Die Auswirkungen jener weltweiten Welle dunkler Magie, die bei der Vernichtung von Iaxathans Ankergefäß freigesetzt wurde, halten die ganze magische Welt in Atem. Schwarzmagische Gegenstände erwachen zu einem unheilvollen Eigenleben. Für dunkle Kräfte empfängliche Wesen schütteln jahrtausende alte Erstarrungszauber ab oder werden stärker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zaubereiministerien und davon unabhängiger Eingreiftruppen gegen dunkle Künste kommen nicht zur Ruhe. Als dann durch das schwere Seebeben vom 26. Dezember 2004 ein auf dem Meeresgrund liegender Unlichtkristall zerbricht und deshalb eine weltweite Entladung von Erdmagie auslöst gerät die gesamte Gesellschaftsstruktur der magischen Menschheit ins Wanken. Denn die Welle aus Erdmagie trifft dafür empfängliche Wesen wie Kobolde und Zwerge hart bis tödlich. In Australien wird die Koboldbank Gringotts zerstört. Anderswo müssen Filialen schließen. Verschiedene Gruppen versuchen das auszunutzen, um das jahrhundertealte Goldwertbestimmungsmonopol der Kobolde zu beenden. Ebenso wittert in den Vereinigten Staaten ein einzelner Zauberer die Chance, der mächtigste in Nordamerika zu werden: Lionel Buggles. Als dieser dann von der obskuren Gruppe Vita Magica unterworfen wird hilft diese ihm, seinen Traum für einige Monate zu verwirklichen, ganz Nordamerika unter seiner Führung zu vereinen, bis ihm die Führerin der Spinnenhexen für immer Einhalt gebietet.
Julius Latierre wird von Ashtaria beauftragt, einen eigenen Sohn zu zeugen. Da er mit Millie von den Mondtöchtern gesegnet wurde kann er dies jedoch erst nach einer Wartezeit von zwölf Jahren, weil er schon drei Töchter mit Millie hat. Ashtaria schickt Millie einen höchst beängstigenden Traum von einer Zukunft, in der sowohl Lahilliotas neue Ameisenkreaturen, die Nachtschatten der selbsternannten Nachtkaiserin und die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder die Menschheit auslöschen und Ashtarias Macht vollständig verschwinden mag, wenn es keine sieben Heilssternträger mehr gibt. Daher nutzen sie und Julius ein besonderes Gesetz, dass einem Ehemann erlaubt, mit einer unverheirateten Hexe ein Kind zu zeugen, welches die angetraute Frau nicht oder nicht früh genug bekommen kann. Als sogenannte Friedensretterin erwählen beide Millies Tante Béatrice, die seit dem unfreiwilligen Kindersegen in Millemerveilles die zweite Heilerin dort ist. Béatrice geht auf die Bitte ein und verbringt mit Julius mehrere Nächte, während Millie sich in den Künsten der Feuermagier aus dem alten Reich zu ende bilden lässt. Das Vorhaben gelingt. Béatrice empfängt einen Sohn. Kurz nach der erfolgreichen Zeugung wird Millie ebenfalls schwanger. Sie trägt Zwillingstöchter. Sie verzichtet auf ihr Recht, Béatrices Kind als ihres anzunehmen und überlässt den kleinen Félix seiner leiblichen Mutter. Sie selbst bringt in der Walpurgisnacht 2005 die beiden Töchter Flavine und Fylla zur Welt. Julius hat Ashtarias Auftrag ausgeführt. Er wartet darauf, ob und wo er den verwaisten Silberstern entgegennehmen kann. Er muss dafür noch eine gefährliche Aufgabe erledigen. Ashtaria stellt ihm drei zur Auswahl: Das verschollene Buch über das Geheimnis des großen, grauen Eisentrolls, den Zwerge und Kobolde gleichermaßen fürchten zu finden, einen mächtigen Dschinnenkönig finden und verhindern, dass dieser sich wieder zum Herren aller orientalischen Geisterwesen aufschwingt oder eine schwarzmagische Vorrichtung namens "Das Herz von Seth" unschädlich zu machen. Er entscheidet sich für die dritte gefahrvolle Aufgabe. Dank Goldschweif, seiner Temmie-Patrona und einer ausreichenden Dosis Felix Felicis übersteht er die auf dem Weg in die unterirdische Anlage lauernden Fallen und kann gerade noch rechtzeitig verhindern, dass der im Herzen des Seth angesammelte Hass und Zerstörungswille auf einen Schlag freigesetzt werden und damit alle fühlenden Wesen zu Mord und Krieg getrieben werden. . Um die unheilvolle, gewaltige Maschinerie der dunklen Kraft möglichst nie wieder in Gang zu setzen hilft ihm Madame Delamontagnes Hauselfe, den zentralen Raum unbetretbar zu machen. Weil Julius die ihm gestellte Aufgabe erledigt hat darf er das Geburtshaus von Hassan al-Burch Kitab aufsuchen, wo der verwaiste Silberstern liegt. Doch dieses wird von Ilithula, der Abgrundstochter mit Beziehung zu Windmagie bewacht. Er kann sie jedoch austricksen und den Heilsstern an sich nehmen. Zusammen mit den sechs anderen Sternträgerinnen und -trägern ruft er in Ashtarias Höhle des letzten Abschiedes die mächtige Formel aus, die die geballte Macht der sieben Sterne freisetzt. Damit wird er endgültig der sechste Sohn Ashtarias. Die Anrufung der Heilsformel bewirkt jedoch auch, dass die in Gestalt einer roten Riesenameisenkönigin gefangene Lahilliota wieder zur Hexe in Menschengestalt wird, allerdings immer nur im Wechsel mit ihrer Tiergestalt alle zwei Monate.
