INSELN IM OZEAN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Auswirkungen jener weltweiten Welle dunkler Magie, die bei der Vernichtung von Iaxathans Ankergefäß freigesetzt wurde, halten die ganze magische Welt in Atem. Schwarzmagische Gegenstände erwachen zu einem unheilvollen Eigenleben. Für dunkle Kräfte empfängliche Wesen schütteln jahrtausende alte Erstarrungszauber ab oder werden stärker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zaubereiministerien und davon unabhängiger Eingreiftruppen gegen dunkle Künste kommen nicht zur Ruhe. Als dann durch das schwere Seebeben vom 26. Dezember 2004 ein auf dem Meeresgrund liegender Unlichtkristall zerbricht und deshalb eine weltweite Entladung von Erdmagie auslöst gerät die gesamte Gesellschaftsstruktur der magischen Menschheit ins Wanken. Denn die Welle aus Erdmagie trifft dafür empfängliche Wesen wie Kobolde und Zwerge hart bis tödlich. In Australien wird die Koboldbank Gringotts zerstört. Anderswo müssen Filialen schließen. Verschiedene Gruppen versuchen das auszunutzen, um das jahrhundertealte Goldwertbestimmungsmonopol der Kobolde zu beenden. Ebenso wittert in den Vereinigten Staaten ein einzelner Zauberer die Chance, der mächtigste in Nordamerika zu werden: Lionel Buggles. Als dieser dann von der obskuren Gruppe Vita Magica unterworfen wird hilft diese ihm, seinen Traum für einige Monate zu verwirklichen, ganz Nordamerika unter seiner Führung zu vereinen, bis ihm die Führerin der Spinnenhexen für immer Einhalt gebietet.

Julius Latierre wird von Ashtaria beauftragt, einen eigenen Sohn zu zeugen. Da er mit Millie von den Mondtöchtern gesegnet wurde kann er dies jedoch erst nach einer Wartezeit von zwölf Jahren, weil er schon drei Töchter mit Millie hat. Ashtaria schickt Millie einen höchst beängstigenden Traum von einer Zukunft, in der sowohl Lahilliotas neue Ameisenkreaturen, die Nachtschatten der selbsternannten Nachtkaiserin und die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder die Menschheit auslöschen und Ashtarias Macht vollständig verschwinden mag, wenn es keine sieben Heilssternträger mehr gibt. Daher nutzen sie und Julius ein besonderes Gesetz, dass einem Ehemann erlaubt, mit einer unverheirateten Hexe ein Kind zu zeugen, welches die angetraute Frau nicht oder nicht früh genug bekommen kann. Als sogenannte Friedensretterin erwählen beide Millies Tante Béatrice, die seit dem unfreiwilligen Kindersegen in Millemerveilles die zweite Heilerin dort ist. Béatrice geht auf die Bitte ein und verbringt mit Julius mehrere Nächte, während Millie sich in den Künsten der Feuermagier aus dem alten Reich zu ende bilden lässt. Das Vorhaben gelingt. Béatrice empfängt einen Sohn. Kurz nach der erfolgreichen Zeugung wird Millie ebenfalls schwanger. Sie trägt Zwillingstöchter. Sie verzichtet auf ihr Recht, Béatrices Kind als ihres anzunehmen und überlässt den kleinen Félix seiner leiblichen Mutter. Sie selbst bringt in der Walpurgisnacht 2005 die beiden Töchter Flavine und Fylla zur Welt. Julius hat Ashtarias Auftrag ausgeführt. Er wartet darauf, ob und wo er den verwaisten Silberstern entgegennehmen kann. Er muss dafür noch eine gefährliche Aufgabe erledigen. Ashtaria stellt ihm drei zur Auswahl: Das verschollene Buch über das Geheimnis des großen, grauen Eisentrolls, den Zwerge und Kobolde gleichermaßen fürchten zu finden, einen mächtigen Dschinnenkönig finden und verhindern, dass dieser sich wieder zum Herren aller orientalischen Geisterwesen aufschwingt oder eine schwarzmagische Vorrichtung namens "Das Herz von Seth" unschädlich zu machen. Er entscheidet sich für die dritte gefahrvolle Aufgabe. Dank Goldschweif, seiner Temmie-Patrona und einer ausreichenden Dosis Felix Felicis übersteht er die auf dem Weg in die unterirdische Anlage lauernden Fallen und kann gerade noch rechtzeitig verhindern, dass der im Herzen des Seth angesammelte Hass und Zerstörungswille auf einen Schlag freigesetzt werden und damit alle fühlenden Wesen zu Mord und Krieg getrieben werden. . Um die unheilvolle, gewaltige Maschinerie der dunklen Kraft möglichst nie wieder in Gang zu setzen hilft ihm Madame Delamontagnes Hauselfe, den zentralen Raum unbetretbar zu machen. Weil Julius die ihm gestellte Aufgabe erledigt hat darf er das Geburtshaus von Hassan al-Burch Kitab aufsuchen, wo der verwaiste Silberstern liegt. Doch dieses wird von Ilithula, der Abgrundstochter mit Beziehung zu Windmagie bewacht. Er kann sie jedoch austricksen und den Heilsstern an sich nehmen. Zusammen mit den sechs anderen Sternträgerinnen und -trägern ruft er in Ashtarias Höhle des letzten Abschiedes die mächtige Formel aus, die die geballte Macht der sieben Sterne freisetzt. Damit wird er endgültig der sechste Sohn Ashtarias. Die Anrufung der Heilsformel bewirkt jedoch auch, dass die in Gestalt einer roten Riesenameisenkönigin gefangene Lahilliota wieder zur Hexe in Menschengestalt wird, allerdings immer nur im Wechsel mit ihrer Tiergestalt alle zwei Monate.

Wegen der Mordanschläge von London und Birmingham am 7. Juli regen Julius und seine Mutter eine internationale Zaubereikonferenz zum Thema elektronische Aufzeichnung und Verhüllung der Magie vor Videokameras an. Viele Zaubereiministerien gehen auf diesen Vorschlag ein. Die Konferenz findet Ende September Anfang Oktober in einer gesicherten Niederlassung des Japanischen Zaubereiministeriums statt. Dort werden fast alle Teilnehmer durch den Nebel des Mondfriedens darauf eingestimmt, einander zu vertrauen. Nur Julius und Nathalie entgehen diesem angeblich so friedlichen Vorbeugungszauber. Julius wird von Ashtarias Heilsstern geschützt, Nathalie durch den ihr aufgezwungenen Sonnensegen Euphrosynes. Nach einigen Tagen Beratung präsentieren die Japaner das gesuchte Mittel, den lautlosen Verberger, einen Gürtel, der seinen Träger für elektronische Aufnahmegeräte unsichtbar macht. Die Ministerien beschließen, für ihre Sondertruppen solche Gürtel anzuschaffen.

Catherine wird von Julius zu den Altmeistern Khalakatans gebracht, wo sie vollständig in Zaubern der alten Windmagier und Mondmagier ausgebildet wird. Während ihres Ausbleibens verfolgt Julius die Unruhen in den Vororten französischer Großstädte im November 2005. Als Catherine zurückkehrt bittet sie Julius, ihr die von ihm lange gehütete Flöte des Windkönigs Ailanorar zu überlassen. Er soll in der Zeit, die sie mit deren Schöpfer um den Besitz ringt auf ihre Kinder aufpassen. Mit dem Heilsstern verhindert er, dass Babette, Claudine und Justin von einem fremden Einfluss entseelt werden und hilft damit auch Catherine, Ailanorar zu bezwingen und somit die Flöte für sich zu erobern. Diese dient fortan nur noch ihr und ihren direkten Nachkommen.

Laurentine Hellersdorf nimmt eine Reise nach Amerika zum Anlass, sich in weiterführenden Abwehrzaubern ausbilden zu lassen. Hera Matine empfiehlt ihr Nachhilfestunden bei ihrer Nichte Louiselle Beaumont, die ihr auch in Beauxbatons ungern gesehene Zauber beibringt. Als Laurentine auf der Reise durch die Staaten wahrhaftig mit der Führerin der Spinnenschwestern zusammentrifft beschließen Louiselle und Hera, Laurentine in die Gemeinschaft der schweigsamen Schwestern aufzunehmen. Bei diesem Zeremoniell erweist sich, dass Ladonna Montefiori bereits Gefolgshexen in diese Gemeinschaft eingeschleust hat. Doch diese versagen beim Versuch, die Stuhlmeisterin Hera Matine zu töten und werden durch Schutzzauber des Versammlungsortes körperlich und geistig zu Neugeborenen zurückverjüngt und sollen ein neues Leben beginnen. Der Tsunami vom 26.12.2004, der auch für die Erdmagieturbulenzen verantwortlich ist, nimmt der trimagischen Gewinnerin beide Eltern. Sie braucht eine Zeit, um darüber hinwegzukommen, bis sich ihr im Traum und bei der Beerdigung eine rot-golden leuchtende Erscheinung zeigt, die große Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Schulfreundin Claire Dusoleil hat. Von da an ist sie wieder zuversichtlich, weiterleben zu können.

Laurentine und Louiselle setzen ihre Übungen fort. Dabei erkennt Laurentine, dass sie die ältere Hexe nicht nur als Lehrerin schätzt, sondern sich auch in sie verliebt. Bei einer Übung zur Abwehr eines Unfruchtbarkeitszaubers wendet Laurentine einen anderen Weg an als bisher bekannt. Dadurch drängt sie den ihr geltenden Zauber nicht nur zu Louiselle zurück, sondern bewirkt auch eine der wenigen hellen Verkehrungen eines ursprünglich bösartigen Zaubers. Statt für Monate unfruchtbar zu werden entsteht aus einer Eizelle Laurentines und Louiselles eine gemeinsame Tochter in Louiselles Gebärmutter. Damit kommen die zwei Hexen sprichwörtlich wie die Jungfrau zu einem Kind und müssen überlegen, wie sie mit dieser Verantwortung umgehen.

Das neue Jahr beginnt. In Nordamerika soll die neue Föderation aus Kanada, den USA und Mexikos ihre Arbeit aufnehmen. Was dabei für den Rest der Welt herumkommt wird sich zeigen müssen.

Während all dieser aufwühlenden und unerwarteten Ereignisse bereitet sich Ladonna Montefiori darauf vor, ihr nächstes großes Ziel zu erreichen, mit dem sie ihre Todfeindin Sardonia endgültig überflügeln will. Sie schürt in verschiedenen Ländern Unruhen in der magischen Gemeinschaft und treibt die amtierenden Zaubereiminister dazu, sich zu geheimen Treffen zu verabreden. Über ihre Agentinnen erfährt sie, wann und wo solche Treffen stattfinden und schafft es, neue Feuerrosenkerzen dort einzuschmuggeln. So gelingt ihr doch noch, was sie schon längst erreichen wollte. Außer Frankreich, Griechenland und die afrikanischen Länder übernimmt sie alle Mittelmeeranrainer. Weitere Feuerrosenkerzen machen ihr zudem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der eroberten Zaubereiministerien gefügig. Allerdings entwischen ihr in Deutschland mehrere Dutzend Hexen und Zauberer mit Hilfe von bei Gefahr auslösenden Portschlüsseln und warnen die noch freien Zaubereigemeinschaften. Ladonna lässt verbreiten, dass die Zaubereiministerien wegen der vielen internationalen Feinde ein starkes Bündnis gegründet haben, die Koalition der Verbundenheit. Alle Behauptungen, sie seien unterwandert werden als böswillige Verleumdungen abgetan. Außerdem schafft es Ladonna, zwei weitere wichtige Niederlassungen von Vita Magica zu vernichten und sogar den amtierenden hohen Rat des Lebens auszulöschen, so dass Vita Magica stark geschwächt ist und zunächst den Fall "Dornröschen" ausruft, also das unbefristete Stillhalten. Ebenso kann sie die in Deutschland und Italien aufmuckenden Zwerge und Kobolde niederhalten, indem sie publikumswirksam vorführt, dass sie den großen grauen Eisentroll, den Urfeind aller Zwerge und Kobolde, aus der Erde hervorrufen und ihn wieder dorthin zurückschicken kann. Sie wähnt sich sicher, trotz der entwischten Opfer ihre weiteren Ziele erreichen zu können.

Julius Latierre bekommt mit, wie sich die offenkundig unterworfenen Zaubereiministerien positionieren. Die Veelas holen ihn zu einer nächtlichen Beratung in die Höhle der gesammelten Worte. Dort bekommt er nicht nur mit, dass Létos Schwester ihn weiterhin begehrt, sondern auch die spanische Veelastämmige Espinela Bocafuego ihn für sich haben will. Er kann sie jedoch mit dem erlernten Lied des inneren Friedens von sich fernhalten. Die Veelas teilen ihm und der magischen Menschheit unmissverständlich mit, dass sie nicht hinnehmen werden, dass Ladonna von Menschen getötet wird.

Derweil bahnt sich in den Nordamerikanischen Staaten etwas unausweichliches an. Der Mexikanische Zauberer Augusto Paredes, der auch als "El Aguila Roja", der rote Adler berühmt und berüchtigt ist, hat sich durch seine aztekischen Zauberkenntnisse zu einem schier unbezwingbaren Machthaber im internationalen Rauschgifthandel hochgekämpft. Er will aber auch in der US-amerikanischen Unterwelt Fuß fassen. Hierzu hat er sich den Mafioso Don Michele Millelli durch einen aztekischen Bluteid gefügig gemacht. Eigentlich will er sich in der Nähe der Grenze zwischen den USA und Mexiko einen wichtigen Standplatz sichern. Doch eine andere will das auch, die nicht minder mächtige und gefährliche peruanische Hexe mit Inka-Abstammung Margarita de Piedra Roja, genannt die Löwin von Lima. Um sie einzuschüchtern oder gleich zu erledigen schickt Paredes ihr mit einem altaztekischen Dunkelzauber belebte Leichname, die Feuerherzkrieger, deren Herzen er in seinem Keller am schlagen hält und die sich in zerstörerische Feuerbomben verwandeln können. Doch Margarita hat ihr Haus mit wehrhaften Zaubern aus der Mondmagie des Inkavolkes abgesichert und wehrt die Feuerherz-Zombies ab. Eine direkte Konfrontation erscheint unausweichlich. Doch vorher will Paredes sich ein Standbein in der New Yorker Mafia sichern, deren Führer sich in einem inoffiziell errichteten Atombunker treffen. Weil Margarita de Piedra Roja davon ausgeht, dass die Sekte der Vampirgötzin diese Gelegenheit nutzen will, um dort neue Helfershelfer zu rekrutieren schmuggelt einer ihrer Verwandten einen Zaubertrank dort ein, der jeden davon trinkenden gegen alle nach seinem Blut gierenden Wesen ein volles Jahr fernhält. Paredes richtet klammheimlich einen Sternenzauber ein, der das Erscheinen der Vampire mit Hilfe jener nachtschwarzen Abart eines Portschlüssels vereitelt. Alle Mafiosi trinken Margaritas Schutztrank. Dabei kommt es bei Michele Millelli, dem Müllkönig, zu einer unerwarteten Reaktion. Die in seinem Blut zusammentreffenden Zauber treiben seine Körpertemperatur über das erträgliche Maß hinaus. Millelli stirbt. Dadurch wird die in ihm wirkende Kraft des aztekischen Bluteides so heftig freigesetzt, dass sie auf ihren Urheber, den roten Adler zurückschlägt und auch ihn tötet. In einer höllischen Kettenreaktion werden dessen Diener vernichtet und alle nicht gerade in fliegenden Flugzeugen sitzenden Bluteidgebundenen von der magischen Bindung befreit. Ohne es direkt darauf angelegt zu haben ist Margarita de Piedra Roja den gefährlichen Widersacher los.

Der als Times-Reporter getarnte Laveau-Instituts-Mitarbeiter Jeff Bristol sorgt sich wegen jener Geschwister, die auf eine heimliche Eroberung der Welt hinarbeiten. Er bekommt auch mit, was Milelli und Paredes widerfährt. Über all dem schwebt die Warnung, dass Ladonna Montefiori auch die Zaubereiminister der beiden amerikanischen Teilkontinente unterwerfen will. Wie berechtigt diese Warnung ist soll sich schon sehr bald erweisen.

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Im Bergland von Mallorca, 12.04.2006, 16:30 Uhr Ortszeit

Pataleón wusste, dass er sehr aufpassen musste. Wollte er das große Vorhaben in Südamerika nicht gefährden musste er die Konferenz der Mittelmeeranrainer so heimlich wie möglich veranstalten. Deshalb hatte er mit dem italienischen Mitstreiter Barbanera vereinbart, die Kollegen aus Griechenland, Tunesien, Ägypten und Marokko persönlich einzuladen und ihnen Stillschweigen zu empfehlen, "damit Ladonnas Spione nicht mitbekamen, dass es ein neues Bündnis geben würde." Pataleón und Barbanera hatten darüber nur laut lachen können, als sie diese Begründung niedergeschrieben hatten. Tatsächlich hatte jeder der Zaubereiminister der fraglichen Länder zugesagt. Seine Herrin und Königin hatte ihn jedoch gewarnt, dass der griechische Zaubereiminister womöglich genauso widerstandsfähig sein mochte wie der britische. Ja, und weil die Französin Ventvit eindeutig vor der Zauberkraft der Königin geschützt wurde durfte diese überhaupt nicht wissen, dass er diese heimliche Zusammenkunft, dieses streng geheime Gipfeltreffen veranstaltete.

Die Nervosität legte sich erst, als alle geladenen eingetroffen waren und seine unsichtbaren Außenbeobachter keine weiteren Ankömmlinge gemeldet hatten. Hoffentlich blieb das so.

Er begrüßte Alexios Anaxagoras, sowie die Minister aus Marokko, Tunesienund Ägypten, wobei die Königin ihn mit der arabischen Sprache aushalf. Sie wollte auch solange die Gedankenbrücke aufrechterhalten, bis er ihren Gruß übermittelte. Erst wenn er die "Kerze der Verbundenheit" entzündete würde sie sich zurückziehen, um ihn mit den anderen zusammen den Duft der Feuerrose atmen zu lassen.

Da dies hier eine Geheimzusammenkunft war wurde jeder Minister nur von zwei von ihm für würdig gehaltenen Mitarbeitern begleitet. Vor allem die nordafrikanischen Zaubereiminister legten Wert darauf, dass ihre Zusammenarbeit mit den Europäern nicht zu weit verbreitet wurde. Die anderen arabischen Völker und deren Zaubereiministerien legten viel Wert auf ihre alten Traditionen und ihre Eigenständigkeit dem Abendland gegenüber. Außerdem würden sie nicht zugeben wollen, vor einer einzelnen Hexe Angst zu haben.

"So freue ich mich, dass Sie alle meinem lautlosen Ruf gefolgt sind und wir nun alle beraten können, wie wir gegen die wiedererwachte Hexe, die sich als Königin aller magischen Menschen sieht, vorgehen können und müssen. Deshalb möchte ich erst einmal fragen, was der Kollege Barbanera bisher erfahren und erreicht hat."

Pontio Barbanera erhob sich und trug nun vor, wie gefahrvoll und mühsam es wurde, alleine gegen die Hexen Ladonnas zu kämpfen. Noch sei es ihm möglich, sie durch gezielte Gegenspionage auf Abstand zu halten. Aber immer mehr seiner Kundschafterinnen seien entweder verschwunden, tot aufgefunden worden oder schlimmstenfalls auf Ladonnas Seite übergewechselt. So sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die Oberhand bekommen und ihn aus dem Amt jagen würde. Er erwähnte auch den Auftritt, den sie veranstaltet hatte, um ihm zu zeigen, dass sie keine Angst vor ihm hatte und dass sie den großen grauen Eisentroll, ein supergigantisches Monstrum, aus den Tiefen der Erde heraufbeschwören konnte, um es im Bedarfsfall gegen ihre Feinde zu schicken. "Das können und dürfen wir nicht ignorieren, selbst wenn sich dieses viele Dutzend Meter große Ungeheuer nicht so leicht bändigen lässt und leicht gegen seinen Rufer oder seine Ruferin wenden kann. Was dann? Wenn es Ladonna töten kann ist es frei und kann uns alle vernichten. Kein Zauber, den wir kennen kann es aufhalten."

"Klingt wie eine weitere haarsträubende Geschichte der Prinzessin Sheherasade", erwiderte der tunesische Zaubereiminister abfällig. Der ägyptische Zaubereiminister fragte mit hörbarer Ironie, ob Ladonna auch die Schlange Apep aus den Tiefen der Unterwelt hervorrufen könne, nur dann würde er wirklich Angst vor ihr kriegen.

"Kollege Al-Assuani, allein schon dass Sie meiner Einladung gefolgt sind beweist, dass Sie eine gewisse Furcht vor dieser einen Hexe haben müssen. Also spielen Sie uns bitte nicht den unerschütterlichen Feldherren eines Pharaos vor!" sagte Pataleón. Al-Assuani blickte seinen spanischen Kollegen verdrossen an, hielt sich aber mit weiteren Antworten zurück. Doch nun sprach der marokkanische Zaubereiminister Karim Abudei: "Kommt Ihnen beiden diese Hexe nicht gerade recht, alte Kolonialansprüche an unsere Länder zu erneuern. Immerhin halten Ihre magieunfähigen Krieger noch einen Teil meines Landes besetzt. Wer sagt mir, dass diese Einladung nicht dazu dient, uns so sehr einzuschüchtern, dass wir uns Ihrem Oberbefehl unterordnen, Kollege Pataleón?"

"Der Umstand, dass meine eigene Ehefrau von einer Agentin Ladonnas im Schlaf ermordet wurde. Sie muss einen Weg gefunden haben, in unser stark gesichertes Schlafzimmer einzudringen. Sie sollte wohl auch mich ermorden. Doch ich war zu diesem Zeitpunkt nicht in Madrid", sagte Pataleón. "Ja, und es geht nicht um Vormachtstellung oder eine Alleinherrschaft von mir oder dem Kollegen Barbanera über Ihre Länder. Wir sind selbst froh, wenn wir unsere Unabhängigkeit bewahren können. Genau darum wollen wir ja mit Ihnen zusammenarbeiten, um diese dunkle Bedrohung Namens Ladonna einzudämmen oder ganz aus der Welt zu schaffen. Ich will Ihnen nicht drohen. Das steht mir nicht zu. Doch muss ich Sie darauf hinweisen, dass Ladonna Montefiori davon profitiert, dass wir uns uneinig sind. Wie war das mit den Lupi Romani, Kollege Barbanera?"

Barbanera schilderte nun, dass sich die einst mächtigen Schattenbruderschaften der altrömischen Welt in aufreibenden Fehden ausgelöscht oder für immer jeder Machtgrundlage beraubt hatten und dass gemunkelt wurde, sie seien von Ladonna gegeneinander aufgehetzt worden.

"Ja, und Ihr Vorgänger Bernadotti hat fleißig alle Scherben aufgekehrt und die, die noch übrig waren einsperren lassen", erwiderte der Marokkanische Zaubereiminister.

"Ja, hat er, na und", echauffierte sich Barbanera. Das gehörte noch zum Spiel, dass er und Pataleón trieben. Da erwähnte Pataleón, dass die auf seinem Gebiet lebenden Lobos Romanos immer noch gegeneinander kämpften und dabei unschuldiges Leben gefährdeten. Das dürfe nicht so bleiben. Er argwöhnte, dass diese Fehde und der gewaltsame Tod seiner Frau auf Ladonnas Konto gingen. Damit sagte er sogar die Wahrheit.

"Das mit Ihrer Gattin tut mir leid, Kollege Pataleón. Doch will ich nicht davon abrücken, dass die Behauptungen, Ladonna Montefiori würde wieder umgehen für Sie aus Europa sehr günstig ist, um uns Afrikaner zu rekolonisieren." Der tunesische Zaubereiminister pflichtete dem sofort bei. Ägyptens Zaubereiminister warf noch mit bissigem Spott ein: "Signore Barbanera möchte wohl gerne das alte Rom wiederhaben und Sie, Kollege Pataleón, sollen ihm dabei helfen, wie?"

"Ladonna will das alte Rom wiederhaben und all die Länder, die Alexander der Große erobert hat und dann noch den ganzen Rest", wandte Barbanera ein. Die drei Nordafrikaner lachten Laut.

"Nun gut, dann werde ich Ihnen nun alle Beweise vorlegen, die wir in allen Jahren sammeln konnten, dass Ladonna Montefiori wirklich wieder auferstanden ist", zähneknirschte Barbanera und öffnete seinen Aktenkoffer. Er fischte eine Pergamentrolle mit zwei Ringen heraus. "Wer möchte hören, was hier draufsteht?" fragte er. Pataleón hob die Hand. Dann tat es auch Al-Assuani. Barbanera nickte. "So sollen Sie alle die Wahrheit erfahren. Diesen Zeiten gehen wir entgegen."

Er zog den ersten Ring ab. Dann zog er den zweiten Ring ab. daraufhin wollte er die Rolle entrollen. Dabei geschah es dann.

Die Rolle verschwand mit lautem Plopp. Statt ihrer hielt Barbanera eine rubinrote Kerze in der Hand. In dem Augenblick klickte es in den Türen. Jetzt war jede Flucht zu Fuß unmöglich, und bei den Holztäfelungen an Wänden und Decke und dem unter feinem Perserteppich verlegtem Parkett war Dämonsfeuer nicht ratsam.

"Sie sind doch ihr Sklave", knurrte Abudei und spie vor Barbanera auf den Tisch. Währenddessen entströmte violetter Rauch aus dem Kerzendocht, der immer heller glomm. Barbanera erwiderte nichts auf Abudeis letzte Bemerkung. Er sah genau wie Pataleón zu, wie der violette Rauch alle einhüllte. Al-Assuani zog seinen Zauberstab und zielte auf seinen Kopf. Er wollte wohl die Kopfblase zaubern. "Expelliarmus!" rief einer von Barbaneras Begleitern und prellte ihm mit einem scharlachroten Blitz den Stab aus der Hand. Dann hatten die Gäste zu viel von dem violetten Rauch eingeatmet und konnten sich nicht mehr rühren. Aus der glimmenden Dochtspitze kroch eine rubinrote Flamme, die immer länger wurde und dabei Dornen und einen erst kugelförmigen und sich dann entfaltenden Blütenkelch besaß. Die Feuerrose war entstanden und würde nun weitere treue Diener der einzig wahren Königin vereinen.

Pataleón spürte, wie sich die Gedankenbrücke zu seiner Königin zurückzog. Gleich würde die Feuerrose ihre Botschaft verkünden. Dann sah er etwas unerwartetes.

Alexios Anaxagoras, der gerade aufsprang, um seinerseits den Zauberstab zu ziehen, glühte von innen her auf. Auch seine beiden Begleiter leuchteten auf einmal in einem dunkelroten Licht. Dann Schossen purpurfarbene Flammen aus den Körpern der drei Griechen. Sie gaben keinen Schmerzenslaut von sich. Sie verbrannten wie ein knochentrockener Reisigzweig im offenen Feuer. Pataleón erstarrte vor Schreck als er das sah. Die könnten ihm glatt das ganze Zimmer, ach was, die Außenstelle des Ministeriums niederbrennen. Doch die roten Flammen griffen gerade einmal einen Meter weit um sich, berührten den Tisch und die Stühle, ohne sie anzusengen oder zu entzünden. Als die ersten in griechischer Sprache gesprochenen Worte aus dem Blütenkelch der Feuerrose drangen loderten die Purpurflammen noch einmal auf und fielen dann mit einem kurzen Fauchen in sich zusammen. Übrig blieb nur ein Häufchen graue Asche.

Während die neun Nordafrikaner im Bann des Feuerrosenduftes dasaßen und warteten, bis sie die Botschaft verstanden stierte Pataleón auf die Stellen wo eben noch die Griechen gesessen hatten. Die waren einfach verbrannt, sobald sie den Feuerrosenrauch eingeatmet hatten. Wer oder was hatte denen diese Möglichkeit gegeben, sich der Königin zu entziehen? Eine kurze ketzerische Zeitspanne lang dachte er, warum er nicht diese Möglichkeit erhalten hatte, als die Königin ihn in ihre Reihen rufen wollte. Sein Ehering hatte es ja versucht und war gescheitert. Dafür war seine Frau Carmen getötet worden. Die Griechen hatten es wahrhaftig geschafft, einen erfolgreichen, wenn auch endgültigen Weg zu finden, der Königin zu entkommen. Hatte sie das noch mitbekommen? Falls nicht, sollte er es ihr mitteilen? Ja, er musste es ihr Mitteilen. Doch zunächst musste er abwarten, dass sich die neun Nordafrikaner der Macht der Feuerrose unterwarfen.

Nun sprach die Feuerrose mit der Stimme der Königin auf Arabisch. Die neun Nordafrikaner versanken noch mehr in Trance. Sie würden treue Untertanen werden. Dann dachte er mit Schrecken daran, dass die Griechen womöglich im Sterben noch ein Warnsignal gesendet hatten. Anaxagoras' Nachfolger würde also wissen, was geschehen war. Doch er hatte den Raum gegen Mentiloquismus gesichert. Hier konnte niemand eine Botschaft hinausdenken.

Da er nun nichts mehr ändern konnte und er es der Königin selbst überlassen wollte, den Vorfall zu beurteilen, warteten er und Barbanera ab, was noch geschah. Sie bekamen mit, wie die Feuerrosenkerze ihre Botschaft in den beiden Sprachen Griechisch und Arabisch wiederholte, bis sie nur noch ein kleiner Stumpf war. Dann verschwand die rubinrote Flamme, und der Rest der Kerze zerging zu einem letzten Schwall violetten Rauchs. Erst als dieser sich verflüchtigte oder von allen Anwesenden vollständig eingeatmet worden war erwachten die neun Nordafrikaner aus ihrer Trance. Jetzt sahen sie, dass die drei Griechen fehlten und nur noch graue Asche auf den ansonsten leeren, unversehrten Stühlen lag.

"Ich habe sie nicht recht gewürdigt in ihrer Größe und Meisterschaft", stöhnte Abudei. Al-Assuani erbebte und sagte dann: "So stimmt es doch, dass sie mächtiger ist als ein Heer von Zauberern, wenn sie mit diesem Rauch und ihrem Feuerzauber ganze Armeen niederkämpfen und auf ihre Seite ziehen kann. So ist sie sogar größer als der allmächtige."

"Kommen Sie, Kollege Al-Assuani, so gläubig sind Sie nun auch wieder nicht", meinte Barbanera. "Ich kann mich noch an die Weinprobe in Palermo erinnern, wo sie sich von einer Sorte dreimal nachschenken ließen und entsprechend berauscht den Keller verließen. Doch nun sind wir wahrlich Brüder, Brüder unter dem breiten Mantel der einzig wahren Königin."

Dann erstarrte Barbanera. Er blieb drei volle Sekunden lang wie versteinert sitzen. Dann erbleichte er. Als Pataleón ihn fragen wollte, was ihm gerade soviel Angst einjagte spürte er es selbst. Mit gnadenloser Entschlossenheit stieß der Verbindungszauber seiner Herrin in seinen Geist, fegte seine Gedanken weg und ließ ihn die Bilder der drei im Purpurfeuer vergehenden Griechen nacherleben. Dann hörte er Ladonnas Gedankenstimme: "Ihr hättet sie durchsuchen sollen und vor allem hättet ihr sie auf ihre Echtheit prüfen sollen, ihr Stümper. Das Purpurfeuer ist eine Selbstvernichtungsvorkehrung, wenn ein Simulacrum in eine bestimmte Lage gerät."

"Simulacrum. Also waren das nicht die echten Anaxagoras, Aigaijochos und Chrysopolis?" fragte Rodrigo Pataleón.

"Natürlich waren sie nicht echt, du Dummkopf. Und so ein Fliegenhirn habe ich zu meinem Statthalter gemacht", gedankenschimpfte die Königin. Pataleón fühlte die große unsagbare Schuld. Er hatte versagt. Musste er jetzt sterben? "Erst wenn du das mit den Südamerikanern verderben solltest werde ich dich sterben lassen, nicht vorher", bekam er die erboste Antwort. Ja, die Königin brauchte ihn noch. Denn nur er konnte die südamerikanischen Kollegen zu neuen Untertanen der Königin machen. Ihm kam gar nicht der Gedanke, dass sich die Königin in Wirklichkeit selbst die Schuld gab, nicht darauf gefasst gewesen zu sein, dass man ihr Nachbildungen auserwählter Opfer vorsetzen würde. "Bring es zu Ende. Sag denen, die nun meine neuen Untertanen sind, was die Griechen angestellt haben und dass dies heißt, dass wir wohl in ihr Hoheitsgebiet vordringen werden, wenn du deine Aufgabe in den ehemaligen Kolonien Spaniens erfüllt hast. Solltest du scheitern wird Barbanera die Mittelmeerbruderschaft leiten."

"Wie du befiehlst, meine Königin", erwiderte Pataleón schuldbewusst.

So sprachen sie über den Vorfall und dass sie nun um so mehr danach streben mussten, auch die anderen afrikanischen Länder zu erobern, damit die Griechen keinen mehr fanden, der auf ihrer Seite stehen würde, bis die Königin auch die echten Ministeriumsvertreter unterworfen haben würde. Dann berieten sie noch, wie die drei nordafrikanischen Zaubereiminister ihre südlichen Nachbarn mit dem Duft der Feuerrose vertraut machen konnten. Danach verabschiedeten sich alle in brüderlicher Harmonie voneinander und verließen die Außenstelle des spanischen Zaubereiministeriums auf Mallorca.

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Zur selben Zeit in Ladonnas Residenz bei Florenz

Ladonna war wütend. Die Griechen hatten es gewagt, drei Nachbildungen ihrer wichtigsten Zauberer zu jener heimlichen Mittelmeerkonferenz zu schicken, die sich in dem Moment selbstzerstörten, wo die Feuerrose erblühte. Warum hatte sie ihren beiden Statthaltern nicht befohlen, die eingeladenen Gäste auf solche Betrugsmittel zu überprüfen? Warum waren die nicht selbst darauf gekommen, die drei Griechen zu überprüfen? auch ärgerte sie, dass sie in Griechenland mit ihrer Einladung und dem Unterwerfungsvorhaben gerechnet hatten. so ein größtenteils eigenständig handlungsfähiges Simulacrum zu erschaffen dauerte und bedurfte der nötigen Bestandteile des Originalkörpers und der Kenntnisse, wie es erschaffen und eingestimmt werden sollte. Natürlich waren die Griechen noch von ihrem letzten Versuch vorgewarnt gewesen und hatten wohl beschlossen, zu wichtigen Unterredungen keine Originale mehr hinzuschicken. Doch diese Frechheit würde sie denen austreiben. Wenn sie schon nicht in Sardonias Heimatland Fuß fassen konnte, weil da zu viel widerliche Veelamagie herumwehte, so wollte sie wenigstens alle anderen Mittelmeerländer beherrschen. Auch sah sie die Gefahr, dass die Griechen es mitbekamen, wenn ihre Facsimiles zerstört wurden und dann laut aufschrien. Doch weil sie ja alle anderen europäischen Länder beherrschte und damit auch einen großteil der Berichterstattung lenkte, würden diese Aufschreie genauso unbeachtet bleiben wie die ständigen Störversuche Frankreichs. Wenn sie die griechische Zaubereiverwaltung nicht auf diese Weise an sich binden konnte, dann musste sie eben eine Hintertür finden und auftun, notfalls sich rein bildlich unter deren Verwaltungssitz vorgraben und von innen her alle erreichbaren Schaltstellen der Macht übernehmen, so wie sie es ja in Italien gemacht hatte.

Als nächstes befahl sie, die für Eulen aus Griechenland üblichen Flugrouten überwachen zu lassen, um alle Postvögel, die ins Ausland wollten abzufangen und auf Warnbotschaften untersuchen zu lassen. Nur so konnten die Griechen ihren Nachbarn mitteilen, dass etwas ihren Minister heimsuchen wollte und wie es gelang, die Unterwerfung abzuwenden. Sie musste sicherstellen, dass außer denen, die eh schon damit rechneten, dass sie sich weitere Gebiete sicherte, keiner was mitbekam am wenigsten jene, die südamerikanischen Zaubereiministerien. Gelang ihr das konnte sie bald einen weiteren großen Erfolg erringen.

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Zur selben Zeit in einer geräumigen Höhle auf halber Höhe des Psiloritis-Gebirges auf Kreta

Alexios Eudoros Anaxagoras verfolgte mit, wie der Versuch ausging, auf den er und seine beiden Mitarbeiter Rhadamanthys Aigijochos und Konstantinos Chrysopolis sich vor sechs Tagen eingelassen hatten. Es war schon ein merkwürdiges Zusammentreffen gewesen. Doch er und seine Salmakis-Zwillingsschwester hatten nach kurzer Unterredung mit jenen drei Hexen Zephyra, Perseis und Doris zugestimmt, das Wagnis einzugehen. Denn all zu deutlich war beiden sich einen Körper teilenden Geschwistern der Versuch Ladonnas in Erinnerung geblieben. Sicher, die beiden durch Salmakis' Freudentränen entstandenen Geschwister hatten gemeinsam dem Feuerrosenrauch widerstanden, wie auch Kingsley Shacklebolt. Doch weil jene Hexe mit dem brennenden Schwert erschienen war wussten sie nicht, ob der gemeinsame Widerstand angedauert hätte oder doch irgendwann zusammengebrochen wäre. Gestern hatten sie dann mit den dreien eine Erweiterung des Astralzaubers Potestas Geminorum, die Macht der Zwillinge, durchgeführt, wofür sich Alexios sehr hatte konzentrieren müssen, um seine Salmakis-Zwillingsschwester Alexia so weit wie er konnte in den Hintergrund zu drängen, bis er ihr "Das kriegst du wieder", nur noch als leises Flüstern in seinem Geist hatte hören können.

Jetzt hockten sie in der Höhle, die Alexia und ihr Angetrauter Heliopteros vor drei Jahren im Psiloritis-Gebirge auf Kreta gefunden hatten und empfanden nach, was ihre Doppelgänger erlebten. Es war zu klären, ob die drei Doppelgänger dem Feuerrosenzauber widerstanden oder erlagen. Erlagen sie, wollten ihre Originale durch ein vorher abgestimmtes Gedankenkommando deren Lähmung herbeiführen. Töten konnten sie sie nicht, weil ihnen dafür eine Menge eigener Körperkraft abhandengekommen wäre. Doch als Alexios merkte, wie sein Doppelgänger von innen her aufgeheizt wurde dachte er erst, es hätte was mit seiner besonderen Beschaffenheit zu tun. Doch auch Rhadamantys Aigijochos erwähnte eine schlagartige Aufheizung. Dann explodierte für Alexios Eudoros Anaxagoras die Welt in einem purpurnen Feuerball. Gleichzeitig meinte er, es würde ihm alle Knochen und Muskeln sprengen. Er und Alexia schrien vor gemeinsamem Schmerz. Dann übermannte ihn eine gnädige Ohnmacht.

Als sie aufwachte und mit gewisser Genugtuung feststellte, dass sie auch körperlich vorhanden war keuchte Alexia Daphne Tachydromos. "Noch einmal stimme ich so einem Versuch nicht zu", dachte sie und fühlte, dass Alexios noch sehr geschwächt war, um sie wieder zurückzudrängen. Also nutzte sie es aus, ihn da selbst so tief wie möglich in ihrem inneren einzuschließen. Sie störte ein wenig, dass seine Unterkleidung ihr vor allem am Brustkorb zu eng saß. Sie war beruhigt, dass die drei in Abenddämmerungsblaue Gewänder gekleideten Botinnen der Töchter Hecates Zephyra, Perseis und Doris auch noch da waren, um den Ausgang des Versuches zu beobachten. Immerhin war sie schon ein Jahr nach ihrem Erwachen im mit Alexios geteiltem Körper zur Berufenen Tochter der Schwesternschaft geweiht worden und hatte an der Zeremonie des verbindenden Blutes in der letzten Vollmondnacht vor einer Sommersonnenwende teilgenommen. Was sie bekümmerte war, dass die beiden ranghohen Begleiter ihres Salmakis-Zwillingsbruders noch ohnmächtig waren. Dann hörte sie die Hexe namens Zephyra sagen: "Sei uns gegrüßt, Schwester Alexia. So hat der unerwartete Ausgang des Versuches dich hervorgerufen und dein Salmakis-Zwillingsbruder ruht nun in dir."

"Ja, er muss wohl durch die Verbrennung des aus seiner Beschaffenheit gerufenen Doppelkörpers besinnungslos geworden sein. Doch ich fühle ihn noch in meinem innersten Wesen. Er träumt wohl gerade", erwiderte Alexia. Dann durchsuchte sie das in die Höhle mitgenommene Reisegepäck und holte einen Zedernholzstab mit dem langen blonden Haar einer damals kinderlosen Wasserfrau hervor. Den Olivenholzstab mit Phönixfeder legte sie in das Gepäck zurück, da sie davon ausging, erst einmal sie selbst zu bleiben. Dann wechselte sie mit dem Schnellumkleidungszauber aus Alexios amtlichem wasserblauen Samtumhang in ihr wesentlich besser passende Unterkleidung und das sonnenaufgangsfarbene Gewand einer berufenen Tochter Hecates. Jetzt fühlte sie sich schon deutlich wohler.

Alexia prüfte nun mit ihrem Zauberstab, wie die Lebensausstrahlung der beiden anderen war und fühlte das Blut aus ihrem Gesicht weichen. Rhadamantys und Konstantinos waren so gut wie tot! Somit stand fest, dass Alexia deshalb hervorgetreten warr, weil Alexios so viel von seiner körperlichen Kraft verbraucht hatte, dass nur noch sie frei handeln konnte. Mochte das heißen, dass er dauerhaft geschwächt blieb. Dass er noch lebte fühlte sie in sich und dass er wohl gerade in einen Traumzustand eintrat, als würde er nur schlafen kam ihr sogar zu Pass. Denn sonst schliefen sie beide, egal wer von ihnen körperlich war und wer wohl verborgen im Hintergrund blieb.

"Ladonna wird nun wissen, dass ihr drei Opfer entgangen sind. Sie wird zunächst verhindern wollen, dass alle Welt weiß, wer bereits zu ihren neuen Unterworfenen gehört", sagte Hecates Tochter Doris, die sich auch auf Heilprozesse verstand. Alexia konnte ihr da nicht widersprechen.

Zum Glück für die beiden Bebleiter hatte Doris einen Zaubertrank mit, der die verlorengegangene Kraft zu einem Gutteil zurückbrachte. Doch weil das Zusammenwirken von Feuerrosenkerze und dem Langzeitverdopplungszauber noch nie erforscht worden war mussten die zwei auch noch ausschlafen. Alexia war sich sicher, dass sie auch noch ein paar Stunden schlafen konnte, ohne dass Alexios wieder körperlich wurde.

"Ihr müsst euch wieder im Ministerium sehen lassen, bevor Ladonna und ihre Spießgesellen verbreiten, dass ihr bei irgendwas gestorben seid", sagte Zephyra eindringlich, als alle drei wieder wach waren. "Alexia, du musst mich freigeben, weil die Kollegen den Zaubereiminister vermissen", hörte die Frau von Heliopteros ihren besonderen Bruder fordern. "Damit du mich wieder so stark in den Hintergrund drängen kannst, dass ich fast nichts mehr mitbekomme?" fragte Alexia zurück. "Nur wenn du mir versprichst, dass ich mit Heliopteros eine Nacht verbringen darf gebe ich dich frei. Nein, du kannst mir nichts befehlen, Bürschchen."

"Also gut, ich lasse es zu", knurrte Alexios' innere Stimme. Dann vollzog sich schmerzlos der Wandel, und der Zaubereiminister Griechenlands war wieder er selbst. Also kehrten die drei Zauberer und Alexia wieder nach Athen zurück, um den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu berichten.

Zephyra, Perseis und Doris trafen fast zeitgleich vor der Beratungshöhle ein. Dort hielt sich gerade nur Mutter Trioditis auf, die ja auch für Außenkontakte zuständig war. Ihr berichteten sie von dem Versuch, von dem sie nicht wussten, ob es ein Fehlschlag oder Erfolg gewesen war.

"Wir rufen den großen Rat der siebenundzwanzig zusammen, um die Lage für unser Land zu bestimmen und dann die siebenundzwanzig steinernen Wächter zu beschwören und an den Grenzen unserer geliebten Heimat aufzustellen", sagte Mutter Trioditis und sandte einen Gedankenruf an die beiden anderen vom Trimetrion Hecateion aus.

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Griechisches Zaubereiministerium tief unter der Akropolis von Athen, 13.04.2006

Alexios Anaxagoras fühlte sich wie nach drei Marathonläufen ohne Trinkpause. Seine Zunge war pelzig, sein Gaumen knochentrocken wie die Ebenen unter glühender Sommersonne. Sein Kopf pochte. Seine Glieder fühlten sich schwer und teilweise taub an. "Du wolltest ja unbedingt raus", hörte er das gehässige Kichern seiner Salmakis-Zwillingsschwester in seinem Geist. "Du brauchst nur dran zu denken, und ich erlöse dich von dieser Pein", fügte sie noch hinzu. Er ärgerte sich, dass er gerade so geschwächt war. Doch weil sie ihm ihre Erinnerungen mitgeteilt hatte wusste er, dass er es noch gut erwischt hatte. Rhadamantys und Konstantinos waren in das Haus der Heilung gebracht worden. Dort hieß es, dass sie die fünffache Tagesausdauer verbraucht und deshalb beinahe ihr Leben verloren hätten. "Gut, ich kläre ab, was alles ansteht, dann darfst du mich gerne vertreten, kleine Schwester", gedankenknurrte er seine in ihm verborgene Dauergefährtin an. Diese gab mit unüberhörbarem Spott zurück: "Sobald du umfällst stehe ich wieder auf."

Wie ernst diese Ankündigung war merkte der griechische Zaubereiminister, als er aufstand und dabei gerade noch so auf den bebenden Füßen stand. Es fiel ihm schwer, die wachsweichen Knie durchzustrecken. Nur mühsam schaffte er es, das Schlafzimmer zu verlassen. Jeder Handgriff, jede Bewegung fiel ihm doppelt so schwer wie sonst. Doch er kämpfte sich in den Tag hinein und schaffte es, vor den eilens zusammengerufenen Bereichsvorsteherinnen und -vorstehern stark genug aufzutreten, dass ihm keiner oder keine vorhielt, er müsse sich erst auskurieren. Heliopteros Tachydromos, der Leiter der Überwachungsabteilung, sah ihn zwar immer wieder besorgt bis erwartungsvoll an. Doch er wagte es nicht, etwas zu sagen. Zwar wussten die wichtigsten, was es mit Alexios Eudoros Anaxagoras und seiner Salmakis-Zwillingsschwester auf sich hatte. Doch darüber wurde nicht laut gesprochen. Wer von den beiden gerade körperlich war wurde als das eine eigenständige Wesen mit entsprechender Persönlichkeit behandelt.

"Die Barbaren drohen damit, alle Handelsbeziehungen einzufrieren, wenn wir behaupten sollten, dass ihre Ministerien nicht mehr eigenständig handeln könnten. Sie wollen sogar eine Klage prüfen, ob wir womöglich einen Mordanschlag auf die am Mittelmeer bestehenden Zaubereiminister verüben wollten und behalten sich vor, die international zu ächten, die an diesem Anschlag beteiligt waren", verlas Konstantinos' Stellvertreter eine Mitteilung, die er am Morgen erhalten hatte. "Ach ja, Minister Pataleón aus Spanien, Minister Barbanera aus Italien und der ägyptische Zaubereiminister Al-Assuani sprechen uns ihr größtes Beileid und ihre Anteilnahme wegen des Todes von Ihnen, Minister Anaxagoras, sowie Kirios Aigaijochos und meines Vorgesetzten Chrysopolis aus und hoffen, dass wir Ihre Mörder möglichst schnell finden und vor ein noch zu besetzendes Tribunal der Koalition für Verbundenheit und friedliches Miteinander bringen werden." Viele lachten, aber nicht alle. Dazu gehörte auch Alexios Anaxagoras. Natürlich konnten sie es jetzt so hinstellen, dass die drei Delegierten Griechenlands im Zuge eines magischen Schwerverbrechens gestorben waren. So mussten die betroffenen Ministerien nicht verheimlichen, dass es diese Konferenz gab, konnten sich aber auch darauf herausreden, dass die Gewalt von den Griechen ausgegangen sei und nicht von Ladonna Montefiori. So ging es auch, dachten Alexios und Alexia gemeinsam. Wer jetzt behauptete, die drei seien noch am Leben musste das beweisen oder machte sich verdächtig, an dem angeblichen Anschlag beteiligt gewesen zu sein. Außerdem konnten die Ministeriumsmitarbeiter nicht zugeben, dass sie mit den nicht immer vertrauenswürdigen Töchtern Hecates zusammenarbeiteten und mit denen ein gigantisches Täuschungsmanöver durchgeführt hatten, nur um zu erkunden, ob "die Gerüchte" stimmten, dass Ladonna Montefiori sowohl Italien als auch alle anderen Mittelmeerländer kontrollierte oder dies beabsichtigte. Jedenfalls hatte dieses dunkle Hexenweib sehr schnell und zugegebenermaßen schlau reagiert.

Nachdem diese leidige Tatsache ausgiebig diskutiert worden war und beschlossen wurde, keine öffentliche Stellungnahme dazu abzugeben, um keine schlafenden Hydras zu wecken, sondern erst einmal die anstehenden Schutz- und Abwehrmaßnahmen ausarbeiten musste, zog sich Alexios Anaxagoras wieder in seine Privaträume zurück. "Bevor du dich total kaputt ins Bett wirfst und damit unsere wertvolle Zeit verschenkst lass mich besser wieder raus und genieße es, dich von deinen Strapazen zu erholen!" gedankensprach Alexia in seinem Geist. Er überlegte, ob er das tun sollte oder nicht aus purem Trotz weitermachen wollte, um den passenden Gegenschlag zu landen. Da fühlte er das sanfte Prickeln in seinem Körper. "Komm, ich kann mit Hecates Töchtern besser als du. Außerdem kann nur ich durch den Vorhang in die Beratungshöhle, wie du noch ganz gut weißt, Brüderchen", säuselte Alexia und schob sich sanft aber unaufhaltsam immer weiter in den Vordergrund. Der gemeinsame Körper reagierte und wandelte sich unter Hitzewallungen und Schmerzen, weil Alexios versuchte, dagegen anzukämpfen. Er wollte sich nicht zurückziehen. Er wollte jetzt erst recht beweisen, dass er der richtige auf dem Posten des obersten griechischen Zauberrates war. Doch Alexia war entschlossen, sich als Vermittlerin zwischen Ministerium und dem Trimetrion Hecateion zu bewähren. Als ihm alle Knochen wehtaten und er fühlte, dass er sich nicht mehr aufrecht halten konnte gab er es auf. Mit einem letzten Ruck vollzog sich die Körperumwandlung. Er ließ es sich gefallen, keine eigenständigen Bewegungen mehr ausführen zu können. So trat sie wieder hervor, Alexia Daphne Tachydromos. Was er noch davon mitbekam war, dass sie wesentlich ausgeruhter und ohne jeden Schmerz war, sobald die Körperumwandlung vollendet war. "Warum nicht gleich so, Trotzköpfchen", gedankenknurrte Alexia. "Die werden mich vermissen", hörte sie ihren Salmakis-Zwillingsbruder noch einmal protestieren. "Nicht, wenn ich denen sage, dass du bis auf weiteres wieder in verlängerten Jahresurlaub gefahren bist, um dich von den letzten Anstrengungen zu erholen. Also gib Ruhe, sonst kriegen doch noch die falschen Leute mit, dass wir beide nur einen Körper haben!"

"Ich kann dich im Moment nicht davon abbringen. Aber bitte sei vorsichtig und lass dich nicht in irgendwelche unbedachten Sachen reinziehen!"

"Sagt der richtige", bekam Alexios die passende Antwort. "Wer hat den sofort laut gejubelt, als meine Gesinnungsschwestern was von einem Bilokationszauber und einem halben Simulacrum erzählt haben? Also sieh es mal als die Auswirkung deines Übereifers, dass du erst einmal fort bist und fortbleibst!"

"Wenn sie mich wieder brauchen muss ich aber wieder rauskommen, Alexia", gedankenantwortete Alexios. "Ja, wird sich zeigen", dachte Alexia zurück und stellte sich vor, dass sie mit Heliopteros auf Eulalias kleine Schwester hinarbeiten könnte. Sie drängte Alexios noch weiter in die Tiefen ihres Bewusstseins zurück, als er versuchte, dagegen aufzubegehren. Er merkte, dass der Versuch mit den Doppelkörpern ihm doch mehr zugesetzt hatte als er zugeben wollte. So blieb ihm nur, seine "kleine Schwester" handeln zu lassen und zu hoffen, dass sie ihnen beiden keinen Schaden zufügte.

alexia konnte auf die bereits bestehenden Einsatzpläne zurückgreifen und ihre von Alexios gewährte Sonderstellung als Beraterin und Expertin für Zauberwesen bauen. Als sie sich um Eulalia kümmerte und Heliopteros davon überzeugen konnte, dass heute die günstige Gelegenheit für eine weitere wilde Nacht sei wusste der in ihr eingeschlossene Zaubereiminister Griechenlands, dass er bestenfalls erst in fünf Tagen wieder eigenständig auftreten konnte, schlimmstenfalls mehr als ein Jahr verborgen bleiben musste. Da er nicht wusste, dass sein ehemaliger Kollege Armand Grandchapeau ein ähnliches, aber in der Auswirkung unabwendbares Los zu ertragen hatte dachte Alexios nur, dass es für keinen Mann schlimmer kommen könnte, als eine Salmakis-Zwillingsschwester zu haben.

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Marie-Laveau-Institut, 13.04.2006, 22:45 Uhr Ortszeit

Die Ereignisse vom 11. April hatten Elysius Davidson dazu bewogen, die nächste Vollversammlung innerhalb des laufenden Monats einzuberufen. Er präsentierte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Brief des mexikanischen Zauberers Guillermo Casaplata und lies ihn mit Verfasseranzeige- und Vorlesezauber persönlich berichten, was seine Gesellschaft gegen dunkles Erbe und gefährliche Zaubertiere mitbekommen und unternommen hatte.

"Conhermanas y conhermanos. Ich, Guillermo Tiberio Casaplata, grüße Sie alle im Geiste des friedlichen Zusammenlebens magischer Menschen und denkfähiger Zaubergeschöpfe. Natürlich haben Sie alle von einem vernichtenden Großbrand an einem ganz bestimmten Ort in meinem wunderschönen, wenngleich nicht immer sicheren Land gehört und dass zeitgleich mehrere mit Verbrennungsantrieben fliegende Fluggeräte der nichtmagischen Welt über Ihrem weiten, vielfältigen Land abgestürzt sind. Natürlich gehen Sie davon aus, dass dies kein Zufall ist. Das bestätige ich hiermit. Das Feuer, das das Anwesen eines hochsuspekten Zauberers namens Augusto Xocotl Paredes vernichtete, tötete auch den Hausherren. Ja, meinen Ereignisnachhorschern mit indigener Fachausbildung gelang es, das bis dahin von keinem erklärten Feind des getöteten betretbare Gelände zu untersuchen und in die Vergangenheit zu lauschen. Demnach muss es irgendwo bei Ihnen in den Staaten zu einem äußerst heftigen Widerstreit zweier Zauber in einem Lebewesen gekommen sein, von denen einer von Paredes selbst gewirkt worden war. Wir sind sicher, dass es ein aztekischer Bluteid war, mit dem Paredes einen Ihrer Mitbürger versehen hat, um sich seiner uneingeschränkten Treue und seines Gehorsams zu versichern. Der zweite Zauber, soweit meine Ereignisrückhorcher es beschreiben konnten, war ein starker auf Sonne und Mond bezogener Blutzauber, der mittels eines Trankes in den Körper des betroffenen gelangte. Offenbar waren beide Zauber gleichstark. So kam es wohl zu einer von den Anwendern womöglich unbeabsichtigten Überanstrengung des Körpers und damit zum völligen Organversagen. Das entlud wohl den auferlegten Bluteid und warf die dabei freiwerdende Kraft auf dessen Urheber selbst zurück, was ihn ebenfalls tötete. Warum es zum Feuer kam schätzen meine wackeren Compadres so ein, dass Paredes in seinem Haus mehrere Speicher auf ihn bezogener dunkler Magie gehortet hat, die durch seinen Tod schlagartig entladen wurden. Da ja zeitgleich auch ein Lagerhaus von Paredes in einem der christlichen Hölle würdigem Feuer verbrannte vermuten meine auf aztekische Ritualzauber spezialisierten Compadres, dass Paredes den höchst verwerflichen Fluch der Feuerherzkrieger benutzt hat, um sich eine Armee völlig gehorsamer Wiedergänger zu schaffen, die er als Angriffss- Fang- oder Vernichtungstruppe einsetzen konnte. Dabei muss der das Ritual wirkende den lebenden Opfern die Herzen aus den Körpern schneiden und sie durch das Ritual am Leben halten. Gleichzeitig befähigt er die zum unnatürlichen Dasein verfluchten Herzlosen, den Fluch des brennenden Blutes zu wirken, der Ihnen ja bereits beschrieben wurde. Wird ein Sklave durch Enthauptung oder natürliches Feuer zerstört entlädt sich der Fluch in Form jenes blutroten Feuers, dem auch die Mülldeponie in der Nähe von New York anheimfiel. Gleichzeitig wird auch das ihm geraubte Herz vernichtet. Ebenso kann es umgekehrt sein, dass wenn das mit dunkler Macht am Leben gehaltene Herz eines Sklavens zerstört wird, wird der daran gebundene Wiedergänger zur blutroten Flammenwolke. In jedem Fall leben die Herzen nur solange, wie der dunkle Ritualzauberer lebt, der sie zur Bindung ihrer rechtmäßigen Träger missbraucht. Somit ist durch Paredes' Tod diese Bindung erloschen und alle von ihm gehorteten Herzen seiner untoten Sklaven wurden auf einen Schlag vernichtet. Mit Ihnen vergingen dann auch die ziemlich sicher in jenem Lagerhaus bereitgehaltenen Wiedergänger und zerstörten das Lagerhaus.

Was die Flugmaschinen angeht, so waren deren Lenker wohl alle dem Bluteid unterworfen. Dieser erlosch ebenfalls mit dem Tod ihres neuen Herren und Meisters, so dass sie wohl besinnungslos wurden. Dass sie deshalb mit ihren Flugmaschinen abstürzten ist ein bedauerlicher Umstand, denn der erlöschende Bluteid führt in den aller meisten Fällen nur zu einer vorübergehenden Ohnmacht und starken Erschöpfung aber nicht zum Tod. Deshalb konnte der eine Flugmaschinenlenker, der sich nach Boston verirrte wohl noch lebendig auf den Boden zurückkehren. Er dürfte sich aber nicht mehr daran erinnern, was er seit dem Zeitpunkt der Vereidigung bis zum Erlöschen des Eides erlebt hat. Das wird den nichtmagischen Ordnungshütern ein sehr großes Rätsel aufgeben.

Was den entscheidenden zweiten Zauber angeht, so wissen wir noch nicht, was genau er bewirkte und von wem auf wen er angewendet wurde. Vielleicht gelingt es Ihnen, da Klarheit zu schaffen.

Ob ich mich jetzt freuen soll, dass ein mutmaßlich hochgefährlicher Magier und Schwerverbrecher Opfer seiner eigenen Verwerflichkeiten wurde weiß ich nicht. Denn mit seinem Tod dürften auch alle Aufzeichnungen und Hinweise auf ihm noch treu ergebene Gefolgsleute verlorengegangen sein. In dem Zusammenhang muss ich erwähnen, dass es in den letzten fünfzig Jahren zu einem Anstieg von magischen Verbrechen unter Verwendung der Zauber der ersten Völker unseres Landes kam und es womöglich Gesinnungsgenossen von Paredes gibt, die seinen Platz einnehmen werden. Zu befürchten ist auch, dass sich die aussichtsreichsten Anwärter auf diesen fragwürdigen Rang in einem blutigen Entscheidungskampf gegenseitig umbringen und dabei viele unschuldige Menschen und Zauberwesen sterben könnten. In Ihrer Sprache heißt sowas wohl Kollateralschaden. Deshalb bitte ich Sie im Geiste unserer bereits weit vor der Föderation geschlossenen Waffenbrüderschaft, mit uns auf der Hut zu bleiben und mögliche Erbstreitigkeiten zwischen gewissenlosen, machtlüsternen Hexen und Zauberern auf unserer und Ihrer Seite des Rio Bravo einzudämmen, sobald Sie davon Kenntnis erhalten.

Im Namen der Sociedad libre contra herencias tenebrosas y bestias peligrosas grüße ich Sie alle."

"Damit haben wir es amtlich", meinte Davidson, nachdem das Bild des in grüne Kleidung gehüllten Mexikaners mit grauem Kinnbart und aschgrauen, bis in den Nacken reichenden Haaren über dem Pergamentblatt verschwunden war. "Der König ist tod, wer wird neuer König?" grummelte Jeff. Einerseits war es eine gute Nachricht, dass der rote Adler erledigt war. Doch die Aussicht, dass es zu blutigen Erbfolgekämpfen kam konnte seine Herrschaft überschatten. Jeff dachte auch an die Drogengeschäfte des roten Adlers. Auch um deren Erbschaft würde es einen Nachfolgekrieg geben, beziehungsweise, die anderen Banden würden das entstandene Vakuum auszufüllen trachten. Das würde er sicher auch in der nichtmagischen Welt mitbekommen. Mexiko war durch Paredes' Tod nicht wirklich sicherer geworden.

"Hat jemand eine Vermutung oder klare Vorstellung, was der entscheidende zweite Zauber war?" fragte Davidson. Doch niemand wusste oder ahnte es, auch nicht die mit den Zaubern indigener Völker vertrauten Institutsangehörigen. "Nun, der Waffenbruder Casaplata vermutet ja einen Blutschutzzauber womöglich gegen auf Blut bezogene Flüche oder zur Abwehr blutgieriger Wesen wie Vampire. Womöglich wollte da jemand dem Betroffenen und vielleicht noch anderen einen gesonderten Schutz gegen die Jünger der Nachtgötzin verleihen und hat dabei unbeabsichtigt diesen tödlichen Konflikt mit Paredes' Bluteid verursacht. Wir müssen ermitteln, wem dieser Schutztrank zugespielt wurde und ob es weitere Menschen gibt, die entweder tot sind oder nun unter dem zeitweiligen Schutz dieses Zaubertrankes stehen." Darauf meldete sich Cecilia Garmapak.

"Vielleicht habe ich doch eine Vermutung, Direktor Davidson. Wenn es ein Zauber zum Schutz vor auf Blut bezogenen Zauber oder zur Abwehr bluttrinkender Zauberwesen war könnte es der Blutsegen der himmlischen Geschwister Inti und Mama Killa sein, also ein auf Sonne und Mond bezogenes Ritual, bei dem der es vollziehende und der ihm unterzogene am selben Ort anwesend sein müssen. Es muss im Zeitraum zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang gewirkt werden und bedarf einer ausreichenden, gerade noch nichttödlichen Menge Blutes des zu schützenden. Wird das Ritual richtig vollzogen bekommt der ihm unterworfene einen vollen Sonnenkreis lang den Schutz der himmlischen Geschwister, die ja laut der Mythologie des Inkareiches auch Eheleute waren. Wird es unzureichend vollzogen kann der ihm unterworfene sterben. Deshalb kam ich bei der Erwähnung eines Trankes nicht auf dieses Ritual. Doch falls jemand geschafft hat, einen ihm entsprechenden und nicht auf eine bestimmte Person ausgerichteten Trank zu erfinden laufen da draußen vielleicht jetzt mehrere Menschen herum, die vor Vampirangriffen und womöglich auch dem Biss der Werwesen geschützt sind, vielleicht sogar ohne es zu wissen."

Jeff meldete sich und merkte an, dass wer immer diesen Trank ausgeschenkt hatte wohl nicht den amerikanischen Präsidenten oder wichtige Mitglieder des Kongresses meinte, sondern weitere Verbrecher, die auch für die falsche Göttin interessant sein mochten. Denn die nichtmagischen Politiker und Chefs der Sicherheitsbehörden wurden ja vom Sicherheitsbüro der Föderation überwacht.

"An wen denken Sie dabei gesondert, Mr. Bristol?" fragte Davidson. Jeff zählte die neun Namen der New Yorker Mafiafamilienführer auf und erwähnte auch die ihm bekannt gewordenen Namen weiterer führender Männer der Cosa Nostra an der Ostküste. Er verkündete, dass er in dieser Sache weiter nachforschen wolle, sofern er damit nicht seine Tarnung bedrohte. Davidson genehmigte das.

Ein weiteres Thema dieser außerordentlichen Vollversammlung war die in wenigen Tagen stattfindende Konferenz spanischsprachiger Zaubereiministerien, die auch nach dem Ende der spanischen Kolonialzeit in Südamerika jedes Jahr einmal stattfand, um die gemeinsamen Interessen in der Welt zu erörtern. Das LI machte sich berechtigte Sorgen, dass die Konferenz ausgenutzt werden mochte, um entweder die Interessen Vita Magicas in Südamerika zu zementieren oder, was gerade noch wahrscheinlicher erschien, über den spanischen Zaubereiminister Ladonna Montefioris Machtansprüche in der neuen Welt zu bedienen. Sie berieten, wie sie auf welche Bedrohungslage reagieren sollten. Äußerte sich Vita Magica bei dieser Konferenz zu eigenen Machtansprüchen, galt es, die betroffenen Ministerien genauer zu überwachen. Wollte Ladonna Montefiori ihren verwerflichen Feuerrosenzauber verwenden, um die südamerikanischen zaubereiminister zu unterwerfen, so hätten sie, wie es Davidson erwähnte, die stachelige Feuerrosenhecke gleich vor der Haustür. Daher erbat sich Davidson von allen Anwesenden das Vertrauen, mit den Vertretern der Sociedad Libre in Mexiko zusammenzuarbeiten, weil ja auch ein Vertreter Mexikos bei jener alle drei Jahre stattfindenden Konferenz anwesend sein würde, um Mexiko offiziell aus dem Verbund der hispanoamerikanischen Zauberergemeinschaft abzumelden. Dieser Vorschlag wurde von allen angenommen, auch wenn sie wussten, dass das LI hier sehr riskant über die ihm von Bullhorns Föderationsrat gesetzten Grenzen ging. Genau deshalb wollte Davidson ja ein einstimmiges Vertrauensvotum haben, um bei einem Scheitern nicht als einziger dafür verantwortlich gemacht zu werden. Bullhorn würde in solch einem Fall überlegen müssen, ob sie es wagen konnte, das LI aufzulösen oder ihm diesen Vorstoß als ganz geheime Kommandosache zum höheren Wohl aller Föderationsbürgerinnen und Bürger nachzusehen. Natürlich sprachen sich auch viele dafür aus, die alten Freiheiten des Institutes zurückzufordern, um nicht immer erst nachfragen zu müssen, was der "hocherlauchte" Föderationsrat erlaubte oder verbot.

