchten, in das offenbarte Machtvakuum in Italien vorzudringen, dass seit Bernadottis großem Schlag gegen die Lupi Romani vor sich hingähnte. Dass die nicht da selbst geborenen ihren Streit auf spanischem Boden ausfochten bedeutete eine große Gefahr für unbescholtene Hexen und Zauberer. Daher hatte er seinen Sicherheitstruppen zusätzliche Personal- und Ausrüstungskapazitäten zugesichert und aus anderen Abteilungen kampferfahrene Zauberer und Hexen in die Nähe der umkämpften Stätten geschickt. Zunächst hatten sie zwanzig Mitglieder der spanischen Nebenlinie Manoroja und fünf Helfershelfer der Rayocallentesippe festnehmen lassen. Doch die verfeindeten Familien hatten sich an anderen Orten getroffen, um ihre Erbfolgekriege fortzusetzen. Dabei war es mehrfach zu Grenzübertritten Portugiesischer Zauberer gekommen. Somit mussten sie nun auch noch die Landesgrenze absichern. Das war ein Fall für die steinerne Tafel von 1320, auf der alle einzelnen Königreiche Spaniens, sowie das Kalifat Cordoba und das Königreich Portugal klar und für ewig vermerkt hatten, dass wenn es magische Aufrührer gab, die im jeweiligen Nachbarland ihr Unwesen trieben, sollten sich die obersten Sprecher der magischen Menschen treffen und diesen Missstand beheben. Dafür gab es in der Mitte des Flusses Miño eine vor den Augen magieunfähiger Menschen versteckte kleine Insel, die aus Basaltgestein beider Regionen aufgeschüttet worden und gegen Fernbelauschung und -beobachtung gesichert worden war. Wenn er es schaffte, mit einer Delegation von sich eine Delegation Montebrancos zu treffen und diese Blutfehde zur gemeinsamen Angelegenheit zu erklären, konnten sie das Übel der römischen Wölfe womöglich mit Stumpf und Stiel ausräumen. Denn die Steintafel erlaubte bei einer klaren und vor Zeugen bekräftigten Absprache, dass Kampftruppen des jeweiligen Landesherren erkannte Aufrührer bis in das Nachbarland verfolgen und vom Nachbarn Hilfe bei der Festnahme oder finalen Beendigung des Konfliktes erhalten durften. Natürlich wusste Pataleón, dass auch in seinem Ministerium Sympathisanten oder gar Günstlinge der Lupi Romani versteckt waren. Früher hatten die sich sogar offen gezeigt, wenn es was gab, was ihre Familien dringend haben wollten. Nicht wenige Zaubereiminister waren durch gute Bekannte in sehr dunklen Gefilden auf den Ministerstuhl gehievt worden. In Portugal war das nicht anders. Also mochten da noch mehr von denen an wichtigen Stellen sitzen. War es also wirklich klug, dass zwei Delegationen zusammenkamen, wo einer reichte, alles an die Verbrecher weiterzuverraten?

Er holte sich noch einmal den auf Pergament übertragenen Text von der Steinernen Tafel, von der es im Archiv so viele Kopien gab wie es spanische Königreiche gegeben hatte. Sicher stand in einem arabischen Museum noch die auf Arabisch und Latein verfasste Tafel aus Cordoba. Als er las, dass die Verhandlungssprache das klassische Latein war, auch wenn Unterhändler aus Afrika und Kleinasien dabei waren, musste er überlegen, wie gut er die ehemalige Verkehrssprache des Römischen Reiches beherrschte. Muste er dafür vielleicht Bicranius' Trank der mannigfachen Merkfähigkeit einnehmen? Nein, für die Verhandlung ging es noch.

Vorher galt es jedoch, abzusichern, dass sein Amtskollege Montebranco ihn nicht bezichtigen konnte, diese Blutfehde vom Zaun gebrochen zu haben. Er musste also genug Beweise sichern, dass diese Fehde schon länger schwelte und er erst jetzt, wo er keine andere Möglichkeit mehr sah, die direkte Unterhandlung erbat.

"Drei Tage noch", dachte er. "War es bis dahin ruhig konnte er überlegen, ob er Montebranco wirklich zu einer Unterredung bitten konnte und wenn ja, mit wie vielen Leuten die jeweiligen Delegationen auf die Verhandlungsinsel im Grenzfluss zu Portugal reisen sollten.

Er wollte gerade in den Speiseraum für höhere Ministeriumsbeamte, um dort zu essen, als seine Sekretärin Eva Clara eine Besucherin ankündigte, mit der er jetzt wirklich nicht mehr gerechnet hatte.

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Die schwarze Störchin flog tief über einem silbernen Nebelfleck über dem Rio Miño dahin. Sie nahm jede magische Regung mit ihren Sinnen auf, erfasste die Richtung jeder fließenden Kraft in den Kielen ihrer Federn. Dann tauchte sie in den silbernen Nebel ein und befand sich unmittelbar über einer gerade einmal fünfhundert Meter durchmessenden, kreisrunden Landmasse mitten im Miño. Sie fühlte, dass hier Erfassungszauber wirkten, die fremde, ja unbefugte Wesen erkennen und festsetzen würden. Doch im Moment war sie kein Mensch. Außerdem war sie auch in dieser Gestalt vollkommen unortbar. Doch sie wollte vermeiden, den Boden zu berühren, da dort Erschütterungsspürzauber sitzen konnten.

Sie sah sich um und erkannte das Haus der Unterhandlung, das einem kleinem Palast des 11. Jahrhunderts nachempfunden war. bis zu einhundert menschenförmige Wesen konnten hier unterkommen. Ein schlanker, achteckiger Turm ragte in der Mitte eines Innenhofes in den Himmel, gerade hoch genug, um nicht durch den immer noch wirksamen Ortungsschutz zu dringen und doch ausreichend hoch, um beide Ufer des Rio Miño zu überblicken. Diesen Turm umkreiste die Störchin mehrmals, auch um zu erfassen, welche Zauber hier auf sie lauern mochten, falls sie in ihrer wahren Gestalt auf diese Insel wollte. So konnte sie die hinter schmalen Schießscharten verborgenen Armbrüste erkennen, die mit einer ausgeklügelten Zaubermechanik versehen waren und bei Belagerungsalarm eigenständig zielen und schießen konnten. Dass sie den schwarzen Vogel nicht als legitimes Ziel angriffen lag wohl zum einen daran, dass gerade niemand zu schützendes auf der Insel weilte und zum anderen eben daran, dass ein Vogel ohne eigene magische Ausstrahlung kein gefährliches Etwas war, das unverzüglich beschossen werden musste.

"Alles zu bedenken", dachte die als Störchin herumfliegende Rosenkönigin. Dann prüfte sie noch den Umlenkzauber, der Boote und Schiffe so um die Insel herumleitete, dass der Eindruck entstand, dass sie nicht vorhanden war. Nur auf diesen Zauber abgestimmte Wasserfahrzeuge konnten in den Tarnbereich vordringen und an den insgesamt vier steinernen Stegen anlanden. Konnte jemand auf der Insel apparieren oder von dort disapparieren?

Ladonna Montefiori segelte im Gleitflug einmal um die ganze Insel herum und konzentrierte sich vor allem auf bestimmte magische Strömungen. Ja, hier wirkten all die Abwehrzauber, die das zeitlose Erscheinen und Verschwinden vereitelten. Wer hier hin wollte musste eben fliegen wie sie oder mit einem der auf den Umlenkzauber abgestimmten Boote heranfahren. Das war gut zu wissen, dass niemand mal eben flüchten konnte. Auch war es sehr wichtig, ob die beiden Minister, wenn sie sich denn trafen, unter freiem Himmel oder in einem Raum des kleinen Palastes zusammenkommen würden.

Laut mit dem Schnabel klappernd umflog Ladonna nun das kleine Prunkgebäude und lauschte auf das Echo. Wenn sie an den Fenstern vorbeiflog war es, als schluckten diese ihr Klappern völlig. Kein Widerhall drang zurück. Da wusste sie es, dass hinter den Fenstern Dauerklangkerkerzauber in Kraft waren. Wenn die beiden also ganz sicher sein wollten würden sie in einem der gesicherten Räume zusammentreffen.

In ihrem Kopf begann ein Plan zu reifen, mit dem sie eines ihrer gesteckten Ziele erreichen wollte, ohne dass es jemandem auffiel. Dabei war ihr auch wichtig, dass Pataleóns Frau nicht mitbekam, was mit ihrem Mann geschah oder unmittelbar dann, wenn es nicht zu vermeiden war, unfähig gemacht wurde, es zu verraten. Allerdings mochte es dann nicht mehr ganz so lautlos ablaufen, wie sie es ursprünglich vorhatte. Alles hing davon ab, wie schnell ihre eigenen Vorbereitungen greifen konnten. Das wiederum hing davon ab, in welchem Raum sich die beiden und ihre Begleiter trafen. Dann wuste sie, was sie tun musste, um ihr Ziel zu erreichen.

Mit dem Gefühl, alle möglichen Auswirkungen vorhersehen und darauf reagieren zu können verließ Ladonna die Verhandlungsinsel. Sie wagte es jedoch erst zwei Kilometer außerhalb der Sichtschutzbezauberung, mit der ihrer besonderen Natur möglichen Höchstgeschwindigkeit davonzufliegen. Es galt nun, ihre Vorhaben so abzustimmen, dass sie zeitlich möglichst nahe beieinander lagen und keine der Ziele ahnen zu lassen, was bevorstand. Kam es auch nur bei einem der Zugriffe ans Licht, waren alle anderen gewarnt.

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Sie war immer noch überragend schön. Jedes Kleidermodell, jede Theaterschauspielerin würde vor Neid erbleichen und in den Erdboden einsinken. Das wusste sie auch, als sie eintrat, jene Frau mit den flammenroten Haaren und den goldbraunen Augen. Sie trug ein meergrünes Kleid, das genauso luftig wie ihr rotes Haar ihren sich anmutig bewegenden Körper umspielte. Er fühlte sogleich, dass sie ihre volle Ausstrahlung wirken ließ. Sie wollte ihn mit aller Macht in eine für sie empfängliche Stimmung versetzen. Er versuchte sich dagegen zu wehren und sagte: "Espinela Flavia Bocafuego de Casillas. Lange nicht mehr in diesem hohen Haus gewesen, wie?"

"Auch Ihnen einen guten Tag, Minister Pataleón. Ja, stimmt, ich war lange nicht mehr hier", erwiderte die Besucherin. Ihre Stimme passte zu ihrem Aussehen. Sie klang klar wie eine Bergquelle und raumfüllend wie eine mittelgroße Glocke. Der Minister fühlte den Ring an seinem linken Ringfinger warm werden. Die besondere Bezauberung, die er und seine Frau hatten vornehmen lassen, wirkte gegen die ihn betörende Präsenz der Veelastämmigen und Stammmutter aller in Spanien und den südamerikanischen Exkolonien lebenden Veelastämmigen. Womöglich fühlte seine Frau Menchu jetzt auch, dass etwas ihn zu umgarnen trachtete.

"Mit welcher Begründung gelang es Ihnen, meine Sekretärin zu überzeugen, Sie zu mir vorzulassen?" wollte der Minister wissen, statt der Besucherin einen Platz anzubieten, wie es die Höflichkeit gebot.

"Darf ich nicht erst die Tür schließen?" fragte die Besucherin lächelnd. Der Minister nickte. Sie drückte die Tür zu. "Falls Sie möchten dürfen Sie sich dort hinsetzen", sagte er noch und deutete auf den bequemsten Besucherstuhl, den er für wichtige Gäste bereithielt. Die Veelastämmige bedankte sich und ließ sich langsam und sacht auf dem Stuhl nieder. Sie schlug ihre verboten langen Beine übereinander und straffte sich, dass Rodrigo Pataleón ihre makellose Figur bewundern musste. Sein Ehering glühte fast und pochte im Wechsel mit seinem Herzen.

"Gut, Sie haben gerade viel zu tun und daher nur wenig Zeit. Gut, ich auch. Daher das, was Sie wissen möchten, Minister Pataleón", begann die Veelastämmige. "Die Begründung für meinen eingeschobenen Besuch ist: Ich muss befürchten, dass Spanien massiv von ausländischen Machtgruppen angegriffen wird, um das Zaubereiministerium zu entmachten. ich bin mir sicher, dass die schwarzhaarige italienische Furie dahintersteckt. Das Ziel könnte sein, Sie zu übereilten Ausflügen innerhalb Spaniens und den Nachbarländern zu drängen, um sie an einen Ort zu locken, an dem die andere sich Ihrer bemächtigen kann. Immerhin hat sie es ja schon einmal mit Ihnen und anderen versucht."

"wie kommen Sie darauf?" fragte Pataleón, der sich nun stärker gegen den ihn durchdringenden Veelaeinfluss wehrte.

"Weil ich es über mir bekannte Quellen mitverfolge, was gewisse Familien gerade umtreibt, sich hier und in Portugal zu bekriegen. Außerdem haben andere mir bekannte Quellen angedeutet, dass es nicht nur in Spanien, sondern auch in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Österreich und Südosteuropa zu Unruhen kommt, um die Schlagkraft und Wachsamkeit der dortigen Ministerien zu prüfen. Ja, und einige behaupten sogar, entweder Frankreich oder Italien könnten einen Nutzen daraus ziehen."

"Frankreich? Will wieder wer behaupten, diese zurückhaltend auftretende Ornelle Ventvit wolle sich neue Hoheitsgebiete erschließen?" fragte der Zaubereiminister. Sein linker Ringfinger pochte und sandte Wellen aus starker Hitze durch Hand und Arm.

"Das nicht, weil das schon einmal gescheitert ist. Es wird jedoch behauptet, dass sie nur deshalb Frieden in ihrem Land hat, weil sie einen heimlichen Pakt mit Italien geschlossen hat, um von dort nicht behelligt zu werden. Immerhin ist sie die einzige Zaubereiministerin in Europa. Na, was sagt uns das?"

"Das da jemand wohl langsam paranoid wird". grummelte Pataleón. "Gerade weil Ornelle Ventvit von einer Ihrer Art einen ungefragten Schutzzauber auferlegt bekam steht sie für die in Italien eingenistete Unheilsbringerin Ladonna Montefiori auf der Feindesliste ziemlich weit oben. Da ist es eher so, dass Ladonnas in anderen Ländern tätigen Helferinnen dieses Gerücht streuen, um sie von allen anderen abzuschotten, um ihre Bewegungs- und Verhandlungsfreiheit einzuschränken. Ich sehe aber auch keinen Grund Ihnen zu glauben, werte Señora de Casillas, solange Sie nicht Ihre Nachrichtenquellen benennen.""

"Dann haben Sie wohl lange nicht mehr mit Ihren Amtskollegen in anderen Ländern gesprochen oder Nachrichten ausgetauscht, wie? Aber was meine Quellen angeht, auch wenn mich nicht jeder und jede hundertprozentig leiden mag, der oder die wie ich aus der langen Ahnenlinie der großen Mokusha abstammt, so teilen wir uns doch alles wichtige und auch verdächtige mit, besonders dann, wenn wir davon ausgehen müssen, dass die ebenfalls mit einem Anteil von Mokushas Ahnenlinie geborene wieder mehr Macht erlangen möchte. Italien ist ihr ganz sicher. Von dort aus möchte sie nun ihre Macht ausdehnen."

"Ach, dann glauben Sie auch, dass mein Kollege Barbanera ein Minister von ihrer Gnade ist und keine Entscheidungsfreiheit mehr hat?" wollte der Minister wissen. Das Glühen seines Eheringes ging ihm langsam auf die Nerven und machte ihn ungehalten. Das wiederum half ihm, den Einfluss der Veelastämmigen zurückzudrängen. Womöglich wäre er ihr sonst gleich vollkommen verfallen.

"Sie denken das und viele andere Ihrer Kollegen denken das wohl auch, spätestens seitdem Italien mit diesem tödlichen Eindringlingsabwehrzauber überdeckt wurde. Außerdem ist Barbanera ein Fachkundiger für denk-und verhandlungsfähige Zauberwesen und war wohl deshalb eines von Ladonnas ersten Zielen. Also, was soll diese Frage?" erwiderte Espinela. Die merkte sicher, dass der Minister sich nicht mal eben im Vorbeigehen von ihr betören ließ. Doch sie machte weiter jene Gesten, die ihre Anziehungskraft verstärkten.

"Sie haben vergessen, dass Barbanera sich seitdem auch nicht mehr aus seinem Heimatland hinauswagt, weil er wohl Angst hat, er könne nicht mehr dorthin zurückkehren", sagte der Minister. "Also denken Sie und Ihre Quellen, dass Ladonna die Unruhen bei uns entfacht hat, um mich zu einer unabgesicherten Handlung zu bringen?" Die Besucherin nickte leicht. "Und in anderen Ländern geschieht was?" fragte er. "Das dürfen Ihnen Ihre Leute selbst erzählen. Ich wundere mich aber nicht, dass die anderen Zaubereiminister da noch nichts von verraten wollten. Nur so viel, die Schutztruppen der Zaubereiministerien werden bis zu ihren Grenzen beansprucht. Wer das beobachten kann erfährt so eine Menge über die Anzahl der Einsatzkräfte, Unternehmungen und Reaktionszeiten. Welchem Zweck dient sowas? Eigene Vorhaben auf ihre Durchführbarkeit zu prüfen und entsprechend zu planen. Aber das kann und wird nur erfolgreich sein, wenn wichtige Beamte aus dem Zaubereiministerium in eine bestimmte Lage oder an einen bestimmten Ort gelockt werden sollen. Daher mein sehr wohlgemeinter Vorschlag: Wo immer sie sich außerhalb des geschützten Bereiches des Ministeriums treffen wollen oder müssen, nehmen Sie vorher mit mir Kontakt auf und warten sie auf mich oder eine meiner Töchter oder erwachsenen Enkeltöchter, um Sie zu begleiten. Ignacio werde ich für so ein Vorhaben nicht mehr abstellen. Außerdem hat er in der Spiele-und-Sport-Abteilung genug zu tun, wo die spanische Quidditchliga uneins ist, ob sie in der jetzigen Form weiterbestehen bleiben oder dem britischen Vorbild folgend in fünf Unterligen getrennt werden soll.".

"Moment, Sie schlagen mir allen Ernstes vor, dass ich nur noch in Begleitung von Ihnen oder Ihrer Blutsverwandten zu außerministeriellen Treffen gehen soll? Das ist schon sehr dreist, muss ich sagen, werte Señora de Casillas. Ich werde meinen Außenterminplan ganz bestimmt nicht mit Ihnen oder Ihren Töchtern abstimmen oder gar unmittelbar vor einer als geheim vereinbarten Zusammenkunft mit Amtskollegen oder ranghohen Beamten um Begleitung bitten. Wenn ich Leibwächter brauche habe ich mehrere Hundertschaften zur Verfügung. Außerdem kann ich ausschließen, dass Ihre weit entfernte Verwandte mitbekommt, wenn ich das Ministerium verlasse."

"Wirklich, wo Sie es seit der versuchten Unterwerfung vor über einem Jahr ablehnen, dass meine Töchter und ich das Haus nach möglichen Unterworfenen dieser schwarzhaarigen Ausgeburt des Irrsinns untersuchen? Überall, wo nach ihren Helferinnen gesucht wurde, wurden auch welche gefunden. Nur ist unsere Vorgehensweise sanfter und lebensschonender."

"wie gesagt, ich werde weder zulassen, dass Sie mit Ihren Töchtern und Enkeltöchtern mein Ministerium umkrempeln und meine Leute verwirren oder unnötiges Misstrauen schüren, noch werde ich Sie oder eines Ihrer Kinder um Begleitung bitten, wenn ich zu nichtöffentlichen oder öffentlichen Treffen reisen muss. War das alles, was Sie wissen wollten?"

"Ich will Sie nicht zwingen, weil ich nicht Ihre Feindin bin", schnarrte Espinela. Der Minister fühlte, wie der bis dahin aufgebotene Einfluss von ihr abklang. Sein Ehering hörte zu pulsieren auf und kühlte auf Handwärme herunter. "Es war eben nur ein sehr gut gemeinter Vorschlag, Minister Pataleón. Hoffen wir alle darauf, dass Sie und ich keinen Grund haben werden, zu bereuen, dass Sie ihn nicht angenommen haben", fügte die Besucherin noch hinzu. Der Minister deutete auf die Wanduhr und dann auf die geschlossene Tür zum Vorzimmer. "Ich gehe davon aus, dass Sie auch wieder alleine hinausfinden", sagte er kalt. Die Veelastämmige mit den flammenroten Haaren nickte verdrossen. Dann stand sie von ihrem bequemen Besucherstuhl auf und ging diesmal ohne Anflug von besonderer Anmut zur Tür. Pataleón sah ihr nach, wie sie durch das Vorzimmer ging und sich mit einer beiläufigen Kopfbewegung von seiner Sekretärin verabschiedete. Dann zog sie die Vorzimmertür von außen zu.

"Darf ich wissen, was diese Person von Ihnen wollte, Señor Ministre?" fragte Eva Clara leicht ungehalten.

"Sie hat sich und ihre Töchter als neue Leibgarde angeboten, Eva Clara", grinste der Minister. "Ich habe ihr klargemacht, dass es dafür keinen Grund gibt. Das hat ihr natürlich nicht gefallen. Sie kennen doch Veelas und ihre Abkömmlinge, von ihrem Aussehen und ihren Fähigkeiten übermäßig überzeugte Wesen, die es nicht so locker wegstecken, wenn ein Mann nein zu ihnen sagt." Pataleóns Sekretärin änderte ihre Miene von verdrossen zu amüsiert und sagte: "Wenn Sie gerade mal zwanzig Jahre alt wären hätte die sie locker um den kleinen Finger gewickelt, Señor Ministre." Der Zaubereiminister grinste nun selbst eher jungenhaft und antwortete: "Tja, die Frau ist eben ein paar Jährchen zu spät gekommen. Aber jetzt möchte ich Sie nicht weiter von der Arbeit abhalten. Wenn die anderen, ordentlich angemeldeten Termine anstehen bin ich bereit."

"Sehr wohl, Minister Pataleón", erwiderte seine Sekretärin und schloss die noch offene Tür zwischen Vorzimmer und Arbeitsraum des Zaubereiministers.

"Ro, was war gerade los?" hörte Pataleón die Gedankenstimme seiner Frau im eigenen Bewusstsein hallen. Er drückte den wieder handwarmen Ehering an die Stirn und dachte konzentriert zurück: "Ach, die Königin der spanischen Veelakolonie wollte mich bezirzen, sie und ihre ebenso überirdisch schönen Töchter als neue Sondergarde einzustellen, wenn ich vor die Tür muss, Menchu. Doch unser in Gold und Magie geschmiedetes Ehegelübde hat mich so geschützt wie einst die Zauberwurzel den Odysseus, dass dem keine Schweinerei angetan wurde."

"Was hat die genau gesagt. Ich hörte was, dass sie dich nicht zwingen wolle, auf sie einzugehen."

"So wie sie es gemeint hat", sagte der Minister und gab wieder, was Espinela so erwähnt hatte und was er darauf geantwortet hatte. Seine Frau gedankenantwortete darauf: "Das heißt, die geht davon aus, dass sie es im Ernstfall doch hinbekommen würde, dir irgendwas aufzuzwingen oder abzuverlangen, Ro. Die Ringe und mein Widerwille gegen das, was dich fast eingewickelt hätte haben dir heute geholfen. Dieses Weib hat mit dir gespielt, nur mal angetestet, wie groß dein Widerstand ist. Die hat nicht ihr volles Potential aufgeboten, Ro. Ja, und falls sie doch recht hat und dieses andere Unweib aus Italien wieder versuchen könnte, dich einzufangen und an sich zu binden würde es nicht so viel Rücksicht darauf nehmen, ob du sie als Feindin haben willst oder nicht."

"Öhm, denkst du das echt, dass Ladonna meint, noch mal alle erreichbaren Minister einzuwickeln und an sich zu binden?" fragte Rodrigo Pataleón. Seine Frau erwiderte: "Nachdem, was du erzählt hast hattet ihr nur Glück, weil diese Hexe mit dem Feuerschwert dazwischengefuhrwerkt hat. Die Verbindung zwischen dir und mir war durch irgendwelche Schutzzauber abgeschwächt. Ich hätte das womöglich nicht mal mitbekommen, wenn sie dich gekriegt hätte, bis du wieder aus dem Bereich der Abschirmzauber herausgekommen wärest." Dem konnte der Minister nicht widersprechen. Die Eheringbezauberung war gut, aber reichte wohl doch noch nicht an jene besonderen Verbindungszauber heran, die die nordamerikanischen Zuneigungs- oder Ehepaar-Herzanhänger besaßen. Das sollte er bedenken, wenn er wieder in einen mehrfach geschützten Bereich eindringen musste. Er dachte an die Insel der Unterhandlungen. Die war auch gegen mehrfache Arten magischer Fernüberwachung und -verständigung abgesichert, um die Diskretion der dort miteinander unterhandelnden zu wahren. So sagte er noch:

"Jedenfalls hatte ich es nicht nötig, mir eine Sondergarde aus narzistischen Frauenzimmern zuzulegen, Menchu. Mehr war nicht und mehr ist nicht." Das erkannte seine Ehefrau an. Danach war die Gedankenverbindung beendet.

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Espinela Flavia Bocafuego de Casillas schaffte es, ihre innere Verärgerung solange zu verbergen, wie sie durch das Ministeriumsgebäude ging. Sie tat so, als sei sie weiterhin die Herrin der schönen Frauen, darauf aus, jedem Mann hier heiße Gedanken zu machen, ohne sich ihm wirklich anzubieten. Als sie dann endlich aus dem Gebäude heraus war und frei apparieren konnte wechselte sie unverzüglich in ihr Landhaus über, das von besonderen Schutzzaubern umhüllt war. Hier stieß sie einen lauten Wutschrei aus und stampfte so kräftig auf den Boden, dass ihr linker Absatz bedrohlich knarrte. Dann hatte sie sich wieder im Griff. Sie nickte in den leeren Raum hinein und dachte, dass sie doch eigentlich damit hatte rechnen müssen, dass Pataleón ihren Vorschlag ablehnen mochte. Gut, sie war davon ausgegangen, dass ihre bewusst stark ausgeprägte Ausstrahlung ihn für ihre Vorschläge und Wünsche empfänglich machte. Doch dann hatte sie erkannt, dass er wohl einen Schutzzauber gegen Gefühlsbeeinflussungen von außen trug und nach kurzer Beobachtung auch gesehen, wo dieser war, im Ehering des Ministers. Sie musste daran denken, dass Pataleón vor sieben Jahren eine gewisse "Bezahlung" an neun galizische Wald- und Flusshexen zu leisten hatte. Wahrscheinlich hatte seine kleine Ehefrau danach verlangt, noch besser gegen zaubermächtige weibliche Wesen geschützt zu sein. Hätte sie vielleicht doch die volle Kraft ihrer Ausstrahlung und die betörende Kraft ihrer Stimme einsetzen sollen? Ja, womöglich hätte sie ihn damit empfänglich gemacht. Doch sie hatte noch rechtzeitig erkannt, dass sie damit einen magischen Gewaltakt gegen einen amtierenden Zaubereiminister begangen hätte. Er hätte sie dann verhaften und einkerkern lassen können und ihrem Enkel Ignacio womöglich noch Beihilfe unterstellt. Nein, noch war es klüger, ihn nicht mit ihrer ganzen Kraft zu bedrängen. Sie hoffte auch, dass es nie nötig sein würde. Dann dachte Espinela daran, dass sie sich zumindest auf den Fall vorbereiten sollte, dass die schwarzhaarige Feindin wahrhaftig nach der Macht auf der iberischen Halbinsel greifen würde. Sie hätte durchaus auf eigene Faust nachforschen können, ob im Ministerium schon von dieser von grünem Waldfrauenblut verdorbenen Teilerbin Mokushas beherrschte Leute in Stellung saßen. Doch ohne ihre erwachsenen Töchter und Enkeltöchter wäre das ein zu langwieriges Unterfangen und obendrein zu gefährlich gewesen. Ladonnas Helferinnen hätten es bemerkt und ihre Herrin hätte sofort reagiert und alle ihr unterworfenen Hexen und Zauberer zum Angriff auf sie geschickt. Dass die keine Angst vor der Blutrache der Kinder Mokushas hatte wusste Espinela schon von den über mehrere Zwischenstellen weitergemeldeten Klagen Sternennachts, der ältesten noch lebenden Blutsverwandten Ladonnas. Nein, sie musste sich auf den Fall vorbereiten, wo sie auf jeden Fall vom Ministerium als unerwünschtes, ja hochgefährliches Wesen eingestuft würde. Dann stand ganz sicher fest, dass dieses schwarzhaarige Unwesen Pataleón zu ihrem neuen Erfüllungsknecht gemacht haben würde.

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Am späten Abend des Tages, wo Pataleón die Unterredung mit Espinela de Casillas hatte erfuhr Ladonna über das bei ihm eingeschmuggelte Bild mit der Wiese voller Singvögel, was ihm widerfahren war und dass er das Angebot der Veelastämmigen abgelehnt hatte. "Dieses verdammte Weib ist immer noch lästig", knurrte Ladonna. "Aber wenn der Frieden der Rose erblüht kann die sich aussuchen, ob sie sich nur noch in ihrem gesicherten Haus aufhalten, mit ihrer Brut das Land verlassen oder zu Ackerdünger verarbeitet werden will. Ladonna wusste zu gut, dass an den Kräften der Veelastämmigen auch ihre überragenden Kräfte scheitern konnten. Gerade deshalb musste sie zusehen, dass ihr Vorhaben nicht von diesen Geschöpfen bemerkt und vereitelt wurde.

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19.02.2006

"Und, was spricht dein Herr und König, Bote Honigmund?" fragte Malin VII. den neuen Boten aus Italien.

"Er bietet euch, König Malin VII. Eisenknoter, eine Gelegenheit, mitzuverfolgen, was im italienischen Zaubereiministerium geschieht gegen einen bei Euer beider Bärte beschworenen Beistandspakt im Namen aller eurer Blutsverwandten, dass er im Falle eines Krieges mit Euren wackeren Kämpfern rechnen darf, sobald er das gläserne Horn bläst."

"Soso, er hat es geschafft, Mithörkristalle ins Zaubereiministerium zu schmuggeln. So ein Unglück, dass da kein Kobold mehr frei herumlaufen darf", feixte Malin. "Dann richte ihm mit meiner königlichen Huld aus, dass er dann mit meinen wackeren Kriegern rechnen darf, wenn ich weiß, ob wir die Kobolde auch aus dem deutschsprachigen Raum hinausjagen müssen und es vollbringen. Wenn er solange ruhighält kann ich ihm neben einem Beistandspakt sogar Anteil an den von den Spitzohren gehorteten Goldvorräten in Aussicht stellen."

"Er weiß nicht, ob er nicht jederzeit einen Angriff abwehren muss. Er hat schon sämtliche Frauen, Mädchen und Knaben unterhalb der Mannesschmiede in die unbezwingbaren vier Festungen bringen lassen. Er will die erhabene Stadt, die älter ist als das Emporkömmlingsdorf Roma, auf jeden Fall bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Und falls ihr ihm nicht beisteht, so sagt mein Herr und König mit allem Respekt, so wird er noch vor seiner Reise in Durins ewiges Reich Boten entsenden, die verkünden werden, dass Ihr, Malin VII. keine Achtung vor geschlossenen Verträgen habt und auch keine Achtung vor dem Schutz anderer Schwarzalben."

"Sei froh, Haldrino Honigmund, dass die Zeiten vorbei sind, wo ein Überbringer von Unheilsbotschaften oder gar Drohungen vom Empfänger getötet werden durfte und im Falle einer Drohung der Kopf des Botens an den, der droht zurückgesandt wird. Doch ich lasse dich deinen Kopf auf deinen Schultern hinaustragen, damit du dem guten Huorchino meine Botschaft ausrichten kannst. Erst wenn die Kobolde aus meinem Reich verschwunden sind kann und werde ich ihm Beistand leisten. Falls er Angst vor einer einzigen bekleideten Frau hat soll er doch in die vier Festungen flüchten und sich hinter den da untergebrachten Frauen verstecken. Das darrfst du ihm so sagen, Haldrino Honigmund."

"Wir werden kämpfen und siegen. Aber dann wird alle Welt wissen, dass Ihr ein Feigling seid, König Malin VII. Eisenknoter. Wie immer ihr es angestellt habt, die drei Königsprüfungen zu überleben, die Schmach und Schande werdet ihr dann nicht überleben."

Malin VII. lachte laut los und gluckste dann: "Das sagt der Bote eines Königs, der Angst vor einer Frau hat. Nein, bei Durins Bart und ewigem Feuer, das ist zu köstlich."

"Kennst du dieses Weib selbst?" fragte Haldrino Honigmund leise und sehr ernst klingend. Malin hörte zu lachen auf. Dann schüttelte er den Kopf. "Dann könnt Ihr bedauerlicherweise nicht wissen, wie gefährlich sie ist. Sie ist eine Mischblüterin, in deren Leib und Seele die Eigenschaften einer Menschenfrau, einer slawischen Überschönheitund einer grüngesichtigen Waldfrau vereint sind. Sie kann ganze Festungen zerstören, mit blauem Feuer, hat der Sicherheitsbeauftragte Barbaneras erwähnt."

"Ui, das war aber dann ganz sicher keine Zwergenburg, weil sonst hätte er seine bartlosen Untertanen ja schon längst über die Grenze nach Frankreich oder Österreich geschickt."

"Wir wissen noch nicht, ob sie das italienische Ministerium übernommen hat. Mehr darf ich nicht sagen."

"Dann weißt du mehr?" wollte der König wissen. Haldrino Honigmund deutete auf sein violettes Wams und die Beinkleider und die Sandalen. "Der Bote darf nur sagen, was sein Absender ihn sagen lassen will", sagte der italienische Bote. Malin musste an Silberzunges Verplapperer denken und nickte verdrossen. Er durfte keinen in der Tracht der Botengilde reisenden bedrohen oder verletzen. Ja, und er durfte ihn auch nicht zwingen, mehr zu verraten als seine Botschaft es erlaubte. So blieb ihm nur, die übliche Abschiedsformel für Boten zu sprechen. Für den gehörten Boten hieß dies, dass er hier nicht länger benötigt wurde. Er deutete eine Verbeugung an, weil Malin ja nicht sein König war und verließ die kleine Anhörungshöhle.

"Der flieht vor einer singenden, schwebenden Frau im nachtfarbenen Kleid und will mich einen Feigling nennen. Köstlich", dachte Malin VII. und ließ den nächsten Boten rufen. Zu seinem Erstaunen war es ein Kobold in grünsteinfarbener Gewandung. Allerdings trug er auch einen violetten Hut. Malin wusste, dass Grünsteingrün die Koboldfarbe der Unterhandlung und Friedlichen Übergabe war, und der Hut galt ja als Unterhändlerfarbe der Zwergenboten. Der Kobold verbeugte sich eher übertrieben vor dem König und zog dabei laut schabend den rechten Fuß nach hinten. Dann sprach er den Zwerg in dessen Muttersprache an:

"Oh, ich bin erfreut, den neuen König unter Deutschen Bergen leibhaftig zu sehen. So bin ich sehr guten Mutes, ihm die Botschaft meines Meisters Mondbart verkünden zu können."

"Wie heißt du, Grünling?"

"Ich bin Schnellläufer Klappsack, Bote des Bankhauses Gringotts Deutschland. Darf ich Euch die Botschaft meines Herren künden?"

"Schleim nicht so rum, der Boden ist gerade erst geputzt worden! Also, was will dein graubärtiger Meister?"

"Mein Meister hat über hilfreiche Ohren vernommen, dass Ihr darauf ausgeht, ihn und uns anderen mit blutigen Taten aus dem uns angestammten Heimatland zu treiben und dabei über die Leiber der Gefallenen zu steigen. Mein Meister hofft doch sehr, dass dies nur ein ganz böses Gerücht ist, dass die Zauberstabträger verbreiten, um uns gegeneinander aufzuhetzen."

Malin sah den Burschen, der nicht größer als er war und keinen Bart im Gesicht trug an und sagte ganz ruhig: "Fühlt dein Meister Angst, Spitzohr, dass er hofft, dass die Rede von einem Feldzug wider ihn und euer Volk nur böses Gerücht ist?"

"Öhm, nö!" erwiderte Klappsack unerwartet lässig. "Eigentlich hofft er nur, dass Ihr mehr an Eurem Leben als an seinem Gold hängt. Aber wenn es nur ein Gerücht ist ist ja nichts zu befürchten, nicht wahr?"

"Sag ihm, er, du, eure ganzen anderen Goldkrämer und alle eure Weiber und Bälger, solltet eure Vettern und Onkel in Britannien bitten, euch Unterkunft bereitzustellen. Denn wenn hier der Frühling anfängt seid ihr hier nicht mehr erwünscht. Und wenn du mir noch drohst, dass ihr vorher alles Zauberergold verschwinden lassen wollt, wir haben sehr gute Goldfinderuten, und wenn ihr den Zauberern jetzt schon alles wegzunehmen versucht machen die euch fertig. Dann muss ich gar nicht mehr losziehen."

"So plant ihr wirklich, gegen uns anzutreten?" fragte Klappsack.

"Nur, wenn ihr nicht begreift, dass ihr hier in diesem Land nichts mehr zu suchen habt."

"Stimmt, wir müssen nichts suchen, sondern wissen, wo wir sind und hingehören. Außerdem wurden die meisten von uns auf dem gleichen Boden geboren wie Ihr und die Angehörigen Eures Volkes. nennt uns also nicht unerlaubte Einwanderer! Ihr müsstet dann ja auch als Einwanderer aus dem Norden bezeichnet werden."

"Wir waren schon da, bevor die Römer hier ihre Vorstellung von Größe und Fortschritt gefeiert haben. Euch gibt es erst hier, seitdem dieses Goldabkommen geschlossen wurde, das meinem Volk das Recht an der Goldwertbestimmung geraubt hat. Mein Volk hat nur deshalb vor euch und den Zauberstabträgern gekuscht, weil die Riesen noch zu mächtig waren und wir uns denen nicht freiwillig zum Fraß vorwerfen wollten. Auch wenn ich meinen Vater sehr verehre, er meinte nur, dass wenn der Tag kommt, wo die gläserne Waage zwischen euch und uns zerbricht, sollten wir aufstehen und uns wiederholen, was vor vierhundert Sommern noch unser war."

"Ihr habt einen Kenner der Geschichte Eures Volkes. Habt ihr ihn nie befragt, warum die Zauberer uns das Goldverwahrungsrecht übergaben?" wollte Klappsack wissen.

"Das weiß ich doch längst. Die damaligen Zauberstabträger wollten die einzelnen Deutschen Lande am Welthandel teilhaben lassen. Unsere Zwergenmünzen waren den Herrschaften in England und Spanien nicht rein genug. Deshalb haben Sie euch das Goldwertbestimmungsrecht in den stinkenden Hintern geschoben, auf dass ihr viele außerhalb anerkannte Goldstücke herauskacken konntet."

"Für einen Träger der eisernen Krone und rechtmäßigen Mann auf dem eisernen Stuhl drückt Ihr euch aber sehr - volkstümlich aus", sagte Klappsack leise, damit es draußen niemand hörte, wie ein Kobold den großen König Malin hinterfragte.

"Ich war nicht immer König und auch nicht immer Kronprinz, Kobold. Ja, und in meinem Haus spreche ich die Dinge so an und aus, wie sie sind und nicht mit kleinen duftenden Blumen verziert, wie alle anderen Boten das tun oder jene, die sich wegen ihres Reichtums für gefragte Handelsleute halten. Außerdem hast du verstanden, was ich dir sagen wollte, grüner Bote, und das ist das wichtigste in der Verständigung auch und vor allem zwischen einem wahren Erdkind und einer ..."

"Oh, bitet keine weiteren Beleidigungen, großer König Malin. Sonst müsste ich meinem Meister Mondbart mitteilen, dass ein unreifer Knabe auf dem Eisernen Stuhl säße, und er könnte euch mit flauschigweichen, summenden Knuddelmuffs bewerfen, statt mit ehrlichem Koboldsilber die Anerkennung von Leben und Tod zu lehren."

"Weißt du was, Schnappsack, du darfst wegen dem violetten Hut nach Hause gehen und deinem scheinbärtigen Meister sagen, dass ich mir sehr gerne seinen Kopf holen und einen wunderschön verzierten Nachttopf daraus fertigen lassen werde, sollte er nach der Tag-und-Nacht-Gleiche noch in seinem Haus sein. Meine Kundschafter wissen längst, wo er wohnt, genau wie ihr ja eure wandelnden Glibberaugen losgeschickt habt, um uns zu überwachen. Hat ja auch nicht geklappt."

"Nun, da ich gesagt habe was ich sagen sollte ist es halt so. Ich werde ihm auch von Eurem großzügigen Angebot erzählen, das von Euch durch Genuss veredelte Bier trinken zu dürfen. Ich empfehle mich."

"Du weißt, dass ihr von hier nicht durch den Boden brechen könnt?" fragte der König. "Nun, es wäre durchaus eine unverzeihliche Beleidigung Eurer Auffassungsgabe und Klugheit, wenn wir nicht damit rechnen würden. Gehabt euch wohl, König Malin."

Der Kobold ging. Malin dachte, dass er dem gleich einen Fehdehandschuh hätte vor die Füße werfen können. Aber das konnte er dann ja noch mit Mondbart machen. Ja, vielleicht sollte er ihm sein scharfes, steinernes Schwert vorführen und ihn Stückchen für Stückchen zerschneiden.

Als er nach weiteren Boten aus den deutschen Landen noch einen Französischen Zwerg empfing, der ihm was vom gedeihlichen Frieden zwischen allen Zauberwesen erzählte sagte Malin: "Ich habe davon schon längst vernommen, Bote gorin Sangesfeld. Doch Euer König schätzt offenbar die Ruhe mehr als das Recht. Ich weiß, dass ich mich nicht auf ihn verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Aber die Art Frieden, die er sich hat aufschwatzen lassen, ist ein Schandfrieden. Das darfst du ihm so sagen und ihm verkünden, dass er ja bald lernen darf, wie es richtig geht und er sich entscheiden muss, auf welcher Seite er steht." Dann verabschiedete er den Boten, der eigentlich noch eine andere Botschaft übermitteln wollte. Doch die Abschiedsformel war verbindlich. Sie zu missachten bedeutete die Entlassung aus der Gilde und schlimmstenfalls den Verlust der Manneswürde. also ging der Botschafter.

Als Malin abends seiner Mutter von Klappsack und dem Boten Gorin Sangesfeld erzählte holte die weit aus und drosch ihm laut klatschend eine Ohrfeige auf die linke wange. Er riss beide Fäuste hoch und fühlte unverzüglich jenes schmerzvolle Herzrasenund einen peinigenden Krampf im Bauch. Zugleich meinte er, dass der Schlag seiner Mutter ihm die linke Kopfhälfte eingedrückt habe, so weh tat es. Er konnte viel Schmerz veratmen und unterdrücken. Doch dann war er bewegungslos, vor allem bei ihr, die da vor ihm auf dem weichgepolsterten Stuhl saß. "Du hättest diesen Kobold nicht so herausfordern dürfen. Die werden sich jetzt auf einen Erstschlag vorbereiten. Und den Franzosen so abzufertigen war auch grund verkehrt. Du hättest ihn ausfragen müssen, wieso es bei denen geht, dass die Kobolde und Zwerge da immer noch Frieden halten können, obwohl die Schwarzalben die älteren Rechte am Gold haben. am Ende haben die Zauberstabträger da ein Druckmittel, mit dem sie beide Seiten ruhighalten können. Das zu wissen wäre sehr wichtig gewesen. Ja, was würdest du erwidern, wenn einer deiner Boten von den Kobolden zurückkäme und dir mitteilte, dass Mondbart deinen Kopf haben will? Sprich!!"

Dieses eine befehlende Wort löste die Verspannung des Königs. Die Bauchkrämpfe waren noch da. Doch sein Kopf war frei. Er antwortete mit heiserer Stimme: "Ich hätte ihm entgegnet, dass ich ihn erwarte, um zu prüfen, wessen Kopf am Ende fällt."

"Ja, und womöglich wird er dir genau diese Botschaft zurücksenden. Unterschätze den nicht. Kobolde, die sehr alt werden sind sowohl stark, listig und werden immer weiser. Ich habe dir geraten, es mit den Kobolden zu klären, ja und auch, dass sie gehen sollen. Aber wenn du dabei stirbst, und ich deshalb zu den wertlosen Weibern geschafft werde, glaube es mir, dass ich deine Seele aus Durins ewigem Reich zurückrufen und sie in diese Vase da einkerkern werde, bevor sie mich holen kommen."

Malin sah die tönerne Vase mit Runen für Frische, Blumen und Unzerbrechlichkeit. Sich zwischen irgendwelchen Schnittblumen eingesperrt zu denken behagte ihm nicht. Dann sagte seine Mutter Miru Silberstimme noch was: "Ja, und der Italiener könnte auch recht haben. Dieses Mischblüterweib hat die Begabungen dreier Völker in sich. Sie wird gelernt haben, diese anzuwenden. Am Ende vermag sie auch wie wir Sängerinnen die Toten zu sich zu rufen oder noch schlimmere Geschöpfe von Orten herbeirufen, an die keiner von uns freiwillig gehen würde."

"Das du Angst vor einer anderen Frau hast kann ich verstehen", seufzte Malin. Seine Mutter sah ihn warnend an. "Du hast auch Angst vor mir, weiß ich. Ja, und du kannst mir nichts antun, weil ich das so will, weißt du auch. Finde nicht heraus, ob Ladonna Montefiori nicht noch stärker ist als ich es bin!"

"Sie ist nur eine Hexe, zufällig mit den niederen Gaben von slawischen Überschönen und grünfratzigen Waldfrauen verdorben. Schön und hässlich im selben Körper schließen sich gegenseitig aus."

"Dann hast du noch keine bildhafte Darstellung von ihr gesehen?" fragte Miru Silberstimme. Malin bekannte, noch kein solches Bild gesehen zu haben. Da holte Miru etwas aus der nur von ihrer Hand bewegbaren Schublade ihres Beistelltisches und zeigte es ihm, ein kleines, gerahmtes Bild, bewegungslos aber unbegreiflich schön. Er sah das Bild an und las dann den zwischen zwei weit geöffneten Rosenblüten stehenden Namen: "Ladonna Montefiori regina magarum"

"Wo hast du das her?" fragte er seine Mutter. "ich habe es über umwege von einer Vielgebärerin aus dem italienischen Königreich. Da lag es in einem Archiv, dass vor fünfhundert Jahren von mit dem Hausherren verfehdeten Zwergen geplündert wurde. Dabei waren auch vier Nachbildungen dieser Frau. Sie waren mit Beweglichkeit und Handlungsfähigkeit bezaubert. Deshalb haben die Plünderer das Bild mit dem Blut von Dunkelsteinwanderern und den Runen für Stillstand und Kerker beschrieben. Da auf der Rückseite." Malin drehte das Bild, das er die ganze Zeit angestarrt hatte. Konnte so eine überirdisch schöne Frau so gnadenlos grausam sein? Das lange, schwarze Haar passte sehr gut zu dem schwarzen Kleid. Auf dem Kopf trug sie ein Gewinde aus roten Rosenblüten. Er zwang sich, das Bild umzudrehenund sah im Holz die erwähnten Runen in einer Weise, die es dem, der sie um sich herum hatte unmöglich machte, sich zu bewegen. Würden diese Runen nicht mehr sichtbar sein, könnte diese Abbildung zu neuem Leben erwachen. Ja, so war es. Diese furchtbar schöne Frau hatte damals diese kleinen Bilder malen lassen, um mit wem auch immer in Verbindung zu bleiben oder ihn oder sie nur zu beobachten. Mit magischen Bildern ging sowas. Da schoss ihm ein beunruhigender Gedanke ins Bewusstsein, eine Frage, die er gleich aussprach:

"Weißt du, was mit denen geschehen ist, die dieses Bild geraubt haben, Mutter?"

"Nein, das weiß ich nicht. Dazu müsste ich die Geschichte der italienischen Schwarzalben kennen, und mir als Sängerin und Tänzerin war der Zugang zu den aufgezeichneten Ereignissen und niedergeschriebenen Gedanken früherer Schwarzalben verwehrt", raunte seine Mutter. Diese Antwort gefiel Malin noch weniger als wenn sie gesagt hätte, dass Ladonna die Frevler an ihrem Bild grausam ermordet hätte. So blieb ihm diese Vorstellung als unheimliche, unbestätigte aber nicht unmögliche Folge des Bilderraubes. Ja, er konnte sich jetzt sogar vorstellen, dass die italienischen Artgenossen einen wirklich eisenhandschufesten Grund hatten, sich vor dieser Frau zu fürchten. Vielleicht war sie die Tochter des großen grauen Eisentrolls. Allein die Vorstellung trieb ihm, der vor anderen von seiner Größe und Stärke tönte, den kalten Angstschweiß aus allen verbliebenen Poren seiner ledernen Haut. Dann kehrte sein unbeugsamer Trotz zurück, sein Glaube an seine Stärke und seine Willenskraft. Er würde diese Frau töten, wenn er eine Gelegenheit fand, es zu tun.

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Irgendwo da unten in den Tiefen dieser versteckten Niederlassung drehte es sich endlich wieder. Nach dem sie über ein halbes Jahr warten mussten, bis Perdy beim Rat erwähnt hatte, dass er zumindest vier Erinnerungsumformer nachgebaut hatte, aber die gut vor unbefugtem Zugriff verriegelt hatte, hatten sie es so gemacht, wie vor Véroniques magischem Unfall und der körperlichen Genesungsverjüngung. Je ein Ausgewählter Zauberer sollte auf jedem Karussell zehn Runden fahren. Dann der nächste. Bei den Hexen nicht anders. Doch sie waren sich sicher, dass sie die schlummernde Komponente aus jedem herausfiltern konnten, die das eurasische Karussell zerstört hatte. Einer der anderen erfahrenen Thaumaturgen hatte den Weg gewählt, die Ausgewählten mit dem Zauber des ruhenden Stoffwechsels zu belegen und danach alles was noch magisch war unschädlich abzuscheiden. Tatsächlich hatte es bei vier Ausgewählten so geklappt. So meinten sie jetzt, es bei jedem anderen zu können. Ladonnas Fluch würde nicht mehr zuschlagen.

"Und hast du Lavinia reingeschickt, Orlando?" fragte Pater Decimus Marenostri. "Sie war ja schon so heiß drauf, diesen Branco da Silva zu kriegen und sich von ihm was zustecken zu lassen, José. Von der Familie Enkelkinder sind bestimmt sehr prächtig."

"Und der hatte diesen Feuerfluch im Körper?" fragte Pater Decimus Marenostri.

"Ja, der hatte echt so einen verderbenden Fluch an sich. Der hat unsere Auffangbehälter fast zum zerschmelzen gebracht, trotz Gleichwärmebezauberung. Das hätte uns fast diese Niederlassung weggebrutzelt."

"Hätte den kleinen sicher an seine Phantasiegeschichten von mit der verbotenen Substanz angetriebenen Sternenschiffen erinnert", spöttelte Orlando.

"Ja, das hätte ihn sicher gefreut. Ihr habt die Behälter dann weit genug von aller Menschenansiedlung entfernt entladen?" fragte José Castillorico, im Rat Pater Decimus Marenostri genannt.

"Denkst du, wir lassen trotz Gleichwärmezauber weißglühende Kugeln hier herumliegen. War auf jeden Fall ein heftiges blaues Feuer, wie eine Flammenfontäne aus einem Vulkan. Der Behälter war danach nicht mehr zu gebrauchen. Das musst du diesem englischen Windeltester nicht sagen, aber wenn wir noch mal zwanzig von diesen Feuerflüchen austreiben müssen müssen wir die Karussells wieder zumachen oder uns Hermes Trismegistos und Hecate anvertrauen, dass wir alle von Ladonna präparierten Auswahlkandidaten erwischt haben."

"Wie viele haben wir denn noch zur Auswahl?" fragte José. "Hundert Zauberer und fünfzig Hexen, José. Wenn jeder von den Zauberern hundert Kinder zeugen könnte wären das zehntausend sichere Neugeburten. Falls jede Hexe Vierlinge oder Fünflinge empfängt wären das dann noch zweihundert bis zweihundertfünfzig dazu." "Du meinst von fünfzig bis zweihundertfünfzig", berichtigte José seinen Helfer. "Nicht immer landen gleich vier oder fünf Brötchen im selben Ofen." Orlando sah den vierzig Jahre älteren Mitstreiter an. Wie sprach der denn vom erhabensten, was es gab? Doch er wagte nicht, diese Frage zu stellen. Sie würde auch unbeantwortet bleiben.