Wegen der Mordanschläge von London und Birmingham am 7. Juli regen Julius und seine Mutter eine internationale Zaubereikonferenz zum Thema elektronische Aufzeichnung und Verhüllung der Magie vor Videokameras an. Viele Zaubereiministerien gehen auf diesen Vorschlag ein. Die Konferenz findet Ende September Anfang Oktober in einer gesicherten Niederlassung des Japanischen Zaubereiministeriums statt. Dort werden fast alle Teilnehmer durch den Nebel des Mondfriedens darauf eingestimmt, einander zu vertrauen. Nur Julius und Nathalie entgehen diesem angeblich so friedlichen Vorbeugungszauber. Julius wird von Ashtarias Heilsstern geschützt, Nathalie durch den ihr aufgezwungenen Sonnensegen Euphrosynes. Nach einigen Tagen Beratung präsentieren die Japaner das gesuchte Mittel, den lautlosen Verberger, einen Gürtel, der seinen Träger für elektronische Aufnahmegeräte unsichtbar macht. Die Ministerien beschließen, für ihre Sondertruppen solche Gürtel anzuschaffen.
Catherine wird von Julius zu den Altmeistern Khalakatans gebracht, wo sie vollständig in Zaubern der alten Windmagier und Mondmagier ausgebildet wird. Während ihres Ausbleibens verfolgt Julius die Unruhen in den Vororten französischer Großstädte im November 2005. Als Catherine zurückkehrt bittet sie Julius, ihr die von ihm lange gehütete Flöte des Windkönigs Ailanorar zu überlassen. Er soll in der Zeit, die sie mit deren Schöpfer um den Besitz ringt auf ihre Kinder aufpassen. Mit dem Heilsstern verhindert er, dass Babette, Claudine und Justin von einem fremden Einfluss entseelt werden und hilft damit auch Catherine, Ailanorar zu bezwingen und somit die Flöte für sich zu erobern. Diese dient fortan nur noch ihr und ihren direkten Nachkommen.
Laurentine Hellersdorf nimmt eine Reise nach Amerika zum Anlass, sich in weiterführenden Abwehrzaubern ausbilden zu lassen. Hera Matine empfiehlt ihr Nachhilfestunden bei ihrer Nichte Louiselle Beaumont, die ihr auch in Beauxbatons ungern gesehene Zauber beibringt. Als Laurentine auf der Reise durch die Staaten wahrhaftig mit der Führerin der Spinnenschwestern zusammentrifft beschließen Louiselle und Hera, Laurentine in die Gemeinschaft der schweigsamen Schwestern aufzunehmen. Bei diesem Zeremoniell erweist sich, dass Ladonna Montefiori bereits Gefolgshexen in diese Gemeinschaft eingeschleust hat. Doch diese versagen beim Versuch, die Stuhlmeisterin Hera Matine zu töten und werden durch Schutzzauber des Versammlungsortes körperlich und geistig zu Neugeborenen zurückverjüngt und sollen ein neues Leben beginnen. Der Tsunami vom 26.12.2004, der auch für die Erdmagieturbulenzen verantwortlich ist, nimmt der trimagischen Gewinnerin beide Eltern. Sie braucht eine Zeit, um darüber hinwegzukommen, bis sich ihr im Traum und bei der Beerdigung eine rot-golden leuchtende Erscheinung zeigt, die große Ähnlichkeit mit ihrer verstorbenen Schulfreundin Claire Dusoleil hat. Von da an ist sie wieder zuversichtlich, weiterleben zu können.
Laurentine und Louiselle setzen ihre Übungen fort. Dabei erkennt Laurentine, dass sie die ältere Hexe nicht nur als Lehrerin schätzt, sondern sich auch in sie verliebt. Bei einer Übung zur Abwehr eines Unfruchtbarkeitszaubers wendet Laurentine einen anderen Weg an als bisher bekannt. Dadurch drängt sie den ihr geltenden Zauber nicht nur zu Louiselle zurück, sondern bewirkt auch eine der wenigen hellen Verkehrungen eines ursprünglich bösartigen Zaubers. Statt für Monate unfruchtbar zu werden entsteht aus einer Eizelle Laurentines und Louiselles eine gemeinsame Tochter in Louiselles Gebärmutter. Damit kommen die zwei Hexen sprichwörtlich wie die Jungfrau zu einem Kind und müssen überlegen, wie sie mit dieser Verantwortung umgehen.
Das neue Jahr beginnt. In Nordamerika soll die neue Föderation aus Kanada, den USA und Mexikos ihre Arbeit aufnehmen. Was dabei für den Rest der Welt herumkommt wird sich zeigen müssen.