Als dieses Thema mit einem klaren Aktionsplan mit genug Ausweichmöglichkeiten verabschiedet worden war ging es noch um die magischen Hinterlassenschaften des getöteten Verbrechers Zagallo. Dessen magisch hochgerüsteter und gepanzerter Hubschrauber war bis heute unauffindbar. Wer ihn besaß konnte damit jederzeit einen Angriff auf arglose Menschen mit und ohne Magie führen und damit eigene Machtansprüche bekunden. Weil "das quirlige Ding", wie Quinn Hammersmith das Fluggerät nannte, einen offenbaren Mehrfachschutz gegen technische und magische Ortungsverfahren besaß konnte die Maschine, die Jeff Bristol und andere von nichtmagischen Eltern stammenden Mitarbeiter mit dem Superkampfhubschrauber Airwolf aus dem Fernsehen gleichsetzten wie eben jenes fiktive Waffensystem zur Durchführung von Geheimoperationen benutzt werden, eben nur nicht im Namen der nicht gerade unbescholtenen CIA, sondern einer bis jetzt noch nicht aufgefallenen Verbrecherorganisation oder gar kriminellen Werwölfen oder Vampiren. Justine Bristol und Martha Merryweather, die nach dieser Sitzung in den Mutterschaftsurlaub gehen wollte, hielten es für wahrscheinlicher, dass die Anhänger jener Vampirgötzin dieses Fluggerät besaßen und darauf warteten, es gegen irgendwen einzusetzen.

Zum Schluss stellte Quinn Hammersmith mit dem lausbübischen Grinsen eines begeisterten Jungen die neuesten Erzeugnisse seiner Sonderausrüstungsabteilung vor, darunter eine Erweiterung des von Dumbledore erfundenen Ausmachers, mit dem nun nicht nur Lichter aus Lampen oder anderen Leuchtelementen herausgesaugt werden konnten, sondern Hitzeladungen bis zu fünf Millionen Grad Celsius pro Kubikmeter für vierundzwanzig Stunden eingefangen werden konnte. "Der Pyrophag-Apparat, den Sie auch gerne Feuerschnappzeug nennen dürfen, kann die eingesammelte Hitze auf einen in der Ausrichtung stehenden Körper übertragen, was ihn zu einer Offensivwaffe macht, oder in einstellbaren Dosen auf zu erwärmende Körper und Flüssigkeiten übertragen, was ihn zu einer flammenlosen Wärmequelle macht. Wer jedoch die kleine rote Sanduhr im Sichtglas des Pyrophagie-Gerätes nicht beachtet riskiert, dass es die gesammelte Hitze nach den vierundzwanzig Stunden in einer kugelförmig ausbreitenden Entladungswelle abgibt wie hundert zeitgleich gezauberte Feuerbälle am selben Ort. Wegen dieser Eigenschaft habe ich mit Mr. Davidson vereinbart, dieses Gebrauchsmittel nur für ganz bestimmte Einsätze an ausdrücklich vertrauenswürdige und langgediente Mitarbeiter auszuhändigen und es wie bei den meisten anderen Mitteln nach erfolgtem Einsatz wieder einzufordern. Und Leute, bei diesem Gerät habe ich klargestellt, dass ich die von mir ausgegebenen Modelle auch wirklich wiederkriege, jetzt wo ich endlich die Grundprinzipien des Diggle'schen Portschlosses durchdrungen und für uns nutzbar gemacht habe."

"Ja, und wenn dieses Feuerschnappzeug beim Einsatz explodiert?" wollte Jeff Bristol wissen. "Bekomme ich das über die damit verbundene Überwachungsvorrichtung angezeigt und stelle es dem Verwender in Rechnung, sollte er oder sie die Explosion überleben und nicht unmissverständlich begründen, warum er oder sie es zuließ, dass das Feuerschnappzeug explodiert ist", sagte Quinn. Daraufhin fragte Martha Merryweather: "Heißt das auch, dass diese ambivalente Vorrichtung zugleich auch ein Standortpeilgerät wie ein Funksender ist, Mr. Hammersmith?" Quinn sah die hochschwangere Kollegin an und bejahte es. "Mir war bei der Versuchsreihe zur Herstellung dieses Gebrauchstmittels sofort klar, welchen schlafenden Drachen ich da kitzel, Mrs. Merryweather. Daher habe ich die mir möglichen Vorkehrungen aufgeboten, dass wir nicht selbst davon beeinträchtigt werden können. Natürlich hat jedes Feuerschnappzeug einen Körperspeicherkristall, der ihn auf den genehmigten Anwender prägt, bis er mir so oder so wieder zurückerstattet wurde. Aber bei der Gelegenheit, das gilt auch für die anderen von mir gerade erwähnten Mittel."

"Soweit ich im Auftrag des Institutes weitergeben durfte möchten Sie auch gerne die Lautlosen Verberger aus Japan für uns einhandeln. Die Japaner möchten dafür aber eine Gegenleistung, die nicht in Gold, Silber oder anderen Edelstoffen zu erbringen ist", sagte Martha Merryweather. "Welche Gegenleistung möchten Sie dem japanischen Zaubereiministerium erbringen?"

"Falls Mr. Hammersmith und seine Mitarbeiter garantieren können, die mögliche Stückzahl der Therianthroskope der dritten Generation zu liefern können wir dem ehrenwerten Amt für magische Sondermittel zum Schutze des magischen Friedens eben solche Aufspürartefakte anbieten", sagte Davidson. "Außerdem hat sich erwiesen, dass die bereits bewährten Vampirblutresonanzkristalle auch gegen chinesische Hiyang Shis wirksam sind. Da diese gefährlichen Geschöpfe immer mal wieder den Sprung vom chinesischen Festland auf die japanische Inselgruppe schaffen genehmige ich hiermit, dass die VBR-Kristalle als Gegenwert zu den lautlosen Verbergern angeboten werden dürfen."

"Bevor ich hierzu was sage, Kollegin Merryweather, trifft es auch zu, dass die lautlosen Verberger mittlerweile auch unerwünschte Schallaufzeichnungen gegen unverfängliche Nachahmungen austauschen können?" wollte Hammersmith wissen.

"Soweit ich von meinem Kontakt im französischen Zaubereiministerium, der wiederum Kontakt zur Behörde für die Überwachung und das friedliche Miteinander zwischen Menschen mit und ohne die hohen Kräfte in Japan hält weiß wurde auf dessen Anregung hin diese Möglichkeit in die Verberger der zweiten Generation eingewirkt. Wie genau dies geht bleibt jedoch wie der Gürtel selbst ein Geheimnis der japanischen Thaumaturgen."

"Bis meine Abteilung rauskriegt, wie die das machen", grinste Hammersmith. "Was ein Zauberer zaubern kann kann ein anderer Zauberer nachvollziehen, egal wie lange er dafür braucht."

"Oder eine Hexe", warf Justine ein und bekam ein zustimmendes Nicken aller Hexen des Laveau-Institutes.

"Öhm, wir könnten den für technische Erzeugnisse so begeisterten Kollegen in Japan auch unsere Übersetzungskristalle zur Umwandlung magischer Schallaufzeichnungen in elektronische Schallaufzeichnungen anbieten", meinte Jeff. Darauf erwiderte Hammersmith: "Die sind aber nicht mit deren Sammelohren verträglich, mit denen die Gespräche und Musikaufführungen aufzeichnen können", sagte Hammersmith. Jeff zog seinen Vorschlag zurück. Klar war jedoch, dass die gerade eben vorgestellten neuen Ausrüstungsgüter nicht als Tauschgüter für ausländische Ausrüstungsgüter angeboten werden sollten.

Als das Thema vollständig abgehandelt war verabschiedete sich Martha Merryweather in die Mutterschaftspause und wünschte allen Kolleginnen und Kollegen Erfolg und vor allem Unversehrtheit bei allen anstehenden Aufgaben. Alle hier anwesenden, vor allem die selbst schon Familieneltern seienden Kolleginnen und Kollegen, wünschten ihr und ihrer Familie eine beschwernisarme Ankunft des neuen Familienmitgliedes und ein überwiegend friedliches Zusammenleben mit der neuen Hexe oder dem neuen Zauberer.

als die Versammlung vorbei war kehrten die Bristols in ihr Haus zurück. "Vielleicht sollten wir auch zu Gran und Grandpa umziehen", meinte Jeff zu Justine. Diese verzog ihr Gesicht. "Wenn uns das vorher nicht klar war, wieso das LI nicht gerne Ehepaare mit Kind gemeinsam beschäftigt wissen wir es jetzt wohl ganz sicher", grummelte sie. Diese häufigen Vollversammlungen und das Hin und her von Laura Jane gefielen ihr nicht.

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Griechenland, die Nacht vom 15. zum 16.04.2006

Die mit Erdzaubern vertrauten versammelten all die anderen Schwestern um sich herum. An siebenundzwanzig Stellen, beginnend an den Außengrenzen Griechenlands einschließlich seiner Inseln, trafen je neun Töchter Hecates zusammen, um je einen steinernen Wächter zu erwecken. Dabei handelte es sich nicht um einen wirklichen Wächter, sondern um einen neun Ellen hohen, unten herum birnenförmig ausgewölbten Krug, der in einer Höhle an einem Eckpunkt eines in je vierzig Winkelgrade eingeteilten Neunecks verstaut war und durch Desinteressierungszauber alle Zauberer davon abbrachte, das Versteck zu suchen oder zu untersuchen. Von den neun Ecken gingen Geraden zu den weiter innen liegenden neun Krügen aus, und von diesen wiederum neun gerade Linien zu den innersten Krügen. Die dort zusammentreffenden Töchter Hecates würden dann sogar ihre Anrufungen in die Himmelsrichtungen senden, in denen der flächenmäßige Mittelpunkt und die von ihm gebildete Hochachse lagen, die durch einen runden hohen Stein, dem Omphalos gebildet wurde. Patriarchische Griechen hielten diesen Stein für die Nachbildung des Geschlechtsteils des Fruchtbarkeitsgottes Priapos oder des Götterboten Hermes. Die Töchter der Hecates hatten nicht die Absicht, denen genau zu erklären, wofür der Mittelstein wirklich da war.

"So geben wir den von der erhabenen Mutter gesegneten Mittlern zwischen Sonne, Himmel, Erde und Unterwelt unsere Kraft, auf dass sie erneut für einen vollen Sonnenkreis erwachen und unsere geliebte Heimat und alle unsere geliebten Mitmenschen vor der Gier nimmersatter dunkler Wesen zu schützen", sprachen die jeweiligen Meisterinnen der Erde an den neun äußeren Wächtern. alle wussten, dass auch die drei Mütter des Trimetrions bei dieser Anrufung waren. Doch wer es genau war wurde auch hier nicht enthüllt. Immerhin war es ihrer Mitschwester Alexia Tachydromos gelungen, die im Ausland weilende Mitschwester Enodia davon zu überzeugen, dass alle fruchtbaren Töchter der erhabenen Mutter mithelfen sollten, Hellas zu einer Festung gegen die Hybridin Ladonna zu machen, zu einer unbeugsamen Insel im tobenden oder trügerisch ruhigen und tiefen Ozean.

Die Hexenschwestern umtanzten laut und neunstimmig singend ihren jeweiligen Wächterstein. Sie tanzten nackt und ohne metallischen Schmuck am Körper. als der Tanz eine gewisse Ekstase erreichte fügten sie sich mit kleinen Obsidianmessern blutende Wunden an Händen und Füßen zu und tanzten weiter, wobei jede den Steinkrug immer wieder mit eigenem Blut benetzte. Als wären die aus uraltem Granit bestehenden Gebilde poröse, ausgetrocknete Schwämme saugten sie das von außen auf sie tropfende Blut in sich auf. Es sammelte sich auf dem Boden des jeweiligen Kruges und leuchtete auf, so stark, dass der aus dem Krug dringende Schein als großer, dunkelroter Lichtfleck von der Höhlendecke wiederschien und die weiter tanzenden, singenden und blutenden Hexenschwestern in ein Licht wie aus einer anderen Welt einhüllte.

Mehr als eine Stunde dauerte das Ritual an. Dann erstrahlten die steinernen Wächter innen wie außen in einem sonnenaufgangsfarbenen Licht, das jedoch gerade einmal so hell wie ein Kaminfeuer war. Allerdings brannte diese Glut ohne Flammen und Rauch und würde nun für ein volles Jahr nicht erlöschen, wenn die beiden inneren Neunecke ebenfalls in der richtigen Weise beschworen wurden. Erst als die steinernen Wächter nicht mehr wie aufgehende, sondern hell und klar am Mittagshimmel stehende Sonnen erstrahlten und in einem langsamen, durch die nackten Füße spürbarem Regelmaß pochten wie die Herzen jener Überriesen aus der alten Zeit und ihr Regelmaß sich von Stein zu Stein und bis in den alle Linien verbindenden Omphalos anglich wussten die Beschwörerinnen, dass ihr Werk vollendet war. Ihre geliebte Heimat konnte nun nicht mehr von gefährlichen Feindinnen und Feinden betreten werden. Zwar mochte es bei Tieren und Zauberwesen gewisse Irritationen geben, wie es die Aufzeichnungen der letzten Beschwörungen verrieten. Doch besser dieses, als von Ladonnas neuen Leibeigenen überfallen und mit tödlicher Gewalt verheert zu werden.

Als Alexia Tachydromos keuchend neben ihrem steinernen Wächter zu Boden Sank musste sie sich anstrengen, Alexios weiter tief in sich einzuschließen. Kam er ihr doch aus und erzwang sich die Herrschaft über den gemeinsamen Körper, so mochte das ganze Ritual vergeblich sein.

Eine Hexe von fünfzig Jahren, die einen dunkelbraunen Haarschopf trug und am ausgiebigsten getanzt und gesungen hatte wandte sich an Alexia. "Denkst du, Schwester, dass wir das jetzt jedes Jahr wiederholen müssen?"

"Ich hoffe mal nicht, Schwester Enodia", erwiderte Alexia. "Es ist nur schade, dass wir nur unser Land auf diese Weise absichern können." "Die Australier haben was ähnliches mit ihrem Berg Uluru gemacht, um ihn vor den Schlangenmenschen zu schützen. Deren Magie ist immer noch so stark, dass ich fast darin zerflossen wäre", erwiderte Enodia.

"Sie wurde ja auch von der Woge Erdmagie aufgeschaukelt", erwiderte Alexia und bemühte sich um einen langsamen, entspannten Atemrhythmus.

"Oh, das wäre sicher auch ein Problem, wenn so eine Woge wiederkommt und den Stein hier erschüttert", sagte Enodia.

"Unsere Schwester Chrysochira sagt, dass wenn wir die Wächter damals geweckt hätten, die Auswirkungen wohl um unser Land herumgelaufen wären, aber außerhalb der Landesgrenzen eigene Erdbebenherde gebildet hätten. Das wäre dann für die kleinwüchsigen Erdkinder die völlige Vernichtung geworden", gab Alexia das wider, was die vierte hohe Meisterin der Elemente und direkte Untergebene der Mutter Triformis Chrysochira erwähnt hatte, als die Vorbereitungen für das Ritual im Gange waren.

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Im Versammlungsraum des Rates der Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer in Viento del Sol, 18.04.2006

Willow Parker, eine von drei weiblichen Ratsmitgliedern aus Kanada, legte nach Begrüßung aller Anwesenden einen Packen Zeitungspapier auf den Konferenztisch und blickte fragend auf die anderen fünf Mitglieder aus Kanada. Diese nickten auffordernd.

"Werte Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte, die große Euphorie ist jetzt endgültig abgeebbt, und bei einigen meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger macht sich eine gewisse Katerstimmung breit. Anders kann ich die Berichte und vor allem Vorhaltungen im Zauberahorn, sowie dem geflügelten Boten und dem wispernden Hexenwald nicht erklären. Vor allem der Hexenwald rauscht unangenehm laut, dass wir, die Kanadier, zu wenig von der neuen Föderation abbekommen haben und unser Rat nur eine art Alibi sei, um die eigentlichen Nutznießer dieses Zusammenschlusses "zu bedienen", nämlich die geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus den Vereinigten Staaten. Falls Sie, Madam Ratssprecherin, mir eine Zeit von einer Viertelstunde einräumen möchte ich Ihnen allen gerne die heftigsten Artikel und Kommentare aus erwähnten Zeitungen und Wochenmagazinen vorlesen. Natürlich können Sie auch alle die betreffenden Ausgaben von mir und den anderen zur eigenen Durchsicht und Kenntnisnahme erhalten."

"Sie und der Kollege Henri Boisrouge deuteten sowas an, dass unsere bisherigen Maßnahmen und deren Auswirkungen nicht überall auf Zustimmung stoßen", sagte Atalanta Bullhorn. "Gut, um uns alle zur gleichen Zeit auf denselben Kenntnisstand zu bringen gestatte ich Ihnen, die von Ihnen für wichtig gehaltenen Artikel und Kommentare laut vorzulesen, unabhängig davon, wie lange dies dauert, Kollegin Parker."

So las Willow Parker, deren Vater ein gänzlich nichtmagischer Architekt war, die fünf aufwühlendsten Artikel und Kommentare laut vor. Vor allem der im Magazin "Wispernder Hexenwald" war ein Ausbund von tolldreisten Anschuldigungen, nämlich dass Kanada von einer Abhängigkeit in eine andere übergewechselt sei und Atalanta Bullhorn und "ihre Spießgesellen" aus den Staaten die Föderation doch nur vorgeschlagen und genehmigt hätten, um wie Buggles die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten auf dem gesamten nordamerikanischen Teilkontinent zu erringen und dauerhaft zu sichern und Kanadas Hexen und Zauberer wie "Dumme Gnome" laut und fröhlich singend in Reih und Glied auf einen "Abgrund der Alleinherrschaft" zusteuerten. Vor allem die Sicherheitsmaßnahmen in den neuen Gesetzen seien eine sehr gute Möglichkeit, bei einer erklärten Ausnahmelage alle Freiheitsrechte der magischen Mitmenschen auszuhebelnund am Ende doch Buggles' Idee neu zu beleben. "Macht ist ein süßes Rauschgift. Wer davon einmal genoss will immer mehr davon", so beendete Willow Parker die Verlesung des Hexenwald-Artikels.

"Und die haben keine Angst, dass sie damit einen großen Drachen rufen?" wollte der mexikanische Ratskollege Vientofresco aus Guadalajara wissen.

"Sie meinen, dass die US-amerikanischen Ratskolleginnen und Kollegen und ich auf die Idee kommen, doch noch die absolute Vorherrschaft in Nordamerika anzustreben und aus der Föderation ein nordamerikanisches Zaubererweltimperium zu machen?" fragte Atalanta Bullhorn. "Was würde das einbringen? Wir haben es doch bei Buggles erlebt, dass dessen Dreizack-Konstrukt nur mit viel Überwachung und Einschüchterung und noch mehr Täuschungen aufrechterhalten wurde. Wenn wir das jetzt wieder aufgreifen müssten wir unser Sicherheitspersonal nicht nur verdoppeln, sondern verzehnfachen, also auf jeden Verwaltungsbeamten in den drei Mitgliedsgemeinschaften zehn Überwacher und Gesetzesvollstrecker bringen, wenn wir nicht alle uns wichtigen Leute unter den Imperius-Fluch zwingen, ihnen die Unterschrift eines magisch bindenden Vertrages oder den Schwur auf einen Eidesstein abverlangen oder gar jenes tückische Massenunterwerfungsmittel der italienischen Hybridin benutzen wollen. Kollegin Parker, gibt es auf diese Vorhaltungen und Forderungen auch gedruckte Antworten?" Willow Parker nickte und las drei wenige Zeilen lange Kommentare vor, die zusammengefasst die Vermutung anstellten, dass jetzt die Gegner der Föderation wieder nach vorne traten und alle bereits durchgeführten Maßnahmen zu Misserfolgen erklären wollten, obwohl sie in Wirklichkeit Erfolge waren und dass die kanadische Zauberergemeinschaft eigentlich schon längst entschieden habe, sich von Europa loszulösen und nicht mehr der Zeit unter britischer Verwaltung nachtrauern wolle. Im Grunde durchliefe Kanada nun denselben Prozess, den die Vereinigten Staaten und Mexiko schon seit mehr als hundert Jahren hinter sich hatten. Daher, so ein Kommentator, müsse die Missstimmung gegen die Föderation und die Angst vor einer Unterwerfung unter US-amerikanische Herrschaft als zu erwartende Reaktion gedeutet werden. Dann las Willow Parker noch einen kurzen Kommentar, der alle hier zum schmunzeln brachte.

"Früher waren es Hunger, Durst und anderes Elend, das Menschen mit und ohne Zauberkraft zu Aufständen und ganzen Umstürzen getrieben hat. Offenbar reicht heute schon die Furcht, liebgewordene Gewohnheiten beschränken oder völlig aufgeben zu müssen, um Unmut und Aufruhr zu schüren. Doch die Geschichte lehrt, dass überall dort, wo die Mehrheit aller Menschen mehr als nötig zu Essen, zu trinken und der Vergnügungen hatte, der oder die Herrschende unbestritten walten konnte, auch wenn er oder sie die eine oder andere unangenehme Maßnahme oder gar selbstherrliche Unternehmungen durchsetzte. Sicher mag es bei uns in Kanada Leute geben, die nicht so viel Gold und Silber oder jetzt das neue Zauberergeld haben, um in Saus und Braus zu leben. Sicher mag es auch welche geben, die jeden Knut zweimal umdrehen müssen, bevor sie was zu essen kaufen. Doch die überwiegende Mehrheit hat durch die Föderation nichts verloren, sondern gewonnen. Solange die Wiese voller Blumen ist muss keine Honigbiene weiterfliegen als bis zum Rand. Unsere Blumenwiese blüht doch gerade erst, Leute! Bringen wir doch erst mal den Honig ein, bevor wir lautstark brummen und summen, dass auf anderen Wiesen mehr Blumen wachsen oder angstvoll surren, dass über unserer Wiese immer wieder irgendwelche Wespen und Hornissen herumschwirren!"

"Der Vergleich gefällt mir", sagte Lena Firestick, eine Ratskollegin aus Louisiana.

"Ähnlichhat vor fünf Jahren schon mal wer bei uns kommentiert, als Minister Piedraroja eine Flugbesenabgabe für ausländische Besen genehmigt hat", sagte Vientofresco, nachdem er von Bullhorn das Wort erhalten hatte. "Da hat der Kommentator unserer führenden Zeitung geschrieben, dass keine Fliege sich über den Gestank eines Misthaufens beklagt, solange sie dort genug zu fressen findet."

"Na ja, Kolleginnen und Kollegen, wie bei den Nomajs gilt auch bei uns, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt", wandte Randolph Corncracker aus Texas ein, der hier im Rat auch die Interessen später Väter ohne ausdrücklichen Kinderwunsch vertrat. "Seitdem Buggles und seine Hinterleute unser Land zur Brutfabrik für Zaubererkinder gemacht haben sind eben alle doppelt misstrauisch, was von oben entschieden wird. Da kann ich die Damen und Herren aus Kanada sogar verstehen, dass sie jetzt schon hinterfragen, ob das mit der Föderation echt so eine tolle Sache ist, wie wir alle sie ihnen verkauft haben. Aber diese Aufrufe zur sogenannten intelligenten Gehorsamsverweigerung sollten wir ernstnehmen. Am Ende tritt echt eine Notlage ein, die wir mit verschärften Mitteln beheben müssen, und solche Scharfmacher treiben alle Einfältigen oder Denkunwilligen dazu, alle administrativen Anweisungen zu verweigern, weil sie sich in ihren Einzelrechten gefährdet sehen. Also müssen wir mehr trompeten und trommeln, was die Föderation bereits hingekriegt hat und noch hinkriegt. Zum Beispiel, dass die Anzahl schwarzmagischer Übergriffe bereits um dreißig Prozent zurückgegangen ist und dass wir dank des Laveau-Institutes und der Sociedad Libre ein lückenloses Frühwarnnetz gegen kriminelle Werwölfe und herrenrassengläubige Vampire eingerichtet haben, weil wir die Erkenntnisse aus allen drei Mitgliedsregionen zusammenführen konnten. Natürlich wär's ein Knüller, wenn wir lange gesuchte Untäter und Untäterinnen wie die VM-Agenten oder die Spinnenschwestern dingfest machen könnten und dann klarstellen, dass unser Friede und unsere Freiheit nicht länger von solchen Subjekten bedroht werden."

"Gut gebrüllt, Löwe", musste der kanadische Ratskollege Boisrouge dazu einwerfen. "Gerade die Suche nach den Spinnenhexen und die Jagd auf illegal bei uns lebende Vampire hat viele Leute gelinde gesagt verstört. Ich habe diese Kommentare auch gelesen, Kollegin Parker. Viele von denen kommen daher, dass etliche Leute in Kanada meinen, sie seien alle verdächtig, weil sie noch gute Beziehungen mit Großbritannien und Frankreich unterhalten und die Kollegin Bullhorn ja bei der letzten Pressekonferenz erneut betont hat, dass wir vor allem auf die Nachfahren menschengestaltlicher Zauberwesen zu achten haben, weil Zitat von Ihnen, Kollegin Bullhorn, "Wwir es nicht zulassen dürfen, dass die Kobolde sich mit Gewalt ihre angeblichen Naturrechte zurückholen, die Zwerge meinen, sie könnten die Kobolde beerben oder die Veelastämmigen aus Osteuropa und deren Nachkommen finden, ähnliche Anwandlungen ausleben zu dürfen wie Ladonna Montefiori in Italien, die ja angeblich noch immer von den Kollegen in Rom als hochgefährliche Hexe gesucht wird", Zitat ende."

"Ich sehe keinen Grund, an dieser meiner Aussage etwas zu ändern oder auszuschließen", grummelte Atalanta Bullhorn. "Es mag sein, dass ich auf Grund meiner langjährigen Erfahrung bei den Inobskuratoren der USA zu viel schlimmes und niederträchtiges erlebt habe. Aber was die Nachkommen menschenförmiger Zauberwesen angeht ist es eine an Sicherheit grenzende Erkenntnis, dass jene wegen ihrer Gemischtstämmigkeit besonders leicht in Versuchung geraten, mehr zu erlangen als ihre Mitmenschen", bekräftigte Bullhorn ihren schon häufig geäußerten Standpunkt.

"Nichts für ungut, Frau Ratssprecherin, aber das genau denken auch viele nichtmagische Menschen über uns Hexen und Zauberer und sehen es auch an den Superreichen, die meinen, sich aus allen gesetzlichen Verpflichtungen herauskaufen zu dürfen, weil sie es können", erwiderte Willow Parker. "Aber über das Gesetz zur Verwaltung gemischtstämmiger Zaubererweltangehöriger wollen wir doch eh noch genauer sprechen, nachdem die Erhebung so gut wie vollzogen ist, wie viele Kobold- Zwerg-, Veela- oder gar Waldfrauenabkömmlinge es gibt und ob wir wirklich den von Buggles angeschobenen Plan einer abgeschiedenen Ansiedlung für Lykanthropen vollenden wollen oder nicht."

"Ich bin sehr zuversichtlich, dass Sie alle mir beipflichten werden, was eine gründlichere und ja auch strengere Behandlung halbmenschlicher Wesen angeht, wenn die von uns erbetene Erhebung vollständig ist", sagte Atalanta Bullhorn. "Allerdings zwickt mich ein wenig die Ungewissheit, ob wir wirklich alle von Zauberwesen abstammende Mitbürger erfassen. Und wo wir es von den Werwölfen haben, Kolleginnen und Kollegen, war da nicht noch was, Kollege Vientofresco?"

"Ja, da war noch was, Señora Ratssprecherin", knurrte Vientofresco. "Da am 25. April in Lima die alle drei Jahre stattfindende Konferenz spanischsprachiger Zaubereiministerien stattfindet wird man uns dort sicher vorrechnen, wie viel wir Mexikaner den anderen Zaubereiministerien schulden, um genug Silber und Mondsteine zur Werwolfbekämpfung kaufen zu können. Da Piedrarojas ehemaliger Goldhüter diese Angaben nach Good Times Valley herübergereicht hat sind alle Zahlen mit dem kleinen Schloss in die Luft geflogen. Das heißt, ich und die beiden Kollegen hier müssen erst mal fragen, wie viel das mexikanische Zaubereiministerium geliehen hat und wie viel davon schon wieder zurückbezahlt wurde. Irgendwas mit mehr als fünfzigtausend altrömischen Libras in Silber wwar das wohl."

"Wie bitte?!" fragte Bullhorn und nahm die höchst verstörten Gesichter zur Kenntnis. Vientofresco wiederholte es. "Da waren die aber sehr großzügig, die anderen, wo die selbst immer mit ihren Gold- und Silbervorräten haushalten müssen", meinte Corncracker. Bullhorn warf ihm einen zum Schweigen gemahnenden Blick zu und antwortete: "Piedraroja muss wohl zu viel Tequila im Bauch und im Kopf gehabt haben, so viel zu erbitten, oder die anderen Ministerien fanden, wenn alle jeweils kleine Anteile einbringen könnten sie sich diese Großzügigkeit erlauben. Also warten Sie gütigst ab, was die anderen präsentieren und hinterfragen Sie das auf jeden Fall. Machen Sie klar, dass Sie ohne das entsprechende Aktenmaterial aus Mexiko keine Sicherheit haben, ob die Angaben stimmen. Aber vor allem lehnen Sie jede kurzfristige Begleichung der Restschuld ab! Die müssen nicht denken, die Föderation sei ein Sonnenwendoccammy, das statt silberne goldene Eier legt", wies die Ratssprecherin den mexikanischen Kollegen an.

"Stimmt, Compadre, die könnten denken, uns zu melken wie eine ganze Herde satter Milchkühe, nur um euch aus deren Debattier- und Krakehlclub rauszukaufen", wagte Corncracker doch einen nicht ganz auf gute Wortwahl achtenden Kommentar. Atalanta Bullhorn bedachte ihn dafür mit einem Ordnungsruf. Das hieß, dass Corncracker nach der Sitzung Neugeld im Wert von 100 Galleonen in die Verwaltungskasse einzuzahlen hatte. So stand es in der neuen Verwaltungsrichtlinie der Föderation.

"Wieder auf die Werwölfe zurückkommend, werte Kolleginnen und Kollegen", schaltete sich Ratsmitglied Milo Summerwind aus der US-Gruppe ein. "Besteht der Beschluss, dass wir weitere Blaulichtwaffen erwerben oder herstellen, weil das mit dem Mondsteinsilber bei den Mondgeschwistern nicht wirkt, und falls ja, woher bekommen wir dann das originale Mondgestein, wenn wir es nicht aus den Forschungseinrrichtungen der Raumfahrtbehörde entwenden?"

"Noch ein Punkt, warum das gewährte Darlehen eigentlich weit über den Bedarf ging", knurrte Bullhorn. Dann gab sie die Frage weiter an die Kollegin Firestick, die sich mit magischen Wesen befasste. "Also, nachdem wir wissen, dass für die von Vita Magica erfundenen Geräte orginales Mondgestein benötigt wird und die Einsatzgruppe Blue Lightning noch genug dieser Mordwaffen zur Verfügung hat habe ich in Übereinkunft mit den Verwaltungsbeamten für magische Wesen beschlossen, dass wir vorerst keine neuen Todesblitzer anschaffen sollen, auch weil deren Herkunft sehr, sehr zweifelhaft ist, nicht nur, weil deren Erfinder keine Rücksicht auf das Leben unschuldig der Lykanthropie erlegener Menschen nehmen, sondern auch, weil das verwendete Gestein vom Mond eindeutig durch Diebstahl erlangt wurde und wir diese Gerätschaften nur deshalb noch behalten, weil der Schutzwert für unsere Mitbürger größer ist als die moralische Verpflichtung, das in den Geräten verarbeitete Gestein an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Solange die Mondgeschwister nicht vollständig ausgehoben und inhaftiert sind müssen wir ihre Übergriffe abwehren, auch wenn wir vielleicht nur mit dem Einsatz dieser Todesstrahler drohen müssen, um sie von unseren Siedlungen fernzuhalten. Auch könnte es anstehen, dass die hier bei uns lebenden, bisher unbescholtenen Lykanthropen die Umsiedlung in eine nur für ihre Daseinsgenossen erbaute Ansiedlung ablehnen und untertauchen. Sie könnten dann den Verlockungen der Mondbruderschaft erliegen und zu gefährlichen Widersachern werden."

"Ich habe die Frage schon am zweiten Januar gestellt, werte Kolleginnen und Kollegen, aber ich wiederhole sie gerne: Wäre es nicht auch für alle nicht von der Lykanthropie betroffenen Hexen und Zauberer besser, wenn wir mit der Mondbruderschaft eine friedliche Übereinkunft auf Augenhöhe treffen könnten?" fragte Willow Parker. Bullhorn schüttelte den Kopf, ebenso Corncracker, sowie sämtliche mexikanischen Ratsmitglieder und Parkers Kollegen Boisrouge und Riversand. Damit stand es zehn zu acht gegen ein solches Vorhaben. So schnell ging das, dachte Parker. Wenn das jetzt die aufsässigen Schreiberlinge in Kanada mitbekommen hätten würden die glatt wieder was von Vormachtansprüchen der USA schreiben.

"Die sogenannte Mondbruderschaft hat sich selbst jede Grundlage für Verhandlungen verdorben, indem sie nicht nur arglose Menschen mit dem Befall von Lykanthropie oder gar dem Tod bedroht, sondern für ihre eigenen Antivampirwaffen Gold aus magisch ungeschützten Aufbewahrungsstätten oder Schmuckgeschäften stiehlt", sagte Atalanta Bullhorn. "Atalanta, es hat noch mehr gekostet, zum Mond hinzufliegen und da ein paar Kilo furztrockenes Gestein einzusammeln und zur Erde zu bringen", warf der Kollege Corncracker ein, den der eben erteilte Ordnungsruf offenbar nicht wirklich beeindruckt hatte. Bullhorn sah ihn dafür zwar streng an, erteilte aber keinen zweiten Ordnungsruf. Der hätte Corncracker 300 Galleonen gekostet. Aber was der Texaner damit andeuten wollte verstand hier jeder. Sie konnten nicht auf gestohlenes Gut zurückgreifen und andere wegen fortgesetzten Diebstahls verachten. So beschlossen sie einhellig, die Erfassung aller Menschen mit Anteilen von Zauberwesen oder Lykanthropen abzuwarten, um mit hoffentlich verlässlichen Zahlen arbeiten zu können.

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Im Haus Tyches Refugium bei Boston, 22.04.2006, 22:30 Uhr Ortszeit

Anthelia/Naaneavargia deutete eine leichte Verbeugung vor dem räumlichen Abbild der grünen Mutter an, die sie über das smaragdene Halbmondsymbol an der Silberkette um ihren Hals heraufbeschworen hatte. Dann grüßten sich beide auf Arabisch. In der Sprache unterhielten sie sich weiter.

"Ich habe mit den anderen elf aus dem Rat unserer Schwesternschaft die Botin Propylaia angehört. Sie wollte erst ein Bündnis, bei dem alle führenden Schwestern und die drei Mütter aus den reihen der Töchter Hecates einen oberen Hexenrat bilden. Aber daran liegt mir nicht und wie ich weiß auch dir nicht. Sie war natürlich ein wenig enttäuscht. Aber als es dann darum ging, einen Burgfrieden zu schließen und unsere höchsten Stellvertreterinnen zu entsenden lenkten die drei Mütter wohl ein. Daher kann ich dich, die du dein Geheimnis wohl hüten möchtest fragen, ob du eine dir vertraute Schwester entsenden kannst, die für dich spricht oder ob du doch selbst hingehst."

"Grüne Mutter, das klingt auf jeden Fall annehmbarer für mich als der Vorschlag, dass sich alle oberen Schwestern auch denen gegenüber enthüllen sollen, die nicht zu ihrer jeweiligen Schwesternschaft gehören. Ich weiß nämlich, dass die drei Mütter sich selbst ihren Untergebenen nie unverschleiert zeigen und bei ihren Ratssitzungen nur ihre Ratsnamen gebrauchen. Warum sollen wir also das tun, was sie nicht zu tun bereit sind?" Die grüne Mutter der orientalischen Mondtöchter machte eine bejahende Geste. "Mit dem Burgfrieden oder besser dem Beistandspakt bin ich einverstanden. Daher werde ich eine meiner Schwestern entsenden, der ich voll vertraue. Sie wird das Symbol der schwarzen Spinne vorzeigen und euch gegenüber bekunden, dass sie von mir, der höchsten Schwester ihres Ordens kommt. Aber wir müssen auf der Hut sein, dass Ladonna keine ihrer Untergebenen in diese Zusammenkunft einschmuggelt. Deshalb sollten wir zusehen, dem britischen und französischen Beispiel zu folgen und mindestens eine Veelastämmige in die Versammlung hineinbitten. Ich weiß, dass in Spanien eine lebt, die den schweigsamen Schwestern angehört. Die können sie gerne fragen."

"Gut, so weiß ich, dass du nicht selbst kommen wirst. Auch werde ich aus dem bereits erwähnten Grund nicht selbst hingehen. Vielleicht müssen wir uns eines Tages so weit vertrauen, dass wir unsere verschiedenen Orden zu einem einzigen zusammenführen, meine Tochter Naaneavargia", sagte Alia, die grüne Mutter der orientalischen Mondtöchter. "Doch im Moment liegen noch zu viel Misstrauen und eigene Interessen dazwischen. Wir können nur darauf bauen, dass wir uns nicht von Ladonna unterwerfen lassen. Wenn sie merkt, dass sie nicht die Zustimmung aller Hexen erhält, mag sie überlegen, ob ihr Handeln wirklich so klug ist, wie sie tut."

"Die Hoffnung ehrt dich, grüne Mutter des Mondes, aber ich kann sie nicht teilen. Dafür habe ich aus den Aufzeichnungen Sardonias zu viel erfahren, was Ladonnas Ziele und Handlungen betrifft. Einst wollte auch ich diesen Weg beschreiten. Doch gerade die Erfahruungen Sardonias lehrten mich, dass der Weg zum dauerhaften Ziel nur über behutsames Handeln geht und nicht über die Abgrenzung zwischen Feind und Freund alleine."

"Das ist wohl wahr, Naaneavargia", sagte die grüne Mutter. "So bleibt am Ende nur die Hoffnung, das richtige zur rechten Zeit zu tun. hoffen wir es also und wehren wir uns gegen Ladonnas Alleinherrschaftsanspruch!" Dem konnte Anthelia/Naaneavargia vorbehaltlos zustimmen.

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zwischen dem Haus von Maria Dolores Feliciana Ortega und irgendwo im Golfstrom, 24.04.2006 um die Mitternachtsstunde herum

"Du trauerst ihr noch nach, nicht war, Luna Dorada?" hörte jene, die unter den Rotblütlern meistens den Namen Maria Dolores Feliciana Ortega benutzte die Stimme ihrer Herrin und Göttin in ihrem Geist. Sie konnte es nicht verhehlen. Seitdem ihre Blutgattin Night Swallow jener Aktion dieses verfluchten Laveau-Institutes zum Opfer gefallen war hatte sie keinen rechten Spaß mehr an ihrem besonderen Leben. Sie hatte es mitbekommen, wie Night Swallow getötet wurde, wie ihre Seele kurz vor dem Eingang in die Obhut der Göttin einen winzigen Moment an ihrer Seele entlangstreifte, als Abschied für immer. Erst wenn sie, Luna Dorada, die Gnade der Einkehr in die ewige Obhut der Göttin erfahren würde, würde sie wieder mit ihr zusammen sein. Die Wut auf die, die ihr die Liebste genommen hatten war groß. Doch die Göttin hatte befohlen, nicht blindlings drauf los zu stürmen. Die anderen hatten gezeigt, dass sie mächtig genug waren, auch die mit der Kraft der Göttin erfüllten zu entleiben, so dass ihren Seelen nur die Vereinigung mit der Göttin geblieben war.

"Ich, deine Herrin, Göttin und Allmutter habe beschlossen, dass ihr beiden wiedervereint sein sollt, nicht in meinem Dasein, sondern als lebender Körper. allerdings müsstest du dir deinen Körper mit Night Swallow teilen. Wärest du dazu bereit? Ich will es dir nicht befehlen", sprach die Stimme der Göttin.

"Wie soll das gehen, wo Night Swallow in dir aufgegangen ist, meine Herrin und Göttin?" dachte Luna Dorada an die Adresse ihrer überirdischen Gebieterin.

"Ich kann euch mit derselben Kraft zusammenfügen, mit der meine Keimpräsenzen Nyx und Elly Vierbein einst zu Lamia verschmolzen, um im Namen dessen, der meinte, uns als seine willigen Marionetten zu führen, Nochturnia begründet haben wollte. Diese Macht, Seelen zu verschmelzen, die miteinander vereint sein wollen, habe ich durch die Kraft des Mitternachtssteins immer noch und dadurch, dass ich in ihm halt fand noch mehr als zuvor. Aber es mag sein, dass die Vereinigung schmerzvoll ist und ihr zunächst miteinander um den einen Körper streitet, bevor ihr ganz und gar eins in ihm werdet, jede von der anderen Wissen und Erinnerung behalten, aber als eine vereinte, bestärkte Seele handelnd. Willst du dich darauf einlassen? Falls nicht, so will ich dich nicht weiter damit behelligen. Night Swallow ist ein Teil von mir. So kann ich ihre Erinnerungen an euer Zusammensein bewahren, bis irgendwann der Tag kommt, wo du deinen eigenen Leib abstreifen und in meinem Sein aufgehen wirst."

"Ich weiß, du hast dich damals, wo Lady Nyx mit dem Mitternachtsstein im Golfstrom versenkt wurde, mit jener vereint, von der du alles Wissen um neuere Wirkstoffe und Pharmaka erhalten hast, um das Umwandlungspulver zu bekommen, das aus Rotblütern Nachtkinder machte. Wenn sie das will, dass wir in meinem Körper eins werden, dann will ich das auch, meine Göttin", dachte Luna Dorada.

"Lasse dich zu mir tragen und empfange die Essenz von Night Swallows Sein und Wissen!" erwiderte die Göttin. Luna Dorada hielt sich bereit. Da umschlangen sie jene schwarzen Spiralarme des Schattenstrudels, mit dem die Göttin ihre Gläubigen von einem Ort an einen anderen versetzen konnte. Sie fühlte, wie sie durch den Tunnel raste, der zwischen ihrem Ausgangsort und einem von der Göttin bestimmtem Ziel verlief. Sie sah jenes blutrote Leuchten immer näher heranjagen, das die übernatürliche Daseinsform der Göttin zeigte. Gleich würde sie an ihr vorbei oder in ihren übernatürlichen Körper hineinstürzen. Tatsächlich aber hörte der sie voranziehende Sog schlagartig auf. Sie schwebte laut ihrer eigenen Ansicht keinen Meter vor der riesenhaften, aus rotem Licht bestehenden Erscheinung der Göttin. Sie sah aus wie eine werdende Mutter im zweiten Schwangerschaftsdrittel. Luna Dorada wusste, dass dies von ihrer aller Erzeuger kam, der versucht hatte, die Göttin vom Thron zu stoßen und dann mit dem Überwesen Heptachiron in den Leib der Göttin hineingezogen worden war. Heptachiron war in der Göttin aufgegangen. Der Erzeuger der Nachtkinder selbst war als eingeschlossener Geist von allen anderen abgeschieden aber eben im Leib der Göttin eingesperrt geblieben und lag im tiefen magischen Schlaf. "Empfange deine Liebste! Seid eins mit Leib und Seele, auf dass ihr das Werk Night Swallows fortsetzen könnt und zugleich weitere treue Töchter erschaffen mögt", hörte Luna Dorada die den ganzen unendlichen Raum dieser Zwischenexistenz ausfüllende Stimme in Vorfreude und Entschlossenheit. In dem Augenblick schien es, als beule sich der Raum zwischen dem vorgewölbten Unterbauch und den mütterlich prallen Brüsten der Göttin aus, als wüchse dort ein weiteres ungeborenes Kind. Dann konnte Luna Dorada es sehen, das Gesicht ihrer Liebsten, ihrer Blutgattin, ihrer Gefährtin in gemeinsamen Nächten, Night Swallow alias Sally Fields. Das Gesicht wirkte wie im tiefen Schlaf. Die geisterhaft durchsichtigen Augen bewegten sich schnell von links nach rechts und zurück. Dann schob sich der gesamte, rötlich schimmernde Kopf der entleibten Gefährtin aus dem leuchtenden Leib der großen Mutter der Nacht. Der Hals kam frei, dann Schultern, Oberarme und Unterarme mit händen. Stück für Stück schob sich der geisterhafte Körper der getöteten aus dem Körper der Göttin, jedoch nicht wie bei einer natürlichen Geburt, sondern so, als wachse ein neuer Ast aus dem Stamm eines Baumes heraus. Jetzt sah Luna Dorada, wie Night Swallow ihre Augen öffnete. Sie sahen einander an. Night Swallow erwachte aus dem Schlaf der ewigen Geborgenheit, in den die Gnade der Göttin ihren Geist gebettet hatte. Sie blickte sich um und sah ihre einstige Gefährtin Luna Dorada. Verstörtheit wurde von Freude abgelöst. Luna Dorada breitete die Arme aus, um die dem gewaltigen Leib der Göttin entschlüpfende zu umschlingen. So breitete auch Night Swallow ihre Arme aus. Dann lösten sich ihre Füße vom mächtigen Körper der Göttin. Beide Gefährtinnen, jene mit und jene ohne fleischlichen Körper, glitten im unendlichen Raum der Göttin aufeinander zu, als seien sie zwei Magneten, die einander anzögen.

Luna Dorada reckte ihren Körper der auf sie zufliegenden entgegen. Im nächsten Augenblick trafen beide aufeinander. Sie schrien ihre Verzückung in dieses sternenlose All hinaus, dessen Mittelpunkt die große Göttin der Nacht war. Wärme durchflutete Luna Doradas Körper. Dann fühlte sie, wie Night Swallows ätherischer Körper mit ihrem verschmolz. Dann überkam Luna Dorada eine Flut von Bildern und Klängen, Geräuschen und Worten. Zugleich meinte sie, ihr Körper würde in ein loderndes Feuer stürzen. Jede Faser brannte und sandte ihr grelle Schmerzen. Sie schrien beide, die Besitzerin des lebenden Körpers und jene, die der Geborgenheit der Göttin entschlüpft war. Die Bilder aus Night Swallows Erinnerungen wurden von gleißenden Blitzen abgelöst, die mit unerträglichen Kopfschmerzen einhergingen. Luna Doradas Herz schlug immer schneller und heftiger. Das Gefühl, am ganzen Körper zu verbrennen, nicht von außen her, sondern wie von einem sonnenheißen Feuerball von innen her, war beinahe unerträglich. Dann, mit einem Schlag, waren die Schmerzen und Bilderfluten vorbei. Luna Dorada fühlte, wie sie in die Tiefe fiel, weg von der Göttin, deren überragende Gestalt sie wie einen schwindenden Stern in der Ferne vergehen sah. Dann fand sie sich auf jenem Sofa wieder, auf dem sie vorhin noch über ihr tristes Dasein nachgegrübelt hatte. Doch sie war nicht mehr allein.

Erst war es nur ein Flüstern. Dann kamen Gefühle wie Angst, Wut und dann immer größere Freude dazu. Dann hörte sie die Stimme ihrer Geliebten in ihrem Geist: "Ich träume das nicht. Wir sind eins." Luna Dorada bestätigte das. Als habe sie mit diesem Gedanken einen weiteren Vorgang ausgelöst meinte sie, an verschiedenen Orten zu sein. Sie erlebte in einer unbekannten Zeit das Leben der Sally Fields nach, von den letzten Wochen vor der Geburt, die Ankunft Sallys auf der Weltund die Säuglingszeit über den Kindergarten, die Schulzeit und das Studium in Harvard und danach die für Körper und Geist harte Ausbildung beim FBI in der Akademie von Quantico. Luna Dorada erlebte dann noch Night Swallows verdeckte Einsätze mit, bis zu jenem, wo sie die Sekretärin des zwielichtigen Bankiers Delorca dargestellt hatte. Dann fanden sich beide im selben Körper auf Luna Doradas Sofa wieder. Sie fühlte wieder Schmerzen. Doch diesmal waren sie erträglich. Sie hörte sich zusammen mit Night Swallow im Einklang denken, bis ihre Gedanken immer einheitlicher klangen, als sängen zwei Sängerinnen unterschiedliche Texte, bis sie einen gemeinsamen Kehrreim anstimmten, der tongenau und Wortgenau in die Unendlichkeit des Universums hineinscholl. Dann waren sie beide nicht mehr zwei, sondern eine, eine einzige Seele in einem Körper. Die Schmerzen ihres Körpers, der die Vereinigung nicht so leicht hinnehmen wollte, ließen nach. Sie konnte sich wieder ohne Schmerzen bewegen. Ihr Herzschlag beruhigte sich wieder. Sie atmete, sie, die eine, die aus zwei unabhängigen Wesen zu einem einzigen neuen Sein verwachsene, erwachte. Doch sie wusste nicht, wie sie heißen sollte, weil Luna Dorada nicht mehr alleine war und Night Swallow keinen eigenen Körper mehr hatte, den sie lenken sollte.

Unvermittelt merkte sie, wie ihre Gedanken in der Unendlichkeit einen Halt fanden. Es war, als habe jemand in der Ferne ihren unhörbaren Ruf vernommen. Jemand näherte sich ihr. Jemand? Jemand bestimmtes, mächtiges, überragendes, die große Mutter aller Nachtkinder, Gooriaimiria.

Blutrote Funken tanzten in der Dunkelheit vor den Augen der neuen Nachttochter. Es wurden immer mehr. Wer sie sah und nicht wusste, was sie ankündigten mochte an ein aufkeimendes Feuer denken und Angst bekommen. Doch die aus zwei Seelen zu einer gewordene Nachttochter wusste, was diese Erscheinung bedeutete. Bisher war es immer nötig gewesen, dass mindestens zwei Nachtgeborene am selben Ort zusammenkommen mussten, um mit gemeinsamem Willen die räumliche Gestalt ihrer Göttin zu beschwören. Doch nun enthüllte sich der Vereinigten, dass dies für sie nicht nötig war. Sie sah, wie die immer dichter wirbelnden Funken zu einer knapp drei Meter großen, blutroten Erscheinung zusammenwuchsen. Diese wirkte erst verschwommen wie durch dichten Nebel betrachtet oder durch viele Meter Wasser gesehen. Dann gewann die Erscheinung ihre klaren Formen, die Formen jener mittelschwangeren Frau aus blutrotem Licht. Die Göttin war erschienen. Sie schwebte knapp eine Handbreit über dem Boden und sah jene, die sie mit ihrem Geist herbeigerufen hatte.

"Sei mir gegrüßt, Halanocturna, Trägerin der Schwingen der Nacht", hörte sie die Göttin mit den Ohren flüstern und zugleich wie eine mächtige Glocke in ihrem Kopf erschallen. Die Vereinigte kniete nieder, um der Erscheinung ihrer Göttin zu huldigen. "Erhebe dich wieder, Halanocturna!" befahl die vor ihr schwebende Erscheinung und winkte ihr zu. "Aus Schmerzen habe ich dich geboren. In Schmerzen wurdest du gebadet, um zu leben, Halanocturna. Nun ist es vollbracht, und du bist stark, so stark, dass ich auch nur für dich alleine erscheinen kann, wenn du mich brauchst oder ich erkenne, dass du meinen körperlichen Beistand brauchst. Ich kann nur für dich sicht- und hörbar sein wie jetzt oder für andere, denen du meine Macht zeigen willst. Doch gebiete ich dir, deinen Namen noch nicht denen zu verraten, die nicht unmittelbar unter deinem Willen stehen. Für die anderen sei Luna Dorada, jene, in derem Leib du geboren wurdest! Erst wenn die Nacht kommt, wo ich dir erlaube, deinen wahren Namen zu enthüllen, darfst du ihn denen mitteilen, die nicht von deinem Blut erschaffen wurden. Gebiete dies auch all den Töchtern, die du dir schaffen mögest, um mit ihnen die Gilde der Streiterinnen des Nachthimmels zu bilden, jener Gilde, die Night Swallow und Luna Dorada gründen wollten, um in der nichtmagischen Welt Augen, Ohren und Hände zu haben, die in meinem Sinne wirken. Tritt das Erbe deiner Seelenmütter an und gründe diese Gilde! Lebe und wirke in meinem Namen mit allen Kräften, die du nun hast, Halanocturna!" Mit diesen Worten verschwand die blutrot leuchtende Erscheinung der Göttin. Halanocturna war wieder alleine für sich und empfand die Erinnerungen jener, die früher Luna Dorada hieß und jener, die als Sally Fields geboren worden war und später als Night Swallow wiedergeboren wurde. Es war für sie so, als habe sie diese Erinnerungen in hunderten von Träumen erworben und könne sie endlich zu einem einzigen Schatz ihres Geistes zusammentragen. Ja, da war auch die Idee, eine besondere Gilde aus Nachttöchtern zu gründen, die in der Menschenwelt wichtige Aufgaben erfüllten. Der Plan Nachthimmel, den Night Swallow ausführen wollte, war gescheitert. Doch die Idee blieb wichtig und sollte erneut verwirklicht werden, nur nicht so, dass jene verfemten Zauberstabschwinger des verhassten Marie-Laveau-Institutes davon erfuhren, ehe es für sie zu spät wurde. Ja, sie wollte möglichst bald damit beginnen, jene zu rekrutieren, die Sally Fields alias Night Swallow für besonders brauchbar befunden hatte. Halanocturna, die jüngste und zugleich stärkste Tochter der Nacht, würde ihrer Göttin und sich selbst alle Ehre machen.

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Millemerveilles, 25.04.2006

Julius hatte mit seiner Frau ganz intim in ihren vierundzwanzigsten Geburtstag hineingefeiert. Béatrice schien davon nicht ganz so begeistert zu sein, obwohl ja beide die Schnarchfängervorhänge vor ihr Himmelbett gezogen hatten. Julius vermutete sehr, dass sie jetzt, wo Félix ein Jahr alt war, wieder daran dachte, dass sie ja nur eine art Notlösung gewesen war, um Ashtarias Forderung erfüllen zu können. Laut sagte er das natürlich nicht. Doch er bekam schon mit, dass sich Béatrice wieder mehr um ihn bemühte, nicht als Heilerin. Er hatte ja für sich beschlossen, dass es irgendwie möglich sein musste, beide Hexen gleichgut zu lieben. Doch wenn zur Liebe auch der Beischlaf gehörte gelang das im Moment nicht. Sollte er deshalb ein schlechtes Gewissen gegenüber Béatrice haben, weil er eben seit den wilden Nächten im Sommer 2004 nichts dergleichen mehr mit ihr angefangen hatte. Er würde sich auch hüten, Millie darauf hinzuweisen, dass Béatrice sich in der Hinsicht vernachlässigt oder besser bei Seite gestellt fühlte. Doch würde das Ziel, den Ehefrieden zu bewahren, noch zu halten sein, wenn er, Julius, das nicht irgendwann klärte? Hinzukam, dass er auch immer wieder daran dachte, mit Béatrice zu schlafen, um diese wilden Nächte im Sonnenblumenschloss nicht als bloße Erinnerung im Kopf zu haben. Dann dachte er daran, dass es wesentlich schwerer für die beiden erwachsenen Hexen in seinem Leben wäre, wenn da nicht sechs Kinder wären, die alle beaufsichtigt, angeleitet und bespaßt werden wollten. Wären sie nur zu dritt im Apfelhaus gäbe es doch irgendwann heftig Zoff, dachte Julius.

Heute war nicht nur Millies Geburtstag, sondern auch der Tag, an dem das Zaubereiministerium wieder nach Paris zurückkehren würde. Seit zwei Tagen stand ein Teilzeitarbeitsvertrag mit allen erwachsenen Veelastämmigen Frankreichs, die Patrouille Silberrose zu bilden. Je fünf Veelas für vier Stunden, verteilt auf drei Schichten, hielten sich an fünf strategischen Stellen im Zaubereiministerium auf, um mit ihrer bloßen Ausstrahlung jeden Übergriff Ladonnas oder anderer gegen Veelazauber empfindliche Wesen zu vereiteln. Heute, am 25. April 2006, stand die genaue Einteilung und Standortbelegung fest. Erst einmal galten die Verträge ein Jahr lang. Falls es bis dahin gelang, Ladonnas Machtmittel endgültig unschädlich zu machen und ihr die Unterstützung zu entziehen konnte man darüber nachdenken, ob sie in anderer Anstellung weiterarbeiten durften, falls sie das wollten. Außerdem hatte Julius von den Sonnenkindern etwas erhalten, was die möglichen Konflikte zwischen Computern und Magie verhindern konnte, das Wissen um besondere Folien, die über die Gehäuse, Tastaturen, Mäuse und Monitore gezogen werden konten, die mit ähnlichen Zaubern wie dem Kraftkerker belegt waren. Damit konnten alle Rechner, sofern sie da gerade ausgeschaltet waren, fit für weiterführende Schutzzauber gemacht werden. So wwar es möglich, die Rechnerzentrale mit annähernd gleichwertigen Schutzbannen zu umgeben, wie sie das Ministerium und Beauxbatons umgaben.

"So ist es mir als amtierende Zaubereiministerin unserer großen Nation Frankreich eine Verpflichtung, aber vor allem eine große Ehre, mich im Namen aller meiner für uns alle tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern Millemerveilles für Ihre Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft, Geduld und Beharrlichkeit zu bedanken, dass Sie alle es einen vollen Monat und fünf Tage mit uns Beamtenköpfen ausgehalten haben", sprach die Ministerin vor allen Beamten und hundert angesehenen Bewohnern Millemerveilles. Nicht wenige lachten über den letzten Satz. "Einmal mehr wurde Millemerveilles zum sicheren Hafen für eine friedliche, freie und ihren Mitgeschöpfen in Anerkennung und Achtung verbundene Zaubererwelt. Dafür meinen aller herzlichsten Dank!" Sämtliche Anwesende klatschten laut Beifall.

Nun trat Eleonore Delamontagne vor und sprach: "Im Namen aller meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger bedanke ich mich bei Ihnen, Mademoiselle Ventvit, für diese Anerkennung und Wertschätzung unserer Gemeinde und ihrer für ein friedliches Miteinander eintretenden Menschen. Wir freuen uns, die latente Gefahr, die uns von einer ähnlich düsteren Hexenmeisterin wie einst Sardonia drohte, von Ihnen abwenden geholfen zu haben. Wir in Millemerveilles wissen, wie es sich unter der unmenschlichen Führung einer auf Macht und Einfluss versessenen Hexe leben und leiden zu müssen. Morgen ist es genau drei Jahre her, wo wir, die jetzt lebenden Generationen in Millemerveilles, erfahren mussten, dass Sardonias dunkles Erbe nicht aus der Welt war. Wir mussten lernen, dass wir uns zu lange unter einem fragwürdigen Schild aus unendlichem Leid und Gnadenlosigkeit versteckt haben und dieser schützende Schild zum finsteren Kerker für tausende redliche Menschen wurde. In dieser schweren Zeit haben Sie vom Zaubereiministerium Frankreich mit tatkräftiger Unterstützung aller außerhalb von Millemerveilles lebenden Hexen und Zauberer dafür gesorgt, dass wir nicht verhungern mussten, nicht an Schwermut, Abgeschiedenheit oder gar Schuld- und Wutgefühlen leiden mussten. Sie haben uns damals geholfen. So war und ist das, was wir in Millemerveilles für Sie getan haben und weiterhin zu tun bereit sind ein kleiner bescheidener Teil jener Dankesschuld, die wir Ihnen zurückzahlen konnten. Dies erfüllt uns mit Freude und mit Stolz. Auch nährt es die Hoffnung, dass wir auch weiterhin so verlässlich und treu zueinander stehen und füreinander einstehen werden. So sage ich: Gern geschehen, Mademoiselle la Ministre Ventvit." Wieder klatschten alle Beifall.

Millie, die wie Béatrice zu den hundert interessierten Bürgerinnen und Bürgern gehörte flüsterte ihrem Mann zu: "Die langen Reden kann ich echt auf zwei Sätze pro Rednerin zusammenstreichen. Spart Zeitungspapier."

Nach dem gemeinsam im Gemeindehaus eingenommenen Mittagessen war der große Umzug, zurück in das eigentliche Ministeriumsgebäude. Zuerst rückte die Sicherheitstruppe ab. Dann kamen die Zentralverwaltungsbeamten, um ja auch alles wieder zum laufen zu bringen. Dann rückten die Abteilungen der Rangstufe nach von unten bis oben ab. Klar, die Chefinnen und Chefs wollten am Ende nur noch prüfen, ob alles wieder am Platz war und jeder seine oder ihre Arbeit machen konnte.

Julius sicherte mit Primula Arno, dass alle Rechner anständig heruntergefahren waren und sorgfältig verpackt waren. Den Geräten war kaum anzusehen, dass Julius und Florymont ihnen die neuen Spezialfolien aus Silber übergezogen hatten. Die Folien waren mit Rostschutzlackierung imprägniert, die sie für hundert Jahre gegen Einlaufen absichern mochten. Allerdings ging Julius davon aus, dass die damit gesicherten Rechner vielleicht gerade mal zehn Jahre benutzt werden konnten.

Millie trat in ihrer Funktion als örtliche Berichterstatterin auf und fragte Julius, inwieweit die elektronischen Geräte für die magische Welt nützlich waren. Er erwiderte, dass die magische Welt ihre Geheimnisse nur wahren konnte, wenn sie auch erfuhr, was in der nichtmagischen Welt vorging und auf alle Anzeichen enthüllter Zauberei reagieren konnte, da sich eine im Internet abgesetzte Nachricht innerhalb von Sekunden vieltausendfach vermehren und weltweit verbreiten konnte. Er erwähnte, dass sie bei Bedrohungen, wie sie in den letzten Jahren immer wieder aufkamen, nicht ausschließen durften, dass davon auch die Nichtmagische Welt betroffen sein mochte und erinnerte an den Fall der radikalen Werwölfe von Lykotopia, die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder und den selbsternannten Erben Tom Riddles. "So wie es gerade aussieht müssen wir auch auf der Hut vor dunklen Hexenschwesternschaften sein, die Sardonias Erbschaft antreten und übertreffen wollen. Der Grund, warum wir hierhinzogen und der in Ihrer Zeitung und dem Miroir Magique immer wieder kritisch hinterfragt wurde besteht darin, dass es in Italien jene dunkle Hexe namens Ladonna Montefiori gibt, die sich als Erzrivalin Sardonias darauf festgelegt hat, Sardonias Macht zu übertreffen und nicht nur ihre Heimat, sondern die ganze Welt nach ihrem Willen handeln zu lassen. Sicher, sie begründet ihr Vorgehen damit, dass wir in der Zaubererwelt uns von den Menschen ohne Magie zu viel haben gefallen lassen und denen dabei zusehen, wie sie unser aller Welt in Gefahr bringen, unbewohnbar zu werden. Doch durch Zwang, Messieursdames, ist bisher nur Elend und Zerstörung geschaffen worden, nichts anderes. Weil nicht nur wir in Frankreich das eingesehen haben legen wir Wert darauf, auch die Entwicklung in der Nichtmagischen Welt zu verfolgen. Deshalb brauchen wir auch die dort üblichen und immer mehr Raum einnehmenden Informationsverarbeitungsgeräte, um diese Entwicklung mitverfolgen zu können. Neben dem Schutz, den Millemerveilles uns aus dem Ministerium bot hatte dieser eine Monat hier noch einen Vorteil: Wir von der Abteilung für elektronische Nachrichtenüberwachung und zaubereigesetzkonforme Korrektur, können ab heute ausschließlich mit reiner Sonnenenergie als Energieversorgung für die Rechner und Übermittlungsgeräte arbeiten. Hierfür danke ich als offizieller Leiter dieser Unterabteilung des Büros für friedliche Koexistenz insbesondere Monsieur Florymont Dusoleil, einem der kompetenten Thaumaturgen Millemerveilles'."

"Öhm, Monsieur Latierre, auf wie viele Worte soll ich das bitte zusammenstreichen?" fragte Millie ihren Mann, während Eleonore, die dieser spontanen Erwiderung zugehört hatte höchst beeindruckt lächelte. "Schreibe: Die Computersachen helfen beim Bewahren der Zaubereigeheimhaltung und laufen Dank Monsieur Florymont Dusoleil aus Millemerveilles ausschließlich mit der Kraft der Sonne und somit ohne Öl, Kohle oder Erdgas verbrennen zu müssen", erwiderte Julius. Alle seine Mitarbeiter lachten erheitert, auch Eleonore Delamontagne.

"Ich kläre das mit meinem Chef oder besser Boss, ob er die Vollversion oder eine mit zwanzig Dosen Abspeck Zwo verschlankte Version haben möchte."

"Bezieht sich das auch auf das, was die Ministerin und ich einander gesagt haben, Madame Latierre?" fragte Eleonore sehr ernst dreinschauend. Millie ließ sich davon nicht einschüchtern und erwiderte: "Die Frage muss ich dann meinem Chef in Viento del Sol stellen, weil ich gerade nur von der Antwort Monsieur Latierres ausgegangen bin, Madame Delamontagne." Das brachte wieder alle zum lachen, und auch Eleonore Delamontagne musste lächeln. Julius legte dem noch nach: "Außerdem gibt es ja etliche Patienten, die keinen Abspecktrank Nummer zwei vertragen können." Eleonore sah ihn kurz an. Er machte ein Bin-doch-ganz-lieb-Gesicht, wie er es von Aurore und Chrysope wiedererlernt hatte. Dem konnte Eleonore nichts entgegensetzen, da sie auch wusste, was sie Julius und der Familie Latierre aus dem Apfelhaus zu verdanken hatte.

