DER ADLER UND DIE LÖWIN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Auswirkungen jener weltweiten Welle dunkler Magie, die bei der Vernichtung von Iaxathans Ankergefäß freigesetzt wurde, halten die ganze magische Welt in Atem. Schwarzmagische Gegenstände erwachen zu einem unheilvollen Eigenleben. Für dunkle Kräfte empfängliche Wesen schütteln jahrtausende alte Erstarrungszauber ab oder werden stärker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zaubereiministerien und davon unabhängiger Eingreiftruppen gegen dunkle Künste kommen nicht zur Ruhe. Als dann durch das schwere Seebeben vom 26. Dezember 2004 ein auf dem Meeresgrund liegender Unlichtkristall zerbricht und deshalb eine weltweite Entladung von Erdmagie auslöst gerät die gesamte Gesellschaftsstruktur der magischen Menschheit ins Wanken. Denn die Welle aus Erdmagie trifft dafür empfängliche Wesen wie Kobolde und Zwerge hart bis tödlich. In Australien wird die Koboldbank Gringotts zerstört. Anderswo müssen Filialen schließen. Verschiedene Gruppen versuchen das auszunutzen, um das jahrhundertealte Goldwertbestimmungsmonopol der Kobolde zu beenden. Ebenso wittert in den Vereinigten Staaten ein einzelner Zauberer die Chance, der mächtigste in Nordamerika zu werden: Lionel Buggles. Als dieser dann von der obskuren Gruppe Vita Magica unterworfen wird hilft diese ihm, seinen Traum für einige Monate zu verwirklichen, ganz Nordamerika unter seiner Führung zu vereinen, bis ihm die Führerin der Spinnenhexen für immer Einhalt gebietet.

Julius Latierre wird von Ashtaria beauftragt, einen eigenen Sohn zu zeugen. Da er mit Millie von den Mondtöchtern gesegnet wurde kann er dies jedoch erst nach einer Wartezeit von zwölf Jahren, weil er schon drei Töchter mit Millie hat. Ashtaria schickt Millie einen höchst beängstigenden Traum von einer Zukunft, in der sowohl Lahilliotas neue Ameisenkreaturen, die Nachtschatten der selbsternannten Nachtkaiserin und die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder die Menschheit auslöschen und Ashtarias Macht vollständig verschwinden mag, wenn es keine sieben Heilssternträger mehr gibt. Daher nutzen sie und Julius ein besonderes Gesetz, dass einem Ehemann erlaubt, mit einer unverheirateten Hexe ein Kind zu zeugen, welches die angetraute Frau nicht oder nicht früh genug bekommen kann. Als sogenannte Friedensretterin erwählen beide Millies Tante Béatrice, die seit dem unfreiwilligen Kindersegen in Millemerveilles die zweite Heilerin dort ist. Béatrice geht auf die Bitte ein und verbringt mit Julius mehrere Nächte, während Millie sich in den Künsten der Feuermagier aus dem alten Reich zu ende bilden lässt. Das Vorhaben gelingt. Béatrice empfängt einen Sohn. Kurz nach der erfolgreichen Zeugung wird Millie ebenfalls schwanger. Sie trägt Zwillingstöchter. Sie verzichtet auf ihr Recht, Béatrices Kind als ihres anzunehmen und überlässt den kleinen Félix seiner leiblichen Mutter. Sie selbst bringt in der Walpurgisnacht 2005 die beiden Töchter Flavine und Fylla zur Welt. Julius hat Ashtarias Auftrag ausgeführt. Er wartet darauf, ob und wo er den verwaisten Silberstern entgegennehmen kann. Er muss dafür noch eine gefährliche Aufgabe erledigen. Ashtaria stellt ihm drei zur Auswahl: Das verschollene Buch über das Geheimnis des großen, grauen Eisentrolls, den Zwerge und Kobolde gleichermaßen fürchten zu finden, einen mächtigen Dschinnenkönig finden und verhindern, dass dieser sich wieder zum Herren aller orientalischen Geisterwesen aufschwingt oder eine schwarzmagische Vorrichtung namens "Das Herz von Seth" unschädlich zu machen. Er entscheidet sich für die dritte gefahrvolle Aufgabe. Dank Goldschweif, seiner Temmie-Patrona und einer ausreichenden Dosis Felix Felicis übersteht er die auf dem Weg in die unterirdische Anlage lauernden Fallen und kann gerade noch rechtzeitig verhindern, dass der im Herzen des Seth angesammelte Hass und Zerstörungswille auf einen Schlag freigesetzt werden und damit alle fühlenden Wesen zu Mord und Krieg getrieben werden. . Um die unheilvolle, gewaltige Maschinerie der dunklen Kraft möglichst nie wieder in Gang zu setzen hilft ihm Madame Delamontagnes Hauselfe, den zentralen Raum unbetretbar zu machen. Weil Julius die ihm gestellte Aufgabe erledigt hat darf er das Geburtshaus von Hassan al-Burch Kitab aufsuchen, wo der verwaiste Silberstern liegt. Doch dieses wird von Ilithula, der Abgrundstochter mit Beziehung zu Windmagie bewacht. Er kann sie jedoch austricksen und den Heilsstern an sich nehmen. Zusammen mit den sechs anderen Sternträgerinnen und -trägern ruft er in Ashtarias Höhle des letzten Abschiedes die mächtige Formel aus, die die geballte Macht der sieben Sterne freisetzt. Damit wird er endgültig der sechste Sohn Ashtarias. Die Anrufung der Heilsformel bewirkt jedoch auch, dass die in Gestalt einer roten Riesenameisenkönigin gefangene Lahilliota wieder zur Hexe in Menschengestalt wird, allerdings immer nur im Wechsel mit ihrer Tiergestalt alle zwei Monate.

Wegen der Mordanschläge von London und Birmingham am 7. Juli regen Julius und seine Mutter eine internationale Zaubereikonferenz zum Thema elektronische Aufzeichnung und Verhüllung der Magie vor Videokameras an. Viele Zaubereiministerien gehen auf diesen Vorschlag ein. Die Konferenz findet Ende September Anfang Oktober in einer gesicherten Niederlassung des Japanischen Zaubereiministeriums statt. Dort werden fast alle Teilnehmer durch den Nebel des Mondfriedens darauf eingestimmt, einander zu vertrauen. Nur Julius und Nathalie entgehen diesem angeblich so friedlichen Vorbeugungszauber. Julius wird von Ashtarias Heilsstern geschützt, Nathalie durch den ihr aufgezwungenen Sonnensegen Euphrosynes. Nach einigen Tagen Beratung präsentieren die Japaner das gesuchte Mittel, den lautlosen Verberger, einen Gürtel, der seinen Träger für elektronische Aufnahmegeräte unsichtbar macht. Die Ministerien beschließen, für ihre Sondertruppen solche Gürtel anzuschaffen.

Catherine wird von Julius zu den Altmeistern Khalakatans gebracht, wo sie vollständig in Zaubern der alten Windmagier und Mondmagier ausgebildet wird. Während ihres Ausbleibens verfolgt Julius die Unruhen in den Vororten französischer Großstädte im November 2005. Als Catherine zurückkehrt bittet sie Julius, ihr die von ihm lange gehütete Flöte des Windkönigs Ailanorar zu überlassen. Er soll in der Zeit, die sie mit deren Schöpfer um den Besitz ringt auf ihre Kinder aufpassen. Mit dem Heilsstern verhindert er, dass Babette, Claudine und Justin von einem fremden Einfluss entseelt werden und hilft damit auch Catherine, Ailanorar zu bezwingen und somit die Flöte für sich zu erobern. Diese dient fortan nur noch ihr und ihren direkten Nachkommen.

Laurentine Hellersdorf nimmt eine Reise nach Amerika zum Anlass, sich in weiterführenden Abwehrzaubern ausbilden zu lassen. Hera Matine empfiehlt ihr Nachhilfestunden bei ihrer Nichte Louiselle Beaumont, die ihr auch in Beauxbatons ungern gesehene Zauber beibringt. Als Laurentine auf der Reise durch die Staaten wahrhaftig mit der Führerin der Spinnenschwestern zusammentrifft beschließen Louiselle und Hera, Laurentine in die Gemeinschaft der schweigsamen Schwestern aufzunehmen. Bei diesem Zeremoniell erweist sich, dass Ladonna Montefiori bereits Gefolgshexen in diese Gemeinschaft eingeschleust hat. Doch diese versagen beim Versuch, die Stuhlmeisterin Hera Matine zu töten und werden durch Schutzzauber des Versammlungsortes körperlich und geistig zu Neugeborenen zurückverjüngt und sollen ein neues Leben beginnen. Der Tsunami vom 26.12.2004, der auch für die Erdmagieturbulenzen verantwortlich ist, nimmt der trimagischen Gewinnerin beide Eltern. Sie braucht eine Zeit, um darüber hinwegzukommen, bis sich ihr im Traum und bei der Beerdigung eine rot-golden leuchtende Erscheinung zeigt, die große Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Schulfreundin Claire Dusoleil hat. Von da an ist sie wieder zuversichtlich, weiterleben zu können.

Laurentine und Louiselle setzen ihre Übungen fort. Dabei erkennt Laurentine, dass sie die ältere Hexe nicht nur als Lehrerin schätzt, sondern sich auch in sie verliebt. Bei einer Übung zur Abwehr eines Unfruchtbarkeitszaubers wendet Laurentine einen anderen Weg an als bisher bekannt. Dadurch drängt sie den ihr geltenden Zauber nicht nur zu Louiselle zurück, sondern bewirkt auch eine der wenigen hellen Verkehrungen eines ursprünglich bösartigen Zaubers. Statt für Monate unfruchtbar zu werden entsteht aus einer Eizelle Laurentines und Louiselles eine gemeinsame Tochter in Louiselles Gebärmutter. Damit kommen die zwei Hexen sprichwörtlich wie die Jungfrau zu einem Kind und müssen überlegen, wie sie mit dieser Verantwortung umgehen.

Das neue Jahr beginnt. In Nordamerika soll die neue Föderation aus Kanada, den USA und Mexikos ihre Arbeit aufnehmen. Was dabei für den Rest der Welt herumkommt wird sich zeigen müssen.

Während all dieser aufwühlenden und unerwarteten Ereignisse bereitet sich Ladonna Montefiori darauf vor, ihr nächstes großes Ziel zu erreichen, mit dem sie ihre Todfeindin Sardonia endgültig überflügeln will. Sie schürt in verschiedenen Ländern Unruhen in der magischen Gemeinschaft und treibt die amtierenden Zaubereiminister dazu, sich zu geheimen Treffen zu verabreden. Über ihre Agentinnen erfährt sie, wann und wo solche Treffen stattfinden und schafft es, neue Feuerrosenkerzen dort einzuschmuggeln. So gelingt ihr doch noch, was sie schon längst erreichen wollte. Außer Frankreich, Griechenland und die afrikanischen Länder übernimmt sie alle Mittelmeeranrainer. Weitere Feuerrosenkerzen machen ihr zudem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der eroberten Zaubereiministerien gefügig. Allerdings entwischen ihr in Deutschland mehrere Dutzend Hexen und Zauberer mit Hilfe von bei Gefahr auslösenden Portschlüsseln und warnen die noch freien Zaubereigemeinschaften. Ladonna lässt verbreiten, dass die Zaubereiministerien wegen der vielen internationalen Feinde ein starkes Bündnis gegründet haben, die Koalition der Verbundenheit. Alle Behauptungen, sie seien unterwandert werden als böswillige Verleumdungen abgetan. Außerdem schafft es Ladonna, zwei weitere wichtige Niederlassungen von Vita Magica zu vernichten und sogar den amtierenden hohen Rat des Lebens auszulöschen, so dass Vita Magica stark geschwächt ist und zunächst den Fall "Dornröschen" ausruft, also das unbefristete Stillhalten. Ebenso kann sie die in Deutschland und Italien aufmuckenden Zwerge und Kobolde niederhalten, indem sie publikumswirksam vorführt, dass sie den großen grauen Eisentroll, den Urfeind aller Zwerge und Kobolde, aus der Erde hervorrufen und ihn wieder dorthin zurückschicken kann. Sie wähnt sich sicher, trotz der entwischten Opfer ihre weiteren Ziele erreichen zu können.

Derweil bahnt sich in den Nordamerikanischen Staaten etwas an, was unausweichlich scheint. Ein von den Ureinwohnern Mexikos stammender Schwarzmagier will mehr Einfluss in den USA. Doch dabei kommt ihm jemand anderes in die Quere.

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Im Haus der Familie von Jeff Bristol, 01.03.2006, 22:15 Uhr Ortszeit

Die Eheleute Jeff und Justine Bristol räumten die Wohnung auf. Vor einer Stunde hatten sie die letzten Gäste verabschiedet, die Laura Janes dritten Geburtstag mitgefeiert hatten. Dabei hatten sie es tunlichst vermieden, mit den anderen jungen Eltern und Justines Verwandten über die Politik der Föderation zu reden. Längst nicht alle waren mit den Neuerungen und angepriesenen Verbesserungen zufrieden. Jetzt, wo endlich wieder Ruhe eingekehrt war, fanden die beiden die Gelegenheit, sich über eine Sache zu unterhalten, die besonders Jeffs Arbeitsplatz betraf und die ihnen beiden im besonderen und der Zaubererwelt im allgemeinen vielleicht sehr übel zusetzen mochte, wenn sie nichts dagegen unternahmen.

"Jeff, das können wir uns nicht weiter bieten lassen. Das mit der am fünften März angesetzten Einzelprüfung aller Rechner und Mobiltelefone ist doch sicher auf dem Mist dieser beiden Geschwister gewachsen", stieß Justine sichtlich ungehalten aus. Jeff nickte. "Deshalb habe ich ja auch sofort bei dir durchgemelot, dass wir was machen müssen, damit mein Rechner nicht als "infiziert" erkannt wird. Ich habe von einer anderen Stelle aus über eine Tarnidentität den FBI-Rechner angezapft und erfahren, dass die Firma Ultrasecurity Systems von FBI und CIA als Hintertürfabrik für verschiedene zweifelhafte Organisationen benutzt wird. Das Problem ist, dass hohe Herrschaften die Hände über diesen Laden halten, weil der auch Werkzeuge liefert, um ausländische Regierungsrechner anzuzapfen. Das an sich ist schon ein Skandal der obersten Ordnung. Aber falls die Campoverde-Geschwister in diesem Laden mit drinhängen haben die bereits genug Augen und Ohren in allen möglichen Firmen und Sicherheitsbehörden. Kann sogar sein, dass die wie ich eine Hintertür zum FBI-Rechner haben, die bei den routinemäßigen Überprüfungen nicht auffällt. Ich habe dir ja von diesem Puzzle erzählt, mit dem Ralf unsere Rechner nach und nach abhörbar gemacht hat. Wenn Ultrasecurity das auch mit anderen Rechnern so gemacht hat bekommen die Campoverdes mehr als genug Vorwarnzeit und ..." brachte Jeff heraus.

"Also, bisher wissen nur dein Nomaj-Boss und wir beide von dieser Weltverschwörung. Aber jetzt sollten wir mal langsam an den von uns unterschriebenen Arbeitsvertrag mit dem LI denken. Da steht nämlich drin, dass jeder von uns eine drohende Gefahr der Enthüllung der eigenen wahren Identität oder einer Enthüllung der magischen Welt zum zwecke des böswilligen Gebrauches entweder nach eigenen Kräften zu beseitigen hat, ohne gegen den Artikel zur Unterlassung dunkler Offensivzauber zu verstoßen oder, falls er oder sie die Lage nicht alleine bereinigen kann, auf dafür ausgebildete Fachkolleginnen und -kollegen zurückgreifen möge. Das sollten wir zwei jetzt tun, bevor wir uns noch einer Anhörung stellen müssen, warum wir nicht früh genug gegen diese Erpresser und ihre Ideen vorgegangen sind."

"Gut, Just, du hast den Gefahrenbeseitigungsparagraphen erwähnt. Dann muss ich leider den Unauffälligkeitsparagraphen im Bezug auf nichtmagische Umgebungen, Einrichtungen und Menschen anführen, der da sagt, dass nur im Fall eindeutiger magischer Einwirkungen von außen auf aktive magische Abwehrmittel zurückgegriffen werden darf. Sollte die Gefahr eine nichtmagische sein gilt passive Sicherheit und der allgemeine Notfallparagraph des Gesetzes zur vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei. Das zum einen. Zum anderen steht sicher fest, dass die beiden Geschwister nicht so dämlich sind, zur gleichen Zeit am selben Ort zu sein. Greifen wir uns einen von beiden, ist der andere schnell untergetaucht, bevor wir wissen, wo der andere sich gerade aufhält. Damit könnten wir den Drachen mit dem Basilisken austreiben, was die Geheimhaltung angeht", sagte Jeff und verwies auf verschiedene Ermittlungsfälle des FBI, wo sogenannte Enthauptungsschläge nur dann erfolgreich waren, wenn es gelang, die Führungsebene einer Verbrecherorganisation zur selben Zeit zu ergreifen, egal wo sich die einzelnen Mitglieder aufhielten. "Ja, und wenn der jeweilige Faktor I des rostroten Rechtecks eine Mithörverbindung zum jeweils anderen Geschwister unterhält würde jeder Angriff auf den einen zum Verschwinden des anderen führen, selbst wenn wir Quinns Unfunkstein und Stromunterbrechungskristall benutzen. Denn sobald der Sender unterbrochen wird weiß der Empfänger oder die Empfängerin sofort, dass was nicht stimmt. Glaube nicht, dass ich mir das nicht alles schon überlegt habe, wie wir uns diese beiden Blutegel vom Leib schaffen können." Justine nickte. Dann sagte sie: "Ja, und wenn wir der Eidechse am Schwanz ziehen bricht nur der Schwanz ab und die Eidechse rennt schneller weg als wir nachfassen können. Es sei denn, wir bekommen alle möglichen Ausweichquartiere heraus, wo sich der jeweils andere verstecken wird, wenn es brenzlig wird. Doch das mit dem Mithören ist ein Problem. Aber wegen der Computerprüfung solten wir was einfädeln können. Wann soll die sein?" Jeff nannte den Termin. "Gut, ich kläre das mit Quinn und Martha, dass dann einer von uns unsichtbar bei dir im Büro ist und dem oder der ein entsprechendes Gedächtnis verpasst, dass auf deinem Rechner keine verdächtigen Programme laufen."

"Wieso Martha?" fragte Jeff ein wenig befremdet. "Weil sie von uns allen die beste Expertin für alle auf Computern laufenden Programme und Informationsarten ist. Du könntest dem zwar eingeben, dass er oder sie den Rechner überprüft und für unbedenklich befunden hat, aber nicht die genauen Erinnerungen erzeugen, was er oder sie gemacht hat, um auf dieses Ergebnis zu kommen. Auch sollten wir den Spieß umdrehen und herausbekommen, mit wem eure Rechner verbunden sind und wer auf diese Verbindungen zugreift und auch möglicherweise mit gefälschten Informationen füttern, um beide in eine für uns günstige Stimmung zu versetzen. Hierfür brauchen wir eben Marthas Kenntnisse, am besten noch früh genug, bevor sie in ihre Babypause geht."

"Das wird erst in einem Monat passieren", sagte Jeff. "Dann sollten wir es nicht mehr länger aufschieben", erwiderte Justine.

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Büro von Jeff Bristol bei der New York Times, 05.03.2006, 08:20 Uhr Ortszeit

"Der will es per Hauptrechner machen, das ganze Netzwerk abklopfen und dann die einzelrechner", sprach Jeff in eine neuartige Gesichtsmaske, die von außen völlig durchsichtig war und seine Worte nur für den Träger einer darauf abgestimmten Maske oder Gruppe von Masken hörbar machte. Wie direkt in beide Ohren geflüstert hörte er die Antwort: "Jill, Fred und ich sind auf Posten. Ich bleibe hier in deinem Büro und passe den Menschen ab, wenn er deinen Rechner prüfen will. Und ja, wir achten darauf, dass er die nötige Zeit an deinem Rechner hantiert und dass er womöglich per Direktübertragung mit wem anderen in Verbindung steht, so wie wir gerade. Wollen wir hoffen, dass Quinns Gedächtnisquarze die Zeit und das Gold wert sind, die er da reingesteckt hat."

"Eigentlich eine geniale Möglichkeit, mal eben schnell neues Wissen in sich aufzunehmen. Am Ende könnte meine Tochter das mal brauchen, wenn sie Schularbeiten nicht rechtzeitig fertig kriegt", sagte Jeff. "Ja, hättet ihr wohl gerne", erwiderte der direkte Kontakt, der nur zwei Meter neben Jeff bereitstand, jedoch durch einen Unsichtbarkeitsgürtel für Augen und Wärmebilderfassungsgeräte unsichtbar war.

Das Telefon trällerte. Jeff sah, dass es sein Redakteur war. Jeff zog sich die Fernflüstermaske vom Gesicht und nahm das Gespräch an.

"Guten Morgen, Mr. Dunston. Ich habe der Kollegin Sheffield erzählt, dass ich gleich ins Gericht muss und die Leute von USS auch unter Aufsicht unseres Sicherheitsbeauftragten in mein Büro dürfen", sprach er in den Hörer. "Ich habe Redford und Grabowski schon informiert. Der Pförtner hat drei Leute mit den Sicherheitsausweisen von Ultrasecurity angemeldet. Zwei Männer und eine Frau", antwortete Dunston. "Gut, ich fahre dann gleich los. Soll ich den Rechner ganz runterfahren?" fragte Jeff. "Nein, lassen Sie ihn hochgefahren und ihr Konto offen. Ich traue denen zwar zu, dass sie mit entsprechenden Zugriffswerkzeugen auch Ihr Passwort knacken könnten, muss sie aber nicht in Versuchung bringen. Falls die meinen, das machen zu müssen, sei es eben so", seufzte Dunston. Jeff wusste, dass Mike Dunston auch wusste, warum jetzt diese Überprüfung angesetzt war. Die Campoverdes hatten die Führungsetage der Times manipuliert, dass wohl jemand oder mehrere unsichere Rechner haben konnten. Ganz sicher wollte vor allem Claudia Campoverde nachforschen, ob die von Ralf Burton eingeschleuste Spionagesoftware noch arbeitete und vor weiteren Nachstellungen sicher war. Womöglich wollten sie noch eine neue Dateiversion davon einspielen, die sich jedem üblichen Abwehrprogramm entzog oder dieses kaperte. Ja, und Mike Dunston musste bei diesem fragwürdigen Spiel mitspielen, weil er Post mit Familienfotos seiner Geschwister erhalten hatte und darunter den Kommentar, dass er für jede Minute danken durfte, die seine Liebsten gesund und munter waren. Das war so unmissverständlich, als wenn ihm jemand den Kindern eine geladene Pistole an den Kopf gehalten hätte.

"Ich bin dann unterwegs und höre mir an, was Branigan heute wieder für ein Kaninchen aus dem Hut zaubert", sagte Jeff. "Dann gute Unterhaltung", grummelte Mike Dunston. Jeff bedankte sich und beendete die Verbindung. Dann zog er sich die Maske wieder über. "Ich habe euch ja die Bilder zukommen lassen, wie die zwei aussehen. Aber wenn die sich auch gerne verkleiden wie wir bringt es das nicht."

"Kein Thema. Wer kommt wird bedient. Ich habe fünf Gedächtnissteine mit, und die anderen auch so viele. Wir wussten ja nicht, wieviele von denen hier eintrudeln", wisperte es in Jeffs Ohren. "Öhm, Quinn sagt, dass du die Maske besser in die diebstahlsichere Innentasche deines Jackets tun sollst, bevor du hier abrückst. Da draußen läuft zu viel habgieriges Volk herum.".

"Dann müssten die die Maske ja sehen können. Aber ich verstehe, May. Dann mache ich das besser hier und nicht im Fahrstuhl. Am Ende hat das dreiste Zwillingspaar noch Kameras in die Kabinen eingebaut."

"Hier sind laut Fernbeobachtungswächter keine verbaut. War schon eine gute Idee, die Wächter auch auf elektrische Fernseh- und Fernhörgerätschaften abzustimmen. Die Nomajs werden was Magieersatzgeräte angeht immer frecher."

"Ja, gut zu wissen, dass mein Mobiltelefon nur noch das übermittelt, was ich erlaube. Bis nachher zur Lagebesprechung, May."

"Viel Spaß beim Gericht", hörte er die Stimme der hier wartenden Kollegin May Baywater.

Als Jeff nach einem weiteren Verhandlungstag, an dem Anwalt Branigan weitere Hinhaltemanöver gefahren hatte wieder zurück ins Büro kam setzte er sich wieder die Fernflüstermaske auf und fragte nach May. "Du hattest recht. Es war keiner von denen bei der Truppe. Auch hatten die laut Fred und Jill wo sie unbeobachtet waren mit wem gesprochen, dessen Stimme sie über winzige Ohrstöpsel gehört haben. Daraufhin haben sie bestimmte Handlungen ausgeführt. Wir haben denen dann eingegeben, dass sie alles richtig gemacht haben und sie die Sicherheitsprogramme optimiert haben. Als der eine von denen dann bei dir im Büro war wollte er schon loslegen, dass auf deinem Rechner versteckte und im Hintergrund laufende Programme liefen. Doch das habe ich ihm mit dem Erstarrungszauber abgewürgt und dann gemäß Jills Anleitung das gemacht, was er unter ihrer Aufsicht gemacht hat. Jetzt haben wir sogar die Quellcodes des Spionageprogramms und konnten den von Martha programmierten Verzögerer darauf abstimmen, dass nur noch solche Daten weitergereicht werden, die wir für unbedenklich halten. Ja, und wenn wir bei der Gelegenheit rauskriegen, wo die beiden sitzen gilt der Fall Fliegenklappe. Achso, wir haben alle Rechner neu starten lassen, um die "Verbesserungen" von der Wurzel an greifen zu lassen. du hast ein temporäres Passwort bekommen, das du nach einmaliger Anmeldung auf deinem Konto ändern musst. Jedenfalls sind alle Sicherheitsvorkehrungen bei dir noch verbessert worden.""

"Dann hoffe ich mal, dass die Campoverde-Geschwister keinen Verdacht schöpfen", sprach Jeff in die Maske. "Schade, dass wir nicht auch sämtliche Mobiltelefone freispülen konnten", fügte er hinzu. "Da arbeitet Quinn noch dran. Notfalls knipsen wir den Sendemast aus, über den ihr alle eingebucht werdet. Ach ja, die Telefonanlagesoftware wird am ersten Mai aus unerfindlichen Gründen ausfallen. Früher wird das Phantomsprechprogramm mit täuschend echten Stimmen der Kollegen nicht bereitstehen, sagt Martha."

"Klar, wo sie ab dem 10. April Urlaub nimmt oder schon vorher, wenn Chloe Palmer oder Mia Silverlake nicht einen früheren Termin errechnen", gab Jeff nur für May Baywater weiter. Diese bestätigte es. "Jill konnte mit dem Trank von Bicranius und den von Martha abgestimmten Gedächtnissteinen irre schnell lernen, als wenn sie fünf Schuljahre in fünf Stunden runterreißt. Martha meinte, dass sie mit den Dingern damals wohl den ganzen ZAG- und UTZ-Kram an einem Tag gelernt hätte."

"Ja, nur dass Wissen alleine keine praktischen Erfahrungen ersetzt", sagte Jeff. May bestätigte das. "Gut, dann bin ich wieder weg. Darf ich deine Maske mitnehmen?" Jeff zog sich die Fernflüstermaske vom Gesicht und hielt sie in die scheinbare Leere seines Büroraums. Da glitt sie ihm behutsam aus den Fingern. Er sah noch, wie seine Tür auf- und wieder zuging. May war gegangen.

"Just, alles ist wohl so gelaufen wie geplant. Bin gespannt, ob wir diese beiden Frechlinge mit ihren eigenen Waffen schlagen können", mentiloquierte Jeff seiner Frau. "Gut, dann sehen wir uns beim Lagegespräch. Mach dich drauf gefasst, dass Davidson dich vor den Beteiligten zusammenstaucht, weil wir das jetzt erst angegangen sind."

"Ich bin drauf gefasst und kann ihm die richtigen Argumente liefern, weshalb wir kein Personal zur Sicherung aller möglichen Ziele dieser Banditen abstellen konnten. Das wird er wohl verstehen", schickte Jeff zurück.

Tatsächlich war Davidson bei der vier Stunden später erfolgenden Lagebesprechung sehr ungehalten, was Justines und Jeffs verspätete Gefahrenmeldung anging. Doch Jeff konnte damit argumentieren, dass bei eindeutig nichtmagischen Bedrohungen möglichst unauffällig vorgegangen werden müsse und die moderne Technik es ermöglichte, dass zwei Leute an entgegengesetzten Enden der Welt miteinander in Verbindung standen und bei jeder Störung sofort den Standort wechseln konnten, bevor herauskam, wo sie waren. Martha Merryweather, die maßgeblich die Abwehrprogramme mitgeschrieben hatte, erwähnte, dass nur dann ein erfolgreicher Zugriff erfolgen könnte, wenn sicher sei, wann die Zielpersonen an welchen Orten zu finden waren. Auch argumentierte sie, dass das LI ja nur auf dem Boden der Föderation eingreifen durfte. Falls die Campoverdes sich außerhalb des Hoheitsgebietes aufhielten dürfte man sie nur behelligen, wenn ein anderes Zaubereiministerium dies ausdrücklich erbitte, und dass die Zaubereiminister Europas im Moment wohl sehr alarmiert seien, weil Unruhen und Aufstände stattfänden. "Es sieht sehr danach aus, dass Ladonna Montefiori die Ministerien in eine Lage treiben will, wo sie die Oberhand bekommt. Deshalb ist es im Moment wohl nicht ratsam, wegen eines unserer Kollegen einen internationalen Zwischenfall zu provozieren." Auch das musste Elysius Davidson einsehen. Damit war das Thema Tinwhistle - man hatte sich weiter auf Nutzung dieses Pseudonyms geeinigt - für die mit moderner Technik vertrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Laveau-Institutes erledigt.

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Auf dem Friedhof St. Louis Nr. 1 von New Orleans, 12.03.2006, 00:20 Uhr Ortszeit

Der Direktor des Marie-Laveau-Institutes, Elysius Davidson, sowie seine Stellvertreterin Sheena O'Hoolihan warteten nun schon eine halbe Stunde vor dem Grabmal der auch bei Nichtmagiern weltberühmten Voodoomeisterin Marie Laveau. Deren Geist hatte sich vor vier Stunden bei ihnen gemeldet und angekündigt, dass er ihnen was wichtiges mitteilen musste, jetzt, wo es nötig sei, darauf zu antworten und Vorkehrungen für die Folgen zu treffen.

Endlich drang die als unbekleidete Frau erscheinende Geistergestalt Marie Laveaus aus einer der Wände des Grabhauses, in dem ihre Gebeine ruhten. Die mächtige Nachtodform der einstigen Voodookönigin schwebte in zehn Zentimetern über dem feuchten Boden des alten Friedhofes auf die wartenden zu. "Es ist gut, dass ihr beiden gekommen seid, Elysius und Sheena. Jetzt erst sind wir wirklich ungestört, und die Umhüllung meiner Ruhestätte hält unerwünschte Fernbeobachter ausgesperrt. Wahrlich sage ich euch, dass die Zeit der Blumengärtnerin erwacht ist, jene, die in nächtiger Kleidung umhergeht und die aus sich selbst geborene Tochter dreier Linien ist. Sie ist unterwegs, um in der ganzen Welt nach ihr Erfolg versprechenden blutgetränkten Blumen für ihren großen Garten zu suchen. Dabei sät sie die Kinder von Schönheit und Unterdrückung, die ihr jene Macht geben, ihren Garten zu bestellen und ihre Wünsche in die Welt zu tragen. Seid darauf gefasst, dass sie auch in eurem Land vorbeikommen wird und wappnet euch gegen die flammenden Blumen, die ihre Saat der Unterwerfung und lebenslangen Knechtschaft verstreuen! Wendet dieses Gezücht des Verderbens so gut ihr könnt ab und haltet jene davon ab, den verderblichen Duft einzuatmen, die meinen, die Gärtnerin aufhalten zu wollen! Seid jedoch gewahr, dass die rastlos gierige Tochter dreier alter Linien, die sich selbst gebar viele helfende Hände besitzt und dass euch niemand glauben mag, wenn ihr ihnen von meiner vorausschau erzählt. So wappnet euch auch dafür, dass auch in unserem Land die Saat der lodernden Blume aufgehen mag! Mehr ist nicht zu sagen."

"Oh, zur Abwechslung mal was eindeutiges", sagte Sheena O'Hoolihan schnippisch und fing sich einen warnenden Blick der Geisterfrau ein. Davidson fragte, wann genau "die Gärtnerin" nach Amerika kommen würde und wer ihre neuen oder alten Helferinnen und Helfer seien. "Den Tag kann ich nicht bestimmen. Ich sehe nur überall sprießende brennende Blumen mit langen Stengeln und wunderschönen Blütenkelchen", erwiderte Marie Laveau.

"Warum erzählst du uns das jetzt erst und nicht früher? Dann hätten wir die dunkle Gärtnerin womöglich ergreifen können", sagte Davidson. Er mochte es nicht, wenn Marie Laveau überlebenswichtige Dinge nicht früh genug verkündete. Da sagte sie auch schon: "Bis zum jetzigen Zeitpunkt bestand Gefahr, dass meine Worte euch ins Verderben treiben würden. Jetzt erkenne ich, dass ihr euch werdet wehren können. Nur dann besteht die Hoffnung, die Blumengärtnerin an ihrem Vorhaben zu hindern. Doch ihr müsst darauf gefasst sein, dass sie an mehreren Stellen zugleich ihre Saat legt. Besinnt euch nicht auf nur ein Ziel! Dies ist meine Botschaft für euch. Die nächste werde ich euch verkünden, wenn ich erkenne, wann sie euch mehr Nutzen als Gefahr bringen wird. Lebt und handelt wohl!" Mit diesen Worten versank Maries Geist einfach im Boden wie darin eingesaugt.

"Wenn sie uns das vor einem Monat erzählt hätte hätten wir länger zur Vorbereitung", grummelte Sheena O'hoolihan.

"Sicher weiß sie von Quinns Fortschritten bei einem Mittel gegen Ladonnas Feuerrosenkerzen. Wenn er vor einem Monat nicht einmal gewusst hätte, wie diese wirken und wie er das blockieren kann hätte es auch nichts genützt, die Prophezeiung zu kennen", verteidigte Davidson die alte Voodookönigin. Sheena war sich da zwar nicht ganz so sicher, konnte aber nichts machen. Wenn Marie es für richtig hielt, eine Prophezeiung bekanntzugeben, dann tat sie es. Wenn nicht, dann nicht. Mit dieser alten und doch immer neuen Erkenntnis kehrten die zwei obersten Mitglieder des Laveau-Institutes in das gut im Sumpfland von Bayoo versteckte Hauptquartier zurück. Es galt, die spärlichen Auskünfte in einen mehrfach abgesicherten Aktionsplan umzusetzen. Bis dieser stand und in Kraft trat sollten alle anderen Mitarbeiter nichts von Maries Prophezeiung wissen. Nur Quinn Hammersmith durfte wissen, dass er wohl nicht mehr viel Zeit hatte, um ein brauchbares Mittel gegen die Feuerrosenkerze zu entwickeln, wie sie von den Europäischen Zaubereiministern vor zwei Jahren beschrieben worden war. Davidson fand es auch seltsam, dass Marie Laveau die anderen dunklen Mächte nicht erwähnt hatte. Womöglich hielt sie es für nicht mehr nötig, auf die Gefahr der Vampire, Werwölfe und Nachtschatten hinzuweisen.

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Büro von Direktor Elysius Davidson, 20.03.2006, 18:30 Uhr Ortszeit

Die schon sichtlich gerundet aussehende Kollegin Merrywweather übergab dem leitenden Direktor des Marie-Laveau-Institutes eine auf hauchdünnem Papier gedruckte Mitteilung aus ihrer Abteilung weit ab aller magischen Strömungen und Kraftquellen. Davidson las die aus Deutschland und Frankreich eingetroffene Mitteilung einschließlich eines Zeugenberichtes der deutschen Ministeriumshexe Bärbel Weizengold. Dann sagte er: "Dieses ganze Theater zwischen Bullhorn und den anderen Ministern hat ihr die Möglichkeit gegeben, sich Deutschland und wen sonst noch zu unterwerfen. Ihnen ist ja sicher bewusst, dass die Nachricht aus Deutschland gerade die Spitze des Eisberges bezeichnet. Oder wie heißt es so schön bei Ratten und Mäusen: "Wo eine zu seh'n sind sicher noch zehn."."

"Das Kind liegt zwar schon im Brunnen. Aber sollten wir nicht von uns aus an die Ministerien herantreten, die möglicherweise bedroht oder bereits unterworfen sind, um Ladonnas Machtzuwachs umzukehren?" wollte Martha Merryweather wissen. "Gut gebrüllt, Löwin! Genau das haben wir ja versucht. Resultat: Unsere Eulen dürfen nicht mehr durch das Flohnetz und würden somit Wochen unterwegs sein. Allerdings könnte die Methode, wie sie in Frankreich die Agentinnen der selbsternannten Hexenkönigin enttarnt und unschädlich gemacht haben auch in anderen Ländern greifen. Aber, und das ist ja leider nichts neues für Sie und mich, in anderen Ländern steht die Zaubereiverwaltung Veelas und deren Nachkommen sehr skeptisch gegenüber, eben weil Ladonna teilweise von dieser Zauberwesenspecies abstammt und / oder uralte Aversionen gegen Veelas bestehen, die ohne Verleugnung des sogenannten Zaubererstolzes nicht überwunden werden können. Ich spreche hier vor allem von den osteuropäischen Stammländern dieser Zauberwesenart." Martha Merryweather nickte beipflichtend. Dann fragte sie, ob sie nicht über die eingerichtete Computerzentrale Verbindung mit anderen Ministerien aufnehmen sollte, um nachzufragen, ob dort in den letzten Wochen etwas beunruhigendes vorgefallen sei. Davidson überlegte, was das bringen sollte. Sicher würden die, die wie die Deutschen unterworfen worden waren, eine solche Anfrage mit "nein" beantworten. Das sagte er auch Martha Merryweather. "Ich meine es so, dass ich fragen könnte, ob es Übergriffe seitens ausländischer Machtgruppen wie den Vampiren oder Werwölfen gegeben habe und ob sich an der Spannung mit Italien etwas geändert habe. Sollte sich das Verhältnis zu Italien entspannen und zeitgleich vermeldet werden, dass es gelungen sei, bessere Abwehrmöglichkeiten gegen die kriminellen Werwölfe und die Anhänger dieser Vampirsekte zu entwickeln dürfen wir davon ausgehen, dass diese Ministerien bereits unterworfen wurden. Dasselbe gilt, wenn weiterhin behauptet werden sollte, dass beispielsweise Frankreichs Zaubereiministerin als Gefahr für den europäischen Zaubererweltfrieden dargestellt wird und wir in den Föderationsstaaten darauf gefasst sein sollten, üble Behauptungen zu erhalten, dass irgendwer die Souveränität der Zaubereiministerien anzweifele. Inverse Logik. Ich frage nicht nach möglichen Angriffen von Ladonna Montefiori, sondern nur danach, ob sie sich von anderen angegriffen fühlen und falls ja, wie sie diesen Angriffen ohne uns begegnen können und inwieweit es mit wem eine Zusammenarbeit gibt oder nicht.", erwiderte Martha Merryweather. Das sah Davidson ein. Dann meinte er: "Eigentlich auch merkwürdig, dass Maries Geist uns nicht früh genug auf eine derartige Gefahr hingewiesen hat."

"So, was hat sie denn in ihrer letzten Vorhersage geäußert?" wollte Martha Merryweather wissen. Davidson erwiderte: "Wenn die großen Stürme von Nacht und Erde vorübersind und neuer Frühling seine Pracht über das Land bringt werden Sonnenlicht und Schatten auf Bergeshöhen und Talesgrund lebhafte Bilder malen." Martha runzelte ihre Stirn. Dann nickte sie. "Und Sie, die Sie diese Orakelsprüche von ihr besser kennen als wir haben uns das nicht mitteilen wollen, Sir. Mit den Stürmen von Nacht und Erde sind die zwei magischen Erschütterungen gemeint, also die Welle dunkler Magie im April 2003 und die Entladungsfront ungerichteter Erdmagie in Folge der Tsunamikatastrophe vom 26. Dezember 2004. Was bringt neuer Frühling denn übers Land? Wärme und Blütenpracht. Ja, und ab da kämpfen dann wohl Sonnenlichtangehörige und Schattenangehörige auf Bergen und in Tälern gegeneinander, also quasi auf allen Ebenen der Welt. Wundere mich, dass Marie diese Botschaft nicht als klare Warnung angekündigt hat."

"Wärme und Blüten", grummelte Davidson. "Feuer und Rosenblüten", schnaubte er dann. Dann stieß er aus: "Sie kennen Marie noch nicht so gut wie ich. Haben Sie ja auch nicht behauptet. Sonst wüssten Sie nämlich, dass sie es uns überlässt, wie wir ihre allvierteljährlichen Orakelsprüche auslegen, allein schon, um uns nicht von ihren Worten alleine abhängig zu machen und vor allem, um keine der Prophezeiung zu voreiligen Gegenaktionen entgegenzustellen, die dann schlimmstenfalls das vorhergesagte erst recht und schlimmstmöglich eintreten lassen, also eine selbsterfüllende Prophezeiung á la "Russland rüstet zum vernichtenden Kriege", und wir fangen mit denen deshalb einen Präventivkrieg an, der genau diese Aufrüstung in Russland rechtfertigt. Außerdem haben wir lernen müssen, dass Marie, wenn sie nicht auf klar benannte Einzelschicksale vorausblicken kann, nur vage Auskünfte über die Zukunft erteilt, die mehr als die eine Möglichkeit enthalten. Das heißt: Je mehr Menschen von unheilvollen Dingen bedroht oder betroffen sind, desto schwerer ist es, genau zu entscheiden, was davon für uns wichtig genug ist, um es zu verhindern oder zu beseitigen. Was Marie damals über Ihren Sohn prophezeit hat ging nur, weil hier starke Magien aus alter Zeit in die unmittelbare Zukunft eines einzelnen hineinwirkten, also eine starke Aufwallung von Raum und Zeit bedingten. Deshalb bestand Marie damals darauf, mit Ihrem Sohn zu sprechen, um ihm seine mögliche Zukunft zu offenbaren, trotzdem sie nicht genau wusste, wie er mit diesem Wissen umgehen sollte. Oder sie wusste es, wollte es ihm aber nicht mitteilen, weil sie gleichfalls voraussah, dass er in den entsprechenden Lagen voreilig oder übermäßig reagiert hätte. Wie erwähnt haben wir so unsere Erfahrungen mit Maries Geist. Sie hilft uns häufig, aber nicht immer. In diesem konkreten Fall wollte sie uns entweder nicht erklären, was ihre Vorhersage bedeutet oder konnte es nicht, weil diese sich auf so viele einzelne Schicksale gleichzeitig auswirkt. Unsere Wahrsagefachleute vergleichen dass mit dem entfernten Raunen von tausend Menschen in einer kilometergroßen Höhle, so dass nicht mehr zu hören ist, woher die ursprünglichen Stimmen klingen und was die Echos sind. Marie hilft uns dann zuverlässig, wenn sie für einzelne Personen ein abzuwendendes Schicksal vorhersagen kann, bietet das aber dann auch nur als Orakel an oder als irgendwann mal eintreffendes Ereignis ohne Zeitangabe und dazu führende Kette von Ereignissen. Aber so wie Sie die letzte allgemeine Vorhersage deuten, Martha, können wir es wirklich interpretieren, dass sie mit dem Frühling die Erstarkung der Feuerrose oder Feuerrosen gemeint haben könnte. Ja, und offenbar stehen weitere Auseinandersetzungen zwischen uns und den dunklen Kräften an, die auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen werden. Gut, das ist wahrlich nichts neues mehr, wovor noch gewarnt werden müsste. Nur dazu, inwieweit Maries Geist uns helfen kann oder will, Martha." Die nur wenige Wochen vor der Geburt ihres fünften Kindes stehende Mitarbeiterin nickte schwerfällig und seufzte: "Soviel zur Wahrsagerei und der hohen Macht uralter magischer Quellen."

"Oha, lassen Sie dies Maries Geist nicht hören, wenn sie Ihnen eine Audienz gewährt oder befindet, Sie selbst aufzusuchen", mahnte Davidson.

"Klar, wo das neue Rechenzentrum in der Mojavewüste steht, wo genug Sonne scheint, um zehn Rechner zeitgleich rund um die Uhr in Betrieb zu halten plus fünf Satellitenroutern. Soweit ich weiß kommt Maries Geist nicht weiter als 50 Meilen über New Orleans hinaus. Und wenn sie gemeint hätte, mir irgendwas mitzuteilen wäre sie längst hier erschienen." Davidson wollte das nicht bejahen oder verneinen. Er konnte nur erwähnen, dass Marie seit ihrer Fürsprache für Martha Merryweather nichts neues über sie verkündet habe. So konnte er ihr nur noch für die Übermittlung der Unheilsnachricht aus Deutschland und den Kommentar aus Frankreich danken. "Ich werde mit dem Kollegen aus Mexiko-Stadt und dem Föderationsrat noch einmal darüber sprechen, inwieweit sich eine Isolationspolitik angesichts einer immer weiter um sich greifenden Machtgier einer Ladonna Montefiori noch vertreten lässt. Wenn sie auch Spanien und Portugal unterworfen hat kann sie auch die achso eigenständigen Staaten Südamerikas bedrohen. Und dann haben wir die Feuerrosenhecke hier vor unserer Haustür."

"Da möchte ich mich nicht zu äußern, da ich ja gerade erst wenige Monate für Ihr Institut tätig bin und demnächst ja für ein Vierteljahr aussetzen muss, bis mein fünftes Kind die ersten Monate auf der Welt überstanden hat", sagte Martha. Davidson fragte sie, ob sie denn schon wisse, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen erwartete. "Mein Mann hat mich gebeten, es vorerst noch für uns zu behalten, auch um unsere Freunde und Bekannten zu überraschen. Heilerin Palmer konnte zwar schon klar erkennen, welches körperliche Geschlecht mein Kind hat, aber erkennt das Informationsrecht der werdenden Eltern und besonders der werdenden Mutter, also mir selbst, an", erwiderte Martha Merryweather. Davidson sah dies ein. So blieb ihm nur noch, die Computersachverständige des Laveau-Institutes zu verabschieden und ihr möglichst beschwerdearme Wochen bis zur Entbindung und alles gute für sie und den neuen Zaubererweltbewohner zu wünschen.

"Ich sollte Marie bitten, ihre Orakelspprüche vor versammelter Mannschaft zu machen", grummelte Davidson und hoffte, dass Marie Laveaus Geist dies nicht mithörte. Denn dass die ihren Tod überdauernde Voodoomeisterin auch sehr ungehalten sein konnte, wenn ihr nicht der nötige Respekt gezollt wurde wusste er auch noch zu gut.

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Auf dem Gelände der heimlichen Mülldeponie WD-209, 20 km westsüdwestlich von New York City, 02.04.2006, 02:30 Uhr Ortszeit

Warum um den Berg eine Mauer gebaut worden war, die nur von zwei Toreinfahrten unterbrochen wurde, verstanden sie nicht. Der Berg, der wie der Rücken eines schlafenden Urweltriesens in den Himmel ragte, war immer noch von weitem zu sehen, abgesehen davon, dass die Anlage mehr als zehn Kilometer von der nächsten Autobahn und 20 Kilometer vom westlichen Rand des Großraums New York entfernt lag. Drei Männer bewachten jede Nacht den voller Unrat und verbotener Abfälle steckenden Berg, den sie hinter vorgehaltener Hand Monte Infernale nannten, den Höllenberg. Sicher, der war nur einer von mehreren, die der Capo über den Großraum New York verteilt hatte. Doch dieser hier war sicher doppelt so hoch und brisant befüllt wie die anderen Berge, dachten die drei Bewacher.

Die drei Brüder Giovanni, Giuseppe und Salvatore Perucci hassten diesen Job. Doch was sollten sie tun, das Leben ihrer Familie hing davon ab, dass alle spurten, die der Capo, den Carlo Santorra auch Mister M nannte, für seine wahrhaftigen Drecksgeschäfte auswählte. Tja, und mit den drei Söhnen von Ernesto Perucci hatte er was er brauchte, billige und gehorsame Leute, die für nichts wirklich wichtiges benötigt wurden und jeder für sich mit fünfzig Dollar pro Nachtarbeit auszukommen hatte. Jedes Straßenmädchen in der Bronx durfte nach Abgabe an ihren Zuhälter mehr im Portemonnaie haben, wussten die drei Brüder. Doch keiner von ihnen würde es wagen, dem Capo zu widersprechen. Sie hatten noch zwei Schwestern und fünf Cousins, von denen der Capo wusste, wo sie wohnten und für wen sie arbeiteten. Also schoben sie am Höllenberg der Bronx der im Geheimkatalog des Capos WD-209 hieß wache, bis sie entweder von den illegal verbuddelten Chemikalien, den im Berg erbrüteten Viren oder Bakterien oder der Langeweile zum Opfer fielen. Tja, manchmal kamen sie sich selbst schon vor wie weggeworfen. Mit einem Liebesleben oder gar eigenen Familien war es bis auf weiteres nichts, und das nur weil ihr Vater versucht hatte, ein paar tausend Dollar aus dem Strom der Millionen herauszufischen, der vom Capo und allen seinen treuen Verwandten und Bekannten in Fluss gehalten wurde.

"Noch 'ne halbe Stunde, dann kommen die drei Wagen von Carlo und bringen neues Futter für Monte Infernale", sagte Giovanni mit einem Blick auf die Uhrzeitanzeige auf seinem Bildschirm. "Giuseppe, ich denke, wir müssen nicht noch mal würfeln, wer die nächste Runde geht."

"Klar, weil du dann selbst raus musst", sagte Giuseppe. Er hatte vor einer Stunde die vorgeschriebenen fünf Runden um den Müllberg gedreht, natürlich mit Gasmaske und säurefester Überbekleidung.

Aus Salvatores Kofferradio klang Madonnas großer Discoerfolg vom Vorjahr über die Frustration des Wartens. "Zeit vergeht so langsam", klang die technisch aufgemotzte Stimme der Popdiva. Wohl wahr, dachte Giovanni. Giuseppe, der eigentlich nur Musik aus dem 18. Jahrhundert mochte, sagte nichts zu Salvatores Musikauswahl. Heute durfte er den Nachtsender bestimmen. Morgen kam Giovanni dran, der für Countrymusik schwärmte. Dann durfte Giuseppe die Nachtmusik auswählen, die sie davor bewahrte, in der Langeweile zu ersaufen.

Das Telefon ging. Diese Nummer hatten nur fünf Personen. Salvatore schaltete das Radio aus, als alle sahen, dass Carlo Santorra anrief. Der mochte Madonna noch weniger als Giuseppe und Giovanni.

"Hi, Johnny und die beiden anderen Jungs. Meine Burschen haben uns allen ein faules Ei gelegt. Der eine von den zwei Feststofflastern hat Probs mit dem Motor. Die müssen jetzt auf den Wagen warten, der Haltestelle sieben anfährt. Der ist erst in einer halben Stunde da. Mit Umladen dauert es dann noch eine Stunde, bis sie hier wegkommen. Also die sind erst gegen vier da", klang Carlos Stimme aus dem Telefonlautsprecher.

"Vier Uhr?! Och nöh!" maulte Salvatore. Carlo hörte das und erwiderte: "Eh kleiner, nich' Meckern. Ich muss auch 'ne Stunde länger schaffen, wenn noch alles verteilt werden soll, bevor die Hähne krähen. Also cool bleiben, Sally."

"Mach nicht auf Yankeeboy, Carlo!" nahm Giovanni seinem Bruder die Antwort ab. "Sieh zu, dass du deine Autos heile kriegst und sowas nur einmal in zehn Jahren passiert, dann kriegen wir das hin."

"Ey Johnny, wie redest du mit mir. Ich bin der zwischen euch und dem Capo."

"Ja und?" fragte Giovanni. "Der wird auch nicht froh sein, wenn seine Wagen nicht rundlaufen. Also was willst du mir jetzt vorknallen?"

"Ihr wisst, dass ich dem Capo jeden Monat berichte, wie zuverlässig wir zusammenarbeiten. Das eben von Salvatore und das von dir könnte ich glatt als Widerworte eintragen. Ihr wisst, dass er ein Punktekonto führt?"

"Hast du uns erzählt, Carlo Santorra. Aber der Capo hat uns nichts davon gesagt", erwiderte Giovanni und erhielt ein zustimmendes Nicken von seinen Brüdern.

"Weil das so ist, Johnny. Glaub mir, ich werde meinen Arsch nicht für euch ins Feuer hängen, wenn der Capo sauer wird. Also spurt mal schön weiter und bedankt euch bei Daddy, weil der seine Grabscher nicht bei sich behalten konnte."

"Tja, und deine Mom von dem Geld was abbekommen hat, um unserem Dad ein paar heiße Stunden zu spendieren", sprach Salvatore. "Am Ende bist du unser Halbbruder."

"Ey, Sally, das nimmst du sofort zurück, oder ich trage dich mit zwanzig Abmahnungspunkten in meinen Monatsbericht ein und ..." erwiderte Carlo. Doch was er noch sagen wollte kam nicht mehr an. Denn im selben Augenblick fiel der Strom aus. Lichter, Telefon, Belüftung, Überwachungsanlage, alles aus. Von weiter unten hörten sie noch den stotternden und dann aussetzenden Dieselgenerator. "Super, der Generator ist abgeschmiert und hat alles an ihm hängende mitgenommen", knurrte Salvatore. Giovanni, der am nächsten an der Schalttafel für alle elektrischen und elektronischen Anlagen saß tastete schon nach dem Schalter für das Akkupaket. Als er ihn fand und umlegte passierte nichts. Dabei war es sowieso vorgesehen, dass die Überwachungsanlage und die der Rechner, sowie das Telefon über eine unterbrechungsfreie Stromversorgung weiterbetrieben wurden, wenn der Hauptgenerator mal muckte oder nicht mehr genug Diesel hatte.

"Häh?! Kein Saft?" fragte Salvatore. Giovanni nickte. Er griff in die Schublade, wo sein Mobiltelefon lag. Er zog es hervor und versuchte es einzuschalten. Doch es gab kein Blinken und kein Piepen von sich. "Mein Mobiltelefon tut's auch nicht. Was ist mit euren?" wollte er wissen. Er griff noch nach einer Taschenlampe und knipste am Schalter. Kein Licht!

"Nix geht mehr. Auch meine Armbanduhr streikt", sagte Salvatore. "Ist über New York 'ne Atombombe explodiert oder was?"

"Dann hätten wir längst den Knall hören müssen", meinte Giuseppe, dem diese Aussicht überhaupt nicht gefiel.

"Die Vorschrift sagt, dass bei Ausfall eines Systems jemand rausgehen und ständig Außenwache schieben soll. Da alle Systeme ausgefallen sind müssten wir alle drei raus. Aber wenn da echt wer einen EMP verzapft hat, ob mit einer Bombe oder ohne, dann sind wir da draußen leichte Beute für wen immer. Abbgesehen davon sagt die Vorschrift, dass bei möglichen Angriffen die Besatzung im sicheren Wachcontainer zu bleiben hat. In den Wänden steckt genug Blei, um den dritten Weltkrieg zu überstehen. Unsere Vorräte ... Mist!"

"Tja, ohne Notstrom und Kühlaggregat haben wir bald keine Vorräte mehr", sagte Giuseppe. Dann lauschte nicht nur er.

Etwas schabte an den Wänden des Containers entlang. Dann polterte etwas gegen die verschlossene Schleusentür. Da draußen war etwas oder jemand. Sie lauschten weiter. Die eigentlich zu erwartende Grabesstille bei Stromausfall wurde von weiteren Klopfgeräuschen unterbrochen. Weil die Wände so dick waren konnten sie nicht hören, von was die Geräusche verursacht wurden. Weil es im Container kein einziges Fenster oder Bullauge gab konnten sie auch nicht raussehen. Die Idee, einen kleinen Bunker für mögliche Chemieexplosionen zu bauen ging gerade mit lautem Getöse nach hinten los. Sicher, sie konnten sich über die Noträder aus der Schleuse hinauskurbeln. Doch wenn da draußen gerade wer fremdes herumstrolchte war das ohne Schusswaffe sehr ungesund.

"Okay, Leute. Irgendwer ist da draußen. Der Stromausfall war dafür, wen immer hier anzulanden", sagte Giovanni.

"Und wir können keinen anrufen", grummelte Giuseppe.

Wieder polterte es an der Tür. Dann war es für einige Sekunden still. Dann erfolgte ein lautes Zischen, gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, der den Container erbeben ließ. Da draußen war gerade etwas mit einer großen Wucht explodiert. Ein lautes Tosen und knistern drang zu den drei Brüdern vor. Sie wussten sofort, was es war: Der Monte Infernale machte nun seinem heimlichen Spitznamen ehre und brannte wie die Hölle selbst. Das würde nicht nur Carlos Leute auf Trab bringen, sondern alles, was im Umland von New York Feuerwehr und Polizei hieß. Am Ende breitete sich noch eine Giftwolke aus, die ... Wieder erschütterte eine mächtige Explosion den Wachcontainer und die Trommelfelle der drei Brüder. Das Tosen wurde noch eine Spur lauter.

"Wie lange können wir ohne Belüftung durchhalten?" fragte Giuseppe. Giovanni öffnete statt einer Antwort einen Schrank, zu dem nur er die Schlüssel hatte. "Hier sind volle Sauerstoffflaschen mit Atemmasken und die Reserveschutzanzüge. Wir legen das alles an. Der Sauerstoff wird über rein mechanische Ventile gesteuert und hält bei Normalluftdruck zwei Stunden vor. Spätestens dann sind Carlos Leute hier und wissen, was passiert ist."

"Wollen wir hoffen, dass ..." setzte Salvatore an und erschrak wie seine Brüder, als ein lauter Schlag unmittelbar gegen die Tür erklang. Sie spürten alle einen kurzen Hitzestoß in ihrem Körper. Dann war es erst einmal vorbei. Nur das laute tosen und Knistern und kleinere Verpuffungen waren zu hören.

eine Minute später meinte Salvatore: "Wieso wird mir jetzt heißer. Ich dachte, die Wände halten Temperaturen bis 5000 Grad aus und sind wie Thermoskannen gemacht."

"Stimmt, mir wird auch immer heißer", bekundete Giovanni. Auch Giuseppe bemerkte, dass ihm heißer wurde. Ja, und die Hitze kam eben nicht von außen, wie sie nach einer weiteren halben Minute feststellten. Es war so, als heize etwas sie drei von innen her auf, als sei in ihren Körpern ein kleines Feuer entbrannt, das immer größer und heißer wurde. Der erste Schweiß perlte von Giovannis Stirn und sammelte sich unter seinem Hemd. Als er sich bewegte meinte er, einen Hitzeschauer durch die Beine in den Körper hinauf zu spüren. Sein Kopf begann zu schmerzen. Sein Herz pochte schneller und kräftiger, wohl um überhitztes Blut aus dem Brustkorb wegzupumpen.

"Was zum Teufel ist mit mir los?" fragte Salvatore. "Ich fürchte, in deiner Frage steckt schon die Antwort", unkte Giuseppe. Er war von den dreien der einzige, der noch nicht den katholischen Lehren abgeschworen hatte. "Nöh, du willst nicht behaupten, dass uns gerade die echte Hölle um die Ohren fliegt und wir trotz dicker Schutzwände wegen unserer Sünden verbrennen sollen, Gigi", erwiderte Giovanni keuchend. "Was immer das ist hat in dem Moment angefangen, als dieser letzte laute Knall gegen unsere Tür passiert ist."

"Ja, irgendwer oder irgendwas hat uns mit einem Energiestoß getroffen, der jetzt unser Blut aufheizt", sagte Salvatore. "Und wenn es doch schwarze Magie ist?" fragte Giuseppe. "Du hast doch Nonna Annas Silberkreuz um. Falls das echt was dämonisches ist müsstest du doch geschützt sein. Dann such dir aus, ob es stärker als dein Kreuz ist oder doch was anderes."

"Wahrscheinlich hilft das Kreuz nur bei Dämonen aus dem abrahamitischen Glaubenskreis", vermutete Giovanni mit bereits stark angestrengter Stimme. Was Giuseppe auch immer darauf sagen wollte blieb für immer ungesagt. Denn in dem Moment überstieg die Hitze einen kritischen Wert. Alle drei fassten sich an ihre Köpfe, stöhnten einmal auf und fielen um. Sie spürten nicht mehr, wie die in ihnen wirkende Hitze schneller und schneller stieg, bis die äußeren Adern platzten. Sobald das dampfende Blut an die Luft geriet züngelten blutrote Flammen daraus hervor. Ab da ging alles wortwörtlich blitzschnell. In nicht einmal einer Sekunde brannten die drei Brüder wie Fackeln. Sie spürten davon nichts mehr. Die roten Flammen aus ihren Körpern vereinten sich und wurden in der folgenden Sekunde zu einem den ganzen Raum ausfüllenden und gegen die feuerfesten Wände drängenden Glutball, der heißer als die Sonnenoberfläche war. Die aus dem Blut entstandene Kraft des Vernichtungsfeuers wollte ins Freie, zu seinem bereits tobenden Geschwister im Müllberg, wo es unzählige Krabbeltiere, Ratten und verrottende Lebensmittel zur Nahrung hatte. Das blutrote Feuer stemmte sich gegen die Wände. Alles brennbare verschlang es mit lautem Getöse. Dann hatte seine Hitze die Belüftung zerschmolzen und schlug durch die glühenden Leitungen hindurch, brannte die Filter weg, die als Aschewolken mit den Flammenarmen ins freie geschlagen wurden. Jetzt begannen auch die Keramikplatten in den Wänden, deren Geschwister als Hitzeschild des Space-Shuttles dienten, der Überhitze zu erliegen. Sie glühten auf und zerbröselten. Die unbändige Glut zerschmolz alles Metall und sprengte am Ende den ganzen Container auseinander. Der blutrote Feuerball blähte sich blitzartig auf mehr als die zehnfache Größe des Containers auf, verschmolz mit dem anderen, größeren Feuer zu einer einzigen blutrot leuchtenden Lohe, die am Ende auch die Mauern zerstörte. Erst als nichts aus ursprünglich organischem Grundstoff mehr da war erlosch das blutrote Feuer. Doch seine vielen Abkömmlinge brannten weiter. Der Monte Infernale erwies sich seines Schimpfnamens mehr als würdig.