Während all dieser aufwühlenden und unerwarteten Ereignisse bereitet sich Ladonna Montefiori darauf vor, ihr nächstes großes Ziel zu erreichen, mit dem sie ihre Todfeindin Sardonia endgültig überflügeln will. Sie schürt in verschiedenen Ländern Unruhen in der magischen Gemeinschaft und treibt die amtierenden Zaubereiminister dazu, sich zu geheimen Treffen zu verabreden. Über ihre Agentinnen erfährt sie, wann und wo solche Treffen stattfinden und schafft es, neue Feuerrosenkerzen dort einzuschmuggeln. So gelingt ihr doch noch, was sie schon längst erreichen wollte. Außer Frankreich, Griechenland und die afrikanischen Länder übernimmt sie alle Mittelmeeranrainer. Weitere Feuerrosenkerzen machen ihr zudem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der eroberten Zaubereiministerien gefügig. Allerdings entwischen ihr in Deutschland mehrere Dutzend Hexen und Zauberer mit Hilfe von bei Gefahr auslösenden Portschlüsseln und warnen die noch freien Zaubereigemeinschaften. Ladonna lässt verbreiten, dass die Zaubereiministerien wegen der vielen internationalen Feinde ein starkes Bündnis gegründet haben, die Koalition der Verbundenheit. Alle Behauptungen, sie seien unterwandert werden als böswillige Verleumdungen abgetan. Außerdem schafft es Ladonna, zwei weitere wichtige Niederlassungen von Vita Magica zu vernichten und sogar den amtierenden hohen Rat des Lebens auszulöschen, so dass Vita Magica stark geschwächt ist und zunächst den Fall "Dornröschen" ausruft, also das unbefristete Stillhalten. Ebenso kann sie die in Deutschland und Italien aufmuckenden Zwerge und Kobolde niederhalten, indem sie publikumswirksam vorführt, dass sie den großen grauen Eisentroll, den Urfeind aller Zwerge und Kobolde, aus der Erde hervorrufen und ihn wieder dorthin zurückschicken kann. Sie wähnt sich sicher, trotz der entwischten Opfer ihre weiteren Ziele erreichen zu können.
Julius Latierre bekommt mit, wie sich die offenkundig unterworfenen Zaubereiministerien positionieren. Die Veelas holen ihn zu einer nächtlichen Beratung in die Höhle der gesammelten Worte. Dort bekommt er nicht nur mit, dass Létos Schwester ihn weiterhin begehrt, sondern auch die spanische Veelastämmige Espinela Bocafuego ihn für sich haben will. Er kann sie jedoch mit dem erlernten Lied des inneren Friedens von sich fernhalten. Die Veelas teilen ihm und der magischen Menschheit unmissverständlich mit, dass sie nicht hinnehmen werden, dass Ladonna von Menschen getötet wird.
Derweil bahnt sich in den Nordamerikanischen Staaten etwas unausweichliches an. Der Mexikanische Zauberer Augusto Paredes, der auch als "El Aguila Roja", der rote Adler berühmt und berüchtigt ist, hat sich durch seine aztekischen Zauberkenntnisse zu einem schier unbezwingbaren Machthaber im internationalen Rauschgifthandel hochgekämpft. Er will aber auch in der US-amerikanischen Unterwelt Fuß fassen. Hierzu hat er sich den Mafioso Don Michele Millelli durch einen aztekischen Bluteid gefügig gemacht. Eigentlich will er sich in der Nähe der Grenze zwischen den USA und Mexiko einen wichtigen Standplatz sichern. Doch eine andere will das auch, die nicht minder mächtige und gefährliche peruanische Hexe mit Inka-Abstammung Margarita de Piedra Roja, genannt die Löwin von Lima. Um sie einzuschüchtern oder gleich zu erledigen schickt Paredes ihr mit einem altaztekischen Dunkelzauber belebte Leichname, die Feuerherzkrieger, deren Herzen er in seinem Keller am schlagen hält und die sich in zerstörerische Feuerbomben verwandeln können. Doch Margarita hat ihr Haus mit wehrhaften Zaubern aus der Mondmagie des Inkavolkes abgesichert und wehrt die Feuerherz-Zombies ab. Eine direkte Konfrontation erscheint unausweichlich. Doch vorher will Paredes sich ein Standbein in der New Yorker Mafia sichern, deren Führer sich in einem inoffiziell errichteten Atombunker treffen. Weil Margarita de Piedra Roja davon ausgeht, dass die Sekte der Vampirgötzin diese Gelegenheit nutzen will, um dort neue Helfershelfer zu rekrutieren schmuggelt einer ihrer Verwandten einen Zaubertrank dort ein, der jeden davon trinkenden gegen alle nach seinem Blut gierenden Wesen ein volles Jahr fernhält. Paredes richtet klammheimlich einen Sternenzauber ein, der das Erscheinen der Vampire mit Hilfe jener nachtschwarzen Abart eines Portschlüssels vereitelt. Alle Mafiosi trinken Margaritas Schutztrank. Dabei kommt es bei Michele Millelli, dem Müllkönig, zu einer unerwarteten Reaktion. Die in seinem Blut zusammentreffenden Zauber treiben seine Körpertemperatur über das erträgliche Maß hinaus. Millelli stirbt. Dadurch wird die in ihm wirkende Kraft des aztekischen Bluteides so heftig freigesetzt, dass sie auf ihren Urheber, den roten Adler zurückschlägt und auch ihn tötet. In einer höllischen Kettenreaktion werden dessen Diener vernichtet und alle nicht gerade in fliegenden Flugzeugen sitzenden Bluteidgebundenen von der magischen Bindung befreit. Ohne es direkt darauf angelegt zu haben ist Margarita de Piedra Roja den gefährlichen Widersacher los.