Da Julius ja noch mit Millie und den Freunden und Verwandten Millies Geburtstag feiern wollte beeilte er sich mit Primula und den anderen, die Rechner in dem neuen, mit Schutzzaubern umfriedeten und mit magischen Solarzellen gepflasterten Gebäude anzuschließen und so zu verkabeln, dass sie untereinander und mit Druckern, Scannern und Routern in Verbindung standen. Dann fuhr er sämtliche Geräte hoch und las vom Stromverbrauchsanzeiger ab, wie viel Energie dafür schon aus den Solarzellen gezogen wurde. Erleichtert stellte er fest, dass die Umwandler nur zu 40 Prozent ausgelastet waren. So konnte er noch die Peripheriegeräte und die drei Satellitenrouter in Betrieb nehmen. Die noch verbleibende Reserve sollte in die umschaltbaren Akkus fließen, von denen es seit ihrem Umzug nach Millemerveilles noch zwei Pakete mehr gab. Um 16:30 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit meldete er alle Geräte Betriebsklar und begrüßte die zweite Schicht, die an diesen Geräten Arbeiten sollten. Julius ging davon aus, dass sie ab diesem Sommer weitere Interessenten für die Arbeit an den Rechnern finden mochten. Er hoffte aber auch, dass sie dann nicht die einzige noch freie Zaubereiadministration sein würden. Zwar wusste er von den Griechen, dass diese Ladonnas Vorstöße abgewehrt hatten und ihr irgendwie klargemacht hatten, dass sie bei denen keinen Fuß auf den Boden bekommen würde. Doch da waren immer noch die Nord- und Südamerikaner. Gut, Nordamerika war wegen des Verwaltungssitzes in VDS sehr unwahrscheinlich, aber leider nicht unmöglich. Wenn Spanien schon Ladonnas Hoheitsgebiet war war der Sprung über den Südatlantik kein Akt mehr. Das hatte er auch dem Laveau-Institut geschrieben.

Als er aus Paris wieder nach Millemerveilles apparierte begrüßte ihn Millie mit strahlendem Gesicht. "Julius, vor einer halben Stunde hat Vivianes Bild gemeldet, dass um zehn Uhr Ostküstenzeit eine kleine Hexe namens Rubia Eileithyia Merryweather auf die Welt gekommen ist. Sie meinte auch, dass deine Mutter uns erst in drei Stunden die ganzen Daten schickt, falls Eileithyia Greensporn das nicht über die Heilerverbindung mit Antoinette erledigt. Immerhin hat Martha ihr die Erlaubnis dazu gegeben."

"Dann war es für Mum doch gut, dass sie wieder ins HPK gegangen ist, obwohl Chloe Palmer ihr zugesichert hat, dass sie auch in VDS niederkommen kann."

"Offenbar schon", sagte Millie. Julius strahlte jetzt auch. Sicher würde er morgen schon ein Foto des kleinen Mädchens zu sehen bekommen, das seine Halbschwester Nummer drei war. Hoffentlich würde seine Mutter nicht so heftig reagieren wie bei den drei ersten Kindern von Lucky Merryweather.

Julius erwähnte die Geburt seiner dritten Halbschwester vor den angereisten Verwandten und Freunden, zu denen auch die Montferre-Zwillinge Sabine und Sandra, sowie Sandrine Dumas, Robert und Céline Dornier und Belisama Lagrange gehörten. Von den Verwandten waren die Bewohner des Sonnenblumenschlosses, die Latierres aus Paris und vom Bauernhof Valle des Vaches und die Brickstons zusammen mit Laurentine Hellersdorf und Louiselle Beaumont, Laurentines neuer Mitbewohnerin dazugekommen, der nun alle ansehen konnten, dass sie selbst gerade neues Leben trug. Da sie kein Mitleid wegen des bereits toten Vaters haben wollte sagte sie vor allen, dass sie froh sei, dass ihr Kind, nach neuester Untersuchung eine Tochter, mit ihr zusammen in einer freundlichen Umgebung mit vielen wohlwollenden Leuten aufwachsen durfte und hoffte, dass das so blieb.

Wegen Louiselle war auch Hera Matine da, die ihr als erwählte Hebamme beistehen würde, wenn die neue kleine Hexe im Juni oder Juli ankommen würde. Keiner hier sprach über Ladonna Montefiori und ihren Machthunger. Sie sprachen über die Familien und sofern es keine Geheimnisse betraf auch über die Arbeit. Louiselle interessierte sich für die Lösung des Konfliktes zwischen Elektronik und Magie. Julius erwähnte nur das, was er mit Millie, Florymont und den Sonnenkindern auf Ashtaraiondroi abgesprochen hatte. Die Silberfolien konnten durch ein neues Verfahren, einen magischen Puffer zu machen, jede Fremdeinstrahlung abschirmen, wenn sie mehr als neunzig Prozent der zu schützenden Elektronik ohne Zwischenraum bedeckten.

"Also sind es im Grunde Aluminiumfolien, nur aus Silber?" fragte Louiselle. "Ja, und das Silber muss wie bei Waffen gegen Werwölfe in Mondsteinöfen geschmolzen werden", erwiderte Julius. "Aber wie weit eine Großfertigung vorgesehen ist hängt davon ab, wie viele Rechner in der Zaubererwelt akzeptiert und benutzt werden."

"Laurentine könnte sowas auch gut gebrauchen, denke ich. Aber falls dem so ist wird sie das sicher beantragen."

"Da bin ich sicher", sagte Julius. Er stellte sich vor, dass auch Mobiltelefone in einer Umgebung mit wesentlich höherer Magiedichte pro Kubikmeter ebenso brauchbar sein konnten, wenn sie mit der entsprechenden Folie überzogen wurden. Allerdings musste hier die Spezialversion benutzt werden, die so dünn war, dass ein menschliches Haupthaar doppelt so dick war und die auch durchsichtig wie Glas gezaubert werden konnte. Doch davon sprach er nicht mehr.

Millie holte unter dem Jubel und dem anfeuernden Klatschen der Gäste die Geschenke aus der Geburtstagstruhe hervor. Von Julius bekam sie ein neues, apfelgrünes Ballkleid und eine Vorrichtung, die gesprochene Worte speichern und über eine abenteuerliche Drahtkonstruktion mit einer flotten Feder verbunden in geschriebenen Text umwandeln konnte. "Wurde Zeit, dass du rasende Reporterin auch mal was bekommst, womit du schnell was aufnehmen und später abschreiben kannst", sagte Julius. "Oh, das hätte ich heute mittag bei euren Dankesreden für einen Monat in Millemerveilles gebrauchen können", grinste Millie. Alle anderen lachten. "Aber heute war das noch eine gute Schnellschreib- und Stenographierübung für mich."

"Ach, kannst du mittlerweile Steno?" fragte Laurentine. Millie bejahte es und verwies darauf, dass ihr Chef in Viento del Sol darauf bestanden hatte, dass "seine Reporter und Reporterinnen" möglichst schnell aber trotzdem umfassend mitschreiben konnten. "Meine Tante Maren hat das auch gelernt und damit ihre Kollegin geärgert, weil sie noch eine eigene Kurzschrift dazuerfunden hat." Millie nickte. Sie hatte Laurentines Tante Maren aus Norddeutschland ja bei der Beerdigungsfeier für Laurentines Eltern kennengelernt. Deshalb wollte sie da nicht noch mehr zu sagen.

Der Höhepunkt der Feier war ein von Aurore mit Chrysope, Clarimonde, Roger und Brian eingeübtes Lied, das sie dreistimmig und erstaunlich tonrein vortrugen. Da Clarimonde noch nicht so viele Wörter konnte durfte sie auf dem Tamborin Aurores den Takt schlagen und somit das Tempo vorgeben.

Weil es hier in Millemerveilles so schön sonnig war nahmen sie alle das mehrgängige Abendessen, um das sich Béatrice und Camille gekümmert hatten im freien ein. Danach gab es eine Stunde lang Musik und Tanz. Dann waren die größeren Kinder so müde, dass sie fast im stehen einschliefen und nicht einmal quengelten.

Gegen elf Uhr verabschiedeten sich alle voneinander. Dann waren Millie, Béatrice und Julius alleine im Apfelhaus.

"Schon traurig, dass Louiselles Kind ohne Vater aufwachsen muss", meinte Millie. "Aber sie freut sich drauf, es zu kriegen."

"Ja, weil es das einzige ist, was noch was von ihm geerbt hatt, Millie", sagte Julius.

"Was ich euch heute noch nicht erzählt habe, Monju, ist, dass ich von Madame Belle Grandchapeau eingeladen wurde, sie und die übrige französische Abordnung der internationalen Zaubererkonföderation nach Genf zu begleiten. Ich soll es mir bis zum fünften Mai überlegen, weil die Reise zwei Wochen dauert und sicher ein ziemlich langatmiger Debattiermarathon wird, auch und gerade wegen Ladonna Montefiori."

"Oha, Millie, genau die könnte meinen, dass diese Veranstaltung ganz gut geeignet ist, um einen feurigen Blumengruß hinzuschicken. Öhm, aber Belle ist ja mit dabei. Also, wenn du echt mal internationale Debattierclubluft schnuppern willst, ohne irgendwelche Feuerrosen, dann passe ich solange auf unsere sechs kleinen Apfelbutzen auf."

"Du bist auch so'n Apfelbutzen, Julius Latierre", knurrte Millie, musste dabei aber lächeln. "Aber ich überlege mir das noch. Ich denke mal, Belle hat mich nicht nur wegen meiner guten Kolumnen und Interviews eingeladen." Dieser Satz ließ bei Julius ein paar Zahnräder einrasten. Da der stille Dienst immer noch und jetzt erst recht bestand kannten alle, die dabei waren die besonderen Qualifikationen der anderen Mitglieder. Das einzige was dort nie erwähnt wurde war Millies besonderes Kleid, das sie von der thaumaturgischen Schneiderin Kailishaia persönlich erhalten hatte. Doch Millie hatte sieben Jahre Intensivkurs höherer Feuermagie in wenigen Realwochen absolviert. Außerdem konnten sie und Belle auch die vier mächtigen Zauber, die Julius von der Lichtmagierin Ianshira erlernt hatte. Vielleicht waren sie die Geheimwaffe gegen Ladonnas Feuerrose. Doch davon sollte erst mal niemand was wissen, hatten sie vom Stillen Dienst einstimmig beschlossen.

Kurz vor dem Schlafengehen vibrierte Julius Orichalkarmband, dass er zwischen Geschenkeauspacken und Abendessen heimlich unter seinen Hemdsärmel angelegt hatte. Er berührte den Kontaktstein. Vor ihm, Millie und Béatrice erschien das räumliche Abbild seiner Mutter, die wie eine Muttergöttin lächend ein kleines Kind in den Armen wiegte, ein kleines, hellblondes Mädchen mit noch von einer ganz großen Anstrengung runzeligen roten Haut.

"Hallo, Millie, Béatrice und vor allem Julius. Ich hoffe, Viviane hat euch erzählt, dass ich heute wieder sieben Stunden Höchstleistung hinter mir habe. Aber dafür ist sie endlich da und kann mir nicht mehr so leicht in den Bauch treten und boxen", grüßte Martha Merryweather die Anwesenden. "Ich wollte auch die Gelegenheit nutzen, dir, Millie, alles gute zum Geburtstag zu wünschen, bevor der Tag bei euch schon wieder um ist."

"Sieben Stunden?" fragte Julius. "O ja, sieben Stunden. Und sie hier, Rubia Eileithyia Merryweather, wiegt anderthalbmal so viel wie ihre große Schwester Linda Estrella. Ich hätte vielleicht doch wieder dieses blaue Dehnungszeugs zulassen sollen. Aber ich wollte es wissen, ob es auch ohne geht."

"Die sieht richtig propper aus, ein richtiger Wonneproppen", meinte Julius. Béatrice sagte: "Ja, und sie hat auch schon viele Haare auf dem Kopf. Hat sie schon Kindspech abgesetzt?"

"Eher Gold als Pech. Deine Kollegin Eileithyia Greensporn hat gemeint, dass sie die erste Neugeborene seit zwanzig Jahren ist, die wohl blondes Körperhaar gehabt haben muss. Aber so hat sie es in mir wohl noch gut ausgehalten, weil sie wirklich sieben Stunden gebraucht hat. So muss sich einer fühlen, der an einem Tag einen Achttausender besteigt. Zwischendurch ist mir doch mal die Luft weggeblieben. Eileithyia wollte mir schon eine Kopfblase mit hhöherem Sauerstoffanteil anlegen. Doch dann fiel mir ein, dass die ganzen Damen bei euch in Millemerveilles und deine Mutter, Béatrice, sogar vier auf einen Wurf zur Welt gebracht haben. Das hat mich wieder durchatmen lassen. Aber die kleine kam ohne Sauerstoffmangelerscheinungen auf die Weltt", sagte die stolze junge Mutter.

"Dann grüße deine Hebamme bitte von uns und frage sie, wann wir mal vorbeikommen dürfen", sagte Julius. Millie nickte.

"Nein, Julius, das mach bitte nicht. Gestern hat mir Sheena O'hoolihan erzählt, dass wegen der gerade laufenden Konferenz spanischsprachiger Zaubereiminister in Peru mit dem spanischen Zaubereiminister Pataleón erst mal der Fall Wetterleuchten ausgerufen ist, also dass das LI sich auf eine Gefahrenlage einrichtet, die noch nicht akut, aber möglich ist. . Falls die, über die wir sonst nicht weiter reden müssen, diese Gelegenheit ausnutzt könnte es auch bei uns nach unschönen Rosen duften, sagt Sheena. Deshalb werde ich erst dann Besuch aus Übersee einladen, wenn wir sicher sind, dass Bullhorns Achtzehn weiterhin unbehelligt bleibt, auch wenn Viento del Sol jetzt ABC-sicher ist. Als ich das Eileithyia in den längeren Zwischenphasen erzählt habe meinte sie, dass sie und die Heilerzunft schon länger darauf eingerichtet seien, auch solche Blumengrüße aus Italien zu bekommen. Wie genau wollte oder durfte sie mir nicht sagen. Sie meinte nur, dass sie nach Vita Magica nicht noch eine unmenschliche Bevormundung hinnehmen würden, also wohl die Heilerinnen und Heiler."

"Antoinette meint, dass sie zuversichtlich ist, dass wir uns in Frankreich auch gegen diese Verbrecherin absichern können. Sie will eine spontane Heilerkonferenz einberufen, um uns auf diese Bedrohung einzustimmen. Wann das ist hat sie natürlich noch nicht verraten. Ich gehe davon aus, dass es im Château Florissant sein wird, weil da ja auch der Sanctuafugium-Zauber wirkt wie bei uns im Château Tournesol", erwähnte Béatrice.

"Am Ende verlegt die noch die ganze Klinik dahin", meinte Martha. "Wäre zumindest ein logischer Schritt."

"Nicht ganz, Martha. Du vergisst, dass viele Patienten Opfer dunkler Dauerflüche sind. Nicht alle Flüche werden durch Sanctuafugium-Zauber unschädlich abgeschwächt. Es gibt auch welche, die ihre Opfer so sehr von sich abhängig machen, dass sie sterben, sobald der böse Zauber aus ihnen ausgetrieben wird, je schneller desto wahrscheinlicher. Töten dürfen wir Heilerinnen und Heiler niemanden." Julius Mutter nickte und entschuldigte sich für ihre Kurzsichtigkeit.

"Mum, du hast heute ein Kind geboren und dich heftigst dabei abgemüht. Da darf dein Gehirn ruhig mal ein paar Gänge runterschalten", sagte Julius. Seine Mutter glubschte ihn an und knurrte: "Nett, Herr Sohn. Aber leider hast du recht. Ich bin wirklich ziemlich müde im Kopf, obwohl ich schon fünf Stunden geschlafen habe, bis sie hier was brauchte. Aber jetzt werde ich hoffentlich was essen können und dann die Kleine hier neben mir durch ihre erste Nacht im Freien behüten." Millie, Béatrice und Julius wünschten Mutter und Kind alles gute für die kommenden Jahre. Dann verschwand Marthas räumliches Abbild wieder.

"Dann haben wir das auch erfahren", sagte Julius. Béatrice sagte dann noch: "Aber schon alarmierend, dass sie keinen Besuch haben will. Ich meine von hier bis VDS fliegt oder fahrt ihr von einem Schutzbereich in einen anderen. Öhm, was heißt ABC-sicher?" Julius erklärte es ihr. "Dann wollen wir hoffen, dass Viento del Sol auch sonst sicher ist", sagte seine Schwiegertante. Er hoffte es ebenso.

Um von den leicht eingetrübten Gedanken runterzukommen machten die drei noch eine viertelstunde lang Musik im dauerklangkerkerbezauberten Musikzimmer. Dann war es wirklich Zeit zum Schlafengehen.

Müde vom langen und anstrengenden Tag und weil sie ja schon in den Tag "hineingefeiert" hatten, schliefen Millie und Julius wenige Minuten nach dem Zubettgehen tief und fest. Die nächsten Tage konnten wieder anstrengend werden.

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h2>Im großen Panoramakonferenzsaal des Peruanischen Zaubereiministeriums, 25.04.2006

Pataleón hätte vor einem Monat noch vehement abgelehnt, dass eine brasilianische Delegation zum großen Treffen dazukam. Doch um gute Miene zum unbequemen Spiel zu machen hatte er das Ansinnen von allen spanischsprachigen Nachbarländern Brasiliens gebilligt. Jetzt, wo er im Dienste der mächtigen Königin aller Hexen und Zauberer handelte, begrüßte er es sogar, dass eine sechsköpfige Delegation aus der ehemaligen Paradekolonie Portugals als Gast des diesjährigen Gastgebers dabei war. Doch um keinen Verdacht zu erwecken musste er diese Begeisterung verbergen. Die Königin würde mit ihm zufrieden sein.

Er sah es ihnen immer wieder an, dass sie nicht damit zufrieden waren, alle drei Jahre diese Konferenz abhalten zu müssen, jedesmal an einem anderen Ort der spanischsprachigen Welt. Diesmal trafen Pataleón und die Zaubereiminister der südamerikanischen Staaten in Peruanischen Zaubereiministerium zusammen. Jedes hier vertretene Zaubereiministerium durfte neben dem amtierenden Minister fünf für internationale Belange wichtige Abteilungsleiterinnen und -leiter mitbringen. Deshalb waren von Spanien aus neben Rodrigo Pataleón sein Sicherheitschef Torrealta, sein Finanzabteilungsleiter Rioplata, der Leiter für internationale magische Zusammenarbeit Casaroja, sein Vertreter für die internationale Zaubererweltkonföderation Camporico und sein Untersekretär, der auch schon beim Treffen mit dem portugiesischen Kollegen dabei war mit auf die Reise gegangen. Ihre jeweiligenStellvertreter hielten das heimische Zaubereiministerium in Gang, was nun keine Schwierigkeit mehr darstellte, dachte der spanische Zaubereiminister zuversichtlich.

Pataleón roch die Heuchelei, noch ehe Perus kleiner, runder Zaubereiminister Alberto Lorenzo Costacalma ihn mit schon überschwenglich lobenden Worten begrüßte. Er tat jedoch so, als schmeichele ihm das Lob. Innerlich musste er sogar grinsen. Denn wenn diese Konferenz in fünf Tagen endete unterstanden bis auf Französisch-Guyana alle Südamerikaner wieder ihm, besser seiner Königin.

Zuerst sollte es um die Tagesordnung und die Verteilung der zu erörternden Themen gehen. Da ging es schon mal los, dass viele Teilnehmer Bedenken wegen der drei aus Mexiko anwesenden Zauberer aus dem Föderationsrat hatten. "Bevor wir nicht klarhaben, wie sich Mexiko zu uns verhält und wie wir mit den Mexikanern wegen ihrer heimlichen Aufkündigung der Gemeinschaft umgehen beantrage ich eine abschließende Abstimmung über die Tagesordnung, wenn wir das geklärt haben", sprach Argentiniens Zaubereiminister Paulino Moreno dem peruanischen Gastgeber zugewandt. Dieser bat um Handzeichen, ob auch andere diese Vorgehensweise wünschten. Bis auf Spanien und Mexiko stimmten alle dafür, erst einmal Mexikos Standpunkte und Rangstellung in dieser Gemeinschaft zu besprechen und den Rest der Tagesordnung danach festzulegen. Hier war keine Einstimmigkeit nötig, da es nur um eine protokollarische Angelegenheit ging und nicht um wirklich staatstragende Entscheidungen.

Die Konferenz heizte sich nun auf, als es darum ging, dass Mexiko nur drei Vertreter des Föderationsrates geschickt hatte und nicht den bis zum Januar 2006 amtierenden Zaubereiminister mit den fünf wichtigsten Behördenleitern. Dies, so warfen Spanien, Guatemala und Costa Rica ein, sei bereits ein Verstoß gegen die seit zweihundert Jahren geltende Vereinbarung, keine Einzelverträge mit den USA und / oder Kanada zu schließen, um die Interessen südamerikanischer Zaubererweltadministrationen zu wahren. Immerhin hätte gerade Mexiko auf diese Übereinkunft bestanden, weil die nichtmagische Regierung all zu deutlich gezeigt habe, wie unterlegen sie sich den aufstrebenden USA fühlte und auch der Verlust Kaliforniens und Teile von Texas an die USA gezeigt hätten, wie "rücksichtslos" die sogenannten Gringos vorgingen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Pataleón grinste hinter vorgehaltener Hand, als Costa Rica und Guatemala, sowie die spanischsprachigen Karibikinseln eine allgemeine Abstimmung forderten, ob Mexikos Vertrag mit der Föderation überhaupt zulässig sei und ob dieser Vertrag nicht doch noch ein Überbleibsel der von Buggles "ergaunerten" Zusammenarbeit unter der heimlichen Kontrolle Vita Magicas sei. Allerdings lehnten Argentinien, Kolumbien, Peru und Chile diese Abstimmung ab, womit das geltende Prinzip der Einstimmigkeit bei weitreichenden Entscheidungsprozessen nicht mehr möglich war. Vientofresco stellte deshalb klar, dass sein Land sich nicht mehr an die Übereinkunft der Union spanischsprachiger Zaubereiministerien gebunden fühlte, da es in Mexiko seit dem ersten Januar 2006 ja auch kein Zaubereiministerium alter Prägung mehr gebe. "Ich bin nur deshalb mit meinen beiden Kollegen dazugekommen, um zum einen unsere Gründe für den Beitritt zur Föderation zu erläutern und zum anderen unseren Abschied von dieser Konferenz zu verkünden. Mehr möchten wir nicht und mehr ist uns laut der neuen Rechtslage auch nicht mehr gestattet."

Ab da ging es solange um die Verlässlichkeit einzelner Mitglieder, bis Perus Zaubereiminister von seinem Hausrecht Gebrauch machte und die sich wie ein wilder Wirbelsturm im Kreis drehende Debatte beendete. Der brasilianische Zaubereiminister Vicente da gama, ein spindeldürrer, gerade mal 1,50 m großer Zauberer mit pechschwarzem Haar und Schnurrbart, dessen Ururgroßvater wohl als afrikanischer Sklave nach Brasilien verschleppt worden war, hörte den Disput nur ruhig an. Sein Land genoss nur Anhörungs- und Gastrederecht.

"Für das Protokoll, wir nehmen zur Kenntnis, dass Mexiko sich nun vollständig zu einem rein nordamerikanischen und nicht mehr rein spanischsprachigen Land erklärt hat und dass es gemäß der Gleichstellungsübereinkunft schon deshalb nicht mehr zu dieser Konferenz gehört, da es zum einen kein eigenständiges Zaubereiministerium mehr besitzt und zum anderen in Abwägung mit den Interessen der neuen nordamerikanischen Partner handelt, also nicht eigenständig entscheiden darf." Vientofresco blickte Costacalma erst verstimmt an, weil der ihm die Eigenständigkeit abgesprochen hatte. Doch dann grinste er überlegen und sah Pataleón an. "Jedenfalls vertrete ich mit meinen Kollegen nun die für unser Land maßgeblichen Anliegen, ohne wie vor zweihundert Jahren noch üblich erst mal in Madrid um Erlaubnis bitten zu müssen, ob wir dieses oder jenes tun sollen. Abgesehen davon macht ihr aus Peru, Chile und Argentinien ja nichts anderes, indem ihr euch zu einem Gegenstück unserer Föderation zusammenschließen wollt, sofern ihr nicht weitere Mitglieder aufnehmen möchtet."

Pataleón musste sich sehr beherrschen, nicht erbost dreinzuschauen, dass Vientofresco es wagte, die anderen wieder gegen Spanien aufzuwiegeln, als wenn Peru, Argentinien und Chile das nicht schon taten. Doch er hielt sich zurück. Nur nicht auffallen hieß die Losung der Stunde. Er dachte jedoch daran, dass das Mitbringsel aus Italien viel früher enthüllt werden musste, um diesen mexikanischen Frechling mit in die große Gemeinschaft des Rosenfriedens hineinzuholen und bei der Gelegenheit ein Standbein in Nordamerika zu sichern, um bald beide amerikanischen Teilkontinente unter der Führung der einzig wahren Königin zu vereinen.

Es wurde noch beraten, ob die für heute anstehenden Tagesordnungspunkte noch in Anwesenheit Mexikos besprochen und beschlossen werden sollten. Pataleón stimmte dafür. Doch alle anderen Zaubereiminister stimmten dagegen. Schließlich ginge es ja um gemeinsame Interessen, die "möglicherweise" nicht immer mit denen der USA vereinbar waren. Also wurde darüber abgestimmt, ob die mexikanischen Vertreter den Konferenzort verlassen sollten. Bis auf Pataleón votierten alle Stimmberechtigten für den sofortigen Ausschluss. Argentiniens Zaubereiminister brachte es auf den Punkt: "Ihr wolltet euch nur verabschieden. Dann tut das und fliegt wieder nach Hause!"

"Das ist ein Wort, werte Gemeinschaft", sagte Vientofresco. Er sah seine beiden Mitbürger an. Die nickten ihm zu.

"Meine Königin, die Mexikaner sollen die Konferenz jetzt schon verlassen. Was befehlt Ihr?" sandte Pataleón einen Gedankenruf an seine neue, mächtige Herrin.

"Schulden eintreiben!" kam die Antwort. Vientofresco und seine Begleiter erhoben sich und sagten gerade, dass sie natürlich sofort gehen würden, wenn ihre Anwesenheit nicht mehr erwünscht sei. Da erhob sich auch Pataleóns Begleiter Rioplata und rief: "Augenblick, werte Gemeindemitglieder. Bevor sich die Señores aus Mexiko unverrichteter Dinge entfernen muss ich einen Punkt anbringen, den ich eigentlich erst zum Thema gegenseitiger Unterstützung mit Gold und Handelsgütern vorbringen wollte." Er sah Pataleón an. Der nickte. Alle anderen standen oder saßen erwartungsvoll lauschend. "Soweit ich notiert habe haben wir vor drei Jahren dem mexikanischen Zaubereiministerium ein großzügiges Darlehen gewährt, um genug Silber anzukaufen oder Silbervorkommen zu erschließen, da die Lykanthropen sich vor allem in Mexiko festgesetzt haben. Das Darlehen belief sich auf einhunderttausend altrömische Libra Gold, verrechnet in Goldbarren und in jedem der hier vertretenen Länder geförderter Edelsteine. Mexikos Zaubereiminister Piedraroja gelobte zusammen mit meinem damaligen Amtskollegen Camporico, dass dieses Darlehen in drei Trianni zurückbezahlt werden würde. Soweit ich von meinen Mitarbeitern erfuhr hat Mexiko nur ein Viertel zurückbezahlt. Wenn wir jetzt alle beschließen, dass Mexiko kein Mitglied unserer Gemeinschaft bleiben darf muss vorher klar geregelt werden, welche Verbindlichkeiten und Rücklagen Mexiko noch uns gegenüber hat. Denn wenn wir jetzt verkünden, dass nach Piedrarojas Rücktritt kein Zaubereiministerium mehr besteht, wer übernimmt dann die bestehenden Schulden beziehungsweise deren Rückzahlung? Oder wollt Ihr alle euer Gold nicht mehr wiederhaben?"

"Falls wir noch eine Viertelstunde bleiben dürfen möchten wir das gerne mit Ihnen allen klären", sagte Vientofresco und winkte seinen Begleitern, sich noch einmal hinter den Stühlen aufzustellen, auf denen sie gerade noch gesessen hatten. Alle hier versammelten nickten verdrossen. Nur Pataleón und seine Begleiter empfanden es als Erfolg, Mexikos Vertreter noch etwas länger im Raum zu behalten. Eigentlich wollten sie erst am Ende des Tages die mühevoll getragenen Masken fallen lassen. Doch wenn die hier alle die Mexikaner loswerden wollten ...

"Ich stimme Señor Rioplata zu, dass dieses Thema eigentlich erst bei der Besprechung der bestehenden Handels- und Finanzgrundlagen erwähnt werden sollte", sagte der Sprecher der mexikanischen Minidelegation. "Wir hätten natürlich auch eine schriftliche Verlautbarung übergeben können, inwieweit wir die noch bestehenden Schulden begleichen werden", fügte Vientofresco ganz entspannt dreinschauend hinzu, während seine Kameraden verhalten grinsten. "Aber natürlich können wir diese Angelegenheit gleich jetzt bereden. Ich gehe davon aus, dass Señor Rioplata weiterhin das Vertrauen der restlichen Ministergemeinde spanischsprachiger Länder genießt und die Unterlagen mitführt."

"Wir haben Abschriften davon", warf Costacalma ein. Sein kolumbianischer Kollege Paulino Moreno nickte. Rioplata sah in die Runde und erwähnte, dass er sämtliche Unterlagen zu dem Silberankaufkredit mitführte. Hierzu öffnete er die mit mehreren silbernen Schlössern verschlossene Aktentasche aus blauem Seeschlangenleder. Dann sagte er noch: "Gut, dass noch keiner die Tür geöffnet hat, sodass die gestaffelten Lausch- und Ausspähabwehrzauber noch vollständig sind. Ich hoffe auch, dass Minister Costacalmas Gäste aus Brasilien sich der Tragweite aller hier besprochenen Dinge bewusst verhalten und ihrerseits kein öffentliches Gerede darum entfachen." Zaubereiminister da Gama blickte den spanischen Handels- und Finanzüberwacher erst verstimmt an, musste dann aber nicken. "Für das Protokoll, ich erkenne die Vertraulichkeit dieser Konferenz und ihrer Beratungen an", sagte da Gama in klarem Spanisch, allerdings mit der Sprachmelodie seiner Heimat. Rioplata bestätigte das und sagte dann noch: "Denn Ihnen allen sollte es wichtig sein, dass keiner vertrauliche Angaben mitbekommt, der nicht dazu berechtigt ist. Bei der Gelegenheit: Haben die drei Herren Vientofresco, Puentealto und Selvaviva eigentlich auf den Stein der Eidestreue geschworen, nichts von dem weiterzugeben, was sie in diesem Kreis erfahren? Ich meine, können wir ihnen trauen, dass unsere Finanzsituation nicht schon in zwei Stunden den Goldhütern der neuen Föderation bekannt ist?""

"Natürlich haben die drei auf den Stein der Eidestreue geschworen, Señor Rioplata", versicherte der Sicherheitsvertraute des peruanischen Zaubereiministers. "Schließlich mussten sie ja beeiden, dass sie von unseren Besprechungen nur das weitergeben durften, was wir einstimmig zur Weitergabe beschließen wollten, auch wenn sich da schon abzeichnete, dass Mexiko uns den Rücken kehren würde. Also legen Sie Ihre Angaben vor, damit wir sie gegenprüfen können."

Rioplata klappte die blaue Aktentasche auf. Jeder hier kannte diese Art von Tasche, die inwändig noch in mehrere verschließbare Einzelfächer von nicht mehr als fünf Zentimetern Länge und vier Zentimetern Breite unterteilt war. Mit drei Fingern der linken Hand streichelte Rioplata eines dieser Fächer. Ein kleiner Deckel sprang leise klickend auf und enthüllte ein scheinbar grundloses schwarzes Loch. Rioplata versenkte seine Hand in die Schwärze. "Wenn das wer anderes außer mir macht friert ihm die Hand ein und könnte ihm abbrechen", sagte er, bevor seine Finger mit einem scheinbar kleinen Notizbuch zum Vorschein kamen. Er zog das Buch vollständig aus der gähnenden Schwärze heraus und klappte das Fach wieder zu. Da schwoll das Buch auf dreifache Größe an. Jeder konnte nun in goldenen Buchstaben den Titel "BUCH DER WERTANLAGEN" lesen. Rioplata klappte nun die Tasche wieder zu, weil diese ja noch mehr höchst vertrauliche und wertvolle Unterlagen enthielt. Dabei legte er das Buch vor sich auf den Tisch. Pataleón musste sich sehr beherrschen, seine Aufregung zu verbergen. Jetzt galt es.

"Ich werde nun aus meinem Buch vorlesen, was wir alle dem mexikanischen Zaubereiministerium gewährt haben und wie hoch sich jeder Anteil beläuft und wieviel davon bereits zurückerstattet wurde", kündigte Rioplata an. Pataleón sagte dann noch: "Auf dass wir alle im besten Vertrauen zueinander wirtschaften!" Das war der zweite entscheidende Satz, auf den etwas im Buch gelauert hatte und sich bisher allen Spionageabwehrzaubern entziehen konnte, weil es in der Aktentasche vor jedem äußeren Einfluss und jeder Entdeckung geschützt gewesen war.

Das Buch klappte von alleine auf. Dann flimmerte es und verwandelte sich in nur einer Sekunde in eine unterarmlange, blutrote Kerze, die sich von selbst aufrichtete, eine Handbreit über der Tischplatte nach oben schwebte und violetten Rauch verströmte. Alle Anwesenden waren so überrascht, dass keiner reagierte. Pataleón fühlte, wie etwas sich aus seinem Kopf zurückzog, als der Docht aufflammte. Gleich würden sie alle dem Duft der Feuerrose unterliegen.

Als der violette Rauch den Konferenztisch überstrich ploppten um die Köpfe von Vientofresco und seinen beiden Landsleuten undurchdringlich schwarze Kugelschalen auf, die scheinbar fest mit den Hälsen der drei Mexikaner verwuchsen. Der violette Rauch wurde schlagartig dichter. Pataleón fühlte seine Wirkung. Doch weil er bereits Untertan der Königin war überkam ihn keine Lähmung wie beinahe alle anderen. Eine rubinrote Flamme züngelte aus dem Docht der schwebenden Kerze und streckte sich mehr als armlang in die Höhe. Da blitzte es über der Kerze silbern auf, und etwas so groß wie ein Schwan, mit silbern widerscheinenden Flügeln stieß wie ein Greifvogel auf die immer länger werdende Kerzenflamme nieder. Glitzerne Fänge gruben sich in die rote Kerze, deren Flamme gerade zum langen dornigen Stiel einer roten Rose wurde. Dann versprühte der silberne Vogel goldgelbe Funken. Diese verdichteten sich zu einer wild kreiselnden sonnengelben Lichtspirale, die bis auf den Tisch herabreichte, über dem die magische Einberufungskerze schwebte. Die Gabe der Rosenkönigin wirbelte in der Spirale umher. Die rote Flamme versuchte mit lautem Prasseln, das schon in ein wildes Gesumm überging, die sie umschlingende Lichtspirale zu durchdringen. Der violette Qualm geriet in wilde Drehungen wie ein Tornado und füllte den ganzen Konferenzsaal aus. Dann erklang aus dem wilden Gesumme ein merkwürdig umgekehrt hallender Knall und die Feuerrosenkerze war mitsamt des silbernen Fremdkörpers verschwunden. Die allermeisten im Raum waren bereits durch den violetten Rauch, den Duft der Feuerrose, in einem hingebungsvollen Rausch gefangen. Doch die drei mexikanischen Vertreter konnten sich noch bewegen. Obwohl zwischen ihren Schultern nun nachtschwarze Kugeln ohne Ansatz von Gesichtern saßen schienen sie doch zu erkennen, wo ihre Gegner waren. Pataleón erkannte, dass er und seine Leute nur noch einen Fingerbreit von ihrem totalen Versagen entfernt waren. Doch für den Fall hatte die Königin ihm und seinen Begleitern weitere Anweisungen erteilt. "Wenn jemand sich der Feuerrose verweigert tötet ihn und lähmt alle anderen!" lautete die unmissverständliche Forderung.

Die drei Mexikaner zielten auf Pataleón, Torrealta und Rioplata. Pataleón zielte auf den, der vorhin noch Vientofresco war und rief "Avada Kedavra!" Torrealta und Rioplata folgten seinem Beispiel.

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Zur selben Zeit 30 Kilometer über dem Südpazifik

Nicht nur die nichtmagischen Menschen bezeichneten diesen Ort als Niemandsland oder Pol der Unzugänglichkeit, weil der Punkt am weitesten von allen Erdteilküsten oder Inseln entfernt war. Hier, an der Position 48 Grad, 58 Minuten und 31 Sekunden südlicher Breite und 123 Grad, 23 Minuten und 33 Sekunden westlicher Länge galt alles was ins Meer fiel als für alle anderen unschädlich. Im Moment wogten die Wellen des nur dem Namen nach stillen Ozeans in einem auffrischenden Wind, der jederzeit zu einem der berüchtigten brüllenden Stürme anwachsen mochte. Viel weiter oben, weit weit über den Wolken, war von diesem Wetter nichts zu spüren. Von dort oben aus spiegelte der Ozean die Farbe des Himmels. Die hohen Wellen wirkten von hier aus flach und harmlos mit Schaumkronen wie feinster Puderzucker. Ab und zu schob sich ein graues Wolkenungetüm zwischen die spiegelnde Meeresoberfläche und einen unsichtbaren Betrachter von weiter oben.

Unvermittelt blitzte sonnengelbes Licht auf und zerstob in auseinanderfliegenden Ringen aus goldenen Funken. Die silberne Nachbildung eines Seeadlers im Maßstab eins zu drei hielt den Schaft der roten Kerze fest zwischen den diamantharten Fängen. Die rubinrote Flamme, die gerade eben noch zu einer brennenden Blüte werden sollte zuckte nun ziellos in jede Richtung, weil sie keine Verbindung mit einem hörfähigen, fühlenden Wesen mehr hatte. Der violette Rauch zerstob wegen des viel zu geringen Luftdrucks und der in dieser großen Höhe herrschenden Kälte zu winzigen Eiskörnern, die in alle Richtungen davontrieben, so leicht, dass sie für Tage oder gar Wochen in der Luft bleiben konnten, aber ungefährlich für Menschen und Tiere waren.

Gefahrenfänger 4 reckte seinen im von keiner Wolke getrübten Sonnenlicht gleißenden Kopf und wich der ihm entgegenschlagenden, wild flackernden Flamme aus. Als der Gefahrenfänger durch die in ihm eingebaute Standortbestimmungsvorrichtung die Bestätigung hatte, dass er die Gefahrenquelle trotz ihres zunächst aufgebotenen Portierungswiderstandes an den vorbestimmten Ort getragen hatte ließ er die Kerze los und begann mit seinen metallischen Flügeln zu schlagen. Trotz der hier oben viel geringeren Tragfähigkeit der Lufthülle konnte der Gefahrenfänger den Absturz abfangen und sich sogar wieder nach oben bewegen, während die nun frei in alle richtungen taumelnde Kerze immer schneller in die Tiefe fiel. Die rote Flamme brannte noch, obwohl es hier oben keinen ausreichenden Sauerstoff gab. Doch sie konnte sich nicht zu einer Rose ausformen, solange es niemanden gab, der den gleichzeitig ausströmenden Rauch einatmete und somit die Verbindung mit der Kerze herstellte. Weiter und weiter, immer schneller und schneller stürzte die Feuerrosenkerze nach unten, dem aus dieser höhe bereits gewölbten, blau widerscheinenden Weltmeer entgegen. Sie mochte noch Minuten fallen, bevor sie in die dichten Luftmassen geriet und von den dort herrschenden Winden herumgeschleudert wurde. Der Gefahrenfänger heftete den Blick seiner kristallenen Augen auf den abstürzenden Gefahrengegenstand. Denn neben der Entfernung der Gefahrenquelle hatte er noch den Auftrag, diese genauer zu beobachten und alle magischen und alchemistischen Auswirkungen zu erfassen. Vom violetten Rauch hatte er bereits ausgiebig in seinen Wirkstoffprobenspeichern. Doch die ihm eingeprägte Verhaltensabfolge gebot ihm noch, den Gegenstand zu beobachten, ob dieser sich zerstörte oder gar Anstalten machte, zu seinem Ursprungsort zurückzukehren. Sollte das geschehen, so die eingewirkte Anweisung an die magicomechanische Steuerung, sollte Gefahrenfänger Nummer vier ebenfalls an den Ausgangsort zurückportieren und die Gefahrenquelle mit körperlicher Gewalt zerstören, sofern dies möglich war. Hierfür hatte sein Erfinder ihm einen besonderen Schnabel gegeben, der aus dem giftgetränkten Zahn eines Basilisken bestand. Diesem Gift widerstand nur, was mit den Tränen eines Phönix benetzt wurde oder aus von Kobolden gefertigtem Silber bestand. Doch die als Gefahrenquelle erkannte Kerze stürzte ohne weitere Anstalten in die Tiefe. Ihre Torkelbewegungen wurden immer schwächer, je schneller sie in die tieferen Luftschichten eindrang. Die Flamme zuckte weiter suchend in alle Himmelsrichtungen und nach oben. Der violette Rauch gefror zu Eisstaub. Diese magische Kerze würde wohl niemandem mehr gefährlich.

Als nach einer mmagicomechanisch messbaren Minute keine Lageänderung erfolgte breitete der Gefahrenfänger seine Flügel aus und nahm eine für einen beherrschten Sinkflug geeignete Haltung ein. Er fiel zuerstt, weil die ausgedünnte Erdatmosphäre ihn nicht tragen wollte. Dann umschlang ihn eine neue Lichtspirale. Für einen zufälligen Beobachter hätte es so ausgesehen, als habe die Sonne selbst einen spiralförmigen Strahl auf den Gefahrenfänger gerichtet und ihn darin verbrannt. Doch in Wirklichkeit kehrte der künstliche Vogel nur dorthin zurück, wo sein biomaturgisches Dasein begonnen hatte um die Beobachtungen aus seinen Bildspeicherkristallen auslesen zu lassen. Was blieb war die schneller und schneller abstürzende Kerze, die weiterbrannte, weil ihr Feuer ohne Luftsauerstoff auskam. Sie würde solange brennen, wie ihr Material es erlaubte, unlöschbar von den Fluten des wogenden Weltmeeres weit unter ihr.

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Zur selben Zeit in Ladonnas Residenz bei Florenz

Die Rosenkönigin zog sich sofort aus Pataleóns Sinneswahrnehmungen zurück, als ihre Gabe an die Konferenz die Tarnung abgeworfen hatte und frei über dem Konferenztisch schwebte. Wenn die anderen nicht so wie die vermaledeiten Lichtwächterinnen aus Deutschland einen auf die Kerze oder auf die Angst, unterworfen zu werden abgestimmte Portschlüssel am Körper trugen würde sie in wenigen Minuten auch die Königin der südamerikanischen Zaubererwelt sein. Dann standen ihr auch die alten Kenntnisse der Ureinwohner zu Gebote. Sicher, sie musste dann noch genug neue Feuerrosenkerzen fertigen, um die gesamten Belegschaften der Ministerien zu unterwerfen. Doch das erste Etappenziel war dann erreicht. Ja, über die als "Geschenk" an die Mexikaner übergebbare Kerze konnte sie in wenigen Tagen auch die Herrin des nordamerikanischen Föderationsrates werden. Dann hatte sie den vom Nordpol bis an die Antarktis reichenden Doppelkontinent in ihrer unumschränkten Gewalt, mehr als die französische Metze, die es gewagt hatte, sie in einen Zauberschlaf zu versenken.

Da trübten Pataleóns aus weiter Ferne zu ihr hinströmenden Gefühlsregungen ihre Siegesstimmung. Irgendwas lief nicht so wie sie es geplant hatte. Offenbar hatten sich die Südamerikaner doch auf ihre Willkommensgabe eingestellt und flohen oder wwagten es, die Feuerrose zu bekämpfen. Dann fühlte sie ein Ziepen im Hinterkopf, als wage es jemand, ihr ein Haar ausreißen zu wollen. Reflexartig griff sie sich in ihr mittlerweile wieder bis zu den Hüften fließendes Haar und fühlte eine einzelne Strähne erbeben. Sie dachte daran, dass sie aus dem Ende dieser Haarsträhne den Docht jener Kerze gedreht hatte, mit der sie die spanischsprachige Zaubereiministerkonferenz unterwerfen wollte. Also flohen die anderen nicht, sondern bekämpften die Kerze. Doch die konnte fast alle Zerstörungszauber abwenden und widersetzte sich auch Teleportationszaubern oder sie berührenden Portschlüsseln. Sie wusste bisher nur von zwei Fällen, in dem jemand ihre Feuerrosenkerze erfolgreich bekämpft hatte. Doch das konnte nicht angehen, dass diese Hure mit dem Flammenschwert auch bei dieser Konferenz auftauchte, und was die ihr widerstrebende Hexe Albertine Steinbeißer gewagt hatte war in einem vollbesetzten Raum mit viel brennbarem Material nichts als erweiterter Selbstmord.

Sie bekam mit, dass ihr Statthalter Pataleón aus purer Versagensangst genug Willenskraft aufbot, um jemanden zu töten. Doch wen wollte er töten? Sie meinte die mächtigen Worte des schnellen Todes wie aus unendlicher Ferne hallen zu hören: "Avada Kedavra!"

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Zur selben Zeit im Gebäude des peruanischen Zaubereiministeriums

Als Pataleón und zwei seiner Begleiter die geächteten Worte ausriefen zuckten rote Blitze aus der Decke auf sie herab. Doch ihnen geschah nichts. Die Blitze zerfaserten mit lautem Doppelknall in feuerrote Funkenwolken. Gleichzeitig jagten gleißende grüne Blitze mit unheilverkündendem Sirren auf die ausgesuchten Ziele zu. Mit gnadenloser Wucht schlugen sie in die Körper der drei Gegner ein und gingen durch diese hindurch wie durch Nebelstreifen. Mit dumpfem Knall prallten die ungebremsten Todesflüche auf die nördliche Panoramawand, die bis dahin noch die Ansicht der nördlichen Anden gezeigt hatte. Die magische Ansicht zerstob mit einem lauten Knall und wildem Prasseln in weißen, blauen, gelben und silbernen Blitzen. Jetzt war die Nordwand nur noch stumpfgrau. Drei trichterförmige Löcher, jedes mehr als einen Meter im Durchmesser, klafften in der Wand. Von den Rändern der Löcher zog sich ein Gespinnst aus feinen Rissen durch die Wand.

Die drei Mexikaner waren jedoch völlig unversehrt geblieben. Statt ihrer Köpfe trugen sie gerade schwarze, glatte Kugeln auf ihren Schultern. Doch auch ohne sichtbare Augen konnten sie wohl erkennen, wo ihre Feinde waren. Sie gingen zum Gegenangriff über.

Als ein Schockzauber auf Pataleón traf federte dieser prasselnd einen halben Meter vor seiner Brust zurück. Ja, es war eine weise Voraussicht der Königin, ihrem Statthalter und seinen Begleitern mit mehrfachen Schildzaubern belegte Unterkleidung anzubefehlen.

Die anderen Konferenzteilnehmer saßen noch im Bann des violetten Rauches, der sich jedoch zu verflüchtigen begann. Pataleón schätzte, dass sie in nicht einmal einer Minute wieder klar denken und frei handeln konnten. Er wusste jetzt auch, warum sein Todesfluch nicht ins Ziel gegangen war. Die Mexikaner trugen offenbar Zaubergegenstände am Körper, die ihr sichtbares Abbild an einem anderen Ort zeigten als dem, an dem sie wirklich waren.

Wieder schnellte ein Schockzauber auf Pataléon zu. Doch der in seiner Unterkleidung eingewirkte Schild prellte ihn zurück. Jetzt erfasste der Statthalter der Rosenkönigin, wo sein Gegner in Wirklichkeit stehen musste. Unverzüglich zielte er einen meter weiter nach links und rief noch einmal den tödlichen Fluch aus.

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In der Sicherheitszentrale des Zaubereiministeriums schellte eine Alarmglocke wie die Rassel eines metergroßen Weckers. Gleichzeitig ertönte eine magisch konservierte Männerstimme: "Warnung, Todesfluch in KS eins! Todesfluch in KS eins!"

"Wer wagt es?" fragte Emilio Rufino, der zuständige Überwachungszauberer und rief seinem Schreibtisch zugewandt: "Sondertruppe zum Panoramasaal!"

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Diesmal traf Pataleóns Fluch das Ziel. Für eine Viertelsekunde sah der spanische Zaubereiminister von Ladonnas Gnaden eine geisterhaft durchsichtige, grün widerscheinende Erscheinung, die dem einen Meter weiter rechts stehenden Vientofresco ähnelte. Dann sprang Vientofrescos sichbare Erscheinung einen Meter nach links und kippte um. Dumpf schlug der leblose Körper auf dem Boden auf. Die schwarze Kugelschale zerbarst mit lautem Klirren zu einer Wolke aus silbernen Funken, die für eine Sekunde durch den Raum schwirrten und dann erloschen. Jetzt sah Pataleón Vientofrescos vor Schreck und Erstaunen verzogenes Gesicht wieder. Doch noch waren zwei Gegner übrig. Rioplata und Torrealta zielten. Pataleón sprang ihnen in den Weg und legte es darauf an, dass zwei Schocker gleichzeitig auf ihn zuschwirrten und seinen Schildzauber forderten. Nun wusste er den Standort eines weiteren Gegners und rief den Todesfluch aus. Auch der zweite Mexikaner mit schwarzem Kugelkopf wurde getroffen und fiel jedes Lebensfunkens beraubt zu Boden. Der dritte Gegner brachte nun einen anderen Trick. Er schien sich schlagartig zu vervielfältigen. Erst zehn, dann hundert Abbilder von ihm sprangen sogleich in verschiedene Richtungen durch den Saal. Wer war jetzt der echte?

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"Mord im KS eins! Mord im KS eins!" tönte die absichtlich sehr erregt modulierte Zauberstimme über das gleichzeitig erklingende traurige Trompetensignal, dass es im Ministerium einen gewaltsam verletzten oder toten Menschen gab. Im Konferenzsaal Nummer eins, dem Panoramasaal fand also eine Zauberschlacht statt. Emilio Rufino berührte mit seinem Zauberstab eine Stelle auf der glatten Platte seines Mahagonyschreibtisches. Diese wurde durchsichtig und zeigte dann eine aus feuerroten Buchstaben gebildete Benachrichtigung:

Ausbruch einer Zauberschlacht nach Auslösen unerwünschter alchemistischer Mixtur. Sicherheitsvorkehrung gegen Unverzeihliche Flüche ohne erwünschte Wirkung ausgelöst. Schwere Beschädigung von nördlicher Illusionswand durch 3 in schneller Folge ausgerufene Todesflüche. Nach 4 Schockzauberentladungen neuerlicher Einsatz des Todesfluches. Zwei Insassen von KS 1 getötet!!

"Wieso wurde nicht schon bei Austritt einer unerwünschten Mixtur Alarm gegeben? fragte sich Emilio Rufino und prüfte die Sicherheitsabstimmungen für Konferenzsaal Nummer eins nach. Dabei stellte er fest, dass der Minister persönlich die völlige Unüberwachtheit des Raumes eingerichtet hatte, damit keine Erkundungs- und Personenortungszauber wirkten, aber eben zum Preis abgestumpfter Sicherheitsvorkehrungen. Erst als jemand den Todesfluch zu rufen wagte und die eingewirkten Zauber gegen Verwendung der Unverzeihlichen Flüche im Konferenzraum wirkte sprang die Alarmbereitschaft wieder an. Doch richtig Alarm gab es eben erst, nachdem drei Todesflüche eine der Wände beschädigt hatten. Emilio Rufino hoffte, dass der Minister seine Abänderungen der Überwachungsbereitschaft nicht mit seinem Leben bezahlt hatte.

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Wer war der wahre Gegner? Jetzt waren es schon an die dreihundert Kugelkopfträger, die sich im immer dünner werdenden violetten Rauch im Saal tummelten. Da warf Camporico eine kleine Silberkugel, die er aus seiner eigenen Aktentasche hervorgeholt hatte. Diese zersprang. Mit einem kurzen heftigen Prasseln und Spotzen erloschen alle verbliebenen Außenansichten in einem silbernen Flackern. Gleichzeitig glühten alle Abbilder des kugelköpfigen Gegners silbern auf und verschwanden restlos bis auf einen. pataleón zielte und schickte seinen vierten Todesfluch innerhalb einer halben Minute auf die Reise. Bevor der letzte stehende Gegner wusste, wie ihm geschah ereilte auch ihn der gleißend grün brausende Tod. Sein glattpoliert wirkender Kugelkopf zerbarst ebenfalls und legte sein von Resignation und Todeserwartung verzogenes Gesicht frei. Doch noch etwas geschah.

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Gerade flammte die in Gelb leuchtende Mitteilung auf, dass alle Außenansichtszauber in Konferenzsaal 1 unvorschriftsmäßig beendet worden waren. Zwei Sekunden danach wurde der dritte Tote in KS 1 registriert. Die Sondertruppe war unterwegs und sollte die Mörder handlungsunfähig machen. Was der Diensthabende jedoch nicht angezeigt bekam war, wer wen genau getötet hatte. Feststand nur, dass es keiner der peruanischen Abordnung war. Denn dann hätte der Alarm wesentlich lauter gedröhnt. Doch allein die Vorstellung, dass Mitglieder der seit Monaten vorbereiteten Konferenz zu Mördern geworden waren genügte völlig, um an der Aufrichtigkeit der geladenen Gäste zu zweifeln.

"Warnung! unerlaubter Wirkstoff in KS 1! Unerlaubter Wirkstoff in KS 1!" dröhnte die magische Alarmstimme durch die Sicherheitsüberwachung. "Vorsicht vor bösartigem Wirkstoff!" rief der diensthabende Überwacher Emilio Rufino. Er wischte sich schnell den Schweiß von der Stirn.

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Durch den Einsatz der Breitbandillusionsaufhebungskapsel waren nicht nur alle magischen Außenansichten ausgelöscht und alle falschen Ebenbilder des dritten Gegners aufgelöst worden, sondern auch die Tarnung jener kleinen Gabe, die der Statthalter der Rosenkönigin eigentlich den Mexikanern mitgeben wollte, um damit den Föderationsrat zu "beehren". Aus einer von drei Ringen zusammengehaltenen Pergamentrolle wurde eine zweite, unterarmlange Kerze, die unverzüglich nach oben stieg und violetten Rauch verströmte. Pataleón erkannte, dass dies die Chance war, seinen Auftrag doch noch zu erfüllen. Er erkannte aber auch, dass die Königin ihn nicht in alle ihre Vorkehrungen eingeweiht hatte. Doch wer war er, ihr deshalb einen Vorwurf zu machen? Er dachte zuerst, dass er nun die offen sichtbaren Türen verbarrikadieren sollte, damit niemand floh. Doch außer ihm und seinen Begleitern war keiner hier im Raum im Stande, frei zu handeln. Der violette Rauch der Feuerrosenkerze hatte sie alle wieder in seinen Bann geschlagen. Er dachte daran, dass wer immer von draußen hereinkommen wollte - nach der ganzen Kampfzauberei und den ausgelöschten Panoramaansichten sicher zu erwarten - durfte gerne gleich jetzt in den Kreis der treuen Untertanen der mächtigen Königin eintreten.

Nun zeigte sich auch die rubinrote Flamme, die mehrere Meter nach oben ragte und die Form einer langstieligen Rose annahm. Der brennende Blütenkelch neigte sich in jede Himmelsrichtung. Dann erklang die in akzentfreiem kastilischen Spanisch gehaltene Botschaft der Königin. Pataleón kannte sie auswendig und war ihr ja bereits unterworfen. Deshalb konnte er mit freiem Verstand erkennen, wie alle vier Türen aus den Rahmen gesprengt wurdenund an die dreißig Zauberer in rot-weiß längsgestreiften Umhängen hereinstürmten. Sie trugen die bläulich schimmernden Kopfblasen gegen schädliche Wirkstoffe oder mangelnde Atemluft. Ein Teil des violetten Rauches wehte unverzüglich hinaus. Doch seine Quelle war noch nicht erschöpft. Zudem erglühten die Kopfblasen im selben violetten Licht wie die Farbe des betörenden Rauches. Es knisterte, dann ploppte es zigfach. Dann standen die dreißig mit vorgestreckten Zauberstäben hereinstürmenden ohne schützende Kopfblasen da. Wie gegen eine harte Wand geprallt blieben sie auf der Stelle stehen und erbebten. Einige versuchten hektisch den verschwundenen Atemschutzzauber wiederherzustellen. Doch ihre Bewegungen wurden immer unbeholfener. Sie konnten sich nicht mehr konzentrieren. Sie atmeten den violetten Rauch ein und hörten die gerade zum drittenmal ausgesprochene Botschaft Ladonnas, nur ihr, der einzig wahren Königin aller magischen Menschen zu folgen, ihr bedingungslos zu gehorchen und mit dem eigenen Leben für sie einzutreten, was immer sie befahl. So erwischte die Gabe der Königin auch jene, die gekommen waren, um die Kämpfer einer kurzen Zauberschlacht zu überwältigen. Die Zaubereiminister und ihre Behördenleiter der anderen spanischsprachigen Länder saßen auf ihren Plätzen und nahmen mit dem Atem und den Ohren Ladonnas Einberufung in sich auf. Sie gehörten nun auch der Königin. Pataleón atmete auf. Er hatte seine Königin doch nicht enttäuscht. Sicher, das mit dem merkwürdigen Kunstvogel und den drei Mexikanern war eine deutliche Warnung, die noch Unberufenen nicht zu unterschätzen. Doch die Voraussicht der Königin hatte sich ausgezahlt. Ihr Auftrag war so gut wie erfüllt.

Die Botschaft drang durch die offenen Türen. Wer sie hörte und den Rauch einatmete musste der Königin folgen. Zwar hörte Pataleón den Alarm aus den Gängen schallen. Doch wer versuchte, in den betroffenen Bereich einzudringen geriet ebenso unter die Herrschaft der Feuerrose. Wie viele es waren wusste Pataleón nicht. Sein nun wieder in erwünschten Bahnen verlaufender Einsatz gebot ihm, die Einberufung bis zur Vollendung zu beobachten. Die Vollendung war erreicht, wenn die magische Kerze vollständig niedergebrannt war und der von ihr ausgehende Rauch restlos verweht war.

Was er auf jeden Fall schon beobachten konnte war, dass die Kollegen aus Brasilien, Peru, Argentinien und Chile regelrecht erstarrten, während die Botschaft wiederholt wurde. Es sah so aus, als kondensiere der violette Rauch an ihren Körpern zu einer halbfesten Schale, die mit den Schallschwingungen der verkündeten Botschaft flimmerte. Pataleón vermutete, dass die vier Delegationen bereits einem anderen Bindungszauber unterworfen waren, der nun gegen den Duft und die Botschaft der Feuerrose ankämpfte. Er bangte schon, dass die vier Delegationen davon zerstört wurden, ja es möglicherweise eine Kettenreaktion gab, die sie alle vernichten mochte. Doch dann löste sich die Erstarrung. Die Verdichtung des violetten Rauches um die Körper verging, und die vier Delegationen saßen nun hingebungsvoll lauschend da wie alle anderen auch.

Noch zehnmal wurde Ladonnas Berufungsbotschaft wiederholt. Dann erlosch die rubinrote Feuerrose. Mit einem Zischen zerfiel der letzte Rest der Kerze zu einer letzten violetten Rauchwolke. Diese breitete sich noch einmal im Saal aus und quoll durch die offenen Türen in die Gänge hinaus. Es mochte sein, dass noch welche kamen, die die Botschaft nicht mehr hörten, aber mindestens für etliche Sekunden dem violetten Rauch ausgesetzt waren.

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Zur selben Zeit in Ladonnas Residenz

Die Rosenkönigin bekam es über die Gefühlsströme ihrer ausgesandten Untertanen mit, dass sie kämpfen mussten. Sie fürchtete erst, dass ihre Abgesandten unterliegen mochten. Denn sicher mussten sie gegen die gesamte Sicherheitstruppe des peruanischen Zaubereiministeriums kämpfen. Doch dann empfing sie eine Woge der Siegessicherheit und dann die Errleichterung, dass die Aufgabe doch noch wie befohlen erfüllt wurde. Sie wagte es trotz der Erfahrungen mit einer bei Entfaltung einer Feuerrosenkerze anstrengenden Gedankenbrücke, kurz in Pataleóns Sinneswelt einzutauchen und erkannte, dass eine zweite Feuerrosenkerze in Tätigkeit getreten war. Sie sah auch die drei Leichen in mexikanischer Landestracht,. nur ohne die typischen Rundhüte. Sie merkte, dass sie fast zu tief in Pataleóns Sinneswelt einbezogen wurde und konnte sich gerade noch von ihm losreißen. Sie fühlte, wie ihr Herz hämmerte und keuchte vor Anstrengung. Aber diese hatte sich gelohnt, fand Ladonna Montefiori. Ihre Rosensaat war doch noch aufgegangen, auch wenn sie nicht wusste, warum es zuerst anders ausgesehen hatte. Ja, ihre Untertanen mussten die drei Mexikaner getötet haben und dann, weil die ihre Gabe ja nicht würden überbringen können, die zweite Kerze entzündet haben. Auch musste bei dem Kampf die beachtenswerte Panoramasicht über Perus Landschaft zerstört worden sein.

Sie wartete nun ruhig ab . Wenn Pataleón ihr seinen Erfolg mitteilen wollte würde sie es mitbekommen.

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im Peruanischen Zaubereiministerium, wenige Minuten nach dem Alarm

Der Alarm wurde immer dringlicher. Was immer im Konferenzsaal Nummer eins austrat drang in die daran angeschlossenen Bereiche vor. Schutztüren schlugen krachend zu. Luftaustauschzauber traten in Aktion, um die aus dem Konferenzsaal austretende ätherische Mixtur zu beseitigen. Doch offenbar hatte da jemand eine schier unerschöpfliche Quelle zum Sprudeln oder besser qualmen gebracht. Wände aus Mondeis bauten sich entlang der Dunstwege auf, um alles mit der Elementarkraft Feuer verbundene aufzufangenund zu vertilgen. Dieser Zauber war eine geniale Erbschaft aus dem Fundus der Inka-Zauber. Hoffentlich waren die vierzig ausgeschickten Schutztruppler gegen diesen unbestimmbaren Dunst abgesichert. Dann erfolgte eine Ankündigung von Zaubereiminister Costacalma persönlich:

"An alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Verbleiben Sie ruhig an ihren Arbeitsplätzen. Die mexikanischen Delegierten aus dem Föderationsrat haben uns verraten. Sie haben drei von uns getötet und dann eine Giftwolke freigesetzt, die allen von uns das Gedächtnis verwirren sollte. Doch wir konnten sie überwältigen. Dabei sind sie allerdings von einem offenbaren Bestrafungszauber getötet worden. Bitte bleiben Sie alle an Ihren Arbeitsplätzen! Die Giftwolke wird gerade von unseren zuverlässigen Luftaustauschzaubern unschädlich gemacht."

Costacalma klang ruhig und entschlossen, keinesfalls aufgeregt oder weltentrückt. Doch konnte man sich darauf verlassen, dass er auch die Wahrheit sprach? Warum sollten die mexikanischen Abgesandten versuchen, Konferenzteilnehmer umzubringen? Was hatte die nordamerikanische Föderation davon, Unruhe oder gar Unordnung unter den Konferenzteilnehmern zu stiften? Die Antwort darauf war so einfach, dass sie schon richtig weh tat, fand der diensthabende Sicherheitsüberwacher. Die Föderation wollte Südamerika destabilisieren. Die Gringos witterten ihre Chance, endlich auch im spanischsprachigen Amerika die Vormacht zu übernehmen. Ja, das sah diesen Anggelsachsen ähnlich. Deren gekaufte Abgesandte aus Mexiko sollten die Mitglieder der Konferenz umbringen und dann verkünden, dass irgendwer, womöglich die Vampirsekte, die Mondheulerbruderschaft oder gar auf Vergeltung ausgehende dunkle Magier der Indios Schuld daran trugen.

Als dann zwei Zauberer der Schutztruppe in die Überwachungszentrale eintraten schöpfte der Diensthabende keinen Verdacht. Sie meldeten, dass der auf Erinnerungen wirkende Giftqualm von den Kopfblasen abgewehrt werden konnte. Offenbar hatten die Mexikaner vorgehabt, das ganze Zaubereiministerium lahmzulegen und es dann noch so hinzustellen, als sei Minister Costacalma ein Verräter gewesen. Der Diensthabende forderte gerade aus dem Protokollschreiber die Liste der Alarmgründe der letzten zehn Minuten an. Dabei achtete er nicht auf Diego, einen der zu ihm gekommenen Schutztruppenzauberer. Als dieser "Imperio!" murmelte war es für den Diensthabenden schon zu spät, noch was zu unternehmen. Sein plötzlich aufflammender Argwohn erlosch in einer Woge größter Glückseligkeit. Dann dröhnte der Befehl in seinem Kopf, alle Alarmvorrichtungen zu inaktivieren. Dieser Befehl wurde dreimal wiederholt, bis nicht der Hauch eines widerstrebenden Gedankens übrigblieb.

So hob der Diensthabende mit den Zaubern zur Einleitung von Wartungsarbeiten einen Überwachungszauber nach dem anderen auf, und zwar so, dass nur er sie wieder in Kraft setzen konnte. Als er alle ineinander verzahnten und aufeinander abgestimmten Zauber in der einzig unverdächtigen und wirksamen Abfolge außer Kraft gesetzt hatte betrat der Minister selbst den Überwachungsraum. Er forderte von dem Diensthabenden eine Vollzugsmeldung, dass alle Alarmzauber für die nächsten Stunden unwirksam blieben. Er bedankte sich und zog seinen eigenen Zauberstab. "Ihre Mitarbeit wird lobend erwähnt und Ihre Angehörigen werden großzügig bedacht, Emilio", sagte er. Dann zischte er zwei Worte, die der Diensthabende in diesem Moment nicht erwartet hatte: "Avada Kedavra!" Das letzte was er sah war der blendendhelle grüne Blitz. Das letzte was er hörte war das ihm entgegenjagende Brausen. Dass er zu Boden fiel spürte er schon nicht mehr.