Zehn Minuten später flog ein kleiner Hubschrauber in mehr als tausend Metern über Grund dahin. Darin saßen Carlo Santorra und sein Leibwächter Bonzo. Sie wollten eigentlich auf dem Gelände landen, um die drei Peruccis zur Rede zu stellen, was denen eingefallen war, das Telefongespräch wegzudrücken. Doch dann sahen sie den in vielen Rottönen und einzelnen blauen Flammen brennenden Berg. Gerade verpuffte eine Menge unter ihm angestautes Gas und sprengte einen weiteren Teil von ihm in alle Richtungen davon. "Ui, so muss der Vesuv ausgesehen haben, als er ausbrach", sagte Bonzo.

"Ja, und genau deshalb sollten wir uns auch schnell wieder absetzen", sagte Carlo. Dann sah er den glühenden Fleck, wo früher der Wach- und Wohncontainer der Peruccis und ihrer Tagschichtkollegen gestanden hatte. Wie ging das an, dass der eigentlich feuerfeste Container völlig verglüht war?

"Glauben Sie, dass hier noch wer lebend weggekommen ist, Mr. Santorra?" fragte Bonzo.

"Höchstens, wenn die drei das Feuer gelegt haben und sich noch genug Zeit gaben, wegzufahren. Aber da drüben liegt noch ein Gluthaufen, der fast wie ein von Flammen überroltes Auto aussieht", sagte Santorra. Bonzo nickte. Da detonierte weit unter ihnen wieder was vom Berg und flog eine rote Leuchtspur hinter sich herziehend auf sie zu. Santorra riss den Steuerhebel für die Rotorstellung nach hinten und ließ den kleinen Heli nach oben hüpfen. Die brennenden Brocken zischten knapp unter der Maschine durch und trudelten Funken sprühend wieder nach unten. "Warnung verstanden", knurrte Santorra. Er wendete den Hubschrauber und trieb ihn auf Gegenkurs. Dabei achtete er darauf, nicht zu nahe an eine der westwärts führenden Schnellstraßen heranzusteuern. Er hatte den Flug nicht angemeldet. Das Funkgerät hatte er ausgeschaltet gelassen, sowie auch den Identitätstransponder. So würde ihn keiner identifizieren, wenn er zwischen den Hochhäusern Manhattans hindurchflog. Aber wenn ihn ein Autofahrer auf der Straße sah und die Polizei anrief nutzten diese Tricks nichts.

"Er wird nicht gerade erfreut sein", sagte Bonzo. "sicher wird er das nicht. Er wird wissen wollen, wer das gemacht hat", erwiderte Carlo. "Und, wissen wir das?" fragte Bonzo. "Nein, wissen wir nicht", knurrte Carlo. "Und genau das wird ihn noch wütender machen.

Als der Hubschrauber im Flüstermodus zwischen den turmhohen Bauten von Manhattan hindurchflog wie ein Slalom-Skifahrer hatte Carlo seine Geschichte parat. "Wir sind da nicht hingeflogen. Ich gebe ihm die Aufzeichnung des Telefongespräches und tu so, als sei der Heli gerade fluguntüchtig gewesen. Er muss nichts davon wissen, dass wir dieses Inferno gesehen haben, Bonzo. Hörst du?" Der Leibwächter bestätigte das. Er wäre auch froh, wenn er das nicht gesehen hätte. Denn er fragte sich, wer solch ein heftiges Feuer legen konnte, ohne dabei ertappt zu werden. Falls die drei Brüder diesen Höllenbrand überlebt hatten sollten die ganz schnell ganz tief untertauchen und vor 2050 nicht wieder auftauchen.

Im Schutze der hohen Häuser konnte Carlo Santorra auf dem Flachdach der nach außen hin als sauberes Logistikunternehmen auftretenen Firma landen. Sofort wurde der Helikopter auf seiner Landeplattform nach unten gefahren. Über ihm schloss sich das Dach wieder. Nur ganz wenige wussten, dass Carlo Santorra einen Hubschrauber hatte.

Die Nachtbelegschaft wurde instruiert, dass Carlo nur zu seinem Stadthaus in Uptown Manhattan hingeflogen war, um dort was abzuholen, was er in der Nacht noch brauchte. Mit gespieltem Entsetzen nahm er dann den über Zerhackerfunk eingehenden Bericht zur Kenntnis, dass die Müllanlage WD-209 gerade in hellen Flammen stand. Er beorderte die Fuhre zurück. Sicher würde der Capo wütend sein. Doch der sollte sich wen anderen suchen, auf den er wütend wurde.

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Zur selben Zeit in der Villa Chantico bei Merida, Mexiko

Er genoss seine Macht. Er hatte nur fünf seiner Diener gebraucht, um ein überdeutliches Zeichen zu setzen, wie mächtig er war. Sicher, die fünf Diener waren in Erfüllung ihres Auftrages vernichtet worden und er hatte aufpassen müssen, dass die dabei freiwerdende Kraft nicht zu ihm zurückschlug, sondern nur dort wirkte, wo er es haben wollte. Doch jetzt war er zufrieden. Sein neuer Gehilfe würde jetzt alle und jeden beschuldigen, der mit ihm stritt. Teile und herrsche, das altbewährte Rezept der Machtgewinnung und Machtvermehrung, und ein Garant für den Machterhalt, half ihm auch in seinem eigenen Land, stark und mächtig zu bleiben. Doch mit dem Müllkönig von New York hatte er auch einen Fuß in der Tür zu den Organisationen in den USA. Bald würde er seine "Naturprodukte" ohne Transportpauschalen weiterliefern können und bei der Gelegenheit auch ganz behutsam in diese neue Föderation hineinwirken, die meinte, sich gegen jemanden wie ihn zusammenschließen zu müssen. Bald würde er neue Diener erschaffen, die denen, die er noch hatte ebenbürtig waren. "Ich bin gespannt, wann du mich anrufst, um mir zu erzählen, dass dir jemand einen donnervogelgroßen roten Hahn auf einen deiner stinkenden Abfallhaufen gesetzt hat. Kikeriki!"

Er brauchte nur drei Stunden zu warten. "Entweder hat Angelo mir die Deponie abgefackelt oder diese Mistkröte Cardigan war das. Einer von denen hat die drei Wachposten geschmiert, dass sie wen reinlassen, um die Deponie anzuzünden. Aber mit was die gearbeitet haben will ich wissen. Kennst du was, das so heftig brennt, dass selbst chlorhaltige Kohlenwasserstoffe in ihre Ausgangsstoffe zerlegt werden?"

"Ja, Höllenfeuer, Fusionsexplosionen oder vielleicht das Feuer von schwedischen Kurzschnauzendrachen", erwiderte der neue Lenker des Müllkönigs. "Krieg raus, wer das war, am besten rufst du sie alle zusammen um das zu bereden. Guckt einer komisch war er das wohl. Zumindest kriege ich bei solchen Treffen immer ganz schnell raus, wer mir dumm kommen will."

"Hast recht. Doch ich bitte dich, dass du meine anderen Liegenschaften beschützt. Du kannst das doch sicher."

"Ja, ist so. Aber dafür will ich deine Garantie, dass du nach dieser sehr bedauerlichen Geschichte mit der Deponie dafür sorgst, dass ich mehr Absatzmärkte bei euch erschließen kann. Ich mache demnächst ein neues Handelskontor in der Nähe eurer Grenze auf. Wenn ihr wisst, was ich euch bieten darf kannst du mich da gerne besuchen."

"Natürlich, Herr", sagte der Ex-Besitzer von Müllhalde WD-209, der jetzt zusehen musste, dass er möglichst unbehelligt aus der Sache herauskam, nun wo sich das FBI noch mehr für seine Schattengeschäfte interessierte als sowieso schon.

Nach seinem neuen Getreuen rief er einen weiteren Mann an, der eine alte Hacienda in der Nähe des Rio Bravo angeboten hatte. Von dem erfuhr er, dass er ohne ihn zu fragen mit einer anderen Interessentin schon so gut wie handelseinig geworden war. "Don Marco, was immer dieses Weib dir anbietet, geh nicht drauf ein. Wenn die sich bei uns breitmacht garantiere ich dir, dass die und ich schon bald Krach bekommen. Dabei wird es sehr viel Kollateralschaden geben, wenn du verstehst was ich meine. Sag deinem Makler, er soll ihr sagen, dass es einen weiteren Interessenten gibt, der mehr bietet, aber nicht, wer es ist. Es reicht mir schon, dass dieses Weib ihr eigenes Land so im Zug hat, ohne dass ich genau weiß, wie sie das macht. Wenn sie mir zu nahe kommt gibt es Krieg. Also machst du nur mit mir den Vertrag. Die soll kucken, dass sie in ihrem Land bleibt. Mexiko gehört den Azteken, nicht den angeblichen Abkömmlingen eines falschen Sonnengottes."

"Sie ist wohl sehr mächtig, oder?" fragte Don Marco. "Ja, in ihrem Heimatland. Aber wenn ich dich beschütze und deine Familie und deinen Kindern eine gute Schulbildung bezahle und sie vor irgendwelchen bedauerlichen Unfällen beschütze, Don Marco, dann passiert euch von ihr nichts."

Einerseits bangte er ein wenig vor der Möglichkeit, sich mit einer mächtigen Gegnerin anzulegen. Andererseits liebte er es auch, ihn bedrängende Feinde in den Staub zu treten und zu ebensolchem zu zerreiben. So würde er auch wissen, ob die Gerüchte stimmten oder eben nur Gerüchte waren.

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Büro von Jeff Bristol bei der New York Times, 02.04.2006, 08:20 Uhr Ortszeit

"Das Mäuschen" hatte die ganze Nacht gepiept und gequiekt. Doch niemand hatte ihm zugehört. Denn Jeff hatte nach Ralfs Tod und der unglaublichen Enthüllung seiner obskuren Taten und Beziehungen den Empfänger für den Mäuschen-Computer im Büro gelassen. Doch jetzt konnte er die Meldungen von Feuerwehr- und Polizeieinheiten nachhören. Es hatte einen Großbrand auf einer unangemeldeten Mülldeponie gegeben. Sicher war das eine von Michele Milelli gewesen. Wollte ihm da jemand den Krieg erklären? Al Cardigan kam dafür gerade nicht in Frage. Denn der Chef einer irischen Gangsterbande weilte zur Zeit bei seinen Verwandten auf der schönen grünen Insel Irland, wohl auch auf Anraten seines "Geschäftsanwaltes" Lionel Branigan, der sich den Rücken für den Huggins-Prozess freihalten musste. Doch was galten Entfernungen, wo alle Orte der Welt nur noch einen Mausklick entfernt waren? War schon wie bei Portschlüsseln oder Flohpulver, dachte Jeff Bristol.

Jeff prüfte seinen Anrufbeantworter. Sergeant Friley hatte sich gemeldet. "Mr. Bristol, falls es Ihnen bereits zugetragen wurde was heute nacht westlich von New York geschehen ist nur so viel von mir für Sie und Ihre Zeitung: Die Ursache war eine Selbstentzündung unsachgemäß beieinander gelagerter Chemikalien und eine folgende Kettenreaktion. Näheres bei einer PK um elf Uhr im NYPD-Gebäude. Wiederhören!"

"Oh, sie wollte keinen Rückruf", dachte Jeff und grinste. Tja, damit stand fest, dass der Brand auf der Mülldeponie kein reines Feuerwerk von Nichtmagiern war. Sicher hatte die Verbindungsfrau zwischen Föderationsrat und magieloser Welt mit einem Retrocular nachgesehen, was da so höllischheiß gebrannt hatte und tatsächlich ein dem feurigen Reich des biblischen Satans verwandtes Inferno zu sehen bekommen. Das Grinsen gefror ihm sofort, wenn er daran dachte, dass die in Italien an die Macht gekommene und laut Martha Merryweather nun über halb Europa hereinbrechende Dunkelhexe Ladonna Montefiori solche Höllenbrände entfesseln konnte. Wollte Friley ihn deshalb auf falsch gelagerte Chemikalien festklopfen wie damals bei der Sache mit der Fabrik, wo sich kleinere Familienoberhäupter mit Zagallo getroffen hatten und das auch in einem gewaltigen Knall geendet hatte? Falls es stimmte konnten sich alle in den Staaten warm anziehen, auch wenn es höllisch heiß wurde. Denn eines war klar: Wenn Ladonna Montefiori wirklich mehr Macht errungen hatte und noch immer nicht genug hatte würde sie über Südamerika und Mexiko auch nach den Staaten greifen. Aber Atalanta Bullhorn wollte davon nichts hören. Sie tat so, als wenn eine möglichst gute Abschirmung der Föderation nach außen auch diese dunkle Dame aussperren oder ihren Handlangern die Tour vermasseln würde.

Jeff rief seinen Redakteur an und spielte ihm Frileys Nachricht vor. "Offenbar haben die was gefunden und wollen nicht, dass wir und die anderen Kollegen das in die Welt posaunen, Mr. Dunston. Was soll ich Ihrer Meinung nach schreiben?"

"Das Mäuschen ist und bleibt unser Geheimnis. Zwar gehen die Damen und Herren Staatsdiener davon aus, dass wir ihren Funk mithören. Doch wir müssen es denen ja nicht auf die Nase binden. Da diese Deponie nicht im Stadtgebiet lag und das Amt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz keine Warnung wegen giftiger Wolken rausgegeben hat haben Sie erst von Friley was erfahren. Die kann uns dann nichts ans Bein hängen, woher wir das haben. Die hat doch bei Ihnen angerufen, oder?" Jeff bejahte es. "Dann haben Sie das auch nur von ihr", stellte Dunston klar. Jeff nickte und bejahte es laut, weil sie ja nur über Telefon verbunden waren. Jeff musste nur daran denken, dass zwei bestimmte Zwillingsgeschwister dieses Gespräch und den Anruf Frileys mitgehört oder zumindest aufgezeichnet haben mochten. Es war irgendwie widersinnig. Sie wussten, dass sie abgehört wurden und konnten es keinem erzählen oder was dagegen machen, ohne womöglich in der Stunde danach geliebte Freunde oder Anverwandte betrauern zu müssen. Doch dieser Zustand würde nicht ewig halten, hatten Justine und er beschlossen. Dann dachte er, ob sich "Tinwhistle" bei ihm melden würde, um mehr über die Deponie zu verraten. Denn jene, die sich jahrelang unter diesem Decknamen betätigt hatten, konnten auch "das Mäuschen" abhören. Dafür hatte Ralf schon bei Einrichtung dieser heimlichen Mithörvorrichtung gesorgt.

Tinwhistle meldete sich nicht. So blieb es an Jeff, die Pressekonferenz um elf Uhr zu besuchen. Dort erstattete die Pressesprecherin einen Bericht über die bisher erlangten Erkenntnisse. Dann ließ sie einen Brandsachverständigen sprechen. Der schilderte nun im besten Wissenschaftlersprech, was genau zu dem Brand geführt hatte und dass es keine beabsichtigte, sondern fahrlässige Brandstiftung gewesen sei. Allerdings sei dabei ein so heißes Feuer entstanden, dass es alle durch übliche Redoxreaktion entstandenen Stoffe wieder in ihre Ausgangsstoffe zerlegt habe, von denen die meisten sich verflüchtigt hätten. Das freigewordene Chlor habe sofort wegen der Lichteinwirkung mit dem umgebenden Wasserdampf reagiert, sich dann wegen der Hohen Temperaturen wieder in Wasserstoff und Chlor aufgelöst und wieder reagiert, bis das Temperaturniveau so niedrig war, dass kein freier Wasserstoff mehr verfügbar gewesen sei. Die Reporterin Jessica Cramer vom New Yorker Herold fragte den Wissenschaftler Dr. Petersen, wie heiß seiner Ansicht nach das Feuer maximal gewesen sein musste. Petersen, der auch gut in eine der vielen Universitäten New Yorks gepasst hätte erwiderte darauf, dass die höchste Temperatur im Kern des Müllberges kurzzeitig bei ungefähr 6000 Grad gelegen haben musste. "Und sowas kommt von den Chemikalien, die Sie uns aufgezählt haben?" fragte die Reporterin. "Offenbar, sonst hätten wir das ja nicht so feststellen können", sagte Petersen.

"die haben den als Strohmann vorgeschickt", dachte Jeff. "Der weiß im Grunde überhaupt nicht, was so heiß gebrannt hat und wurde nur zum Stillschweigen verdonnert. Aber da wir von der Presse ja so unsagbar neugierig und findig sind mussten sie uns was vorsetzen, was mächtig genug ist, um satt zu machen."

"Haben Sie erhöhte Radioaktivität auf der Mülldeponie gemessen, Dr. Petersen?" fragte Jeff. Der Gefragte wiegte den Kopf und schüttelte ihn dann. "Meine Kollegen haben natürlich auf strahlende Rückstände geprüft, weil es sich um eine illegale Deponie handelte. Aber es gab keine Strahlung über dem natürlichen Hintergrundwert. Somit können wir dann auch utopische Quellen wie Fusionsbomben oder gar Antimateriesprengladungen ausschließen, Ladies and Gentlemen", sagte er.

"Natürlich mussten Sie das jetzt so sagen, Doktor Petersen, weil die Regierung nicht zugeben möchte, dass jemand Antimaterie in entsprechender Menge herstellen und lagern kann", erwiderte Jessica Cramer. Jeff musste sich arg beherrschen, nicht zu grinsen. "Ach, auch den Roman von Dan Brown gelesen, wie?" fragte Petersen die Reporterin. Diese lächelte und erwiderte: "Sie haben damit angefangen, dass es keine Antimaterie sein kkönnte. Aber keine Sorge, falls sowas echt verwendet worden wäre dann gäbe es wohl keine Spuren mehr von der Deponie." Alle lachten. Jeff dachte an das frühere Zaubereiministeriumsgebäude, dass durch einen instabilen Zaubertrank in Schutt und Asche gelegt worden war.

"Noch irgendwer fragen, die nicht mit Science-Fiction-Elementen zu tun haben?" fragte die Pressesprecherin. Jeff stand noch einmal auf. Jetzt wollte er es in jeder Hinsicht wissen.

"Haben Sie oder das FBI sich schon bei den italienischen Kollegen in Catania erkundigt, ob das Feuer der Deponie mit jenem heftigen Vernichtungsschlag zusammenhängen könnte, der vor drei Jahren das Landhaus einer wohlhabenden Bürgerin zerstört hat?"

"Öhm, gab es da einen ähnlichen Vorfall?" fragte Petersen. "Öhm, woher haben Sie das bitte?" Jeff nannte als Quelle einen italienischen Kollegen, der ihm diese Geschichte als möglichen Rachefeldzug einer mit der Bewohnerin verfeindeten Familie verkaufen wollte und dass an der Stelle nur ein großer Krater zurückgeblieben sei. "Oh, das ist sicher interessant, die Spuren zu vergleichen. Aber das kann ich natürlich nicht allein bestimmen", sagte Petersen. Jeff wollte es gerade andeuten, dass Petersen eben nur die Vorführpuppe sei, natürlich diplomatischer ausgedrückt, als seine Kollegin vom Herold fragte: "Ach, dann durften Sie auch nur deshalb zu uns sprechen, weil Sie der einzige sind, der das Wirrwarr der miteinander reagierenden Chemikalien darlegen konnte, und nicht, weil sie selbst vor Ort ermittelt haben."

"Öhm, Miss ... öhm ... Cramer ... ich wurde als Laborsachverständiger hinzugezogen, die gesammelten Spuren auszuwerten, da ich als Brandermittler sehr viel Erfahrung habe. Mehr darf ich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht verraten."

Jeff hätte sich fast vor den Kopf geschlagen. Der Name Cramer hätte es ihm schon verraten können. Das war die Schwester von Lydia Cramer, einer Hexe im Dienst des Marine-Kriminalermittlungsdienstes NCIS. War die also vielleicht auch eine Hexe? Dann war klar, warum sie solche Fragen stellte, um den Drachen zu pieksen, bis er losbrüllt. Aber meistens spuckte ein gepiekster Drache all zu gerne Feuer. Na gut, das würde ja in diesem Fall passen.

"Ich hoffe dann, dass zumindest die wichtigsten Fragen beantwortet werden konnten. Da die Zeit des Kollegen Petersen ebenso wertvoll ist wie Ihre Zeit, Ladies and Gentlemen, möchte ich die Konferenz an dieser Stelle beenden. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag", griff die Pressereferentin des NYPD ein.

Als Jeff wieder in sein Büro zurückkehrte wunderte er sich nicht, dass eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter war. Die künstliche Stimme von Tinwhistle bedankte sich für die Fragen an Petersen und die damit einhergehende Aufdeckung, dass dieser nur als Alibi-Experte hatte auftreten dürfen und die Polizei nichts über ihre wahren Erkenntnisse verraten durfte. "Bleiben Sie weiterhin an diesem Fall dran, da er der Auftakt zu weiteren Ereignissen sein könnte, Mr. Bristol. Ich werde es auch tun", waren die letzten Worte der künstlichen Stimme. Jeff unterdrückte ein verärgertes Knurren. Hatte dieses Geschwisterpärchen mehr erfahren als er? Unmöglich war das nicht. Doch falls hier wirklich Magie im Spiel war und Friley in doppelter Hinsicht Feuerwehr spielte, um den Deckel draufzuschlagen, dann konnte Tinwhistle über kurz oder lang auch erfahren, was es mit jener unbekannten Macht auf sich hatte, über die sich das Pärchen Campoverde sorgte und die den Möchtegernkatastrophenmessias Superior vom Markt genommen hatte. Die zwei waren hyperintelligent und ehrgeizig. Besser war es, ihnen irgendwie beizukommen, bevor die ihre kruden Weltherrschaftsträume noch mit übernatürlichen Mitteln verwirklichen wollten. Es gab schon genug dunkle Hexen und Zauberer, die das vorhatten.

"Jeff, bist du allein?" gedankenfragte seine Frau ihn gerade, als er Tinwhistles Botschaft zu Dunston bringen wollte. Er bestätigte es. "Wenn du was über eine verbotene Müllabladestelle gehört hast sei drauf gefasst, dass Bullhorns Feuermelder da den Deckel draufmachen wollen!" Jeff nickte, weil er ja alleine war und schickte zurück: "Friley hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und Lydia Cramers Schwester, von der ich jetzt erst weiß, dass sie beim New Yorker Herold arbeitet, hat den wissenschaftlichen Sachverständigen als reinen Laborassistenten enthüllt."

"Kann ich mir denken", erwiderte Justine. "Zwei von uns sind mit einem Harvey-Besen über die Deponie geflogen und haben eine Rückschau gemacht. Näheres bei einer Dringlichkeitssitzung heute nach deinem Dienstschluss." Jeff bestätigte es.

Er schrieb einen kurzen Artikel, in dem er den Brand der Müllhalde als größtenteils fahrlässig verschuldeten Brand ohne erkennbares Motiv darstellte. Wenn Milelli das las würde er wohl über seine Einfalt lachen oder sich fragen, ob es nicht doch sowas wie eine Selbstentzündung gegeben haben könnte. Vielleicht ließ er dann die Finger vom illegalen Müllsammeln. Aber das mochte auch nur Jeffs Wunschdenken sein.

Nach Feierabend fuhr Jeff zunächst zu seiner Frau. Dabei achtete er darauf, dass ihm nichts und niemand länger als einige Minuten folgte. Von Brewster aus apparierten sie im Besenhangar des Marie-Laveau-Institutes. Mit einem der dort bereitgehaltenen Besen flogen sie bis zum getarnten Hauptgebäude des Institutes in den Sümpfen um New Orleans.

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes waren dem Aufruf gefolgt. So konnte Elysius Davidson gleich zur Sache kommen. Er erwähnte den nächtlichen Brand auf einer Mülldeponie außerhalb von New York und dass die Sicherheitsüberwachung der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer sehr schnell und sehr eifrig auf dieses Ereignis reagiert hatte. Es sei nämlich viel dunkle Feuermagie freigesetzt worden, aber nicht zu bestimmen, wie genau sie gewirkt worden war. Als das Laveau-Institut nachfragte, was die Untersuchung ergeben habe wollte man es doch glatt außen vor lassen. Deshalb hätten die Mitarbeiter Dovers und Lawngreen eine von ihm selbst abgesegnete Untersuchung mit der Rückschaubrille vorgenommen. Shana Dovers durfte berichten.

"Werte Kolleginnen und Kollegen, jemand aus der magischen Welt, der über hohe Kenntnisse mächtiger Hybridzauber von Feuer und Erde verfügt, hat unsichtbare Boten zu dieser Mülldeponie hingeschickt und diese dort Träger eines dunklen Feuerzaubers ausbringen lassen, der selbst durch Metallwände hindurch wirksam wurde. Für uns sah es erst so aus, dass auf einmal ein blutroter Lichtring um den zentralen Müllberg entstanden war und sich so schnell zusammenzog, dass er den Berg im blutroten Feuer auflodern ließ. Anschließend flammte ein blutroter Feuerball vor der Tür des als Wachhauses genutzten Metallbehälters auf und wurde vom Gebäude verschluckt wie Wasser von einem Schwamm. Eine Minute später explodierte das Metallgebäude dann in einer blutroten Feuerwolke, die sich wiederum mit dem Feuer des Müllberges vereinte und dadurch schlagartig das gesamte ummauerte Gelände überdeckte. Es sah also erst nach einem zielgerichteten Fernfluch aus. Ich erwähnte jedoch unsichtbare Angreifer und dass jene Person, die diese Müllhalde vernichten wollte, über hohe Kenntnisse von hybriden Feuer- und Erdzaubern verfügen muss", sprach Dovers und fuhr fort: "Bei näherer Untersuchung konnten der Kollege Lawngreen und ich durch den Restlichtaufhellungseffekt bei der neuen Generation des Retroculars erkennen, wie sich außerhalb der Umfriedung erst Mulden im Boden bildeten und dann Fußabdrücke, die aus den Haupthimmelsrichtungen auf die Mauer zu und weniger als dreißig Sekunden später innerhalb der Umfriedung auf den Müllberg zubewegten. Darüber hinaus konnten wir ein paar Fußabdrücke sehen, die um den als Wohnhaus genutzten Metallbehälter herumführten. Dann entstand der erst flammenlose Glutring, der dann den Müllberg entzündete. Wir konnten bei wiederholter Betrachtung sehen, wie die vier von Norden, Süden, Westen und Osten anrückenden Eindringlinge auf den Müllberg zugingen und ihn in immer engeren Bahnen umkreisten, als umtanzten sie ihn. Bei der Verlangsamung konnten wir dann sehen, wie sich für einen Zeitraum von nur einer hundertstelsekunde vier brennende, vollvermummte Wesen von menschlicher Gestalt enthüllten, die dann mit dem auflodernden Feuer verschmolzen und es dadurch erst richtig verstärkten. Als wir dann den Wohn- oder Arbeitscontainer genauer untersuchten konnten wir sehen, wie sich der fünfte Eindringling im Augenblick des entstehenden Feuerballs für ebenfalls eine Hundertstelsekunde als humanoides Geschöpf in vollkommen lichtschluckender Bekleidung mit Kapuze und Gesichtsmaske offenbarte, bevor der gezündete Feuerball es auflöste. Daraus müssen wir leider schließen, dass wer immer diese Wesen geschickt hat, keine weitere Verwendung für sie hatte und sie somit auf ein Selbstmordkommando schicken konnte. Wie diese Wesen dort eingetroffen sind konnten wir trotz weiterführender Rückschau nicht erkennen. Der Kollege Lawngreen vermutete, sie könnten aus großer Höhe von einem Fluggerät abgesprungen und mit Fallbremshilfen wie dem entsprechenden Zauber oder einem nichtmagischen Fallschirm nach Leonardo da Vinci sicher gelandet sein. Doch wir konnten kein entsprechendes Fluggerät ausmachen, auch wenn wir bis zur maximalen Flughöhe unseres Besens aufstiegen. Das kann heißen, dass der Absprung aus noch größerer Höhe erfolgte oder das Fluggerät selbst unsichtbar oder unortbar war. Letzteres würde auch mehr Sinn ergeben, weil je höher wer abspringt je größer die Abweichung beim Zielanflug ist und dass das Fluggerät nicht von magieloser Fernortungstechnik erfasst werden durfte. Somit wissen wir nicht, wer die Unsichtbaren waren und auch nicht, in wessen Auftrag sie die unerlaubte Müllhalde zerstörten und sich selbst gleich mitvernichteten. Wie genau es zu der Explosion des Metallhauses kam darf der Kollege Lawngreen berichten, weil er sich an der Stelle, wo das Haus stand genauer umgesehen hat."

"Danke Shana", übernahm Silvanus Lawngreen die weitere Berichterstattung. Er schilderte nun, was die drei Wächter, die er den Gesichtern nach als Brüder einschätzte, vor dem Ausfall ihrer elektrischen Geräte getan hatten und wie sie den Ausfall der elektrischen Geräte zu überwinden versucht hatten. Dann sei ihnen wohl sichtbaren Schweißausbrüchen nach immer heißer geworden, bis sie von der Überhitzung betroffen niederfielen und dann in jenem blutroten Feuer verbrannten, dass zur gleichen Zeit den Müllberg vernichtete. Die Flammenwolke habe sich dann durch alle Wandverkleidungen hindurchgefressen und die äußere Metallhülle auf einen Schlag verflüssigt und verdrängt. Den Rest hatte die Kollegin Dovers ja bereits geschildert.

"Unsichtbare Angreifer, die auf eine Selbstmordmission geschickt werden? Wer sowas macht ist schon sehr skrupellos", stellte Sheena O'Hoolihan fest. Alle nickten beipflichtend. Dann bat die zur Hälfte von einem indigenen Volk Südamerikas abstammende Cecilia Garmapak ums wort. Sie erhielt es.

"So wie Sie beide es berichtet haben möchte ich gerne selbst den Ort besuchen. Kann mich einer oder eine von Ihnen beiden hinbringen und sicherstellen, dass ich mindestens hundert ruhige Atemzüge ungestört bleibe?"

"Wenn Sie incantimetrische Messungen machen wollen, das haben wir schon getan. Daher wissen wir ja, dass der Zauber ein wohl den höheren Flüchen zugeordneter Hybride zwischen Erd- und Feuerzauber ist", sagte Silvanus Lawngreen.

"Quinns, öhm, Mr. Hammersmiths Messgerätschaften in Ehren, werte Kolleginnen und Kollegen. Aber ich verfüge über zertifizierte Kenntnisse der präkolumbianischen Rituale und Beschwörungen. Womöglich kann ich dadurch noch genauer bestimmen, mit wem und mit was wir es zu tun haben. Bekanntermaßen hinterlassen lebende Wesen bei ihren Unternehmungen Spuren ihrer Seele. Sterben sie an einem Ort, kann ich mit dem entsprechenden Ritual "Lausche den Toten" erfassen, wer sie waren oder ob sie als mehr oder weniger schwache Geister in der körperlichen Welt verbleiben mussten. Ja, und was die drei Brüder angeht werde ich erfahren, wie sie gestorben sind, also nicht nur vom äußeren Ansehen her, sondern auch von den letzten hoffentlich noch nachhallenden Aufschreien ihrer entkörperten Seelen. Bekomme ich die Erlaubnis, Direktor Davidson." Der Direktor erlaubte es und nahm die Anfrage zum Anlass, auch weitere Kenner vorhermetischer Magie zu bestimmen, die mitfliegen sollten.

"Ich vertage dann diese Sitzung auf morgen Abend. Bis dahin haben Sie hoffentlich alle noch erhältlichen Kenntnisse erworben und eingeordnet", sagte Davidson. So konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes wieder in ihre Wohnhäuser zurückkehren.

"Die Inkaprinzessin ahnt was, Just", äußerte Jeff eine Vermutung, als er mit seiner Frau wieder im Haus in Brewster war. Laura Jane war bei ihren Großeltern und durfte da die Nacht verbringen.

"Ja, ich ahne auch, was sie ahnt, Jeff. Sie geht von einem dunklen Ritual der Schamanen oder Medizinleute Amerikas aus oder von Voodoo. Aber da kämen dann einige in Frage, von denen wir lange nichts mehr gehört haben. Ja, und ob nicht doch Ladonna diese Müllhalde angezündet hat steht auch noch aus."

"Jetzt bin ich mal mit einer Vermutung dran, Justine. Ladonna oder die anderen dunklen Hexen und Zauberer, mit denen wir es bisher zu tun hatten, haben kein Motiv, eine illegale Müllhalde anzuzünden, wenn sie gleich den töten könnten, der sowas in die Landschaft gesetzt hat. Auch würden sie sich dann wohl etwas unauffälliger benehmen. Das gleiche gilt für Voodoozauberer und dunkle Voodoohexen. Ich hab's doch erlebt, wie dieser angebliche Sohn von Baron Samedi mich aus der Ferne verfluchen wollte. Ja, und Hexen wie die schwarze Spinne oder Ladonna könnten sogar die Wächter mit dem Imperius-Fluch dazu zwingen, die Müllhalde und sich selbst in die Luft zu jagen. Ich denke, das war entweder eine Machtdemonstration, um den Eigner der Müllhalde zu beeindrucken, um ihm irgendwelche Zugeständnisse abzuringen oder ein Vergeltungsakt, um ihm zu zeigen, dass er sich nicht mit dem Absender des unsichtbaren Selbstmordkommandos anlegen soll."

"Oder beides", meinte Justine. Jeff nickte eifrig. Dann sagte er noch: "Es muss also wer sein, der sich mit der New Yorker Unterwelt auskennt oder sich dort einnisten möchte, vielleicht auch einen Krieg zwischen dortigen Führungsgruppen provozieren möchte, um am Ende mit denen, die übrig sind ein neues Bündnis einzugehen. Tja, und was präkolumbianische Zauber angeht habe ich da gleich zwei auf dem inneren Bildschirm, die für sowas in Frage kommen." Jeff erwähnte die Namen. Justine nickte und erwiderte, dass sie ja schon vermuteten, dass die beiden sich mit Hilfe von Magie ihre nichtmagischen Machtstellungen ergattert hatten, aber sie eben bis zum ersten Januar dieses Jahres außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des LIs weilten. "Mal hören, was uns die gute Cecilia Garmapak morgen erzählen wird", beschloss Justine die Unterhaltung. Sie war müde und wollte jetzt schlafen. Jeff sah es ein, dass sie im Moment nichts in der Hand hatten, um der einen oder dem anderen was nachzuweisen oder gar konkrete Schritte gegen sie oder ihn zu unternehmen.

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Millemerveilles, Frankreich, 02.04.2006

Eigentlich war es für Julius Latierre nur noch ein kurzer Weg zu jenen Gebäuden nördlich des Farbensees von Millemerveilles. Dennoch war er nicht so wirklich glücklich, dass das Zaubereiministerium schon wieder in einem Bunkerzustand arbeitete. Der Miroir Magique hatte am Vortag getextet, dass das Zaubereiministerium sich vor einer Gefahr flüchtete, von deren Vorhandensein nur einige wenige überzeugt waren. Immerhin, so hatte der Kommentator Sebastian Brochet geschrieben, sei die "tödliche Grenze" zu Italien doch wie angekündigt wieder geöffnet worden, so dass es allen Hexen und Zauberern, die dort Verwandte hatten, möglich war, ohne Angst um Leib und Leben wieder dort einzureisen und für eine beliebig lange Zeit zu bleiben.

Dem hatte Gilbert Latierre von der Temps de Liberté umgehend entgegengesetzt, dass die Unterbringung der Zaubereiverwaltung an einem Ort, an den garantiert keine dunkle Hexe und kein böser Zauberer mehr hingelangen konnte eine wegen einer akuten, nachweisbaren Bedrohungslage dem Schutz der allermeisten magischen Mitbürger diene, die ja anständig und gutartig seien. Außerdem hatte er dem Kollegen vom Miroir noch einen mitgegeben und getextet:

Der geschätzte Kollege Brochet preist die Grenzöffnung Italiens als Beweis dafür, dass die uns allen drohende Gefahr durch die eindeutig sardonianisch ausgerichtete Hexe Ladonna Montefiori beseitigt sei und wirbt damit, dass unsere Landsleute wieder gefahrlos dorthin reisen und beliebig lange dort bleiben können. Das Klingt nach einem wunderschönen Sommerurlaub. Doch möglicherweise ist es aber auch der Versuch unsere Landsleute in eine trügerische Sicherheit zu wiegen, um sie dann für eine von ihnen selbst nicht erwünschte Unternehmung zu ködern. Offenbar empfindet der Kollege Brochet es sogar als Beitrag zum internationalen Frieden, wenn möglichst viele in Italien dieser Hexe und ihren sicher sehr einsatzfreudigen Schwestern in die Hände fallen, um ihnen auf die eine oder andere Weise zu dienen. Ich denke aber nicht, dass Sie, Kollege Brochet, dieser Dunkelhexe begegnen wollen, um dann als ihr Hampelmann, Erfüllungsgehilfe oder anrüchiger Zeitvertreib zu dienen. Sicher wollen Sie auch nicht in einer Welt leben, in der Sie es schwer haben, Ihren Mitmenschen über den Weg zu trauen, weil Sie eben nicht wissen, ob diese nicht schon längst für diese Erzfeindin Sardonias arbeiten. Wohl gemerkt, Ladonna war Sardonias Erzfeindin. Wer sich diesen fragwürdigen Rang erworben hat muss entweder eine vielseitig und meisterhaft ausgebildete Streiterin der hellen Künste wie die respektable Direktrice von Beauxbatons oder ein großmächtiger, durch sehr unangenehme Erfahrungen zum Kampf für die gute Seite erwachsener Zauberer wie der selige Albus Dumbledore sein, dem es immerhin vergönnt war, vielversprechende Nachfolger heranzuziehen. Tja, oder er oder sie muss selbst in Kenntnis und Verwendung dunkelster Zauber überragend und entschlossen bis unmenschlich sein. Magiehistoriker und gegenwärtige Mitglieder der Liga gegen die dunklen Künste sind sich völlig einig, dass Ladonna Montefiori eine solche überragende dunkle Hexe war und nun wieder ist. Denn wenn sie eine gutartige Vertreterin der Zauberergemeinschaft wäre hätte sie vor zwei Jahren nicht versucht, europäische Zaubereiminister in ihren Bann zu ziehen. Wäre sie eine unbescholtene Bewohnerin unserer Welt, hätte sie gleich nach ihrem Wiedererwachen bei allen ihr bekannt gewordenen Vertretern des magischen Friedens und der Sicherheit angeklopft und ihre Dienste und ihr Wissen angeboten. All das ist nicht nur nicht geschehen, es ist eben auch das Gegenteil davon eingetreten.

Warum vermelden die Mitglieder der Liga gegen dunkle Künste Schwierigkeiten, mit ihren Mitstreitenden in Italien Kontakt zu halten? Warum hat angeblich das Zaubereiministerium Italiens einen landesweiten Bann verhängt, der jeden nicht auf italienischem Boden geborenen Menschen mit magischen Fähigkeiten tötet? Kein auf internationalen Frieden oder die Achtung des menschlichen Lebens bedachter Zaubereiminister tut sowas, werter Kollege Brochet. Viele von mir in Frankreich sowie meinem neuen Wohnort lebende Experten für die Abwehr dunkler Zauber wiesen mich darauf hin, dass diese gnadenlose Grenzziehung nur mit dem Tod von mehr als hundert unschuldigen Opfern errichtet werden konnte. Sie ist auch bekannt als Klingsors Grenzwall. Klingsor war ein mächtiger Meister der dunklen Künste im Übergangszeitraum vom keltischen zum christlichen Zeitalter und galt als Erzfeind des großen Merlin. Also, wenn jemand den tödlichen Grenzziehungszauber Klingsors verwendet muss er oder sie der dunklen Seite angehören und die bösartigen Zweige der Magie betreiben. Sollen wir also mal wieder fragen, ob wir es besser finden, dass Beamte des italienischen Zaubereiministeriums solche Zauber kennen und anwenden oder doch lieber davon ausgehen, dass es eben die eine wiedererwachte Erzfeindin beziehungsweise größte Konkurrentin Sardonias ist, die dieses Ritual ausgeführt hat.

Wenn sich der Kollege Brochet wie ich mit angesehenen und hochanständigen Damen und Herren aus den Fächern Zaubereigeschichte und Abwehr dunkler Kräfte unterhalten würde, so hätte er längst begriffen, dass dieses Ritual nicht von einer Gruppe von Leuten, sondern von einer mehr als ausreichend zaubermächtigen Person ausgeführt werden muss, die - jetzt kommt's, im festen Gefühl handelt, das damit umspannte und verfluchte Land ohne gleichmächtigen Widersacher zu beherrschen. Jener Zauberer, den wir alle noch gut mit seinem Kampfnamen kennen, hat das im dunklen Jahr seiner zweiten Herrschaft getan, weil er leider zu recht davon ausging, der Herr der britischen Inseln zu sein. Also darf und muss die Frage wieder einmal gestellt werden: Wer beherrscht wirklich Italien. Aber sicher ist es dem Kollegen Brochet lieber, sich vorzustellen, dass der italienische Zaubereiminister Barbanera so kundig wie skrupellos ist, mehr als hundert unbescholtene Menschen zu ermorden, um mit der dabei freiwerdenden dunklen Kraft Klingsors Grenzwall zu ziehen, als sich vorzustellen, dass Barbanera längst eine willige Marionette Ladonnas ist und alle Beteuerungen, er würde sie weiterhin bekämpfen, billiges Straßentheater sind. Ich kann nur hoffen, dass keiner der Kollegen vom Miroir Magique in die unangenehme Lage gerät, herauszufinden, das Ladonna nicht nur Italien beherrscht, sondern schon längst damit begonnen hat, sich weitere Gebiete zu erobern. Dabei könnte ihr helfen, dass der tödliche Grenzbann aufgehoben wurde. dies kann jedoch nur der Tod der ihn wirkenden Person bewirken oder ein von derselben Person ausgeführtes Umkehrritual. Das Barbanera noch lebt wissen wir ja alle, die seine Ansprache am ersten April gehört haben, sofern das kein Aprilscherz seiner Beamten war und er in Wirklichkeit doch den Tod gefunden hat. Also wer bleibt dann als Urheber und Aufheber dieses verwerflichen Zaubers? Da dürfen Sie, Kollege Brochet sowie alle Leserinnen und Leser unser beider Zeitungen drüber nachdenken.

GL

Es hatte sich leider herausgestellt, dass in Deutschland, den Niederlanden und Belgien wohl schon auf Ladonna eingeschworene Pressevertreter am Werk waren. Denn behutsame Andeutungen, ob die Zaubereiministerien dieser Länder noch unbedrängt und Frei arbeiten konnten wurden mit Verächtlichmachung der gerade erst gewonnenen "Einsicht" kommentiert, dass das französische Zaubereiministerium wohl aus blankem Neid, nicht die Vorreiterrolle beim Friedensschluss erhalten zu haben, die neue Koalition der Verbundenheit und des friedlichen Miteinanders "kaputtreden" wolle, was ihr "natürlich" nicht gelingen würde, da alle daran beteiligten "erkannt hatten", wie unsinnig eine weitere Rivalität zwischen den Zaubereiministerien sei und gegen die "weltweit wütenden Widersacher" eben nur eine möglichst große internationale Einigkeit schützen würde. Bärbel Weizengold hatte also recht behalten, dachte Julius, während er in der eingerichteten und von mehreren kunstvoll gestalteten Sonnenlichtumwandlern mit Strom versorgten Computerzentrale saß und gerade nur die Überwachungsprogramme des Arkanets beaufsichtigen musste.

"Mist, mir ist wieder die Satellitenverbindung abgestürzt", fluchte Jacqueline Richelieu, die gerade eine Recherche zu verdächtigen Vorfällen durchführte. Julius ging schnell zu ihr hinüber und prüfte die Fehlermeldung. "Ja, stimmt, der Satellitenrouter hat mal wieder drei gleichzeitig einfallende Signale vom selben Satelliten gekriegt und nicht gewusst, welches davon das richtige ist. Offenbar ist unser Schutzzauber über Millemerveilles bei aufsteigender Sonne nicht so zuverlässig wie ich das bei meinem Privatrechner bisher immer angenommen habe. Aber da habe ich ja meistens am Nachmittag oder Abend drangesessen und nicht vormittags."

"Scheinechos?" fragte Jacqueline. Julius nickte bejahend. "Stimmt, hat deine ... öhm, die ehemalige Kollegin Martha Merryweather auch schon befürchtet, wohl auch weil sie in ihrem eigenen Haus solche Phantomsignale abbekommen hat. Die hat aber eine Absicherung eingebaut. Ist die hier nicht drin?"

"Stimmt, du hast recht, Jacqueline. Außerdem sind weder Nathalie noch Belle Grandchapeau gerade hier", sagte Julius und deutete auf den hier aufgebauten Rechnerraum, der unter einer Zeltkuppel wie beim Zirkus gegen Wind, Niederschlag und direkte Sonneneinstrahlung geschützt war.

"Wieso passiert sowas dann?" wollte Jacqueline wissen." Julius erwiderte: "Weil die von uns mitbenutzten Satelliten von hier aus in einem anderen Winkel stehen und eben weil die Sonneneinstrahlung mit dem Schutzzauber über Millemerveilles wechselwirkt. Aber ich kalibriere sofort die Phantomsignalausgleichapplikation. Die kann nämlich eigentlich erkennen, was das echte Signal und was verfälschte Echos sint." Er dachte bei sich, dass er das dann nachher auch bei seinem eigenen Satellitenmodem machen würde, um die Verbindungsstabilität auf hundert Prozent hochzubringen.

Als er über den nur von ihm benutzbaren Rechner des Systemadministrators die entsprechenden Auswertungen gemacht und die entsprechende Feinjustierung vorgenommen hatte schaltete er die Applikation mit dem Vermerk "Internes Update" frei, damit alle anderen Rechner sie herunterluden und installierten. Dafür mussten sie jedoch einen kompletten Systemneustart durchführen, um die neuen Werte, auch die in die drei Router eingegebenen Parameter, zu übernehmen und damit die bisherigen Internet- und Arkanetanwendungen zu betreiben.

Als die Rechner zeitgleich in den Neustartvorgang eintraten betraten Mutter und Tochter Grandchapeau den "Elektrozirkus", wie ihn die Bewohner Millemerveilles und die Kollegen aus dem Ministerium leicht spöttisch nannten. Julius bat die beiden mit einer Handbewegung, innerhalb der roten Kreislinie zu bleiben, die als ausreichender Abstand zu jedem einzelnen Rechner ermittelt worden war, damit die von Euphrosyne aufgeprägte Aura der beiden keine Störungen verursachte. Sie setzten sich auf die dort aufgestellten Schreibtischstühle und verfolgten mit, wie alle Rechner wieder hochfuhren und fast zeitgleich anzeigten, dass sie auf das Internet zugriffen. Dann erfolgte noch die Anzeige des Bildsymbols für das Arkanet, einem zwölfstrahligen goldenen Stern mit durch die Strahlen verlaufenden konzentrischen blauen Kreislinien. Als alle wieder volle Betriebsbereitschaft erreicht hatten erhob sich Nathalie Grandchapeau und bat um ungeteilte Aufmerksamkeit. Dann sprach sie zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ob vollbeamtet oder noch in der Anwartschaft.

"Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen allen mitteilen, dass Madame Belle Grandchapeau mit Wirkung vom dritten April 2006 zur neuen ministerialen Delegierten Frankreichs für die internationale Zaubererkonföderation ernannt wurde. Da diese Auszeichnung wegen der vielfältigen Aufgaben ein Amt für sich ist musste ich die letzte Entscheidung treffen, ob ich Madame Belle Grandchapeau für dieses Amt freistellen kann oder nicht. Da ich sehr beruhigt feststellen konnte, dass unsere Behörde vollumfänglich mit hervorragend ausgebildeten und motivierten Damen und Herren besetzt ist konnte ich mein Einverständnis für diesen Amtswechsel erteilen. Somit verbringt die Kollegin Grandchapeau heute ihren letzten Arbeitstag in dieser Behörde. Ob Sie selbst noch etwas dazu erwähnen möchte überlasse ich nun ihr selbst. Ich Danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen weiterhin einen erfolgreichen Arbeitstag!"

Alle klatschten Beifall, als Nathalie sich wieder hinsetzte und Belle dafür aufstand, um selbst das Wort an ihre künftigen Exkolleginnen und -kollegen zu richten.

"Messieursdames et Mesdemoiselles Kolleginnen und Kollegen, ich empfand eine höchst angenehme Überraschung, als ich vor zwei Tagen erfuhr, dass die Zaubereiministerin und die drei bisherigen Ministeriumsgesandten der internationalen Zaubererweltkonföderation darüber einkamen, mich als weiteres Mitglied dieser hochehrenwerten Vertretung unseres Landes zu erwählen. Wie meine hoch geschätzte Vorrednerin erwähnte ist die Mitgliedschaft in der ministerialen Gesandtschaft für die internationale Zaubererweltkonföderation ein sehr verantwortungsvolles Betätigungsfeld, weshalb jeder Hexe und jedem Zauberer innerhalb des Zaubereiministeriums alle anderen Aufgaben erlassen werden und die Mitgliedschaft in der Delegation als eigenständiges Amt innerhalb der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit vergeben wird. Jetzt werden Sie sich natürlich alle fragen, ob ich mich auf dieses Amt beworben habe und wann dies erfolgte.

Seitdem als gesichert angenommen werden muss, dass die Erzdunkelhexe Ladonna Montefiori sich nicht nur auf ihr Geburtsland Italien beschränkt, sondern in Anwandlung später Vergeltungsabsichten gegen Sardonia mehr Macht und Hilfskräfte erworben hat und noch erwerben will kam die Frage auf, wie wir, die Mitglieder des französischen Zaubereiministeriums, gegen Ladonnas Übergriffe möglichst gut abgesichert sein können. Einen wesentlichen Faktor stellt hierbei die Kraft von Veelas oder grünen Waldfrauen dar. Da dem Ministerium hinlänglich bekannt ist, dass unser aller direkte Vorgesetzte wie unser aller oberste Dienstherrin so wie meine Person von einem unerbetenen Zauber einer fehlgeleiteten Veelastämmigen durchdrungen sind, der erst mit unserem Tod erlöschen wird, besteht die Möglichkeit, einen winzigen Anteil Veelakraft in die Konföderationsdelegation einzubringen, da das Ministerium bisher keine veelastämmigen Beamten vorweisen kann. Deshalb habe ich mich unmittelbar nach unserem schnellen Umzug in die Sicherheit von Millemerveilles dazu entschlossen, mich auf das Amt einer Gesandten des französischen Zaubereiministeriums zu bewerben. Dieser Bewerbung wurde nun stattgegeben, so dass ich mit meinen Sprachkenntnissen Französisch, Englisch und Spanisch meinen Beitrag zur Wahrung unser aller Freiheit und würdigen Vertretung unserer großen Nation vor internationalen, gleichrangigen Gesandtschaften wahren kann und wir zugleich, wie wir hoffen, einen Zugriff Ladonnas auf die internationale Zaubererweltkonföderation vereiteln können. Natürlich ist mir voll bewusst, dass Ladonna Montefiori mich als Störerin ihrer Welteroberungspläne erkennen und bekämpfen mag und dies mein eigenes Leben und die Leben meiner Familienangehörigen mehr gefährden mag als meine bisherige Arbeit. Dennoch habe ich die Ernennung zur Gesandten der internationalen Zaubererweltkonföderation angenommen, nachdem Madame Grandchapeau ihre Zustimmung zu meiner Freistellung und Versetzung erteilt hat. Ich teile Ihnen diese Entscheidung heute schon mit, damit Sie alle nicht verwundert sind, wenn ich ab morgen nicht mehr zu den allnachmittäglichen Arbeitsstunden in die Rechnerabteilung komme. Allerdings möchte ich Sie alle bitten, diese Bekanntmachung einstweilig als Angelegenheit der Geheimhaltungsstufe S5 zu betrachten, da wir Ladonna und ihren Gefolgsleuten oder Unterworfenen möglichst wenig Vorwarnzeit einräumen möchten. Da die erste Sitzung der Konföderation auf Antrag aller spanischsprachigen Zaubereiministerien erst nach deren eigener kleinen Verbundskonferenz erfolgen wird gilt es noch, bis zum 15. Mai möglichst Stillschweigen über meine Versetzung zu bewahren. Die Geheimstufe wurde deshalb festgelegt, um die Brisanz und außerordentliche Wichtigkeit dieser Personaländerung zu bestätigen. Daher hoffe ich nicht nur auf Ihrer aller Verständnis, sondern lege sehr viel Wert auf Ihre Loyalität und Disziplin innerhalb des Zaubereiministeriums. Meine Aufgaben wird ab morgen Mademoiselle Arno übernehmen, sowohl was das gesamte Büro für die friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne magische Kräfte betrifft, als auch diese gesonderte Unterabteilung für elektronische Nachrichtenerfassung, -überwachung und zaubereigesetzeskonforme Berichtigung. Näheres dazu darf Ihnen dann unsere direkte Vorgesetzte erläutern. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Jahre erfolgreicher und angenehmer Zusammenarbeit und wünsche Ihnen weiterhin jeden Erfolg, den diese als doch sehr wichtig offenbarte Behörde verdient und erringen kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"

Wieder klatschten alle Beifall. Da setzte sich die Tochter hin und die Mutter stand wieder auf. Sie trug die ihren körperlichen Zustand verbergende Unterkleidung, die sie fast so schlank und rank wie ihre Tochter Belle erscheinen ließ.

"Nun, dann möchte ich das auch gleich vollenden, wo Madame Belle Grandchapeau es schon angesprochen hat", begann Nathalie zu sprechen. "Mademoiselle Arno, hiermit ernenne ich sie mit Wirkung vom dritten April 2006 zur stellvertretenden Leiterin des Büros für friedliche Koexistenz zwischen Menschen mit und ohne magische Kräfte. Die damit einhergehende Gehaltserhöhung von dreihundert Galleonen pro Monat wird bereits mit der nächsten Gehaltsüberweisung wirksam. Herzlichen Glückwunsch! Monsieur Latierre, Auf grund Ihrer bisherigen und in Hoffnung auf weiterhin eintretenden Erfolge als Experte für die Verwendung elektronischer Nachrichten- und Wissensverarbeitungstechnologie übertrage ich Ihnen mit Wirkung vom dritten April die die volle Verantwortung eines Unterbehördenleiters. Auch hier gilt, dass die bei einem solchen Vorgang ausgelobte Gehaltserhöhung mit der nächsten Gehaltsüberweisung wirksam wird. Auch Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch! Ihr Büro für den Kontakt zwischen Menschen und Zauberwesen, insbesondere die Vermittlung zwischen Menschen und Veelas und Veelastämmige dürfen Sie weiterhin betreuen, allerdings nur mit eingeschränkter Sprechzeit, die Sie eigenverantwortlich festlegen mögen. Falls Sie wegen Ihrer neuen Hauptverantwortung eine Assistenz für die anfallenden Arbeiten benötigen sollten stellen Sie erst einmal für sich selbst klar, wie viel Assistenz Sie benötigen und richten Sie die daraus resultierenden Anforderungen dann bitte an mich und die Leiterin der Abteilung zur Erfassung und Betreuung magischer Geschöpfe! Gegebenenfalls kann dann sie oder ich jemanden aus unserem Personal für diese Assistenzstelle abstellen, oder es ergibt sich, dass nach dem Ende des laufenden Schuljahres Ministeriumsanwärter für diese Stelle gewonnen werden können. Natürlich ist mir bewusst, dass Sie bei dieser Arbeit auch für die Zauberwesengruppe der Veelas sehr vertrauliche bis geheime Einzelheiten von ebendiesen erfuhren und diese nicht aus eigenem Gutdünken jemand anderem anvertrauen wollen oder dürfen. Auch dies klären Sie bitte bei Ihrer Überlegung, ob und wenn ja wie viel Assistenz Sie für die Tätigkeit als Menschen-Zauberwesen-Vertrauter benötigen!"

Julius erhob sich von seinem Stuhl und erklärte, dass er diese Aufgabe bis spätestens Monatsende erledigt haben würde, was auch einschloss, einen entsprechenden Antrag auf Zuteilung eines Assistenten, ob Hexe oder Zauberer einzureichen. Dann durfte er sich wieder hinsetzen. Nathalie Grandchapeau bedankte sich noch einmal bei allen für die ungeteilte Aufmerksamkeit. Dann verließ sie das Rechnerzelt, um in ihrem eigenen provisorischen Büro im blauen Varanca-Haus der Führungsriege weiterzuarbeiten. Belle blieb im Raum und auch im roten Kreis, der den Sicherheitsabstand zu den Rechnern bezeichnete.

"Bei den vielen Kindern, die du schon mitzufüttern hast kommt das mit der halben Beförderung ja richtig gut", wisperte Primula Arno Julius ins Ohr, als er zu ihr kam, während sie sich einige neue Reiserouten für Kreuzschifftouristen ausdrucken ließ.

"Ja, doch ob ich dann noch genug Zeit für die Kleinen habe oder nicht total platt nach Hause komme wird sich noch zeigen", flüsterte Julius zurück, während Belle sich in ihrem Sessel zurücklehnte und vor allem die Anwärter beobachtete, wie flink diese mit den Rechnern umgehen konnten.

Als Julius wieder an seinem eigenen Platz saß fand er eine Mitteilung des Laveau-Institutes. Eine gewisse May Baywater hatte ihm geschrieben, dass sie "wie abgesprochen" von ihrer Kollegin Martha Merryweather die Abteilungsleitung während ihres Mutterschaftsurlaubs übertragen bekommen hatte. Er antwortete an ihre und die Adresse seiner Mutter, dass er diese Meldung erhalten und zur Kenntnis genommen habe. Dabei hatte er wieder dieses merkwürdige Gefühl, als er mitbekommen hatte, dass seine Mutter seine drei Halbgeschwister trug. Diesmal hatte sie es mit seinem Stiefvater Lucky auf ein weiteres gemeinsames Kind angelegt. Sie hatte ihm auch schon verraten, dass sie eine dritte Tochter im Bauch hatte und sie Rubia nennen wollte, was das spanische Wort für eine Blondhaarige war. Welchen zweiten Vornamen sie ihr geben würde wollte sie davon abhängig machen, wer ihr bei der Geburt helfen würde, entweder Chloe oder Eileithyia. Doch er hatte es nur Millie und Béatrice erzählen dürfen, weil Lucky es seinen Verwandten erst nach der hoffentlich erfolgreichen Geburt auftischen wollte. Das verstand er. Doch jetzt, wo es wieder erwähnt worden war, fühlte er sich wieder so merkwürdig. Einerseits gönnte er seiner Mutter das Glück mit dem neuen Kind. Andererseits meinte er rein emotional, dass er jetzt noch mehr aus ihrem Leben abgedrängt würde. Natürlich war das nur eine reine Gefühlsangelegenheit. Doch irgendwie spürte er, dass er jetzt wirklich nur noch für sich und seine Familie zu leben hatte. Dann erkannte er, dass seine Mutter ihm gegenüber nicht anders fühlen musste. In vier Tagen hatte der kleine Félix Richard Roland seinen ersten Geburtstag. Der Flitzefélix, wie ihn Claudine einmal genannt hatte, konnte schon sehr Flink durch die offenen Räume im Apfelhaus krabbeln, fast so schnell wie jemand, der mit ruhigen Schritten ging. Seine beiden Zwillingshalbschwestern brauchten selbst bei großem Wunsch, an etwas heranzukommen die doppelte Zeit wie Félix. Ja, Julius hatte sein Leben mit den vielen Kindern, die er in den jungen Jahren schon gezeugt hatte. Also sollte seine Mutter auch ihr Lebensglück mit den dann vier Kindern haben. Ihm tat nur der kleine Eurypides leid, dass der mit drei Schwestern groß werden musste.

Der restliche Tag in der zeitweiligen Niederlassung des Ministeriums verging damit, dass er noch einige zusätzliche Suchprogramme in die Rechner einpflegte, um nicht nur die öffentlichen Nachrichtenquellen und gehackten Behördenrechner zu überwachen, sondern auch den immer intensiveren Datenverkehr auf den neuen Mitteilungsplattformen wie Facebook nach Merkwürdigkeiten abgraste.

Da er mit allen Hexen seines Hauses vereinbart hatte, dass er trotz des kurzen Weges zum zeitweiligen Arbeitsplatz nicht unzählige Überstunden machen sollte beendete Julius seinen nur im Rechnerzelt verbrachten Arbeitstag um kurz vor fünf. Er wünschte Belle noch einmal viel Erfolg im neuen Amt und verabschiedete sich von seinen Kollegen, die ab morgen quasi seine Untergebenen sein würden.

Als er in seinem Haus war wurde er von Aurore, Chrysope, Clarimonde und seiner Frau Mildrid umarmt und geküsst. Béatrice war in ihrem Behandlungszimmer und unterhielt sich da mit Patricia. Julius erwähnte Millie gegenüber, dass er ab dem nächsten Tag offiziell zum Gesamtleiter der elektronischen Nachrichtenüberwachung des Zaubereiministeriums ernannt sei und damit das Gehalt eines Unterbehördencheefs erhielt.

"Also dreitausendsechshundert Galleonen mehr im Jahr", erwiderte Millie. Julius bestätigte das. "Und was sagen die Veelas?" fragte Millie.

"Ich gebe das morgen erst an Léto weiter. Mal sehen, wie ich die Sprechzeiten so legen kann, dass sie oder ihre Verwandten keine Probleme damit haben. Aber wenn ich jetzt jeden Morgen im Rechnerzelt sitzen darf kann mir Ornelle Ventvit keine Frühstücksbringer-Elfe mehr schicken, weil jede Zauberstabmagie und das Apparieren im Elektrozirkus untersagt sind."

"Gut zu wissen. Dann packen Trice und ich dir jeden Arbeitstag genug in deine Brotbox, damit du nicht verhungern musst", sagte Millie. "Ach neh, essen darf man ja bei euch im Rechnerraum auch nicht, wegen Krümel, Butterflecken oder Spritzer von Kaffee oder Tee."