Der Boden erzitterte. Sofort schrillten Alarmzauber los. Da war alles bei "Feuer! Feuer!" "Erdbeben! Erdbeben!" "Feindlicher Angriff! Feindlicher Angriff!" José und Orlando erschraken so sehr, dass sie die zwei Sekunden verschenkten, die ihnen noch geblieben waren, um zu disapparieren. Plötzlich schlugen weißblaue Flammen durch den berstenden Boden nach oben. Sie erfassten alles in ihrem Weg und machten es zu einem lodernden Teil von sich. Von José und Orlando blieb nur noch feinster Aschenstaub, während die gierigen Flammen durch die nächste Decke stießen, alles wegbrannten, was lebte oder von Magie erfüllt war, doch auch alles im Weg liegende Metall und Gestein pulverisierte wie eine Sprengstoffladung. Weiter und weiter fraßen sich die Flammen mit der Geschwindigkeit eines Rennbesens in alle Richtungen. Tierisches Leben wurde von ihnen gnadenlos einverleibt. Doch Pflanzen blieben unversehrt. Die Flammen tanzten über sie hinweg, züngelten zwischen Zweigen, leckten lautlos über Laub hinweg und stoben an Stämmen von Bäumen empor. Doch kein Holz, kein Blatt, kein Stück Borke verbrannte. Wie gewaltige Krakenarme aus blauem Feuer griff das Feuer solange um sich, bis es keinen Funken Magie, kein atmendes Tier und erst recht kein menschliches Leben mehr vertilgen konnte. Es blieb noch einige Sekunden. Dann fiel das blaue Feuer in sich zusammen. Der bereits mehrfach zu traurigem Ruhm gelangte Stützpunkt Vita Magicas in Chile war nicht mehr. Nur ein sich langsam bildender Krater verriet, dass es bis vor wenigen Sekunden noch einen unterirdischen Geheimstützpunkt mit vielen Fallen- und Komfortzaubern und einem obskuren Karussell gegeben hatte. Knirschend, knackend und knarrzend brach das, was von Vita Magicas Stützpunkt geblieben war, in sich zusammen.

Dieses Feuer war stärker gewesen als jenes, mit dem Ladonna einst eine Niederlassung der fragwürdigen Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens vernichtet hatte.

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Der Wachhabende in der Überwachungszentrale für alle Niederlassungen schrak aus dem leichten Schlaf auf, der ihn am Arbeitsplatz übermannt hatte. Er glaubte an einen Albtraum. Doch als er sich den Schlaf richtig aus den Augen gerieben hatte musste er erkennen, dass es wieder einmal kein Albttraum war. Schreck, Trauer, Entsetzen und auch eine gewisse Schuld fluteten wie Sturmwogen durch sein Bewusstsein. Er musste sich vergewissern, dass es stimmte. Beide Karusselllniederlassungen, darunter die erste Station in Chile, waren von einer ungeheuren Zerstörungskraft vernichtet worden, einer Zerstörungskraft, die auf Feuer beruhte. Er wusste sofort, wer diese Untat verübt hatte. Er erinnerte sich an die Ratssitzung, der er beiwohnen durfte. Die hatten geglaubt, es endlich unmöglich gemacht zu haben. Aber die Feindin aus Italien hatte ihnen einmal mehr bewiesen, dass es für sie nichts gab, dass nicht unmöglich war.

Tränen traten ihm in die Augen, Tränen der Trauer und auch der Furcht, weil er nicht wusste, wer alles in diesen beiden Höllengluten gestorben war. Er prüfte nach, ob dort auch Kinder und ihre Eltern waren. Zu einen Schwachen Trost fand er, dass die dort wohnenden vor der ersten neuen Fahrt umgesiedelt worden waren.

"anfrage, lebende Ratsmitglieder!" rief der Überwacher. Er bekam die Rückmeldungen von dreißig hohen Räten des Lebens, sowie dem im Mai erst vierzehn neue Lebensjahre werdenden Perdix Diggle. Dann rief er durch, was passiert war.

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Perdy und Eartha lagen zusammen im Bett. Zwar durften sie erst am 30. Mai heiraten, weil Perdy da erst wieder vierzehn körperliche Jahre erreichte, doch sie waren ja schon so gut wie ein Ehepaar.

Es pingelte schnell und dringend. Perdy war sofort wach und griff nach der kleinen Glocke neben seinem Bett. Die Glocke verstummte. "Mann, warum macht der das?" quengelte er. Eartha quetschte nur halblaut heraus: "Wer macht was, Perdy?" "Standortabfrage der Ratsmitglieder und der zugelassenen, also ich. Dann ertönte ein weiteres Geräusch ein aufsteigender, anderthalb sekunden lang hoher und wieder abfallender Pfeifton. "An alle noch lebenden Räte, hier Simon von der Überwachung. Wir haben die beiden verbliebenen Karussells verloren, dazu zwanzig Mitglieder, zwanzig Ausgewählte Fahrer. Ja, und Pater Decimus Marenostri und die Räte Pater Undecimus Australis, seine Frau und Pater Decimus Borealis sind bei diesem Unglück verstorben. Ursache, verheerendes, magisches Feuer. Mögliche Täterin: Ladonna Montefiori. Höchste Warnstufe für alle Niederlassungen, in denen Besucher oder mögliche Ausgewählte sind."

"Nicht noch mal. Nein, nicht Chiele", stieß Eartha aus. Perdy verstand. In der Niederlassung Chile war Earthas Cousin als Wartungszauberer tätig, einer, der wie Perdy seinen Tod vorgetäuscht hatte, um nur noch für die Gesellschaft da zu sein. Jetzt war er nicht mehr da. Wieder einmal hatte dieses Weib zugeschlagen.

"Val, kommst du bitte, bevor was mit Eartha und Priscilla passiert!" rief Perdy einem Wandstück zu.

Eartha keuchte. Wenn sie jetzt das Kind verlor war 2006 für Perdy erledigt.

Valerie eilte herein und untersuchte die aufgeregte, hochschwangere Eartha. "Gerade noch früh genug, um die Kleine und deine Gebärmutter zu stabilisieren, Eartha", keuchte Valerie. Norman?" Eartha fühlte den Beruhigungszauber über sich tasten. "Ja, Norman war da, um die Karussellmechanik zu überwachen. Ich hatte ihn gewarnt, da nicht zu sein, solange wir nicht genau wissen, wie diese Furie das anstellt", schniefte Eartha. Dann wirkte der Beruhigungszauber, den Heilerinnen bei Schwangeren nur anwenden durften, wenn die Niederkunft noch ein paar Wochen hinausgezögert werden konnte.

"Wir müssen das klären, wie die das macht. Am Ende hat die sowas ähnliches wie Blauer Mond entwickelt und brennt alles weg, was sich zu uns bekennt. Vengor konnte sowas ähnliches."

"Jetzt ruf nicht noch ein Rudel großer Drachen", sprach Eartha. Valerie sagte: "Nicht alles, was du dir ausdenken kannst können auch andere erfinden, Perdy. Abgesehen davon hätte sie uns seit der Sache mit Buggles schon hundertmal auf diese Weise erledigen können, wenn das so einfach wäre." Perdy sah die australische Heilerin abbittend an und sagte: "Ich bin wohl gerade erst wachgeworden und muss erst klarkriegen, dass der Albtraum jetzt erst passiert." Aus weiter Ferne hörten sie Babygeschrei. Das war Lucille. War ihr was passiert?

Eine Minute später tauchte die in ein grünes Nachthemd gekleidete Shana Moreland mit Lucille auf dem Arm auf. Die wiederverjüngte trug ihr Cogison. "Haben wir die gewarnt oder nicht?" cogisonierte Lucille. Perdy bestätigte, dass sie den Rat gewarnt hatten. Dann fragte Lucille: "War noch wer außer denen, die in den Karussellniederlassungen waren in den Tagen, wo die Ausgesuchten dort eingebracht wurden noch dort gewesen?"

"Ich wenigstens nicht. Ich war die ganze Zeit hier mit Eartha, Val, ja und ihr zwei süßen seid ja einen Tag nach uns hierhergezogen", sagte Perdy.

"Nett, dass du mich süß findest, weil ich gerade eher stocksauer bin", cogisonierte Lucille und gab ein dazu passendes Schnarren von sich. "Ja, und dieser kleine Körper gibt keine gescheiten tiefen Töne her", fügte sie noch hinzu.

"Wieso willst du das wissen, ob noch wer bei den Karussells war aber nicht ... jetzt da war?" fragte Perdy Lucille.

"Weil diese unsagbar giftige Natter vielleicht was ähnliches wie den Seelenfeuerfluch gewirkt hat, nur dass der nicht die guten Gefühle zerstört, sondern zu echtem Feuer wird. Ich kann mich jetzt dunkel an was erinnern, was ich vor zwei Leben mal gelesen habe, dass es einen dunklen Zauber gibt, der "rächendes Feuer" heißen soll. Es kann an einen Gegenstand oder einen Körper oder eine Seele gebunden werden und wirkt bei denen, die dem Urheber feindlich gesonnen sind und sich nicht durch den Gegenzauber "Das heilende Feuer" oder einen Sonnenzauber schützen konnten. Sie muss noch eine Variante entdeckt haben, die die Kraft des Feuers potenziert."

"Das heißt, es könnte an denen noch dranhängen, die in den Karussellniederlassungen waren? Von den Räten kann noch wer in der Zeit, wo es angefahren wurde dagewesen sein", seufzte Perdy. "Finde das raus. Womöglich geht es um unser Leben", cogisonierte Lucille. Shana sah die ihr zugeteilte Ziehtochter tadelnd an. Doch diese verzog nur ihr kleines pausbäckiges Gesicht.

Als Perdy herumfragte, wer in den Tagen der ersten Auswahlkandidaten in einer der Karussellniederlassungen war erfuhr er, dass drei weitere Räte dort waren, um die ersten freiwilligen Zusteigerinnen zu befragen. "Alle mit Sonnensegen behandeln, das reicht. Das ist ein helfender Feuerzauber", cogisonierte Lucille. Eine Minute später erfuhren sie, dass die Sonnensegen tatsächlich blaues Glimmen verursacht hatten, dass unschädlich nach oben entwichen sei. Allerdings kam der Hinweis für einen gerade in seinem Haus bei Oslo schlafenden Rat zu spät. Es sah so aus, als sei sein Haus mitten im Krater eines ausbrechenden Vulkans verschwunden, so wurde es später beschrieben. Nun belegten sich alle, die konnten mit dem Sonnensegen.

"Okay, Leute, der Freizeitpark ist abgebrannt. Ab jetzt erst mal keine Karussellauswahl mehr", gab Perdy über Rundsprechzauber weiter. Lucille bat Shana eine Eilanfrage an die verbliebenen Ratsmitglieder zu stellen, inwieweit sie bei der augenblicklichen Lage die Vermehrung magischen Lebens vorantreiben konnten, wo sie im Grunde gerade mehr als dreißig eigene Leben verloren hatten. Der Rat würde wohl sehr schnell zusammentreten, wenn sicher war, dass kein Mitglied mit Ladonnas Feuerfluch infiziert war.

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20.02.2006

Albertrude Steinbeißer, die aus zwei Hexenseelen vereinte entschlossene Schwester und Spinnenordensmitglied, genoss es, die kleine Prunella zu umsorgen. Bisher hatte sie es immer gut hinbekommen, ihre Mutterschaft und das kleine Bündel neuen Lebens zu verbergen. Das Gertrude damals auch eine begnadete Hexenschneiderin war hatte Albertine damals nicht gewusst. Doch mit den sieben Strampelanzügen, die sie während ihrer Schwangerschaft gewebt hatte, konnte sie Prunella für unbefugte Augen unsichtbar machen. Ja, und ihre Schreie, sofern sie Nahrung oder Zuwendung verlangte, konnte sie durch eine Wolldecke auf ein Zehntel der Lautstärke absenken. Die Erfahrung von vier Mutterschaften war unter der Geburt wieder in ihr Bewusstsein eingeströmt. Es stimmte schon. Manchmal musste eine alte, körperliche Erfahrung noch einmal gemacht werden, um die damit verknüpften Erinnerungen wiederzuerwecken.

So war es dann, dass Albertrude seit dem zweiten Januar eine zusätzliche Besucherin im Büro hatte.

Die Erbin Gertrude Steinbeißers hatte ihre Tochter gerade unter dem Ich-seh-nicht-recht-Stillumhang, als sie einen Anruf Armin Weizengolds aus dem Hauptbüro für friedliche Koexistenz erhielt.

"Fräulein Steinbeißer. Ich wurde gebeten mit allen, die sich damit auskennen zu erörtern, wie man mit möglichst wenig Mitteln größtmöglichen Schaden an den Elektrizitätsversorgungseinheiten der nichtmagischen Welt verursachen kann. Sie haben doch bei der Sache mit den spukenden Bildern auch mit den Lichtwächtern in Hamburg und München gesprochen. Haben Sie da noch die Unterlagen?"

"Selbstverständlich habe ich die noch", erwiderte Albertrude und übertönte das leise Schmatzen ihrer Tochter. Sie sagte zu, alles gleich herüberzubringen, so in fünf Minuten.

"Gut, tun Sie das. Fräulein Weizengold hat auch noch was an einem der Rechner zu erledigen", erwiderte Armin Weizengold.

Fünf Minuten reichten der kleinen Prunella, satt genug zu werden um weiterzuschlafen. Albertrude reinigte ihren Oberkörper so gründlich sie konnte und verstaute den Stillumhang in einer winzigen Tasche an ihrem Bein. Nur wer mit magischen Augen mochte sehen, dass da etwas drinsteckte. Doch die einzigen, die außer ihr noch magische Augen hatten arbeiteten in den Lichtwachen an der Ruhr, bei Stuttgart und auf der Insel Rügen. Sie zog den Kaschierungsumhang an, der auch ihre ganze Schwangerschaft verhüllt hatte. Es musste niemand sehen, dass sie mehr Oberweite bekommen hatte.

Im Büro erläuterte Albertrude ihren Kollegen, wo genau eine Maus zubeißen konnte, um einen ganzen Stadtteil vom Stromnetz zu trennen. "Das wäre eindeutig der Tod für die Maus aber die betroffene Umgebung hätte erst mal für eine Stunde keinen Strom mehr", beendete sie ihren Bericht und fragte sich, was Armin Weizengold damit wollte. Wollte der etwa den Strom in der Stadt oder dem ganzen Land abstellen? Keine schlechte Idee, und das mit der knabbernden Maus ließe sich magisch durchaus hinkriegen.

"Ich habe diese Anfrage gestellt, weil wir Hinweise haben, dass entweder Zwerge oder Kobolde versuchen könnten, uns in einen Entmachtungskrieg hineinzuziehen. Ja, und mutwillige Beschädigung von nichtmagischer Energieversorgung könnte ein Weg sein, uns aus anderen Bereichen herauszulocken, wo es dann richtig knallt. Oder auch so rum, dass Zwerge oder Kobolde sich in einer Stadt bekämpfen und deshalb die Beleuchtung außer Kraft setzen, um ihre Nachtsicht optimal auszuspielen. Fräulein Weizengold, was haben Sie herausgefunden?"

"Also wenn ich möglichst viele Zauberer und Hexen an einem Ort zusammenhaben will, um anderswo freie Bahn zu haben würde ich eines oder mehrere Fußballstadien sabotieren und dabei offen zeigen, dass es magische Wesen gibt, die sich unsichtbar machen können oder das Gegenstände durch die Luft schweben wie telekiniert. Ich habe schon eine entsprechende Überwachungsapplikation, also ein Programm mit Unterfunktionen, das die Stromverteiler bei den größeren Stadien, wo vor allem die erste Fußballbundesliga spielt, überwacht. Fallen die aus lohnt sich eine Zwei-Mann-Patrouille. Ist da was, kann nachgefordert werden."

"Hallo, welchen großen Drachen rufen Sie denn da jetzt, Fräulein Weizengold?" fragte Arnulf Krautwein, der wie Bärbel an den Rechnern arbeiten konnte. "Die erste Liga wird meistens im Fernsehen übertragen, zwar auf Bezahlsendern oder in Ausschnitten. Aber wenn da wer über den Rasen hüpft, der klein und fremdartig gekleidet ist wissen das in einer Minute mehrere Millionen Leute."

"Bringen Sie die zwei schlauen Völker nicht auf tolle Ideen!" meinte Armin Weizengold dazu.

"Das mit der Stadionüberwachung haben wir doch schon für die diesjährige Weltmeisterschaft eingeplant", meinte Albertrude. "Insofern wäre es nicht übel, wenn wir das ausprobieren, bevor das noch die ganze Welt mitbekommt, dass es bei uns doch echte Zwerge und Kobolde gibt."

"Ui, jetzt rufen Sie aber wirklich ein ganzes Rudel großer Drachen", wandte der Büroleiter ein. "Wie dem auch sei, erarbeiten Sie bitte erst einzeln und dann in der Gruppe ein Konzept, wie wir bis zum Frühlingsanfang alle neuralgischen Punkte mit unserer bisherigen Personalstärke absichern können. Fräulein Steinbeißer, ich setze auf ihr besonderes Sehvermögen, falls es zu entsprechenden Einsetzn kommt." Albertrude nickte bestätigend.

"Hatte die gute marga doch recht, und die hohen Herren befürchten einen blutigen Krieg zwischen Kobolden und Zwergen", dachte Albertrude, als sie wieder bei ihrer Tochter im Büro war.

Gegen Nachmittag empfing sie eine Gedankenbotschaft Anthelias. oha! Über diese große Entfernung zwischen Boston und Berlin? Doch dann erfuhr sie, dass der bereits bekannte und seitdem überwachte VM-Stützpunkt in Chile in einer Explosion aus blauem Feuer vernichtet wurde. Eine dortige Mitschwester hatte die Unterhaltung der für Sicherheit zuständigen Ministeriumszauberer belauschen können.

"War da nicht eines dieser Karussells von denen?" wollte Albertrude wissen. "Ja, da war eines. Womöglich hat es wem nicht gepasst, dass dort neue Zaubererweltkinder im Akkord gezeugt werden sollten", erwiderte Anthelias Gedankenstimme. Albertrude fragte, wo sie gerade sei. "Ich bin nicht weit von dir weg, in Belgien. Ich habe die Nachricht über eine Melo-Kette erhalten.

"Ich war schon beeindruckt", erwiderte Albertrude auf die gleiche Weise. Dann wurde sie noch gefragt, wie es der kleinen Prunella ginge. Albertrude schickte zurück: "Danke der Nachfrage,ihr geht es ganz gut."

"Dann spiel mal schön weiter Verstecken mit ihr, Schwester Albertrude", sandte Anthelia zurück. Albertrude grinste und mentiloquierte: "Wäre es dir lieber, ich würde sie öffentlich bekanntmachen und dann tausend Fragen beantworten müssen, von denen ich 999 nicht beantworten darf?" Kurzes Schweigen war die Antwort. Dann erwiderte Anthelia: "Natürlich müssen wir das alles nicht haben." "Finde ich auch", bestätigte Albertrude. Damit war die Mentiloquismussitzung vorbei.

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Laurentine trug die Erlebnisse der letzten zwei Stunden wie ein munteres, wärmendes Lagerfeuer in sich. Auch wenn Joe blöd geglotzt hatte, Claudine hatte erst ein wenig traurig und dann sehr entschlossen dreingeschaut, als Laurentine und Catherine die Geschichte mit der "armen, alleinstehenden Hexe mit Baby im Bauch" erzählte. Sie vermieden es jedoch zu erzählen, dass Louiselle Heras Nichte war und natürlich, warum nicht Laurentine umzog.

"Catherine, du kennst die Dame?" hatte Joe gefragt. Catherine hatte das bestätigt. "Und wieso muss die mit dem Kind im Bauch umziehen?" hatte er darauf gefragt. "Weil ihre Wohnung in Avignon zu klein für eine Mutter mit Kind ist und ich ihr angeboten habe, ihr bei der Pflege zu helfen, weil ich auf absehbare Zeit eh keinen Typen heiraten werde", hatte Laurentine geantwortet.

"Wenn Catherine sich für die Frau verbürgt soll das so. Aber dann legt ihr bitte den anderthalbfachen Mietpreis hin und ihr stellt da oben kein Hexenzeugs an oder bringt mir die Kinder durcheinander", sagte er schroff. Mit sowas hatte Laurentine gerechnet. Aber es war geschafft. Sie konnte weiter als biedere Lehrerin in Millemerveilles arbeiten und zu gleich mitbekommen, wie die kleine Lucine geboren wurde und aufwuchs.

Nun saßen die schweigsamen Schwestern zusammen in der Versammlungshalle und erwarteten die Ansprache ihrer ersten Sprecherin, Hera Matine. Diese erwähnte, dass es gelungen sei, die guten Kontakte zu den in den Staaten lebenden Schwestern zu erhalten und dass es auch mit den deutschen Mitschwestern bessere Kontakte gebe. "Wir sind alle zu der Ansicht gekommen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten mit einem neuen Angriff jener dunklen Hexe rechnen müssen, die sich die Rosenkönigin nennt und von drei verschiedenen menschenförmigen Arten abstamme. Daher würde sie, die erste Sprecherin, eine eigene Auswahl an Mitschwestern treffen, die sie, wenn es ihre Berufe oder Freizeitmöglichkeiten zuließen, in die entsprechenden Länder mitnehmen wolle, um die Lage zu erörtern. Hera Matine räumte ein, dass sie ein wenig enttäuscht von der Antwort der spanischen Stuhlmeisterin sei. Sie nannte nicht deren Namen. Denn Schwestern mussten von anderen Schwestern persönlich vorgestellt werden. "Meine Ranggleiche Mitschwester hat auf die Initiative der in einem unterirdischen Höhlenversteck exilierten Mitschwester aus Italien geantwortet, dass sie mithelfen würde, Ladonna zu entmachten, wenn sie sich mal wieder über alle Staatsgrenzen wagte, vorher nicht. Ich muss befürchten, dass unsere spanischen Mitschwestern die Regeln unseres Ordens vernachlässigen. Wenn eine Stuhlmeisterin eine andere um Beistand bittet ist dieser zu gewähren, solang dabei nicht die Geheimnisse der Schwesternschaft und ihrer Mitglieder enthüllt werden. Genau deshalb werde ich in den nächsten Tagen und Wochen einzelne von euch persönlich einladen, mich zu begleiten, um weitere verdiente Mitschwestern weltweit kennenzulernen. Das zu unserer Planung der nächsten Zeit. Kommen wir zu euren Berichten, was ihr aus der nicht all zu familiären Umgebung mitbekommen habt!"

Nun durfte jede einen Kurzbericht erstatten. Laurentine nutzte die Zeit, die die anderen sprachen, um zu sortieren, was jetzt schon für die Schwesternschaft wichtig und weiterzugeben war. Tja, und Als Louiselle sprach dachte Laurentine erst, sie würde es jetzt schon ausplaudern, was ihnen beiden widerfahren war. Aber das tat sie nicht, wohl auch, um die hier versammelten entschlossenen Schwestern nicht auf dumme gedanken zu bringen. Am Ende schwängerten die eher dunklen Zaubern zugenneigten sich gegenseitig. Musste auch nicht sein.

"Ich habe euch auch deshalb zusammen gerufen", sagte Hera, weil die von Vita Magica wieder auf Zuchthexenjagd gehen. Ja, ich weiß, reißerischer Begriff, aber leider leider auf den Punkt. Da ich wie ihr alle wisst eine exzellente Beziehung zu gewissen Thaumaturgen in Millemerveilles habe konnte ich für all die Schwestern, die seit zehn Jahren kein Kind mehr bekommen haben, kleine aber feine Fußkettchen besorgen, die die Eigenschaft haben, gegen jede Form von Portschlüssel abzusichern. Wer das trägt kann nicht mehr portiert werden, bis sie und nur sie es wieder ablegt, die es sich angelegt hat. Ich gehe jetzt mal rum und verteile die Antiportschlüssel."

"Mutter und erste Sprecherin, was bringen die, wenn es stimmt, dass die von Vita Magica fliegende Fangsäcke schicken", wollte Schwester Fantine, eine ziemlich füllige Dame aus der Normandie wissen. "Der Sack, in den noch reinpasst muss erst gewebt werden", spottete eine bohnenstangengleiche Mitschwester, Hugette Vanier, die im Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe arbeitete.

"Sagt die, die bei jeder Tür eine tiefe Verbeugung machen muss und sich den Kopf an jeder Deckenlampe anhaut", knurrte Schwester Fantine.

"Sorores, Pax! Seid bitte friedlich!" rief Hera. Dann gab sie die eigentlich erfragte Antwort: "Der fliegende Sack zerfällt wegen Überlastung um euch herum. Wurde schon getestet."

Laurentine bekam natürlich keinen Antiportschlüssel, weil sie ja längst einen bekommen hatte, und zwar von den Erfindern persönlich.

Ein glöckchen läutete. Hera trat zu ihm hin und legte die Hand darauf. "Audio!" sagte sie. Was sie hören konnte bekam außer ihr niemand mit. Nur ihr Mienenspiel verriet, dass es keine erbaulichen Nachrichten waren. Dann berichtete sie, dass in Chile und in den Alpen unterirdische Verstecke in zerstörerischem Feuer ausgelöscht wurden. Dies sprach eindeutig für eine Fortsetzung des Krieges zwischen Ladonna Montefiori und Vita Magica. Kann sein, dass die beiden Gruppierungen jetzt in einen sehr blutigen Krieg eintreten", sagte Hera und verteilte noch die zwanzig letzten Antiportschlüssel.

Nach diesem Treffen apparierten Laurentine und Louiselle Seit an Seit in das kleine Schlösschen in der Nähe der Rhone. "Und, was hat Joe Brickston gesagt, das noch eine Hexe mit noch einer Hexe im Unterbau bei ihm ins Haus einzieht?" Laurentine berichtete es ihrer Gefährtin. "Gut, dann kriegen wir das bis zum 31. März mit der Familienstandsbehörde hin. Deinen Flohnetzanschluss kannst du so weiternennen wie er eingetragen ist. Ich such mir dann demnächst das Zimmer aus, in dem ich meine Schreibsachen einstellen werde", sagte Luiselle. "Ist nicht schwer, das wo kein Rechner drinsteht und wo kein Bett drinsteht. Das andere große ist das Wohnzimmer", sagte Laurentine schnippisch. Beide lachten und umarmten sich. Bald würden sie zusammenziehen, und Laurentine hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen mehr wegen des auf Abwege geratenen Zaubers.

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24.02.2006

Luftschlangen! Wieso hingen überall auf dem Flur des Ministerbüros bunt leuchtende, freischwebende Luftschlangen herum? Ach ja, Karneval. Er vergaß es immer gerne, dass es auch bei den Mitgliedern der Zaubererwelt üblich war, mehrere Tage im Jahr ausgelassen zu feiern. Aber das Ministerium war doch bisher immer karnevalsfreie Zone gewesen. Vor allem wo sie hier in Berlin waren und nicht im Rheinland oder bei den Alemannen in Süddeutschland.

"Verzeihung, aber wer bitte kam auf die verwegene Idee, diesen Flur mit Karnevalsdekoration zu versehen?!" rief der Minister über den Flur. Sämtliche Türen gingen auf. In dem Moment verschwanden die Luftschlangen, als wären sie nie dagewesen. "Guten Morgen Herr Minister", grüßte eine Hexe aus dem Büro für magische Unfallumkehr. "Guten Morgen Frau Kesselschmidt und die anderen Damen und Herren. Eben hingen hier noch freischwebende Luftschlangen. Wer war das?" wollte der Minister wissen. Alle grinsten. "Willi Birkenklotz war das, hat alle Stockwerke so dekoriert."

"Hausordnungsartikel fünfzehn: Nur in Büros dürfen für die Zeit ausdrücklich im Tagesverzeichnis des Jahres ausgewiesener Feiertage diesen gemäße Schmuckelemente angebracht werden, sofern der Feiertag oder die Feiertage nur noch eine Woche entfernt oder gerade angebrochen sind."

"Jetzt sind die Luftschlangen doch weg", meinte Heiner Tannenzweig aus dem Büro zum vernunftgemäßen Gebrauch der Magie.

"Ja, weil ich wohl den Flur betreten und die Dinger gesehen habe", grummelte Güldenberg. Dann sagte er: "Gut, Sieund ich haben genug zu tun. Weiterhin frohes Schaffen, die Damen und Herren." Die anderen erwiderten diesen Gruß und zogen sich in ihre Büros zurück.

Güldenbergs Sekretärin grüßte ihren Vorgesetzten freundlich. Als er ihr sagte, was er draußen gesehen hatte grinste sie. "Wer Umgang mit Kobolden pflegt neigt gern zu Schabernack."

"Ich werde ihm durch seinen Vorgesetzten eine mündliche Rüge erteilen lassen", grummelte der Minister. "Ja, und bevor Sie es fragen, mir ist im Moment nicht nach Spaß an der Freud' und Rumtata. Dafür passiert gerade zu viel in unserem Land. Ich gehe jetzt in mein Amtszimmer."

"Es kam ein Brief von Zaubereiminister Urs Rheinquell aus der Schweiz. Er wurde gemäß Ihrer Dienstanordnungen auf gefährliche Zauber oder Inhaltsstoffe geprüft. Kein Befund", meldete seine Vorzimmerdame. Güldenberg brummselte, was Rheinquell jetzt von ihm wollen könne.

Als Güldenberg den Brief aus Bern las verzog er das Gesicht und schüttelte immer wieder den Kopf. Sein Kollege schrieb:

Sehr geehrter Herr Kollege Güldenberg,

ich bin höchst besorgt und ebenso ungehalten über einen Vorfall, der sich am 23. Februar zutrug und den ich offenbar nicht mit alleiniger Unterstützung meines Mitarbeiterstabes bewältigen kann.

In der Nacht zum 23. Februar wurde die Ordnungstruppe gegen magische Übergriffe und Miessetaten Basel wegen einer scheinbar aus dem Nichts entbrannten Wirtshausrauferei in das bei Schweizern und Deutschen beliebte Schankhaus "zum beschwingten Berggeist" gerufen, weil die Auseinandersetzung dermaßen eskalierte, dass sich die Inhaber des erwähnten Schankhauses nicht im Stande sahen, die Auseinandersetzung zu bewältigen. Gäste wurden durch Körperschadenszauber verletzt, Möbel zerstört und vorgehaltene Speisen und Getränke ungenießbar. Die OgmÜM musste fünfzig Aufsässige handlungsunfähig machen und in vorübergehenden Gewahrsam nehmen, darunter zwanzig Bürger Ihres Landes. Die Befragung nach einer vorsorglichen Ausnüchterung erbrachte besorgniserregende Erkenntnisse. Den Aussagen der Aretierten nach hatte jeder von denen scheinbar aus dem Nichts heraus eine unbändige Wut auf einen der anderen Gäste. Wegen der für unser Land üblichen präzisen Uhrzeitangaben sowohl der Wirtsleute als auch des am Einsatz beteiligten Truppenführers, Herrn Beat Waldbärli, muss sich dieser massenhafte Wutausbruch wie eine Welle durch die Reihen der Gäste fortgepflanzt haben. Damit steht fest, dass es eine von außen mutwillig ausgelöste Störung der öffentlichen Ordnung in Tateinheit mit Körperverletzung und Beschädigung von Mobiliar und Lebensmitteln gewesen sein muss.

Da sich ja ergeben hat, dass die Ursache der Auseinandersetzung nicht von den daran unmittelbar beteiligten ausging wies ich die zuständigen Abteilungen an, die aretierten Deutschen gegen eine Strafzahlung von je 100 Galleonen wieder freizulassen. Die Aretierten verweigern jedoch die Zahlung, da sie sich schuldlos fühlen und jetzt ihrerseits uns beschuldigen, sie in diese aggressive Stimmung versetzt zu haben, um von ihnen hohe Goldsummen zu erzwingen. Ich fürchte deshalb, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommen wird.

Eigentlich wäre das eine Angelegenheit zwischen unser beider Abteilungen für internationale magische Zusammenarbeit. Doch ich wende mich direkt an Sie, Herr Kollege Güldenberg, weil mir zu Ohren kam, dass es ähnliche Unruhen auch schon bei Ihnen in Deutschland gab und ich nun befürchten muss, dass wer immer dahintersteckt jetzt Ihre Bürger gegen unsere aufhetzen will, um auch in unserem friedlichen Land ein unhinnehmbares Durcheinander anzurichten. Daher bitte ich Sie um Rückmeldung, ob ein Treffen auf höhchster Ebene einen Ausweg aus dieser misslichen Lage weisen kann oder wir uns wie die Geißen bei Gewitter nur noch zusammendrängen können und hoffen, dass es irgendwann aufhört zu stürmen, zu blitzen und zu donnern.

Ich ffreue mich auf Ihre baldige Antwort.

Hochachtungsvoll

Eidgenössischer Minister für magische Angelegenheiten Urs Rheinquell

"Da will jemand unsere Länder gegeneinander ausspielen. Dann noch das Säbelrasseln zwischen Zwergen und Kobolden", dachte der Minister. Er dachte sofort an Ladonna Montefiori, die wohl wieder zeigen wollte, was sie alles anrichten konnte. Dann bat er die für diese Angelegenheit zuständigen Abteilungsleiter zu sich.

"Jemand will uns als Zaubereiministerien, nicht nur unseres, als unfähig darstellen und zeigen, dass er oder sie jederzeit einen offenen Aufruhr herbeiführen kann. Wenn dabei ausländische Bürger zu unfreiwilligen Tatbeteiligten werden sollten wir das auf allerhöchster Ebene klären", sagte Adebar Nordweg, der Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit. Andronicus Wetterspitz hielt dagegen, dass genau so ein Treffen beabsichtigt sein könnte, um mehrere Zaubereiminister an einem Ort zu versammeln. Mehr musste er dazu nicht sagen.

"Ja, aber wir können unsere Mitbürger auch nicht so in der Luft hängen lassen. Wenn sie wirklich schuldlos zum Aufruhr getrieben wurden muss das geklärt werden. Geben die Vereinbarungen mit der Schweiz genug her, um das ohne ein Treffen zwischen meinem Kollegen Rheinquell und mir zu bereinigen?" fragte der Minister. Nordweg wiegte mehrere Sekunden den Kopf, als müsse er eine mehrere Pfund schwere Eisenkugel darin zurechtrücken. Dann sagte er: ""Bei klaren Schuldnachweisen gibt es die Möglichkeit, die Täter gegen Zahlung einer der Tat angemessenen Strafgebühr an das Herkunftsland auszuliefern, wo ihm dann der Prozess gemacht werden soll. Verweigert das Herkunftsland die Strafzahlung verbleibt der Tatverdächtige oder Täter oder die Täterin im Gewahrsam des Landes, in dem die Tat oder Taten verübt wurden. Nur bei Mord, Totschlag, nach Landesgesetzen zu ahndenden Nichteinhaltung der Duellregeln - was auch ein Duellierverbot bedeuten kann -, schwerer Körperverletzung und Gebrauch der unverzeihlichen Flüche muss jeder Tatverdächtige im Land der Tat vor gericht gestellt werden. Doch wenn ich Sie richtig verstanden habe könnte die eigentliche Tat von jemandem anderen verübt worden sein."

"angriffe auf natürliche Personen und deren Eigentum durch von außen auferlegte Wut oder Hassgefühle wird bei uns meistens als "Zum Tatzeitpunkt schuldunfähig" geurteilt", sagte Andronicus Wetterspitz.

"Ja, aber die Frage bleibt, ob es richtig und geboten ist, ein Treffen auf Ministerebene zu vereinbaren", erinnerte Güldenberg seine Leute an den Grund für die Besprechung. "Wenn Sie es hinbekommen, dass so ein Treffen auf höchster Geheimhaltungsstufe abläuft und sichergestellt ist, dass außer denen, die sie daran teilnehmen lassen möchten keiner erfährt, wann und wo das Treffen stattfindet neige ich dazu, dem zuzustimmen, allein schon um sicherzustellen, was mit ergriffenen Tätern oder Täterinnen zu geschehen hat, ob die für jeden Schaden zur Verantwortung gezogen werden oder nur wegen der magischen Anstiftung belangt werden", sagte Wetterspitz.

"Ich schlage vor, dass wir auch die Kollegen aus Österreich mit einbeziehen, weil es ja doch für deutschsprachige Zaubererweltbürger einfach ist, zwischen den Ländern zu wechseln. Öhm, und wir müssen was für dieZeitungen herausgeben, damit die Angehörigen der Aretierten nicht auf die große Pauke hauen", sagte Nordweg.

"Stimmt, die könnten behaupten, das Schweizer Ministerium wollte ausländische Besucher schröpfen", warf Wetterspitz ein.

Güldenbergs Sekretärin rief über den Schallverpflanzungszauber durch, dass noch ein Brief aus dem Ausland eingetroffen sei. Er stammte von Leopold Rosshufler.

Der Österreichische Zaubereiminister fragte ein wenig ungehaltener als sein Kollege Rheinquell an, wie es sein könne, dass vier Besucher des Stephansdoms in Wien offen mit Magie herumfuhrwerkten und dabei sehr wertvollen Kirchenschmuck fast unrettbar beschädigt hätten, aber dann jede Schuld von sich wiesen. Außerdem sei er sehr verärgert, weil sein Handelsbeauftragter sich beschwert habe, dass zwischen Österreich und Deutschland offenbar keine Goldanweisungen mehr ausgetauscht werden könnten. Er wolle daher mit einer kleinen Delegation nach Dreiland kommen, um das mit Güldenberg zu klären.

"Noch ein Deutscher. Ja, so eine hmarmorne Marienstatue ist schon sehr wertvoll", meinte Wetterspitz. Nordweg wandte ein, dass jemand es so hinstellen wolle, dass deutsche Aggressoren die Nachbarländer unsicher machen wollten, so wie es die mexikanischen Werwölfe in den Staaten getan hätten, bis sie dort die höchst umstrittene Werwolfmassenabtötung eingesetzt hatten.

"Keine Goldanweisungen mehr. Öhm, Frau Heißendraht, schicken Sie mir bitte Herrn Birkenklotz und Herrn Heller in die Besprechung!" rief der Minister.

Wenige Minuten später wussten auch der Koboldverbindungsleiter, dem der Minister gleich wegen der Luftschlangen einen Tadel erteilte, sowie Giesbert Heller, was zwischen Österreich und Deutschland gerade los war. "Jahaha, habe schon vier Beschwerden wegen überhöhter Goldzahlungen nach eingereichten Goldanweisungen erhalten. Herr Birkenklotz und ich sind schon dabei, herauszukriegen, was da klemmt, beziehungsweise, wieso jemand für einen Sack getrockneter Kräuter fünfzigtausend Galleonen zahlen sollte", sagte Heller.

"Huch, wir können doch keine Hyperinflation haben wie die MohnMas vor dreiundachtzig Jahren", staunte Nordweg. Die Geschichte der Magielosen Welt war seine beliebte Freizeitbeschäftigung. Heller stritt das auch energisch ab. "Irgendwo zwischen Bank A und Bank B klemmt was, aber nicht nur zwischen Österreich und Deutschland."

"Das sind die Zwerge", stieß Wetterspitz aus. "Die wollten uns doch beweisen, wie unverlässlich die Kobolde sind. Wenn da einer von denen ohne Rückfragge ein ganzes Verlies leerräumt, nur weil wer für eine Fuhre Pergamentrollen eine Million Galleonen zahlen soll fällt das auf die Kobolde zurück."

"Das auch noch. Jetzt muss ich diesen Wichtelkönig doch mal fragen, ob er sich mit wem zusammengetan hat, um uns zu destabilisieren", sagte der Minister. Jetzt kamen noch der Abteilungsleiter für die Verwaltung von magischen Wesen, der Behördenleiter für Zauberwesen und Zwergenverbindungsbeauftragter Erlenhain dazu. Jetzt war das kleine Besprechungszimmer voll, und Güldenbergs Vorzimmerdame Gitte Heißendraht stellte eine Rauminhalts- und Gleichwarmbezauberte Kaffeekanne auf den Tisch, damit alle zumindest keine trockenen Kehlen hatten.

"Sie wollen König Malin persönlich vorladen? Haben wir schon versucht", sagte der Leiter für magische Wesen. Erlenhain nickte und fügte hinzu: "Ja, und er hat abgesagt. Er meint, er wolle sich bei der bestehenden Lage nicht aus der sicheren Umgebung seiner Stadt hinauswagen, wo Koboldattentäter deren Geheimbundes der zehntausend Augen und Ohren schon darauf lauerten, ihn zu töten. Der Herr fürchtet die Geister, die er selbst gerufen hat."

"Klar, wenn seine eigenen Handlanger irgendwas drehen, dass die Goldanweisungen entweder gar nicht oder verfälscht ankommen", knurrte Heller.

"Dann lassen wir den Vorführen", sagte Wetterspitz. "Er hat sich gemäß Wohnrechtsübereinkunft von 1723 an die Anweisungen und Gesetze des zuständigen Zaubererats zu halten", sagte Wetterspitz.

"Davon rate ich dringend ab. Wenn wir ein wie gut auch immer ausgerüstetes Greifkommando in die Zwergenstadt unter dem Schwarzwald schicken wird Malin das als Waffenhilfe für die Kobolde und als direkten Kriegsakt gegen sein Volk auslegen. Abgesehen davon, dass er dann alle seine bewaffneten Leute gegen das Kommando schickt und Zwerge nur mit Schrilltonzaubern, Lichtblitzen oder den Unverzeihlichen zu beändigen sind, weil sie gegen die meisten anderen Zauberflüche eine natürliche Immunität haben", sagte Erlenhain. "Wieviele Leute möchten Sie schicken, um Malin aus einer Mauer aus mehreren Tausend Kriegern herauszuholen?"

"Heißt das, wir können den nicht mal vorführenlassen?" fragte Wetterspitz. Erlenhain seufzte: "Im Moment heißt es das. Die einzigen, die sich mit den Zwergen anlegen könnten sind die Kobolde, und dann hätten wir genau den Fall, den wir um jeden Preis vermeiden wollen. Den Casus Belli."

"Ja, und zur Krönung der Sache könnte sich dann auch noch herausstellen, dass die Zwerge mit den vermurksten Goldanweisungen nichts zu tun haben. Ich frage mich sowieso wie das gehen soll, wo die nur von Koboldkurieren in die angegebene Zielbank befördert werden", wunderte sich Nordweg.

"Tja, das könnten uns nur die Kobolde verraten, und ich brauche dafür keine Kristallkugel um zu prophezeien, dass die uns das ganz bestimmt nicht verraten", sagte Birkenklotz. Heller nickte ihm zu. Alles was Gringotts betraf, vor allem die Geschäftsumsätze und die Sicherheit, waren oberste Geheimnisse der Kobolde. Wer da die Nase reinzustecken versuchte konnte froh sein, wenn nur die Nase abgeschnitten wurde und nicht der ganze Kopf. Außerdem mussten sie das Abkommen mit den Kobolden unbedingt schützen. Die könnten nämlich dann finden, dass Güldenberg sich auf Malins Erpressung eingelassen habe und die Kobolde aus dem Land jagen wollte.

"Dann wundert es mich, dass die noch nicht bei mir oder dem Kollegen Heller angeklopft haben, um uns das vorzuwerfen", sagte Birkenklotz.

"Ganz einfach, Herr Kollege, Sie wollen den Drachen erst kitzeln, wenn er Feuer speit", sagte Wetterspitz grinsend, dem Koboldfachzauberer mal was beizubringen. Der nickte jedoch ruhig und sagte: "Richtig, sie wollen klare Beweise haben, dass wir und / oder die Zwerge ihr Zahlungsanweisungssystem durcheinanderbringen. Ja, und dann wird die Gringottsschutztruppe zusammen mit dem Bund der zehntausend Augen und Ohren dem- oder denjenigen einen Besuch abstatten, ohne vorher "Betrug" zu rufen.

"Wenn es die Zwerge sind wissen diewohl, wie sie das drehen können. Ja, und die wollen dann wirklich Krieg mit den Kobolden, auf unserem Boden", knurrte Güldenberg.

"Nicht nur auf unserem Boden. Ihren Kollegen Rosshufler wird das auch nicht erheitern, fürchte ich", sagte Nordweg. Er bat darum, eine entsprechende Vorwarnung zu seinem Wiener Kollegen zu schicken.

"Erlaubnis erteilt und auch eine Vorwarnung in die Schweiz", sagte der Minister. Dann bedankte er sich bei Hellerund Birkenklotz für die wichtigen Einwände und schickte die Mitarbeiter aus dem Bereich magische Geschöpfe an ihre Arbeitsstätten zurück. Dann sagte er den Verbliebenen: "Wie es aussieht komme ich um ein Treffen mit Rheinquell und Rosshufler nicht herum. Ich schicke die entsprechenden Briefe raus. Danke meine Herren, Sie hören dann von mir, wen von Ihnen ich wann bei einem solchen Treffen dabeihaben will. Bis dahin hoffen wir mal, dass wir das von wem auch immer beabsichtigte Chaos noch verhindern können."

Güldenbergs ranghohe Mitarbeiter verließen das Besprechungszimmer.

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"Horlnuck!" Fluchte Murmuck, der Leiter von Gringotts Frankfurt, der Zweigstelle, die auch für ausländische Zweigstellen die Goldanweisungen verwaltete. Er befahl den Abteilungsleiter für bargoldlose Zahlungen und Handelsleistungen zu sich. "Was genau ist da los?" fragte er. "Wien hat geläutet, dass sie keine Anweisungen mehr zu uns durchbringenund offenbar von uns überhöhte Anweisungen erhalten haben."

"Irgendwer muss unsere Reisewege belagernund es irgendwie anstellen, die durch die Erde reisenden Kuriere abzufangen. Zumindest haben wir drei Kuriere in Heilgewahrsam schicken müssen, die sich nicht erinnern können, was zwischen einer Zweigstelle und einer anderen geschah", sagte der Abteilungsleiter.

"Gut, Reisewege ändern. Bei höheren eingehenden Abbuchungsanweisungen für dem Handel zu hoch erscheinender Goldbeträge wird nachgeläutet, was ist. Ich fürchte, wir müssen einen kurierlosen Weg finden", erwiderte Murrmuck.

"Öhm, das wird schon seit dreihundert Jahren versucht. Aber die Nachrichtenglocken drohten zu überlasten, wenn andauernd Zahlungsanweisungen durchgegeben wurden", sagte der Abteilungsleiter für Goldanweisungen und Handelstransaktionen.

Leitwächter Brummback trat in das Arbeitszimmer des Zweigstellenleiters. "Guten Tag, die Herren. Wir haben es natürlich mitbekommen, was gerade in Gringotts vorfällt und werden den Missstand beheben."

"Die Zauberer oder die Zwerge?" fragte der Zweigstellenleiter. "Natürlich Malins Räuberbande, die sich als hilfreiche Hände bezeichnen", sagte Brummback. "Meine Leute sind an der Sache dran. Womöglich haben wir die Störung sehr bald abgestellt."

"Wie machen die Zwerge das. Die können nicht unter der Erde reisen", sagte der Abteilungsleiter für Goldanweisungen. "Nicht wie wir. Die brauchen da Maschinen für, diese lahmen Schnecken. Die denken, wir wüssten nicht, dass die sowas haben. Aber zu viele Erdmagievortriebswirbelspiralen in den letzten zwanzig Jahren haben uns doch drauf gebracht, dass die was erfunden haben, um sich wie wir zu bewegen, womöglich noch mit zehnmal so viel Zuladung wie ein Kurier. Mehr müssen Sie nicht wissen, wenn Sie heute Nacht noch gut schlafen wollen", erwiderte Brummback.

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Andur Schattenhut grinste, als er erfuhr, dass die kleine Tiefenbootflotte die Kuriere einholen und abgreifen konnte. Mit den von den Zauberschmieden seiner Kundschaftergilde erfundenen Ausbläuhämmern konnten auch die Koboldkuriere die Erinnerungen an die letzten zwanzig Minuten verlieren. Er musste zwar davon ausgehen, dass auch sein Gegenspieler Brummback wusste, dass die Zwerge Tiefenfahrzeuge hatten, musste aber wohl erst mal alle Reisewege überprüfen. Da sie nicht den Fehler machten, um die Zweigstellen von Gringotts herumzuschleichen und zu warten, sondern weit genug davon entfernt die Kuriere zu orten, mit Schmiedeeisennetzen unter der Erde abzufangen und auszuforschen und die Zahlungsanweisungen zu verfälschen oder verschwinden zu lassen würde Gringotts bald ein unaufhaltsames Debakel erleben.

"Boot Flitzewurm an Hauptstelle Goldwüste, haben zwei Kuriere zugleich mit Tiefenauge erspäht und nehmen Verfolgung auf. Sollen wir beide behandeln?" hörte Schattenhut über die auf Luftmagie basierende Mithörschale auf seinem Tisch einen Anruf. "Flitzewurm, Die reisen nie zu zweit, weil die sich so sicher fühlen. Könnte ein Kommando der Gegner sein. Verfolgung abbrechen und neu suchen!"

"Flitzewurm hat verstanden", kam die Antwort. "Neh, Brummkreisel, so nicht", dachte Schattenhut.

"Hier Verfolgungsboot Schneckenschreck an Hauptstelle Goldwüste, haben einzelnen Tiefenläufer mit Gepäck gesichtet. Kommt nach Sichtung aus Österreich."

"Abfangen und behandeln!" befahl Schattenhut. Er war sehr zufrieden. Die neuen Tiefenboote der Fili-Klasse konnten ein Zehntel mehr so schnell reisen als die Erdbebenwellengeschwinddigkeit. Die Kobolde konnten gerade mal mit dieser Geschwindigkeit verreisen.

"Haben Kurier mit Wurfnetz gesichert und eingeholt", meldete der Bootsführer des Schneckenschrecks. "Horlnuck!" rief wohl einer. "Oh, der trägt grünsteinfarbene Kleidung."

"Soll wohl Tarnung sein, weil die Kuriere keine Unterhändler sind. Behandeln", sagte Schattenhut. "Befehl Goldwüste."

Schattenhut wusste zwar auf welchem haardünnen Seil über tausend Längen tiefem Abgrund er gerade balancierte. Wenn es wirklich ein Unterhändler war ... Aber der kam aus Österreich. Wollte der etwa ... Die Schale quäkte laut. Eine blecherne Männerstimme sagte: "Meldung Ausfall Mitsprechweg Schneckenschreck nach Schadensruf. Totalverlust!"

"Waas!" schrie Andur Schattenhut. Dann war ihm klar, was passiert war. Der Kobold war weder Kurier noch Unterhändler, sondern eine lebende Vernichtungsladung. Die Glibberaugen spielten mal wieder das Spiel "Fang mich und ich mach Peng!" Das hatten die damals bei den Risenkriegen gemacht. Wenn einer gefangenn wurde löste er eine in seinem Körper steckende Magie aus, die ihn in einen je nach Eigenmasse großen Feuerball verwandelte. "Goldwüste an alle Verfolgungsboote! Obacht vor mit Sprengfeuer gespickten falschen Kurieren!" Rief Schattenhut. Da quäkte es noch einmal. Das Verfolgungsboot Tunnelblitz war auch vernichtet. Die hatten fünf Minuten zuvor einen Gringottskurier aus Frankfurt erwischt, und jetzt hatte der sie erwischt. Also konnten auch diese wandelnden Sprengladungen als Kuriere auftreten, bis sie von sich aus die Ladung in sich auslösten. "Fress dich der ewig hungrige im feurigen Schoß der Mutter, Brummback!" fluchte Schattenhut. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Gegenspieler so schnell eine Antwort fand. Zwei Boote hatte die angeblich narrensichere Unternehmung Goldwüste gekostet. Wenn er jetzt weitermachte würden es am Ende mehr. Er hatte nur fünfzig. Fielen die alle aus konnten die Kobolde womöglich unangefochten unter die Stadt und da irgendwas anstellen, um die vergrabenen Schmiedeeisenträger zu durchbrechen. Wenn er das seinem König meldete konnte ihn das den Kopf, vielleicht sogar den Bart und die Männlichkeit kosten. So befahl er, die Kuriere bis kurz vor die Zweigstellen zu verfolgen und erst dann zuzuschlagen.

Diese Entscheidung kostete seine Einsatzflotte noch drei Boote, bis er die Unternehmung abbrechen ließ und die restlichen 45 Boote zurückrief. Diese Runde ging doch an Brummback, dachte Schattenhut verdrossen. Wie sollte er das dem König sagen? Besser er sagte ihm nur, dass die Kobolde nach dreißig geglückten Kurierergreifungen ihre Goldanweisungen auf anderem Wege überbrachten, womöglich mit den legendären Erdquerungstoren, von denen das Urvolk seinen Nachkommen hinterlassen hatte. Doch bis heute war es nicht gelungen, diese Erdquerungstore nachzubauen. Versuche hatten immer mit magenverstimmenden Ergebnissen geendet. Dann fiel ihm was ein, was er dem König sagen konnte.