"Lang lebe die Königin!" riefen die zwei Schutztruppler, die tatenlos zusahen, wie ihr Vorgesetzter seinen Mitarbeiter tötete, ohne dass ein neuer Alarm ausgelöst wurde. "Sie, Diego sind jetzt Emilios Nachfolger", verfügte Costacalma. "Ach ja, Fernando, postieren Sie die loyalen Kämpfer der Königin so, dass die Gruppe Morgenbrise ohne große Kampfhandlungen festgesetzt werden kann, sobald sie hier eintrifft!" befahl der Zaubereiminister. Dann befahl er, dass die Panoramazauber im Konferenzsaal Nummer eins repariert werden sollten und die Leichen der drei Verräter restlos eingeäschert werden und über dem Regenwald verstreut werden sollten. Es sollte nichts an sie erinnern. Doch Pataleón erhob Einspruch. Wenn sie sicherstellen wollten, dass die Föderation nicht mitbekam, was hier passierte mussten sie nach außen vorgeben, dass die drei Mexikaner weiterhin am Leben waren. So wurde beschlossen, ihnen möglichst viele Haare vom Kopf und Körper und alle überstehenden Finger- und Zehennägel abzuschneiden, um später getreue Untertanen der Königin, die des mexikanisch klingenden Spanisch mächtig genug waren, in den Föderationsrat zurückzuschicken. Zunächst sollte also nichts über diesen Vorfall nach außen dringen, um den Rat der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer nicht darauf zu stoßen, dass irgendwas nicht wie gewünscht abgelaufen sei. Zwar musste Pataleón davon ausgehen, dass der künstliche Silbervogel, der die erste Feuerrosenkerze fortgeschafft hatte, seinem Schöpfer Bericht erstattete. Doch außer,. dass der eine Feuerrosenkerze fortgeschafft hatte konnte dieses magicomechanische Ding ja nichts weitermelden. Im Gegenteil, Pataleón oder besser seine Herrin und Königin konnten diesen fehlgeschlagenen Abwehrversuch gegen sie ausnutzen, um so zu tun, als sei alles in Ordnung, und die drei Mexikaner seien noch am Leben und konnten später Bericht erstatten. "Ach ja, Emilio gehört zu den drei Toten, die dieses Gefecht gefordert hat."

"Wer sind die beiden anderen, die wir vorweisen müssen?" fragte Diego.

"Suchen Sie sich aus der noch unberufenen Mannschaft zwei ersetzliche Mitglieder aus!" befahl der Minister ohne jedes Mitgefühl. Drei Zauberer waren getötet worden. Also brauchten sie drei Leichen. Die Mexikaner durften sie ja nicht als solche vorweisen.

Wenig später betrat der Zaubereiminister von Peru den von den unter Imperius-Fluch genommenen Wartungszauberern reparierten und wieder mit der großartigen Rundumsicht über sein Land bezauberten Konferenzsaal. Bis auf die drei Mexikaner waren sie alle noch hier.

"Señores Amtskollegen und alle anderen Mitstreiter. Nun, da wir alle im Namen der einen wahren Herrscherin vereint sind dürfte es uns wesentlich leichter fallen, alle nun anstehenden Tagesordnungspunkte zu erörtern und eine der mächtigen Herrin höchst wohlgefällige Einigkeit in allen noch bestehenden Streitfragen zu finden. Lang lebe die Königin!"

"Lang lebe die Königin!" riefen alle Anwesenden ohne Anflug von Widerwillen oder Argwohn.

Rodrigo Pataleón genoss diesen heimlichen Triumph. Perus Zaubereiminister hatte sich zur Rosenkönigin bekannt. Ja, und er gestand nun zusammen mit dem argentinischen, brasilianischen und chilenischen Kollegen, dass sie seit September 2005 eine Viererallianz unterhielten, die als Grundlage für eine lateinamerikanische Gegenmacht zur Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer wirken sollte. Er erwähnte sogar, dass er einen Friedensvertrag mit Vita Magica geschlossen hatte. Warum er nicht beeinträchtigt wurde, als die zweite Feuerrosenkerze ihre volle Wirkung tat konnte Pataleón erklären. Wo der violette Rauch und die magische Flamme der Feuerrose wirkten vergingen Atemzug für Atemzug, Wort für Wort alle vorher eingewirkten Bindungszauber. Durch die vielfache Wiederholung der magischen Einberufungsbotschaft wurden alle bis dahin wirkenden Verpflichtungen ungültig. Sicher würden die VM-Banditen das mitbekommen und nachprüfen, was da passiert war. Doch genau das hatte Costacalma bereits einkalkuliert und entsprechende Vorkehrungen getroffen, nachdem Pataleón sich als Statthalter der Königin offenbart hatte.

Da nun keiner hier anwesenden mehr auf das eigene Land bezogene Forderungen und Ansprüche hatte sah es danach aus, als wenn die Konferenz spanischsprachiger Zaubereiministerien statt der angesetzten fünf Tage nur einen einzigen weiteren Tag dauern musste. Doch laut der Königin musste diese erst einmal weitere Feuerrosenkerzen fertigen, um sämtliche hier vertretenen Ministerien vollständig zu unterwerfen. Daher durften die Anwesenden die angesetzten Tage voll ausnutzen, um möglichst viel Einklang und ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen die nordamerikanische Zaubererweltföderation zu schnüren. Dann würde man diesen Angelsachsen und den von ihnen eingeheimsten Mexikanern neue Forderungen vorlegen und zusehen, ihnen auch mehrere Feuerrosenkerzen zuzuspielen, um beide amerikanischen Teilkontinente unter die Herrschaft der mächtigen Königin aller magischen Menschen zu bringen. Was bedeuteten dann noch England, Frankreich und Griechenland? Was sollten dann noch verstreute und sowieso auf Geheimniswahrung bedachte Gruppierungen gegen die Königin ausrichten? Pataleón empfand eine Vorfreude, seiner Herrin bei dieser Unternehmung helfen zu dürfen. Doch es gab etwas, was keiner hier wusste.

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In einer geheimen Niederlassung der Gruppierung Vita Magica unter dem peruanischen Regenwald, 25.04.2006, 13:20 Uhr Ortszeit

Fernando Suárez starrte auf die gerade zu schwarzem Staub zerfallenden Pergamente. Gerade hatten sich die Seiten des magischen Vertrages mit dem peruanischen Zaubereiminister aufgelöst. Das war gleichbedeutend mit der Aufhebung der magischen Bindung. Er hoffte, dass die, die es gewagt hatten, die neue Viererföderation Südamerikas anzugreifen, die Minister unbeabsichtigt umgebracht hatten und noch ein paar magisch gebundene Helfer der Gesellschaft zur Wahrung und Mehrung magischen Lebens über waren, um diesen frechen Vorstoß zurückzuweisen. Nicht, dass der selbsternannte Notrat des Lebens ihn nicht gewarnt hätte. Denn es war klar, wer diese Frechheit aufbrachte, magisch gebundene Menschen von ihren magisch beurkundeten Verpflichtungen zu entbinden: Ladonna Montefiori.

"Willst du es diesem kleinen Notrat in der Luftblase mitteilen, Fernando?" wollte Fernandos Bruder Jorge wissen. "Damit mir der seine zweite Jugend durchlebende Bengel Perdy und die wegen ihrer Selbstüberschätzung in Windeln und Wiege zurückgeschrumpfte Übermutter aus Frankreich einen erzählen, dass sie es ja vorher schon gewusst haben? Nein, Jorge. Peru und Kolumbien gehören uns. Chile wird auch wieder einen Stützpunkt von uns bekommen, selbst wenn die Chilenen dasselbe mitbekommen haben wie wir hier in Peru. Noch einmal lassen wir uns nicht aus bereits bezogenen Revieren verjagen. Wir schicken die Morgenbrise hin und sehen zu, den Minister wieder zurückzuholen, wo auch immer er gerade ist. Wenn der für dieses Mischlingsweib die anderen Minister benebeln soll kriegen wir eben alle uns gehörigen Minister wieder zurück. Wir müssen halt nur aufpassen, dass wir uns nicht selbst diesen Feuerrosenqualm einfangen, von dem es die Zeitungen vor zwei Jahren hatten."

"Geh davon aus, dass Costacalma singt wie ein Uirapuru, wenn dieses Mischlingsweib ihn echt mit ihrem sogenannten Rosenduft benebelt hat. Dann wird sie dem befehlen, unsere Morgenbrise-Truppe einzukassieren. Am Ende macht die noch, dass auch unsere Leute nach ihrer Pfeife tanzen", unkte Jorge.

"Immerhin haben wir von Mater Vicesima Secundas Wunderknaben und mehrfachem Zeugungspartner ein Portschloss und zwanzig darauf abgestimmte Notfluchtportschlüssel. Die Mannschaft Morgenbrise soll sich damit ausstatten und dann zusehen, alle Konferenzteilnehmer entweder in Zaubertiefschlaf und auf halbe Größe geschrumpft abzutransportieren, bis wir wissen, wie wir Ladonnas verwünschten Betörungszauber aufheben können oder die alle einfach vollständig reinitiieren, damit sie keine Freude mehr an denen hat."

"Öhm, willst du dafür noch mal den zeitweiligen Rat fragen?" wollte Jorge wissen. "Bruder, ich werde diesen Tiefseetauchern erst dann wieder was sagen, wenn ich verkünden kann, dass dieses Mischlingsluder sich mit uns Südamerikanern voll verhoben hat, nachdem es gewagt hat, unsere Niederlassung in Chile niederzubrennen. Erst dann, wenn ich das vermelden kann, werde ich diese stählerne Seifenblase anrufen. Sollen die sich doch da mit allen, die so ängstlich sind verstecken, bis die Sonne im Westen aufgeht. Wir kämpfen um unser Land und unsere Freiheit. Also, Jorge, keiner von uns ruft diesen Notrat an, bevor wir nicht unseren Sieg eingefahren haben. Verstanden?"

"Du bist der ältere Bruder und mir um vier gezeugte Kinder voraus", knurrte Jorge. "Aber wenn Anita der Meinung ist, dass sie mit ihrer Freundin Shana Moreland sprechen will kann ich sie nicht davon abhalten."

"Dann sage der nicht, dass uns gerade der Vertrag mit Costacalma ohne Brand zu Asche zerfallen ist, sondern bestelle nur schöne Grüße an die Luftblasenbewohner!" erwiderte Fernando Suárez.

"Werde ich ausrichten, Fernando.

Als Jorge ging atmete Fernando aus. Er hatte beschlossen, an Alfonso Molinars Stelle mitzugehen. In der Außendienstkleidung der Gesellschaft sah jeder Mann dem anderen ähnlich und jede Frau der anderen. Auch die Stimmen wurden durch die Vollmasken so verfremdet, dass keiner erkannte, wer da sprach. Denn Fernando war kein Mensch, der wen losschickte und wartete, ob der auch alles richtig machte. Doch sein Bruder und die fünfzehn Jahre ältere Schwester Anita, die bisher nur drei eigene Kinder geboren hatte, sollten das nicht wissen, dass er das Kommando Vientecillo de Mañana begleiten würde.

Wenige Minuten später trug er die Außendienstbekleidung, einen himmelblauen Einteiler, der wie ein großer Strampelanzug aussah, eine den ganzen Kopf verbergende Maske, die wie ein überdimensionaler Babykopf aussah und zwischen den Beinen eine vergrößerte Windel, in der auch einer der Notfluchtportschlüssel eingewirkt war. Anzug und Maske konnten sehr viele Zauber abwehren. Es gab nur die zwei einander diametral entgegengesetzten Zauber, die noch durchkamen, Infanticorpore und Avada Kedavra.

Alfonso Molinar, der eigentlich für die Peruaner im Trupp Morgenbrise mitreisen wollte hatte dem älteren Mitstreiter Platz gemacht, ohne den neunzehn anderen was davon mitzuteilen. Im Einsatz sprachen sich alle nur mit Einsatznummern an. Zur Gruppe gehörten zehn Männer und zehn Frauen. Die weiblichen Mitstreiter hatten eine ganz besondere Aufgabe. Sie sollten die von Mater Vicesima Secunda und dem seine zweite Reifezeit durchlebenden Perdy Diggle erfundene Verstärkung von Amatas Ruhestatt einsetzen, die speziell zur Unterwerfung widerstrebender Personen eingestimmt war. Die Männer sollten die so überwältigten mit erweitertem Zauberschlaf belegen und auf ein Achtel ihrer Größe einschrumpfen, um sie zusammen in die Untersuchungsbunker zu schaffen, wo sie auf eingewirkte Flüche geprüft und verschiedenen Entzauberungsmitteln unterzogen werden sollten. Nur wenn klar war, dass sie keinen Schmelzfeuerkeim in sich trugen und von Ladonnas Macht gelöst werden konnten sollten sie wieder an ihre Einsatzorte zurückgeschickt werden.

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Peruanisches Zaubereiministerium, 25.04.2006, 14:15 Uhr Ortszeit

Diego Murillo, der neue Sicherheitsüberwacher des peruanischen Zaubereiministers, hatte mit zehn wie er einberufenen Kollegen Stellung vor dem Panoramakonferenzsaal bezogen. Costacalma hatte ihm befohlen, keinen zu ihm vorzulassen, der oder die wie ein übergroßes Baby aussah, sondern jene mit allen nichttödlichen Mitteln handlungsunfähig zu machen. Die Königin sollte dann entscheiden, was mit den Gefangenen geschah. Vielleicht ließen die sich ja auch noch "einberufen".

Diego trug einen münzgroßen, kreisrunden Silberknopf an seinem Umhang, der durch sanftes Vibrieren und nur für den Träger hörbares Summen die Nähe eines von Costacalma früher für verbündet gehaltenen anzeigen sollte. Tatsächlich dauerte es eine ganze Stunde, bis der Knopf vibrierte und Murillo durch den Brustkorb einen im Takt seines Herzens lauter und leiser werdenden Summton in den Ohren hatte. Das Summen wurde lauter, die Vibration deutlicher. Dann sahen Murillo und die anderen Gardisten die mit Umgebungstarnzaubern hantierenden Erscheinungen wie flimmernde Schemen an den Wänden entlanghuschen. "Halt, im Namen von Minister Costacalma!" rief Murillo. "Enthüllen Sie sich und geben Sie Ihr Anliegen kund!" forderte er noch.

Jetzt enttarnten sich zehn Personen, die von der Körperform her weiblich sein mussten. Doch sie trugen rosarote Strampelanzüge und überlebensgroße Babyköpfe. Damit stand fest, in wessen Auftrag sie handelten. "Der Minister ist im Konferenzraum?" fragte eine der Fremden mit einer offenbar künstlich erzeugten Kleinmädchenstimme. "Sie sind nicht angemeldet", sagte Murillo. "Der Minister hat befohlen, niemanden in diesen Raum hineinzulassen. Geben Sie Ihr Anliegen kund und kehren Sie dann dorthin zurück, wo Sie herkommen!" befahl Murillo.

"Dann eben so", sagte die Vorsprecherin. Im nächsten Augenblick meinte Murillo eine auf ihn zuspringende Wand aus rosarotem Licht zu erkennen. Er wollte seinen Zauberstab hochreißen, da traf ihn das magische Leuchten. Einen Moment lang meinte er, in einem unendlichen Meer aus rosarotem Licht zu treiben und neben seinem Herzschlag auch den eines anderen, wesentlich größeren Wesens zu hören. Dann bäumte sich etwas in ihm auf. Er spürte einen wilden Schmerz unter seiner Schädeldecke, der in alle Fasern seines Körpers ausstrahlte. Dann sah er wieder die Umgebung, wenngleich alles von rosarotem Licht überlagert war. Auch seine Kollegen, die wie von einer leicht flimmernden Aura aus rosarotem Licht umhüllt wirkten, sprangen auf und zielten mit den Zauberstäben auf die Angreiferinnen. Diese schienen den Widerstand nicht so recht erwartet zu haben. Sie machten zunächst keine Anstalten, sich zu wehren. Erst als ihnen rote Schockblitze entgegenschlugen und laut knallend und prasselnd von ihnen zurückfederten und in die Wände krachten wussten die zehn Frauen, dass ihr rosarotes Licht nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Da flogen goldene Lichtstrahlen aus dem Nichts auf die Gardisten zu. Wo sie auf ihre Ziele trafen verschlangen sie diese in einer Wolke aus goldenem Licht. Es krachte mehrmals. Murillo zielte auf einen der vermuteten Absender und wollte gerade den tödlichen Fluch ausrufen, als er selbst von einem goldenen Blitz getroffen wurde. Er fühlte sich auf einmal ganz leicht. Dann kehrte die Wahrnehmung zurück. Doch nun war alles wie in grauen nebel gehüllt und er lag am Boden, unfähig sich aufzurichten. Auch fühlte er, dass er in etwas eingewickelt war, in dem sich seine Arme und Beine verheddern konnten. Er hörte die nun noch lauteren Knälle, wo die Angreifer weitere Opfer fanden. Er hörte noch einen Gardisten "Avada ... " rufen, dann meinte er den Angstschrei eines Säuglings zu hören. Da wusste er, was ihm selbst widerfahren war und dass die Kraft der Feuerrose ihn nicht davor beschützt hatte. Er quengelte, weil er mit seinem nun völlig zahnlosen Mund keine Worte rufen konnte. Da traf ihn etwas wild vibrierendes, das zu einem unerträglich lauten Summen anschwoll und sich wie mit hundert Bohrern gleichzeitig in seinen Kopf hineinfraß. Einen winzigen Augenblick meinte er, alle wichtigen Ereignisse seines Lebens vor sich zu sehen. Dann erlosch sein Ich im Dröhnen des ihn treffenden Gedächtnisleerers. Dass er nun nur noch angstvolle Schreie ausstieß wie ein gerade erst geborenes Kind wusste er schon nicht mehr. Er fühlte sich nur hilflos und verlassen, in eine fremde, viel zu große Welt hieneingeworfen, mit der er nun zu leben lernen musste.

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"Dieser Ruhighalter wirkt nicht", knurrte die Vorsprecherin der Ruhighalterinnen und berührte ihren vibrierenden Unterleib. Dort hatte sie das Ausrichtungsartefakt verstaut, über das sie eigentlich ganze feindliche Armeen auf einen Schlag zu völlig friedlich daliegenden Wesen machen wollte. Hätten die Einsammler nicht gleich mit den Reinitiatoren draufgehalten hätte es womöglich eine wilde Zauberschlacht gegeben. Immerhin wirkten die Sofortverjüngungsvorrichtungen noch.

"Die sind jetzt gewarnt. Rein und voll draufhalten, was an Betäubungszaubern geht", zischte Einsammler Nummer eins, der gerade die Tarnfunktion seines Einsatzanzuges aufhob.

Die gerade im Flur quengelnden Babys beruhigten sich wieder, was wohl dem rosaroten Leuchten zu verdanken war, das immer noch von den Ruhighalterinnen ausging. Fünf von ihnen blieben deshalb hier draußen, um die sich in ihrer viel zu weiten Kleidung in Fötushaltung zusammenrollenden Wiederverjüngten zu bewachen. Die Einsammler indes warfen blaue Glitzerscheiben gegen die Tür. Diese erstrahlte für zwei Sekunden im blauen Licht. Dann wurde sie völlig durchsichtig. Schließlich verschwand sie mit vernehmlichem Plopp im Nichts. Unverzüglich rannten alle Einsammler in den Konferenzraum hinein, begleitet von fünf Ruhighalterinnen. Diesen entströmte das rosarote Leuchten wie ein glühender Nebel und traf auf die gerade ihre Zauberstäbe freiziehenden Konferenzteilnehmer.

Der Auftrag war klar. Entweder alle für spätere Umkehrzauber einsammeln oder vollständig wiederverjüngen und dann abtransportieren. Doch die Konferenzteilnehmer wollten es ihnen nicht so leicht machen.

"Die Feinde der Königin sollen sterben!" rief einer der Teilnehmer, dem Akzent nach ein Europäer, wohl einer aus der spanischen Abordnung. Einsammler 1 und Ruhighalterin 1 erkannten ihn nun. Das war Rodrigo Pataleón, der Zaubereiminister Spaniens persönlich.

Die anderen Konferenzteilnehmer kämpften offenbar gegen die Auswirkungen von Amatas Ruhestatt an. Doch da trafen sie die roten Betäubungszauber der Einsammler und raubten ihnen doch noch die Besinnung. Als Pataleón auf eine der Ruhighalterinnen zielte sprang einer der zehn Einsammler in die Ausrichtung. "Avada Kedavra!" rief Pataleón. Der Einsammler Nummer 3 bekam den grünen Todesfluch voll an die Brust. Sein himmelblauer Anzug sprühte grüne Funken und lief kohlschwarz an. Einsammler 3 taumelte, röchelte und stürzte dann zu Boden. Er zuckte noch zweimal. Dann blieb er reglos liegen. Dafür wollte Einsammler 4 ihm den Schockzauber überbraten. Doch dieser federte prasselnd zurück und prallte dann vom eingewirkten Schildzauber von Ruhighalterin 4 ab.

Nun wo Pataleón den Befehl zum Töten ausgerufen hatte versuchten es die anderen gar nicht erst mit Fang- oder Schockzaubern, sondern riefen die geächteten Worte des unverzüglichen Todes aus. Fünf grüne Blitze trafen fünf gegen sie ankämpfende VM-Vollstrecker. Deren Kleidung wurde schwarz, und sie stürzten zu Boden, wo sie ihr Leben aushauchten. Doch die Schockzauber der Einsammler und Ruhighalterinnen trafen ebenfalls auf Ziele. Das von den Ruhighalterinnen ausgehende Licht erschwerte den Gegnern das Zielen. Zwar fällte ein grüner Blitz Ruhighalterin 6. Doch dann waren nur noch sechs kampffähige Zauberer auf den Beinen.

Ruhighalterin 1, die ihren Schock über den Verlust ihrer Schwester, die als Ruhighalterin 6 auftrat, schnell überwinden musste, versuchte es mit Verwandlungszaubern. Doch diese verfingen nicht. Sie konnte nur von Glück reden, dass der von ihr ausgehende rosarote Dunst sie größtenteils verbarg. "Euer Treiben endet!" rief Pataleón. Seine gegen einfache Schock- und Fangzauber geschützten Begleiter schleuderten weitere Todesflüche. Doch diese sprengten nur Löcher in die Wände und löschten die Rundumsichtbezauberung aus. Ein Todesfluch verfehlte Ruhighalterin 1 gerade um zehn Zentimeter und zog eine qualmende Furche in den Tropenholzparkettboden. Dann sah die Ruhighalterin, wie Einsammler 1 sich neben ihr bereitstellte und mit dem Reinitiator auf Pataleón zielte, der offenbar um Atem ringen musste. Offenbar wirkte Amatas Ruhestatt nicht auf seinen Willen, aber auf seine Ausdauer. "Dann eben so", knurrte Einsammler 1 mit seiner künstlichen Kleinkindstimme. Da entstanden vor den noch kampffähigen Delegierten schwarze, halbdurchsichtige Wände. Ruhighalterin 1 wollte schon eine Warnung ausrufen. Da strahlten die goldenen Lichtblitze der Reinitiatoren auf.

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Pataleón wusste nicht, warum es ihn so anstrengte, gegen diese Babykopfbanditen zu kämpfen. Das war wohl dieses rosarote Licht, dass die Gegner so schemenhaft erscheinen ließ. Es bereitete ihm körperliche Schmerzen. Er musste für jede Bewegung die doppelte oder dreifache Kraft aufwenden. Nur der unbändige Wille, seiner Königin zu dienen hielt ihn bei Bewusstsein und auf den Beinen. Er genoss es, wie zwei weitere der VM-Banditen unter den tödlichen Flüchen ihr widerliches Dasein aushauchten. Warum deren Anzüge schwarz anliefen und warum sie nach dem Umfallen noch einige Sekunden lang röchelten und zuckten begriff Pataleón nicht. Es war auch egal. Er musste diesen Kampf gewinnen. Seine Kollegen und Mitstreiter im Bund der Feuerrose waren fast alle außer Gefecht. Nur er und seine Begleiter hielten noch durch, weil sie die besonderen Kleidungsstücke trugen, die wie diese albernen Einsatzanzüge dieser Banditen mit starken Schildzaubern verstärkt waren. Dann sah Pataleón, wie sich ihm und seinen Begleitern sieben goldene Rohrenden entgegenstreckten. Die jähe Erkenntnis, was das hieß jagte ihm einen solchen Schrecken ein, dass er fast seinen Zauberstab aus der Hand verlor. Doch genau dieser heiße Schreck bewirkte noch was. Vor ihn schnellte eine schwarze Wand hoch, die von ihm aus zu zwei Dritteln durchsichtig war. Dann krachte ein helles Licht auf diese Wand. Er fühlte den zweitobersten Hemdknopf erzittern. Doch die schützende Wand hielt stand.

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Einsammler 1 alias Fernando Suárez konnte es nicht mehr aufhalten. Er hatte den Auslöser für den Reinitiator gedrückt, als genau vor ihm ein schwarzer Spiegel entstand. Ihm war in dem Moment klar, was ihm nun widerfahren musste, und er ärgerte sich, dass er nicht aus einem schrägen Winkel gezielt hatte. So sah er, wie sein goldener Lichtblitz an der schwarzen Fläche auseinanderplatzte, dabei gleißend hell wurde und auf ihn selbst zurückschlug. Das nächste was er fühlte war völlige Schwerelosigkeit in einem Meer aus Licht, ohne Geräusche, Formen und Entfernungsgrenzen. Sein eigener Wiederverjüngungszauber war fünffach verstärkt auf ihn zurückgeprallt. war das jetzt sein Tod? Diese Frage konnte er in diesem Augenblick nicht beantworten.

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Pataleón sah, wie alle vier Verjüngungszauber von den aus reiner Angst aus mitgeführten Schutzartefakten beschworenen schwarzen Spiegeln abprallten und fünffach verstärkt auf ihre Urheber zurückschlugen. Diese schienen in weißem Licht zu verglühen. Aus dem grellen Licht rutschten schlaffe Kleidungsstücke und jene merkwürdigen Babykopfmasken heraus. Außerdem sah Pataleón vier winzige Lichtkugeln davonfliegen wie in den Himmel jagende kleine Sonnen auf der Suche nach ihrem Platz am Firmament. Vier Gegner weniger. Dafür trafen nun fünf grüne Blitze aus den Zauberstäben seiner Mitarbeiter fünf weitere Gegner und fällten diese. Jetzt gab es keine Männer mehr. Jetzt mussten noch die Frauen sterben, damit sein Sieg über diese Banditen vollkommen wurde. "Lass die Weiber am Leben! Ich will die verhören!" hörte er unvermittelt die Stimme seiner Königin in sich. Auch seine Begleiter schienen diese Botschaft zu vernehmen, nicht alle Zeitgleich, aber nacheinander. So versuchte er es mit Fangzaubern. Doch diese wirkten nicht. Da passierte etwas, was weder er noch Ladonna erwartet hatte.

Unvermittelt umhüllten grüne Lichtspiralen die noch kampffähigen VM-Banditen. Keine Sekunde später waren sie fort. Dann ploppte es laut, und die zurückgebliebenen Kleidungs- und Ausrüstungsstücke der ihren eigenen Wiederverjüngungszaubern zum Opfer gefallenen verschwanden ebenfalls. Auch die in schwarz angelaufenen Strampelanzügen mit halbverkohlten Babykopfmasken daliegenden Leichen verschwanden im grünen Licht. Nichts blieb von ihnen zurück.

Mit dem Verschwinden der Gegner hörten auch die pochenden Schmerzen und die unerträgliche halbe Lähmung auf. Pataleón konnte sich wieder so leicht und gewandt bewegen wie vorher.

"Ihr macht unsere Mitstreiter wieder wach. Ich guck mal nach, was draußen los ist", sagte Pataleón.

Vor der völlig aus dem Rahmen verschwundenen Tür fand er zwanzig in für sie zu große Umhänge gehüllte Säuglinge, die gerade aus tiefem Schlaf erwachten und laut schrien. Er ging davon aus, dass diese Neugeborenen nicht nur körperlich sondern auch geistig auf Anfang zurückversetzt worden waren. Somit würde es keinen Sinn machen, sie durch den Regerius-Zauber wieder auf ihr bereits erreichtes Lebensalter zu bringen. Ihm wurde nur klar, dass damit auch zwanzig bereits gesicherte Mitstreiter der Rosenkönigin verlorengegangen waren. an einem der Umhänge, in dem sich gerade ein hilfloser Säugling wand und schrie erkannte Pataleón einen silbernen Knopf, von dem ihm Costacalma erzählt hatte, dass dies das Meldeartefakt war, wenn ihm Vm einen Besuch abstatten wollte.

"Den behalten wir mal bei uns", knurrte er und nahm den Knopf.

Pataleóns Kollegen hatten derweil alle Betäubten wieder aufgeweckt. Costacalma hatte noch zwanzig der Königin verbundene Mitstreiter. Mit denen konnte er schwer das Ministerium halten. Doch irgendwie musste es gehen, wenn die alle die in ihrer Reichweite mit dem Imperius-Fluch unterwarfen, dachte Pataleón.

"die Hexenverächter sind geflüchtet, mit Notfallportschlüsseln", hörte er die Stimme seiner Königin in seinen Gedanken. "Ich hätte sie töten können, meine Königin", dachte er zurück. "Das habe ich miterlebt. Seitdem du es doch noch geschafft hast, alle deine Amtskollegen meiner Herrschaft zu unterwerfen genieße ich es, sie in meinem Namen friedlich vereint miteinander sprechen zu hören und zu sehen."

"Sind die tot, die sich mit den überstarken Verjüngungsflüchen getroffen haben?" wollte Pataleón wissen. "Wenn sie zu lange ohne schützendem Schoß verbleiben, in dem sie neuen Halt finden können werden sie in der Unendlichkeit verwehen", erhielt er eine halbverständliche Antwort seiner Herrscherin. Wie wahrscheinlich war es, dass die Gegner ihren eigenen Zauber überlebten? Wie wahrscheinlich war es, dass sie jetzt vor diesen Leuten Ruhe hatten? Die Frage stellte sich wohl auch Costacalma. Denn Pataleón hörte, wie er seinen südamerikanischen Amtskollegen vorschlug, in das sichere Haus des Ministeriums überzuwechseln, zumal der Konferenzsaal nun schwer beschädigt war. Costacalma erwähnte auch, dass er es nun ganz leicht haben würde, alle Schutztruppler gegen neue Überfälle Vita Magicas einzuschwören. Dann ließ er sich von einem der Hauselfen "Schlüssel sieben" übergeben, eine ausgefranste, löcherige Hängematte, an der sich alle Minister und ihre Begleiter festhalten konnten. Dann sprach Costacalma das Auslösewort für diesen besonderen Schlüssel. Keine Sekunde darauf verschwanden über dreißig Minister und ihre Begleiter in einem blauen Licht.

Sie bekamen nicht mehr mit, wie die Aufräummannschaften den Konferenzraum betraten und die Schäden inspizierten. Die zwangsverjüngten Kollegen wurden von den Heilerinnen aus dem Campo-Dorada-Krankenhaus übernommen. Falls sie wie zu befürchten stand jede Erinnerung an ihre bisherigen Leben verloren hatten sollten sie gemäß den Gesetzen für Findelkinder und Vollwaisen an Pflegeeltern vermittelt werden.

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Zur selben Zeit in der geheimen Niederlassung unter dem peruanischen Regenwald

Anita Domingues saß gerade an der Buchhaltung für die Lebensmittelversorgung des Stützpunktes, als ein gleißender Lichtball durch die Wand schoss und zielgenau in ihren Unterleib einschlug. Sie schrie auf, weil sie meinte, von innen her zu verbrennen. Sie meinte, gleich zu Asche zu zerfallen. Dann ließ die übermäßige Hitze nach, die ihren Körper durchpulste. Der Hitze folgte eine Woge unbändiger Glückseligkeit. Ja, sie meinte, in einem Meer aus purer Euphorie zu schwimmen. Sie spprang auf und hüpfte laut lachend herum, bis diese Welle der Glückseligkeit abebbte. Jetzt konnte sie wieder klar denken. Sie fragte sich, was das gerade war, ein Angriff? Wie konnte dieser Angriff durch die Zauberabwehr der Niederlassung gelangen? Dann merkte sie, dass sie offenbar etwas eingeschrumpft war. Ihre Kleidung, die sie sich nach Maß hatte schneidern lassen, hing nun übergroß und schlabberig um ihren Körper. Sie merkte, wie ihre Unterhose verrutschte und wie ihr Mieder schlackerte, wenn sie sich bewegte, als habe sie einen Gutteil ihrer Oberweite eingebüßt. Die Erklärung dafür bot ihr der Blick in ihren Taschenspiegel. Statt einer Hexe mitte fünfzig, die schon leichte Speckrollen und ausladende Brüste besessen hatte, blickte sie nun ein fünfzehnjähriges Mädchen an, das zwar schon sichtbaren Brustansatz aufwies aber nicht jene Matrone war, als die sie viele bezeichneten, seitdem sie nach der Geburt von Kind Nummer drei nicht mehr auf ihr Wunschgewicht zurückgesunken war. Der gleißende Kugelblitz hatte sie verjüngt. Doch wozu das?

Sie eilte zu einer der Heilerinnen. Diese betrachtete gerade ein zwölfjähriges Mädchen, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Teresa Buenavista hatte, deren Vetter Jaime zum Morgenbrisekommando der vereinten südamerikanischen Fraktion der Bewahrung und Mehrung magischen Lebens gehörte. Sie wusste nicht, dass Teresa eine Enkeltochter hatte. "Ach, Anita. Auch von einem Verjüngungskugelblitz getroffen worden?" fragte Heilerin Leonora die unfreiwillig zur halbwüchsigen gewordene.

"Weißt du was das war?" fragte sie und erschauerte, weil ihre Stimme ihr fremd war. "Sagen wir es so, die Frage müsste lauten: Weißt du wer das war? Öhm, Teresa hat mir erzählt, dass ihr Vetter Jaime mit dem Kommando nach Lima gereist ist, um dort nach dem rechten zu sehen. Dann wurde sie von einem ... Ach, bist du VirginiaCapaverde?" fragte sie eine gerade wie sechzehn aussehende Hexe, die mit sorgenvollem Blick und viel zu weiter Kleidung am Körper hereinkam. Die Gefragte nickte. "Ich wurde von einer hellen Lichtkugel getroffenund habe mich dann so wiedergefunden", seufzte die äußerlich gerade sechzehn Jahre alte Hexe.

"Da kann ich ja froh sein, dass ich keinen Verwandten im Morgenbrise-Kommando habe", sagte Leonora. Dann untersuchte sie die beiden anderen und kam zum gleichen Ergebnis wie bei Teresa. "Tja, offenbar haben Anverwandte von euch versucht, mit dem Reinitiator gegen einen schwarzen Spiegel anzuzaubern. Das hat sie so heftig verjüngt, dass sie mit Überschallgeschwindigkeit davongewirbelt wurden und von den nächsten Blutsverwandten weiblichen Geschlechts angezogen wurden. Anders kann ich das nicht erklären. Ihr seit um die Jahre verjüngt worden, die eure Anverwandten alt geworden sind, tragt sie aber nun als Embryonen in euren Bäuchen und werdet sie wohl als eure künftigen Kinder zur Welt bringen. Wenn es nicht so niederschmetternd wäre, dass wir drei oder noch mehr wertvolle Mitstreiter verloren haben müsste ich eingestehen, dass es schon eine faszinierende Vorstellung ist, dieses Phänomen genauer zu beobachten."

"Moment mal, von meinen Verwandten war keiner in dieser Gruppe unterwegs", sagte Anita Domingues. Doch Leonora schüttelte ihren Kopf. "Doch, Anita", sagte sie. "Alfonso hat Jorge getroffen und der hat erfahren, dass Alfonso seinen Platz in der Gruppe an Fernando abgetreten hat. Falls Fernando zu denen gehörte, die meinten, einen schwarzen Spiegel zu überwinden ist er jetzt so nahe bei dir, wie du ihn als Schwester niemals hättest haben dürfen. Tja, dann wird dein Bruder sein eigener Neffe."

"Öhm, Fernando?" fragte Anita und gedankenrief nach Fernando und dann nach Jorge. Dieser antwortete ihr. Sie zitierte ihn zur Heilerin. Dort durfte er sich anhören, was passiert war. "O Drachenmist. Dann hängt der jetzt öhm, steckt der jetzt ..."

"Unter meinem Herzen, in den Tiefen meines Leibes, such's dir aus, kleiner Bruder. Tolle Aussicht", schnaubte Anita. "Vor allem wo ich mit diesem halbfertigen Körper nicht mehr zu Rudolfo zurückkehren kann, solange ich diesen Draufgänger da mit mir herumschleppen muss. Dabei hatte ich gedacht, mit drei Kindern hätte ich mein Soll für die Gesellschaft gut genug erfüllt."

"Öhm, du siehst gar nicht so schlecht aus, große Schwester", erwiderte Jorge wohl eher aus Hilflosigkeit als aus ehrlicher Bewunderung.

"Ja, und in fünf Monaten sehe ich noch besser aus, wie?" fragte Anita. "Mann, denkst du, mir macht es Spaß, dass Jaime jetzt da in mir drinsteckt", knurrte Teresa. Dass sie mit ihrem Vetter häufig aneinandergeraten war wussten in dieser dorfähnlichen Gemeinschaft von Verschworenen alle.

Später erfuhren die unverhofft verjüngten und ohne entsprechende Handlung schwanger gewordenen Hexen, was passiert war. Die Ruhighalterinnen hatten am ende nur ihr Heil in der Flucht gesehen, auch um berichten zu können, was passiert war. Auch stellte sich heraus, dass die über achtzig Jahre alte Victoria Hierbafuerte ebenfalls um fünfzig Jahre wiederverjüngt worden war, um ihren eigenen Neffen Pedro als dessen Vetter auf die Welt zurückbringen zu dürfen. Immerhin hatten die eine Chance, neu zu leben, während viele Mitkämpfer dem Todesfluch zum Opfer gefallen waren.

"Halten wir fest, dass Ladonnas Unterworfene Amatas Ruhestatt widerstehen können und einige Auserwählte Schildzauberkleidung tragen, was sie für uns unerreichbar macht", sagte Victoria Hierbafuerte. Anita Domingues, deren Zeugungspartner Rudolfo sie sehr befremdet betrachtete, erwähnte dann noch, dass sich die Konferenzteilnehmer nach dem versuchten Zugriff, den sie wohl als Überfall bezeichnen würden, an einen geheimen Ort zurückgezogen hatten, wohl um als neue Gouverneure der Mischlingshexe Ladonna Montefiori tätig zu werden. "Wir müssen davon ausgehen, dass Ladonna zur Hetzjagd auf uns blasen wird. Sicher mag sie auch versuchen, einzelne von uns lebendig zu fangen. Aber wie die Angriffe auf die Karussellniederlassungen gezeigt haben will sie eher unsere physische Vernichtung als unsere Unterwerfung. Wenn wir unsere bereits geborenen Kinder schützen wollen sollten wir uns doch überlegen, das Land zu verlassen, auch wenn die, die wegen ihres Stolzes einen hohen Preis bezahlt haben das anders gesehen haben."

"Öhm, du möchtest deine Heimat verlassen, Anita?" fragte Victoria. Teresa stimmte Anita zu. "Wenn wir die zwei Sturköpfe, die meinten, dieses Land für uns weiter halten zu können gesund auf die Welt zurückbringen wollen sollten wir weit genug von Ladonnas Rosenduftzombies entfernt sein."

"Ich kann eure Angst verstehen und muss mich auch fragen, wozu es gut sein soll, meinen eigenen Neffen als mein fünftes Kind wiedergebären zu sollen, wenn bis dahin ein Mordkommando Ladonnas über diese Niederlassung herfällt. Noch weiß sie nicht, wo wir sind. Aber wenn wir uns weiterhin zu offen zeigen könnte sie es herausfinden. Daher schlage ich vor, dass wir abstimmen, wer hierbleibt und wer in eine ausländische Niederlassung ausßerhalb Europas und Südamerikas zieht."

"Die britische und die französische Niederlassung kann noch Bewohner aufnehmen, und in der Unterwasserniederlassung Aquasphäre eins können noch drei Familien unterkommen", sagte Leonora.

Die Abstimmung ergab, dass Anita und Teresa zusammen mit Jorge, dessen Zeugungspartnerin Angelita und Rudolfo in die Aquasphäre zu Mater Vicesima Secunda alias Lucille Moreland umsiedeln wollten. Victoria wollte mit Virginia nach Irland, wo sie Verwante hatten, die in der Niederlassung bei Killarney wohnten. Die, welche keine Kinder unter siebzehn Jahren zu versorgen hatten wollten bleiben. Leonora würde weiterhin als Heilerin dieser Niederlassung arbeiten.

Als Anita Domingues mit ihrem Mann Rudolfo in die Unterwasserniederlassung umsiedelte sagte dieser zu ihr: "Falls der Notstandsrat meint, ich sollte in der Zeit, die du auf ihn da aufpassen musst noch wen Kleines hinkriegen ..."

"Werde ich dich nicht davon abhalten können", knurrte Anita. Sie ärgerte sich, dass Rudolfo jetzt einen Kopf größer als sie war, wo sie vor nicht einmal zwei Stunden noch einen halben Kopf größer als er und mindestens vierzig Kilo schwerer als jetzt gewesen war. Mit einer Halbwüchsigen konnte so ein gestandener Deckhengst wie Rudolfo Domingues, den sie damals nur geheiratet hatte, um mindestens zwei Kinder von einem starken Typen zu bekommen, natürlich beliebig umspringen. Da Fernando ja nicht von ihm neu gezeugt worden war konnte er sogar von ihr weg, ohne den Eindruck zu haben, sie sitzen zu lassen. Das konnte noch was geben.

Als sie mit der residenten Heilerin Valerie und Perdy Diggle gesprochen hatte sagte Shana Moreland: "Sieh es mal so, Anita. Fernando wollte dir nur zeigen, wie sehr er dich mag, dass er dir deine Jugend wiedergegeben hat und so nahe wie möglich bei dir sein will."

"Sei du froh, dass deine kleine Ziehtochter auf eine Wiedergeburt verzichten konnte", knurrte anita. Dem konnte Shana Moreland leider nicht widersprechen.

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Auf der Hacienda von Doña Margarita de Piedra Roja, 25.04.2006, 22:30 Uhr Ortszeit

Eigentlich lag Margarita de Piedra Roja schon im Bett. Die späte Mutterschaft machte auch ihr gut zu schaffen, weshalb sie froh war, genug Schlaf zu bekommen. Doch als ihre Nichte Esmeralda sie behutsam anmentiloquierte vergaß sie das mit dem frühen Schlaf.

"Esmi, was immer da gelaufen ist, sag es mir im direkten Gespräch!" befahl die Löwin von Lima, als sie erfuhr, dass es bei der alle drei Jahre stattfindenden Konferenz spanischsprachiger Zaubereiminister gleich zwei Anschläge gegeben haben sollte. Nur drei Minuten später saß die hochschwangere Esmeralda im klangkerkerbezauberten Arbeitszimmer ihrer Tante und erstattete genauen Bericht. "War doch gut, dass wir uns diesen Armiño Alamedas kultiviert haben", sagte Margarita de Piedra Roja. "Dann ist es quasi amtlich, dass Costacalma mit denen von VM verhandelt hat, dass die jetzt meinen, ihn auf angebliche oder echte Zusagen festnageln zu müssen?" Esmeralda schloss das nicht aus. "Ja, und natürlich verdächtigen sie jetzt die Föderation der Gringos und der ihnen am Umhangsaum hängenden Tortillabäcker, dieses achso wichtige Gipfeltreffen spanischsprachiger Zaubereibevormunder zu verderben, weil es Leuten wie Paulino und auch unserem Oberzauberer Costacalma in den Kram passt, dass die Nordamerikaclique kein geeintes Südamerika haben will und deshalb Hass und Zwietracht unter den einzelnen Ministerien sähen will. Aber so wie es jetzt aussieht ginge der Schuss für die Gringos und Tequilatrinker voll nach hinten los, weil ja gerade dadurch erst recht Einigkeit gegen den Norden erzielt wird. Die Bluthündin Bullhorn weiß das, und sicher wissen das auch alle in ihrem glorreichen Föderationsrat, dass ein Mordanschlag bei einer Konferenz eher das Gegenteil von dem einbringt, was beabsichtigt ist. Da wäre es klüger gewesen, einzelne Teilnehmer in Geheimverhandlungen mit Zuwendungen zu ködern, wenn sie die Konferenz scheitern lassen. Dann würde das Misstrauen gegeneinander steigen, aber nicht durch Mordanschläge auf einfache Sicherheitsbedienstete. Vor allem, wo sind die drei, die das verzapft haben sollen?"

"Öhm, angeblich von einem Erfüllungsfluch wegen Versagens zu Staub zerfallen. Armiño hat Gerüchte gehört, dass die Mexikaner einem alten Austrocknungsfluch der Azteken erlegen sein sollen, der alles in ihren Körpern enthaltene Wasser hat verdunsten lassen."

"Natürlich", grummelte Margarita. "Nicht, dass mir dieser böse Zauber der Adleranbeter nicht geläufig wäre. Natürlich kannst du damit die Treue und Verschwiegenheit von Leuten sichern. Aber mit sowas würde sich diese Bluthündin Bullhorn doch selbst ad absurdum führen, die doch immer wieder meint, wie dunkle Zauber sie anwidern und sie deshalb gegen all die kämpft, die sowas benutzen. Falls dann sowas rauskäme wäre ihr Wort nichts mehr wert, selbst wenn sie behaupten wollte, dass ja die Mexikaner diesen Ausdörrungsfluch benutzt hätten, um sich der Treue ihrer Mitarbeiter zu versichern. Also das hätten die von Vita Magica längst rausbekommen, als sie die Fäden in Nordamerika gezogen haben."

"Was glaubst du dann, wer oder was diesen Mordanschlag veranlasst hat?" wollte Esmeralda wissen. Darauf nannte Margarita nur einen Namen: "Ladonna Montefiori." Das genügte Esmeralda als Antwort. Denn das würde passen, die Südamerikaner gegeneinander oder miteinander gegen die Nordamerikaner aufzubringen. Blieb nur die Frage, ob Ladonna nur die drei Föderationsratsmitglieder unterworfen hatte oder nicht gleich die ganze Konferenz unterihre Herrschaft gezwungen hatte. Darauf konnten die beiden unterschiedlich alten Hexen noch keine Antwort geben, und dies gefiel ihnen nicht.

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Millemerveilles, 26.04.04.2006

Wie seit 2004 Tradition begingen die Bewohner Millemerveilles am Abend des 26. April das Gedenken an die Zeit unter der Dämmerkuppel, die mit der Woge dunkler Magie begann und mit der Vernichtung des von hunderten geknechteter Seelen aufgeblähten Geistes Sardonias und Clarimonde Latierres Geburt endete. Wie bei diesem Anlass üblich entzündeten die Feuerwehrzauberer von Millemerveilles auf dem Zentralplatz ein großes Lagerfeuer, um zu zeigen, wie wichtig diese Licht- und Wärmequelle in dieser Zeit gewesen war. Um die Gemeinschaft zu bekräftigen nahm jedes Familienoberhaupt mit einer Fackel etwas von dem Feuer mit ins eigene Haus, ähnlich wie bei den Weihnachtsfeiern.

Julius las noch die Nachrichten aus der nichtmagischen Welt. Heute gedachten sie der vor zwanzig Jahren geschehenen Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Damals, das hatte Julius noch im Gedächtnis, hatten viele Ärzte und Biologen die Befürchtung geäußert, dass bis zu dreißig Jahre nach der radioaktiven Wolke über dem europäischen Festland Spätfolgen wie Krebs oder zu Missbildungen führende Erbgutveränderungen eintreten mochten. Doch um diese Vorhersage zu prüfen hätte Julius die öffentlich nachlesbaren Statistiken lesen müssen. Da es jedoch Studien gab, die mal für und mal gegen diese Behauptung argumentierten und es trotz der Atomkatastrophe und des immer noch nicht geklärten Problems, wohin der verbleibende Atommüll entsorgt werden konnte gab es immer noch Menschen und Gruppierungen, die die Atomkraft als die wichtigste Energiequelle der Zukunft priesen. Die stritten sich vor allem im Internet mit den Gegnern der Atomkraftnutzung. . Darauf hatte er jedoch keine rechte Lust. Er war nur froh, dass Millemerveilles gegen diese Art weltweiter Verseuchung bestmöglich abgeschirmt war.

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Im Büro von Elysius Davidson, 26.04.2006, 08:30 Uhr Ortszeit

Guillermo Fernando Casaplata wirkte nicht erfreut, als er seinen Gesinnungsgefährten im Sumpfland von New Orleans besuchte, um mit ihm über den Vorfall vom Vortage zu sprechen. Eigentlich hatten die beiden es mit ihren Mitarbeitern so gut vorbereitet, abzusichern, dass eben nichts passierte. Das war gründlich danebengegangen.

"Es hat sicher nicht an der Genialität deines Ausrüstungsmeisters Hammersmith gelegen, Compadre Elysius", sagte Casaplata. Hier in den Staaten sprach er kalifornisches Englisch ohne mexikanischen Akzent. Davidson nickte und hörte weiter zu. "Dieser Gefahrenfänger ist sein doppeltes Gewicht in Gold wert. Aber dass die Mitglieder der spanischen Delegation, die der Konferenz Ladonnas Botschaft unterjubeln wollten zum einen gegen Zauberflüche abschirmende Kleidung trugen und zum anderen den Befehl hatten, sich enthüllende Gegner ohne Vorwarnung umzubringen haben wir nicht bedacht. Mein Mitstreiter Alvaro Piñero muss wohl längere Zeit im Haus der Heilung zubringen, weil der Tod seines Zwillingsbruders einen schweren Seelenschock und auch einen beinahe totalen Körperzusammenbruch bewirkt hat. Alonso Piñero, der in der Vielsaft-Verwandlung als Vientofresco auftrat, hat mit ihm die vollendete Fernempfindung vollzogen. Ähnlich wie bei eurem Sternenzauber Potestas Geminorum kann die Zerstörung eines sinnlich vollständig wahrgenommenen Zweitkörpers die Tagesausdauer und die Lebensfähigkeit beeinträchtigen. Bei dem alten Aztekenzauber Bruderwissen, der bei Zwillingsgeschwistern viermal so stark wirkt wie bei einzelgeborenen Geschwistern ist das noch heftiger. Alvaro hatte glück, dass seine Frau darauf bestanden hat, seine Verbindung mit Alonso zu überwachen, weil er ja schon im scheintodartigen Zustand war. Gut, immerhin wissen wir nun, dass die Spanier eine getarnte Feuerrosenkerze in die Konferenz geschmuggelt haben- was wir ja befürchten mussten. Euer Gefahrenfänger hat sie noch vor Entfaltung der Rosenflamme ergriffen und konnte mit ihr verschwinden. Dabei sind die von meinen Leuten erfundenen Munditito-Helme aktiv geworden und haben meine Leute vor den Ausdünstungen der Kerze beschützt. Aber offenbar haben sie den Fehler begangen, sich gegen die sechs Spanier zu stellen und geglaubt, sie mit Schock- und Fangzaubern überwältigen zu können. Dieser unverzeiliche Irrtum war dann auch der letzte Fehler, den sie begingen. Jetzt wissen wir nicht, was danach passiert ist. Es kann sein, dass die Konferenz ohne die Spanier fortgesetzt wurde oder die Spanier einen Plan B hatten, falls die Feuerrosenkerze nicht wirkte."

"Moment, die sind nicht wie es von dem einen Vorfall damals in Italien berichtet wurde ruhig sitzengeblieben, als der violette Rauch entstand, sondern haben versucht, die Verräter mit eigenen Zaubern zu überwältigen? Öhm, sich dann so dem Todesfluch anzubieten ist wirklich fahrlässig. Die hätten Tarngürtel tragen müssen, die im Gefahrenfall unsichtbar machen oder jene Abbildungsvervielfältiger, die mein Ausrüstungsmeister entwickelt hat."

"Was du nicht sagst, Compadre Elysius", schnaubte Casaplata und knallte dem Mitstreiter aus New Orleans mehrere Pergamentzettel auf den Tisch. "Das ist die Bestätigung einer Einsatzausrüstungszuteilung von meinem Ausrüstungsexperten Manorica. Meine Leute hatten nicht nur die als Hemdkragen getarnten Munditito-Helme, die alle schädlichen Gase, Klangzauber und visuellen Beeinflussungen abschotten und nur die Sicht auf unbezauberte Objekte und erkannte Feinde erlauben, sondern auch Standortvortäuscher und Abbildvervielfacher dabei. Die hätten sie auch vor den Todesflüchen beschützt, wenn sie nicht den Fehler gemacht hätten, weiter mit sichtbaren Schockzaubern draufzuhalten. Zumindest hat mein Einsatzbewertungstrupp das so aufgefasst, dem auch Melissa Piñero angehört, die nicht nur Heilerin sondern Biomaturgin ist. Pataleón muss anhand der Rückprellrichtung der roten Schockkblitze den realen Standort unserer Leute erfasst und gezielt darauf eingeflucht haben. Ja, und was den Abbildvervielfältiger angeht, so kann der mit einem gespeicherten Illusionszerstreuer gekontert werden, wenn jemand mit einer solchen Ablenkungstaktik rechnet. Jedenfalls sind nicht nur Piñeros Lebenszeichen, sondern auch die seiner als Föderationsratsmitglieder getarnten Einsatzpartner Picoblanco und Lagoverde erloschen. Für Alvaro Piñero war es natürlich am schlimmsten, weil er eben den Zauber Bruderwissen mit seinem Zwillingsbruder Alonso ausgeführt hat, der vor einer Vielsaft-Verwandlung ausgeführt werden muss und solange hält, wie beide Beteiligten am Leben und bei Bewusstsein sind. Sonst wüssten wir ja überhaupt nichts von dem, was vorgefallen ist."

"Ja, und wenn Ladonna Montefiori wirklich einen Plan B erarbeitet hat könnte ... natürlich", knurrte Davidson. "Womöglich sollte die erste Feuerrose alle Anwesenden beeinflussen und zu lebenslänglichen Gefolgsleuten Ladonnas machen. Da ja alle davon ausgingen, deine Leute seien die echten Ratsmitglieder der Föderation hätten die dann ja irgendwann Ladonnas Rosensaat in unsere Föderation übertragen müssen. Wie hätten die das gemacht?"

"Indem sie von Pataleón eine zweite Mistkerze bekommen hätten, die sie bei einer wichtigen Ratsversammlung entzündet hätten", schnaubte Casaplata. "Ja, und jetzt noch was, das uns beiden den restlichen Tag versauen wird, Compadre Guillermo. Wenn wirklich ein großflächiger Illusions- und Tarnzerstreuungszauber gewirkt wurde, um einen Abbildvervielfacher zu kontern, dann hebt so ein Zauber auch jede andere Tarnung auf, sofern das getarnte Ding nicht in einem gegen äußere Bezauberungen abgeschirmten Behälter aufbewahrt wird. Was würde dann mit einer weiteren getarnten Feuerrosenkerze passieren? - Richtig, sie würde enttarnt und damit auch aktiviert. Dann hätte unser Gefahrenfänger die Unterwerfung aller Teilnehmer um vielleicht ein paar Minuten verzögert, aber nicht vollständig verhindert. Aber du erzähltest, das Costacalma nur einen davon in den Konferenzraum reinlassen wollte."

"Ja, weil ihm meine Leute vollmundig anpriesen, dieses Gerät für die Bekämpfer dunkler Mächte anzupreisen und nicht, weil sie von einem wirklichen Anschlag ausgingen. Denn dann hätte Costacalma die Konferenz sicher nicht stattfinden lassen oder sich davon ferngehalten."

"Ja, hätte hätte Perlenkette, Compadre Guillermo", knurrte Davidson. "Fazit, wir beide haben den Drachen am Schwanz ziehen wollen und uns dabei von dessen Feuerstrahl verbrutzeln lassen. Falls Ladonna wirklich eine zweite Feuerrosenkerze als "Gruß der Konferenz" an die Föderation mitgegeben hat, ist ziemlich wahrscheinlich jetzt der Fall Rosenhecke eingetreten, den die werte Madam Bullhorn und ich erörtert haben. Das einzig positive an diesem Fiasco ist, dass diese Feuerrosenkerze nicht in den Föderationsrat gelangt ist. Tja, werde ich der werten Dame Bullhorn wohl klarmachen müssen, dass ihr paritätischer Rat fast zum Marionettentheater einer italienischen Hybridhexe geworden wäre."

"Wäre wäre Weizenähre", revanchierte sich Guillermo Casaplata für Davidsons abschätzige Antwort auf seine Darlegungen von eben.

"Seit wann pflanzt ihr Weizen an, wo ihr so gut mit Mais lebt?" fragte Davidson. "Öi!" stieß Casaplata darauf aus. Dann verfiel er in eine noch betrübtere Haltung. "Dir ist klar, dass es mit einer kurzen Ansage an Atalanta Bullhorn nicht getan ist, Compadre. Denn wir haben uns gegen die uns auferlegten Verhaltensrichtlinien vergangen und gänzlich ohne amtliche Genehmigung drei Vielsaft-Trank-Einsätze gefahren. Außerdem gelten die Ratsmitglieder Vientofresco, Puentealto und Selvaviva jetzt als tot. Wenn wir die jetzt aus unserer Obhut entlassen stecken wir zwei bis über unsere Sombreros im Drachenmist. Denn dann müsste ich den verbliebenen drei Ratsangehörigen meiner geliebten Heimat begreiflich machen, dass wir, die achso ehrenvolle Gesellschaft zur Abwehr dunkler Erbschaften und gefährlicher Geschöpfe ihre Kollegen auf dem Weg nach Lima abgefangen, in Tiefschlaf versetzt und gegen Leute von uns ausgetauscht haben, um die Konferenz auszukundschaften und mögliche Angriffe darauf abzuwehren, und dass uns das am Ende nicht mal gelungen ist. Da können wir nicht mal mit Signore Machiavelli argumentieren."

"Neh, lass das besser. Den kennt die Hybridin Ladonna Montefiori sicher persönlich, wenn ich deren Lebenslauf richtig gelernt habe", sagte Davidson. "Doch halt mal, die Konferenz soll ja noch bis zum ersten Mai dauern. Solange sind die drei angeblichen Ratsmitglieder sowieso abgemeldet. Da diese Konferenz ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet hat bis auf die Teilnehmer keiner außer deinem Mitstreiter Piñero mitbekommen, dass die drei mexikanischen Delegierten tot sind, richtig?" Casaplata wiegte den Kopf und legte seine Stirn in tiefe Falten. Dann straffte er sich und stieß aus: "Ja, die werden das erst mitteilen, wenn alles andere besprochen wurde. Solange gelten die drei als nicht vermisst und nicht tot."

"Hmm, vielleicht kommen die auch auf die Idee, die drei eben nicht für tot zu erklären und sie uns zurückzuschicken", sagte Davidson hintergründig lächelnd. Als Casaplata begriff, warum Davidson lächelte konnte auch er sich ein grimmiges Grinsen nicht verkneifen. Doch dann sagte er: "Ja, aber trotzdem können wir die drei Originale nicht zurückschicken, Compadre. Ich kann ja auch nicht zu Madam Bullhorn oder den noch verbliebenen Räten aus meinem Heimatland hingehen und denen gestehen, dass ich drei wichtige Zauberer habe abfangen lassen und durch Vielsaft-Trank-Kopien ersetzen ließ. Wenn ich das tue würde nicht nur die Sociedad libre zur Verbrecherorganisation im Sinne von Bullhorns neuer Auffassung von Recht und Ordnung erklärt, sondern wir zwei dürften dann die neue Rechtsprechung für Hochverräter ausbaden und müssten dann unsere bisherigen Leben aufgeben. Da steht mir nicht der Sinn nach, Compadre.""

"Da sagst du was. womöglich müssen wir aber die drei echten Ratsmitglieder tatsächlich unauffindbar machen, indem wir sie im Stil von VM neu anfangen lassen", erwiederte Davidson darauf.

"Gut gebrüllt, Löwe", erwiderte Davidson. "Ihr müsstet die drei dann aber so unterbringen, dass in den nächsten dreißig Jahren keiner mitkriegt, wer die früher waren, weil die ja dann doch irgendwann wieder so aussehen werden wie gerade jetzt noch. Es sei denn - sage ich das jetzt echt? -, dass ihr die nicht als arme kleine Waisenjungen in die Welt zurückschickt."

"Öhm, träume ich das gerade?" fragte Casaplata und kniff sich kräftig in den linken Arm. Davidson blieb ruhig. "Neh, du hast das gerade echt gesagt, Compadre Elysius. Ja, und ich werde gerade von Wichtel geritten, der mir flüstert, dass du da sogar die einzig brauchbare Lösung anbietest, wie wir zwei unsere strammen Hinterteile noch aus dem lodernden Feuer ziehen können. Nur wird Alvaros Angetraute das nicht so gerne hören."

"Du kriegst das hin, Compadre. Ich musste unserer Heilerin vom Dienst auch schon einiges zumuten."

"Ja, und?" fragte Casaplata. "Sie erkennt mich noch als ihren Vorgesetzten an, auch wenn ihr die zehn globalen Heilerdirektiven immer wieder an den Ohren ziehen, weil sie zwischendurch mal übersehen muss, wo wir dagegen verstoßen. Das wird eure Chefheilerin sicher auch so sehen."

"Falls sie mich nicht gleich im selben Arbeitsgang zu einer Cousine von Vientofresco macht, als die ich dann irgendwo neu aufwachsen darf. Das wäre dasselbe wie bei unserem Schuldeingeständnis vor Bullhorn und Compañeros, Compadre."

"Auch wieder wahr", grummelte Davidson. "Gut, da du mir nicht in meine Amtsführung dreinreden darfst kläre das mit eurer "führenden Hand", wie ihr das mit den drei Ratsmitgliedern anstellen wollt."

"Ja, und du teile eurem genialen Zauberschmied und Trankbrauer mit, dass sein Gefahrenfänger taugt, auch wenn wir wohl bei neuen Einsätzen mehr als zwei einplanen müssen."

"Ich bekomme sicher gleich noch die Auswertung der gespeicherten Bildaufzeichnung und alchemistischen Analysen. Vielleicht können wir darauf aufbauend ja noch was erfinden, um entweder noch wirksamer und langfristiger gegen die Feuerrose vorzugehen oder, was sogar noch besser ist, deren Opfer zu erlösen, ohne sie umzubringen."

"Ach neh, Compadre. Ich ging davon aus, dass die Franzosen das schon können", erwiderte Guillermo Casaplata. "Gut, der Tag ist schon versaut genug", schnaubte Davidson. "Ja, die Franzosen können zumindest die von Ladonnas Veelazaubern beeinflussten auffinden und von diesem Einfluss lösen, aber nur mit Hilfe annderer Veelas. Wenn ich damit zu Bullhorn gehe hält die mir mein Rücktrittsgesuch unter die Nase, dass ich nur noch unterschreiben soll. Die ist sowas von gegen andere humanoide Zauberwesen eingestellt, dass es schon laut quietscht, wenn sie nur was über die in den Staaten eingewanderten Zwerge und Veelastämmigen hört. Dass sie die bisher noch nicht des Föderationsgebietes verwiesen hat liegt nur daran, dass es günstiger ist, von denen Sondersteuern einzutreiben als sie mit Schiffen außer Landes zu schaffen. "Solange man die Kuh melken kann muss man sie nicht vom Hof jagen" hat einer ihrer Miträte nach einer Sitzung getönt, wo es um das Verhältnis zu menschenförmigen Zauberwesen ging."

"Weshalb sie ja auch bei meinen Landsleuten so ungemein erfolgreich abgeschnitten hat, weil die von den ganzen europäischstämmigen Zauberwesen nichts halten und die Indios, öhm, die Naciones primeras, da mal mit den Europäischstämmigen einig sind, dass die nicht in unser weites und vielfältiges Land passen."

"Tja, Compadre, soweit geht die Vielfalt dann wohl doch nicht bei euch- wie bei uns ja auch", grummelte Davidson.

Es klopfte an der Tür. Als Davidson "Herein!" rief betrat Quinn Hammersmith das Büro und begrüßte den mexikanischen Besucher in bestem Mexikospanisch. "Wir sind hier bei Ihnen, daher sprechen Sie ruhig weiter Englisch, Señor Hammersmith", sagte Casaplata auf Englisch.

Quinn übergab Davidson einen Stapel Pergamentbögen und mehrere Abzüge von Fotos, die mit alchemistischen Entwicklungsmethoden erstellt worden waren und daher die aufgenommenen Motive in eigenständiger Bewegung darstellten. Als sie die Bilder betrachtet und die Analyseergebnisse nachgelesen hatten sagte Hammersmith: "Die Frau opfert etwas von ihrem eigenen Blut, um diese Kerzen zu machen. Im Rauch war auch etwas von verbranntem Horn, wie es in Haaren enthalten ist. Da Veelahaare besondere magische Eigenschaften haben gehen wir davon aus, dass sie auch etwas von ihrem zauberkräftigen Haupthaar opfert, um eine Kerze zu fertigen. Das ist insofern gut zu wissen, da wir davon ausgehen dürfen, dass sie nicht beliebig viele Kerzen auf einmal herstellen kann, sondern immer nur eine begrenzte Anzahl pro Monat. Allerdings wissen wir nicht, wie viele Kerzen sie schon hergestellt hat und wem sie noch welche davon zuspielen will. Im Moment gehen wir jedoch davon aus, dass sie erst einmal die ganze südamerikanische Ecke damit bedenken will, also über dreißig Staaten. Wenn sie dabei genauso vorgeht wie wir es aus Deutschland erfahren haben und wie wir daraus schließen können, dass sie das in anderen europäischen Ländern genauso gemacht hat, benötigt sie mindestens noch dreißig solcher Kerzen mit weitreichender Wirkung, um nicht nur die Führungsriegen der Zaubereiministerien zu unterwerfen, sondern deren Mitarbeiter zu vollkommenen Gefolgsleuten zu machen. Mrs. Merryweather, die uns aus dem Kindbett grüßt, hat von der Elektrorechnerkollegin May Baywater die Frage zugeschickt bekommen, ob Ladonna wohl schon für uns Föderierte ein ähnliches Begrüßungsgeschenk ins Gepäck geschmuggelt hat. Martha Merryweather hat unverzüglich geantwortet, dass dies höchstwahrscheinlich sei, weil sie diese einmalige Gelegenheit nicht auslassen würde, beide amerikanischen Zauberergemeinschaften auf einen Schlag zu unterwerfen und die zweite Kerze dann wohl die von unserem Gefahrenfänger fortgeschaffte erste Kerze ersetzt haben wird, also alles ohne Konjunktive."

"Öhm, Kindbett", erwiderte Davidson. "Heißt das, ihr Kind ist da?" fragte er. "Ja, soweit die Kollegin Baywater mir das mitgeteilt hat bekam sie gestern um fünf Uhr Nachmittags ihre dritte Tochter, Rubia Eileithyia."