"Da sagst du was. Ich habe ja vorgestern Tante Pri mit einer kugelbäuchigen Teekanne mit als Becher geeignetem Deckel angetroffen und ihr nur empfohlen, dass Belle das nicht mitkriegt. Da hat die doch gemeint, dass nur die, die mit ihr direkt blutsverwandt sind oder ihr bereits ein paar Neffen und Nichten beschert haben die Kanne sehen können. Zwergenzauber halt."

"Und?" fragte Millie eher gelangweilt klingend, weil gerade sie eine Menge über die besonderen Zauber der Zwerge gelernt hatte.

"Ich hänge morgen früh ein Schild ins Zelt: "An alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hiermit wird Ihnen allen mitgeteilt, dass zum Schutz und zur sicheren Gewährleistung der Betriebsfähigkeit der Verzehr von Speisen und Getränken innerhalb des Rechnerraumes nicht gestattet ist, da diese Geräte zur Aufnahme von verschütteten Heiß- oder Kaltgetränken, Brot- und / oder Croissantkrümel und ähnlichen Abfällen völlig ungeeignet sind", sagte Julius. Millie lachte glockenhell, was die drei schon größeren Mädchen fragen ließ, was Maman so lustiges gehört hatte. Julius durfte es dann noch einmal wiederholen.

"Ich weiß nicht, ob Tante Pri dich dafür knuddeln, erwürgen oder sich selbst totlachen wird", erwiderte Millie noch darauf.

Béatrice kam mit Patricia in die Wohnküche. "Hallo, Julius. Ich hörte halb mit, dass du jetzt doch die Vollverantwortung für das ganze Computerzeug bei euch hast. Wie kamen die denn darauf, das jetzt zu machen?"

"Weil sich die beiden Damen Grandchapeau darauf geeinigt haben, dass Belle diese Arbeit wegen wichtigerer Sachen an mich abgeben möchte", sagte Julius, weil er in Patricias Anwesenheit nicht davon anfangen wollte, welche Personaländerung es geben würde. Béatrice grinste nur ahnungsvoll. Dann nickte sie Patricia zu.

"Da ihr ja ganz zur Verwandtschaft gehört erzähle ich euch das noch vor Marc, dass ihr im Oktober entweder zwei Cousins oder Cousinen dazukriegt. Maman wird Luftsprünge machen, wenn die hört, dass ich auch Zwillinge kann."

"Ui, auch zwei auf einen Wurf? Herzlichen Glückwunsch", sagte Julius. Béatrice mahnte an, dass Glückwünsche eigentlich erst bei erfolgreicher Geburt angebracht waren. Julius fragte seine jüngere Schwiegertante noch, was Marc dazu sagte.

"Wie gesagt, ich habe es ihm noch nicht erzählt, weil ich erst mal wissen wollte, was in meinem kleinen Bauch los ist. Ich wollte auch nicht zu früh Schnulleralarm ausrufen."

"Du hast jetzt auch zwei Babys im Bauch, Tante Pattie?" fragte Aurore. Die Gefragte legte sich die Hand auf den Unterbauch und grinste: "Ja, ich kann das auch, was deine Maman und deine andere Tante Tine hingekriegt haben. Aber heftig wird das sicher."

"Ja, tut dir ganz bestümmt auch ganz doll weh wie der Maman", erwiderte Aurore. Da hörte Julius Heras Gedankenstimme in seinem Kopf: "Julius, komm mal bitte zu mir!"

"Das darfst du die Tante Patricia gerne fragen, wie weh ihr das getan hat, wenn die zwei Kleinen aus ihr heraus sind", sagte Julius und wandte sich dann an seine Frau und die gemeinsame Retterin des Ehefriedens. "Ich muss mal eben zu Hera, warum auch immer. Bis gleich", sagte er. Dann winkte er seinen drei älteren Töchtern und der jüngeren Schwiegertante. Danach disapparierte er ohne groß nachdenken zu müssen.

Er erschien vor Heras Haus und läutete die Türglocke. Hera Matine, die hauptamtlich residente Heilerin und Hebamme von Millemerveilles, hatte wohl schon hinter der Tür gewartet.

"Schön, es ging schnell. Keine Sorge, ich muss dich gerade nicht als Pflegehelfer einspannen. Ich habe nur gerade eine Besucherin, die mit Empfehlungen von meiner Kollegin Anne Laporte zu mir kam, um eine zweite Meinung zu erbitten. Da du dich mit den Kräften der Veelas von uns im Dorf am besten auskennst erbitte ich auch deine Meinung."

"Oh, was mit Veelakräften?" fragte Julius. Hera nickte nur und führte ihn in ihr Behandlungszimmer. Dort erwartete ihn Nathalie Grandchapeau, die nun ein hellblaues Umstandskleid trug und jetzt so aussah, als sei sie gerade im siebten Monat schwanger. Er begrüßte sie förmlich. Dann erhielt er von ihr einen silbernen Ohrring, ebenso Hera. Als Julius sich diesen an das linke Ohr steckte hörte er erst einmal nur das Pochen, Schnaufen, Rauschen und Gluckern aus Nathalies Unterleib. Dann klang die Cogison-Stimme von Demetrius in beiden Ohren gleichzeitig:

"Hallo Julius, vielleicht komme ich ja schon 2020 auf die Welt, wenn das Ministerium in Millemerveilles bleibt."

"Huch, wie das?" dachte Julius, wissend, dass nicht nur Demetrius, sondern auch Hera und Nathalie es mithören konnten. Darauf gedankenantwortete Nathalie: "Weil der in Millemerveilles wirkende Schutzzauber und der mir und Demetrius aufgeprägte Veelazauber offenbar doch wechselwirken, Julius. Anne Laporte hat es heute noch einmal nachgeprüft. Offenbar entwickelt sich Demetrius' Körper mit der doppelten bis dreifachen Geschwindigkeit wie seit dem verbotenen Segen Euphrosynes weiter. Madame Laporte meinte dazu, dass der hier im Ort errichtete Schutzzauber wohl die Entstehung neuen Lebens fördere. Stimmt das?"

"Es ist insofern richtig, dass der Zauber mit der Lebenskraft aller unter ihm lebenden Wesen und den Kräften von Sonne und Erde wechselwirkt. Außerdem war es bei der Einrichtung so, dass die an seiner Errichtung beteiligte Hexe da gerade schwanger war und sich die Föten einen vollen Tag lang mit drei- bis vierfacher Geschwindigkeit weiterentwickelt haben. Aber das ließ nach ainem Tag wieder nach, schickte Julius zurück. Hera fügte dem ebenfalls nur über die vierfache Cogison-Verbindung hinzu, dass Anne Laporte Madame Grandchapeau zu ihr hingeschickt habe, weil sie ja als residente Heilerin mehr über den Schutzzauber über Millemerveilles wisse. Da konnte Julius, der ja wegen seiner Veelakenntnisse dazugeholt worden war damit aufwarten, dass Léto bei einem Besuch im Apfelhaus eine rasch ansteigende geschlechtliche Erregung verspürt habe und ohne körperliches Zutun zum Höhepunkt gekommen sei. Deshalb hatte sie ihm auch gleich nach dem Umzug des Ministeriums mitgeteilt, nur noch schriftlich mit ihm zu verkehren, um nicht von einer Wonne zur nächsten zu treiben. "Also wirkt der Schutzzauber wirklich mit Veelakraft zusammen", teilte Julius nur für die in die Ohrring-Verbindung einbezogenen mit.

"Na toll, dann bin ich eben über zwanzig Jahre früher durch", cogisonierte Demetrius. Da meinte Hera: "Ja, oder der junge Monsieur Grandchapeau könnte, sobald die ihn hoffnungsvoll erwartende Madam Grandchapeau nach mehrwöchigem oder mehrmonatigem Aufenthalt bei uns wieder im Rest der Welt tätig ist auf dem Entwicklungsstand verbleiben, den er dann eingenommen hat, bis er wieder unter unseren Schutzzauber gelangt. Ja, es besteht sogar die nach Woodbed und Sweettwater benannte Möglichkeit der dauerhaften Abhängigkeit von der stimulierenden Kraft unseres Schutzzaubers, dass der junge Monsieur Grandchapeau außerhalb von Millemerveilles nicht mehr weiterleben kann, wenn er und seine künftige Mutter nicht früh genug und dauerhaft andernorts unterkommen. Weil Ihr Zusammenleben ein Präzedenzfall der magischen Heilkunde ist kann ich nicht voraussagen, was genau zutreffen wird."

"Stimmt, weil es auch sein kann, dass unser Schutzbann den Veelasegen schwächt und damit die natürliche Entwicklung wieder an das Normalmaß heranführt", vermutete jetzt Julius. Nathalie cogisonierte zur Antwort:

"Dann darf ich hier nicht länger arbeiten. Ich trage ihn hier schon zu lange in mir herum, als dass er mir vor seiner Geburt stirbt oder nur noch in dieser Siedlung leben kann."

"Das ist aber sehr fürsorglich", cogisonierte Demetrius. "Was meinst du denn? Ich will schließlich deine Mutter werden", schickte Nathalie zurück. Dem konnte keine und keiner hier im Raum was entgegensetzen. So cogisonierte Nathalie noch: "Ich habe von dieser Woodbed-Sweetwater-Hypothese gehört, dass ungeborene Kinder, die mehr als einen Monat lang unter dem Einfluss von mindestens zwei dauerhaften Zaubern heranwachsen davon abhängig werden können, dass alle zeitgleich wirkenden Zauber weiterwirken, bis sie geboren sind."

"Moment mal, Nathalie, das ist Heilerfachwissen, weil ja sonst jemand auf die Idee kommen könnte, eine solche Lage herzustellen, um Kinder mit dauerhafter Ortsgefesseltheit oder besonderen Eigenschaften zu (er)zeugen", warf Hera ein. "Ja, aber meine Schwiegertante ist Heilerin und Hebamme und hat bei der Reifung meiner Tochter Belle genau darauf geachtet, dass nur die Schutzzauber um unserem Haus wirken, aber kein Dauerheilzauber wie Contraveneficus angewendet wird. Deshalb kehre ich besser noch heute in mein eigenes Wohnhaus zurück."

"Dann darf ich aber erst ende 2039 oder 2040 aus dir rauskrabbeln, Maman", wandte Demetrius ein. "Ja, besser erst später als gar nicht, Demetrius. Wenn dein Körper nicht weiterwächst oder stirbt kommst du gar nicht mehr aus mir raus", erwiderte Nathalie vollkommen logisch. Das musste auch ihr noch lange Zeit ungeboren bleibender Sohn und ehemaliger Ehemann anerkennen.

Nathalie bedankte sich bei Hera und Julius, sammelte die silbernen Ohrringe wieder ein und verabschiedete sich. Als sie das Haus durch die Tür verlassen hatte sagte Hera leise: "Er hat zwar protestiert, aber irgendwie werde ich den dumpfen Verdacht nicht los, dass er sich eigentlich nicht mehr aus der ehrenwerten Madam Grandchapeau hinauswagen möchte. Aber pssst, Heilervertraulichkeit." Dabei lächelte sie jedoch großmütterlich. Dann schickte sie Julius wieder in sein eigenes Haus zurück.

Nach dem Zubettbringen aller Kinder erwähnte Julius im Klangkerker-Musikzimmer den kurzen Besuch bei Hera. Béatrice meinte dazu: "Woodbed und Sweetwater haben damals im ausgehenden 19. Jahrhundert mit lebensfördernden und lebensunterdrückenden Zaubern experimentiert. Das wurde von der Heilerzunft nicht so gerne gesehen. Die konnten aber damit argumentieren, dass sie zum einen "nur" mit Nogschwänzen, Crups und Knieseln experimentiert haben und zum anderen darauf verwiesen, wie viele haarsträubende Versuche die Heilerinnen und Heiler im Lauf ihrer Geschichte schon gemacht haben, um Lebensverlängernde oder Gesundheitsfördernde Therapien zu entwickeln."

"Ja, und dabei wussten die nicht, dass vor mehr als zehntausend Jahren die Eltern der Sonnenkinder mit dieser Methode ihre Kinder konditioniert haben", erwähnte nun Julius. Millie und Trice nickten. Sie hatten es ja von der ehemaligen Spinnenhexe Patricia Straton alias Gwendartammaya / Dailangamiria erfahren, wie sie zu den Sonnenkindern gekommen war. Dann sagte Béatrice noch: "Ja, und die Kollegin Matine hat da auch recht mit ihrer Besorgnis, dass bei diesem besonderen Fall mit Demetrius keiner weis, ob er sich außerhalb von Millemerveilles am Leben halten kann oder auf dem gerade erreichten Entwicklungsstand verbleiben muss und somit niemals wiedergeboren werden kann. Damit habt ihr alle nicht gerechnet, als ihr das Zaubereiministerium bis auf weiteres hierher verlegt habt."

"Ja, und die ersten Stimmen werden schon laut, dass Ventvit ihr Amt hinwerfen soll, wenn sie beim ersten Wichtelzwitschern schon Reißaus nimmt, ohne zu wissen, ob es dazu einen Grund gibt. Es gibt Leute, die wollen es nicht glauben, dass um uns herum die Feuerrose erblüht ist und diese supertolle Friedenskoalition nur ein von Ladonna zusammengeschmiedetes Konstrukt ist", grummelte Millie. Julius fügte dem noch hinzu: "Ja, oder sie verlangen, dass jetzt, wo Italien wieder erreichbar ist, die internationale Konföderation den Paragraphen vier der Übereinkunft zieht, dass bei einer von einem Ministerium allein nicht zu beseitigenden Gefahr ein Unterstützungskommando aus anderen Ministerien zur Hilfe kommt. Das Ding wird auch als "Fall brennendes Nachbarhaus" bezeichnet."

"Oh, hast du mit Kronprinzessin Belle schon für ihre neue Arbeit vorgearbeitet?" fragte Millie schnippisch. Julius grinste und nickte. "Sie hatte heute morgen einen alten Wälzer auf den Knien "Contractus consentiae confoederationis magicae" mit der in römischen Zahlen notierten Jahreszahl 1725. Da durfte ich wegen meiner mittlerweile weit genug erlernten Lateinkenntnisse drin lesen. Da hatten wir es auch von dem, was ich gerade erwähnt habe. Aus dem Latein übersetzt steht in Übereinkunftsparagraph vier: "Wenn ihr Nachbarn gewahrt, dass eures Nachbarn Haus in hellen Flammen steht, so zögert nicht, ihm Hilfe zu bringen, selbst wenn von ihm kein lauter Ruf ertönt. Denn ihr möget besorgt sein, dass er vor lauter dichtem Rauch und Feuer nicht mehr selber rufen kann. Nur wenn er noch selbst sich meldet und euch beweist, dass er des sein Haus fressenden Brandes noch Herr werden kann, möget ihr nur darauf achten, dass euer eigenes Haus nicht in Brand gerät."

"Du hast doch Advokatenerbgut in dir, Julius", grinste Béatrice. Millie meinte dazu: "Da haben unsere Kinder die freie Auswahl, was sie mal werden wollen."

Gegen elf Uhr zogen sich die erwachsenen Apfelhausbewohner in ihre Schlafzimmer zurück. Flavine und Phylla lagen in ihrer Doppelwiege eng aneinander gekuschelt, so wie vor einem jahr noch in Millies fruchtbarem Schoß. Der Anblick war sowohl niedlich wie auch erhaben, aber auch ermahnend, diese unschuldigen Wesen vor allen Gefahren zu beschützen, die von da draußen drohten. Ja, und obwohl Millie gerne noch die beiden von Julius vorhergesagten Kinder bekommen wollte, mussten die nicht in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden. Um dies sicherzustellen hatten sich die jungen Großfamilieneltern von der Retterin ihres Ehefriedens genug kleine blaue Flaschen geben lassen, um nicht völlig enthaltsam leben zu müssen.

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Neapel, Stadtteil Vomero im Westen der historischen Altstadt, 03.04.2006, 18:20 Uhr Ortszeit

Der kleine Mann, der gerade aus einem seegrünen FIAT Panda gehüpft war, hörte schon in der Tiefgarage, dass Maestro Donizettis Schüler Vincenzo wohl wieder Bachs wohltemperiertes Klavier in Grund und Boden klimperte. Ob er mit seinen extrafeinen und absolut hörenden Ohren so viel Geduld mit einem Klavierschüler hätte? Doch womöglich zahlten die Eltern des verzweifelt gegen das Klavier anspielenden Jungen genug, um Donizettis Ohren ein wenig zu stopfen, dass er die vielen Verspieler und Taktholperer überstand.

Eigentlich konnte er mit dem Aufzug nach oben fahren, direkt bis vor den Korridor zu seiner Wohnung. Doch das war ihm nicht sportlich genug. So ging er auf die schwere Metalltür zum Nottreppenhaus zu. Hier holte der kleinwüchsige Mann aus einer gerademal briefmarkengroßen Innentasche seines violetten Jacketts ein schwarzes Schlüsselbund, das größer als eine Streichholzschachtel war. Da er gerade mit dem Brustkorb zur betongrauen Hauswand stand konnte er davon ausgehen, dass das keiner mitbekommen hatte. Mit einem scheinbar bartlosen Schlüssel entsperrte er die schwere Stahltür. Gerade knöpfte sich der mäßig begabte Klavierschüler die H-Moll-Fuge vor. O ha, in diesem in warmem Beige gestrichenen Treppenhaus klang das noch trauriger als in einer Kathedrale bei einer Beisetzungsmesse.

Der kleinwüchsige Mann blickte kampflustig die blitzblank gescheuerten Treppenstufen an und spurtete los. Innerhalb von nur zwei Sekunden hatte er die erste Treppe geschafft, bog zur nächsten Treppe ab und erstürmte diese mit unvermindertem Tempo. Dabei lief er fast lautlos wie ein jagender Uhu im Beutefangendanflug. Schon war er mit nur zwei schnellen Schritten über den nächsten Absatz gehüpft und flitzte die nächste Treppe nach oben. Vier stockwerke musste er so überwinden, um in dem 24-Appartment-Wohnhaus für gut situierte Bürger mit und ohne Familien das Geschoss mit seiner Wohnung zu erreichen. Ohne auch nur im Ansatz zu keuchen erreichte der gerade mal 1,30 Meter messende Mann die Feuer- und Rauchschutztür zum Trackt mit den zwei Wohnungen.

Im Korridor lag ein weicher Teppich aus und dämpfte nicht nur die Geräusche von Schritten, sondern auch den Kampf Vincenzo Bernini gegen Johann Sebastian Bach mit dem Steinwayflügel Donizettis als Schlachtfeld.

vor einer scheinbar nur aus blankpoliertem Holz gezimmerten Tür stoppte der kleinwüchsige Mann und blickte auf den links von der Tür angebrachten Briefeinwurfschlitz. Die Eigentümerversammlung hatte vor einem Jahr beschlossen, dass jeder Wohnungseigentümer oder Mieter einen Briefeinwurfschlitz neben die Tür bekommen sollte, damit es möglichst diskret bei der Postzustellung zuging. Die Klappe des Einwurfschlitzes stand noch einen halben Zentimeter offen. Der Bote hatte es offenbar eilig gehabt. Auf dem Türschild prangte der Name A. Pontidori. Der Wohnungsinhaber hatte gnädig darauf verzichtet, seine Akademischen titel mit anzeigen zu lassen.

Er steckte einen silbernen Schlüssel mit beidseitigem Bart in das Türschloss und drehte ihn dreimal herum. Dann legte er seine linke Hand auf den Türknauf. Die Tür erbebte und tat sich auf. Nun konnte jeder Beobachter erkennen, dass das Holz nur Verkleidung war. Die Tür bestand aus Stahlll und war von einigen netten Leuten derartig behandelt worden, dass sie Rammstößen von mehr als 20 Tonnen und Hitze bis zu 25000 Grad Celsius standhalten konnte.

Anselmo Pontidori, Professor für Vulkanologie im Dipartimento di Scienze della Terra an der Universität Neapel, betrat seine 100 Quadratmeter große Junggesellenwohnung und schloss die Tür von innen, ohne dass ihr Gewicht von einer halben Tonne irgendwie störte. Mit leisem Klonk fiel die Tür ins Schloss. Vincenzos Klavierübung wurde schlagartig leiser und hallte nicht mehr.

Gerade mal 1,30 Meter groß zu sein hatte auch gewisse Vorteile. Er brauchte sich nicht so tief zu bücken um den blauen Umschlag vom Flurteppich aufzuheben. Er sah sofort, dass ihm die Abteilung für Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe, Unterbehörde Zauberwesen unterhalb der Bonelli-Arturo-Größe eine Nachricht geschickt hatte. Mit sowas hatte er leider rechnen müssen, seitdem es hieß, dass Zaubereiminister Pontio Barbanera nicht nur alle Kobolde aus Italien raushaben wollte, sondern eine strickte Trennung zwischen reinblütigen Menschen und gemischtrassigen Menschen durchsetzen wollte. Da seine Mutter eine reinrassige Zwergin war musste er jeden Tag mit so einem Brief rechnen. Dennoch öffnete er den Umschlag und las das Schreiben.

Geehrter Signore Pontidori,

im Zuge einer längst überfälligen Erfassung aller lebenden Menschen mit magischen Kräften und Menschen mit einem Elternteil aus einer humanoiden Zauberwesenform wurden Sie als Sohn der reinrassigen Zwergin Lutetia Arno, wohnhaft in Frankreich und des Zauberers Albano Pontidori, wohnhaft in Sorent registriert. Somit fallen Sie und Ihre Lebensführung unter die Aufsicht der Behörde für denkfähige Zauberwesen unterhalb der Bonelli-Arturo-Größengrenze gemäß §5 Abs. 1 S. 2 LIDDAIM. Somit wird Ihnen von dieser Behörde folgender Bescheid erteilt:

Laut Beschluss des Gremiums zur Herstellung und Sicherung friedlichen Miteinanders magischer Wesen in Italien gelten seit dem 25.03.2006 stricktere Wohnrechtbestimmungen für Menschen mit einem nichtmenschlichen, humanoidgestaltlichen Elternteil. Dies hat zur Folge, dass u. a. solche Teilmenschlichen Mitbewohner nicht in magielosen Menschen bewohnten Ansiedlungen oder Siedlungsteilen wohnen dürfen und auch keine beruflichen Aufgaben mit besonders herausragender öffentlicher Kenntnisnahme ausüben dürfen. Diese Einschränkungen dienen der Aufrechterhaltung der Geheimhaltung der magischen Welt und ihrer Bewohner und Geschöpfe von 1723 und hat in jeder dieser Übereinkunft durch Unterschrift beigetretenen Zaubereiverwaltung umgesetzt zu werden. Im Zuge der Neufassung des Unterbringungsgesetzes für Zauberwesen und Tierwesen gilt seit dem 25.03.2006 die Zuständigkeit der Zauberwesenbehörde bei der Zuteilung von Wohnraum und Betätigung. Daher werden Sie, Signore Pontidori, aufgefordert, bis zum 30.04.2006 alle öffentlich bekannten Betätigungen aufzukündigen und ohne Aufsehen Ihre Wohnung zu räumen und dafür Sorge zu tragen, dass dort keine Gegenstände oder Dokumente verbleiben, die auf die magische Welt hindeuten oder deren Vorhandensein zweifelsfrei beweisen können. Richten Sie es so ein, dass Ihr Hausstand bis oben genanntem Zeitpunkt zur Verwahrung an das Lager für im Umzug begriffene Personen gesendet wird, wobei jeder Gebrauch von Nichtmagiern erkennbarer Zauberei zu unterbleiben hat. Melden Sie sich bei Vollzug der Ihnen auferlegten Maßnahmen im Büro von Theodora Costolani in der Zauberwesenbehörde und empfangen sie dort alle Dokumente und Notizen für ihre neue Unterbringung!

Dieser Bescheid ist wie erwähnt verbindlich und ohne jeden Anspruch auf Ausnahmebedingungen zu befolgen. Nichtbefolgung wird mit Bewegungsfreiheitsentzug und Zahlung einer Strafgebür von 20000 Solicini bestraft. Sie sind hiermit belehrt und gewarnt.

Kommen Sie der Ihnen erteilten Anordnung schnellstmöglich nach!

Bernadetta Monticelli, Behörde für menschengestaltliche Zauberwesen

"Ihr Haufen Kobolddreck", dachte Pontidori für sich. Also meinten die das echt ernst, diese Leute Barbaneras. Was passierte, wenn er sich daran hielt? Er musste im Grunde alles aufgeben, seine Eigentumswohnung hier, seinen einträglichen und spannenden Beruf, der ihn immer wieder zu spektakulären Plätzen rund um den Erdball führte, seinen akademischen Freundeskreis, ja sogar die vielen Rivalen, die ihm seine Erfolge neideten und sich bis heute fragten, wie er das anstellte, an die gefährlichsten Orte zu gelangen, ohne dass ihm auch nur ein Kratzer passierte. Die wussten aber ganz sicher, das sie einen international bekannten Vulkanologen nicht mal eben verschwinden lassen konnten, ohne erst recht unangenehme Fragen zu stellen. Sicher wussten die das. Doch würde es sie kümmern?

Den beigefügten Unterlagen zum amtlich verordneten Wohnungswechsel war auch der erwähnte Gesetzesparagraph beigefügt. Da stand auch drin, dass als besonders uneinsichtige Wesen erfasste Geschöpfe in ausländische Niederlassungen ihrer Daseinsart verbracht werden konnten und die für Zwergstämmige die Niederlassung in Schweden reserviert worden sei. Das hieß, wenn er nicht kuschte konnten sie ihn zu den schwedischen Schwarzalben abschieben. Na die würden sich ja richtig freuen. Am Ende bekamen die noch geld für ihn, dass sie ihn auch nahmen, den Halbzwerg, Sohn einer ihrer zugeteilten Lebensrolle entflohenen Zwergin. Am Ende galt er bei den Zwergen als Missgeburt, einer, der nicht sein durfte. Dann konnten die ihn womöglich sogar mal eben umbringen und es wie einen Unfall aussehen lassen. Nein, dafür war er nicht bei unzähligen Vulkanausbrüchen gewesen, hatte mehrmals mit Lavaströmen um die Wette laufen, sich vor niedergehenden Gesteinsregen in Deckung bringen müssen und gerade noch den rettenden Wagen erreicht, bevor eine 300 Stundenkilometer schnelle Glutwolke ihn trotz Feuerschutzausrüstung geröstet hätte. Nein, so nicht. Jetzt wusste er, dass er auf deren Abschussliste stand und zusehen musste, sich auch ohne Tarnmantel oder Tarnhelm unsichtbar zu machen. Aber dann lief es doch auch auf eine Aufgabe seines Berufes hinaus. Diese langgezogenen Besserwisser wollten sein Lebenswerk ruinieren. Am Ende ließen die es noch wie einen Arbeitsunfall aussehen.

Er hatte noch bis zum 30. April zeit, sich woanders was anderes zu suchen. Nein, er wollte zusehen, an einen ausländischen Arbeitsplatz zu wechseln. Doch wohin? Mal eben in wenigen Wochen anderswo hinzuziehen war aufwändig und kostspielig. Er musste auch zusehen, dass die bezauberte Wohnungstür gegen eine gewöhnliche Tür ausgetauscht wurde. Dazu brauchte er Hilfe. Er musste sich mit denen unterhalten, die ihm die Tür damals eingebaut und seinen Wagen "gewartet" hatten. Also begann er, während Vincenzo Bernini die H-Moll-Fuge in ihre Einzelteile zerlegte, mehrere Briefe zu verschicken. Hoffentlich ließen ihm die anderen noch die Möglichkeit, sich dieser Schikane zu entziehen. Spätestens am zwölften April wollte er sich davonmachen. Die nächsten Tage würde er auch an der Universität die entsprechenden Vorbereitungen treffen. Mann! War er wütend auf Barbaneras Leute.

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Auf der Hacienda Mille Estrellas südöstlich von Lima, Peru, 03.04.2006, 13:40 Uhr Ortszeit

Doña Margarita Isabel de Piedra Roja funkelte mit ihren dunkelgrünen Augen den Telefonapparat an, als könne der was für die Unverschämtheit, die gerade durch ihn an ihr Ohr gedrungen war. Sie musste zweimal durchatmen. Dann sagte sie: "Und das konnte oder wollte mir Don Marco nicht selbst sagen, Señor Ventura?"

"Sagen wir es so, wenn er noch versuchen sollte, mit Ihnen zu reden wäre das bereits ein klarer Verstoß gegen die mit meiner Firma getroffene Übereinkunft, exklusiv nur noch mit uns zusammenzuarbeiten. Abgesehen davon, warum wollen Sie überhaupt eine Estancia in Mexiko erwerben, wo Sie unseres Wissens nach schon zwanzig in Ihrem schönen Land haben?"

"Sie Meinen, warum ich ausgerechnet diese eine Estancia erwerben möchte", korrigierte Margarita den Anrufer. "Ich denke aus demselben Grund, warum Sie oder besser Ihr Client sie erwerben möchte, wegen der schönen Aussicht über das Tal des Rio Bravo. Tja, und an und für sich war ich mit Don Marco da schon handelseinig, habe ihm sogar schon einen Vorschuss bezahlt. Kriege ich den zumindest wieder?"

"Das hat Don Marco mir so nicht erzählt, Doña Margarita. Er meinte, dass Sie sich in die Liste interessierter Bewerber eingekauft hätten. Ob Sie Ihren Vorschuss zurückerhalten wird mein Client befinden, wenn er mit Don Marco handelseinig wurde", erwiderte der Anrufer mit widerwärtiger Geschäftsmäßigkeit.

"Ihr Client sollte das mit dem Vorschuss sehr, sehr gut bedenken. Abgesehen davon dass ich mit Don Marco wie erwähnt schon handelseinig wurde. Falls Ihr Client Wert darauf legt, weiterhin in Frieden und Wohlstand zu leben kann er doch sicher eine andere Immobilie mit guter Aussicht finden. Auch wird Don Marco sicherlich nicht ein mir gegebenes Wort brechen, da ihm sicher auch an einem friedlichen Leben mit seiner Frau und seinen vier Kindern gelegen ist. Und jetzt sagen Sie mir bloß nicht, dass Ihr Client näher an ihm dran ist als ich. Denn Sie wissen nicht, mit wem ich alles zu tun habe. Da Sie meine Geschäftsnummer angerufen haben wissen Sie wenigstens, mit wem Sie gerade sprechen."

"Ich weiß es und er auch, und er lässt Ihnen ausrichten, dass ein weit oben kreisender roter Adler immer einen besseren Überblick hat als eine Löwin im hohen Gras. Das durfte ich Ihnen ausrichten, falls Sie mit Ihrem Ansehen und Ihrem Rang argumentieren sollten."

"Ach, der rote Adler von Merida ist Ihr Client. Dann richten Sie ihm bitte meinen herzlichsten Gruß aus und sagen Sie ihm, dass eine Löwin immer im Rudel jagt und immer ihr Revier und ihre Beute verteidigt. Ich will keinen Streit mit ihm haben. Aber wenn er welchem mit mir sucht werde ich ihm nicht aus dem Weg gehen. Das dürfen Sie ihm von mir ausrichten."

"Dies werde ich tun. - Augenblick, ich erfahre soeben von meinem Clienten, dass er die Estancia erworben und bezahlt hat. Weitere Bemühungen sind daher nicht mehr nötig. Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Zeit, Doña Margarita!" Es klickte im Hörer. Die Verbindung war beendet.

"Esmi, der rote Adler hat sich die Estancia von Don Marco gekrallt. Könnte sein, dass er meint, mir noch einen Denkzettel zu verpassen. Pass also gut auf deinen Liebesritter und den kleinen Jaime auf!" schickte sie eine Gedankenbotschaft an ihre Nichte, die im Stadthaus in Lima wohnte und angeblich als Hauswirtschafterin der Doña arbeitete.

"Hat der überhaupt Zeit, nach Peru zu kommen? Wenn es echt der rote Adler von Merida ist hat der doch genug um die Ohren", schickte ihre Nichte ihr zurück.

"Der kommt doch nicht selbst. Der könnte aber wen schicken, und dann müssten wir uns wehren und möglicherweise antworten. Für den Fall, dass der noch nicht weiß, dass wir die hohen Kräfte nutzen könnte ihn das sehr unangenehm überraschen."

"Und wenn die Gerüchte stimmen, dass der auch magisches Blut in den Adern hat, Tante Gita?" gedankenfragte Esmeralda. "Um so wichtiger ist es, im abgesicherten Bereich zu bleiben, Esmi. Ich kümmere mich weiter ums Kontor und sichere alle Außenstellen der Firma, für den Fall dass er da was anstellen sollte."

"Und Onkel Victor?" wollte Esmeralda noch wissen.

"Sitzt wieder an seinem Hochleistungsrechner und surft auf den dunklen Pfaden seines ehemaligen Reiches. Er hat mir vorhin erzählt, dass es gestern bei New York einen Brand gab und die Nachbarn des Betroffenen besorgt seien, dass der Brand auf ihre Häuser übergreift."

"Ach das Ding mit der schwarzen Müllhalde? Hat mein Liebesritter schon erwähnt. Könnte mit dem Streit zwischen dem Betreiber und seinem Konkurrenten zu tun haben."

"Ja, und der Betreiber hat wohl mit Paredes geredet", gedankenantwortete Margarita. "Vielleicht braucht der deshalb die Estancia."

"Kommst du nachher zum Abendessen ins Stadthaus?" wollte Esmeralda wissen. "Nein, ich erwarte noch Orfea Buenamano, die noch mal nach Aurelio und mir sehen soll. Falls du möchtest kannst du ja zum Abendessen auf die Hacienda kommen."

"Die gute Orfea. Die weiß bis heute noch nicht, was du so alles anstellst", schickte Esmeralda zurück. "Ja, und dabei darf es auch sehr gerne bleiben", erwiderte Margarita.

Sie verabredeten sich für den übernächsten Tag auf der Hacienda, weil sich Margarita gerade nach der eben erhaltenen Nachricht dort immer noch am sichersten fühlte. Einschüchtern oder gar einsperren lassen wollte sie sich jedoch von Paredes nicht. Falls der wirklich Streit mit ihr suchte oder auch nur ausprobierte, wie viel er sich ihr gegenüber herausnehmen konnte, musste sie darauf vorbereitet sein. Esmeralda verstand es. Dann endete die gedankliche Zwiesprache über mehrere hundert Kilometer hinweg.

"Gita, es ist amtlich. Michele beschuldigt Angelo, seine kleine Müllkippe abgefackelt zu haben und er deshalb mehr Stress mit den Schmeißfliegen vom FBI hat. Ich konnte seinen Unterhändler kontaktieren, der meiner Familie noch drei Gefallen schuldet", rief Victor aus seinem "Hobbyraum", wo er einen eigenen Rechner mit der besten Verschlüsselungssoftware aus Europa hatte, die angeblich noch nicht von der NSA geknackt werden konnte.

"Dann wird es wohl doch Krieg in New York geben", sagte Margarita, als sie das Arbeitszimmer ihres offiziell angetrauten betrat. "Womöglich ist es genau das, was der rote Adler aus Merida erreichen wollte, um sich unangefochten dort niederzulassen", fügte sie noch hinzu.

"Sie beide haben den Neunerrat angerufen, also die anderen sieben. Womöglich wird es ein Gipfeltreffen geben, wenn alle neun klarhaben, wann und wie und ohne mögliche Verfolger im Nacken", erwähnte Victor de Piedra Roja. Dann sah er seine Frau an und meinte: "Du siehst immer noch sehr schön aus mit den Polstern."

"Schmeichler", schnarrte Margarita. Denn sie versuchte die durch die Schwangerschaft mit Aurelio zugelegten Pfunde wieder runterzubekommen. Einen Augenblick dachte sie daran, dass sie Victor eigentlich nicht mehr brauchte. Doch dann erkannte sie, dass Aurelio auch eine männliche Ausrichtungsperson brauchte. Doch Victor sollte sehr aufpassen, sie nicht zu verärgern.

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Marie-Laveau-Institut, 03.04.2006, 22:45 Uhr Ortszeit

Als Elysius Davidson sah, dass alle seinem Ruf zu dieser außerordentlichen Mitarbeitendenversammlung gefolgt waren ließ Davidson jeden damit betrauten berichten, was mit den Werwölfen, den Dienern der selbsternannten Nachtgöttin oder den Nachtschatten sei. Bei letzteren war im Moment eine gewisse Ruhephase zu vermelden. Zumindest existierte derzeitig kein Nachtschatten im Föderationsgebiet. Bei den Mondgeschwistern bahnte sich wohl ein neuer Kampf um die Gesamtführung an, weil die Niederlagen der letzten Monate dem Anführer Fino angelastet wurden. Andererseits hatten die Lykanthropen es geschafft, Mexiko und Südamerika von den Dienern der selbsternannten Nachtgöttin zu säubern. Dies sollte jedoch weder eine Sympathie mit den Mondgeschwistern wecken noch zur Beruhigung Anlass geben, das Vampirproblem auf diese Weise aus der Welt verschwinden zu sehen. Davidson fragte nach dem möglichen Zeitpunkt des Machtkampfes.

"Unter dem Vorbehalt, vielleicht doch einer Fehlinformation aufzusitzen, Herr Direktor, werte Kolleginnen und Kollegen wird der Kampf wohl im Mai stattfinden", sagte Horace Chimers, dessen Halbbruder Enrique selbst ein Werwolf und als Spion bei den Mondbrüdern untergekommen war.

"Wissen wir auch, wer der Herausforderer oder die Herausforderer ist oder sind?" wollte Davidson wissen.

"Nach den Informationen unseres Kundschafters hat sich León del Fuego das Anrecht auf einen Entscheidungskampf erworben, ein mexikanischer Lykanthrop, dessen Fellfarbe fuchsrot ist und der als Mensch die seinen Namen bedingende rote Löwenmähne als Haar- und Barttracht führt. Offenbar ist es wegen der Dezimationen in Mexiko zum Unmut der dort noch versteckt lebenden Lykanthropen gekommen. Unser Kundschafter bangt um seine Tarnung, da der sogenannte Feuerlöwe ihn in seine nächste Umgebung beordert hat und er ihm nicht widersprechen darf, solange Fino nichts anderes mit ihm bestimmt. Er teilte mir auch mit, dass im Falle von León del Fuegos Sieg alle Nachkommen Finos, von denen es mittlerweile zwei gibt, entweder schnell getötet oder zum Verhungern im Urwald ausgesetzt werden sollen, um mögliche Bluträcher zu eliminieren. Öhm, dieses hat León del Fuego nur seinen engsten Mitstreitern und seiner Gefährtin erzählt, die da selbst gerade sein drittes Kind austrägt. Näheres hierzu steht ja in meinem letzten Bericht."

"Ja, das ist richtig. Aber die Drohung, alle Nachkommen Finos umzubringen ist für uns alle neu. Soweit ich weiß ist die Mutter des ersten Sohnes von Fino nach Europa abgewandert, als deren Führungsstatus widerrufen wurde, richtig?" fragte Davidson. Chimers bejahte das und ergänzte schnell, dass bis heute nicht bekannt war, wo genau sie sich aufhielt, nur dass sie an einem versteckten ort sei, den auch die Aufspürer des blauen Todeslichtes nicht erfassen konnten. Martha Merryweather bat ums Wort. Sie erhielt es, musste zum sprechen aber nicht aufstehen.

"Das mit dem Nachwuchs sollten die, die sich damit befassen überwachen. Ich erhielt ja vor Zeiten einen Bericht von Monsieur Latierre, dass er drei Lykanthropen in die versteckte Burg des Mondschwesternordens in Frankreich bringen sollte. Diese Mondtöchter sind nicht identisch mit den Lykanthropen, sondern das genaue Gegenteil von diesen und vermögen, die mit der Lykanthropie behafteten Menschen wieder vollständig davon zu befreien, tun dies jedoch nur bei jenen, die sich freiwillig bei ihnen einfinden oder deren Kindern, wenn diese zu ihnen hingebracht werden. Monsieur Latierre erwähnte genau in dem Zusammenhang, dass die Mondtöchter ihm aufgetragen haben, die Kinder der beiden Werwölfinnen zu finden und ebenfalls zu ihnen hinzubringen, um sie vom Fluch des Mondes zu erlösen. Insofern bitte ich hier und jetzt darum, sicherzustellen, dass alle minderjährigen Kinder der Mondgeschwister in Südamerika möglichst vor Mordanschlägen der Erwachsenen geschützt werden, falls und nur falls dies möglich sein sollte."

"Gut gebrüllt, Löwin", knurrte Chimers. "Sie sitzen meistens hinter diesen elektrischen Wissens- und Nachrichtensammel- und Weitergabegeräten und haben keine Ahnung davon, wie gefährlich es ist, sich mit fanatischen Leuten im direkten Kampf auseinanderzusetzen."

"Jeder kämpft an seiner oder ihrer Front", intervenierte Davidson unverzüglich und fügte hinzu: "Mrs. Merryweather ist für uns mit ihrer Form der Wissenssammlung und -ergänzung ebenso unschätzbar wertvoll wie Sie, Kollege Chimers, zumal Sie ja wegen der Verbindung mit Ihrem Halbbruder auch von allen aktiven Kampfeinsetzen freigestellt wurden, um uns nicht verlorenzugehen. Dies möchte ich eindeutig klarstellen. Also unterlassen Sie solche Äußerungen wie eben gerade in Zukunft! Weil sie das gerade vor allen hier versammelten Kollegen taten muss ich das als gebürenpflichtige Rüge einordnen."

"Schon verstanden, Sir, jeder oder jede an der eigenen Front", grummelte Chimers, der sich von mehreren Kolleginnen und Kollegen tadelnde Blicke gefallen lassen musste.

"Sie haben vorgelesen, dass die Veelas vorschlagen, dass die dunkle Hexe Ladonna erneut in dauerhaften Tiefschlaf versenkt oder durch Macht- und Mobilitätsentzug an der Ausübung ihrer dunklen Handlungen gehindert werden soll. Wie stellen die sich das vor?" wollte Mia Silverlake, die Heilerin des LIs wissen.

"So wie ich es verlesen habe so, dass wir oder andere gegen sie antretende Organisationen oder Einzelpersonen Mittel finden oder erfinden sollen, um sie dauerhaft in Tiefschlaf zu versenken, was ja auch einem Macht- und Mobilitätsentzug gleichkommt oder sie in ein ausbruchssicheres Gefängnis ohne Möglichkeit der Verständigung nach draußen einschließen."

"Ja, aber dann müsste sie dauernd mit Nahrung versorgt werden. Würde eine vollständige Wiederverjüngung auch helfen?" fragte Mia. Alle sahen sie an, weil alle wussten, was sie meinte. Davidson wiegte den Kopf. Dann sah er Sheena O'Hoolihan an, die sich gemeldet hatte. Sie stand auf und sagte: "Die Wiederverjüngung ist bei Veelas und grünen Walldfrauen nicht möglich, weil deren PTR über 900 liegt, ähnlich wie bei halben oder vollständigen Riesen. Machtentzug könnte ihr nur auferlegt werden, indem sie in eine Art Coonservatempus-Einkerkerung gesperrt wird. Wenn sie dann noch in einen dauerhaften Tiefschlaf versenkt würde entfiele die ständige Nahrungsversorgung, sie könnte sogar als fasttote in einem Sarg und einem Grab eingeschlossen werden. Dieses müsste dann jedoch derartig abgesichert werden, dass es nicht wieder geöffnet würde. Sonst würden wir alle Probleme mit ihr in eine spätere Zeit verschieben und nicht endgültig aus der Welt schaffen." Alle nickten. Es gab schon mehr als genug Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit, die in diesen Monaten wieder aktiv wurden. Da mussten sie nicht selbst eine solche Hinterlassenschaft erzeugen, unter der eine künftige Generation zu leiden hatte.

"Gut, das geht auch als Auftrag an die Abteilung Ausrüstung und Kampfmittel von Mr. Hammersmith: Finden oder erfinden Sie mindestens eine brauchbare Methode, Ladonna Montefiori ohne sie zu töten dauerhaft unschädlich zu machen."

"Herr Direktor, womöglich gibt es schon jemanden, der oder besser die diese Methode kennt und beherrscht", meldete sich Jane Porter zu Wort. Alle sahen die für den großen Rest der Zaubererwelt für tot erklärte Mitstreiterin an. Diese erhob sich und sagte mit einem Ernst, den niemand anzweifeln konnte: "Die Oberste der Spinnenschwestern hat ja behauptet, das Erbe Sardonias angetreten zu haben. Womöglich ist damit auch Sardonias Wissen um dunkle Künste und die Beseitigung unliebsamer Gegner gemeint. Auch wenn es mir selbst widerstrebt, diesen Vorschlag einzubringen, liebe Kolleginnen und Kollegen, so sollten wir es zumindest in Erwägung ziehen, sie zu fragen, wie Sardonia es damals vollbracht hat, Ladonna auf Dauer handlungsunfähig zu machen, ja sie in eben diesen scheintodartigen Zustand zu versetzen, dass sie sogar in einem unaufbrechbaren Sarg in der Tiefsee versenkt werden konnte." Nicht wenige sahen Jane Porter verdutzt bis ungehalten an. Nur Martha Merryweather und Sheena O'Hoolihan nickten ihr zu. Da sprang Quinn auf und rief: "Wir wissen auch eine Menge von Schlafzaubern, Jane. Wir kriegen das auch ohne den Tanz mit einem Drachenweibchen hin." Seine direkten Untergebenen nickten wild und entschlossen. Darauf sagte Davidson sehr entschieden: "Dann kriegen Sie das hin, Mr. Hammersmith! Das ist ein Befehl."Quinn Hammersmith bestätigte es und setzte sich wieder hin. Alle sahen ihm an, dass er sich jetzt erst recht herausgefordert fühlte.

Nun ging es darum, was denn geschehen sollte, falls Ladonna es wider alle Erwartungen schaffen sollte, auch die Föderationsadministration zu unterwerfen. Es wurde ein klarer Aktionsplan mit entsprechenden Meldestufen ausgearbeitet, der in dem Moment umgesetzt werden sollte, wenn das Institut Auffälligkeiten bei den Mitgliedern des Rates feststellen musste oder eben dieser Rat beschließen sollte, das Laveau-Institut vollständig in die Zaubereiadministration einzubinden.

Nun ging es um die am Vortag beschlossene Nachuntersuchung von Cecilia Garmapak. Diese wirkte sehr besorgt aber zugleich auch sehr entschlossen. Sie sah alle an und begann ihren Bericht.

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte bereits gestern eine starke Vermutung, wie dieser verheerende Brand gelegt wurde. Doch ich brauchte Gewissheit. Diese habe ich nun. Es handelt sich dabei um ein von den Völkern der Azteken und des Inkareiches ersonnenes und von dunklen Vertretern ihrer magischen Leute mehrfach genutztes Ritual, das Ritual des brennenden Blutes. Es wird auch als Ritual des Feuerherzens bezeichnet und gilt seit der Erfindung als Opferritus für den jeweiligen Kriegsgott. Damit können entweder lebende Menschen, oder lebendig ihrer Herzen beraubte und zu Stufe-3-Wiedergängern umgewandelte Diener den Keim des brennenden Blutes in sich empfangen und entweder in einer Gruppe von mindestens drei, bestenfalls zwölf Leidensgefährten alles in Wirbeltieren, tot oder lebendig enthaltene Blut in ein heißes Feuer umwandeln, wie es im feurigen Schoß von Pacha Mama, unser aller Mutter Erde, lodert. Sie können auch, und das spricht eher für ferngelenkte Zombies, durch eine selbst herbeigeführte Verletzung den Keim des brennenden Blutes durch geschlossene Türen übermitteln, am besten dann, wenn sie sich eine tödliche Verwundung zufügen. Wer so einen Todesboten mit den für die Vernichtung von Zombies wirksamen Mitteln zerstört löst eine spontane Freisetzung des blutroten Feuers aus und vernichtet sich damit selbst. Denn das blutrote Feuer, wenn einmal entfacht, kann ohne direkte Berührung bis zu fünfzig Schritten Entfernung einen Funken in die Körper lebender Wesen mit Blutkreislauf übertragen, der je nach Entfernung innerhalb eines Blinzelns zu rotem Feuer auflodert oder zu einer immer stärkeren Hitze im Körper wachsen, bis die Schwelle von Leben zum Tod überschritten ist. Passiert dies geht sämtliches Blut des oder der Betroffenen in rotem Feuer auf und bleib solange bestehen, wie es in erwähnter Reichweite durch Adern strömendes oder vergossenes Blut gibt, um weitere Feuer zu entzünden. Ähnlich wie das blaue Schmelzfeuer breitet sich dieser Brand solange aus, wie es auf Wesen aus Fleisch und Blut treffen kann. Ist keines mehr in der Reichweite verbleibt es so lange auf erreichter Ausdehnung, wie es mehr oder weniger blutreiche Opfer bekommen hat. Es gibt zwei wirksame Mittel gegen diese Vernichtungskraft: Im natürlichen Feuer geschmiedetes oder gegossenes Metall oder im natürlichen Feuer gebrannte Keramik wie Ton oder Porzellan. Deshalb wirkten die Wände des Metallhauses dem direkt darauf eintreffenden roten Feuer größtenteils entgegen, aber nicht vollständig. Die drei Brüder bekamen doch noch einen winzigen Funken davon ab und erlitten die steigende Überhitzung bis zum Tod und der damit verbundenen Selbstentzündung. Weil zu dem Zeitpunkt wohl noch genug Kleingetier im brennenden Müllberg war und wohl auch noch außerhalb davon in Erdhöhlen hauste konnte sich das Feuer aus dem Metallhaus hinausbrennen und mit seinem größeren Geschwister vereinigen. Als dann kein Wesen aus Fleisch und Blut mehr in der Ausdehnung oder der Reichweite für neue Zündfunken weilte verging es nach der Zeit gemessen an seinen Opfern. Zu den wirksamen Gegenmitteln kann ich noch sagen, dass geschmiedetes oder gegossenes Metall und / oder gebrannte Keramik mit den Schutzritualen von Pacha Mama und Mama Killa belegt werden können, die ich beherrsche. Dann wirken die Schutzstoffe tausendmal stärker als unbehandelt. Ich kann es auch so sagen, wenn die Wände des Metallhauses doppelt oder dreifach so dick gewesen wären hätten die darin ausharrenden überlebt. Jedenfalls haben die drei nur mitbekommen, dass ihre elektrischen Gerätschaften ausfielen und dass der Müllberg in Brand geraten war. Sonst wussten sie zum Zeitpunkt ihres Todes nicht, was sie tötete. Allerdings argwöhnte einer der drei, dass es mit den dunklen Mächten der von Christen und Muslimen geglaubten Hölle zu tun haben könnte. Mehr bekam ich nicht heraus, da die drei keine Angehörigen des Volksstammes meiner Mutter waren, nur dass es wirklich drei Brüder waren konnte ich erfahren."

Davidson fragte noch die anderen Teilnehmer der zweiten Untersuchungsgruppe. Sie alle bestätigten, dass es ein böswilliger Zauber mit Anteilen der Erde und des Feuers war. Die sich mit altägyptischer Magie auskennende Samira Al-Assuani verglich den Zauber mit dem Kampf zwischen dem Sonnengott Ra und den Mächten der Unterwelt, durch die er jede Nacht reisen musste, um am Morgen wieder im Osten aus der Erde aufzusteigen.

Alle anwesenden einschließlich der Gruppe Thaumaturgen und Alchemisten um Quinn Hammersmith hatten sehr aufmerksam zugehört. Als Quinn dann ums Wort bat fragte er, ob er mit der halbindigenen Hexe zusammen an Schutzausrüstung arbeiten konnte. Das wurde ihm gestattet. Dann fragte Sheena O'Hoolihan, ob sich der Nutzer oder die Nutzerin dieses Fluches nicht selbst gefährdete. Darauf sagte Cecilia Garmapak: "Nur wenn er oder sie in der Reichweite des freigesetzten Feuers ist und keine auf sein Blut angewandten Schutzzauber des Mondes und der Erde am oder im Körper trägt. Silberhaltige Tränke, die in silbernen Kesseln angerührt wurden konnten wohl vorbeugend gegen den Fluch des brennenden Blutes schützen, mit einem Talisman der dem Mond verbunden war womöglich sogar dauerhaft. Jeff fragte, ob das auch für silberhaltige Flüssigkeiten galt, die direkt in die Blutbahn gespritzt würden. Darauf erwiderte die institutseigene Heilerin Mia Silverlake: "Das Silber eine infektionsmindernde Wirkung hat wissen mittlerweile auch die nichtmagischen Heilkünstler. Aber hier gilt Paracelsus' Wort, dass die Dosis zwischen Heilmittel und Gift entscheidet. Silber kann nicht vom restlichen Körper abgebaut werden und lagert sich dann wohl in den Entgiftungsorganen Leber und Nieren ab, was bei ständiger Zufuhr genauso tödlich sein kann wie ein Geschoss aus Silber direkt ins Herz, ob für uns oder für Lykanthropen. Daher rate ich sehr dringend von Versuchen mit der Verabreichung durch Einspritzung ins Blut wie bei den Nichtmagiern ab."

"Erarbeiten Sie bitte mit Ms. Garmapak die Möglichkeiten, auf Silber basierende Schutztränke zu brauen, wenn wir darauf gefasst sein müssen, diesem Zauber entgegenzutreten! Bei der Gelegenheit, Kollegin Garmapak, es wäre ganz im Sinne unserer funktionsfähigen Arbeitsgemeinschaft, wenn solches Wissen wie jenes, das Sie gerade vermittelten, wesentlich früher als bei einem akuten Anwendungsfall zum allgemeingut des Institutes wird", sagte Davidson mit hörbarem Tadel. Dann fragte er, wie sie gegen die möglichen Verdächtigen vorgehen sollten, wenn ausreichende Schutzmittel verfügbar waren. Jeff erwähnte noch einmal, wen er für fähig hielt. Darauf erhielt er die Antwort, dass der Sprecher der freien Gesellschaft gegen dunkle Erbschaften und gefährliche Zauberbestien Guillermo Fernando Casaplata Augusto Xocotl Paredes auch schon überprüft habe, da dessen Machtzuwachs bei den Anhängern indigener Zauberkunst schon besorgniserregend sei. Dabei sei herausgekommen, dass er um seine fünf Liegenschaften eine uramerikanische Version des Blutfeuernebels erzeugt habe, wie ihn die wiedererweckte Hexe Ladonna Montefiori um das von ihr in Besitz genommene Landhaus bei Florenz beschworen habe. Man könne also nicht zu ihm vordringen. Auch keine Fernflüche kämen durch. Zwei Mitarbeiter der mexikanischen Gruppe gegen dunkles Zauberwerk und bösartige Zauberwesen seien beim Versuch, ihn auszukundschaften erblindet und ertaubt. Einer von ihnen habe einen Heraustreibefluch der Azteken gewirkt, mit der sehr unappetitlichen Folge, das sein Körperinneres nach außen gekehrt wurde. "Casaplata warnt deutlichst davor, dass Paredes ein Meister dunkler Rituale der Azteken ist und alles, was ihn von außen bedrohen kann kennt und von sich fernhalten kann. Er meinte mit verständlichem Missmut, dass nur Paredes Paredes mit Magie töten könne", sagte Davidson.

"Kennt er auch die fleischlosen Vollstrecker?" fragte der sowohl als Zauberstabnutzer wie Inuitschamane ausgebildete Louis Anore.

"Nichts für ungut, Kollege Anore. Aber bevor wir uns hier in weiteren Vorstellungen versteigen, wie wir selbst schwarze Magie gegen Verdächtige anwenden weise ich noch einmal darauf hin, dass in unseren Statuten der mutwillige offensive Gebrauch schwer bis gar nicht umkehrbarer Schadenszauber verboten ist und mit Ausschluss aus dem Mitarbeiterstab und einer möglichen Strafanzeige bei ... nun ja, der zuständigen Zaubereiadministration geahndet wird. Die wundersam von den Toten wiedergekehrte Kollegin Porter", wobei er die nicht zufällig im Hintergrund sitzende Jane Porter ansah, "manövrierte in der Affäre Hallitti und Richard Andrews sehr nahe an einer solchen Strafanzeige entlang, entging ihr nur, weil sie nachweislich das Wohl und Leben des von ihr beschützten Julius damals noch Andrews verteidigen musste. Ja, und bevor Sie es erwähnen, Mrs. Porter, damals stand ich noch auf dem Standpunkt, dass eine geheimhaltung der Umtriebe dieses Succubus Hallitti für die Allgemeinheit besser sei. Ich habe Ihnen ja schon nach dem Prozess gegen Sie und den dabei aufgekommenen Enthüllungen rechtgegeben, dass ein klarer Widerstand und eine Aufklärung der magischen Bevölkerung sinnvoller gewesen wäre. Aber dieser Kessel ist ja schon länger erkaltet, um ihn noch einmal anzuheizen. Vielen Dank.

"Und wenn es nicht Paredes, sondern Margarita de Piedra Roja in Peru ist?" wollte Justine Bristol wissen. "Dann ist es eben so, dass sie in Peru ist. Da sind wir leider nicht zuständig, was vor allem nach der Aktion mit dem Stützpunkt Vita Magicas in Chile mehrfach bekräftigt wurde, da die dortige Zaubereiadministration keine Einmischung aus den Staaten dulden wird und ja auch zu stolz ist, um unsere Hilfe zu bitten. Das gilt ja leider für die allermeisten lateinamerikanischen Zaubergemeinschaften", grummelte Elysius Davidson.

"Stimmt, weil sonst hätten wir diese Inkapriesterin, die damals die Nationalmannschaft mit unerhörtem Dauerglück gesegnet hat längst zur Verantwortung ziehen können", sagte Cecilia Garmapak. Alle stimmten ihr zu.

"also müssten wir warten, bis Margarita de Piedra Roja mit eindeutig magischen Mitteln auf unserem Hoheitsgebiet hantiert, um sie zu belangen und das auch nur, wenn sie auch auf unserem Hoheitsgebiet ergriffen werden kann", grummelte Jeff Bristol. "Das haben Sie ganz richtig erkannt, Kollege Bristol", bestätigte Direktor Davidson nicht minder ungehalten.

"Es sei denn, sie bedroht unmittelbar Zaubererweltbürger aus unserem Zuständigkeitsbereich", versuchte Jeff eine Nische in der Gesetzesauslegung zu finden. "Ja, wenn sie dies mit magischen Mitteln tut, Kollege Bristol", verdarb Davidson die winzige Hoffnung des Kollegens. Justine fügte dem noch hinzu: "Weil sie genau das weiß und weil sie weiß, dass wir in den Staaten gut aufgestellt sind wird sie sich hüten, hier bei uns irgendwas magisches anzustellen. Dass sie ihr in Peru noch nicht aufs Dach gestiegen sind kann daran liegen, dass sie sich bei der dortigen Zaubereiverwaltung noch nicht unbeliebt gemacht hat oder im Gegenteil ein paar sehr gute Freundinnen oder Freunde da hat."

"Hallo, bitte nicht wieder dieses Klischee von den korrupten südamerikanischen Staaten, Kollegin Bristol", schritt Cecilia Garmapak ein. Doch Jeff sprang seiner Frau bei, genau wie Jane Porter. Sie argumentierten, dass der sogenannte Zaubererstolz gerade durch die Kolonialherrschaft und den Konflikt zwischen den Kulturen noch mehr Nahrung erhalten habe und dass sich die südamerikanischen Hexen und Zauberer im Zweifel immer gegen die Zaubereibehörden der USA zusammenschlössen, wenn einer oder einem aus den eigenen Reihen was angehängt werden sollte. Jane Porter konnte da sogar konkrete Fälle benennen, die auch Davidson und O'Hoolihan kannten und deshalb nicht abstreiten konnten. Dann erschlug Jane die Debatte um eine Handhabe gegen Margarita de Piedra Roja mit einem entscheidenden Satz: "Tja, und die wird sich ebenso wie Paredes vor allen Feinden schützen, wenn sie selbst immer wieder welche heranzüchtet, indem sie den nichtmagischen Rauschgiftmarkt bedient." Das wirkte vor allem bei Cecilia Garmapak, die sich mehr als Jane ausmalen konnte, welche Abwehrrituale eine den Inkazaubern kundige Hexe, die eher den dunklen Mächten zugeneigt war, aufbieten mochte.

"Somit halten wir fest, dass wir zwar wissen, was diese unerlaubte Abfallsammelstätte verheert hat, haben auch mögliche Verdächtige, kommen aber nicht an diese heran, um sie näher zu befragen. Jedenfalls ist es richtig, Kollege Bristol, wenn Sie in ihrer Tarnidentität als Zeitungsreporter der New York Times den Brand der Müllhalde als durch unsachgemäße Zusammenbringung reaktionsfreudiger Stoffe behandeln, so wie die Föderationsagentin Friley es Ihnen bereits anempfohlen hat. Sie muss ja nicht wissen, dass wir diesen Fall eigenständig untersucht haben. Ja, und wir wurden bis zur Stunde nicht offiziell um Hilfe bei der Untersuchung dieses Vorfalls gebeten, obwohl die ambitionierte und leider was Zauberwesen angeht sehr intolerante Ms. Bullhorn so vollmundig behauptet hat, mit uns zusammenarbeiten zu wollen", sagte Davidson abschließend. Dann durften alle Kolleginnen und Kollegen wieder nach Hause.

"Der würde am liebsten selbst nach Mexiko reisen und diesen Paredes ausfragen, Jeff. Aber wenn selbst die Compañeros von der Sociedad libre sich nicht an den rantrauen, die sicher ein paar Altzauberkundige haben, dann wagt sich Davidson das erst recht nicht", sagte Justine zu ihrem Mann, ehe sie sich hinlegten. Da Laura Jane auch diese Nacht bei ihren Großeltern bleiben durfte nutzten sie die Gelegenheit, vielleicht ein Geschwisterchen für sie auf den Weg zu bringen.

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Das Haus von Albertrude Steinbeißer auf der Lüneburger Heide, 03.04.2006, 22:30 Uhr Ortszeit

Sie waren wie die hungrigen Katzen, die trotz überlautem Magenknurren vor dem Mauseloch ausharrten, dachte Albertrude Steinbeißer, als sie ganz leise in einem Kilometer Entfernung von ihrem Wohnhaus apparierte. Auf diese Entfernung konnte sie die neun getarnten Zauberer noch gut als halbdurchsichtige Gestalten sehen, die versuchten, die Schutzzauber zu zerstreuen, die das Haus umgab. "Narren!" dachte die Verschmelzung aus Albertine und Gertrude Steinbeißer. "Die wissen doch dass ich immer noch die Kunstaugen habe und sie von drinnen oder draußen erkennen kann. Denken die, dass mich ihre Belagerungstaktik zermürbt?"