"Mein König, die Unternehmung Goldwüste gelingt zwar, ist aber wegen dreifachsendungen der Kuriere nicht so durchschlagend wie erhofft. Erbitte Tiefenkreuzer der Modsognir-Klasse zur Absperrung aller Gringottszweigstellen mit schmiedeeisernen Hindernissen

"Soso, die schicken je drei Kuriere für einen Auftrag. Haben die aber viele Leute", knurrte König Malin. "Erlaubnis für Tiefenkreuzer verweigert, weil die für unsere eigene Verteidigung und einen möglichen Erstschlag gegen Gringotts selbst gebraucht werden."

"Soll ich die Unternehmung dann abbrechen!" fragte Schattenhut. "ja, das bringt wohl nichts", grummelte der König über die winzige Schallverpflanzungsschale. Befiehl die Boote zurück und beginne mit der Unternehmung Tiefensonne! Wieviele Boote brauchst du dafür?"

"Für Tiefensonne brauche ich für jede Zweigstelle fünf Boote."

"Kannst du alle Zweigstellen gleichzeitig angehen?" fragte der König. "Nicht mit allen verfügbaren Booten", sagte Schattenhut ohne Gefühlsregung. "Gut, dann nur Frankfurt, Wien, Zürich, Genf und Innsbruck", befahl der König. Schattenhut atmete so leise er konnte auf. Das ging mit den verfügbaren Booten. So befahl er alle Tiefenboote zurück, um sie für Unternehmen Tiefensonne auszustatten. Sollte Brummback sich doch den größten Schädel aller Zeiten ansaufen vor Siegesfreude. Die nächste Runde würde klar an die Schwarzalben gehen.

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"Und, weitere Unregelmäßigkeiten, Herr Murrmuck?" fragte Leitwächter Brummback den Zweigstellenleiter in Frankfurt. Dieser verneinte es. "Ich habe Ihnen ja gesagt, unser Bund stellt das schnell und zuverlässig ab."

"Öhm, wenn das die Zwerge waren, müssen wir jetzt mit Krieg rechnen?" fragte Murrmuck, der Krieg überhaupt nicht gebrauchen konnte.

"Die haben mit dieser Unverschämtheit angefangen und eins auf die Nase gekriegt. Die sollen sich ja nicht beschweren, sonst wird's noch blutiger", erwiderte Brummback kampfeslustig. Ihn ärgerte es, dass er noch keinen Weg kante, eines dieser Tiefenreisefahrzeuge der Zwerge zu erbeuten, um es zu untersuchen. Denn er musste neidvoll anerkennen, dass die Zwerge damit wesentlich größere Mengen Last oder mehrere Artgenossen auf einmal befördern konnten. Dagegen mochten die erdreisefähigen Kobolde wie Kinder auf einem Dreirad sein, das mit einem sechsspännigen Fuhrwerk um die Wette fuhr. Überhaupt mussten die die übererdbebenschnelle Erdfahrt beherrschen, was ihn, der für sein Volk jede Neuerung erkunden und falls möglich übernehmen wollte, sehr interessant war. Auch musste er davon ausgehen, dass die Zwerge noch nicht den letzten Stein verschossen hatten. Wenn die solche Frechheiten wagten und das mit einer über allen schwebenden Granitlawine eines Krieges, dann hatten die noch mehr geplant. Er musste weiter wachsam sein. Andererseits freute ihn das. Denn er wurde gebraucht und konnte für sich und den Bund am Ende mehr Freiheiten und Zuwendungen herausschlagen.

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25.02.2006

Die außerordentliche Sitzung des hohen Rates des Lebens fand in der norwegischen Niederlassung am frühen Morgen des 25. Februars 2006 statt. Es galt, der toten in einem Gespräch über sie zu gedenken und dann das weitere Vorgehen zu beraten. Da die Verstorbenen noch nicht beerdigt waren durften sie noch nicht durch drei neue Räte ersetzt werden. So galt die ganz seltene Lage, dass 33 Ratsmitglieder statt 36 beschließen mussten, wie es weiterging.

Alle Ratsmitglieder trugen Umhänge in der Trauerfarbe ihres Kulturkreises. So hoben sich die drei Zauberer aus Indien und der nach Mater Vicesima Secundas mehr oder weniger freiwilligen Ausscheidens nachgewählte Japaner Taro Yamahoshi in ihren blütenweißen Roben von den in Nachtschwarz gewandeten Hexen und Zauberern hervor.

Um der Toten zu gedenken standen drei unbesetzte Stühle am runden Tisch mit schwarzem Trauerflor und vor ihnen auf dem Tisch lagen drei dunkelblaue Zaubererhüte mit schwarzer Schleife.

Seit Mater Vicesima Secunda durch die magische Rückkopplung beim Anschlag auf Lionel Buggles die freiwillige Wiederverjüngung gewählt hatte war Pater Decimus Sixtus der Ratssprecher, weil hier galt, wer die meisten eigenen Kinder in die Welt gesetzt hatte, ob gezeugt oder geboren. So eröffnete er die Sitzung mit einer Danksagung an alle und an das Glück, dass sie noch lebten. Dann bat er um eine Schweigeminute für die Verstorbenen. Unvermittelt dunkelten sich die auf dem Tisch stehenden Kerzen auf ein blutrotes Glimmen ab. Die um den Tisch sitzenden sahen nun aus wie dunkelrote oder blutrote Schatten. Stille füllte den Besprechungsraum. Alle blieben in genau der Haltung sitzen, die sie vor der Bitte um Stille eingenommen hatten. Jede und jeder zählte für sich imKopf die sechzig Sekunden herunter. Dann sagte Pater Decimus Sixtus: "Silencium exit!" Damit war die Schweigepause beendet.

Nun wurden vom kinderreichsten Ratsmitglied moderiert Erinnerungen an die Verstorbenen ausgetauscht. Jede und jeder hatte in den letzten zwanzig Jahren mit ihnen zu tun gehabt. Niemand hier hatte sich vorgestellt, dass eine einzige dunkle Hexe so gefährlich für die Gemeinschaft werden konnte. Mater Duodecima Borealis hielt dem nach Worterteilung entgegen, dass schon die Spinnenhexen der Gemeinschaft sehr zugesetzt hatten und es von Mater Vicesima Secunda nicht besonders klug gewesen sei, den jungen Gerard Dumas mit intaktem Gedächtnis in die Außenwelt zurückzuschicken, selbst wenn er ein zweites Leben unter anderem Namen führen musste. So sei es ja auch für Eileithyia Greensporn möglich geworden, ihren Urenkel aus der Karussellniederlassung herauszuholen. Dem wiederum widersprach der Kanadier Pater Nonus Canadensis, der für seinen verstorbenen Landsmann bei Buggles Tod nachgewählt worden war. "Sie hätte ihn mit diesem Zauber wohl von überall holen können. Wir wissen bis heute nicht, wie sie das gemacht hat."

Dann wurde noch gefragt was es mit der goldenen Riesenfrau auf sich hatte, die Silvester Partridge befreit hatte. Einer stellte fest, dass er gegen den zeitweiligen Ausschluss von Perdix Diggle gestimmt habe, weil der ihnen allen sicher verraten konnte, was es mit dieser womöglich künstlichen Halbriesin auf sich hatte. Doch die 30 noch lebenden, die damals für Perdys zeitweiligem Ausschluss aus den Ratssitzungen gestimmt hatten, darunter Pater Decimus Sixtus, bekräftigten, dass dieser Schritt nötig gewesen sei, um die Ratsgesetze zu wahren. Jeder hier konnte die Enttäuschung hören, dass er, der langjährige Mitstreiter von Mater Vicesima Secunda und Perdix Diggle nicht die Pläne für den Erinnerungsumformer erhalten hatte. Weil eine einmal ordentlich durchgeführte Abstimmung nicht vor einem Monat Bedenkzeit wiederholt und dabei verlängert oder widerrufen werden konnte mussten die, die Perdys Expertise gerne weiterhin gehört hätten eben schriftlich mit ihm verkehren. Viele dachten aber auch, dass Lucille trotz ihrer Verjüngung weiterhin Einfluss auf "den Jungen" und damit den Rat ausüben würde. Ja, es gab einige, die enttäuscht waren, dass die alte Großmeisterin vieler heller und dunkler Zauber sich für einen verspielten Knaben entschieden hatte, nur weil der ihr vier Kinder in den Bauch gelegt hatte.

Pater Decimus Sixtus holte die Diskussion auf das ursprüngliche Thema, das Gespräch über die drei Verstorbenen, zurück. Als keiner mehr was beisteuern konnte oder wollte rief er den zweiten Tagesordnungspunkt auf, das weitere Vorgehen bei der Auswahl und Verpflichtung der Nachwuchsverweigerer. Es ging dabei auch um eine neue Niederlassung in Südamerika, wo ein Karussell stehen sollte. Da Argentinien, Peru, Chile und Brasilien ja jetzt zu den "befreundeten Ländern" gehörten wollten sie die neue Niederlassung irgendwo im Hochland von Peru oder unter den argentinischen Pampas anlegen. Einige schlugen auch eine neue Niederlassung im Amazonas-Urwald vor. Doch dagegen sprach, dass der gewaltige Strom, der diesem tropischen Regenwald Leben gab, immer wieder mehr wasser führte und unberechenbar war. Zudem kam noch die Gefahr durch die dortigen Insekten und Spinnentiere. Nein, in einem Dschungel wollten sie lieber keine neue Niederlassung errichten. Am Ende standen vier mögliche Standorte zur Auswahl, über die nun abgestimmt wurde. Den Zuschlag bekam wieder Chile, wobei sie natürlich nicht an derselben Stelle bauen würden, sondern 300 Kilometer weiter südsüdöstlich. Sie wollten damit das Vertrauen in das nun zum Freund gewordene Zaubereiministerium Chiles ausdrücken und zugleich ihren Trotz bekunden, sich von Ladonna nicht aus einem einmal besetzten Land verjagen zu lassen. Darauf meinte Mater Duodecima Borealis: "In Italien ist ihr das trefflich gelungen, muss ich sagen." Wie zu erwarten fand das niemand hier lustig.

Sie sprachen dann noch darüber, wie sie weitere Nachwuchsverweigerer auswählen konnten, jetzt, wo sie ja wussten, wie sie Ladonnas schlafenden Feuerfluch unterdrücken, ja unschädlich austreiben konnten. Sie selbst hatten sich ja vor der Sitzung noch mit dem Sonnensegen belegt und kein blaues Licht aus sich herausdringen gesehen.

"Leute, das können wir erst machen, wenn wieder Karussells da sind, oder wollt ihr unsere Gebärwilligen Mitstreiterinnen und Zeugungswilligen Mitstreiter per Los einem einzigen zuteilen", fragte eine der jüngeren Ratshexen, die gerade so die acht vorzuweisenden Kinder geboren hatte. Pater Decimus Sixtus ergriff wieder das Wort und sagte: "Werte Ratsschwestern und -brüder, das ging auch früher schon. Ja, da wurde gelost, ein Zauberer mit zehn Hexen und eine Hexe, die von einem Zauberer beschlafen werden sollte. Außerdem könnenund werden wir die Mora-Vingate-Partys wieder anlaufen lassen. Wo wir jetzt einen Großteil Südamerikas zur Verfügung haben können wir da sogar zwanzig Partys an einem Abend veranstalten. wir müssen halt nur eine Reinigungskammer gegen heimliche Flüche einbauen oder die Alterslinie modifizieren, dass Fluchträgerinnen und -träger abgewiesen werden."

"Stimmt, da hast du recht. Dann sollten wir Perdy doch fragen, ob er uns so'n Ding baut. Wird er sich bestimmt freuen", sagte Pater Nonus Hispanis. Darauf wiederholte Pater Decimus Sixtus, dass er Perdy erst wieder im Rat mitreden und vortragen lassen würde, wenn dieser sich entschieden habe, wie er mit den von Mater Vicesima Secunda ererbten Plänen verfahren würde. "Solange bleibt er in seinem Tieftauchtank und kann da über Sinn und Unsinn seiner zweiten Kindheit nachdenken. Außerdem wird der demnächst Vater und hat genug Beschäftigung, wie ihr ja alle wisst."

"Gut, wir haben ja noch genug versierte Thaumaturgen und Alchemisten. Dann sollen die uns die Reinigungskammer bauen", wandte Mater Duodecima Borealis ein. So wurde darüber beraten und beschlossen, wo die ersten Mora-Vingate-Partys stattfinden sollten. Pater Nonus Hispanis, der nachher noch zu Pater Nonus Marenostri ernannt werden sollte, weil er der Zauberer mit den meisten eigenen Kindern im gesamten Mittelmeerraum war, bestand darauf, dass die Festlichkeit dann in "Fiesta grande de Mora Vangata" umbenannt werden sollte. Das wurde zur Abstimmung gestellt und einstimmig beschlossen. So konnten die daran teilnehmenden schon wissen, worauf sie sich einließen.

Als dieser Tagesordnungspunkt ebenfalls vollständig abgearbeitet war stand Pater Decimus Sixtus auf. "So bleibt uns nun eine feierliche Pflicht zu tun, die wir zwar so nicht herbeigewünscht haben, sie aber dennoch erfüllen möchten." Er deutete auf eine absichtlich freigehaltene Fläche von der Eingangstür aus rechts, wo Platz für Besucherbänke oder eben vierzig erwachsene Menschen war. Er bedeutete Pater Nonus Hispanis, in die Mitte dieser Fläche zu treten. Der Angesprochene tat es. "Formate Circum honoris!" befahl der Ratssprecher auf Latein. Er und alle anderen bildeten um Pater Nonus Hispanis einen Kreis. ""Te Pater Nonus Hispanis, nomen tuum nunc est Pater Nonus Marenostri! Ecce concilium Pater Nonus Marenostri!"

Alle klatschten, als der in der Mitte stehende seinen neuen Ratsnamen erhalten hatte. Damit war er jetzt der kinderreichste Zauberer des Mittelmeerraumes, weil die anderen Namensträger bereits verstorben waren. Alle gratulierten ihm und wünschten ihm noch ein sehr langes Leben, ein Wunsch, von dem sie alle wussten, dass er sehr, sehr wichtig war.

"So setzt euch noch einmal hin, damit ich uns alle würdig aus der Sitzung ..." sagte Pater Decimus Sixtus. Da sah nicht nur er, wie Mater Decima Belgica von innen her blau aufleuchtete. Dann barst sie in einer einzigen blauen Flammenwolke auseinander. Das ging so schnell, dass niemand mehr darauf reagieren konnte. Alle wurden von der himmelblauen Höllenlohe erfasst. Drei volle Sekunden lang fühlte Pater Decimus Sixtus nichts, keine Schmerzen, keine Verbrennung. Er dachte nur: "Warum? Wieso?" Dann zuckte etwas Heißes durch ihn durch. Er meinte noch, einen goldenen Lichtblitz zu sehen. Dann traf ihn die volle Macht des ihn umtosenden Feuers und löschte ihn und alle seine Gedanken aus, um ihn und die anderen zu einem Anteil seiner selbst zu machen. Dadurch gewann es so viel Kraft und Schwung, dass es die feuerfesten Wände zum erglühen brachte. Die Tür widerstand ebenfalls. Doch weil das Feuer von Magie zehrte sog es allen festen Körpern, die es traf die darin eingewirkte Zauberkraft aus, bis diese in weißen Explosionen vergingen. Das Blaue Feuer blähte sich schneller als ein Blinzeln in die anliegenden Gänge aus, suchte und fand weitere Nahrung. Es dauerte nur zwanzig Sekunden, da hatte es jedes aus Fleisch und Blut bestehende Leben vertilgt, sich daran gemästet und mehr als zweihundert Meter weit ausgebreitet. Erst als es zehn weitere Sekunden lang nichts mehr fand, um zu wachsen, schrumpfte es wieder in sich zusammen, bis es als winziger weißblauer Glutfleck verging. Sein Zerstörungswerk war getan. Wiederum hatten mehr als dreißig unschuldige Kinder sterben müssen, die das Pech gehabt hatten, von Leuten abzustammen, die sich die ganze magische Welt zum Feind gemacht hatten.

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Die Uhr über den Überwachungsanzeigen zeigte fünf Minuten vor zwölf Uhr Mittags. In der Überwachungszentrale für die ganzen Niederlassungen schrillten die Alarmzauber los. Stan Coalyard, der diensthabende Überwacher, schrak zusammen. Er sah sofort, wie eine weitere Niederlassung in zerstörerischer Gewalt verging. Als er sah, wie schnell dies ablief und nach nur zwanzig Sekunden die Meldung "Niederlassung Norwegen vollständig vernichtet!" Der nächste Schreck durchfuhr ihn. Wie viele Kinder waren da. Dann fragte er nach, wer vom hohen Rat noch am Leben war. Doch keiner vom hohen Rat des Lebens wurde ihm als lebend angezeigt. Damit hatte Vita Magica, die mächtige, weltweite Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens, ihren Kopf verloren. Wie war das möglich? Er wusste, dass die Karussellniederlassungen durch eingeschmuggelte Schmelzfeuerflüche vernichtet worden waren. Doch in die Niederlassung Norwegen waren doch keine Nachwuchsverweigerer eingebracht worden.

"Ruf an alle Niederlassungen! Seht zu, dass ihr da raus kommt! Niederlassung Norwegen wurde gerade durch gleichen Feuerzauber zerstört wie Niederlassung Sizilien, Sibirien, Chile und Belgien! Dies ist kein Aprilscherz!" rief er, nach dem er den Schallverpflanzungszauber für alle noch stehenden Niederlassungen betätigt hatte.

"Hier Perdy in Aquasphäre eins! Stan, schick mir das Protokoll. Ich will prüfen, was passiert ist. Wir sind hier gerade zu vierzig Erwachsenen und sechzig Kindern zwischen Neugeboren und sieben Jahren und können noch zwanzig Familien aufnehmen."

"Dich gibt's noch? Ich dachte, du wärest mit den anderen vom Rat zusammen. Nehmt noch keine neuen Leute rein. Am Ende ist jeder von denen wie auch immer verflucht."

"Deshalb will ich ja die Protokollaufzeichnung. Los, in den Kasten damit."

Coalyard gehorchte. Er kannte Perdy noch, wo er noch ein erwachsener Zauberer in hohem Alter und selbst Ratsmitglied gewesen war. So akzeptierte er ihn gerade als Stellvertreter des hohen Rates.

Er schickte per Nachbau eines Distantigeminuskastens die auf Pergament gepinselte Aufzeichnung des Protokolls. In der Zeit riefen andere Niederlassungen durch und meldeten Evakuierungsbereitschaft nach Fall Exodus, wie Perdy das genannt hatte. Sie wurden in zwei Ausweichniederlassungen tief unter den Alpen und dem Wetterteilgebirge Australiens versetzt. Falls da wer bei war, der oder die diesen Vernichtungskeim schon an oder in sich hatte war es das.

"Das Feuer ist im großen Besprechungsraum ausgebrochen, den jede Niederlassung für den hohen Rat hat. Dann hat es sich erst durch die nicht ganz so feuer- und bruchfesten Wände gefressen und ist dann immer schneller durch die Niederlassung gefegt. Sag mal, kann die Antimaterie machen? Okay, jedenfalls hat's nur zwanzig Sekunden gebraucht, bis es alle Überwachungszauber und damit alle Einrichtungen zerstört hat", seufzte Perdy.

"Im großen Ratssaal. Wenn die da alle waren, hat das keiner geprüft, ob wer von ihnen den Feuerzauber an oder in sich hat?" fragte Stan. Doch er konnte es ja selbst nachlesen. Das Original hatte er ja noch.

"Ja, mit Sonnensegenzauber. Wenn den wer in sich gehabt hat ... Drachenmist!" stieß Perdy aus.

"Hier Niederlassung Australien, klar für Operation Exodus!" Meldete Norman Riverdale, Stellvertreter von Pater Undecimus Australianus. "Mein Vater war in Norwegen, wegen der Ratssitzung. Die wollten wegen der Beerdigung und wie's weitergeht ... Drachendreck!!" stieß Riverdale noch aus und flennte dann los. Er merkte wohl, dass er die Sprechverbindung belegte und blendete sich aus. Alle anderen meldeten mit betrübten Stimmen die Evakuierungsbereitschaft. Stan fragte Perdy, der gab das Einverständnis.

Alle Niederlassungen zeigten nach einer halben Minute keine lebenden Personen mehr an. Dafür zeigten die zwei Bunkerniederlassungen, wie es Perdy und der verstorbene Rat aus Nordamerika genannt hatten, dass sie zu fünf Achteln ausgelastet waren. Womöglich musste man für die heimlich gegründeten Familien neue Unterbringungen suchen. Immerhin lebten ja auch noch über fünfhundert Familien, die immer wieder die in den Niederlassungen geborenen Kinder aufnahmen und im Sinne der Gesellschaft großzogen. Viele der sogenannten Karussellkinder waren dort untergekommen. Doch einige hatte es in Sizilien und jetzt in Norwegen erwischt.

"Stan, sprich bitte in das goldene Ohr rechts von der Gesamtübersicht die Worte Fall Dornröschen. Anders geht's nicht", seufzte Perdy. Stan konnte hören, dass auch dem wieder aufwachsenden Tränen in die Augen stiegen. Natürlich, da waren alte Mitstreiter gestorben, Leute, die er mehr als hundert Jahre begleitet hatte und mit denen er all das aufgebaut hatte, was eine einzige mischblütige Feuerhure gerade in nichts als Asche und Rauch verwandelt hatte. Da waren wohl auch Verwandte von ihm gestorben, Kinder, Enkel, Nichten oder Neffen. Er wusste es nicht. Er wusste nur eins, Vita Magica würde jetzt erst mal kein neues Leben mehr erschaffen. Er hatte nur noch einen Job zu erledigen. Er beugte sich zu dem hinter einer gläsernen Verschlusskappe glänzenden Ohr aus Gold. Er drehte an der Verschlusskappe, bis sie abfiel. "Fall Dornröschen! Fall Dornröschen!" rief er hinein. Da klang eine Aufzeichnung von Mater Vicesima Secundas Stimme.

"An alle Niederlassungen. Eine gefährliche Macht bedroht unser aller Leben. Alle Niederlassungen sind in Gefahr. setzt euch sofort nach dem Abhören dieser Nachricht in die beiden gesonderten Niederlassungen Australien und französische Schweiz ab! Wenn der hohe Rat das hört möchte dieser bitte in die neue Niederlassung Atlantik überwechseln und dort einstweilen mit mir bleiben, bis wir klar sind, wie es weitergehen kann. Bis dahin gilt, keine außentätigkeiten. Kein magischer Sprechkontakt zu den draußen wohnenden. Die Nahrungsvorräte sind für zwei Jahre bei voller Auslastung gesichert. Dies ist der Fall Dornröschen. Vita Magica geht schlafen. Aber wir werden wieder aufwachen."

"Alle Niederlassungen werden versiegelt. Luftvorrat wird abgesaugt und verdichtet. Alle Türen werden geschlossen. Alle magischen Dienstvorrichtungen gehen auf Schlafzustand", meldete Perdys aufgezeichnete Stimme.

"Kommst du zu uns rüber?" fragte Perdy über Fernsprechzauber. "Ich mache hier nur alles zu. Dann komme ich", sagte Stan und befahl dem goldenen Ohr. "Überwachung bei Meldung dass alle Niederlassungen schlafen selbst in Schlafzustand versetzen!" Dann nutzte er den von Perdy eingerichteten Portschlüssel und löste ihn mit dem simplen Wort "Energie!" aus. Er verschwand in einer grünen Lichtspirale.

Als er aus dem grünen Portschlüsselwirbel fiel fand er sich in einer gerade mal kleiderschrankgroßen Metallkammer. "Hi, Stan. Keine Angst, ist meine neue Dekontaminationskammer. Kann ein wenig prickeln, und du könntest für zwei oder drei Sekunden ganz wegnicken. Aber dann bist du wenigstens Fluchfrei", hörte er Perdys Stimme. Dann begann der Schrank zu summen und in verschiedenen Farben zu leuchten. Er fühlte es erst heiß und dann kalt werden, fühlte, wie ihn etwas von Kopf bis zu den Zehen abtastete. Doch er wurde nicht bewusstlos. Nach nur fünfzehn Sekunden rasselten mehrere Verriegelungen. Dann klappte die Tür auf.

"Hi Stan. Du warst nicht verflucht, nur total aufgeregt", begrüßte ihn der wiederverjüngte Perdy. "Bin ich froh, dass mein Vater nur fünf Kinder gemacht hat", sagte Stan. Denn offenbar ging es ihm gerade richtig auf, dass es außer der Wiederverjüngten, die jetzt Lucille hieß, Perdy und Shana keinen mehr in der Gemeinschaft gab, der oder die mehr als sechs Kinder in die Welt gesetzt hatte.

Stan brachte noch die Protokolle vom vergangenen Monat mit. Perdy nickte. Er war blass und scheinbar um mehr als drei Jahre gealtert. Stan verstand es zu gut.

"Val, da musst du jetzt jedesmal rein, wenn du zu uns kommst. Wir wissen nicht, wie die das angestellt hat. Ich werde diese Niederlassung aber nicht so locker in blauem Feuer verglühen lassen", sagte Perdy, als Valerie Dorkin ihn wegen der insgesamt zwanzig in der Station verteilten Schränke fragte. Dann stellte sie die entscheidende Frage: "Was machst du, wenn jemand mit bereits brennendem Körper da hineingerät?"

"Du meinst mit dunklem oder diesem blauen Feuer?" wollte Perdy wissen. Dann sagte er: "Dann verschwindet der Schrank in der nächsten hundertstel Sekunde und zündet dann tausend Kilometer weit über uns im Weltraum."

"Im Weltraum?!" rief Val. "Das würdest du gar nicht merken, wenn du echt in dunklen oder blauen Flammen stehst", sagte Perdy. "Du bist echt süß, auch wenn du kein Baby mehr bist", knurrte Val. Da cogisonierte Lucille: "Der ist immer süß, Val. Außerdem hast du ihn gefragt."

"Ja, das war keine dumme Frage, auf die ich eine dumme Antwort verdient habe", maulte die Heilerin aus Australien. "Das habe ich auch nicht als dumme Frage verstanden", entgegnete Perdy. Dann sagte er: "Wir klären ab, wem es alles gelungen ist, wegzukommen. Dann machen wir eine Durchsage, dass Shana, Val und ich bis zur Bestimmung eines neuen hohen Rates die Gruppe leiten. Lucille kann erst wieder mitmachen, wenn sie empfängnisfähig ist. Eh, so steht's in den Regeln", sagte Perdy zu der schmollenden Lucille. Diese fragte sich wieder einmal selbst, ob es wirklich eine so gute Idee war, sich wiederverjüngen zu lassen.

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Ladonna spürte es auf ihrem Kopf kribbeln und kurz ziepen. Dann wusste sie es, dass ihre Agentin wider willen ihre Aufgabe erledigt hatte.

Eine belgische Mitschwester hatte sie darauf gebracht, dass da eine war, die schon zehn Kinder geboren hatte und immer mal wieder für längere Zeit auf Bildungsreise ging. Diese hatte ihre Mitschwester aufgesucht und dabei fast ihr Leben verloren. Dann war die Königin selbst erschienenund hatte die üblen Zauber niedergekämpft, bevor sich die Belgierin namens Anne van de Brook absetzen konnte. Mit einem Trick, den ihre veelastämmige Stillmutter erfunden hatte, konnte sie die andere erst von allen anderen Zaubern freispülen und dann zu ihrer Gefolgshexe machen. Allerdings wusste sie, dass dieser Zauber bei Begegnung mit Veelastämmigen nach hinten losgehen konnte. Dann hatte sie sie instruiert, möglichst viele ranghohe Mitglieder von Vita Magica auf einmal durch den Wunsch alles in Vernichtungsfeuer zu verbrennen, mit in den Tod zu reißen. Veelazauber wie die Segenszauber blockten die meisten anderen Zauber ab, auch solche, die eingelagertes Schmelzfeuer finden und auslöschen konnten. Was immer die mit ihr anstellten, sie konnten sie nicht von ihrem Fluch freispülen. Ja, und mit dem Divitiae-Mentis-Zauber hatte sie Anne van de Brook, die sich Mater Decima Belgica nannte, alle Erinnerungen an diese Begegnung im Gedächtnis versiegelt, dass nicht einmal ein Legilimentor herankam. Außerdem hatte sie die Belgierin nach etlichen wichtigen Dingen aus der Gruppe gefragt und wer da so wichtig war. Sie hatte lachen müssen, als sie von einem erst alten und dann wiederverjünten Zauberer hörte, der sich für die Zukunftsmärchen der Magieunfähigen begeisterte. Der war jedoch wegen einer gewissen Aufsässigkeit bis zum März aus dem Rat verbannt worden. Als sie noch von einer Mater Vicesima Secunda erfahren hatte, die jetzt aber selbst neu aufwachsen musste überlegte sie ernsthaft, deren vielen Kinder aufzusuchen. Doch dann erfuhr sie, dass neun von denen gar nicht wussten, was mit ihrer Mutter geschehen war, drei schon tot waren und der Rest auf verschiedene Niederlassungen verteilt lebte oder bei ihr nicht bekannten Verwandten untergebracht waren. So war ihr nur geblieben, den körperlich noch erwachsenen hohen Rat des Lebens auszubrennen wie eine gefährliche Wunde. Das war offenbar jetzt geschehen. Nun blieb ihr, abzuwarten, wie es mit der selbsternannten Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischer Menschen weiterging. Sie wollte sich jetzt auf ihr eigentliches Vorhaben konzentrieren, den Rosenfrieden.

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Murrmuck fragte, was das Alarmblöken sollte. "Die Wärme in den Gängenund Verliesen geht nach oben, Herr Murrmuck. Wir untersuchen das", kam die Antwort von den Hausüberwachern. Es wurde immer wärmer, auch in den Büros und den Verliesen. Kunden fragten, ob man die Wachdrachen jetzt zum Heizen der Heizungsrohre abgestellt habe. Es stand fest, dass es ganz unten am wärmsten war. Dort maßen die Hauswartungsleute bereits die halbe Wassersiedetemperatur. Die Hitzequelle musste im festen Gestein sitzen. "Nachrichtenschläger, London anläuten und Zustand durchgeben!" befahl Murrmuck dem Mitarbeiter an den sieben Nachrichtenglocken. Der bestätigte es. "Ach ja, einen Trupp Waggshaggans aus Köln."

"Öhm, die haben da nur Notfallbereitschaft wegen der Karnevalstage", erwiderte der Nachrichtenschläger.

"Hol's der große Graue, diesen Neddlwog-Irrsinn", knurrte Murrmuck.

Fünf Minuten später erhielt Murrmuck drei Nachrichten. Die erste war, dass es wirklich von unterhalb von Gringotts immer wärmer wurde und somit eine unterirdische Hitzequelle da unten wirkte, die zudem immer heißer wurde. Die zweite Nachricht kam aus London und besagte, dass sie alle Kunden evakuieren sollten, weil auch in Wien, Inssbruck, Zürich und Genf ein Hitzeanstieg verzeichnet wurde und der bereits so stark war, dass nur noch die Wachdrachen Spaß daran hatten. Irgendwer heize gezielt diese fünf Zweigstellen auf, die auch für den Auslandshandel zuständig waren. Die dritte Nachricht kam aus Köln am Rhein und besagte, dass gerade zehn Mann von der Fremdzauberfreiräumtruppe Waggshax, den Wegwischern, Einsatzbereit wären aber innerhalb von drei Stunden die Ablösung komme. Der Rest der hundert Kobolde sei im Karneval unterwegs.

"Zumindest trafen neun Waggschaggans ein und schwärmten durch die Personenschächte und Korridore aus. Zehn Minuten später kam der Truppenführer zurück und vermeldete: "Irgendso'n Jeck hat da unten einen Zauber laufen, der mindestens zwei Drittel der Gringottsgrundfläche immer stärker aufheizt. Das stinkt nach Schwarzalbenzauber. Wir peilen gerade noch, wo die Ströme herkommen, die aus Erdmagie Feuerzauber machen.

"Klackjack!" Rief einer der Truppe und kam angewetzt. "Klackjack, das sind die Saufbärte. Die haben wohl Altbier getrunken, weil die da mit fünf walzenförmigen Dingern auf einen Punkt zielenund da Feuer aus der Erde hinpumpen. Die sind komplett Urzuburuk."

"Und Sie können das nicht stoppen?" fragte Murrmuck, der schon fürchtete, dass Gringotts bald in einem Krater voller Lava versank.

"Hättet uns mal zwanzig Minuten früher rufen sollen. Jetzt ist der Boden zu heiß", sagte Klackjack, der Truppenführer der Waggshaggans.

"Was! Schon heißer als zweitausend Koboldlängen unter der Erde. Die sind voll Kaputt!" Rief Murrmuck.

"Dann stimmt das, das die Zwerge mit uns Krieg wollen?" fragte Klackjack. Sein Kamerad, dem roten Namensschild nach Dickbock, seufzte. "Och nöh, dann will uns der Graubart in die Kampftruppe reinholen. Muss das echt sein?"

"Unser Wahlspruch, Bereiniger Stufe drei Dickbock?" fragte Klackjack.

"Zauberdreck zu bösem Zweck, ruft uns die Waggschax, ist er weg", deklamierte Dickbock unverzüglich.

"Ja, dann macht mal", bohrte Murrmuck in die gleiche wunde, die auch ihm die Seele peinigte.

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Unternehmung Tiefensonne lief erfolgreich. Fünf Tiefenboote pumpten mit kleinen aber leistungsstarken Erdfeuerpumpen Hitze aus mehr als viertausend Längen Tiefe nach oben unter Gringotts. Dabei mussten sie aufpassen, nur da zu pumpen, wo sie keine verdächtige Magie oder gar etwas lebendiges vermuteten. Sie wollten schließlich nicht den ewig hungrigen, im feurigen Bauch von Mutter Erde gefangenen Erbfeind zu sich nach oben holen. Das war das kitzlige an den Erdfeuerpumpen. Deshalb waren die auch eigentlich seit ihrer Erfindung vor dreihundert Jahren verboten, wurden aber fleißig weitergepflegt. Man konnte ja nie wissen.

Tiefensonne an alle Sternengucker, was passiert am Haus?" fragte Schattenhut über die Schallverpflanzungspfanne.

"Die Großen laufen da raus wie die Rennratten", meldete Sternengucker eins vor Gringotts Wien. Ähnliches berichtete der vor Gringotts Zürich. "Von wegen, die Schweizer sind gemütlich und ruhig", musste sich Sternengucker zwei zu einer Gehässigkeit herablassen. Die drei anderen meldeten je nach Fortschritt, dass auch da die ersten Menschen aus dem Portal kamen und auch schon der Blöker blökte. Schattenhut fragte dann noch die Sonnen eins bis fünf. Die unter Gringotts Frankfurt aufgestellten Boote meldeten ihren Einsatzzustand. Bei allen war es gut. Frankfurt meldete dann gegenläufige Erdmagieströme geringer Stärke. "Ach, die Brüder Wisch-und-Weg sind das", meldete Sonne eins. "Damit spüren die fremde Zauber auf, Tiefensonne.

"Können die uns was damit?" fragte ein anderer Bootsführer von Sonne 1. "Nöh, nicht heute, Mitkämpfer. Außer in Zukunftsmärchen, wo die Kobolde mit Sternenstaub zum Mond fliegen, um da Mondsilber abzubauen."

"Sprechdisziplin! Nur was melden, was die Lage betrifft!" forderte Schattenhut.

Es verging eine weitere Viertelstunde. Sternengucker eins hatte inzwischen gemeldet, dass nur noch gepanzerte Wachkobolde vor dem Tor von Gringotts Wien standen. Dann meldete Sonne 2 aus Frankfurt: "Ey, die beballern uns mit immer wilderer Suchstrahlung und jetzt, Trolldreck. Die überladen unseren Erdkrafttreiber und ..." Es knallte laut und knisterte ziemlich unangenehm nach. Dann meldete der zweite Bootsführer von Frankfurt: "Sonne 2 Boot 3 verloren. Zum ewigen Gefangenen im Feu.." Knall! Wieder knisterte es nach. "Tiefensonne an alle Sonnen! Fall Sonnenfinsternis! Fall Sonnenfinsternis! Rückzug in unterschiedliche Richtungen. An alle Sternengucker, Stellung aufgeben, flucht mit Tarnsesseln."

"Hier Sternengucker 2 Onkel Brummback am Silberpfännchen", klang eine nichtzwergische Stimme aus Schattenhuts Mithörgegenstand. "Fress dich der Troll, Brummback!" knurrte Schattenhut. "Ah, der Herr Schattenhut persönlich. Heute schon den Bart geputzt. Vielleicht wird er dir ja bald gestuhutzt", spottete Brummback. Also, wenn die anderen Tiefensonnenkundschafter jetzt nicht wussten, was der Zeitamboss geschlagen hatte wusste Schattenhut es nicht anders.

"Du wirst nichts erfahren, Glibberaugenkönig", knurrte Schattenhut. "Na, unter Berufskollegen, auch wenn es verschiedene Geschäfte sind, sollte man doch etwas achtungsvoller miteinander umgehen", tadelte Brummback.

"Sei du mal ganz ruhig, Furzback", knurrte Schattenhut. Seine ganze berufsmäßige Kühlheit und Fassung war gerade mit lautem Getöse in die unsäglichen Tiefen hinabgedonnert. Brummback hatte die Zweigstelle Frankfurt befreit und Sternengucker 2 gefangengenommen. Doch da schepperte eine kleine Blechplatte mit dem Namen des Kundschafters. Der hatte wohl noch die drei Worte des befreienden Feuers denken können und war vor den feindlichen Heschern zu rotglühender Asche zerplatzt. Ob Brummback davon schon was gehört hatte? Er sagte jedenfalls nichts.

Womöglich sollte Schattenhut selbst die letzten drei Worte seines Lebens denken, um dem ihm drohenden Getöse seines Königs zu entgehen.

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Klackjack zitterte. Dieser Brummback war ein gnadenloser Schlächter. Nur weil der ihm erklärt hatte, wie das Tiefenlot der Waggshaggans arbeitete hatte der sofort gesagt: "Volle Stärke und dann immer wieder auf zitternden Widerstand halten und dann auf gleiche Schwingungszahl einstellen!" Klackjack hatte sofort gewusst, was er meinte. Mit dem Tiefenlot konnten fremde Zauber der Naturelemente bestimmt werden, bis zu einer Tiefe von viertausend Koboldlängen. Weil die fünf Walzen da unten nur zweihundert Längen unter Grund waren reichte die volle Stärke aus, deren Erdkraftvortrieb zu erschüttern und bei gleicher Schwingungszahl zu überlasten. Die Walzen verschwanden dann von der Messscheibe. So zerstörten sie mit einem eigentlich harmlosen Lotungsgerät entweder andere Vorrichtungen oder Fahrzeuge. Wenn das Fahrzeuge waren saßen da lebende Wesen drin. Selbst wenn es nach Bier und Schweiß stinkende Zwerge waren waren das denkende Wesen. Er war doch nur Bereiniger. Wenn di davor keinen Krieg wollten, jetzt hatten sie einen Grund dazu. Doch er durfte es Brummback nicht klagen. Der Bund, den niemand beim Namen nennt, galt als übergründlich, was die Beseitigung von Hindernissen und unliebsamen Wesen anging. Er wollte weder das eine noch das andere für diesen strengen Leitwächter sein.

"Danke für diese hervorragende Anregung und Vorführung", sagte Brummback noch zu Klackjack. Dann verschwand er auch schon wieder durch die Tür und später durch das Tor. Die Wärme ging jedenfalls zurück.

"Die wollen Gringotts nicht zerstören, sondern den Zauberstabträgern so mies machen, dass die uns als unzuverlässig hinstellen", knurrte Murrmuck. Zumindest hatte die Bereinigung in Frankfurt dazu geführt, dass die Erhitzung von Wien, Zürich, Genf und Innsbruck auch aufhörte.

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"Die haben mit Tiefenlotungsschwingungen ... Zum ewigen Gefangenen", knurrte König Malin. Ihm wurde klar, dass die Art, wie sie das Unternehmen Tiefensonne bekämpft hatten, auch gegen anderswo lauernde Tiefenboote einsetzn konnten. Er hatte Brummback und seinen Schlächtern und Kaputtmachern gezeigt, wie sie gegen ihn vorgehen konnten. Der überragende Vorteil, mit Tiefenbooten und Tiefenkreuzern schneller zu reisen und mehr zu befördern als ein Kobold im Tiefenlauf drohte dahinzuschmelzen wie Blei im Drachenfeuer. Dennoch wollte er noch nicht aufgeben. Doch konnte er noch was tun? Er konnte nur noch zum Kriege rüsten und den Feind oberirdisch stellen.

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Die Aktionen bei Frankfurt und den vier anderen Zweigstellen war auch auf Güldenbergs, Rosshuflers und Rheinquells Tisch gelandet. Es war somit keine große Frage mehr, dass sie sich trafen.

Am Abend durfte Güldenberg den Graubart Meister Mondbart persönlich treffen. Dieser sicherte ihm zu, dass die Kobolde nicht von sich aus gegen die Zwerge zu Felde ziehen würden, zumal sie deren zwei Störangriffe auf Gringotts ja sehr schnell und ohne eigene Verluste zurückgeschlagen hatten. "Leitwächter Brummbackk und mein Oberster Kriegskunstmeister Ruppzack sind einer Meinung, dass die Zwerge nur deshalb ihre anderswo laufenden Unternehmen abgebrochen haben, weil sie ihre Mannstärke und Ausrüstung für einen Feldzug benötigen. Hätten sie mit ihrer Aufheizaktion Erfolg gehabt hätten sie die an allen anderen Gringottszweigstellen oder gar unter meinem eigenen Haus wiederholt. Haben sie schon mit diesem Streitsucher Malin gesprochen?"

"Seitdem wir seine Frist zurückgewiesen haben herrscht Schweigen im Winterwald, Meister Mondbart", sagte Güldenberg. "Ihn selbst kann ich wohl nur sprechen, wenn mich gleichzeitig hundert Zwerge umzingeln", seufzte Güldenberg.

"Meine Fachleute bei der Angelegenheit heute morgen sind sich übrigens sicher, dass die Zwerge eine geächtete Waffe benutzt haben, um Glut aus dem Erdinneren bis nahe unter die Oberfläche zu pumpen. Abgesehen von der Gefahr für die Stabilität unserer großen Mutter Erde kann aus großer Tiefe hochgeholtes Erdfeuer verheerende Zerstörungen anrichten. Sie dürfen Malin gerne mitteilen, dass Sie sowas nicht billigen, Herr Zaubereiminister."

"Erdfeuer aus der Tiefe? Wie tief in die Erde reicht das?"

"Ach so hunderttausend Koboldlängen", sagte Mondbart.

"Und das können die dann nicht nur unter der Erde freilassen, sondern auch über der Erde?" fragte er scheinbar ruhig. "Ja, hat es gegeben, im letzten Riesenkrieg, bevor die Todtrampler und Lebendfleischfresser die Pumpen gefunden und zerlegt haben, die die Zwerge hatten."

"Höchst abwechslungsreiche Aussichten", grummelte Güldenberg.

Als er mit Mondbart noch weitere Schutz- und Handelsbedingungen besprochen hatte verabschiedete er sich von dem altehrwürdigen Kobold.

In seinem Postfach lagen drei Briefe, einer von Rosshufler, und zwei von Rheinquell. Rheinquell schrieb, dass er zu gerne einem Treffen beiwohnen würde, wenn es gegen unliebsame Zwischenfälle abgesichert sei. Er schlug den fünfzehnten März vor, weil er bis dahin noch einiges mit anderen Kollegen zu besprechen habe und sich selbst gut absichern wollte. Rosshufler schrieb, dass auch er Rheinquells Vorschlag erhalten habe und mit dem Termin vollauf einverstanden sei. So schrieb Güldenberg an beide, dass er ebenfalls mit dem Termin einverstanden war und als Uhrzeit den späten Abend gegen 22:00 Uhr vorschlug, um möglichst dann auf der Bodenseeinsel Dreiland zusammenzukommen, wenn die Ministeriumsgebäude größtenteils leer waren. So ersparte man sich unnötiges Aufsehen. Er hoffte, dass diejenige, wegen der er seit April 2004 immer wieder um sich schaute, ob da nicht eine Kerze mit rosenförmiger Flamme in der Luft schwebte oder eine Hexe in Scharlachrot mit einem brennenden Schwert darauf lauerte, ihn von oben bis unten in einen Haufen Kohle zu verwandeln, nichts davon mitbekam.

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26.02.2006

Ladonna grinste, als sie erfuhr, dass die drei deutschsprachigen Zaubereiminister sich für den fünfzehnten März zu einer Sondersitzung verabredet hatten. Wie gut, dass sie eine treue Mitschwester in das schweizer Zaubereiministerium eingeschleust hatte. Überhaupt war der fünfzehnte März ein sehr passendes Datum, fand Ladonna. Denn auch in ihrem Jahrhundert wusste sie, was an diesem denkwürdigen Tag vor 2050 Jahren geschehen war. Ja, wenn sie es hinbekam, dass alle die sie auserwählt hatte an diesem Tag konnten warum nicht.

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Im Haus Tyches Refugium saßen zwanzig Hexen des Spinnenordens und berichteten, was sie der höchsten Schwester unbedingt mitteilen mussten. Albertrude, die für alle außer Anthelia immer noch die homophile Hexe Albertine Steinbeißer war, erwähnte das Gerangel zwischen Kobolden und Zwergen. "Die Massakrieren sich gegenseitig, Höchste Schwester", sagte sie spöttisch. Anthelia wollte wissen, wie die sich massakrierten. "Oh, Hitze unter der Erde? Klingt sehr bitter und heiß nach Erdfeuerpumpe, eine Waffe, mit der glutflüssiges Erdinneres aus sehr großer Tiefe zeitlos und ohne die darüberliegenden Erdschichten zu durchqueren an einen vorbestimmten Punkt versetzt wird. Gleichzeitig wird ein gleichschweres Stück des Gesteins am Zielpunkt weggeholt und an die Stelle des entnommenen Feuers versetzt. Ja, gut zu wissen, dass die Zwerge diese Waffe noch haben und somit wohl auch die Kobolde." Sie fragte dann die zwei noch verbliebenen Hexen aus Italien, wie es dem Minister gehe. "Der verhält sich größtenteils ruhig, könnte auch nur Krach mit den Zwergen bekommen, weil er ja die Kobolde weggejagt hat Suora altissima", sagte eine der beiden. "Mehr kann ich leider nicht rausfinden, weil ich sonst gefahr laufe, doch noch mit der Feuerrosenprinzessin zu tun zu bekommen." Anthelia nickte. Natürlich hatte sie ihre Schwestern bei der Ankunft auf ihnen anhaftende Fremdzauber geprüft. Außerdem ließ Tyches Refugium keine ihr feindlichen Leute mehr herein.

Jetzt hörte sie von der einzigen schwedischen Mitschwester, dass es in Norwegen wohl einen Ausbruch von Zauberfeuer gegeben habe und an dessen Stelle ein tiefer Krater entstanden sei. Anthelia nickte. Das hatte sie auch schon über andere Quellen erfahren und erwiderte: "Das ist der Krieg, den Ladonna mit Vita Magica führt. Wenn ich keinen Wert darauf legte, unschuldige Kinder am Leben zu halten, die mir noch nichts getan haben, könnte ich das auch, allerdings mit Erdbebenzauber. Die hat aber was gegen erzwungene Nachkommen, denke ich mal."

"Besteht echt keine Möglichkeit, dich mit ihr zu verbünden, gegen die Giftausbläser von den Magielosen?" fragte Portia Weaver.

"Die Chance hat Sardonia damals schon gesucht und nicht gefunden, weil Ladonna sich wegen ihrer Abstammung für die einzig wahre Königin aller Hexen und damit aller Menschen und Zauberwesen überhaupt hält. Außerdem dürfte es jetzt auch für mich endgültig vorbei sein, nachdem ich ihr die Sache mit dem Ministertreffen verdorben habe. Die weiß, dass ich ihr mit meinen Waffen gefährlich werden kann und ihre Waffe nummer eins, der Ring, gegen mein Schwert nicht ankommt und ihre Flächenwaffe, die Feuerrose mir wegen meiner eigenen Beschaffenheit nichts anhat und ich das Ding auch mit meinem Schwert zerschlagen kann, ohne weiteren Schaden anzurichten. Also mit Bündnis oder zumindest Burgfrieden gegen die Umweltverpester wird es wohl nichts. Ich muss aber davon ausgehen, dass sie sich mit Italien nicht zufriedengibt. Schwester Albertine, auf dich zähle ich besonders. Sie könnte über Österreich ihre gierigen Krallen nach Deutschland ausstrecken, aber wohl auch nach Westen, also Spanien. Obwohl, da könnte sie eine neue Feindin dazubekommen, die ihr ebenbürtig ist, nicht war, Schwester Almaluna?" Eine kleine Hexe mit dunkelbraunen Ringellocken und fast schwarzen Augen nickte verhalten und erwiderte gestenreich: "Wenn die mich erwischt bin ich tot, Hermanas mias. Es ist auch eine Veelafrau, allerdings eine von der rothaarigen Linie, die sich vor allem der Sonne verschrieben haben. Sie ist die Madre de Silla, also die Stuhlmeisterin oder Mutter aller schweigsamen Schwestern und zugleich die Lenkerin der Entschlossenen Schwestern. Sie duldet keine fremden Hexen in ihrem Land, die ihr nicht den nötigen Respekt zollen und kennt sich mit sehr vielen hellen und dunklen Feuerzaubern aus."

"wie die Feuerrose", vermutete Anthelia. "Ladonna weiß, dass sie keine Veelas töten darf. Aber sie hält sich nicht dran, weiß ich schon. Das könnte sehr viel Ärger geben. Ich behalte es gut in Erinnerung, Schwester Almaluna. Gracias!"

So fragte sie eine nach der anderen, was sie so mitbekam. Die Franzosen genossen die Ruhe und den Frieden, seitdem Gringotts wieder wie üblich betrieben wurde, und die Zwerge bekamen auch Anteile vom Goldgeschäft, so dass sie ruhig blieben. Ob sich das änderte, wenn Malin gegen die Kobolde kämpfte blieb auch abzuwarten. Sie war froh, dass sie für ihre amerikanischen Schwestern weitreichende Frühwarner gemacht hatte, die nicht so leicht erkannt wurden. So war es möglich, vor möglichen Verfolgern oder Spitzeln der neuen Sicherheitszentrale auf der Hut zu bleiben.

Am Ende der langen Unterhaltung bedankte sie sich bei ihren Mitschwestern und wünschte ihnen einen friedvollen Heimweg.

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02.03.2006

"Die Skandinavier haben sich verabredet, meine Königin", teilte Ladonnas Gefolgshexe in Norddeutschland mit. "Und falls Ihr immer noch an Albertine Steinbeißer interessiert seid, meine Königin, so braucht Ihr nur zu befehlen, und ich bringe sie euch an."

"Nein, Klothilde, du musst dich nicht in Gefahr begeben. Diese widerspenstige Späherin wird mir bald schon zugeführt. Sichere du ab, dass das Treffen wirklich am fünfzehnten stattfindet! Hast du Hendricksen wirklich ganz sicher?" wollte die Rosenkönigin wissen. "Ja, habe ich. Er kann dem Imperius-Fluch nicht entrinnen", erwiderte die Gefolgshexe in Norddeutschland. "Gut, dann behalte ihn unter deiner Herrschaft, dass er auf der Durchführung jenes Treffens zum erwünschten Zeitpunkt beharrt, auch wenn die anderen drei Minister was anderes vorschlagen sollten!"

"Die Iden des März, meine Königin?" gedankenfragte Klothilde Graswurz. Ladonna Montefiori gedankenantwortete: "Ein wahrhaftig geschichtsträchtiger Tag bei den Nichtmagiern und ja, auch der Gründungstag jener Ansiedlung, von der aus einst diese französische Rabenkrähe es gewagt hat, sich auf den mir gebührenden Thron zu setzen. Dieser Gedenktag soll der Tag werden, an dem ich sie überflügeln werde und alle die ihr heute noch hold sind."

"So soll es dann sein", stimmte ihr Klothilde Graswurz zu.

"Unsere Königin, der, den wir erkunden wird am fünfzehnten Tag des Monats mit allen aufbrechen, die für seine Sache wichtig sind", zwitscherten die gemalten Singvögel, die auf einem Bild in Ladonnas eigenem Gemach herumflatterten. Die Rosenkönigin lächelte. Damit war es nun sicher, dass die Societas magica maris nostri bald wieder aufleben würde, aber nicht unter der Führung eines selbstherrlichen Leitwolfes, sondern unter der lenkenden Hand der einzig wahren Königin aller Hexen.