"Ach, dann hat nicht unsere Heilerin, sondern Eileithyia ihr wieder geholfen?" fragte Davidson. "Öhm, stimmt. Sie war im HPK, Macht der Gewohnheit oder dringende Überweisung von ihrer Hausheilerin Palmer."

"Gut, ich werde ihr meine Glückwünsche zukommen lassen", sagte Davidson. "Aber noch einmal zurück zu Ladonna. steht Ihrer Meinung oder der von der eigentlich beurlaubten Kollegin Merryweather nach irgendwo eine Sanduhr, auf der die Namen unseres Föderationsrates stehen und vielleicht auch die Namen des Compadres Casaplata und meiner Wenigkeit?"

"Sanduhren haben diese gemeine Eigenschaft, für Standardohren unhörbar abzulaufen, anders als mechanische Uhren oder Wasseruhren", sagte Quinn. "Und wenn diese Uhr nicht irgendwo bei uns steht sondern in Italien kann wohl auch Mrs. Latierre-Knowles sie nicht rieseln hören."

"Touché", knurrte Davidson. Sie wussten also nicht, wie viele tückische Kerzen noch unterwegs waren und von wem sie wann zum Einsatz gebracht werden sollten.

"Öhm, falls Sie das wünschen, Direktor Davidson, kann und werde ich mit den Kolleginnen aus meinem Alchemistenlabor eine klare Empfehlung für Madam Bullhorn und den Rat ausfertigen, mit den Veelastämmigen in unserer Föderation einen Vertrag auf gegenseitiger Anerkennung und Beistand abzuschließen. Denn so wie wir das sehen kann nur ein Veelazauber die Macht der Feuerrosenkerze wieder brechen oder ihre Entfaltung verhindern, sofern kein Gefahrenfänger verfügbar ist oder eine höchst fragwürdige Dame mit einem ebenso obskuren Feuerschwert auf der Lauer liegt, um eine Feuerrosenkerze zu zerschmelzen, bevor Ladonna neue Feuerrosengebundene bekommt."

"Oh, habt ihr euch auf diese Bezeichnung festgelegt?" wollte Casaplata wissen. Davidson bestätigte es. "Wir hatten noch Halbzombies, Seelengiftopfer und Feuerroseninkontaminierte in der Auswahl. Aber ja, Feuerrosengebundene hat sich dann intern durchgesetzt." Hammersmith bestätigte es.

"Wir überlegen noch, ob wir sie nicht doch als Halbzombies oder Feuerrosenmarionetten bezeichnen sollen. Was wir als offizielle gesellschaftsinterne Bezeichnung nutzen werden steht also noch aus", erwähnte Casaplata. Davidson nickte.

Hammersmith durfte dann wieder gehen und sich weiteren Forschungen widmen, nur für den Fall, dass Bullhorn nicht über ihren Schatten springen und sich mit den Veelastämmigen einigen konnte.

"Ich kehre dann mal zurück und berufe eine Dringlichkeitssitzung der Mano guillanda ein. Ich werde nicht erwähnen, dass Sie den Vorschlag gemacht haben, die drei wohl ganz offiziell für tot zu erklärenden durch Geschlechtswandel und Verjüngung in ein neues Leben zurückzuschicken, sondern das als meine eigene Idee vertreten. Ich hoffe, Sie sind mir deshalb nicht böse, Compadre Elysius."

"Nein, bin ich nicht. Wie erwähnt ist es Ihre Angelegenheit, wie Sie die Ihre Landsleute betreffenden Auswirkungen behandeln", erwiderte Davidson ruhig. Natürlich wusste er, dass Casaplata diesen Vorschlag nicht sonderlich mochte. Auch wusste er, dass Casaplata sehr um seine Eigenständigkeit bemüht war und nicht andeutungsweise rüberbringen wollte, dass der Direktor des Laveau-Institutes ihm irgendwelche Ratschläge oder gar Aufforderungen machte.

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Im Büro von Atalanta Bullhorn in Viento del Sol, 26.04.2006, 10:30 Uhr Ortszeit

Elysius Davidson hatte sich mit Sheena O'hoolihan und weiteren ranghöheren Angehörigen des Laveau-Institutes kurz beraten, was er Atalanta Bullhorn erzählen sollte. Ja, das mit dem Gefahrenfänger konnte er erwähnen. Dass die SL drei Ratsmitglieder gegen eigene Leute ausgetauscht hatte würde er verschweigen und damit auch, dass diese getötet worden waren. So erwähnte er der Föderationsratssprecherin gegenüber, dass die drei mexikanischen Ratsmitglieder Vientofresco, Puentealto und Selvaviva einen der von ihm vor einem Monat nur ihr gegenüber erwähnten Gefahrenfänger mitgenommen und erfolgreich in den Konferenzsaal geschmuggelt hatten. Dieser war tatsächlich nötig gewesen, so erwähnte er weiter. Allerdings gab es keine Aufzeichnungen, was nach dem Einsatz des Gefahrenfängers geschah. Das war nicht einmal gelogen. Offiziell war mit dem Einsatz des Gefahrenfängers die Arbeit des Laveau-Institutes erledigt. Ob und was der Waffenbruder Casaplata noch berichten würde sollte dieser befinden, hatte Sheena O'hoolihan angeraten. Er erwähnte jedoch die Auswertungen des Gefahrenfängers, zu denen er sich später noch genauer äußern wollte.

"Wir müssen wohl davon ausgehen, Madam Bullhorn, dass die spanische Delegation nicht nur eine Feuerrosenkerze im Gepäck hatte. Denn sicherlich war oder ist beabsichtigt, ein solches Unding auch in eine Sitzung des Föderationsrates zu schmuggeln", zog Davidson ein Fazit seiner Schilderung. Die ehemalige Jägerin dunkler Hexen und Zauberer sah ihn sehr ernst an und nickte dann.

"Bisher habe ich nichts von den drei Kollegen Vientofresco, Puentealto und Selvaviva erfahren. Eigentlich war vereinbart, dass die drei jeden abgeschlossenen Verhandlungstag eine Eule mit Kurzbericht schicken. Ja, und sie sollten sich ja auch formvollendet aus der Konferenz verabschieden", grummelte Atalanta Bullhorn. "Jetzt kommen Sie noch damit, dass Pataleón im Auftrag Ladonnas handelt und womöglich noch eine solche dunkle Duftkerze mitgebracht hat, die er uns unterjubeln könnte. Ich will Ihre Intelligenz nicht beleidigen, indem ich die Frage stelle, ob diese zweite Kerze dann nicht als Ersatz für die erste Kerze eingesetzt wurde, um zumindest alle Konferenzteilnehmer zu unterwerfen."

"Nun, ich habe das auch geargwöhnt. Doch das auszusprechen hätte geheißen, Ihre Intelligenz anzuzweifeln, Madam Bullhorn", erwiderte Davidson verwegen dreinschauend. Im Grunde hatte sie den von ihm geworfenen Quod sicher aufgefangen und in den Pot umgeleitet. "Ja, aber dann müssten die drei erst recht den Anschein der Gefahrlosigkeit aufrechterhalten und mir und dem Rat eine Reihe von beruhigenden Berichten zusenden", sagte Atalanta Bullhorn. Doch dem konnte Davidson offen widersprechen.

"Es mag sein, dass Perus Zaubereiminister eine Verlegung der Konferenz an einen anderen Ort beschlossen hat und diese Konferenz in Klausur stattfindet, also völlig ohne Kontakt nach außen. Wenn unsere Abgesandten sich nicht daran halten würden sie womöglich auffallen. Ja, und sollten sie wahrhaftig einer zweiten Kerze zum Opfer gefallen sein dürfen sie nichts mehr tun, was gegen den Willen ihrer neuen Befehlshaberin verstößt, auch wenn sie einen gewissen Argwohn erwecken mögen."

"Ja, und wenn die Konferenz grundsätzlich an einem gegen Exosenso und Mentiloquismus gesichertem Ort stattfindet besteht auch keine Möglichkeit, sie von außen zu beobachten oder Einzelheiten zu erfragen", schnaubte Bullhorn. "Aber wenn wirklich der Fall Rosenhecke eingetreten sein sollte, über den wir zwei und Señor Casaplata schon gesprochen haben, dann sind wir zum Abwarten verurteilt."

"Nicht ganz, Madam Bullhorn. Wir müssen davon ausgehen, dass die betreffenden Zauberkerzen ja getarnt oder durch Translokalisationszauber in den betreffenden Raum eingebracht werden. Also können wir bei jeder Sitzung schon mal einen Breitbandillusionszerstreuungszauber verwenden, der jede magische Tarnung und Verhüllung aufhebt, ähnlich wie der von den Gringotts-Kobolden verwendete Wasser- und Erdzauber Diebesfall. Außerdem können wir weitere Gefahrenfänger platzieren, die bei einer Ratssitzung enthüllte Feuerrosenkerzen beseitigen und dann die offenkundigen Verräter handlungsunfähig machen. Ist dies gelungen besteht die Möglichkeit, sie aus Ladonnas Bann zu erlösen, gemäß einer der drei magischen Abwehrprämissen, nämlich jener, dass gleiches von gleichem behoben werden kann", deutete Davidson an. Die Ratsvorsitzende sah ihn sehr argwöhnisch an und fragte dann, welches gleichwertige Mittel denn helfen sollte. So sprach er das aus, von dem er und Casaplata vermuteten, dass es ihr nicht gefiel. "Ladonnas Feuerrosenkerze beruht auf Veelakraft, Madam Bullhorn. Das kann nach der Auswertung des Gefahrenfängers eindeutig als gesichert angenommen werden. Insofern kann ihr Unterwerfungszauber mit der gleichen Sicherheit nur von Angehörigen der Zauberwesenart der Veelas gekontert und womöglich auch umgekehrt werden. Wir wissen, dass in Frankreich eingeschleuste Agentinnen Ladonnas ..."

"Sie wollen ernsthaft anregen, dass wir diese höchst fragwürdigen, ja eigensinnigen Geschöpfe als unsere Helfer einsetzen sollen", schnitt Atalanta Bullhorn ihm das Wort ab. Er nickte nur und dachte für sich, dass dies genau die Reaktion war, die er erwartet hatte. "Sie sagen, Sie können es als gesichert annehmen, dass Ladonna Veelazauber benutzt, wohl weil sie eine Hybridin ist. Doch einerseits kann sie auch den Sabberhexenanteil ihres Erbes dazu einsetzen und andererseits ist bekannt, dass Veelastämmige nichts gegen erwiesene Angehörige ihrer Art unternehmen, sofern sie keine persönlichen Vorteile daraus ziehen. Sie dürfen das als offizielle Aussage des Rats werten, dass wir von der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer nichts unternehmen werden, was nichtmenschliche Wesen in die Lage versetzt, uns irgendwelche Bedingungen zu stellen. Wir sind hier nicht in Frankreich, wo die amtierende Ministerin offenbar wegen eines ihr aufgeprägten Veelazaubers meint, in deren Sinne handeln zu müssen und deshalb auch gewisse Gegenleistungen erhält, um diesen Verpflichtungen weiterhin unterworfen zu bleiben. Ja, wir würden hier gleiches mit gleichem bekämpfen, wohl wahr. Statt eines walisischen Grünlings würden wir einen peruanischen Vipernzahn in unser Haus lassen. Was immer Sie auch mit Ihren Fachkundigen erörtert haben mögen, wir werden keine der wenigen in dieser unseren Föderation lebenden Veelabrütigen erlauben, mer Macht und Vorrechte zu gewinnen, nur um uns einer anderen Machtsüchtigen entgegenstellen zu können. Die Gefahrenfänger bei Ratssitzungen sind hiermit genehmigt. Aber wir werden keine Veelastämmigen in unsere Abwehrmaßnahmen einbinden. Dies ist eine klare Dienstanweisung", sagte Bullhorn.

Davidson straffte sich und sagte:"Dann bleibt uns nur, es darauf ankommen zu lassen, Ladonnas Agenten und Agentinnen gezielte Anschläge auf uns verüben zu lassen, ähnlich wie es mit Lionel Buggles passierte, sowohl als er zum Werkzeug Vita Magicas wurde als auch als solches von einem immer noch unerkannten Täter ermordet wurde. Falls Sie darauf den Frieden, die Freiheit und die Sicherheit unserer Föderation gründen wollen, erkennbare Gefahren erst eintreten zu lassen, statt sie zu vermeiden, frage ich mich ernsthaft, welchen Sinn eine Abwehrtruppe gegen dunkle Kräfte haben soll. Ich habe jedoch damals meinen Diensteid auf das Laveau-Institut geleistet, alle mir bekannt werdenden Formen menschenleben gefährdender Magie mit den mir bekannten bestmöglichen Mitteln zu bekämpfen. Ja, und ich vollende die von Ihnen unterbrochene Ausführung, dass wir gegen einen Zauber der Veelas nur mit Veelazaubern antworten können. Soweit ich weiß leben bei uns noch fünfzig veelastämmige Hexen und Zauberer, deren Vorfahren aus Osteuropa eingewandert sind. Wir könnten sie zu unverbrüchlichen Verbündeten unserer Föderation machen, wenn wir ihre besonderen Anlagen nutzen, um uns alle vor Ladonnas Einfluss zu schützen, so wie es in Frankreich geschehen ist."

"Sie haben Ihre Anweisung erhalten, Mr. Davidson. Sie tun sich selbst einen großen Gefallen damit, diese nicht zu missachten oder anders auszulegen als ich Sie Ihnen erteilt habe, Mr. Davidson", knurrte Atalanta Bullhorn. Davidson nickte unwillig. Er wusste, dass hier irgendwo eine flotte Feder versteckt war, die diese Unterredung mitprotokollierte. Wo die Feder war sah er nicht. So blieb ihm nur, Madam Bullhorn noch einen erfolgreichen Tag zu wünschen.

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Im sicheren Haus des peruanischen Zaubereiministeriums, 26.04.2006

Pataleón spürte die Anwesenheit seiner Königin in seinem Geist. Sie nutzte über viele tausend Kilometer Entfernung und deshalb sieben Stunden Zeitunterschied die Gedankenbrücke zu ihm, damit sie mitbekam, wie die Konferenz der spanischsprachigen Zaubereiministerien mit ihren brasilianischen Gästen weiterging. Da sie bereits viele früher in Tagen ausartende Verhandlungen innerhalb weniger Stunden beenden konnten hatten die Konferenzteilnehmer nun genug Zeit, sich über Mexiko und den Rest der nordamerikanischen Föderation zu unterhalten. Denn allen hier war klar, dass sie keinen Frieden haben würden, wenn es nicht gelang, auch Nordamerika und alle dem amerikanischen Doppelkontinent vorgelagerten Inseln unter die Herrschaft der Königin zu bringen. Wenn es gelang, die drei getöteten Mexikaner durch Vielsaft-Kopien zu ersetzen mussten diese nur solange die Rollen der Toten einnehmen, wie es nötig war, eine weitere Feuerrosenkerze in den Föderationsrat zu schmuggeln. Da erwähnte der nun auch zum Hofstaat der Königin gehörende Vicente da Gama: "Die Föderation Nordamerikas arbeitet und beschließt unter der aus Blutpakt und anderem Zauber bestehenden Schutzglocke der Feindesabwehr in Viento del Sol, die kein den Bdort geborenen und aufgewachsenen Leuten feindliches Wesen oder diesen böses wollende Zauber hineinlässt." Stille trat ein. Dann nickte der guatemaltekische Zaubereiminister bestätigend. Somit war wohl sicher, dass auch keine von eindeutig feindlicher Magie getränkte Kerze nach Viento del Sol gelangte. Ja, selbst wenn sie den Tod der drei mexikanischen Delegierten vertuschen und drei Kopien der Getöteten zurückschicken konnten, vermochten diese es wohl auch nicht, an den Ratssitzungen teilzunehmen, solange dieser Feindesabwehrbann wirkte.

"Dies ist alles andere als erfreulich", gestand Pataleón ein und bedankte sich bei seinem brasilianischen Kollegen für diese ungemein wichtige Information.

"Mir wird etwas einfallen. Wenn die Katze nicht ins Mauseloch hineinkriechen kann müssen die Mäuse aus dem Loch hinauskrabbeln", hörte Pataleón die Stimme seiner wahren Herrin in seinen Gedanken.

Argentiniens Zaubereiminister machte den entscheidenden Vorschlag:

"Wer nicht offen in die Festung eintreten kann muss auf den Bauernhof, von dem die Festung Korn und Fleisch bekommt." Das begriffen sie alle sofort. So sprachen sie darüber, von wem der Föderationsrat Lebensmittel oder andere Güter bezog. Natürlich wusste hier keiner so recht, welche "Hoflieferanten" der Föderationsrat hatte. Es stand nur fest, dass sie so schnell wie möglich den Rat mit Ladonnas "Rosengruß" beehren mussten, noch ehe sich Bullhorn und ihre Mitstreitenden auf einen derartigen Annäherungsversuch einrichten konnten. Da Ladonna in gewisser Weise durch Pataleón mitverfolgen und mitreden konnte was besprochen wurde hörte er sich selbst nach einer Stunde in Sinnlosigkeit ausufernder Debatte sagen: "Es gilt auszunutzen, dass der Föderationsrat in Belagerungsstimmung verfällt, sobald ihm gemeldet wird, wie einig Südamerika auftritt und somit nichts und niemandem mehr traut, was von südlich der Föderationsgrenze kommt. Also muss es vom Norden her kommen. Wir beschließen, alle Kontakte zur Föderation abzubrechen und eine Mauer der Stille und Unnahbarkeit zu errichten. Das wird die achso auf ihre Freiheit versessenen Besserwisser aus dem Norden darauf bringen, uns als die Bedrohung zu sehen und ihren Blick ständig nach Süden zu richten. Ich werde mit einem weiteren Statthalter unserer Königin sprechen, der der westliche Nachbar der USA ist. Zwar werden sie ihn auch verdächtigen, ein treuer Untertan der Königin zu sein. Doch sie werden nicht damit rechnen, dass wir ihn bitten, unseren Gruß an die Föderation zuzustellen, nachdem sich die mexikanischen Ratsmitglieder so ungebärdig verhalten haben. Beschließen wir also ein Abkommen, mit dem ich nach Russland reisen kann und welches der Kollege Arcadi seinen Untergebenen vorlegen kann!"

Nach nur fünfzig weiteren Minuten, in denen Pataleón wieder selbst über seine Worte und Ideen verfügen durfte, lag ein Abkommen vor, dass den osteuropäischen Zaubereiministerien umfangreiche Ausbildungs- und Handelsmöglichkeiten eröffnete. So sollten Russland und alle anderen bereits der Königin unterworfenen Zaubereiministerien Produkte aus Südamerika erhalten und auch die in europäische Schrift übertragenen Kenntnisse der Ureinwohner erhalten, um die eigenen Außendienstmitarbeiter noch besser auf nichteuropäische Zauberei vorzubereiten. Dann griff Ladonna wieder in Pataleóns Geist ein und sprach durch ihn: "Der Weg zu den angelsächsischen Hexen und Zauberern führt über Kanada und die englischsprachigen Atlantik- und Pazifikinseln. Nur wenn wir Kanada zu unserer großartigen Weltgemeinschaft dazugewinnen können wir auch den Rest des einstigen britischen Kolonialreiches einschließlich der südasiatischen Hoheitsgebiete gewinnen, um das große Weltreich der Magie unter der Herrschaft unserer großmächtigen Königin zu vollenden. Es lebe Ladonna, die Königin aller Hexen und Zauberer!"

"Es lebe Königin Ladonna, unsere mächtige Herrscherin!" riefen alle Abgesandten südamerikanischer Zaubereiministerien im Chor.

Nun, wo das weitere Vorgehen besprochen und beschlossen war ging es um weitere Vereinheitlichungen, die aus allen bisher einzeln handelnden Ministerien ein kontinentales Staatsgefüge machen sollten, das der Ausdehnung des einstigen Imperium Romanum an Größe und Macht weit überlegen sein sollte. Um keinen Verdacht zu erregen wollten sie jedoch erst am 30. April die Konferenz beenden. Es wäre sonst aufgefallen, wie einig sich die sonst so streitbaren Ministeriumsvertreter sein konnten.

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Im Versammlungsraum des Rates der Föderation Nordamerikanischer Hexen und Zauberer in Viento del Sol, 27.04.2006

Atalanta Bullhorn machte aus ihrer Verärgerung keinen Hehl, als sie am Morgen des 27. April dem Rat berichtete, dass die drei männlichen Räte aus Mexiko offenbar eine Vorrichtung des Laveau-Institutes in die Konferenz spanischsprachiger Zaubereiministerien eingeschmuggelt hatten, ohne Sie darüber in Kenntnis zu setzen. Auch wenn diese Vorrichtung ihrer Bezeichnung Gefahrenfänger alle Ehre gemacht hatte sollte das nicht bedeuten, dass das LI und die SL mit einzelnen Räten irgendwelche Geheimunternehmen durchführten. "Die Konferenz dauert noch bis zum dreißigsten April an. Dann werde ich vor Ihnen allen die drei Señores darüber belehren, dass heimliche Vorhaben, auch wenn sie gut gemeint sind und wider diese Prämisse auch gut ausgeführt werden gegen die vertraglich festgelegten Transparenzgebote unseres Rates verstoßen. Dabei hatten wir doch unmissverständlich klargestellt, dass das LI und die SL alle Ideen und konkreten Einsatzpläne mit uns abstimmen, nicht wahr?" Da dies eine rhetorische Frage war gab niemand darauf eine Antwort. "Auch muss ich Davidson zustimmen, wenn er behauptet, dass diese Feuerrosenzüchtterin wohl mehr als eine ihrer tückischen Duftkerzen nach Lima geschmuggelt hat. Wenigstens wissen wir dadurch, dass sie nach Italien mindestens auch Spanien unter ihre Herrschaft gebracht hat", knurrte die Ratssprecherin. Dann ging es um den weiter angeheizten Unmut in Kanada und mittlerweile auch südlichen Staaten der USA, die trotz einer Mehrheit für die Föderation mehr Eigenständigkeit beanspruchten, zumal einige Texaner darum bangten, dass Mexikos Regionaladministration die Gunst der Stunde nutzen wollte, um sich das einstige Territorium zurückzuholen. "Darüber werde ich mit den drei Señores noch einmal reden müssen."

Hidalga Montesoleada, eine der drei mexikanischen Miträtinnen, bat ums Wort und gab zu bedenken, dass sich die drei ausgesandten Teilnehmer an der Konferenz trotz der vorher getroffenen Absprache nicht jeden Tag gemeldet hatten. Selbst bei einer streng geheimen Konferenz sei es wenigstens zu erwarten, dass zumindest ein Lebenszeichen erfolgte, ob noch alles im beschlossenen Rahmen verlief und wie lange es noch andauern möge. Das veranlasste Atalanta Bullhorn zu einer Antwort, die den angelsächsischen Ratsmitgliedern sehr plausibel erschien und dazu angetan war, das fragile Vertrauen untereinander zu erschüttern.

"Die drei werden wie alle anderen auch nach dem Anschlag mit der Feuerrose an einen Ort gewechselt sein, von wo keine tägliche Mitteilung möglich ist, ohne Verdacht zu erregen. Doch es kann ebenso sein, dass die drei Abgesandten von den anderen Delegationen davon überzeugt wurden, dass Mexiko seine Eigenständigkeit zurückerlangen und in die exklusive Gemeinschaft spanischsprachiger Zaubereiministerien zurückkehren soll. Am Ende nutzen die drei es aus, denen zu erzählen, welche Vermögenswerte wir bereits zusammengeführt haben und wollen eben wegen der ausstehenden Schulden schönes Wetter bei den anderen machen, also statt sich aus der Gemeinschaft spanischsprachiger Zaubereiministerien zu verabschieden wieder vollständig darin einzugliedern, auf Kosten unseres Zusammenhaltes und aller versprochenen Hilfsleistungen."

"Ja, aber laut Vertrag können wir nur wieder eigenständige Administrationen einrichten, wenn es ein unüberbrückbares Zerwürfnis zwischen uns allen gibt", erwiderte Montesoleada verlegen dreinschauend. Darauf bat der texanische Mitrat Corncracker ums Wort und sagte: "Kolegin Montesoleada, genau daran könnten die gerade arbeiten. Also wenn ich mich von wem verabschiede dann sage ich So long, Ladies and Gentlemen, schwenke meinen Hut und zieh von dannen, vor allem, wenn ich mitkriege, dass mich in der Gruppe keiner mehr haben will."

"Ja, und was heißt das dann?" wollte Willow Parker wissen. Bullhorn setzte den Schlussstein der sehr unangenehmen Vermutung: "Dass unsere Delegierten Angebote oder klare, nicht abzulehnende Aufforderungen erhalten haben, um weiterhin mit dieser von Spanien seit über dreihundert Jahren zusammengehaltenen Gesprächsgruppe zusammenzubleiben. Was auch immer die drei da so lange machen, wenn die wieder bei uns sind haben die klar auszusagen, was genau sie besprochen und erfahren haben. Die können auf gar keinen Fall irgendwelche Zusagen machen, ohne uns anderen zu fragen, ob wir dem zustimmen oder nicht. Aber sie könnten versuchen, vor ihrem Auftritt hier bei uns Stimmung gegen den Verbleib in der Föderation zu machen, jetzt, wo die in der nichtmagischen Welt so gern gewählten hundert Tage unserer Arbeit um sind."

"Spätestens übermorgen sollten wir zumindest was von denen hören", grummelte Montesoleada.

Im weiteren Verlauf der insgesamt drei Stunden dauernden Sondersitzung ging es noch um die am 1. Mai abgeschlossene Erhebung, wie viele von magischen Menschen und menschengestaltlichen Zauberwesen stammende Mitbürgerinnen und Mitbürger es gab. So konnten sie über die vier Vorschläge abstimmen, wie mit dieser Information umzugehen war, um neue Rechtsgrundlagen zu beschließen. Sie einigten sich auch darauf, die Ansiedlung Pacific Moon weiterzubetreiben, auch um das unter den magischen Menschen schwelende Misstrauen gegenüber Werwölfen möglichst niedrig zu halten. Zwar wetterten etliche sogenannte Freunde allen vernünftigen Lebens gegen die von Buggles übernommene Vorgehensweise der Seggregation, doch der Föderationsrat besaß noch eine ausreichende Mehrheit für diese Maßnahme. Vor allem die späten Eltern, die durch die Machenschaften Vita Magicas zu mehrfachem Kindersegen gelangt waren, befürworteten jede Maßnahme, die auf Verbreitung ihrer Zustandsart ausgehenden Werwölfe so weit wie möglich von ihren Kindern fernzuhalten. Außerdem konnten alle unbescholtenen Werwölfe durch diese "körperliche Abstimmung" beweisen, dass sie eben nicht auf Seiten der kriminellen Zustandsgenossen aus der Mondbruderschaft standen.

"Am besten wir beschließen die Sitzung hier und jetzt, bevor noch wüstere Schreckensszenarien in den Raum gestellt werden", schnarrte Atalanta Bullhorn. Sie musste daran denken, was ihr Elysius Davidson berichtet hatte. Ihr kam der höchst unangenehme Verdacht, dass er ihr längst nicht alles erzählt hatte. Warum hatte sie ihn nicht gründlicher befragt?

Der gerade nur zu fünf Sechsteln vollzählige Föderationsrat stimmte dem Ende der heutigen Sitzung zu. Alle gingen wieder in ihre Unterbehörden zurück, um dort die alltägliche Verwaltungsarbeit zu erledigen.

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Geheimunterkunft Grün IX der Schattenorganisation Terra Occulta, 28.04.2006, 18:30 Uhr Ortszeit

Auf die Dauer brauchte sie lebenden Ersatz für Ralf Burton, wusste die überragend intelligente Italoamerikanerin Claudia Campoverde. Zwar konnte sie mit ihren fünf über den Erdball verteilten Liebesdienern virtuellen Sex erleben und dabei die körperlich-physikalischen Grenzen beliebig überschreiten. Doch auf die Dauer war das kein Ersatz für das Prickeln, dass ihr ein lebender, warmer, atmender Mann bereitete, der sich mit ihr zusammentat.

"Im Augenblick probierte sie mit ihrem nur vier Minuten jüngeren Zwillingsbruder eine Verbesserung eines Untersuchungsgerätes aus, das ihnen eine Menge Geld einbringen mochte, wenn sie dessen Baupläne und Programmcodes an entsprechende Industriefirmen weitergaben. Es bestand im Wesentlichen aus einer fernsteuerbaren, auf Körperwärme heizbaren, mit einem gewebeschonenden Überzug versehenen Kamerasonde, die mit unzähligen, einzeln ansteuerbaren Rollen um alle drei Achsen kreisen und sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu fünf Stundenkilometern vorantasten konnte. Ein winziges Stereomikrofon und zwei stecknadelspitzengroße Kameras mit Restlicht- oder Infrarotaufnahmefähigkeit lieferten neben den Rückmeldungssensoren in den Mikromotoren genug Daten über die untersuchte Körperstelle. eine haardünne Ansaugnadel konnte zudem minimalinvasive Gewebeproben entnehmen. Die nächste Version sollte dazu auch kleine Chirurgische Eingriffe wie Gewebepräparation oder bioverträgliches verkleben beherrschen. Im Moment aber nutzte Claudia Campoverde dieses neuartige, scheinbar durch ein Zeitloch aus der Zukunft gefallene Gerät um ihr seelisches Gleichgewicht zu bewahren. Denn gerade regte die Sonde ihre besonders empfindsamen Körperregionen an. Gleichzeitig hörte sie die Stimme ihres Bruders über als Ohrringe getarnte Mikrolautsprecher in ihren Ohren sprechen.

"Wau, Claudi, ich stell mir gerade vor, die Bilder und Geräusche im Internet zu übertragen und das als neue Kunstform zu vermarkten. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich die Sensorenwerte in Druckgradienten umrechnen und auf einen Ganzkörperanzug übertragen lasse. Damit könnten wir Milliarden machen."

"Und was gibt es neues, Cesare? Hat mir Ryan schon erzählt, als ich ihm einen temporären Zugang zur Steuerung und Überwachung der ... Ui, da bitte bleiben und die Schwingungszahl der Längsachsenmotoren um zwanzig höher bitte", flüsterte Claudia Campoverde in das direkt vor ihrem Mund hängende Winzmikrofon. Cesare reagierte wunschgemäß. "Ich dreh meine Kopfhörer runter", hörte sie ihn noch sagen, bevor sie immer leidenschaftlicher stöhnte, als erlebe sie gerade mit einem Wunschliebhaber die intime Nähe. Zehn Minuten später schrie sie den Höhepunkt ihrer Erregung in den schalldichten Schlafraum hinaus, der nur fünf Meter von ihrer kleinen Arbeitskabine entfernt war. Dann befahl sie Cesare, die Sonde noch weiter "erkunden" zu lassen. Eine halbe Stunde später meinte er: "Also, wie es aussieht ist an und in dir alles in Ordnung für meinen ersten Neffen.""

"ja, aber wenn du die Geburt deiner ersten Nichte erleben willst solltest du die Aufzeichnungen ganz schnell löschen oder auf der dreifachgesicherten und nur per vierfachem Fingerabdruck entsperrbaren Festplatte abspeichern. Aber danke, dass du den Druck aus meinem Kessel genommen hast."

"Ich weiß ja auch, wo ich bei dir drehen muss, um dich zu rocken, Baby", erwiderte Cesare eher wie ein unausgegorener Halbwüchsiger als ein mit drei akademischen Graden ausgezeichneter Computerwissenschaftler und Feststoffphysiker.

"Ja, so gut das eben war fällt das am Ende noch unter das Inzuchtverbot, Kleiner."

"Nur wenn ich das Gegenstück dazu angelegt hätte, Claudi. Öhm, aber das mit dem Ganzkörpererlebnis behalte ich mir mal vor, zumal du ja nicht die einzige lohnenswerte Forschungsgegend bist, die mit diesem Gerät erkundet werden kann. Das ist die nächste Stufe hin zum Nanobot, Claudi. Am Ende kriegen wir zwei dafür noch den Nobelpreis für Physik und du den für Medizin, wenn du die Telemikrochirurgie entwickelst, mit der minimalinvasiv und toppräzise operiert werden kann."

"Tote kriegen keinen Nobelpreis, du Komiker", erwiderte Claudia Campoverde. "Deshalb müssen wir ja auch aufpassen, wem wir das Patent verkaufen, dass wir auch was dafür kriegen und keine Angst kriegen müssen, damit selbst ausgeforscht zu werden. Wir beenden das Experiment am besten, weil du ja gleich noch in den Kommandobunker musst, um das Treffen der großen sieben zu leiten. Immerhin geht es ja heute um deine Sonderaufgabe, die Vernetzung der nichtfamiliären Interessensgruppen unter Umgehung der möglicherweise mithörenden Revierfürsten. Apropos, ich habe eine Kopie des Totenscheins für Michele Milelli ergattern können. Cytokinensturm mit einhergehender Körpertemperaturüberschreitung und multiplem Organversagen ohne nachweisbares Toxin. Wer den Müllkönig vergiftet hat kennt sich supergut im menschlichen Immunsystem aus. Da sollten wir dranbleiben, wer von denen das war."

"Du glaubst also weiterhin, dass einer der anderen acht den Müllkönig umgebracht hat, Claudia?" fragte Cesare. "In dem fall ist glauben das richtige Wort. Genau deshalb ist es ja wichtig, rauszufinden, wer genau das gemacht hat, Cesare", erwiderte Claudia Campoverde.

"Könnte es nicht auch die Konkurrenz des abgestürzten roten Adlers gewesen sein, Claudi? Immerhin ist der ja genau am selben Abend mit brennenden Flügeln vom Himmel gefallen wie einst Luzifer", erwiderte Cesare, während er den winzigen Körpererkundungsroboter behutsam zurücksteuerte.

"Dann käme nur die Löwin von Lima in Frage. Die hat sowohl die Macht als auch die nötigen Kontakte, um sich mit Paredes anzulegen. Aber wenn die Paredes umgebracht und seine Lager hochgejagt hat, warum sollte sie dann noch einen großen Mafioso im eigenen Feuer verbrennen lassen, und falls ja, wie hat die das Toxin an ihn heranbringen lassen, ohne dass die anderen acht das mitbekommen haben?"

"Letzte Frage zuerst, Claudi, die anderen acht haben da mitgespielt und den Giftmörder machen lassen, weil sie von der Löwin von Lima ein Angebot erhalten haben, das sie nicht ablehnen konnten", erwiderte Cesare.

"Ja, das Angebot, nicht mitzusterben oder was, Cesare. Das hätten wir aber irgendwie mitbekommen, wo unsere fleißigen Helfer mittlerweile auch die Geheimleitungen von denen verwanzt haben und wir die zwanzig auswählbaren Zerhackercodes abgefischt haben, die die verwenden, um ihre Absprachen zu treffen. Ja, und wenn du mir mit der guten alten Zettelwirtschaft per bewusster oder unbewusster Boten kommen möchtest würde das bis runter nach Lima sehr weit sein."

"Ich meinte ja nur, große Schwester. Achtung, der Kleine will wieder an die Luft", antwortete Cesare. Claudia Campoverde entspannte sich und wartete, bis der kleine Roboter sich aus und von ihrem Körper entfernt hatte. "Okay, der Testlauf nummer sieben hat geklappt. Die Achsenmotorensteuerung über die vier Server und die Bluetoothverbindung funktioniert."

"Tja, meine Software", erwiderte Claudia Campoverde und setzte sich auf. "Dann jage ich den kleinen Glückskäfer mal durch das komplette Reinigungsprogramm, falls du Modell fünf noch für Experiment Nummer acht einsetzen möchtest. Ich könnte mir sogar vorstellen, in Mußestunden eine Applikation "geheime Erfüllung" zu schreiben, wo der Mensch an der Fernsteuerungskonsole nicht mehr viel machen muss. Mann, ich brauch echt bald wieder einen von den braven Jungs."

"Nymphomanin", feixte Cesare. Jeder oder jede andere hätte für diese Bezeichnung die persönliche Hölle auf Erden heraufbeschworen. Doch Cesare konnte sich an guten Tagen solche Frechheiten erlauben. Denn er war zu wichtig, um von ihr abgestraft zu werden. Außerdem würde er sich das nicht länger als eine Minute gefallen lassen. Sie beide kannten sich zu gut, ja, vom ersten Herzschlag ihres Lebens an.

"Ich bin dann mal im im New Yorker Hauptquartier. Ich hoffe, dass Faktor III heute bessere Nachrichten aus Detroit mitbringt."

"Das hoffe ich auch", erwiderte Claudia Campoverde und wünschte ihrem wenige Minuten jüngeren Zwillingsbruder viel Erfolg. Dann trennte sie die mehrfach verschlüsselte Satellitenverbindung mit alle zwei Sekunden wechselnder IP-Adresse. Jetzt würden die in den benutzten Satelliten erstellten Protokolldateien gereinigt, dass niemand mehr nachvollziehen konnte, dass diese besonders intensive Fernsitzung stattgefunden hatte.

Während Claudia Campoverde den als Glückskäfer bezeichneten Miniatur-Erkundungsroboter in ein biochemisches Reinigungsbad legte, um ihn anschließend mit UV-Strahlung und Ultraschall zu behandeln prüfte sie den versteckten Posteingang im eigens eingerichteten Dunkelnetzwerk, das von keinem gewöhnlichen Internetseitenanzeigeprogramm erreicht werden konnte.

"Jetzt haben wir es amtlich. Wilson Borrows war zum Zeitpunkt, wo er sich von mir die Geschichte von Zagallo angehört hat in Atlanta, Georgia unterwegs und hatte niemals mit der New York Times Kontakt gehabt. Aber wie konnte Mr. Ebony seine körperlichen Merkmale so perfekt übernehmen? Das grenzt ja schon an Magie", dachte Claudia Campoverde und las die beiden Datensätze, welche sich mit einem afroamerikaner namens Wilson Borrows befassten. Ein Datensatz wies ihn als seit 1997 tätigen Voluntär des Times-Büros in Detroit aus. Gleichzeitig galt Borrows auch als Handelsvertreter für Haushaltsgeräte, war also ein besserer Staubsaugervertreter, der aber auch kaputte Geräte reparieren konnte, wenn es nötig war. Der angebliche Voluntär der Times, der es bis heute nicht geschafft haben wollte, ein fest angestellter Journalist zu werden, hatte in seiner Oberschulzeit für die Schülerzeitung "Ausguck" gearbeitet, da aber nur Texte hinterlassen. Was stimmte denn jetzt? Claudia hatte daraufhin die Anwendung IDTM 2010, ihre selbstprogrammierte Identitätenzeitmaschine, auf Borrows angesetzt und dessen Werdegang als Vertreter von Dowland Domestics lückenlos nachvollzogen, bis zurück zu den Ultraschallaufnahmen der zwanzigsten Schwangerschaftswoche. Der angebliche freie Mitarbeiter der Times Borrows konnte eben nur an Textfragmenten und einem Foto als Erwachsener in den relevanten Datenbanken zurückverfolgt werden. Da hatte also wer einen natürlichen Afroamerikaner als Grundlage für eine Scheinidentität genutzt und dabei alle Tricks aufgeboten, die moderne Hacker kannten. Deshalb hatte sie die Datenquellen für das Phantom Borrows genutzt, um weitere solcher Identitätsdoppelgänger zu suchen und sieben Stück gefunden, davon eine Frau, die seit 2000 als Sekretärin der Times-Außenstelle in Washington arbeitete und sehr attraktiv aussah, gleichzeitig aber als Tourmanagerin einer unabhängigen Modefirma in San Francisco arbeitete. "Da hat jemand sich eine Schublade voller Scheinidentitäten gebaut, um diese nach Bedarf einzusetzen oder schlummern zu lassen. Wer nicht über 1980 Hinaus zurückrechnet kriegt das nicht heraus", dachte Claudia Campoverde. Dann wurde ihr doch irgendwie seltsam zu Mute. Wozu brauchte jemand so viele Scheinidentitäten unterschiedlicher Art mit allem, was dazugehörte. Sie dachte an Geheimagenten, untergetauchte Verbrecherbosse oder verdeckte Ermittler des FBIs. Doch wenn die CIA oder das FBI diese Phantome erschaffen hätten wäre ihr das gleich beim ersten Anlauf mitgeteilt worden. Erstaunlich war auch, dass die sicheren Bildaufnahmen nur sehr wenige Übereinstimmungen biometrischer Merkmale aufwiesen. Konnte ihr Phantombildgenerator auf Grundlage von Augenabstand, Schädelform und -größe jedes damit machbare Gesicht auswerfen gelang das bei Borrows und Fender überhaupt nicht. Also waren das unterschiedliche Personen nicht ein und dieselbe Person. Dann las sie noch den Hinweis, dass IDTM 2010 immer wieder ausweichen musste, weil die angezapften Datenquellen von sehr gründlichen Beobachtungsbots überwacht wurden, die aber selbst nicht zu ihrer Quelle zurückverfolgt werden konnten. Also passte da jemand auf, ob jemand anderes auf bestimmte Daten zugriff. Aber auch ihre Software hatte genug Rückzugs- und Spurentilgungsroutinen an Bord, um nicht zu einem der vier von ihr genutzten Server zurückverfolgt zu werden. Dennoch musste sie an die Sache mit der Organisation von Superior denken, die sich mit ihrer eigenen Organisation ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel in allen öffentlichen und dunklen Netzwerken geliefert hatte, bis Superior innerhalb von wenigen Wochen restlos erledigt war, ohne dass sie mitbekommen hatte, wer dafür verantwortlich war. Deshalb fühlte sie eine gewisse Alarmstimmung. Sollte Borrows ein Agent jener geheimen Organisation sein, die weltweit operierende Schattenorrganisationen vom Brettnahm, sobald diese zu mächtig wurden? Das konnte auch ihr und Cesare gefährlich werden. Doch wie diese Organisation arbeitete, wer ihr angehörte und wie sie es anstellte, ohne Vorwarnung mehrere Polizeibehörden weltweit auf ihre Zielpersonen anzusetzen wusste sie nicht, und das gefiel ihr gar nicht.

Sie schickte die erhaltenen Informationen und einen kurzen Text mit ihrer persönlichen Einschätzung an Cesares roten Briefkasten, eine E-Mail-Adresse, die für besorgniserregende Nachrichten eingerichtet worden war und die einen vierfachen Verschlüsselungsalgorithmus benutzte, sowie die Zwischenstationen der gesendeten Nachricht bereinigte, damit keiner mitbekam, dass sie eine E-Mail an ihn geschickt hatte.

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Millemerveilles, 29.04.2006

Am 29. April erhielt Béatrice die erwähnte spontane Aufforderung zu einer Vollversammlung aller französischen Heilerinnen und Heiler zu kommen. Diese Versammlung dauerte drei volle Stunden. Erst um neun Uhr abends war sie wieder im Apfelhaus und wirkte erleichtert.

"Die Delourdesklinik und alle niedergelassenen Heiler bekommen ab morgen etwas, um Zauberfeuer mit dem Anteil von Waldfrauen- und Veelamagie zu erkennen und abzuwehren. Hera meinte sowas, dass man keinen Basilisken braucht, um einen Drachen zu vertreiben, wenn es auch schon ein wohlklingender Chor richten kann. Mehr darf ich nur ausgebildeten Heilmagiern verraten. Nur soviel, dass wir Heiler ja nicht immer an einem abgeschirmten Ort verweilen können, wo wir ja von vielen Patientinnen und Patienten gebraucht werden, die irgendwo in der Gegend sind."

"Ich überlege gerade, ob ich das Kleid einpacken soll", meinte Millie dazu. "Das hält alle magischen und nichtmagischen Feuer im Abstand von drei Metern von mir ab. Aber dann müsste ich erklären, wo ich es herhabe und was ich dafür alles habe tun müssen, um es zu kriegen. Neid ist Gift, hat mal jemand gesagt", erwähnte Millie.

"Wohl wahr", erwiderte Béatrice. "Vielleicht kann ich es drehen, dass du zusätzlich zur Funktion der begleitenden Journalistin auch als assistierende Pflegehelferin von Anne Laporte eingestuft wirst, die ja auch nach Genf reist und schon überlegt, ob sie noch eine Auszubildende aus der Heilerschule von Delourdes mitnehmen soll."

"Es sind ja noch ein paar Tage bis zum fünften Mai", sagte Millie nur.

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In einem geheimgehaltenen Haus in Peru, 30.04.2006, 15:40 Uhr Ortszeit

Sie hatten drei zuverlässige Männer aus den bereits unterworfenen ausgesucht, die möglichst gut Spanisch mit mexikanischer Klangfarbe sprechen konnten. Sie sollten die drei getöteten Delegierten verkörpern und als solche versuchen, nach Viento del Sol zurückzukehren. Gelang dies wegen des dort wirksamen Abwehrzaubers nicht sollten sie nach Mexiko zurückkehren, um dort einen Widerstand gegen die Föderation zu organisieren. Hierfür sollten sie die eigentlich für den Föderationsrat bestimmte Feuerrosenkerze verwenden. Pataleón hatte diese von einer Dienerin der Königin erhalten, als er einige Minuten alleine war.

"Sie sollen nur den Rat zusammenrufen, um denen zu erzählen, worauf wir uns alle geeinigt haben", stellte Pataleón klar. Dann beobachtete er mit allen anderen, die seinem Befehl unterstellt waren, wie die drei Ausgesuchten eine erste Dosis des Vielsaft-Trankes schluckten. Alle rechneten damit, in wenigen Sekunden körperlich vollkommene Doppelgänger der drei Toten zu erblicken. Doch die ohnehin schon unheimliche Wirkung des Trankes äußerte sich wesentlich erschütternder.

Zuerst erbebten die drei Auserwählten. Dann verzogen sich ihre Gesichter. Ihre Haare standen weit ab. Dann schwollen die drei an wie mehr und mehr aufgeblasene Luftballons. Sie versuchten die unangenehmen Begleiterscheinungen zu verbeißen. Doch als sie wie unter heftigen Schmerzen zuckten und sich wie unter peinigenden Peitschenhieben wanden erkannte jeder hier, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Pataleón, der die Anwesenheit der Königin in seinen Sinnen spürte, blickte genau auf das Geschehen. Die Kleidung der drei Männer bekam Risse und platzte von ihren aufquellenden Körpern ab. Dabei kamen bis dahin unbemerkte Gegenstände zum Vorschein. Sehr alarmiert sah der spanische Zaubereiminister auf je eine große Flasche, die auf Höhe des Brustteils des Hemdes aus der zerstörten Kleidung freikam. Die drei hatten nur für sie nutzbare Rauminhaltsbezauberungstaschen in ihrer Kleidung gehabt!

der spanische Statthalter Ladonnas fürchtete schon, dass die drei gleich zerplatzen würden. Da fielen ihre stark angeschwollenen Körper in sich zusammen, als habe jemand übermäßig viel Luft aus ihnen abgelassen. Sie kehrten auf ihre üblichen Maße zurück. Doch ihre Gesichter waren weder die der drei Ursprünglichen Zauberer, noch waren sie vollendete Kopien der drei toten Mexikaner. Dann setzte der Anschwellvorgang erneut ein. Die drei Tranknutzer quollen weiter auf als beim ersten mal, drohten erneut zu zerplatzen und wurden wieder zu normalgroßen Menschen. Offenbar war dieser Vorgang mit so heftigen Schmerzen verbunden, dass sie schreien mussten. Als sie wieder zu normalen Ausmaßen abschwollen sahen sie immer noch wie mitten in der eigentlichen Umwandlung steckend aus. Da erhielt Pataleón eine Botschaft seiner Herrin: "Ihr seid auf drei Vortäuscher hereingefallen, die selbst den Trank geschluckt haben. Ihre Körper sind jetzt in ständiger Unordnung."

Es krachte laut, und die drei schrien kurz auf. Dabei entfielen ihnen alle Zähne, die klirrend auf dem Boden zersprangen wie Porzellantassen. Die drei Zauberer zuckten noch einmal, dann bewegten sie sich nicht mehr. Pataleón brauchte Ladonnas Hinweis nicht, dass die drei durch die verwirrte Wirkung des Trankes gestorben waren und sich so nicht wieder verwandeln konnten. Dann sah er, wie ihre Körper wie Fett in der heißen Pfanne zerliefen. Jetzt wusste er wieder, warum es mit drei dunkelroten Strichen unterstrichen und mit zwei angehängten Ausrufezeichen markiert wurde, niemals die Körperbestandteile eines gerade unter der Wirkung von Vielsaft-Trank stehenden zur Aktivierung eines neuen Trankes zu nutzen. Dieses strenge Gebot übertraf sogar jenes, keine von Tieren stammenden Körperanteile für Vielsaft-Trank zu benutzen. Jetzt wussten Pataleón und alle anderen hier, warum das so war.

"die haben ihre Vorräte in geheimen Taschen ihrer Umhänge mitgeführt, diese Betrüger", knurrte Pataleón. Dann sprach die Königin selbst durch seinen Mund: "Es wird nicht gelingen, die drei als lebendig auszugeben. So gilt es, den Tod als Auswirkung eines auf uns verübten Anschlages zu verkünden." Die allesamt der Rosenkönigin unterworfenen Zauberer nickten. So sollte es sein.

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Gästehaus des Peruanischen Zaubereiministeriums an der Pazifikküste, 30.04.2006, 22:50 Uhr Ortszeit

Rodrigo Pataleón wollte gerade in den Umkleideraum gehen, um sich für die Nacht umzuziehen, als ein silberhelles Klingeln ertönte. Der spanische Zaubereiminister und Statthalter der selbsternannten Rosenkönign Ladonna rief: "Wer ist da?" Zur Antwort erklang die Stimme von Alfredo Lorenzo Costacalma, dem Gastgeber und seit der Entzündung der Feuerrosenkerze treuer Diener der Königin und gehorsamer Untergebener Pataleóns. Er sagte: "Wir haben eine Antwort aus Viento del Sol."

Nur eine Minute später las Pataleón das Antwortschreiben des Föderationsrates. Dabei spürte er einmal mehr, wie sie in seinen Sinnen nistete und all das wahrnahm, was er wahrnahm. Somit wusste die Herrin im selben Augenblick wie er, dass Bullhorn auf den Vorschlag eingehen wollte, sich auf der unortbaren Verhandlungsinsel zu treffen, um "das Missverständnis" mit den drei toten Mexikanern auszuräumen. Also würde sich eine kleine Delegation dieses vermessenen Haufens aus der sicheren Deckung des Einheimischenschutzzaubers wagen, in den kein feindliches Wesen und keine gegen dort wohnende oder beherbergte böse Zauberei eindringen konnte. Drei Abgesandte und eine Gruppe von bis zu zehn Leuten Schutzpersonal würden auf die Insel reisen.

"Die Königin hat bereits ihren Beitrag zum Gelingen dieser Unterhandlung gesandt, Alfredo. Sag Paulino, dass ihr beide morgen mit mir die Verhandlungsthemen vorbereitet!" Der kleine, rundliche Zaubereiminister Perus bejahte es. Dann wünschte er Pataleón eine erholsame Nachtruhe. Der spanische Zaubereiminister erwiderte diesen Wunsch. Costacalma verließ das Gästehaus wieder, das nach Stand der Lage eher die neue Niederlassung Spaniens in Peru war, von der aus Ladonnas Statthalter ganz Mittel- und Südamerika lenken konnte, abgesehen von Französisch-Guayana und den niederländischen Inseln. Am dritten, spätestens vierten Mai dieses Jahres würde ein neuer großer Abschnitt der magischen Weltordnung beginnen, eine Jahrhunderte währende Ära der unerschütterlichen Einheit und die Wende zu einer von den technischen Verrücktheiten der Magielosen freien Erde. So hoffte es die Königin, und weil er ein bedingungslos treuer Untertan war hoffte dies auch Pataleón.

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Viento del Sol im US-Staat Kalifornien, 01.05.2006

Der Bote der Konferenz spanischsprachiger Zauberer gehörte nicht zu denen, die den Duft der Feuerrose eingeatmet hatten und war somit unbelastet. So gelangte er unangefochten in die Ansiedlung Viento del Sol und übergab dem Chefsekretär des Föderationsrates das mehrseitige Schreiben der Konferenz, dass in einer an beiden Enden fest verschlossenen Rolle steckte. Natürlich prüften die Sicherheitszauberer die Pergamentrolle auf verborgene Giftfallen oder Portschlüssel. Flüche, die dazu dienen sollten, im Schutze des erweiterten Protectio-Nativorum-Zaubers weilende Menschen zu schädigen, hätten es unmöglich gemacht, dieses Pergament bis hier hin zu bringen.

Als die Ratssprecherin Bullhorn die vier Pergamentbögen ausrollte und überflog nickte sie verhalten, blickte jedoch sehr ungehalten. Dann las sie einen Text vor, der jeder und jedem außer ihr selbst einen Schrecken einjagte.

"So drücken wir von der Konferenz spanischsprachiger Zaubereiministerien 2006 unser höchstes Bedauern aus, dass die aus drei Zauberern bestehende Gesandtschaft aus Mexiko im Auftrag einer uns feindlichen Macht den Versuch wagte, uns anderen mittels eingeschmuggelter Mixturen die körperliche Unversehrtheit zu nehmen, ja uns anderen womöglich zu Tode zu bringen. Nur der beherzte Einsatz der uns beschützenden Sicherheitszauberer vereitelte dieses verwerfliche Vorhaben. Allerdings sahen es die drei Herren nicht ein, sich der ihnen entgegenstehenden Übermacht zu ergeben, sondern verhielten sich wie im Blutrausch tobende Irrsinnige. Sie versuchten nun mit wahllos ausgesandten Körperverunstaltungsflüchen, ja sogar mit dem unverzeihlichen Todesfluch, so viele von uns wie möglich zu ermorden. Drei unserer Sicherheitstruppe gaben für unseren Schutz ihr Leben. Doch den noch verbleibenden Konferenzteilnehmern gelang es, die drei womöglich von einem zur Mordlust treibenden Zauber besessenen unschädlich zu machen. Dabei entlud sich in jedem von ihnen ein Vernichtungszauber, der sie regelrecht zersprengt hat. Wir bedauern diesen sehr, sehr tragischen wie unnachvollziehbaren Vorfall. Danach entflammte eine sehr lebhafte Debatte über ein mögliches Motiv der drei scheinbar selbstmörderisch auftretenden Kollegen. Einige riefen sofort "Verrat", andere "Nordamerika will uns vernichten" und wieder andere "Eine menschenfeindliche Macht will uns alle in Chaos und Gewalt treiben." Es konnte bis zum Ende der Konferenz nicht entschieden werden, wovon wir nun ausgehen sollten. Einig waren wir uns nur darin, dass wir diesen Vorfall nicht als harmloses Experiment abtun können. Ja, und wir konnten uns nur darauf einigen, diesen Vorfall mit Ihren Sicherheitsstellen zu erörtern. Womöglich droht Ihnen vom Rat der Föderation ein ähnlicher Anschlag. Da wir ja alle wissen, welche mächtigen Feinde wir haben ist es gerade mühselig, den Urheber dieser Untat zu benennen. Wir weisen jedoch in der gebotenen Bescheidenheit darauf hin, dass es ja auch in Ihrem Verwaltungsbereich Elemente gibt, die eine instabile bis völlig handlungsunfähige Zaubereiverwaltung mit Beifall begrüßen würden, ähnlich wie es ja auch in unseren Hoheitsgebieten anzunehmen ist. Daher unterbreiten wir Ihnen den Vorschlag, dass die drei höchsten Vertreter der drei Föderationsregionen Nordamerikas sich mit jenen drei Zaubereiministern zusammensetzen, die nicht davon ausgehen, der Anschlag sei auf Ihr Betreiben erfolgt. Da wir Ihnen nicht eine solche Einfalt unterstellen, dass Sie nur drei Leute aussenden, um über hundert andere auf einmal zu ermorden, gibt es doch genug Mitglieder, die nach einer Verhandlung vor dem Rechtskonvent der internationalen Zaubererkonföderation rufen und sogar die Auslieferung Ihrer führenden Vertreter fordern. Im Sinne einer weiterhin friedvollen und respektvollen Nachbarschaft bitten wir Sie darum, am 3. Mai 2006 an einer Zusammenkunft auf der mittelamerikanischen Pazifikinsel Isla de las buenas Tardes teilzunehmen, um jedes unliebsame Missverständnis im Keim zu ersticken und uns dabei zu helfen, künftige Vorfälle dieser Art zu verhüten. Zu diesem Treffen werden der Zaubereiminister Perus, Argentiniens und Spaniens erscheinen, wobei letzterer auch als Vertreter der europäischen Zauberergemeinschaft auftreten wird. Selbstverständlich steht es Ihnen bei Zusage frei, bis zu zehn Sicherheitsbeamte mitzubringen, die für Ihren persönlichen Schutz zuständig sind. Bitte teilen Sie uns durch den Ihnen gesandten Boten mit, wie sie sich entscheiden!"

Dann las sie noch die Beschlüsse der Konferenz laut vor, vor allem, dass es nun eine panhispanophone Konföderation gab, etwas, dass vor drei Jahren noch ausgeschlossen war, weil viele Mittel- und südamerikanische Staaten ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten.

"Soso, die haben sich jetzt alle auf so viele gemeinsame Dinge geeinigt", bemerkte Atalanta nach Verlesung der Dokumente. "Wer außer mir hat noch eine indirekte Auftragsmordanklage herausgehört?" Alle hier im Raum, auch die drei Hexen aus Mexiko, nickten. "Ich habe Ihnen ja vor drei Tagen mitgeteilt, dass die drei Kollegen aus Mexiko eine Vorrichtung aus dem LI erhalten haben, um aufkommende Gefahren zu beseitigen. Offenbar hat dieses Vorgehen eine drastische Reaktion bei den bereits der Feuerrose unterworfenen ausgelöst, und sie haben die drei Kollegen umgebracht und um das ganze zu einem unter bösem Zauber stattgefundenen Amoklauf auszugeben gleich noch drei ihrer eigenen Leute getötet."

"Aber wenn das so gelaufen ist müssten die ja doch alle von diesem Zauber unterworfen worden sein", warf Willow Parker ein. Corncracker sah sie verdrossen anund bat ums Wort.

"Kollegin Parker, wenn dieses Hybridenweibchen aus Italien diese Dinger im Tagestakt zusammenbacken kann hat die dem Spanier sicher gleich mehrere davon zugespielt. Ein solches Benebelungsding ging dann eben nicht los, weil das LI diesen Gefahrenfänger gebaut und unseren Kollegen mitgegeben hat. Dann hat der eben das zweite Feuerrosending losgelassen, um alle anderen unter die Fuchtel dieser dunklen Dame zu zwingen. Vielleicht haben sich unsere Kollegen dann sogar im Namen dieser Mischlingsbraut selbst getötet, weil sie die eigentlich für uns bestimmte Kerze nicht mehr nutzen konnten."

"Was ziemlich dämlich wäre, Kollege Corncracker", sagte die Miträtin Firestick. "Denn wenn auch unsere Kollegen dem unterworfen worden wären hätte der Überbringer dieser Zauberkerze sie mühelos ausforschen können, was wir so machen, wie gut wir hier abgesichert sind und wer außer uns in Nordamerika noch so wichtig ist, dass er oder sie dieser dunklen Hexe unterworfen werden soll."

"Ja, und weil unsere Kollegen ausgeplaudert hätten, dass hier in Viento del Sol der Protectio-Nativorum-Zauber alle feindlichen Wesen und Zauber aussperrt verfielen sie auf diesen Vorschlag. Ja, und ebenso mussten sie unsere Kollegen töten, weil es uns doch sehr verdächtig erschienen wäre, wenn diese nach Konferenzende nicht mehr in diese uns beherbergende Ansiedlung hineingelangt wären", sagte Atalanta Bullhorn. "Ja, und durch die Tode unserer Kollegen, sofern sie nicht längst über den Atlantik und das Mittelmeer nach Italien verrbracht wurden, um von der dunklen Hybridin persönlich verhört zu werden, unterstellen die uns indirekt, dass wir unsere Miträte nicht unter Kontrolle haben und wollen das mit uns besprechen."

"Wohl wahr", pflichtete der kanadische Mitrat Boisrouge bei. Die Ratsangehörige Firestick bat ums Wort und sagte: "Ja, und auch wenn es sehr kurzfristig klingt, dass wir uns schon am zweiten Mai treffen sollen kann diese Idee schon am ersten Konferenztag entstanden und jede von uns mögliche Antwort in die Umsetzung einbezogen worden sein." Atalanta Bullhorn nickte sehr heftig. Dann fragte sie die vierzehn anderen Miträte, ob sie auf diesen Vorschlag eingehen sollten, sofern es möglich war, in der kurzen Zeit mindestens vier Gefahrenfänger zu beschaffen, um die Feuerrosenkerzen unschädlich zu machen. Die anderen baten um eine Minute Bedenkzeit. Diese wurde ihnen gewährt. Am Ende stand es zwölf zu drei Stimmen für die Annahme des Vorschlages, falls es gelang, sich bestmöglich gegen die Massenbeeinflussungsmethode Ladonnas zu schützen.

So formulierten Atalanta Bullhorn und Willow Parker das für die Konferenz spanischsprachiger Zaubereiminister gedachte Antwortschreiben, wobei sie die spanische Sprache benutzten. Dieses Antwortschreiben übergaben sie dem Boten, der noch vor der schalldichten Tür wartete. Dieser bestieg seinen schnellen Besen und flog davon.

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Millemerveilles zwischen dem 30.04. und 02.05.2006

Aurore war nervöser als ihre Eltern, als es darum ging, den ersten Geburtstagsmarathon überhaupt durchzuführen. Sie wollte für ihre jüngsten Schwestern Flavine und Phylla ein eigenes Geburtstagsfestspiel veranstalten, zusammen mit Chloé Dusoleil, den Dumas-Zwillingen und Claudine Brickston.

Da ja die beiden kleinen Hexen sogenannte Walpurgisnachtsängerinnen waren, weil sie eben in der Walpurgisnacht 2005 zur Welt kamen, hatten die Latierres leider keine Zeit, die große Festlichkeit in Millemerveilles zu bestaunen. Dafür freuten sie sich über die vielen Grüße und Geschenke für Flavine, die heute ihren eigenen Geburstag hatte. Sie hielten es sogar durch, bis um zwölf Uhr nachts Phyllas Geburtstag anfing. Weil gerade alle Ehepaare in Millemerveilles draußen herumjohlten machte es auch nichts, der kleinen Phylla ihr Geburtstagslied zu singen.

Julius mentiloquierte noch Jeanne an, die mit Bruno an der Feier teilnahm und beglückwünschte den kleinen Bertrand, der am ersten Mai 2003 auf die Welt kam.

So feierten sie Phyllas Geburtstag zusammen mit dem von Bertrand, wobei Aurore mit Chloé und Claudine einen Flug auf ihren Anfängerbesen vorführten. Dann trugen Aurore und Chrysope noch ein großes Schild mit bunten Schmetterlingen, lachenden Blumen und einer dottergelben, zwanzigstrahligen Sonne unter Blauen himmel, auf dem in noch unbeholfenen, großen Buchstaben stand:

ALLES ALLES GUTE ZU EUREN ZWEI GEBUATSTAGENN FLAVINE UNT PHYLLAA WWUENTSCHEN OICH OIRE GROZEN SWESTAN AURORE CRISOPPE UND CLARIMONDE

"Hui, wer hat denn das geschrieben?" wollte Hippolyte von den drei größeren Mädchen wissen. "Die Rorie war das", sagte Chrysope. Chloé sagte: "Ich wollte der zeigen wie das geht, aber die wollte das alleine machen."

"Du möchtest aber noch mit der ersten Klasse anfangen, Aurore?" fragte Sandrine Dumas. Aurore nickte heftig. "Ich kann noch keine kleinen Buchstaben", sagte sie. Das erklärte alles, dachten die stolzen Eltern und alle anderen.

Alle beglückwünschten Aurore zu diesem schönen Geburtstagsgruß für ihre kleinen Schwestern. Julius erkannte einmal mehr, dass er dann auch mit jetzt vier Halbgeschwistern, davon auch drei Mädchen, gut leben lernen konnte, wenn Aurore das mit sechs Jahren schon begriff, dass sie das beste draus machen sollte, wo sie es eh nicht ändern konnte und vor allem wo sie gesehen hatte, wo die beiden hergekommen waren und wie weh das ihrer Maman getan hatte und die trotzdem richtig froh war, dass die beiden da waren.

Als dann Aurore selbst geburtstag feierte führte sie mit allen Kindern, die sie eingeladen hatte eine schon ansprechende Choreographie auf, wie es eine Ballettmeisterin nicht besser konnte. Aurore hatte auch die Watermelons und Fieldings mit ihrem Nachwuchs eingeladen. So konnten Julius und Millie auch Pina ein paar Geburtstagsgeschenke mitgeben. Julius' Schulfreundin aus Hogwarts-Zeiten bat ihn und Millie einmal, mit ihnen irgendwo zu sprechen, wo keiner mithörte. Als sie dann im ebenfalls dauerklangkerkerbezauberten kleinen Arbeits- und Besprechungszimmer saßen meinte Pina:

"Wir kriegen andauernd böse Briefe aus den anderen Zaubereiministerien, was uns einfiele, den Muggels alles durchgehen zu lassen anstatt unsere Befugnisse einzusetzen, denen den Strom, die Düsenflugzeuge und alles andere was keine Körperkraft oder Magie zum laufen benutzt zu verbieten. Das unheimliche dabei ist, dass es alles Leute aus dem Koexistenzbüro anderer Zaubereiministerien sind, sozusagen amtliche Noten, wie Mr. Abrahams das nennt. Kriegt ihr auch sowass?"

"Also, was die Kollegen in der Pergamentabteilung unseres Büros kriegen hat Nathalie einmal erwähnt. Da ging es aber eher darum, dass es wohl auf lange Sicht keine weitere internationale Zusammenarbeit gibt, weil nicht sicher ist, dass Ministerin Ventvit und Nathalie Grandchapeau nicht für dubiose Hexenschwestern arbeiten. Ist C5, deshalb darf ich das erzählen, aber nichts für die Presse, weiß Millie schon. Jedenfalls schießen sich da mehrere Ministerien auf Ministerin Ventvit und Nathalie Grandchapeau ein. Ihr sollt also im Namen des Ministeriums die nichtmagische Welt ausknipsen, Strom aus, Autos aus, alles aus?"

"Auf den Punkt, Julius. Die deutsche Kollegin Susanne Hackenschläger, die angeblich legitime Nachfolgerin von Armin Weizengold, hat sogar vorgeschlagen, die ganzen Muggel, die vom Strommachen und Ölpumpen leben in Ackergäule und Ochsen zu verwandeln, um sie vor Pflüge und Karren zu spannen, damit die Bauern keinen Diesel und keinen Strom mehr nötig haben. Du weißt was mit den Weizengolds passiert ist?"