Da sie nicht die Macht der Mentalaudition besaß, die von den Magieunfähigen Telepathie genannt wurde, wusste sie nicht, was genau die neun Belagerer vorhatten. Sie wusste jedoch, dass sie alle unter Ladonnas Bann standen. Deren Anführer Oswald Holzschnitzer gehörte zur Lichtwache Norddeutschland und war nach der von Albertrude und Gesine Feuerkiesel ermöglichten Flucht von zwanzig Lichtwächterinnen um zwei Stufen aufgestiegen, vom Hauptmann zum Oberstleutnant. "Welche Ehre", dachte Albertrude mit gallenbitterer Ironie.

Jetzt sah die aus zwei zu einer gewordene Hexe mit ihren Kunstaugen, wie Holzschnitzer sich auf einen Donnerkeil 21 schwang und waagerecht nach oben stieg. Dann bugsierte er den Besen im Schönwetterwolkenmodus langsamer als Schrittgeschwindigkeit über das Haus, wobei er tunlichst außerhalb des bereits von Albertine und nach der Verschmelzung von Albertrude verstärkt worden war. Er wandte den Besen in Ostrichtung. Die acht auf dem Boden gebliebenen Kameraden bildeten nun einen in 45-Grad-Abschnitte eingeteilten Kreis, wobei sie mit Hilfe von kleinen Aufsteckkompassen für Besen die Haupt- und Halbhimmelsrichtungen bestimmten. Sie stellten sich dann mit den Gesichtern dem Grundstück zugewandt. Albertrude erkannte schon, worauf das hinauslaufen sollte: "Campana siderum omnivorans, die allverschlingende Sternenglocke. Die wollten es also mit Astrahlzauberei probieren.

Holzschnitzer zielte mit dem Zauberstab nach schräg unten. Sein Kamerad im Osten richtete seinen eigenen Zauberstab so aus, dass beide Stabspitzen die Endpunkte einer Geraden bildeten. Dann sprangen silberne Funken von Holzschnitzers Stab auf den Stab von Hilmar Gurkenwald, einem Lichtwächter aus Thüringen. Albertrude grinste in sich hinein. Vielen anderen wäre jetzt schon der kalte Angstschweiß aus den Poren gequollen, wenn sie erkannt hätten was ihr klar wurde. Der Ranghöchste musste acht aus den betreffenden Himmelsrichtungen stammenden Kameraden die Initialkraft geben. Danach würden die acht diese mit der zweiten Anrufung die allverschlingende Sternenkuppel errichten, die sich immer enger zusammenziehen und jeden von ihr berührten Abwehrzauber aufzehren würde. "Leute, in dem Haus wohnt eine Hexe, die zweimal im Haus Mondenquell gelernt hat und die Stätte der geächteten Schwestern vom Nil besucht hat. Lest mal eure Dossiers, ihr Stümper", dachte Albertrude. Doch auch wenn sie ahnte, was gleich passieren würde wollte, ja musste sie sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen.

Holzschnitzer hatte Gurkenwalds Zauberstab zum leuchten gebracht wie eine dieser grell flirrenden Neonröhren der Magieunfähigen. Dann schickte er auch dem aus Sachsen stammenden Kollegen Silbergruber jenen silbernen Funkenstrahl, bis dessen Zauberstab in ganzer länge weißblau flirrte. Tja, mit der Tarnung war es jetzt vorbei, weil ein Astralzauber alle anderen Licht- und Illusionszauber überlagerte, sobald mehr als drei Personen damit hantierten. Jetzt bekam der aus Oberbayern stammende Lichtwächter Georg Hirtenau die Kraft von den Sternen überreicht. Drei leuchtende Zauberstäbe erhellten geisterhaft die Nacht. gut, die Sternenbeschwörer wussten, dass die von ihnen gesuchte nicht im Haus war. Aber sie wollten da rein, um nach Hinweisen auf ihren Verbleib, am besten noch ihr geheimes Tagebuch zu finden.

Jetzt erstrahlte auch Urban Wasenkräutles Zauberstab. Sollte Albertrude dem Unsinn ein Ende machen, bevor noch wer zu Schaden kam? Nein, was Gertrudes Sein in ihr war wollte sie leiden sehen für ihren Hochmut und ihre Einfalt.

Lutz Klingenschmidt aus dem Kölner Zaubererviertel Rhingdanzer hielt den gerade von Holzschnitzer aufgeladenen Zauberstab weiterhin schräg nach oben, während sich Holzschnitzer gleich einem von sachten Wind gedrehtem Wetterhan nach Nordwesten ausrichtete und den von der Insel Feensand stammenden Lichtwächter Knut Salzsieber auflud. Fehlten nur noch zwei, um die große Schau zu beginnen, dachte Albertrude.

Hein Katzenfels aus Flensburg und Jost Glasbrenner aus dem Zaubererdorf Güldensand am Rande des Rostocker Waldes waren die beiden letzten, deren Zauberstäbe mit einer magischen Kraft aufgeladen wurden. Nun hielt Holzschnitzer seinen eigenen Zauberstab kerzengerade nach unten auf den Mittelpunkt der acht magischen Geraden gestreckt. Albertrude dachte daran, wie zu Gertrudes Zeiten noch ein sonst nicht so schnneller Spazierflugbesen vom Typ Wolkenkoser 4 benutzt werden musste, um auf der Stelle zu schweben und sich um die Hochachse zu drehen und dass ein Wolkenkoser nicht gerne bei Nacht geflogen wurde, weil er das Licht der Sonne durch die Wolken als zusätzliche Treibkraft brauchte.

Jetzt geht's los, dachte Albertrude, als sie sah, wie die acht auf dem Boden bereitstehenden im Chor sangen und aus den in voller Länge gleißenden Zauberstäben weißblaue Funken nach obenschwirrten, genau auf die nun wieder silberne Funken versprühende Zauberstabspitze Holzschnitzers zu. Es entstanden acht gerade Funkenströme, die immer dichter und immer breiter wurden und innerhalb einer halben Minute zu einer einzigen, silberblauen Lichtkuppel zusammenfanden. Albertrude ging im Geist die so zeitgleich wie möglich zu deklamierende Formel durch und nickte. Sie hatten ganze sechs Durchläufe gebraucht, um die allverschlingende Sternenkuppel zu errichten. Jetzt riefen sie wohl alle die letzte Zauberformel in diesem Ritual: "Totum resistentem devorato!" Tatsächlich zog sich die strahlende Kuppel nun mehr und mehr zusammen. Da erzitterte sie unter von innen her auf sie überschlagenden roten und blauen Blitzen. Diese gaben ihr jedoch eine höhere Geschwindigkeit. Sie zog sich noch enger. Dann, als sie gerade auf drei Viertel des von Albertrude abgesicherten Raumes zusammengeschrumpft war, Schoss vom Boden ein silberner Lichtstrahl nach oben, traf den Scheitelpunkt der Glocke und ging durch diesen hindurch. Zeitgleich sah es so aus, als würden sämtliche Mondstrahlen sich zu einer einzigen breiten Lichtsäule verdichten und sich mit der vom Boden wachsenden Säule vereinen. Da blähte sich die silberblaue Glocke blitzschnell auf, und wuchs auf mehr als die vierfache Grundausdehnung. Dabei traf sie auf die ihr immer noch entgegengerichteten Zauberstäbe. Diese zerbarsten in silbernen und blauen Feuerbällen wie in ein Kohlenfeuer geworfene Wunderkerzen. Die neun Zauberer wurden von der Wucht der sich aufblähenden Glocke in ihre Himmelsrichtungen davongeschleudert. Holzschnitzers Besen wurde von der magischen Lichtglocke getroffen und zerplatzte unter dem Gesäß seines Reiters, der genau wie seine Kameraden mehrere Meter in die Luft geschleudert wurde. Die sich aufblähende Glocke zerbarst selbst. Doch die dabei freiwerdenden Lichtentladungen wurden von den neun Sternenzauberern aufgefangenund einverleibt.

Nun glühten die neun Beschwörer in silbernem Licht auf. Albertrude wusste nicht, ob es die besonderen Funktionen ihrer Kunstaugen waren oder es auch für Normaläugige so aussah. Sie sah für mehrere Sekunden die Knochengerüste der neun hellblau durch die restliche silberne Erscheinung leuchten. Die neun soeben ihres Scheiterns gewahr werdenden flogen weiter und weiter davon. Holzschnitzer trieb dabei vom Mittelpunkt des Grundstückes weg. Offenbar wirkte in seiner Höhe ein spürbarer Wind. Sie rasten mit unverminderter Geschwindigkeit über das Land hinweg. Albertrude argwöhnte, dass einer von ihnen an ihr vorbeifliegen würde und um gab sich mit einem Unsichtbarkeitszauber. Da trieb Georg Hirtenau rechts von ihr und mehr als hundert Meter über ihr vorbei, ohne dass er einen Laut von sich gab.

Dann wurden alle gebremst, standen für eine Sekunde auf der Stelle und flogen wieder schneller werdend in die Gegenrichtung zurück. Wieder überquerte Hirtenau sie. Sein Körper glühte nun dämmerblau, und er stieß derbe Beschimpfungen in seinem Heimatdialekt aus. Seine Stimme klang dabei so verwaschen, als riefe er jemanden bei starkem Wind etwas zu. Kurz vor dem erreichen ihrer Ausgangspositionen entlud sich das blaue Leuchten aus ihren Körpern und jagte wie ein Bündel Feuerwerksraketen in den Nachthimmel. Das bremste ihren Flug auf dem Punkt. Sie filen die letzten Meter zu Boden und titschten davon ab wie prallgefüllte Quaffel. also trugen sie wenigstens Drachenhautpanzerkleidung, vom Schuhwerk bis zu den Hüten, um Stürze aus bis zu fünfzig Metern Höhe unversehrt zu überstehen, dachte Albertrude. Einerseits war sie deshalb ein wenig enttäuscht, weil sich die neun Sternenzauberer nicht selbst umgebracht hatten. Andererseits war sie erleichtert, dass die Opfer Ladonnas nicht für dieses anmaßende Weib ihre Leben hatten geben müssen, noch nicht. Doch Albertrude war sich sicher, dass sie neue Angriffe auf sich auch mit tödlicher Gewalt abwehren würde, ob es fremdbestimmte Erfüllungsgehilfen oder aus eigenem Willen handelnde Gegner waren. Jedenfalls würden sie sich an diesen fehlgeschlagenen Versuch erinnern, zumal sie jetzt keine Zauberstäbe mehr hatten. Aber sie hatten noch Besen, die sie aus ihren unsichtbaren Rucksäcken holten. Holzschnitzer musste erst den immer noch herumpolternden Hirtenau beruhigen. Dann konnte er hinter Gurkenwald auf den Besen steigen. Da sie keine Zauberstäbe mehr hatten, aber ansonsten unversehrt geblieben waren, mussten sie erst einmal weg von hier, um sich neue Zauberstäbe auszuwählen.

"Der Schildwall der Mondgöttin, ihr Vollidioten. Ein Ägypter hätte euch jetzt in Grund und Boden gelacht, genauso wie jede Tochter des grünen Mondes", amüsierte sich Albertrude, als die neun gescheiterten Belagerer aus ihrer vergrößerten Sichtweite verschwunden waren.

Sie musste noch einige Minuten warten, bis die zwischen Erde und Mond stehende Säule übergangslos verschwand und sich das Mondlicht wieder auf ganzer Fläche verteilte. Dann apparierte sie mühelos in ihrem Haus und vollzog mit ihrem eigenen Blut die Auffrischung des Schildwalls der Mondgöttin. Solange die da draußen dachten, sie lebe noch hier konnten sie gerne versuchen, das Haus zu erobern. Außerdem wollte sie ja, wenn es gelang, Ladonnas Macht in Deutschland zu brechen, offiziell wieder hier leben. Doch wegen Prunella konnte sie nicht riskieren, hier erwischt zu werden. So holte sie noch die vor dem 18. März gekauften Wochenwindeln für Prunella und drei weitere Kleider, die sie bei besonderen Anlässen tragen wollte. Immerhin wollte Anthelia mit ihr und allen anderen Hexen wieder Walpurgisnacht feiern.

Als sie alles hatte, was sie in ihr neues Versteck mitnehmen wollte disapparierte sie wieder. Ihr Haus auf der Lüneburger Heide blieb zurück, gut beschützt von mehrfachen Abwehrzaubern.

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Haus Tyches Refugium bei Boston, 03.04.2006, 21:15 Uhr Ortszeit

Anthelia/Naaneavargia ließ sich berichten, wie die europäische Zauberergemeinschaft die Grenzöffnung Italiens aufgenommen hatte. Sie nickte, als sie erfuhr, dass bis auf Frankreich alle benachbarten Zaubereiministerien den freien Zugang nach Italien begrüßten. "Was die so frei nennen", sagte die höchste Spinnenschwester. Dann fragte sie die ebenfalls im Versammlungsraum des gesicherten Hauptsitzes des Spinnenordens eingetroffene Albertrude Steinbeißer, wie es ihr in den Tagen nach Ladonnas Eroberung ergangen sei. Diese erwiderte schnippisch: "Wie es einer Flige ergeht, die in einem Haus eingeschlossen ist und jedesmal gejagt wird, wenn sie offen herumfliegt, höchste Schwester. Aber wie eine Fliege kann ich früh genug erkennen, wer nach mir schlägt und davonfliegen, solange ich genug Ausweichmöglichkeiten habe. Ich darf mich nur nicht an einer Wand aufhalten." Dann erwähnte sie noch, dass Gesine Feuerkiesel, die Stuhlmeisterin der deutschen Schwestern der Schweigsamkeit mit den Entflohenen weiterhin zusammenarbeitete und dass der elektronische Kontakt mit den noch uneroberten Zaubereiministerien bestand.

"Ladonna hat Angst vor der Aura einer Veelastämmigen oder einer reinrassigen Veela. In Großbritannien wohnen zwei davon, in Frankreich mehr als zwanzig. Je reinblütiger eine Veelastämmige ist, desto mehr Ausstrahlung besitzt sie. Auch wird das, was den drei übereifrigen Hexen Ornelle Ventvit, Nathalie und Belle Grandchapeau widerfuhr eine gewisse Abschreckung bieten. Sie müssen nur auf der Hut sein, dass Ladonna nicht auf die Idee kommt, sie durch unbeeinflusste Mittelsleute töten zu lassen. Gelingt ihr das gehört ihr die europäische Mittelmeerküste."

"Das ist wohl wahr. Aber hast du nicht erwähnt, dass sich alle Beamten des französischen Zaubereiministeriums nach Millemerveilles abgesetzt haben? Dort wirkt doch diese neue Schutzglocke, höchste Schwester." Anthelia nickte. Sie selbst hatte es ja mitverfolgt, wie Julius Latierre und mindestens zwei Kinder Ashtarias mit den alten Zaubern großer Elementarmacht und Kräfte von Licht und Leben dieses neue Schutznetz gegen böswillige Eindringlinge errichtet hatten, ein Lichternetz, das auch sie zurückwies. Deshalb sagte sie Albertrude und den anderen Mitschwestern: "Sie werden nicht ewig in Millemerveilles verbleiben können. Der Stolz und die Pflicht werden die Ministerin und ihre Beamten nach Paris zurückrufen. Allerdings werden sie sich wohl zusätzliche Schutzmaßnahmen überlegen." Portia Weaver bat ums Wort und sagte: "Wenn die Aura einer Veelablütigen Ladonnas Einfluss zurückdrängt ist es doch einfach. Sie stellen für jede Abteilung jemanden mit Veelastammbaum ein. Dann würde es Ladonna auch nichts nützen, die drei von einem Veelazauber belegten Hexen umbringen zu lassen."

"Sagst du so einfach, weil du wohl noch keiner Veela oder einer davon abstammenden Hexe begegnet bist, Schwester Portia. Veelas besitzen einen so starken Einfluss auf andere menschengestaltige Wesen, dass an konzentrierte Arbeit so gut wie nicht zu denken ist. Die Männer verzehren sich in Hingabe und Schwärmerei für die überirdischen Schönheiten. Frauen und Hexen empfinden Widerwillen und Ablehnung gegenüber den unerträglich perfekten Vertreterinnen der Weiblichkeit", sagte Anthelia. Albertrude, die in Anwesenheit aller anderen Spinnenschwestern immer noch Albertine genannt wurde erwiderte: "Das ist wohl wahr, höchste Schwester. Doch wissen wir auch, dass wir manch bitteren Trank schlucken müssen, wenn wir Heil und Schutz erlangen wollen. So mag es auch den Franzosen und Französinnen ergehen."

"Wo wir es von den Veelas haben, Schwester Vera, was tun sie in deiner Heimat?" Fragte Antehlia die russische Mitschwester, die damals in ihrem Haus die ihr abtrünnig zu werden drohende Dido als ihre Tochter Anastasia wiedergeboren hatte.

"Arcadi weiß, dass er Veelas nicht töten darf. Doch er jagt sie und treibt sie in die Wälder und Berge zurück. Ich weiß nur, dass die in der Nähe der Städte lebenden nur unter heftigem Widerstand ihre Wohnungen verlassen und sich abgesetzt haben. Doch die Veelas werden nicht aus Russland flüchten. Sie warten sicher ab, was deren Ältestenrat ihnen rät. Dann werden sie wohl wieder zurückkehren."

"Behalte das bitte mit den anderen Schwestern in Russland im Auge und vor allem, achte darauf, ob nicht die eine oder andere schon unter Ladonnas Einfluss steht!" bat Anthelia ungewohnterweise. Vera Barkowa nickte.

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Zaubereiministerium von Deutschland, Büro Andronicus Wetterspitz, 04.04.2006, 10:44 Uhr Ortszeit

Heute war sein dritter Hochzeitstag. Wie hatte er sich damals drauf einlassen können, Aldo Eilenfrieds Cousine Pankratia zu heiraten? Er hatte sich von seiner Verwandten Marga und von Eilenfried auf unterschiedliche Weise beschwatzen lassen. Doch jetzt war es eben so wie es war. An seinem Arbeitsalltag hatte das bisher nichts geändert. Doch jetzt fing Pankratia an, dass sie dann auch gerne ein Kind haben wollte und nicht nur die Frau Sicherheitsüberwacher sein wollte. Das erinnerte Andronicus Wetterspitz geborener Eisenhut daran, dass er im Grunde seinen Stammbaum verkauft hatte. Doch er hatte Pankratia damit vertröstet, dass er zunächst einmal die Gefahr der dunklen Hybridin aus Italien eindämmen wollte. Tja, jetzt war er genau wie die allermeisten Sicherheitszauberer und -hexen Mitglied der Leibgarde des deutschen Statthalters der mächtigen Rosenkönigin. Irgendwie hatte Pankratia das wohl mitbekommen und sich abgesetzt, wohin wusste er nicht. Sie hatte ihm nur eine Mitteilung hinterlassen: "Such mich und deinen Erben nicht, unfreiwilliger Gehilfe einer Mischblüterin." Sollte er sich jetzt von ihr wieder lossprechen lassen und damit den treuen Mitkämfer Eilenfried Wetterspitz verärgern? Er wusste, dass er nichts mehr tun durfte, ohne die Königin oder wenigstens ihren Statthalter um Erlaubnis zu bitten. Sollte er Güldenberg fragen, ob er seinen "Irrtum" wieder rückgängig machen durfte? Nein! Im Moment gab es wichtigeres zu tun.

Die Umorganisation des Zaubereiministeriums war noch nicht vollständig abgeschlossen. Die geflüchteten Lichtwächterinnen und die gesamte Behörde für die sogenannte friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie hatte etliche Personalumstellungen erfordert. Diese Bande hatte auch die teure Elektronik mitgehen lassen, mit der die Magielosen überwacht werden konnten. Ja, und dann war da noch die Frage, wie man die Entwischten einfangen konnte? Zwar hatte die von der Königin übersandte Feuerrose alle Beamte und Hilfskräfte des Ministeriums unter der Herrschaft der wahren Königin aller magischen Wesen vereint, aber nicht alle in Deutschland lebenden Hexen und Zauberer. Bevor seine Lichtwachen auf die Mithilfe aus der Bevölkerung setzen durften musste erst einmal die neue Koalition der Verbundenheit und des friedlichen Miteinanders an Zustimmung gewinnen. Eine frei herumapparierende Albertine Steinbeißer und zwanzig offenbar einer feindlichen Hexenbande zugehörige Lichtwächterinnen besaßen eine Menge Geheimnisse der Schutztruppe des Zaubereiministeriums. Dieses Wissen mochten sie ausnutzen.

"Wie, ihr konntet das Haus nicht betreten? Ich dachte, die allverschlingende Sternenglocke knackt jeden Abwehrzauber", knurrte Andronicus Wetterspitz, als er sich mit Oberst Holzschnitzer von den Lichtwachen in seinem Büro besprach.

"auf Kies gefurzt, Herr Eisen..., öhm, Wetterspitz", grummelte Oswald Holzschnitzer. Andronicus Wetterspitz sah ihn sehr tadelnd an. "Ich meine, diese Annahme erwies sich als Irrtum auf Grund unzureichender Kenntnisse über die astralmagischen Kenntnisse von Fräulein Steinbeißer, Herr Sicherheitsüberwachungsleiter", korrigierte Holzschnitzer seine Wortwahl. Dann erzählte er, was ihm und den acht sorgfältig in Astralzaubern ausgebildeten und aus bestimmten Gegenden Deutschlands ausgewählten Mitstreitern widerfahren war.

"Ja, und können Sie sich nicht erklären, was Ihnen da zustieß, Herr Oberst Holzschnitzer?" fragte Wetterspitz.

"Doch, mittlerweile ja. Doch bis zu unserem Einsatz gegen das Haus hatten wir keine Ahnung, dass Fräulein Steinbeißer derartige Zauberkenntnisse besaß", grummelte der Lichtwachenoberst. Dann erwähnte er einen verstärkten Mondschild, der bei einem ihm entgegenwirkenden Astralzauber die gesamte Kraft des Mondes bündelte und der astralen Gegenkraft nicht nur widerstand, sondern sie regelrecht umkehrte und so jene traf, die sie angewendet hatten. "Insofern sollten wir froh sein, dass wir das Haus unversehrt lassen wollten und es nicht gleich mit den verzehrenden Flammen des Himmels angegriffen haben, einem zugegeben eher düsteren Sonnenzauber, der auch als Hundertdrachenfeuer bekannt ist", sagte Holzschnitzer.

"Ist es nicht so, dass Sonnenzauber egal welcher Ausprägung jeden Mondzauber übertreffen?" fragte Andronicus Wetterspitz, der von berufswegen selbst Ahnung von Angriffs- und Abwehrzaubern aller magischen Bereiche hatte.

"Nicht bei dem, was uns da gestern widerfuhr, Herr Holzschnitzer. als wir endlich wieder frei von der gesammelten Astralmagie und Herren unserer Körper waren und wieder in unsere Quartiere zurückkehrten erinnerte ich mich, dass die alten Ägypter einen Zauber kannten, der angeblich die Kraft ihres falkenköpfigen Gottes Horus entstammte, jenem, der ebenso mit Sonne wie Mond gleichgesetzt wird. Dieser Zauber kann auch Sonnenkräfte zurückweisen, abgesehen davon, dass auch wir in der Zaubererwelt wissen, dass Sterne nur weit entfernte Sonnen sind. Jedenfalls muss dieser uns zurückprellende Abwehrschild jener mächtige Mondschild sein, den die alten Ägypter schon kannten, Herr Wetterspitz. Das heißt für uns, dass wir so nicht an Albertine Steinbeißers Aufzeichnungen gelangen. Auch könnte sie immer wieder in ihr Haus zurückapparieren und sich dort in relativer Sicherheit von der Jagd auf sie ausruhen. Aber wir werden sie stellen und unschädlich machen", versicherte Holzschnitzer.

"Sie werden sie nur gefangennehmen und entwaffnen. Die Königin wird entscheiden, was dann mit ihr zu geschehen hat, Oberst Holzschnitzer. Die Königin will sie für sich, wegen ihrer Kunstaugen, die das Ministerium ihr wegen des schlimmen Unfalls mit Sonnenkraftsammlern gestiftet hat. Damit kann sie für die Königin eine unschätzbare Unterstützung sein. Also merken Sie sich das: Nur festnehmen und bis auf weiteres den Zauberstab entwenden! Mehr nicht!"

Zu befehl, Herr Sicherheitsüberwacher Wetterspitz", erwiderte Oswald Holzschnitzer. Dann durfte er das Büro wieder verlassen.

"Pankratia gehört sicher auch zu diesen verfemten Schwestern, die meinen, stärker und schlauer als die erhabene Königin zu sein", dachte Andronicus. Er musste immer wieder daran denken, dass sie von "seinem Erben" geschrieben hatte. Wann bitte hatte sie denn von ihm ein Kind empfangen? Am Ende hatte sie ihn in Schlaf gezaubert und sich an ihm zu schaffen gemacht, um seine Saat in sich aufzunehmen. Falls dem so war, war das ein Scheidungsgrund, dachte Andronicus Wetterspitz. Ja, und dann würde er Marga, von der er wusste, dass sie zu jener heimlichen Schwesternschaft gehörte und Eilenfried so richtig heftig ohne Zauberkraft die Hinterteile versohlen. Doch erst einmal galt es, die Entflohenen einzufangen und doch noch der weitsichtigen Obhut der Königin anzuvertrauen. Solange sie in Freiheit waren bestand die Gefahr, dass sie Deutschland zum Widerstandsnest machten. Das würde der Königin nicht gefallen. Sie würde dann wohl alle bestrafen, die versagt hatten. Er würde dann auch dazugehören. Also ging es bei Albertine und den anderen um nichts geringeres als sein eigenes Leben.

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Millemerveilles, 04.04.2006, 6:15 Uhr Ortszeit

Julius kuschelte sich im Halbschlaf an seine Frau, die weiterhin selig schlummerte. Hatte er nach der letzten wilden Nacht mit ihr in dieser Haltung neben ihr gelegen? Vielleicht sollte sie dann besser noch einmal mit einem der blauen Verhütungselixierflaschen hantieren, um nicht doch schon das sechste gemeinsame Kind auf den Weg zu bringen. Dann horchte er. In ihm erklang eine sanfte leise singende Stimme. Irgendwer sang in seine Gedanken. Nicht irgendwer, sondern Léto. Wieso sang die Matriarchin der französischen Veelanachkommen in seine Gedanken? Er mentiloquierte sie an: "Morgen Léto, nett, dass du mich weckst. Aber unsere beiden Wecker Flavine und Fylla wären um halb Sieben auch von alleine losgegangen."

"Oh, so lange schlafen deine Töchter jetzt schon durch? Gratulation. Apolline und Églée haben in dem Alter noch vor dem ersten Vogelzwitschern gekräht", erwiderte Létos Gedankenstimme. "Aber im Ernst. Ich wurde von der Mehrheit des Ältestenrates aller Kinder Mokushas gebeten, dich heute abend nach Sonnenuntergang zu einer Versammlung des Ältestenrates in der Höhle der Gesammelten Worte mitzunehmen. Es geht um die irregeleitete Vierteltochter mit dem vergifteten Blut einer grünen Waldfrau in sich." Julius war nun hellwach und gedankenfragte was anlag. "Das werden dir meine Ratsgenossinnen und Genossen erklären, da du ja trotz unserer Verbundenheit nicht zu Mokushas Ruhestatt hin darfst. Daher wurde ich beauftragt, dich verbindlich zu einer Zusammenkunft der ältesten Kinder Mokushas in der Höhle der gesammelten Worte einzuladen und sicherzustellen, dass du dort auch hinfindest. Das Treffen ist nach eurer Zeitrechnung in der Nacht zum fünften April. Ich werde dich heute abend nach Sonnenuntergang vor deinem Haus abholen und hinfliegen. Die Einladung ist wie erwähnt verbindlich, weil du der Vermittler zwischen uns Kindern Mokushas und euch kurzlebigen Menschenkindern bist."

"Die höhle der gesammelten Worte?" fragte Julius in Gedanken zurück. Gerade war er mit Léto so stark verbunden wie er es sonst nur über die zwei goldenen halben Herzen war, von denen Millie und er je eine Hälfte an einer Kette um den Hals trugen.

"Sie befindet sich in einer Landschaft mit schwarzen Bergen. In einer der Menschensprachen heißt dieses Land Montenegro."

"Ach du meine Güte. Montenegro. Das ist noch mit Serbien verbunden und somit im Hoheitsbereich des immer noch bestehenden südslawischen Zaubereiministeriums. Falls der und seine Mitarbeiter auch schon ..."

"Ja, muss er sein, genau wie der aus Polen, Böhmen, der Slowakei und Russland", stieß Létos Gedankenstimme in Julius eigene Überlegungen wie ein Delphin in einen Heringsschwarm. "Dann dürfen die mich nicht erwischen", erwiderte Julius und dachte daran, Ashtarias Erbzeichen mitzunehmen. Doch halt, was hatte er gelernt, das Erbzeichen ließ sich nicht beliebig verwandeln und blockierte auch an seinem Träger versuchte Verwandlungen. Doch wenn er wie schon vor knapp vier Jahren mit Léto verreisen wollte ging es nicht so. Außerdem würden die Veelas Ashtarias Erbzeichen womöglich als Angriffswaffe missdeuten. Das musste auch nicht sein.

Ich werde dich sicher und schnell und unauffällig zum Treffpunkt bringen, wenn wir es wieder so anfangen wie damals, wo ich dir alles notwendige über mein Volk beigebracht habe", bestätigte Léto, dass sie seinen Gedankengang mitverfolgt oder vorausgesehen hatte. Damit stand fest, dass Julius nur die Goldblütenphiole und das Wissen der Altmeister mitführen durfte.

"Gut, ich erwarte dich dann wann?" fragte er. "Wenn die Sonne vollständig versunken ist. Bitte erwarte mich außerhalb des Fünfecks eurer Kraftbäume! Nicht dass deine Angetraute wieder meint, wir beide würden eins miteinander."

"Ich gehe davon aus, ich darf ihr nicht sagen, dass ich verreise?" fragte Julius. "O doch, das darfst, ja sollst du sogar sagen, ihr und denen, die sich in eurer Zirkuszeltstadt für uns Kinder Mokushas zuständig fühlen. Es wird sie auch betreffen, was der Rat der eltesten beschlossen hat und wie wir euch helfen können, falls ihr die Hilfe annehmen wollt." Julius horchte noch mehr auf als bisher. Die Veelas wollten ihnen helfen? Dass sie gegen Ladonnas Agentinnen vorgehen konnten hatten die französischen Veelastämmigen um Léto bewiesen. Doch wie ging es weiter? Um diese Frage beantwortet zu bekommen bestätigte er, dass er sich zum festgesetzten Zeitpunkt vor dem Apfelhaus aufhalten würde. Dann war er mit sich und seinen Gedanken wieder alleine. Gerade in dem Augenblick erwachte eine der Zwillingsschwestern und drehte sich in der bald zu klein werdenden Wiege. Das weckte auch die andere, die ein wenig missmutig quengelte. Davon wiederum wurde Millie wach. Der neue Tag begann, und er würde für Julius sehr lang werden.

Nach dem Frühstück apparierte Julius außerhalb der kleinen Varanca-Haus-Ansiedlung. Noch zehn von diesen praktischen, schrumpf- und entschrumpfbaren Reisehäusern aus Italien hatte die Abteilung für magische Spiele und Sportarten von der Weltmeisterschaft 1999 zurückbehalten. Jede Ministeriumsabteilung residierte in mindestens einem der Häuser. Die Außendienstmitarbeiter hatten ähnlich dem blau-weiß-rot gestreiften Kuppelzelt für die Rechner Warte- und Verpflegungszelte zugeteilt bekommen. Jeder hier konnte sehen, dass dies nur ein Provisorium war. Doch was hatte Laurentine zwei Tage nach dem schnellen Umzug gemeint: "Von Bonn haben damals auch alle als provisorische Hauptstadt gesprochen, und dann durften in diesem Dorf am Rhein neunundvierzig Jahre lang die mächtigsten Leute der Welt ein- und ausgehen.

Julius suchte das himmelblaue, vierstöckige Varanca-Haus der Führungsebene ab, das gen Mittelpunkt des Ministeriumsdörfchens bildete. Dort bat er um kurze Unterredungen mit Nathalie Grandchapeau und Barbara Latierre und erzählte ihnen, was Léto ihm angekündigt hatte.

"Falls die Veelas uns ein paar ihrer wertvollen Haare verkaufen wollen geh besser noch zu unserem neuen Handels- und Finanzleiter Richmont!" riet ihm Barbara Latierre mit gewissem Grinsen. Julius sah seine ältere Schwiegertante an und erwiderte, dass Richmont sich sehr bedanken würde, wenn die Veelas für ein Millimeter eines Haares eine Galleone haben wollten. Daher wolle er zusehen, ob es ohne einen solchen Verkauf ginge.

Sein gestern angebrachtes Schild mit dem doppelt durchgestrichenen Frühstückstisch und dem Text, den er vorgestern entworfen hatte verfehlten ihre Wirkung nicht, als er den "Elektrozirkus" betrat. Keiner hier hatte irgendwas essbares auf dem Arbeitstisch, und die verschließbaren Trinkbecher waren auch verstaut.

Bis zum Mittag durchforsteten die hier tätigen Hexen und Zauberer das Internet nach merkwürdigen Vorkommnissen. Julius tauschte einige kurze Arkanet-E-Mails mit dem Laveau-Institut aus. ab dem 25. April bis zum 30. April solte es in Südamerika eine Konferenz aller spanischsprachigen Zaubereiminister geben, sozusagen eine sprachlich abgegrenzte kleine Schwester der internationalen Zaubererweltkonföderation. Ebenso konnte an diesem Tag Julius' dritte Halbschwester zur Welt kommen, ausgerechnet an Millies vierundzwanzigstem Geburtstag. Na besser als einen Tag später, der sowohl für die nichtmagische, auf technischen Fortschritt setzende Welt, als auch für die von allem abgegrenzte Zaubererwelt ein Katastrophentag und Zeitenwechsel war.

Vom Musikpark her klang fröhliches Kinderlachen. Es hatte sich in Millemerveilles eingebürgert, dass alle 2004 unerwartet dazugekommenen Kinder, die am selben Tag geboren worden waren, auch am gleichen Tag und gleichen Ort im Jahr Geburtstag feierten. Jacqueline störte das wilde Toben und lustige fröhliche Lachen aus der Ferne. Doch hier im Computerzelt durften sie keine zusätzlichen Zauber ausführen. "Ich glaube, ich bring mir Alraunen-Ohrenschützer mit", knurrte Jacqueline. Darauf fragte Pierre Marceau: "Och, magst du keine Kinder, Jacqueline?"

"Dann hätte ich dich geheiratet und nicht du Gabrielle", knurrte Jacqueline zurück. Julius fühlte sich gehalten, hier einzugreifen. Mit ruhiger, aber entschlossener Stimme sagte er: "Die damen und Herren, keine persönlichen Angriffe während der Arbeit, wenn ich bitten darf. Wir müssen froh sein, dass uns die Bewohnerinnen und Bewohner Millemerveilles in ihrer Mitte willkommengeheißen haben. Da dürfen wir es uns nicht mit ihnen verderben. Ja, und es ist auch schwer, konzentriert zu arbeiten, wenn ringsum einen andere Leute laut und ausgelassen sind. Aber im Moment können wir das nicht ändern."

"Alles klar, Julius, hast ja leider recht. Ohne die Leute hier müssten wir wohl jede Stunde darauf gefasst sein, dass uns diese Rosenschwestern heimsuchen", sagte Jacqueline. "Aber falls das erlaubt ist bringe ich mir doch solche Ohrenschützer mit. Habe noch ein schönes Paar flauschige, rosarote Ohrenschützer."

"Oink Oink!" machte Pierre. "Pass du mal auf, dass du gleich keinen rosaroten Schweinerüssel im Gesicht hast", drohte Jacqueline Gabrielles Mann. Der wiederum erwähnte, dass Gabrielle ihn gegen alle möglichen Verwandlungszauber immun gemacht habe, seitdem sie mit ihm ein gemeinsames Kind hinbekommen hatte. "Echt, sowas geht?" fragte Jacqueline und sah Julius an. Dieser schaffte es, keine wie immer deutbare Geste oder Miene zu machen und sagte: "Wenn sie von ihm noch ein paar neue Kinder kriegen will darf dem vorher nichts magisches zustoßen."

"Klar, damit er weiterhin kraftvoll zustoßen kann", ließ Primula Arno eine unerwartet derbe Bemerkung vom Stapel. Alle hier mussten lachen. Julius konnte sich nicht dazu durchringen, seine halbzwergische Schwiegertante zu rügen, zumal sie mit ihm auf derselben Rangstufe stand.

"Ja, immerhin wissen wir alle hier, wieso es da draußen so lustig lärmt und lauthals lacht", konnte Julius doch noch auf Primulas Bemerkung antworten und eine weitere Lachrunde auslösen.

Nach seiner Schicht begrüßte Julius Rose Deveraux, die als Leiterin der zweiten Schicht arbeitete. "Wir haben hoffentlich genug Strom gespeichert. Aber falls die Akkus zwei rote Lichter zeigen schaltest du bitte die Reservepacks dazu, die Monsieur Dusoleil uns zur Verfügung gestellt hat, um die Rechner in Betrieb zu halten!" wies er Rose an. Seitdem Weder Belle noch Nathalie weiter im Elektrozirkus auftraten waren sie alle generationenübergreifend zur Du-Form übergegangen. Julius sah da überhaupt keinen Bruch der Disziplin, und Primula hatte ja nur darauf gewartet, sich mit allen hier ganz kameradschaftlich zu verständigen.

Als Rose mit ihrer Truppe Spätschichtler die Überwachung der Rechner übernommen hatte winkte Primula Julius zu jenem grasgrünen Haus hinüber, indem mit Dauerklangkerker abgeschirmte Büros lagen. Hier konnten sich Beamte in leitenden Positionen zu Minikonferenzen treffen. Julius fragte sich, was Primula Arno von ihm wollte. Das erfuhr er dann von ihr, als sie das durch das Symbol einer grünen, halb offenen Tür gekennzeichnete Büro erreichten, in dem gerade niemand saß.

Als sie die Tür von innen geschlossen hatte sah sie Julius von unten her an und setzte sich ihm gegenüber hin. "Du warst wegen eines Ausflugs zu den Veelas bei Madame Grandchapeau. Das hat mir die werte Mutter in Dauerwartestellung heute beim Mittagessen erzählt. Wie verbindlich ist die Einladung von denen?"

"Wie ich Léto verstanden habe sehr verbindlich", erwiderte Julius. "Ah, dann haben die was beschlossen, was wir um unser aller Leben unbedingt wissen müssen. Und wo soll das Treffen steigen, Julius?"

"Irgendwo in Montenegro. Soweit ich das von den anderen Veelastämmigen weiß hat Ladonna wohl da auch schon den Zaubereiminister sicher. Also ist das ein Flug durch feindliches Gebiet, um es mal martialisch zu überspitzen."

"Wenn Ladonna Arcadi unterworfen hat und der seine besten Freunde aus dem slawischen Dunstkreis hat sie die auf die Weise auch kassiert, diese Dreierlingsdirne", fauchte Primula. Julius hörte überdeutlich einen gewissen Hass in ihrer Stimme und fragte behutsam: "Fürchtest du einen Übergriff Ladonnas auf deine Vorfahren?"

"Du meinst die Schwarzalben? Die reinrassigen interessieren mich nicht, nachdem die meine Mutter, deine Schwiegergroßmutter Lutetiaa aus ihrem Reich vergrault haben. Aber ich habe wie du ganz genau weißt noch ein paar Brüder und Schwestern hoch im Norden, sowie auch in Italien selbst. Wenn du meinst, ich hätte Angst ist das wohl so. Aber egal was du über die Blutrache der Veelas erzählt hast, falls mir Ladonna persönlich vor die Zauberstabspitze läuft kann man sie danach mit Wischmop und Putzeimer wegputzen. Hast du schon mal was vom großen, grauen Eisentroll gehört?" fragte sie. Julius merkte auf. Von dem hatte er wahrhaftig schon gehört. Weil er wohl da seine Regung nicht so gut beherrscht hatte sagte er schnell: "Das ist bei Zwergen und Kobolden der schlimmste Feind, deren größter und wohl einziger Fressfeind, einer Legende nach vor weiß-nicht-vielen Jahren von acht Kobolden in einen Vulkankrater gestoßen und in den glühenden Tiefen der Erde versenkt. Seitdem haben Kobolde und Zwerge Angst, dass dieser überriesenhafte Troll wieder nach oben kommt und sie jagd und auffrisst, wie ein Ameisenbär ein Ameisenvolk. Hat wohl einen ähnlichen Rang wie der Teufel bei Christen und Muslimen oder die großen Drachen für alle nichtgläubigen Magier." Primula keuchte wegen der Kurzzusammenfassung. Dann sagte sie: "Ja, und auch wenn ich keinen direkten Meldefaden zu den Zwergen habe, so habe ich wie erwähnt noch Brüder und Schwestern, vor allem einen Bruder in Italien, deinen entfernten Schwiegeronkel Anselmo Pontidori. Der hat berichtet, dass diese schwarzhaarige Rosenfreundin den großen grauen Eisentroll aus der Erde heraufbeschworen haben soll, um vorzuführen, dass sie es kann. Falls das kein schmutziger Trick war ist dieses Weib gefährlicher als Sardonia und euer rotäugiger Chefpsychopat mit dem allseits bekannten Namen zusammen. Wer da keine Angst fühlt ist naiv."

"Ja, aber bei dir ist die Angst schon zu Hass geworden, Tante Pri. Der Hass zerstört mehr als er befreit. Abgesehen davon hast du es erwähnt. Die mit Ladonna verwandten Veelas würden womöglich Jagd auf dich und deine Angehörigen machen", warnte Julius und ahnte, was das Treffen der Veelas bedeuten mochte.

"Ich will keine oder keinen von denen umbringen. Aber wenn die sich wegen dieser Drei-Sickel-Wonnefee rächen sollten muss ich mich wehren. Aber das musst du denen nicht erzählen. Das werde wenn schon ich tun." Julius verwies darauf, dass die Blutrache der Veelas die totale Auslöschung der Familie zum Ziel hatte, dderen Mitglied eines ihrer Mitglieder umgebracht oder dessen Tod billigend in Kauf genommen hatte. Also würden auch all die sterben, die Primula besonders liebte. Damit kühlte er ihren lodernden Hass ein wenig herunter.

"Ich verstehe deine Besorgnis, Julius. Auch deshalb war es gut, das mit dir zu besprechen", sagte Primula Arno. Julius erwiderte: "Ich habe damals Blut und Wasser geschwitzt, als ich diesen unschuldige Jungfrauen jagenden Sohn einer russischen Veela in Frankreich gestellt habe und der fast von einem übereifrigen Kollegen totgeflucht worden ist, wo ich dabeistand, Tante Pri. Das möchte ich nicht noch einmal erleben." Das verstand Primula Arno auch sofort.

"Dann sehen wir zu, dass wir nach Hause kommen. Vielleicht solltest du vorher noch was essen, bevor du zu diesem Treffen fliegst", sagte Primula jetzt echt wie eine ältere Tante klingend. Julius wandte ein, besser nicht zu viel zu essen, weil er ja fliegen müsse und da nicht mal eben aufs Klo gehen konnte. Das entlockte seiner Schwiegertante ein lautes, rauhes Lachen. Danach umarmten sich beide landestypisch und verließen das Unterhandlungszimmer.

Im Apfelhaus packte ihm seine andere Schwiegertante einen Rucksack mit haltbarer Verpflegung ein. Als er wiederholte, was er Primula dazu gesagt hatte meinte Trice: "Die Inkontinenzausführung der Wochenwindeln sitzt auch bei längeren Flugreisen gut. Wenn du eine haben möchtest habe ich die in nur zehn Minuten aus dem Heilerfundus der Delourdesklinik."

"O, Tante Trice, das lassen wir besser. Sonst meinen die älteren Veeladamen noch, ich müsse gestillt werden", bot Julius noch einen derben Spruch auf. Jetzt lachte auch Trice. "Léto träumt da sicher immer noch manche Nacht von", packte sie den passenden Deckel auf den von Julius hingestellten Topf. Er verzog das Gesicht. Doch dann musste er auch grinsen. Léto hatte ihn quasi adoptiert, sich zu seiner Pflegemutter oder Amme erklärt, auch wenn sie ihn nicht gesäugt hatte wie seine virtuelle Mutter Madrashmironda. "Moment, das kannst du auch mitnehmen", sagte sie und holte aus ihrem Sprechzimmer einen blütenweißen Nachttopf mit Deckel. "Das ist die neueste Version mit Ausscheidungsfilter. Mit dem wollte ich Félix von den Windeln wegkriegen. Aber das hat ja noch Zeit. Der passt noch in deinen rauminhaltsbezauberten Rucksack, ohne aufzufallen. Sicher kannst du unterwegs mal landen und loswerden, was du nicht mehr brauchst. Deckel zu, alles weg", sagte Béatrice.

Julius spielte noch solange mit seinen größeren Töchtern, bis Millie zum Abendbrot rief. Die Vorsuppe aß Julius noch mit, eine deftige Curry-Hühnersuppe mit Fleischstücken und ein wenig Reis. "Dann hast du wenigstens was warmes im Bauch", meinte Millie.

Vor dem letzten Sonnenstrahl hatte Julius noch alle letzten Verrichtungen erledigt und zu seinem goldenen Herzanhänger noch die mit Phönixtränen verstärkte Goldblütenphiole eingepackt. Goldschweif, die bereits dabei war, sich für ihre Nachtrunde einzustimmen, fragte ihn, ob er wieder gegen jemanden Kämpfen müsse. Er erwiderte, dass er nur zu einem Gespräch fliegen wolle, das für alle ganz wichtig war. Dann sah er wie Goldschweifs Fell sich sträubte und ihre namensgebende Schwanzquaste zuckte. Doch sie buckelte nicht, sondern zog sich leise wimmernd zurück. "Das ganz starke Weibchen, das sich in einem Vogel verstecken kann kommt her", quengelte sie. Julius bestätigte das und sagte ihr, dass sie nur weit genug zurückgehen müsse. Dann verließ er das Apfelhausgrundstück.

In dem Moment, wo nur noch ein in Dämmergraublau übergehendes Licht im Westen leuchtete plumpste von oben ein blütenweißer, prachtvoller Schwan mit halb angelegten Flügeln herunter. Der Majestätische Wasservogel kam federnd auf seinen schlanken, roten Füßen auf. Dann verwandelte sich der Schwan in weniger als zwei Sekunden in eine überragendschöne Frau in einem mondlichtfarben schimmernden Kleid. Silberblondes Haar wehte der makellos schönen Frau unbestimmbaren Alters bis zu den Hüften. Sie sah Julius aus ihren strahlendblauen Augen an und lächelte. Er fühlte ihre besondere Ausstrahlung und erkannte, dass er sich nicht rechtzeitig mit dem Lied des inneren Friedens dagegen abgeschottet hatte. Es durchflutete ihn heiß und kalt, wohlig warm und alle Bedenken verwehend wie eine mittelstarke Südwindbrise. "Habe ich dich doch mal ohne dein Wissen um die Verschlossenheit erwischt, mein Junge", freute sich die Schwanenfrau wie ein kleines Mädchen. Dann fühlte Julius, wie die ihn betörende Kraft nachließ. Er fühlte sich irgendwie traurig und zurückgelassen. Doch dann kehrten seine eigenen Gefühle wieder zurück. "Ich kann mich nicht dauernd gegen dich verschließen, wenn wir zwei unterwegs gedankensprechen müssen", sagte er leicht verlegen. Léto trat vor und umarmte ihn. Er fühlte wieder einen erregenden Schauer, als ihr warmer Körper seinen Körper streifte, sog den frühlingsfrischen Duft ihrer seidenweichen Haare ein. Mann! Er sollte es doch echt gelernt haben, sich nicht von einer Veela derartig benebeln zu lassen, dachte er ein wenig ungehalten. Doch dann kehrte seine Disziplin zurück. Er flüsterte ihr zu: "Wenn du möchtest, darfst du mich wieder tragen, Léto."

"Dann wollen wir mal. Wir fliegen drei Teilstrecken, weil ich zwischendurch doch noch was zu essen oder zu trinken brauche. Ich hoffe, deine treusorgende Anvertraute und deine heilkundige Schwiegertante haben dich daran erinnert, dir auch was zu Essen mitzunehmen", hörte Julius ihre kratzerlose, jede Operndiva übertreffende Stimme in seinem rechten Ohr. Er bejahte es und deutete auf seinen Rucksack.

Sie ließ behutsam von ihm ab und trat nur einen Schritt von ihm fort. Da sprossen ihr blütenweiße Federn durch das regelrecht verschwimmende Kleid. Ihre Arme formten sich zu kraftvollen Schwingen. Ihr Hals bekam weißen Flaum und wurde länger und Länger. Ihr Haar schrumpfte in ihren Kopf zurück und verschwand unter weißem Deckgefieder. Ihr Gesicht machte einem langen Schnabel platz. Ihre Augen rutschten weiter auseinander und wurden etwas größer, auch wenn ihr Körper selbst im ganzen schrumpfte. Dieser Vorgang dauerte nur zwei bis drei Sekunden. Doch konnte Julius mal wieder jeden Abschnitt der eigenständigen Verwandlung so klar und deutlich unterscheiden, als wenn er einen Film in Zeitlupe anschaute. Da hörte er ihre Gedankenstimme. "Weil wir verbunden sind konnte ich dir meine Gabe der schnellen Bildverfolgung verleihen." Offenbar hatte sie seine Gedanken erfasst. Doch das war ihm jetzt auch egal. Er zog seinen Zauberstab frei, zielte damit auf sich selbst und vollführte den Einschrumpfzauber, der ihn und alles, was er gerade am Körper trug auf ein Zehntel Körperlänge zusammenschrumpfte. Jetzt war die Schwänin Léto für ihn bald größer als Temmie, die Latierre-Kuh. Weil er an sie denken musste empfand er keine Furcht, an den nun mehr als armlangen und ausladenden Federn hinter dem Flügelgelenk nach obenzuklettern und sich so in die riesenhaften Deckfedern einzugraben, dass er einen sicheren und warmen Halt fand. "Wir können", dachte er Léto zu. Kaum hatte er dies gedacht gab die Schwänin ein kurzes, wie lautes Trompeten klingendes Geräusch von sich und stieß sich ab. Mit immer schnelleren und kräftigeren Flügelschlägen stieg sie in den Abendhimmel über Millemerveilles, wurde schneller und Schneller. Nun nutzte sie auch die ruhende Magie des Windes als Antriebskraft, um mindestens viermal so schnell voranzukommen wie ein natürlicher Schwan.

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Millie, Béatrice und Aurore hatten sich hinter dem zum Knieselbaum ausschauenden Fenster hingehockt und beobachteten das Zusammentreffen zwischen Léto und Julius. Millie empfand es etwas unheimlich, wie heftig Julius von dieser Überirdischen betört werden konnte. Ebenso unheimlich empfand sie es, wie er sich neben die zum Schwan gewordene Veela stellte und ganz von selbst immer kleiner wurde. Sie konnte gerade noch so erkennen, wie er wichtelklein auf den Rücken des Schwans hinaufkletterte, sich darauf hinsetzte und festhielt. Dann hob der magische Vogel mit seinem verkleinerten Reiter ab und jagte immer schneller werdend in den Himmel hinauf. Dann verschwand der Schwanenreiter der ihr Ehemann war mit seinem mächtigen Reittier zwischen den langsam hervortretenden Sternen.

Millie, Béatrice und Aurore nahmen ihre Weitsichtbrillen ab und legten sie wieder in die Schachteln, von denen Béatrice bei ihrem Einzug ins Apfelhaus etliche mitgebracht hatte.

"So, jetzt hast du es gesehen, Millie. Ich hoffe, du und Rorie träumt da jetzt nicht dauernd von."

"Ich wollte es echt wissen, ob Julius das bringt, Trice", sagte Millie. "Bleibt der Papa jetzt immer so püppchenklein?" fragte Aurore. Millie sah ihre Kronprinzessin an und antwortete ganz ruhig: "Der Papa hat das gelernt, sich ganz klein und wieder groß zu machen. Das macht der aber nur, wenn es ganz nötig ist, weil das sehr anstrengend ist und auch gefährlich sein kann, wenn eine wilde Katze oder ein großer Vogel der andere Vögel und kleine Lauftiere fängt in der Nähe sind. Aber der Papa kann das und kommt auch wieder so groß wie sonst wieder zurück."

"Das will ich stark hoffen, Millie. Übermorgen feiert Félix Geburtstag. Da sollte Julius schon bei sein", erwiderte Béatrice. Sie musste sich sehr anstrengen, ihre eigene Erschütterung zu verbergen. Etwas zu wissen und es anzusehen waren eben doch zwei grundverschiedene Dinge. Jetzt wusste sie, dass Julius seinen Verwandlungs-UTZ wirklich verdient hatte. Auch dachte sie daran, was mit solchen zaubern sonst noch alles angestellt werden konnte. Doch als die ersten in diese Richtung treibenden Gedankenbilder vor ihrem inneren Auge auftauchten fegte sie sie mit einem energischen "Nein, vergiss es" hinfort. Hoffentlich hatte Millie diesen inneren Aufruhr von ihr nicht mitbekommen. Doch die Sorge war unberechtigt. Denn Millie erklärte ihrer erstgeborenen Tochter noch einmal das mit dem Einschrumpfen und wieder großmachen.

"Was mir jetzt echt Sorgen macht ist, dass diese Veelas ihn doch noch so benebeln können, dass jede von den Weibchen ihn mal für sich haben kann, Trice", gestand Millie ihrer Tante, nachdem sie Aurore zu Bett gebracht hatte. Béatrice schloss das nicht restlos aus, wies jedoch darauf hin, dass Léto ihn dann schon längst hätte haben wollen, wenn ihr danach sei und sie ihn jetzt vor den anderen abschirmen konnte. Außerdem konnte er diesen uralten Zauber aus dem alten Reich, um seinen Geist gegen Einflüsse zu verschließen. Warum er das bei Léto nicht getan hatte begründete sie damit, dass er mit ihr eine ständige Gedankenverbindung aufrechterhalten musste, solange sie flogen und die Selbstverwandlung genauso Ausdauer kostete wie die ständige Geistesabschottung.

"Ja, und dann hat diese Matriarchin das dreist ausgenutzt", knurrte Millie. Trice verstand was sie meinte. Millie hatte ja über die Herzanhängerverbindung Julius' Gefühle mitempfunden. Doch dann fing sich Millie wieder. "Der weiß, was er an uns beiden hat", sagte sie ihrer Schwiegertante zugewandt. Diese lächelte tiefgründig, sagte aber kein Wort. Denn jedes Wort wäre eines zu viel gewesen.

Nach einer Schweigsamen Minute fragte Béatrice, ob Millie aufbleiben wolle, bis Julius wieder da sei. Millie überlegte kurz. Dann stimmte sie zu. "Gut, dann trinken wir zwei einen kräftigen Schluck Wachhaltetrank auf Julius' erfolgreiche Heimkehr", sagte sie.

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Die Tara-Schlucht im Bergland Montenegros, die Nacht vom 04. zum 05.04.2006

Die Nachtflugetappen waren für den auf ein Zehntel geschrumpften Julius Latierre faszinierend und unheimlich zugleich. Da Léto nicht über italien hinwegfliegen wollte wählte sie wohl eine Route über die Schweiz, Österreich, Ungarn und kroatien, wenn Julius die am Tag studierte Landkarte mit dem Sternenhimmel und Madrashainorians erlerntem Gefühl für den Verlauf der Erdmagnetfeldlinien verglich.

Léto raste zwischen aufragenden Bergkämmen hindurch, umflog taghell erleuchtete Städte und entlang im Mondlicht silbern glänzender Flüsse und Ströme. Zwischendurch landete sie in einem Wald, dessen Bäume Julius höher als die höchsten Wolkenkratzer vorkamen und wo die Geräusche nachtaktiver Tiere ihm einen gewissen Grusel bereiteten. Er musste immer daran denken, wie ausgeliefert er war, wenn er nur neunzehn Zentimeter groß blieb. Luchse, Wölfe oder Füchse, ja sogar die für Zauberer so nützlichen Eulen könnten ihn als Beute auswählen. Deshalb entschrumpfte er sich sofort, wenn er von Létos Rücken herabgerutscht war. Léto brauchte für ihre Umwandlung in die überirdisch schöne Matriarchin keinen Zauberstab. Sie aßen Früchte und die Minibaguetts mit Käse und Honig, die Julius mitgenommen hatte. Léto führte Julius vor, wie sie ohne Trinkgefäß Wasser aus der Luft auffangen und trinken konnte. "Das ist trotz der in der Luft steckenden Verbrennungsrückstände der Nichtzauberer immer noch sauberer als das Wasser aus den Flüssen und Seen hier", sagte sie einmal. Julius nutzte einen dichten Busch, um vor Létos Blicken sicher überschüssiges Wasser abzulassen und mit dem praktischen Ausscheidungsverschwindenachttopf zu entsorgen. Ob Léto in die wilde Natur machte bekam er nicht mit und würde sie sowas intimes auch niemals fragen. Wichtig war nur, dass sie gut genährt und weiterhin reisetauglich blieben. Julius hatte es schnell heraus, sich genausoschnell zu schrumpfen wie Léto in die Schwanenform wechselte. So dauerte es auch nicht lange, bis er wieder auf ihrem Rücken saß und der rasende Flug durch die südosteuropäische Nacht weiterging.

Endlich flogen sie durch ein imposantes Felsengebirge, auf dessen Höhen noch große Gletscher wie stark verlangsamte Flüsse dahinflossen. Dann tauchte im Mondlicht eine breite und schwindelerregend tiefe Schlucht auf, an deren Grund ein eiliger Fluss dahinrauschte. Julius wusste jetzt, wo sie waren, die Tara-Schlucht, eines der Naturdenkmäler Montenegros, die gut mit dem Grand Canyon in Arizona mithalten konnte. An die 1300 Meter tief sollte ihre Sohle mit dem Flussbett der Tara liegen. Schade, dass er gerade kein Naviskop mit hatte. Ebenso hätte er diese Szene gerne fotografiert. doch er beschloss in diesem Moment, eines Tages noch einmal herzukommen, um auf einem soliden Flugbesen dieses Naturwunder zu durchfliegen.

Léto lanndete nicht auf dem Grund der 1300 Meter tief hinabreichenden Schlucht, sondern flog mit verlangsamter Geschwindigkeit an den felsigen Wänden entlang. Julius, der sich an Madrashainorians Ausbildung erinnerte, gewahrte sofort die verschiedenen Gesteinsschichten, die wie ein aufgeschlagenes Buch der Erdgeschichte vor ihm in den Wänden zu sehen waren. Léto steuerte auf einen im Mondlicht immer heller glimmenden Felsüberhang zu, tauchte mit einer unglaublichen Flugbeherrschung darunter und wandte sich nach rechts. Julius sah ein Stück unregelmäßiger Felswand. Doch ein Teilstück davon flimmerte merkwürdig. Und als er kurz nach oben sah erkannte er, dass der eben noch so hell widerscheinende Felsüberhang nur noch eine dunkelgraue Wolke war, durch die noch ein schwacher Hauch Mondlicht drang. Dann sah er, wie Léto auf das flimmernde Stück Felswand zusteuerte, den schlanken, biegsamen Hals parallel zum Erdboden ausrichtete und dann mit dem Schnabel in die flirrende Wand hineinstieß. Keine zwei Sekunden später rutschte sie mit ihrem Reiter durch das Wandstück hindurch. Julius spürte bei dieser Durchquerung ein heftiges Brodeln in den Adern, als wolle sein Blut kochen. Dann war dieser Eindruck auch wieder vorbei. "Meine Gabe an dich und dass du im Schutz meines eigenen Lebenshauches geborgen bist hat dir den Zutritt gewährt. Doch komm niemals nie auf den Einfall, diese Höhle ohne mich oder eine andere mächtige Tochter Mokushas in direkter Nähe zu betreten", dachte ihm Léto zu und flog tiefer und tiefer in einen Tunnel, der die zehnfache Spannweite breit und nach Julius relativer Größenschätzung vier Meter hoch sein mochte. Er hatte die in der Erdmagiergrundausbildung erworbene Fähigkeit "Höhlenblick" aufgerufen, um in dieser völligen Dunkelheit ohne Zauberstablicht sehen zu können. Er wusste, wenn er jetzt auf festem Boden stünde würde er wohl alle Stränge von Erdmagie empfinden, die durch Boden, Wände und Decke verliefen. Dass sie da waren hörte er nur an einem ganz leisen Summen, dem ihm schon beim Lied der stärkenden Mutter Erde gewahr gewordenen tiefen G. Léto schien seine Gedanken mitzuhören. Sie dachte ihm zu: "Ja, hier haben viele Geschlechter meines Volkes mächtige Zauber der großen Mutter Erde eingewirkt, um diese Höhlen dauerhaft zu machen und nur von uns betretbar zu halten. . Aber wenn wir in der Höhle der gesammelten Worte sind werden ich und Morgenröte und wer noch alles da ist dich durch unsere Berührung für diese Nacht willkommenheißen, ohne dass die strafende Kraft dich in Mutter Erdes steinernen Schoß zurückzieht. Ja, und du denkst, dass du da wohl gegenhalten kannst. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Denke daran, dass es mehrere von uns so gewirkt haben und du nur einer bist!" Julius kapierte es. Wenn mehrere zugleich dasselbe zauberten wirkte das immer und überall stärker und ausdauernder als wenn nur ein einziger mächtiger Zauberer oder eine Hexe denselben Zauber ausführte.