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03.03.2006

Perdy war sehr angespannt. In der Heilerstation saß Eartha und gebar gerade seine Tochter Priscilla. Er aber musste unbedingt mit einigen Leuten aus der Außentruppe reden, die sich nicht gefallen lassen wollten, für mehrere Jahre untätig zu bleiben. Da er der gerade älteste körperlich und verständigungsmäßig handlungsfähigste aus der Zeit des alten Hohen Rates war musste er mit denen reden. Da er keinen ohne Kind mehr in die Aquasphäre 1 hineinlassen wollte sprach er mit Fernando Súarez aus der Südamerikagruppe, die als heimliche Rückendeckung in der neuen Südamerikaföderation postiert waren.

"Klar, dass du mächtig Schiss hast, Perdy. Die Mischblüterin hat ja auch gemeine Tricks ausgepackt. Aber falls die sich echt über Europa hermacht und Spanien einkassiert haben wir die auch bei uns. Das können wir ihr nicht erlauben", sagte Súarez. "Wir sind hundert Leute, vierzig Mädchen und sechzig Jungs. Wir halten die vier Herren aus den Zaubereiministerien unter Beobachtung. Im April soll diese von der Geschichte überholte Hispanoamerika-Konferenz von Zaubereiministern sein. Die werden wir absichern. Sollte sie da auftauchen reinitieren wir die mit drei Ladungen zeitgleich."

"Und wenn sie Spanien erst einsackt, wenn die Konferenz vorbei ist?" fragte Perdy und fuhr zusammen, weil ein lauter Schmerzensschrei durch die stählerne Kugel gellte.

"Was macht ihr denn bei euch, Junge." "Meine Gefährtin bringt gerade unsere Tochter zur Welt", knurrte Perdy. "Also, ich habe keine Zeit. Sonst würde ich euch gerne länger erklären, was alles schiefgehen kann. Ich kann leider auch verstehen, dass ihr eure Heimat nicht an Ladonnas Unterlinge abgeben wollt. Ja, es ist auch leider wahr, dass wenn sie sich Spanien krallt gleich auch Südamerika abgreifen will. Deshalb stelle ich dir und den anderen frei, euch zu wehren, wenn sie bei euch auftaucht oder wen hinschickt. Ich verweise jedoch auf den Fall Dornröschen. Jeder, der was auffälliges macht, handelt ohne Rückhalt von der restlichen Gesellschaft, bis der Fall Prinzenkuss ausgerufen wird."

"Ja, und wir sind der Prinz, der die böse Fee totschlägt und die Prinzessin wieder wachküsst, kleiner Märchenonkel. Dann geh mal zu deiner neuen Gefährtin und guck dir an, was du hingekriegt hast. Ich kann sie ja dann mit deinem Enkelkind schwängern, wenn sie groß genug ist", sagte Súarez.

"Sieh zu, dass du bis dahin noch am Leben bleibst, Ferdi", knurrte Perdy und beendete mit "Verbindung aus!" den Schallverpflanzungskanal.

Schnell eilte er zur Heilerstation. Er bekam noch mit, wie Priscilla Diggle, so sollte sie heißen, innerhalb von einer Stunde auf die Welt kam.

"Und, werden sie weiter nach Auszuwählenden suchen?" fragte Valerie Dorkin, die Earthas Niederkunft betreut hatte. "Im Moment lauern die darauf, dass Ladonna sich Spanien unterwirft und dann nach Südamerika kommt. Die wollen sie dann reinitiieren."

"Wenn es bei der klappt wäre es doch gut", meinte Valerie. "Ja, und wenn nicht sucht sie weiter und findet die Bunkerniederlassungen oder sucht nach unseren draußen lebenden Angehörigen um sich zu rächen."

"Ruf den großen Drachen nicht, Perdy", stöhnte Eartha, die sich von der doch relativ kurzen Niederkunft erholen musste.

"Im Moment können wir nicht mehr machen, solange Italien zu ist", sagte Perdy. Das sahen alle hier ein, auch die kleine Priscilla, die froh war, diese schlimmste Strapaze ihres winzigkleinen Lebens überstanden zu haben.

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08.03.2006

"Hundert Nachtschatten?!" stieß Lasse Sigurson aus, als er erfuhr, dass in der Nähe des ehemaligen Hansekontors Bergen zehn Hexen in Begleitung von einhundert Nachtschatten aufgetaucht waren, die sie alle aus kleinen schwarzen Kugeln freigesetzt hatten. Die lichtschluckenden Geisterwesen hatten sofort versucht, in die nahe des alten Kontors liegenden Häuser einzudringen. Nur der Warnstein von Bergen, der seit der Kenntnis über eine überstarke Nachtschattenkönigin auf genau diese Art von Spuk eingerichtet worden war, hatte rechtzeitig gemeldet, dass solche Unwesen eingefallen waren. Eine Hundertschaft von Ministeriumszauberern hatte dem Überall ein schnelles Ende gemacht. Eine der zehn Hexen konnten sie zwar kampfunfähig machen. Doch die hatte sich vor allen in eine langstielige hellrosa Rose verwandelt und war in einer roten Lichtspirale verschwunden. Die anderen neun Hexen waren den Heschern entkommen und sicher schon in einem geheimen Stützpunkt.

"Zumindest wissen wir jetzt, wie sie die Nachtschatten ins Land schmuggeln, Minister Sigurson", sagte Ole Borgdal, zuständig für die Abwehr bösartiger Geisterwesen. Sigurson antwortete: "Ich höre." "Diese schwarzen Kugeln bestehen aus dunklem Marmor. Sie können mit einem Aushöhlungszauber mehrere Kubikzentimeter luftleeren Raum afnehmen. Nachtschatten, die dazu bereit sind, schrumpfen dann auf die Hälfte der Kugelgröße zusammen und versetzen sich direkt in diesen gegen jedes Licht abgeschlossenen Hohlraum hinein. Zerbricht die Kugel nach einem Fall aus großer Höhe, werden die darin steckenden Nachtschatten wieder freigesetzt und führen die vor der Einlagerung erhaltenen Aufträge aus."

"Mit anderen Worten, die Montefiori-Hexe paktiert wahrlich mit dieser Nachtschattenkönigin und darf deren Untertanen als ihre Armee mitnehmen", schnaubte Sigurson. Borgdal nickte. "Tja, ob dieser Pakt noch länger hält, wo allein wir hier in Norwegen schon mehrere hundert von denen erledigt haben weiß ich nicht. Am Ende hat sich dieses italienische Weib mit diesem Pakt ihr eigenes Grab geschaufelt.""

"Wollen Sie da wirklich drauf hoffen, Minister Sigurson?" fragte Borgdal. Sigurson schüttelte den Kopf. "Da wir nicht wissen, wie viele Nachtschatten dieses Unwesen schon erbrütet oder aus anderen dunklen Löchern zu sich hingerufen hat hoffe ich da nicht drauf. Am Ende hat diese Nachtschattenkönigin eine Million Untertanen, von denen sie locker zehntausend nicht ganz so mächtige opfern kann, um ihr Ziel zu erreichen. Wir hörten ja lange nichts mehr von ihr. Die Welt ist groß und in vielen Ländern gibt es Dörfer, die keine Verbindung zum Rest der Welt haben. Da würde es nicht auffallen, wenn deren Einwohner verschwinden und dann als gefügige Mordgespenster wieder auftauchen." Borgdal nickte. Was für die Vampire und ihre Götzin galt galt ja sicher auch für die Nachtschattenkönigin. Nur warum dieses Unwesen mit der machtsüchtigen Hybrid-Hexe Ladonna Montefiori gemeinsame Sache machte wussten die zwei ranghohen Zauberer nicht. Wichtig war nur, dass die Nordlandbruderschaft sich demnächst wieder zusammenfand und gegen diese Umtriebe vorging.

"Herr Minister, in Oslo sind drei Bergtrolle aufgetaucht. Da muss jemand einen Portschlüssel gemacht haben, um sie aus den Gebirgen im Norden dorthin zu schaffen", meldete ein Bote aus der Abteilung für magische Wesen, als Borgdal gerade gehen wollte.

"Jetzt wird's aber heftig", knurrte Sigurson. Geportschlüsselte Bergtrolle, die gefährlichsten Trolle überhaupt nach jenem legendären großen grauen Eisentroll? Es war möglich, Trolle zu unterwerfen, womöglich einfacher als Nachtschatten. Doch die würden sich niemals mit magischen Versetzungshilfen von einem Ort zum anderen befördern lassen.

"Was ist mit den Trollen passiert?" wollte Sigurson wissen. "Sie konnten gerade daran gehindert werden, das Königsschloss zu überfallen, wohl auch, weil ja dort auch Warnsteine liegen, die feindliche Zauberwesen melden", sagte der Bote. "Gut, die Ereignisglätter sollen los, den Leuten da was von einem versuchtem Terroranschlag einzugeben!" sagte Sigurson. "Öhm, wurde bereits veranlasst, Herr Minister." Sigurson nickte dem Boten zu. Sollte er jetzt noch einen erzählen von wegen voreiliger Eigenmacht? Nein, er war ja froh, dass diese Angelegenheit so schnell und trotz trampelnder, brüllender Trolle relativ lautlos erledigt worden war.

"Ob sie da auch hintersteckt, Minister Sigurson?" fragte Borgdal. "Oder jemand, der oder die in ihrem Windschatten mitfliegt", knurrte Sigurson. Was Angriffe von Trollen anging gab es in Norwegen ein paar übliche Verdächtige. Die sollten zumindest überprüft werden. Er selbst hoffte darauf, dass das Treffen mit dem schwedischen, dänischen und isländischen Zaubereiminister etwas bewirken konnte, und sei es, dass sie ähnlich wie die nordamerikanischen Staaten einen Zusammenschluss der skandinavischen Länder herbeiführen mussten. Doch seitdem sich Nordamerika zur Drei-Länder-Föderation erklärt hatte kam von denen nichts mehr herüber. Offenbar hatten die neuen Machthaber dort beschlossen, erst mal für sich zu bleiben und mit Europa nichts mehr zu tun zu haben, wie damals, wo noch der magische Kongress der USA bestanden hatte und jede Menge Einreise- und Handelsbeschränkungen bestanden hatten. Soweit wollte er auf keinen Fall gehen, selbst wenn viele Norwegerinnen und Norweger wegen der von allen Göttern entkoppelten Zauberei des Südens nicht so recht über den Weg trauten und es in den Zaubererschulen Pflicht war, die griechisch-römisch geprägten Zauber zu erlernen und nicht nur die altnordischen Anrufungen, die die Elementargottheiten wie Frey, Thor, Njördr und ja auch die Meereskönigin Rán als Quellen ihrer Kräfte anerkannten.

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aus dem Tagespropheten vom 8.03.2006

BLEIBT MINISTER SHACKLEBOLT, WEIL DAS ZIMMER DOCH GRÖßER IST?

Seit dem Juni 2002 wissen wir alle, dass die große Hoffnung, in einer dementorenfreien Welt zu leben, nur ein kurzer lauer Windstoß war. Minister Kingsley Shacklebolt musste damals vor der magischen Öffentlichkeit eingestehen, sich geirrt zu haben. Seitdem gilt, dass er sein Amt erst dann zur Verfügung stellt, wenn er es geschafft hat, "das Zimmer aufzuräumen", wie es meine französische Kollegin Mildrid Latierre genannt hat. Nun sollten wir eigentlich froh sein, dass wir seitdem nichts mehr von herumschwebenden Dementoren gehört haben. Das mag auch daran liegen, dass wir mit Werwolfgangstern und fanatischen Vampirsektenmitgliedern zu tun bekommen haben und immer wieder ein warnender Ruf vom europäischen Festland herüberschallt "Hütet euch vor der schwarzen Königin der Rosen!" Allerdings dürfen wir die Dementoren nicht als kleines Übel abtun und auch nicht so egoistisch sein, uns zu freuen, dass wir die gerade nicht bei uns herumhängen haben. Aber wo sind die dann? Was weiß unser Zaubereiministerium darüber? Warum erfahren wir nicht, ob die Aufräumaktion noch andauert oder schon beendet ist. Falls letzteres würden wir den amtierenden Zaubereiminister gerne beglückwünschen, dass er es nach nur drei Jahren und neun Monaten geschafft hat, diese Plage auszurotten. Falls es immer noch Dementoren gibt wäre es sicher nicht erfreulich, aber zumindest beruhigend, wenn die Öffentlichkeit erführe, wie weit Minister Shacklebolt und seine Amtskollegen sie wieder im Griff haben. Immerhin hat Shacklebolts Vorgänger Cornelius Fudge, der sich derzeitig auf einer ausgedehnten Weltreise befindet, behauptet, diese Wesen unter Kontrolle gehabt zu haben, bis jener, dessen Namen Sie sicher alle noch zu gut kennen, klargestellt hat, dass die Dementoren nur auf ihn gewartet haben und für ihn die echt brauchbaren Dunkelmagier des ganzen Landes aufbewahrt und durchgefüttert haben. Doch wenn die ganze Welt ein einziges unaufgeräumtes Zimmer ist, in dem außer Dementoren noch viel anderes gefährliches Zeug herumfliegt, dann war das wohl doch keine so gute Idee, dass ein Mann alleine das aufräumen kann. Es kann aber auch sein, dass Minister Shacklebolt uns nichts erzählt, weil ja alle denken, dass er erst dann nicht mehr Minister ist, wenn er es geschafft hat. Immerhin ist ja bald wieder eine Ministerwahl.

Was Arthur Weasley, den von Minister Shacklebolt als Nachfolger angekündigten Leiter der Strafverfolgungsabteilung angeht, so hat dieser dem Tagespropheten gegenüber erwähnt, dass er da, wo er arbeitet, keine Langeweile hat und nach vielen Jahren von Fudge gezielt blockierter Aufstiegsmöglichkeiten weiß, mit seinem Gehalt auszukommen, zumal der ja mittlerweile stolze Großvater alle seine Kinder in einträglichen Berufen weiß und sich so eigentlich auch ein erkleckliches Vermögen ansparen kann, um den seit 2002 angebotenen letzten Schritt auf der Karriereleiter nicht mehr tun zu müssen, zumal ja doch einige nachwachsen, die ebenso entschlossen sind, unsere magische Gemeinschaft in Frieden und Sicherheit, Einigkeit und Wohlstand zu erhalten und vor allen Gefahren wie Vampirgötzen, kriminellen Werwölfen, machtsüchtigen Möchtegern-Hexenköniginnen oder eben auch Dementoren zu beschützen. Deshalb noch einmal die Frage an den amtierenden Zaubereiminister: Ist Ihnen das Zimmer zu groß, um es alleine aufzuräumen?

Fregil

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09.03.2006

"Und, ist dir das Zimmer zu groß, Kingsley?" fragte Arthur Weasley, als die zwei langjährigen Kampfgefährten sich um zehn Uhr trafen. Shacklebolt lachte. "ich werde gleich über Matty eine Mitteilung rausgeben, dass die Nichteinmischungsvereinbarung von 1734 gilt, dass nur bei klaren Amtshilfegesuchen auswärtige Ministeriumszauberer oder erfahrene Fachkräfte für die Abwehr dunkler Mächte und Wesen in ein fremdes Land reisen und dort tätig sein dürfen. Ja, aber seitdem die Nachtschatten sich auf dem Festland herumtreiben gibt es in Europa keine Dementoren mehr. Seitdem die von uns losgesagten Kanadier sich nun ganz freiwillig dem großen Nachbarn USA als Partner in die Arme geworfen haben und mit Mexiko einen Pas de trois tanzen kriegt ja nur noch Tim Abrahams was mit, und das auch nur weil das Laaveau-Institut noch was von diesem neumodischen Elektrorechnernetz hält. Ja, und die Südamerikaner haben auch schon laut über eine Federación austral nachgedacht. Ja, und irgendwo weiter im Norden Sibiriens und Amerikas spuken die verbliebenen Dementoren herum und hoffen darauf, nicht von den Nachtschatten dieser neuen Geisterkönigin aufgefressen zu werden. Also weiß ich schon wo die sind, auch wenn der werte Gosbodin Arcadi es mir nicht direkt sondern über zwanzig Zwischenboten mitgeteilt hat, seitdem wir dieses Treffen wegen der vereitelten Unterwerfung durch Ladonnas Feuerrosenkerze hatten. Der mag es nicht, dass wir mit den Veelas so gut können, weil die dem immer mehr auf der Nase herumtanzen."

"Sagst du einem, der eine veelastämmige Schwiegertochter und von der auch schon eine Enkeltochter hat", grinste Arthur Weasley. "Dabei müsste der mit den Franzosen mehr Streit haben, weil bei denen noch mehr Veelastämmige wohnen."

"Hat er wohl auch. Aber meine Kollegin Ventvit geht da mit der nötigen Gelassenheit drüber weg. Also tu ich das auch. Muss ich mich auch nicht ständig mit diesem vergorenen Kartoffelwasser vollschütten", grinste der dunkelhäutige Zaubereiminister jungenhaft.

"Was für eine Punktlandung, Kingsley. Der gute Aberforth hat uns vom alten Phönixorden für heute abend in sein gastronomisches Institut eingeladen. Heute wäre seine Mutter 200 Jahre alt geworden, sagt er."

"Oh, der Frühling hat doch noch gar nicht angefangen, dass er seinen Laden schon geputzt hat", erwiderte Shacklebolt. Arthur Weasley grinste verhalten und antwortete: "Ich denke, seine rüstige und selbstbewusste Cousine hat ihm dazu geraten, mal wieder Gäste einzuladen."

"Ach, hat das Gesocks, das sonst immer bei ihm einkehrt keine Galleonen mehr? Arthur, du bist zu gut in deinem Job", erwiderte Kingsley Shacklebolt mit unüberhörbarer Ironie.

"Ich fürchte er, dass die ihm genug Gold eingebracht haben, um mal eine Geschlossene Gesellschaft zu geben, die er selbst bezahlt. Falls da nicht auch seine Cousine Sophia dran gedreht hat."

"Stimmt, die ist sehr entschlossen und weiß, jemanden ohne strenge Worte dahinzuführen, wo sie meint, dass er oder sie dahingehört, sagt auch Temperence."

"Die muss es ja wissen", erwiderte der rothaarige Arthur Weasley.

"Wer von der alten Garde kommt denn?" wollte Shacklebolt wissen. "Nicht, dass da auch dieses schwarzhaarige Luder mit den Duftkerzen aufschlägt."

"Also zur Frage wer alles, alle altgedienten Kämpfer und die, die die Schlacht von Hogwarts überlebt und sich erfolgreich im Leben behauptet haben, also alle meine Schwiegerkinder und meine verbliebenen Söhne und Ginny. Die lässt den kleinen und Victoire bei Molly."

"Mhmm", machte Schacklebolt. "Achso, wegen der Duftkerzen, Aberforth meinte, er habe da was im Laden, was gegen diese Art von Stinkrose helfen würde. Ob das stimmt weiß ich nicht. Aber wir müssen es ja keinem verraten, dass wir da heute Abend alle sind." Shacklebolt nickte. Jetzt abzusagen wäre fast schon ein Akt der Feigheit. Außerdem war die Aussicht, den Eberkopf mal in einem blitzblank geputzten Zustand zu erleben gleichbedeutend mit einem runden Geburtstag. Nur musste der alte Ziegenhirte die übliche zwielichtige Kundschaft vor der Tür lassen. So sagte Shacklebolt zu.

Später gab er die seinem Strafverfolgungsleiter gegenüber erwähnte Presseerklärung heraus und ließ bei der Gelegenheit auch durchblicken, dass sie froh sein sollten, dass sie auf den britischen Inseln gerade eine ruhige Zeit erlebten. Wie schnell sich das ändern konnte hatten die Ereignisse der letzten zwanzig Jahre ja gezeigt.

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"Ich kann ihn immer noch nicht mit dem Imperius berühren, meine Königin. Irgendwas beschützt seinen Geist. Er merkt es nicht einmal, dass jemand ihn zu bezaubern versucht", hörte Ladonna die Gedankenstimme ihrer irischstämmigen Gefolgshexe, die die Nachfolge von Erin O'Casy antreten wollte.

"Dann ist es amtlich, meine Tochter", schickte Ladonna zurück. "Nachdem wir jetzt mehrere sogenannte Heimkehrer aus der Obhut Vita Magicas überprüft haben, ob sie mit oder ohne magisches Zutun bei uns mitwirken wollen wissen wir es nun, dass die bei ihrer Entlassung irgendwas aufgepropft bekommen, dass sie nicht mehr tiefgründig legilimentiert oder mit dem Imperius-Fluch behandelt werden können. Dann steht zu bedenken, dass sie auch nicht dem Duft der Feuerrose erliegen werden. Dann geben wir diesen afrikanischstämmigen Zauberkrieger eben als nicht wirklich benötigt auf und sehen zu, dass er auf seinen kleinen Inseln bleibt, während der Rest der Welt unter unserer Entschlossenheit und Zielstrebigkeit geeint wird."

"Alle Macht dir, o Königin aller magischen Wesen!" gedankenrief die irische Gefolgshexe Ladonnas. Dann endete die über Ladonnas Gedankenbrückenzauber geführte Fernunterhaltung.

"Entweder arbeitet er selbst für diese Bande oder war auch eines der Opfer dieser Bande", dachte Ladonna. "am Ende muss er für die noch irgendwas ausführen. Behalten wir dich im Auge, nubischer Krieger aus dem Mohrenland", dachte Ladonna Montefiori. Dann fragte sie über weitere errichtete Gedankenbrücken nach, ob alle anderen Vorhaben den geplanten und gewünschten Verlauf nahmen. "Fast hätte mich die Steinbeißer dabei erwischt, wie ich den Treffpunkt der deutschsprachigen Dreierkonferenz ausgekundschaftet habe", verriet die in Berlin untergebrachte Gefolgshexe. "Ich war zumindest so vorausschauend, mir mit Vielsaft-Trank für eine Stunde den Körper von Güldenbergs Sekretärin auszuborgen. Aber die Späherin hat mich gefragt, ob der Minister wieder ein Treffen plant, weil ich zu sehr in dessen Terminplanung reingeguckt habe."

"Und, weiß sie davon?" fragte Ladonna sichtlich erregt. "Nein, weiß sie nicht, weil Güldenberg diesen Termin wohlweißlich nicht schriftlich festgehalten hat. Nur weil meine Mitschwestern aus Wien und Bern es mir dank deiner Huld mitteilen konnten weiß ich das."

"Tja, war nicht einfach, eine neue Mitstreiterin in Wien zu postieren", erwiderte Ladonna Montefiori. "Gut, dann vermittel mir die Standortangaben!" befahl sie.

Wenige Minuten vor Mitternacht desselben Tages überflog eine schwarze Störchin jene dreieckige Insel, die drei Kilometer vom südlichen Bodenseeufer entfernt war. Das Eiland lag unter einem ähnlichen Tarn- und Verbergezauber wie die Isla de los negocios, die mitten im Rio Miño lag. Auch hier hatten die Angehörigen eines Sprachraums einen Verhandlungsort geschaffen, wo sich die damals in kleinen Einzelstaaten und dann zwei größeren Zaubererweltbündnissen aufgeteilten Angehörigen der deutschsprachigen Zaubererwelt immer wieder beraten und Beschlüsse gefasst hatten. Die Insel war so ausgerichtet, dass eine Seite der Schweiz, eine eine Deutschland und eine Österreich zugekehrt war. In der Mitte der Insel erhob sich ein sechseckiges Haus mit gewölbtem Dach und drei hintereinander aufgereihten Schornsteinen. Ähnlich wie bei der Wahl eines neuen Papstes wurde durch dunklen oder hellen Rauch gezeigt, wann eine Verhandlung erfolgreich beendet war oder dass sie unrettbar gescheitert war.

Wie auch auf der spanisch-portugiesischen Verhandlungsinsel waren auch hier mehrere Zauber aufgespannt und kreiselten auf der Suche nach unerwünschten Eindringlingen. Ladonna schaffte es nur wegen ihrer Unortbarkeit, näher als hundert Meter heranzukommen. Doch als sie nur noch fünfzig Meter entfernt war stieß auch sie gegen ein unsichtbares Hindernis. Die als schwarze Störchin herumsuchende schaffte es nicht, durch diesen Widerstand zu brechen. Dann erkannte sie, worin der Widerstand bestand. Es war kein mehrfach gestaffelter Feindesabwehrzauber, sondern ein auf alle anfliegenden Wesen wirkender Kuppelzauber aus verdichteter Luft, eine Mischung aus Wind- und Eiszauber. Sie probierte aus, ob etwas durchkam und drückte etwas aus ihrem Hinterleib heraus. Sie sah zu, wie es fiel und dann leise auf dem Kuppeldach zerlief und sich immer mehr verdünnte, bis es nicht mehr zu erkennen war. "Deshalb habt ihr das gemacht, damit euch die Bodenseemöwen nicht auf euer schönes Prunkdach koten", dachte Ladonna und drehte ab. Gegen einen simplen Elementardom konnte sie was machen, beziehungsweise machen lassen. Ihr war nur wichtig, dass sie in das Verhandlungshaus eindringen könnte. Doch so wie sie es geplant hatte müsste sie dafür den mächtigen Zauber "Macht der Zwillinge" beherrschen, der es erlaubte, einen aus der Ferne überwachbaren Doppelkörper entstehen zu lassen, allerdings zu dem Preis, dass dieser mit jeder Stunde seines Bestehens die vierfache Ausdauer vom Originalkörper absog, mit zunehmender Entfernung vom Original und bei körperlicher Belastung sogar noch mehr. Abgesehen davon müsste sie, Ladonna, dann ja mindestens vier Doppelgängerinnen von sich hervorbringen. Denn sie hatte vor drei Stunden noch erfahren, dass Arcadi alle slawischen Zaubereiminister zu einer Zusammenkunft in Moskau eingeladen hatte. Also hatte Irina es doch geschafft und zugleich den Treffpunkt festgelegt. Tja, Wodka mit einer Dosis Fügsamkeitstrank konnte selbst den widerspenstigsten Wolf in ein handzahmes, leinenführiges Lamm verwandeln.

Die in Storchengestalt herumfliegende Rosenkönigin verließ die Verhandlungsinsel der deutschsprachigen Zauberergemeinschaften und jagte schneller als der Wind über Österreich dahin. Sie wollte ausprobieren, wie schnell sie von Deutschland nach Florenz fliegen konnte, einfach so nur um es zu wissen.

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11.03.2006

Hera hatte Laurentine wie angekündigt eine persönliche Einladung geschickt. Sie war wie erbeten um halb elf Abends in den Versammlungssaal der Schwesternschaft appariert. Dort saß Hera in einem sonnengelben Bottich. "Das ist unser Reisemittel, ein besonderer Portschlüssel. Bitte löse dein Fußkettchen!" Laurentine wusste erst nicht, ob sie das tun sollte. Doch weil Hera es ihr mit ihrem eigenen Antiportschlüssel um die Wade vormachte tat sie es auch. Dann setzte sie sich zur ersten Sprecherin in den Bottich.

"Folgendes. Wir reisen gleich zu einem anderen Versammlungsort im Ausland. Dieser Ort ist ebenso gegen Entdeckung abgesichert wie dieser. Dort werde ich die uns einladende Mitschwester begrüßen und mir, falls sie eine andere Schwester mitbringt, ihre Begleiterin vorgestellt bekommen. Dann werde ich dich vorstellen. Warte bitte mit jeder Kontaktaufnahme, bis die älteste vor Ort heimische dich persönlich begrüßt und die rituellen Worte gesprochen hat. Dann darfst du frei sprechen, sofern sie oder ich dir nicht aus irgendeinem Grund "Silencium!" befehlen. Schweigst du nicht von dir aus wird die Schwester vor Ort das mit dem entsprechenden Zauber erledigen. Ich setze sehr viel Vertrauen in deine Intelligenz und die Disziplin, die du dir vor allem in den letzten vier Schuljahren von Beauxbatons antrainiert hast." Laurentine verstand. Im Moment lief alles nach einem althergebrachten, rituellen Vorgang. Verstieß sie dagegen wurde sie abgestraft.

Nur zwei Minuten Später umfing den Bottich eine mondlichtsilberne Lichtspirale und schleuderte sie hinein in einen Wirbel aus Silbernem und dunkelblauem Schlierenmuster. Laurentine kannte Portschlüssel schon so gut wie das Apparieren, den Besenflug, fliegende Reitt- und Transporttiere, Flohpulver und Reisesphäre. Aber solch ein Licht- und Schattenspiel während des Transfers kannte sie noch nicht. Wohl wahr, ein besonderer Portschlüssel.

Die Reise endete auf einer nächtlichen Waldlichtung. Laurentine hatte eigentlich mit einer weiteren Höhle gerechnet, um unentdeckt zu bleiben. "Wie erwähnt, nur sprechen, wenn du begrüßt wurdest", mentiloquierte Hera noch einmal. Dann traten sie aus dem umgebenden Wald, zwei Hexen in dunklen Gewändern. Über beiden flammten frei schwebende Lichtkugeln auf. Nun konnte Laurentine erkennen, dass die eine klein und zierlich war und bei Tag wohl dunkelblondes Haar besaß. Das Gesicht der älteren kam ihr bekannt vor. Die zweite war wohl in Laurentines alter, vielleicht ein oder zwei Jahre älter.

"Mutter Hera, das ist sehr schön, dich nach all den Jahren wieder von Angesicht zu angesicht zu sehen", grüßte die Zierliche auf Deutsch. "Meine Enkeltochter Helga kennst du ja noch, obwohl sie bei deinem letzten Besuch in zweiten Intermedianerjahr war."Laurentine stand auf und sah beide hier stehenden Hexen an. Gerade sagte Hera in akzentfreiem Deutsch: "Mutter Gesine. Auch ich freue mich, dich in sehr guter Verfassung zu sehen, trotz der Verwerfungen der letzten Jahre. wie in meiner Antwort verkündet möchte ich dir eine junge Mitschwester von mir vorstellen, die sich als sehr begabt und fleißig erwiesen hat und sehr gut eure Sprache spricht. Mutter Gesine Feuerkiesel, das ist schwester Laurentine Hellersdorf. Schwester Laurentine, das ist Mutter Gesine Feuerkiesel, Stuhlmeisterin der Deutschen Gruppe unseres Ordens und hochbewanderte Thaumaturgin, Alchemistin und Zauberwesenkundlerin."

"egot te saluto in gaudio et amore soror Laurentine!" sprach die vorgestellte Stuhlmeisterin nun auf Latein. Hera nickte ihr zu. Laurentine erwiderte den Gruß, sofern ihr Latein das hergab. "Gratias ago et etiam te saluto in gaudio et amore, Mater Gesine."

"Ui, hast du lateinbücher zum Frühstück verputzt?" fragte die jüngere Schwester. Ihre ältere Mitschwester räusperte sich sehr laut. Dann sagte sie: "Du wunderst dich sicher über den Platz hier. Aber der Platz ist von acht Runensteinen mit Zaubern gegen unbefugtes Betreten, Belauschen und Beobachten abgesichert. Nur eine eingeschworene Schwester und eine mit ihr in Berührung stehende Hexe kann hier erscheinen, sofern die andere keine Feindin ist, dann bleibt sie mit schmerzendem Arm am Ausgangspunkt zurück. "Ich verstehe, die Achtheit der irdischen und himmlischen Verbundenheit", erinnerte sich Laurentine an die Arithmantikstunden, die auch dabei geholfen hatten, bei Zauberkunst und Verteidigung gegen dunkle Künste schneller zu begreifen.

In der Sicherheit, von niemandem abgehört zu werden sprachen die Hexenschwestern nun über ihre bisherigen Werdegänge. Helga Säuselbach wusste natürlich, dass Laurentine das trimagische Turnier gewonnen hatte. Sie selbst hatte in sechs Endprüfungen die Bestnoten erzielt und war zwei Jahre später eingeschworen worden. Sie arbeitete bei den Lichtwachen und bekleidete dort den Rang einer Untertruppenführerin. Laurentine fand es spannend, dass in den Sicherheitstruppen auch welche der Schwesternschaft saßen. "Wir sind ja weit verzweigt und sehr gut vernetztt", sagte Helga.

Die beiden, so hatten es die zwei Stuhlmeisterinnen beschlossen, sollten über Zweiwegespiegel, die auf ihre Körperabgestimmt waren, miteinander in Verbindung stehen. Wie Zweiwegespiegel funktionierten hatte ihr Catherine einmal gezeigt. In dem Fall musste Gesine Feuerkiesel jeder einen Taschenspiegel in die Hand geben und "Hoc est Prima per speculum connectaanda!" Die Spiegel vibrierten und erhitzten sich. Laurentine meinte, etwas taste durch ihre Finger, ihre Hand, bis rauf in den Oberarm. Dann hörte die Vibration wieder auf. Laurentine musste ihren Spiegel wieder abgeben. Helga Säuselbach auch. Dann vertauschte Gesine die beiden Spiegel und gab sie wieder an die zwei jungen Hexen. Diesmal fühlte es sich für Laurentine kalt an. "Hoc est secunda per speculum connectanda!" sprach Gesine mit zwischen den beiden pendelndem Zauberstab. Jetzt meinte Laurentine, etwas würde aus ihrem Oberarm in den Unterarm, dann in die Hand und durch die Finger in den Spiegel einströmen und ihn erhitzen. Saugte das Ding etwa ihr Blut? "Also, ich muss doch sehr bitten", klang in Laurentines Gedanken eine weiblich modulierte, wie von einem angestrichenen Weinglas unterlegte Stimme. "Hallo, warst du das, Helga?"

"Nein, ich bin Helgas Fernrufhelferin. Aber nur sie darf meinen Rufnamen kennen", erwiderte die sanfte, wie ein angestrichenes Weinglas klingende Stimme.

Dann hörte der scheinbar Kraft oder Blut entziehende Vorgang auf. "So, jetzt tauschen wir die beiden wieder zurück. Die kennen euch jetzt beide und sind nur auf die Verbindung zu euch eingestimmt. Diese Zweiwegespiegel sind sehr besonders", sagte Gesine Feuerkiesel.

Laurentine gab den gerade noch gehaltenen Spiegel wieder ab und bekam den, den sie zuerst gehabt hatte. Da sprach eine andere weiblich klingende Stimme die wie von einer Flöte gespielt wurde: "Ich grüße dich, Laurentine. Jetzt bin ich für dich da. mein Rufname ist Lanatera, Lanatera. Bitte worthaft denken!" Laurentine dachte den Namen Lanatera. "Name verstanden und vermerkt."

"Wenn ihr in einem geschlossenen Raum ganz für euch alleine seid braucht ihr nur den Namen eures Spiegels zu wispern und eine Botschaft zu sprechen. Wollt ihr direkt miteinander sprechen sagt ihr erst den Namen eures Spiegels und dann "Von Angesicht zu Angesicht. Ist das möglich, wird nur dann der andere Spiegel vibrieren wie ein gewöhnnlicher Zweiwegespiegel. Wenn ihr fertig seit sagt beide nacheinander "Beendet!" Seht um euer Leben willen immer zu, dass ihr die Spiegel in einer diebstahlsicheren Tasche oder einem entsprechenden Kleidungsstück mitführt und nur im aller größten Notfall in der Öffentlichkeit oder vor Uneingeweihten hervorholt. Bekommt ihr eine Botschaft, wird sie vom Empfängerspiegel in dem Moment in eure Gedanken übermittelt, wenn ihr ihn in einem Raum für euch alleine zur Hand nehmt. Ach ja, warum kein Diebstahlschutz im Spiegel? Weil er gegen unbefugte Benutzung durch Selbstvernichtung gesichert ist. Nimmt ihn euch einer weg und will damit jemanden anrufen oder ihn untersuchen, setzt er noch eine Nachricht ab und zerfällt dann zu Staub. Die Reichweite ist wie bei allen Spiegeln weltweit, da wo der Einfluss von Erdschwerkraft, Sonne und Mond besteht. Das war es dann auch schon", sagte Gesine Feuerkiesel.

Sie vertrieben sich die letzten Minuten bis Mitternacht noch damit, dass Laurentine und Gesine Feuerkiesel direkt miteinander über die Lage in Frankreich und Deutschland sprachen. "Unsere neue Bundeskanzlerin war nicht sonderlich erfreut, dass es doch Zauberei gibt. Sie sieht die Welt nur mit den Augen einer Naturwissenschaftlerin", seufzte die Stuhlmeisterin der schweigsamen Schwestern Deutschlands. Laurentine meinte, dass Frau Dr. Merkel doch einer christlichen, also religiös ausgerichteten Partei angehöre. "Was man so christlich nennt in den Tagen des reinen Gewinnstrebens und des 5-Minuten-Ruhms mit einem Mausklick. - Ja, ich weiß, was das Internet ist", grinste Gesine Feuerkiesl. Laurentine fragte sie noch, in welchem Haus von Greifennest sie damals war. "Tja, zum Leidwesen meines Herrn Vaters bin ich die erste aus der alten Familie Feuerkiesel, die nicht nach Sonnengold sondern Mondenquell eingeteilt wurde. Er hat dann sofort geschrieben: "Jetzt bist du bei den dunklen Schwestern. Pass gut auf, dass sie dich nicht zum Abgrund verführen." Er glaubt es wohl heute immer noch."

"Wenn ich es richtig in Erinnerung habe hast du alle möglichen Zauberfächer außer Wahrsagen bis zur Ultimanerprüfung behalten und alle mit Ohne Gleichen geschafft. habe ich da richtig gelesen?" fragte Laurentine.

"Ja, das ist richtig. Ich wusste halt damals noch nicht, was ich werden wollte und wollte möglichst gut aus Greifennest herauskommen."

"Seid uns bedankt für dieses wichtige Treffen, Mutter Gesine und Schwester Helga", sagte Hera Matine und winkte den beiden deutschen Mitschwestern zum Abschied. Dann kehrten sie zu ihrem Portschlüssel-Bottich zurück. Wenige Sekunden später waren sie wieder in der Versammlungshalle.

"Du hast es ja gehört, was Mutter Gesine gesagt hat. Ach ja, wie bei deiner Einschwörung gilt, du darfst keiner anderen Schwester den Namen einer ausländischen Schwester mitteilen, bis diese ihr vorgestellt wurde! Ich musste das nur noch einmal erwähnen", sagte Hera. Laurentine bestätigte es und disapparierte.

Zurück in noch nur ihrer Wohnung schloss sie sich in ihrem Arbeitszimmer ein und sprach leise den Namen Lanatera in den Spiegel, den sie bekommen hatte. Der Spiegel erbebte sacht. "Von Angesicht zu Angesicht!" wisperte sie. "Verbindung wird gesucht. Verbindung hergestellt!" klang Lanateras künstliche Gedankenstimme in Laurentines Kopf. Im Spiegelglas sah sie jetzt Helgas Gesicht. "Siehst du, ging doch. Habe mir schon gedacht, dass du das unbedingt ausprobieren möchtest. O, schönes Zimmer."

"Öhm, danke", sagte Laurentine und lobte auch Helgas farbenfroh eingerichtetes zimmer. Dann wünschten sich beide eine gute Nacht. "Wir spiegeln uns bald wieder an. Beendet!" sagte Helga leise. Doch Laurentine meinte, es fast in ihrem Kopf zu hören. "Beendet!" wiederholte sie. Lanateras Stimme sprach: "Verbindung beendet!" Damit war ihr erster Zweiwegespiegelkontakt erfolgreich durchgeführt. Sie steckte den Spiegel in ihre während der letzten Regelblutung gegen Diebstahl abgesicherte Handtasche. Dann ging sie schlafen.

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13.03.2006

In den letzten Tagen war es merkwürdig Still um die Zwerge in Italien geworden. Sicher, nach dem Abgang Boccamieles aus dem Zwergenverbindungsbüro war kein Kontakt mehr zustande gekommen. Aber eigentlich hätten alle, die sich mit diesen Wesen auskannten denken müssen, dass ihnen was an der Mitsprache bei der Goldwertbestimmung lag. Womöglich hatte deren König beschlossen, ganz ruhig abzuwarten. Er durfte auch nicht darauf warten, was sein deutscher Amtskollege Malin nun tat. Auch um diesen war es sehr ruhig geworden. Am Ende handelte der schon im Hintergrund etwas aus. Ganz sicher wollte sich Huorchino nicht noch mehr zum verhandlungsunfähigen Partner herabstufen lassen.

Ladonna hatte da so einen Verdacht gehegt und alle ihre treuen Gefolgsleute angehalten, ungewöhnliche Dinge zu suchen. Da sie selbst immer noch so tat, als sei das Ministerium völlig frei und sie seit der erfolgreichen Unterwerfung aller wichtigen Leute dort nicht mehr aufgetaucht war konnte sie nur durch die Augen und Ohren ihrer Gefolgsleute mitverfolgen, was dort geschah. Dann war ihr etwas eingefallen, was sie überprüfen lassen konnte. Es ging um die selbsttätige Aufzeichnung aller Meldezauber der letzten vier Wochen. Außerdem hatte sie in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Landhauses etwas entwickelt, mit dem selbst artfremde Zauber gefunden werden konnten. Mit diesem als silbrig glänzende Kugel aus venezianischem Glas beschaffenen Objekt, in dem ein zu bestimmten Knoten zusammengebundenes einzelnes Haar von ihr und einige Tropfen Kobold-, Drachen- und Nixenblut steckte, ließ sie nun von ihrer Gefolgshexe Imelda Palestrina aus der Hauswartungsabteilung des italienischen Zaubereiministeriums alle Büros, besonders jene für Zwerge und Kobolde wichtigen Abteilungen und Unterbehörden überprüfen.

"Die Kugel vibriert, meine Königin. Soll das so sein?" fragte Imelda über die Gedankenbrücke, über die ihre Königin sie fernüberwachen und dabei weiterhin mit ihr worthafte und bildhafte Gedanken austauschen konnte. "Ja, wenn ein nicht mit Zauberstäben gewirkter Zauber in der Nähe ist, meine Tochter. Wenn sie lauter wird und sich erwärmt oder gar in einem roten Schein aufleuchtet bist du unmittelbar in der Nähe eines solchen versteckten Zaubers."

Imelda schritt nun die Gänge auf dem Stockwerk für magische Spiele und Sportarten ab. Dabei vibrierte die kleine Kugel nur wenig. Als Imelda jedoch auf dem Stockwerk für magische Wesen war erwärmte sich die Kugel und summte ganz leise auf einer unteren Tonlage. "Halt sie hoch, Imelda!" befahl Ladonna ihrer fernüberwachten Gehilfin. Sie gehorchte natürlich. Das Vibrieren und Summen wurde stärker und die Kugel erwärmte sich spürbar. "Da an der Ecke zwischen dem südlichen mit dem westlichen Hauptkorridor ist was. Streck sie ganz nach oben und geh langsam weiter!" Imelda befolgte auch diese Anweisung wortgetreu. Dann hatte sie das Gefühl, dass das kleine Suchartefakt von innen her verglühen wollte. Der Summton stieg in Tonhöhe und Lautstärke an. Da sah Imelda etwas an der Decke, eine Kristallleuchtsphäre, die merklich zitterte. "Aha, da oben hat jemand was unerwünschtes versteckt", erkannte Ladonna. "Zieh die Kugel wieder zurück falls das Etwas einen Fernmeldezauber hat, der auf Entdeckung anspricht!"

"Wer hat was da oben angebracht?" gedankenfragte Imelda.

"Kobolde oder Zwerge. Ich neige gerade eher zu den Zwergen, will den kleinen, aus unserem schönen Land gejagten Spitzohren aber nicht absprechen, solche Ausspähdinger untergebracht zu haben."

"Meine Königin, unter jedem Fußboden verläuft ein Gitter aus handgeschmiedetem Eisen, eben um die Kobolde davon abzuhalten, ihren Erddurchquerungszauber zu benutzen", erwiderte Imelda für alle Ohren unhörbar.

"Prüfe erst alle sich treffenden Gänge und dann die wichtigsten Amtsstuben!" befahl Ladonna über die Entfernung Florenz - Rom hinweg.

Es stellte sich heraus, dass an jeder Zusammenführung eines Hauptganges eine fremdbezauberte Kristallsphäre hing. Als Imelda dann ins Büro des Leiters eintrat und den hier tätigen Zauberer begrüßte glühte die Kugel rot und summte auf der Tonlage einer schnellfliegenden Honigbiene. Als sie dann genauer nachforschte fiel die Tür wieder zu. Das Summen und Leuchten vergingen, ebenso die Wärme. Die kleine Kugel pochte jetzt ganz sacht und ganz langsam wie das schlagende Herz eines Kindes. Imelda öffnete noch einmal die Tür. Sogleich waren das Summen und Leuchten wieder da.

"Höchst einfallsreich und durchtrieben zugleich", musste Ladonna anerkennen. Dann befahl sie Imelda, ihre Finger auf den Mund zu legen und so Schweigen zu gebieten. Danach kniete sich die Zaubereizentralverwaltungshexe nieder und untersuchte alle Möbel von unten her. Unter dem Schreibtisch meinte sie, dass ihr die Kugel gleich die Hand durchbrennen würde. Sie schrillte laut auf wie eine durch einen Eisenklotz geführte Metallsäge und gab ein orangegelbes Licht ab. Im Schein dieses Lichtes erkannte Imelda unter dem Schreibtisch einen orange nachleuchtenden Gegenstand, der wie ein pergamentflaches, menschliches Ohr aussah. "Ich sagte es, einfallsreich und durchtrieben. Ich erkläre es dem Kollegen von dir mal eben."

Ladonna beendete die eine Gedankenbrücke, um mit dem obersten Lenker magischer Geschöpfe Gedanken auszutauschen. Dieser sagte nichts hörbares. Aber er ließ mit Imelda zusammen den schweren Schreibtisch per ungesagtem Schwebezauber aufsteigen, sobald sicher war, dass die Tür verschlossen war. Jetzt konnte auch er das von der Aufspürkugel angeregte Etwas erkennen. Er griff danach und bekam etwas zu fassen. "nicht abmachen, dranlassen!" befahl Ladonna. "Ihr werdet euch nachher alle in einem Raum treffen, von dem Imelda sicher ist, dass dort nichts dergleichen ist, am besten im Besenkontrollamt. Die haben gerade nichts wichtiges zu beraten."

Nachdem Ladonna Imelda wieder geistig überwachte schickte sie sie in die weiteren Büros. Im Zwergenverbindungsbüro fand sie einen gleichartigen, verhüllten Gegenstand. Der Mitarbeiter Marcello Capellini war zur Zeit nicht da, weil er auf Ladonnas Geheiß hin im Archiv nach allen größeren Vorkommnissen mit kleinwüchsigen Zauberwesen suchen sollte.

Nach zehn weiteren Minuten wusste Ladonna auch, dass die Abteilung für magische Sicherheit und Außendienst mit fremdartigen Spähvorrichtungen gespickt war und natürlich auch das Ministerbüro mit einem dieser getarnten, ohrenförmigen und zaubermächtigen Gegenstände versehen worden war. Die Frage, wer diese Gegenstände angebracht hatte war ziemlich einfach zu beantworten. Die wirklich entscheidende Frage war, seit wann diese Gegenstände an ihren Plätzen waren und vor allem, wie sie dort unbemerkt angebracht worden waren. Über den zweiten Punkt hatte Ladonna so eine gewisse Vorstellung, da sie ja selbst als Veelastämmige und Waldfrauennachgeborene Mittel kannte, sich ohne Zauberstab unsichtbar zu machen. Gab es mittlerweile auch Gegenstände die nicht nur unsichtbar und unhörbar machten, sondern auch unortbar, also auch keine verräterischen Gedankenkraftausstrahlungen und Magie- oder Lebenskraftruhewerte nach außen dringen ließen? Ladonna erinnerte sich an die ihr zugegangenen Berichte über in Frankreich erfundene Antisonden, die die eigene Magieausstrahlung verbergen konnten, um so in einer Menge Nichtmagier unentdeckt zu bleiben. Womöglich hatten die Zwerge dieses wirksame Mittel ebenfalls erfunden und für ihre Zwecke verbessert. Doch wie kamen sie dann durch die mit Schließ- und Weitermeldezauber gesicherten Türen? Das mussten sie herausfinden. Möglicherweise hing nicht nur ihrer aller Leben davon ab, sondern auch die gesamte Zukunft der magischen Menschheit.

Ladonna musste sich sehr stark beherrschen, nicht in Wut zu geraten. Man spionierte ihr Reich aus. Diese kleinen widerwärtigen Wichte hatten das Ministerium kompromittiert. Deshalb verhielten die sich gerade ruhig. Sie wollten mitbekommen, was in den abgehörten Bereichen besprochen und getan wurde. Vielleicht konnten sie sogar damit herausbekommen, was auf Pergament geschrieben wurde. Sie war froh, dass sie alle Anweisungen über Gedankenbrücke weitergab. So wussten die Zwerge nicht wirklich, dass sie die oberste Hexe Italiens war. Sie dachten es sich wohl. Doch ohne klare Beweise war es eben nur eine Vermutung, auf der sie nicht viel aufbauen durften.

Der erste Gedanke, die Lauschvorrichtungen wieder loszuwerden erschien geboten. Doch dann fiel ihr ein, dass sie die Lauscher noch stärker treffen würde, wenn diese falsche Mitteilungen mithörten und davon ausgehend handelten, und zwar in Ladonnas Sinne. Vor allem war jetzt ganz wichtig, dass die Zwerge Italiens nicht mit denen in Deutschland und anderswo gegen die dortigen Ministerien vorgingen, solange ihr Projekt Unternehmen "Rosenfrieden" noch nicht vollendet war. Später konnte sie dann den Zwergen ihre Forderungen zukommen lassen, auf direkte Weise oder über die von denen angebrachten Lauschvorrichtungen. Außerdem musste sie die üblichen Türsicherungs- und Meldezauber überprüfen lassen. Dass sollte Imelda mit ihren ebenfalls im Schein der Feuerrose eingeschworenen Kollegen und Kolleginnen tun, ohne es laut auszusprechen, was sie überprüften.

Ladonna dirigierte alle wichtigen Untergebenen nacheinander ins Besenkontrollamt. Dort war keines der Mithörartefakte gefunden worden, so wie Ladonna Montefiori es sich erhofft hatte. So reichte ein zeitweiliger Klankerker, um nach außen unabhörbar zu sein. Dann übernahm die Rosenkönigin beinahe wie ein orientalischer Dibbuk Imeldas Gedanken und Stimme.

"Meine treuen und fleißigen Gefolgsleute, allen voran mein wackerer und lobenswerter Statthalter Pontio Barbanera: Ich, euer aller wahre Königin, spreche zu euch durch den Mund der Getreuen Imelda Palestrina, um euch kundzutun, dass vor wohl vier Wochen mindestens ein Spion aus dem Reich der Zwerge es angestellt und vollbracht hat, alle Melde- und Sicherungszauber zu unterbrechen und im Auftrag seines Herren und Königs Mithörvorrichtungen zu platzieren, die von üblichen Zauberstabzaubern schwer bis gar nicht auffindbar sind. Es wurden insgesamt sechzehn allgemein angebrachte und vier besonders wirksame Vorrichtungen gefunden. Einerseits solllten die drei für die Zwerge wichtigsten Gesamtabteilungen überwacht werden, zudem auch der Speisesaal für mittlere und höhrere Beamte, aber eben auch das Büro der Leiter für die Überwachung magischer Wesen, Sicherheit, internationale Zusammenarbeit und das Büro des Zaubereiministers als solches. Ja, jetzt könnt ihr alle sagen, dass die wichtigen Büros mit Dauerklankerkerzaubern versehen sind, die unerwünschte Lauscher nah und fern abhalten können. Doch genau daran haben die Fertiger dieser Vorrichtungen gedacht. Dauerklangkerker sind nur in Kraft, sobald ein Raum vollständig verschlossen ist. Wird eine Tür oder ein Fenster geöffnet, so wirkt der Zauber nicht. In dem Augenblick und bis zum Wiederverschließen der Türen oder Fenster, übermittelt der darin versteckte Mithörgegenstand alles bis dahin hörbare an seinen Benutzer. Das ist sehr schlau, zeigt mir aber auch, dass die Zwerge Angst vor uns haben müssen, wenn sie es wagen, derartige Mittel einzusetzen. Wir müssen auch davon ausgehen, dass sie vielleicht mitbekommen haben, dass wir ihre Lauschvorrichtungen aufgespürt haben und nun gewarnt sind. Dennoch ordne ich hiermit an, dass ihr alle euch in den kommenden Tagen ganz ruhig verhaltet und auch über die Zwerge redet und alles, was ihr bisher an geheimen Dingen besprochen habt, weiterhin besprecht, auch wenn es von unliebsamen Mithörern wahrgenommen werden kann. Wir kümmern uns demnächst darum, es den Zwergen wieder abzujagen. So verfüge ich, Ladonna Montefiori, die Königin aller magischen Menschen!" Sie ließ Imelda dann noch jene Codeworte aussprechen, die sicherstellten, dass man auch glaubte, dass Ladonna durch Imeldas Mund gesprochen hatte.