Der als Times-Reporter getarnte Laveau-Instituts-Mitarbeiter Jeff Bristol sorgt sich wegen jener Geschwister, die auf eine heimliche Eroberung der Welt hinarbeiten. Er bekommt auch mit, was Milelli und Paredes widerfährt. Über all dem schwebt die Warnung, dass Ladonna Montefiori auch die Zaubereiminister der beiden amerikanischen Teilkontinente unterwerfen will. Wie berechtigt diese Warnung ist soll sich schon sehr bald erweisen. Denn bei der alle drei Jahre stattfindenden Konferenz spanischsprachiger Zaubereiminister zündet der von Ladonna unterworfene Pataleón eine Feuerrosenkerze. Doch die Mexikaner, die der Konferenz beiwohnen setzen ein Gegenmittel ein, den magicomechanischen Gefahrenfänger. Dieser schafft die brennende Kerze mittels Portschlüssel fort. Die mexikanischen Delegierten erweisen sich als Agenten der Gesellschaft gegen dunkle Vermächtnisse und gefährliche Wesen und wollen Pataleón und seine Leute kampfunfähig machen. Dabei kommt es zu einer Zauberschlacht, an deren Ende die Mexikaner trotz Täuschzaubern den Tod finden. Die eigentlich für Mexiko und den Föderationsrat gedachte zweite Feuerrosenkerze vollendet, was die erste Kerze nicht geschafft hat. Diesmal kommt kein Gefahrenfänger zum einsatz.
Nachdem die südamerikanischen Zaubereiminister und ihre wichtigsten Mitarbeiter doch unter Ladonnas Einfluss geraten können sie auch Atalanta Bullhorn in eine Falle locken, wobei ein Gefahrenfänger die Feuerrosenkerze abfängt, aber dann alle anderen von einem Portschlüssel in eine von Ladonna vorbereitete Höhle geschafft werden. Weil Atalanta Bullhorn einen Schutzzauber auf ihren Geist gelegt hat, der solange hält, wie ihr Körper durchblutet wird, lässt Ladonna ihr alle Haare und überstehende Finger- und Zehennägel entfernen, um damit ihre treue Gehilfin Ashton Underwood auszustatten, die dann mit Vielsafttrank Atalantas Rolle übernimmt. Die wirkliche Ratssprecherin verschwindet in Ladonnas besonderem Rosengarten. Die nun falsche Atalanta lockt den gesamten Föderationsrat mit der Warnung vor einem Fliegerbombenangriff auf Viento del Sol aus der sicheren Zuflucht heraus und präsentiert eine weitere Feuerrosenkerze. Danach jagen die Föderationsadministratoren allen hinterher, die ihrer neuen Herrin gefährlich werden können. Darunter sind auch die Mitarbeiter des Laveau-Institutes. Um der Verhaftung und möglichen Versklavung zu entgehen inszenieren jene, die als Beobachter und Eingreiftruppler in der nichtmagischen Welt arbeiten ihren eigenen Tod und hinterlassen mit Hilfe ihrer Kollegen täuschend echte Leichname. Zu ihnen gehört auch Jeff Bristol, der mit seiner kleinen Familie in das vom Laveau-Institut errichtete versteckte Inseldorf Shady Shelter flüchtet.
Somit ist auch Amerika nicht mehr frei. Da demnächst die alle halbe Jahre anstehende Konferenz der internationalen Zaubererweltkonföderation ansteht fürchten die noch freien Zaubereiministerien, dass Ladonna auch dort eine Feuerrosenkerze entzünden lassen wird. Doch sie wollen Ladonnas Vormarsch stoppen. Hierzu reisen Belle und Millie mit der Gesandschaft der internationalen Zaubererweltkonföderation nach Genf. Dort wird Belle von einer auf Veelazauber ansprechenden Falle in eine gläserne Sphäre eingeschlossen. Millie, die als Feuervertraute Altaxarrois ausgebildet ist, kann die Quelle für diesen Zauber sehen. Doch muss sie zuvor sicherstellen, dass ein von den Veelas mitgegebenes Artefakt, eine Gegenkerze zu Ladonnas Feuerrosenkerze, in den Konferenzraum geschmuggelt wird. Als ihr das gelungen ist wendet sie einen nur ausgebildeten Feuervertrauten höchster Stufe beigebrachten Zauber an, der sie für eine subjektive Viertelstunde mit hundertfacher Geschwindigkeit denken und handeln lässt. In diesem Zustand entfernt sie die kristallinen Kraftquellen der Veelafalle, die Belle wegen des verbotenen Segens gefangen hält und die laut Léto Veelastämmige töten kann. Je mehr sie die Falle demontiert, desto heftiger erwehren sich die Kristalle. Nur der überhohen Geschwindigkeit verdankt Millie, nicht selbst vernichtet zu werden. Sie kann Belle befreien und mit der restlichen Delegation per Portschlüssel entkommen. Das Gästehaus der Franzosen verbrennt in einer unkontrollierten Feuermagie der destabilisierten Veelafalle. Wenige Zeit später treffen sich die übrigen Konferenzteilnehmer im Besprechungssaal. Dort entzündet sich die von Millie an Stelle der Feuerrosenkerze platzierte Kerze der Veelas und durchdringt alle mit einem goldenen Licht, das jeden von Ladonnas Einfluss befreit und gleichzeitig für ein Jahr gegen die Macht der Feuerrose immunisiert. So kommen auch der schweizer Zaubereiminister und seine engsten Vertrauten aus Ladonnas Bann frei. Wenig später kann auch der Rest des Ministeriumspersonals durch eine zweite Goldlichtkerze befreit werden. Es sieht danach aus, als wenn die freie Zaubererwelt endlich ein Mittel gegen Ladonnas Vormarsch in der Welt besitzt. Doch wissen die Eingeweihten, dass sich Ladonna das nicht lange gefallen lassen wird.