Laut Julius' trotz Mitschrumpfung weiterlaufender Weltzeituhr flogen sie zwei Minuten durch den Tunnel, von dem aus mehrere Nebengänge abzweigten. Dann ging es noch einmal durch eine flimmernde Wand, von der Julius sicher war, dass die für Nichtveelas massives Felsgestein war. Dann erreichten sie eine gewaltige Tropfsteinhöhle, größer als die Kathedralen Notre Dame oder St. Paul's. Gut, für den Geschrumpften Julius war diese Höhle gerade so groß. Womöglich war sie wesentlich kleiner. Das merkte er sofort, als er die riesenhaften Gestalten sah, die auf steinernen Bänken um eine lodernde Feuerstelle herum saßen. Er erinnerte sich an die Abenteuer von Lemuel Gulliver, die er als kleiner Junge als Bilderbuch gelesen hatte. So hatte der sich im Lande der Riesen gefühlt. "So, wenn du von meinem Rücken herunter bist warte bitte solange, bis ich in meiner von Mokusha geborenen Gestalt neben dir stehe und werde dann erst wieder so groß wie es sein soll! Dann kann ich dir helfen, diese Nacht in der Höhle der gesammelten Worte zu überstehen."

Julius vertat keine Zeit damit, zu fragen, warum er so handeln musste. Er fühlte sofort die mächtige Magie der Erde, die durch Létos Schwanenkörper strömte. Ja, und da mochte noch andere Elementarkraft im Spiel sein, vielleicht Feuer, vielleicht Luft oder Wasser. Dann dachte er daran, dass die starke Woge ungerichteter Erdmagie diese Höhle unversehrt gelassen hatte. Wie mächtig musste die Magie sein, wo selbst Gringotts von der Erdmagieflutwelle verheert wurde? Er begriff es nun, warum sich Ladonna Montefiori für eine wahrhaftige Königin aller Hexen halten musste.

als er neben dem Schwan stand erfassten seine Erdkraftsinne die machtvollen Ströme der Erdmagie und er hörte ein vielstimmiges Flüstern, so als wisperten hunderte oder tausende von Menschen ihm etwas zu. Er erkannte, dass das Flüstern aus den Tropfsteinen klang. Das war sie also, die Höhle der gesammelten Worte.

Léto verwandelte sich in ihre menschenförmige Gestalt zurück. Scheinbar zehn Meter und mehr ragte sie neben Julius auf. Er dachte an Meglamora und Nal. Dann besann er sich und entschrumpfte sich, um punktgenau in einer innigen Umarmung der normalgroßen Léto zu enden. "Sei willkommen, Sohn eines anderen großen Volkes unser aller Ureltern", sagte Léto und sprach dabei eine leichte Abwandlung der Hochsprache von Altaxarroi, wie Julius erstaunt feststellte. Dann sah er mehrere ebenso schöne Erscheinungen wie Léto, Männer und Frauen. Rein äußerlich mochten sie gerade dreißig oder vierzig Jahre alt sein. Doch bei Veelas waren hundert Jahre gerade so viel wie zehn Jahre für einen Menschen. Außerdem erkannte er einige von ihnen wieder. Sie hatten ihn damals geprüft, ob er würdig genug war, Vermittler zwischen Veelas und Menschen zu sein. Er erkannte Lebensfeuer und Sommerwind, die beiden ältesten lebenden Veelas der Welt. Er erkannte auch Sarja, die hier Morgenröte hieß, die Mutter von Diosan. Sie lächelte, als ihr Blick seinen traf. Eine Veela mit im Feuerschein rotblondem Haar, eine Spur heller als das der Latierres, trat auf die ihn umarmende Léto zu und berührte Julius mit der warmen Hand an der Wange. "Seid mir beide willkommen, Himmelsglanz und Julius Erdengrund!" sagte sie. Auch ihr Bruder Eisenklang kam herbei, anmutig wie ein russischer Ballettgroßmeister, aber auch zerbrechlich wie eine chinesische Porzellanpuppe. Er strich Julius ebenfalls mit der flachen Hand über die Wange und hieß ihn willkommen. Julius spürte sofort, wie die unter ihm dahinjagende Erdmagie immer weiter zurückgedrängt wurde. Auch fühlte er, dass sich seine Goldblütenhonigphiole wohlig erwärmte und sein Herzanhänger ruhig und warm pulsierte. Nun berührte auch Sommerwind ihn an der Wange, aber nicht mit der Hand, sondern ihrem Mund. Lebensfeuer, der älteste lebende Veela der Welt, legte seine Hand an seine Wange. Jetzt hörte Julius nur noch das sanfte Brummen der in den Wänden fließenden Erdmagieströme. Dann kam Sarja auf ihn zu. Sie breitete ihre Arme aus. Er war froh, dass sie ein langes, im Feuerschein rot-goldenes Kleid trug. Sie sah ihn mit unverhohlenem Begehren an. Dann berührten ihre für ihr alter glatten, warmen Lippen die seinen, und ihre warmen, biegsamen Arme umschlangen seinen Oberkörper und zogen ihn an sich. "Nicht verweigern, sie will dich nur begrüßen", hörte Julius Létos Stimme im Kopf, während Sarja die Gelegenheit nutzte und Julius einen innigen Kuss abluchste. Dabei fühlte er eine vertraute, hier jedoch gerade nicht erwünschte Erregung. "Schön, dass du noch lebst", hörte er unvermittelt Sarjas Stimme in seinem Kopf. "Ich hörte, dass du noch zwei süße kleine Mädchen und einen kräftigen kleinen Knaben hinbekommen hast. Wenn der Schoß der starken Frau, der du zugesprochen wurdest, genug deiner Kinder in sich erbrütet hat und sie dich losgibt komm gerne zu mir!" Mit diesen Worten verstärkte sie noch einmal den Druck ihrer Lippen. Er fühlte ihre Zunge seine umschmiegen. Dann endlich ließ sie von ihm ab. Er fühlte die Verlegenheitsröte in Wangen, Stirn und Ohren jagen. Sarja lachte belustigt. "Oh, habe ich ihn verschüchtert. Das bekommen wir wieder hin, wenn du auf mein Lager kommen willst, Julius."

"Es ist genug, Schwester!" rief Léto. Sommerwind stellte sich zwischen Sarja alias Morgenröte und Julius und sagte: "Morgenröte ist immer noch der Ansicht, du müsstest eine Schuld an sie begleichen, genauso wie Sternennacht dort hinten", schnurrte Sommerwind. Jetzt erkannte Julius etwas außerhalb des Lichthofes der Feuerstelle, dass dort noch zehn andere Veelas saßen und eine davon seidiges Haar so schwarz wie die Nacht besaß. Ja, das war Sternennacht, die älteste lebende Blutsverwandte Ladonna Montefioris.

"Du darfst dich zu deiner Fürsprecherin setzen, Julius. Wie ich sehr erstaunt vernehme beherrschst du unsere erhabene Sprache, obwohl du kein Sohn Mokushas bist und nichts bei dir trägst, was dich fremde Sprachen verstehen lässt. Dann können wir alle mit dir sprechen, egal ob wir vom langen Strom der Donau, den Bergen des Urals oder den Hochländern Bulgariens und aus den tiefsten Wäldern Rumäniens stammen", sagte Sommerwind. Julius erkannte, dass Létos Magie ihn quasi zu einem Gedankensender gemacht hatte. Wenn er sich jetzt abschirmte mochten die anderen das als Beleidigung sehen. Eigentlich hätte er Sarja schon so abwettern müssen. Doch die hatte nur ihren Körper eingesetzt. War das sein Glück gewesen?

Als er zwischen Léto und die sich blitzartig zwischen Morgenröte und ihn drängende Sommerwind saß berichtete Lebensfeuer, was in den letzten Tagen geschehen war. Er erwähnte eine andere Zeugin, die aus nicht vor Menschen zu erwähnenden Gründen ein Teilnahmeverbot bei Versammlungen hatte. Doch wie auf ein Stichwort flog in dem Moment ein rot-goldener Adler durch den flirrenden Zugang zur nicht mehr ganz so übergroßen Höhle der gesammelten Worte, stieß einen vielfach widerhallenden Revierschrei aus und landete. Kaum berührten die mit messerscharfen Fängen gespickten Füße den Boden wurde aus dem Adler eine weitere Veelastämmige, eingehüllt in ein sonnengelbes Seidenkleid. Ihr Haar war flammenrot. Als sie sich umblickte spiegelte sich der flackernde Schein der Feuerstelle in goldbraunen Augen. Alle anderen hier erstarrten fast. Julius fühlte, wie die dazugekommene ihre besondere Ausstrahlung wirken ließ. Jetzt musste er sich abschirmen. Denn die Nachzüglerin blickte ihn nun konzentriert an. Er sah den Zauberstab in der schlanken Hand der Adlerfrau und wusste, dass sie keine reinrassige Veela war. Sein Lied des inneren Friedens dröhnte in seinem Kopf. Dann wirkte es. Gerade in dem Moment fing ihr Blick seinen ein und saugte sich daran fest. Er hielt mit seiner ganzen Willenskraft dagegen, versuchte sogar, sie mit jenem strengen Blick zurückzudrängen, den er seit dem Biss eines Skyllianris und der Bluttransfusion von Madame Maxime beherrschte. Tatsächlich erzitterte die andere eine Sekunde. Doch dann verstärkte sie ihren Blick. Julius fühlte den Druck in seinem Kopf. Er dachte wieder das Lied des inneren Friedens und hielt dem Blick der anderen stand. Morgenröte sprang auf und schnellte genau zwischen die beiden. Sie stand eine Sekunde ruhig. Dann trat sie einen Schritt zurück und wieder vor und wieder zurück. Julius bewunderte den geraden Rücken, das silberblonde Haar und das wohlgeformte Gesäß von Létos Schwester. Diese schien sich mit der halben Veela ein Niederstarrduell zu liefern ...und verlor. Sie torkelte wie angetrunken zurück, erbebte dabei und brach fast in die Knie. Dann trat sie zur Seite und kehrte schwankend auf ihren Platz zurück.

Julius fürchtete nun, er würde die andere jetzt wieder ansehen müssen. Da legte ihm Sommerwind beide Hände auf die Augen und sagte: "Rotstein Feuermund, es ist jetzt genug. Nicht nur, dass dir der Zutritt zu unseren Versammlungen verwährt ist, du maßt dir auch noch an, einen anderen, der kein Sohn unserer großen Mutter Mokusha ist mit dem Blick der Einforderung anzusehen, etwas, was sich hier keine reinblütige Tochter Mokushas erlaubt hat. Entweder verschwindest du sofort wieder, oder du trägst vor, was du vorzutragen hast und verschwindest danach wieder, oder wir werden dich für deine Verfehlungen bestrafen. Wähle!"

"Oh, die gute Sommerwind beansprucht einen reinblütigen Menschenjungen. So stimmt die Erzählung, dass in deinem Schoß noch heller Frühling nistet", hörte er die andere in der alten Sprache antworten. Ihre Sprachmelodie wirkte jedoch südeuropäisch, womöglich Spanisch. Da hörte Julius Sternennacht, deren Stimme ihm noch sehr gut in Erinnerung war antworten: "Trage deine Worte vor und verschwinde. Du wurdest nicht eingeladen und bist daher nicht erwünscht hier."

"Sternennacht, diese Höhle liegt in meinem Land", erwiderte nun eine andere Veela sehr erbost.

"Gut, Frühlingslied, du hast das Bestimmungsrecht, wer hier verweilen darf. Ich sage euch allen deshalb, dass ich die Demütigung meiner Familie nicht hinnehmen werde. Sollte einer meiner Verwandten durch Sternennachts missratene Anverwandte sterben werde ich sie bestrafen. Nur für den Fall, dass ihr diesem herrlich starken Burschen da einreden wollt, die selbsternannte Hexenkönigin aus dem Stamm der Nachtgeborenen nicht töten zu dürfen. Kommt sie zu mir oder schafft es einer ihrer Kettenhunde, meine Kinder und Kindeskinder zu quälen oder zu töten, um an mir Rache zu nehmen, wird meine Rache um so fürchterlicher sein. Und er da, Sommerwind, wird mir gehören, wenn er mein Land betritt. Er ist stark, er kann sich so gut vor mir verschließen. Ich wusste gar nicht, wie wohlig erregend das sein kann. Ach ja, sein ihm angebundenes Frauchen sollte mir nicht dabei in die Quere kommen, sonst muss ich es wohl leider totmachen. Gehabt euch alle wohl, ihr selbstherrlichen Alten ..." Es surrte laut, als flöge ein aufgescheuchter Wespenschwarm umher. Julius schrak heftig zusammen und erstarrte bei dieser Vorstellung. Doch als Sommerwind die Hände von seinen Augen nahm sah er die Ursache. Es waren grüne und rote Blitze. Jetzt fühlte er auch, dass es Kombinationen aus Erd- und Feuerzaubern sein mussten. Die rebellische Frau mit den flammenroten Haaren wurde von grün-roten Nebelschwaden umschlossen. Ihre Gestalt flimmerte. Dann blitzte es hell. Ein scharfer Knall peitschte durch die Höhle und hallte viele Sekunden lang wider. Die Rothaarige war spurlos verschwunden. "Wie hat sie das geschafft. Keiner kann den Kurzen Weg in diese Höhle nutzen oder ihn von hier aus betreten", zeterte Frühlingslied, bei der Julius nun Stimme und Aussehen zuordnen konnte.

"So, und warum hat sie genau das gerade getan?" fragte Sarja oder Morgenröte. Niemand schien diese Frage beantworten zu können. Julius hatte da zwar eine gewisse Ahnung, hütete sich jedoch, sich hier als Illusionsbrecher hervorzutun. Ihn interessierte jetzt, was genau die Ältesten ihm sagen oder zeigen wollten und was davon er den anderen Menschen mitteilen durfte oder gar musste. So wartete er, wobei er immer noch das Lied des inneren Friedens anstimmte, bis Léto ihren rechten arm um ihn legte und ihm zuflüsterte: "Öffne dich bitte wieder. Keiner und auch keine wird dich behelligen, wenn ich dich so berge." Julius vertraute Léto und hob die Wirkung des Liedes auf. Sofort fühlte er den wohligen Schauer einer in sein Bewusstsein einschießenden Kraft. Selbst wenn die anderen Veelas ihre eigene Ausstrahlung gerade auf Minimum heruntergeregelt hatten waren es eben so viele Veelas auf einmal hier.

"Wir haben es vernommen, dass Rotstein Feuermund, die bei den Menschen Espinela Flavia Bocafuego de Casillas heißt, um ihre Familie bangt, weil Ladonna auch ihr Land unterworfen hat und damit ihre Kinder und Kindeskinder bedroht", sagte Sommerwind. Dann bat sie Sternennacht, zu berichten, welche Hoheitsgebiete Ladonna schon erobert hatte und wie die dort wohnenden Kinder Mokushas darunter zu leiden hatten.

Mit einem verärgerten Blick auf Julius trat Sternennacht vor und berichtete nun, was ihre Verwandte getan hatte. Julius argwöhnte, dass Ladonna dadurch erst recht Lust auf Mehr bekommen hatte. Einige in Russland beheimatete Mitglieder des Ältestenrates berichteten von offenen Kriegszügen Arcadis gegen die in Zauberersiedlungen lebenden Veelastämmigen, sodass diese sich immer mehr in die Gebirge und weiten Wälder zurückziehen mussten. Arcadi hatte sogar eine Frist gesetzt, dass die Veelas bis zum zweiten Frühlingsvollmond sein Land zu verlassen hätten und er auch keine Angst vor ihrer Blutrache habe. als ein veelastämmiger Mann es geschafft hatte, in Arcadis Nähe zu gelangen hatte er die dunkle Ausstrahlung einer anderen, teilweisen Tochter Mokushas verspürt. Damit sei es ihm klar geworden, wessen Wünsche und Forderungen wirklich aus Arcadis Mund und Schreibfeder drangen. Ja, und Arcadi hatte heftig gezittert, als der junge Bursche Boris Alexejewitsch Boglanow ihm näher als zehn Schritte gekommen war. Nur seine besondere Begabung, sich bei Gefahrenlagen mit zehnfacher Geschwindigkeit zu bewegen habe ihn vor dem grünen Todeslicht bewahrt, das Arcadi ihm entgegenschickte. Im Wissen, dass eine zerbrochene Spielpuppe immer wieder ausgetauscht werden kann, sei er selbst in die Wälder der Taiga zu seiner Tante Flussquell geflüchtet. Deren Mutter, Silberwasser, war auch gerade hier in der Höhle der gesammelten Worte und bestätigte den Bericht. Jetzt sprach auch Sarja alias Morgenröte und erwähnte, dass Arcadi die gefürchteten Wolfspferdreiter losgeschickt habe, um sie und Diosan zu fangen oder zu töten. Als sie Julius' fragenden Blick bemerkte erklärte sie: "Wolfspferde sind durch dunkle Zauber aus schwarzen Wölfen und wilden Steppenpferden zusammengefügte Untiere, doppelt so groß wie gewöhnliche Pferde, mit pechschwarzem struppigen Pelz und mächtigen, eisenharten Krallen an den Vorderbeinen und dolchartiegen, unzwingsteinharten Klingen gleichen Reißzähnen bewehrte Geschöpfe, die alles erlegen und fressen, was weniger als halb so groß ist wie sie. Daher reiten auf ihnen keine Wesen aus Fleisch und Blut, sondern mit Silber überzogene, in Stahlrüstungen gekleidete Totengerippe ehrlos gestorbener Menschen, Hinrichtungsopfer, vom Schlachtfeld geflohene und doch getötete. Arcadi hat wohl die dunkelsten Meister seines Verwaltungsgefüges angestiftet, ihm diese Abscheulichkeiten zu beschaffen und auf uns zu hetzen. Soweit geht also die Herrin des Blumenberges, Julius und ihr ehrwürdigen Mitglieder des Rates der ältesten."

"So haben wir gehört, was Sternennachts irregeleitete Anverwandte bereits verübt hat und ahnen, was sie demnächst verüben wird", sagte Sommerwind. "So müssen wir fürchten, dass die Menschenkinder dies nicht mehr länger erdulden werden und sie zum Tode verurteilen. Wir haben beschlossen, dass Ladonna Montefiori, in der ein Viertel unseres Erbes lebt, dennoch voll und ganz unsere Angelegenheit ist. Wir haben Sternennacht, der ältesten noch lebenden Blutsverwandten, geboten, die Irregeleitete zu bestrafen, wenn wir wissen, wie wir an sie herankommen, um sie zu ergreifen. Sie wird an ihr den letzten Schnitt vollführen, auch wenn sie nicht deren Stammmutter ist. Doch wenn ihr Menschen sie ergreift und tötet, so verfällt jener, der es tut und jener der es befiehlt mit allen Angehörigen der Blutrache von Sternennacht. Ist dies so recht gesprochen, Sternennacht?"

"Jawohl, Sommerwind. So ist es recht gesprochen. Deshalb, Julius Erdengrund, ergeht von uns an die deinen die unwiderrufliche Ankündigung und Forderung: Überlasst Ladonna Montefiori uns Kindern Mokushas! Ihr dürftt uns wohl helfen, sie zu finden. Doch wagt es nicht, sie zu töten! Sage das auch der durch festes Gestein eilenden Unholdin, die mit einer Webspinne verschmolzen ist, dass Ladonna uns Kindern Mokushas gehört. Sollte irgendjemand von euch Menschen sie dennoch töten, so wissen wir, dass du versagt hast und werden auch dich und die deinen für diese Untat aus der Welt schaffen, Väter, Mütter, Söhne und Töchter. Geh und berichte es deinem Volk!"

"Habe ich rederecht?" fragte Julius sommerwind. Diese wiegte den Kopf. Dann sah sie Léto an und sagte: "Dir sei gestattet, seine Worte widerzugeben, wenn er vermag mit lautloser Stimme zu dir zu sprechen, Himmelsglanz!" Léto lächelte, und Julius atmete auf. Das war sehr einfach. Er konzentrierte sich auf Léto und sandte ihr zu:

"Zum einen, ehrwürdiger Rat der ältesten Kinder Mokushas, besteht die Gefahr, dass Ladonna über den Spanischen Zaubereiminister nach dem großen Erdteil Namens Südamerika greifen wird. Sollten dort Menschen wohnen, die dies nicht hinnehmen wollen und Ladonna jagen und töten wollen, so sie dort selbst hinreist, kann ich nicht dafür verantwortlich sein." Léto sprach fast im gleichen Moment aus, was er ihr zudachte. Das war schon unheimlich, als spräche er durch ihren Mund wie ein orientalischer Dibbuk. Doch als er diese befremdliche Stimmung wieder los wurde schickte er ihr weiter zu: "Zum anderen, ehrwürdiger Rat der ältesten Kinder Mokushas, gilt in meiner Heimat Frankreich seit dem vierzehnten Tage des Monats Juni des Jahres zweitausendvier Menschenzeitrechnung ein Vertrag zwischen Menschen und Mokushas Kindern, dass kein dort in Frankreich lebender Mensch mehr die Blutrache der Angehörigen eines unrechtmäßig getöteten Kindes Mokushas zu erleiden hat, ja und vor allem seine Angehörigen ihr nicht verfallen. Es gilt halt nur, dass ihm oder ihr wegen beweisbarem ausgeführten Mordes oder Auftrages dazu die gleiche Höchststrafe droht wie beim Mord an einem Menschen und dass der Schuldige der Familie des getöteten Kindes Mokushas ein Hundertstel seines Vermögens für jedes Lebensjahr des oder der getöteten zu übereignen hat oder wenn dies nicht ausreicht in lebenslangem Dienst an der betroffenen Familie zu leben hat, solange er seine Heimat Frankreich nicht verlässt. Doch weiß ich auch, dass selbst wenn ich es allen sage, die es wissen sollen, dass Ladonnas Tod eine schreckliche Blutrache heraufbeschwört, die oberste Meisterin der Spinnenschwestern keine Rücksicht auf meine Worte nehmen wird. Trifft sie Ladonna Montefiori und beginnt einen Zweikampf mit ihr, so wird sie darauf ausgehen, die ihr verhasste Widersacherin zu töten. Außerdem hat sie keine Angst vor der Blutrache Sternennachts. Denn soweit ich weiß hat sie keine Angehörigen und sich zudem gegen die Rächerinnen und Rächer aus Sternennachts Sippe abgesichert, was Sternennacht sicher noch sehr gut in Erinnerung hat. Ja, ich werde meinen Freunden, Vorgesetzten und Verwandten raten, Ladonna weiterhin lebend zu fangen und nicht zu töten, ob im Kampf oder durch eine Hinrichtung oder durch einen Auftragsmord. Doch auf die Herrin der Spinnenschwestern habe ich weder Zugriff noch Einfluss und werde daher jede gegen mich geführte Blutrache als größtes aller Unrechte zurückweisen. Wenn wir uns alle in blutigem Kampf gegenseitig töten, so hat Ladonna auch nach ihrem Tode gewonnen. Dies will ich nicht, und ich weiß, das wollt ihr auch nicht. Ich vertraue darauf, dass ihr ebenso in Frieden leben möchtet wie meine Familie, meine Verwandten, meine Freunde und jene, die mit mir zusammen dafür arbeiten, diese Welt ein wenig besser zu machen als wir sie vorgefunden haben. Bitte bedenkt es, dass ein friedliches Miteinander das Leben aller bewahrt und die Blutrache die Vernichtung aller auf beiden Seiten bringt! Dies sage ich, Julius Latierre, von euch auch Erdengrund genannt. Ich danke Himmelsglanz, durch deren Mund meine Worte erklingen durften, um von euch gehört zu werden. So habe ich gehört, und so habt ihr gehört.

Es wurde so leise, dass Julius nur das leise Brummen der in den Wänden fließenden Erdmagie und das leise, unverständliche Flüstern aus den Stalaktiten und Stalakmiten hörte, das der Höhle wohl ihren Namen gab. Einige Sekunden dauerte es. Dann sagte Lebensfeuer:

"Wir haben deine Worte durch Himmelsglanzes Mund vernommen, Julius Erdengrund. Doch binden uns die alten Gesetze unserer Ahnen. Was Himmelsglanz für ihr Land und ihre Blutsverwandten aushandelte gilt für sie und alle, die in ihrem Land wohnen. Wir haben ihr dies genehmigt. Doch was Ladonna angeht ist sie keine aus Himmelsglanzes Ahnenreihe und daher nicht ihrem Vertrag mit euch untergeordnet. Sternennacht will sie, und sie wird sie bekommen oder jeden vernichten, der sie ihr vorzeitig nahm und tötete. Dies verkünde deinem Volk, Julius Erdengrund!"

"So ist mein Auftrag hier erfüllt?" ließ Julius noch einmal durch Létos Mund erklingen. Sommerwind und Lebensfeuer sagten zeitgleich "Ja, dies ist er." Frühlingslied, die Hausrechtinhaberin, fügte dem noch hinzu: "So sollen auch all die hier und heute gesprochenen Worte in den wachsenden Steinen dieser Höhle gesammelt sein, jetzt und immer dar, für jeden, der die gesprochenen Worte nachzuhören berechtigt ist. Damit erbitte ich das Ende dieser Versammlung als Hüterin dieser Höhle."

"dies ist bestätigt und wird erfüllt", sprachen Lebensfeuer und Sommerwind zeitgleich, als hätten auch sie eine Gedankenverbindung geknüpft. Alle erhoben sich. Julius fühlte, wie Léto ihn mit ihrem Arm hochstemmte. Fast hätte er die Beine nicht rechtzeitig durchgestreckt. Doch dann stand er neben ihr. Dann sagte sie von sich selbst her: "Dann bringe ich unseren Gast wieder zurück in seine Heimstatt, damit er dort alles mitgehörte in für sein Volk verständliche und einhaltbare Worte übersetzen kann. Komm, Julius, es geht nach Hause zu Frau und Kindern!" Die weiblichen Veelas kicherten, bis auf Sternennacht und Morgenröte. Die männlichen Veelas blieben davon ungerührt. Für sie war die Vaterschaft kein freudiges Ereignis, sondern eine von den Müttern oder Tanten eingeforderte Verpflichtung, um die Blutlinie zu bewahren. Dabeimussten die ihre Kinder nicht fünf Jahre in ihren Bäuchen herumtragen.

Kurz vor dem Zugang zur Höhle trat Morgenröte noch einmal an Julius heran und raunte ihm zu: "Bedenke Julius Erdengrund, dass ich dich vor Rotsteins Begehrlichkeiten bewahrte. Du schuldest mir deinen Dank und einen damit verbundenen Dienst. Noch überlasse ich dich deiner Menschenfrau. Doch sollte sie meinen, mich zum Entscheidungskampf zu fordern oder dich losgeben, weil sie deiner Überdrüssig ist oder du dich von ihr abwenden, weil du ihrer überdrüssig bist, werde ich dies erfahren und deine Schuld einfordern."

"Sarja, bevor du irgendwelche Forderungen an mich stellst musst du wohl an zwei Riesinnen, der Mutter aller Abgrundstöchter und wohl auch dieser spanischen Rothaarigen vorbei, die dich im Starrduell besiegt hat. Schlaf gut", erwiderte Julius unerwartet entschlossen.

Morgenröte knurrte wie eine wütende Wölfin. Doch Léto sagte schnell: "Wo er recht hat, Schwester. Abgesehen davon kann auch ich eine dir zu leistende Schuld einfordern und dir dafür im Gegenzug einen Dienst erweisen, wie du weißt."

"Das heißt, du beanspruchst ihn für dich, Schwester?" fragte Sarja. "Natürlich tu ich das, sobald die Bedingungen eintreten, die du festgelegt hast", erwiderte Léto alias Himmelsglanz klar und deutlich. Morgenröte zuckte zurück, dann wandte sie sich so schnell um, dass ihre seidigweichen Haare wie hauchdünne Peitschenschnüre um Julius' und Létos Kopf flogen. Dann ging sie in die Höhlenmitte zurück und wurde zu einem genauso stolzen weißen Schwan wie Léto. Diese tippte Julius an und gebot ihm, sich wieder zu verkleinern. Als die Höhle um ihn herum wieder zur mehrfachen Kathedralengröße anschwoll wurde aus der ins Riesenhafte wachsenden Veela ein elefantengroßer Schwan. Julius stieß sich kräftig vom Boden ab und hangelte sich in den Deckfedern nach oben auf Létos Rücken. Als er sich richtig festhielt hob sie ab und flog mit dem Schnabel voran durch die flimmernde Barriere.

Durch den Tunnel ging es wieder zurück zur zweiten Flimmerwand und durch diese hinaus in die montenegrinische Gebirgsnacht. Julius hörte das Rauschen des Taraflusses weit unter sich und bestaunte die mächtig aufragenden Wände des in Jahrmillionen in dieses Gebirgsmassiv hineingefressenen Tals. Für ihn war die Schlucht vom Grund bis zum Rand höher als der Mount Everest. Dennoch schaffte es Léto in weniger als einer Minute, aus dem Tal zu entfliegen und zwischen den gewaltigen Bergen Montenegros dahinzurasen wie ein Düsenflugzeug. Dann ging es wieder auf Heimatkurs.

"Berühre ich ein Geheimnis, wenn ich frage, ob die Tropfsteine wirklich alle jemals in der Höhle gesprochenen Worte speichern und auf Abruf wiedergeben können?" gedankenfragte er Léto, als sie auf dem schnellsten Kurs unter Umgehung Italiens zurückflog. "Es ist Wissen der Kinder Mokushas. Aber weil Frühlingslied es erwähnt hat und keiner der Ältesten ihr das untersagt hat darfst du aber nur du es wissen. In der Höhle wurden alle Kräfte der vier Urquellen zusammengefügt, um einen Ort zu schaffen, der die Räte und Beschlüsse vergangener Zeiten und Geschlechter aufnimmt, sobald es unter den Blutlinien Unstimmigkeiten oder offenen Streit gibt. Wer einen Streit auszutragen hat kommt in die Höhle und bringt alle seine Punkte vor. Eine Gruppe aus Schlichtern kann dann versuchen, die Streitenden auf eine gemeinsame Lösung zu bringen. gelingt es nicht, so kann ein ehrenvoller Zweikampf der ältesten Mitglieder der streitenden Familien in dieser Höhle ausgefochten werden. Dabei ist es nicht wichtig, ob Frau gegen Frau oder Mann gegen Mann kämpft. Wer siegt hat den Streit entschieden. Auch das wird dann für alle Zeiten in den Steinen der gesammelten Worte festgehalten. Deshalb war es uns von den Ältesten wichtig, dass wir dir in dieser Höhle unsere Forderung verkünden. Deshalb musste ich deine Gedanken aussprechen, weil die Steine der gesammelten Worte nur die Stimmen von Kindern Mokushas verstehen können. Und deshalb ist es sehr bestürzend, dass Espinela Flavia Bocafuego de Casillas trotz eines Verbotes in die Versammlung eintreten konnte und es gewagt hat, dich mit dem Blick der Forderung anzusehen, gegen den dein Gedankenschild sehr vorzüglich widerstanden hat, meine Hochachtung", gedankenantwortete Léto.

"Was die darauf sagte hat mich an eine erdichtete Geschichte aus einer noch weit entfernten Zukunft erinnert, wo eine Frau, die es nach dem Zusammensein mit einem Mann drängte, Gedanken anderer Menschen lesen konnte und versuchte, einen nur aus räumlichem Bild und künstlicher Stimme bestehenden Mann für sich zu gewinnen und es sehr erotisch also lustvoll anregend fand, dessen Gedanken nicht lesen zu können. Das hätte ich eigentlich wissen müssen, dass sowas bei echten Gedankenleserinnen so rüberkommt."

"Ja, Espinela will dich wohl haben, weil sie gehört hat, wie stark und kundig du bist, Julius. deshalb würde ich niemals mehr ohne mich oder eine meiner Töchter oder Enkeltöchter nach Spanien einreisen. Da ist sie die Königin der Hexen. Deshalb ist sie auch so erzürnt, dass Ladonna ihr dieses Recht streitig macht und dabei auch Espinelas Familie bedroht. Dass mit ihrem Enkelsohn hast du ja mitbekommen. Da sie sich mit uns anderen Kindern Mokushas beinahe unrettbar überworfen hat will sie uns auf andere Weise besiegen. Tja, und wie könnte sie das besser, als wenn sie den von uns ernannten Vermittler zwischen uns und euch Menschen auf ihre Seite und buchstäblich in ihr Bett holt, ja als Mutter deiner Kinder sogar Anspruch darauf hat, dass du sie gegenüber uns vertrittst und dass sie von dir gegenüber den anderen Menschen vertreten wird. Nein, sie ist nicht liebestoll, sondern sehr, sehr zielstrebig. Nein, und das mit den vaterlosen Töchtern darfst du in ihrer Gegenwart auch nicht zu offen denken, falls du deinen Gedankenschild nicht stark genug gegen sie einsetzt. Da ich dir etwas von mir mitgab kann sie genauso wie sommerwind oder meine Schwester deine offenliegenden Gedanken erfassen, wenn sie auf Armreichweite an dich herankommt und ihr und dein Lebenshauch einander durchdringen. Genau das war ihr Ziel, als sie versuchte, dich mit dem Blick der Forderung zu unterwerfen, übrigens auch etwas, das Ladonna Montefiori kann."

"Apropos Forderung: War das jetzt ernst gemeint, was du deiner Schwester gesagt hast?" wollte Julius wissen.

"Ja, das war so ernst wie meine Liebe zu meinen Kindern und meine Sorge um dein Wohlergehen. Sarja hätte niemals von dir abgelassen. Sie hätte Millie getötet, wenn ihr beide euch in ihr Land verirrt hättet, und ja, vielleicht hätte Millie auch sie getötet, was wiederum mich zur Blutrache veranlasst hätte. Gerade um es nicht soweit kommen zu lassen und weil Sarja so erbost und unbedacht meinte, dich offen einfordern zu können habe ich als die ältere den Anspruch auf dich von ihr übernommen. Doch ich denke, Millie und du werdet noch sehr lange zusammen leben und Millies Schoß wird noch einige deiner Kinder in sich aufnehmen und heranreifen lassen. Aber sollte es doch passieren, dass sie vor dir stirbt oder du sie oder sie dich losgibt gilt die Forderung, dass ich dir die Dankesschuld von Sarja abverlangen kann. Ja, und wie die aussehen mag kannst du dir denken."

"Millie wird das nicht freuen", gedankensprach Julius. "Deshalb solltest du ihr auch nur erzählen, dass ich dich mal wieder vor meiner rachsüchtigen Schwester beschützen musste. Da sie selbst eine ältere und eine jüngere Schwester hat wird sie das sicher verstehen. Öhm, hast du ihr das mit Espinelas früherer Forderung erzählt? - Oh ja, hast du wohl. Gut, dann kannst du ihr auch erzählen, was ich dir darüber gesagt habe und dass ihr besser bis auf weiteres keine Urlaubsreise an die Costa del Sol oder auf eine der Balearen macht."

"Ja, sollten wir vielleicht überdenken. Aber ich kenne in anderen Ländern so viele nette Leute, zu denen wir hinreisen können", gedankensprach Julius. Léto bestätigte das.

Wie vorhin machten sie an zwei Stellen Rast, um noch etwas zu essen und zu trinken oder überschüssiges loszuwerden. Eine Stunde vor Sonnenaufgang erreichten sie Millemerveilles. Vor dem Apfelhausgrundstück setzte Léto Julius ab. Er rückvergrößerte sich zum letzten Mal in dieser Nacht und spürte, dass ihn die dauernde Verwandlung doch gut zugesetzt hatte. Dennoch würde er gleich noch die Botschaft der Veelas an die ihm noch als frei bekannten Adressen im Arkanet versenden, darunter auch das Laveau-Institut in New Orleans. Doch dann würde er sich von Anne Laporte eine Heileranweisung geben lassen, die überstandene Nacht nachzuholen, falls Trice ihm keinen Wachhaltetrank genehmigte.

"Dann wünsche ich dir und den deinen noch eine nicht ganz so betrübliche Zeit, Julius. Wenn was mit meinen Verwandten ist denke mir zu, und ich helfe dir bei den anstehenden Entscheidungen."

"Ich habe das bei dieser angespannten Ratssitzung nicht angesprochen, Léto. Aber könntest du und die anderen uns helfen, dass wir wieder nach Paris zurückkehren können, wo jeder weiß, wo das Zaubereiministerium ist?"

"Bitte eure Ministerin um eine Anfrage bei mir. Diese schickst du mir, damit ich was habe, was ich meinem Familienrat vorlegen kann", sagte Léto noch. Dann umarmte sie Julius noch einmal nach Landesart und gab ihm die beiden üblichen Wangenküsse. Danach ging sie drei Schritte von ihm fort und verwandelte sich erneut in den weißen Schwan. Keine drei Sekunden später flog der wunderschöne Vogel schneller als ein Wanderfalke davon.

"Quid pro quo, Julius. Du erzählst uns, was bei dieser Geheimsitzung passiert ist und ich gebe dir was vom Wachhaltetrank", sagte Béatrice, als Julius ziemlich müde aussehend in das Apfelhaus zurückkehrte. Julius nahm den Handel an und berichtete, wobei er sich an Létos Ratschlag hielt, nichts von dem Handel zwischen ihr und Sarja zu erzählen. Er erwähnte nur, dass er wohl nicht ohne Veelabegleitung nach Spanien dürfe. Er erwähnte auch warum Espinela meinte, ihn für sich einzufordern. Béatrice nickte. Millie grummelte und zischte was von "Die ist irre, toda loca."Als er erwähnte, wie sie erst Sarja im Niederstarrduell besiegt hatte und dann von den anderen mit grün-roten Wolken und Blitzen umschlossen wurde und dann mit lautem Knall disapparierte sahen Millie und Trice ihn an, als warteten sie auf eine Pointe. Er straffte sich und sagte: "Die reinrassigen Veelas können naturgemäß alle Elementarzauber. Aber vom Apparieren verstehen sie nichts. Sonst hätte Léto mich ja nicht auf die Weise nach Montenegro bringen müssen, wie sie es getan hat. Sicher, sie können womöglich einen Ort zum Locorefusus-Ort machen, zu dem keiner hinapparieren kann. Aber wenn sie einen Aufruhr in den stationären Zaubern verursachen entsteht locker eine Lücke, durch die jemand disapparieren kann, wenn er sich in genau die Richtung dreht, in der die auf ihn wirkende Magie rotiert. Genau das hat Espinela gemacht. War für die Damen und Herren vom Ältestenrat wohl was ganz neues. Ich vermute mal, die wollten Espinela versteinern oder in eine diamantharte Umschließung bannen, um sie ruhigzustellen, weil sie sie nicht töten durften. Aber sie hat sich dagegen gewehrt und dann eben diesen magischen Wirbel ausgelöst, in dessen Auge sie frei disapparieren konnte."

"Und die Höhle ist gerammelt voll mit Erdmagie, Julius?" fragte Millie. "Ich habe da die Erdmagie gespürt. Du hättest da sicher viel Feuermagie gefühlt, weil da auch ein brennstoffloses Feuer gebrannt hat. Womöglich hätte Catherine, wo sie jetzt eine Vertraute der Luft ist jede Menge Windmagie gefühlt, weil ja irgendwie die ganzen gesprochenen Worte, die aus Schall bestehen, eingefangen werden müssen", vermutete Julius.

"Ist auch insofern egal, wenn kein Nichtveela durch diese magische Felsenwand dringen kann oder in der Höhle selbst von den dortigen Schutzzaubern ausgelöscht wird", erwiderte Béatrice. Dann sagte sie noch: "Was wiederum zeigt, wie doppelmoralisch und selbstherrlich diese von ihrer Schönheit und dem Einklang mit höheren Zaubern so überzeugten Wesen sind. Niemand von ihnen darf getötet werden, ohne dass es zur Blutrache an den Schuldigen und seinen Angehörigen kommt. Aber sie dürfen tödliche Zauberfallen aufstellen, um ihre Versammlungsstätten zu verteidigen."

"Ja, das ist soweit ganz richtig", sagte Julius. Béatrice sah ihn an und fragte:"Na, welches Aber kommt da jetzt?" "Diese Erdmagieflüsse im Boden. Es kann sein, dass jemand, der da nicht in die Höhle durfte, zwar in den Boden hineingesaugt wird, aber dann mit Erdbebenwellengeschwindigkeit aus der Höhle hinausgefeuert wird, ohne dass er oder sie dabei stirbt. Ich kann mir das zumindest vorstellen. Es sicher wissen kann ich nicht", erwiderte Julius. Er hing voll dazwischen. Einerseits hatte Béatrice völlig recht, dass wer keine eigenen Leute ohne Gegenschlag verlieren wollte einfach so andere Leute umbringen könnte, ohne einen Gegenschlag fürchten zu müssen. Doch konnte er sich wirklich hinstellen und behaupten, die Veelas würden Angehörige anderer magischer Wesen einfach so umbringen? Das konnte er nicht, solange er dafür keinen Beweis hatte.

Da nun alle Erwachsenen Wachhaltetrank geschluckt hatten konnte Julius gleich nach acht Uhr im Elektrozirkus folgende Botschaft an all die ihm noch als frei vermuteten Stellen weiterleiten:

Als Veelabeauftragter des französischen Zaubereiministeriums, bestätigt durch den Ältestenrat aller Veelas des Planeten Erde, wurde ich am 05.04.2006 zu einer Beratungsstelle der Veelas eingeladen, um folgende Botschaft zu empfangen und an Sie alle weiterzugeben:

Die Veelas sehen Ladonna Montefiori als zur Zeit größte Bedrohung der Menschen aber auch ihrer eigenen Artgenossen an. Daher fürchten sie, dass wir Menschen aus Wut, Hass oder Todesangst heraus danach trachten könnten, Ladonna zu töten, sei es durch einen Auftragsmord, einen offenen Kampf oder nach einer wie immer stattfindenden Gerichtsverhandlung durch eine Hinrichtung. Da Ladonna Montefiori zu einem Viertel Veelaerbgut besitzt und auch Veelakräfte anwenden kann lautet die Botschaft der ältesten Veelas der Welt: "Auch wenn Ladonna eine Viertelveela ist ist sie doch unsere ganze Angelegenheit. Daher untersagen wir euch, sie zu töten, wenn ihr nicht der darauf folgenden Blutrache verfallen und das eigene Leben wie das eurer geliebten Angehörigen, Freunde und Kollegen verlieren wollt." Diese klare Ankündigung mit eingefügter Drohung mag vielen von uns von der Zeit überholt erscheinen, grausam klingen und vielleicht auch insofern hilflos sein, da es genug Leute und Wesen gibt, die sich nicht darum kümmern, ob nach der Tötung eines Feindes dessen Angehörige Rache nehmen wollen. Doch für uns zivilisierte Menschen und anderen Zauberwesen ist es dringend erforderlich, diese Drohung nicht auf ihre Verwirklichung zu testen. Ich lehne es ab, dafür verantwortlich zu sein, wenn unschuldige Menschen wegen eines vermeidbaren Fehlers sterben müssen. Ja, sicher, Ladonna ist unsere bisher größte Feindin, weil sie eine Methode entwickelt hat, um sich hunderte von arglosen Leuten gefügig zu machen. Wir sollten danach trachten, sie lebend zu fangen und ähnlich wie damals Sardonia in einen dauerhaften Tiefschlaf versenken, der sie nicht tötet aber auch von jeder weiteren Untat abhält und die bisherigen Unterworfenen aus ihrem Klammergriff befreit. Ich als Veelabeauftragter empfinde dies als annehmbaren Kompromiss zu Gunsten unser aller Frieden, Freiheit und Sicherheit. Was wir alle in dieser Richtung tun können sollten wir tun, möglichst ohne weiteres Blutvergießen zu vermeiden oder falls doch nötig auf den Minimalwert zu beschränken.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Julius Latierre

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In einer Höhle unweit des Flusses Pinios in der griechischen Provinz Thessalien, 05.04.2006 gregorianischer Zeitrechnung, 21:30 Uhr Ortszeit

In der Mitte der uralten Tropfsteinkaverne in Form eines gleichseitigen Dreieckes ragte ein aus glitzerndem Himmelssteineisen geschlagener Tetraeder, dessen Seiten je neun Ellen der erhabenen Mutter lang waren. an jeder der drei sichtbaren Flächen war ein aus Vulkangestein geformter Halter, in dem eine weißgelb flackernde Wachsfackel steckte. Davor erhob sich jeweils ein sechsstufiges, eiförmiges Podest. Auf dessen glatter Oberfläche stand ein hochlehniger Stuhl aus dunklem Holz. Auf jedem Stuhl lag ein mit den Daunen junger Schwäne, Hennen und Adler gefülltes Federkissen. Auch die Rückenlehnen waren derartig gepolstert. Auf jedem dieser thronartigen Stühle saß eine Frau in mitternachtsblauem, bis zu den nur von Sandalen bedeckten Füßen reichendem Kleid. Ein silbergrauer Schleier verhüllte jedes Gesicht bis unter den Brustkorb. Die drei Frauen konnten sich über die Spitze des Vierflächlers mühelos ansehen und ansprechen.

"Wieder einmal treffen wir drei zusammen", begann die erste auf Altgriechisch. Die zweite antwortete: "Wo Feuer und Stein und Himmelsgebein sind wie wir vereint." Darauf fügte die dritte hinzu: "Zu dieser Stunde in vertrauter Runde." Dann vollendeten alle drei im Chor: "So sind wir drei Mütter zum Ratschluss beisammen." Darauf leuchteten die Fackeln noch eine Spur heller. Ihr Licht schien flirrend von den freiliegenden Eisenanteilen des Vierflächlers wider. Drei ruhige, gleichzeitig getane Atemzüge lang blieb dieses Licht so. Dann dunkelten die Fackeln wieder auf ihre bisherige Leuchtkraft herunter.

"Nun, wo der achtmal zwölfte Tag sich neigt wollen wir uns gegenseitig berichten, was unsere fleißigen und heeren Töchter uns verkündet haben und dann beraten, wie wir damit umgehen sollen", sagte die erste, Mutter Triformis, die Wissende der drei Erscheinungsformen. Darauf sprach die dritte, Mutter Trioditis, die Mutter der Entscheidungsmöglichkeiten: "Die Tochter aus dem Geschlechte der Pyrrha, sowie dem der Fraimorra und der Mokusha giert nach noch mehr Macht und hat sich alle Hüter des höheren Wissens westlich Italiens unterworfen und alles was in Mitternachtsrichtung hinter den hohen, schneebedeckten Gipfeln wohnt, bis rauf zum Mittagsseitigen Rand des einstigen Eislandes. So ist sicher, dass sie auch ihre gierigen Hände nach unserer erhabenen Heimat ausstrecken wird."

Darauf erwiderte die dritte, Trigonia, die Hüterin der drei Abschnitte: "Sie hat bereits ihre Hand ausgestreckt und gewunken. Sie hat den obersten Verwalter der mit der Gnade unserer erhabenen Mutter begabten einladen lassen, an einer Zusammenkunft aller Zaubereiminister an den Ufern des afrikanischen Meeres teilzunehmen. Dies wird wohl eine weitere verlockende Falle sein, um auch die noch fehlenden Gebiete zu unterwerfen. Wenn wir ihr das durchgehen lassen wird sie unsere Vernichtung beschließen und vollstrecken, und die erhabene Mutter wird uns für unser Versagen nicht in die Gefilde der Seligen hinüberführen."

"So lasst mich die Berichte der mir vertrauten Töchter verkünden", sagte Mutter Triformis.

Nachdem jede der drei vom Rate der Mütter dem Trimetrion Heckteion, den obersten Rat der Töchter Hecates, geschildert hatte, was ihr berichtet worden war berieten sie, wie die Töchter der Hecate, Griechenlands seit drei Jahrtausenden mächtigster Hexenorden, auf die drohende Gefahr reagieren sollten. Am Ende stand ein Plan, bei dem jedoch die darin einbezogenen Zauberer ungern mitmachen würden. Trotzdem mussten sie dem zustimmen, um die Wahrheit mit eigenen Sinnen zu erfahren. Weiterhin wurde beschlossen, mit dem alle fünf Jahre von den magischen Landsleuten gewählten Zauberrat oder Zaubereiminister einen Beistandspakt zu schließen, zumal sie im Ministerium mehrere getreue Mitschwestern besaßen. Immerhin galt es, die immer größer werdende Gefahr dauerhaft von den Gestaden Hellas' fernzuhalten, im Namen ihrer erhabenen Mutter, die von drei Vierteln aller magischen frauen als ihre Stammmutter anerkannt und verehrt wurde.

Als all dies besprochen war wurde Mutter Trioditis befragt, wie die großen Mehrheiten der betroffenen Länder damit fertig wurden, der Tochter zweier Mütter unterworfen zu sein. "Die allermeisten wissen es noch nicht. Ja, jene in Italien hegen immer noch die Ansicht, dass ihr Minister Barbanera ein erbitterter Feind der Gierigen ist. Nur ganz wenige kennen die Wahrheit und müssen sich entscheiden, ob sie sich gegen die aus drei Linien stammende wehren können, ohne ihre Freiheit und ihr Leben zu verlieren, oder ob sie sich nur verstecken können, bis die Herrschaft der Gierigen endet. Doch die Wissenden erkennen, dass es sehr lange dauern kann, mehr als drei Geschlechter, bis die Gierige ihren Tod findet. Denn wer sie mit Gewalt richtet erzürnt ihre vom Volke Mokushas stammenden lebenden Blutsverwandten, und das weiß und nutzt sie sehr genüsslich."

"Wer ist aussichtsreich, mit uns ein Bündnis gegen die Gierige und auf Vergeltung ausgehende zu schmieden?" fragte Mutter Triformis, die als Wissende um Gegenständliches, lebendiges und nichtstoffliches die erste unter gleichen war.

"Das einstige Reich Sardonias, der Schreckenskönigin ist noch frei von Ladonnas Gier und Macht, weil deren oberste Ordnungshüterin Zauberrätin Ornelle Ventvit von einer Tochter Mokushas ungewollt mit einem ihr Leben und ihre Widerstandskraft bestärkendem Zauber belegt wurde. Ebenso gibt es in jenem Land noch zwei Zauberinnen, die von diesem unerwünschten Zauber erfüllt sind. Da Ladonnas Macht auf die ihr in die Wiege gelegten Kräfte der beiden anderen Linien beruht können diese denen, die von Kindern Mokushas behütet werden, nichts anhaben", sagte Mutter Trioditis, die als Hüterin der Entscheidungen auch die Lauscherin der weltweiten Berichte war. "Es gibt noch Schwesternschaften, die sich sowohl den hellen wie dunklen Pfaden anvertraut haben und Ladonna ebenso verabscheuen oder fürchten wie wir. Ich nenne da den Orden der schwarzen Spinne, dessen Oberste wohl durch einen Jahrtausendzufall das Wissen des versunkenen Reiches erworben hat und zudem schier unangreifbar ist, weil sie womöglich von den sagenumwobenen Tränen der Ewigkeit gekostet hat. Sie wandeln auf eher dunklen Pfaden, weil sie finden, die Menschheit ohne Zauberkraft müsse bald von ihrem Irrweg abgebracht werden, immer mehr haben und immer mehr vollbringen zu müssen und dabei unsere nährende Urmutter immer mehr aussaugen wie die Kinder der Nacht. Es ist an und für sich ein sehr heeres und wichtiges Ziel. Doch wissen wir, dass mit magischem Zwang nur neues Unrecht gezeugt und genährt wird. Doch auch Ladonna will ja dieses Vorhaben mit Zwang und Vernichtung durchsetzen. Dagegen streben die aus vielen Quellen des Wissens schöpfenden Kämpfer des nach ihrer Schutzherrin benannten Marie-Laveau-Institutes nach Frieden und freiem Willen aller Menschen, ob mit oder ohne die höheren Kräfte. Sie wohnen im Land jenseits des westlichen Weltmeeres. In jenem Inselreich im östlich Asiens gelegenen Weltmeer gibt es die aus begabten Frauen und Männern bestehende Gemeinschaft, die sich Hände der Amaterasu nennt und im Namen ihrer Sonnengöttin Frieden und Freiheit für ihr Volk erhalten oder erringen wollen. Im großen Land China streiten die Söhne des Silberdrachens für die Unabhängigkeit aller mit höheren Kräften begabten Menschen, sind aber im Gegensatz zu uns und den anderen Schwesternschaften für die Vorherrschaft der Zauberer, weil sie meinen, wir Hexen seien von unseren Leibern und Seelen viel zu leicht umhergetriebene Wesen. Auch sie würden die Vorherrschaft einer einzelnen, noch dazu nicht reinrassig menschlichen Gebieterin nicht hinnehmen. In Afrika und Arabien wohnen jene Zauberinnen, die sich Töchter des grünen Mondes nennen. Auch sie werden einer Unterwerfung durch Ladonna nicht gewogen sein, doch wandeln sie mal auf den hellen Pfaden und mal auf den dunklen, um sich ihre Unabhängigkeit von Manneswort und Manneswillen zu bewahren wie eins das Volk der wehrhaften Kriegerinnen östlich von uns. Ja, und jene, die von allen anderen als Schwestern der Schweigsamkeit bezeichnet werden ringen wie all die Jahre um ihr Gleichgewicht, weil die dem dunklen Pfad folgenden sich gegen jene, die den schmalen Pfad der Dämmerung beschreiten auf ihre Seite ziehen wollen und jene, die sich klar für das Wandeln auf den hellen Pfaden entschieden haben die Schwestern des dunklen Pfades nur des Friedens und der gemeinsamen Ziele wegen erdulden, solange sie nicht gegen sie vorgehen müssen, also weiterhin wie bei uns auch", berichtete Mutter Trioditis. Die zwei anderen Mütter konnten bei ihrem letzten Satz deutlich ihr Vergnügen hören. Dann fragte Mutter Triformis noch, was mit den wiedererwachten Sonnenkindern sei, ob sie noch wachten oder wieder schliefen.

"Ja, wir haben lange nichts mehr unmittelbares von ihnen vernommen. Doch bin ich mir ganz gewiss, dass sie noch wachen, Mutter Triformis und Mutter Trigonia. Die Umtriebe der ruhelosen Schatten wird sie genauso in der Pflicht halten wie die weiterhin wachsende Macht der Kinder der Nacht. Den Sonnenkindern haben wir es wohl zu verdanken, dass jene dunkle Seele, die sich als Herrin aller Nachtschatten ausgibt, einen Gutteil ihrer beängstigenden Macht verloren hat und erst einmal wieder erstarken muss, um sich gegen alle Welt zu stellen. Doch weiß keine der mir berichtenden Töchter, wo diese Sonnenkinder wohnen. So können wir sie nicht befragen, ob sie Willens sind, mit uns ein Bündnis wider die Gierige aus drei Linien zu schließen."

"So werden wir Botin Propylaia entsenden, ihre fleißigen Schülerinnen zu den von dir genannten zu schicken, Mutter Trioditis?" fragte Mutter Triformis. "So möge es sein", bestätigte Trioditis. Mutter Trigonia, die über die drei großen Lebensabschnitte und somit über Geburt, Heilung, Alterspflege und Tod wachte sagte dann noch: "Wir sollten die Zauberinnen der weltweiten Heilergilde ebenso in unsere Überlegungen einbeziehen. Ich kann meine Botin Soteira entsenden, mit den Zauberinnen zu verhandeln, da wir ja im Bedarfsfall jemanden zu Beratungen in diese unsere Höhle einladen müssen." Dem stimmten die zwei anderen Mütter zu. Dann sagte Mutter Trioditis: "Auch sollten wir die weltweit reisenden Kunstschaffenden nicht vergessen. Auch sie könnten sowohl Ziele der Gierigen sein als auch als gute Bündnisgefährtinnen an unserer Seite stehen oder keines von beiden erwägen."

"Wo ist Enodia gerade?" fragte Mutter Triformis. "Sie zeigt gerade den Menschen im fernen Südland unterhalb des Erdteilungskreises ihre mannigfaltige musische Kunst. Soll ich ihr jemanden zuschicken, die sie an ihr Erbe erinnert?"

"Sie erinnert sich sehr daran, wem sie ihre Begabung und ihren damit erworbenen Weltruhm verdankt", grummelte Mutter Triformis. Die beiden anderen Mütter nickten bestätigend. Es war damals eine lange und aufwühlende Unterredung gewesen, als die in England geborene Großnichte von Mutter Trigonia beschloss, ihre großen Begabungen zur reinen Unterhaltung aller Menschen mit der höheren Kraft einzusetzen. Die drei Mütter hatten ihr damals vorgeworfen, das Erbe ihrer Vormütter zu verhöhnen und ihr geraten, sich auf die Beschaffenheit der Welt zu besinnen, das Gleichgewicht zwischen Licht, Dämmerung und Dunkelheit zu wahren. Doch sie hatte sich für ihren Weg entschieden, und weil sie aus der direkten Blutlinie einer wirkenden Mutter des Trimetrions stammte durfte keine andere ihr deshalb grollen oder Zwang auf sie ausüben. Vielleicht, so hofften die drei Mütter, würde sie, die zugleich auch eine der schweigsamen Schwestern war, eines Tages die Einsicht finden, ihrem Erbe zu folgen und der großen erhabenen Mutter aller Hexen und Zauberer zu gefallen, ob sie die hellen, die dämmerigen oder die dunklen Pfade beschritt.

"So sind nun alle Worte gesprochen?" fragte Mutter Triformis. Darauf sagte die Mutter Trioditis: "Ja, die Worte sind gesprochen." Darauf sagte Mutter Trigonia: "Auch meine Worte sind gesprochen." Darauf sprachen alle drei wieder im Chor: "So wollen wir die Worte zu Taten wandeln und nach unserem Ratschlusse handeln." Darauf strahlten die drei Fackeln noch einmal hell auf, leuchteten drei Atemzüge lang so und dunkelten zu einem blutroten Glosen ab, das gerade ausreichte, dass jede der drei Mütter den Weg erkennen konnte.

Die drei stiegen von ihren Podesten herunter, traten auf je eine der Fackeln zu und pflückten sie aus den Haltern. Dann ging jede in ihre vorbestimmte Richtung durch einen der drei schmalen Zugänge. Dabei durchschritten sie den aus Erd-, Wasser- und Luftzaubern errichteten Vorhang, der nur Hexen ab der dritten Regelblutung bis zur hochbetagten Ahnmutter durchlies. Die Gesetze Hecates, vor drei Jahrtausenden in Steintafeln eingemeißelt, untersagten die Reise schneller Wünsche, was in der magischen Welt auch Apparieren genannt wurde, bis sie die Beratungsstätte im Schoße Gaias, der Mutter allen Lebens überhaupt, wieder verlassen hatten. Erst dann durften sie ihre volle Willenskraft nutzen und damit ohne Zeitverlust an ihre eigenen Wohnorte reisen. Erst dort durften sie ihre Schleier lüften. So lautete die uralte Weisung, die dem Glauben der Hecatianerinnen nach von ihrer Göttin selbst niedergeschrieben wurde.

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Millemerveilles, 06.04.2006, 17:30 Uhr Ortszeit

Es waren nur die Gäste da, die davon wissen durften, wie Félix Richard Roland Latierre wirklich auf die Welt gekommen war. Julius Mutter war mit Lucky aus den Staaten herübergekommen und würde bei Antoinette übernachten, mit der sie sich über die letzten Monate unterhalten wollte.

Félix bekam einen höhenverstellbaren Kinderstuhl, mit dem er künftig bei den Mahlzeiten dabei sein konnte, wenngleich er wohl noch einige Monate gefüttert werden musste. Aurora Dawn hatte aus Australien ein Banyoartiges Saiteninstrument herübergeschickt, dass für Kinder ab anderthalb Lebensjahren als reines Klimperding geeignet war, aber für musikalisch begabte Kinder schon als brauchbares Einstiegsinstrument dienen konnte, zumal es auch ein kleines Heft mit leich nachspielbaren Liedern gab. Julius wusste, dass Aurora Dawn in diesem Sommer an einer Heilerkonferenz teilnehmen wollte. Doch Ladonnas wieder aufgewachter Eroberungshunger machte ihm Angst, dass sie bei einer solchen Gelegenheit auch hunderte von hochangesehenen Heilerinnen und Heilern unterwerfen könnte. Es sei denn, es gab bald ein wirkungsvolles Mittel gegen die Feuerrose, außer in den betreffenden Raum eine veelastämmige Person zu setzen.

"Deine Botschaft an die noch freie Welt ist schon im LI angekommen", verkündete Julius' Mutter und die Großmutter des heutigen Geburtstagskindes. Julius bestätigte, dass er von einer gewissen May Baywater und einer Brenda Brightgate schon eine Rückmeldung erhalten habe.

Als abends alle Gäste wieder nach Hause gereist waren und Julius' Mutter mit ihrem zweiten Mann und den drei schon geborenen Kindern im Gepäck ins Château Florissant überwechselte meinte Béatrice zu Julius: "Was genau hat deine Mutter damit gemeint, dass das Laveau-Institut sich auf den Fall X vorbereitet? Ich dachte, dass VDS genauso sicher ist wie Millemerveilles."

"Ja, nur meine Mutter und ihre Kollegen vermuten, dass Ladonna bereits Agentinnen in den Staaten, Mexiko oder Kanada hat und dass diese den Unmut schüren, um den Föderationsrat zu unüberlegten Handlungen zu bringen. So ähnlich lief es doch auch vor Frühlingsanfang in Norwegen, Deutschland, der Schweiz und sonst noch wo. Danach war plötzlich alles friedlich, und alle Zaubereiministerien hatten sich auf einmal ganz lieb."

"Nicht alle. Das mit den Zeitungsartikeln aus Spanien, Italien und der Schweiz ist doch wohl nur dazu da, um uns als Spielverderber einer wirklichen Friedensallianz oder eben auch Koalition der Verbundenheit hinzustellen", sagte Béatrice. Julius bestätigte das. Millie meinte dazu: "Was Julius' Maman uns mit dieser Vorwarnung sagen will, Tante Trice ist, dass die im Laveau-Institut ja den Geist der Voodoomeisterin Marie Laveau befragen können, wie ungefähr die Zukunft aussieht. Vielleicht oder ziemlich sicher ist dabei was rübergekommen, was die Kenner dieser Prophezeiungen aufhorchen ließ." Julius schlug sich vor den Kopf. Millie hatte recht. Was wenn Marie Laveau eine neue Vorhersage gemacht hatte? Die Frage war nur, wie man auf sowas reagieren musste, um nicht ganz aus Versehen die Prophezeiung zu erfüllen, wenn sie düster war. Dann fiel ihm noch was ein: "Es ist wie bei Knieseln und Mäusen und Ratten. Wenn die Mäuse im Loch sind bleibt die Katze davor sitzen, weil sie weiß, dass die Mäuse wegen Hunger irgendwann wieder rauskommen. Wenn Ladonna eine ähnliche Taktik fährt, beispielsweise VDS auszuhungern ... obwohl, hat Buggles schon versucht und nicht geschafft. Aber wenn die rumgehen lässt, das irgendwas das Dorf bedroht, wovor sich der Rat retten muss ... Oh, das könnte klappen. Gut, dass wir mittlerweile nicht nur einen Atombombenschutzbann über Millemerveilles haben, sondern auch einen gegen Giftgas, Dank Catherines neuen Kenntnissen. Also was sich Borgogne damals im dunklen Jahr gewagt hat wird so nicht mehr gehen, und VMs Fortpflanzungsgas kommt hier auch nicht mehr rein. Das problem ist nur, dass die Zauber, die Catherine aufgebaut hat, nur den Ort der eigenen Geburt und der Geburt eigener Kinder schützt. Deshalb kam sie ja drauf." Millie erinnerte sich. "Tja, müsstet ihr rüberfliegen und du den Atombombenabwehrzauber und Catherine ihren Gasabwehrzauber jemandem beibringen", sagte Millie.