"Wir sollten das Höhlenreich der Zwerge ebenfalls mit Spürzaubern umgeben", sagte Barbanera. Ladonna sprach durch Imelda, dass Huorchino wohl das Ultimatum in Deutschland abwartete und bis dahin nichts von sich aus unternahm. Somit sei noch Zeit, Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Wichtig sei nun zu erkunden, wie genau der Spion oder die Spionengruppe sich den Zugang zu den Ministeriumsabteilungen verschafft habe, ohne beim Eindringen und Verschwinden erfasst zu werden. Der Minister fragte, ob er wirklich solange abwarten sollte, bis die Zwerge die von ihm als Geheim eingestuften Dinge weitergaben oder nicht. Da wechselte die Rosenkönigin die Gedankenbrücke und gab ihm direkt ein, dass er ja nur über die Kobolde und die Maßnahmen gegen die andauernden Handelsbeschränkungen von außerhalb gesprochen habe. "Wenn du jetzt das bei dir unter dem Tisch angebrachte Lauschgerät entfernen lässt wissen die Zwerge es spätestens dann, dass wir es gefunden haben. Dann werden sie was unternehmen, wovon wir erst einmal nichts mitbekommen werden. Also lass uns alle ihre Möglichkeiten einschätzen und die passenden Antworten darauf vorbereiten, mein treuer Statthalter!" Das sah Barbanera ein.

"Am besten trefft ihr euch zur Absprache von vorzutäuschenden Gesprächen erst einmal immer hier, wo es noch sicher ist. Imelda wird jeden Arbeitstag diesen Raum prüfen. Wenn hier auch was entdeckt wird dann war in der Nacht jemand hier und wir können nachvollziehen wann und wie wer unbefugtes hier eingedrungen ist. Das war es erst einmal von mir."

Ladonna beendete die Gedankenbrücke zu Imelda. Erst jetzt merkte sie, wie stark sie sich angestrengt hatte. Sie keuchte und schwitzte. Sie fühlte sich schwindelig. Ihr Kopf brummte dumpf. Sie erkannte, dass sie drauf und dran gewesen war, sich ohne es zu merken zu verausgaben. Womöglich wäre sie dann einfach bewusstlos geworden. Was dann bei einem plötzlichen Ausfall der Gedankenbrücke mit der Gegenstelle geschehen wäre wusste sie nicht. Sie wusste jetzt nur drei Dinge: Die Zwerge konnten sich in stark überwachte Zaubererhäuser einschleichen und dort auf den ersten Blick unentdeckbare Spionagegerätschaften anbringen. Sie musste sich darauf gefasst machen, dass Huorchino bereits etwas gegen das Ministerium plante und darauf reagieren. Ja, und sie merkte, dass sie kein unerschöpfliches Wesen war, das über Stunden eine direkte Gedankenverbindung zu anderen durchhielt, ohne sich auszulaugen. So würde sie wie sonst auch nur jetzt gewissenhafter die Zeiten für Gedankenbrücken auf ein notwendiges Mindestmaß beschränken. Sie wollte schließlich nicht an ihrer eigenen Kraft zerbrechen oder von einem Angreifer bedrängt werden, wenn sie sich gerade erst erholen musste.

Übermorgen ist der Tag der Entscheidungen, dachte die Rosenkönigin, während sie sich in ihrem ganz allein ihr zustehenden Zimmer auf eine heraufbeschworene Matratze legte und sich entspannte. In zwei Tagen würde sie wissen, ob ihr großer Plan erfolgreich war oder vor lauter Lücken und Fehlschlägen in Stücke ging. Es gab noch zu viele Unsicherheiten und Gefahren, vor allem dann, wenn diese Hexe mit dem Feuerschwert Wind davon bekam oder diese Veelastämmige de Casillas den spanischen Zaubereiminister im letzten Augenblick doch noch unter ihren Einfluss zwang, ja womöglich einen der verbotenen Veelasegen über ihn aussprach, weil sie es doch ach so gut mit ihm meinte. Ja, und jetzt noch die langohrigen Zwerge, die unbedingt wissen wollten, was so alles im Zaubereiministerium besprochen wurde. Aber denen würde sie bald die langen Ohren stutzen, zusammen mit ihren nicht minder langen Bärten. Womöglich würde es schon reichen, wenn ihr neuer Vorbrüller Malin VII. eine schmerzhafte Lektion bekam und sich nicht mehr als großer König unter kleinen Hügeln aufspielte. Übermorgen, spätestens überübermorgen würde sie es wissen, wo sie selbst stand und ob sie wirklich die wahre Königin aller Hexen und Zauberer war oder sich dies immer nur eingebildet hatte. Nein, sie war es. Sollte ihr Plan misslingen, so hatte sie immer noch die Mittel, die feindseligen Minister gegen ihr gewogene Hexen und Zauberer auszutauschen, nicht so lautlos und sauber, aber erfolgreich.

Am Abend erfuhr sie noch, dass ihr anderer Plan geklappt hatte. Tja, was blieb diesen selbstherrlichen, über Jahre hinweg vom eigenen Erfolg besoffenen und nun schlagartig ernüchterten übrig? Am besten wurden die selbst wieder zu unschuldigen, hilflosen Säuglingen und hofften darauf, von fürsorglichen Ammen neu großgezogen zu werden. Mit dieser gewissen Genugtuung und der Vorfreude auf ihren nächsten großen Erfolg legte sie sich zu ihrem Lehnsmann Luigi. Der dachte, sie wäre für ihn empfänglich. Doch sie sang ihn in Schlaf. Sie wollte erst wieder körperliche Liebe erleben, wenn sie einen wirklichen Grund zu feiern hatte.

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15.03.2006

Auf der Bodenseeinsel Dreiland trafen drei Gruppen auf fliegenden Besen ein. Sie alle wollten hier und heute, am 15. März um 22:20 Uhr zusammenkommen, um die Vorfälle seit dem Jahreswechsel beraten und eine gemeinsame Lösung dagegen erarbeiten.

Da war Leopold Rosshufler mit seinen wichtigsten Untergebenen und drei Protokollantinnen. Der Österreichische Zaubereiminister wollte endlich Klarheit bekommen, ob die ganzen Vorkommnisse der letzten Wochen nicht hätten unterbunden werden können.

Urs Rheinquell aus der Schweiz reiste mit ebenfalls zehn Untergebenen an. Er wollte endlich wissen, ob er für die angerichteten Schäden in Basel und anderswo die geforderten Schäden ersetzt bekommen würde.

Von der deutschen Seite her flogen Heinrich Güldenberg, Andronicus Wetterspitz, Giesbert Heller und neun weitere hochrangige Hexen und Zauberer herbei. Der deutsche Zaubereiminister wollte hier und heute klarstellen, dass er Malin VII. nur aufhalten konnte, wenn dieser keinen Rückhalt aus den anderen deutschsprachigen Ländern erhielt.

Zwar hatten sowohl Rosshufler als auch Rheinquell in Liechtenstein angefragt, ob die aus ihrem kleinen Zaubereiministerium wen schicken wollten. Doch niemand sah die Notwendigkeit.

Die drei Abordnungen höchstrangiger Vertreter deutschsprachiger Hexen und Zauberer näherten sich dem sechseckigen Verhandlungshauses mit dem gewölbten Dach. Die unsichtbare Einflugsperre flimmerte blau und silbern. Dann erlosch sie. so konnten die dreiunddreißig Besen mühelos mit ihren Lenkerinnen und Lenkern vor dem Haus landen.

"Ich dachte, Sie hätten Herrn Weizengold mitgebracht", wunderte sich einer der Schweizer über Güldenbergs Delegation. Heinrich Güldenberg sagte, dass Armin Weizengold und sein Personal gerade unterwegs seien, da die Gefahr durch die Zwerge bestand, sämtliche Stromerzeugungsanlagen der nichtmagischen Welt unbrauchbar zu machen. Daher wolle er selbst alle für dessen Einsatzgebiet nötigen Beschlüsse finden.

Nach der pflichtgemäß freundlichen Begrüßung setzten sich die drei Abordnungen in den großen Besprechungssaal, der direkt unter dem Dach lag und einen Rundumblick über die Insel Dreiland und den Bodensee bot. Jeder Zaubereiminister rief nach einer seiner Hauselfen, um Getränke und Knabberzeug aufzufahren. "Keine Sorge, Leute, unsere Giftprüfer haben das alles vorher auf mögliche Gemeinheiten geprüft", sagte Leopold Rosshufler zu seinen Leuten. Da sie noch keine Übereinkunft getroffen hatten würden sie die große Flasche französischen Schaumwein erst nach der Besprechung köpfen.

Gemäß der in mehreren Eulenbriefen ausgehandelten Tagesordnung durften die Minister dem Dienstalter nach ihre Anliegen vorbringen. War die Runde um durften deren Fachleute für magische Sicherheit darlegen, wie sie die Lage empfanden, danach jene für Zauberwesen zuständigen. Das alleine mochte schon eine Stunde Zeit kosten.

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Es fehlten noch zwei Stunden bis Mitternacht, als auf dem Turm der drei Nordreiche drei Lichter aufflammten und den jeweils anfliegenden Gruppen den Weg wiesen. Wegen der nicht durch magische Rauminhaltsvergrößerung möglichen Platzerweiterung sollten nur je vier Unterhändler hier eintreffen, der jeweilige Minister eines skandinavischen Landes, sein Stellvertreter oder seine Stellvertreterin, der oberste Sicherheitsexperte und der Fachkundigste für der Dunkelheit verbundene Zauberwesen. Warum im Turm kein Rauminhaltsvergrößerungszauber gewirkt werden konnte lag daran, dass der Turm aus Mittsommerstein gebaut war, dem durch ständige Sonnenbestrahlung und Berunung gegen Feuer und Verwitterung sicherem, durch Härtungszauber mit Hilfe von Trollblut mehr als diamant hartem Baumaterial, dass aber eben danach gegen alle Formen der Raumveränderungszauber Widerstand bot. Dafür war der Turm der drei Nordreiche gegen jeden feindlichen Angriff geschützt. Nicht einmal ein Heer schwedischer Kurzschnäuzler, jener Drachen mit dem heißesten Feueratem der Welt, konnten diesen Turm einäschern, noch eine Legion Bergtrolle ihn mit ihren Steinkeulen und ihrer ganzen Masse niederwalzen. Das gleiche galt auch für Berg- und Eisriesen, die hier vor tausend Jahren noch ihr Unwesen getrieben hatten und die Vorlage für die alten Sagen aus dem Norden bildeten.

Norwegens Zaubereiminister Lasse Sigurson war es nicht mehr gewohnt, auf einem Besen zu reiten. Er bevorzugte die Reise in geflügelten Kutschen, die von Asgardschwänen gezogen wurden. Doch weil sie alle nicht wussten, wie lange sie im Turm der drei Nordreiche zubringen würden und weil Zug- oder Reittiere einen geeigneten Aufenthaltsraum brauchten hatten alle vier Abordnungen darauf verzichtet, mit ihren Prunkgefährten und majestätischen Zugtieren davor herzukommen.

Der dänische Zaubereiminister Arne Hendricksen hatte seine Stellvertreterin Inga Brödersen mitgebracht sowie Arnulf Nielsen, den in ganz Nordeuropa berühmten Trolljäger, der aber auch über Nachtschatten sehr gut bescheid wusste.

Aus Schweden war Sören Österlund mit seinen drei wichtigsten Leuten angekommen. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er nicht dem nordischen Erscheinungsbild mit blonden Haaren und blauen Augen entsprach, sondern einen pechschwarzen Lockenschopf auf dem Kopf trug und mit wolkengrauen Augen durch zwei silberumrandete Brillengläser blickte.

Am auffälligsten war die isländische Abordnung. Nicht nur dass sie die mit Abstand längsten Besen flogen, die Sigurson jemals gesehen hatte, sondern auch, dass sie in sehr leichter Kleidung unterwegs waren, als wäre der Flugwind eine angenehme Sommerbrise. Der Zaubereiminister der Vulkaninsel im Nordatlantik überragte seine drei Begleiter um mindestens einen Kopf, hatte hellblondes Haar. Im weißen Wegweiserlicht glänzten seine Augen hellgrün wie kleine Äpfel vor der Reife und blickten sehr konzentriert umher. Alle anderen Zaubereiminister wussten, dass Björn Baldursson früher ein erfolgreicher Drachenjäger gewesen war, bis er doch mal mit zwei brütenden Bergdrachen aneinandergeriet und die ihm das halbe Gesicht verbrannt hatten. Dabei hatte er sein Augenlicht verloren. Wegen der Zerstörungskraft von Drachenfeuer konnten seine Augen nicht mehr neu wachsen. So hatte er in seiner Ursprungsaugenfarbe gehaltene Kunstaugen erhalten, die sich frei drehen konnten und eine enorme Sichterweiterung besaßen. Sigurson hatte gehofft, dass er einmal neben seinem isländischen Kollegen in der Ehrenloge einer Quidditchweltmeisterschaft sitzen durfte. Aber die Mannschaften Norwegens und Islands hatten es nie zu einer gemeinsamen Partie geschafft.

Wie es die seit mehr als tausend Jahre alte Sitte vorsah begrüßte der dienstälteste Zaubereiminister die anderen zuerst. Sie sprachen die Grußformeln in der altnordischen Mundart, wie sie auch schon die Wikinger benutzt hatten. Dann priesen sie noch die alten Götter, an die nur die nordischen Hexen und Zauberer noch glaubten, wenn sie sie auch nicht mehr so verehrten wie vor der Christianisierung. So sangen sie alle zusammen eine Lobpreisung des Allvaters Odin, der durch sein neuntägiges Opfer an den Weltenbaum das Wissen um die Magie erlangt und durch sein selbstloses Opfer eines Auges die Weisheit der Welt erfahren hatte. Dann durften sie endlich in den Turm eintreten und sich im dreieckigen Besprechungssaal zusammensetzen. Es galt, ein gemeinsames Thing vorzubereiten, eine Zusammenkunft aller freien Zauberer der Nordreiche an einem durch Loswurf zu bestimmenden Ort.

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Die nichtmagische Beleuchtung Moskaus war aus dieser Ferne wie ein glimmendes Stück Kohle. Mehrere Abordnungen fliegender Besen mit Gepäck landeten. Da der russische Zaubereiminister Arcadi zu diesem Treffen eingeladen hatte war von seinen Leuten ein großes Zelt aufgebaut worden, wie es die alten Nomadenvölker in Sibirien benutzten. Der Innenraum des Zeltes war so bezaubert, dass er eine Nachbildung des weltberühmten Winterpalastes von St. Petersburg mit allem Prunk und Pomp der gewaltsam beendeten Zarenzeit enthielt. Manchmal bedauerte Maximilian Arcadi die neue Zeit, immer wieder mit neuen Staatsoberhäuptern, die von einer Clique Besserwissern oder gar dem einfachen Volk gewählt werden durfte. Sein Vorvorgänger war noch von Zar Nikolaus II. persönlich in das Amt des höchsten Zauberrates Russlands berufen worden. Er, Arcadi, war wegen der Verabscheuung der nichtmagischen Revolutionsregierung von den zwanzig wichtigsten Zauberern und Hexen Russlands gewählt worden und musste nur alle zehn Jahre die Vertrauensfrage stellen. Gewann er diese, blieb er Minister. Verlor er, verlor er auch das Anrecht, weiterhin im Zaubereiministerium zu arbeiten, weil die Abwahl ja quasi eine Verabschiedung in den Ruhestand war. Bisher hatte Arcadi das noch vermeiden können, trotz seines Fehltrittes, der ihm ein zehnjähriges Auslandsreiseverbot eingebrockt hatte. Doch der Rat der hohen zwanzig hatte ihm den Rücken gestärkt, dass er mit Veelastämmigen nur so umgehen konnte, wie er es getan hatte. Nach der Sache mit Ladonnas magischer Duftkerze und dem großen Erdmagiebeben hatte er auch die letzte aus dem Westen aufgezwungene Belastung abwerfen können, das Goldhandels- und -verwahrungsmonopol der keltischen Kobolde. Ja, er würde sicher noch fünfzig Jahre Zaubereiminister bleiben, wenn er sich keinen groben Fehler mehr erlaubte. Allein schon, dass er bewies, dass er in den slawischen Zauberergemeinden immer noch Gewicht hatte reichte den hohen zwanzig, ihn nicht vorzeitig in den Ruhestand zu schicken.

Arcadi sah den bulgarischen Zaubereiminister, der trotz des ernsten Anlasses grinste, wohl weil beim letzten Länderspiel Bulgarien Russland mit 700 zu 200 Punkten vom Platz gefegt hatte und Victor Krum mal wieder der Held der Bulgaren war.

Polens Zaubereiminister wirkte dagegen eingeschüchtert, wohl auch, weil er es gewagt hatte, ein Gleichstellungsrecht für menschenförmige Zauberwesen vorzuschlagen und in seinem Land auch noch echt durchzusetzen. Dass Arcadi und ein Großteil russischer Zauberer das ablehnte wusste der Kollege aus Polen. Tja, und dass der sich mit einer bekennenden Katholikin, einer Nichtmagiertochter, vermählt hatte, nur weil die sein Kind im Bauch gehabt hatte, kam bei den alten Patriarchen aus dem Osten auch nicht so heldenhaft an.

Der Zaubereiminister der südslawischen Zaubererkonföderation, ehmals Jugoslawien, sah so aus, als habe man ihn gerade von einer Bären- oder Wolfsjagd weggerufen. Der Bursche legte keinen Wert auf pflegliches Aussehen. Er war der Zaubereiminister, jeder in seinem Land wusste das. Fertig.

Etwas trotzig sah der ukrainische Zaubereiminister den russischen Kollegen an. Dem war es nämlich gelungen, die Auswanderungswelle von vor mehreren Jahren wieder umzukehren. Vor allem jene, die nicht so gut mit den Altgedienten aus Durmstrang konnten, besannen sich der Vorfahren und waren in deren Heimat zurückgekehrt. Auch darüber konnten sie hier gerne sprechen, ob der Kollege Malkow da nicht mit zu viel Gold und Vorrechten gewunken hatte wie ein Straßenhändler mit seiner Billigware.

Alle hatten wie per Eulenpost ausgehandelt ihre Fachleute für magische Wesen, magische Sicherheit und Personenverkehr dabei. Denn es galt, die Reisewege für ausländische Zauberwesen und suspekte Hexen und Zauberer zu regulieren. Da würde Arcadi auch noch einmal einhaken, was die bulgarischen und russischen Veelas und ihre Mischlingskinder anging, vor allem hatte er seit der Frechheit von Ladonna Montefiori einen noch größeren Widerwillen gegen diese auf ihre angeborene Schönheit und Betörungskraft versessenen Geschöpfe entwickelt. Denn er wollte nicht mehr schwach und hinfällig sein, sobald so ein Geschöpf in Sicht kam. Auch dachte er daran, dass ihn fast einer seiner schlimmsten Feinde gefangengenommen und durch einen von diesem gesteuerten Doppelgänger ersetzt hatte und nur das Eingreifen einer dubiosen Hexe aus dem Westen das verhindert hatte. All das waren Sachen, die ihm missfielen und ihn dazu trieben, so stark und unnachsichtig wie möglich aufzutreten. Ja, er hatte gerufen, und sie waren gekommen, außer den Ministern aus Ungarn und Rumänien, die der Meinung waren, dass sie eigene Kulturvölker mit eigenen Sprachen darstellten und sowieso nie zum russischen Großreich gehört hatten.

"Ich begrüße euch, meine Brüder", sprach Arcadi seine Gäste an. Die zwei Hexen, die in der polnischen und seiner eigenen Abordnung saßen tat er mit dieser Begrüßung gleich mit ab. Dann legte er allen die Tagesordnung vor und warum sie bei Nacht miteinander sprechen sollten. "Wir dürfen uns niemals offiziell treffen, wenn nicht eine besondere Schutzbezauberung um uns alle liegt, wie sie es in Millemerveilles, Frankreich haben. Weil ja einige von euch mit anderen immer noch in einer ruhenden Blutfehde liegen konnten wir auch nicht in den Sommerpalast von Igor Dimitrijewitsch Botkin gehen, weil der Sanctuafugium-Zauber jede innere Feindseligkeit einem anderen dort weilenden gegenüber unterdrückt. Ich möchte bei allen diplomatischen Gepflogenheiten, die mein Amt erfordert meinen Unmut darüber kundtun, dass durch das Fernbleiben der Kollegen Carloz und Romanescu bereits jetzt der Eindruck der Geschlossenheit verblasst ist, auch wenn wir hier gerade unter uns sind und unsere neugierigen Zeitungsknechte erst dann von diesem Treffen erfahren werden, wenn wir alle, die wir hier sitzen, eine für alle hier tragfähige Übereinkunft erwirkt haben. Andererseits freut es mich auch, dass ihr alle es einrichten konntet, herzukommen. Beginnen wir unser nächtliches Zusammentreffen mit einem Begrüßungstrunk!" Als habe er eine Zauberformel ausgesprochen erschien aus dem Nichts heraus eine große Flasche Wodka. Gleichzeitig verstofflichten sich leise ploppend so viele Gläser, wie Minister und Abgesandte am großen Tisch saßen.

Arcadi hob sein Glas und trank allen Anwesenden zu. Die Unterredung konnte beginnen.

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Rodrigo Pataleón ärgerte sich ein wenig. Seine Frau hatte darauf bestanden, zu erfahren, wo er hinreiste. Sie hatte sich nicht damit abgefunden, dass er zu einer geheimen Besprechung musste. Konnte es sein, dass ihr jemand den Wichtel auf die Schulter gesetzt hatte, dass er sich mit einem ausländischen Kollegen traf und das ja sooo gefährlich war? Dabei wäre es gefährlich geworden, wenn er das Treffen mit mehr als den fünf Leuten besprochen hätte, die er auf seiner Reise mitnahm. Es waren alles die Leiter der fünf wichtigsten Abteilungen. Das mit Portugal sollte auf der höchsten Ebene geklärt werden, vor allem, wenn bei denen und in seinem eigenen Haus noch irgendwelche Zuträger der römischen Wölfe herumschnüffelten. Denen musste er beikommen, möglichst bald.

Wie es Sitte bei bilateralen Treffen zwischen Spanien und Portugal war fuhren die beiden Abordnungen mit Booten über den Miño. Der Minister hatte seine Abordnung auf zwei Boote verteilt und sich auf Anraten seiner beiden Leibwächter so gesetzt, dass er zwischen den anderen nicht klar anzuzielen war. Er war sich sicher, dass die fünf Abteilungsleiter nur die ausgewählt hatten, denen sie vorbehaltlos vertrauten und deshalb auch keinem und vor allem keiner verraten hatten, wo es hinging. Er hoffte, dass auch die Abordnung aus Portugal keine Verräter in den eigenen Reihen hatte. Dieses Treffen durfte nicht scheitern. Es abzusagen wäre einem Schwächeeingeständnis und einer Bankrotterklärung seines Amtes gleichgekommen.

Achtung, wir landen am Nordsteg eins", flüsterte der Bootslenker, der eigentlich der oberste Gesetzeshüter der spanischen Zaubererwelt war.

Die zwei großen, von Vortriebszaubern bewegten Boote stießen leise gegen die Anlegestege. Sofort flogen vier Haltetaue pro Boot an Bug und Heck heraus und wickelten sich wie lebende Schlangen um die Poller. Sie legten sich in ordentliche Seemannsknoten. Erst sprangen die mitgenommenen Leibwächter an land und prüften mit Suchzaubern die Umgebung. Dann durften die ranghohen Ministeriumszauberer aussteigen. Pataleón hatte bewusst kein weibliches Mitglied aus seinem Stab mitgenommen. Das missfiel ihm zwar, jemanden wegen des eigenen Geschlechts zu misstrauen, war ihm aber von seinem sicherheitsüberwacher geraten worden, auch und vor allem, um mögliche Spioninnen der italienischen Dunkelhexe fernzuhalten.

Sie waren gerade an Land, als sie die andere Abordnung heranfahren sahen. Die Boote glitten ohne starke Beleuchtung auf die Insel zu, nur von den mit Nachtsichtzaubern unterstützten Lenkern geleitet.

"Ah, da sind sie ja", sagte Pataleón.

"Dann bin ich mal sehr gespannt, wie gut Sie noch klassisches Latein können, Señor Ministre", feixte der Leiter der Abteilung für magische Wesen. "Das werden Sie gleich erleben, Señor Ramirez", erwiderte Pataleón.

Die beiden iberischen Abordnungen begrüßten sich höflich und in gut gepflegtem Latein. Zwar waren die Landesakzente noch zu hören, doch keiner gab der Versuchung nach, in der eigenen Muttersprache zu sprechen. Die Minister stellten ihre Delegationsmitglieder vor. Sie begrüßten einander durch Handschlag. Dann betraten sie das Haus der Unterhandlung. Ein großes Stundenglas wurde aus einer Kiste geholt, auf seine Gangbarkeit geprüft und dann mit den Worten "Hoc est hora inprima" aufgestellt. Wenn es durchgelaufen war würde es einen Glockenton von sich geben und sich dabei von alleine umdrehen. Die Protokollführer sollten nach Möglichkeit die Redebeiträge mit der Uhrzeit und der Anzahl der Stundenglaswenden notieren. So begann die Unterredung, die wie Pataleón und Montebranco hofften, in die Geschichtsbücher ihrer Länder eingehen würden. Einer aus der portugiesischen Delegation dachte das wohl auch, aber in einem ganz anderen Zusammenhang.

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Pataleons Ehefrau hatte es versucht, ihren mann zu bitten, ihr wenigstens zu sagen, mit wem er sich traf. Doch er hatte es zurückgewiesen und sie daran erinnert, dass er auch vor ihr Geheimnisse haben musste, so sein Amtseid. Sie wisse das und habe es bisher immer respektiert. Vielleicht hatte sie sich auch von ihrem Bruder Fernando einen Wichtel auf die Schulter setzen lassen, dass Rodrigo womöglich wieder zu einer dieser galizischen Waldfrauen hinging. Zwar hatte er ihr damals nach der Quidditchweltmeisterschaft in Frankreich beteuert, dass er die von denen aufgeladene Schuld bezahlt hatte. Doch was war mit den Schuldzinsen? Am Ende wollte noch eine von denen was von ihm. Aber wieso war sie wieder so ängstlich, ja eifersüchtig? Immerhin hatten sie ihre Eheringe bezaubern lassen, dass sie beide die stärksten Gefühle des jeweils anderen mitbekamen. Wenn einer den Ring abzog erkaltete dessen Gegenstück am Finger des Partners. Das würde auch passieren, wenn einer der beiden unerwartet starb. Sie würde es also mitbekommen, dass ihr Mann eine andere liebte, entweder dadurch, dass er den Ring vorher abstreifte oder es darauf anlegte, dass seine Wollust bei ihr ankam.

Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, und sie konnte und wollte nicht einschlafen. Ihr Mann hatte zwar gesagt, dass er mindestens die Nacht fortbleiben würde, doch sie wollte wach sein, falls was passierte. Sie hatte keinen Betrug oder aufkommende Schuldgefühle bei ihm verspürt. Doch er war in einer inneren Anspannung, als wisse er nicht, ob er zu einem gewinnträchtigen Geschäftsabschluss oder einem Duell auf Leben und Tod reisen müsse. Das hatte sie ja bestärkt, ihn erneut zu fragen. Jetzt war er wohl da, wo er sich treffen wollte. Was, wenn die andere Seite von ihm verlangte, jeden Gegenstand abzulegen, über den jemand mit ihm Verbindung halten mochte? Dann würde sie nicht mehr fühlen, was ihm widerfuhr.

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Die Wodkaflasche füllte von selbst die Gläser nach, während die osteuropäischen Zaubereiministeriumsabordnungen über die bisher errungenen Gemeinsamkeiten sprachen, aber sich auch schon die ersten Meinungsverschiedenheiten andeuteten. Der polnische Zaubereiminister taute immer mehr auf, gewann zunehmend an Selbstsicherheit. Arcadi kannte das von dem, dass der nach vier Gläsern Wodka ein anderer Mensch wurde, fast wie in der Gruselgeschichte um Doktor Jeckyll und Mr. Hyde. Nur würde er ihm rechtzeitig klarmachen, wer der stärkere war.

Gerade besprachen sie die Versuche der keltischen Kobolde, über die Ostseestaaten und das schwarze Meer wieder nach Russland vorzudringen, als die Wodkaflasche urplötzlich verschwand und einem anderen Gegenstand platzmachte. Zugleich flimmerten die Zeltwände.

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Björn Baldursson fand heraus, dass er mit seinen magischen Kunstaugen nicht so leicht durch die Wände des Turmes blicken konnte wie bei anderen Bauwerken. Da konnte er selbst durch meterdickes Mauerwerk sehen wie durch klare Luft. Die hier wortwörtlich in Stein gemeißelte magie war so dicht, dass sie wie sechs unter Tarnumhängen stehende Zauberer hintereinander aufwog. So nutzte er sein besonderes Sehvermögen, um die Einrichtung zu durchblicken. Er rechnete nicht mit einem hinterhältig versteckten Etwas. Doch wo er schon mal hier war konnte er ja nachsehen, was im Turm alles enthalten war. Dabei schaffte er es trotz der Konzentration auf seine Sehfähigkeit, das Gespräch zwischen Hendricksen und Österlund mitzuverfolgen. Es ging gerade darum, wie Nachtschatten am Grenzübertritt gehindert werden konnten oder dass sie dort, wo sie direkt aus leerer Luft auftauchten von gesammeltem Sonnenlicht getroffen und zerstört wurden. Baldursson hatte auf Island noch keinen dieser Nachtschatten gesehen. Das lag auch daran, dass die dortigen Zauberwesen diese Art von Geisterwesen erspüren konnten und sie mit ihrer eigenen Elementarmagie fangen oder vernichten konnten. Aber mit von dunklen Hexen und Zauberern aus den Gräbern gerufenen Wiedergängern hatte er schon mal zu tun gehabt. Ja, und die kleine aber nicht zu unterschätzende Gruppe der Finsterzwerge war ihm auch bekannt.

Er betrachtete eine Kommode. Die enthielt drei massive Kerzenleuchter wie den einen, der auf dem Tisch stand. Doch wieso liefen über eine der verstauten Kerzen rote Schlieren? Warum sah die Kerze so aus, als würde sie von flimmernder Luft umgeben? Er verstärkte seinen Blick für magische Ausstrahlungen und erkannte, dass irgendwas in der Kerze pulsierte wie ein kleines Herz. Das Etwas wuchs bei jedem Pulsschlag ein wenig an. Er meinte, einen senkrechten Stab aus Funken zu erkennen. Das Etwas wurde größer und größer. Da erkannte er, dass jemand ihnen allen eine Falle gestellt hatte. Er rief: "Alle raus hier! Kerze in Kommode zeigt bedrohliche Ausstrahlung!"

Stille trat ein. Alle sahen Baldursson an, der bereits aufsprang, um zur Tür ins Treppenhaus zu laufen. Denn hier herausdisapparieren ging nicht, sobald die Zugangstür unten von innen verriegelt wurde.

Er wollte gerade an die Türklinke fassen, da sah er, dass über der Tür ein Flimmern lag und die Klinke sehr hektisch leuchtete. Er zog seine Hand zurück. Wer zu Hels tiefstem Abgrund hatte die Tür mit einem dunklen Prellzauber belegt?

"Verdammt, das ist eine Falle!" rief Hendricksen aus. Baldursson ließ das rechte Auge nach hinten kreisen und sah durch seinen Kopf hindurch zum Tisch und der Kommode. Die befremdliche Kerze war aus der Kommode verschwunden und auf dem Tisch gelandet, wo sie unter violetter Rauchentwicklung rot aufflammte. Baldursson wusste zu gut, was das hieß. Sie waren an die dunkle Mischblüterin verraten worden. "Kopfblasenzauber!" rief er noch aus. Die anderen starrten noch auf die gegen die violett qualmende Kerze ausgetauschte Kerze. Sigurson reagierte noch am ehesten. Er umgab seinen Kopf erst mit der Frischluftblase und dann noch mit dem Echodomus-Zauber. Da dehnte sich der violette Rauch wie von einer Sturmböe getrieben in alle Richtungen aus. Die rote Kerzenflamme schnellte zu einer mehr als armlangen Flammensäule empor und verformte sich zu einem an und für sich schönen Endergebnis, einer aus rotem Feuer bestehenden, langstieligen Rose.

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Rheinquell wollte gerade Giesbert Heller anfahren, dass er ja wegen seiner Abstammung mit den Kobolden gemeinsame Sache machte, als die Flasche mit dem Begrüßungstrunk verschwand und einem ihm leider schon beschriebenen Gegenstand Platz machte. Über dem Tisch schwebte genau im Mittelpunkt des Raumes eine Kerze, aus deren Docht eine rote Flamme züngelte. Gleichzeitig verströmte sie violetten Rauch. Alle hier wussten, was das zu bedeuten hatte.

"Schnell, Notausgang Sturmwelle!" rief Güldenberg. Auch Rosshufler und Rheinquell riefen dieses Kennwort, um wie in ihren Ministerien für dreißig Sekunden frei apparieren zu können. Die Luft flimmerte kurz. Alle sprangen auf und warfen sich herum. Doch als wenn jemand sie in eine dicke Decke einwickelte kamen sie nicht vom Fleck. Der Notausgang war nicht geöffnet worden.

Andronicus Wetterspitz machte eine Zauberstabbewegung gegen die verhängnisvolle Kerze und rief "Confringo!" Die Kerze flog von einem Blitz getroffen davon, prallte fast an die decke und stürzte bis auf die Hälfte des Raumes hinunter. Dann fand sie in ihre ursprüngliche Ausrichtung zurück. Der Sprengzauber hatte sie nicht vernichtet!

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Carmen Estrella schrak auf, als sie die plötzliche Angst ihres Mannes spürte. Ihr Ehering wärmte sich auf. Etwas wirkte auf ihren Mann ein, wie vor einigen Tagen, wo er von Espinela Flavia Bocafuego de Casillas besucht worden war. Ja, es musste eine ähnliche Kraft sein. Dann hörte sie noch ihren Mann in Gedanken rufen: "Menchu, verschwinde, bevor es mich erwischt. Ladonnas Feuerrose! Verrat! Ladonnas ...!" Dann hörte sie seine Gedankenstimme immer schwächer werden. Gleichzeitig erhitzte sich der Ring an ihrer linken Hand immer mehr. Wenn das so weiterging würde der ihr die Haut vom Finger brennen. Sie fühlte, wie ihr Mann immer panischer wurde und dann, mit einem mal, ganz hingebungsvoll wurde, als müsse er einer sehr schönen Musik lauschen oder einen besonders angenehmen Duft einatmen. Duft? Sie erschrak. Ja, er hatte sie gewarnt, dass Ladonnas tückischer Feuerrosenzauber auf ihn einwirkte. Hatte er sich etwa mit diesem Weibsbild oder einem ihrer Handlanger getroffen?

Sie versuchte, die linke Hand bis zu ihrer Stirn zu führen. Doch der angesteckte Ehering wurde noch heißer und zugleich schwerer und schwerer. Er begann in einem Takt zu pochen, der schneller war als ihr Herz schlug. Durch die Wellen ihrer eigenen aufkommenden Angst fühlte sie, dass ihr Mann immer hingebungsvoller wurde. Im gleichen Maß erhitzte sich ihr Ehering. Er bekam von seinem Zwillingsbruder die Bestätigung, dass dessen Träger um seinen freien Willen gebracht wurde. Die Hingabe, die er gerade fühlte war von außen aufgezwungen.

Als sie es mit viel Mühe schaffte, die linke Hand zur Stirn zu führen, war es ihr, als steche eine lange glühende Nadel durch ihre Kopfhaut, durch ihren Schädel bis in ihr Gehirn hinein. Sie sah nur noch einen violetten Blitz. Dann verlor sie das Bewusstsein. Dies bewahrte sie vor den letzten Schmerzen ihres Lebens. Denn gerade in dem Augenblick zerbarst der glühende Ehering wie ein Kanonenschlag.

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Erst hatte er sich dagegen aufgelehnt. Sein Ehering wurde immer heißer. Gerade so hatte er seiner Frau noch eine Warnung zugerufen. Dann war ihm der Ring so heiß und schwer geworden, dass er ihn nicht mehr an der Stirn halten konnte. Dann hatte ihn die volle Macht des im violetten Rauch wirkenden Zaubers getroffen. Er sank nach hinten und gab sich der wohligen, vollkommen beruhigenden Stimmung hin, während sein Ehering immer heißer wurde, bis er mit einem lauten Klirren in hundert Stücke ging. Das dabei seine Hand verletzt wurde merkte er nur am Rande. Der Rauch der Feuerrosenkerze überlagerte jeden anderen Eindruck, selbst den größten Schmerz.

Er hörte jetzt die betörende Stimme aus der roten Flamme sprechen: "Sei mir verbunden, jetzt und in allen Stunden!" Die Stimme sprach Latein mit italienischer Färbung und war wunderschön. Ja, sie war das. Sie hatte ihn gefunden. Er war glücklich.

"Seid mir verbunden, der Königin aller Hexen", sprach die bezaubernde Zauberstimme weiter auf ihn und alle ein, die den Duft der Feuerrose atmeten, ja förmlich in sich hineinsogen wie klares, belebendes Wasser oder die erste Muttermilch nach der Geburt. Ja, er fühlte sich geborgen. Sie hatte ihn auserwählt. Er hörte die weiteren Worte, dass er ihr bis in den Tod gehorsam sein solle und niemals gegen sie und die von ihr erwählten kämpfen dürfe. Er hörte, dass sie ihn und alle anderen Erwählten in eine Zeit des ewigen Friedens führen würde. Er sollte dankbar sein, dass sie ihn in ihr Königreich aufnahm. Ja, er war ihr dankbar dafür. Er war nicht mehr der Herr seiner Sinne. Sein Wille verdampfte im gleichen Maße, wie der violette Zauberqualm seine Nase ausfüllte. Die aus der lodernden Rosenblüte dringende Stimme tat ihr übriges, ihn endgültig von allem zu befreien, was er sich selbst an Ballast aufgeladen hatte. Er dachte nicht an Mencu, sondern nur an die einzig wahre Königin aller Hexen und auch Zauberer.

So wie ihm erging es auch allen anderen. Doch die waren für ihn genausowenig existent wie er für die anderen. Jeder hier erlag und genoss, roch und trank den Duft der Feuerrose und gab sich der jeden Gedanken überlagernden Stimme der neuen Herrin hin. Solange die Kerze brannte, solange der violette Rauch ihr entströmte, solange wiederholte die Stimme die Bekräftigungen, ihre Auserwählten in eine Zeit ewigen Friedens zu führen und ihre Forderungen, ihr allein bis in den Tod treu zu sein. Die iberische Zaubererwelt war vereint, vereint im Zeichen der Feuerrose.

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Er hatte es eigentlich für eine gute Idee gehalten. Doch als er mitbekam, dass alle roten Echodomus-Schutzzauber wie im Takt eines unsichtbaren Orchesters zusammengestaucht und dann in Funken zerschlagen wurden und wie die blauen Kopfblasen erst violett anliefen und dann mit lautem Plopp zerplatzten wie übermäßig aufgeblasene Luftballons wusste Björn Baldursson, dass er gleich seine Seele an diese Ausgeburt der Dunkelheit, schlauer und mächtiger als der Gott Loki selbst, verlieren würde. Die letzten freien Gedanken, die er dachte, bevor der violette Rauch seine volle Wirkung tat war, dass Ladonna Montefiori vielleicht Loki war. Denn dieser Schurke konnte jede Gestalt annehmen, auch die schöner Frauen und rassiger Stuten. Dann erfasste ihn die Stimmung, sich dem allem hinzugeben, was von dieser Kerze ausging, die da in der Luft schwebte. Aus der zur langstieligen Rose gewordenen Flamme klang die überirdisch schöne Stimme einer Frau, die auf Englisch mit leichtem italienischen Akzent forderte, dass wer sie hörte nur noch ihr ergeben sein sollte, jetzt und in allen Stunden, bis in den eigenen Tod hinein. Er schwor es ihr in Gedanken und gab sich dieser überragenden Stimme hin, während er wie alle anderen hier den violetten Rauch in sich aufsog. Er würde ihr dienen, seinen Körper, seinen Geist und die zwei künstlichen Augen für sie einsetzen. Was immer sie wollte würde er tun, auch in einen brodelnden Krater oder einen glühenden Lavastrom hineinspringen, wenn er ihr damit einen großen Dienst erweisen konnte. Ebenso würde er jeden töten, auf den sie zeigte und es ihm befahl, wie ein von dunkler Macht erweckter Wiedergänger. Nein, er war kein Wiedergänger. Er war ein mächtiger Zauberer, dazu erwählt im Auftrag einer mächtigen Herrin die Welt zu erobern. Natürlich musste er dafür erst einmal ihre Macht auf seine Heimatinsel bringen und all die zusammentrommeln, die sie für wichtig und würdig hielt, in ihrem Gefolge mitzuwirken.

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Güldenberg wusste, dass nur Dämonsfeuer diesem Spuk Einhalt gebieten konnte. Doch in diesem Raum war zu viel Brennbares. Confringo hatte nicht funktioniert. Ein Wasserstrahlzauber war laut fauchend in der völlig unbeeindruckten Flamme vergangen. Nun füllte der violette Rauch jeden Winkel des Besprechungszimmers aus und tat sein verhängnisvolles Werk.

Sie saßen alle da, Güldenberg, Rosshufler, Rheinquell, sowie deren auserwählte und wichtige Mitarbeiter. Selbst Andronicus Wetterspitz konnte am Ende nicht mehr gegen die Macht des violetten Rauches bestehen. Wohl wissend, dass er nun auf Gedeih und Verderb einer skrupellosen, durchtriebenen Schwerverbrecherin zur Beute fallen und Leib und Seele an sie ausliefern würde, empfand er keine Angst mehr. Dann empfand er auch keinen Widerwillen mehr. Jetzt empfand er nur noch jene trügerische und doch so wohltuende Hingabe und lauschte den Worten aus dem brennenden Blütenkelch der rosenförmigen Kerzenflamme.

Minuten oder eine Stunde vergingen. Dann war die Kerze heruntergebrannt, alle Anweisungen mit ihrem Rauch in die tiefsten Schichten der Bewusstseine eingesickert. Nur eine wusste es schon und war längst damit vertraut, eine der Hexen aus der österreichischen Abordnung, die im Auftrag der einzig wahren Königin aller Hexen und Zauberer diese feurige Falle vorbereitet hatte.

"Es tut gut, dich in mir zu fühlen, meine Königin. Der Duft deiner Feuerrosen tut so gut", dachte Elfriede Moosstein an ihre Herrin. Doch die schien gerade wem anderen zu lauschen.

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Sie spürte es, wie ihr Körper sich veränderte. Der Duft der Feuerrose verblies jeden anderen auf den Körper oder Geist wirkenden Zauber, zerstreute Kopfblasen und Echodomus-Zauber. Für sie war es jedoch gerade anstrengend. Denn je mehr von dem violetten Rauch sie einatmete, desto mehr verformte sich der Körper, den sie sich mit Vielsaft-Trank von Roberto Boavista ausgeborgt hatte. Der echte Sekretär des portugiesischen Zaubereiministers war bereits seit einer Woche im Landhaus bei Florenz und gehörte bereits der Königin. Sie würde ihn nachher mit entsprechend veränderter Erinnerung zurückschicken. Maira Minhero geriet nicht in jene trancartige entspannung wie die anderen. Denn sie hatte bereits den Duft der Feuerrose ausgiebig gekostet. Dennoch genoss sie den für sie nach den Honigkeksen ihrer seligen Großmutter riechenden Duft und sah sich um. Dabei sah sie, dass die linke Hand des spanischen Zaubereiministers schwere Brandschäden hatte und der kleine und der Ringfinger abgetrennt waren. Die Stummel lagen verkohlt auf dem Boden. Maira rief sofort nach ihrer Königin, die versprochen hatte, mit ihr eine Gedankenbrücke zu errichten. Sie fühlte, wie die Königin in ihren Geist hineintastete und darin Halt fand. So brauchte sie nur auf Pataleón zu sehen. "Nein, so darf er nicht zurückkehren. Bring ihn zu mir! Ich werde ihn heilen, sofern er mir ja schon gehört ist er nicht mehr mein Feind."

Maira stand auf und eilte zu Pataleón. Sie lauschte noch zwei Wiederholungen der in die Kerze eingebrachten Botschaft. Dann umschlang sie den wie in einem schönen Traum gefangenen Zaubereiminister und hob ihren eigenen Zauberstab. "Fluchtweg blaues Boot!" rief sie, als eine weitere Wiederholung der einprägsamen Botschaft zu Ende war. Dann disapparierte sie mit Rodrigo Pataleón.

Sie landete punktgenau in der Empfangshalle jenes Landhauses bei Florenz das ihre Königin von einem Nichtmagier ergattert hatte. Die Herrin eilte aus einem der mit teppichen ausgelegten Gänge heran und sah sofort das Unheil, dass sie nicht anrichten wollte, aber zumindest für möglich gehalten hatte.

"Er hatte einen bezauberten Ring am Finger, der ihn mit seinem braven Eheweibchen verbunden hat. Der Ring konnte der Feuerrose nicht widerstehen. Offenbar hat sich in ihm ein Feuerzauber gestaut und ihn zerstört", sagte sie. Jetzt, wo Pataleón dem Duft der Feuerrose entzogen war merkte er endlich, dass er schwer verletzt war. Doch Ladonna Montefiori machte nur Schschsch. Dann summte sie ihm leise etwas ins rechte Ohr. Er wurde wieder ganz entspannt, ja fiel sogar in eine Art Tiefschlaf.

Nun konnte Maira beobachten, wie ihre Herrin mit Zauberstab und einer merkwürdigen roten Tinktur die verletzte Hand behandelte. "Ja, ich kann sie wieder völlig heilen. Der Segen der heilenden Hand wird mir helfen. Schön, dass meine zweite Mutter ihn mir beigebracht hat, bevor sie merkte, dass ich mehr wollte als nur eine Heilmagd zu sein."

Ladonna legte die verletzte Hand des spanischen Zaubereiministers auf ihren eigenen Unterbauch, als wolle sie ihm zeigen, dass sie gerade sein Kind erwartete. Doch dann sang sie mit tifer Stimme und streichelte über den linken Arm. Maira verstand kein Wort. Es war sicher die Sprache der Veelas oder die der Waldfrauen? Dann sah sie, wie Ladonnas Hände im rosaroten Licht erstrahlten und wie sie jedesmal, wenn sie die verletzte Hand des Ministers berührte, einen Teil dieses Lichtes darauf übertrug. mit steigendem Erstaunen und grenzenloser Ehrfurcht beobachtete Maira, wie ihre Königin die Hand des Ministers erst vollständig rosarot aufleuchten ließ. Dann formten sich die abgetrennten Finger neu, sie wuchsen förmlich nach. Auch die stark verbrannte Haut erholte sich wohl. Nach nur fünf Minuten erlosch das rosarote Leuchten. Pataleóns linke Hand war nun völlig unversehrt. "Er hat nicht mal einen weißen Fleck, wo vorher sein Ehering gesteckt hat", meinte Ladonna, die jedoch ein wenig erschöpft klang. "Ja, ich verstehe, dass die heilende Hand am besten von einer bereits Mutter gewordenen Tochter Mokushas benutzt wird. Aber im Grunde bin ich das ja schon geworden", sagte sie. Dann lächelte sie Maira an. "Bring ihn wieder zurück, bevor der Duft der Feuerrose verfliegt und die Feuerrose selbst erlischt!" sagte sie. Maira nickte und nahm den noch tief schlafenden Minister in einen Arm. "Wenn er und seine Leute meine Befehle erhalten haben werde ich mich von ihm einladen lassen, ihn zu meinem Statthalter zu machen. Das gleiche wird auch deinem scheinbaren Dienstherren widerfahren. Die anderen können gerne als reine Gefolgsleute weiterleben."

Maira fragte, wie sie wieder auf die Insel kam. Ladonna legte ihr die Hand auf und summte ihr was ins linke Ohr. "Folge der Rose auf die Insel!"

Maira nahm ihren Zauberstab und verschwand mit dem Minister. Tatsächlich wirkte der violette Feuerrosenrauch noch. So konnte sie Pataleón auf seinen Stuhl setzen. Ohne es befohlen zu bekommen beseitigte sie die verbrannten Fingerstummel des spanischen Ministers. Dann fühlte sie, wie sie unmittelbar aus dem Versammlungsraum herausgerissen wurde und in einem unendlich großen Raum landete. Sie konnte sich jedoch nicht mehr bewegen. Dann traf sie ein violetter Blitz. Alles um sie wirbelte im Kreis. Dann fühlte sie ihren Körper wieder so wie er sein sollte. Sie war wieder bei der Herrin.

"Kehre zurück in deine offizielle Wohnstatt. Ich schicke deinen Körperspender noch in die Versammlung. Er gehört mir ja schon längst", sagte Ladonna. Maira nickte und gehorchte.

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Die nordische Bruderschaft war wiedererwacht. Nur würde sie nicht von einem Thing aus freien Zauberern Nordeuropas bestimmt, sondern von einer Königin, die Dänemark, Schweden, Norwegen und die Vulkaninsel Island beherrschte, wie vor vielen hundert Jahren die dänische Königin Margarethe I., die sich zur Königin dreier Reiche aufgeschwungen hatte. Sie hatten ihre Aufträge erhalten, ihre gesamten Belegschaften in den Tagen bis zum Jahrestag der dunklen Woge in einem Raum zusammenzubringen und auch ihnen den Duft einer Feuerrose darzubringen. Danach schliefen sie ein, um in ihre neuen Leben hinüberzuschlummern.

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Arcadi versuchte zu kämpfen. Er konnte den Imperius-Fluch abwehren. Er konnte vier Flaschen Wodka am selben Abend leeren, ohne seine Konzentration zu verlieren. Er hatte mit gefährlichen Wesen und sturköpfigen Bürokraten gekämpft. Er wollte und würde nicht dieser stinkenden Duftkerze da zur Beute fallen. Doch sein Kampf dauerte nicht lange. Er hielt zwar länger durch als die jüngeren hier. Doch dann schluckte ihn jene Benebelung, die der violette Rauch aus der frei schwebenden Duftkerze bei jeder und jedem bewirkte, der oder die das zweifelhafte Schicksal hatte, von Ladonna Montefiori für wichtig gehalten zu werden. Er wiederholte die Treueschwüre, die die aus der brennenden Blüte dringende Stimme in bestem Russisch von ihm und seinen Leuten verlangte. Bald würde er sie persönlich treffen. Das wusste er schon jetzt und freute sich darauf. Dass er sie vor nicht einmal zwanzig Minuten noch abgrundtief gehasst hatte war wortwörtlich in Rauch aufgegangen.

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Güldenberg war glückselig. Sie hatte ihn auserwählt. Diese Hexe mit dem Feuerschwert hatte verloren. Er hatte jetzt doch die wahre Herrin gefunden. Sein Amt würde nun eine wahrhaftige Bedeutung bekommen, nicht vom Willen einer wankelmütigen Mehrheit abhängig sein, sondern wahrhaftig auf Lebenszeit verliehen. Ja, und er würde mit den beiden anderen und wohl auch mit dem Zaubereiminister aus Liechtenstein eine Allianz des Friedens im deutschsprachigen Raum schmieden, alle Querköpfe und Aufrührer in ihre Schranken weisen, um die Zaubererwelt aus dem selbsterwählten Schattendasein ans Licht zurückzuführen.

Jetzt hörte er mit den anderen den letzten Befehl, alle Ministeriumsmitarbeiter in einem Raum zusammenzubringen, um auch ihnen die beglückende Kraft der Feuerrose angedeihen zu lassen.

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Der Feueralarm plärrte durch das spanische Zaubereiministerium. In den Räumen des Ministers selbst war ein Feuer ausgebrochen. Doch die Meldezauber verzeichneten kein lebendes Wesen in diesem Bereich. So traten die eingebauten Brandlöschzauber in Tätigkeit. Schlagartig wurde pures Trockeneis auf den Brandherd geblasen. Zugleich fuhrwerkten die Brandlöschzauber durch das Schlafzimmer, tilgten die Flammen vom Bett, dem Boden und der bereits lichterloh brennenden Kleidung der Person, die mit stark verkohltem, gespaltenen Kopf da lag, den linken, verkohlten Armstumpf noch vor dem Gesicht. Als die Brandmeldezauber kein Feuer und keinen Rauch mehr erfassten stürmten die Sicherheitszauberer herein. Was sie fanden bereitete ihnen große Übelkeit. doch der Minister war nicht da. Wo war der?

Der herbeigerufene Heiler konnte leider nur noch den Tod der Ministergattin feststellen. Wie genau sie gestorben war sollte das Retrocular zeigen, jenes meistens sehr hilfreiche Sehwerkzeug, mit dem die Ereignisse der vergangenen zwei Tage nachbetrachtet und für den Betrachter in unterschiedlicher Geschwindigkeit nachverfolgt werden konnten. Dies änderte nichts daran, dass Carmen Estrella Campoalto Miguez das erste Todesopfer auf Ladonnas Weg zur Vorherrschaft in ganz Europa war.