"Sagen wir es so, dass denen nichts passiert ist und die jetzt von einem Waldschlösschen aus den Untergrund aufbauen weiß ich", sagte Julius. "Ja, und weil das der durchgehende Ton aller an uns gerichteten Briefe ist fürchte ich, dass die, die alle diese Mistrose beschnuppern mussten auf diese Idee kommen, das so umzusetzen. Minister Shacklebolt hat Fleur Weasley zu seiner neuen Seniorsekretärin und Pressereferentin in Personalunion gemacht und will sie Anfang Juni mit zur Glomako in Wien nehmen, um da mal krachend auf den Tisch zu hauen, was den Kollegen denn einfiele, einen Krieg mit den Muggels zu provozieren. Denn er meint, dass bei den ganzen Übernahme- und Umerziehungsphantasien der Kollegen genau das herauskäme. Weißt du, was ihm der Kollege aus Österreich an den Ebenholzkopf geworfen hat? Er sei ein Agent von Vita Magica und warte wohl auf die letzten Anweisungen seiner auf wilde Fortpflanzungsorgien scharfen Befehlshaber. Da hat er nur laut gelacht und erwidert, dass jemand der mit dem Finger auf wen anderes zeigt drei Finger auf sich selbst richtet. Jedenfalls fordern die Belgier, Deutschen und auch die Russen, dass Shacklebolt und alle seine Mitarbeiter Platz für wirklich entschlossene Leute machen sollen."

"Ich frage mich gerade, ob sie das wirklich so haben will. Der muss doch daran liegen, erst mal ganz unauffällig zu bleiben und keinen mit der Nase drauf zu stoßen, dass sie sich mehrere Ministerien gekrallt hat", erwiderte Julius nachdenklich. "Falls nicht ist das ein klarer Fall von Übereifer und vorauseilendem Gehorsam, also dass wer was macht, weil ..."

"Danke, ich weiß was das ist, Julius", schnitt Pina ihm mit grimmiger Miene das Wort ab. Er entschuldigte sich, falls sie sich von ihm unnötig belehrt gefühlt haben sollte. Dann sagte er ruhig: "Also wollen die uns wohl zeigen, wie isoliert wir in Europa sind. Das soll sozusagen der Auftakt sein. Öhm, wann war die letzte Verbalattacke gegen euch, Pina?"

"Einen Tag nach dem 27. April", erinnerte sich Pina. "Danach kamen weder Heuler noch sonstige böse Briefe."

"Damit haben wir es wortwörtlich amtlich, dass sie ihre Gehilfen zurückgepfiffen hat, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Will sagen, sie hat noch was vor, was nicht zu früh auffliegen darf."

"Ja, und ich kann auch nachvollziehen was, Julius. Die will sich noch Amerika einverleiben, diese nimmersatte Schlange", knurrte Pina. Julius nickte. "Wollen wir nur hoffen, dass VDS wirklich so gut geschützt ist wie Millemerveilles oder Lady Hidewoods Schloss."

"Ach, hat sie da auch den Sanctuafugium-Zauber?" fragte Julius. Pina nickte. "Hat Sie mir damals, wo wir sie besucht haben, nicht verraten." "Weil du nicht gefragt hast, süßer", erwiderte Pina. Millie verzog erst das Gesicht, musste dann aber über Julius' verlegenes Gesicht genauso mädchenhaft kichern wie Pina.

"Ich denke, du hast uns alles gesagt und von uns alles gehört, was dir auf der Seele lag, richtig?" fragte Millie nach einigen Sekunden. Pina nickte. Auch sie hörte Aurores Rufe. "Dann wollen wir unsere Kronprinzessin nicht enttäuschen und ihr bei ihrer Party weiter gesellschaft leisten", sagte Julius, froh, sich wieder klar ausdrücken zu können.

Jetzt kam das große Geschenkeauspacken dran. Unter dem Jubel der Gäste fischte Aurore ein himmelblaues Sommerkleid mit sonnengelbem Stehkragen aus der Truhe. Das war von ihrer Uroma Ursuline, damit sie an ihrem ersten Schultag was wichtiges zum wichtigen Tag anziehen konnte. Von ihrer Uroma Lutetia bekam die baldige Schulanfängerin einen Buchstabierbaum, der auf 144 grünen Blättern goldene Groß- und Kleinbuchstaben erscheinen lassen konnte, wenn ihm ein Wort zugerufen wurde. Eine leicht sanfte Tenorstimme sprach das Wort und die Buchstaben nach. Damit konnten auch ganze Sätze mit den richtigen Satzzeichen ausgesprochen werden. "Den hat eine meiner trotz deiner Tante Trice und ihren besserwisserischen langen Kolleginnen verbliebenen Hexen, die ihre Babys bekommen empfohlen", sagte Lutetia arno. Julius fragte, warum der Baum ausgerechnet einhundertvierundvierzig große Blätter habe. "Ach, wegen zwölf Dutzend? weil das Ding auch als Zahlenbaum taugt, Julius. Hey Baum, sage vierundachtzig!" rief Lutetia. "Vierundachtzig", tönte die magische Tenorstimme und zeigte auf den gerade gut sichtbaren Blättern die Zahl in arabischer, römischer und als Wort geschriebener Weise."

"Rechnen kann der Baum aber nicht, oder?" wollte Claudine wissen und rief: "Hey Baum, wieviel ist sieben mal acht?" Der Baum wiegte sich und schüttelte sich dann. Dann sagte er: "Frag bitte deinen Rechnenlehrer. Ich kann nur Wörter." Alle hier lachten. Da rief Chrysope: "Sieben mal acht ist sechsundfümpfzich!" Alle wurden still und blickten die zwei jahre jüngere Schwester Aurores an. Julius grinste und sagte: "Jetzt wissen wir, wo die Rechenkunsterbanteile von Mémé Martha gelandet sind." Aurore sah ihre Schwester an und sagte: "Hast du doch zugehört, als Claudine uns das Buch mit dem schwarzen Jungen, der Tufftufflokomotive und der bösen Drachenlehrerin vorgelesen hat, Chrysie. "Na und", stieß Chrysope aus. Millie sah die zwei an und sagte ganz ruhig: "Nicht zanken, Rorie und Chrysie. Alles gut!" Die beiden sahen sich wieder friedlich an. Aurore konnte weiter auspacken.

Von ihren Eltern bekam sie eine orangerote Schultasche mit sechs großen Fächern, in die bereits für jedes anstehende Schulfach zwei Bücher steckten. "Ich habe die Liste schon von Madame Dumas gekriegt", sagte ihr Vater. "Da konnte ich alle Bücher für die erste Klasse zusammenkriegen."

Von den Brickstons bekam Aurore von Claudine eine Flasche mit Goldblütenhonig an einer silbernen Kette. "Da haben Maman und Mémé Blanche zusammen dran gebaut", sagte Claudine. Wenn du das umhast kann dir nichts böses was tun." Aurore nickte. "Ach, kenne ich doch. Hatten wir wo das draußen immer so dunkel gewesen ist und ich immer Angst oder Ärger hatte, bis Papa mir das da umgehängt hat und das die Angst weggemacht hat. Danke, Claudine", erwiderte Aurore lächelnd.

"Hier in Millemerveilles kann doch jetzt nichts mehr passieren", tönte Dénise Dusoleil, die mit allen aus ihrer Familie mitfeierte.

"Ja, aber die Rorie will ganz bestimmt auch mal anderswo hinfahren. Mémé Blanche hat gesagt, dass anderswo gerade viele böse Sachen sind. Wo die sind weiß sie nicht. Deshalb möchte sie, dass Rorie was mithat, was die bösen Sachen wegjagt." Julius sah die junge Frau an, die er mal als Claires kleine Schwester kennengelernt hatte und sagte: "Dénise, hier zu leben ist richtig schön. Aber die Welt ist ja so groß, und du weißt ja noch von deinen Eltern, wie froh wir alle waren, dass wir sowas wie die Goldblütenphiole hatten." Dénise nickte verlegen. "Ja, ist schon richtig", sagte sie.

von Aurores Großeltern Mütterlicherseits bekam diese eine Turntasche, in der schon kurze Übungskleidung und ein sonnengelbes Stirnband, sowie ein kleiner Ball zum Üben von Fangen und Werfen steckten. Dazu gab es von Hippolyte noch eine goldgerahmte Jahreskarte für alle Quidditchspiele, die sie sich im Stadion angucken wollte. Julius dachte an die Geburtstagsgeschenke, die er so in seiner Kindheit und Jugend bekommen hatte. Den ersten Heimcomputer hatte er von seiner Mutter schon mit sieben bekommen, damit er schon mal mitbekam, wozu sowas gebraucht wurde. Tja, und den Chemibaukasten hatte ihm sein Vater mit neun geschenkt. Irgendwie ging es doch auch um das, was die Eltern und anderen Erwachsenen für richtig und wichtig hielten, nicht nur um den Spaß. Für sowas war dann Aurores Onkel Otto zuständig. Der schenkte seiner Großnichte ein rosarotes Sparschwein, das jedoch keinen Schlitz im Rücken hatte, sondern die gesparten Knuts mit seinem kleinen Rüsselmaul verschluckte und dann die bereits gesparte Geldmenge quiekte und grunzte. Wenn Aurore was haben wollte musste sie rufen: "Schweinchen Schweinchen gib mir bitte ..." gefolgt von der Menge und Münzart. Hatte es nichts mehr quiekte es: "Hab ich nicht." Sogleich wurde das Sparschwein ausprobiert. Die erwachsenen Geburtstagsgäste gaben Aurore ein paar Knuts. Als sie dem Schwein den ersten hinhielt schnappte es zu und kniff sie mit seinem zahnlosen Maul. Aurore zuckte zusammen wie unter einem leichten Stromschlag. Dann kam ihr Finger wieder frei. Er war unversehrt. "Dir gehöre ich. Danke für den Knut!" quiekte das Schwein.

"Jetzt kannst nur noch du dem Schweinchen sagen, was es dir geben soll, Rorie. Das ist ein sogenannter Körperspeicher, der aber auch deine Stimme erkennt. Sonst kann keiner ihm was wegnehmen."

Als dann die ersten zwanzig Knuts und von Ursuline sogar eine ganze Galleone in das neue Sparschwein gewandert waren versuchte es Tom Fielding mit einem kleinen Kieselstein. Als Aurore ihn dem Schwein hinhielt grunzte es laut und quiekte: "Ein Stein darf nicht ins Schwein. Ooooiiiiink!"

"Wie war das mit den Programmen die nur noch nicht ausgiebig getestet wurden?" fragte Pina Julius. Dieser staunte. Er lernte doch immer noch was neues kennen. Vielleicht hatte sein Schwiegeronkel das Schwein auch erst vor kurzem erfunden.

Weitere Geschenke für Schule und Freizeit später fischte Aurore mit beiden Händen ein Paket von "alle Dusoleils" aus der Truhe. Es enthielt eine Wanduhr so groß wie Aurores Kopf, die wahlweise mit Viertelstundenschlägen, nur für volle Stunden mit Einzelglocke oder zwölf verschiedenen Melodien und einer Weckfunktion mit einer von zwölf Morgenliedern oder wildem Geschepper ausgestattet war, dann noch ein blattgrüner, strapazierfähiger Gartenumhang mit dazu passender Gießkanne, Schaufel und grünen Gummistiefeln, sowie ein kleines Säckchen mit goldenen Hexenkelchsamen, einem Bilderbuch über die französischen Quidditchmannschaften und ein kleines, fleischfarbenes Tuch, in das mehrere Runen eingewebt waren. "Wenn du dir mal das Knie aufgescheuert oder eine andere blutende Stelle am Körper hast kann dieses neueste Gemeinschaftsprodukt von Monsieur Graminis, Madame Arachne und meiner Wenigkeit das wieder heile machen, solange es kein böses Gift ist", sagte Jeanne voller Stolz. Béatrice sah sie herausfordernd an. "Das ist, wenn nicht sofort die nette Tante Heilerin gerufen werden kann", legte Jeanne noch nach. Béatrice nickte zustimmend. Jeanne sagte noch: "Da haben wir gerade einmal die Runde durch Millemerveilles gemacht. Die ganzen Kinder hier hauen sich mal dies auf oder schuppern sich das ab. Da kommt sowas richtig wie gerufen."

"Und muss das gereinigt werden oder in einer sterilen Lösung aufbewahrt werden?" wollte Pina wissen, die sich an ihr unbeschmutzbares Reinigungstuch erinnerte, mit dem auch kleinere Mengen Blut weggewischt werden konnten.

"Es hat einen eingewebten Wundheilzauber Stufe zwei und einen damit kombinierten Reinigungszauber", sagte Jeanne. "Du darfst es nur nicht ins Feuer werfen. Dann verbrennen die Runen und das Tuch. Aber ansonsten steckt es echt viel weg, sogar leichte Säureverätzungen, richtig was für Freizeitalchemisten."

"Kuck mal, Rorie, da hast du eine Menge ganz ganz neue Sachen. So lieb haben die dich alle", sagte Millie ihrer ersten Tochter.

Von ihrer Schwester Chrysope bekam sie ein Malbuch, in dass sie schon viele schöne Bilder hineingemalt hatte. Nur bewegen konnten die sich nicht. Doch Aurore freute sich trotzdem über das, was ihre erste Schwester für sie gemacht hatte.

Als das Auspacken beendet war ging das von Aurore und den größeren Mädchen vorbereitete Fest weiter. Jetzt sang sie ein Danklied, das Julius heftig an ein Gospelstück mit gleichem Inhalt erinnerte. Dann gab es Abendessen.

Abends durften alle tanzen, die Großen und die kleinen, die schon laufen konnten. So konnte Julius auch mit Pina und Olivia tanzen. "Grüßt mir Gloria, wenn ihr wieder in London seid", sagte er zu Pina.

"Die träumt immer noch vom Laveau-Institut und ist da, wo sie arbeitet nicht mehr so richtig glücklich, Julius. Irgendwie hat sie das Lächeln verlernt, und was echt Sorgen macht, sie achtet nicht mehr so heftig auf Haar- und Hautpflege wie früher, und das, wo ihre Mutter einen Kosmetikladen hat."

"Autsch, das klingt nicht wirklich beruhigend", erwiderte Julius. Er kannte Gloria Porter immer als alles überblickende, stets auf ihr eigenes Äußeres und das ihrer Kameraden achtendes Mädchen. Er hatte mal gehört, dass Menschen, die früher viel Wert auf äußeres Erscheinen gelegt hattenund es dann vernachlässigten seelische Probleme hatten, ja sich irgendwo selbst nicht mehr liebten, im schlimmsten Fall sogar selbst hassten. Deshalb fragte er Pina, ob Gloria so aussah, als wäre sie auf irgendwen wütend. "Wenn das so ist zeigt die das mir nicht. Sobald die mir über den Weg läuft, was schon selten passiert, sieht sie mich immer so an, als müsse sie was ganz wichtiges bedenken. Sie grüßt zwar noch und winkt, aber lächelt nicht mehr."

"Es kann sein, dass sie noch sehr traurig ist wegen ihrer Oma Jane oder weil ihr Opa Livius sich fast ins Aus gesoffen hat und deshalb beinahe in der Flut von Katrina ertrunken ist. Nur 'ne Vermutung", wagte Julius eine Erklärung.

"Ich habe mal mit ihrer Cousine Mel gesprochen. Die meinte, sie hätte sich mit ihr mal gezofft, weil Gloria ihr Kind als Zitat "Verkacktes Balg" bezeichnet hat und meinte, dass keine Hexe sich dafür von einem behaarten Typen ... Okay, Damen und Kinder anwesend", zischte Pina. Julius sah sie an, ohne aus dem Rhythmus zu tanzen und meinte: "Eine von den Damen tanzt gerade mit mir." Pina strahlte ihn an und setzte an, ihn zu küssen. Doch sie zuckte zurück. Da wandte er ihr die rechte Wange zu. So konnte sie ihn küssen, ohne es zu intim zu machen.

Julius schaffte es, das gerade gehörte gut zu verbergen, obwohl es ihm doch gut zusetzte. Ob Millie immer noch dachte, dass Gloria eifersüchtig auf junge Mütter war?

Als alle Gäste fort oder im Bett waren und Millie und Julius endlich im Bett lagen berichtete Julius seiner Frau, was Pina ihm im Vertrauen erzählt hatte. "Oha, könnte echt sein, dass Gloria vieles verdauen muss, was im letzten Jahr so passiert ist. Aber einer jungen Mutter sowas zu sagen ist schon heftig. Jetzt möchtest du wissen, ob ich immer noch denke, dass das nur Eifersucht ist, richtig?" Julius fragte, wie sie darauf komme. "Weil du mir das sonst nicht so ausführlich erzählt hättest", erwiderte Millie leicht biestig. Dann sagte sie: "Ich fürchte jetzt, dass sie es mal unverbindlich ausprobiert hat oder auch echt wen fand, mit dem sie zusammen sein wollte und der sie danach weggeworfen hat wie einen ausgelutschten Eisbecher. Weil wenn Frauen anfangen, keine Kosmetik mehr zu benutzen, wenn sie das früher mehr als häufig gemacht haben haben die sich nicht mehr selbst lieb. Aber es kann auch echt wegen ihres Großvaters in New Orleans sein. am besten versuchst du sie irgendwann, nicht gleich heute mit dem Zweiwegspiegel zu erreichen. Wie gesagt, nicht heute, weil sie dann sofort weiß, dass Pina mit dir über sie gesprochen hat, wo du sie seit Weihnachten nicht mehr angespiegelt hast."

"Ja, Mamille. nicht heute, wäre psychologisch echt daneben", raunte Julius. Dann gab er seiner Frau einen innigen Gutenachtkuss. Mehr wollten beide heute nicht voneinander.

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Büro von LI-Direktor Davidson, 02.05.2006, 10:20 Uhr Ortszeit

"Ich will Ihre Intelligenz nicht beleidigen, Frau Administratorin. Aber warum wollen Sie in eine so offenkundige Falle gehen?" fragte Elysius Davidson die ihm gegenübersitzende erste Sprecherin des Föderationsrates.

"Weil die Gegenseite womöglich noch nicht weiß, dass wir wissen, was wirklich bei der Hispanokonferenz geschehen ist", grummelte Atalanta Bullhorn. "Sicher weiß ich, dass Ladonna Montefiori auch mich und die anderen Räte unterwerfen will. Sicher weiß ich, dass sie mitbekommen hat, dass sie oder ihre Duftkerzen nicht nach VDS hineingelangen. Also will sie uns aus unserem sicheren Bunker hervorlocken. Doch wenn ich nicht auf diesen Vorschlag eingegangen wäre hätten die Südamerikaner und der eindeutig dieser mischblütigen Furie unterworfene Spanier Pataleón eine Diffamierungskampagne gegen uns gestartet, die uns als Auftragsmörder hingestellt hätte. Reicht schon, dass die Nomajs in den Staaten derartige schmutzige Tricks anwenden, angeblich um das Wohl und den Fortbestand der von ihrem Gott gesegneten Staaten zu sichern. Gerade jetzt, wo nicht nur Kanada, sondern auch Mexiko unangenehme Fragen stellt und es wieder lautere Rufe nach einer Einigung mit den Kobolden gibt dürfen wir unser öffentliches Ansehen nicht von derartig offenkundigen Machenschaften zerstören lassen. Außerdem gibt uns die Fallenstellerin die Gelegenheit, einen oder drei ihrer Erfüllungsgehilfen zu ergreifen und zu untersuchen, was ganz sicher auch in Ihrem Sinne ist, Mr. Davidson. Daher gehe ich auf diesen Köder ein und beziehe mich auf unsere Übereinkunft, Ihre Fachkenntnisse und Sonderausrüstung für behördliche Zwecke einsetzen zu dürfen. Deshalb bin ich bei Ihnen. Ich fordere Sie hiermit auf, gemäß dieser Übereinkunft alle gerade verfügbaren Gefahrenfänger an die Abteilung für die Durchsetzung magischer Gesetze zu übergeben, damit wir uns bei dieser heiklen Exkursion vor neuerlichen Feuerrosenkerzen schützen können. Denn wir müssen davon ausgehen, dass Ladonna nicht nur eine solche Kerze einsetzen wird, sondern mindestens zwei oder drei Stück davon zum Einsatz bringen mag, um uns zu unterwerfen. Auch wenn VDS ein größtenteils sicherer Ort ist können wir nicht die ganze Zeit dort hocken wie eine Schnecke im Schneckenhaus bei Hagelsturm. Also, wie viele Gefahrenfänger und Dauerschildbekleidungsstücke haben Sie vorrätig?"

"Moment einmal, die Übereinkunft sagt auch, dass wir unsere eigene Aktionsfähigkeit nicht gefährden dürfen. Zu Ihrer Frage, wir haben gerade zehn Gefahrenfänger vorrätig, von denen wir aber über die Hälfte für die Abwehr möglicher Eindringlinge benötigen. Es hat sich in den letzten Wochen wieder einiges gerührt, was auf die Flutwelle dunkler Magie am sechsundzwanzigsten April 2003 zurückzuführen ist. Also können wir gerade mal zwei weitere Gefahrenfänger entbehren, um eine Delegation von Ihnen abzusichern. Was die Dauerschildbekleidung angeht ist unsere Thaumaturgische Schneiderwerkstatt sehr fleißig gewesen, nachdem sie es geschafft hat, die Patente der Firma Weasleys zauberhafte Zauberscherze und Madame Arachnes Zwirnsstube zu unterlaufen. Allerdings sind alle Drachenhautpanzerbekleidungen gerade im Feldeinsatz, falls Sie sich mit wem anlegen wollen, der mit Blank- oder Schusswaffen hantiert."

"Wie bitte?! Ich habe Ihnen eine klare Anweisung erteilt, der Administration alle verfügbaren Gefahrenfänger zu überlassen, um die Abordnung morgen und alle folgenden Auftritte außerhalb von VDS abzusichern", erwiderte Atalanta Bullhorn sehr erbost. "Ja, und ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir gerade nur zehn Gefahrenfänger haben und über die Hälfte davon gerade benötigt wird. Wir rechnen jederzeit damit, auf zufällig ans Licht kommende Artefakte der Ureinwohner zu stoßen, die nur in einem langen Ritual entflucht werden können. Darunter mögen auch solche sein, die als Kerker für rachsüchtige Geisterwesen dienen. Näheres dazu erzähle ich nur, wenn ich einen entsprechenden schriftlichen Antrag gemäß bereits erwähnter Übereinkunft vorliegen habe. Ebenso darf und will ich gemäß dieser Übereinkunft keine Hilfsmittel abgeben, die sich als sehr wichtig und nützlich erwiesen haben, wir aber nur sehr wenige auf Lager haben und deren Herstellung langwierig ist, wie die der Lykanthroskopen."

"Deren Herstellungspläne und verwendete Zauber Sie mir und Sicherheitskoordinator Catlock längst hätten übergeben sollen", erwiderte Bullhorn.

"Nichts für ungut, aber Catlock hat sich schon einmal vor einen fremden Karren spannen lassen und ist nur deshalb noch im Amt, weil es keinen aus seiner Behörde gab, der oder die nicht wie er unter dem Einfluss von Vita Magica stand. Ich berufe mich da gerne auf den Unterartikel 10 b unserer Übereinkunft, demnach der Führungsstab des Laveau-Institutes entscheiden darf, welche natürliche Person welche Kenntnisse oder Hilfsmittel in die Hände bekommen darf oder nicht. Unsere einhellige Meinung ist, dass wir Ihnen zwar die fertigen Geräte zur Verfügung stellen und mit unserem Wissen und Personal an der Bewältigung dringender Aufgaben helfen. Aber wir betreiben keinen Ausverkauf unserer in Jahren mühsam erarbeiteten Kenntnisse. Da brauchen Sie nicht so drohend dreinzuschauen, Madam Bullhorn. Die uns zugestandene Eigenständigkeit erlaubt, ja gebietet uns, den Personenkreis der Kundigen so überschaubar wie möglich zu halten."

"Soll das heißen, dass sie uns nicht vertrauen?" fragte Bullhorn. "Was Catlock angeht habe ich nicht nur meine Ansicht bereits bekundet. Hinzukommt noch, dass Ihre Ämter vom Verhalten der Wahlberechtigten abhängig ist. Wenn wir Ihnen also heute all unser Wissen ausliefern könnten Sie es nach dem Ende Ihrer Amtszeit weiternutzen und eigene Ziele damit verfolgen. Wer für uns arbeitet leistet einen Eid, das bei uns erworbene Wissen über von uns erfundene Methoden nicht an Personen weiterzugeben, denen er oder sie nicht vollstes Vertrauen entgegenbringt. Sie amtieren jetzt noch. Doch können Sie garantieren, dass dies auch in fünf, zehn oder zwanzig Jahren noch so ist?"

"Das werte ich jetzt mal als Nein, da ich ja nicht für mich als natürliche Person, sondern für die Föderationsadministration als juristische Person spreche."

"Ja, und wie gut wir damit gereist sind, dieser juristischen Person nicht all unser Wissen zu überlassen haben wir in den letzten zehn Jahren mehrfach bestätigt bekommen", konterte Davidson. "Also, ich kann Ihnen vier Gefahrenfänger überlassen, da diese ja nach einem möglichen Einsatz zu uns zurückkehren und nicht bei Ihnen eingeschlossen werden können. Außerdem kann ich Ihnen eine Portierungspistole übergeben, mit der wir unter anderem die grauen Supervampire bekämpfen können, nur für den Fall, dass die Gefahrenfänger nicht ausreichen. Dann möchte ich von Ihnen schriftlich, wie viele vom Föderationsrat und wie viele Inobskuratoren als Leibwache auf diese sehr fragwürdige Reise gehen sollen. Dann erhalten Sie entsprechende Umhänge mit mehrfacher Dauerschildbezauberung gegen alle uns bekannten hermetischen Angriffszauber. Mehr kann und mehr will ich Ihnen nicht zusagen."

"Mr. Davidson, Sie unterstehen der Administration der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer. Wenn Sie sich weigern, eine klare Anweisung zu befolgen wird das Konsequenzen haben", drohte Atalanta Bullhorn.

"Wie oft habe ich diese oder ähnliche Drohungen schon gehört, Madam. Unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit fußt auf einem Verständnis von gegenseitiger Achtung auf Augenhöhe und dem Wissen, dass da draußen sehr viele schlechte Menschen und gefährliche Wesen herumlaufen, die unsere Freunde und Verwandten bedrohen. Fragen Sie Ihren Kollegen Takahara einmal, was ihm widerfuhr, als er meinte, die in seinem Land tätigen Hände der Amaterasu zum Ministeriumseigentum zu erklären. Wollen Sie wirklich die trotz Wishbone und Buggles überwiegend erfolgreiche Zusammenarbeit mit uns gefährden, indem Sie mal wieder mit der Eingliederung unseres unabhängigen Institutes in die Verwaltungsstruktur des de facto Zaubereiministeriums der USA drohen oder diese gar umzusetzen trachten?"

"Darüber werden wir zwei und gerne auch Ihr kompletter Führungsstab nach der Unterredung mit Pataleón, Costacalma und Moreno reden", fauchte Atalanta Bullhorn wie eine gereizte Katze. Doch sie sah, dass es Davidson nicht beeindruckte. Der holte ganz gelassen ein Formular aus einer seiner Schreibtischschubladen und füllte einige Felder aus. Dann gab er es ihr zur Ergänzung der nur ihr bekannten Punkte und unterschrieb es im Feld "Direktor LI". Sie unterschrieb im Feld "Administratorin FNHUZ". Dann machte er davon eine dauerhafte Kopie und sagte ihr, dass die angeforderten und von ihm bewilligten Ausrüstungsgegenstände in der nächsten Stunde in Viento del Sol eintreffen würden. Er erklärte ihr dann noch die Handhabung der Gefahrenfänger und deren besondere Eigenschaften.

"Wie erwähnt, wir sprechen uns noch einmal, wenn wir Ladonnas nächsten Schlag abgewehrt und dieses Frauenzimmer in seine Schranken verwiesen haben", sagte die Ratssprecherin der Föderation zum Abschied. "Dann hoffe ich sehr, diesen Termin mit Ihnen wahrnehmen zu können, Madam Bullhorn", erwiderte Davidson ruhig. Die ehemalige Majorin der Inobskuratorentruppe antwortete nicht mehr darauf. Sie wandte sich der Tür zu und ging hinaus. Als die Tür hinter ihr zufiel atmete Davidson tief durch. Er musste wieder an jene Prophezeiung Marie Laveaus denken, dass eine dunkle Gärtnerin ein großes Beet voller blutgetränkter Blumen pflanzen wolle und dabei um die ganze Welt reise, um die ihr am besten gefallenden zu finden. Hoffentlich wirkten die Gefahrenfänger wirklich zuverlässig. Er ging davon aus, dass Ladonna den beinahe vereitelten Anschlag in Südamerika genau überdacht hatte und schon dabei war, ein Gegenmittel gegen die Gefahrenfänger zu entwickeln. Dass die Erzdunkelhexe mit Veela- und Waldfrauenerbgut bereits am dritten Mai ein Treffen mit ranghohen Föderationsräten angeordnet hatte alarmierte den Direktor des Laveau-Institutes. Er wandte sich an ein kleines Bild, dass einen spindeldürren Zauberer im kirschroten Umhang mit himmelblauem Spitzhut auf dem Kopf zeigte und sagte: "Rollin, bitte melde mir das, wenn Madam Bullhorn durch den Besucherkamin abgereist ist!"

"Geht klar, Boss", erwiderte der gemalte Zauberer und verschwand durch den linken Rand des Bilderrahmens.

Zehn Minuten später kehrte Rollin in sein Bild zurück und meldete: "Die Besucherin ist eben abgereist. Sie hat noch versucht, den Standort des LIs mit einem Standortbestimmungsgerät zu ermitteln. Das Ding ist ihr vor lauter wildem Rotieren fast aus den Händen gerutscht." Er kicherte dabei amüsiert.

"Sie kann es nicht lassen. War es wieder ein Prazap-Naviskop?" fragte Davidson. "Nope. Das war der von den Dexters erfundene Wunschzielkompass, den die nach diesem komischen Seeräuberfilm von vor zwei Jahren nachgebaut haben. Sie hat was gesagt wie: "Vermerke wo ich war, auf dass ich wiederkehren mag!" Da hat das Ding dann eben ganz wild rotiert und sich dabei fast selbst zerlegt, wenn sie nicht das Wort "Reversus", gerufen hätte. Dann ist sie mit den vier Gefahrenfängern, der Tasche mit den dreizehn Dauerschildumhängen und der auf ihre Augen und Hände abgestimmten roten Portierungspistole in den Kamin geklettert und abgereist."

"Ah, hat Hammersmith ihr eine der roten Pistolen überlassen. Mit Gebrauchsanweisung?" "Yupp, Boss. Sie weiß also, dass sie damit nicht auf lebende Wesen schießen darf und auch nicht kann", bestätigte der spindeldürre Zauberer auf dem Verbindungsbild.

"Danke Rollin. Ich spreche gleich mit Sheena und den anderen über diesen Besuch und wie erfolgreich das Vorhaben sein mag", sagte Davidson. Dann rief er über den Rundrufzauber die gerade im Institut weilenden Führungskräfte des Institutes zusammen.

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Im Haus der Familie Bristol in Brewster, New York, 03.05.2006, 07:15 Uhr Ortszeit

Jeff, Justine und ihre kleine Tochter Laura saßen beim Frühstück und verfolgten die Morgensendung im Radiosender HCPC 2623. Gerade brachten sie ein Interview von Frank Sunnydale mit der Föderationsrätin für Zauberwesen, Lena Firestick aus Louisiana. Es ging um das gerade diskutierte Wonrechtsgesetz für humanoide Zauberwesen und deren Nachkommen. Sunnydale versuchte aus der bei Baton Rouge lebenden Hexe einige Einzelheiten der anstehenden Gesetzesänderung herauszukitzeln. Doch die Befragte ließ sich auch vom Charme des beliebten Radioreporters Frank Sunnydale nicht aus der Reserve locken. Sie verwies auf noch zu klärende Fragen und dass frühestens am zehnten Mai eine Entscheidung fallen würde. Vorher wolle sie gemäß der Vereinbarung mit den anderen Räten keine Einzelheiten verraten.

"Was ist mit den drei männlichen Ratsmitgliedern aus Mexiko geschehen, Madam Firestick? Es gibt Gerüchte, dass diese sich mit den südamerikanischen Zaubereiministern geeinigt hätten, dass Mexiko die Mitgliedschaft in der Föderation aufkündigen wird. Stimmt das?" wollte Sunnydale nun wissen.

"Oh, da fragen Sie gerade die falsche Person, Mr. Sunnydale. Wenn Sie etwas über Mexiko erfahren wollen sprechen Sie bitte mit einer meiner Kolleginnen Montesoleado, Ondafuerte oder Fuegolibre. Mir wäre zumindest nicht bekannt, dass unsere mexikanischen Freunde und Nachbarn bereits nach nur fünf Monaten die Föderation verlassen wollten", erwiderte Lena Firestick.

"Ich danke Ihnen für diesen Vorschlag und bedanke mich auch im Namen aller Zuhörerinnen und Zuhörer für das Interview", ging Sunnydale ganz gegen seine sonst so hartnäckige Art auf Firesticks Antwort ein.

"Er hat angst vor Bullhorns bitterböser Antwort", meinte Justine zu ihrem Mann. Im Moment hatte sie glattes, tizianrotes Haar und hellbraune Augen. Das konnte sich jederzeit ändern, wusste Jeff und dachte an seine Wechselbanduhr, die ihm zwanzig verschiedene Erscheinungsformen ermöglichte, darunter zwei Frauen und das ganz ohne Vielsaft-Trank.

Unvermittelt fühlte Jeff seinen Ehering vibrieren, zweimal lang und einmal kurz. Auch Justine hatte sowas mitbekommen. Sie hob die linke Hand, um zu lauschen. Doch das war nicht mehr nötig.

"Guten morgen ihr beiden. Der Boss hat gerade den Alarmzustand "Gelber Skorpion" ausgerufen", hörten sie die Stimme eines Mannes von der hinteren Wand her. Laura Jane zeigte auf die Wand und sagte: "Dünner roter Mann da!"

"Hi Red Rollin, Gelber Skorpion? Was liegt an?" wollte Jeff wissen.

"Der Boss hat es versucht, sie davon abzuhalten. Aber weil er der Dame Bullhorn nicht aufs Brot schmieren wollte, das wir damit rechnen, dass die Feuerrosenkönigin schon halb Europa eingesackt hat und jetzt wohl nach der neuen Welt grabscht will die sich mit drei Señores aus Südamerika treffen, um was wegen der drei verschwundenen Compañeros aus Mexiko zu klären. Die Latinos und der ehemalige Kolonialherr aus Spanien haben nämlich behauptet, die drei wären amokgelaufen und hätten versucht, alle Teilnehmer einer Zusammenkunft zu töten. Tja, und weil sich Bullhorn nicht als Auftragskillerin hinhängen lassen will soll es eine Unterredung mit dem Ausrichter der besagten Zusammenkunft und zwei anderen Zaubereiministern aus dem spanischsprachigen Raum geben, auf der Beratungsinsel westlich von Panama."

"Panama, da gibt's Bananen. Mmm, Lecker", sagte Laura Jane. Der dünne rrotgekleidete Zauberer auf einem Bild an der hinteren Küchenwand grinste. Jeff räusperte sich. Eigentlich sollte er seine Tochter bei solchen Gesprächen hinausschicken. Doch jetzt war der Kessel eh umgekippt. So sagte er: "Gut, Justine hat ja heute ihren Wachdiensttag. Falls was ist kann sie mich anmeloen, Rollin. Sag unserem Boss, dass ich bereit bin, falls er den Fall "Rotes Schneckenhaus" ausruft."

"Geht klar, Jeff. Hoffentlich kriegst du deinen Tag dann noch geregelt", sagte der gemalte Zauberer in rotem Umhang und verschwand, um die neue Gefahrenstufe an andere Ausgaben seines Bildes weiterzumelden.

"Nimmst du den Wunderstöpsel mit, den Martha und May für dich gemacht haben?" mentiloquierte Justine. Er widerstand dem Reflex, ihr zuzunicken und gedankenantwortete: "Den habe ich immer in der per Körperspeicher zu öffnenden kleinen Schachtel am Körper, genau wie die Armbanduhr, meine Hälfte unseres goldenen Anhängers und das Drachenhautpanzer-Unterhemd. Ich brauche dann nur eine Minute, um wegzukommen."

"Hoffentlich wird das nicht nötig", schickte Justine ihm zurück. Jeff stimmte ihr nur für sie hörbar zu. Dann erzählte Jeff seiner Tochter, dass Moms Boss vorgeschlagen hatte, dass sie alle, die für ihn arbeiteten, mit ihren Familien einen langen Urlaub zusammen machen mochten. Er wisse nur noch nicht wann genau, weil ja jetzt erst mal wichtige Sachen gemacht werden müssten. Das kam der Wahrheit nahe genug, um von einer Dreijährigen nicht als Lüge erspürt zu werden und war doch nicht die volle Wahrheit.

Jeff dachte daran, was beim befürchteten Ernstfall alles anders würde. Im Grunde musste er dann wieder sein Leben ändern. Trotz des über der Times schwebenden Phantoms der Überwachung durch ein weltherrschaftssüchtiges Geschwisterpaar und trotz der kleinen und großen Gangster, mit denen Jeff es in seinem Berufsalltag zu tun hatte empfand er die Arbeit als Kriminalreporter bei der renommierten New York Times als sehr ansprechenden und vor allem wichtigen Beruf. Das aufzugeben würde ihm nicht leichtfallen, auch und vor allem, weil er dann Mike Dunston mit dem Problem der Campoverde-Geschwister alleine lassen musste. Doch wenn der schlimmste Fall eintrat musste er vor allem an seine Familie denken und auch daran, dass das Laveau-Institut womöglich allein gegen einen Großteil der magischen Welt stehen mochte, falls es sich nicht in die dann herrschende Lage ergeben wollte, nur um des lieben Friedens Willen.

Um halb acht fuhr er mit seinem schwarzen, unaufbrechbaren Ford Mustang Baujahr 1990 los. Unterwegs prüfte er die von Quinn Hammersmith und seinen findigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingebauten Zusatzfunktionen. Im Zweifelsfall konnte er ihm nachjagende Verfolger mit diversen Tricks auskontern, von denen selbst Actionhelden wie James Bond oder der Knight Rider nicht zu träumen gewagt hätten. Allerdings konnte er mit seinem Wagen keine Raketen oder Laserstrahlen verschießen. Vieles von dem, was sein Auto an Bord hatte war ohne Zustimmung des Zaubereiministeriums oder der Föderationsadministration eingebaut worden. Daher galt es um so mehr, das Fahrzeug nicht in fremde Hände fallen zu lassen.

Eine der Extrafunktionen war die, sich mühelos durch den dichtesten Verkehrsstau zu schlängeln, ohne dass die anderen Autofahrer den Mustang zur Kenntnis nahmen. So kam er locker durch den Berufsverkehr von Manhattan und erreichte die Tiefgarage, die für Times-Personal angelegt worden war. Er ging noch einmal die Abläufe für den Fall "Rotes Schneckenhaus" oder "Winterschlaf" durch. Falls er schnellstmöglich verschwinden musste sollte der Wagen durch die Schaltung "Abgesang" restlos vernichtet werden. Falls er noch eine geordnete, für die Nichtmagier geeignete Flucht antreten durfte konnte er mit dem Wagen aus der Tiefgarage weg, ohne ihn zerstören zu müssen. Er hoffte, dass er den Wagen behalten durfte.

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Isla de las buenas Tardes, 300 km westsüdwestlich der panamesischen Pazifikküste, 03.05.2006, 09:20 Uhr Ortszeit

Das gerade mal vier Morgen große Eiland ragte mit seinen zwanzig tropischen Bäumen auf vier Hügeln 100 Mannshöhen über den Meeresspiegel des unendlich weit erscheinenden Ozeans hinaus. Vor dreihundert Jahren hatten spanische Zauberer im Gefolge der Kolonisatoren Amerikas die Insel gefunden, als gerade die Sonne orangerot im wogenden Weltmeer versank. Keine Wolke war am Himmel zu sehen gewesen, und die wenigen hier wachsenden Urwaldbäume wirkten wie friedfertige, schlafende Riesen, deren turmhoch über ihnen wachsende Wipfel im sanften Westwind wisperten. Die zehn Zauberer, die nur mal nachsehen wollten, wie weit sie mit den neuen Flugbesen fliegen konnten, ohne nicht mehr zur rettenden Küste zurückzufinden, hatten hier eine ganze Woche zugebracht und jeden Morgen und Abend jenes friedliche Spiel von Sonne und Meer genossen. Weil sie die Insel an einem dieser guten Abende gefunden hatten hieß sie seit dem La Isla de las buenas Tardes, das Eiland guter Abende. Später war dort das "Haus der ruhigen Unterredungen" errichtet worden, wo sich nach der Unabhängigkeit aller Länder des amerikanischen Doppelkontinentes immer dann Abordnungen der Zaubereiministerien trafen, wenn es schier unausräumbar erscheinende Schwierigkeiten des Zusammenlebens gab, vor allem, als die USA und damit deren Zauberergemeinschaft sich immer größer wähnten als der Rest der amerikanischen Zauberergemeinschaft. Auch zu diesem Zweck lag die Isla de las buenas Tardes seit 1830 unter einem zweifachen Unortbarkeitszauber, der sie nur für magische Menschen sichtbar machte und jedes Schiff oder Boot so sanft und zuverlässig darum herumlenkte, dass dessen Besatzung nicht mitbekam, dass ihr Fahrzeug mal eben ein unsichtbares Hindernis umfuhr.

Die letzte hier geführte Verhandlung lag schon 70 Jahre zurück. Damals hatte der magische Kongress der USA einen heftigen Streit mit dem Zaubereiministerium Mexikos und dem Guatemalas geführt, weil der MAKUSA die beiden südlichen Nachbarn verdächtigt hatte, den weltweit operierenden Dunkelmagier Gellert Grindelwald zu unterstützen. Die Verhandlung hatte ganze zwei Wochen gedauert und am Ende einen zehn Pergamentrollen umfassenden Vertrag zur Nichteinmischung und Nichtbeteiligung in europäische Angelegenheiten ergeben, der bis zum Eintritt Mexikos in die Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer gültig geblieben war. Im Grunde genommen wurde es also Zeit, dass über ein Nachfolgeabkommen beraten und beschlossen wurde. Doch der Tod von drei mexikanischen Mitgliedern des Föderationsrates und der schwelende Verdacht, die Föderation könnte die drei zu berserkergleich kämpfenden Attentätern ausgebildet haben, gebot bereits heute, am 3. Mai 2006, ein Zusammentreffen. Denn die Föderation konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass ranghohe Abgesandte die Teilnehmer einer internationalen Konferenz umbringen wollten um angeblich Unfrieden und Instabilität zwischen den südamerikanischen Ländern zu schüren.

Atalanta Bullhorn erreichte die Verhandlungsinsel mit ihren zwölf Begleitern am Morgen des dritten Mai 2006 mit Hilfe eines Portschlüssels in Form eines grasgrünen, jedoch schon an mehreren Stellen löcherigen und an den Rändern ausgefransten Tischtuches. Genau vor ihnen erhob sich das dreistöckige orangerote Haus aus Granitblöcken. In der Mitte des Daches ragte ein etwa drei Meter hoher Schornstein empor. Es war seit der ersten Unterredung üblich, dass im darunter liegenden Kamin ein ständiges Feuer unterhalten wurde. Solange es brannte war die Unterredung im Gange. Endete sie wurde Brennmaterial für blütenweißen, turmhoch aufsteigenden Rauch in das Feuer gelegt, um den Erfolg der Unterredung zu verkünden, auch wenn eigentlich niemand von draußen beobachten sollte, was hier vorging.

Die Sprecherin des Föderationsrates dachte noch einmal an die am Vortag geführte Unterredung mit Elysius Davidson zurück. Der hatte sich doch glatt gegen ihre glasklare Anweisung gestemmt und ihr gerade einmal vier schwanengroße Gefahrenfänger zugebilligt, die nun, wo die Portschlüsselreise vorbei war und die eingeprägten Standortbestimmungszauber der Vorrichtungen auswiesen, dass sie am Zielort waren, mit lautlosen Flügelschlägen aufstiegen, um den dreizehn Abgesandten vorauszufliegen, wenn sie das Verhandlungshaus betraten. Um sich nicht als vollkommen ungehorsam zu verhalten hatte Davidson ihr persönlich noch eine ebenso bewährte Vorrichtung gegeben, die auf ihr Sehvermögen allein abgestimmt war und nur von ihrer Hand geführt und benutzt werden konnte. Dennoch würde sie nach dieser Unterredung noch einmal mit ihm und auch mit Casaplata von der Sociedad libre sprechen, was an der Zusage, dass die beiden Institutionen dem Föderationsrat unterstanden nicht zu verstehen gewesen war.

Das Haus der Unterhandlungen besaß zwei große Portale, eines im Norden und eines im Süden. Die zweiflügeligen Tore waren drei Meter hoch. So konnten die Gefahrenfänger ohne anzustoßen über den Köpfen der Gesandten fliegen. Atalanta zwang sich, nicht immer nach oben zu sehen. Die vier wie silberne Adler aussehenden künstlichen Vögel waren gerade für alle Augen unsichtbar und sollten es bleiben, solange keine akute Gefahr für Körper oder Geist der Teilnehmenden bestand.

Atalanta zog am silbernen Glockenseil neben dem Nordportal. Eine Abfolge mittelhoher Glockenschläge erklang aus dem Haus. Jetzt hieß es warten, während die vier Gefahrenfänger unsichtbar und unhörbar über ihnen allen eine Kreisbahn flogen.

Nach einer halben Minute wurde das Portal entriegelt. Die zwei hohen Türflügel gewährten den Blick auf eine imposante Empfangshalle, von der aus mehrere weitere Türen abgingen. Die Tür zum Treppenhaus stand jedoch schon offen. Zwei Reihen frei schwebender Kerzen erleuchteten die von einem goldenen Läufer überdeckten Treppenstufen, die in die beiden oberen Stockwerke hinaufführten. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen.

Die aus der Ratssprecherin, ihren beiden Kolleginnen und den zugesagten zehn Leibwächtern bestehende Abordnung aus Nordamerika betrat das Haus und erstieg die Treppe zum mittleren Stockwerk. Dort befand sich der große Saal der Verhandlungen genau in der Mitte des Hauses.

Wie es ihr antrainiertes Verhalten gebot untersuchten die zehn mitgenommenen Leibwächter jede Ecke auf lauernde Fallenzauber. Denn Davidson hatte klargestellt, dass die Gefahrenfänger nur auf nicht fest verbaute Gefahrenquellen gerade mal doppelt so groß wie sie selbst wirken konnten. Auf Murattractus-Zauber oder Anwachsflüche oder was sonst noch an in Wände, Decke oder Boden verbauten Gemeinheiten bekannt war konnten die vier unsichtbaren Kunstvögel nicht einwirken.

Als sie durch die nördliche blau-weiße Flügeltür den fünfzig mal fünfzig Meter messenden Saal betraten überprüften die Sicherheitszauberer auch die dort stehenden Möbel, den sechs Meter durchmessenden Konferenztisch, die darum aufgestellten Stühle, den sonnengelben Teppich und den achtundvierzigarmigen goldenen Kronleuchter unter der Decke auf lauernde Flüche oder magische Vorrichtungen.

"Der Saal ist frei. Hier sind nur die Außenbildanzeigezauber und der alle zwei Minuten erfolgende Luftaustauschzauber zur Frischluftversorgung", vermeldete Orson Hilltop, der Führer der Leibwächtertruppe. "Und der Kronleuchter?" wollte Ratssprecherin Bullhorn wissen. "Nur die üblichen Kerzen, keine mit dunkler Magie angereicherte Kerze. Da hätte es wohl auch schon eine Reaktion gegeben", sagte Hilltop. Bullhorn legte schnell ihren Zeigefinger an die Lippen. Hilltop verstand, dass er besser nicht noch mehr ausplauderte, selbst wenn sie keinen Mithörzauber gefunden hatten.

Die zweite Abordnung betrat durch die südliche Flügeltür den Saal. Auch hier waren mehrere Sicherheitstruppler dabei, allerdins je drei aus Peru, Argentinien und Spanien, wenn Atalanta die Umhänge in den Landesfarben richtig zuordnen konnte. Die drei angekündigten Chefunterhändler Pataleón, Costacalma und Moreno kamen scheinbar unbekümmert mit ihren Aktentaschen herein. Falls in einer davon etwas gemeines steckte, so dachte Atalanta, würden die beim Betreten schnell in alle Ecken geflogenenund nun wartenden Gefahrenfänger das erspüren, sobald es hervorgeholt wurde. Sie bangte einen Moment, ob die nun ihrerseits Prüfzauber ausführenden Sicherheitsleute aus der spanischsprachigen Zaubererwelt die Wände, die Decke und den Boden absuchten. Falls sie die nun in Wartestellung ausharrenden Gefahrenfänger orten konnten würden sie fragen. Doch Davidson hatte ihr eine 99-prozentige Gewähr geboten, dass kein herkömmlicher Zauberkraftaufspürer die Gefahrenfänger erkennen konnte. Denn die konnten so schnell der Ausrichtung von Zauberstäben ausweichen, dass deren Zauberkraft sie nicht berührte, so Davidson. Schließlich sollten sie ja möglichst unentdeckt bleiben.

Es kam zu keiner Beanstandung der Sicherheit. So konnten sich nun die drei Hexen und drei Zauberer von hohem Rang begrüßen. Als dies passiert war schlossen sich die zwei Türen und verriegelten sich. Es wurde für eine Sekunde völlig dunkel. Dann leuchtete es um sie alle herum blaugrau auf. Dann sah es für alle hier so aus, als befänden sie sich nicht mehr in einem Saal, sondern auf der obersten Plattform eines Turmes mit unverstellter Rundumsicht und dem freien Himmel über sich. Ja, die gewissen Informationen aus Großbritannien hatten schon gewisse Möglichkeiten ergeben. Auch der Hall im Saal hatte sich verändert. Jetzt klang es so, als stünden sie wirklich im Freien. Doch alle hier wussten, dass sie unbeobachtbar und unabhörbar waren.

Die Konferenzteilnehmenden setzten sich nun an den runden Tisch, während die Sicherheitsleute sich auf Stühlen an den Wänden niederließen, bereit, sofort einzugreifen, wenn etwas die Schutzbefohlenen bedrohte. Bullhorn entging nicht, dass Costacalma und Moreno Pataleón so ansahen, als dürften sie erst was sagen oder tun, wenn er es ausdrücklich befahl. Seit wann waren die Südamerikaner dem Spanier gegenüber wieder so unterwürfig? Das Nur Atalanta Bullhorn und die beiden sie begleitenden Miträtinnen kannten die Antwort.

"Es freut uns, dass Sie der kurzfristigen Bitte um eine Zusammenkunft entsprochen haben und jetzt hier sind", begann Costacalma zu sprechen. "Denn die Aufklärung dieses Zwischenfalles duldet keine Verzögerung."

"Nun, bisher haben wir nur Ihre schriftliche Mitteilung, dass unsere Kollegen angeblich zu unbändigen Mördern mutiert sein sollen", sagte Atalanta Bullhorn darauf. "Daher liegt uns sehr viel daran, Augen- und Ohrenzeugen dieser sehr drastischen Begebenheit zu sprechen. Ja, und wer sagt uns, dass nicht Sie eine günstige Gelegenheit genutzt haben, für die anderen Zaubereiminister einprägsam ein Exempel zu statuieren, dass niemand die vor Jahrhunderten zusammengefügte Konföderation spanischsprachiger Zauberer verlassen darf?" stellte sie eine bewusst sehr provokante Frage und sah vor allem Pataleón an. Der schien mit einem solchen Gegenvorwurf gerechnet zu haben. Nach außen hin völlig ruhig antwortete er: "Sicher können Sie davon ausgehen, dass wir von uns aus den Tod der drei mexikanischen Teilnehmer verursacht haben. Doch welchem Zweck dient sowas?"

"Das ist genau die Frage, die ich auf Ihren indirekten Vorwurf an uns stellen möchte", erwiderte Bullhorn ebenso ruhig. "So steht also Aussage gegen Aussage?" fragte Pataleón. "Nicht sofern Sie uns klare Beweise vorlegen können, was passiert ist. Danach können wir entscheiden, ob es die Sache wert ist, das Gericht der internationalen Zaubererkonföderation anzurufen, sich mit diesem Vorfall zu befassen. Jedenfalls kann ich für mich und meine Miträtinnen klarstellen, dass wir in einem Massenmord keinen Vorteil für unsere Föderation erkennen."

"So ist es an uns, Ihnen die Sitzungsprotokolle vorzulegen, damit sie den von einer Flotte-Schreibe-Feder gemachten Abschnitt zur Kenntnis nehmen können", sagte Costacalma, nachdem der spanische Zaubereiminister ihm zugenickt hatte. Bullhorn bejahte das. Also kam jetzt womöglich der Augenblick der Wahrheit, dachte sie.

Pataleón deutete auf Costacalmas Aktentasche. Da die diplomatischen Gepflogenheiten verboten, das Handgepäck eines Ministeriumsangehörigen zu durchsuchen und zu prüfen konnte Costacalma jetzt alles mögliche daraus entnehmen, was vorhin nicht enthüllt werden konnte.

Costacalma tauchte seine rechte Hand in seinen rot-schwarz gemusterten Aktenkoffer und fischte einen blau-rot-schwarzen Aktenordner heraus. Diesen legte er so auf den Tisch, dass viele der daran sitzenden mitlesen konnten, was er enthielt. "Eigentlich gehört es zu unserer Verhandlungsordnung, die Mitschriften nur Mitgliedern unserer Konföderation zugänglich zu machen. Doch sie sollen es von neutraler Quelle aufgezeichnet nachvollziehen, was mit Ihren drei Abgesandten aus Mexiko geschehen ist", sagte der peruanische Zaubereiminister. Bullhorn fühlte die unmittelbar ansteigende Anspannung. Als Inobskuratorin besaß sie einen ausgebildeten Gefahrenspürsinn. Die Falle wollte zuschnappen. Jetzt galt es.

"Sie sind der Gastgeber der Konferenz, Minister Costacalma", sagte Pataleón. Da schien es, dass der Ordner einen Moment lang flimmerte. "Sie entscheiden, wer die Protokolle lesen darf", fügte Pataleón seiner Aussage noch hinzu. Da geschah das, womit Bullhorn und die Föderationsrätinnen gerechnet hatten.

Der Ordner verlor scheinbar seine Form und verwandelte sich blitzschnell in eine unterarmlange, rubinrote Kerze, die kaum dass sie sichtbar wurde vom Tisch aufstieg und knapp einen halben Meter darüber auf der Stelle schwebte. Unvermittelt quoll violetter Rauch heraus. Bullhorn hielt die Luft an, genauso wie ihre zwölf begleiter. Jetzt müsste der erste Gefahrenfänger reagieren. Doch sie vernahm nur ein leises Brummen wie einen Schwarm Hummeln, der hinter den Wänden vorbeiflog. Der violette Rauch wurde immer dichter und hüllte alle ein die im Saal waren. Jetzt hörte Bullhorn auch ein sehr schnelles leises Klatschen von den Ecken über sich. Wo blieben die verdammten Gefahrenfänger?! Nun entflammte der Docht der Kerze vollends. Eine rubinrote Flamme reckte sich innerhalb einer Sekunde mehr als einen Meter nach oben. Bullhorn fühlte, wie ihr Umhang erbebte, weil die darin eingewirkte Schildmagie auf gefährlichen Rauch reagierte. Davidson hatte ihr erzählt, dass einer der eingewebten Schildzauber auch flächendeckende Zauber auf Nebelbasis fernhalten konnte. Reichte das schon aus? Nein, wenn die Rosenblüte entstand war es zu spät. Dann würde Ladonnas Fluch sie ereilen. Bullhorn verschenkte keine Sekunde mehr an die Wut über die versagenden Gefahrenfänger. Sie griff blitzartig an ihren Umhang, bekam den aus einer scheinbar lleeren Tasche ragenden Griff zu fassen und zog die kleine, nur für sie als gläsernes Objekt sichtbare Pistole. Sie zog den Lauf frei, kippte mit mehrfach geübter Beweglichkeit den Sicherungshebel zurück und zielte aus einer fließenden Bewegung heraus auf die schwebende Kerze. Auf schwebende Objekte zu zielen gehörte zur Grundausbildung der Inobskuratoren. Sie betätigte den Abzug. Die Pistole ruckte in ihrer Hand. Nur ein kurzes hohes Pfeifgeräusch, und ein kurzer, spitzer Pfeil bohrte sich tief in die schwebende Kerze. Da glühte sie in einem sonnengelben Lichtwirbel auf und war fort. Jetzt hing nur noch der violette Rauch in der Luft. Schnell steckte die Ratssprecherin der Föderation ihre besondere Pistole wieder fort, bereit, nach ihrem Zauberstab zu greifen.

Attalanta sah durch den violetten Dunst die schattenhafte Gestalt von Costacalma. Der Peruaner zog gerade seinen Zauberstab frei. Jetzt mussten die Leibwächter eingreifen. So hatte Atalanta es mit ihnen vereinbart, sobald die Feuerrose beseitigt war. Ja, sie schickten ungesagte Schockzauber gegen die drei Fallensteller los. Doch die roten Blitze zerstoben laut prasselnd an einer unsichtbaren Wand rings um den Konferenztisch. Die neun Wächter der drei Minister erwiderten die Zauberflüche. Doch die Wächter der Föderationsabordnung trugen mit mehrfachenSchildzaubern versehene Umhänge. Die Schockzauber prallten davon ab und trafen ihre Absender.

Costacalma zielte auf Bullhorn. Diese vertraute auf die in ihren Umhang eingewebten Schildzauber. Doch etwas anderes geschah.

Plötzlich spannten sich blaue Lichtbögen zwischen den drei Zaubereiministern auf und verbanden sich mit dem Boden. Dieser erstrahlte im selben blauen Licht. Dieses Leuchten schnellte entlang der Wände bis zur Decke hoch und begann wild zu kreiseln. Keine Viertelsekunde später fühlte Atalanta Bullhorn einen all zu bekannten Zug am Bauchnabel und sah einen ebenso all zu bekannten bunten Farbenwirbel um sich. Die drei Minister hatten eine ihr unbekannte Form von Portschlüssel ausgelöst, die aus mehreren Teilzaubern zu bestehen schien und deshalb nicht als Portschlüssel erkannt werden konnte, bis es zu spät war. Bullhorn versuchte aufzuspringen. Doch ihr Gesäß und ihre Beine blieben wie angewachsen am Stuhl kleben. Der Stuhl selbst stand auf dem blau leuchtenden Teppich.

Die mitgebrachten Leibwächter standen mit wie angewachsenen Füßen auf dem Teppich, der mitten durch diesen unendlich erscheinenden Farbenwirbel dahinraste. Atalanta konnte erkennen, dass sie langsam wieder zur Besinnung kamen. Wo auch immer sie ankommen würden, die zehn Leibwächter würden unverzüglich eingreifen, sobald ein neuer Angriff erfolgte. Wo immer sie ankommen würden konnte es zu einem heftigen Zaubergefecht kommen, dachte die ehemalige Inobskuratorenmajorin.

Schlagartig erlosch das blaue Leuchten aus dem Teppich. Alle landeten mit Gepolter auf dem Boden an einem unbekannten Ort. Atalanta sah noch, dass sie in einer von weißgelb strahlenden Laternen erleuchteten Tropfsteinhöhle angekommen waren. Da wurde sie von einer unwiderstehlichen Gewalt vom Stuhl heruntergezerrt und durch die Höhle gegen eine der steinernen Wände geschleudert. Kopf, Rumpf, Arme und Beine wurden mit brutaler Entschlossenheit gegen die Wand gepresst und vermochten sich nicht mehr zu bewegen. Ein bläuliches Flimmern umgab sie. Sie fühlte, wie ihr Umhang erbebte. Die Schildzauber richteten nichts gegen den hier unverkennbar wirkenden Murattractus-Zauber aus. Ladonnas Falle hatte sie doch noch geschluckt. Doch wenn dieses Weib dachte, dass sich eine Inobskuratorin davon beeindrucken ließ würde es heute noch was ganz neues lernen, dachte Atalanta Bullhorn entschlossen.

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Zur selben Zeit im Ausrüstungstrakt des Marie-Laveau-Instituts

Quinn Hammersmith hörte das leise Pingeln, erst eine kleine Glocke, dann alle vier auf einmal. Vier Gefahrenfänger waren von ihrem Einsatz zurückgekehrt. Alle vier auf einmal? Irgendwas stimmte da nicht.

Quinn Hammersmith beendete den gerade laufenden Versuch mit einer Weiterentwicklung des Gasvorgreifers, der nun auch den ganzen Körper vor schädlichen Gasen schützen sollte, wie es die alchemistischen Schutzanzüge gegen besonders giftige Dämpfe schon konnten. Er schloss mit dem Wort "Interuptio pro tempore" alle Schranktüren und Schreibtischschubladen. Alles was darin war geriet nun in die Wirkung des Conservatempus-Zaubers, um nicht in seiner Abwesenheit irgendwas unerwünschtes anzurichten. Dann verließ er seine Werkstatt und eilte in die von seinem Mitarbeiter Hubert Glassblower eingerichtete Prüfkabine, wo die von hier aus eingestimmten Gefahrenfänger wieder ankamen, um ausgewertet zu werden. Hubert und seine Kollegin Elisa Ventocaldo waren bereits dabei, den ersten an die Gesandtschaft von Atalanta Bullhorn ausgegebenen Gefahrenfänger auszuwerten. Dazu setzten sie dem silbernen Kunstvogel einfach eine mit magischen Zeichen beschriebene Seeschlangenlederkappe auf den Kopf und tippten zwei an schlauchartigen Leitungen hängende Geräte an, die sofort einen handbreiten Papierstreifen ausspien. "Die sind alle vier auf einen Schlag zurückgekehrt, Quinn. Die haben aber keine Gefahr abgewehrt, sondern sind wegen der Zurücklassungsprägung zu uns zurückgekommen", sagte der kleine, leicht untersetzte Hubert Glassblower. Seine im Gegensatz zu ihm bohnenstangengleiche Partnerin ergänzte: "Es spricht alles dafür, dass die drei auf sie eingestimmten auf einen Schlag verschwanden und auch alle anderen, die im selben Raum mit den GFs waren, Quinn."

"Die sind alle auf einmal verschwunden, ohne dass die GFs denen nachfliegen konnten? Drachendreck! Das stinkt nach Portschlüssel. Aber wieso haben die GFs den nicht gleich unschädlich gemacht?" fragte Hammersmith. Zur Antwort las er die bereits aus den Ereignisschreibern kommenden Angaben und betrachtete die mit sechs mischbaren Farben gemalten Einzelbilder einer erkannten Gefahrenquelle, jener Gefahrenquelle, die sie hier schon besser als ihnen lieb war kannten: Eine violett rauchende Kerze, aus der gerade eine lange, rubinrote Flamme ragte.

"Dreimal Drachendreck!" knurrte Hammersmith, als er die in Rot geschriebenen Mitteilungen las, dass der gerade untersuchte Gefahrenfänger trotz Bewegungsblockierzauberabwehr nicht auf die erkannte Gefahrenquelle losgehen konnte, sondern im Gegenteil so weit von ihr zurückgedrängt wurde, bis er in einer Ecke unter der Decke festhing. Dann las er, dass wohl etwas oder jemand alle Bewegungszauber ins Gegenteil verkehrt hatte. "Ein mehrfacher Inversimotus-Zauber?" fragte Hubert, der ebenfalls auf das Ereignisprotokoll blickte. "Ja, offenbar ein vier- oder fünffacher. Einen einfachen kann der GF kontern. Aber zwei, drei oder vier unterschiedliche zugleich sind drei zu viel", schnaubte Quinn Hammersmith. Dann lächelte er für eine Sekunde als er sowohl nachlesen als auf einem weiteren Bild sehen konnte, dass Bullhorn wohl die Portierungspistole benutzt hatte, um das zu machen, wozu der Gefahrenfänger nicht im Stande gewesen war. Dann kam die Meldung: "Alle Anwesenden durch großflächigen, erst kurz vor Einsatz vollendeten Portschlüssel vom Standort verschwunden." Danach kam die Meldung, dass die auf die entsprechenden Gefahrenfänger geprägten Menschen außerhalb der Erfassung waren. Deshalb wurde die Zurücklassungsrückkehrfunktion ausgelöst.

Fast die selben Angaben und Bilddarstellungen erhielten sie auch von den drei anderen Gefahrenfängern. Der Unterschied bestand nur in den relativen Raumkoordinaten, weil die vier Fänger an unterschiedlichen Stellen postiert gewesen waren.

"Okay, Fall Oranger Giftmolch oder rotes Schneckenhaus? Muss der Direktor entscheiden", knurrte Hammersmith und stellte vom GF-Überwachungsraum eine direkte Sprechverbindung zum Direktor her. Dem erklärte er in nur vier Sätzen die Lage. "Da Sie womöglich schon dazu passende Kraftausdrücke benutzt haben erspare ich mir das und sage nur, dass wir auf Bullhorns und der zehn mitgenommenen Ex-Kameraden von den Inobskuratoren hoffen müssen, dass die immer regelmäßige Waldspaziergänge gemacht haben. Wir machen den geordneten Rückzug, solange keiner akute Übergriffe meldet. Also Fall "Oranger Giftmolch", Mr. Hammersmith!"

"Verstanden, oranger Giftmolch wird ausgerufen", sagte Quinn und berührte mit seinem Zauberstab die Darstellung eines orangefarbenen Molches. Dann eilte er in seine Werkstatt zurück, um die für diesen Fall nötigen Vorbereitungen zu treffen. Alle Innendienstmitarbeiter konnten nun ihre direkten Familienangehörigen verständigen, um sie in die neue sichere Ansiedlung Shady Shalter auf der Mississippi-Insel Hidden Island zu bringen. Die Außendienstmitarbeiter konnten sich noch unauffällig absetzen und weit ab von allen nichtmagischen Zeugen in ihre Häuser apparieren und mit ihren Angehörigen eine schnelle Abreise vorbereiten. Sollte jedoch die Anhebung der Alarmstufe zu "Rotes Schneckenhaus" erfolgen oder Davidson gar den Fall "Winterschlaf" ausrufen mussten alle in der nichtmagischen Welt nachverfolgbaren Spuren ausgelöscht werden und bei "Winterschlaf" sogar für beide Welten auffindbare Leichname präsentiert werden. Das Laveau-Institut würde scheinbar aufhören zu existieren. Genau für den Fall mussten besonders ausgebildete Kollegen an die eingetragenen Wohn- und Arbeitsorte, um die scheinbaren Toten auszulegen. Bei dem Kollegen Jeff Bristol war hier sogar was ganz spektakuläres geplant.