"Das mit den Windzaubern aus dem alten Reich dürft ihr wohl vergessen", sagte Béatrice. "Wenn die Altmeister nicht wollen, dass jemand Außenstehendes was davon mitbekommt schicken die wieder diese goldene Riesenfrau vorbei." Julius nickte resignierend. Abgesehen davon konnte es auch noch genug andere Möglichkeiten geben, Viento del Sol anzugreifen, ohne dort eindringen zu müssen. Wenn die vom LI das schon wussten, aber der Föderationsrat nicht darauf einging und blieb konnte Ladonna womöglich einige wichtige Leute einkassieren. Dieses Frauenzimmer hatte echt gemeine Ideen auf Lager, musste Julius frustriert anerkennen.

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Versammlungsraum des Marie-Laveau-Institutes, 06.04.2006, 19:30 Uhr Ortszeit

Jeff und Justine Bristol sahen, dass alle da waren. Vor allem fiel ihnen die hochschwangere Martha Merryweather auf, die im Kreis ihrer "Lehrlinge" aus der Computerabteilung des LIs thronte wie eine Königin mit ihrem Hofstaat. Dann betrat Direktor Davidson persönlich den Versammlungssaal und bestieg das dreistufige Rednerpodest. Sofort endete jede noch so leise geführte Unterhaltung. Aufmerksame Stille erfüllte den Saal.

Davidson nickte allen hier versammelten Innen- und Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern anerkennend zu. Dann sah er Martha Merryweather und dann auch Quinn Hammersmith an. Erst danach ergriff er das Wort.

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere auf dem Gebiet elektronischer Nachrichtenerfassung und -bearbeitung tätige Kollegin Martha Merryweather übergab mir und den anderen Mitgliedern unserer Führungsmannschaft ein mit "dringlich" gekennzeichnetes Schreiben aus Frankreich, in dem der für die Vermittlung zwischen Veelas und Menschen zuständige Ministeriumsbeamte Julius Latierre ausdrücklich davor warnt, die in den letzten Tagen und Wochen zu einer unerfreulichen Aktivität erwachte Dunkelhexe Ladonna Montefiori mit Vorsatz oder Billigung zu töten oder ihren Tod zu ermöglichen. Er weist auf ein Treffen mit hochrangigen Vertretern der Zauberwesenart Veela hin, zu dem er eingeladen wurde, um die neuesten Entwicklungen zu erfahren und nach seiner Aussage einmal mehr gewarnt zu werden, kein veelastämmiges Wesen mutwillig zu töten oder dessen Tod zuzulassen. Da Ladonna Montefiori eindeutig als Veelastämmige bekannt ist gelte diese klare Aufforderung auch für ihr Leben. Da Mrs. Merryweather aus unübersehbaren Gründen nicht weiter als nötig belastet werden sollte erlaube ich mir, dieses Schreiben im Wortlaut zu verlesen."

Davidson holte ein dünnes Blatt Papier hervor und verlas die deutliche Warnung des jungen Zauberers. Dann sah er Quinn Hammersmith an und fragte diesen: "Quinn, besteht die Möglichkeit, die bisher gegen die grauen Vampire so erprobten Portierungspfeile so zu bezaubern, dass sie kein menschliches Leben und keine Veela bedrohen, nur für den Fall, dass die Föderationsadministration dieses Kampfmittel für die Inobskuratorentruppe erwerben möchte."

Der Ausrüstungsmeister Quinn Hammersmith erhob sich und erwiderte laut und deutlich: "Herr Direktor, anders als bei den Dekapitationsdisken, wo ich noch einen Lebenserspürungszauber mit einbauen konnte, ist es wegen der geringen Materiemenge der Portierungspfeile nicht möglich, sie mit einem Zusatzzauber zur Beschränkung bei Zusammentreffen mit Menschen oder Veelas zu versehen. Ich kann nur die Zielankunft verändern, also dass davon getroffene Dinge oder Wesen weder in einer Säuglingsverwahrabteilung eines Krankenhauses ankommen wie bei den grauen Vampiren, noch an einem für Menschen und Lebewesen unerreichbaren Ort, wo sie keinen weiteren Schaden anrichten können. Die grauen und roten Pistolen fassen je zehn Portierungspfeile. Will ich mehr Zauber unterbringen müssen die Pfeile aus hochwertigerem Material, bestenfalls Silber oder Gold sein, was zum einen teurer in der Materialbeschaffung wird und zum anderen schwerere Geschosse hervorbringt. Hmm, aber ich kann bewirken, dass beim anzielen lebender Wesen die Waffe nicht auslöst. Im Moment haben wir fünfzig einsatzbereite Pistolen und 500 Portierungspfeile. Von den fünfzig Pistolen sind vierzig vom Typ Grau gegen graue Supervampire. Von den Geschossen sind 400 für die Portierung von grauen Vampiren zu Säuglingsverwahrabteilungen eingestimmt und hundert zur Unschädlichmachung gefährlicher Objekte oder Lebewesen, die nicht durch vielfache Babyschreie zu vernichten sind. Damit könnte auch ein Basilisk oder Nundu vernichtet werden."

"Gut, wie viele Inobskuratoren gibt es derzeitig?" fragte Davidson in die Runde. Sheena O'Hoolihan meldete sich und rief die Zahl einhundert in den Raum. "Gut, die werden nicht alle diese grauen oder roten Pistolen bekommen, denke ich mal", sagte Davidson. Hiermit weise ich Sie, Mr. Hammersmith, an, fünf der roten Pistolen so zu bezaubern, dass sie beim Anzielen von lebenden Wesen nicht auslösen können, egal ob graue Vampire oder andere Humanoiden. Falls die Inobskuratoren auch graue Pistolen mit den dazugehörigen Portierungspfeilen erwerben wollen geben wir einen Warnhinweis mit aus, dass diese Waffe jedes Lebewesen, das davon getroffen wird, in eine Aufbewahrungsabteilung für unschuldige Menschenkinder befördert und alle sich daraus ergebenden Folgen für die verwahrten Kinder dem Nutzer der Waffe angelastet werden, wenn er ein anderes Wesen als einen grauen Vampir damit bekämpft. Geht das?"

"Selbstverständlich geht das, Herr Direktor", sagte Quinn Hammersmith sehr zuversichtlich. Was hätte er auch anderes sagen sollen.

"Gut, für uns andere gilt also: Sollten wir Ladonna oder einem anderen veelastämmigen Wesen begegnen und mit ihm in Kampfhandlungen verwickelt werden dürfen wir es auf gar keinen Fall töten, wenn wir keine Blutfehde mit allen anderen Veelas haben. Ich hoffe sehr, dass Sie mir da alle zustimmen", sagte Davidson. Alle hier versammelten nickten sehr entschlossen.

Da sonst nichts weiteres zu besprechen war durften alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder nach Hause zurückkehren. Jeff und Justine unterhielten sich noch ein wenig über die neue Botschaft der Veelas. Wenn die schon fürchteten, dass Ladonna immer noch nicht genug Macht errungen hatte konnten sie sich alle auf was gefasst machen.

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Installation Grotta Santa bei Albany, New York, 07.04.2006, 02:10 Uhr Ortszeit

Niemand hätte vermutet, dass unter dem zwanzig Quadratkilometer messenden Mischwaldgelände eine mehrstöckige Bunkeranlage verborgen lag. Mehrere Dutzend Meter unter dem fruchtbaren Waldland und vielen Tonnem Gestein, gepanzert mit mehreren Metern dicken Wänden aus Stahlbeton, sollte die Anlage bis zu 200 Menschen Schutz vor einem Atomkrieg und ein unabhängiges Überleben für fünf Jahre gewähren. Der Bunker gehörte weder zu den von der Regierung der Staaten oder dem Bundesstaat New York geförderten Zivilschutzprojekten, noch gehörte er dem Militär. Er war sozusagen ganz heimlich errichtet worden, um eine sich für wichtig haltenden Gruppe von Menschen zu schützen, die darauf hofften, nach dem Atomkrieg ihre alte Macht wiedererlangen zu können. Als dann in den 1990er Jahren kein Bedarf mehr für Atombunker bestand, wurden alle regelmäßigen Wartungsarbeiten zurückgefahren. Zwar gab es in den sthälernen, gegen radioaktive Strahlung abgeschirmten Vorratsräumen noch genug, um 200 Menschen fünf Jahre überleben zu lassen, und die Wasseraufbereitungsanlage konnte jederzeit wieder voll hochgefahren werden, um jede art von menschlichem Abwasser in Trinkwasser zurückzuverwandeln, doch genutzt wurde diese Installation nur noch als Treffpunkt für sehr wichtige Gespräche, wenn ein blutiger Krieg in ihren Reihen drohte oder unmittelbar bevorstand. Hier durfte niemand dem anderen Schaden zufügen, ohne von den restlichen dafür abgestraft zu werden. Hier war neutraler, heiliger Boden. Das galt schon zu der Zeit, als der Bunker errichtet wurde und durch alle Jahrzehnte, wo seine Erbauer mit dem dritten Weltkrieg rechnen mussten. Deshalb hieß diese scheinbar vergessene, nichtexistente unterirdische Anlage auch "La Grotta santa", die heilige Höhle.

Augusto Xocotl Paredes hatte seine Kampfmontur angezogen, ein Kostüm aus blutrot eingefärbten Adlerfedern, die mit Zaubern gegen Hitze, Feuer und Geschosse imprägniert waren. Über seinem Kopf trug er eine Vollmaske, die ihm das Aussehen eines überlebensgroßen Adlers verlieh. Auf dem Kopf saß sein feuerroter Sombrero, den er von seinem weißen Vater geerbt hatte und der genauso Hitze- und schusssicher bezaubert war. So verkleidet und gerüstet wanderte er in dem scheinbar unberührten Waldstück umher, wo nur einzelne Holztransportpfade verrieten, dass hier zwischendurch doch mal ein Baum gefällt wurde. Ob die Holzfäller was von der 60 Meter weiter unten liegenden Bunkeranlage wussten? Das musste ihn nicht kümmern. Er musste nur den Zielort finden, um ganz genau dort zu apparieren.

Die in seiner Adlermaske eingesetzten Linsen besaßen drei Betriebsarten, Fernblick, Nachtblick und Durchblick. Mit letzterer Einstellung sah sich der Mann im Adlerkostüm nun genauer um. Ja, er konnte durch die vor seinen Linsen durchsichtig werdenden Gesteinsschichten tiefer und tiefer nach unten sehen und - gepriesen seien die alten Götter! - das erste Geschoss der Bunkeranlage sehen. Er konzentrierte sich, was für seine Zauberlinsen die unhörbare Anweisung war, noch tiefer in die Erde einzudringen. Ja, da war das zweite und dann noch das dritte Untergeschoss. Er sah die zentnerschweren Türen, die einzelne Abschnitte von der Außenwelt abriegeln konnten. Er sah den Raum mit den großen, elektrischen Generatoren, von denen jeder einzelne die Installation für die Zeit in Gang halten konnte, die genug Treibstoff vorhanden war. Eben jenen Treibstoff sah er dann auch durch eine mehrere Meter dicke Bodenplatte abgetrennt, etliche Millionen Liter Dieselöl. Diese verdammten Gringos dachten nicht daran, dass bei Lecks in diesen Tanks das Grundwasser verpestet werden konnte. Doch er machte im Grunde ja auch nichts besseres, wenn seine Firma die frische Ware verfeinerte. Wichtig war für ihn, dass im Generatorraum gerade zwei Männer standen, die wohl die großen Maschinen prüften. Ja, von denen hatte ihm Michele erzählt, als er ihn durch das Gift der Götternattern und den Pakt des treuen Blutes an sich und sein Leben gebunden hatte. Die würde er sich gleich vornehmen, wenn er den Konferenzsaal fand, wo das geheime Treffen stattfinden sollte. Er hoffte nur, dass ihm noch keiner zuvorgekommen war. Denn er ging davon aus, dass die Blutsauger genauso hinter den großen neun her waren wie dieses peruanische Weibsbild, das die unanständig lackierten Krallen nach seinen Kontakten im Norden auszustrecken gewagt hatte. Aber dem würde er bald seine Aufwartung machen und dann rauskriegen, ob sie nur eine verdammt geschickte Magieunfähige war oder ob das Gerücht stimmte, dass auch sie mit dem Geschenk der alten Götter begütert war.

Jetzt ging es erst einmal darum, die großen neun vor unerwünschten Einladungen der falschen Göttin zu sichern. Ja, da war der Konferenzraum, wo sie sich treffen wollten. Die angeblich so altehrwürdigen Familien legten auch viel Wert auf Protz und Prunk wie viele von Paredes' Konkurrenten. Das war ihm jetzt auch egal. Er wusste jetzt, wo er sein Mitbringsel unterbringen musste, um die Diener der falschen Göttin am zeitlosen Auftauchen zu hindern.

Zuerst apparierte er mitten im Generatorraum. Der Lärm der laufenden Maschine und das plötzliche Alarmgetröte irritierte ihn nur eine Sekunde lang. Die beiden Männer, einer über fünfzig, der andere gerade Anfang zwanzig, waren so heftig überrascht, dass sie eine Sekunde länger als er brauchten, sich auf die neue Lage einzustellen. Da Paredes seinen Zauberstab noch in der Hand hielt war es kein Akt, den Älteren mit einem Schockzauber der Gringos niederzustrecken. Als der jüngere gerade seine Waffe, eine 44er Magnum, auf ihn einschwenkte konnte er auch ihn mit dem Betäubungszauber kampfunfähig machen. Gut, denen würde er gleich noch mit einem Gedächtniszauber eingeben, dass sie eine deffekte Spule an einem der Generatoren reparieren mussten.

"Warnung, Schusswaffengebrauch im Generatorraum!" dröhnte eine sicher elektronisch aufgezeichnete Alarmmeldung aus den Lautsprechern. Offenbar hatte der Überwachungsrechner dieser Anlage seinen Apparitionsknall mit einem Pistolenschuss verwechselt. Sollte er damit glücklich werden.

Paredes wechselte nun zeitlos in den Konferenzraum, wo auch der Alarm trötete und jetzt noch die Durchsage kam, dass jemand im Saal eins eine Schusswaffe gebraucht hatte. Auch dass die Türen außer Betrieb waren wurde gemeldet. Na und? Was ihn störte war das Getröte. Das musste er abstellen.

Er hob seinen Zauberstab und beschwor die Götter des Himmels und des Feuers, keinen Blitz aus den Wolken herabzuschicken. Je danach wie laut er sprach oder rief konnte er damit den Umkreis bis auf Rufweite eine Stunde lang vor Blitzschlag schützen. Das klappte auch bei künstlicher Elektrizität. Ja, da ging auch schon die hier glimmende Notlampe aus. Die Klimaanlage hörte zu rauschen auf und das ihn nervende Alarmgetröte verstummte. Je danach, wie weit sein Ruf zu hören war gab es jetzt im Bunker keinen funktionierenden Stromkreis mehr.

Erst einmal entzündete er zwei echte Bienenwachskerzen, da er hier kein magisches Licht machen konnte und die Nachtsichtwirkung seiner Sehlinsen gestört wurde, wenn er sein Mitbringsel abgelegt hatte.

Zuerst ließ er den runden Konferenztisch und die neun darum aufgestellten hochlehnigen Stühle an eine der vier Wände schweben. Dann löste er das freigeräumte Parkett mit einfachen Schnittzaubern. Danach wirkte er einen behutsamen Ausgrabezauber, bei dem der Aushub rechts vom entstehenden Loch aufgehäuft wurde. Als er ein knapp einen Meter tiefes Loch in den massiven Betonboden gegraben hatte holte er aus seinem kleinen Rucksack eine kinderkopfgroße Kugel aus reinem Obsidian. In die schwarze Oberfläche waren magische Muster aus der Aztekenzeit eingeritzt, die in Verbindung mit dem Mond und den Sternen standen. Zehn Nächte lang hatte er damit die Kraft der Dunkelheit und der darauf scheinenden Sterne eingesammelt und gespeichert. Er legte die Kugel genau in die Mitte des ausgehobenen Loches, sodass der Anfang einer spiralförmigen Rinne ganz oben lag. Dann schnitt er sich mit einem Obsidianmesser in die linke hand und ließ sein Blut in diese Spirale eintröpfeln. Dabei sang er Anrufungen aus der Sprache der Aztekenpriester. Die Kugel begann blutrot zu glühen und im Takt seines Herzschlages zu pulsieren. Als seine Blutgabe durch die Spirale bis zum unteren Pol der Kugel gewandert war blitzte sie kurz silbern auf, um dann wieder genauso schwarz glänzend dazuliegen wie vorhin. Paredes heilte schnell seine Wunde mit den alten Worten der schnellen Heilung, die auch das Blut von unerwünschten Keimen reinigten. Dann ließ er den Aushub wieder in das Loch zurückrieseln, bis die Obsidiankugel vollständig darunter begraben war. Mit einem Verfestigungszauber ließ er den Beton wieder aushärten. Das was vom Aushub keinen Platz mehr hatte ließ er verschwinden. Ganz zum Schluss fügte er die ausgeschnittenen Parkettstücke wieder ein und ließ sie mit dem Reparozauber fest mit den anderen Brettern und dem Boden verwachsen. Diese Handlung dauerte zehn Minuten. Der Bunker war nun einen vollen Mondumlauf lang gegen alle nicht von ihm ausgeführten Zauber der Dunkelheit und gegen alle nicht sein Blut tragenden, magischen Eindringlinge abgeriegelt. Genau diese Vorkehrung hatte er bereits vor Monaten getroffen, als seine Leute berichtet hatten, von Gegnern in Vampirverkleidung bedrängt zu werden und er ihnen zu Hilfe eilte. Diese nachtschwarzen Wirbel, in denen die drei Vampire verschwunden waren, als er ihnen die Worte der Sonne entgegengerufen hatte, durften nicht in seinem Haus oder auf seinem Grundstück auftauchen. Deshalb lag eine Kugel der schützenden Sternennacht auch im Mittelpunkt seiner Villa Chantico bei Merida.

Als nächstes apparierte er wieder in den Generatorraum. Dort sah er, was sein Elektrizitätsbann bewirkt hatte. Der laufende Generator qualmte und strahlte eine Menge Hitze aus. Aber er stand still. Offenbar hatte der zurückgedrängte Strom die Maschine überlastet und die Notabschaltung ausgelöst. Gut, dann konnte er den beiden immer noch betäubt daliegenden Burschen die Erinnerung eingeben, dass der Generator aus irgendeinem Grund eine Überspannung fabriziert und sich wegen Überhitzung notabgeschaltet hatte. Falls es anderswo Schäden gab konnten die damit erklärt werden. Für sowas war das Wissen dieses magieunfähigen Nachkommens der Landräuber und Plünderer doch zu gebrauchen, dachte Paredes. So vollzog er die Gedächtnisveränderung und wirkte dann den Aufweckzauber, allerdings so, dass dieser erst eine Stunde später in Kraft trat. Dann disapparierte er so, als wäre er nie hier gewesen.

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"Du hast gesagt, G-1 liefe rund", schimpfte Enrico Pozzo, als er den noch leicht qualmenden Generator betrachtet hatte. Sein jüngerer Kollege Alessandro Moroni sah ihn an und sagte: "Plötzliche Überspannung. Hängt sicher mit den Spulen zusammen. Immerhin hat die Überhitzungsnotschaltung noch gegriffen."

"Ja, aber nur weil Bimetall keinen Steuerchip braucht, du Superingenieur", zeterte Enrico Pozzo gestenreich. "Wenn wir den nicht wieder anfahren können müssen wir erst mal sehen, wo es Kurzschlüsse gegeben hat. Dann könnte das Treffen ausfallen."

"Wir haben noch ein paar Tage Zeit, Enrico", sagte Alessandro. Er musste unbedingt aufpassen, dass er sich seine Nervosität nicht anmerken ließ. Gut, das mit dem plötzlich durchgehenden und ausfallenden Generator konnte er als Grund dafür nehmen. Doch wenn er bedachte, dass er wegen einer alten Familienpflicht das Treffen in der Grotta Santa weiterverraten hatte tanzte er gerade auf einem immer heißer werdenden Drahtseil über dem Krater des Ätnas.

"Prüfen wir alles erst mal ohne Generatoren. Also, das ganze Programm von vorne!" stöhnte Enrico.

Eine Stunde später hatten sie den zweiten von vier Generatoren angefahren und fuhren das zweite von drei redundanten Systemen hoch. Das zuerst laufende war wohl wegen der Überspannung an mehreren Stellen unbrauchbar geworden. Das mussten sie also nun bis zum Treffen reparieren, um wieder drei redundante Systeme vorhalten zu können, so die klare Arbeitsanweisung. Immerhin mussten sie nur noch bis zum 11. April durchhalten, bevor das nächste Zweierteam für vier Wochen in diesem Bunker aushalten musste. Dann würde er hoffentlich noch am Leben sein und nicht als Saboteur oder Verräter in einem der leeren Schlafräume eingesperrt und dort ohne Licht, Wasser und Luft elendiglich verhungern, wie es die Strafe für Saboteure und Verräter des Geheimnisses der Grotta Santa vorschrieb.

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In der Villa Chantico in der Nähe von Merida, Mexiko, 08.04.2006, 20:45 Uhr Ortszeit.

Paredes erfuhr, dass das FBI sich wieder mehr für ihn interessierte. Offenbar wollten die ihn wahrhaftig von den Polizeileuten hier in Mexiko festnehmen und ausliefern lassen. Ja, und von einem Spion beim Santero-Clan von Acapulco erfuhr er, dass die CIA und das FBI sogar ein Kopfgeld auf ihn und seinen Sicherheitschef Armando Lorca ausgesetzt hatten. Diese arroganten Gringos hatten sogar "Tot oder lebendig" unter seinen Steckbrief gesetzt. Ja, und dann war er denen nur ein Hundertstel so viel wert wie Osama bin Laden. Frechheit! Das würde er denen schon bald austreiben, wenn er über Milelli Kontakt zu wem bekam, der ihm die geheimen Adressen führender FBI-Leute verschaffen konnte. Sein Ausflug in die "heilige Höhle" der großen neun hatte ihn bestärkt, dass er auch in jeden anderen Bunker eindringen konnte, notfalls auch dem vom weißen Haus in Washington. Wer würde dann noch von bin Laden reden?

Nein, erst einmal musste das Treffen steigen. Ja, und bevor das passierte wollte er sich diese peruanische Hure vom Hals schaffen, die all zu dreist seine Interessen am Rio Bravo hinterfragt hatte. Er hatte erst gedacht, ihr Stadthäuschen in Lima heimzusuchen. Doch da hielt die sich seinen spärlichen Auskünften zu folge selten auf. Auch sie mochte wohl keine Großstädte um sich herum. Um so besser. Dann würde auch nicht gleich jeder mitbekommen, wenn sie für immer weg war.

Paredes betrat seinen Gebetsraum. Dort standen kleine Obsidiannachbildungen jener Götter, denen er sich verschrieben hatte. Durch kleine Blutopfer würde er sie ihm gewogen stimmen.

Als er die Opferungen vollzogen hatte und bereits sichtlich entkräftet auf dem Strohsack ausruhte dachte er daran, dass er das, was er der sogenannten Löwin von Lima zugedacht hatte, auch gegen den Kriegstreiber Bush Junior und dessen Erfüllungsgehilfen einsetzen konnte. Dann fiel ihm ein, dass das ja schon mal wer versucht hatte. Ja, da war doch die Sache mit diesem Voodoopriester, der mit einer in Südamerika zusammengestellten Armee aus Zombies versucht hatte, Einrichtungen der Gringos zu zerstören. Was war noch mal mit dem passiert? Ja, es war schon ein paar Jahre her. Doch wenn ihn seine blutpaktgebundenen Kundschafter in Mexiko-Stadt richtig informiert hatten war dieser Voodoozauberer in New Orleans von einer Hexenbande getötet worden, die ihn regelrecht in eine silberne Kugel hineingesogen hatten. Diese Hexenbande gehörte nicht zum Ministerium. Deren Anführerin konnte sich in eine schwarze Riesenspinne verwandeln. An und für sich mochte er Spinnen. Die fingen lästige Schmeißfliegen und Mosquitos. Aber von einer Riesenspinne vorverdaut und ausgelutscht werden wollte er dann doch nicht. Also sollte er es besser lassen, eine Armee seiner Feuerherzkrieger über den Rio Bravo zu schicken. Aber diese Margarita de Piedra Roja, die nicht mit dem Tortillakopf Andrés Piedraroja verwandt war, sollte morgen seinen letzten Gruß in ihrem Leben erhalten.

als er sich ein wenig von seinen Blutopfern erholt hatte stieg er durch eine nur mit seinen Händen zu öffnende Bodenluke in einen tiefen Schacht hinunter. Am Fuße des Schachtes entzündete er sein Zauberstablicht. Dann folgte er einem Gang, der gerade hoch genug für ihn ohne Hut war. Er lauschte. Ja, da war es, das leise, vielstimmige Pochen, die Musik seiner Macht. Er folgte diesem Geräusch bis ans Ende des Ganges. Dort war eine weitere Tür aus Mahagony, in die magische Muster der alten Weisen seiner Vorfahren eingeritzt waren. Das Türschloss bestand aus Obsidian. Er zog den dazugehörigen Schlüssel hervor und pikste sich mit dessen Spitze in die linke Hand, bis er sicher war, dass der Schlüssel sein Blut getrunken hatte wie ein winziger schwarzer Vampir. Nun führte er den Schlüssel ins Schloss ein, das kurz rot aufglühte. Er drehte den Schlüssel und dann den hölzernen Türknauf.

Das vielstimmige Pochen wurde schlagartig lauter, als Paredes in den fensterlosen Raum eintrat. Viele hohe Regale aus Holz reihten sich links und rechts an den Wänden entlang. In jedem Fach standen je zwei Tongefäße, die mit Lautschriftzeichen der Azteken beschrieben waren. Nur er und vielleicht noch zehn andere Zauberer in Mexiko konnten das lesen. In jedem der Tongefäße klopfte und pochte es genau wie ein menschliches Herz in der Brust.

Paredes schritt die Regalreihen ab und las die eingeritzten Schriftzeichen. Wollte er nur einen nehmen, oder gleich eine Zehnerschaft? Nein, falls die Piedra Roja auch magische Kenntnisse hatte musste er es gründlich anstellen, auch dass es keinen Zeugen seiner Aktion gab. So suchte er die Tonkrüge aus, auf denen die Namen der stärksten Kämpfer aus den Reihen seiner Widersacher standen, die er zu seinen gehorsamen, absolut tödlichen Sklaven gemacht hatte, zu Feuerherzkriegern, gegen die jeder afrokaribische Zombie gnadenlos abstank. An die hundert solcher Sklaven hatte er im Laufe von zwanzig Jahren zusammengefangen. Sie ruhten in einem mit einem Hubschrauber erreichbaren Lagerhaus. Stimmt, er sollte auch einen Piloten mit auswählen.

Als er die beschlossene Anzahl Tonkrüge aus den Regalen hervorgeholt hatte öffnete er deren mit Wachs versiegelten Deckel. Auch ohne das Licht seines Zauberstabes konnte er sie nun blutrot glühen sehen, die in einer Lösung aus dunkelsten Zaubertrankzutaten schwimmenden, zuckenden Herzen seiner Sklaven. Jetzt brauchte er nur noch die Worte des Gehorsams zu sprechen und den genauen Auftrag zu formulieren.

Als er jedes der vor ihm bloßgelegten Herzen mit diesem bösen Zauber der Azteken besprochen hatte glühte es mal heller mal dunkler. Er konnte das Gesicht jenes Kriegers sehen, dem er es einst mit den Worten der Bestrafung aus dem Leib gezwungen hatte. Als er jedem einzelnen die Befehle erteilt hatte verschloss er die Tonkrüge wieder. Dann stellte er diese nicht in die Regale zurück, sondern auf ein silbernes Gestell in der Mitte des Raumes. Aus dem Silber, aus dem auch das Gestell entstammte, hatte er einen Spiegel gemacht, mit dem er jeden, dessen Herz auf dem Gestell stand, beobachten und nachträglich noch etwas befehlen konnte.

Die ausgewählten Sklaven würden bei völliger Dunkelheit erwachen und sich bereit machen, unbemerkt an ihr Ziel zu reisen. Wichtig war, dass sie nicht genau darüber herunterkamen, obwohl das viele so machen würden. Am Ende wurde der Hubschrauber trotz seiner Unortbarkeit noch von Wachposten abgeschossen. Zwar konnte man den Feuerherzkriegern nicht mit Kugeln beikommen. Doch gewöhnliches Feuer konnte sie dazu zwingen, sich im letzten Akt der Treue selbst in purpurrote Flammen zu verwandeln.

Nachdem Augusto Xocotl Paredes sein schwarzmagisches Werk vollendet hatte kehrte er wieder in die allen bekannten Räume der Villa Chantico zurück.

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Bei der Hacienda Mille Estrellas südöstlich von Lima, 08.04.2006, 23:40 Uhr Ortszeit

Margarita Isabel de Piedra Roja lag in ihrem Bett. Gerade hatte sich Aurelio beruhigt und wollte seiner Mutter den nötigen Schlaf gönnen. Da hörte Margarita nur in ihren Ohren das leise Wimmern eines von ihr ausgeführten Meldezaubers. Schnell langte sie aus dem Bett nach einer Brille, die sie als ihre Lesebrille ausgab und setzte sich diese auf die schlanke Nase.

Sogleich sah die in vielen Dingen mächtige Herrin der Hacienda, wie mehrere schattenhafte Gestalten auf den meterhohen Zaun um ihr Anwesen zuschlichen. Es konnten keine Nachtschatten sein, weil die sonst von dem im Zaun wirkenden Atem Mama Killas zurückgedrängt würden. Nein, sie bewegten sich eher wie Zombies. Hatte es mal wieder irgendein Bokor gewagt, ihr wandelnde Leichen zu schicken? Der letzte, der das versucht hatte war schon vor zehn Jahren von Pacha Mamas Zorn verschlungen worden. "Wer wagt es", dachte sie leise. Da zeigte ihr die Brille, dass die Anschleicher von silbernen Flammen umzüngelt wurden, deren Ursprung im Brustkorb jedes Einzelnen sein mochte. "Ach nein, nicht doch sowas", knurrte sie leise, damit weder der neben ihr schlafende Victor, noch der in seinem Kinderbettchen schlafende Aurelio aufwachten. "Dann offenbart euer Sein und eure Bestimmung", dachte sie nun leise. Doch sie hatte schon eine gewisse Ahnung, wem sie diesen unheimlichen Besuch zu verdanken hatte. Die Frage war nur, ob es eine Warnung oder ein Vernichtungsangriff sein sollte. Egal, beides lehnte sie ab.

Durch die magische Brille sah sie, wie die von den Geisterflammen umloderten Gestalten den Zaun betrachteten, an ihm entlangliefen und dann versuchten, sich unter ihm durchzugraben. Doch letzteres misslang, weil ihre Hände ständig von etwas in der Erde zurückgestoßen wurden. Insgesamt rückten nun zwanzig solcher Gestalten auf ihre Hacienda zu. Margarita wusste, dass jeder einzelne von denen schon tödlich gefährlich war. Doch offenbar wusste der, der diese ungebetenen Besucher auf die Reise geschickt hatte, dass sie gegen eine Magierin bestehen mussten.

Jetzt rotteten sich zehn von denen auf einem Punkt vor dem zwei Manneslängen hohen Zaun zusammen. Sechs von ihnen bildeten eine Pyramide. Die anderen vier kletterten an ihnen hinauf und machten Anstalten, über den Zaun hinwegzuspringen. Als der erste im freien Flug war zerplatzte er in einer Wolke aus silberweißen Flammen. Dieses Schicksal ereilte auch die beiden Nachfolger. Der vierte brach seinen Sprungversuch ab und landete steifbeinig neben seinen Kameraden.

Jetzt kamen die anderen zehn herbei und zogen etwas von ihren Hüften. Margarita erkannte es als Eierhandgranaten. Die wollten damit den Zaun zerstören. "Mama Killa!" rief Margarita. Aurelio und Victor erwachten beide gleichzeitig. Doch das war jetzt völlig unwichtig. Denn sie sah mit großer Genugtuung, wie aus dem Zaun silberweiße Flammengarben nach den Angreifern griffen und diese alle auf einmal vernichteten. Das warnende leise Wimmern in ihren Ohren erstarb. Also gab es im Umkreis von tausend Chasquischritten keinen Feind mehr. Der Schutz und die Wehr von Mama Killa hatte sie alle erledigt.

"Gut, Kriegserklärung angenommen, roter Adler", dachte Margarita. "Ruhig, Aurelito. Du bist bei Mama, und Mama passt ganz gut auf dich auf", säuselte sie ihrem quengelnden Sohn zu. Dann wandte sie sich an Victor, der sie fragend ansah. "du kannst ruhig weiterschlafen, Victor. In dieser Nacht wird wohl nichts mehr passieren", sprach Margarita auf ihn ein. Da fiel Victor sofort wieder in tiefen Schlaf. Sein Sohn brauchte noch eine Minute länger, bis auch er wieder ganz ruhig und friedlich schlief.

"Feuerherzkrieger, gut zu wissen, dass du die rufen kannst, Augustino", dachte Margarita. Morgen wollte sie beschließen, wie und wann sie darauf am unmissverständlichsten antworten wollte. Doch vorher muste sie genug vom Segen der himmlischen Geschwister und Göttereltern fertigbrauen, um damit ihren mit Magie begabten Enkel Mateo auszustatten. Immerhin hatte er es geschafft, in die richtige Anstellung zu kommen.

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Zur selben Zeit in der Villa Chantico bei Merida

Gerade eben hatte er im Überwachungsspiegel durch die Augen des Piloten gesehen, wie die ihm unterstellten Erfüllungsgehilfen versuchten, über den eindeutig mit einer starken Magie erfüllten Zaun zu klettern. Dann war der erste von ihnen in einem silbernen Feuer zerplatzt. Zur gleichen Zeit hörte er von tief unter dem Haus ein leises Klirren, als wenn etwas aus Ton zerbrochen war. Das war deutlich. Er wollte gerade mit dem Mund am Spiegel rufen, dass sie sich zurückziehen sollten, als bereits die nächsten Kämpfer in diesen Silberflammen verglühten. Der Zaun musste weg.

"Rückzug und die Steine der Zerstörung gegen den Zaun werfen!" rief er in der Sprache der Azteken. Er sah, dass seine Leute gehorchten. Die würden gleich mit Handgranaten den Zaun und seine Magie zerstören.

Ein Silberner Blitz überzog den ganzen Spiegel. Gleichzeitig klirrte und schepperte es lautstark aus dem geheimen Keller. Der Spiegel trübte sich tiefschwarz ein. Paredes fühlte noch, wie etwas heißes über sein Gesicht fuhr. Er hatte wohl noch einmal Glück gehabt, dass er seinen Mund früh genug zurückgezogen hatte.

Da er nicht im versteckten Zimmer der gefangenen Herzen apparieren konnte, weil er das so eingerichtet hatte, eilte er zu Fuß nach unten. Seine Leute waren entweder auf Wache oder schliefen tief und fest, bis die Sonne sie aufweckte.

Er sah die Bescherung schon, als er die nur mit dem Schlüssel und seinem Blut zu öffnende Tür aufstieß. Tonscherben lagen auf dem Boden verstreut. Das silberne Gestell war völlig leer. Der Geruch von verbranntem Fleisch und kochendem Blut hing in der Luft. Grünlicher Dampf waberte unter der Decke. Das war eindeutig. Die Herzen seiner zwanzig Ausgeschickten Sklaven waren regelrecht explodiert.

Er hielt den Atem an, um keinen der grünlichen Schwaden einzuatmen. Hektisch sah er sich um. Die Regale standen noch. Die nicht ausgewählten Herzen in den Tonkrügen waren noch ganz und schlugen weiter. Die Idee, Abwehrzauber gegen leblose Geschosse und Zerstörungszauber vor die Regale zu legen hatte sich als völlig richtig erwiesen. So hatte er zwar zwanzig Sklaven verloren, doch die anderen standen noch zu seiner Verfügung.

Als er die Tür von außen schloss schaffte er es gerade so, seine Wut zu bändigen. Da war die Wut auf Margarita de Piedra Roja, aber auch die Wut auf sich selbst. Denn jetzt wusste er drei Dinge, von denen ihm keines gefiel: Margarita Isabel de Piedra Roja war eine Hexe. Sie beherrschte offenbar Zauber der alten Inkas, die Sonne, Mond und Erde als höchste Gottheiten verehrt hatten. Ja, und sie wusste jetzt auch, dass sie von einem anderen Zauberkundigen angegriffen worden war. Er hatte zwanzig kampfstarke und in vielen Dingen ausgebildete Sklaven verloren, mit einem Schlag. Ja, es war offenbar ein schwerer Fehler gewesen, diese Hexe auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen. Er hatte ja auch genug Abwehrzauber und bewaffnete Wachen, um ungebetene Gäste "endgültig abzuweisen". Doch er war davon ausgegangen, dass sie den Angriff nicht früh genug mitbekommen würde. Dann hätten sich die Feuerherzkrieger auf das Haus und alle dort lebenden gestürzt und dann, wenn sie angegriffen worden wären, das purpurrote Feuer der Vergeltung entfesselt. Da jeder der Sklaven einen kleinen Stein zur Abwehr von Apparatoren bei sich trug hätten die solange jedes Disapparieren verhindert, bis die Sonnenstrahlen die Steine berührt hätten. Das wäre das Ende dieser Hexe gewesen. So konnte die jetzt in Ruhe überlegen, wann und wie sie sich an ihm rächen würde. Und wie sagten diese Fiktiven Weltraumkrieger namens Klingonen: "Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Er musste seine Leute vor ungewöhnlichen Vorfällen warnen. Verdammt, wollte er sich jetzt echt auf eine Belagerung einrichten? Niemals! Er würde einen zweiten Schlag landen, wenn nicht mit Magie, dann eben mit geklauter Militärtechnik. Ja, das wollte er machen. Michele sollte ihm die Kontakte zu den Raketenbauern herstellen, damit er aus sicherer Entfernung Sprengstoff und Giftgas auf diese Hacienda feuern lassen konnte. Er würde es dann so hinstellen, als habe die CIA zusammen mit der US-Armee einen verbotenen Anschlag auf die Drogenkönigin aus Lima ausgeführt. Ob die Gringos dann immer noch so viel Unterstützung für ihre Kriege hatten?

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Universität von Neapel, 09.04.2006, 12:30 Uhr Ortszeit

Hoffentlich hatte es niemand mitbekommen, wie er in den letzten Tagen mehr und mehr seines Hausrates in den rauminhaltsvergrößerten Kofferraum seines FIAT Panda umgeladen hatte. In drei tagen wollte er dann die Abreise wagen, um nach Frankreich zu gelangen.

Professore Anselmo Pontidori hatte überhaupt keine Probleme damit, wegen seiner Kleinwüchsigkeit komisch angeredet oder angestiert zu werden. Als halber Zwerg war er sogar stolz darauf, dass er nicht dem üblichen Maß entsprach.

Pontidori sicherte noch alle gerade geprüften Ordner auf seinem Arbeitsrechner und meldete sich vorübergehend von seinem Benutzerkonto ab, um essen zu gehen. Er nahm einen Würfelbecher mit zwei Würfeln darin. Seitdem Ladonna offensichtlich an der Macht war hatte er es sich angewöhnt, die Würfel zu befragen, wenn er einen von elf Mittagstischen einen Besuch abstatten wollte. Er schüttelte den Würfelbecher, stürzte ihn mit der Öffnung nach unten und ließ die beiden Würfel austrudeln. Dann las er das Ergebnis ab. Es waren eine zwei und eine Drei. Also Alternative Nummer fünf, dachte Pontidori und nahm seinen Mantel vom Bügel.

Für Mittagsalternative 5 brauchte er seinen FIAT. Mit dem war er in zwei Minuten am Dracone d'Oro, einer nicht nur bei Professoren beliebten Asia-Imbissbude. Die machten so herrlich scharfe Frühlingsrollen.

Als er mit seinem FIAT aus der ihm zugeteilten Parkbucht am Hauptgebäude der Geologie abfuhr vibrierte seine Armbanduhr. Die konnte ihm den Standort verraten, das Vorhandensein starker Magnetfelder, drohende Gefahren und die genaue Uhrzeit. Er tippte mit der rechten Hand gegen das Uhrenglas um die Anzeige zu wechseln. Statt der üblichen Analoguhr sah er nun einen rot blinkenden Punkt und darum die in violetter Schrift verfasste Mitteilung "Pericolo presente" - Gegenwärtige Gefahr. Offenbar hatte die Gefahrenvorwarnung den chaotischen Autoverkehr als brandgefährliche Lage eingestuft. Pontidori blickte sich dennoch genau um. Dann fühlte er auch noch dieses Kribbeln im Nacken. Also hinter ihm wurde es gefährlich. Das hatte mit dem Autoverkehr nichts zu tun.

Um seinen möglichen Verfolger auszutricksen fuhr er ohne zu blinken in eine Seitenstraße links ab. Wütendes Hupen begleitete seine Aktion. Doch keiner würde die Polizei rufen, nicht weil ein frecher oder vertrottelter Fahrer ohne zu blinken links abgefahren war. Doch der Gefahrenspürer vibrierte immer noch. Wer immer was immer mit ihm anstellen wollte hielt ihn weiter unter Beobachtung. Das ließ nur einen Schluss zu, der Verfolger flog ihm hinterher und konnte aus genügend Flughöhe beobachten, wohin er auch immer abbog.

Die Fahrt zum "Dracone D'Oro" vergass Pontidori. Er musste jetzt in Bewegung bleiben, um die Gegner zu entdecken und /oder deren Anschlag auszuweichen. Es sah aber nicht so aus, als wollten sie ihn irgendwo hintreiben, sondern abwarten, dass er einen möglichst unbelebten Ort erreichte oder eben irgendwo stehenblieb. Nichts da! Er fingerte am Schalthebel herum. Tja, die kleinen, illegalen Extras, von denen das Zaubereiministerium nichts wusste und die Polizei schon mal gar nicht. Wild aufbrüllend trieb der Motor den seegrünen Panda in die nächste Straße hinein. Der Aufprallschutz, eine aus Windzauber erstellte Art von Gummiring wie beim Autoscooter, ließ den kleinen Wagen ohne Schaden von einem anderen Wagen zum anderen springen wie eine Flipperkugel auf Speed. Die anderen Fahrer mochten sich wundern, was sie da mal eben zur Seite geschubst hatte. Doch mit der Zusatzfunktion Ich-seh nicht-recht war der grüne Panda nichts als eine Windböe für die anderen. So flipperte sich Pontidori durch die belebten Straßen von Neapel, umkurvte die für Touristen beliebten Wahrzeichen und schlidderte mehrfach nur um einen Finger Breit an einem Zusammenstoß mit einer Hauswand vorbei. Gut, jetzt konnte seine Fahrweise der Gefahrenherd sein. Doch der rote Punkt unter dem Uhrenglas ruckte mal vor und dann wieder zurück, als sei die mobile Gefahr doch nicht so zielgenau. Dann erreichte Pontidori den südlichen Stadtrand. Der Straßenverkehr wurde weniger. Gut, Dann musste es eben ein Wettrennen sein. Bei der Gelegenheit würde er auch erfahren, vor was er da eigentlich floh. Er fingerte noch an einer anderen Stelle unter dem Armaturenbrett herum, hielt die immer noch auf Gefahrenanzeige laufende Uhr kurz an den Tachometer. Es knisterte kurz. Dann meinte er, in einem Kampfjet beim Start von einem Flugzeugträger zu sitzen. Der Wagen schoss davon wie von zwei Hochleistungsraketen angetrieben. Die Reifen rollten nicht immer reibungslos. Mehrere Male rutschten sie über den Asphalt und beschwerten sich mit lautem Quietschen über diese grobe Behandlung. Dann wurde das Dach nur für ihn durchsichtig. Da sah er sie.

Über ihm, in wohl einem halben Kilometer Höhe, schwirrten zwei Superfalcone-Rennbesen durch die Luft. Als wäre das durchsichtige Dach nicht nur aus Glas, sondern auch eine große Lupe rückten die Besen näher heran. Er erkannte nun auf jedem eine Frau in einem rosenroten Umhang mit Kapuze. "Deutlicher geht's nicht, wie?" knurrte Pontidori. Denn nun war ihm klar, wer ihn da jagte und dass er wohl nicht von ordentlichen Ministeriumsleuten festgenommen werden sollte. Er gab seinem bereits über sechzig Jahre dauernden Leben wohl noch eine Minute, wenn nicht noch weniger. Wie, er wollte sterben? Seit wann gab er, Anselmo Pontidori, so leicht auf? Noch hatte er nicht alle Tricks ausgereizt, die sein seegrüner Straßenschreck auf allen Zylindern hatte. Er blickte konzentriert nach vorne, dann in den Rückspiegel.

Vorne war niemand, hinten überhaupt keiner. Nurlinks und rechts rasten zwei Herden wildgewordener Häuser vorbei wie auf der Flucht vor der Abrissbirne. Gut, das war relativ. Aber für ihn zählte, dass da vorne eine drei Meter hohe Lagerhalle kam. Natürlich hatte die mittags das Tor zu. Die Leute, die da arbeiteten wollten ja auch mal was essen.

Pontidori klappte das Handschuhfach auf und steckte seine rechte Hand hinein. Er ertastete ohne hinsehen zu müssen einen Knopf, der ein deutlich ertastbares Symbol trug, einen Zigelstein und einen Schlüssel mit zwei Bärten. Er drückte den Knopf ein. Sein Lenkrad glomm für eine Sekunde giftgrün. Die immer noch an ihm vorbeisausenden Häuser wurden nicht langsamer. Dann kam auch noch das Lagerhaus auf ihn zugeschossen, als wolle es den seegrünen Panda im vorbeigehen fressen. Ja, und genau den Eindruck bekamen die zwei Rosenschwestern über ihm, als Pontidori in voller Fahrt auf die Wand zuhielt. Oh, da kam gerade doch ein Arbeiter heraus und fuchtelte wie wild mit den Armen. Hoffentlich brachen die ihm dabei nicht ab.

Der Panda stieß gegen die Mauer der Lagerhalle und durchdrang sie wie einen dichten Nebel. Nur einen winzigen Moment glomm eine grüne Aura um das Fahrzeug. "Tja, Erde, Feuer und Erz", dachte Pontidori und bretterte wie ein übergroßer Klatscher im Zickzack durch die hallenhohen Regale. Einige von denen wackelten sehr besorgniserregend. Kipte eines konnten alle umfallen wie beim Dominospiel. Dann hatte Pontidori die Mitte der Halle erreicht. Er rammte seinen schmalen Fuß mit voller Wucht auf das Bremspedal. Die Reifen kreischten wild und wohl auch vor Schmerzen, weil ihr Herr und Meister sie derartig drangsalierte. Sie qualmten vor Zorn. Doch nach nur drei Sekunden stand der Panda. Pontidori blickte noch einmal auf den Gefahrenanzeiger. Der leuchtete stetig. Dann knallte es hinter ihm. Das Flachdach hatte plötzlich ein vollkommen kreisrundes Loch. Sollte das eine Sichtluke werden? Dann sah der gerade auf einer wilden Flucht befindliche Vulkanologe, dass im Boden auch ein tiefes Loch war, aus dem es noch qualmte wie aus dem Krater eines Miniaturvulkans. Dann erkannte er die Ursache, eine in Rosenrot gekleidete Hexe, die gerade wieder mit dem Zauberstab zielte. Rums! Noch ein Loch im Dach. Die Versicherung würde sich sicher weigern zu zahlen, weil das echt nicht nach Hagelschlag aussah. Doch für Pontidori lief gerade wieder die letzte Minute. Wie oft hatte er ihr unerbittliches Ticktack gehört? "Neh, letzte Minute, ich habe noch was vor heute. Komm irgendwann in hundert Jahren mal wieder vorbei", dachte er, während er das Lenkrad zu sich heranzog und es dann im 45-Grad-Winkel nach unten kippte. Der Panda hüpfte auf einmal wie von zwei Raketen unter den Rädern nach oben, kippte vorne über und berührte mit der Motorhaube den Betonboden. Da glomm es wieder um Pontidori grün auf, und der Panda stürzte in ein Loch, das da vorher gar nicht war und als er in ganzer Länge darin verschwand selbst nicht mehr da war. Der Wagen glitt mit leisem Surren um ihn herum tiefer und tiefer, prallte mal gegen eine Wasserleitung, stürzte haarscharf an der Betonröhre der Kanalisation vorbei und raste im 45-Grad-Winkel tiefer und tiefer in die Erde hinein. Oha, Grundwasser! Das mochte der Erd- und Gesteinsdurchdringer nicht so gerne. Pontidori riss das Lenkrad wieder zurück. Patsch! Der Wagen durchpflügte die Grundwasserschichtt und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Außerdem erklang aus dem Armaturenbrett die männliche Stimme: "Warnung, Wasseranteil kritisch!"

"Was du nicht quakst", knurrte Pontidori, als er seinen gerade wie ein Maulwurf oder Regenwurm durch die Erde gleitenden Wagen wieder stabilisierte und dann in der über ihm im Wagenhimmel erkennbaren Anzeige hundert Metern Tiefe weiterfuhr. Die letzte Minute, die sich mit Ladonnas Auftragsmörderinnen verbündet hatte, sollte sich wieder was neues einfallen lassen oder zu wem anderen gehen, falls der oder die sich langweilte.

Weiteren Grundwasserschichten ausweichend fuhr Pontidori südwärts bis eine Warnung kam: "Achtung, Magmakammer des Vesuvvulkans voraus. Kein Durchfahren ohne Feuerumlenker empfohlen. Feuerumlenkung kann Hochgeschwindigkeit beschränken. Ausweichroute dreißig Grad west!"

"Dann mal nach Westen", dachte der halbzwergische Vulkankundler und fuhr weiter. Immerhin zeigte seine Armbanduhr keine Gefahrenwarnung mer an. Also war er hier unter vielen Tonnen Erde und Gestein und in der Nähe eines der berüchtigsten Vulkane völlig sicher. Das war doch auch mal was. Er brachte sein Mehrzweckautomobil an die fünfzig Kilometer weiter nach nordwesten. Dann erfolgte die Durchsage: "Warnung, Tank ist gleich leer. Bei völligem Treibstoffverbrauch tritt erzwungenes Auftauchen ein."

"gut, dann tank ich eben nach", knurrte Pontidori und riss das lenkrad wieder zu sich heran. Der seegrüne Panda kippte fast in die Senkrechte nach hinten und jagte mit schon etwas bedrohlich spotzendem Motor hinauf. Im allerletzten Augenblick schoss der Wagen wie aus einer mattgrauen, völlig wellenfreien Wasseroberfläche heraus, kippte wieder in die Waagerechte und vertuckerte die letzten Milliliter Super Bleifrei bis an den Rand der Straße.

Was jetzt! Volltanken auf diesem Straßenabschnitt schwierig. Immerhin hatte er wohl die beiden Rosenschwestern abgeschüttelt. Im Moment! Also schnell nachgetankt und weitergeflüchtet. Die Frage war nur, wohin. Wenn die ihn jagten hatten die schon längst wen vor seiner Wohnung in Vomero. Reinapparieren konnte bei ihm keiner, weil er da ein paar nützliche Abwehrgegenstände angebracht hatte. Aber sie konnten unsichtbar in der Parkgarage unter dem Haus, vor der Haustür oder der Wohnungstür lauern. Also blieb ihm nur die Flucht. Zum Glück hatte er ja schon alles wichtige im Kofferraum. Doch ohne Sprit war das alles wertlos.

Er hörte mit seinen feinen Ohren, die selbst donnernde Eruptionen noch nicht zerbröseln konnten, wie von hinten ein Zwölfzylinder mit hoher Geschwindigkeit angeprescht kam. Da sah er ihn auch, den Ferrari. Vulcanus, Hephaistos und Pele waren mit ihm. Er griff unter den Beifahrersitz, fand dort etwas wie eine Luftpummpe und entsicherte sie. "Und Pump!" befahl er, während der Ferrari laut röhrend an ihm vorbeibrauste. Es saß ein älterer Herr am Steuer. Dann schwappte und sppritzte es direkt im Tank. Der Ferrarimotor geriet aus dem Takt. Noch mal schwappte es. Hoffentlich konnte die kleine gemeine Benzinpumpe genug aus dem schnellen Roten in den kleinen Grünen, vom springenden Pferd zum kuscheligen Pandabärchen, hinüberbefördern. Noch einmal schwappte es. Der Ferrarimotor setzte blubbernd und spotzend aus. Offenbar hatte die Fernpumpe der Kraftmaschine genau vor der Einspritzung den Lebenssaft abgesaugt wie ein böser Benzinvampir.

Der Fahrer des roten Sportwagens sprang aus seinem teuren Vehikel, während die Fernpumpe offenbar jetzt den eigentlichen Tank erfasst haben musste. Es platschte und schwappte lauter als vorher. Da kam der Fahrer angelaufen. "'tschuldigung, können Sie mir helfen, mein Wagen ist gerade in Streik gegangen. Öhm, was machen Sie da bitte?" fragte der nicht ganz unerwartet ungehaltene Ferrarifahrer, während Pontidori weiter Benzin ohne Zuleitungsschlauch von Tank zud tank transferierte.

"Ach das Ding hierr? Ich bin Professore an der Universität von Neapel. Wir führen gerade eine große Feldstudie über die Verteilung nicht ganz verbrannten Treibstoffes in der Erdatmosphäre durch, um die Effizienz moderner Motoren zu verbessern."

"Häh?!" erwiderte der Ferraristo. "Ich zieh hier gerade Luftproben. Dass Sie hier vorbeigefahren waren war mein Glück. So kann ich die unverbrannt ausgestoßenen Treibstoffffpartikel locker mit Ihrem Auto in Beziehung setzen. Oho, und ich lese hier gerade ab, dass ihr schneller Wagen offenbar pro Kilometer einen Milliliter Benzin unverbrannt ausstößt. Das ist nach tausend gefahrenen Kilometern schon ein ganzer Liter ungenutzter Treibstoff, der verblasen wird."

"Hören Sie mal, ihr kleines Studentenautochen gibt so komische Geräusche von sich, als würde da jemand in ihrem Tank herumplanschen wie Ernie mit seinem Quietscheentchen. Also was ist das hier?"

"Also gut, ich habe eine neuartige Methode zum schlauchlosen Tanken erfunden und bei der Gelegenheit an die ... ja, hui! Hundert Liter von Ihnen getankt. Jawoll, das hat sich gelohnt. Aber keine Sorge, ich zahl Ihnen den Sprit", sagte Pontidori. Der Fahrer des roten Sportwagens überlegte, ob er dem Wichtelmann eins auf die Haube geben sollte oder ihm nur den Stinkefinger zeigen sollte. So'n Quatsch! Keiner konnte aus einem Auto Benzin ohne angeschlossenen Schlauch abzapfen. Da wedelte der Zwerg doch glatt noch mit zwei 100-Euro-Scheinen, die der wortwörtlich aus dem Ärmel geschüttelt hatte. Lief hier irgendwo eine versteckte Kamera? Der Ferrarifahrer beschloss, die Sache als blanken Unsinn abzutun und ließ den kleinen Typen mit seiner Luftpumpenattrappe stehen. Doch das komische Plätschern und Gluckern war schon seltsam. - Neh, eigentlich nicht. Ein im Tank verbauter Lautsprecher, um das Opfer dieses Streiches zu ködern.

Pontidori sah dem Ferrarifahrer nach. Der würde gleich ganz dumm dreinschauen, wenn der den Motor anlassen wollte und seine 1000-Euro-Tankanzeige ein dickes fettes E zeigte.

Pontidori hörte die Versuche, den Ferrari anzulassen. Dann hörte er zwei sehr untypische Flüche für einen, der mit Wagen der Superklasse herumprotzte. Dann sprang der um sein Benzin gebrachte Fahrer wieder aus dem Wagen und rannte auf Pontidori zu. Der fühlte gerade wieder die Gefahrenwarnung, stellte die schlauchlose Pumpe ab, flankte über die Motorhaube seines Wagens auf die Fahrerseite, riss die sowieso schon kurzen Beine hoch und war hinter dem Lenker, während die Tür schon zuklappte. "Eh, du Gnom, wie hast du mir den Sprit geklaut?!" rief der Ferrarifahrer. Pontidori überhörte den Gnom. Es gab einfach zu viele Leute, die einen Zwerg nicht von einem Kobold und einen Kobold nicht von einem Gnom unterscheiden konnten. Da musste er drüberstehen. Jedenfalls sprang sein wagen wieder an.

Als der wütende Ferrarifahrer fast auf Faustschlagreichweite heran war warf ihm Pontidori die zwei Hunderter durch das kurz auf halbe Höhe gesenkte Fenster, fuhr die Scheibe wieder hoch und stieß das Lenkrad mit der Säule wieder in den 45-Grad-Winkel. Wider machte der Panda einen Hüpfer mit den Hinterrädern, kippte nach vorne und glitt butterweich in den Straßenbelag und durch diesen hindurch. Danach war gerade mal eine sehr dünne Öllaache auf der Straße zu sehen. Der seegrüne Panda war weg.

"Ich habe heute doch noch nichts getrunken", knurrte der Ferrarifahrer. Dann sah er nach oben und gab keinen Cent mehr für seinen Verstand. Da oben flogen allen Ernstes zwei Besen mit schlanken Reisigschweifen und auf den Besen je eine in Rot gekleidete Frau. Das waren echte Hexen, nicht wie die armen Dinger, die im Mittelalter oder danach verbrannt worden waren. Da stießen die zwei auch schon zu ihm herunter. Sie landete genau vor ihm.

"Hallo, Sie, haben Sie ein seegrünes kleines Auto gesehen. Unser Personenspürer hat es hier zuletzt geortet."

"Öhm, wie war noch mal die Nummer vom psychiatrischen Notdienst?" dachte der um seinen Verstand bangende Fahrer, der doch nur mal wieder das Gefühl von Macht und Geschwindigkeit erleben wollte. Er stammelte, dass er einen seegrünen Wagen gesehen hatte, der ihm ohne Schlauch und alles Benzin geklaut hatte. Die beiden Hexen hörten sich das an und nickten. "Ach ja, und er ist dann einfach so unter der Erde verschwunden?" fragte die eine Besenreiterin. Der Ferrarifahrer nickte. "Dann kriegen wir den so nicht mehr. Kuck mal Schwester, der ist schon wieder fünf Kilometer aus der Bilderfassung. Ah, und jetzt ist das Ortungssignal weg. Hinterher!"

"Und der hier?" wollte die andere Hexenschwester wissen. "Lass ihn vergessen was in den letzten Minuten passiert ist!" sagte die erste Hexe.

Als Ruben Torrini hinter dem Steuer seiner Luxusmaschine saß dachte er mit Wut auf sich selbst: "Ich hätte doch echt mal auf die Tankuhr gucken sollen. Zuviele Schnickschnackinstrumente an Bord.

Pontidori indes erkannte, dass jemand ihm wohl einen Aufspürzauber angehängt hatte. Warum hatte er da nicht sofort dran gedacht. "Spion ex uuuund hop!" rief er. Sein gerade in hundert Metern Tiefe dahinjagender Panda ruckelte. Dann stoben silberne Funken aus Pontidoris Aktentasche. Also darin war der Personenspürer. "Danke für die tolle Jagd. Aber irgendwo hört der Spaß auf."

Als er hundert Kilometer weiter westlich auf dem Weg in die Toscana bei seinem wissenschaftlichen Arbeiter anrief erfuhr er, dass zwei Männer und eine Frau gekommen seien, um mit ihm zu reden. Er gab die Order aus, ihn weiterhin beim Essen zu melden, da es doch ein wenig länger gedauert hatte, bis er drankam. Dann fuhr er weiter durch die Erde. Seine Fluchtroute führte nach Frankreich.

Unterwegs dachte er daran, dass sein Arbeitsrechner noch lief. Es konnte mal passieren, dass ein Kollege so zerstreut war, dass er den Rechner laufen ließ. Doch wenn er echt jetzt schon den großen Absprung machen musste, weil irgendwer zu ungeduldig gewesen war, würde spätestens in drei Stunden alle Welt nach ihm suchen, nicht nur Ladonnas Kettenhündinnen. Das amüsierte den Vulkanspezialisten schon irgendwie. Doch dass er dazu getrieben worden war alles aufzugeben, was er als sein persönliches Leben aufgebaut hatte ärgerte ihn. Doch das bekamen die wieder, irgendwie würden die es wiederbekommen, dachte er.

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Im Stadthaus der Doña Margarita de Piedra Roja, 09.04.2006, 12:30 Uhr Ortszeit

Mateo Alvirez, der sich derzeitig Ricardo Donizetti nannte, nahm es zur Kenntnis, dass er einen Onkel dazubekommen hatte, der jünger war als seine eigene Tochter Valeria.