Ein Ultimatum ihrer Unterworfenen an die noch widerstrebenden Zaubereiministerien lläuft am ersten Juni ab. Als dieses endet umschließt sie alle ihr nicht folgenden Länder mit einem Wall aus dunkler Magie, der alle mit Zauberkraft begabten Wesen zurückhält. Sie geraten in einen Strudel ihrer schlimmsten Träume und können nicht mehr weiterreisen. Wer appariert wird als unbefugt markiert und so leichte Beute für Ladonnas hörige Ministeriumsbeamten.
Der Unmut über das Eingesperrtsein bringt die über viele Jahrzehnte still und zurückhaltend bestehende Gruppierung Sanguis Purus, einen Verbund aus sich für absolut reinblütig haltende Zaubereifamilien darauf, gegen die bisherige Amtsführung von Ministerin Ventvit aufzubegehren. Sie werfen ihr eine unerträgliche Bevorzugung menschengestaltlicher Zauberwesen vor. Da Ladonna veelastämmig ist wird Ministerin Ventvit als zu schwach gegen Ladonna betrachtet und ja, auch weil sie eine Hexe ist als angebliche Helferin Ladonnas bezeichnet. Weil sie dennoch nicht auf ihr Amt verzichten will will Sanguis Purus das Zaubereiministerium stürmen und besetzen. Doch dort weiß man sich zu wehren. Alle 3000 Aufständischen können gestoppt und lebendig festgesetzt werden.
Mit Hilfe der Veelastämmigen kann der von Ladonna errichtete dunkle Grenzwall niedergerissen werden. Die dabei freigesetzten Kräfte rauben Ladonna das Bewusstsein. Sie meint, die von ihr selbst getötete ältere Schwester Regina zu sehen und zu hören, die als Wächterin am Fluss der rastlosen Seelen auf ihre jüngere Schwester wartet, um mit ihrer Seele zu verschmelzen.
Ladonna versucht auch, mit einem großangelegten Angriff auf die technische Zivilisation, die ihrer Meinung nach unnatürliche und anmaßende Lebensweise der magielosen Menschen zu ändern. Sie nutzt einen Kongress von Verkehrspiloten, um diese mit ihrem Feuerrosenzauber zu unterwerfen. Sie will sie dazu bringen, wie die Terroristen des 11. Septembers mit vollgetankten Flugzeugen in wichtige Gebäude hineinzufliegen, vor allem nicht mit Atomkraft betriebene Elektrizitätswerke und Stromverteiler. Gleichzeitig will sie mit einem besonderen Pilz, der jede Flüssigkeit vollkommen unentflammbar macht, sämtliche Erdölquellen der Welt verseuchen, damit das Öl nicht mehr als Kraftstoffquelle benutzt werden kann. Weil die Piloten sich im Internet nach ihren Zielen umsehen fällt es den damit arbeitenden Hexen und Zauberern auf, und sie senden ihnen gewogene Einsatzkräfte, um die Piloten von ihrem Auftrag abzuhalten. Was die Ölquellen angeht vereiteln die orientalischen Hexen von der Schwesternschaft des grünen Mondes die Verseuchung von Ölquellen und Öllagern. Die rein technische Welt entgeht der weltweiten Verheerung, ohne davon zu erfahren.
Weil Ladonna die Veelas und Veelastämmigen als ihre gefährlichsten Feinde betrachtet hetzt sie die ihr durch den Duft der Feuerrose unterworfenen Ministerien gegen diese Zauberwesenart auf. Beinahe bricht ein Krieg zwischen Veelas und osteuropäischen Zauberstabnutzern aus. Nur die Umsicht der ältesten Veelas kann dies noch verhindern. Die Veelas werden dazu gebracht, sich möglichst vor den magischen Menschen zu verstecken.
Nachdem diese sehr bedrohlichen Ereignisse überstanden sind hoffen die nicht unter Ladonnas Herrschaft stehenden darauf, weitere Ministerien zu befreien. Doch die Begehrlichkeit zweier nichtmenschlicher Organisationen droht die Welt wie wir sie kennen zu verheeren.
Gringotts und der Koboldgeheimbund Axdeshtan Ashgacki az Oarshui jagen nach den mächtigsten Hinterlassenschaften altägyptischer Zauberkunst. Sie senden die Fluchbrecher Bill Weasley und Rore McBane aus, um ein magisches Auge zu erbeuten. Die Mission gelingt zwar. Doch dabei wird Bill Weasley schwer verflucht und muss ins St.-Mungo-Krankenhaus. Rore McBane soll nun in die in den Boden eingegrabene Pyramide eines aus dem allgemeinen Gedächtnis getilgten Pharaos mit dunklen Zauberkräften eindringen. Dies gelingt ihm auch. Doch damit liefert er sich dem dort über Jahrtausende ruhenden Geist des ungenannten Herrschers aus, der McBanes Körper übernimmt und nun danach trachtet, seine alte Herrschaft zurückzuerobern. Hierzu macht er sich magische Riesenschlangen und rastlose Geister untertan. Außerdem greift er die ägyptischen Gringottsniederlassungen an und nimmt trotz ihres Verratsvereitelungszaubers Mitglieder der koboldischen Geheimbruderschaft gefangen, um von diesen zu erfahren, wer wirklich hinter seiner Erweckung steht. das von Ladonna Montefiori unterworfene Zaubereiministerium will ihn aufhalten. Doch weil der Wiederverkörperte einen Unlichtkristallring trägt ist er schier übermächtig, so dass er es sogar wagt, sich mit mächtigen Wesen wie der Abgrundstochter Tarlahilia und der Nachtschattenherrscherin anzulegen.