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Zur selben Zeit in einer unbekannten TropfsteinhöhleLadonnas

Die drei spanischsprachigen Minister konnten sich frei bewegen. Unterschied dieser mörderische Mauernanhaftzauber etwa zwischen Freund und Feind? Pataleón befahl seinem Kollegen, den Zauberstab wieder fortzustecken. Dann sah Atalanta Bullhorn, wie er auf die Knie fiel. Sofort folgten die zwei Südamerikaner seinem Beispiel. Die Ratssprecherin der nordamerikanischen Zaubereiföderation dachte gehässig daran, dass nun die selbsternannte Königin auftreten mochte. Da ploppte es auch leise, und sie stand in der Höhle.

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Zur selben Zeit in Jeff Bristols Büro am Times-Platz in New York

Jeff hatte den Tag ganz ruhig angefangen. Mäuschen, die illegale Polizeifunkmithörsoftware, hatte mehrere tote Drogenhändler gemeldet, Opfer des immer noch tobenden Erbfolgekrieges wegen Paredes. Jeff dachte daran, dass ihm das womöglich ganz zu Pass kommen mochte, falls aus dem gelben Skorpion doch noch ein rotes Schneckenhaus wurde. Deshalb hatte er einen besonderen USB-Stick an seinen Arbeitsrechner angeschlossen, diesen mit einem Passwort als Systemkomponente freigeschaltet und damit eine Ladung nicht auf der üblichen Benutzeroberfläche sichtbaren Zusatzprogramme bereitgeschaltet.

Wie alle verheirateten LI-Mitarbeiter war sein Ehering zum Empfang von Mitteilungen und Weitergabe in Form von Vibrationsimpulsen bezaubert worden. So fühlte er drei kräftige, lange Vibrationen. Er hielt sich den Ring ans linke Ohr und hörte eine leise Stimme: "Fall "Oranger Giftmolch! Fall "Oranger Giftmolch"!" Geordnetes Absetzen wenn möglich!"

"Na dann, Mr. Clarke, Ihre Runde", grummelte Jeff und führte den Mauszeiger seines Rechners dreimal gegen den Uhrzeiger und dann in die Bildschirmmitte zwischen zwei übliche Schreibtischsymbole. Er machte den Doppelklick mit der linken Taste und ließ so aus der Bildschirmmitte einen roten Kreis auftauchen. Dieser dehnte sich bis zur vollen Bildschirmgröße aus und drängte dabei alle offenen Fenster und minimierten Anwendungen weg. Dann erschien eine Auswahltabelle aus Möglichkeiten. Jeff wählte ein rotes Telefonsymbol und die darunter dargestellte rote Glocke aus und doppelklickte. Das Telefonsymbol blinkte kurz auf. Dann wählte Jeff noch den in einem eiförmigen Feld stehenden Namen Paredes aus und doppelklickte. Ein kleiner Dialog mit "Zeitauswahl 0", "OK" und "Vorgang abbrechen" erschien. Er klickte auf "OK".

Kaum hatte er die Ausführung bestätigt läutete sein Bürotelefon. Er Nickte. Er nahm den Hörer ab und meldete sich wie üblich.

"Ist da el Señor Bris-toll?" erklang eine mexikanischen Akzent sprechende Männerstimme. "Ja, der bin ich." Dann wurde Jeff nach seiner Cousine Berta gefragt, die in Acapulco wohnte. Er erwiderte, dass sieund ihr Mann Antonio zu Besuch kommen wollten. Darauf hörte er ein erleichtertes aufatmen am anderen Ende. "Bitte kommen Sie rapidamente zu dieser Adresse ..." erwiderte die mexikanische Telefonstimme und nannte eine Adresse in der Bronx. Jeff fragte, was er dort tun sollte. "Ich habe was für sie wegen el aguila roja, comprende?" "Si señor entiendo", erwiderte Jeff ein wenig erregter klingend. "Bueno, ich warte auf Sie. Kommen Sie allein, todo solo, comprende?" Jeff bestätigte auch das. Dann klickte es im Hörer und das übliche kurze rauhe Tut-tut-tut einer getrennten Verbindung ertönte. Jeff legte auf. Im gleichen Augenblick erschien auf dem Bildschirm eine kleine Zeigeruhr, die auf zehn nach zwölf stand und nun rückwärts lief.

Jeff zog die Maus unter die laufende Zeigeruhr und führte einen Doppelklick aus. Die übliche Sanduhr erschien am rechten Bildschirmrand. Dann klang das Signal, dass eine externe Hardware abgemeldet wurde. Jeff zog den Stick aus der Buchse und steckte ihn sofort in die auf seine Finger abgestimmte Schachtel in einer Innentasche seines Jacketts. Dann nahm er noch mal den Telefonhörerund wählte den internen Anschluss von Mike Dunston. Ein wenig wehmütig dachte er daran, dass er dessen Stimme bald nicht mehr hören würde.

"Mr. Dunston, ich muss ganz schnell in die Bronx. Mein Informant Chili verde hat mich gerade angerufen, er hat wohl was wegen einer Erbschaft von Paredes. Ich hoffe nur, dass das keine Falle ist."

"Chili Verde? War das nicht der, von dem Sie mal erzählt haben, dass der bei El Serpiente mitgemacht hat und wegen gewisser Unstimmigkeiten unsichtbar werden musste?" fragte Dunston. Jeff bestätigte das und verwies auf den engen Zeitplan. "Gut, fahren Sie hin und finden Sie raus, was er zu bieten hat. Öhm, Sie dürfen ihm eine Unkostenpauschale von hundert Bennys anbieten, nicht mehr, Jeff."

"Verstanden, Sir. Ich bin dann mal weg", sagte Jeff und wartete höflich auf die üblichen Ratschläge, vorsichtig zu sein. Dann legte er auf. Er blickte seinen Rechner noch einmal an. In nur noch sieben Minuten würde der alle Hinweise auf seinen Telefontrick aus dem eigenen Speicher löschen und sich dann herunterfahren, falls Jeff nicht die Maus zwischen den Stundenzeiger und Minutenzeiger setzte und den Abbruchdialog anklickte.

Jeff fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage und tat so, als müsse er seinen Wagen per Fernimpuls öffnen. Dann öffnete er die Fahrertür und stieg ein. Hätte Davidson den Fall "Rotes Schneckenhaus" ausgerufen hätte Jeff vorhin am Rechner ein Sand verstreuendes Sandmännchen angeklickt und damit alle Überwachungskameras und Türverriegelungen für fünf Minuten in einen Schlafzustand versetzt, wo das Bild einer leeren Tiefgarage und kein Ausfahrsignal übermittelt worden wäre. So konnte er zügig aber geordnet und für den Pförtner nachvollziehbar aus der Garage hinausfahren. Er fädelte sich in den Verkehr um den Times-Platz ein und nahm Kurs auf die Bronx, dem ehemaligen Revier von Michele Millelli. Gut dass er heute nicht zum Gericht musste. Wegen des Feiertags am ersten Mai war die Verhandlung gegen Huggins auf den vierten Mai vertagt worden. Da würde der Staatsanwalt sein Abschlussplädoyer halten. Einerseits würde er diesen Fall gerne zu Ende verfolgen. Andererseits war er sich sicher, dass die Huggins auch ohne ihn schuldig sprechen konnten. Je danach, ob der Molch wieder zum Skorpion oder zum grünen Alligator wurde. Warum überhaupt Alarm gegeben wurde wusste er auch noch nicht genau. Es sah aber verdammt nach einer Falle für Bullhorn aus. In dem Fall war die italienische Dunkelhexe Ladonna die wahrscheinliche Fallenstellerin.

"Just, ich konnte mich geordnet absetzen, ohne zusätzliche Magie anzuwenden", mentiloquierte Jeff, als er an einer roten Ampel halten musste. "gut, ich warte mit Laura auf dich", schickte Justine ihm zurück.

"Wenn aber der Fall "rotes Schneckenhaus" ausgerufen wird nutze den Notfallportschlüssel!" schickte Jeff noch zurück, während sein Wagen wieder anfuhr und selbstständig im Strom der fahrenden Autos mitschwamm. Jeff übernahm wieder das Steuer und schlüpfte keck zwischen zwei 500er-BMWs durch. Im Moment hatte er den Desinteressierungszauber nicht in Kraft gesetzt. So mochten die Fahrer sich amüsieren, dass mal wieder wer mit einem hochgezüchteten Wagen unterwegs war.

Als er die Bronx erreichte fuhr er besonders vorsichtig, als dürfe er ja nicht in eine falsche Straße abbiegen. Wenn er die durchs Telefon mitgeteilte Adresse erreicht hatte musste er den Ich-seh-nicht-recht-Zauber in Kraft setzen, um den Anlauf für einen Sprung vor sein eigenes Haus in Brewster zu nehmen. Dann musste er jedoch fünf Minuten da warten, um für den Fall "Rotes Schneckenhaus" den Notsprung zum Parkplatz des LIs machen zu können.

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Zur selben Zeit in der Fallenhöhle Ladonnas

Atalanta Bullhorn fühlte die starke Ausstrahlung, die ihr unvermittelt das Gefühl von Abscheu und unterschwelliger Unterlegenheit bereitete. Sie konnte mit ihren fast in den Höhlen versenkten Augen die makellose Schönheit des Wesens betrachten, dass in einem knielangen, halbärmeligen Kleid aus nachtschwarzer Seide gehüllt war, wobei das Kleid ihre übernatürlich schöne Figur eher hervorhob als zu verbergen. Die ebenso schwarzen Haare wehten ihr seidig und fließend bis auf den Rücken herunter. Jede ihrer wenigen Bewegungen war anmutig und fließend, nicht eingeübt wie bei einer Ballerina, sondern völlig ursprünglich. Dieses widerwärtig schöne Weibsbild war vollendet. Ihr rosiges Gesicht verriet nicht, dass ein Teil ihres Erbes von einer dieser abstoßenden grüngesichtigen Waldfrauen stammte. Doch ihre kreisrunden, smaragdgrünen Augen verrieten Bullhorn, dass darin die Entschlossenheit und Finesse einer erfahrenen Jägerin lauerte. Die schmale Nase der Widersacherin erbebte, als müsse sie eine Unzahl von Gerüchen verarbeiten. Dann entblößte dieses viel zu schöne Geschöpf strahlend weiße Zähne zu einem überlegenen Lächeln.

"Och joh, hat man euch dreien Kleidung mit eingewirkten Schildzaubern aufgeschwatzt, damit ihr sofort geschützt seid", giggelte die Gegnerin wie ein amüsiertes Schulmädchen. Doch dann wechselte sie zum Tonfall einer ihres Sieges gewissen Hexe. "Denkt ihr drei, ich hätte das nicht erfahren, wie ihr meinen ersten Versuch vereitelt habt, die drei Burschen hier und ihre Bundesgenossen in den Kreis einer friedvoll vereinten Zauberergemeinschaft einzuladen? Aber wie ich dagegen vorging erfahrt ihr erst, wenn ich mir eurer ungeteilten und unverbrüchlichen Treue sicher bin. Ach ja, im Moment könnt ihr mir nicht antworten, weil eure eigene Schildzauberkleidung euch so fest an die Wand heftet, dass ihr keine willentliche Bewegung mehr ausführen könnt. Aber ich kann mir denken, was ihr mir gerne alles an den Kopf werfen würdet. Ach ja, falls ihr es noch nicht herausbekommen habt sage ich es gleich. Aus dieser Höhle können keine mentiloquierten Botschaften hinausdringen. Hier Gebietet nur meine Magie. Tja, ich könnte euch jetzt stundenlang so hängen lassen, bis die in eure Kleidung eingewirkten Schildzauber ihre Ausdauer verloren haben. Aber so viel Zeit will ich nicht vertun. Gebt euren Widerstand gegen mich auf! Dann dürft ihr und vor allem eure Angehörigen in den Staaten auf ein langes Leben unter meinem Schutz hoffen."

"Ich muss sie töten, sobald ich freikomme", dachte Atalanta Bullhorn. "Auch wenn hinter ihr hundert auf Blutrache ausgehende Veelas stehen muss ich dieses Weib töten."

Ladonna Montefiori gebot den immer noch vor ihr knienden Zaubereiministern, sich wieder zu erheben. "Ich danke euch für euren treuen Dienst, meine wackeren Diener. Ihr kehrt auf die Insel zurück und wartet vor dem Haus auf die drei Damen aus Nordamerika und ihre Schutztruppe!"

Sie übergab Pataleón, den Bullhorn am linken Rand ihres Gesichtsfeldes erkannte, eine rosenrote Platzdecke. Pataleón wandte sich den beiden Minnisterkollegen und offenkundigen Gefolgszauberern Ladonnas zu und ließ sie nach den Ecken der kleinen Decke greifen. Dann rief er: "Vuelvemos a la isla!" Daraufhin verschwanden die drei im blauen Portschlüssellicht. Atalanta erkannte, wie gut das alles hier durchgeplant und vorbereitet worden war. Sie ärgerte sich, dass sie weder die Warnungen noch ihr eigenes Bauchgefühl beherzigt hatte. Die hatten mehrere Tage Zeit gehabt, ihr und den anderen diese Falle zu stellen. Doch sich jetzt noch darüber zu ärgern war müßig. Sie war jedoch zuversichtlich, dass diese schwarze Hexenhenne sich gerade das Kuckucksei des Jahrhunderts ins eigene Nest geholt hatte.

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Zur gleichen Zeit im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia

Brenda Brightgate war nicht verheiratet. Deshalb empfing sie den Alarmcode "Oranger Giftmolch" über den untersten Knopf ihrer hellen Bluse. Um den genauen Alarmruf zu hören brauchte sie ihre linke Hand nur auf diesen Knopf zu legen. Noch drohte ihr keine unmittelbare Gefahr. Doch sie musste ihren Abgang so gut vorbereiten, dass weder die Firma noch das FBI dahinterkamen, wie sie verschwand. Allerdings durfte sie nicht mit Ira Waterford länger als eine Minute im selben Raum sein, weil das hieß, dass der für die Sicherheitszentrale der Föderation tätige Kollege den Befehl kriegen konnte, sie festzunehmen. Sie bereitete alles vor, sah zu, keine verräterischen Unterlagen zurückzulassen. Ja, sie wischte mit einem besonderen Taschentuch aus ihrer Handtasche über alle Oberflächen, um jede Hautschuppe, jedes lose Haar und jeden Fingerabdruck zu beseitigen. Dann mentiloquierte sie ihre Cousine Justine an, dass sie gleich die fingierte Ausgangserlaubnis benutzen würde, um aus dem Gebäude zu entwischen, ohne disapparieren zu müssen.

"Nein, warte noch, für den Fall, dass wir den Alarm wieder zurücknehmen", gedankenantwortete Justine. So wartete Brenda mehrere Minuten. Dann erfolgte zeitgleich das Vibrationssignal Kurz lang kurz und Justines Gedankenanruf: "Rotes Schneckenhaus, Bren. Sieh zu, dass du wegkommst!"

In dem Moment klopfte es auch schon an Brendas Bürotür. Sie griff in eine Seitentasche ihrer Handtasche und zog einen roten Lippenstift hervor. "Ms. Brightgate, machen Sie die Tür auf! Hier ist Ira Waterford!"

Brenda fühlte den Gefahrenwarnbleistift in ihrer Rocktasche heftig vibrieren. Wenn sie die Tür nicht öffnete apparierte der Kerl garantiert bei ihr. Sie drückte das untere Ende ihres lippenstiftes zusammen und hielt die Luft an. Es zischte leise. "Brenda, hier Ira Waterford! Tür auf!" Brenda sah, wie um ihren Kopf die schützende Sphäre eines Kopfblasenzaubers entstand. Da klickte es im Türschloss. Das Türblatt flog förmlich nach innen. Ira Waterford stürmte herein und erstarrte sofort. Hinter ihm traten zwei weitere innendienstmitarbeiter herein. Auch sie erstarrten. Nur Brenda war noch handlungsfähig. Das Erstarrungsgas war die alchemistische Antwort auf den Manetus-Zauber, wirkte aber für den ganzen Raum, in den es eingeblasen wurde. Nur der Gasvorgreifer schützte vor der schlagartig einsetzenden Wirkung.

Brenda mentiloquierte Justine an, dass sie die Aktion "Letzte Meldung" ausführen musste. Da apparierten zwei Zauberer mit wirksamen Kopfblasen. Es waren jedoch keine Sicherheitstruppen der Föderation, sondern Brendas Kollegen. "Ich habe dir Max und Mortimer geschickt. Die ziehen deinen Abgang mit dir durch", vernahm sie Justines Gedankenstimme. "Gut, Waterford wollte mich gerade festnehmen. Deshalb habe ich das neue Stasis-Gas eingesetzt", schickte sie nun ganz ruhig zurück. Sie wusste zwar nicht, ob sie die nötige Zeit hatte, war aber zuversichtlich, hier wegzukommen.

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In der Fallenhöhle Ladonnas

Natürlich hatte dieses Unwesen mehr als diese eine Kerze bereit. Womöglich hatte sie hunderte davon hergestellt, auch wenn sie dafür einiges von ihrem eigenen Blut und ihrem Haar hatte opfern müssen, erkannte Atalanta Bullhorn, als Ladonna Montefiori mit einer Bewegung ihrer Freien Hand eine weitere rubinrote Kerze aus dem Nichts erscheinen ließ. Atalanta fiel der goldene Ring an ihrer linken Hand auf. Das war also jener Ring, der den alten Aufzeichnungen nach rote Strahlen wie gebündeltes Feuer verschießen konnte und an den dieses widernatürliche Weib einen Teil der eigenen Seele gebunden haben mochte.

Die Kerze entflammte von selbst. Violetter Rauch breitete sich von ihr aus in alle Winkel der Höhle aus. Atalanta konnte nicht sehen, wer davon alles betroffen wurde. Sie atmete den Rauch ein und meinte, einen Hauch von Blut und verbranntem Horn zu riechen. Ihr Umhang schaffte es nicht mehr, die Rauchwolke von ihr fernzuhalten. Doch mit jedem Atemzug fühlte sie eine Kraft in sich ansteigen, die ein leichtes Pulsieren unter ihrer Schädeldecke auslöste. Die Macht der alten Druiden war immer noch mit ihr und mit den zehn Leibwächtern. Doch was brachte es, wo sie gerade alle wie Fliegen am Fliegenfänger festhingen?

Aus der Kerze reckte sich nun eine mehr als einen Meter lange Flamme und bildete den rubinrot lodernden Blütenkelch einer Rose. Der Blütenkelch vollführte kreisende Bewegungen, neigte sich mal hier und mal da hin. Dann erklang aus ihm die magisch aufgezeichnete Stimme der Unheilsbringerin.

"Ladonna ist deine Königin.
Ihr zu dienen ist dein Lebenssinn.
Ihr gehört dein ganzes Streben
bedingungslos das ganze Leben.
Hör und folg' stets ihrem Wort,
zu jeder Zeit an jedem Ort!
Sei der wahren Königin verbunden
von jetzt an alle Lebensstunden!
Gehorche ihr und bleib ihr Treu!
Sonst ist dein Leben schon vorbei.
Ladonna ist deine Herrin und Königin.
Ihr zu dienen ist dein Lebenssinn."

Atalanta fühlte, wie die Worte in ihren Kopf zu dringen versuchten, sich durch ihre Ohren in ihren Körper auszudehnen trachteten. Doch ein tiefes Dröhnen wie von einer großen Glocke überlagerte die einschwörenden Worte. Aus ihrem Bauch heraus strahlte eine starke Wärme in alle Enden ihres Körpers. Einen Moment lang bangte die Föderationsratssprecherin, dass ihre Vorkehrung nur dieses eine mal gegenhalten konnte. Doch selbst als die Botschaft zum zehntenmal wiederholt wurde regte sich ihr geistiger und körperlicher Widerstand. Womöglich hielt auch ein teil der Schildzauber ihres Umhangs etwas von der besitzergreifenden Magie ab, die über den violetten Qualm und die magische Stimme auf sie einwirken wollte. Allerdings konnte sie wegen des glockenhaften Dröhnens unter ihrer Schädeldecke keinen konzentrierten Gedanken denken, um dem Leiter der Schutztruppe, Lieutenant Geoffrey Bladesmith, eine Anweisung zu erteilen. Auch wenn keine Mentiloquismusbotschaft nach außen dringen konnte, hier in der Höhle sollte es gehen.

Die letzte Wiederholung der Einschwörungsbotschaft verklang in der Höhle. Die rubinrote Flamme zerstob in einer Funkenwolke. Der Rest der Kerze löste sich in violetten Rauch auf. Ladonna Montefiori, die selbsternannte Königin aller Hexen und auch Zauberer, stand in den von ihr erzeugten Rauchschwaden wie eine Göttinnenstatue im Nebel. Sie lächelte überlegen. Dann verging auch der violette Rauch. Sie war wieder deutlich zu erkennen.

Erst sah sie sich wohl um. Offenbar wollte sie erkennen, ob auch alle ihrem Unterwerfungszauber erlegen waren. Atalanta Bullhorn versuchte, ein möglichst entspanntes, hingebungsvolles Gesicht zu zeigen. Da blickte Ladonna sie auch schon an, sah ihr genau in die Augen. Doch auch das konnte die vergessen, sie mal eben im Vorbeigehen zu legilimentieren, dachte Atalanta und erkannte da erst, welchen taktischen Fehler ihr Plan hatte. Denn das, was sie gegen körperliche und geistige Beeinflussung schützte, schirmte auch ihre Gedanken ab, ohne dass sie das abstellen konnte. Doch sie hoffte, dass Ladonna sie nur besonders überlegen anglotzen wollte.

"atcarf amrA!" hörte Atalanta Bullhorn zwei ihr noch unbekannte Zauberworte, gefolgt von einem blechernen Poing-Geräusch. Das wiederholte sich noch einmal. Dann hörte sie Ladonnas natürliche Stimme einen Befehl erteilen, der Atalanta Bullhorn einen winzigen Augenblick den sowieso schon schweren Atem stocken ließ.

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Zur selben Zeit im New Yorker Polizeidepartment

Die unter der Identität Sergeant Friley im NYPD tätige Angehörige der Zentrale für innere und äußere Sicherheit verstand erst nicht, was die Stimme in ihrem linken Ohrring sagte. Das hieß, sie verstand es akkustisch. Aber Es schien für sie keinen Sinn zu ergeben. Sie sollte den LI-Mitarbeiter Jeff Bristol festnehmen und in die Sicherheitsaußenstelle nach Washington bringen, weil er und seine Kollegen einen Angriff der Dunkelhexe Ladonna Montefiori vorbereitet haben sollten? Sie zog sich in eine Kabine der Damentoilette für Angehörige der Polizei zurück und nahm den Ohrring ab. Sie klopfte zweimal dagegen und wisperte: "Begründung für letzte Anweisung!"

"Seit wann hinterfragen Sie unsere Anweisungen, Ms. Friley? Wir haben sehr alarmierende Hinweise auf eine Verschwörung gegen den Föderationsrat. Also bringen Sie uns diesen Bristol an! Der ist doch in Ihrem Gebiet."

"Verstanden", knurrte Friley und steckte den Ohrring wieder an ihr linkes Ohr.

Sollte sie von hier aus apparieren. Aber nein. Sie wusste nur ungefähr, wo Bristols Büro lag. Dann musste sie womöglich vielen Leuten die Erinnerung nehmen, dass sie dort aufgetaucht war. Außerdem musste sie es so drehen, dass Bristol wegen irgendwas verschwunden war und vorerst nicht mehr wiederkommen konnte. Alleine konnte sie das nicht. Nein, sie musste es anders anstellen. Er musste zu ihr kommen, aber so, dass er nicht wusste warum.

Sie ging in ihr Büro zurück und rief bei der Times an. Sie wählte jedoch nicht die Durchwahl zu Jeff Bristol, sondern die zu seinem Redakteur Dunston. Einer Eingebung folgend behauptete sie, dass sie Bristol nicht erreichen könne, und fragte ob er noch im Haus sei. Da erfuhr sie, dass er vor einer Viertelstunde aufgebrochen sei, um ein Auswärtsinterview zu führen. Sie wollte nachhaken, wo das sei. Doch Dunston blockte ab und verwies auf den Informantenschutz. Falls die Polizei benötigt würde würde sich Jeff Bristol melden.

"Dann komme ich zu Ihnen und warte, bis er wieder da ist. Es ist wichtig für ihn und für das NYPD", log sie. "Gut, kommen Sie vorbei. Kaffee oder Tee?"

"Stilles Mineralwasser, aus der Flasche, nicht aus der Leitung", erwiderte Friley. Dann dachte sie, ob sie die berühmten fünf Minuten zu spät dran war. Sie würde Dunston befragen und ihm klammheimlich Veritaserum unterschieben. Trank er das konnte sie erfahren, wo Jeff war. Wenn er an einem Ort ohne viele Zeugen war um so besser.

Sie fuhr also los, um Mike Dunston zu "interviewen".

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In Ladonnas Fallenhöhle

"Töte die fünf ersten Zauberer!" befahl Ladonna Montefiori. "Beweise mir deine neue, unverbrüchliche Gefolgschaft, Willow Parker!"

"Ja, meine Königin", hörte Atalanta Bullhorn ihre kanadische Ratskollegin halb in Trance antworten. Ihr war sofort klar, warum Ladonna diesen Befehl erteilte, nicht nur wegen des Loyalitätsbeweises. Dann erklangen die beiden geächteten Worte: "Avada Kedavra!" Bullhorn hörte jenes das Ende eines Lebens verheißende Sirren. Dann konnte sie hören, wie ein schwerer Körper auf steinernen Boden prallte. Diese unheilvolle Geräuschabfolge wiederholte sich viermal hintereinander, ohne dass dazwischen auch nur eine Sekunde des Zögerns lag. Willow Parker war die willige Marionette der widerwärtigen Mörderin aus der Vergangenheit. Imperius konnte sowas auch bewirken, doch wer es übte konnte sich dagegen wehren. Hier war das anders.

Als der letzte schwere Körper auf den Boden geprallt war erteilte Ladonna Hidalga Montesoleada denselben Befehl, wobei sie akzentfrei Spanisch sprach. Diesmal erklangen die Unheilsworte aus dem Mund der mexikanischen Ratskollegin. Fünf weitere Todesflüche sirrten durch die Höhle. Fünf weitere Leibwächter mussten sterben. Da war Atalanta klar, dass Ladonna wusste, dass die zehn gegen ihren Feuerrosenzauber immun waren. Denn es waren alles Inobskuratoren, die nach ihrer Vollvereidigung jenes altdruidische Ritual durchführen lernten und angehalten waren, es jede Sommersonnenwende zu wiederholen, mit dem sie einen Großteil aller bösen Beeinflussungszauber abwehren konnten. Nur den Todesfluch, den konnte nichts und niemand abwehren, wenn er oder sie nicht von einem ganz seltenen magischen Umstand beschützt wurde, dem Segen der sterbenden Mutter.

Ladonna trat vor Atalanta Bullhorn hin, sah sie überlegen an. Die Ratssprecherin der Föderation konnte sich immer noch nicht bewegen. Das atmen fiel ihr immer schwerer. Nicht mehr lange, und sie würde das Bewusstsein verlieren. Doch immer noch hoffte sie auf die eine entscheidende Gelegenheit.

"Bist du mir auch widersetzlich, Atalanta Bullhorn, oder wirst du mir folgen?" fragte Ladonna Montefiori mit lauerndem Blick. "Ich gebe dir drei Sekunden Bedenkzeit. Dann wirst du es mir beweisen müssen, ob oder ob nicht", sagte sie noch. Da sah Atalanta Bullhorn Willow Parker. Deren Umhang hing ihr in fingerdünnen Streifen vom Körper, als hätte ihn jemand mit einem scharfen Messer mit hundert schnellen Schnitten zerteilt. Ladonna scheuchte die ihr unterworfene Hexe aus Atalantas Blickfeld. Dann waren die drei Sekunden auch schon um.

"atcarf amrA!" beschwor die vollendete Vereinigung aus Schönheit und Bestie mit auf Atalanta zielendem Zauberstab. Das bläuliche Flimmern wurde zu einem goldenen Schein, der für eine Sekunde erstrahlte. Dann erklang jenes metallische Geräusch, dass Atalanta gerade eben gehört hatte. Es übertönte das kurze Ratschen ihres Umhangstoffes. Dann löste sie sich von der Wand. Sie landete auf ihren Füßen und federte den Aufprall durch. Ladonna senkte ihren Zauberstab.

"Gib mir deine Waffen!" befahl Ladonna und deutete mit ihrer linken Hand auf Atalanta. Ihr blieben vielleicht nur noch zwei Sekunden. Die Pistole konnte sie nicht benutzen, weil diese Gutmenschen vom LI sie nur gegen tote Gegenstände benutzbar gemacht hatten. Doch sie wollte und musste es hier und jetzt ganz und gar beenden. Deshalb zog sie blitzartig ihren Zauberstab frei. Anhebenund Zielen waren eine einzige Bewegung, hundertfach geübt und hundertfach genutzt. Der unbändige Wille kochte in ihrem Geist hoch. Ladonna sollte sterben! Sie holte kaum luft und rief dann die eigentlich auch für sie verbotenen Worte.

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Zur gleichen Zeit im CIA-Hauptquartier

Brenda war es unheimlich. Max zog einen kleinen Leinenbeutel aus seinem Umhang. Diesem entnahm er einen blauen Fingerhut. Diesen platzierte er in die Mitte des Raumes. Dann machte er eine schnelle Zauberstabbewegung. Es ploppte. Dann lag da eine lebensgroße, völlig nackte Frau, die von Haar und Gesicht her genau wie Brenda Brightgate aussah. Mortimer zog ein kleines Bündel mit Kleidungsstücken wie für eine Puppe hervor und tippte es dann mit dem Zauberstab an. Das Kleiderbündel wuchs auf die Größe für erwachsene Menschen heran. Sogar Schuhe und Strümpfe waren dabei. "Bren, kannst du den Kleider-wechsel-Zauber auf diese Klamotten machen?" fragte Max. Brenda konnte es. Jetzt lagen die Kleider, die sie gerade noch getragen hatte auf dem Boden. "Wo habt ihr die Leiche her?" zischte sie und deutete auf die nackte Frauenleiche, die ihr wie ein Ei dem anderem glich.

"Seit der Kiste damals mit Buggles haben wir von jedem Außendienstmitarbeiter genug Haare und Hautschuppen, um falsche Leichen zu bauen", sagte Mortimer, während Max noch vier Pistolen mit Schalldämpfer aus dem Umhang förderte.

"Ui, der portable Aparierblocker hat gezittert, Max. Wir müssen schnell machen." "Sind gleich soweit", antwortete Max.

"Jetzt glauben die da draußen erst recht, dass wir was ausgeheckt haben", kicherte Brenda. Die beiden Helfer grinsten zurück. "Die müssen die anderthalb Kilometer laufen oder auffällig anfliegen", grinste Mortimer. Dann sahen er und Brenda, wie Max die falsche Leiche Brendas in eine senkrechte Haltung aufsteigen ließ, sie mit einer Zauberstabbewegung neben den Schreibtischstuhl bugsierte und ihr dann den Zauberstab zwischen Brustkorb und Bauchraum an den Körper setzte. "Cum Vita falsa sit inflata!" Auf einmal bewegte sich die bis dahin leblose Gestalt. Das leichenblasse Gesicht wurde immer rosiger. Sie machte Atembewegungen und bewegte eher hölzern ihren rechten Arm. "Jungs, den kannte ich noch nicht", sagte Brenda.

"Den kriegen auch nicht alle beigebracht, Bren, sagte Mortimer, während Max die scheinbar wiederbelebte wie ein Marionettenspieler dirigierte und ihr dann eine der schallgedämpften Pistolen in die Hand drückte. Dann machte die falsche Brenda auch noch den Zeigefinger krumm. Der Schuss war nur als kaum hörbares Plopp zu hören. Ein ebenso leises Pfeifen verriet, dass die Kugel abgefeuert war. Sie traf Iras Begleiter am rechten Oberschenkel. ein weiterer Schuss traf die Wand neben der Tür. Der dritte Schuss erwischte Ira am rechten Arm. "Kriegen die im Ministerium wieder hin", sagte Mortimer beruhigend. Brenda ahnte, was diese blutige Schau sollte. Da sah sie auch, wie Mortimer sich hinter Ira stellte, ihm die zweite Pistole in die Hand drückte und seinen Zeigefinger krümmte. Das Geschoss erwischte die falsche Brenda genau an der linken Brust. Jetzt sah die echte, wie einige Sekunden lang ein pulsierender Blutschwall austrat. Dann zuckte die belebte Scheinleiche wie vom Schlag getroffenund klappte zusammen, wobei sie gegen den Schreibtischstuhl fiel.

"Mort, du bist besser in Gedächtniszaubern", sagte Max und trat mit Brenda bei Seite. Mort nickte und führte die angedeutete Anweisung prompt aus. "Okay, Luftaustausch und Rückschauverdunkelung in zehn Sekunden! Wir machen uns dann zusammen weg", sagte Max. "Bren, tu alles was du nicht mehr brauchst in die Tasche hier." Er gab Brenda eine Handtasche, die wie ihre aussah. Brenda schüttete alles nichtmagische in die zweite Tasche und warf diese auf den Tisch. Gut, jetzt waren da auch ihre Fingerabdrücke dran. Mort feuerte eine der verbliebenen Pistolen so ab, dass zwei Kugeln voll durch das Gehäuse des Arbeitsrechners schlugen. Es knackte und kreischte kurz, als die Kugeln das Gehäuse der Festplatte durchschlugen und die schnell rotierenden Elemente trafen. Von dieser Festplatte war nun nichts brauchbares mehr abzurufen. Dann bekamen die zwei mit Ira in den Raum gestürmten Agenten die verbleibenden Pistolen in die Hände gedrückt, wobei Brenda Max darauf hinwies, dass der Agent Smathers genannt Paintball Linkshänder war. Dann wirkte Max den Luftaustauschzauber mit zehn Sekunden verzögerung.

"Okay, Tür wieder aufmachenund dann alle zusammen in den Besenhangar", kommandierte Mortimer. Dann zog er einen roten Kristall hervor und berührte ihn mit seinem Zauberstab. Danach warf er ihn in die Ecke. Im nächsten Moment verschwanden Brenda, Max und Mort.

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In Ladonnas Fallenhöhle

Der unbändige Wille trieb sie an. "Avada ..." rief Atalanta Bullhorn. Doch bevor sie "Kedavra" rufen konnte traf sie ein roter Blitz genau unter dem Brustkorb. Ladonna hatte ihren zu boden weisenden Zauberstab hochgerissen und ungesagt gezaubert. Atalanta stürzte in ein Nichts aus Stille und völliger Dunkelheit.

Als sie wieder aufwachte erkannte sie, dass sie mit nacktem Rücken auf kaltem Stein lag. Ihre Hände und Füße waren mit eisernen Schellen an die harte Unterlage gefesselt. Sie hörte amüsiert kichernde Frauenstimmen um sich herum. Dann fühlte Atalanta Bullhorn, wie ihre Unterlage sich in die Senkrechte hob. Wie an eine kalte Felswand angeschmiedet hing die ehemalige Inobskuratormajorin nun in mitten jener Höhle, in die sie der vermaledeite Portschlüsselteppich befördert hatte. Sie sah Dutzende von unterschiedlich altenund großen Hexen in rosenroten Umhängen mit zurückgeschlagenen Kapuzen. Ihr fielen vor allem die kleinwüchsige und die riesenwüchsige Hexe auf, die weiter hinten in den Reihen der sie umringenden standen. Es waren ausnahmslos Hexen aus dem europäischen Kulturkreis. Also hatte die selbsternannte Königin aller Hexen noch nicht wirklich viele Verbindungen in alle Welt. Dass alle Hexen mit unverhüllten Köpfen und Gesichtern vor ihr standen und sie überlegen bis mitleidsvoll anglotzten konnte doch nur heißen, dass Ladonna sie gleich hinrichten würde.

Ladonna trat aus den ihr respektvoll Platz machenden Gefolgshexen und stellte sich in Armreichweite vor Atalanta Bullhorn hin. Sie streckte ihre rechte schmale Hand aus und kniff der Gefesselten ungeniert in die linke Brust. Da merkte Atalanta Bullhorn, dass sie vollkommen nackt war, nackt und bloß dem grinsenden Gefolge dieser Furie zur Schau gestellt wie eine Äffin im Zoo.

"Na, wieder wach, du kleines, aufsässiges Ding?" fragte Ladonna mit unverhohlener Überheblichkeit. Dann strich sie ihr auch noch über den Kopf. Ihre warme Hand berührte sofort ihre Kopfhaut. Atalanta bewegte ihren Kopf. Normalerweise müsste sie ihre Haare über sich streichen fühlen. Doch da waren keine mehr. Dieses Monster hatte ihr alle Haupthaare abgeschnitten, sie kahlgeschoren, wie es früher die Strafe für unanständige Hexen gewesen war.

"was willst du von mir hören, widernatürliches Weib?" stieß Atalanta Bullhorn aus.

"Ich bin genauso natürlich wie du, kleine Atalanta, die meinte, weil sie einer Truppe von Möchtegernhelden angehört gegen mich antreten zu können", erwiderte Ladonna und griff der Gefangenen ohne Hemmung in den Schritt. Atalanta zuckte unter der Berührung zusammen, während die anderen Hexen leicht angewidert mit den Zungen schnalzten. Da rief die selbsternannte Königin: "Ich verbitte mir jede missbilligende Regung, meine Töchter. Ich musste wissen, ob sie da wirklich eine von uns ist oder nur ein magicomechanisches Automaton." Darüber lachten die anderen. "Ja, jetzt weiß ich es sicher, dass sie eine Hexe aus Fleisch und Blut ist, die ihren Körper fühlen kann. Wie wichtig das ist werdet ihr gleich erleben, meine Töchter."

"Ich werde nicht um Gnade winseln", knurrte Atalanta. "Ich habe geschworen, mein Leben für meine Heimat und alle dort lebenden Menschen zu geben, bis zum letzten Herzschlag und dem letzten Atemzug für deren Freiheit kämpfend!" rief Atalanta Bullhorn über das Gekicher der vielen anderen Hexen hinweg. Sie wollte sich keine seelische Blöße geben, auch wenn Ladonna sie gerade fortwährend demütigte und erniedrigte.

"Wenn du denkst, ich würde dich jetzt töten oder von einer meiner treuen Töchter im Geiste töten lassen täuschst du dich, Atalanta Bullhorn. Vielleicht hättest du mehr Freude erlebt, wenn du es darauf angelegt hättest, dich von den Hexenverächtern von Vita Magica in eine kleine, unschuldige Wickelfee zurückverwandeln zu lassen. Aber so ist es für mich natürlich viel erfreulicher", tönte Ladonna erheitert.

"Du kannst und du wirst mich nicht unterwerfen, du Sabberhexe. Deine Feuerrosenkerze hat mich nicht unterworfen, und auch mit Imperius kannst du mich nicht unter deinen Willen zwingen."

"Ich könnte dir den Cruciatus-Fluch auferlegen, bis du vor lauter Qualen den Verstand verlierst. Aber den brauche ich noch", erwiderte Ladonna ungerührt.

"Du bist feige, Ladonna Montefiori. Du hättest es auf ein Duell anlegen sollen, um dir und deinen bedrogten Anhängerinnen zu zeigen, wer wirklich die bessere ist", versuchte es Atalanta, die Anerkennung der Gegnerin zu erschüttern. Doch sie sah, dass das keinen Zweck hatte. "Hier, in meiner Höhle unerwarteter Gäste wirken die Schildfängerzauber, wie du und die anderen gespürt habt. Du hättest keinen Zauberschild beschwören können, ohne wieder an einer der Wände da zu fliegen", erwiderte Ladonna. "Ja, und ich bin Dank meines Mütterlichen Erbes so schnell, dass es so oder so ein ungleicher Kampf geworden wäre. Deshalb habe ich dich zu deiner eigenen Unversehrtheit an den umklappbaren Steintisch gefesselt, damit du nicht auf die Idee kommst, dir selbst noch was anzutun, nur um mir, der achso bitterbösen Mischlingshexe, zu entwischen. Doch du bist für meinen Plan zu wichtig. Aber erzähl meinen treuen Töchtern gerne, wie du es angestellt hast, mir bis jetzt zu widerstreben!"

"Glaubst du nicht, dass sie das dann nachmachen und sich aus deinem Klammergriff lösen, schwarzes Luder?" fragte Atalanta Bullhorn zurück.

"Das ist ihnen nicht mehr möglich."

"Dann brauche ich es weder denen noch dir zu erzählen", erwiderte die Gefesselte trotzig und dachte, dass Ladonna gegen über tausend Inobskuratoren ankämpfen musste, die alle dieses Ritual vollzogen hatten, dem sie ihren freien Willen verdankte. Da sprach Ladonna:

"Meine Töchter, die aufmüpfige Dame hier will es mir nicht verraten, dass sie und wohl alle aus ihrer Heldentruppe offenbar das früher nur praktizierenden Druiden bekannte Ritual des Bollwerkes der Seele vollzogen haben muss, dem meines Wissens nach einzigen dauerhaft wirksamen Zauber, um vor geistiger Unterwerfung und Belauschung sicher zu sein. Es ist auf jeden Fall sehr wichtig für mich, das zu wissen, dass dieses alte Ritual mittlerweile zum Rüstzeug gegenwärtiger Kampfzauberer und ministeriumstreuer Sicherheitshexen gehört. Das wird mir bei der Vollendung der friedlichen Vereinigung aller magischen Gemeinschaften sehr helfen, vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein."

"So, wenn du dich so gut auskennst, du Tochter einer nach Moder und Unrat stinkenden Sabberhexe, dann weißt du auch, dass nur der Tod den Zauber beenden kann", rief Atalanta Bullhorn mit entschlossenem Aufbegehren.

"Ist das so?" fragte Ladonna ruhig. Diese Unerschütterlichkeit gab Atalanta zu denken. Sie hatte jetzt damit gerechnet, dass dieses Frauenzimmer ihr mindestens eine Ohrfeige versetzte oder mit ihren Nägeln das Gesicht zerkratzte. Doch dieses Weib beherrschte sich unerwartet gut. Oder hatte sie noch einen weiteren Trumpf in der Hinterhand?

"Meine Töchter, dieses Ritual, eben früher nur von einem zum anderen Druiden weitergegeben, wird in einem möglichst von Menschen unangetasteten Bestand aus mindestens zwanzig mehr als hundertjährigen Eichen am Mittag der Sommersonnenwende gewirkt. Dazu ist eigenes Blut nötig und eine altkeltische Beschwörungsformel, die in Sonnenlaufrichtung in jede Himmelsrichtung gesprochen werden muss. Dabei muss jedesmal etwas des eigenen Blutes einer oder zwei in der betreffenden Richtung stehenden Eichen geopfert werden. Am Ende muss der das Ritual ausführende sich in die Mitte des von ihm beschrittenen Kreises stellenund für mehr als hundert Atemzüge so still und starr stehenbleiben wie einer der Bäume. Dann ist er oder sie für den gesamten ab diesem Tag verlaufenden Sonnenkreis gefeit gegen geistige Beeinflussung und auch alchemistische Mixturen, die den Geist verwirren und verwandeln sollen. Das ritual kann jede Sommersonnenwende wiederholt werden. Das haben du und deine zehn Gardisten sicherlich immer folgsam und auf eigene Unversehrtheit bedacht getan, richtig?"

"Ja, das ist so", knurrte Atalanta Bullhorn. Woher kannte Ladonna das Ritual? Die Inobskuratoren kannten es nur, weil vor hundert Jahren der Erbe eines Druiden den Inobskuratoren beitrat und wegen der nicht mehr bestehenden Macht der keltischen Zauberpriester alles gutartige Wissen dieser mächtigen Leute weitergegeben hatte. Doch Ladonna war niemals eine Druidin gewesen.

"Nun, ich habe das anders in Erinnerung, seitdem ich damals vor dem unerträglichen Streit mit Sardonia in ihrem Königreich unterwegs war und da einen jungen, vollapprobierten Druiden traf, der mir davon berichtete, während ich seine Manneskraft genoss und ihm die Wonne seines Lebens verschaffte", säuselte Ladonna und machte eine sehr aufreizende Körperbewegung. "Doch die Zeit schwindet, und mir ist daran gelegen, dass dieser Tag erfolgreich beendet wird. Meine Tochter Ashton, komm her!"

Aus den Reihen der rosenrot gekleideten Hexen trat eine Hexe von wohl dreißig Jahren. Sie sah aus wie eine Tochter von Ursina Underwood, von der Atalanta damals annahm, dass sie zu den britischen Nachtfraktionsschwestern gehörte. "Meine Mutter und Königin", meldete sich die Gerufene zur Stelle.

"Nimm dies hier an dich. Du weißt, was du damit zu tun hast", sagte Ladonna und übergab der anderen einen blauen Leinenbeutel und eine rasselnde Sandelholzdose mit verschraubbarem Deckel. "Dann ist es wohl wirklich nötig, Mutter und Königin?" fragte Ashton.

"Ja, ist es. Glaub mir, ich hätte es auch lieber gehabt, wenn sie da sich nicht so heftig gegen mich stemmen würde."

"Ich verstehe und gehorche, Mutter und Königin", erwiderte die gerufene Gefolgshexe und verbeugte sich. "Dann geh hinaus und erwarte meinen Ruf. Erst dann sollst du handeln wie besprochen", sagte Ladonna. Die andere nickte. Dann sah sie die gefesselte Atalanta Bullhorn noch einmal an und grinste überlegen. Dann sprach die Gefolgshexe in absolut akzentfreiem amerikanischen Englisch: "Ich wäre sehr gerne in deinem Föderationsrat Mitglied geworden, Madam Überschlau. Aber so ist es vielleicht noch viel besser für mich. Noch eine Schöne Zeit!" Dann wandte sie sich ab und ging davon. Auf Ladonnas Wink tat sich ein steinernes Tor auf. Die andere durchschritt es. Das Tor schloss sich wieder. Atalanta musste an das orientalische Märchen von Ali Baba denken, das sie während ihrer Ausbildung mal gelesen hatte, um zu erfahren, was die Nomajs sich an magischen Möglichkeiten vorstellen konnten. Dann fiel ihr ein, was es mit dem Beutel und der Dose auf sich haben musste. Ihr bisher so tapfer schlagendes Herz übersprang einen Schlag. Ihr wurde klar, was die andere tun sollte. Doch sie konnte sie nicht davon abhalten, nur noch mit dem Gedanken in den Tod gehen, dass die andere nicht sehr lange damit durchkam, weil ihr zu viel fehlen würde.

"Jetzt wieder zu dir, Atalanta Bullhorn, Tochter der Arista, Tochter der Amphitria", wandte sich Ladonna an ihre Gefangene. Sie deutete auf zwei Hexen, die in der rosenroten Kleidung dieser dunklen Gilde steckten. Es waren Willow Parker und Hidalga Montesoleada. "Die beiden dort werden gleich auf die Insel zurückkehren und dort im Namen deiner so großartigen Föderation einen Friedens- und Beistandspakt mit den Südamerikanern aushandeln und in allen Punkten verfertigen. Sie werden eine Entschädigungszahlung für die drei Toten bei der Konferenz zusagen und auch die Tilgung der noch zu entrichtenden Schulden für das damals an Mexiko gezahlte Darlehen. Tja, und dann werden sie nicht nach Viento del Sol reisen, weil sie da womöglich nicht mehr hineingelassen werden. Sie werden verkünden, dass diese Ansiedlung nicht mehr sicher ist, weil die Kobolde Kriegsknechte der Magielosen angeworben haben, die den Ort aus großer Höhe mit Spreng- und Brandbomben verwüsten werden, falls die Kobolde ihr Goldverwertungsrecht nicht zurückerhalten."

"Das wird ihnen keiner glauben, solange ich nicht höchstpersönlich den entsprechenden Alarmruf ausstoße, und zwar vom Ratsgebäude von Viento del Sol aus. Dein Vorhaben wird missglücken, Missgeburt."

"Das wird sich zeigen. Du hoffst darauf, dass diese anderen Besserwisser und Moralverfechter vom Marie-Laveau-Institut gegen meine neuen treuen Untertanen aufbegehren und obsiegen werden, richtig?"

"Die oder die Inobskuratoren, wenn sie merken, dass die beiden nicht mehr Herrinnen ihres eigenen Willens sind", spie Atalanta ihrer Peinigerin entgegen.

"Sie werden die richtigen Kenntnisse erhalten", erwiderte Ladonna mit einer unheimlichen Gewissheit in der Stimme. "Du hast gerade behauptet, dass nur dein Tod die Wirkung des Ritualzaubers beenden kann. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zum einen hält die Wirkung nur bis zum nächsten Sommersonnnenwendtag vor und muss dann erneuert werden. Doch solange will ich nicht warten. Andererseits hält die Wirkung solange vor, wie das Herz der Ausführenden unbeirrt frisches Blut durch den Körper treibt, mein kleines, dorniges Röschen", zischte die Erzdunkelhexe unheilvoll. Atalanta fühlte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht schwand. Genau das hatte ihr ihr Ausbilder damals auch so gesagt: "Private Bullhorn, wenn Sie nicht wollen, dass das Ritual vor der Zeit zu wirken aufhört dürfen Sie sich keinesfalls in etwas ohne schlagendes Herz verwandeln oder verwandeln lassen."

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Zur gleichen Zeit im Times-Gebäude

Sergeant Friley erreichte das Times-Gebäude und ließ sich bei Mike Dunston melden. Sie hoffte nur, dass Jeff nicht mitbekam, dass sie anrückte und disapparierte, bevor sie oben war. Als sie bei Dunston anklopfte hörte sie, wie er mit jemandem Telefonierte. War das nur Schau? Er telefonierte mit einem Polizeibeamten, Lieutenant Bruckner. Den kannte sie nicht persönlich, wusste aber, dass dessen Revier an einem der heißesten Orte der Bronx lag. Dann hörte sie "Herein!" Sie trat ein.

"Sie sind wegen Mr. Bristol hier, richtig. man hat ihm eine Falle gestellt und ihn erschossen, während er mit seinem Wagen flüchten wollte. Ich bekam gerade einen Anruf von Lieutenant Bruckner aus der Bronx", seufzte Dunston. Friley konnte sich nur schwer beherrschen. Jeff Bristol sollte tot sein, einfach so erschossen. Das konnte doch nicht angehen. Deshalb fragte sie sehr genau nach, wie sich das abgespielt haben sollte. Sie beschloss, sich selbst vor Ort umzusehen und mit den zuständigen Kollegen zu sprechen. Am Ende ging der Fall noch ans FBI, weil es so aussah, dass ein mexikanisches Verbrechersyndikat daran beteiligt war. Doch sie musste Gewissheit haben.

Den Drang zu apparieren unterdrückend jagte sie durch das Times-Gebäude, verwünschte den ihr viel zu langsam fahrenden Fahrstuhl und warf sich in ihren Wagen. Mit ihrem nichtmagischen Partner Benson fuhr sie in die Bronx. Von weitem schon konnte sie den Qualm sehen. Ein ausgebranntes Auto mit explodiertem Benzintank blockierte die Straße. Gerade trugen zwei Gerichtsmediziner eine Bahre mit einer verdeckten Leiche davon. Sie trat zu der Bahre und traf dabei auf die FBI-Agentin Samantha Brownloe. "Ach, haben Sie auch den Funk abgehört, Sergeant Friley?" fragte die Bundesagentin und deutete auf den immer größeren Auflauf von Reportern aller Medien.

"Ich kenne Mr. Bristol. Ist er noch identifizierbar?" fragte Friley. "Ja, sein Gesicht ist zwar stark verkohlt, aber gerade so noch erkennbar. Außerdem haben wir das Zahnprofil und die Herren in Weiß dort werden noch heute erfahren, ob es Jeff Bristol ist", sagte Sam Brownloe.

"Ich vermag es nicht zu glauben, obwohl ich es sehe", grummelte Friley. Sie dachte daran, dass man ihr und allen anderen vielleicht eine gefälschte Leiche präsentierte. Das ließ sich jedoch nur herauskriegen, wenn sie auf Magierückstände geprüft wurde. Doch dafür musste sie hier hundert Zeugen bezaubern, dass die sich nicht erinnern konnten. Sie machte von ihrer Sondervollmacht als Überwacherin gebrauch und rief über den Ohrring nach Verstärkung. Als diese eintraf und alle Zeugen vorübergehend erstarren ließ kam heraus, dass die Leiche auf der Bahre zwar Magierückstände aufwies, diese aber wohl von seinem Ehering herrührten, der an seinem halbverbrannten linken Ringfinger steckte. Wenn bezaubertes Gold bis zur Rotglut erhitzt wurde gab es eingewirkte Magie an jeden Körper ab, mit dem es gerade in Berührung stand, hatte sie einmal gelernt. Sie vermisste jedoch die für einen LI-Mitarbeiter üblichen Gadgets. Hatten die ihm keine Schutzausrüstung mitgegeben? Dann hörte sie eine wirklich alarmierende Geschichte.

Zeugen hatten ausgesagt, einen Hinterhalt wie im Irakkrieg mitbekommen zu haben. Bristol war mit seinem Wagen gegen eine Hauswand geknallt. Die Täter hatten den Toten dann alles ausgezogen und alles eingesteckt, was er bei sich hatte und seien dann auf schwarzen Motorrädern geflüchtet, nachdem einer von ihnen ein benzingetränktes Taschentuch in das wracke Auto geworfen und eine brennende Zigarette hinterhergeschnippt hatte. Da wollte jemand es wie einen Mord aussehen lassen, nicht wie einen Unfall. Passte das zu einer Mafiabande? Doch sie wusste nicht, wie mexikanische Banditen vorgingen. Am Ende ließen sie hunderte von Zeugen zusehen, wie sie einen Widersacher umbrachten, damit es auch ja jeder wusste, dass mit ihrer Bande nicht zu spaßen war. Was genau passiert war würde nur eine Rückschau ergeben. Tja, und diese zeigte nur Dunkelheit, Unortbarkeit der höchsten Stufe, die mindestens drei Häuserblocks weit reichte. Also musste jemand hier gewesen sein, der oder die eine solche Aura ausstrahlte, ein oder mehrere magische Wesen, die wohl um Jeffs Besonderheit wussten. So blieben nur die Zeugenaussagen.

"Picton soll sich von den Franzosen das Geld für diese rußigen Brillen zurückerstatten lassen", fluchte Friley, während sie mit ihren Kollegen aus der Sicherheitszentrale die Zeugen und Polizisten soweit behandelte, dass sie die magische Untersuchung nicht mitbekommen hatten. Dann kehrte sie zu ihrem Wagen zurück und fuhr mit ihrem Partner davon. Wieder in ihrem Büro meldete sie über den Zweiwege-Ohrring, was passiert war und dass jetzt nicht mehr herauszubekommen war, ob man ihnen eine falsche Leiche oder Bristols echte Leiche vorgeführt hatte.

"Sagen wir es so, für die Nomajs ist Jeff Bristol gestorben", klang die Stimme ihres Führungsoffiziers aus dem Ohrring. Friley bestätigte das mit gewisser Frustration.

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Isla de las buenas Tardes, 03.05.2006, 10:20 Uhr

Es hatte zunächst eine gewisse Verunsicherung gegeben, weil sie nicht wussten, ob die Gefahrenfänger noch im Saal waren und sich auf sie stürzen würden, wenn sie mit dem Segen der Feuerrose versehen hereinkamen. Doch als dreißig Sekunden vergangen waren, ohne dass ein geflügeltes Automaton über sie herfiel atmeten sie erst einmal auf. Dann jedoch suchten sie nach den vier mitgebrachten Vorrichtungen. Doch nur Atalanta Bullhorn kannte das Schlüsselwort, um sie zur eigenen Enthüllung zu bringen. Lauerten die jetzt irgendwo im Saal oder schwirrten sie gerade irgendwo herum. Dann sagte Pataleón: "Offenbar wirken die in unserer Kleidung und jener der Wächter verwobenen Bewegungsumkehrzauber noch, dass sie nicht mehr auf eine Gefahrenquelle zuhalten, sondern von ihr fortstreben müssen. Wir sind also vor diesen zugegeben sehr innovativen Geräten geschützt."

Die zehn toten Inobskuratoren aus den Staaten vermisste hier keiner. Die neun betäubten Wächter waren schnell wieder aufgeweckt. So konnten sie im Schutz des genialen Gegenzaubers ihrer Königin die ersten Ideen für einen bald allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern genehmen Nachbarschafts- und Beistandsvertrag ausarbeiten.

Als die Türglocke des nördlichen Portals läutete hielten sie inne. Sie dachten alle daran, ob es der Königin gelungen war, den Widerstand der Ratssprecherin zu brechen. Lange genug hatte sie ja offenbar gebraucht. Oder es war jemand gekommen, der oder die den Plan der Königin vereiteln wollte. Dann betrat eine Hexe in Mittleren Jahren mit goldblonder Löwenmähne und stahlblauen Augen, eingehüllt in einen rosenroten Umhang mit darin verstauter Kapuze, den Verhandlungssaal. Ein Blick der Nachzüglerin genügte. "Ach, ihr habt schon einmal vorgearbeitet? Das war richtig so", sagte sie.

"Wem dienst du, Atalanta Bullhorn?" fragte Pataleón. "Wem diene ich? Ich diene unserer Königin Ladonna, der Herrin über alle magischen Menschen", erwiderte die Nachzüglerin, die hier alle als Atalanta Bullhorn erkannten. "Was hat dir unsere Königin aufgetragen?" wollte Pataleón wissen.

"Das ich mit euch einen Vereinigungsvertrag aushandeln soll, der aber erst Anfang Juni der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll, wenn wir auch die internationale Zaubererweltkonföderation unter der Feuerrose wissen", sagte die dritte Hexe im Raum. "Ach ja, und wir drei müssen nachher, wenn wir wieder zurückkehren zu unserem Schutzbunker vor Angriffen aus der Luft, den Buggles damals eingerichtet hat, um vor Angriffen aus großer Höhe geschützt zu sein. Die Königin meint, dass das der einzige Vorteil dieser Maschinenwahnsinnigen sei, dass sie magielose Flugapparate und flächendeckende Massenvernichtungswaffen erfunden haben. So werden wir es darstellen, dass die Kobolde die Nomajs dazu angestiftet haben, Zielübungen mit vollwirksamen Luftangriffswaffen auf scheinbar unbewohntes Gebiet zu machen, wenn wir denen nicht ihr Goldverwertungs- und -verwahrungsrecht wiedergeben. So können wir drei begründen, warum wir und die anderen zwölf nicht mehr in VDS bleiben dürfen, ja, dass das ganze Dorf evakuiert werden muss, falls wir mit den Kobolden keine Übereinkunft treffen, was wohl erst am einunddreißigsten Februar geschehen wird."

"Nehmen wir lieber den Tag, an dem die Sonne morgens im Westen aufgeht und der Mond uns seine abgewandte Seite zukehrt", legte Pataleón mit überlegenem Grinsen nach. "Kalender sind beliebig zu ändern, der Lauf der Gestirne ist es nicht."

"Öhm, Atalanta, können Sie mal bitte die Gefahrenfänger sichtbar machen? Wir wissen nicht, ob die noch hier in den Ecken festhängen, weil unsere südamerikanischen Freunde ja noch die Schutzkleidung gegen flugbezauberte Vorrichtungen tragen", sagte Willow Parker. Die Gefragte wiegte den Kopf. Sie schien sehr angestrengt darüber nachzudenken. Dann straffte sie sich, klatschte in die Hände und rief: "Grüner Mond!" Es passierte nichts. Kein silberner Kunstvogel wurde sichtbar. Die Gefahrenfänger schinen nicht mehr hierzusein. Dann verzog die goldblonde Hexe ihr Gesicht. "Verflixt, ich erinnere mich gerade, dass sie eine Rückkehrbezauberung haben. Wenn es in ihrem Erfassungsbereich keinen Menschen mehr gibt kehren sie zu ihrem Erbauer zurück, verwünscht noch mal."

"Oh, dann sind die seit unserer Abreise im Laveau-Institut ... öhm ... und geben ihrem Erfinder alles preis, was sie hier mitbekommen haben?" fragte Pataleón. "Jaaa!" stieß die spät dazugekommene Hexe sehr wütend aus. Auch Pataleóns Gesicht verzog sich zu einer verärgerten Grimasse. "Dann müssen wir hier abbrechen. Ihr drei habt eure Föderation zu sichern, bevor diese Besserwisser aus New Orleans behaupten, ihr wäret jetzt nicht mehr die, die ihr mal wart." Dann sah er zu der Nachzüglerin hin und schnaubte: "Das ist nur, weil du dich gegen unsere Herrin gestellt hast. Sei bloß froh, wenn sie dich dafür nicht tötet, Versagerin." Dann erstarrte er, als habe er gerade selbst einen sehr heftigen Tadel erhalten. Er nickte in den Raum, ohne wen bestimmtes anzusehen. Dann sagte er nur noch: "Sieh zu, das ihr noch schnell alles regelt. Am Besten drehst du es so wie Buggles damals, dass das LI den Frieden stören will und ja, weil die unbedingt wollen, dass die anderen Zauberwesen mehr Mitsprache erhalten üble Verleumdungen in Umlauf bringen." Die drei anwesenden Hexen nickten.

"Gut, dass ich noch Wechselkleidung habe. Im Kleid der gehorsamen Dienerin darf ich denen nicht unter die Augen treten", sagte die goldblonde Hexe. Sie sah Willow und Hidalga an. Die verstanden. Auch sie sollten sich noch umziehen.

Nur drei Minuten später war die Isla de las buenas Tardes wieder völlig menschenleer.

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ein alter Luftschutzbunker bei Washington DC, 03.05.2006, 12:04 Uhr Ortszeit

Die Zeitungs- und Rundfunkreporter sahen sich beklommen um. Dieser Raum war grau und kahl. An der Decke konnten sie verrostete Fassungen für röhrenförmige Elektrolampen sehen, und es gab nur wenige Möbel. Dann stellte sich die Ratssprecherin der Föderation mit allen anderen Räten zusammen vor die Schallansaugtrichter der Rundfunkverbreiter.

"Erst einmal möchte ich unsere überstürzte Abreise aus Viento del Sol entschuldigen und hoffe, dass wir dadurch, dass wir auf den Hinweis von Zaubereiminister Pataleón hin, der gute Kundschafter in England hat, die restlichen Bürgerinnen und Bürger von Viento del Sol vor dem heimtückischen Angriff von Koboldhörigen Nomajs bewahren. Denn wenn wir nicht mehr dort sind, wo sie uns ihre verfluchten Sprengbomben auf die Köpfe werfen können, verfängt ihre Drohung nicht mehr. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass die Kobolde Helfershelfer unter unseren magischen Mitbürgern haben, jene, die die Zeit vor der Goldebbe zurückwünschen und der Meinung sind, jedes sprachfähige, aufrechtgehende Wesen sei uns Menschen gleichwertig und gleichberechtigt wollten das bei einem unangekündigten Vernichtungsangriff auf Viento del Sol entstehende Chaos ausnutzen, um ihre Vorstellungen von einer gerechten Zaubererwelt zu etablieren. Daraus wird nichts, werte Damen und Herren, wer und wo immer Sie gerade sind!" sprach die für ihre kämpferische Haltung bekannte Atalanta Bullhorn. "Ja, diese Wichtigtuer und Gutmenschen behaupten ja sogar, dass der Föderationsrat und vor allem die darin mitwirkenden Hexen schon längst unter dem Einfluss einer anderen, noch mächtigeren Hexe stehen. Das ist insofern lachhaft, weil wir vom Rat uns mittlerweile gegen alle bekannten Formen magischer Beeinflussung absichern können, auch gegen die Methode einer gewissen Ladonna Montefiori. Aber das wird ja über das Zaubereiministerium Italiens auch schon lange behauptet. Es ist auch merkwürdig, dass jene, die das tun nicht nur der Ansicht sind, ohne Sie gebe es in unserer Gemeinschaft keine Sicherheit und keinen Frieden mehr, sondern auch über Mittel verfügen, die Magielosen auf bestimmte Ideen zu bringen, weil sie deren elektrische Nachrichtenverbreitungsmittel nutzen, angeblich, um unsere magische Welt vor diesen Maschinenknechten und Giftspritzern geheimzuhalten. Sie sind ja alle hier, weil sie prüfen wollten, ob wir alle noch Herrinnen und Herren unseres Willens sind. Hoffen Sie darauf, dass dies so bleibt und nicht irgendwer meint, uns mit dunklen Voodooritualen oder anderen archaischen Zaubern den freien Willen zu entreißen. Doch wie erwähnt sind wir derzeit gegen alle uns bekannten Angriffsversuche abgesichert. Also, der Föderationsrat und große Teile der untergeordneten Ebenen werden ab heute nicht mehr in Viento del Sol, sondern wieder in Washington DC arbeiten. Wir werden diese für mehr als eintausend Menschen ausgelegte Schutzanlage mit unseren Mitteln weiter ausbauen. Wir werden unser Land nicht irgendwelchen Unheilspredigern überlassen, die unsere Stabilität dadurch gefährden, dass sie behaupten, wir seien schon längst unterwandert. Wohin das letztes mal geführt hat haben wir ja mitbekommen, als Lionel Buggles Minister wurde. Wir werden keiner selbsterfüllenden Prophezeiung den Boden bereiten, sondern unsere Arbeit für alle im Föderationsgebiet wohnhaften Hexen und Zauberer leisten und alle Störenfriede verstummen lassen, wer immer sie sind, wo immer sie herkommen und welche noch so glorreiche Idee sie für eine bessere Welt anzubieten wagen. Soweit meine Mitteilung an Sie und Ihre Zuhörerschaft und Leserschaft, Ladies and Gentlemen. Wer noch Fragen hat möge sie jetzt stellen. Wir alle stehen Ihnen noch bis halb eins zur Verfügung.""

Gilbert Latierre, Reporter der Temps de Liberté wagte es, auch wenn die Ansage gerade eben nichts anderes hieß, dass jede kritische Frage als versuchte Störung der inneren Ordnung ausgelegt werden mochte.

"Ja, so Gerüchte können schon heftig üble Auswirkungen haben, Frau Administratorin, das stimmt. Dennoch muss ich Fragen, wann und wie Sie von Minister Pataleón erfahren haben, dass ein unmittelbarer nichtmagischer Luftangriff auf Viento del Sol bevorsteht?"