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"Ihr kehrt zurück in eure Wirkungsstätten und führt den letzten erteilten Befehl aus", sagte Ladonna, die gerade mit dem eigentlichen portugiesischen Ministeriumssekretär auf die Unterhandlungsinsel gekommen war. Dann schrumpfte sie Montebranco und Pataleón auf Handlänge zusammen und disapparierte mit ihnen. Die beiden würden heute Nacht noch ihre Statthalter.

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Wo war der Zaubereiminister. Wo war Señor Matín Puertablanca Torrealta?, der Leiter der Abteilung für magische Sicherheit und Überwachung? Hatte der Tod von Carmen Estrella Campoalto Miguez was mit deren Abwesenheit zu tun? Jedenfalls musste Alfredo Luiz Robleviejo Montanero es klären, bevor die beiden wiederkamen und der Minister völlig zu recht wissen wollte, warum seine Ehefrau gestorben war.

Der Stellvertreter von Torrealta nutzte seine Sondervollmacht, aus dem Ausrüstungsdepot ohne Vorlage einer genehmigten Nutzungsanfrage eine von fünf Rückschaubrillen zu nehmen. Mit dieser und zwei per Winkanweisung zur Begleitung beorderten Sicherheitszauberern kehrte er in das Schlafzimmer des Ministers zurück. Er setzte sich die Brille mit den blauen Gläsern auf die Nase und sah erst mal nur blauen Nebel. Dann stellte er durch die erlernten Fingerstellungen einen nicht ganz so schnellen Rückschauvorgang ein, bis zu dem Zeitpunkt, wo die Tote noch quicklebendig war und sich unruhig in ihrem Bett wälzte. Dann sah er es, wie sie sich blitzartig aufsetzte und ihre Linke Hand an der der Ehering erbebte und winzige Funken sprühte. Er konnte nachbetrachten, wie der Ring immer heller glühte und dabei immer mehr zitterte. Er sah ihr zu, wie sie die Linke hand mit dem schon gelb glühenden Ring schwerfällig anhob und war froh, dass die Brandlöschzauber bereits alle üblen Gerüche aus dem Zimmer getilgt hatten. Denn Carmen Estrellas Ringfinger qualmte unübersehbar bedrohlich. Sie schaffte es noch mit letzter Anstrengung, den Ring an ihre Stirn zu drücken und beging damit den tödlichen Fehler. Der Ring brannte sich in ihre Stirn ein. Sie zuckte noch einmal zusammen. Zwei Sekunden danach barst der nun gelbweiß glühende Ring in einem handtellergroßen, weißblauen Feuerball. winzige glühende Bruchstücke schwirrten als brandgefährliche Wolke durchs Zimmer und schlugen in die Möbel, die Wände und die Decke ein. Da wo sie auf brennbares Material fielen flammte dieses sogleich auf. So erging es auch Haar und Nachtbekleidung der Ministergattin, deren Kopf bereits im weißblauen Feuer deformiert und verkohlt worden war.

Alfredo musste gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen. Als er es geschafft hatte, sein Abendessen bei sich zu behalten ließ er die mörderische Szene noch einmal rückwärts ablaufen und sah sie sich dann in sechzigfacher Verzögerung an, so dass eine wahrhaftige Sekunde zur vollen Minute wurde. So konnte er es sehen, wie sich in Carmen Estrellas Ehering erst gelbe, dann weiße und dann weißblaue Schlieren formten, sobald sie ihn an ihre Stirn drückte. Es sah ganz danach aus, als habe die Ministergattin durch diese Berührung den Aufheizungsvorgang um ein vielfaches beschleunigt. Dann sah er, wie der Ring in der gewählten Verzögerung nur sieben Sekunden später von innen heraus auseinandergesprengt wurde. Er überstand es, die schreckliche Verformung des Kopfes in gnadenlos grausamer Langsamkeit nachzubetrachten. Denn er musste wissen, was genau die Explosion ausgelöst hatte. Er sah es zwar, verstand es aber nicht. Alles deutete darauf hin, dass der Ehering der Ministergattin eine magische Bombe war, die innerhalb weniger Sekunden eine immense Feuermagie freigesetzt hatte, als sei in ihm ein Stück aus dem inneren der Erde oder gar der Sonne selbst entfesselt worden.

"Soll ich die HVD rufen, Señor Montanero?" hörte er einen seiner Leibwächter, der gerade für ihn unsichtbar war.

"Nein, Ricardo, ist nicht nötig", sagte er. Er stellte die Rückschaubrille noch einmal auf die drittletzte Realsekunde vor der Feuermagieentladung ein und ließ sich die mörderische Szene nun in 360facher Verzögerung wiedergeben, so dass eine Sekunde sechs Minuten dauerte. Er wollte wissen, ob das Auflegen des Ringes auf die Stirn wirklich der tödliche Auslöser war oder es so oder so zur Explosion gekommen wäre.

Die nochmalige, noch stärker verlangsamte Nachbetrachtung brachte ihm jedoch keine neuen Erkenntnisse, eben nur, dass der Entladungsvorgang in dem Moment beschleunigt wurde, als die Ministergattin ihren Ring an die Stirn drückte.

Montanero beendete die Rückschau und nahm die Brille ab. Jetzt sah er das teilweise angesengte Schlafzimmer und seine beiden Leibwächter wieder. Von der Toten zeugte nur noch ein tiefschwarzes, kopfgroßes Brandloch in Kissen und Matratze. Mit belegter Stimme sagte Torrealtas Stellvertreter: "Es sieht sehr deutlich danach aus, dass jemand der Ministergattin - Friede ihrer Seele - und dem Minister eine tödliche Falle gestellt hat. Jemand hat den Ehering der Ministerin mit einem sich verstärkenden, bis zur Pinkenbach'schen Grenze ansteigenden Feuerzauber aufgeladen, der unter bestimmten Umständen mit dem Körper der Trägerin wechselwirkte und bei Berührung ihrer Stirn und damit nächster Annäherung an ihr Gehirn, zur tödlichen Feuerentladung führte. Womöglich wurde hier ein exogener pyrokinetischer Effekt verwendet, also eine von außen wirkende Umwandlung von Gedankenkraft in offenes Feuer oder Glut. Möglicherweise wurde der Minister in eine Lage gebracht, wo sein Ring zur Mordwaffe wurde. Da es unter Eheleuten gängige Praxis ist, ihre Ringe mit Fernfühlzaubern zu belegen, dass die Partner mitbekommen, ob dem jeweils anderen etwas zustößt, ja bei nicht mehr so ganz an eine unverbrüchliche Treue glaubenden sogar, ob der jeweils andere Ehebruch begeht, führte die Kopplung zu einer zeitgleichen Zerstörung von Señora Miguez' Ehering und damit ihrem Tod. Womöglich ist der Minister ebenfalls umgekommen."

"Ein Attentat, Mord! Unerhört!" rief der Ricardo gerufene Leibwächter. "Wer war das und wie hat er es getan?"

"Wer es war und wie er oder sie es getan hat muss aufgeklärt werden. Es könnte nur sein, dass der Minister nicht mehr zu uns zurückkehrt. Ab dem Todeszeitpunkt von Señora Miguez läuft die 48-Stunden-Frist, in der wir möglicherweise noch den Mord aufklären können. Sie beide werden mich begleiten, die letzten Stunden vor der Abwesenheit des Ministers nachzuvollziehen und ihm, falls dies möglich ist, an den Ort zu folgen, wo er ermordet wurde. Dann werden wir auch den Mörder, die Mörderin oder die Mörderbande finden, die Minister Pataleón zu Tode brachte. Die Uhrzeit steht fest, eine Minute und zehn Sekunden vor Mitternacht. Ziehen wir los, Männer!"

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Sollte sie oder sollte sie nicht. Es war die stärkste Methode, einen Menschen ein Leben lang an sich zu binden. Doch es war nicht unbedingt nötig, es so zu tun. Doch was sollte es? Sie hatte sich Barbanera auf diese Weise gefügig gemacht und einige seiner wichtigen Untergebenen. Doch um jemanden von einem willigen Diener oder einer willigen Dienerin zum Statthalter oder zur Statthalterin ihres Reiches zu befördern musste sie es nicht tun. Doch sie wusste auch, das Pataleón und Montebranco wichtig waren. Wenn sie schon nicht Frankreich erobern konnte wollte sie wenigstens alle Mittelmeerstaaten beherrschen. Also entschrumpfte sie Pataleón und brachte ihn dazu, mit ihr das Lager zu teilen. Dabei vollendete sie die geistigen Zauber, um ihn zu ihrer fernlenkbaren Außenstelle zu machen, durch die sie wie bei Imelda unmittelbar in das laufende Geschehen eingreifen konnte.

Eine volle Stunde später schlief der Minister erschöpft in einem der bereitgestellten Gästebetten für Besucherinnen. Noch war Ladonna wach genug, um sich auch unter größerer Überwindung als bei Pataleón mit Silvio Montebranco zusammenzulegen. Mit einvernehmlicher, von beiden wahrhaftig empfundener Liebe hatte das nichts zu tun. Das war nur die Vervollständigung ihrer bereits gewonnenen Macht über einen anderen Mann. Doch als sie selbst die höchste Lust fühlte wusste sie, dass ihr dieser Weg nicht so anwiderte wie sie erst gedacht hatte. Sie musste nur daran denken, in den nächsten Tagen den Trank der folgenlosen Freuden zu trinken. Denn bei aller Berechnung und Bestrebung, sie musste von keinem der beiden schwanger werden oder wenn sie es wurde dessen Kind auch fertig austragen. Nein, den Unterschied zwischen reinem Unterwerfungsbeischlaf und erwünschter Mutterschaft wollte sie dann doch noch einhalten. Allerdings dachte sie nach Silvio Montebranco, dass sie nur noch den russischen Zaubereiminister auf diese Weise an sich binden und bei den anderen nur die Lieder und Proben ihrer Tränen und Spucke als Bindungsverstärker nutzen würde. Vor allem wollte sie nun ihre geistigen Fühler ausstrecken, ob sie nicht nur die iberische Halbinsel, sondern auch alle anderen anvisierten Zaubereiministerien sicher hatte. Im Augenblick war es ihr nicht wichtig, ob Pataleóns Gattin noch lebte oder tot war. Sie würde sich auf die jeweilige Lage einstellen, wenn sie alle anderen Ziele überprüft hatte.

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Martín Torrealta hatte von der Königin den Befehl erhalten, mit den Booten auf die spanische Seite zurückzukehren und wie vorhin vor den Sonderzugang für hochranige Ministerialbeamte zu apparieren. Seine Begleiter kamen mit. Sie sollten den Kollegen der Nachtschicht erzählen, der Minister würde erst wieder zurückkehren, wenn sie sichergestellthatten, das ihm keine weitere Gefahr mehr drohe und dass nur er befinden würde, wem er wann was berichtete. Sie mussten schließlich sicherstellen, dass keiner Pataleón zu lange vermisste.

Torrealta erfuhr gleich nach seiner Rückkehr ins Ministerium, dass Minister Pataleóns Ehefrau wohl einem magischen Mordanschlag zum Opfer gefallen sei. Montanero, der keine Veränderung an seinem Vorgesetzten bemerkte, berichtete diesem so kurz aber umfassend wie möglich, was geschehen war und was die Rückschau gezeigt hatte. "Wie erwähnt, Alfredo, wir waren auf einer geheimen Zusammenkunft. Wo und mit wem zu berichten obliegt allein dem Minister persönlich. Er hat aber sowas angedeutet, dass seine Frau entweder verschwunden oder verstorben ist, nachdem wir aus der Gefahr entkamen, in die uns Verrat hineingetrieben hat. Weil wir davon ausgehen müssen, dass jemand uns verraten hat gilt bis auf weiteres die zweithöchste Geheimstufe."

"Señor Torrealta, der Tod von Señora Miguez ist kein Geheimnis mehr. Alle diensthabenden Brandabwehrzauberer, der Heiler vom Dienst und die mit mir bei der Rückschau anwesenden wissen von ihrem Tod. Wir haben sogar versucht, dem Minister zu folgen, um die Tat aufzuklären. Das gelang jedoch nicht, weil er aus dem Arbeitszimmer disapparierte, ohne Angabe über den Zielort zu machen."

"Ich weiß. Er hat allen, denen er bis dahin vertraute und die wichtig für die Zusammenkunft waren befohlen, nicht durch einen der regulären Ausgänge zu gehen und möglichst gleich an den Treffpunkt zu apparieren, gerade um Nachverfolgungen zu erschweren. Sie wissen ja noch, was ihm vor zwei Jahren fast passiert wäre."

"Ja, weiß ich noch", sagte Montanero mit Unbehagen. "Aber genau deshalb muss ich das fragen: Warum trafen Sie alle sich außerhalb des geschützten Bereiches?"

"Ob sie das fragen müssen stelle ich in Abrede, Alfredo. Jedenfalls darf ich Ihnen keine Antwort darauf geben. Wichtig ist jetzt, dass wir die Rückkehr des Ministers absichern und ich ihm das zwischen ihm und mir vereinbarte Zeichen geben kann, dass er ungefährdet zurückkehren kann", sagte Torrealta entschieden. "Kein Wort dass der Minister den Anschlag überlebt hat! Womöglich ist es sehr wichtig, dass die Attentäter von seinem Tod überzeugt sind. Ebenso werde ich gleich noch alle vom Tod seiner Ehefrau unterrichteten zur Geheimhaltung verpflichten", sprach Martín Torrealta. Das begriff Montanero ohne nachzufragen.

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16.03.2006

Ladonna fühlte noch die Anstrengung der letzten Nacht. Doch sie war glücklich und außerordentlich zufrieden. Zwar wusste sie, dass sie im Augenblick weder Frankreich noch England unter ihre Herrschaft bringen konnte, ohne die Welt zu früh auf ihr Wirken aufmerksam zu machen, ging aber davon aus, dass sich diese Hindernisse bald in Luft auflösen würden.

Im Lagerraum neben ihrem thaumaturgisch-alchemistischen Laboratorium stand ein viergeschossiges Regal aus mit Silber beschlagenem Eichenholz. In diesem reihten sich einundzwanzig schlanke, bei hellem Licht dunkelrot gefärbte Kerzen. Jede von ihnen konnte ihre Botschaft von Unterwerfung und Treue auf hunderte von Anwesenden übermitteln. Fünf hatte sie gestern verwendet, um die fünf Treffen von Zaubereiministern für sich auszunutzen. dann hatte sie Arcadi, Pataleón und Güldenberg je eine Kerze mitgegeben, um ihre gesamte Belegschaft in die große Gemeinde ihrer Untertanen einzuberufen. Die noch verbliebenen Kerzen würde sie im Laufe des Monats an die anderen Zaubereiminister verteilen, die nun ihrem Willen unterworfen waren. Die drei schon ausgeteilten sollten in den nächsten Tagen zum Einsatz kommen. Pataleón sollte bereits heute seinen gesamten Mitarbeiterstab unterwerfen, damit keiner davon an die Zeitungen berichtete, was mit Pataleóns achso treuer Ehefrau geschehen war. Ja, und noch einen Grund gab es, warum ihr neuer spanischer Statthalter eine Feuerrosenkerze entzünden sollte: Im Spanischen Zaubereiministerium gab es diesen veelastämmigen Mitarbeiter Ignacio Lucio Bocafuego Escobar. Der befand sich gerade weit genug von Madrid fort auf einer Konferenz von Quidditchvereinen und Regionalsprechern auf der Baleareninsel Menorca. Sie wusste zu gut, dass die Ausstrahlung eines fremden veelastämmigen Wesens ihren Feuerrosenzauber schwächen konnte. Auch ging sie davon aus, dass Veelastämmige gegen den Duft und die Botschaft der Feuerrose gefeit waren. Also musste Pataleón die Abwesenheit des einzigen Veelastämmigen in seinem Ministerium ausnutzen. Wenn er zurückkehrte und seine Ausstrahlung die Unterworfenen beeinträchtigte konnte er ihn als möglichen Mitwisser oder gar Mittäter am Mord an seiner Frau festnehmen und dauerhaft wegsperren lassen.

Güldenberg sollte zusehen, in den nächsten Tagen die Kerze zu entzünden. Solange sollte diese in einem Versteck bleiben, wo sie keiner suchen würde. Es galt vor allem, die offenbar gegen die Feuerrose gefeite Albertine Steinbeißer davon abzuhalten, die Unterwerfung zu stören, wie sie ihre eigene Unterwerfung so erfolgreich vereitelt hatte. Güldenberg sollte und würde ihr anders beikommen, sollte sie sich nicht bereitfinden, sich freiwillig der Feuerrose hinzugeben, um nicht allein auf weiter Flur zu sein.

Arcadi musste genau wie Pataleón vor Veelastämmigen auf der Hut sein und deshalb so früh wie er alle Mitarbeiter zusammenbekam die ihm übergebene Feuerrosenkerze entzünden.

Um elf Uhr morgens hörte sie den Ruf Pataleóns und erweckte die mit ihm errichtete Gedankenbrücke. . So konnte sie durch seine Augen sehen, dass er und viele hundert spanischen Zaubereiministeriumsangehörige in einem großen Saal versammelt waren. vor den Fenstern hingen schwarze Vorhänge. Trauerflore schmückten die Wände, an denen sonst wohl Bilder hingen. An jeder der vier Wände hing das Bild einer Frau mit lächelndem Gesicht und schwarzgrauem Lockenschopf. Alle Anwesenden sahen den Raumschmuck und dann den Minister an. In fast allen Gesichtern stand tiefe Anteilnahme. Wortwörtliche Grabesstille füllte den Saal aus. Dann verfolgte sie mit, was der von ihr eingesetzte Statthalter Spaniens verkündete.

Er sprach davon, dass er in der letzten Nacht bei einem Geheimtreffen mit dem portugiesischen Zaubereiminister und einer diesen begleitenden Abordnung fast zum Opfer eines hinterhältigen Anschlages geworden sei. Alle sahen ihn erschrocken an. Dann führte er aus, dass jemand mit überirdischen Kräften auf ihn einwirken wollte und dabei die Verbindungszauber seines Eheringes mit dessen Gegenstück bei seiner Frau überladen hätte. Er pries das Glück, dass auch ein Heiler bei seiner Abordnung dabeigewesen sei, sodass er seine Hand nach der schmerzhaften Zerstörung seines Ringes in Diptam baden und wieder heilen konnte. Seine Frau habe dabei viel weniger Glück gehabt. So habe er nach der erfolgreichen Abwehr der Angreifer durch seine Begleiter das eigentlich geheime Treffen abschließen können. Er war dann gleich ins Ministerium zurückgekehrt und hatte dort erfahren, dass der Angriff auf ihn auch den Ehering seiner Frau überlastet habe. Die habe den Ring wohl noch an die Stirn halten wollen, um ihn zu rufen. Das habe wohl die entscheidende Überladung bewirkt, die sie dann getötet habe. Dass er das jetzt erst vor allen gerade anwesenden erzählte begründete er damit, dass er keine unliebsamen Gerüchte herumfliegen haben wollte und weil er es noch nicht an die Presse gelangen lassen wollte, um keine Panik in der Bevölkerung zu schüren, dass jemand den Zaubereiminister zu stürzen versucht habe und statt seiner seine Ehefrau im achso sicher geglaubten Wohnbereich des Zaubereiministers töten konnte. Er werde seinem Pressesprecher, den er dabei genau ansah, einen Bericht für die Zaubererweltzeitungen übergeben, wenn die Macht, die hinter dem Angriff auf ihm stand, ermittelt und gestellt worden sei. "Auch muss ich ausschließen, dass jemand in Ihren Reihen meinen Umsturz geplant hat", warf er seinen Leuten hin. Alle sahen ihn verdutzt bis höchst entsetzt an. "Ich weiß, dass Señor Bocafuego augenblicklich auf Menorca ist, der einzige, der gerade nicht hier ist. Sollte er der Verräter sein werden die Kollegen aus der Gesetzesüberwachung dies herausfinden. Da Sie alle jetzt hier sind und keine Anstalten machen, zu flüchten, kann ich Sie alle auf Eidessteine schwören lassen, dass Sie zu keiner Zeit mit keinem anderen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Wer doch was damit zu tun hatte erstarrt, bis die Kollegen von der Überwachung ihn wieder freisprechen." Er sah Torrealta an, der nickte und bereits eine silberne Tarndecke aus der Luft zog. Darunter kam eine mehrere Meter lange schwarze Holztruhe zum Vorschein. "In dieser Truhe sind die Eidessteine. Die Mitarbeiter von Señor Torrealta werden sie gleich verteilen. Machen Sie bitte keine Anstalten, sich der notwendigen Überprüfung durch Flucht oder Gegenwehr zu entziehen! Alle Türen sind verschlossen und mit einem nur mir und Señor Torrealta bekannten Passwort versiegelt. Ein Apparierwall verhindert das unmittelbare Verschwinden aus diesem Saal. Körperlicher oder magischer Widerstand wird unverzüglich von den hier eingerichteten Lähmzaubern unterbunden. Abgesehen davon wären Flucht und Widerstand gleichbedeutend mit einem Geständnis."

Ladonna hörte ein leises, ungehaltenes Murmeln durch die Reihen der über sechshundert Anwesenden gehen. Eine der Hexen rief: "Haben Sie denn keine Rückschau von ihrem Treffen gemacht, um zu sehen, wer sie angegriffen hat und wie ihre Frau gestorben ist, Minister Pataleón?"

"Der Treffpunkt war von beiden Abordnungen unter magischem Ortungsschutz gehalten worden, um Fernerkundungen zu vereiteln. Hier im Gebäude wurde meine Frau gefunden und thanatologisch untersucht. Ja, von hier gibt es eine Rückshau. Sind damit Ihre Fragen beantwortet, Señora Playaverde?" Die angesprochene nickte.

"Dann lassen Sie uns beginnen. Je eher wir damit durch sind, desto eher haben wir alle Gewissheit, ob jemand unter uns ein Verräter am Ministerium ist oder nicht", sagte der Minister. Da fragte ein Zauberer aus der Handelsabteilung: "Und wenn Sie Ort und Zeitpunkt des Treffens verraten haben, Minister Pataleón?" Alles sahen den Frager und dann den Minister an. Dieser blieb jedoch ruhig. "Dann müsste ich mich selbst verhaften und wegen Beihilfe zum Mord an meiner Frau eigenmagisch todfluchen", sagte er. die Anwesenden starrten ihren obersten Vorgesetzten höchst verdutzt an. Mit dieser bissigen Antwort hatten sie nicht gerechnet. So legte Torrealta nach: "Ja, und wenn unter uns kein Verräter und keine Verräterin ist und auch der gerade abwesende Ignacio Bocafuego keine Schuld auf sich geladen hat muss der Verrat auf der portugiesischen Seite erfolgt sein. Daher wollen und müssen wir für uns ausschließen, dass es in unseren Reihen Verräter gibt." Pataleón Ladonna fühlte, wie Pataleón seinem Sicherheitsabteilungsleiter zunickte. Bisher musste sie nicht eingreifen.

Jetzt wurde die Truhe geöffnet. Der letzte Akt in Ladonnas dunklem spanischem Drama begann.

Zuerst wurden übliche schwarze Quader herausgehoben, sogenannte Eidessteine, die denen, die mit auf sie gelegten Händen schworen, jeden Eidbruch durch Schwächungs- oder Lähmzauber vergellten, ja bei wirklich schweren Eidbrüchen oder Meineiden sogar eine komaartige Bewusstlosigkeit oder einen über Tage andauernden Sterbevorgang herbeiführten. Über einen Eidessteinschwur ging nur noch der unbrechbare Eid, der den, der ihn doch zu brechen versuchte, augenblicklich tötete.

Ladonna sah durch Pataleóns Augen, wie seine und damit ihre Sicherheitsbeamten die Eidessteine verteilten. Die Anwesenden murrten zwar, wagten jedoch keine Flucht oder einen Abwehrzauber. Wie war das? Flucht oder Widerstand gleich Geständnis. Damit hatten sie schon zu ihrer ersten großen Zeit viele Prozesse verkürzt.

Immer mehr Eidessteine wurden herausgeholt und an die Anwesenden verteilt. Die Truhe mochte soviel Rauminhalt wie ein Lagerhaus besitzen. Als mehr alls die Hälfte aller Anwesenden einen Eidesstein vor sich hatten holte Torrealta einen in hauchdünnes Seidenpapier gewickelten schlanken Gegenstand aus der Truhe. Dann winkte er dem Minister, der sich sofort in Bewegung setzte, auf den Mittelpunkt des Saales zu. Alle anderen hier starrten auf den neu hervorgeholten Gegenstand, während weitere Eidessteine aus der Truhe gezogen und verteilt wurden. Wieder setzte ein leises Raunen und Murren ein. Alle hier fragten sich, was es mit dem eingewickelten Ding zu tun hatte.

Ladonna wusste, dass es jetzt Zeit war. Sie verstärkte die Verbindung zu ihrem Statthalter und übernahm so seinen gesamten Körper mit Sinnen und Bewegungsfähigkeiten. Sie griff mit seinen Händen nach dem eingewickelten Gegenstand und zog mit einem Ruck die Umwickelung herunter, ohne sie einzureißen. Jetzt hielt Pataleón eine dunkelrote Kerze in der Hand. Der Docht wies nach oben zur Decke und bildete mit dem Kerzenfuß die Hochachse des Saales. Kaum war der Kerzendocht entblößt flammte er auf. Ladonna zog Pataleóns Hände vom Kerzenschaft. Die nun rubinrot flammende Kerze schwebte frei in der Luft. Das Raunen und Murren wurde lauter. Einer rief: "Eh, moment, ist das nicht diese Duftkerze, von der die Zeitungen .." In dem Augenblick wehte bereits violetter Rauch durch den Saal. Die ersten Anwesenden sprangen auf, zogen ihre Zauberstäbe und wedelten damit vor ihren Köpfen herum. Andere versuchten zu disapparieren und flackerten kurz auf, um dann mit einem kurzen Aufschrei auf die Knie zu sinken. Wieder andere zielten auf die Kerze, deren violetter Rauch immer dichter wurde. Alle versuchten nun zu den Türen zu kommen, als die ersten Flüche auf die Kerze zuflogen. Doch die meisten zersprühten knisternd und prasselnd im violetten Dunst. Die Magieresistenz einer fruchtbaren Veelastämmigen, gekoppelt mit Zaubern von Feuer und Wind, fing die der Kerze geltenden Flüche ab. Es gab nur zwei Dinge, die ihr bisher hatten schaden können, Das Dämonsfeuer und das vermaledeite Feuerschwert der Spinnenhexe.

"Sie beide sind die Verräter!" rief eine Hexe noch und hüllte ihren Kopf in eine bläuliche Blase ein. Andere waren schon damit versehen und wollten wohl noch wem zumentiloquieren. Doch ihre hinter der nach außen gewölbten Fläche der Kopfblase verzerrt wirkenden Gesichter verrieten, dass es ihnen nicht gelungen war, wen zu warnen.

Die Türen prellten oder zerstreuten die auf sie einschlagenden Spreng- und Öffnungszauber zurück. Einer davon krachte in die Decke und brach ein Stück heraus, das noch im freien Fall zu feinem Staub zerfiel. Ein Zauberer wollte ganz schlau sein und rief: "Avada Kedavra!" Ladonna warf sich, also Pataleón zu Boden. Tatsächlich sirrte der hellgrüne Todesblitz durch den Raum und wechselwirkte fauchend mit dem violetten Rauch. Blaue und grüne Flammen schlugen aus dem Dunst und erhitzten den Saal. Dann war die Entladung vorbei. Zwar hatte sich der violette Rauch an einer Stelle verflüchtigt, quoll aber nach wie vor aus der Duftkerze. Das wusste Ladonna auch noch nicht, dass der tödliche Fluch in solcher Weise mit dem Duft der Feuerrose wechselwirkte. Dann erreichte der ausgehende Rauch die ersten. Ihre Kopfblasen erbebten, glühten erst hell auf und flackerten. Dann wurden sie violett, danach hellrot und zerstoben schließlich mit vernehmlichem Plopp. Wer jetzt ungeschützt war versuchte die Luft anzuhalten. Doch das würde nicht lange gelingen. Irgendwann mussten sie atmen. Auch sich auf den Boden zu werfen brachte nichts, weil der Duft der Feuerrose genausoschwer wie die Luft war, in der er sich ausbreitete und sich somit auch bis nach unten ausdehnte. Ein weiterer Mitarbeiter versuchte, die auf ihn zugleitende Rauchwolke mit einem weiteren Todesfluch zu stoppen. Doch er konnte gerade noch "Ava..." ausstoßen, bevor er den Duft der Feuerrose mit ganzer Macht verspürte. Er ließ seinen Zauberstab fallen und sank auf seinen Stuhl zurück.

All die, die gerade noch in Panik zu fliehen oder zu zaubern versucht hatten wurden immer ruhiger. Dann drehten sich alle wie auf einen unhörbaren Befehl um und sahen die freischwebende Kerze an. Je weiter sich der violette Rauch im Saal verteilte, desto höher reckte sich die rote Flamme nach oben. Mehr und mehr nahm sie die Form einer langstieligen Rose aus purem Feuer an. Ladonna atmete durch Pataleóns Nase den Duft ein und fühlte sich sofort noch mehr mit ihrem Statthalter verbunden. Er und alle anderen waren nun durch den Rauch aus der magischen Kerze mit ihr verbunden.

Als der ganze Saal voller Rauch war und niemand mehr eine schützende Kopfblase trug vollendete sich die Feuerrose auf eine gesamtlänge von zwei Metern und reckte den lodernden Blütenkelch. Dann erfolgte jene Botschaft, die bereits Minister Pataleón und seine Leute, sowie der portugiesische Zaubereiminister und seine Leute gehört hatten, eben nur in kastilischem Spanisch und nicht auf Latein.

Ladonna fühlte, wie ihre Botschaft in jeder und jedem hier eindrang und Halt fand. Die Verbindung wurde immer stärker. Wo noch ein Widerwille war, schwand dieser bei jeder weiteren Wiederholung der Botschaft von Hingabe, Gehorsam und unverbrüchlicher Treue bis in den Tod. Zehnmal wurde die Botschaft wiederholt. So wurde sie unauslöschlich und unumgänglich. Wer sie hörte und dabei den Duft der Feuerrose atmete musste gehorchen. Das spanische Zaubereiministerium gehörte nun ihr, der selbsternannten Königin aller Hexen. Nur einer wurde noch verschont, Ignacio Bocafuego.

allerdings stellte Ladonna fest, dass sie sich nicht aus Pataleóns Körper zurückziehen konnte, solange dieser den Duft der Feuerrose atmete und ihre magische Botschaft hörte. Das behagte ihr nicht. Bisher hatte sie es nicht erlebt, während einer vollkommen verfestigten Gedankenbrücke mit einem Statthalter verbunden zu sein, der gerade ihren Feuerrosenzauber freisetzte und ihn somit selbst noch einmal auf sich einwirken ließ. Irgendwie missfiel ihr das. Doch in jenen Minuten konnte sie nichts dagegen tun. Erst als die rote Kerze restlos niedergebrannt war und die Feuerrose in roten Funken zerstob und der violette Rauch sich langsam immer mehr verflüchtigte, hatte die Rosenkönigin wieder einen Eindruck ihrer eigenen Körperlichkeit. Mit einem Ruck befreite sie sich aus Pataleóns Wahrnehmungen und fand zu sich selbst zurück.

Das erste was sie fühlte waren bohrende Kopfschmerzen. Vor ihren Augen kreiselten rote Lichtringe, die von bedrohlich dunklen Schlieren durchzogen wurden. Außerdem fühlte sie sich sehr müde und ausgelaugt. Ihr Herz hämmerte ihr vom Brustkorb bis unters Kinn. Das Blut pochte ihr fauchend in den Ohren. Ihre Lungen zischten wie ein mit Macht getretener Blasebalg, um frische Luft zu bekommen. Die Kopfschmerzen hämmerten im Takt ihres Herzens, und die roten Ringe vor ihren Augen wurden zu grellen Blitzen. Ladonna kippte nach hinten über und kam auf ihrer weichen Ruheliege zu liegen. Sie schloss die schmerzenden Augen. Doch die peinigenden Lichtentladungen blieben wie auch die heftigen Kopfschmerzen, das wilde Herzrasen und der keuchende schnelle Atem.

Ladonna Montefiori unterdrückte einen Aufschrei, den sie wohl auch nicht lange durchgehalten hätte. Sie fürchtete, dass entweder ihr Schädel oder ihr Brustkorb zerbersten müssten. Dann endlich ließen die Schmerzen und die Überlastung ihrer Organe mehr und mehr nach.

Als sie nach langen Minuten wieder ruhig atmen konnte und die Schmerzen unter der Schädeldecke nachließen konnte sie erkennen, wie nahe sie an einem tödlichen Zusammenbruch ihrer Organe entlanggeschrammt war. Sie bemerkte, wie sich alles um sie drehte, spürte eine Erschlaffung in Armen und Beinen. Sie schloss wieder die Augen und fühlte, wie der Schlaf der Erschöpfung sie übermannte.

Als sie nach mehreren Stunden wieder aufwachte prüfte sie, ob sie noch alles konnte, was vorher ging. Zu ihrer Beruhigung war sie wieder ganz erholt. Doch sie wusste, dass sie nicht noch einmal durch die Sinne eines Statthalters mitverfolgen durfte, wie dieser erneut dem Feuerrosenzauber ausgesetzt wurde. Sie malte sich aus, was geschehen wäre, wenn ihr Körper vor Überanstrengung entweder ohnmächtig geworden oder gar gestorben wäre. Wäre ihr gesamter Geist dann in den gerade überwachten Körper übergegangen und hätte sich mit dessen angeborener Seele um die Vorherrschaft streiten müssen? Oder wären sie und der Überwachte tot umgefallen? Beides waren unerwünschte Folgen, die sie tunlichst vermeiden sollte. So wusste sie jedenfalls, dass sie es nicht aus der Ferne mitverfolgen wollte, wie die anderen neuen Gefolgsleute ihre Kerzen der Feuerrose entzündeten.

Am späten Abend erfuhr sie von Arcadi, dass auch er alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des russischen Zaubereiministeriums und auch die Zeitungsleute Russlands im Duft der Feuerrose vereint hatte. Somit würde niemand von den russischen Zaubererzeitungen mehr was schlechtes über sie schreiben, ja womöglich sogar ihre baldige Inthronisation erbitten, um alle Hexen und Zauberer zu vereinen.

Sie rief noch einmal ihren spanischen Statthalter, jedoch ohne die Gedankenbrücke zu ihm zu vollenden. So erfuhr sie, dass alle nun ihrer Herrschaft untergeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun darangingen, das Verhältnis zu Italien zu verbessern, sofern Barbanera dies wollte. Ladonna schickte zurück, dass er noch warten möge, bis auch alle anderen Mittelmeerländer außer Frankreich sich ihrer Vorherrschaft unterordneten. Als sie jedoch erfuhr, dass Ignacio Bocafuego, den sie wegen seiner Veelastämmigkeit für potentiell gefährlich hielt, nach dem Ende der Vereinskonferenz auf Menorca nicht wie vorschriftsmäßig in das Zaubereiministerium zurückgekehrt war, um einen Gesamtbericht vor seinen Untergebenen zu erstatten, sondern mit unbekanntem Ziel disappariert sei, wich ihre Überlegenheit einer Verdrossenheit. Immerhin sollte Bocafuego ja nach seiner Rückkehr ins Ministerium verhört und gegebenenfalls festgesetzt werden. "Kann es sein, dass ihn jemand gewarnt hat?" fragte sie deshalb ihren spanischen Statthalter. Dieser schwieg sich eine halbe Minute lang aus. Dann schickte er zurück: "Das mag sein. Die Beobachter, die ich zu den Veelastämmigen schickte, um sie unter Überwachung zu halten, meldeten auf die Anfrage von mir, dass die Veelastämmigen sich alle umgesehen hätten, als würden sie die Observation bemerken. Danach seien wie auf einen unhörbaren Befehl, alle Familien mit veelastämmigen Mitgliedern verschwunden, nicht durch die Kamine, sondern disappariert oder mit unerlaubten Portschlüsseln."

"Du hast was?!" wollte Ladonna wissen. "Ich habe Eure Weisung befolgt und alle Veelastämmigen zu potentiell gefährlichen Wesen erklärt und wollte sie deshalb unter Beobachtung stellen", schickte Pataleón zurück.

"Ja, was meinst du denn, warum ich dir das gesagt habe?! Die Veelastämmigen können meine Schutzmacht spüren. Außerdem können sie die Lebensausstrahlung anderer Wesen sehen. Damit sind gleich drei Fragen beantwortet: Erstens, die Veelastämmigen sind gefährlich. Zweitens, deine voreilige Auslegung meiner Anweisung hat sie gewarnt. Also drittens, du hast Ignacio Bocafuego gewarnt, dass was in meinem Ministerium geschehen ist, was ihm nicht behagen wird. Die wissen zwar nicht genau, was geschehen ist, aber sie können sich denken, dass es was mit mir zu tun haben könnte. Erst zwei Tage im Amt und schon ein schwerwiegender Fehler, Rodrigo. Noch einer, und ich benötige dich nicht mehr", drohte Ladonna. Dabei wusste sie selbst, wie sinnlos diese Drohung war, wenn die Veelastämmigen herausfanden, was mit dem spanischen Zaubereiministerium geschehen war. Die Frage, die die achso mächtige Rosenkönigin nun im Kopf hatte lautete: Konnten die Veelastämmigen ihren Erfolg noch im letzten Augenblick verderben?

"Ist sicher, dass im Augenblick kein Veelastämmiger bei euch im Haus ist?" wollte sie wissen. Pataleón bestätigte es mit unüberhörbarer Verunsicherung. "Gut, dann werde ich dich um Mitternacht besuchen und was mitbringen, um dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt", gedankenknurrte Ladonna. Dann beendete sie bis auf weiteres die Gedankenverbindung zu Pataleón.

Danach erfuhr sie von Güldenberg, dass er am 18. März eine Versammlung einberufen wolle, um über das Ultimatum der Zwerge zu informieren. "Wir haben nur vier Beamte mit magischen Augen, darunter Albertine Steinbeißer aus dem Büro für friedliche Koexistenz", gedankensprach der deutsche Zaubereiminister.

"Sieh zu, dass sie am Tag der Versammlung weit weg von euch zu tun bekommt! Gib ihr eine Sonderaufgabe, die sie den ganzen Tag im Außendienst hält!" befahl Ladonna. "Überhaupt, schicke alle mit magischen Augen möglichst an unterschiedliche Orte, solange du die Kerze noch nicht im Ministeriumshaus hast! Keiner von denen darf die Kerze sehen, bevor sie entzündet wird, vor allem nicht Albertine Steinbeißer."

"Ich weiß, sie hat sich Euch widersetzt", gedankenantwortete der Minister ohne Anflug eines Gefühls, wie er dies empfand. "Ja, und deshalb soll sie keine Gelegenheit erhalten, dein Ministerium zu stürzen, um mich zu besiegen. Schick sie an ein Ende des Landes, wo sie irgendwas für die Magielosen wichtiges überwachen soll. Wenn du alle anderen außer den Trägern magischer Augen unter meine Herrschaft gestellt hast wirst du sie wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung festnehmen und einkerkern lassen. Vielleicht kannst du auch erwirken, dass man ihr die magischen Augen wieder wegnimmt."

"Wie Ihr befehlt, meine Königin", erwiderte Güldenbergs Gedankenstimme unterwürfig. Dann war die Verbindung beendet.

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Sie hatte ihr haus lange nicht mehr so voll gehabt. Espinela Flavia Bocafuego de Casillas hatte nach den Warnrufen ihrer Töchter Amalucia und Carmelita Luciana sofort an alle gesungen, ihre Familien zusammenzurufen und mit ihnen durch die geheimen Erdenkrafttore zu ihr hinüberzukommen. Danach hatte sie sich über eine Bilderverbindung, die über drei Stationen ins Ministerium führte erkundigt, dass dort wohl eine Vollversammlung stattgefunden hatte, bei der aber keine Zauberergemälde erwünscht waren, es aber wohl mit dem zum Geheimnis erklärten Tod von Minister Pataleóns Frau zu tun haben mochte. Ja, und diese Bilderverbindung hatte ihr auch zugeraunt, dass man jetzt auf Ignacio warte, um ihn entweder nur zu verhören oder ihm die Kündigung auszusprechen oder ihn schlimmstenfalls nach Cuisinsol, auch als Stadt ohne Sonne bekannt, zu verbringen, falls er was mit Carmen Estrella Miguezes Tod zu tun habe.

Ab da war klar, dass der Fall "Rosendorn" eingetreten war, auf den sie ihre Familienmitglieder immer wieder hingewiesen hatte. Denn es war klar, dass sich die dunkelhaarige, mit Waldfrauenblut verseuchte Größenwahnsinnige nicht mit Italien abfinden würde, wenn sie Spanien und Portugal, Griechenland und den Balkan als Nachbarn hatte. Mit Frankreich würde sie sich wohl nicht anlegen, weil sie dort zu gut auf ihre Machenschaften vorbereitet waren und Ornelle Ventvit durch den ungefragten Sonnensegen der über ihre eigene Ruhmsucht gestolperten Euphrosyne nicht von Cantanottes unheilsnachfahrin unterworfen werden konnte.

"Ich hatte ihn gewarnt", grummelte sie. "Ich hatte ihn gewarnt, nicht ohne eine von uns zu verreisen."

Als ihr klar war, dass sie und ihre Blutsverwandten auf der Feindesliste des Zaubereiministers stehen mochten hatte sie Carmelita Lucianas Sohn Ignacio angesungen, unabhängig davon, dass er vielleicht gerade in einem Gespräch steckte. Der arme hatte ja alle Quidditchvereine Spaniens zu bändigen. Sie hatte ihm nur zugesungen: "Komm nach der Konferenz nicht durch die Kamine, sondern apparierend zu mir. Lorena und die Kleinen sind auch da. Keine Widerrede, wenn du noch an deiner Freiheit und deinem Leben hängst!"

Ja, und tatsächlich hatte Ignacio die Konferenz noch bis zwei Uhr zu leiten gehabt. Statt noch in sein Büro im Ministerium zurückzukehren war er von Menorca aus über eine Nebenstraße der Gran Via von Barcelona direkt vor ihren Balkon appariert. Sie hatte bereits die Glocke der Unveränderlichkeit über ihrem Haus und Grundstück errichtet, nachdem sie mit einem kleinen Suchglas schemenhafte Wesen mit rötlichen Aureolen rings um ihr Grundstück erkannt hatte. Die kamen nicht zu ihr durch und sollten darüber sehr froh sein. Aber Blutsverwandte wie Ignacio konnten zu ihr apparieren.

Trotz der erweiterten Schutzbezauberung um ihr Haus, das nun für alle verlassen und mit geschlossenen Fensterläden und dem Gitter vor allen Balkontüren aussah, rief sie sämtliche Blutsverwandten in einem fensterlosen Raum zusammen, der auch ein Dauerklangkerker war. Dort sprach sie aus, was sie befürchtete, das der Zaubereiminister von Ladonna Montefiori überfallen und mit ihrem Feuerrosenzauber unter ihren Einfluss gezwungen worden war. Der hatte dann wie mit einer ansteckenden Krankheit behaftet alle seine Leute dieser schwarzhaarigen Mischblüterin ausgeliefert, sowie Bernadotti in Italien das getan hatte. Beweisen konnte sie es wohl nur, wenn jemand wie sie zu ihm hinging und es spürte, was mit ihm war. Nur hatte Ladonna schon gezeigt, dass ihr der Blutschutz der Kinder Mokushas völlig unwichtig war. Sie würde nicht zögern, ihren neuen Hilfstruppen zu befehlen, sie zu töten, sofern ihre neuen Marionetten das dann noch konnten. Ja, und am Ende hatte sie sogar noch eine Gemeinheit parat, um die Lebensaura von anderen Veelastämmigen zu erfassen und darauf angesetzte Vernichtungszauber zu wirken. Auch sie wusste, was mit einer mutmaßlichen Niederlassung Vita Magicas auf Sizilien geschehen war.

"Will sagen, das Ministerium ist erst einmal tabu für uns?" wollte Ignacio wissen und fing sich tadelnde Blicke seiner Mutter, seiner Tanten und seiner Cousinen ein. "Mädels, es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten", erwiderte er darauf und wertete ihre Blicke als ein Ja.

"Frechling", knurrte seine Mutter Carmelita Luciana. Dann sagte seine Großmutter Espinela:

"Sie wird sich das Ministerium nicht ohne Kampf oder eine List wieder abnehmen lassen. Aber wir werden es ihr wieder abnehmen. Das wird so sein, weil ich das will. Ihr wisst ja, was ich will bekomme ich auch."

"Obwohl du nicht Lola heißt, Abuelita Nela", wagte Ignacio."

"Offenbar servieren die auf Menorca jetzt Sandwichtelpaella, weil du so frech bist, mein Junge", grinste Espinela. "Ja, und du darfst froh sein, dass ich nicht Lola heiße. Du weißt ja, von was Lola die Koseform ist."

"Das ist die Vergrößerungsform von Lolita", legte Ignacio nach und fragte sich, ob es die Anwesenheit der vielen Veelastämmigen war oder was ihn von seiner sonstigen Zurückhaltung seinen Verwandten gegenüber abbrachte.

"Das auch", erwiderte seine Großmutter verwegen grinsend. Dann wies sie alle an, sich bis zur Feststellung, ob nur ein paar Leute aus Pataleóns Ministerium oder alle zu Ladonnas Leibeigenen geworden waren zurückzuhalten.

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Anthelia merkte auf, als sie hörte, dass es im spanischen Zaubereiministerium eine Tragödie gegeben haben sollte, aber nicht erfuhr welche. Sie beschloss deshalb ihre Bundesschwester Almaluna zu sich hinzurufen. Als diese eintraf flirrte die Luft um sie herum, und sie krümmte sich zusammen. Anthelia/Naaneavargia erfasste sofort die zwei miteinander streitenden Gedanken, die Feindin zu töten und die höchste Schwester nicht zu töten. "Nein!" rief sie noch. Dann wurde sie von einer grün-roten Lichtfontäne erfasst und mit einem verwehenden Schrei ins Nichts zurückgeworfen. Da war Anthelia klar, dass jemand sie, die als Sachbearbeiterin in der Handelsabteilung arbeitete, mit einem feindlichen Zauber in Berührung gebracht haben musste. Sie, Anthelia, konnte sie nicht verraten. Wenn ihr das jemand aufzwang würde sie sterben. Ihr wurde jetzt klar, was geschehen war. Ihre italienische Erbfeindin, ja, weil sie sie gewissermaßen von Sardonia geerbt hatte, war mit ihrer Feuerrose nach Spanien vorgedrungen. Sie musste jetzt alle herholen, die noch in irgendwelchen Ministerien arbeiteten und sie prüfen. Sie hatte Almaluna sehr gerne als Bundesschwester gehabt. Doch womöglich landete diese gerade irgendwo und starb, weil zwei sie bedrohende Einflüsse sie geistig und körperlich aufrieben. Man würde sie wohl vermissen, aber nicht wissen, was ihr widerfahren war.

Zu ihrer Erleichterung konnten die anderen Schwestern noch zu ihr hin. Sie erfuhr jedoch, dass es im russischen Raum wohl eine kurzzeitige Störung in der Verständigung des Ministeriums gegeben hatte. Anthelia nickte. Sie musste davon ausgehen, dass auch Arcadi und sein Ministerium bereits unterworfen worden waren. Womöglich war ihr Einsatz damals umsonst gewesen. Das ärgerte die Führerin des Spinnenordens.

Albertrude konnte auch problemlos im Haus Tyches Refugium apparieren. Sie erwähnte, dass im Deutschen Zaubereiministerium eine Vollversammlung wegen der Streitigkeiten zwischen Kobolden und Zwergen einberufen worden war, und zwar für den achtzehnten. Ihr kam das sehr seltsam vor. Anthelia konnte ihr da nur beipflichten. So erzählte sie ihr, was Almaluna widerfahren war und welchen Schluss sie daraus zog.

"Oh, das muss man ihr lassen. Eine Vollversammlung ist sehr gut geeignet, möglichst alle Ministeriumsleute auf einmal zu kriegen. Dann bist du sicher, dass sie sich Pataleón, Arcadi und Güldenberg gesichert hat, Schwester Anthelia?"

"Güldenberg, Rheinquell, Rosshufler im Gesamtpaket, Schwester Albertrude. Womöglich auch die drei Nordlandminister. Entweder hat sie die alle an einen Ort zusammenbekommen, von dem wir diesmal nichts mitbekommen haben, oder sie hat in der Zeit, wo sie sich so verdächtig ruhig verhalten hat, mehrere Dutzend von diesen Feuerrosenkerzen gedreht. Halte dich von dieser Vollversammlung irgendwie fern und falls möglich, schaff es irgendwie, ein paar von denen mit davon fernzuhalten, mit denen du arbeitest oder gut auskommst."

Albertrude lächelte. "Ich war übrigens vorhin noch bei meiner offiziellen Stuhlmeisterin, Gesine Feuerkiesel. Der habe ich das auch erzählt, dass mir was merkwürdig vorkommt. Da hat die mir gesagt, ich möge morgen, bevor ich zu meinen Auftrag nach Nordrhein-Westfalen aufbreche, noch ein paar Sachen an meine lieben Mitarbeiter verteilen. Sie wolle noch wen anderes zu sich hinrufen."

Albertrude berichtete der doch sehr beeindruckten Anthelia, was genau unternommen wurde und auch, dass nicht nur sie, sondern alle Träger magischer Augen zu großen Elektrizitätswerken geschickt würden, um zu verhindern, dass die Zwerge dort was anstellten, um das Zaubereiministerium zu ärgern, nachdem das mit den Kobolden ja nicht geklappt habe. Anthelia nickte anerkennend und sagte:

"Es wäre sehr traurig, mit einer so vorausschauenden Hexe verfeindet sein zu müssen. Damit meine ich sowohl dich als auch Gesine Feuerkiesel. Gute Reise und schnupper an keinen Rosen, die schon brennen!" sagte die höchste Schwester noch.

Die anderen herbeigerufenen waren auch noch auf ihrer Seite. Damit sich das nicht änderte brachte Anthelia noch einmal das hohe Zauberkunststück mit einer zeitweiligen Doppelgängerin, wie sie es bei Ladonnas erster Feuerrosenpräsentation getan hatte. Sie gab den Doppelgängerinnen die Erinnerung, nichts von der Spinnenschwester zu wissen und zauberte sie in einen Tiefschlaf. Dann brachte sie sie mit ihren Originalen erst in deren Haus zurück, um dann mit den Originalen in ihr eigenes Haus zurückzukehren. Vorbereitung war eben besser als das Nachsehen zu haben.

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Der sechzehnte März würde nur noch eine halbe Stunde dauern. Ladonna war sich einerseits sicher, dass ihr niemand mehr etwas antun würde. Doch sie wollte nicht von Gemälden beobachtet werden, von denen sie nicht wusste, mit welchen Gegenstücken sie verbunden waren. Denn ihr war eingefallen, dass der Verrat an ihrem Plan durchaus auch von einem der hier aushängenden Bilder stammen konnte. Deshalb hatte sie zu ihrer natürlichen Unortbarkeit auch einen zauberstablosen Unsichtbarkeitszauber auf sich gelegt, bevor sie in das spanische Ministeriumsgebäude hineinapparierte. Pataleón hatte ihr extra ein Treppenhaus dafür freigemacht.

Lautlos wie ein Schatten schlich sie aus dem Treppenhaus durch die Gänge. Dabei dachte sie an die Spionageaktion der Zwerge gegen das italienische Zaubereiministerium. Darauf würde bald die gebührende Antwort erfolgen. Die kleinen Wichte sollten zittern und beben.

Sie suchte gezielt die Abzweigungen der Gänge auf, bei denen Kristallsphären hingen. Mit ihrer Gabe, frei zu fliegen, stieg sie nach oben und brachte kleine Kristallplättchen an der Oberseite an. Diese wurden sofort warm und hafteten. Die Verbindung zwischen flammenlosem Licht und einem von ihr erfundenen Strafzauber war angebracht.

Als sie den Minister in seinem Schlafzimmer aufsuchte wurde sie sichtbar. Ihre Veela-Aura bewahrte sie jedoch vor den hier wirkenden Eindringlingsmeldezaubern. Sie erklärte ihrem Statthalter, dass sie ein Netz aus Quellartefakten gewoben hatte, das jeden Veelastämmigen, der nicht ihren Lebenshauch am Körper trüge, gnadenlos auslöschen würde. "Vor der Blutrache der Veelastämmigen braucht ihr euch nicht zu fürchten. Der Zauber wirkt bis zu einer halben Meile Umkreis um das Ministerium. Das konnte ich aber erst machen, nachdem du mir dieses Haus und die darin tätigen unterstellt hast. Falls dieser Fahnenflüchtige noch einmal hier hereinkommen will wird er nur vier bis zehn Sekunden lang überleben, es sei denn er könnte von hier wegdisapparieren."