Jene aus mehreren Seelen verschmolzene Mutter aller Nachtschatten lässt sich zur Kaiserin der wahren Nachtkinder ausrufen und führt einen offenen Feldzug gegen die Vampirgötzin Gooriaimiria und die alle auf Dunkelheit gründenden Zauber verwendende Thurainilla. Als sie mitbekommt, wie ein weiterer Gegner versucht, ihre Untertanen zu beherrschen befiehlt sie, ihn zu überwältigen. Über einer Hochebene Algeriens kommt es zum Zusammenstoß zwischen dem umgenannten Herrscher und Birgutes Nachtschatten.
"Und, wie geht es deiner zweiten Tochter?" fragte Maruja, nachdem sie mit ihrer übernatürlich schönen Gebieterin wieder mal ein besonders intensives Zwiegespräch führte.
"Sie plärrt sofort los, wenn sie nass ist und würde am liebsten den Ganzen tag wie in Mama Känguruhs Bauchtasche von mir herumgetragen werden", hauchte Teresa Dolores Morrow alias Loli ihrer Stellvertreterin sanft ins ohr, während sie die besonders körperbetonte Besprechung fortsetzte. "Dabei konnte es ihr nicht schnell genug gehen, aus meinem warmen Schoß hinauszukrabbeln, als es soweit war."
"O ja, warm stimmt", schnurrte Maruja.
Loli fragte nun nach den besonderen Stammkunden, ob sie sie vermissten. Dann überließ sie Maruja für sie ausgelagerte Lebensessenz. "Falls du mit keinem aus der Zauberstabschwingerbande zu tun bekommst hält das jetzt das ganze Jahr vor, Maruja. Schön, dass du weiterhin gut auf unsere fleißigen Damen aufpasst."
"Wird nötig sein. Außerhalb des von dir geführten Gebietes bekriegen sich arabischstämmige Banditen, wer seine an der Drogenleine oder anderen Abhängigkeiten hängenden Mädchen wo laufen lassen darf. Auf der Straße möchte bald keine mehr arbeiten, Loli."
"Ich habe den Mädchen gesagt, wenn sie wer dumm anquatscht oder so aussieht, dass er das könnte soll sie die interne Notrufnummer wählen. Wenn ihr echt wer dumm kommt wird er und wer an dem dranhängt entsorgt, wie es sich für stinkenden Abfall gehört."
"Ja, aber ich komme hier nicht weg, weil das auffällt und du bist mit deinem Leben als Familienmutter beschäftigt", wandte Maruja ein.
"Wie erwähnt, wenn einer wer oder was immer auch droht soll sie die interne Nummer wählen. Kriegst du das mit denk mir das zu, und wer immer Ärger macht wird ruhiggestellt", wiederholte Loli.
Trotz aller Schwierigkeiten, in denen Loli und ihre Schwestern gerade steckten wollte sie allen freischaffenden Damen des horizontalen Gewerbes, die unter den schützenden Schwingen des schwarzen Engels standen auch weiterhin bestmöglichen Schutz bieten. Denn sie wusste, dass sonst nur noch Drogen und Bandenbosse das Geschäft mit dem käuflichen Liebesspiel beherrschen würden.
Was sie Maruja nicht erzählt hatte war, dass eine ihrer Schwestern vor kurzem ihren Körper verloren hatte und jetzt der Gnade der gemeinsamen Schwester Ilithula ausgeliefert war. Sie wussten mittlerweile, dass es der aus jahrtausendelanger Einkerkerung entkommene Geist eines magiebegabten Pharaos war, der einen lebenden Zauberer als neuen Wirtskörper auserwählt hatte. Aber wie sie den, der im Besitz eines tragbaren Unlichtkristalles war, mit ihren Kräften unterwerfen oder gar vernichten konnten wussten sie noch nicht. Thurainilla, die sich mit Zaubern der Dunkelheit am besten zurechtfand würde gerne den Kampf gegen diesen namenlosen Herrscher aufnehmen. Doch ihrer aller Mutter hatte geboten, ihn nur dann anzugreifen, wenn er weit genug von seiner eigenen Machtquelle entfernt war, der in den Boden hineingebauten, umgekehrten Pyramide. Außerdem musste sich Thurainilla jederzeit bereithalten, um gegen jene zu kämpfen, die sich den Geist und die Kraft ihrer nichtstofflichen Zwillingsschwester Riutillia einverleibt hatte. Garantiert wusste jene Nachtschattengestalt alles, was Thurainilla wusste und würde nicht mal eben zu kriegen sein. Doch die wiederverkörperte, gerade in ihrer menschlichen Erscheinungsform lebende Mutter hatte verfügt, dass nur Thurainilla den Kampf mit dieser Nachtschattenfürstin, -königin oder falschen Göttin ausfocht, solange diese nicht unmittelbar um Hilfe rief. Diesem Gebot mussten sich alle beugen. Selbst Ilithula, die unverhofft aus dem ihr auferlegten Langzeitschlaf erwacht war, um Tarlahilia neu zur Welt bringen zu können, beugte sich unter dieses Gebot. Denn sie wollte sicherstellen, dass Tarlahilia wirklich an Körper und Seele unversehrt auf die Welt zurückkehrte.