"Zwei Sachen, wir haben einen neuen, sehr mächtigen aber auch voreiligen Feind, und wir müssen die neun Familienoberhäupter gegen die Brut der Nachtgötzin absichern, damit sie die nicht alle auf einmal zu ihren Sklaven macht", begann Margarita Isabel de Piedra Roja. "Auch könnte sie versucht sein, deren Abwesenheit auszunutzen, um weitere Unterlinge von sich in deren Reihen einzuschleusen, nur für den Fall, dass die direkte Einberufung nicht gelingt. Das will ich nicht zulassen, auch wenn New York nicht in meinem Revier liegt." Dann führte sie genau aus, was auf der Hacienda passiert war und wen sie für den Absender jener besonderen Besucher hielt. Sie sagte zum Abschluss dieses Themas nur, dass sie bereits seine Vertriebswege und seine derzeitigen Gespielinnen ausgekundschaftet habe und ihm nach dem hoffentlich erfolgreichen Vorgehen gegen die Vampirgötzin eine besondere Aufwartung machen würde. Dann sprach sie vom Treffen und übergab ihm die letzten Dinge, die er dafür mitnehmen sollte. "Zieh dich ja wetterfest an, Mati. Sollte es nämlich sein, dass einer oder mehrere von denen sehr allergisch auf meine Vampirprophylaxe ansprechen, so kommen die anderen womöglich darauf, den Lieferanten zu verdächtigen."

"Danke für die Warnung, Abuelita Gita. Ich habe einen Feindspürer angefertigt, der fremde Abwehrzauber orten und feindliche Gedankenausstrahlungen erfassen kann. Wenn der tiefschwarz anläuft bin ich schneller aus dem Partyservicegeschäft als einer von denen "Quidditch" sagen kann."

"Gut, Mati, mein Junge. Du darfst solche Leute nie unterschätzen, auch wenn du zaubern kannst. Ein Fingerzeig von denen reicht ihren Ausputzern, dich mal eben zu töten. Also halte dich aus der Reichweite dieser Männer!"

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Auf dem Grund des Atlantiks, mitten im Golfstrom, 09.04.2006 Menschenzeitrechnung

Endlich erfuhr Gooriaimiria, wo sich alle neun treffen wollten. Ihre Kundschafterin, die sich als Hausmädchen in Don Angelos Haus in Queens eingeschlichen hatte, hatte mit ihren scharfen Ohren die Kombination von Don Angelos Safe erlauscht und diesen auf der Hut vor Alarmvorrichtungen geöffnet. Im Safe hatte sie die Notiz über den Treffpunkt und die Wegbeschreibung dorthin gefunden. "Ein Atomschutzbunker! Gut, da wird es niemand mitbekommen, wenn ich euch mal eben von dort weghole und auf mich einschwöre", dachte die Göttin der Nachtkinder. Dann konzentrierte sie sich auf ihre neuen Dienerinnen und Diener. Diese sollten ihr die Namen und Adressen weiterer aussichtsreicher Gehilfen verschaffen. Bald würde sie auch jene in ihre Reihen aufnehmen, die südlich des Rio Grande wohnten. Sie würde den blutigen Bandenkrieg beenden und die Führer der verfeindeten Gruppen zu ihrer persönlichen Gegenregierung zum offiziellen Präsidenten sowie des Zaubereiministers machen. Von letzterem würde sie die Herausgabe der Unterlagen über alle dort registrierten Mondheuler verlangen und dann die neuen Gefolgsleute gegen diese Brut kämpfen lassen.

Gooriaimiria liebte es, in den Wahrnehmungen von sieben ihrer Diener zugleich zu sein. So konnte sie in New York, Los Angeles, Detroit und anderen großen Städten der Staaten überwachen, was dort vorging. Sie bedauerte nur, dass ihre neuen Diener ihre Kontaktlinsen nicht herausnehmen konnten, um die Rotblütler mit dem Blick der Unterwerfung zu bannen. Außerdem durften sie nicht auffallen. Denn ihr war klar, dass in dem Moment, wo einer enttarnt wurde, alle in Gefahr waren, die sie vor wenigen Nächten dazubekommen hatte.

Sie empfing auch die Gedanken von Luna Dorada. Die trauerte immer noch um ihre Blutgefährtin Night Swallow, deren Seele nun in ihr, der wahren Göttin aller Nachtkinder, ruhte. Sie dachte daran, wie sinnvoll es sein mochte, wenn Luna Dorada auch ganz die Erbin Night Swallows würde. Dann fiel ihr sogar was besseres ein. Ja, das würde sie tun, wenn sie Zugriff auf die neun Familien aus New York erhalten hatte, auch und vor allem, um ein Gegengewicht zur nicht mehr so leicht führbaren Nyctodora herzustellen.

Gooriaimiria ließ fünf gewöhnliche Diener mit ihrem Schattenstrudel in der Nähe des Atombunkers bei Albany erscheinen. Sie sollten ihn von außen erkunden. Doch als sie nur noch zweihundert Meter von der bezeichneten Stelle entfernt waren prallten sie auf eine massive Barriere, die zugleich ein unangenehmes Prickeln in ihren Körpern hervorrief. Es gelang keinem, durch die Wand zu brechen.

Die Göttin fühlte Wut in sich aufsteigen. Irgendwer hatte es gewagt, eine massive Mauer aus Zauberkraft zu errichten. Sie verstärkte die Abwehrkraft ihrer Diener. Doch jetzt schlugen sogar noch silberblaue Blitze aus der Wand auf ihre Diener und schleuderten sie viele Dutzend Meter zurück. Das konnte doch nicht sein, dachte die erwachte Göttin der Nachtkinder.

Sie versuchte, einen Kristallstaubkrieger direkt über dem versteckten Bunker abzusetzen. Doch irgendwas lenkte ihre Zielausrichtung um, und der Kristallkrieger erschien viele Kilometer über der Erde und fiel frei in die tiefe. Gut, der Schattenstrudel versagte auch. Das durfte eigentlich auch nicht sein. Doch sie musste es genauer wissen. So brachte sie zwei Kristallstaubkrieger in die Nähe des Bunkers. Das gelang noch. Dann befahl sie ihnen, direkt darauf zuzufliegen. Sie kamen auch wirklich bis auf zweihundert Meter heran. Dann prallten sie ebenfalls gegen die Wand und wurden von silbernen und blauen Blitzen umtobt. Diese Entladungen verdichteten sich zu immer engeren Netzen, die wiederum zu einem silber-blau flirrendem Kokon um jeden der Kristallstaubkrieger verwoben wurden, und das noch ehe die Göttin sie zurückbeordern konnte. Sie versuchte nun, sie mit dem Schattenstrudel einzufangen. Doch heftige Erschütterungen durchliefen ihren reinen Seelenverbund und vielleicht den sie bergenden Mitternachtsstein. Was immer sie versuchte, kein Schattenstrudel entstand. Durch die Augen eines ihrer Diener konnte sie mit ansehen, wie der magische Lichtkokon um die Kristallstaubkrieger immer enger und enger wurde, bis diese unvermittelt erstarrten und in Eigenschwingung gerieten. Diese Eigenschwingung verstärkte sich mehr und mehr, bis die Krieger mit lautem Prasseln zu schwarzem Staub zerbarsten. Der Staub wurde wie von einer unterirdischen Windhose eingesogen und verschwand im Boden. "Wieder zurück in sichere Entfernung, meine Kinder. Es lohnt nicht, mich dort selbst noch blicken zu lassen. Der Bunker wurde von mächtigen Magiern abgeriegelt, die uns erwartet haben", teilte sie ihren Dienern mit. Als diese dann in ausreichendem Abstand zur magischen Barriere waren beförderte sie sie mit dem Schattenstrudel zurück an ihre Wohnstätten. Dann erst fiel ihr auf, dass sie weder einen geistigen Todesschrei von den zersprengten Kriegern noch deren freigesetzte Seelen wwahrgenommen hatte. Hatte die Kraft, die die Körper ihrer Krieger zerstört hatte, auch deren Seelen ausgelöscht? Falls ja kannte sie diese Magie noch nicht. Das gefiel ihr nicht. Gleich darauf erfuhr sie noch etwas, dass ihr nicht gefiel.

"Große Mutter der Nacht, ich weiß jetzt, wer zu den selbsternannten Freien gehört. Ich kann ihn ... Arrg!" Es überkam sie wie ein Blitz, als die jäh aus dem Leib gerissene Seele des Rufers verging, ohne dass sie ihn zu sich holen konnte. Sie vermeinte nur, ein kurzes, triumphierendes Lachen zu hören, das sich jedoch in der Unendlichkeit der Gedankenströme verlor. Doch sie wusste, wer da gelacht hatte. Das war diese Schattenausgeburt, die sich als wahre Herrin der Nacht aufspielte. Woher hatte die gewusst, wo ihr Diener war und wieso hatte sie seine Seele so schnell vertilgen können? Sie versuchte, sie anzurufen. Doch sie erhielt keine Antwort.

"Seid auf der Hut vor jener, die nur ein Schatten ist!" warnte Gooriaimiria ihre Diener. Denn ihr war klar, dass die Feindin jetzt alles wusste, was der von ihr vertilgte Diener wusste. Denn auch sie konnte das gesamte Wissen ihrer Opfer mit deren Seelen in sich auffnehmen.

"Die Nacht wird kommen, wo ich deine widerliche Daseinsform in alle Richtungen des Alls zerstreuen werde, Schattenspielerin", dachte die erwachte Göttin voller Wut. Denn auch wenn sie das niemals offen zugeben mochte, sie hatte Angst vor dieser Ausgeburt aus dunkler Magie und mehrerer vereinten Seelen. Sie erkannte nun, wie sich Iaxathan gefühlt haben musste, als sie ihm seine Diener abgejagt und ihn deshalb verspottet hatte. Das machte sie wiederum wütend.

Um ihr gerade wortwörtlich erschüttertes Selbst wieder ins Lot zu bringen weckte sie den zur ewigen Obhut in ihrem geistigen Körper verurteilten auf und fragte ihn, welcher Abwehrzauber einen Kristallstaubvampir so zielgenau vernichten und dann auch dessen Seele schlucken konnte. Natürlich versuchte ihr ewig ungebärbarer Sohn sich mal wieder aufzulehnen. Doch wie ebenso häufig zuvor bekam ihm das nicht. Sie schaffte es, durch die sie verachtenden Gedanken hindurch die Erinnerungen an die Unlichtkristalle hervorzuzerren. Da wusste sie, dass Heilzauber auf mit Unlichtkristall versehene Wesen umgekehrt wirkten und dass Zauber der Nachtdunkelheit Kraft aus den Unlichtkristallen ziehen konnten. also hatte sie das beobachtet. Ihre Kristallkrieger waren nicht gesprengt, sondern leergesaugt worden, bis ihre Körper und Seelen restlos vertilgt worden waren. Damit stand fest, dass es nicht die Kinder Ashtarias waren, die ihren Vorstoß zum Atombunker vereitelt hatten und sicher nur, um das dort stattfindende Treffen zu schützen. "Kann sein, dass jemand die alten Sternennachtzauber noch kann. Aarg!" stöhnte der in ihrem Dasein eingeschlossene. "Die Nacht aller Nächte wird dich bald verschlingen, du Aaa...", versuchte sich ihr ewiger Gefangener in einem letzten Akt von Aufbegehren. Doch dann hatte ihn ihre Macht wieder in den tiefen Schlaf gezwungen, in dem er zu verbringen hatte, wenn sie sein Wissen nicht brauchte. Sie wusste jetzt, dass es ein Zauber war, der von der natürlichen Kraft sternenklarer Nächte zehrte und alles abstieß, was ebenfalls von mitternächtiger Magie erfüllt war. Da nur Sonnenzauber dagegen wirken konnten konnte selbst sie, die mächtige Göttin aller Nachtkinder, nichts dagegen ausrichten. So musste sie anders planen. Jeden einzelnen von denen auf ihre Seite zu ziehen hatte sie verworfen, solange es eine Möglichkeit gab, sie im Glauben, für sich selbst zu handeln, walten zu lassen. Doch wenn die nun mit einem Kenner mächtiger Sternenzauber zusammenarbeiteten war das ungleich schwerer. Dann dachte sie daran, ihre neuen Diener aus dem FBI gegen die neun vorgehen zu lassen, ja ihre noch rotblütigen Kollegen zum Bunker hinzuschicken und diesen belagern zu lassen. Doch wenn die dort jahrelang wohnen konnten waren die sicherer als sonst wo. Dann fiel ihr etwas ein, wie sie doch an die neun herankam. Die wollten doch in einen Bunker. Dann sollte es eben so sein. Die Überlegenheit, die sie empfand schaffte es, die Wut über den Mexikaner und seinen Sternenzauber und die Angst vor der Nachtschattenkönigin zu verdrängen. Sollte die doch nach den achso freien Ungläubigen suchen. Vielleicht trieb sie diese ja doch noch unter ihren mächtigen Schutz.

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Vor dem Haus von Patience Moonriver, 09.04.2006, 21:30 Uhr Ortszeit

Patience Moonriver, die Heilerin und schon häufig erwählte Amme und Ziehmutter, hatte trotz der Unwilligkeiten ihres gegenwärtigen Ziehsohns Stephen immer noch Spaß daran, ihn zu umsorgen, sein Aufwachsen zu begleiten. Ja, und im Vergleich zu ihrem ehemaligen Pflegling Adrian war Stephen doch noch sehr vernünftig, was bestimmte seinem körperlichen Alter betreffende Dinge betraf. So hatte er es doch eingesehen, dass ein gerade erst wieder aufwachsender Körper mehr Schlaf brauchte und er nicht wie ein körperlich erwachsener Mann bis nach Mitternacht wachbleiben sollte. Immerhin waren sie beide froh, dass er schon einen kleinen Nachttopf benutzen konnte und nicht mehr gewindelt werden musste.

Nun konnte sie sich in ruhe einem Buch widmen, dachte sie. Da ploppte es in ihrem für Flohpulverreisen geeigneten Kamin "Platz der Duldsamen". Von den munteren Flammen unbeschadet hockte nur ein Kopf auf dem Rost, der Kopf ihrer Großmutter Sophia. Ihr langes, weißblondes Haar breitete sich über den glühenden Rost aus. Sie blickte durch die goldgeränderte Brille mit Halbmondgläsern zu ihrer Enkelin hinüber. Diese dachte an den schlafenden Stephen und trat nahe genug an den Kamin, um nicht laut sprechen zu müssen. "Hallo Oma Sophia. Was drängt dich, mir deinen altehrwürdigen Kopf zu schicken?" fragte Patience.

"Temperence hat sich beklagt, dass der alte Krieger Shacklebolt sie in die internationale Zusammenarbeit versetzt und statt ihrer diese Viertelveela Fleur Weasley als seine neue Sekretärin eingestellt hat. Offenbar hat ihm wer geraten, nicht mehr ohne eine Tochter Mokushas in der Nähe herumzulaufen."

"Stimmt, habe ich gestern gehört, das meine werte Base sich sehr darüber aufgeregt hat, diesen so wichtigen Posten nicht mehr bekleiden zu dürfen", flüsterte Patience Moonriver. "Aber wenn Shacklebolt es mit Fleurs Veela-Aura aushalten kann, ohne ihr zu verfallen warum nicht?"

"Sehe ich auch so. Also hat Temperence dich auch angeschrieben. Ich habe mit ihr über den anderen Weg gesprochen und sie davon überzeugt, dass es bis auf weiteres besser ist, dass Shacklebolt eine Veelastämmige in seiner Nähe hat, wenn stimmt, was die anderen berichtet haben. Öhm, bei der Gelegenheit, Irina ist in die Erstarrung der Hilflosigkeit verfallen, weil sie sich nicht gegen die ihr von Arcadi und dem Hybridenweib auferlegte Unterwerfung wehren konnte. Uns Heilerinnen sollte klar sein, dass es dann auch all die anderen von uns betroffen hat", raunte Sophias Mund über das Knacken und Knistern des Feuers gerade so noch verständlich.>

"Ja, und so kann er als Ladonnas neue Marionette alle die aussortieren, die dem Orden angehören. Aber immerhin sterben sie nicht", flüsterte Patience, die aufpassen musste, nicht mit den Haaren in die Flammen zu geraten. Denn sie wurde nicht vom Flohpulverzauber geschützt.

"auch nicht wirklich tröstlich, Patience. Wir müssen einen Weg finden, wie wir den heimtückischen Zauber Ladonnas aufheben können, ohne die davon betroffenen zu töten. Ich habe mich da mal mit dem Zunftsprecher drüber unterhalten. Der meint auch, dass es nur prophylaktische Möglichkeiten gibt, der sogenannten Feuerrose zu entgehen", wisperte Sophia und mentiloquierte noch: "So wie es unsere deutschen Schwestern hinbekommen haben, all die ihren aus dem Wirkungsbereich dieser verwünschten Kerze zu befördern."

"Ja, und die rote Rassehexe aus Spanien hat ja schon weit vorher dafür gesorgt, dass ihre Mitschwestern nicht direkt im Ministerium arbeiten", mentiloquierte Patience. Mit körperlicher Stimme fuhr sie fort: "Würde die Entwöhnung von Körperflüssigkeiten und Verbindungszaubern einer Waldfrau nicht schon helfen?"

"Darüber weiß ich nichts, weil die Heilerinnen und Heiler, die in einem betroffenen Ministerium arbeiten selbst betroffen sind und daher um ihr Leben willen nicht versuchen werden, Ladonnas Bann wieder abzuschütteln. Ja, und die einzige erfolgreiche Befreiung aus diesem Zauber hätte die Betroffene fast getötet", flüsterte sie und erinnerte rein gedanklich an Erin O'Casy, die seit des Versuches, Sophia Whitesand für Ladonna zu unterwerfen, in Whitesand Valley im Zauberschlaf lag, weil die Loslösung von Ladonnas bösem Bindungszauber sie fast getötet hätte. Das empfahl sich also nicht zur Wiederholung.

"Die übliche Vorgehensweise ist doch, eine Probe des Erregers oder ein Opfer eines Fluches zu untersuchen, um ein Heilverfahren zu entwickeln. Aber eine dieser Feuerrosenkerzen zu ergattern ist wohl zu gefährlich", meinte Patience. Ihre Großmutter stimmte ihr da vollkommen zu.

"Womöglich hat Shacklebolt aus Frankreich, dass die Präsenz von Veelamagie vor dieser Furie oder zumindest ihrer Massenunterwerfungsmethode schützt. Aber so viele Veelastämmige gibt es ja in England nicht, dass wir an jeden wichtigen Ort eine hinsetzen können", stellte Patience Moonriver klar. Ihre Großmutter wollte noch was sagen, als die Haustürglocke läutete. "Oh, noch ein Patient, Patience?" fragte sie leise. Patience Moonriver wiegte den Kopf. "Muss ich nachsehen, sagte sie leise. "Dann bin ich erst mal wieder fort", erwiderte der Kopf ihrer Großmutter. Patience verabschiedete sich leise. Es ploppte, und das Kaminfeuer brannte so weiter wie vorhin.

Vor der Tür stand eine schwarzhaarige Frau mit dunklen Augen. Patience dachte erst an Ladonna. Doch die wäre wohl nicht ohne heftigen Kampf durch die Schutzzauber um ihr Haus gekommen. Die Fremde trug ein mittelhelles Kleid und dunkle Wanderschuhe an den Füßen. "Sei mir gegrüßt, Patience Moonriver, ehrenwerte Heilerin", sprach die späte Besucherin mit ausländischem Akzent. "Ich heiße Gorgyra Philoponthos und bin von der fernen Insel Korfu zu dir gereist, um mit dir eine große Sorge zu besprechen, die jene, die mich sandten gerade umtreibt."

"Oh, eine Tochter der erhabenen Mutter?" fragte Patience und sah am erleichterten Gesichtsausdruck der Fremden, dass sie recht hatte. "Dann muss es ernst sein, dass dich dein Weg zu uns auf unsere wesentlich kältere Insel geführt hat, Reisende. So tritt bitte über meine Schwelle und komm ohne Arg und bösen Willen in mein Haus, Gorgyra Philoponthos!" sprach Patience die um diese Uhrzeit notwendige deutliche Einladung aus. Die Besucherin sprach ihren Dank aus und betrat das Haus der Heilerin.

In ihrem Sprech- und Behandlungszimmer, das ein Dauerklangkerker war, bat Patience die Besucherin, sich hinzusetzen. Sie apportierte einen kleinen Tisch und darauf zwei Trinkbecher und eine Karaffe voller Wasser. Dann ließ sie sich von der Besucherin, die ihr das Symbol des dreibögigen Tores zeigte, also dass sie eine Botin der Töchter Hecates war, berichten, was sie im Auftrag Propylaias, der Herrin aller Botinnen und unmittelbaren Gesandten der drei Mütter zu berichten und anzubieten hatte. Patience verzog zwar erst das Gesicht, als die andere ihr auf den Kopf zusagte, dass sie eine der schweigsamen Schwestern war. Doch nachdem Gorgyra erklärt hatte, woher sie das wisse nickte die Heilerin. Außerdem war es zu wichtig, was die reisende Botin zu berichten hatte. Sie ging auch davon aus, dass Ladonna Montefiori sich weitere Zaubereiminister des europäischen Festlandes gefügig gemacht, ja sogar schon deren Mitarbeiterschaft unterworfen haben mochte. In Russland, so Gorgyra, sei dies offenkundig, weil dort seit Mitte März gregorianischer Zeitrechnung eine Treibjagd auf alle Veelastämmigen betrieben würde und es nur noch eine Frage der Zeit war, dass die Veelas und ihre Nachkommen sich mit Gewalt zur Wehr setzen würden, ebenso in der Ukraine, Bulgarien und den südslawischen Ländern. Patience erwähnte, dass sie ebenfalls davon gehört hatte. Sie sagte der Hecatianerin jedoch nicht, dass sie auch schon wusste, dass Ladonna das spanische Zaubereiministerium unterworfen hatte. Gorgyra erwähnte noch, dass der griechische Zaubereiminister Alexios Anaxagoras und zwei für solche Unterhandlungen wichtige Mitarbeiter zu einer Geheimkonferenz aller Mittelmeeranrainer eingeladen worden war. Darauf wandte Patience etwas spöttisch ein, ob die französische Zaubereiministerin ebenfalls eingeladen sei. Gorgyra verneinte das. Patience konnte darauf nur "Wen wundert's" antworten.

Am Ende ihres Berichtes übermittelte Gorgyra das Angebot der Töchter Hecates, dass alle freien Hexenschwesternschaften sich zu einem Bund gegen die offenbar unbezähmbare Feuerrosenschwester zusammenschließen mochten. Patience fragte dann, ob dies auch alle eher den dunklen Pfaden folgenden Mitschwestern betreffe. "Unsere erhabene Mutter Hecate hütet alle Pfade gleichermaßen, den Hellen Pfad mit seinen Verzweigungen und steinigen Wegen, den sehr schmalen Pfad der Dämmerung und die dunkle Pfade durch das Labyrinth verderblicher Abgründe. Alle Pfade sind unserer erhabenen Mutter vertraut und gleichbedeutend", erwiderte Gorgyra. Patience brauchte somit die Frage nach anderen dunklen Orden wie dem der Spinnenschwestern gar nicht mehr zu stellen. Sicher würde eine Berufskollegin Gorgyras oder gar die oberste Botin selbst zu jenen Schwestern gehen, um sie für diesen Bund der freien Hexen zu werben. Doch dann fragte sie die Besucherin: "Was werdet ihr tun, wenn sich andere Orden, die ausdrücklich den Pfaden des Machtgewinns und der hemmungslosen Aneignungen von Dingen und Wesen folgen, auf Ladonnas Seite stellen?"

"Nun, sie werden abwägen müssen, wie viele Freiheiten die Tochter zweier Mütter ihnen dann noch lassen wird. Sicher mag es am Anfang so aussehen, als spräche sie dieselbe Sprache wie die anderen auf dunklen Pfaden wandelnden Hexen und Magierinnen. Doch wird diesen dann sehr bald und schmerzhaft offenbart werden, dass Ladonna nur ihre eigene Meinung und ihre eigenen Pläne gelten lässt und jede wie auch immer handelnde Nebenbuhlerin um die vollkommene Macht vernichten. Wir Botinnen hoffen darauf, dass die Auffassungsgabe jener dunklen Hexen groß genug ist, dass sie dies früh genug erkennen und nicht die Sklavinnen der Zwei-Mütter-Tochter werden wollen, auch wenn dies heißt, ihr eigenes Leben dafür lassen zu müssen", antwortete Gorgyra.

"Wenn die musische Weltenbummlerin euch verkündet hat, dass sie auch zu unserem Orden gehört, warum habt ihr Sie nicht zu unserer Stuhlmeisterin hingeschickt?" fragte Patience.

"Weil die Reise von Australien länger dauern würde und sie nicht auffallen darf. Sie sagte uns, dass du wohl einen wesentlich schnelleren Weg zu eurer Stuhlmeisterin kennst", antwortete Gorgyra. Das sah Patience sogar ein, auch wenn es ihr nicht behagte, wie viel die Töchter Hecates über die schweigsamen Schwestern außerhalb Griechenlands wussten. So sagte sie:

"Nun, wo du von enodia erfahren hast, dass ich nicht nur eine Heilerin bin weißt du sicher auch, dass wir den Namen und Wohnort unserer Mitschwestern nicht preisgeben dürfen, schon gar nicht der Stuhlmeisterin. Deshalb kann ich dir auch nicht bestätigen, ob Enodia recht hat oder nicht. Ebensowenig kann ich dir jetzt schon verraten, wie unsere Stuhlmeisterin auf euer Angebot antworten wird. Es mag sein, dass sie dafür erst mit den anderen Stuhlmeisterinnen zusammentreffen muss, damit unsere Sororität mit einer Stimme spricht, wenngleich die der sogenannten Nachtfraktion angehörigen da sicher noch eigene Ansichten und Forderungen haben mögen."

"Wie gesagt gelten für unsere erhabene Stammmutter alle Wege der Zauberei gleich viel und alle Hexen und Magierinnen ebenso. Ich erkenne an, dass du mir nicht jetzt schon die Entschlüsse deiner Schwestern mitteilen kannst. So biete ich dir oder jeder anderen von euch, die als Botin von euch entsandt wird an, den Beschluss eurer obersten Schwestern mit der Fackel der Botschaften zu versenden." Hierauf holte sie aus ihrem im Licht der brennenden Öllampen dämmerblauen Gewand eine armlange Fackel mit Wachsbeschichtung. "Wird sie entzündet kann sie alle in ihre Flammen gesprochenen Worte ähnlich übermitteln wie das grüne Feuer schneller Reisen und Ferngespräche. In das Wachs sind die Daunen frisch wiedergeschlüpfter Phönixe eingefügt. Wie die Fackel zu handhaben ist steht auf dem kleinen Pergament in römischer Schrift verzeichnet", sagte Gorgyra und deutete auf einen mit Bindfaden um den Fackelstab gewickelten Zettel.

"So werde ich diese Botschaft und die Fackel an unsere Stuhlmeisterin übergeben und ihr die Entscheidung anvertrauen, ob und wie sie und alle ihr bekannten Stuhlmeisterinnen mit euch in Verbindung treten. Bis wann spätestens wünscht deine Zunftherrin eine Antwort?"

"meine Zunftherrin hat nur gesagt, es möge noch vor Ladonnas weiteren Eroberungen eine Entscheidung fallen. Die Mittelmeeranrainerkonferenz soll am zwölften April stattfinden. Doch liegt es den drei Müttern und meiner Zunftherrin fern, euch unter Druck zu setzen."

"Gibt es dann noch etwas, was du mir mitteilen oder von mir erfahren möchtest, falls ich es dir auch erzählen darf?" fragte Patience Moonriver. Gorgyra verneinte es. "So danke ich dir und deiner Schwesternschaft für das große Vertrauen, dass ihr in uns Außenstehende setzt. Ich werde wie gesagt deine Worte und die Fackel weiterreichen und unsere Stuhlmeisterin entscheiden lassen", sagte Patience Moonriver. "Darf ich dich dann noch zur Tür geleiten?" fragte sie. Gorgyra nahm das Angebot dankbar an.

Patience führte die Besucherin leise durch ihr Haus. Dabei lauschte sie auf den Trakt mit den Schlafräumen, ob Stephen vielleicht doch wieder aufgestanden war und möglicherweise lauschte. Doch so hörte sie nichts. Auch wusste Stephen, dass er von den Sachen, die er hier mitbekam nichs weiterverraten durfte, wollte er nicht doch noch sein bisher gesammeltes entwickeltes Gedächtnis verlieren und auf das geistige Niveau eines kleinen Kindes zurückgestutzt werden. Das hatte sie ihm bereits vor dem Abstillen klargemacht.

Gorgyra überquerte die Türschwelle und ging drei leise Schritte nach vorne. Dann ging sie in die Hocke, als wolle sie gleich niederkommen oder ungeniert Wasser lassen. Da flimmerte ihre Erscheinung, und statt ihrer flog eine Silbermöwe in den teilweise bewölkten Himmel hinauf, dem Mond entgegen. Patience dachte nur für sich, ob alle höheren Töchter Hecates Animaga waren und ob von denen auch alle Vögel als Tiergestalt hatten. Immerhin brauchte die Botin so keinen Besen und fiel nicht auf, sofern sie in ihrer Tiergestalt eher tagsüber unterwegs war. Ja, und eine Möwe fiel am Strand einer Insel nicht weiter auf.

Patience mentiloquierte ihre Großmutter an und erwähnte, dass die Töchter der Hecate offenbar große Angst vor Ladonna hatten. "Das ganz mit recht", bekam sie die unumstößliche Antwort. Dann bat sie ihre Großmutter, sie noch besuchen zu dürfen. Sie tat dann noch etwas, was sie eigentlich nicht gerne tat. Sie sang leise das Lied des nur von der Sonne zu lösenden Schlafes und zielte dabei auf Stephens Zimmertür. Sie prüfte dann noch nach, ob er in seinem Bett lag oder nicht etwa "aus Versehen" hinter der Tür lauschend umgefallen war. Zu ihrer Erleichterung fand sie ihn nun noch tiefer als sonst schlafend in seinem Bett. Sie wirkte dann noch den üblichen Zauber, der bei ihrer Abwesenheit weitere Abwehrzauber in Stellung brachte und apparierte direkt ins geheimgehaltene und mehrfach beschirmte Whitesand Valley.

Dort sprach sie mit ihrer Großmutter über die Unterredung mit Gorgyra und legte die erhaltene Fackel auf den Tisch. Dieser vibrierte kurz und schimmerte dann golden. "Aha, tatsächlich ein starker Zauber, aber kein Fluch", erwiderte Soophia Whitesand. Dann pflückte sie den Pergamentzettel von der Fackel, las ihn und lies auch Patience lesen.

Willst du uns erreichen,
so ist dies unser Zeichen
das Kunde und Antwort erbringt.
Willst du uns was sagen,
so musst du nicht zagen.
Es stets und an Jedem ort gelingt.

Sprich für deine Worte,
am wohlbeschütztem Orte
das Wort "Phosphoros" laut genug aus.
Die Fackel wird dann tragen,
was immer du willst sagen
als Botschaft in mein Haus.

Wenn du hast gesprochen,
soganz ununterbrochen,
so Sprich das Wort "Skotia" laut aus!
So ruht dann unser Zeichen,
um uns zu erreichen.
Birg's sicher dann in deinem Haus!

Für alle deine Kunden,
sind dir zwei volle Stunden
im Scheine der Fackel gewährt.
So nutze die zwei Worte,
am wohlvertrauten Orte,
so dass er für deine Nachricht nur währt!

"Das Mutterland der klassischen Poesie", bemerkte Pattience und gab ihrer Großmutter den Zettel zurück. "Nein, nicht nur wegen ihrer stolzen Tradition der Dichtkunst wegen ist diese Anleitung so abgefasst, Patience. Sieh sie als Vorprägung. in Dem Moment, wo du den Zettel in der Hand hältst und die Zeilen, die garantiert mit einer auf Frauenblut basierenden Tinte verfasst wurden liest, prägst du dich als zum Umgang mit dieser Botenfackel berechtigt ein. So kann kein anderer, der zufällig die beiden Schlüsselworte kennt die Fackel anzünden und auslöschen oder unnütz abbrennen lassen. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass nur eine erwachsene Hexe diesen Zettel anfassen und lesen kann. - Mein Tisch der Enthüllung hat ja schon gezeigt, dass weder die Fackel noch dieser daran hängende Zettel verflucht sind." Patience schlug sich fast vor die Stirn. Sie sollte doch wissen, dass bei höheren Zaubern auch Handreichungen und mit besonderer Tinte auf besonderes Pergament geschriebene Zeilen einen Zauber auslösen konnten. Daher galt ja bei den Heilern und Kundigen der hellen und dunklen Künste, eine mit magischer Tinte niedergeschriebene Anrufung nicht mal eben laut vorzulesen.

"Ja, und falls es nicht so eingerichtet wurde reicht auch schon aus, zu glauben, dass es so ist, Placebo und Nocebo, Oma Sophia", erwiderte Patience, um nicht ganz wortlos aus dieser Belehrung herauszukommen. Ihre Großmutter grinste eher wie ein junges Mädchen als eine Hexe von über hundert Lebensjahren. Dann sagte Sophia Whitesand: "Ich werde deinen Vorschlag aufgreifen und mich mit den anderen Stuhlmeisterinnen darüber beraten und dir dann die Fackel zurückgeben, damit du unsere Nachricht weitermelden kannst. Weil dich kennt diese Botin ja jetzt, und wir wollen ja trotz der bestehenden Lage nicht alle unsere Gesetze vergessen." Patience nickte bestätigend. Dann teilte ihr ihre Großmutter noch mit, dass es wohl vor zwei Tagen eine Zusammenkunft der europäischen Veelas gegeben haben musste. Jedenfalls hatte Sophias bulgarische Amtsgenossin das über die Bilderverbindung mit ihr mitgeteilt, die wiederum mit einer der älteren Veelas dort in guter Beziehung stand, was für Hexen und Veelas eher ungewöhnlich war. "Aha, dann wollen die Veelas sich das nicht mehr bieten lassen, was Ladonna anstellt?" fragte Patience.

"Nein, sie haben dem von ihnen erwählten und vom französischen Zaubereiministerium bestätigten Vermittler zwischen ihrem und unserem Volk klargemacht, dass niemand Ladonna töten darf und dass es ihnen, den Kindern Mokushas allein zustehe, dies zu tun, falls es keine andere Lösung geben sollte."

"Natürlich, die Blutrache der Veelas. Öhm,war die spanische Stuhlmeisterin auch bei diesem Treffen?"

"Soweit ich weiß hatte diese wahrhaftig einen kurzen Auftritt dort. Mehr erfuhr ich aber nicht und werde mich hüten, sie selbst zu befragen, sollte sie einem Treffen aller Stuhlmeisterinnen zustimmen", erwiderte Sophia Whitesand mit einem verwegenen Lächeln, als wisse sie doch mehr oder könne sich bestimmte Dinge vorstellen. Dann sagte sie noch: "Besser ist es nun, wenn du in dein Haus zurückkehrst und den Schlaf und das Leben deines Pfleglings behütest, Schwester Patience. Ich werde dir erst wieder was über diese Fackel der Hecate berichten, wenn es eine ganz verbindliche Entscheidung gibt." Patience bestätigte das und disapparierte. Da sie mit der Herrin von Whitesand Valley Blutsverwandt war und ja wusste, wo das Whitesand Valley und das Haupthaus zu finden waren konnte war sie eine der wenigen, die den zeitlosen Weg gehen konnten.

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Kanadische Ausläufer der Rocky Mountains, 09.04.2006, 23:00 Uhr Ortszeit

Ashton Underwood hörte die geistige Stimme ihrer Herrin in ihren Gedanken. Seitdem ihre britische Tante Ursina sie damals mit zu jener Eingemeindungszeremonie im Schein und Duft der Feuerrose mitgenommen hatte gehörte sie zu Ladonnas nordamerikanischen Kundschafterinnen, ja mochte sich sogar als geheime Agentin im Dienste der Königin verstehen. Monatelang hatte sie nur Berichte aus Kanada nach Italien geliefert, meistens in Form von Gedankenverbindungen mit der Königin selbst. So war es auch jetzt wieder.

"Ashton, Nichte der ursina Underwood, es wird Zeit, einen Teil jener Schuld abzutragen, die deine dahingeschiedene Tante angehäuft hat. Die Vollendung der Pax Rosae steht bevor. Also empfange meine Anweisungen und befolge sie vollständig und fehlerlos!" sprach die Gedankenstimme der Königin aller Hexen. Dann erfolgten mehrere Befehle, die mit in ihren Geist übermittelten Bildern verknüpft waren. Ashton Underwood nahm das alles hingebungsvoll in sich auf und bestätigte völlig überflüssigerweise den Erhalt aller Anweisungen. "Du schaffst die Voraussetzung dafür, dass Kanadas magische Gemeinschaft in mein Weltreich unter der Feuerrose eingegliedert wird. Es wird Widerstand geben, vor allem aus den Staaten. Genau deshalb gilt es, den zweifelhaften Zusammenhalt Kanadas, der Staaten und Mexikos anzuzweifeln und zu vernichten, um aus den Bruchstücken etwas neues, festeres, langlebigeres zu formen", beendete Ladonnas Gedankenstimme die Reihenfolge ihrer Anweisungen. Ashton Underwood bestätigte auch das. Sie sollte losziehen, die Stimmung gegen die Föderationsverwaltung zu schüren und den Unmut der kanadischen Hexen und Zauberer anzuheizen, auf dass alle kanadischen Hexen und Zauberer Bullhorn und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern Lüge und Täuschung vorwarfen. Gelang dies hier in Kanada, so würden die einst britischen Kolonialinseln der Bermudas, Bahamas und Antillen folgen, ja möglicherweise auch das Tor nach Indien aufgetan, obwohl die dort residierenden Zauberer sich für so überragend kundig und mächtig hielten."

"Und was ist mit den einst britischen Kolonien in Afrika?" fragte Ashton Underwood. "Das werde ich erst beschließen, wenn ich näheres über die dortige Gemeinschaft von Hexen und Zauberern weiß", erwiderte Ladonnas Gedankenstimme. Ashton hatte den Eindruck, dass die Königin über diese Frage etwas ungehalten war. Doch warum das so war durfte sie nicht fragen. Sie bestätigte nur erneut, dass sie die erteilten Anweisungen ausführen würde.

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Millemerveilles, 10.04.2006

Julius Latierre saß am Morgen des zehnten Aprils im Computerzelt des vorübergehend umgezogenen Zaubereiministeriums. Gerade hatte er erfahren, dass gestern ein international angesehener wie umstrittener Vulkanologe aus Neapel spurlos verschwunden war. Sein Sekretär hatte bei der Polizei angefragt, ob es einen Unfall gegeben habe. Doch dem war nicht so. Viele Zeugen hatten ihn noch mit seinem für einen Professor untypischen Kleinwagen wegfahren sehen können. Das war die letzte Spur. Eine offizielle Vermisstenanzeige gab es noch nicht. Dann sah Julius das Bild des Verschwundenen. Er kannte diesen Mann. Das war Anselmo Pontidori, auch ein halber Schwiegeronkel von ihm, weil er der Sohn Lutetia Arnos war. Natürlich, von Pontidori hatte er damals im Zusammenhang mit der heftigen Feuermagiefreisetzung auf Sizilien gehört. Also wechselte dieser halbe Zwerg zwischen magischer und nichtmagischer Welt.

"Wahrscheinlich haben Ladonnas Leibeigene den abgefangen, weil sie keine gemischtrassigen Leute in öffentlicher Rangstellung haben wollen", dachte Julius. So ähnlich lief es doch auch in den slawischen Ländern mit den Veelas, nur dass die sich gegen die Festnahme und das Einsperren wehren konnten.

Als er nach dem Mittagessen in das provisorische Büro für Mensch-Zauberwesen-Kontakte hinüberging fand er dort ein offizielles Schreiben Létos. Sie erwähnte, dass sie sich mit ihren in Frankreich und Großbritannien lebenden Verwandten unterhalten habe, wie man magische Institutionen gegen Ladonnas Feuerrosenkerze sichern konnte. Da in Beauxbatons ja gerade drei Létos Enkeltöchter Himérope und Igleia Grandlac in der dritten Klasse waren konnte Madame Faucon sie als Absicherung gegen Ladonnas gemeinheit einsetzen. Auch hatte sich ja erwiesen, dass auf besondere Gefahren abgestimmte Portschlüssel die potentiellen Opfer eines Feuerrosenangriffs in Sicherheit bringen konnten. Also mochte es auch umgekehrt gehen, dass ein auf Sonne und / oder Mond abgestimmter Portschlüssel eine Feuerrosenkerze fortschaffen konnte, bevor sie ihre volle Entfaltung erreichte.

Léto schlug mit der nötigen Bescheidenheit vor, Veelas in die Innendienstmannschaft für Zaubereizentralverwaltung und Sicherheit aufzunehmen und dort zu postieren, wo Euphrosynes verbotener Segen nicht mehr wirkte. Wie genau das gehen sollte mussten sie dann noch klären.

Mit dem Schreiben ging Julius zum blauen Haus der obersten Führungsebene. Dort ließ er sich bei Ministerin Ventvit melden. Dieser übergab er das Schreiben Létos. Danach unterhielt er sich mit der Ministerin wie auch Jeannes Schwiegervater Belenus Chevallier und den Leitern für interne Sicherheit und Zentralverwaltung, die im Augenblick eher von Langeweile als von Stress befallen waren. Die Aussicht, nach Paris zurückzukehren gefiel ihnen sichtlich. Da die Verwandten Létos ja regelmäßig nach Agentinnen oder Agenten Ladonnas suchten war es auch kein Akt, die vielen erwachsenen Verwandten Létos anzuschreiben, ob sie nicht in Teilzeitarbeit für das Ministerium arbeiten wollten, nicht als Beamtinnen, aber zu ansehnlichen Löhnen. Das behagte dem seit Colberts Coup mit Gringotts an dessen Stelle gerückten Monsieur Montrich zwar nicht wirklich. Doch das Argument, lieber höhere Gewerbeabgaben zu fordern als der französischen Zaubererwelt Ladonnas Sklavenketten anzulegen zog dann doch. So wurde kurz vor 16:30 Uhr ein Geheimerlass Ventvits in Kraft gesetzt, dass jede Veelastämmige Person mit Wohnsitz in Frankreich berechtigt sei, durch bloße, mehrstündige Anwesenheit pro tag mitzuhelfen, das eigentliche Ministeriumsgebäude sicherer zu machen.

Als Julius auch Barbara Latierre diese Mitteilung überbrachte, da sie als Leiterin der Gesamtabteilung zur Erfassung und Betreuung magischer Lebewesen ebenso Informationsberechtigt war staunte er nicht schlecht, sowohl seine Schwiegeroma Lutetia als auch den in den Internetmeldungen als verschwunden gemeldeten Vulkanologen Pontidori bei ihr anzutreffen. Julius musste sich arg beherrschen, nicht zu sehr von oben auf den kleinwüchsigen Italiener herunterzuglotzen. Doch der war ja schon auf Barbara Latierres 1,93 Meter eingestimmt und staunte höchstens, dass es noch andere Leute mit über 1,90 Metern Größe gab.

Julius durfte sich setzen, nachdem er den Vulkanologen auf Englisch begrüßt hatte, weil er kein Italienisch konnte. Dann durfte er sich als Abgesandter der Behörde für friedliche Koexistenz und Mensch-Zauberwesen-Beauftragter die Geschichte Pontidoris anhören. Dieser erzählte in Französisch mit leichtem italienischen Akzent von der neuen Kampagne Barbaneras, um menschengestaltliche Zauberwesen zu schikanieren und präsentierte einen amtlichen Brief. Barbara ließ ihn sich von ihrem Kollegen Dubois vorlesen, der eine italienische Großtante bei Palermo wohnen hatte, mit der Dubois jedoch seit der Abriegelung Italiens keinen direkten Kontakt mehr hatte. Dann sagte Pontidori:

"Ich habe gedacht, dass bald sie kommen miche zu holen, um miche einzusperren oder zu töten. Die wohl haben gewusst, dass iche könnte weglaufen molto veloce nach Francia, öhm, Frankreich, wo wohnt meine Mutter. Deshalb die miche wohl wollten interrogare, äh, verhören."

"Die wollten wohl ein Exempel an Ihnen statuieren, Professore Pontidori. Aber dann hätten die doch auch noch einen Peilsender bei Ihnen verstecken können, um rauszufinden, wohin sie fahren", sagte Julius. Pontidori nickte. Dann erwähnte er, dass sein Halbbruder tatsächlich einen solchen Nachverfolgungszauber namens Localisatus-Inanimatus an seinem Auto gefunden hatte. Doch weil das Haus seiner Schwiegermutter unortbar war konnte der nicht verraten, wo er war.

"Gut, die wollten wohl wissen, ob sie nach Frankreich flüchten, wenn man Sie jagt", vermutete Barbara Latierre. Julius nickte. "Ja, und falls Sie dann wieder nach Italien einreisen hätten Sie sie wegen Kolaboration mit uns festgenommen", legte Julius nach. Pontidori knurrte, nickte aber wild. "Gut, da wir eenfalls Registraturen für Menschen mit Zauberwesenverwandtschaft haben lassen Sie sich dort mit der von Ihrer Frau Mutter ermöglichten Adresse eintragen. Ob und inwiefern wir Zugriff auf Ihr in Italien geführtes Bankkonto bekommen können wissen wir noch nicht, weil jeder offizielle Versuch zusätzliche Fragen nach sich ziehen würde. Doch wenn Sie sich als Flüchtling vor einer ungerechtfertigten Verfolgung erweisen könnten Sie womöglich auch bei uns eine ansprechende Arbeit finden. Garantieren kann und will ich Ihnen das jedoch nicht", erwiderte Julius' Schwiegertante. Das sah Pontidori ein. Er erwähnte dann noch gestenreich, dass er sich mehr um seine Arbeitsergebnisse sorgte, die er in Neapel hatte zurücklassen müssen. Julius erinnerte daran, dass Italien in der nichtmagischen Welt zum Schengengebiet gehörte, also die Reise aus Italien nach Frankreich nicht illegal war und dass Bürger aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auch im EU-Ausland arbeiten durften, da ihre Qualifikationen anerkannt wurden. Dann warf er jedoch ein, dass Pontidori dann aber gerade nur in Frankreich arbeiten konnte, weil sehr zu befürchten stand, dass Ladonna nicht nur Deutschland, sondern auch andere Zaubereiministerien unterworfen hatte, mit Ausnahme von Großbritannien. Darauf meinte Pontidori, dass ihn diese Lage an eine Vulkaninsel im Südpazifik erinnere, auf der er mal drei Monate lang ausharren musste, weil durch den dort ausgebrochenen Feuerberg keine Luftversorgung möglich war und wegen der ins Meer gestürten Lavabrocken kein Schiff anlanden konnte, bis sich der Berg beruhigt hatte und die Aschewolken verweht waren. Insofern habe er hier schon mehr Komfort und Kontaktmöglichkeiten. Das konnte Julius nicht abstreiten. Der Vergleich mit der Insel mochte passen. Am Ende riegelten alle Nachbarländer Frankreichs die Grenze zu Frankreich ab oder versuchten die magische Welt auszuhungern. Gut, das würde deshalb schon nicht gelingen, weil sich die französischen Hexen und Zauberer auch bei den nichtmagischen Menschen mit Lebensmitteln und neuer Kleidung versorgen konnten. Aber die Aussicht, vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein mochte dieselbe Bunkerstimmung auslösen wie damals die Belagerung von Beauxbatons oder die Dämmerkuppel über Millemerveilles. Damit mussten sie dann irgendwie fertig werden.

Als Julius wieder in den Rechnerraum zurückkehrte programmierte er die virtuellen Überwachungsroboter auf alles, was Anselmo Pontidori betraf. Falls das italienische Zaubereiministerium der Meinung war, ihn habe es nicht geben dürfen mochten sie alle lebenden Personen und greifbaren Dokumente bearbeiten, aber ob ihnen das mit Computerdaten gelingen würde wusste er nicht.

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Das Haus von Soraya bint Amar iben Faisal Al-Buraq im algerisch-tunesischen Grenzland, 10.04.2006 gregorianischer Zeitrechnung, kurz nach Sonnenuntergang

Die Hüterin der Nacht zeigte bereits ihre zunehmende Gestalt, auch wenn im Westen noch helles Dämmergrau den Himmel erhellte. Der rauschende Wasserfall der enthüllenden Reinheit rauschte leise aber stetig. Er bekam sein Wasser aus der unterirdischen Quelle, die als "Geschenk der behütenden Mutter" bezeichnet wurde. Diese Quelle spendete mehr Wasser, als für den Fall der enthüllenden Reinheit nötig war. So konnte die Eigentümerin der kleinen Oase, die nur mit der hohen Kraft begüterte finden konnten, einen üppigen Obst- und Gemüsegarten bestellen und die kleine Oase im Grenzland zwischen Algerien und Tunesien mit einer ausreichend hohen Zauberhecke umfrieden, die jedem vorbeiziehenden Wüstenreisenden vorgaukelte, dort sei nichts zu finden.

Soraya bint Amar iben Faisarl Al-Buraq spürte die Annäherung einer anderen Magierin durch die Luft. Immerhin war die Fremde so höflich, nicht den Stein der verwehrenden Wunschreise zu erschüttern. Sie bekam über ihre besonderen Wachvorkehrungen mit, dass die andere auf einem geflügelten Pferd durch die Luft ritt und nicht auf einem Reisigbesen wie die Europäer oder einem fliegenden Teppich wie die Bewohner ihres Landes und seiner Nachbarn. Dann bekam die Eigentümerin der Oase auch mit, wie das prächtig geflügelte Pferd, ein echter Nachfahre des Pegasus und Artverwandter jener Flügelpferde, die in der arabischen Welt gezüchtet wurden, auf der großen Wiese diesseits der Verbergehecke landete. Die Fremde stieg ab und prüfte wohl mit einem Zauberstab auf vorhandene Schutz- und Abwehrkräfte. Dann durchschritt sie furchtlos den Wasservorhang der enthüllenden Reinheit. Ja, offenbar war sie keine auf seelische Reinheit bedachte Magierin, denn sie erbebte und keuchte, als der Fall der enthüllenden Reinheit sie von Kopf bis Fuß netzte. Doch dann war sie hindurch, ohne unter der auf böse Seelen elefantenschwer niederdrückenden Last zusammenzubrechen. Nun stand sie vor dem Haus der Oasenbesitzerin.

Wie es Soraya bei jedem sie aufsuchenden Menschen tat unterzog sie auch diese Besucherin einer mehrminütigen Geduldsprobe. Erst als eine Viertelstunde vergangen war erbot sie sich, der Anderen zu öffnen.

Vor ihrer Tür wartete eine eindeutig europäischstämmige Zauberin mit tiefschwarzem Haar und hellrosiger Haut. Sie trug ein dunkles Kleid, auf dem ein Symbol prangte, ein silbernes Tor mit drei Bögen. Von diesem Zeichen hatte die Hausbewohnerin natürlich schon gehört. Es sollte im Lande der alten und neuen Griechen eine ähnliche nur aus mit den hohen Gaben beschenkten Töchtern geben, die einer Mittlerin zwischen Erde, Himmel und Nachwelt sein sollte. Die Besucherin blickte die Hausbesitzerin aus dunklen großen Augen an. Soraya barg ihre Gedanken hinter dem inneren Wall der Unzugänglichkeit. Doch sie erspürte keinen Versuch, diesen zu durchbrechen. Da begann die Besucherin auf Arabisch zu sprechen:

"Friede und Freundschaft, Soraya bint Amar iben Faisal Al-Buraq, große Kennerin der Kräfte des Wassers und der Erde. Ich bin Botenmeisterin Propylaia, Gruß und Stimme der erhabenen Töchter Hecates, der großen Mutter aller Zaubermächtigen aus dem Lande der Griechen und bitte um Einlass und Gehör.""

Soraya musste sich sehr beherrschen, sich von dieser samtweichen, tiefen Stimme nicht zu sehr verzücken zu lassen. Sie sah die andere aufrichtig an und erwiderte: "Freundschaft und Friede dir, Botin der Töchter Hecates aus dem Land nördlich des afrikanischen Meeres. Tritt herein und sei mir als Gast willkommen!" Dann gab sie die Türöffnung frei und wartete, dass die andere über die Schwelle trat.

Im Wohnraum Sorayas durfte sich die Botin auf den bequemsten Gästestuhl setzen den sie anzubieten hatte. Auch bot sie der Besucherin Kaffee oder Tee an. Propylaia dankte und entschied sich für Tee. Als beide Hexen blütenweiße Tassen mit dampfenden, nach würzigen Kräutern duftendem Inhalt vor sich hatten fragte Soraya die andere, ob sie eine angenehme Anreise hatte. Propylaia bedankte sich für die Frage und erwähnte, dass sie eine störungsfreie Reise erlebt und die Schönheit des Landes zwischen Meeresstrand und der großen Wüste angesehen hatte. Dann ging es um den Grund ihres Besuches.

Propylaia sprach mit ihrer samtweichen beinahe männlichen Stimme: "Ich wurde mit einem wichtigen Auftrag vom Rate unserer drei Mütter entsandt, all die mächtigen Orden magisch begabter Frauen zu besuchen, um davon zu sprechen, dass es auf dem Erdteil Europa eine gibt, die mit einer besonderen Begabung geboren wurde und nach vielhundertjährigem Zauberschlaf wieder aufgewacht ist. Für den langen Schlaf und die entgangene Zeit wollte sie sich nun wohl rächen und plane die ganze Welt zu erobern, um sie nach ihren Gedanken und Absichten umzugestalten, so wie der Wind den Sand der Wüste in immer neue Formen weht. Ihr name lautet Ladonna Montefiori, was in die erhabene Sprache deines Volkes Herrin vom Blumenberg heißt. Ja, und dieser von ihren zwei Müttern verliehene Name gilt ihr als Vorbestimmung, nicht nur die Blumen, sondern auch alle Menschen dieser Welt zu beherrschen. Sie greift nun um sich und ergreift alles, was ihr nicht widerstreben oder entfliehen kann. Es steht auch zu befürchten, dass sie auch die Länder südlich des afrikanischen Meeres an sich reißen will. Daher baten mich die drei Mütter des Rates unserer erhabenen Schwesternschaft, all jene zu besuchen, die dies wohl nicht erdulden mögen, um sie einzuladen, mit uns einen Bund wider diese Vorherrschaftspläne zu schließen. So sprechen die drei Mütter des erhabenen Rates der Töchter Hecates durch meinen Mund."

Soraya hatte die andere ganz in ruhe und aller Ausführlichkeit ausführen lassen, was sie hergeführt hatte. Nun überlegte sie, was sie darauf antworten sollte. Natürlich hatte sie und jede andere Tochter des grünen Mondes von der Blutfehde zweier der Dunkelheit folgenden Hexen gehört, die dann von der ein volles Jahrhundert im Frankenland herrschenden Königin Sardonia damit beendet wurde, dass sie ihre Gegnerin in einen schier unaufweckbaren Schlaf bannte und sie an einen scheinbar so gut geschützten oder unerreichbaren Ort hatte schaffen lassen, dass niemand den Schlafzauber wieder aufheben konnte. Doch offenbar war es mit den Mitteln der modernen Maschinenbaukunst gelungen, sie zu bergen und doch wieder aufzuwecken. Ja, und dass Ladonna bereits die stiefelförmige Halbinsel erobert hatte wussten die Töchter des grünen Mondes auch schon von den Nachkommen jener Mitschwestern, die damals mit den Eroberern im Namen des Propheten Muhammad die Insel Sizilien bevölkert hatten. Bisher hatten diese Kundschafterinnen der Töchter des grünen Mondes sich noch vor der neuen Eroberin verbergen können. Doch wie mächtig und gnadenlos sie war wussten sie diesseits der Ufer des afrikanischen Meeres auch schon. Damit war es nicht verwunderlich, dass die dunkle Hexe, die den alten Berichten nach keinen Vater, sondern zwei Mütter besessen haben sollte, mehr Macht und Vorherrschaft erringen wollte. So antwortete Soraya auf Propylaias Erklärung und Anfrage: "Wir, die Töchter des grünen Mondes, kennen die aus drei zauberischen Völkern stammende und wissen, dass sie auf Macht und Vergeltung sinnt. Wir wissen auch, dass sie nicht auf ihre Heimat beschränkt bleiben wird. Wir sind auch schon länger darauf vorbereitet, dass sie ihre Helfer und Helferinnen aussendet, um mein Land und die Länder meiner anderen geliebten Schwestern im Mondlicht zu erobern, sei es durch einen gewaltsamen Überfall oder durch eine List und ihr Wissen um jene Kräfte, die im dunklen Schatten des Mondes blühen und gedeihen. Wir werden uns nicht kampf- und wehrlos von ihr oder ihren Helferinnen und Helfern unterwerfen und uns zu ihren Sklavinnen machen lassen. Doch bevor ich die durch deinen Mund verkündete Bitte um ein Bündnis an unsere grüne Mutter weitergebe möchte ich in aller Rücksicht auf die Geheimnisse deiner Schwesternschaft ein paar Einzelheiten wissen, warum ihr euch jetzt erst aufrafft, um die Tochter zweier Mütter und Erbin dreier Blutlinien zurückzuweisen und nicht schon früher wider sie ausgezogen seid, wo sie sich gerade erst offenbart hatte."

"Diese Frage ist durchaus berechtigt und wurde von den drei Müttern meiner Schwesternschaft zur Beantwortung gestattet", begann Propylaia und fuhr fort: "wie ihr achten wir das Werk freier Hexen und Magierinnen und halten uns streng an die Grenzen unseres von unseren Ahnmüttern bevölkerten Bodens. So konnten, ja mussten wir mit ansehen, wie sich Ladonna Montefiori aus dem tiefen Schlaf erhob und sich einen arglosen Mann gefügig machte, der ihr sowohl seinen Leib und seine Seele und all sein Hab und Gut übereignete. Sie umschloss ihr neues Zuhause mit einem dunklen Zauber, der das Blut ihrer Feinde zum überkochen und entflammen bringt." Soraya erschauderte, ließ die andere jedoch weitersprechen. "von diesem Hause aus strebte sie nach neuer Macht und Vorherrschaft. So konnte sie sich ihr Heimatland Italien erobern. Doch das reicht ihr nicht mehr. Ihr Hunger nach Herrschaft ist schier unstillbar. Deshalb müssen wir damit rechnen, dass sie bald auch in unsere Heimat einfallen oder deren Hüter ihrem Willen unterwerfen wird. In jedem Fall würde dies zu einem Krieg der Hexenbünde führen, der wohl unzählige Opfer fordern mag. Denn auch wir wollen keine Sklavinnen sein. Um nicht mit euren heeren Wünschen und Vorhaben zusammenzuprallen suchen die drei Mütter meiner Schwesternschaft die friedliche Unterhandlung und das Bündnis mit euch, da ihr die größte und von allen Zauberinnen meist beachtete Schwesternschaft Nordafrikas, Arabiens und Persiens seid, der dem Willen unserer Stammmutter gemäße Gegenhalt zu den nur für Zauberer zugänglichen Brüdern des blauen Morgensternes."

"So befürchten die drei Mütter deiner erhabenen Schwesternschaft, dass es zwischen euch und uns zu einem blutigen Zerwürfnis kommen mag, wenn die Zwei-Mütter-Tochter euch und uns gleichermaßen zu ihren hörigen Untertaninnen machen will", stellte Soraya bint Amar iben Faisal Al-Buraq fest. Propylaia bejahte das. "Ich erkenne an, dass diese Sorge sehr berechtigt ist. Denn wenn die Zwei-Mütter-Tochter klug ist wird sie darauf ausgehen, den Keil der ständigen Zwietracht und des unverbrüchlichen Misstrauens in die Reihen ihrer eigenen Widersacher zu treiben. Sie könnte Behauptungen ausstreuen, die uns gegen euch und euch gegen uns aufhetzen und sich daran ergötzen, dass wir uns gegenseitig niedermachen, um dann als die siegreiche Dritte oder die achso erhoffte Schlichterin und Vereinigerin aufzutreten. Das dürfen wir ihr wahrlich nicht durchgehen lassen. So werde ich die von dir an mich gesprochenen Worte eurer drei Mütter an unsere grüne Mutter und den Rat der Töchter des grünen Mondes weitergeben. Wie lange wirst du noch in meiner Heimat bleiben, Botin Propylaia?"

"Ich gedenke von hier aus in einigen Tagen ins Frankenland zu reisen um dort mit jenen zu sprechen, die der verschwiegenen Schwesternschaft angehören, weil ich von den drei Müttern weiß, welche von ihnen ich aufsuchen kann", erwiderte die Botin. Soraya lächelte und erwiderte: "Falls es deine Reisepläne nicht zu sehr verzögert möchte ich dich in der Eigenschaft als Verbindungsbevollmächtigte meiner Schwesternschaft aufzutreten bitten, meine Rückkehr vom Rat der Zwölf abzuwarten und dessen Beschluss entgegenzunehmen. Womöglich möchte die grüne Mutter sogar selbst mit dir sprechen, um mit ihren eigenen Ohren die Worte eurer drei Mütter aus deinem Munde zu hören. Verweile solange in der Herberge zum fruchtbaren Halbmond in der für reisende Zauberer und Zauberinnen erschlossenen Siedlung an den Gestaden des afrikanischen Meeres. Sicher wirst du die Weisung und die Klugheit besitzen, nichts von deiner Aufgabe und deinem Orden preiszugeben."

"Dies ist richtig. Dieses mein Kleid der Botinnen trage ich auch nur, wenn ich mit jemandem sprechen soll, die sehen und hören darf, in wessen Auftrag ich reise und spreche", erwiderte Propylaia. Dann ließ sie sich noch einmal die genaue Richtung zu jener kleinen Touristensiedlung nur für magische Menschen erklären. Danach bedankte sie sich für den Tee und für die Aufmerksamkeit. Sie verließ das Haus und bestieg ihr geflügeltes Pferd, das in der Zwischenzeit ganz genüsslich die frischen Grashalme der Landewiese verzehrt hatte. Pfeilschnell stieg das geflügelte Ross in den nun völlig nachtdunklen Himmel hinauf, an dem die fernen Sterne als selten klares Muster im immer schwärzeren Himmel glitzerten.

Soraya bint Amar iben Faisal Al-Buraq vertat keine Wartezeit. Wie alle Töchter des grünen Mondes besaß sie eine silberne Kette, an der ein Halbmond aus reinem Smaragd befestigt war. Über dieses Zeichen der Verbundenheit rief sie nach der grünen Mutter Alia. Diese war noch wach und wohl gerade auch nicht mit anderen Dingen beschäftigt. Soraya beschrieb ihr die Besucherin und erzählte ihr, was diese übermittelt hatte.