"Ich habe die Nachtsperre so eingestimmt, dass der Eingangsbereich ab sieben Uhr abends unapparierbar ist", wisperte Pataleón. Ladonna nickte. Dann wurde sie wieder unsichtbar. "Wenn du meinen Ruf hörst darfst du das Treppenhaus wieder versperren", dachte sie ihm noch zu. Dann sah er, wie sich die Tür öffnete, eine Sekunde offenstand und wieder schloss.

Ladonna kehrte in das für sie freigehaltene Treppenhaus zurück und disapparierte von dort. Als sie wieder im Schutz ihres eigenen Hauses bei Florenz war schickte sie ihrem spanischen Statthalter den verabredeten Ruf. Dann beschloss sie zu schlafen.

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18.03.2006

Bärbel Weizengold verstand auf einmal, was ihre Kollegin Albertine gemeint hatte, als sie am gestrigen Morgen vor ihrem Abschied gesagt hatte: "Traut keiner Blume, die ihr nicht kennt über den Weg." Dann hatte sie ihr, ihrem Vater, sowie Adelheid Kienspan und Arnulf Krautwein sogenannte Freundschaftsbändchen überreicht, die Glück bringen sollten. Armin Weizengold hatte sie auf magische Kräfte untersucht und dabei festgestellt, dass sie sich an Sonnenlicht aufluden und sich wohl regten wenn andere Bandträger in der Nähe waren. Dann hatten sie sich diese Bänder umgelegt, auch wenn Bärbel nicht immer so sicher war, was mit Albertine war. Wenn sie nur ihr so ein Band gegeben hätte dann hätte sie vielleicht gedacht, dass die lesbisch lebende und liebende Hexe was von ihr wollen könnte. Doch nachdem ihr Kollege Krautwein und ihr Vater das Armband angelegt hatten war ihr Misstrauen geschwunden. Ja, es hatte leicht vibriert. Laut Albertine würde es solange halten, bis sie wiederkam, so in vier Tagen, wenn das Ultimatum der Zwerge vorbei war und klar sei, was sie dann anstellten.

Dann war die Vollversammlung einberufen worden. Bärbel wusste nicht, wozu es gut sein sollte, dass wirklich alle über die Machenschaften der Zwerge und Kobolde diskutieren sollten. Gut, was die Kobolde betraf ging es sie ja alle was an, weil die ja das Gold für sie alle verwahrten und neue Münzen prägen konnten, wenn Bedarf bestand.

Als dann aus einem Aktenfach eine blutrote Kerze herausrutschte, in der Luft stehenblieb und mit einem Schwall violetten Rauches eine rubinrote Flamme aus dem Docht schnellte wusste Bärbel, was Albertine gemeint hatte. Ja, sie hatte an verschiedenen Stellen davon gehört. Was sollte sie machen? Erstmal die Luft anhalten. Dann die Ohren zuhalten, um nichts mehr zu hören? Das ging doch gar nicht, vor allem, wenn diese Kerze da mit Heulerlautstärke plärren mochte.

Auch die anderen waren erstaunt. Längst nicht jeder wusste, was es mit der Kerze auf sich hatte. Der Rauch sagte aber den meisten, dass sie den besser nicht einatmeten. Die ersten rannten schon in Richtung Tür. Bärbel wollte ebenfalls los. Da bekam sie mit, dass die Türen fest verschlossen waren. Also war das mit dem Minister und seinen Leuten so abgesprochen, die da bei ihm standen und zusahen, wie über tausend Leute versuchten zu flüchten. Bärbel sah ihren Vater, der Wedelbewegungen machte, um den Qualm wegzufächern. Das war doch sinnlos. Alle hier versammelten Lichtwächter rissen ihre Zauberstäbe heraus. Da rief Wetterspitz: "Weg damit, oder ihr steckt alles in Brand!" "Bärbel, das ist ..." Bärbel nickte ihrem Vater zu, damit er nicht weiterredete. Noch hielt sie die Luft an. Doch ihr wurde klar, dass das nicht ewig ging. Irgendwann musste sie atmen, und dann bekam sie den verfluchten Qualm mit voller Stärke ab. Sie überlegte, ob sie disapparieren konnte. Doch sie kannte den Notausgang für diesen Raum nicht. Ihr Vater sprang zu ihr, stellte sich vor sie hin, als könne er was da kam mit seinem Körper abfangen. Ein Zauberfluch schoss durch den Raum und zerfaserte mit lautem Knistern im Rauch. Der wogte nun wie eine Wolke im Wind und dehnte sich dabei immer weiter aus. Bärbel fühlte, wie die Angst, gleich ihre eigene Freiheit, ihre eigene Seele zu verlieren, immer größer wurde. Ihre Lungen schmerzten. Während sie sah, wie ein Zauberer der Lichtwachen einen Brandlöschzauber versuchte, der mit lautem Plopp in der Flamme zersprang wusste sie, dass sie hier nur noch als Ladonnas willige Sklavin herauskam. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte hier weg, hier weg!

Um sie herum sah sie eine durchsichtige, goldene Aura. Sie spürte dieses Armband Albertines. War sie dieser wiedererwachten Dunkelhexe etwa schon verfallen? Nein, weil sonst wäre sie jetzt hier. Ja, das war logisch. Sie hätte sonst sehen können, wo die Kerze war und was es damit auf sich hatte.

Alle rückten nach inten, weg vom violetten Rauch. Güldenberg sah nur zu, ruhig, erwartungsvoll. Ja, der war schon ein Sklave Ladonnas. Alle, die jetzt hier waren, auch sie, würden es noch in diesen Minuten werden. Sollte sie loslaufen, rein in den Qualm, ihn bewusst einsaugen, um es hinter sich zu haben? Nein! Sie wollte hier weg, auch wenn sie nicht wusste ...

Sie sah noch die ersten violetten Rauchschwaden die vordere Reihe treffen. Da ruckte es in ihrem rechten Arm. Gleich darauf meinte sie, in einen goldgelben Strudel hineinzustürzen. Sie hatte das gefühl, eine starke Kraft ziehe sie an einem Haken an ihrem Bauchnabel. Das gefühl kannte sie von verschiedenen Gelegenheiten, vor allem von der Quidditchweltmeisterschaft in Frankreich. Ein Portschlüssel hatte sie ergriffen und aus der unmittelbaren Gefahrenzone gerettet. Doch der säuselnde Wirbel, durch den sie ohne räumliche Grenzen zu sehen raste, war sonnengelb. Dann fühlte sie ihre Füße auf etwas aufprallen und stemmte sich gegen den Fall nach vorne. Sie schaffte es gerade so, nicht auf die Nase zu fallen. Doch sie musste sich mit ihren Händen Abfangen. Neben ihr plumpste etwas schweres zu Boden. Hinter ihr fluchte ein Mann "Was zum roten Blitzschlag war das?" Auch hörte sie die Kollegin Kienspan, die keuchend neben ihr auf die Füße kam. Ihr Vater stand auch auf. Dann sagte er: "Darauf waren sie also kalibriert."

"Moment, Herr Weizengold, Sie wussten, dass die Bänder Portschlüssel sind", sagte Adelheid Kienspan. Dann sah Bärbel noch weitere Leute, Hexen in Weiß! Die Spinnenhexen? - Uff! Nein, Lichtwächterinnen. Wie kamen die denn hierher?

"Also, ich konnte es erkennen, weil die Raumveränderungskraft in denen schlummerte, aber noch nicht stark genug war", sagte Bärbels Vater und Vorgesetzter. "Ich ging aber davon aus, dass Albertine uns die gegeben hat, weil sie von irgendwoher erfahren hat, dass wir in Gefahr geraten könnten. Ein himmelskörperfokussierter Portschlüssel kann die üblichen Portierungssperren unterlaufen, wenn das ihn bestärkende Gestirn frei zu sehen ist."

"Öhm, du ... öhm, Sie haben es nicht für nötig gehalten, uns das zu sagen?" fragte Bärbel. Dann sah sie die Lichtwächterinnen, die offenbar sehr erleichtert waren, davongekommen zu sein. Im Ministerium wurden sie jetzt sicher alle benebelt und geistig umgewandelt.

"Fräulein Steinbeißer hat mir ein Memo geschrieben, dass sie uns gegen mögliche Eventualitäten schützen müsste, von denen sie erfahren habe. Da ich sie ja doch schon ein wenig länger kenne als Sie, Fräulein Steinbeißer und ich Ihnen vertraue, hatte ich keine Veranlassung Fräulein Steinbeißer zu hinterfragen."

"Ladonnas Feuerrose. Gut, dass die Dinger uns noch rechtzeitig von da weggebeamt haben", sagte eine der Lichtwächterinnen.

"Öhm, Frau Hantke, richtig?" fragte Bärbel. Die Lichtwächterin nickte. "Woher haben Sie bitte diesen Portschlüssel bekommen?"

"Sagen wir es so, die Lichtwache hat gute Kontakte zu gut informierten Leuten", sagte die Lichtwächterin, deren Namensschild sie als Eva Hantke auswies. Die anderen neunzehn stimmten ihr durch einfaches Nicken zu. Somit war klar, dass die alle dieselben gut informierten Leute kannten. Das fiel jetzt auch Bärbels Vater auf. Er fragte: "Sie sind nicht zufällig in einer bestimmten Vereinigung von Hexen?"

"Nein, nicht zufällig", sprach eine Stimme von hinten. Alle drehten sich um und sahen eine kleine, zierliche Hexe mit dunkelblondem, glattem Haar und blattgrünen Augen. Sie trug ein veilchenblaues Kleid und weiße Stöckelschuhe, die sie um fünf Zentimeter größer erscheinen ließen. Diese Hexe kannte Bärbel. Sie hatte einen guten Namen bei vielen Ministeriumsmitarbeitern und hatte laut "Burg Greifennest- Geschichte und Gegenwart" in allen Zauberfächern außer Wahrsagen den höchsten Abschluss erzielt. Aber sie hatte dann in der freien Zaubererweltwirtschaft angefangen, nicht im Ministerium. Das war Gesine Feuerkiesel.

"Guten Morgen Frau Feuerkiesel", sagte Bärbels Vater. "Haben Sie uns diese spontane Einladung zukommen lassen?" fragte er und zeigte das Freundschaftsbändchen am rechten Handgelenk. Arnulf knurrte nur: "Also ist die doch eine von denen. Mann, wenn ich das Opa Pompi auftische ..."

"Arbeitet der auch im Ministerium?" fragte Gesine Feuerkiesel. Arnulf verneinte es. "Dann wird er sie höchstens gelangweilt ansehen und fragen, ob Sie gut geschlafen haben, junger Mann. Er hat viele geheimnisse, wie ich auch. Ich weiß welche von ihm, er welche von mir, aber keiner weiß vom anderen alles. Und sie drei, die von meiner guten Bekannten Albertine Steinbeißer mit eingeladen wurden, nicht in Ladonnas Rosenduft zu ertrinken, heiße ich willkommen auf meinem Anwesen Kieselburg. Für die, die es noch nicht wissen sollten, wo das liegt, zwanzig Kilometer nördlich von Hameln an der Weser, sowohl in der nichtmagischen wie magischen Welt berühmt."

"Wegen dem Unfug mit dem Rattenfänger", knurrte Arnulf, der einzige, der sich mit der Lage hier nicht so ganz glücklich fühlte. Die anderen lachten, auch Bärbel und ihr Vater.

"Sie meinen wegen des Unfugs über den Rattenfänger. Ich ging davon aus, das unsere Muttersprache in Greifennest noch sehr streng beachtet wird. Aber Sie sind nicht hier, um Nachhilfe in Deklination zu erhalten, Herr Krautwein, sondern weil ich sicherstellen wollte, dass die komplette Behörde für friedliche Koexistenz dem Zugriff der selbsternannten Rosenkönigin entzogen wird, sowie jene Lichtwächterinnen, die mir ihr Vertrauen entgegenbringen und denen ich voll vertrauen kann."

"Die restliche Abteilung, die Rechnermannschaft, ist aber nicht hier angekommen. Dann ist die Mission doch gescheitert, Schwester Gesine", feixte Arnulf Krautwein und fing sich von den Lichtwächterinnen einen sehr tadelnden Blick ein.

"Ja, ich habe mal mit dem Gedanken gespielt, Heilerin zu werden. Insofern ist die Bezeichnung Schwester nicht ganz so verkehrt", grinste Gesine Feuerkiesel. Doch dann sah sie Arnulf Krautwein sehr streng, ja fast schon niederschmetternd an und sagte: "Und bevor Sie doch noch über ihre lose Zunge stolpern und sich eine blutige Nase holen soviel: Bevor Fräulein Steinbeißer vor ihrer Abreise zu jenem qualmenden Kohleverbrennungskraftwerk abgereist ist verteilte sie weitere Freundschaftsbändchen im Rechnerraum. Die sollten sie aber anderswo abliefern, nicht bei mir. Warum ich Sie, Ihren Vorgesetzten und Ihre Kolleginnen zu mir einlud liegt daran, dass wir nun gemeinsam besprechen können, wie es weitergeht." Sie deutete auf das etwa zweihundert Meter entfernte Landhaus, dass von sehr ordentlichen Gartenbeeten und hohen Obstbäumen umgeben war. Bärbel pfiff auf ihren Stolz und hielt sich in der Nähe ihres Vaters. So betraten sie das Haus Kieselburg durch ein grasgrünes Portal.

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Valdurino Dunkelauge hatte es wohl erfahren, dass König Malins Versuche, die Kobolde als unzuverlässig hinzustellen fehlgeschlagen waren. Auch hatte er mitbekommen, dass der Bund der zehntausend Augen und Ohren einen Weg gefunden hatte, unter der Erde wartende Tiefenboote zu vernichten. Das gab ihm zu denken. Ebenso gab ihm zu denken, dass sie im italienischen Zaubereiministerium schon seit anderthalb Tagen hämmerten, schabten, schraubten und sich dabei Kommandos zuriefen, die selbst der Sprachbegabte Herr der Kundschafter Italiens nicht verstehen konnte. Es war keine romanische Sprache und kein Englisch, Koboldisch oder Zwergisch. Dann verkündete ihm ein Horcher: "Die haben was von Mondspiegeln gesagt. Das sind die Dinger mit denen ..."

"Ich weiß, was das ist, Horcher Windfreund", grummelte Valdurino Dunkelauge. Dann waren sie offenbar fertig. Doch keiner verriet mehr, was da gebaut worden war.

"Ob die uns draufgekommen sind, dass wir die Tür geknackt haben?" flüsterte Kundschafter Leisefuß, der seit seiner gelungenen Unternehmung immer wieder mithörte, was seine heimliche Arbeit eintrug.

"Dann würden die nicht so laut rumschrauben. Die werden aber mitbekommen haben, dass was im Argen ist in Deutschland", wisperte Dunkelauge und bat Leisefuß, ihn zum König zu begleiten.

König Huorchino zeigte sich erheitert von der Vorstellung, dass die im Ministerium jetzt einen Mondspiegel hinter der Tür eingebaut hatten. "Jungs, ihr seit da doch ein wenig spät dran", spöttelte er nur.

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"Ich weiß nicht wie sie das gemacht haben, meine Königin", gedankenjammerte Güldenberg, als Ladonna ihn am Nachmittag fragte, ob er außer den Leuten mit den Kunstaugen alle ihrem Befehl unterworfen hatte. "Ich habe alle die die Kerze nicht vorher sehen konnten einbestellt. Aber als der violette Rauch austrat ist um Armin Weizengold, seine Tochter Bärbel, Adelheid Kienspan, Arnulf Krautwein und 20 Lichtwächterinnen eine sonnengelbe Leuchtspirale entstanden und hat sie fortgeschafft, obwohl der Saal gegen illegale Portschlüssel abgesichert ist."

"Augenblick, als die Kerze entzündet wurde sind ganze vierundzwanzig deiner Mitarbeiter geflüchtet?! Wie bitte soll das gegangen sein?"

"Ich weiß es nicht, meine Königin. Meine nun dir treu ergebenen Mitarbeiter suchen nach dem Mittel. Es steht nur fest, dass mir vierundzwanzig Leute verlorengingen, die jetzt in aller Welt herumerzählen können, dass ich die Feuerrosenkerze entzündet habe."

"Dann darfst du getrost auch die vier Träger von magischen Kunstaugen verlorengeben. Albertine Steinbeißer wird sicher von ihrem Vorgesetzten gewarnt und die anderen von den geflüchteten Lichtwächte-rinnen. Moment! Hexen aus der Lichtwache sind verschwunden?"

"Ja, zwanzig von denen, alle aus verschiedenen Regionen Deutschlands. ich fürchte, wenn wir nicht schnell sind, meine Königin könnten dir die Schweiz und Österreich verloren gehen."

"Nein, werden sie nicht. Denn die haben aus demselben Grund wie du diesen Tag als vollversammlungstag gewählt. Wehe, deine Leute finden nicht heraus, wie die vierundzwanzig entkommen konnten, Heinz Güldenberg. Oder ich habe keine Verwendung mehr für dich!"

"Ich werde herausfinden, wie die vierundzwanzig geflüchtet sind", gedankenwimmerte Güldenberg. Er wusste ja, dass Ladonna ihm über die Gedankenbrücke den Befehl zum sterben erteilen konnte. Er würde dann wie im blauen Schmelzfeuer vergehen.

Ladonna wartete noch zehn Sekunden. Dann gab sie Güldenberg noch die Anweisung, die Vorbereitungen für das Unternehmen "Zwergenruh" zu treffen. Denn was sie in Italien vorhatte würde auch in den deutschsprachigen Ländern wirken, war sie sich diesmal ganz sicher. Doch dass mal eben vierundzwanzig auserwählte Opfer ihrer Feuerrose entkommen waren, obwohl die einen Locattractus-Zauber beinhaltete, gefiel ihr überhaupt nicht.

Zumindest konnten Rheinquell und Rosshufler Vollzug melden. Rosshufler hatte sogar die Familienangehörigen der Ministeriumsleute dazugebeten, weil er denen allen erzählen wollte, dass König Malin einen Krieg gegen die Kobolde und damit gegen Gringotts plane. Daher waren auch Rosshuflers Frau und sein Sohn Joseph und dessen Ehefrau Franziska nun Ladonnas neue Untertanen.

"Das hast du gut gemacht", gedankensprach Ladonna. Dann zog sie sich wieder aus Rosshuflers Wahrnehmung zurück.

"Schon wieder ein Loch in meinem Plan. Wie konnten die der Feuerrose entwischen?" fragte sich die Rosenkönigin erneut. Blieb ihr am Ende doch nur, mit Gewalt vorzugehen? Noch hoffte sie darauf, dass auch Griechenland in ihre Hände fiel. Doch ihre Aktionen dort, um ein Treffen von Minister Anaxagoras mit seinem bulgarischen und türkischen Kollegen anzuregen waren bisher nicht wunschgemäß gewürdigt worden. Offenbar wirkten da noch andere gegen sie. Sie dachte an die Töchter der Hecate, einem der ältesten Hexenorden überhaupt. Die hatten sicher keine Lust, sich von einer mischblütigen Königin aus dem alten Rom unterwerfen zu lassen. Doch Osteuropa war ihr sicher. Denn sie hatte nur noch vier rote Kerzen in ihrem silbernen Kellerregal.

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Im großen Speisesaal des Hauses, in den an die hundert Leute reinpassten, besprachen die Weizengolds, Adelheid Kienspan, die Lichtwächterinnen und Arnulf Krautwein die neue Lage. Über mehrere Bilder erfuhr Gesine Feuerkiesel, dass die Versammlung zu Ende war und wohl alle Lichtwächterinnen und -wächter den Auftrag hatten, nach den entwischten Kolleginnen zu suchen.

Wir befinden uns jetzt in der höchst unschönen Lage, dass die, denen wir vertrauen konnten, ja zu Freunden hatten, unsere Feinde sind, die auf den Befehl ihrer wahren Herrin hin töten werden, auf den sie zeigt. Solange wir nicht wissen, wie wir die Wirkung dieser Feuerrose umkehren können sollten wir uns erst einmal still verhalten und eine Art Gegenministerium bilden. Dazu ist es auch sehr wichtig, über nichtmagische Kanäle mit den wohl noch freien Ministerien Kontakt aufzunehmen und zu halten. Dies ist der Grund, warum ich Sie mit in diese Gruppe von Flüchtlingen hineingelassen habe, Herr und Fräulein Weizengold, Frau Kienspan und Herr Krautwein. Ja, was Sie betrifft, Herr Krautwein, so kann ich auf diese Weise auch eine Schuld abzahlen, die mir Ihr Herr Großvater aufgeladen hat, sodass er mir jetzt wieder zwei Gefallen mehr schuldet als ich ihm. Wir müssen auch davon ausgehen, dass das Ministerium jede Zeitungsmeldung dementieren wird, die auf seine Unterwerfung abzielt, ja jeder Reporter auch in den fragwürdigen Genuss von Ladonnas besonderer Rosenzüchtung geraten könnte, ob wir heute was dagegen versuchen oder nicht. Wir sind auf einer Insel der relativen Freiheit, Meine Damen und Herren. Es gilt, die Lage zu überblicken, einzuordnen und wieder in den Ursprungszustand zurückzuführen. Ich bin für Vorschläge offen, aber bitte nicht durcheinanderreden!"

Nun besprachen sie, was sie tun konnten. Wichtig war, alle außerministeriellen Stellen so heimlich es ging zu unterrichten, dass hochrangige Personen bestenfalls ins Ausland flüchten konnten. Es sei nur vorher zu klären, in welches Land sich die Flucht lohne. Bärbel erwähnte, dass Frankreich wohl noch nicht unterworfen sei und vor allem Millemerveilles vor Ladonna geschützt sei. Davon ging Gesine Feuerkiesel auch aus. Nur sprächen leider nicht alle in Frage kommenden so gut Französisch wie Bärbel und ihr Vater. Adelheid erwähnte ihre Tochter Astrid Eschenwurz, die als übersetzerin helfen könne. Die sei schließlich nach dem grandiosen Abschlussjahr in Beauxbatons in den Verlag Mansio Magica gegangen. Gesine bejahte es und erwähnte, dass Astrid bereits gestern auf eine Verhandlungsreise zu den Kollegen in Paris geportschlüsselt sei und ihre Familie mitgenommen habe. Bärbel fragte sich doch jetzt, ob Astrid auch zu den Sorores gehöre. Doch sie wusste, dass sie genau auf diese Frage keine Antwort bekommen würde.

"Gibt es eigentlich wen, den oder die Sie nicht kennen?" fragte Arnulf Krautwein. "Ja, genau die, die Sie auch nie kennenlernen wollen, Herr Krautwein", erwiderte sie. Eine Lichtwächterin namens Tatjana Morgenfeld zischte ihm zu, nicht so vorlaut zu sein wie ein kleines Kind, wenn er seinem Großvater Ehre machen wolle.

"Danke Frau Morgenfeld, aber wenn er meint, die Lage zu beherrschen, indem er sich selbst nicht beherrscht, möchte ich ihm einstweilen die Illusion lassen", sagte Gesine Feuerkiesel. Arnulf klappte die Kinnlade herunter, während alle anderen lachten. Das hatte ihn härter getroffen als ein Zauberfluch.

Als sich Arnulf wieder gefangen hatte planten sie die nächsten Schritte, wie die Auskundschaftung wer schon alles auf Ladonnas Seite gewechselt worden war, wie sich Minister Güldenberg in der Öffentlichkeit verhielt, ob auch ohne großen Medienrummel klargestellt werden konnte, dass er gerade nicht Herr seines eigenen Willens sei und welche Zaubereiministerien noch alles unterjocht wurden. Die Aufgabe der Weizengolds und Bärbels war es über ihr weitverzweigtes Netz von Gegenstücken von ihrer Ururgroßmutter Mechthild immer neue Nachrichten zu erhalten. Hierzu konnten sie von hier aus nach kurzer Aparierfreigabe zum Schloss Weizengold bei Berlin Spandau überwechseln, das ja über einen Sanctuafugium-Schutz verfügte. Dort könnten Ladonnas neue Gefolgsleute wohl nicht hinein, war sich Gesine Feuerkiesel sicher. Da sprach nichts gegen, zumal das erwähnte Gemälde ja auch noch im Ministerium aushing, sofern sie es nicht schon längst entfernt hatten. Darauf sagte Bärbels Vater: "Wenn sie merkt, dass ihr wer an die Existenz will verschwindet das Bild von selbst. Dann geht es uns auch so verloren, bleibt aber anderswo verfügbar." Das sah Bärbel ein.

Weil es so viel zu besprechen und auszudiskutieren gab verging der Tag, der sicher irgendwann in den Deutschen Annalen als Schicksalstag für Deutschland stehen würde. Ob das nicht eher der Tag war, an dem Güldenberg und seine wichtigsten Leute umgedreht worden waren? Bärbel konnte auf diese Frage gerade keine Antwort geben. Sie war nur froh, mit ihrem Vater ins Stammschloss der Weizengolds apparieren zu können. Denn das flohnetz erschien beiden zu gefährlich. Sie wussten schließlich vom dunklen Jahr der Todesserherrschaft, dass das französische Flohnetz zeitweilig so gestimmt war, dass bestimmte Kamine nur an andere bestimmte Kamine weitergeleitet wurden. Das würden sie sicher auch hier tun. Wer apparieren konnte war hier im Vorteil, sofern sie keine Aufspürartefakte nutzen, um Apparatorinnen und Apparatoren zu überwachen. Doch auch dagegen gab es ja was, wusste Bärbel von Julius und Millie Latierre.

Bevor sie mit ihrem Vater ins Schloss Weizengold apparierte wagte Bärbel es, in ein Versteck bei Rosenheim zu apparieren, das nur sie und ihr Vater kannten. Sie hatte mit Martha Merryweather vor zwei Jahren darüber geschrieben, dass der Fall einer Übernahme des Rechenzentrums durch feindliche Wesen geschehen konnte. In dem Fall sollte sie über einen Laptop mit Satellitenmodem eine letzte Warnung absetzen. Sie fuhr den Rechner hoch, schaltete das Modem ein und hoffte, dass wirklich niemand dieses Versteck gefunden hatte. Als alles bereit war rief sie die bereits geschriebene Warnmeldung auf und fügte nur in den Feldern für Datum, Grund und Auswirkungen die zutreffenden Textbausteine ein. So stand als Abschlussnachricht:

WARNUNG!!

Gemäß Absprache 202 muss ich, Bärbel Weizengold, Mitarbeiterin im Deutschen Ministerium für magische Angelegenheiten aller Art, am 18.03.2006 17:22 Uhr den Fall Feuersturm verkünden. Durch Ladonnas Feuerrose bei Vollversammlung im Ministerium größter Teil Personal unter Fremdbestimmung Ladonna Montefiori geraten. Meine Flucht nur durch Situationsportschlüssel möglich, melde mich am nächsten Tag in Millemerveilles persönlich. Bitte Weitergabe an alle noch für frei erkannte Ministerien!

Als die Nachricht verschickt war fuhr sie schnell den Rechner herunter. Ihr Vater, der die ganze Zeit Wache gehalten hatte, atmete auf, als sie das Gerät mit einem verzögerten Sprengfluch belegte. Dann disapparierten beide. zehn Sekunden später zerbarst der Klapprechner und verteilte sich als feiner, giftiger Staub im inneren des kleinen Blockhauses.

Bärbels Mutter war da und auch ihr Onkel Axel mit Tante Verena und ihren Kindern Tessa und Rolf, sowie Bärbels vier Großeltern. Irgendwer, ob Gesine Feuerkiesel oder Ururoma Mechthild, hatte Alarm gegeben und alle veranlasst, in das Schloss Weizengold umzuziehen. Je mehr hier wohnten, desto stärker wirkte der Sanctuafugium-Zauber. Zumindest waren sie hier jetzt erst einmal sicher. Arnulf war zu seinem Großvater nach Bielefeld appariert, wo dieser bereits von der Tragödie im Ministerium erfahren hatte, soweit das Bild von Ururoma Mechthild. Das einzige, was Bärbel besorgte war, dass sie nicht wusste, wie Ladonna es hinnehmen würde, dass ihr da mehr als fünfzig Leute von der Gartenschippe gesprungen waren. Lange mochte es nicht dauern, bis sie es erfuhr.

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19.03.2006

Julius las die Nachricht dreimal. Dann druckte er sie aus und las sie noch mal auf Papier. Er fühlte, wie seine Knie zitterten. Hatte Bärbel das echt erlebt? Falls ja, dann erklärten sich auch Sachen der beiden letzten Tage, wie die plötzliche Veela-Aversion in Russland oder dass sich Belgien nicht mehr über die Bilderverbindung bei der Ministerin meldete, um weiterhin die Sonderlage der Valonen zu handhaben. Dann erklärten sich auch die ganzen über die letzten vier Wochen gemeldeten Vorfälle aus Nordeuropa und in Deutschland. Wenn das stimmte, dann waren sie alle so gut wie erledigt, es sei denn ...

Julius eilte mit drei Ausdrucken der Nachricht ins Ministeriumshauptgebäude zurück. Dort nutzte er einen der Treppenaufgänge und begab sich zu Mademoiselle Ventvit. Dieser legte er die Nachricht von Bärbels Laptop mit Arkanet-Programmen auf den Tisch. Als sie die Nachricht las nickte sie nur. "Dann ist der Fall Feuersturm eingetreten. Sie hat es doch irgendwie geschafft, obwohl ich die Kollegen gewarnt habe, sich nicht auf unbedachte Sachen einzulassen. Monsieur Latierre, Ich erlaube Ihnen, die Umsiedlung der Elektrorechner zu beaufsichttigen. Ebenso erlaube ich Ihnen auch, gegen die üblichen Dienstvorschriften das Mentiloquieren während der Dienstzeit. Die ist jetzt eh erst einmal außer Kraft."

Sie nahm eine Silberdose aus einem Regal, klappte sie auf und rief hinein: "Hier spricht Zaubereiministerin Ventvit. Feuersturm! Feuersturm! Feuersturm! Alle Arbeiten unverzüglich einstellen. Materialien in sicheren Schubladen einschließen! Danach alles Personal unverzüglich zum Ziel auf Anzeigefenster apparieren oder Flohnetzanschluss zu den Punkten Postamt Millemerveilles, Grüne Gasse Millemerveilles, Chapeau du Magicien Millemerveilles. Alle unverzüglich das Gebäude verlassen: Situationsfluchgefahr!" Sie widerholte die Warnung noch zweimal. Dann ließ sie sich auf einem der magischen Bildverpflanzungsfenster die gerade im Gebäude ermittelte Personalstärke zeigen. Eine Vielzahl grüner Punkte bevölkerte die weißen und blauen Strichzeichnungen des Bauplanes. Immer mehr grüner Punkte verschwanden. /p>

"Die kann doch keine dieser Feuerrosendinger hier reinschmuggeln, Ministerin Ventvit", sagte Brunos Vater, der ins Büro lief. "Julius' Veelas haben doch hier vorgestern erst durchgekämmt und keine Laus in unserem Pelz gefunden."

"Und dennoch hat sie es in Deutschland geschafft, Belenus. Da, bitte!"

Brunos Vater las, während im ganzen Ministerium der Evakuierungsalarm schrillte und somit jeder von hier disapparieren konnte. Ein Locorefusus-Zauber hinderte Eindringlinge daran, auf weniger als zwei Kilometer an das Ministerium heranzuapparieren. Die Punkte auf dem Belegungsschema wurden immer weniger.

"Dann muss sich mein Kollege Wetterspitz doch mit wem getroffen haben, der oder die ihm diese Stinkwurz unter die Nase gehalten hat", knurrte Belenus Chevallier.

Als bis auf die vier Punkte bei der Ministerin selbst keine grünen Punkte mehr zu sehen waren befolgte Julius die Anweisungen und mentiloquierte seine Frau an: "Wir haben den Fall Feuersturm, Millie. Alle von uns sind rüber zu den Anlaufpunkten. Ich bin mit Nathalie noch im Rechnerraum und bau die Geräte da ab. Sag Viviane bitte, sie soll Florymont den Code "Sonnenglanz" durchgeben!"

"Läuft!" gedankenrief Millie. "Viviane hat nämlich keine Verbindung mehr mit Belgien."

"Dann die auch", schickte er zurück.

"Ich kriege gerade Besuch. Die lange Bärbel Weizengold."

"Gut, sie steht auf dem Grundstück vor der Haustür?" gedankenfragte Julius. Millie bestätigte es. "Dann ist sie fluchfrei und auch nicht auf Feindschaft gestimmt. Lass sie bitte rein. Wir haben ihre Nachricht erst heute morgen gefunden, weil sie nur an meinen Rechner geschickt wurde."

"Geht klar", schickte Millie zurück.

Zusammen mit allen noch im vom Ministerium abgelegenen Rechnerraum baute Julius alle Geräte ab, die über Satellitenmodems mit dem Internet verbunden waren. Ganz zum Schluss wurde noch der USV-Generator auf Brennstoffzellenbasis demontiert und eingepackt. Dann flogen alle mit den Rechnern und Peripheriegeräten in stoßfesten Kartons auf den Besen davon, Richtung Millemerveilles. Dazwischen saßen die Zaubereiministerin, Nathalie und Belle Grandchapeau, die durch ihre Ausstrahlung verhindern konnten, dass fremder Veelazauber wirkte.

In nur drei Stunden erreichten sie Millemerveilles. Julius beaufsichtigte den Aufbau der Geräte unter einem regen- und Hitzesicheren Zelt, an dem außen eine Unzahl Solarzellen angebracht worden waren. Millemerveilles wurde wieder einmal zur Festung gegen eine dunkle Macht, wie damals im dunklen Jahr selbst. Und diesmal würde sie nicht zum Gefängnis für die, die sich ihr anvertrauten. Morgen würden sie von hier aus weitermachen, hoffentlich sicher vor Ladonnas neuen Vasallen, den früheren Freunden des Zaubereiministeriums.

Die Ministerin und Julius unterhielten sich im Klankerker-Arbeitszimmer des Apfelhauses über Bärbels Flucht. Sie durfte nicht erzählen, woher sie den Flucht-Portschlüssel hatte, weil diejenigen, die ihn ihr gegeben hatten nun untertauchen müssten. Sie erwähnte auch, dass sie mit ihrer Familie im mit Sanctuafugium-Zauber geschützten Familienstammsitz bei Spandau untergekommen war und dass das Schloss bereits von Ministeriumstruppen belagert wurde, die aber nicht näher als hundert Meter an die Mauern herankämen, was eindeutig dafür spräche, dass sie von dunklem Einfluss getrieben würden. Die Ministerin und Julius nickten. Das kannten sie ja schon aus dem dunklen Jahr.

"Die mit mir entkommen konnten und ich haben beschlossen, es erst mal nicht öffentlich zu machen, was passiert ist, um keine Panik und keinen Aufruhr zu erzeugen. Wir müssen davon ausgehen, dass auch in Österreich und der Schweiz solche Übernahmen stattfanden. Außerdem könnten bereits Berichterstatter unterworfen worden sein, die uns sofort an die jetzt unter Ladonnas Einfluss stehenden verraten können", sagte Bärbel. Julius überlegte, ob das so gut war, die magische Öffentlichkeit im unklaren zu halten. Doch dann erinnerte er sich daran, dass es auch in England nichts geholfen hatte, auf die Rückkehr Tom Riddles hinzuweisen, ja dass dieser und seine Gefolgsleute die Unruhe danach ausgenutzt hatten, Wirrsal und Terror zu verbreiten. Ja, und er ging auch davon aus, dass die wichtigsten Medien bereits unterworfen worden waren, um im Sinne der Beeinflussten zu berichten. Die Ministerin sagte dann:

"Die anderen wissen, dass Sie entkommen konnten, Mademoiselle Weizengold. Wir wissen nicht, wen sie alles unterworfen hat. Daher müssen wir erst einmal unsere eigenen Möglichkeiten prüfen und dann, wenn wir wissen, wie wir vorgehen können handeln." Das sahen Bärbel und Julius genauso.

Am Abend kehrte die Besucherin aus Deutschland durch Apparieren in ihr vorübergehendes Zuhause zurück.

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20.03.2006

Eigentlich hatte Ladonna damit gerechnet, dass es durch alle Zeitungen Deutschlands, der Schweiz, Österreichs und der noch nicht eroberten Länder gehen würde, dass sie Deutschland unterwerfen wollte. Doch die Zeitungen schwiegen sich darüber aus. Dieses Schweigen war ihr noch unheimlicher als ein lauter Aufschrei, dass sie sich aus der Deckung gewagt hatte.

Sie ärgerte sich, dass ihre italienischen Untertanen immer noch nicht wussten, wie die Zwerge in das Ministerium eindringen konnten. Um sowas zumindest zu erschweren wurde hinter die Türen ein völlig magielos bedienbares Fallgitter angebracht, das bei Dunkelheit herabgelassen wurde, nicht nur an den Zugängen, sondern auch an den Treppenhäusern. Das bedeutete zwar mehr Aufwand, sicherte aber das Ministerium besser gegen Eindringlinge. In Spanien und Deutschland würde sie das auch anregen.

Am Mittag hörte sie Barbaneras Ankündigung über Radio und Zeitungen mit.

"Die Gefahr durch die Nachtschattenund die Vampire nimmt in einem Maß zu, dass wir alleine nicht mehr bewältigen können. Daher rufe ich alle magischen Menschen dazu auf, alle bisherigen Streitigkeiten und Machtansprüche hintanzustellen und sich mit mir zu einer Allianz der Stärke zusammenzuschließen. Ich biete jedem Zauberer und jeder Hexe getreu dem Codex Magicus romanus freies Geleit und womöglich auch Amnestie für begangene Straftaten unterhalb von Mord und schwerer Körper- und Geistverletzung an, der oder die mit mir und meinen Leuten zusammengehen und diese gemeinsame Plage bekämpfen will. Was nützt ein Königinnentrhon, wenn die erhofften Untertanen entweder Vampire, Werwölfe oder Nachtschatten sind. Was bringt es an Gold, wenn kein Mensch mehr da ist, der es fördert und in Umlauf bringt? Welche Macht erstreben sie, die es allein mit diesen Feinden aller Menschen aufnehmen kann? Ich biete einen Waffenstillstand an, um uns alle gegen die Bedrohungen zu stemmen, die unser Land überziehen."

Ladonna hörte die Fragen der Reporter. Die wussten nicht, was sie davon halten sollten. Er sagte nur, das er erkannt habe, dass eine Abschottung gegen alle anderen sinnlos sei, wenn es doch immer wieder welchen gelänge, Unheil und Verdruss zu schüren. Auch wolle er keinen Kampf zwischen magischen Menschen, der nur den nichtmenschlichen Feinden nütze.

"Ja, und wenn die dunkle Hexe Ladonna findet, dass sie es echt wagen soll, zu Ihnen hinzugehen. Was werden sie der sagen, wenn sie zum Preis für ihre Hilfe Ihr Amt oder gar eine Königinnenkrönung einfordert?" wollte ein Reporter wissen.

"Wir wissen, dass sie gemordet hat. Wir wissen auch, dasss sie immer wieder versucht, das Ministerium zu unterwerfen. Ich kann ihr daher keine Generalamnestie anbieten, sondern eben nur einen Waffenstillstand. Falls sie mir was aufzwingen will, was ich ihr nicht geben kann werde ich sie festnehmen lassen."

"Womit klar ist, dass sie jetzt wohl eher nicht hereinkommt, mit einem Rosenstrauß winkt und Ihnen helfen möchte", sagte die Reporterstimme.

"Nicht durch den großen Haupteingang. Aber ich gehe davon aus, dass sie mir einen Boten oder eine Botin schicken wird. Mit dem oder der kann ich hoffentlich ohne Gewalthandlungen verhandeln. Sie muss ja auch nicht selbst zu mir hinkommen, wo wir im Ministerium so viele Schutzmaßnahmen gegen feindliche Wesen eingerichtet haben."

"Ich halte meine Frage noch nicht für beantwortet. Was machen Sie, wenn sie Sie dazu zwingen will, ihr Ihr Amt zu übergeben?"

"Ich werde auf jeden Fall nicht den Schutz des Ministeriumsgebäudes verlassen, wenn Sie das meinen", sagte Barbanera sehr entschlossen. Darauf kamen nur noch Anfragen wegen der Zwerge und Kobolde, warum die Kobolde davongejagt wurden und die Zwerge nicht. Barbanera antwortete darauf, dass er mit den Zwergen nicht im Streit läge, solange die nicht meinten, wie ihre Artgenossen in Deutschland bestimmen zu dürfen, wieviel Gold ein Zauberer im Verlies haben durfte. Solange das so bliebe, und er schätze König Huorchino Spatafuco als intelligenten Herrscher, konnten die Zwerge in ihrer Höhlenstadt bleiben.

Ladonna schaltete ab. Heute Nacht würden die Mithörer von Huorchino V. Feuerschwert was zu hören bekommen und demnächst wohl auch was zu sehen

"Meine Königin, bei den entschlossenen Schwestern ist es bekannt, dass du Deutschland und Spanien unter deine Herrschaft gezwungen hast", meldete eine ihrer treuen Mitschwestern, die noch Verbindung zu den entschlossenen Schwestern Österreichs und Belgiens hatte.

"Also gehörten diese Lichtwächterinnen zu denen, womöglich auch Bärbel Weizengold und Albertine Steinbeißer. Dann wollen die wohl ohne die Ministerien gegen mich vorgehen und ohne den rest der Welt aufzuscheuchen?" fragte sie verdrossen.

"Natürlich trauen sie keinemZaubereiministerium mehr über den Weg, sofern sie das jemals getan haben."

"Dann haben die Pech. Denn Pax Rosae wird in wenigen Wochen vollendet sein, auch wenn mir die Töchter Hecates Griechenland abspenstig machen wollen und in Frankreich diese von einer ruhmsüchtigen Veelatochter geschützte Hexe sitzt und in England einer, der wohl eine Marionette Vita Magicas ist."

"Ja, das ist sehr bedauerlich, Mutter und Königin", erwiderte die Mitschwester. Ladonna nahm es als ihr zustehende Unterwerfungsbekundung. Dann schickte sie die andere wieder fort. "Und ich kriege doch, was ich will", knurrte sie und stampfte mit dem Fuß auf.

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Der Katzenjammerzauber wimmerte los, als ein Fluchbrecherzauber gegen einen der Zugänge gerichtet wurde. Fangzauber schlugen aus den Wänden und prallten an einer rubinroten Aura ab, die als gleichmäßig glühende Schutzhülle die in hautenger schwarzer Lederkleidung steckende Frau umgab, die gerade die beindicken, mit verspiegeltem Metall verkleideten Gitter betrachtete. Ah, so sieht also Mondspiegelglas aus", dachte Ladonna. Barbanera hatte ihr das mal erzählt, dass ein Venezianer eine geniale Abmischung zwischen Occamysilber aus Indien und dem Eisen gefundener Himmelssteine entdeckt hatte, die einmal in fester Form keine körperliche Gewalt und keine Magie mehr durchlassen würde, also auch keinen Melde- und Verschlusszauberaufheber. Doch die Frau in Schwarz grinste nur. "Leute, da komm ich doch sowas von locker durch", rief sie laut und zielte mit dem Zauberstab auf sich und wurde zu einem weißen Nebelschleier. Als solcher flog sie zwischen den mittleren Gittern hindurch. Dabei glühte sie blau-silbern auf. Ein geisterhaftes Stöhnen klang aus leerer Luft. Doch dann war der Nebelstreifen vollständig durch das Gitter und trieb noch zwei Meter weiter. Schlagartig bekam Ladonna wieder ihre feste Form. Diesmal kamen keine Fangzauber aus den Wänden, wohl weil die dafür nötigen Erfassungsfelder sie nicht mehr orten konnten. So lief sie weiter im Schutz ihrer roten Aura und betrachtete einen der Aufzüge. Die waren natürlich jetzt alle außer Betrieb, weil da jemand rattenfrech die Tür aufgebrochen hatte. Sie sah sich um und richtete ihren Ring auf die Tür eines Treppenhauses. Diese glühte auf, wurde erst rot, dann orange und dann gelb. Dann zersprühte sie im weißblauen Licht. Wieder plärrte ein Alarmzauber los. "Ja, ist ja gut!" rief sie, während sie von einer Salve Fang- und Lähmzauber beharkt wurde. Doch ihre Schutzaura und das unter ihrer Lederkleidung getragene Mieder einer gewissen Gundula Wellenkamm wehrten alles ab, was ihr entgegengeschleudert wurde.

"Ich will hier nicht mehr kaputtmachen als nötig. An den Minister. Machen Sie bitte alle Treppenhaustüren auf, wenn Sie die noch etwas länger behalten möchten!"

"Ladonna Montefiori!" rief eine magisch verstärkte Männerstimme. "Genau die, Ihre zukünftige Königin!" rief Ladonna. "Ich komme auf Ihre persönliche Einladung, auch wenn Sie mich gerne in Ketten legen wollten. Aber das mit den Blutsaugern und Nachtschatten ist zu wichtig, um uns weiter in diesem leisen Krieg aufzureiben."

"Da haben Sie wohl recht", knurrte die magisch übermittelte Stimme. "Sie dürfen zu mir. Aber ich lasse meine Leibwache bei mir", hörte sie. Sie rief zurück, dass ihr das gleich sei. Dann flog sie wortwörtlich die Treppen hoch, um natürlich keine Falltüren oder andere Gemeinheiten für unbefugte Leute auszulösen.

Oben angekommen brauchte sie die Tür nur anzustupsen und war wieder in einem Gang, dem zum Ministerbüro.

Als sie bei Barbanera war lehnte sie bestimmt einen Stuhl ab. "Denken Sie, ich setze mich in den Sessel Modell Vulcanus' Rache? Ich ging eigentlich davon aus, dass Sie nicht meine Intelligenz beleidigen wollten, als Sie mich heute mittag einluden. Ach ja, falls die entschlossenen Schwestern noch bei Ihnen vorsprechen möchten oder gar die hier in Italien geborenen Spinnenhexen glauben Sie denen ruhig, dass mir jetzt schon Spanien, Deutschland, Österreich, die Schweiz und einige andere Ministerien gehören. Die können sich gerne in Sardonias Land verkriechen. Da finde ich sie dann auch schneller, wenn ich sie suche."

"Was wollen und was bieten Sie mir. Kommen Sie auf den Punkt, bitte!" schnarrte Barbanera. Die fünf unsichtbaren Leibwächter und die zwei offen sichtbaren nickten.

"Erst einmal den angebotenen Waffenstillstand. Dann eine Verbindungshexe, die zwischen Ihnen und mir vermittelt, damit ich nicht dauernd Ihre Einrichtung beschädigen muss, um zu Ihnen zu gelangen. Ja, und wenn wir gemeinsam alle bösen Wesen dieses Landes von unserer lieben Heimaterde getilgt haben erwarte ich, dass Sie mich als Königin der Hexen und Zauberer anerkennen. Sie dürfen dann gerne weiter unter mir Minister sein", tönte Ladonna Montefiori. Der Minister sah sie verdrossen an, obwohl ihm anzusehen war, wie schwer ihm das fiel. Laut sagte er: "Ich fürchte, wenn die von Ihnen erwähnten Sororitätshexen mitbekommen, dass Sie meine Kollegen überrumpelt und ihrem fragwürdigen Rosenzauber unterworfen haben oder dies zumindest so darstellen, als wenn es so wäre, werden die ähnliche Forderungen an mich stellen. Wie war das noch mal mit dieser Hexe mit dem Feuerschwert?"

"Immer noch frech! Crucio!" rief Ladonna mit auf den Minister zielendem Zauberstab. Das war für die Wächter zu viel. Sie beschossen die Hexe in Schwarz mit Fang- und Lähmzaubern, die wegen der Enge des Raumes entweder mit lautem Krachen zu heißer Luft zergingen oder vollständig auf ihre Absender zurückgespiegelt wurden. Die waren zwar selbst mit Schildzaubern abgesichert, die jedoch ziemlich bedrohlich flackerten. In der Zeit hing der Minister in der Luft und schrie vor unerträglichen Schmerzen in allen Fasern seines Körpers. Die hin- und herpeitschenden Zauberflüche wummerten, fauchten und krachten. Dann ließ Ladonna den Zauberstab wieder sinken. Barbanera fiel auf den Boden und keuchte. Ladonna zielte auf die sichtbaren Wächter und murmelte "atcarf amrA!" Der Schildzauber des ersten glühte eine Sekunde golden auf, um dann mit einem blechernen Poing-Geräusch in Millionen Funken zu zerstieben. Der nun seiner Wehr entblößte Zauberer taumelte und bekam einen unsichtbaren Erstarrungszauber ab. Mit einer schnellen Abfolge von Wiederholzaubern zerschlug Ladonna die anderen Schildzauber und ließ die, die sie benutzt hatten erstarren. "So, jetzt sind wir für uns. Die da sind gerade nur Dekoration, ob sichtbar oder nicht", sagte Ladonna mit einer eher beiläufigen Handbewegung durch den Raum. "Ich könnte Sie jetzt entkleiden und mich gemäß meiner Waldfrauengroßmutter über Sie hermachen und mir Ihren Körper und Ihren Willen einverleiben und Sie dann als mein williges Werkzeug wieder ausspucken. Aber Sie werden mir eines Tages ganz freiwillig die silberne Krone der Juno übergeben, die im tiefsten Archiv Ihres Zuständigkeitsbereiches verwahrt wird."

"Hat Ihnen schon wer gesagt, dass Sie wahnsinnig sind?" keuchte der Minister. "Ja, jeder zweite, dem ich begegnete. Von denen sind neun von zehn danach gestorben, weil ich sie nicht mehr brauche oder zu lieblichen Blumen in meinem Garten geworden. Alle anderen haben mich als ihre Herrin anerkannt, bis dieses wiederliche Weibsbild Sardonia es wagte, mich in ein Standbild meiner Selbst zu verwandeln und fortschaffen zu lassen. Aber dagegen bin ich jetzt gefeit, seitdem das Blut einer reinen Jungfrau mich benetzte und mich so gegen diese Art von Hexenbann schützt, weil die Jungfrau immer noch Jungfrau ist, sofern sie nicht schon von einer fleißigen Nektarsucherin besucht und bestäubt wurde. Aber ganz abgesehen davon, vielleicht haben die ja alle recht, und ich muss irrsinnig sein. Aber die Irrsinnige ist die einzige, die Ihnen gegen die Vampirbrut und die Wolfsbrütigen, sowie die schwarzen Schreckgespenster helfen kann. Ach ja, die Kobolde haben Sie ja verjagt, weil Sie dachten, die würden mit meinen ausländischen Schwestern kungeln und mir so Gold zukommen lassen. Wie halten Sie es denn mit den Zwergen?"

"Die rüsten zum Krieg. der hiesige König wartet nur darauf, was seine Amtskollegen vollbringen. Und wenn stimmt, dass Sie Deutschlands Zaubereiministerium unterworfen haben -"

"und das von Österreich und der Schweiz", unterbrach ihn Ladonna. Der Minister knurrte. Dann sagte er: "Ja, falls dem so ist werden die Zwerge sich zu einer Armee verbünden und gegen Sie vorgehen. Die können sich gegen viele Zauber schützen. Die haben Rüstungen gegen Zauber."

"Ja, und wenn ich nicht aufpasse kitzeln mich die kleinen Kerle tot", erwiderte Ladonna. Dann machte sie eine Pause. "Aber Sie könnten recht haben, Herr Signore Barbanera. Ja, da muss ich wohl wen fragen, der mir sicher dabei hilft, dieses Kleinvieh zu bändigen, jemanden mit sehr großem Appetit. Ja, wenn stimmt, dass ich irrsinnig bin habe ich keine Schwierigkeiten, wenn der oder das wieder aus der Erde kommt. Da muss ich wohl demnächst ausprobieren, ob die mir zugeleiteten Aufzeichnungen stimmen und ich die richtigen Namen bekommen habe. Wenn ich die in der richtigen Weise rufe wird das sicher bis ganz tief in die Erde reichen und jemanden aufwecken. Bin echt gespannt, ob es wirklich stimmt oder doch nur ein Kinderschreckmärchen der Kleinen Erdwichte ist."

"Das ist unmöglich. Sie haben keine Aufzeichnungen über ... über ..." keuchte der Minister. "das, was die Kobolde und Zwerge als den großen grauen Eisentroll bezeichnen?" fragte Ladonna Montefiori. Jetzt hatte sie das ausgesprochen, was den Zwergen wirklich die größte Angst machte.

"Selbst wenn Sie wissen, wie er zu rufen ist und es den wirklich gibt würde er sie gleich beim ersten Auftauchen runterschlucken wie eine Kokosmehlkugel", stieß Barbanera aus. "Ja, und dann würde der Troll auf der Erde herumstampfen und nach neuem Futter suchen oder an meiner Nachtodvergeltung ersticken, oder?"