Nachdem Loli und Maruja ihre anderthalbstündige "Sondersitzung" beendeten verließ jene, die offiziell Teresa Dolores Morrow hieß die besondere Vergnügungsstätte Casa del Sol. Das Zusammensein mit Maruja hatte ihr eigenes Bedürfnis nach leiblicher Nähe und menschlicher Lebenskraft weit genug befriedigt, dass sie sich nicht zu den Wartenden im Barraum setzte, um einen der Bedürftigen zu bedienen.
Ganz geräuschlos wechselte Loli alias Itoluhila wieder in die Wohnung von Lyndon Morrow, ihrem offiziellen Ehemann und offiziellen Vater von Malvina und der am 5. Mai geborenen zweiten Tochter Ignatia zurück.
"Und, schwarzer Engel, sind alle deine willigen Schäfchen noch auf der Weide, oder schleichen wieder böse große Wölfe um die Begrenzung?" fragte eine weiblich gestimmte Gedankenstimme.
"Du schläfst nicht, Ignatia? Hast du denn schon wieder die Windeln voll?"
"Der, zu dem ich irgendwann Daddy oder Paps sagen soll hat sich erbarmt, mich zu baden und zu wickeln. Aber Hunger habe ich. Aber dieses aus Kühen gezapfte Zeugs will ich nicht, weil das zu gehaltlos ist."
"Okay, ich hab noch genug vorrätig. Aber dann schlaf bitte, Ignatia", gedankenantwortete Loli und nahm sich des kleinen, scheinbar harmlosen Menschenkindes an, dass in einer altmodisch aussehenden Wiege lag. Lyndon, der Arzt, der damals Lolis Kunde war und ihr geholfen hatte, den Erwecker der schlafenden Schwestern vorzubereiten, saß derweil vor dem Fernseher. Morgen würde er wieder zu einer 36-Stunden-Schicht ausrücken. Auch deshalb musste Loli, die wegen der Mutterschaften offiziell als Hausfrau geführt wurde, die nächste Zeit hierbleiben.
Während Ignatia, die früher mal Hallitti geheißen hatte, ihre Spätabendration Muttermilch bekam tauschten ihre neue Mutter und sie die Berichte des Tages aus. "Und ihr hofft, dass Thurainilla diesen finsteren Pharao schafft, wenn ihr wisst, wo der sich aufhält?" gedankenfragte Ignatia mit einem leicht gehässigen Unterton.
"Wenn nicht sie alleine dann alle die, die gerade kein Kind im Bauch oder an der Brust haben zusammen", erwiderte Loli. "Ich habe es dir mitgeteilt, als meine Wiedergeburt anstand, dass unsere erhabene Mutter das bereuen wird, mir das schnelle Großwerden verdorben zu haben. Als wimmerndes Wickelkind kann ich euch nicht die nötige Hilfe geben, und weil ich zu unser beider Freude nicht mehr in dir drinstecke kann ich dir auch nicht mit der Kraft des dunklen Feuers helfen."
"Wir werden diesen Wiederverkörperten Unruhegeist erledigen oder in einem unserer Lebenskrüge auflösen", gedankenknurrte Loli. Ihr missfiel es eigentlich auch, dass Ignatia mehr als zwölf Jahre brauchen würde, bis ihr Körper wieder die alten Kräfte entfalten konnte. Denn erst nach der ersten Monatsblutung konnte eine Tochter Lahilliotas ihre angeborenen Kräfte wieder voll einsetzen. Daher war Loli ebenfalls für eine längere Zeit nicht berufen, gegen wirklich mächtige Feinde zu kämpfen. Ignatia konnte also recht behalten, dass sie alle das bereuen mochten, dass sie nicht wie damals festgelegt in nur einem Jahr nach der Geburt wieder zur jungen Frau heranwuchs, um wieder als vollwertige Tochter des dunklen Feuers handeln zu können.
Sie rasten auf ihn zu, um seine Seele zu verschlingen und seine erst vor wenigen Wochen erbeutete fleischliche Hülle auszusaugen. Er hatte gedacht, mit einem ganzen Geisterheer fertig zu werden, weil er von habgierigen Kobolden das Zepter des Totenrichters Amun-Min erbeutet hatte, weil er den Ring eines Sethdieners mit Unlichtkristall trug und überhaupt davon überzeugt war, der Meister dunkler Kräfte und körperloser Seelen zu sein. Diese Annahme drohte in wenigen Herzschlägen zu Staub zu werden.