"Über das wann und warum darf ich Ihnen keine Auskunft geben, weil dies unser aller Sicherheit betrifft, die zu schützen ich zweimal geschworen habe, als Inobskuratorin und als erste Administratorin der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer. Über das Wie darf ich nur sagen, dass Minister Pataleón und seine Leute geheime Kanäle der nichtmagischen Welt abhören können und daher davon erfuhren. Ich vertraue ihm und er vertraut seiner Quelle. Mehr darf und will ich dazu nicht erläutern."

"Welchen Sinn sollte das ergeben, ausgerechnet den Ort anzugreifen, von dem aus die nordamerikanische Zauberwelt am sichersten regiert werden kann?" fragte ein Reporter des Kristallherolds.

"Für die Kobolde ergäbe das den Sinn, dass sie uns ihre Macht demonstrieren", sagte die Ratssprecherin der Föderation. "Die nehmen es uns immer noch übel, dass wir ihnen nach der Goldebbe nicht die Goldwertbestimmungshoheit zurückgegeben haben. In dieser sehen diese gierigen Wichte ihren einzig wahren Daseinszweck. Nun, wo außer der französischen Zaubereiministerin, sowie dem Briten Shacklebolt und den Griechen jede Zaubereiverwaltung die Gelegenheit genutzt hat, sich vom Joch der Koboldischen Goldwertbestimmung zu befreien, legen diese kleinwüchsigen Erdwesen keinen Wert mehr auf friedliche Unterhandlungen. Sie beißen nun wild um sich wie ein ausgehungerter Hund an einer immer kürzer werdenden Kette. Deshalb greifen sie nach für sie selbst für undenkbar gehaltenen Tricks, um uns doch noch einzuschüchtern. Aber damit knallen sie sich endgültig aus dem laufenden Spiel, meine werten Mitbürgerinnen und Mitbürger", stieß Atalanta Bullhorn aus.

"Wir haben uns bisher eigentlich immer gut verständigt und meistens eine sehr gute Abstimmung gehabt", setzte Klio Sweetwater vom Radiosender VDSR 1923 an. "Doch jetzt bin ich wie viele meiner Nachbarinnen und Nachbarn verwirrt, weil Sie den Rat einfach aus unserer Siedlung weggerufen haben, weil Sie Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff mit nichtmagischen Sprengbomben hatten. Haben Sie nicht bedacht, dass der Schutz der dort lebenden Bürger auch gegen böswillige Gegenstände aus der Luft helfen kann?"

"Mrs. Sweetwater, ich verstehe Ihre Verwirrung und auch Verstimmung ganz gut. Ihre letzte Teilfrage zuerst: Für den Schutz vor nichtmagischen Spreng- und Brandbomben gibt es bisher keinen Beweis, da diese Art von Angriff bisher nicht gewagt wurde. Ich will jedoch unsere wertvolle Administration nicht einem fragwürdigen Versuch ausliefern, diese reine Ankündigung auf ihre Echtheit zu prüfen und am Ende Schuld sein, wenn der gesamte Föderationsrat tot und zerstückelt unter Schutt und Asche begraben endet. Soweit dazu", erwiderte die Ratssprecherin entschlossen. Dann sprach sie weiter: "Dann noch die Antwort auf Ihre erste Teilfrage, Mrs. Sweetwater: Natürlich ist es Wasser auf die Mühlen all jener, die uns eine feige Flucht und damit das Eingeständnis von Handlungsunfähigkeit unterstellen möchten. Warum ich gleich nach meiner vertraulichen Unterredung mit dem spanischen Zaubereiminister in diesen schon vor Buggles als Rückzugsort bestimmten Bunker geeilt bin und die Sicherheitsvorkehrungen gegen unerwünschte Eindringlinge in Kraft gesetzt und dann den Föderationsrat hierhergerufen habe, zusammen mit den Kolleginnen Montesoleada und Parker, liegt daran, dass mir die Information über den bevorstehenden Angriff erst drei Stunden später als dem Kollegen Pataleón zugegangen ist und da von den nächsten drei bis fünf Stunden gesprochen wurde, falls ich das Einreiseverbot für Kobolde nicht aufhebe. Nur die direkte Ansprache über den föderationseigenen Sender HCPC 2623 ermöglichte mir, uns nicht mehr als Ziele angreifen zu können und damit auch den bevorstehenden Angriff auf Viento del Sol abzuwenden. Eine Evakuierung hätte womöglich eine unsagbare Panik verursacht, zu lange gedauert und damit erst recht viele Menschenleben gekostet."

"So einen Bunker können wir doch auch bei uns in Viento del Sol bauen", sagte Klio Sweetwater. "Sie sind doch extra bei uns eingezogen, weil unser Feindesabwehrzauber unerwünschte Eindringlinge zuverlässiger abwehren kann als mehrere gestaffelte Zauber."

"Möchten Sie noch eine Frage stellen? Falls nein überlassen Sie bitte dem nächsten Kollegen das Wort", grummelte Atalanta Bullhorn. Sie schien immer wieder in sich hineinzuhorchen, ob sie auch ja die richtigen Antworten auf die Fragen geben konnte.

"Ja, wann dürfen wir damit rechnen, dass die Bedrohungslage beendet ist und Sie wieder zurückkehren?" fragte Klio Sweetwater. Darauf meinte Gilbert: "Wenn die Mnichtmagischen Menschen aufhören, Bombenflugzeuge zu bauen, Klio." Das brachte viele hier zum lachen, aber auch zum Kopfschütteln. Atalanta Bullhorn nutzte die paar Sekunden, um sich eine Antwort zu überlegen. Dann sagte sie: "Auch wenn ich Mr. Latierre in gewisser Weise rechtgeben muss, dass die Nichtmagier besser gestern als morgen mit diesem Irrsinn aufhören sollten hatte er gerade nicht das Wort. Laut den Regeln für Pressekonferenzen muss ich ihm daher eine gebürenpflichtige Rüge erteilen, sowas nicht noch einmal zu machen. Die Gebür setze ich wegen der Frechheit seiner Aussage auf 300 Galleonen fest. Seien Sie froh, dass ich Sie nicht feuern kann, Monsieur Latierre. - Ja, und zu Ihrer Frage, Mrs. Sweetwater. Da wir erkennen müssen, wie wichtig es ist, die geheimen Kanäle der nichtmagischen Welt unter Beobachtung zu halten und hier in Washington nun mal die mächtigsten Institutionen der USA, der in dieser Region größten Kriegsmacht, zusammensitzen, werden wir uns darauf einrichten, auch den Gesamtrat der Föderation und die ihm zuarbeitenden Unterbehörden wieder hier anzusiedeln. Das alte Zaubereiministerium ist ja noch benutzbar, muss eben nur gegen gewisse Kampfmittel abgesichert werden. Bis dahin werden wir an unterschiedlichen Orten mit geheimen Schutzräumen verweilen, nicht länger als einen Tag am Stück. Daher werden wir auch nachher wieder anderswo sein. Da ja nur Vita Magica die Methode kannte, eine alles abwehrende Glocke aus Zauberkraft zu errichten können wir nur so die relative Sicherheit von Viento del Sol, Cloudy Canyon, Misty Mountain und den anderen magischen Ansiedlungen gewährleisten. Wir wollen nicht andauernd den Standort wechseln. Aber bis wir die Koboldhelfer und ihre Sympathisanten dingfest gemacht und in sichere Verwahrung verbracht haben bleibt uns leider keine andere Wahl. Wer möchte noch eine Frage stellen?"

Es kamen noch Fragen über die Erreichbarkeit des Rates, warum jetzt erst an eine Rückkehr nach Washington gedacht wurde und ob Madam Bullhorn schon mit der Führungsebene des Laveau-Institutes und der freien Gesellschaft gegen dunkle Erbschaften und gefährliche Geschöpfe in Kontakt stehe. Diese Frage beantwortete Bullhorn mit gewissem Unmut. Sie sagte:

"Nun, was das Laveau-Institut angeht, so machen sich die Damen und Herren der Führungsebene gerade sehr rar, als wenn sie sich vor uns verstecken wollten. Daraus ergibt sich für uns leider der sehr unangenehme Gedanke, dass die Damen und Herren uns entweder was vorenthalten haben, was wir viel früher hätten wissen sollen oder wegen einer gewissen Sympathie mit magischen Geschöpfen befürchten, wir würden diese bald genauso der drei Länder verweisen wie die all zu gierigen Kobolde und ihren Geheimdienst. Eine gewisse Reibung bestand ja trotz der Einwilligung in eine bessere Zusammenarbeit immer wieder. Ja, und sie haben auch schon häufiger Unternehmungen durchgeführt, die nicht im vollen Einklang mit den Gesetzen unserer magischen Gemeinschaft standen. Falls Sie mit einem weisungsberechtigten Mitarbeiter des Laveau-Institutes oder der Sociedad libre Kontakt bekommen dürfen Sie dem oder der gerne die Frage stellen, die Sie mir gestellt haben. Nächste Frage!"

"Sie erwähnten, dass Sie die nichtmagischen Kanäle wieder verstärkt beobachten und verfolgen wollen, Madam Bullhorn. Heißt das, dass Sie die Abteilung für elektronische Nachrichtenüberwachung wieder aufmachen? Und werden Sie das bewährte Personal dafür wieder einstellen?" fragte Gilbert Latierre.

"Das sind zwei Fragen. Aber an dem Kopfnicken Ihrer Kollegen vom Rundfunk sehe ich, dass sie auch gerne die eine oder die andere Frage gestellt hätten. Daher antworte ich auf beide: Wir werden die Abteilung für elektronische Nachrichtenüberwachung wieder einrichten. Da deren frühere Leiterin es ja vorzog, ihre von Buggles erzwungene Abwesenheit zu einer völligen Lahmlegung der bisher nutzbaren Arbeitsgeräte und -prozesse zu nutzen kann ich nicht sagen, ob wir sie mit derselben Effizienz wie vor Buggles fragwürdiger Amtszeit betreiben können. Ja, und weil die ehemalige Abteilungsleiterin derzeitig im Laveau-Institut arbeitet werde ich mit den dafür zuständigen Ratskolleginnen noch einmal darüber sprechen, ob wir sie zu einer Rückkehr in die magische Administration bewegen wollen oder können. Ich hoffe nur, dass sie bis dahin nichts unternimmt, was ihre Rückkehrmöglichkeiten endgültig verdirbt. Ich hoffe, Ihre Fragen damit erschöpfend beantwortet zu haben."

"Also wollen Sie jetzt doch wieder eine Internetüberwachungs- und Korrekturabteilung haben?" fragte Frank Sunnydale von HCPC 2623. "Vor nicht einmal einem Monat haben Sie vollmundig betont, dass die reine Funkwellenüberwachung völlig ausreicht und Sie diesem ich zitiere "zeitweiligen Phänomen Internet" Zitat Ende keine neue Beachtung mehr widmen werden. Was hat Sie zu diesem Meinungswechsel bewogen und wann soll die Überwachungsabteilung wieder arbeiten, ob mit oder ohne die frühere Leiterin?"

"Wieder zwei zum Preis für eine Frage?" gab Atalanta zunächst einen leicht ungehaltenen Kommentar ab. Dann sagte sie: "Auf die Frage nach dem wann wieder, hängt von den Leuten und deren Kompetenz ab. Wenn wir die frühere Leiterin zurückgewinnen können vielleicht schon morgen. Auf die Frage nach dem warum ich meine Meinung von vor einem Monat revidiere: Antwort eins, ich bin eine Politikerin, die immer wieder nach neuer Lage Entscheiden muss, auch wenn die Entscheidung entgegengesetzt der früheren Ansichten ausfällt. Antwort zwei: Ich bin eine Hexe. Ich kann mir jeden Tag ein neues Kleid aussuchen, warum nicht jeden Monat auch eine neue Einsicht?" Etliche Reporter und vor allem Reporterinnen grinsten über die zweite Antwort. Dann blickte sie auf ihre Uhr und sagte: "Falls Sie noch Fragen zu den Einsatzbereichen meiner Kolleginnen und Kollegen haben halten Sie sich bitte an diese. Ich muss wegen eines drängenden Termins die Konferenz verlassen. Bitte haben Sie dafür verständnis." Sie nickte noch einmal allen zu und eilte dann aus dem grauen Bunkerraum hinaus.

"Linda, falls du das noch mithörst, die Bullhorn ist gerade ziemlich eilig abgeschwirrt und hat vorher immer wieder so gewirkt, als müsse sie sich ihre Antworten zumeloen lassen. Was hältst du davon?" gedankenfragte Gilbert Latierre, der sich sorgfältig von den anderen zurückgezogen hatte, die jetzt Hidalga Montesoleada zum Verbleib ihrer drei männlichen Landsleute befragten und eine längere Geschichte zu hören bekamen, warum die drei noch nicht wieder da waren.

"Punkt eins, Gilbert. Martha hat nur mit dem Kopf geschüttelt, als sie hörte, dass die werte Dame sie gerne wieder zurückhaben möchte. Punkt zwei, Sowohl Martha als auch Sheena O'Hoolihan sind fest davon überzeugt, dass der Rat nicht mehr nach Viento del Sol hineingelangen kann und deshalb auch von dort flüchten musste. Na, und was schließen wir daraus?" schickte ihm seine Frau zurück. Seit der Geburt von Lydia Barbara und dem Erwerb der goldenen Herzanhänger für verheiratete Ehepaare mit mindestens einem gemeinsamen Kind klappte die Gedankenverbindung viel besser als früher.

"Dass das eingetreten ist, was Sheena uns unter dem Siegel der Nichtveröffentlichung anvertraut hat. Dann ergibt es auch einen Sinn, dass sie jetzt so heftig gegen üble Gerüchte wettert. Wir erinnern uns ja noch zu gut, wie es damals war, als Buggles im Amt war und viele gegen ihn gesprochen haben."

"Ja, wissen wir noch", schickte Linda Latierre-Knowles ihrem Mann zurück. "Und genau deshalb will Martha nicht mehr von VDS weg. Denn sie vermutet, dass es Bullhorn und den anderen darum geht, auch sie auf die Seite der schwarzen Königin zu ziehen. Die weiß sicher längst, mit wem Martha verwandt ist."

"Ja, steht zu befürchten. Aber wie gesagt kann ich nicht aufspringen und der vor die goldblonde Birne knallen, dass sie nur noch eine Marionette der Montefiori sei. Stimmt es, buchten die mich ein oder schicken mich in Wiege und Windeln zurück. Stimmt es nicht dito."

"Dann sieh besser zu, dass du von da wegkommst", gedankenforderte seine Frau. Gilbert schickte zurück, dass er wenigstens die Konferenz abwarten müsse. Hier würde zumindest keine Feuerrosenkerze entzündet werden, wo tausende von Hörern im ganzen Sendegebiet zuhören konnten.

"Ruf bloß keinen großen Drachen, Gilbert", bekam er zur Antwort.

Gilbert hörte nun nur noch zu, ohne sich wieder vorzuwagen. Er schrieb sich jedoch die Antworten mit. Dann endlich war die Pressekonferenz vorbei. Gilbert verließ mit den anderen das Bunkergebäude, froh, dass er die neue Errungenschaft am Fußgelenk trug, die ihn bei erkannter unmittelbarer Gefahr nach VDS zurückbringen konnte. So durfte er heute noch auf seinem Ganymed 10 Marathon davonfliegen. Als er fünf Kilometer weit vom Bunker entfernt war landete er und apparierte in vier gezielten Etappen in das Haus seiner kleinen Familie zurück. Dort traf er seine Frau Linda, sowie Martha Merryweather und Sheena O'Hoolihan.

"Du wolltest mit einem weisungsberechtigten Mitglied unseres Institutes sprechen, Gilbert", sagte die irischstämmige stellvertretende Direktrice des LIs. Gilbert nickte. "Gut, um unsere Sicherheit nicht zu gefährden nur das, was ich erzählen darf. Keine Fragen. Bedenke bitte auch, dass du die Freiheit deiner Familie gefährdest, wenn du alles veröffentlichst, was ich dir erzähle!" Gilbert nickte wiederum. Dann erfuhr er, dass auf Grund eines Alarms im LI, dass geplant sei, alle Mitarbeiter auf einmal zu fangen oder zu töten, ein taktischer Rückzug stattgefunden habe. Wann das LI wieder öffentlich auftreten würde hinge von der Entwicklung der Lage ab. Nur soviel noch, dass durch diesen raschen Rückzug die Überwachungsmöglichkeiten innerhalb der nichtmagischen Welt verlorengegangen seien und es wohl mehrere Monate oder Jahre dauere, sie wieder herzustellen. "Bei uns mussten sich einige totstellen, damit keiner mehr nach ihnen suchen will, Gilbert. Mehr musst du wirklich nicht wissen. Ach ja, was der Wahrheit am nächsten kommen dürfte ist, dass wir einen Tipp aus der SL bekommen haben, dass Ladonna Agentinnen und Agenten über Südamerika in die Staaten einschleusen will, die gezielt nach Bekämpfern dunkler Hexen und Zauberer suchen. Bis wir wissen, wer, wie, wann wann gilt unsere Aufmerksamkeit erst mal allen Mitmenschen, die unseren Schutz genießen. Das darfst du so schreiben."

"Das reicht auch schon, Sheena", sagte Gilbert.

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Auf der Insel Hidden Island, im Zentrum der Zwergsiedlung Shady Shalter, 03.05.2006, 12:50 Uhr Ortszeit

Sie wohnten jetzt alle zusammen, die Außendienstmitarbeiter des LIs. Die Einsatzpärchen Max und Mortimer, sowie Ringo und Finn, Lucy und Michelle, aber auch die nun offiziell als tot verkündeten Jeff Bristol, Brenda Brightgate und Sandra Belltower, die unbedingt "sterben" mussten, damit kein Nichtmagier mehr nach ihnen suchte. Nur jene, die in Viento del Sol Angehörige hatten waren dorthin geflüchtet und würden mithelfen, ihre Angehörigen zu beschützen.

Brenda, die für die Nichtmagier einen ähnlich spektakulären Tod gestorben war wie Jeff Bristol, hatte ihrer Cousine geholfen, die von den Campoverdes abgestellten Beschatter so zu bezaubern, dass sie an einen großangelegten Feuerwehreinsatz nach einer Gastankexplosion glaubten und auch entsprechende Rußspuren in Haaren, Gesichtern und an der Kleidung hatten, bevor sie wieder aufwachen durften. Weil das Haus nun für alle so aussah, als wenn es unter wildem Feuer und Getöse zusammengestürzt war und dabei alle darin wohnenden unter sich begraben hatte würden die hoffentlich kein Interesse mehr haben, nach den Bristols zu suchen. Allerdings waren Jeff und Brenda nicht so einfältig zu denken, dass die Campoverdes nicht die fast zeitgleich stattfindenden Ereignisse berücksichtigen würden. Doch auch dafür hatte Martha Merryweathers Assistentin May Baywater was in Umlauf gesetzt, was die Sache erklären mochte. Das hatte was mit dem eisernen Kleeblatt zu tun, dem Jeff schon seit Monaten auf der Spur war. Doch selbst wenn den von der Weltherrschaft träumenden Zwillingen noch gewisse Zweifel kbleiben mochten würden auch sie die Bristols nicht mehr finden.

Davidson hatte zu einer Unterredung im "Dorfgasthaus" namens "Durstiger Donnervogel" eingeladen. Dort hatten sie das große Zauberradio umlagert und die Rede von Atalanta Bullhorn gehört. Dann wandte sich Davidson an seine Mitarbeiter, die mittlerweile auch ihre Ehepartner und Kinder hier hergeholt hatten.

"Ladies and Gentlemen, ich habe es der Kollegin O'Hoolihan so weitergegeben, dass wir bis auf weiteres nur noch in magisch gesicherten Orten wie VDS oder versteckten Ansiedlungen wie diese kleine Stadt auf einer unortbaren Insel verbleiben. Das mit den Sprengbomben, die von Koboldhelfern über VDS abgeworfen werden sollten oder noch sollen ist eindeutig erdichtet, um den ehemals freien Föderationsrat von dort fortzulocken. Abgesehen davon haben wir es mittlerweile amtlich, dass der Zauber gegen feindliche Wesen und Dinge eben gerade wegen der Kenntnis um moderne Kriegswaffen der nichtmagischen Welt auch auf solche wirkt, die als Zerstörungsmittel erkannt werden. Atalanta Bullhorn wusste das sogar. Dass sie es dennoch so verkauft hat, dass ihre Ratskollegen darauf angesprungen sind lässt leider nur zwei Möglichkeiten zu: Entweder ist die, die wir gerade gehört haben, nicht die echte Atalanta Bullhorn, sondern eine Vielsaft-Trank-Kopie, die jetzt so tun muss, als wäre sie die Föderationsrätin, oder Atalanta Bullhorn wurde trotz gewisser Vorkehrungen der Inobskuratoren von Ladonna Montefiori unterworfen. Wir alle wissen ja, dass die Abordnung der Föderation auf der Isla de las Buenas Tardes mit einer Feuerrosenkerze angegriffen wurde und sie alle dann mit einem Portschlüssel fortgeschafft wurden, wohl um den Fehlschlag zu korrigieren. Also ist es Ladonna Montefiori, die uns nun alle bedroht und auch noch alle südamerikanischen Länder kontrolliert. Diese dunkle Lady - ja, ich beliebe sie so zu nennen - will die ganze Welt beherrschen, erst uns magische Menschen und dann die nichtmagischen Menschen. Sie hat wohl gerade das, was Glückspieler einen Lauf nennen. Doch sie hat auch schon lernen müssen, dass sie nicht alles kriegt, was sie will. Frankreich ist ihr nicht zugefallen, weil das dortige Zaubereiministerium sich mit ihren natürlichen Feinden, den Veelas, verbündet hat. Warum sie Großbritannien nicht erobern wollte oder konnte wissen wir noch nicht. Was wir wissen ist, dass sie gerne den gesamten Mittelmeerraum für sich erobert hätte, jedoch an einer jahrtausende alten Hexenschwesternschaft scheiterte, den Töchtern der Hekate. Diese Zuständigkeitsbereiche hat sie nicht erobern können. Auch existieren in Japan die Hände der Amaterasu und in China die Söhne des silbernen Drachens, an die sie wohl noch nicht herankommt. Wir stehen also nicht alleine gegen dieses machtgierige Wesen, doch wir können uns nur über elektrische Nachrichtenverbreitungsgeräte verständigen, was längst nicht jedem magischen Menschen behagt. Wir sind nicht allein auf der Welt.

So betrüblich es ist, dass wir es nicht verhindern konnten, dass Ladonna womöglich den Föderationsrat unterworfen hat, wir haben noch eine Chance, dass sie nicht alle für die Föderation tätigen Mitarbeiter unterwirft. Daher müssen wir uns mit jenen zusammentun, die eine natürliche Immunität gegen die Feuerrose haben, aber auch auf der Hut sein, weil unsere anderen Widersacherinnen und Widersacher ebenso weiterbestehen. Auch müssen wir bei allen Unternehmungen genau abwägen, wie wir unschuldige Opfer vermeiden können. Ja, und ich zähle Atalanta Bullhorn und den Föderationsrat ebenso zu diesen unschuldigen Opfern, weil sie ja nicht mehr ihrem eigenen Willen folgen und auf ihr Gewissen hören können, um sich bewusst schuldig zu machen. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir im Bewusstsein behalten, bevor wir meinen, mit aller magischen Gewalt dreinzuschlagen. Ladonna Montefiori will uns als die Feinde des amerikanischen Friedens aufbauen. Wir dürfen den ahnungslosen Mitbürgern keinen Anlass bieten, ihr zu glauben, indem wir ohne Rücksicht auf Menschenleben handeln. Gut, das ist ja sowieso unsere Grundregel, möglichst kein unschuldiges Blut zu vergießen. Also beobachten wir und handeln wir, wenn wir wissen, wo wir als nächstes gebraucht werden! Wir werden mit den fünfzig Veelastämmigen in diesem Land Kontakt aufnehmen, um sie zu überzeugen, dass wir nur mit ihrer Hilfe gegen Ladonnas Großmachtssucht bestehen können. Ach ja, und noch etwas: Da wir jetzt wohl von allen Verpflichtungen der Föderation gegenüber entbunden sind und unser Land von einer ausländischen Macht bedroht wird sind wir auch nicht länger an unsere Landesgrenzen oder an einen Hilfsauftrag für das Ministerium gebunden. Wir können also unsere Fähigkeiten auch anderen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellen. Damit werden wir die Freiheit zurückerlangen, nur mit Gemeinschaft und vereintem Willen zum Frieden in Freiheit."

"Nichts für ungut, Mr. Davidson, wandte sich Heilerin Silverlake an den Direktor. "Doch die Veelas haben mitgeteilt, dass sie nicht wollen, dass irgendwer außer ihnen Ladonna Montefiori verletzt oder tötet. Wie sollen wir denen das garantieren?"

"Indem wir nicht gegen die dunkle Lady persönlich, sondern um die Freiheit ihrer Mägde und Knechte, Sklavinnen und Sklaven kämpfen, ihr die Macht, die sie sich angeeignet hat, Stück für Stück wieder entreißen. Ich erkenne es an, dass die Veelas und Veelastämmigen diese Irregeleitete als ihre Angelegenheit betrachten, weil in Ladonnas Adern auch ein Viertel Veelablut fließt. Aber das darf uns nicht daran hindern, gegen die Auswüchse ihres Größenwahns anzukämpfen." Dem stimmten alle durch Nicken zu. Das Laveau-Institut hatte ab heute eine neue Rangstellung und eine schwere, vielleicht unlösbare Aufgabe zu bewältigen. Alleine konnten sie es nicht schaffen. Doch wie eine Insel dem aufbrausenden Weltmeer trotzen kann, so wollten sie alle gegen die von allen Seiten anbrandende Unfreiheit kämpfen, die sich als Frieden und Aufschwung der magischen Welt verkaufte und womöglich in die völlige Selbstvernichtung der Menschheit führte.

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Hauptquartier der illegalen Organisation Rostrotes Rechteck, East New York im Bezirk Brooklyn, 03.05.2006, 23:45 Uhr Ortszeit

Sieben Personen saßen am rechteckigen Tisch in jenem ABC-Bunker unterhalb der Gaststätte Bennys Frühstücksbar. Vor Kopf saß die Person, die sich von den je drei anderen an den Längsseiten sitzenden Faktor I nennen ließ. Faktor I trug eine rostrote Ganzkörperschutzausrüstung mit Helm und verspiegeltem Visier. Dazu rostrote Handschuhe, die zugleich auch als Eingabegeräte für die hinter den Wänden versteckte Elektronik dienten. Die anderen sechs trugen rostrote Overalls und Gesichtsmasken und nur leichte Lederhandschuhe, um Alter, Geschlecht und Hautfarbe zu verbergen. Zum selben Zweck benutzten sie alle hier elektronische Stimmensynthesizer.

Wie magisch wirkte es, als Faktor I mit den Handschuhen und Fingerstellungen drei der vier Plasmamonitore, die in einem von der Decke herabhängenden Würfel über dem Tisch angebracht waren, darauf einstimmte, die Bilder der vergangenen Stunden zu zeigen, wie sie sowohl von den Medien in alle Welt verbreitet worden waren als auch aus streng geheimen Datenspeichern von FBI und Heimatschutzministerium herauskopiert worden waren. Die sechs am Tisch sitzenden, die von Faktor II bis VII durchnummeriert waren, fragten nicht nach, warum sich Faktor I für den Hinterhalt für einen einfachen Times-Reporter interessierte. Immer wieder hielt Faktor I die Bildwiedergabe an und kommentierte das gerade sichtbare Einzelbild. Als die Vorführung beendet war schnippte Faktor I mit den Fingern der rechten Hand. Die Plasmamonitore erloschen.

"Ihr fragt euch natürlich, weshalb ich euch diese wie aus einem Aktionskrimi stammenden Videos zeige", quäkte Faktor Is Stimmensynthesizer. Hierzu hört euch noch das hier an!" Faktor I schnippte mit den Fingern der linken Hand. Das sonst beherrschende Rauschen in den Wänden verstummte mit einem leisen Knacklaut. Dann deutete Faktor I mit dem linken Zeigefinger nach oben und wieder nach unten. Auf dem der Kopfseite des Tisches zugekehrten Plasmamonitor erschien eine Auswahlliste. Faktor I deutete auf einen Punkt der Liste und krümmte den Zeigefinger. Da erklang aus versteckten Lautsprechern die Aufzeichnung eines mitgeschnittenen Telefongespräches vom Morgen des dritten Mais, bei dem das Anschlagsopfer dazu angeregt wurde, wegen des roten Adlers zu jener Stelle in der Bronx hinzufahren, wo der Anschlag passiert war. Es folgte noch ein Telefongespräch zwischen dem Opfer und dessen direktem Vorgesetzten. Dann knackte es wieder in den Lautsprechern, und das gegen Abhörgeräte wirkende Rauschen erklang wieder.

"Paredes ist eindeutig gestorben, und die, die ihn beerben wollten haben sich bis auf zwei Gruppen gegenseitig abgemurkst, Faktor I", quäkte die in der Tonlage etwas höhere Kunststimme der Person, die hier von allen Faktor IV genannt werden sollte. So leise zu sprechen, dass die wahre Stimme nicht zu hören war und nur der Stimmensynthesizer klar zu verstehen war galt hier als Lebensversicherung.

"Ja, das ist bekannt. Doch richtig interessant ist, dass die Stimme des Anrufers einem Mann gehört, der nach unseren zuverlässigen Kenntnissen gerade im Zeugenschutzprogramm des FBIs in Montana untergebracht ist und sicher nicht riskiert, nach New York zu kommen, wo hier noch einige Gläubiger wohnen, denen er was schuldet. Der Anruf wurde aber von einem Mobiltelefon mit nicht mehr nachzuverfolgender Vorbezahlkarte über einen Funkmast in der Bronx getätigt. aber zu der Zeit war da sicher mehr Autoverkehr zu hören als es war. Eine weitere Merkwürdigkeit ist, dass zum Anrufzeitpunkt keine Polizei- oder Ambulanzsirene zu hören ist. Ich habe es mal gegengeprüft. Da hätte mindestens ein Ambulanzwagen vorbeifahren müssen. Und im Umkreis von zwei Kilometern des Funkmastes gab es drei Polizeieinsätze mit Sirene und Rotlicht. Die konnte ich aber beim Herausfiltern der Stimmen und anschließender Hintergrundverstärkung nicht hören, und auch die auf die typischen Frequenzen von Polizeisirenen kalibrierte Geräuschanalysesoftware, die auch uns hier vor anrückender Polizei warnen kann, wenn Ohren sie noch nicht hören, konnte kein noch so leises Sirenengeheul erfassen. Trotzdem ist dieses Telefongespräch kein einfacher Zusammenschnitt einzelner Passagen, sondern von beiden Seiten her ein durchgehender Audiodatenfluss. Das heißt, jemand hat mit der Stimme von Alonso Gonzales, der bei den Times-Reportern auch als Chili Verde in den Akten steht, die Ansagen gemacht, und Jeff Bristol hat so dazwischengesprochen, dass es ein sauberer Dialog mit Fragen und Antworten wurde. Sorum geht es also auch, werte Mitfaktoren", legte Faktor Is Stimmensynthesizer dar.

"Öhm, wusste Jeff Bristol davon, dass sein Informant nicht mehr in New York ist, beziehungsweise, dass er im Zeugenschutzprogramm untergekommen ist?" fragte Faktor IV, zuständig für internationale Verbrechernetzwerke.

"Der letzte Kontakt zwischen der Times und Chili Verde fand vor einem Jahr statt und betraf ein Konkurrenzsyndikat von Paredes, das sich im Latinobezirk von Harlem ein Labor für kristallines Metamphetamin einrichten wollte. Die Feds haben den Laden hochgenommen. Aber Gonzales alias Chili Verde ist nicht deshalb von den Feds übernommen worden, sondern wegen der Angelegenheit zwischen Pedro Murillo und dem eisernen Kleeblatt. Die Iren wollten mit Murillos Schleuser- und Waffenschmugglerbande ins Geschäft kommen. Das hat Gonzales gleich den Feds zugespielt, weil er wusste, dass die einen oder anderen ihn sofort umbringen, wenn er einen falschen Ton singt."

"Wir könnten sicher eine Menge Geld machen, wenn wir den Aufenthaltsort von Gonzales im Dunkelnetz versteigern", meinte Faktor IV.

"Jaja, und die den Zuschlag nicht kriegen suchen dann nach uns, weil sie auf jeden Fall den Aufenthaltsort wissen wollen", wies Faktor I den Vorschlag zurück. Dann schnippte die vollständig vermummte Person am Kopfende des Tisches noch einmal mit den Fingern der rechten Hand. Die Monitore leuchteten wieder auf. Mit weiteren wie magische Gesten aussehenden Handbewegungen holte Faktor I einen Straßenzug auf die für alle sichtbaren Schirme. Rechts oben stand der Name "Brewster, New York" und der Straßenname. Zu sehen war ein Grundstück, auf dem die Trümmer eines offenbar durch eine schwere Explosion zerstörten und niedergebrannten Hauses mit ebenso verkohltem Vorgarten hervorgehoben wurden. "Die von mir beauftragte Schutzmannschaft, die Bristols kleine gutbürgerliche Familie überwachen sollte, fragte mich kurz nach der Meldung über den Hinterhalt in der Bronx, ob sie noch in der Nähe des Hauses bleiben sollten, wo sie gerade so viel Glück hatten, nicht mit in die Explosion mit anschließendem Höllenfeuer hineingezogen worden zu sein. Die haben dann von fünf Feuerwehrzügen berichtet, die versucht haben, die Flammen zu löschen und es gerade noch geschafft haben, die Nachbargrundstücke vor Feuer zu schützen. Die Schlafmützen haben erst was mitbekommen, als die Explosion passiert ist. Da habe ich die Daten vom New Yorker Feuerwehrdepartment überprüft und tatsächlich einen für den Zeitraum eingetragenen Großeinsatz gefunden. Die Brandermittlung läuft noch. Aber ich habe auch in unserem Flüsterkeller mitgehört, dass Jennings und O'Connor aus der Kleeblattbande den Auftrag hatten, von der Kanalisation her eine schwere Spreng- und Brandbombe unter dem Haus zu parken und dann zu zünden, wenn garantiert ist, dass alle drei im Haus sind. Tja, und O'Connor beklagt, dass sie den Zeitzünder nicht richtig eingestellt haben, nicht auf Nachmittag, sondern auf Vormittag, diese Vollidioten. Aber ob das echt ein Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Vorfälle ist oder ein von langer Hand geplantes Absetzmanöver muss sich noch zeigen. Jedenfalls dauert es noch, bis die Brandermittler alle Spuren gesichert haben.

"Ach, das Kleeblatt um Mr. Cardigan", erwiderte die synthetische Stimme von Faktor IV. "Wird der etwa jetzt nervös, weil Huggins angedroht hat, mehr auszuplaudern, nachdem er den Betriebsanwalt Branigan gefeuert hat?"

"Wo du das sagst, Faktor Iv frage ich doch jetzt mal, warum keiner deiner Feuermelder gepiept hat, dass Cardigan sich nicht an das Stillhaltegebot seines Anwalts gehalten hat. Welchen Grund sollte der haben, einen von vielen Journalisten umzubringen, die über ihn und seine Geschäfte schreiben wollen? Nein, das mit dem Exempel glaube ich nicht. Da muss was schwerwiegendes passiert sein, was du nicht mitbekommen hast, Faktor IV. Überhaupt, dass ich für dich in den Flüsterkeller gehen musste um auf die Echos geflüsterter Worte zu hören ist schon fragwürdig", erwiderte Faktor I. Dann sagte die so benannte Person zu einer der nur mit einfachem Überwurf und Gesichtsmaske verhüllten: "Faktor II, du bist ja unser Stetoskop, was die Rechtsmedizin angeht. Bleib dran, wie die Untersuchung von Bristols Leiche laufen. Kommt da auch nur eine Unregelmäßigkeit auf will ich das sofort wissen. Faktor IV, du gehst die nächsten zwei Tage in den Flüsterkeller und hörst vor allem, was die Iren und Neapolitaner so aushecken! Kommt dabei was für uns interessantes oder bedrohliches zu Tage gilt für dich dasselbe wie für Faktor II, verstanden?"

"Verstanden, Faktor I", bestätigte die mit Faktor IV angesprochene Person.

"Und noch ein merkwürdiger Zufall", quäkte Faktor Is Stimmensynthesizer, "Mit der üblichen Verzögerung erfuhr ich vor einer Stunde, dass ungefähr zur gleichen Zeit, zu der die Familie Bristol auf tragische Weise ums Leben kam, ein verpatzter Festnahmeversuch eines angeblichen Maulwurfes, besser einer Maulwürfin, in der CIA-Zentrale stattfand. Die angebliche Verräterin mit Codenamen Wixen sollte von dem Für die Sektion "Interne Sicherheit" zuständigen Kollegen Ira Waterford festgenommen werden. Dabei kam es zum Schusswaffengebrauch. Die Verdächtige starb, nachdem sie Waterford und einen seiner beiden Begleiter verletzt hatte. Offenbar hatte dieser Waterford die Nerven verloren und einen tödlichen Schuss angebracht, statt die Verdächtige kampfunfähig zu machen, um sie später zu verhören, was eigentlich das oberste Ziel einer sich mit dem Wort Intelligenz schmückenden Firma sein sollte. Jedenfalls haben sie Waterford in ein Erholungsheim gebracht, damit er dort Zeit und Ruhe hat, über den Vorfall genau nachzudenken. Was genau diese Wixen erkundet und wem sie es weitergegeben hat liegt auf den Festplatten in den geheimen Stahlkammern der CIA, an die ja nur drankommt, wer ins Haus kommt. Das wir das überhaupt mitbekommen haben liegt an unserem echten Maulwurf bei den Schlapphüten. Aber schon seltsam, dass das zur selben Zeit passiert ist wie der Hinterhalt für Jeff Bristol und die Bombe unter dem Haus seiner Familie."

"Sieht voll danach aus, als hätten die alle von irgendwo ein Signal gekriegt, möglichst spektakulär abzutreten", vermutete Faktor V, eigentlich Zuständig für Waffentransfers und somit auch darauf bedacht, nicht mit den Bauernburschen aus Virginia zusammenzustoßen.

"Ja, ein Signal, das kein Mobilfunküberwacher und kein Internetknotenpunkt mitbekommen hat", sagte Faktor I und legte noch einen nach. "Ja, und wo ich einmal dabei war, alle zum fraglichen Todeszeitpunkt stattfindenden Sterbeereignisse zu vergleichen fand ich raus, dass es insgesamt zwölf in nicht ganz unwichtigen Positionen stehende Leute gab, die entweder spurlos verschwanden wie weggebeamt oder sich auf unbestimmte Zeit von ihrer Arbeit abgemeldet haben. Vier von denen haben auch Familie und sind ohne Krach mit der zuständigen Schulbehörde mit den Kindern abgereist. Ja, und jetzt kommt's, die Kinder von denen waren in keinem Schulregister verzeichnet, obwohl einige von denen schon mehr als sieben Jahre alt waren. Womöglich müssen wir unsere Wachhundprogramme in anderen Behörden unterbringen. Jedenfalls verschwanden oder verstarben heute zwölf erwachsene und fünf Kinder fast genau zur selben Zeit wie Jeff Bristol und seine Familie."

"Vielleicht haben die einen Mobiltelefonanruf bekommen", setzte Faktor IV an und ließ den Stimmensynthesizer deklamieren:

"Des Waldes Dunkel zieht mich an.
Doch muss zu meinem Wort ich steh'n
und Meilen geh'n
bevor ich schlafen kann."

"Jaja, wie witzig", quäkte Faktor Vs Stimmensynthesizer. Fast hätten die fünf anderen Faktoren losgelacht. Doch gerade rechtzeitig sahen sie wohl, dass Faktor I die rechte Hand mit ausgestrecktem Daumen hob, das Zeichen, bloß ruhig zu sein. Wer jetzt noch was mit eigener Stimme äußerte fiel womöglich tot vom Stuhl. Einige bange Sekunden war nur das Säuseln der Belüftungsanlage und das Rauschen der Abhörüberlagerungslautsprecher zu hören. Dann ertönte Faktor Is Stimmensynthesizer erneut: "Nein, so lief das wohl nicht. Ich denke eher, die bewussten Personen drohten aufzufliegen oder wurden auf eine nicht im Internet stattfindende Weise gewarnt, Satellitenfunk im Ohr - oder Ehering, wie bei einer Folge der Neuauflage von "Auftrag: Unmöglich". Arthur C. Clarkes drittes Gesetz sagt, dass weit genug fortgeschrittene Technologie von Magie nicht zu unterscheiden ist."

"Ja, und wenn es die Kundschafter von Außerirdischen sind, Klone von irdischen Amtspersonen, Reportern und was sonst noch?" fragte Faktor II.

"Dann können wir gleich auch von echter Magie reden, eine Botschaft aus dem Jenseits, Telepathie und so weiter", legte Faktor IV nach.

"Gut, jetzt artet das in wilden Spekulationen aus, für die wir keine Zeit haben", fing Faktor I die nun sprießenden Phantasien der anderen wieder ein. "Fakt ist, unser Mitarbeiter bei der Times ist aus der Welt, so oder so. Da die Times genauso wichtig ist wie die bundesweiten Fernsehsender brauchen wir wen neues, der oder die im Außendienst tätig ist. Ich werde mich darum kümmern. Ihr anderen besinnt euch weiter auf eure Aufgabenbereiche. Faktor II, wenn was über Bristols Leiche zu kriegen ist sofort an mich weitergeben!" Faktor II nickte.

Nun ging es noch um die örtlichen Unternehmungen, für die vor allem Faktor VI zuständig war und um eine "Firmenübernahme" in Los Angeles, wofür Faktor VII als Mittler zwischen Ost- und Westküste zuständig war. Über die außeramerikanischen Angelegenheiten wollte das Führungsseptett erst wieder bei der nächsten regulären Vollversammlung sprechen, wenn die noch erwarteten Berichte eingetroffen waren.

Jene Person, die als Faktor I auftrat dachte jedoch immer wieder daran, dass heute jemand mal eben ausgefallen war, der noch wichtige Türen hätte auftun können. Mike Dunston würde nicht ausplaudern, was er über Faktor I wusste. Womöglich konnte die Organisation es ihm sogar so verkaufen, dass Chili Verde für sie gearbeitet und Jeff die tödliche Falle gestellt hatte, weil er doch ein wenig zu vorwitzig gewesen war. Das sollte ihn ruhighalten. Doch falls sich erweisen sollte, dass Jeff Bristol nicht wirklich gestorben war gab es einen Unsicherheitsfaktor, der möglichst rasch und gründlich ausgeräumt werden musste. Faktor I war froh, dass das verspiegelte Visier des als Vermummung und Schutz gleichermaßen getragenen Helmes keine Gesichtsregung sehen ließ. Denn im Augenblick dachte die darunter verborgene Person darüber nach, ob das Gerede von übernatürlichen Mächten nicht doch einen wahren Kern haben konnte. Dann stand die Organisation womöglich auf einem rasiermesserscharfem Drahtseil über einem Abgrund voller Lava.

Faktor I wusste, dass es ging, sich so gründlich totzustellen, dass keiner mehr nach einem suchen würde. Womöglich hatten die siebzehn Verschwundenen etwas ähnliches getan. Dann sollten sie ja aufpassen, nicht an irgendeiner videoüberwachten Tankstelle in Texas oder einer Burgerbude in Arcansas wieder aufzutauchen. Denn wer schon für tot erklärt war, konnte nicht mehr ermordet werden.

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In Ladonnas Residenz bei Florenz, 04.05.2006,

Luigi schlief noch tief und fest, weil dessen Herrin es so wollte. Als sie um wenige Minuten nach fünf Uhr selbst von einem Gedankenruf aus dem Schlaf gerissen wurde war sie schon sehr ungehalten. Doch richtig wütend wurde sie, als sie von ihrem italienischen Statthalter Barbanera erfuhr, dass es nicht gelungen war, alle Außendienstmitarbeiter des Laveau-Institutes festnehmen und an einem sicheren Ort zusammenbringen zu lassen. Die Unkenntnis, dass diese Gefahrenfänger bei vollständiger Abwesenheit von Personen an ihren Entstehungsort zurückkehrten und dort Meldung machten, und dass sie deshalb mehr als eine Stunde vertan hatte, um Atalanta genug Wissen zu entreißen, um ihre getarnte Statthalterin Ashton Underwood damit zu versorgen, hatte gereicht, dass das selbstherrliche multikulturelle Moralanspruchsinstitut alle seine Leute hatte warnen und in Sicherheit bringen können. Zwar hatte Ashton Underwood in gewisser Voraussicht verbreiten lassen, dass es Stimmen gegen den Föderationsrat geben würde, die von einer neuerlichen Unterwanderung, ja Unterwerfung sprechen mochten. Doch es war und blieb sehr ärgerlich, dass die fähigsten Kenner dunkler Zauber aus verschiedenen Kulturkreisen scheinbar spurlos verschwunden waren. Bei einigen war es aber wohl nötig, einen spektakulären Abgang zu inszenieren, um die nichtmagische Welt davon zu überzeugen, dass sie gestorben waren. Doch wo waren die jetzt hin? Wie kam sie an sie heran? Hielten die vom LI noch irgendwelche Verbindungen mit anderen ihr widerstrebenden Einzelwesen oder Gruppen?

Sie teilte ihrer Statthalterin in Nordamerika mit, dass sie bis zur Entsendung der nächsten Vereinigungskerze den Plan mit dem Versteck vor den Helfershelfern der Kobolde fortführen sollte. Falls die vom LI bis dahin irgendwelche Behauptungen veröffentlichen wollten sollte sie diese als Teil der Destabilisierungsstrategie darstellen.

Sie dachte an ihren Garten draußen auf dem Grundstück. Da steckte seit gestern eine langstielige Rose mit goldgelbem Blütenkelch im Beet. Von ihr erhoffte sie sich eigentlich die reibungslose Führung der nordamerikanischen Föderation und eine baldige Vereinigung mit der südamerikanischen Konföderation, um sie der Koalition der Verbundenheit und des friedlichen Miteinanders einzugliedern. Dann konnte sie für die nächste Mitgliederversammlung der internationalen Zaubererweltkonföderation genug Gewicht aufbringen, um auch die afrikanischen und asiatischen Mitglieder zu unterwerfen, selbst wenn sie den Chinesen und Japanern nicht so recht über den Weg traute. Die Konferenz sollte am 15. Mai stattfinden. Bis dahin musste Nordamerika ihr ganz unterworfen sein.

Ihre Wut bekam im Laufe des Vormittags noch mehr Brennstoff, als sie von ihrem spanischen Statthalter Pataleón erfuhr, dass er versucht habe, die französische Zaubereiministerin zu einer Konferenz aller Mittelmeeranrainer einzuladen. Das hatte sie ihm nicht befohlen und noch weniger erlaubt. Wieso kam der jetzt darauf? Als er ihr eingestand, dass es nur so möglich sei, Ventvit als Störfaktor der internationalen Einheit zu beseitigen fragte sie ihn, wielange er noch zu leben gedenke. Dann schleuderte sie ihm wütende Gedanken entgegen, dass Ventvit spüren würde, wenn jemand von ihr, der Königin, "gesegnet" sei, weil sie ja selbst den Segen einer Veelastämmigen erhalten habe. Genau deshalb müsste verhindert werden, dass Ventvit irgendwo anwesend sei, wo auch ihre Feuerrosendiener seien. Auch brächte es nichts, sie bei einer solchen Konferenz zu töten, weil das auffallen musste. "So denke nicht mehr daran, dich mit dieser von einem fragwürdigen Zauber erfüllten Hexe zu treffen!" schickte sie ihm noch zu.

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Paris, Millemerveilles, 04.05.2006

Es war zwei Tage nach Aurores sechstem Geburtstag. Julius wachte um halb fünf morgens auf, weil es in seinem Practicus-Brustbeutel auf dem Nachttisch vibrierte. Jemand wünschte ihn über Zweiwegespiegel zu sprechen. Er tastete danach, welcher es war und fand heraus, dass es der mit dem Kelchsymbol war, der mit Sophia Whitesand verbunden war. Er hielt den Spiegel vor sein noch verschlafen wirkendes Gesicht und wisperte "Guten Morgen, Madam Whitesand!"

"Guten Morgen Julius. Ich weiß, bei euch ist es auch früh. Aber das muss ich an alle weitermelden, die mir wichtig sind. Es sieht danach aus, dass Ladonna sich Atalanta Bullhorn Untertan gemacht hat und über die auch an die anderen siebzehn Nordamerikaner herankommt."

Jetzt war Julius hellwach. Nicht, dass ihn diese Nachricht so erschreckte, weil er nie damit gerechnet hatte, sondern weil ihm schlagartig in den Sinn kam, wer jetzt alles gefährdet war. "Die kam mit ihrer Rauchkerze nach Viento del Sol rein?" fragte er leise und fühlte, wie Millie neben ihm ebenfalls zusammenfuhr. "Nein, Julius. Sie hat sie rausgelockt, oder besser rauslocken lassen, von bereits von ihr kompromittierten Südamerikanern."

"Quod erat expectandum!" schnaubte Julius. Er stellte sich vor, dass Ladonna auf diese Weise auch wichtige Leute aus dem Zaubereiministerium bekommen hätte, wenn nicht die neue Silberrosenpatrouille eingerichtet worden wäre.

"Man hat sie ja mehrfach gewarnt. Aber als große Majorin der Inobskuratorentruppe hielt sie sich offenbar für gut genug gerüstet. Ach ja, was dich auch noch interessieren sollte ist, dass das Marie-Laveau-Institut in New Orleans bis auf weiteres abgetaucht ist wie euer gelbes U-Boot. Offenbar suchen die einen Weg, die Lage wieder zu bereinigen. - Aber du fragst mich ja gar nicht, woher ich das weiß", sagte die altehrwürdige, sehr kundige und mächtige Hexe mit dem weißblonden Haaren und der goldenen Halbmondbrille, die wie die aussah, die ihr verstorbener Vetter getragen hatte. Julius sang weil Millie schon wach war die Kehrreimzeilen aus einem Lied der Eurhythmics und Aretha Franklin. "Jaja, auch wenn du noch leicht verschlafen klingst hast du immer noch eine schöne Singstimme, Jungchen", lachte Sophia Whitesand. Millie kicherte und grummelte dann: "Hat sich Ladonna zur Mutter aller schweigsamen Schwestern erklärt oder was?"

"Dann würde sie jetzt wohl zu uns sprechen, Millie", kam Julius Sophia zuvor. Deren Gesicht starrte ihn erst perplex an und sagte dann: "Wenn dem so wäre käme sie persönlich vorbei um vor Millemerveilles zu warten, bis du herauskommst, wie die Katz vvor'm Loch vom Ratz."

"Quiek Quiek", erwiderte Julius. Millie pickte ihm mit der linken Hand den Spiegel aus der Hand, blickte hinein und sagte in einem ganz ruhigen Ton: "Madam Whitesand, was immer Ladonna jetzt geschafft hat, wir sind immer noch mehr als die, ob ich bei Ihnen mitmarschiere oder mit anderen zusammenstehe. Aber was hat die jetzt echt gelandet?"

"Ganz Amerika, Madame Latierre", erwiderte Sophia Whitesand in lupenreinem Französisch. "Autsch! Dabei hieß es doch immer, VDS sei so sicher wegen des Feindeswehrzaubers. Die kam da dochnicht rein, oder?"

"Das habe ich eben deinem Gatten erzählt, dass sie eben nicht in Viento del Sol war, sondern die Ratssprecherin zu einer angeblich klärenden Unterredung mit südamerikanischen Delegierten und dem spanischen Zaubereiminister gelockt hat. Danach hat sie den anderen Räten aufgetischt, VDS würde gleich von nichtmagischen Luftkriegern mit Spreng- und Brandbomben beworfen, die sich nicht um den Zauber kümmern sollten. Die hat drauf gesetzt, dass die anderen keine Ahnung haben, dass der Feindeswehrzauber auch den Todeswillen eines Feindes in toten Dingen erspürt. Weiß ich auch von wem, dessen Namen ich nicht nennen darf."

"Ich dachte Tom Riddle sei tot und nicht als Geist wiedergekommen", flachste Julius. "Schwatzfratz in Grün", erwiderte Sophia Whitesand ohne Anflug von Erschrockenheit oder Verärgerung. "Viento del Sol ist noch sicher. Aber wenn der Rat jetzt außerhalb davon tagt, noch dazu an einem Ort, an den kein Feind Ladonnas hinkommen kann, stehen den beiden Amerikas düstere Zeiten bevor. Da ihr beiden hübschen genug Leute da kennt beschloss ich, euch das zu sagen, bevor ihr mitten am Tag vom Stuhl fallt."

"Ja, danke für die Nachricht, Madam Whitesand", sagte Julius und nahm den Spiegel behutsam aus Millies Hand zurück. "Ich hoffe mal, ihr kommt gut durch die nächste Zeit. Halte dir den Kontakt mit den Veelas warm, Julius. Das sind die einzigen, vor denen diese Schurkin Angst hat ... ja und die andere dunkle Dame mit dem brennenden Schwert." Julius bestätigte das. Dann verschwand Sophias Gesicht aus dem Spiegel und sein eigenes, jetzt nicht mehr verschlafen wirkendes Gesicht blickte ihn mit noch leicht vom Schlafsand verkrusteten Augen an.

"Die weckt uns auf, haut uns so eine Geschichte an die Köpfe und wünscht unds noch eine gute Zeit", motzte Millie. Julius musste an die Prophezeiung dunkler Zeiten denken, die angeblich mit seinem Ausflug zur Festung des alten Wissens eingeläutet worden sein sollte. Doch das war gequirlter Mumpitz, dachte er über sich selbst verärgert. Die hatten es damals von Iaxathans Erben, nicht von Ladonna. Doch war Ladonna nicht im Grunde die Erbin Sardonias? Mit Sardonia war auch ein dunkles Zeitalter angebrochen, das hundert Jahre lang gedauert hatte.

Wegen der Kinder sprachen die Eheleute nicht über die nächtliche Anruferin. Sie bemühten sich, für die Kinder eine ruhige, mal strenge, mal heitere Atmosphäre aufrechtzuerhalten. Béatrice mochte es ihnen ansehen. Doch auch sie nahm Rücksicht wegen der Kinder.

Wie gut es war, dass er vorgewarnt war bekam Julius gleich in der ersten Stunde des Arbeitstages mit. May Baywater hatte eine Rundmail an wenige ausgesuchte Empfänger geschickt, darunter Bärbel Weizengolds Adresse und die der Japanerin Daidoji, die Julius bei der Blickschutzkonferenz in Kyoto kennengelernt hatte.

An alle, denen wir noch vertrauen können und von denen wir wissen, dass sie das nicht für paranoides Geschwätz halten!

Gestern wurden unsere Befürchtungen zur grausamen Gewissheit. Die in Italien wohnende Erzdunkelhexe Ladonna Montefiori, auch bekannt als die Wiedererwachte, die schwarze Hybridin oder die Rosenkönigin, hat durch einen erfolgreichen Schachzug die Kontrolle über den Rat der Föderation nordamerikanischer Hexen und Zauberer übernommen. Damit steht uns eine Zeit der großen Ungewissheiten bevor. Das Marie-Laveau-Institut sah sich auf Grund dieser erwiesenen Umstände gezwungen, alle öffentlichen Kontakte bis auf weiteres zu unterbrechen, bis geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, um die Lage nicht nur bei uns sondern überall dort, wo die oben benannte Dunkelhexe unrechtmäßig an die Macht kam die früheren Verhältnisse wieder hergestellt werden können. Wir weisen darauf hin, dass jede Nachricht, die nicht über diese Adresse oder von der noch im Mutterschutz befindlichen Kollegin Merryweather stammt mit äußerster Vorsicht zu genießen ist, was Wahrheit und Auswirkungen angeht. Wie erwähnt: Ladonna Montefiori hat die Föderationsrätin Bullhorn unterworfen und somit auch Zugriff auf den restlichen Föderationsrat. Bis auf weiteres stellen wir jede öffentliche Betätigung ein, um uns auf die Abwehr dieser schwelenden Gefahr zu konzentrieren.

May Baywater, Laveau-Institut

"Da steht nicht, wie sie das hingekriegt haben soll", sagte Jacqueline Richelieu verdrossen. "Ist VDS doch nicht so sicher wie Millemerveilles? Oder sind beide Orte nicht sicher genug?" wollte sie wissen.

"Jacquie, womöglich hat sie Bullhorn aus VDS hinausgelockt. Das LI plaudert auch nicht alles aus, was es weiß, bis es unbedingt nötig ist", sagte Julius. "Aber woher sollen wir dann wissen, wie wir uns selbst davor schützen?" fragte Jacqueline Richelieu. Julius wusste es nicht. Er wusste nur, dass er die Nachricht an Nathalie und die Ministerin weitergeben musste. Vorsorglich druckte er schon genug Exemplare aus, um auch Brunos Vater oder andere Behördenleiter zu informieren.

Auf dem Weg durch das Ministeriumsgebäude verspürte er immer wieder die Nähe einer Veelastämmigen. Dann erreichte er Nathalies Büro. Sie war bereits informiert, wollte aber nicht verraten, von wem und wie. Doch sie nahm den für sie bestimmten Computerausdruck. "Wieviele davon haben Sie erstellen lassen, Monsieur Latierre?" Er zählte es auf. "Dann muss einer zu Händen der Ministerin, zu Händen von Monsieur Chevallier und auch einer zu Händen von Madame Barbara Latierre!" legte sie fest.

Vor dem Mittagessen rief die Ministerin per Memoflieger alle Abteilungsleiter und den Veelabeauftragten in ihr Büro. Unterwegs dorthin traf Julius Laure Montèté, die zur gerade patrouillierenden Fünfergruppe gehörte. "Auch auf dem Weg zur Ministerin", fragte sie Julius. Dieser bejahte es. "Hoffentlich kann was auch immer noch abgewehrt werden", sagte sie. Julius hoffte es auch.

Außer der Ministerin und allen Abteilungsleitern befanden sich noch der britische Zaubereiminister Shacklebolt in Begleitung Fleur Weasleys sowie die griechische Beraterin für Zauberwesen und Zaubertränke zur besonderen Verwendung Alexia Daphne Tachydromos im Konferenzraum. Julius fragte sich, was die Hexe aus Griechenland und Kingsley Shacklebolt hier wollten. Dann erfuhr er es.

"Messieursdames, der Fall "Inseln im Ozean" ist eingetreten. So haben mein Kollege aus London und mein Kollege aus Athen, der leider wegen unaufschiebbarer Termine nicht aus seinem Büro konnte den Fall genannt, indem Ladonna Montefiori über neunzig Prozent Europas und der von Europäern kolonisierten gebiete Amerikas unterworfen hat. Jetzt sind nur noch die Ministerien Frankreichs, Griechenlands und Großbritanniens frei von ihrem Einfluss. Die asiatischen und afrikanischen Länder könnten in den nächsten Tagen oder Wochen an sie fallen, sofern es uns nicht gelingt, einen möglichen Anschlag auf die internationale Zaubererweltkonföderation zu verhindern. Feststeht auf jeden Fall, dass wir alle von einer einzigen, größenwahnsinnigen Hexe bedroht werden, die sich durch ein bis dahin unvorstellbares Machtmittel die Gefolgschaft von hunderten oder tausenden einst ehrbaren Hexen und Zauberern sichern kann. Wo Sardonia durch Intrigen, Angst und Demütigungen, Grindelwald durch Verlogenheit, Überredungskunst und Terror regiert hat, was auch für Tom Riddle kennzeichnend war, so kann Ladonna Montefiori auf Angst, Wut auf die nichtmagische Welt und Intrigen zurückgreifen, aber vor allem auf ihre mächtigste Waffe, eine aus ihrem Haar und wohl Monatsblut und Wachs hergestellte Kerze, die von ihr und nur von ihr dahingehend bezaubert wird, ihren Willen auf andere Menschen zu übertragen, sie zu willigen Untergebenen zu machen. All das wusste meine Kollegin Bullhorn. Dennoch hat sie sich dazu verleiten lassen, an einen unzureichend gesicherten Ort zu reisen und dieser Person in die Hände zu fallen. Daher habe ich Minister Shacklebolt und Kirie Tachydromos zu einer spontanen, nicht all zu weit bekannt gewordenen Konferenz eingeladen, um unsere Kräfte zu bündeln und zu sichern, dass nicht auch der Rest der Welt in Ladonnas Hände fällt."

Nach dieser langen Einleitung ging es darum, was über Ladonnas neuesten Coup bekannt war und wie Bullhorn wohl verhindern wollte, dass auch sie der Feuerrose zum Opfer fiel. Julius hörte jetzt zum ersten mal was von Gefahrenfängern, Zaubervorrichtungen, die als gefährlich erkannte Gegenstände ergriffen und ohne weiteren Verzug mit ihnen weggeportschlüsselt wurden. Doch offenbar hatte sich Ladonna nach der ersten Konfrontation mit einem solchen Wächterartefakt darauf eingestellt und dieser Vorrichtung was entgegengesetzt. Sicher war nur, dass Frankreich, Griechenland und Großbritannien aus bestimmten Gründen die einzigen magischen Gemeinschaften des europäischen Kulturkreises waren, die noch widerstanden. Alexia Tachydromos erwähnte, dass Griechenland durch die Töchter der Hekate, einem uralten Hexenbund, vor ausländischen Angriffen bewahrt wurde. Selbst Grindelwald und der britische Schwerstverbrecher Tom Riddle alias Lord Voldemort seien an dieser ehernen Schwesternschaft gescheitert. Auf die Frage, ob Alexia dazugehörte erwiderte diese: "Das darf ich nicht verraten. Nur soviel: Mir wurde wie dem Minister aufgetragen, zwischen diesen und dem Ministerium zu vermitteln, da sie nur mit Hexen sprechen möchten. Jedenfalls ist Griechenland bis auf weiteres sicher vor unerwünschten Rosenboten. Ja, und wo eine Veela ist, da mag Ladonnas Macht nicht wirken. Doch wir erinnern uns gut an den Zwischenfall in Italien, wo die spanische Delegation ihren Sportabteilungsleiter Mitbrachte, der ein Veelastämmiger ist. Er wurde an den Rand des Todes getrieben. Also die werte Dame mit den langen Silberhaaren, wenn Sie auf eine Konferenz gehen schützen Sie sich gut gegen Pfeile und Zauberflüche!" Fleur Weasley sah die Griechin verdrossen an. Doch dann nickte sie.

Was Großbritannien anging vermutete Shacklebolt, dass Ladonna deshalb noch nichts unternahm, weil er ebenfalls Kontakt zu Veelas hielt und sich ihm deshalb nicht nähern könne. Doch sie könnte versuchen, ihm liebe und wichtige Menschen in seinem Umkreis zu bedrohen oder gegen ihn zu instrumentalisieren. Darauf sei er jetzt soweit er könne vorbereitet. Fleur nickte nur. Durfte sie hier nichts sagen? Julius fühlte auch ihre Veela-Ausstrahlung nicht so stark. Sie floss mit Nathalies und Ornelle Ventvits aufgeprägter Aura zusammen. Vielleicht war es auch das, was die sonst so selbstsichere, ja wegen ihres Aussehens überhebliche Virtelveela ruhighielt.

Auf Ventvits ausdrückliche Aufforderung berichtete Julius nun, was die Zusammenkunft der ältesten Veelas beschlossen und ihn für alle anderen mitgegeben hatte. Fleur verzog ihr Gesicht, musste dann aber wieder nicken. Schließlich hob sie ihre Hand zur Wortmeldung. Sie wandte sich allen zu und sagte mit ihrer glockenreinen Stimme:

"Sie dürfen diese Ankündigung und Drohung auf gar keinen Fall als hilfloses Gerede abtun oder gar dagegen verstoßen. Meine Vorfahren sind sehr stolze Wesen, die sich allen anderen überlegen fühlen. Ladonna ist sozusagen die dunkle Seite ihrer Existenz, die fleischgewordene Mahnung und Drohung, dass es nicht viel braucht, um sie auf die dunkle Seite zu treiben, weg vom Glauben an die Rückkehr zu unser aller Stammutter. Also bitte befolgen Sie, was Monsieur Latierre ausgerichtet hat! Sie dürfen Ladonna fangen und binden. Aber töten dürfen Sie sie nicht. Sternennacht wird auch verlangen, dass die schwarze Hybridin an sie ausgeliefert wird. Falls es gelingt, Ladonna zu ergreifen und zu binden müssen Sie sie dem Ältestenrat übergeben oder haben eine Blutfehde mit ungeahnten Auswirkungen, schlimmer als Ladonnas Schreckensherrschaft sein mag."

"Nun, wenn sie sich weiterhin aus dem Hintergrund betätigt und selbst an ihrem mit schwarzmagischem Blutfeuernebel umschlossenen Zufluchtsort bleibt werden wir wohl nicht in die Verlegenheit geraten, sie zu fangen und zu töten", sagte Alexia Tachydromos eiskalt. Fleur stierte die andere an. Diese blickte die überirdisch schöne Hexe mit Veelaanteilen ebenso streng an und schaffte es, Fleur zurückzucken zu lassen. "Glotzen Sie mich ja nicht noch einmal so verächtlich an, junge Dame!"

"Bitte keinen Streit, die Damen", machte die französische Zaubereiministerin von ihrem Hausrecht gebrauch. Dann versicherte sie, dass man es sich nicht mit den Veelas verderben wolle. Das beruhigte Fleur Weasley. Es ging dann noch um die Kontaktmöglichkeiten. Hier bot sich das Arkanet als schnellste Möglichkeit an. Alexia Tachydromos sicherte allen Anwesenden zu, die entsprechende Fachkraft mit den nötigen Sonderbefugnissen auszustatten. Julius besaß ja schon solche Sonderbefugnisse und konnte noch den Kontakt zum Laveau-Institut halten. Von London her wurde Pina Watermelon, die gerade nicht hier war, als entsprechende Kontaktperson bestimmt, was Julius sehr entgegenkam. Dann sagte Madame Ventvit noch: "Beim jetzigen Stand der Dinge werden wir die Namen der Teilnehmer an der Mitgliederversammlung der internationalen Zaubererkonföderation nicht veröffentlichen, sondern bis zur letzten Minute geheimhalten."

Mit dieser Übereinkunft beschloss die Ministerin diese kurze, spontane Konferenz der drei einzigen europäischen Zaubereiministerien, die noch nicht und hoffentlich auch niemals von Ladonnas Machtgier vereinnahmt worden waren.

ENDE

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