"So, dann fürchten die auf ihre Heimat zurückgedrängten Töchter der Hellenengöttin Hecate, dass ihr geschichtsträchtiges Land zum Raubgut dieser dunklen Tochter zweier Mütter wird? Da kommen sie aber sehr früh drauf", erwiderte die grüne Mutter mit unverkennbarem Spott in der Stimme. Dann sprach sie wieder ganz ernst: "Doch besser so, als wenn sie bereits im Namen dieser Machthungrigen gegen uns zu Felde ziehen wollen. Teile ihr morgen abend, wenn unsere Hüterin der Nacht erneut aus ihrem Schlaf erwacht ist mit, dass ich sie selbst noch einmal anhören möchte! Vor allem trachte ich danach, mit den drei Müttern selbst zu unterhandeln, um unser beider Schwesternschaften sicher in die nötige Eintracht, zumindest aber einen haltbaren Burgfrieden zu führen. Ach ja, du sprichst bitte mit Jamila, dass sie unsere erfolgreich ihre Prüfung bestandene neue Schwester westlich des großen Weltmeeres anruft, dass ich die ihr auferlegte Prüfung als bestanden werte und sie, falls sie will, bei einer weiteren Unterhandlung selbst dabei sein möge. Lass sie auch fragen, ob sie sich bereits einen Vater für ihr erstes Kind ausgesucht hat, wo jener, den sie ursprünglich erwählen wollte, längst vergeben ist und mittlerweile sechs Kinder gezeugt hat!" Soraya bestätigte die Aufforderung. Dann ließ sie ihr Smaragdamulett wieder los. Alias füllige Gestalt, nur für ihren Geist als Bild sichtbar, verschwand übergangslos.

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Die Bunkeranlage La Grotta Santa bei Albany, 11.04.2006

Mateo hatte geliefert und saß nun mit dem anderen Küchenpersonal im Warteraum. Denn mit dem Eintreffen des ersten Capos war es dem Lieferpersonal untersagt, aus dem ihnen zugeteilten Parkraum vor der Südschleuse hinauszufahren, bis das Treffen vorbei und der letzte der neun Capos aus der Anlage abgereist war. Er unterhielt sich mit Andrea, dem Chefkoch, den Don Silvio für dieses Treffen mitgebracht hatte. Immerhin war ihnen gestattet, von den erlesenen frischen Speisen mitzuessen, wenn sichergestellt war, dass die neun Ehrenmänner mehr als genug für sich selbst bekamen. Vor allem galt es, dass sie dem 50 Jahre alten Wein von den Hängen des Ätna zusprachen, den Mateo alias Ricardo Donizetti mitgebracht hatte.

Als der Chefkoch den Warteraum verließ und in die Küche ging sagte eine der hübschen Kellnerinnen, ob er sich schon einen Schlafraum ausgeguckt habe. "Unter der Erde zu schlafen ist nicht ganz meins, Anna. Aber die Räume hier sind alle sehr komfortabel. Und solange mein Chef mir den Aufenthalt hier bezahlt genieße ich eben das Videoangebot der Grotta Santa, wenn es nicht nur christliche Filme zu sehen gibt." Anna grinste verrucht und meinte, dass es ja auch noch genug Möglichkeiten gab, sich die Zeit zu vertreiben, wenn sie gerade keinen Dienst hatte. Mateo grinste darüber und zeigte ihr seinen angesteckten Ehering. Sie musste lachen. "Ich meinte den Squashraum und das 12-Meter-Schwimmbecken im zweiten Untergeschoss", kicherte sie ohne rot zu werden. "Ich wollte nur Missverständnisse vermeiden", sagte Mateo. Der Chefkellner der laufenden Schicht räusperte sich und mahnte zu gepflegteren und nicht zu persönlichen Themen. So sprachen sie über die letzten politischen Ereignisse und die bevorstehende Hurrikansaison.

Nur 40 Meter weiter, durch zwei zentnerschwere Türen vom Personalbereich getrennt, saßen die neun hohen Herren der New Yorker Familien und ihre auserwählten Nachfolger, die zwar zuhören, aber micht mitentscheiden durften. Gerade hatte Michele Milelli Angelo bonaventura offen vorgeworfen, sein Entsorgungsgeschäft zu schädigen und zugleich noch zu versuchen, ihm seine südamerikanischen Geschäftspartner abspenstig machen zu wollen. Das war der Auftakt zu einer mehr als eine halbe Stunde dauernden Wortschlacht aus gegenseitigen Vorwürfen, Anschuldigungen und falscher Verdächtigungen. Denn Angelo stritt immer wieder ab, mit der abgebrannten Müllhalde und allem, was darauf folgte, zu tun zu haben. Dafür bezichtigte er Michele, sich mit einem bekannten mexikanischen Rauschgiftbaron um seine Vertriebswege zu bemühen und erwähnte, dass es selten gut ausging, wenn sich jemand mit "el Aguila Roja" zusammentat. "Wenn du mit dem schon was ausgehandelt hattest, bevor deine Müllhalde abgefackelt wurde kann ich mir gut vorstellen, dass der die angesteckt hat, um dich gegen mich aufzubringen und noch enger an sich zu binden. Also lass dich nicht zu heftig mit ihm ein, Don Michele, sofern meine brüderliche Warnung nicht schon zu spät kommt."

Michele hielt ihm vor, sich nun offen hörbar in seine Angelegenheiten einzumischen und warf Angelo vor, wohl schon mit den Iren und Chinesen zu kungeln. Das führte dazu, dass Don Angelo ihm und auch Don Federico vorhielt, sich mit fragwürdigen Leuten aus dem Osten einzulassen. Das lief genau darauf hinaus, dass sich alle gegenseitig zu viele Verbindungen mit anderen Bruderschaften vorhielten und jeder für sich darauf bestand, sein Revier ohne Einmischung von außen zu bestellen. Dann schaffte es Michele tatsächich, einen weiteren wortreichen Streit zwischen Federico und Don Silvio vom Zaun zu brechen, weil beide für sich in Anspruch nahmen, die Erbschaft der sechs Clans aus Catania verdient zu haben, vor allem, weil Donna Gina ihre vielen Nichten und Enkeltöchter mit ihren jüngeren Verwandten verkuppelt hatte. Michele musste sehr aufpassen, nicht überlegen zu grinsen, als sich nun eine rege, nur durch die Gesprächsdisziplin geordnete Auseinandersetzung entzündete, wer wirklich mehr Anspruch auf Donna Ginas Hinterlassenschaften habe und wann der eine oder der andere geruhen wollte, die eigenen Ansprüche auf den Tisch zu bringen, ohne erst vollendete Tatsachen zu schaffen. Ja, man hatte sich lange nicht mehr in so vertrauter Runde getroffen, dachte Michele. Er merkte, dass der Burgfrieden zwischen ihm und den anderen sehr, sehr wackelig war. Dass es bisher noch nicht zu einem wirklich heftigen Krieg gekommen war lag daran, dass jeder von ihnen dabei mehr verlieren als gewinnen konnte. Doch wenn die Ehre verletzt wurde mochte das keine Rolle mehr spielen.

Don Silvio, der offizielle Gastgeber dieses Treffens, beendete die all zu wild werdende Auseinandersetzung damit, die Tagesordnung noch einmal durchzusprechen und um die Punkte zu ergänzen, die jedem hier wichtig waren und nicht über die verschwiegenen Verbindungskanäle ausgehandelt werden konnten. So dauerte es noch einmal eine Stunde, bis sie eine neue Tagesordnung beschlossen und diese nun mit "dem verdienten Respekt" abhandeln wollten.

Die große Standuhr schlug bereits neun Uhr, als Don Angelo von den anderen die Garantie erhielt, dass er weiterhin die Ostküste mit synthetischen Drogen beliefern durfte, wenn Michele dafür seine Kontakte nach Südamerika nutzte, um Waffen aus den USA zu verkaufen, die Don Sergio anzubieten hatte. Michele war vor allem an tragbaren Raketenwerfern und die passende Munition interessiert, da zu seinen Bekannten auch Leute gehörten, die sich vor gepanzerten Angreifern schützen und ständig über ihren Grundstücken herumsurrenden Drohnen verteidigen wollten. Angelo meinte dazu, dass vor allem der rote Adler aus Mexiko solche Waffen gerne hätte, da er ja genug andere Sombreroträger gegen sich aufgebracht habe. Michele erwiderte darauf nur: "Es wäre zumindest eine gute Eintrittskarte in seine Villa.",

"Brüder, am besten essen wir erst einmal und beschließen dann, ob wir die letzten Tagesordnungspunkte heute noch abhandeln oder besser in die von unseren dienstbaren Geistern bereitgemachten Schlafräume einkehren", sagte Don Silvio. Alle waren einverstanden. Denn viele hatten vor lauter Reden Hunger und vor allem Durst.

Es wurde nach dem Dienstpersonal geläutet. "Wir wünschen nun das Abendessen einzunehmen", verkündete Don Silvio. Der Oberkellner bejahte es, knickste wie ein Höfling und zog sich zurück, um die Bedienung zu instruieren. Er selbst würde den Wein ausschenken.

als dann mehrere weißgekleidete Servierhilfen mit den Vorspeisen und einem Tablett voller Aperetivs hereinschritten merkte Michele, wie sein Magen knurrte. "Sieh zu, dass die anderen acht und du diese Nacht in diesem Bunker bleibt!" hörte er eine gebieterische Männerstimme in seinem Kopf. Offenbar wurde er von seinem neuen Schutzherren überwacht.

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Mateo verfolgte mit, wie die Vorspeisen ausgeliefert wurden. Da er ja nur zum Lieferpersonal gehörte musste er nicht mit ausrücken. als dann raffiniert angerichtete Pasta als Vorspeise ausgeliefert wurde sah er, wie der Oberkellner drei Flaschen leichten Rotwein entkorkte und in die dafür bereitgehaltene Karaffe einfüllte. Also galt es nun, dachte Mateo alias Ricardo Donizetti.

"Abuelita, der Wein wird serviert", mentiloquierte er seiner Großmutter.

"Womöglich werden die Bediensteten wieder vorkosten. Die Wirkung dürfte eine halbe Stunde auf sich warten lassen. Nur wenn einer von denen schon bezaubert ist könnte der das spüren."

"Dann wird es dieser Michele sein. Bei dem hat mein Feindspürer leicht vibriert, als er an mir vorbeigeleitet wurde", erwiderte Mateo. "Oh, das wird dann sehr interessant. sobald wer feindlich reagiert unverzüglicher Rückzug!"

Er achtete sehr darauf, ob das kleine Notizbuch in seiner verschließbaren Hemdtasche pulsierte oder gar erzitterte. Das hieß nämlich, dass feindliche Regungen im Umkreis von nur fünfhundert Schritten aufkamen. Doch er hatte ja schon mit seiner angeblichen Lesebrille festgestellt, dass hier ein starker, auf Sternenlicht und Dunkelheit gründender Zauber wirkte. Das hatten sie ja erwartet.

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"Alle Plattformen besetzt, große Mutter der Nacht", vermeldete Nyctodora rein gedanklich. "Gut, ich bringe euch alle in geordneten Gruppen auf den Schachtgrund. Dann schicktt die Unmelder los, die du und ich gefertigt haben!" erwiderte die Gedankenstimme der Göttin. So formierten sich alle vier Begleiter Nyctodoras mit ihr um einen großen Kasten, der randvoll mit kleinen grauen Würfeln gefüllt war. Da umschloss sie der Schattenstrudel und wirbelte sie alle an der Erscheinung der Göttin vorbei in eine für Menschen dunkle Höhle. Sie standen auf dem Grund eines Schachtes.

Nyctodora zog etwas wie eine silberne Untertasse aus ihrer kleinen Handtasche , holte damit aus und warf sie wie ein Frisbee in den Gang hinaus. Das bei Licht silberne Scheibchen kreiselte immer schneller, während es blaue Lichtblitze versprühte, sobald es etwas magisches oder elektrisches erfasste, das auf Annäherungen ansprach. Was immer hier verbaut war wurde für mehr als zwei Stunden neutralisiert.

Die Diener der Göttin verwandelten sich in Fledermausgestalt und schoben den mit einem Schwebezauber belegten Kasten vor sich her, immer den blauen Blitzen folgend, die der fliegende Unmelder aussandte.

"Gruppe Nord auf dem Weg", meldete Nyctodora der Göttin. "Ich halte Verbindung zu jedem Anführer!" bekam sie die Stimme der Göttin zu hören. Sie klang nicht wirklich erfreut, dachte Nyctodora.

Sie mussten einen vollen Kilometer weit fliegen, bis ihr Unmelder silberne Blitze ausspuckte und dann scheppernd zu boden fiel. "Und stop!" gedankenrief Nyctodora. Sofort landeten sie. Der Unmelder hatte die Zusatzfunktion, die aus Nachtdunkelheit und Sternenlicht geschöpfte Abwehrbarriere anzuzeigen, indem er dagegenprallte und selbst unwirksam wurde. Doch das war jetzt auch egal. Denn wenn ein losgeschickter Unmelder nicht mehr weiterfliegen konnte zerstörte er sich innerhalb von zwanzig Sekunden selbst. Deshalb mussten alle ihre Augen abwenden, als es laut zischte und dann mit einem vernehmlichen Poff eine Kaskade weißen Lichtes durch den Tunnel flutete. "Gut, schnell die Sperrmauern aufbauen!" dachte Eleni und kehrte in ihre Menschengestalt zurück.

Innerhalb einer Minute legten sie sämtliche grauen Würfel, die sie mitgebracht hatten, zu einer die ganze Gangbreite füllenden Schwelle aus. Dann befahl Eleni ihren Leuten, mehr als fünfzig Meter Abstand zu nehmen.

Als die fünf Nachtgeborenen mehr als fünfzig Schritte in den Tunnel zurückgerannt waren grummelte es und knirschte es. Jetzt wandten sie sich alle um und sahen, wie im grünen Licht eine Wand emporschnellte und mit der Decke verschmolz und dabei schabend knisternd immer näher kam, bis sie nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt zum stehen kam. Das grüne Licht erlosch. Jetzt war da nur noch eine glatte, graue Wand, die den Gang versperrte. nyctodora und die anderen lächelten so breit, dass ihre spitzen Eckzähne deutlich hervortraten. "Da kommt ihr jetzt vor Weihnachten 2007 nicht mehr raus", sagte Nyctodora.

"Es reicht, wenn sie einen Monat dort festsitzen", klang die Stimme der Göttin in jedem ihrer Bewusstseine. Die fünf Vampire wussten, was die Göttin damit meinte.

Als auch die drei anderen Tunnelgruppen die Errichtung der viele Dutzend Meter dicken, diamantharten Sperrwälle vermeldeten beförderte die Göttin der Nacht sie alle wieder zurück an ihre Ausgangsorte weit weit von hier. Was sie nicht wussten war, dass jemand im Bunker ihr Treiben mitbekommen hatte.

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Mateo nahm sein Notizbuch und tat so, als wolle er bereits die Kosten für Lieferung und Aufenthalt aufführen, als das Buch merklich vibrierte und leicht gelb anlief. Sofort steckte er es wieder fort und peilte, ob jemand es mitbekommen hatte. Nein, die waren alle mit den hier bereitgehaltenen Annehmlichkeiten beschäftigt, solange sie nicht gebraucht wurden. So konnte Mateo diskret durch eine kleine Tür in den Personaltoilettentrakt verschwinden. Er zog sich in eine der drei Kabinen der Herrentoilette zurück und holte das Buch erneut hervor. Jetzt war es orangerot und bebte regelrecht. Er schlug es auf und las was von der Annäherung nachtblütiger Eindringlinge. Er dachte sofort an die Diener der falschen Göttin und fragte sich, wie die durch die Barriere gedrungen waren. Dann, als der Orangeton beinahe rot war erkannte er, dass die Vampire durch die Tunnel gekommen waren, soweit sie außerhalb der Barriere lagen. Wollten die nur mal kucken, ob sie durchkamen? Dann pulsierte sein Feindspürer fünfmal kräftig, um dann innerhalb einer Sekunde ganz ruhig zu werden. "Feinde verschwunden!" las er nur für sich selbst und sah den beruhigenden weißen Umschlag des Notizbuches. Er klappte es zu. Jetzt wurden alle Einträge unsichtbar. Die Vampire hatten irgendwas angestellt und waren verschwunden. Dass sie das konnten wusste Mateo. Er benachrichtigte seine Großmutter. Zehn Sekunden später kam die Antwort: "Die haben die Tunnel versperrt. Die falsche Göttin will euch aushungern, bis der Abwehrzauber gegen sie und ihre Brut verklingt, wann immer das sein wird."

"Meinst du, ich kann hier noch disapparieren?" fragte Mateo seine Großmutter. "Nur, wenn von drinnen feindliche Regungen kommen", erwiderte seine Großmutter.

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Don Michele Milelli wusste nicht woran es lag. Irgendwie prickelte der Rotwein, als habe den jemand mit Sodawasser verpanscht oder einen winzigen Spritzer Sekt hineingeschüttet. Doch weil die Vorkoster gerade keine Probleme bekommen hatten und auch die anderen auf das Gelingen des großen Treffens tranken nahm er einen weiteren Schluck. Irgendwie wärmte dieser Wein stärker durch als sonst üblich. Sollte er die anderen darauf ansprechen? Er fragte den neben ihm sitzenden Don Silvio, ob ihm am Wein was auffiele. "Ja, der wärmt sehr gut durch. Ist ja auch von einem Hügel des Mongibello und hat sicher was von dessen feurigem Innenleben aufgesaugt."

"Das wird es wohl sein", lachte Don Michele und trank einen größeren Schluck. Dann sprach er der raffiniert angerichteten Pasta mit Meeresfrüchten zu. Dabei trank er sein Glas immer leerer und meinte, die Wärme, ja Hitze des ehrwürdigen Feuerberges auf Sizilien in sich zu spüren. Doch das konnte jetzt auch die mittelscharfe Soße sein. Sie war leicht, damit nachher noch was in den Magen passte. Doch irgendwie meinte er nun, dass etwas in ihm immer schwerer wurde. Dann fühlte er es vom Bauchraum her in alle Adern einströmen. Irgendwas passierte da mit ihm.

Sein Herz fing nun an, schmerzhaft gegen seinen Brustkorb zu hämmern. Er spürte jeden Schlag den Hals hinauf bis unter die Schädeldecke. Auch seine Glieder schmerzten. Man hatte ihn vergiftet! Er wollte es ausrufen. Doch er konnte keinen Muskel mehr regen. Er saß mit immer heißer werdendem Kopf auf seinem Stuhl und keuchte. Das fiel auch den anderen auf. "Don Michele, was ist mit dir?" rief Don Silvio. Die anderen sahen erschrocken, wie ihr Gesinnungsbruder und Konkurrent zugleich immer heftiger erbebte. Schweiß strömte ihm nun von der Stirn. Sein Atem ging laut und schnaufend wie ein eilig angetriebener Blasebalg. Er sah nun durch einen immer wilder flimmernden roten Schleier, wie die anderen Acht aufsprangen, um den zum Servicepersonal gehörenden Arzt zu rufen. Nur Micheles Neffe blieb bei ihm.

Dann entlud sich das unheimliche, was Michele die ganze Zeit peinigte mit einer einzigen, heftigen Hitzewallung in alle Fasern seines Körpers. Er stieß einen letzten lauten Schrei aus, als er meinte, seine Augen, sein Herz und sein Gehirn würden zerkochen. Dann stürzte er in einen tiefschwarzen Schacht, an dessen Ende ein purpurfarbener Schein war. Sein letzter Gedanke war: "Ich fahre zur Hölle." Dann beendete ein gleißender Blitz jeden Gedanken des Milelli-Patriarchen.

Antonio Milelli rief laut um Hilfe, als sein Onkel mit einem letzten lauten Röcheln vorne überkippte und mit dem Kopf in den Pastateller sank. "Was für ein unwürdiges Ende", dachte Antonio und horchte in sich hinein, ob auch ihm das heimtückische Gift gepackt hatte. Die anderen kamen mit dem Arzt zurück. Toni Milelli rief: "Mein Onkel ist tot! Wer war das?!"

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Zur gleichen Zeit in der Villa Chantico bei Merida

Augusto Xocotl Paredes hatte Michele gut unter Beobachtung gehalten. Durch den mit ihm geschlossenen Blutpakt konnte er in seine Wahrnehmung eindringen und mitverfolgen, was er hörte, sah, roch, schmeckte oder ertastete. Dann überkam ihn jenes merkwürdige Hitzegefühl, das in immer stärkeren Schmerzen und einem flimmernden roten Schleier vor den Augen ausuferte und dann mit einem Schlag zu einem einzigen glutheißen Feuerstoß wurde. Paredes konnte nichts dagegen tun, sah nur noch eine Kaskade aus sonnengelben und mondsilbernen Blitzen, bevor er fühlte, wie sein eigenes Herz von innen her erhitzt wurde und dann mit einem letzten Schlag zerbarst. Paredes fühlte nur noch Hitze und sah nur noch Dunkelheit. Sein letzter Gedanke war, dass er vor seinem Schutzgott versagt hatte. Dann verflogen auch seine Gedanken in einem weißen Lichtblitz.

Tief unten in der Villa Chantico übersprangen alle ausgelagerten Herzen der Feuerherzkrieger zwei Schläge, um dann mit einem gemeinsamen lauten Schlag die sie umschließenden Gefäße zu zersprengen und in einem einzigen blutroten Feuerball zu vergehen. Der mit einem schlag freiwerdende böse Feuerzauber dehnte sich schneller aus als ein Mensch brauchte, um das Wort "Hilfe" zu rufen. Die Flammen fraßen sich durch die Wände, die Decken und Böden und vertilgten alles was brennbar war. Nur zwei Sekunden vergingen, bis die roten Flammen durch die Außenwände und das Dach schlugen, den kleinen Park um das Haus ergriffen und alle Bäume wie haushohe Fackeln auflodern ließen. Die Macht, die achtzig Feuerherzkrieger erschaffen hatte, brach sich mit ungehemmter Gnadenlosigkeit Bahn und verschonte nichts und Niemanden im Umkreis von fünfhundert Metern. Selbst die hohen und dicken Begrenzungsmauern konnten der feurigen Wut wie aus den Höllen von Christen und Moslems zusammen nicht standhalten und zerbarsten. Dann, als hätten die Götter der Azteken ein Einsehen, fielen die roten Flammengarben wieder in sich zusammen. Nur was noch nicht restlos verbrannt war loderte weiter. Nur was noch nicht in der höllischen Hitze zersprungen war glühte noch im hellroten Licht. Da wo das herrschaftliche Haus war gähnte nun ein kirschrot glühender Krater. Die Villa Chantico gab es nicht mehr.

Die schlagartig freigesetzte Vernichtungskraft von achtzig gefangenen Herzen entlud sich noch stärker im Lagerhaus, in dem die noch verbliebenen achtzig Feuerherzkrieger bereitlagen. Sie entflammten schlagartig im blutroten Feuer, dass schneller als der schnellste Blitz das ganze Lagerhaus ausfüllte und alles brennbare verzehrte, alles explosive mit einem einzigen Donnerschlag in die Luft fliegen ließ und alle dort gelagerten Geräte und Drogen in nichts als Rauch aufgehen ließ. Der rote Adler stürzte mit brennenden Flügeln vom Himmel und riss alles mit sich, was ihm seine Macht gab. Ohne es zu wollen hatte die Löwin von Lima damit ihre Rache bekommen. Doch das würde sie erst später erfahren.

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In der Bunkeranlage Grotta Santa bei Albany

Dottore Torricelli half Micheles Neffen, den leblosen Patriarchen der Milelli-Sippe in eine eher würdevollen Haltung zurückzuheben und wischte ihm mit Reinigungstüchern das Gesicht sauber. "Als hätte er hohes Fieber", meinte Antonio. Der zum Personal gehörende Arzt setzte schon zu einer abwehrenden Geste an. Doch als er die Stirn des Toten betastete konnte er den spontanen Eindruck des jüngeren Mannes nicht bestreiten. "Als hätte in seinem Körper ein Zytokinensturm mit Hurrikanstärke stattgefunden", grummelte der Arzt. Auf jeden Fall konnte er nur noch den Tod des Capos feststellen. Dann sagte er: "Die Pasta und den Wein muss ich sicherstellen. Haben Sie auch von dem Wein getrunken, Signore Milelli?"

"Wir alle", stieß Antonio aus, der sich anstrengte, nicht vor dem Arzt und den nun wieder hereinkommenden Capi der anderen Familien loszuweinen. "Irgendwer hat meinen Onkel gezielt vergiftet, vielleicht schon mit der Vorspeise", warf Antonio einen sehr vagen wie schwerwiegenden Verdacht in den Raum. Dabei sah er nicht ganz zufällig Don Angelo an. Dieser zuckte mit den Achseln und bedachte Micheles designierten und jetzt womöglich sicheren Nachfolger mit einem warnenden Blick. Die anderen blickten auf ihre fast leeren Weingläser und auf die dreiviertelvolle Karaffe. "Ihr Vorkoster habt nicht richtig probiert", knurrte Don Sergio. Doch die drei angestellten Vorkoster beteuerten, die aufgetragenen Speisen und den Wein gut genug verkostet zu haben.

"Am Ende ist dem alten Michele das gute Essen nicht bekommen und sein Herz hat ausgesetzt", versuchte sich Don Sergio in einer anderen Vermutung. "Denn wenn jemand es echt gewagt hätte, Gift in diesen Raum und in das Essen oder den Wein zu schmuggeln, dann hätte der oder die uns doch gleich alle auf einen Streich abservieren können."

"Sagt wer?" rief Don Federico. "Die Logik sagt das. Wenn wer ihn alleine hätte erwischen wollen hätte der das doch schon längst erledigen können, wo er noch nicht in diesem Bunker war. Eh, Brüder, wisst ihr eigentlich, was das heißt, wenn einer von uns hier durch Gift stirbt?"

"Das der Bunker einen neuen Namen braucht?" fragte Don Federico. Don Sergio bejahte es und lobte ihn, dass er ja doch logisch denken konnte. "Ich wäre sicher nicht durch die Oberschulendprüfung Mathematik und Computerwissenschaft gekommen, wenn nicht, du Eierkopf", schnarrte Federico.

"Signori, ich bitte doch sehr um mehr Pietät und Frieden im Angesicht eines toten Mitbruders", schritt Dottore Torricelli ein. Doch Federico hörte es offenbar nicht. Er feixte an Angelos Adresse: "Jetzt brauchst du dich mit ihm nicht mehr um neue Reviere und Warenangebote zu zanken. Es sei denn, der Junge da kommt bei den Südamerikanern gut genug an."

"Willst du mir sagen, ich hätte Don Michele so ehrlos ermordet?" ereiferte sich Angelo und ballte die Hand zur Faust. Dann stieß er noch nach: "Sogesehen hat jeder hier Vorteile, wenn einer weniger da ist, ohne einen blutigen Krieg zu führen. Also wagt es ja nicht, mir Micheles Tod anzulasten, wenn ihr absolut keinen Beweis habt!"

"Oder sonst?" provozierte Federico. "Oder sonst klären wir das gerne draußen vor der Tür im Wald, du und ich alleine, Freddy", erwiderte Angelo. "Jeder Zeit, Angie. Hast wohl von deinem eigenen Zeug genascht, dass du so mutig bist, wie?" hakte Federico nach.

"Leute, wenn jemand das Gift in Don Micheles Essen oder Wein reingetan hat dann nur einer vom Personal. Oder habt ihr wen gesehen, der mit Fläschchen oder Pillen rumhantiert hat?" griff Silvio das ursprüngliche Thema auf.

"Gut, dann verhören wir die Leute hier. Die Hausmeister sollen die Außentüren verriegeln, dass keiner von denen auskommt. Das ist ja der Vorteil an einem Bunker."

Den Vorschlag aufgreifend liefen nun alle verbliebenen Capi in den Küchentrakt, um die Köche und Servierhilfen zusammenzutrommeln. Dabei kam heraus, dass der Fahrer des Lieferwagens fehlte.

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Mateo Alvirez fühlte es sofort, wie sein als Notizbuch maskierter Feindesspürer wieder erbebte und diesmal richtig heftig. Noch einmal suchte er die Toilette auf und schloss sich ein. Als er sah, dass der Einband tiefschwarz angelaufen war wusste er, was die Stunde geschlagen hatte. Abuelita Gitas Zaubertrank hatte einen oder mehrere von denen übel erwischt. Jetzt suchten sie einen Schuldigen. Dennoch las er noch, was die ersten Zeilen auf der ersten Seite waren:

WARNUNG!! WARNUNG!!

Mächtige Leute wollen dir an Freiheit oder Leben.

Erst dachte er, sofort zu disapparieren. Doch dann dachte er, zumindest vorher zu erfahren, was genau passiert war. Da hörte er schwere Stiefel auf den Fliesen. Er stieß die Tür auf, zielte mit dem Zauberstab auf zwei breitschultrige Männer und machte eine schnelle Fächerbewegung. Beide Männer erstarrten in der Bewegung. Die magische Geste des Einhaltes verknüpft mit dem ungesagten Zauberwort "Manete" wirkte oftmals schneller als ein Bannfluch. Ganz ruhig ging er an ihnen vorbei und betrat wieder den Serviceraum. Da riss er den Zauberstab kerzengerade nach oben und rief "Sensofugato!" Es blitzte und krachte laut. Sofort trötete ein Alarm los. Oh, das hatte er nicht bedacht. "Warnung! Schusswaffengebrauch in Küchentrakt drei!" klang noch eine Durchsage. Okay, er wollte Gewissheit und erntete wilde Wichtel, die laut schrillend auf alle Dächer hinaufflitzten. Doch wissen, was hier los war wollte er schon. Die gerade ohnmächtigen Männer belegte er mit dem Kurzzeitgedächtnislöscher. Dasselbe machte er nun auch mit den von ihm gebannten im Toilettenraum und wirkte noch eine verzögerte Wiederkehr der Bewegungsfreiheit.

Er lief durch den Personalbereich und wirkte noch einmal den Kurzzeitbetäubungszauber. Dann war er im Besprechungsraum und sah den toten Don Michele. Er wusste, dass er noch eine halbe Minute hatte und wirkte einen Prüfzauber auf ihn. Don Micheles Körper glomm in einem blutroten Licht, durch das silberne und goldene Schlieren huschten. Mehr musste er nicht mehr erfahren. Er nutzte die halbe Ohnmacht der anderen noch aus, um ihnen das Gedächtnis der letzten fünf Minuten zu nehmen. Dann erst disapparierte er, was noch einmal einen Alarm auslöste.

"Abuelita, Don Michele hat deine Gabe nicht verdaut. Er ist an plötzlicher Überhitzung gestorben, hervorgerufen durch einen bereits im Blut wirkenden Zauber und den Trunk von Sonnenschutz und Mondfrieden. Aber er war kein Vampir", mentiloquierte Mateo.

"Bist du disappariert?" wollte seine Großmutter wissen. "Ja, bin ich. Die haben alles vergessen, was sie in den letzten fünf Minuten erlebt haben. Wenn die mich suchen sollten werden sie mich nicht mehr finden."

"Wenn alle vom Wein getrunken haben sind die, die dieser Aztekenpriester nicht unter seinen Blutbann gezwungen hat für ein volles Jahr vor Annäherungsversuchen der Blutsauger sicher", gedankenantwortete Margarita de Piedra Roja. "Du kannst deine teilweise Verwandlung nun wieder aufheben. Die suchen einen weißen Italo, keinen halbindigenen Latino."

"Das heißt, du brauchst mich da nicht mehr, Abuelita Gita?" "Genau das. Die werden dich suchen und verhören wollen. Wenn sie rausfinden, dass es Ricardo Donizetti nicht gibt werden sie sich ihren Teil denken. Öhm, womöglich werden sie sich gegenseitig verdächtigen. Das könnte Krieg geben."

"Dann müssen die erst mal aus dem Bunker raus", stellte Mateo mit gewisser Schadenfreude fest. "Kommt auf die Absperrung an. Aber sonst hast du recht, Mati", erwiderte seine Großmutter.

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Sie erwachten mit heftigen Brummschädeln. Sie erinnerten sich nur noch, dass sie wegen irgendwas aufgebracht waren, aber was. Dann fanden sie den toten Don Michele und ließen ihn erneut untersuchen. Dessen Kopf glühte immer noch, als koche sein Blut. Sie suchten erneut nach den Lieferanten und vermissten den mit den schwarzen Locken, der sich Ricky Donizetti genannt hatte. Don Sergio meinte, dass der ihnen wohl eine Betäubungsgranate verpasst habe, um dann in aller Ruhe don Michele mit einer Spritze umzubringen, die eine schlagartige Überhitzung plus Herzstillstand bewirkt. Dies führte wieder zu denselben Verdächtigungen von eben, weil sie ja alle vergessen hatten, dass sie diesen kurzen Streit schon durchgestanden hatten.

Doch die nächste Hiobsbotschaft folgte auf dem Fuße. Als sie den immer noch stark erhitzten Leichnam Don Micheles mit dessen Limousine hinausschaffen wollten musste der Wagen keine zweihundert Meter weiter vor einem massiven, grauen Hindernis stoppen. Der ganze Gang war blockiert, sodass nicht einmal ein Wurm durchkam. Dasselbe Bild boten die drei anderen Tunnel. Massive graue Sperrwände, die selbst Meißelschlägen widerstanden und absolut kugelsicher waren hinderten jeden derzeitigen Insassen des geheimen Bunkers an der Flucht.

Dann mussten sie noch feststellen, dass die Telefonleitungen nach draußen gekappt waren und es unter meterdickem Stahlbeton kein Mobilfunknetz zu nutzen gab. Jemand hatte sie klammheimlich eingesperrt. Womöglich waren Don Micheles Tod und die Flucht des Lieferanten ein Ablenkungsmanöver gewesen, um die restlichen Familienoberhäupter in dieser nicht mehr so heiligen Höhle festzusetzen. Wann würde man sie vermissen? Sie hatten sich alle eine ganze Woche von allen Unternehmungen freigenommen. Solange mussten sie wohl ausharren. Aber reichte das aus? Würde man sie überhaupt suchen? Am Ende hatte jemand fremdes und mächtiges die Gunst der Stunde genutzt, sie alle lebendig zu begraben, selbst wenn sie mit den Vorräten für zehn Jahre auskamen. Keine erfreulichen Aussichten.

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Büro von Jeff Bristol, 12.04.2006, 08:30 Uhr Ortszeit

Die weitverzweigten Kontakte der Times tickerten wild um die Wette. Die Nachrichten flatterten Jeff so auf den Tisch wie Herbstlaub bei Sturm. Da war zunächst die Meldung aus Mexiko-Stadt, dass am Abend des 11. April die Residenz des "berüchtigten halbindigenen Drogenbarons" Augusto Xocotl Paredes, sowie eines seiner Lagerhäuser einem Großbrand zum Opfer fielen. Nach dem Eigentümer werde nun gesucht. Zudem seien mehrere Männer, die im Verdacht standen, mit Paredes Geschäfte zu machen, von einem urplötzlichen Fieberanfall betroffen worden und von Notärzten in die nächsten Krankenhäuser mit internistischer Intensivbetreuung eingewiesen worden. Die zweite Nachricht betraf die Abstürze mehrerer Propellermaschinen im Sumpfland von Louisiana und Mississippi, sowie eine Beinahekatastrophe in der Nähe von Los Angeles, wo eine zweimotorige Maschine fast mit einem gerade im Landeanflug befindlichen Passagierflugzeug kollidiert war und dann vor dem internationalen Flughafen abgestürzt sei. In allen Fällen waren die Piloten ums Leben gekommen. Die Maschinen waren restlos ausgebrannt. Eine Maschine war wohl noch auf Autopilot gewesen und sei bis Boston geflogen, bevor der Pilot auf die ständigen Funkanrufe reagiert habe. Da es ein unangemeldeter Flug war und die Maschine erst bei Long Island auf dem Radarschirm erschienen sei habe man eine Jagdstaffel der nächsten Airforcebasis losgeschickt und die ziemlich wendige Cessna zur Landung gezwungen. Der Pilot war festgenommen worden. In der Maschine seien mehrere verplombte Kisten gefunden worden. Drogenhunde vom Zoll hatten angeschlagen, worauf die Kisten aufgebrochen worden waren. Insgesamt seien an die zwei Tonnen pures Kokain, Meskalin und Marihuana gefunden und beschlagnahmt worden. Deshalb wurden die anderen abgestürzten Maschinen jetzt auch auf Überreste von illegalen Drogen untersucht. Außerdem würde heute der Kronzeuge im Fall Huggins vor Gericht erwartet. Das FBI müsse ihn unter Einhaltung höchster Sicherheitsmaßnahmen vorführen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass noch in Freiheit befindliche Komplizen des Angeklagten ihn ermorden wollten.

Jeff lauschte, ob die Sondervorrichtung Namens Mäuschen irgendwas vermeldete. Nein, in New York City war nur das übliche passiert. Dennoch vermutete er, dass die Zerstörung von Paredes' Anwesen und dessen Lagerhaus, sowie die abgestürzten Flugzeuge keine Zufälle waren. Irgendwer hatte das gewagt, was sich weder das LI noch die SL trauten. Jemand hatte Paredes trotz bestehender dunkler Bannzauber fertiggemacht. Ja, womöglich hatte die Löwin von Lima einen Weg gefunden, ihren potentiellen Feind auszuschalten. Dann brauchten die Mexikaner nicht nach ihm zu suchen. Vielleicht hatte Casaplatas Truppe schon was herausbekommen.

Er mentiloquierte seine Frau an und gab ihr in wenigen Worten einen Bericht über die erhaltenen Nachrichten. "Ja, das sieht wirklich so aus, als habe jemand Paredes mit demselben Zauber erledigt, mit dem die Müllhalde zerstört wurde. Die SL ist da sicher auch schon dran", war Justines Antwort. Dann wünschte sie ihm noch einen erfolgreichen Arbeitstag.

Da er ja der zuständige Gerichtsreporter im Fall Huggins war legte er die Nachrichten unter "Nachher zu bearbeiten" ab und fuhr zum Gerichtsgebäude.

Heute wurde ein Mann in den Zeugenstand gerufen, der sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge angeboten hatte und deshalb die letzten Wochen unter dem Schutz des FBIs gestanden hatte. Moses Korngold war Chefbuchhalter der Leiharbeitsfirma von Clive Huggins gewesen und sagte nun aus, welche an Onkel Sam vorbeigeschleuste Buchungen er hatte machen müssen und inwieweit die im Licht der Ereignisse mit dem Sinken der Southern Cruise Jade zu tun hatten. Der Angeklagte sah seinen ehmaligen Mitarbeiter sehr bedrohlich an, was Richter Cornwall rügte und die Geschworenen anwies, diese Miene des Beklagten mit in die Beweisprüfung einzubeziehen. Tja, im Grunde hatte sich Huggins damit schon so gut wie schuldig bekannt, dachte wohl nicht nur Jeff. Jedenfalls packte Korngold im Kreuzverhör des Verteidigers noch mehr Sachen auf den Tisch, die er sogar mit Angaben über die Dokumente belegen konnte. Da ja sämtliche Bücher und anderen Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden waren konnten die Ermittler diese Angaben leicht nachprüfen. Anwalt Lionel Branigan versuchte, Korngold der Lüge zu überführen, weil der wohl hoffte durch eine Strafmilderung, ja einen Straferlass der Nachfolger von Huggins zu werden. Darauf erwähnte Korngold, dass Huggins schon Ian O'Sullivan als seinen Nachfolger bestimmt hatte und dieser immer Kopien der Geschäftsbücher bekommen hatte, weil er in der Zweigstelle auf den Jungferninseln bereitstand, um für Huggins einzuspringen. Ein Raunen ging durch den Saal. Offenbar war davon noch nichts durchgedrungen. Jeff sog zischend Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein. O'Sullivan gehörte zum eisernen Kleeblatt, jenem iroamerikanischen Syndikat, das sehr mächtig war. Falls Huggins auch mit dem Kleeblatt gekungelt hatte konnten da noch ein paar neue Anklagepunkte auf ihn zukommen, wusste sicher auch Lionel Branigan, der ja ein weiteres Mitglied des Kleeblattes, Alan Cardigan, vertrat. Womöglich vertrat er auch Ian O'Sullivan. Deshalb wunderte es Jeff auch nicht, dass Branigan Korngold unterstellte, jetzt noch irgendwelche "Kaninchen" aus dem Hut zu zaubern, um sich besser darzustellen. Doch Korngold blieb äußerlich ganz ruhig und sagte: "Dass Sie das sagen wundert mich jetzt nicht, Mr. Branigan. Immerhin haben sie ja den Kontakt mit Mr. O'Sullivan hergestellt. Ja, ich weiß, sie wollten das geheimhalten und haben sich im kleinen Besprechungsraum getroffen. Aber sie haben den Fehler gemacht, über die Sammelleitung unserer Firma ihre Videokonferenz abzuhalten. Ich habe das Video unbeabsichtigterweise als Videomemorandum von Mr. Huggins geöffnet und sofort gewusst, dass ich keinem was davon sagen durfte, wenn mir mein Job oder mein Leben lieb war. Aber da Sie, Mr. Branigan, mich hier als Lügner hinstellen wollen und das FBI mir Zeugenschutz gewährt besteht kein Grund, dies zu verschweigen. Ich habe der Staatsanwaltschaft sämtliche Passwörter der externen Firmenrechner auf den Philippinen mitgeteilt."

Jetzt entstand noch mehr Unruhe im Saal. Der Richter fragte Staatsanwalt Greenwood, ob dies so sei. Der Staatsanwalt erwiderte, dass er die gerade vom FBI zu sichtenden Daten als weitere Beweismittel im späteren Verlauf der Verhandlung einbringen würde, unter anderem auch alle dazugehörigen multimedialen Dateien, sobald die IT-Forensiker geklärt hatten, dass diese nicht gefälscht seien.

"Das hätten Sie mir mitteilen müssen, Mr. Greenwood", ereiferte sich nun Lionel Branigan, dem Jeff ansah, dass er mit diesem Paukenschlag überhaupt nicht gerechnet hatte. Huggins sah seinen Anwalt nun sehr zornig an. Auch das mochten die Geschworenen sehen. Branigan versuchte es dann mit einem Einspruch und bestand darauf, dass diese Daten auch von der Verteidigung eingesehen werden mussten und dass es höchst unzulässig sei, im Ausland gespeicherte Daten als Beweismittel zu benutzen, ohne Zeugen zu haben, die die Echtheit bestätigen konnten. Darauf sagte Richter Cornwall: "Mr. Branigan, ich bin gerade der Ansicht, Ihnen anzubieten, dass Sie Ihr Mandat niederlegen und sich als Zeuge der Anklage oder der Verteidigung zu diesen Aufzeichnungen äußern mögen. Vielleicht schließe ich Sie aber auch von mir aus von der Verteidigung wegen möglicher Tatbeteiligung in mehreren Fällen aus. Ja, und Ihre Schweigepflicht gilt nur für Ihren Mandanten. Sollten sie selbst etwas illegales getan haben kann ich Ihnen nur empfehlen, sich einen eigenen, nicht in Ihrer Kanzlei tätigen Anwalt zu suchen."

Jeff sah, wie nicht wenige im Publikum grinsten und hörte ein angeregtes Raunen. Dann legte der Richter noch nach, dass vor der Einbringung der Aufzeichnungen noch die Erlaubnis der Behörden auf den Philippinen eingeholt werden müsse. Daraufhin legte der Staatsanwalt dem Richter ein Blatt Faxpapier auf den Tisch. Richter Cornwall bat daraufhin auch den Verteidiger an den Tisch und sprach mit ihm. Jeff wünschte sich jetzt die magischen Ohren von Linda Latierre-Knowles. Hier konnte er schlecht den Lupaures-Zauber benutzen. Doch an den Gesten der beiden Anwälte konnte nicht nur er ablesen, dass der sonst so aalglatte Lionel Branigan gerade immer nervöser und verärgerter wurde. Das Raunen im Publikum schwoll zu einer beachtlichen Lautstärke an. Cornwall sah sowohl den Ankläger als auch den Verteidiger streng an. Doch Jeff meinte ein gewisses überlegenes Lächeln bei Greenwood zu sehen. Ja, so ähnlich konnte dessen Neffe Hypereidis auch lächeln, wenn er ein sicheres Blatt auf der Hand hatte, mindestens Full House, vielleicht auch einen Royal Flush.

Als das Raunen im Publikum schon an Stadionkulisse heranreichte sah sich Richter Cornwall gehalten, mit dem Hammer auf den Tisch zu klopfen. "Meine werten Herrschaften, ich bitte mir mehr Ruhe aus!" rief der Richter und legte den Hammer wieder hin, als das Publikum leiser wurde. Dann wechselte er mit den beiden Opponenten noch ein paar Worte und nickte. Danach klopfte er noch einmal mit dem Hammer auf den Tisch und verkündete, dass er das gefaxte Dokument aus Manila als amtliche Erlaubnis zur Überprüfung eines bestimmten Servers auf Mindanau anerkannte. Weil das Publikum wieder lauter wurde hieb Cornwall noch dreimal mit dem Hammer auf den Tisch und drohte an, den Saal räumen zu lassen, wenn nicht augenblicklich Ruhe einkehrte. Das wirkte. Jeff dachte daran, dass viele Gerichtszuschauer es echt mal darauf anlegten, diese richterliche Androhung mit eigenen Ohren zu hören. Das hatte irgendwie was von einer Anwaltsserie im Fernsehen. Die Gerichtsdiener standen auf jeden Fall bereit, alle hinauszubeordern, falls es doch nötig sein sollte.

Branigan versuchte nun noch, Korngold als betrügerischen Manipulator von Daten hinzustellen, der seinem Mandanten noch mehr Verdruss machen wollte als sowieso schon. als Greenwood darauf Einspruch wegen Einschüchterungsversuch einlegte rief Branigan: "Klar, die Juden müssen ja gegen die Ihren zusammenhalten. Da ist kein Trick zu schmutzig!" Das ließ das Publikum wieder ziemlich laut werden. Jeff sah sich schnell um und erkannte mehrere irischstämmige Zuschauerinnen und Zuschauer. Cornwall winkte den Ordnern. Sofort wurde es wieder ruhig. "Ich weise den Herrn Anwalt Lionel Branigan mit allem mir zustehenden Nachdruck darauf hin, keine gegen eine ethnische oder religiöse Volksgruppe abzielenden Beleidigungen zu gebrauchen und auch keinen Streit zwischen Angehörigen verschiedener Volks- und Glaubensgruppen zu schüren. Ich verhänge hiermit eine Ordnungsstrafe von 2000 Dollar gegen die Verteidigung wegen höchst ungebürlichen Verhaltens vor Gericht. Kommt das wie eben noch einmal über Ihre Lippen erlischt Ihr Mandat, Mr. Branigan. Haben wir uns verstanden?" Der Gerügte und Befragte nickte verdrossen. "Bitte sagen Sie es für das Protokoll laut, ob Sie mich verstanden haben!" bestand der Richter auf eine Wortäußerung. Branigan sagte: "Ja, euer Ehren, ich habe verstanden."

"Sie sind gefeuert!" brüllte nun Huggins seinen Verteidiger an. "So ein seltentrotteliger Vollversager. Wie konnte ich mich nur mit Ihnen einlassen", ereiferte er sich mit wutrotem Gesicht. Denn jetzt schien Huggins aufzugehen, dass Branigan ja indirekt zugegeben hatte, bei dem geheimen Viedeochat die falsche Speicheradresse benutzt zu haben. Ebenso mochte es Huggins wie vielen anderen hier klar sein, dass die bisherige Hinhaltetaktik Branigans der Staatsanwaltschaft die nötige Zeit verschafft hatte, um diesen Paukenschlag gegen ihn zu landen.

"Sie können mich nicht feuern. Denn sonst wird Sie keiner vertreten", hörten alle, die nun ganz leise waren, was Branigan seinem Mandanten zuzischte. "O doch, das kann und das werde ich", knurrte Huggins.

"Wünscht der Angeklagte sich zu äußern?" fragte der Richter. Huggins bejahte und stand auf. "Hiermit erkläre ich, dass ich Mr. Lionel Branigan nicht weiter als meinen Verteidiger wünsche und bitte um die mir zustehende Zeit, einen neuen Verteidiger zu finden, Euer Ehren", knurrte Huggins. Wie wütend er war konnte wirklich jeder sehen. Jeff war froh, dass er in seiner ersten Ausbildung gelernt hatte, blind zu schreiben. Denn so konnte er Branigans drohenden Seitenblick erhaschen. Offenbar hatte Huggins mit dem Kleeblatt einen Teufelspakt geschlossen, bei dem deren Anwalt als nicht wegzuverhandelnder Teil enthalten war. Der Richter antwortete mit raumfüllender Stimme: "Dem Antrag des Angeklagten wird stattgegeben. Da Mr. Branigan nun nicht mehr als Verteidiger fungiert ordne ich hiermit Untersuchungshaft gegen Mr. Lionel Branigan wegen Verdunkelungsgefahr und Fluchtgefahr an. Inwieweit er als unmittelbarer Tatverdächtiger der bereits verhandelten Fälle oder sonstiger noch zu verhandelnden Fälle angeklagt wird entscheidet die Staatsanwaltschaft. Des weiteren fordert das Gericht die unverzügliche Entrichtung der verhängten Ordnungsstrafe von zweitausend Dollar. Das Gericht vertagt sich bis zur Benennung eines neuen Verteidigers für Mr. Huggins. Die Sitzung ist hiermit geschlossen!" Mit dem Klonk des auf den Tisch treffenden Hammers eilten uniformierte Beamte herbei, um den gerade gefeuerten und in eine ziemlich ungünstige Lage geratenen Anwalt festzunehmen. Jeff hörte, wie einer der Polizisten ihm seine Rechte vorlas und Branigan schnaubte: "Ja, ich kenne meine Rechte, Sergeant Payne." Dann wurde er aus dem Saal geführt. Unzählige Fotoblitze zuckten auf und erleuchteten wie das Stroboskoplicht einer Diskothek diesen unrühmmlichen Abgang. Ebenso wurde auch der Angeklagte in Gewahrsam genommen, da ja bei ihm genauso Verdunkelungs- und Fluchtgefahr bestand. Huggins sah den Richter wütend an und zischte: "Man sieht sich, Euer Ehren.""

"Das hoffe ich doch. Ich urteile nicht gerne in Abwesenheit der Angeklagten", sagte Cornwall. Jeff überlegte, ob er diesen kurzen Wortwechsel in seinen Artikel über diesen Gerichtstag hineinnehmen sollte. Denn im Grunde hatte Cornwall Huggins schon angedeutet, dass der wohl entweder lebenslang einfahren oder bald auf den elektrischen Stuhl gesetzt werden mochte. Huggins merkte das wohl auch. Denn von seiner bisher so andauernden Überheblichkeit war nichts mehr übrig. Vielleicht dachte er auch daran, ob ein Geständnis und ein Großreinemachen wegen seiner Verwicklungen mit dem Kleeblatt nicht besser war als als Auftraggeber eines zigfachen Mordes allein auf den Stuhl gesetzt zu werden. Auch Huggins Abgang aus dem Saal wurde von mehreren Fotokameras festgehalten.

"Tja, dann komme ich ja doch noch dazu, über die Feuer in Mexiko und die Flugzeugabstürze zu schreiben", dachte Jeff.

Auf den Gängen des Gerichtsgebäudes traf er seine Kollegin Jacqueline Morehead. Diese fragte ihn, warum er schon so früh aus der Verhandlung kam. Dann sah sie den Richter und den Staatsanwalt die in ein nicht gerade fröhliches Gespräch vertieft vorbeigingen. "Ui, was passiert?" fragte Jacqueline Morehead. "Ja, Haydens Symphonie Opus 94 ist passiert", grinste Jeff Bristol. "Jeff, mit Klassik kann ich als Countrylady nichts anfangen. Was meinst du also? "Das ist die Symphonie mit dem Paukenschlag, Jackie. So kam mir dieser Verhandlungstag gerade vor."

"Oh, dann hat Huggins seinen Anwalt beschuldigt, ihn als Sündenbock zu benutzen oder hat ihn gefeuert?" Jeff nickte. "Ich bin gespannt auf deinen Tagesbericht. Bisher kriegst du es ja gut hin, dafür, dass du eher der Polizeiberichterstatter bist."

"Tja, wenn du den Bericht liest wirst du vielleicht eifersüchtig auf mich, weil du nicht im Saal sitzen durftest, Jackie. Aber ich will nicht zu viel verraten."

"Kein Kommentar!" hörten sie Huggins im Foyer brüllen. Offenbar hatten sich die anderen Journalisten dort zusammengerottet, um noch ein paar Eindrücke von ihm einzufangen. Jeff verzog das Gesicht, wenn er daran dachte, dass er mit seinem Bericht vielleicht Huggins' Todesurteil schrieb, falls der echt mit dem eisernen Kleeblatt gekungelt hatte und jetzt auch deren Staranwalt abserviert und in die Schusslinie gestellt hatte, wobei Jeff hoffte, dass das mit der Schusslinie nicht zu wörtlich genommen werden würde.

Wieder zurück in seinem Büro schrieb er erst den Bericht über den Prozesstag. Das Kleeblatt würde sowieso erfahren, dass Huggins Branigan gefeuert hatte. Er beendete den Artikel mit den Worten:

Wir dürfen also sehr gespannt sein, wann der Prozess des Staates New York gegen Clieve Huggins fortgesetzt wird und welchen Verteidiger Mr. Huggins erwählen wird. Falls die Staatsanwaltschaft wirklich weitere Beweise vorlegen kann dürfte das Verfahren noch länger dauern als bisher geplant.

Er speicherte den Entwurf des Artikels gerade in seinem Arbeitsrechner, als das Telefon läutete. Die Rufnummer wurde unterdrückt. Doch Jeff wusste auch so, wer dran war. Als er dann die ihm schon vertraute Computerstimme hörte nickte er nur.

"Ich hoffe, Sie sitzen bereits an Ihrem Bericht über den heutigen Gerichtstag. Bedauerlich, dass ich bis zum Erscheinen der neuen Ausgabe warten muss, um ihn zu lesen. Doch ich weiß ja schon, wie es heute gelaufen ist", hörte Jeff. Er antwortete: "Das erhält die Spannung aufrecht, auf etwas interessantes warten zu können. Falls Sie sonst nichts für mich wichtiges mitteilen möchten möchte ich Sie bitten, mich weiterarbeiten zu lassen, da es noch einige Nachrichten aufzuarbeiten gibt."

"Die Sache mit Paredes' Hauptquartier und dem so zufälligen Tod so vieler seiner Handlanger? Falls Sie mich an Ihren Gedanken teilhaben lassen kann ich Ihnen vielleicht noch weitere Hintergründe und vor allem Aussichten mitteilen."

"Neh, denken tu ich lieber für mich alleine", sagte Jeff ruhig, der genau wusste, was Tinwhistle meinte. "Ist nicht immer erfolgreich. Ach ja, falls Sie doch was wissen möchten setzen Sie in den Artikel über Huggins aufgeschobene Höllenfahrt den Satz "Vielleicht hat der Angeklagte noch wesentlich mehr zu verbergen als fragwürdige Geschäftsmethoden." Dann weiß ich, dass wir uns treffen sollen. Falls nicht melde ich mich, wenn ich was habe, was Sie wissen müssen. Grüßen Sie den guten Mr. Dunston und teilen Sie ihm mit, er soll das lassen, nur noch mit einem Zweitgerät zu telefonieren, weil das sonst für ihn sehr teuer werden kann."

"Er wird sich freuen, dass Sie um seine finanzielle Sicherheit so besorgt sind", sagte Jeff äußerlich ruhig. Doch die Drohung hatte er wohl verstanden. Dunston umging Tinwhistles Mithörprogramme, weil er offenbar ein anderes Mobiltelefon als sein offizielles für wichtige Anrufe benutzte. "Über Ihren Rechner sollten Sie auch mal nachdenken. Irgendwas scheint an dem kaputt zu sein."

"Der wurde doch erst vor einem Monat gründlich geprüft und ist vollkommen in Ordnung", erwiderte Jeff. "Bisher läuft er und ist auch gut abgesichert", sagte er noch ganz ruhig. "gut, dann wünsche ich Ihnen noch einen erfolgreichen Tag und einen erholsamen Feierabend mit Frau und Kind", erwiderte die künstliche Stimme, mit der Tinwhistle Alter, Herkunft und vor allem Geschlecht tarnte.

"Danke sehr!" erwiderte Jeff. Auch Tinwhistles letzter Satz war eine klare Drohung. Wenn er weiterhin erholsame Feierabende mit Frau und Kind haben wollte sollte er sich Tinwhistle gegenüber zugänglicher geben, wohl in jeder Hinsicht. Aber das konnte Tinwhistle voll vergessen, dachte Jeff. Aber das mit dem "unerlaubten" Zweittelefon musste er Dunston weitermelden, damit der wusste, woran er war.

Er verzichtete auf den von Tinwhistle erwähnten Kennsatz und schickte den Entwurf nach der Korrekturlesung in die Redaktion. So konnte das saubere Geschwisterpärchen auf Dunstons Rechner mitlesen, was heute passiert war. Jeff sicherte noch alle Daten und meldete sich von seinem Benutzerkonto ab. Sollte doch mal wer meinen, seinen Rechner "reparieren" zu wollen würde der oder die sämtliche darauf gespeicherten Daten durch einen beabsichtigten Kurzschluss in der Festplatte zerbrutzeln. Und falls ihm wer einen neuen Rechner auf den Tisch stellen wollte konnte er den offline mit Martha Merryweathers Sondersoftware bespielen und ihn erst wieder ans Netz hängen, wenn alles geprüft und abgesichert war.

Der restliche Tag verlief ohne weitere Vorkommnisse, nur dass der Fall Huggins bereits zum Topthema in Rundfunk, Fernsehen und Internet wurde. Die mehrfachen Flugzeugabstürze kamen auf Platz zwei.

Abends unterhielt sich Jeff mit seiner Frau. "Laura und ich sind so gut es geht gegen alle nichtmagischen und magischen Angriffe abgesichert, wenn wir aus dem Haus müssen. Außerdem kann ich von hier aus ja auch apparieren oder flohpulvern. Aber da draußen hocken wirklich immer wieder welche herum, die uns beobachten wollen. Das können wir nicht mehr lange zulassen, Jeff. Ihr in der Times dürft euch auch nicht noch länger erpressen lassen. Schon schlimm genug, dass wir so viele Feinde aus der Zaubererwelt haben. Da müssen wir nicht auch von diesen Nomaj-Gangstern bedroht werden", sagte Justine. Jeff stimmte ihr zu.

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Hacienda Mille Estrellas bei Lima, 12.04.2006, 13:00 Uhr Ortszeit

Margarita de Piedra Roja hatte nicht gedacht, dass ihr Eingriff so durchschlagend gewesen war. Als sie am Morgen des 12. April erfuhr, dass die Villa von Paredes in der Nacht in einer gewaltigen Feuersbrunst zerstört worden war und zeitgleich eines seiner heimlichen Zwischenlager mit Urgewalt in die Luft geflogen war dachte sie, dass Paredes wohl durch den Sonnen- und Mondzauber aus dem Vermächtnis der Inkas vernichtet worden war. Auch hörte sie davon, dass mit Schmugglerflugzeugen durch die Nacht fliegende Helfer des roten Adlers die Gewalt über ihre Maschinen verloren hattenund über dem Golf von Mexiko oder dem Sumpfland von Bayoo abgestürzt waren, während andere mit stark erhöhter Temperatur bewusstlos in Krankenhäuser eingeliefert wurden.

"Und was hören wir von deinen Kontakten aus New York?" fragte Margarita Victor, als Esmeralda und der nun wieder wie Mateo Alvirez aussehende Enkelsohn im Haupthaus der Hacienda saßen.

"Soweit ich das ohne auf eine schlafende Schlange zu treten mitkriegen konnte haben sich die Capi alle bis zum fünfzehnten April freigenommen, beziehungsweise jede geschäftliche Betätigung ausgesetzt. Wenn die immer noch in dem Bunker sind vermisst sie zumindest keiner."

"Wenn sich keiner von oben mit einem Aushöhlungszauber zu denen durchwühlt werden die da auch bleiben, bis ihnen die Vorräte ausgehen oder die Vampirgötzin ihre Leute reinschicken kann", sagte Mateo."

"Oh, da würden die ja eine schöne Überraschung erleben. Hmm, ich denke, wir kommen ihr zuvor und holen die da raus, Leute. Esmi, traust du dir noch zu, zu apparieren?"

"Ich bin immer noch ein paar Jahre jünger als du, Tita Gita", grummelte Esmeralda.

So geschah es dann, dass nur zehn Minuten später Mateo und seine magisch begabten Verwandten mit gezauberten Kopfblasen in die Bunkeranlage hineinapparierten und mit Schlafgas der Stufe drei alle dort eingeschlossenen Leute betäubten. Margarita und Esmeralda verwandelten jede und jeden in streichholzgroße Miniaturen, die sie in kleinen Phiolen mit Eigenluftversorgung einschlossen. Nur die großen acht und ihre Stellvertreter konnten sie so nicht verzaubern. Denn die in ihrem Blut aufgegangenen Wirkstoffe, die ihnen den Schutz von Sonne und Mond gewährten, erhöhten auch ihren Fremdverwandlungswiderstand. Das war auch neu für die bereits sehr bewanderte Margarita de Piedra Roja. Zumindest konnten sie den schlafenden ein neues Gedächtnis verpassen, nämlich dass sie gleich nach Micheles Tod durch einen nur im Notfall freigesprengten Fluchttunnel unter dem Besprechungsraum die Anlage verlassen hatten, allerdings ohne ihre teuren Autos. Gita gönnte sich sogar die Frechheit, den noch lebenden Capi ins Gehirn zu pflanzen, Michele habe sich selbst umgebracht, weil sie ihn als Helfer von Paredes entlarvt hatten.

Als all die Vorkehrungen getroffen waren schafften sie die Betäubten in mehreren Gruppen nach New York, wo sie in ihren Geheimverstecken wieder aufwachen sollten. Ja, und wenn sie schon einmal hier war nutzte Margarita es aus, die Mitteilungscodes und Botenadressen zu ergattern. Wer wusste schon, wann sie das brauchte?

Mit der seltenen Genugtuung, ein gutes Werk verrichtet zu haben, kehrten die vier Peruaner wieder in ihre Heimat zurück und überließen alles weitere den acht Überlebenden.

ENDE

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