"Der ist gegen Zauberkraft immun. Der verdaut fremde Zauberkraft. Daher will der gerne Zwerge und Kobolde fressen, weil die hohe Eigenmagie in Fleisch und Blut haben. Der würde dann herumlaufen, mit Ihrer sie in die Überheblichkeit treibenden Veela- und Sabberhexenkraft bestärkt und jeden Zwerg und jeden Kobold fangen und verschlingen, bis keiner mehr auf der Erde ist. Jeden, der sich dabei in seinen Weg stellt wird zertrampelt oder als Beilage vertilgt. Aber sicher ist das nur eine Legende."

"Sie meinen, Sie hoffen, es ist nur eine Legende. Ich werde es bei der Tag-und-Nacht-Gleiche versuchen, weil da die Kräfte von Sonne, Mond und Erde im Einklang sind. Dann fängt der Frühling eben mit lautem Gebrüll statt lieblichem Vogelgezwitscher an", trällerte Ladonna. "Ach ja, Sie oder einer ihrer standhaften Zinnsoldaten da können mir gerne dabei zusehen, ob es eine Legende ist oder nicht. Sie kennen meine Residenz bei Florenz. zweihundert Meter nördlich der Blutfeuergrenze werde ich bei Abenddämmerung die mir zugespielten Aufzeichnungen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Achso, falls der Troll mich nicht aus purer Dankbarkeit verschluckt und mich so in sein Fleisch und Blut aufnimmt kann ich ihn womöglich auch wieder in die Erde zurückstoßen, die ihn sooo lange duldsam in sich trug wie eine Mutter in freudiger Erwartung."

"Sie sind wahnsinnig", keuchte der Minister. "Ja und?" fragte Ladonna. "Also, morgen zur Tag-und-Nachtgleiche werde ich ihn rufen, und wenn er mich nicht frisst, gleich wieder zurückschicken. Achso, falls Sie meinen, mich dabei überrumpeln und festnehmen zu können könnte der Troll Sie aus Dankbarkeit für seine Erweckung als Abendmahl vertilgen. Danach können wir gerne über unsere gemeinsame Zukunft sprechen, Minister Barbanera! Ich empfehle Ihnen allen eine erholsame Nachtruhe und mich selbst. Retardo remobilis!" Der Zauber galt einem der unsichtbaren Leibwächter. Der Minister griff nach seinem Zauberstab und brüllte "Stupor!" Ein roter Blitz zuckte zu Ladonna, prallte mit lautem Knall von ihrer schwarzen Lederbluse ab und traf den Minister selbst an der Brust. Er kippte um. "Musste das jetzt sein!" knurrte Ladonna und wiederholzauberte ihren letzten Zauber an allen anderen Wächtern. Dann wandte sie sich um und lief zum Eingang des Treppenhauses. Die ihr von da entgegenkommenden warf sie mit ihrem Schildauflöser und einem Mondlichthammer zu boden. Dann eilte sie durch das Treppenhaus, durch die noch nicht wiederhergestellte Tür, nutzte den Nebelgestaltzauber, um wieder durch das Mondspiegel-Fallgitter zu dringen und verließ das Ministerium."

"Sie ist nur irre, die ist dafür leider auch superbegabt", keuchte der Minister, als der Heiler vom Dienst ihn aus dem Schockzauberbann erweckte und untersuchte. "Ja, und es steht zu fürchten, dass die so irrsinnig ist, den größten magischen Schrecken nach einem Rudel Nundus und zehn Drachen auf einmal zu beschwören", seufzte der Heiler, während die Wächter darüber lamentierten, dass sie diese schwarze Furie nicht ansatzweise aufhalten konnten. "Wir hätten den Todesfluch versuchen können."

"Ja, um dann von ihrer noch lebenden Veelaverwandtschaft massakriert zu werden? Die würden uns alle umbringenund unsere Frauen, Kinder, Geschwister und Eltern, du Doofkopp!"

"Ey, Jungchen, hast du gerade Doofkopp zu mir gesagt?" fragte der beleidigte Wächter. Der Gefragte bejahte es laut und entschlossen. "Hey, Männer, keinen Zank. Erst mal Danke, dass Sie es wenigstens versucht haben, mich zu beschützen. Offenbar stimmen die ganzen Geschichten um diese Mischblüterin. Kein Wunder, dass die alle glauben, die hätte uns schon alle sicher", sagte der Minister. "Aber wenn die echt den großen grauen Eisentroll aus der Erde beschwören kann, dann gnade uns jeder Gott, an den hier jemals wer geglaubt hat oder immer noch glaubt."

"Sollen wir uns das echt ansehen, oder denken Sie, die hat geblufft?" fragte ein zweiter Wächter. Der Minister machte eine Pause. Dann sagte er: "Wenn sie nur blufft will ich das wissen. Wenn nicht muss ich es wissen. Deshalb gehen Sie morgen abend dahin und gucken da zu, was immer sie macht. Aber geraten Sie nicht in den Blutfeuernebel. Der ist jedenfalls kein Bluff." Die Wächter bejahten und bestätigten die Anweisung.

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Die Kundschafter Huorchinos hörten es mit, dass Ladonna persönlich im Zaubereiministerium Rom auftauchte, da einige Leute verfluchte und am Ende auch den Minister mit dem Folterfluch belegte. Sie wussten nicht, ob das nur Schau war oder echt. Wenn es echt war, dann waren sie sozusagen gerade noch rechtzeitig dabei, um mitzubekommen, wie sie sich Italien holte. Doch irgendwas stimmte da nicht. Aber als sie sagte, sie wolle denen was zeigen, was ihr Macht über Zwerge und Kobolde gab horchten sie doch auf.

"Mein Herr und König, auch wenn es vielleicht nur ein Possenspiel mit etwas echtem Blut war müssen wir zumindest nachsehen, was uns Ladonna vorführen will, ohne gesehen zu werden", sagte Dunkelauge. Leisefuß, Schattenschritt und ich werden das erledigen."

"Ja, und wenn Sie euch in eine Falle locken will?" fragte der König. "Werden wir diese hoffentlich früh genug erkennen und schnell und leise entwischen", sagte Dunkelauge.

"Vielleicht solltet ihr König Malin und die anderen davon überzeugen, auf Euren Bericht zu warten, was wir entdecken, bevor König Malin seinen Kriegszug gegen die Kobolde beginnt", schlug Dunkelauge noch vor. Der König nickte. "Auch wenn er mich genauso für rückgratlos hält wie den französischen Kollegen, so muss ich ihm zumindest eine Warnung zukommen lassen", sagte Huorchino mit gewisser Trübsal in der Stimme.

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21.03.2006

König Malin schritt die Reihen der bereitstehenden Tiefenboote und die der zehn Tiefenkreuzer vom Modsognir-Typ ab. Er würde noch mal mit Schattenhut reden, wie viele von den kleinen Booten er bei den Unternehmen Goldwüste und Tiefensonne verloren hatte. Doch jetzt galt erst einmal, dass sie bereit für den Kriegszug waren. Denn nun war es klar, dass die Kobolde besiegt werden mussten.

Die Wartungsarbeiter hatten bei den Tiefenbooten und -kreuzern die Vortriebsbezauberung so verändert, dass bei auftreffenden Schwingungsstörwellen die Eigenschwingzahl sofort geändert wurde, um nicht wieder von Brummbacks übersteuertem Tiefenlot zermalmt zu werden. Insofern war es auch von Vorteil gewesen, zu wissen, mit welchen Mitteln man den Tiefenbooten beikommen konnte. Er hatte es kollegialerweise an die anderen acht Könige weitergemeldet, von denen er wusste, dass sie Tiefenfahrzeuge hatten.

"Mein Herr und König, Bote Honigmund aus Italien ist mit einem Tiefenkreuzer angekommen, weil es eilt, Herr", rief sein Kriegsknecht vom Dienst ihm zu. Er fragte sich, was Huorchino jetzt noch von ihm wollte. Alles zu sagende war gesagt.

Als er dann von dem in der violetten Kleidung der Botengilde gewandeten eine Tonaufzeichnung zu hören bekam, wie Ladonna durch das Ministerium in Rom fuhrwerkte und sich übersetzen ließ, was sie vorzubringen hatte sagte er: "So, soll das jetzt ein Theater sein, weil sie diesen Barbanera schon längst eingesackt hat oder ist das echt? Oder habt ihr das gefälscht, um mich zu gruseln. Da müsst ihr aber wesentlich früher aufstehen."

"Erstens, wir wissen es selbst nicht, ob es eine Schau oder ein echter Überfall der Mischblüterin war. Zweitens, die Aufnahme ist echt. Unsere Kundschafter haben sie an den verschiedenen Mithörkristallen und Wortsammelohren entgegengenommen und aufgezeichnet. Drittens müssen wir erfahren, ob es eine lautstarke Prahlerei von ihr ist oder sie wahrhaftig jenen rufen kann, der für immer im feurigen Schoß der großen Mutter gefangen bleiben sollte", sagte Haldrino Honigmond.

"Und was soll ich hier in Deutschland damit?" fragte er, obwohl er schon wusste, worauf diese Vorführung hinauslief.

"Mein Herr und König sagt durch mich, dass er seine Kundschafter ausgesendet hat, um ihrer Ankündigung nachzugehen, natürlich unsichtbar."

"Soso", sagte König Malin. Dann fragte er, ob er auch einen seiner Kundschafter schicken konnte. Das war ihm ausdrücklich erlaubt."

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"Ich habe es den anderen mit den magischen Augen gesagt, dass sie gerade Glück haben, nicht bei der Versammlung dabei gewesen zu sein, Höchste Schwester. Aber sie glauben mir nicht. Sie wollen es selbst prüfen."

"Und was machst du, Schwester Albertrude?" Fragte Anthelia. "Was schon, ich habe mich mit Prunella in jenes kleine Haus einquartiert, das ich mir in den beiden letzten Jahren zusammengebaut und bezaubert habe. Wer da ohne meinen Wunsch einzudringen versucht erlebt ein blaues Wunder."

"Ladonna hat verschiedene andere mächtige Hexen einzeln in ihren Bann gezogen. Ich habe nicht gedacht, dass du sie unterschätzt", sagte die höchste Schwester des Spinnenordens. Albertrude grinste nur und erwiderte: "Ich weiß, welche Fehler die anderen gemacht haben, dass sie ihre Häuser mit dunkler Magie umgeben haben. Die konnte Ladonna offenbar aushebeln. Aber ich habe einen Garten der Visionen erschaffen und das Haus mit einem hohen Metallzaun umfriedet, der von außen nicht zu erkennen ist. Geh bitte davon aus, dass Prunella und ich nicht von dunklen Flüchen heimgesucht werden wollen." Anthelia ging davon aus. Dann besprach sie mit der ihr ebenbürtigen Hexe, wieviele Zaubereiministerien jetzt als gesichert von Ladonna unterworfen galten. "Wenn ihr Spanien gehört, dann hat sie Portugal gleich mitgenommen. Die Nordländer hat sie. Aber Frankreich und Großbritannien offenbar nicht." Anthelia wunderte es nicht, dass sie Frankreich ausließ. Aber Großbritannien?

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Das war also die berühmt-berüchtigte Villa Girandelli, um die Ladonna einen undurchdringlichen dunklen Feindesabwehrzauber gelegt hatte, dachte Dunkelauge, der mit zwei unsichtbaren Getreuen zusah, wie zwanzig Ministeriumsbesenüber dem Anwesen herumflogen.

Urplötzlich stand Ladonna Montefiori an der Stelle, wo sie was immer vorführen wollte. Zugleich flogen an die zwanzig Hexen über ihr herum, die wohl aufpassen wollten, dass ihr niemand von oben auf den Kopf spuckte. Aber offenbar gehörte das für die selbsternannte Königin der Hexen zum guten Auftritt, dachte Dunkelauge. Neben ihm stand sein deutscher Kollege Schattenhut, auch mit Tarngürtel ausgestattet. Sie blickten durch Fernrohre, die auch entfernte Stimmen einfangen und hörbar machen konnten.

Ladonna rief nach oben: "Haben Sie so viel Angst vor dem, was ich Ihnen vorführen will? Das sollten Sie auch. Ich will nicht zu viel tönen. Aber wenn Sie wirklich mit den aufsässigen Zwergen fertig werden wollen, dann nur mit meiner Hilfe. Sehen und hören Sie zu!"

"Die kann nicht mal bitte sagen", knurrte Dunkelauge. "Warum sollte sie?" fragte Schattenhut. Dann sahen sie es alle.

Ladonna begann mit Zauberstabgesten gegen den Boden. Dabei stieß sie Worte in einer Sprache aus, die Dunkelauge und Schattenhut als Altnordisch erkannten. Sie beschwor die Gnade der Erde, die alles Leben hervorbringt und wieder zurücknimmt. Dann rief sie in jener den Zwergen vertrauten Sprache: "Gib mir dein mächtigstes Kind, dass du für unser allerWohl in deinem glühenden Leibe trägst, o Mutter Erde. Gib unns den, der drei in einem ist, der vor Feuer gefeite, ewig hungrige, doch unbesiegbare. Drei Namen hat er. Dreimal werde ich sie rufen, damit er aus deinem feurigen Schoße emporsteigen möge."

Ladonna führte noch einmal den Zauberstab. Der Boden bebte. Dann entrollte sie eine wirklich alt aussehende Pergamentrolle. Die darauf gemalten Zeichen glommen in der Farbe des Mondlichtes. Die Zwerge erstarrten. Wenn sie bisher gedacht hatten, die schwarze Königin führe nur ein lächerliches Gruselstück auf, so deutete das mit magischen Zeichen versehene Pergament und das Erdbeben darauf hin, dass sie jetzt wirklich und warhaftig ... Da rief sie den Ersten Namen mit tiefer Stimme und doch noch so rein wie der Ton einer Tuba. Dann rief sie den zweiten Namen. Der Boden bebte mehr. Sie tanzte im Takt der Erdstöße. Dann rief sie den dritten Namen aus. Der Boden zitterte noch mehr.

Die ruft den. Sie ruft ihn", stammelte Dunkelauge. "Quatsch, das kann niemand. Der ist viel zu tief da unten", knurrte Schattenhut. Doch sein Kollege hörte ihm an, dass er nicht ganz so überzeugt war.

Zum zweiten Mal rief Ladonna die drei Namen. Die Zwerge wussten nicht, ob das wirklich die echten Namen jenes immerhungrigen Erbfeindes waren. Doch aus dem Boden wuchs ein Hügel, höher und höher. Dann sang und tanzte sie die drei Namen zum dritten mal. Der Hügel erglühte rot, das Beben wurde jetzt so stark, dass selbst die Zwerge Mühe hatten, dass Gleichgewicht zu halten. "Komm zu mir. Entsteige deiner Mutter Schoß, so stark und groß!" rief Ladonna in der altnordischen Sprache, die die Zwerge verstehen konnten. Da barst der Hügel unter rotem Licht, und begleitet von einer Säule aus rotglühender Lava schälte sich ein mindestens zwanzig Schritte durchmessender, aus sich selbst feuerrot leuchtender Schädel immer höher hinauf. Die Glut umfloss ihn. Es sah aus wie eine Geburt, eine unheilige, lebensfeindliche Geburt.

Der risige Kopf besaß abstehende Ohren wie bei einer Fledermaus. Seine Nase war knollenartig und war so breit, dass drei Zwerge bequem darauf hätten schlafen können. Dann kam das Maul, so breit, dass selbst ein Tiefenkreuzer locker quergestellt darin Platz gefunden hätte. Unter Beben und Glutspritzern wälzte sich ein Paar Schultern aus dem Boden. Die waren mindestens dreißig Zwergenschritte breit. Jetzt öffnete das noch nicht ganz dem Schoß der Erde entstiegene Ungeheuer die Augen. Sie spiegelten das Mondlicht und sahen sich suchend um.

Unter weiteren Erdstößen entstieg die rot leuchtende Ungeheuerlichkeit mehr und mehr der glühenden Erde. Manchmal sah es so aus, als wolle diese ihre Ausgeburt wieder zurück in die Tiefe hinabziehen. Doch Ladonnas Singsang und Tanz gaben dem Etwas Kraft. "Trugprüfung!" befahl Dunkelauge leise seinem Fernrohr. Es vibrierte, während das Ungetüm, das alles andere übertraf, immer noch aus der bebenden Erde hervorkroch. Dunkelauge erbleichte. Jetzt nutzte auch Schattenhut die Trugbilddurchdringung. Er erstarrte nun auch. Alle Bezugswerte wie Hitze, Formstärke und Bodenwert sagten, dass da vor ihnen, keine zweihundert Zwergenschritte entfernt, der große graue Eisentroll an die Oberfläche drängte. Er war schon viel höher als der höchste Turm, den Schattenhut jemals bestiegen hatte. Knirschend, spotzend, Wummernd und dröhnend drängte der immernoch rot leuchtende Troll an den freien Himmel zurück, den er viele tausend Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Nun war der freie Oberkörper zu sehen, und alle sahen die weit ausladenden weiblichen Formen. Dunkelauge fragte sich, ob diese Ungeheuerlichkeit ihre Beschwörerin mit einem Schnapp verschlingen würde, aus purer Dankbarkeit. Dann konnte sie in seinem Ballsaalgroßen Bauch überlegen, wie seltendumm sie war, diese Ausgeburt der Zerstörung zu erwecken. Für die Zwerge mochte es jedoch bedeuten, dass diese turmhohe, langsam an Leuchtkraft verlierende Abscheulichkeit sie ab da bedrohen konnte und jagen würde, sie und die Kobolde. Die Trugprüfung verriet, dass das da vor ihnen kein lächerliches Bild war. Das Fernrohrkonnte bildhafte Täuschungen von massiven und lebendigen Körpern unterscheiden. Das da vor ihnen war ein höchst massiver, lebendiger Körper.

Wenn der sie frisst sollten wir ganz schnell verschwinden", zischte Schattenflug leise genug, dass es trotz des Lärms nur Dunkelauge verstand.

Wieder schien es, als wolle Mutter Erde die erzwungene Wiedergeburt ihres grausamsten Kindes ungeschehen machen. Das Unwesen sackte noch einmal vier Längen in den glühenden Boden ein. Dann stemmte es sich mit seinen Händen, von denen jeder der stahlharten Finger länger und Breiter als ein ausgewachsener Mensch war, aus dem Boden heraus. Jetzt sahen die Beobachter, dass das übermächtig große Ungetüm männliche Geschlechtsteile besaß. Es war wahrhaftig eine Zwittergestalt, wie es in den alten Geschichten erwähnt worden war. Es riss sein mit mächtigen Fang- und Mahlzähnen gespicktes Maul auf, streckte seine zwölf Zwergenlängen messende Zunge mit den Sägezacken an den Seiten hervor und schmeckte damit die Luft. Dann zog es die Zunge quer über die untere Zahnreihe. Es quietschte so schauerlich wie Metall auf Metall. Dann war es auch mit den klobigen, mit langen und vorne spitz zulaufenden Krallen bewehrten Füßen aus der Erde. Jetzt hatte sich das rote Leuchten zu einem Stumpfgrau abgeschwächt. Die Zwerge und über ihnen fliegenden Hexen und Ministeriumszauberer erkannten, wie das Ungeheuer die mit auf die Welt gebrachte Schlacke und erkaltende Erdglut von sich abschüttelte wie einfachen Sand. Es knirschte, Knisterte, Klatschte und Prasselte. Die über ihnen fliegenden Besenreiterinnen und Besenreiter mussten viel höher fliegen, um nicht in die Reichweite der nun ausschwingenden, muskelbeladenen Arme zu geraten. Mit einer Hand konnte er mühelos fünf Besen umfassenund leichter als einen Zahnstocher zerbrechen. Mit menschlichen Knochen ging das ganz sicher noch viel besser. Jetzt brüllte das Ungetüm so laut, dass selbst die in zweihundert Schritten Entfernung stehenden Zwerge nach hinten geworfen wurden.

Ladonna flog durch die Luft. Sie hielt ihren Zauberstab fest in der Hand. Von ihrer linken Hand glühte etwas rubinrot. Jetzt stieß der Troll sein erstes Wort seit abertausend Jahren aus. "Hungäärrrrrr!!!"

Was sonst", dachte Dunkelauge. Schattenhut sah nur die schwebende Hexe an, die vor dem gerade von ihr aus dem Schoß der Erde hervorgeholten Ungeheuer wie eine Fliege auf einen Menschen wirkte. Ja, er konnte und würde sie fressen, ganz nebenbei, sie nicht mal zerbeißen müssen.

Rrrrrummms!!! Der erste Schritt brachte die Erde wieder zum erbeben und die Zwerge zum abheben. Sie erschraken. Dann rumste der zweite Schritt auf dem Boden. Ladonna erkannte die nach ihr niedersausende Handund wich ihr aus wie eine Fliege der Fliegenklatsche. Ein roter Blitz schoss aus ihrer linken Handund traf die Hand. Er prallte ab und kehrte zu seiner Absenderin zurück wie von einem blitzblanken Spiegel. Doch das machte ihr nichts. Sie schwebte nun in einer halbdurchsichtigen, rubinroten Lichtkugel. Der nun noch graue Riesentroll, der jeden seiner natürlich lebenden Artgenossen mit einem Tritt in den Boden rammen mochte, stampfte weiter. Jeder Schritt war ein mittleres Erdbeben. Ladonna war gleich auf Höhe der Zwerge. Doch sie schwebte mehr als zwanzig Längen über ihnen. Auch wenn gut geübte Zwerge die vierfache Länge nach oben springen konntenwar das zu weit oben.

"Und er kriegt sie doch", stieß Schattenhut aus. "Ja, nachdem er uns verschluckt hat", knurrte Dunkelauge. Noch schien sie jedoch die Unsichtbarkeit zu schützen, die sie jedoch mit ihren Enthüllungsbrillen durchblicken konnten.

Unvermittelt sang Ladonna mit verstärkter aber um so glockenklarerer Stimme. Es war ein Lied der Veelas. Die weit über ihr und weit genug außerhalb der Armreichweite des Trolls kreisenden Besen trudelten und sanken gefährlich nach unten durch. Doch der Troll blieb stehen. Er bebte und versuchte, gegen den ihn lähmenden Gesang anzubrüllen. Doch seine Stimme hatte offenbar keine Kraft mehr. Dann sang Ladonna ihm auf Altnordisch zu: "Grauer Troll, so stark und groß,
Kehr zurück in deiner Mutter Schoß!"

Zumindest ließ es sich so verstehen. Doch der Troll erbebte nur, bekam langsam wieder seine Beweglichkeit zurück. Da rief Ladonna etwas in einer noch fremderen Sprache. Schattenhut erkannte sie jedoch: "Sie ruft rückwärts? Wo hat sie das gelernt?"

Der Troll versuchte wieder, sich zu bewegen. Da umflog Ladonna den gewaltigen Körper ohne Besen, wobei sie weitersang und um den gelähmten Troll einen Kreis aus Glut zog. Dann rief sie wieder seine Namen in Rückwärtssprechweise. Dabei machte Sie gesten mit Stab und Ring. Der Kreis um den Troll wurde heller und heller. Dann sackte das Ungeheuer mit den Füßen in den Boden. Es konnte sich nicht bewegen. Ladonna sang ihm noch einmal seine drei Namen in Rückwärtssprechweise. Dann befahl sie auf Nordisch, wobei sie die Melodie des Veelaliedes sang, dass der Troll in den Schoß der großen Mutter zurückkehren solle. Der Troll versuchte dagegen aufzubegehren. Aber es half ihm nichts. Der Glutring um ihn wurde zu einem glutroten, immer tiefer nach unten weisenden Schacht. Der Troll versuchte noch einmal, sich aus der wieder glühenden Erdmasse zu lösen. Doch dabei sank er noch tiefer ein. Er versuchte sich zu drehen. Dabei rutschte er noch tiefer in den Schacht hinein. Dann fiel er frei, als sei der Boden unter ihm weggezogen worden. Der Große graue Troll stürzte seine mehr als hundert Längen messend in die Tiefe. Glut umschloss ihn. Ein letztes Brüllen, das von der sich um ihn schließenden Glut verschluckt wurde. Dann verschwand auch der haarlose obere Teil seines Schädels im Schacht. Über ihm fiel die zähe, rot glühende Masse zusammen. Der Boden begann wieder zu beben. Doch diesmal war es anders. Das Beben bestand aus vielen Erdstößen hintereinander, die nach Sekunden schon schwächer und schwächer wurden.

"Sie kann ihn auch wieder in Mutter Erdes feurigen Schoß zurückschicken", seufzte Schattenhut.

Ladonna landete weit außerhalb der nachglühenden Oberfläche, unter der wohl immer noch mit leiser und schwächer werdendem Beben die Ausgeburt des Schreckens und der rohen Gewalt dorthin zurückkehrte, wo sie wohl nicht nur der Zwerge Meinung nach hingehörte.

""Signore e Signori, alle bodenständigen und hochfliegenden Beobachter meiner Vorführung!" setzte Ladonna so laut zu sprechen an, dass es den drei Zwergen in den Ohren klingelte. "Falls Sie ihn nicht erkannt haben und noch nie von ihm gehört haben. Das war oder besser ist der große graue Eisentroll, der vor undenklicher Zeit von einem Zauberer und einem Trollpaar erschaffen wurde, indem der Zauberer eins mit beiden wurde und im Laufe von Zeiten, die nicht bestimmt sind, zu dieser mehr als titanischen Größe heranwuchs. Er wurde einst von acht Kobolden in einen Vulkan gestoßen und somit zum Gefangenen der glutflüssigen Erdtiefen. Doch meine Recherchen in verschiedenen alten Bibliotheken brachten mir die Macht und das Wissen, ihn zu rufen, wo immer ich es will und wann immer ich es will. Mit meinem Zauberstab kann ich die Erde und das Feuer beschwören. Ja, und weil ich ein besonderes Schmuckstück habe und die drei alten Namen der Trolle und des Zauberers auf einem Pergament erwarb, kann ich ihn auch wieder zurückschicken, solange, bis ich ihn wieder benötige. Beides behalte ich bei mir!" rief sie. Da deutete Dunkelauge von Leisefuß auf die Hexe in Schwarz, die ihn wohl nicht sah. Leisefuß rannte los, völlig lautlos, wie ein Schatten. Gleich würde er den Ring und das Pergament erbeuten. Da umschloss Ladonna wieder jene rote Blase, die sie auch wie von einem Katapult geschleudert nach oben warf. Leisefuß, nur durch die Enthüllungsbrille zu sehen, wischte unter der schwebenden Hexe hindurch, bremste und warf sich herum. Er wollte sie anspringen. Da stieg sie noch höher und flog über ihm hinweg, als er mit den behandschuhten Fingern gerade noch die untere Polwölbung der roten Lichtkugel berührte. Es pritzelte und knackte Laut. Mehr geschah nicht. Leisefuß landete wieder auf dem Boden. Dann rannte er los, um die andere anzuspringen, die bereits wieder im Sinkflug war. Dunkelauge sah, wie sie keuchte. Offenbar machte ihr dieser Schwebeflug zu schaffen. Dann erschrak er. "Leisefuß nicht weiter! Falle!" rief er, jede Tarnung und Unauffälligkeit vergessend.

Doch Leisefuß sprang wieder nach ihr. Diesmal wich sie aus, so dass er noch sieben längen an ihr vorbeiflog. Da prallte er auf den Boden und krümmte sich. Jetzt schlugen Funken aus seinem Kopf heraus. Dann blähte er sich auf. Leisefuß wollte umkehren, doch dazu war sein Blut schon zu heiß. Er zuckte in letzten Krämpfen, bis sein unbehelmter Kopf in einem blutroten Feuerball auseinanderplatzte und die glühenden Tropfen in der Luft zerflossen.

"Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht!" rief Ladonna, während aus dem nun wieder sichtbaren Körper Leisefußes ellenlange rote Flammen schlugen. Leisefuß brannte regelrecht ab. Dunkelauge sah, wie Ladonna im Schutz ihres roten Zauberschildes drei Schritte vom niederbrennenden Leichnam entfernt vorbeiging, ohne ihn danach noch weiter zu würdigen.

"Seine Rüstung. Er hatte keinen Helm auf", sagte Schattenhut zu Dunkelauge. "Nein, hatte er nicht. Aber ich habe einen auf", stieß Dunkelauge aus. Er lief los, genau auf die Stelle zu, wo Leisefuß im magischen Blutfeuer verbrannt war. Er wollte Ladonna einholen, die noch ganz gemütlich auf das herrschaftliche Haus zuging. Da prallte er mit ganzer Kraft gegen ein Hindernis. Vor ihm und um ihn herum zuckten rote Blitze. Er versuchte, zurückzuspringen. Doch er hatte keine Bodenhaftung. Da zog er die Beine an und wurde wie von einem Katapult in die Gegenrichtung geschleudert. Von roten Blitzen befreit flog der Kundschafter des Königs zurück und landete kullernd zwanzig Schritte links und dreißig Schritte voraus von Schattenhut entfernt. Doch seine Unsichtbarkeit war dahin. Da rief eine Hexe von oben: "Ah, der Meisterspion und Herr der hundert heimlichen Hände seiner Maejestät des Zwergenkönigs, Valdurino Dunkelauge."

"Möge dir dein Schoß so heiß verbrennen wie die Heimat des ewig gefräßigen, Magd einer Mischblüterin!" rief Schattenhut nach oben. Ihn sah man nicht. Dunkelauge rappelte sich auf und rannte zu Schattenhut. "Komm, wir müssen gehen!"

"Ja, geh und sage deinem Herren, wenn er nicht befolgt was der Minister oder unsere Königin ihm befehlen, kommt der große, graue böse Troll und frisst euch alle auf!" Alle Hexen lachten lauthals. Dunkelauge sah keinen Grund, es nicht zu glauben.

Die beiden überlebenden Zeugen der unheilvollen und Unheil verheißenden Vorführung rannten zu der Stelle, wo das Tiefenboot bereitlag. Sie riefen es nach oben. Als die Besenreiter das walzenförmige Fahrzeug sahen jagten sie heran. Die Zwerge warfen sich in die Kabine und betätigten den Auslöser für Notflucht. Die Türen klappten zu und verriegelten sich. Das Boot stürzte förmlich in die Feste Erde hinab. Dann drehte es sich und jagte davon.

"Wir müssen das weitergeben. Die bringt es fertig und löscht uns alle aus", sagte Schattenhut. Die hat wirklich dieses Ungeheuer gerufen und wieder verschwinden lassen. Ja, und sie hatte Leisefuß bemerkt, trotz seiner Lautlosigkeit und seiner Unsichtbarkeit.

"Wir fahren erst nach Deutschland. Dein König muss das wissen, dass dieses Weib den Minister Italiens sicher hat und den ewig hungrigen beschwören kann. Er muss das wissen. Er darf nicht gegen Güldenberg kämpfen. Der könnte auf die Idee kommen, Barbanera um Hilfe zu rufen. Dann kommt sie und ruft diesen Unheilsbringer", sagte der Meister der Kundschafter der italienischen Zwerge.

So fuhren sie mit mehr als Erdstoßausbreitungsgeschwindigkeit, immer die festesten Gesteinsmassen ausnutzend, unter der Erde bis zum Höhlenreich Malins.

Dieser schlief und durfte nicht jetzt schon geweckt werden. doch Schattenhut und Dunkelauge zeigten dem obersten Kriegsmeister die von den Fernrohren gemachten Aufnahmen. Der auf Schlachten und ehrenvollen Tod ausgehende erbleichte hinter seinem langen Bart. "Das kann und muss der König allein entscheiden", seufzte er.

Mehrere Stunden später - Dunkelauge war wieder mit dem Tiefenboot nach Italien unterwegs, übergab Schattenhut seinem König alle Aufzeichnungen des Fernrohres. "Du willst mich verladen, mich beschwindeln", stammelte Malin. Doch Schattenhut schwor bei der Länge seines Bartes, dass er es so auch erlebt hatte.

"Schmetterhammer zu mir!" rief der König. Der Meister aller Krieger kam wie befohlen. "Besteht die Möglichkeit, Zaubererhäuser mit Erdfeuerpumpen zu zerstören?" fragte der König. Schmetterhammer überlegte. Dann sagte er mit leiser Stimme: "Nur dann, wenn sie nicht von Ortsversetzungssperren umgeben sind und keinen Schild gegen fremdes Zauberfeuer haben und auch nicht gegen metallhaltige Geschosse beschildet sind, mein König. Ist alles drei vorhanden landet jede Ladung im benutzten Pumpwerk und zerstört dieses, je danach, aus welcher Tiefe das Erdfeuer geschöpft wird." Malin starrte den Großmeister der Kriegergilde zornig an. "Dann finde es heraus! Schicke drei Boote, die von der Unternehmung Tiefensonne verblieben sind, zu den von Schattenhut erkundeten Standortwerten auf der Eisenfanglinienkarte! Sie sollen das auf diesen Bezugspunkten stehende Haus mit Erdfeuerladungen angreifen. Können sie es zerstören, haben wir diese schwarze Pestbeule ausgebrannt. Dann können wir auch das Ministerium in Italien auf diese Weise in Schlacke und Asche verwandeln. Los, mach!"

Schmetterhammer, der es gewohnt war, dass er und seine Krieger im ehrlichen Kampf gegen den Feind standen, nickte. Dann ging er und führte den Befehl aus.

Drei tiefe Schläge des Zeitambosses später meldete die Gruppe der drei Boote die Ankunft unter dem Ziel. Schmetterhammer erteilte den Befehl zum Angriff. Die Bestätigung kam über die abgestimmte Schallverpflanzung. Danach erfolgte nur noch ein dumpfer Knall und ein erst lautes und dann schlagartig leiser werdendes Rauschen. Auf der Zustandsanzeigescheibe für die drei Boote wechselte das Licht von Einsatzgrün auf tiefblauen Totalverlust. Damit stand fest, dass das Blutfeuernebelhaus über mindestens zwei der von Schmetterhammer erwähnten Abwehrzauber verfügte. Ladonnas eigene Residenz konnte nicht mit der sonst so furchtbar wirksamen Erdfeuerpumpe zerstört werden.

König Malins bis dahin kampflustige, trotzige Haltung wich der Bleiche blanken Entsetzens. Denn jetzt wusste er, das er mit dieser mächtigen Feindin so nicht kämpfen konnte. Am Ende würde die sogar seine Leute mitbekommen haben und den gescheiterten Angriff als Grund für einen Gegenschlag nehmen.

"An alle Krieger, kein Ausrücken. Wenn wir jetzt angreifen ist unser Reich verloren. Wir bieten dem Minister einen Pakt an. Er beschützt uns vor Ladonna. wir verzichten auf den Krieg."

"Tja, wenn ihr auch auf das Goldwertbestimmungsrecht verzichtet", sagte der Meister der Botengilde. "Ja, ich biete es ihm an, schriftlich. Schick Goldkehle zu diesem Erlenhain hin", knurrte Malin. Er war so wütend und zugleich verängstigt, dass er sich locker tief in den Boden hätte stampfen können. Dieses schwarzhaarige Mischblutweib hatte ihm in dieser Nacht seine Grenze gezeigt, eine turmhohe, stampfende Mauer, die ihn nebenbei verschlucken konnte. Seine schlimmsten Angstträume konnten wahr werden. Er würde zwar als König ohne Sieg weiterleben, aber besser in einem von Untertanen bewohntem Land.

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27.03.2006

Barbanera sprach am Morgen des 27. März zu allen, die ihn über Zauberradio hören konnten. "Meine hoch verehrten Mithexen und Mitzauberer, Brüder und Schwestern Italiens. Es ist mir heute ein großes Anliegen und zugleich eine Ehre, Ihnen allen mitteilen zu dürfen, dass ich in Abstimmung mit meinen Sicherheitsberatern verfügt habe, dass ab dem ersten April diesen Jahres die aus Sorge um gefährliche Eindringlinge mit zugegeben sehr drastischem Zauber verschlossenen Grenzen wieder für alle durchlässig sein werden. Ich bin sehr erleichtert, dass es in der Zeit, in der der Zauber bestehen musste, außer drei unbelehrbaren Ungläubigen keine Opfer gab. Natürlich werde ich mich einer Anhörung vor der internationalen Zaubererweltkonföderation stellen, allein schon deshalb, weil ich diese auch um eine wichtige Hilfsleistung bitten möchte, unabhängig davon, ob meine Sicherheitsbeauftragten und ich unsere Ämter weiterhin bekleiden dürfen oder nicht."

Des weiteren möchte ich Ihnen die frohe Kunde übermitteln, dass ich mit meinen Amtskollegen aus Spanien, Portugal, Österreich, der Schweiz und Deutschland zu einem geheimen Treffen zusammengekommen bin, um mit ihnen über die derzeitige Lage zu sprechen. Sie unterzogen mich einer magischen Gesinnungsprüfung und erkannten, dass ich frei von jedem fremden Einfluss bin und somit aller Vorwürfe zum Trotz nicht Ladonna Montefioris Marionette bin. Es war eine sehr schmerzhafte Prozedur. Doch ich bin froh, dass ich jetzt zumindest von den mir wichtigsten Nachbarn rehabilitiert wurde. Was die französische Kollegin Ventvit angeht, so wissen wir nicht, ob sie nicht mit ähnlich verwerflichen Wesen wie Ladonna Montefiori zusammenwirkt. Jedenfalls müssen wir davon ausgehen, dass der ihr gegen ihren Willen auferlegte Zauber einer Veelastämmigen sie für diese Wesen empfänglich macht und somit auch für die den Gerüchten nach teilweise veelastämmige Ladonna Montefiori. Ansonsten würde ich sie gerne einladen, sich der auf diesem Geheimtreffen beschlossenen Koalition der Verbundenheit und des friedlichen Miteinanders anzuschließen. Wir sind bedroht von innerenund äußeren Feinden, die sich weder um Anstands- noch um Landesgrenzen scheren. Wir müssen zusammenstehen, um zu bestehen. Das sind wir Ihnen allen schuldig. Ob sich der britische Zaubereiminister und die nordamerikanische Zaubererföderation anschließen werden oder ob die Zaubereiministerien Asiens es für geboten halten, mit uns zusammen für friedlichen Fortbestand zu arbeiten wird die Zukunft zeigen. Auch hier vertraue ich auf die Erfahrungen und Weisheit der Mitglieder im Rat der internationalen Zaubererföderation und der globalen Magierkonferenz in den nächsten Tagen.

Der Versuch der Schwarzalben oder Zwerge, in Deutschland einen Zustand der Unordnung und des Streites herbeizuführen, konnte nur damit vereitelt werden, weil wir alle unsere Gemeinsamkeiten wiederfanden, die uns einen, statt auf den Dingen zu beharren, die uns trennen. Wir sind jetzt eine Gemeinschaft von Hexen und Zauberern, im Friden vereint, nicht in Angst, wie viele es zu behaupten wagen. Wir werden alle noch bestehenden Bedrohungen als eine Gemeinschaft zurückdrängen und ihren Urhebern klarmachen, dass es für sie nur den Weg der friedlichen Koexistenz oder den Sturz in den Abgrund der völligen Vernichtung und des Vergessens geben kann.

Lang lebe die freie und friedliche Zaubererwelt! Lang lebe die Koalition der Verbundenheit und des Friedens!"

Der Minister beantwortete die Fragen, außer die nach dem Treffpunkt und der Zeit. Er erwähnte nur, das es außerhalb Italiens war. Dann sollte er noch ausführen, was genau diese von ihm gepriesene Koalition der Verbundenheit und des Friedens bewirken könne. Er verwies auf geheime Absprachen, die dem Schutz der Öffentlichkeit dienten und erst einmal nicht öffentlich erörtert werden dürften. Auf Ladonna Montefiori angesprochen sagte er: "Sie sandte mir eine Nachricht, dass sie zwar immer noch wegen ihrer Abstammung denkt, sie sei es wert, als Königin aller magischen Menschen zu regieren. Sie sieht es jedoch ein, dass sie nicht über ein verwüstetes Land voller nichtmenschlicher Dunkelwesen wie Vampire, Werwölfe, Nachtschatten und Dementoren herrschen möchte, sondern erst dann ihren angeblich gerechten Anspruch geltend machen wird, wenn diese Ungeheuer besiegt sein werden. Ihre Botschaft beinhaltet auch die klare Aussage, dass sie weiterhin die Hand ausstreckt, um Hexen, die den Wildwuchs der Moggli-Maschinen und ihre verpestenden Kraftquellen beenden möchten zu helfen. Solange gelte, dass nur die mütterlichen Hexen das Recht hätten, zu bestimmen, wie alle nichtmagischen Menschen leben sollen, so die Botin Ladonna Montefioris. Sie selbst wird sich mit uns treffen, wenn wir ihr Sicherheitsgarantien erteilen können. Ob dies der Fall sein wird, nach allem, was sie schon getan hat, soll die Konföderation und die Glomako erörtern und klären. Womöglich können wir ihr zumindest den bereits von mir erwähnten Waffenstillstand auch auf den Gebieten der anderen Zaubereiministerien gewähren."

"Ja, aber dann könnten andere Verbrecherinnen und Verbrecher auch auf so einen Waffenstillstand ausgehen", rief ein Reporter ungehalten aus.

"Wie bereits vor einer Woche erwähnt biete zumindest ich jeder Hexe und jedem Zauberer die Möglichkeit, bestehende Streitigkeiten vorübergehend oder gar dauerhaft beizulegen, wenn sie oder er bereit ist, auf selbstgesteckte Weltherrschaftsziele zu verzichten. Ja, wir müssen zähneknirschend und immer wieder schluckend damit zu leben lernen, dass wir als Menschheit mit allen Menschen zurechtkommen müssen. Das heißt jedoch nicht, dass Mordtaten ungesühnt bleiben werden oder Diebe ungehindert fremdes Eigentum an sich reißen dürfen. Unsere Gesetze gründen auf der Notwendigkeit von Ordnung zwischen uns hier in Italien und zwischen allen magischen Gemeinschaften weltweit. Deshalb spreche ich bei Ladonna und allen anderen, die so denken und handeln wie sie von einem Waffenstillstand, nicht von einem bedingungslosen Freispruch von allen erwiesenen Taten. Ich bitte Sie alle, diesen Unterschied genau zu bedenken und in Erinnerung zu halten! Ansonsten bedanke ich mich bei Ihnen allen für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und bei den Damen und Herren von den Nachrichtenverbreitungsmedien für Ihre Fragen, um Ihnen allen die bestehende Sachlage und unsere Absichten darzulegen."

Es kam kein Applaus, nur Kopfnicken und vereinzeltes Stirnrunzeln. Doch niemand wagte mehr eine Frage zu stellen. Die Vertreter der italienischen Nachrichtenmedien verließen den Presseraum durch die Tür. Dahinter wogte violetter Rauch, und ein dem Minister all zu vertrautes rubinrotes Flackern schien von den Wänden des Durchgangs wider. Er bekam mit, wie einer der Radioreporter seinen Schallsammeltrichter noch einmal öffnen wollte. Doch da umhüllte ihn bereits der Rauch und er ließ den geschlossenen Schallsammeltrichter fallen. Die Presse und der Rundfunk wurden nun auch Teil des Königreiches im Zeichen der Feuerrose. Barbanera schloss die Tür, um den violetten Rauch nicht ausdünnen zu lassen. Dann verließ er den Presseraum durch eine zweite, nur von ihm zu öffnende Tür. Dabei hörte er ganz leise die erste von vier Forderungen seiner Herrin, die, immer nur das zu berichten, was der Königin gefalle und nütze. Dann schloss er die Tür und begab sich durch das Treppenhaus für höhere Beamte wieder nach oben.

"Herrin, die Ansprache ist in der Welt."

"Gut, ich werde die Grenze am ersten April wieder öffnen", vernahm er die Stimme seiner einzig wahren Herrin in seinem Kopf.

"Ach ja, Die Mitglieder des Konföderationsrates aus unserem Reich haben gerade mit den Russen und Serben geklärt, dass auch von denen nur solche kommen, die bereits meinm Willen folgen." Barbanera lächelte, weil er nicht anders konnte. Denn zum einen stand er unter Ladonnas Bann der Feuerrose. Zum anderen dachte er daran, dass mit jedem Machtzuwachs von ihr auch sein Ansehen in der ganzen Welt steigen würde. Das gefiel ihm sehr.

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31.03.2006

Die letzten Wochen waren für viele anstrengend gewesen. Die Ministeriumsmitarbeiter waren alle in Millemerveilles willkommen geheißen worden. Da wo Magie in unmittelbarer Nähe kein Problem war waren die letzten Varanca-Reisehäuser, die in Frankreich zu bekommen waren aufgestellt worden, um Personal und Material unterzubringen. Die Rechnerabteilung war in einem Zelt, dass bereits von den Bewohnern ""Elektrozirkus" genannt worden war. Julius hatte es mit Humor genommen. Immerhin machten sie ja doch einige Kunststücke hier.

Somit vollzog sich vom Rest des Ministeriums unbemerkt der Einzug von Louiselle Beaumont in das Haus Rue de Liberation 13 Obergeschoss. Um den schönen Schein eines nicht geschlechtlich bedingten Zusammenlebens zu waren hatte Louiselle in einem der Zimmer ein einzelbett mit Breiter Matratze und Laurentine ihr Bett auf dem Dachgeschoss, zusammen mit ihrem Rechner. Von Catherine mit gewissem Murren genehmigt hatte Louiselle einen weißen Schrank in ihrem Zimmer hingestellt, durch den sie in ihr Haus in Avignon wechseln konnte, wenn es anstand.

Abends saßen die Brickstons und die zwei nun über ihnen wohnenden Hexen zusammen und stießn mit nichtalkoholischen Getränken an. "Kann es sein, dass außer dem Haus hier nur noch Millemerveilles der sicherste Ort auf der Welt ist?" fragte Laurentine Louiselle. "Die Frage ist, was hat sie jetzt vor."

"Habt ihr es nicht gehört? Barbanera, also ihr Statthalter oder Erfüllungsgehilfe, will die Grenzen nach Italien wieder öffnen. Angeblich soll dann die europäische Zaubererwelt in Frieden zusammenrücken", sagte Catherine.

"Stimmt, Julius hatte sowas angedeutet. Na ja, Frieden unter der Feuerrose. Wer's glaubt", grummelte sie.

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Es musste in der Nacht geschehen, damit dunkles in der dunkelheit aufgehen und vergehen konnte. Eigentlich wollte sie es ja nicht tun, was sie so viel Kraft und 343 Menschen das Leben gekostet hatte. Doch wenn sie nun auch weltweit handeln wollte mussten auch jene Schwestern und Statthalterinnen zu ihr hinfinden, die nicht auf dem Boden Italiens geboren wurden. Auch konnte sie damit ihrem Statthalter Barbanera mehr Glaubwürdigkeit und Ansehen zurückgeben, dass ihr gescheiterter Versuch damals im Castello Moravito verursacht hatte.

Es blitzte und fauchte, wummerte und prasselte, als eine Unmenge von magischer Kraft im Mittelpunkt aller Linien und Eckpunkte aus dem Boden in den Himmel emporschlug. Blutrote Blitze, gleichfarbige Fontänen und Spiralen jagten in die Unendlichkeit des Sternenhimmels hinaus. Sie hörte die lauten Schreie jener, die sie selbst getötet hatte, um ihr Heimatland abzuschotten. Sie fühlte, wie die freigesetzte Lebenskraft sie mit jeder aufglühenden Entladung anklagte. Doch dann war das aus den Fesseln von Klingsors dunklen Grenzsicherungszauber entweichende Seelenbruchstück auch schon aus der Welt verschwunden, ebenso alle, die diesem Zauber zum Opfer gefallen waren. Ladonna fühlte die steigende Erschöpfung. Dass sie es gewagt hatte, den von ihr selbst heraufbeschworenen Todeszauber wieder aufzuheben kostete sie eine Menge Kraft. Doch es musste sein, jetzt, wo sie mehrere der Nachbarländer de facto beherrschte und ja selbst diese Koalition der Verbundenheit vorgeschlagen hatte. Jetzt konnten zwar alle ihre ausländischen Feindinnen und Feinde wieder ins Land eindringen. Doch Sie hatte jetzt Rückendeckung. Auch hatte sie all die Zaubereiministerien, die ihr nun gehörten, mit jenen Veela-Abwehrzaubern gespickt, die sie schon in Spanien eingesetzt hatte.

Es gab auf europäischem Boden nur noch drei Inseln, die ihr noch widerstrebten, Griechenland, Großbritannien und Frankreich. Gerade letzteres lag so nahe und war doch so weit von ihr entfernt wie der Mond von der Erde. Doch wenn ihre Pläne weiter gediehen, trotz der hässlichen Löcher mit den Veelastämmigen und den entwischten deutschen Ministeriumszauberern, würde sie am Ende die Königin aller magischen Menschen sein und die Moggli endlich dorthin zurücktreiben, wohin sie gehörten.

Gleich war es soweit. Gleich würden die letzten dunklen Energien unschädlich im Äther verwehen, die ihr Land und die vorgelagerten Inseln gegen alle abgeschottet hatten. Dann würde das Land wieder für ausländische Hexenund Zauberer betretbar sein. Siedendheiß fiel ihr ein, dass jemand genau darauf wartete, dass es passierte und vor allem, das der oder besser die errechnen konnte, wo sie sich dafür aufhalten musste. Sofort blickte sie in alle Richtungen. Sie musste noch die neunundvierzig Sekunden warten, bis sie wusste, dass alle von ihr beschworene Kraft wirklich entladen war. Verschwand sie von hier, würde sich die nun entladende Kraft in alle Richtungen ausbreiten und alles und jeden mit Magie im Leib schädigen oder gar töten. Tat sie wirklich das richtige?

Die Sekunden verflogen. Die Rosenkönigin blickte sich immer wieder um, bereit im Notfall zu disapparieren, auch wenn sie dann erst einmal in mehreren hundert Metern Höhe auftauchen musste, um nicht durch die letzten freiwerdenden Entladungen getötet zu werden. Sie sah nach oben, weil sie auch auf einen Feind aus der Luft achten musste. Eine schwarze Wolke schwebte weit über ihr vor dem Mond. Sie erschrak. Formte sich diese Wolke nicht irgendwie zu einer menschenförmigen Erscheinung? Heiß und Kalt durchfuhr es Ladonna, wenn sie daran dachte, dass auch die Nachtschattenkönigin von irgendwem gelernt haben mochte, wo der Mittelpunkt von Klingsors Grenzwall-Zauber sein musste. Sie beobachtete die Wolke eine Sekunde. Dann musste sie wieder in alle anderen Richtungen blicken, ob dieses fleischlose Ungetüm sie nicht ablenken wollte, um seine nicht weniger gefährliche Brut an sie heranzulotsen. Sie stand hier wirklich wie auf einem Präsentierteller.

Zwei Blitze schossen fauchend nach oben und hinein in die schwarze Wolke. Diese zerfaserte in blauem Licht und verging. Es war doch nur eine gewöhnliche dunkle Wolke!

Ladonna wollte jedoch nicht in ihrer Wachsamkeit nachlassen. Noch konnte der Zauber ausländische Hexen und Zauberer abwehren. Aber wenn doch Nachtschatten anrückten oder gar apparierten? Die Rosenkönigin fühlte das ihr sehr unvertraute und dennoch bekannte Gefühl von Angst. Dieses Gefühl hatte sie unmittelbar nach dem Verlust ihres magischen Ringes verspürt, bevor Sardonia sie in ihren Versteinerungszauber eingeschlossen hatte.

Die letzten sieben Sekunden verwehten mit den letzten heftigen Magieentladungen. Der Boden erbebte. Es klang wie ein aus großer Tiefe heraufkommendes Brummen. Sie dachte an die in mühsamer Vorbereitung aus allen Elementarzaubern bildliche und scheinstoffliche Illusion des großen grauen Eisentrolls, den sie für die Zwerge heraufbeschworen und gleich wieder in der Erde versenkt hatte. Was wenn es dieses Ungetüm wirklich gab?

Drei- zwei- eine Sekunde! Mit einem letzten Krach entlud sich ein wild wirbelnder, blutroter Kugelblitz in den Himmel, wo er für einen Moment wie ein frei schwebender Kopf mit einem auf sie niederblickendem Gesicht aussah. Das war doch die Frau, die Ladonna als erste getötet hatte, um ihre tödliche Grenzsicherung zu beginnen. Das rot leuchtende Gesicht blickte sie anklagend an. Dann zerfloss es in einem Schauer aus weißem Wetterleuchten.

Augenblicklich disapparierte Ladonna Montefiori. Der Boden erzitterte noch einmal. Dann war alles ruhig und dunkel, als wäre hier nie etwas geschehen. Irgendwo wehte der weit weit entfernte Mitternachtsschlag einer Turmuhr durch die Nacht. Der März war vorbei. Eine neue Ära in der magischen Welt hatte gerade begonnen, der Rosenfrieden.

ENDE

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