Auf dem Teppich des überwältigten und entkörperten Rore McBane raste der aus der Geschichtsschreibung der Ägypter getilgte finstere König durch die Nacht. Hinter ihm jagten zwanzig zu Kugeln geballte Schattengeister heran. Sein Unlichtkristallring pochte wie wild, ebenso der Herrscherstab des Totenrichters. Auch hörte er ein immer wilderes Brausen, als sänge ein Chor aus tiefen Männerstimmen eine dahinjagende Weise mit unzähligen Stimmen und Zeilen daher. Das bewirkte das Ohr des Anubis, ein silberner Anhänger, den er auf seiner Brust trug. Sein Flugteppich beschleunigte weiter. Doch dessen Reiter wusste, dass auch der nicht so schnell wie der Schall fliegen konnte. Da fiel ihm was ein. Dunkel gegen Dunkel. Das konnte wirken.
"Seth, bedecke uns mit deinem Mantel!" rief der finstere Pharao die alte Anrufung in seiner Muttersprache aus. Sogleich ruckelte der Kristallring an seinem Finger und völlige Dunkelheit umschloss den Zauberer auf dem unsichtbaren Teppich. Es wurde noch kälter als sonst. Es krachte laut und nachhallend. Laute Aufschreie gellten. Er hörte wie durch dichten Nebel, wie viele Stimmen wütend und verdrossen durcheinanderriefen. Er hörte sie weit um sich herumschwirren. Er dachte daran, dass der Mantel des Seth ähnlich wirkte wie die Kraft eines Schattengeistes und ähnlich wie jene Ausstrahlung, die jene befremdlichen Wesen aussandten, die in McBanes Erinnerung als Dementoren benannt waren. Ja, Dunkle Kraft prallte auf dunkle Kraft und wurde davon zurückgeprellt oder geschwächt. Er selbst fühlte jeden Anprall wie einen Stoß durch die linke Hand. Sein Ring verstärkte den Mantel des Seth. Er merkte aber auch, dass es ihn Kraft kostete. Lange konnte er diesen Kampf nicht fortführen. Er wusste, dass er bei Bewusstlosigkeit in seine goldene Grabkammer zurückgeworfen wurde. Oder war er nun doch dafür zu weit weg von ihr? Er sollte es besser nicht darauf ankommen lassen.
"Die angreifenden Schattenkugeln brüllten vor Wut. Womöglich riefen sie sich auch was zu. Er wusste jetzt, dass die Kinder der höchsten Königin der Nacht untereinander in Gedankenverbindung standen und das über die gesamte Erdkugel hinweg. Sie stimmten sich also ab, wie sie an ihn herankommen und alles was ihn ausmachte unter sich aufteilen sollten, wie ein Rudel jagender Löwen. Er musste schnell landen, solange der Mantel des Seth ihn im Umkreis von hundert Schritten schützte. Er befahl dem Teppich anzuhalten. Doch der Teppich raste weiter, offenbar weil er, sein Reiter, von einer höchst gefährlichen Lage ausging, der es zu entfliehen galt. Also blieb ihm nur die Flucht über den kurzen Weg. Das mochte ihm aber wieder Kraft kosten. Außerdem konnte es ihm den so praktischen Flugteppich kosten. Da kam er auf die Idee, den Angreifern entgegenzufliegen. Er zwang den Teppich in eine enge Kurve, die ihn auf genaue Gegenrichtung brachte. Der Teppich wurde noch etwas schneller. In der ihn umschließenden Dunkelheit war die Richtungsführung nicht so sicher wie er hoffte. Dann krachte und bollerte es vielfach heftig. Er Meinte, von eisigen Schlangen am Arm umschnürt zu werden. Dann war es still und ruhig. Auch das Ohr des Anubis vermeldete keinen in zwei bis fünffacher Sichtweite befindlichen Schattengeist mehr. Waren die alle fort? Da fiel ihm ein, dass die Schattenkönigin ihre Kinder vor der Kraft der Seelensauger, der Dementoren gewarnt hatte. Offenbar hatten sie mit diesen Geschöpfen schon Bekanntschaft gemacht. Jetzt wusste er, dass die lauten Schläge nichts anderes als die Entladungen der dunklen Kräfte waren, die jeden Schattengeist zusammengehalten und ihm seine Kraft vermittelt hatten. Ja, die Kugeln waren regelrecht an seinem Mantel des Seth zerplatzt wie Seifenwasserblasen an einer Steinwand, hatten alle ihre Kraft an den Mantel des Seth abgeben müssen und waren erloschen. Deshalb gab es jetzt keinen Schattengeist mehr in seiner Nähe. Er hatte sie vernichtet!
Die Siegesfreude hielt nicht lange vor. Denn der immer noch ausgebreitete Mantel des Seth saugte ebenso Lebenskraft aus ihm wie ein ihn bedeckender Schattengeist. Er musste endlich von hier fort.
Weil er jetzt wusste, dass keine unmittelbare Gefahr drohte konnte er den rasenden Flug seines besonderen Zauberteppichs endlich mildern, erst behutsam und dann auf einmal. Er ließ den Mantel des Seth mit den Worten verschwinden: "Seth, sei bedankt für deine Gnade! Alle Feinde sind besiegt!" Sogleich wich die völlige Dunkelheit. Der Mond und die Sterne standen nun wieder klar und deutlich über ihm am Himmel. Ganz weit entfernt sah er das schwache Glimmen der gestreuten Lichter einer neuzeitlichen Stadt.
Weil er fühlte, dass er nicht mehr viel Kraft hatte landete er und sprang von seinem Teppich herunter. Mit zwei Worten ließ er ihn zusammenrollen. Er klemmte sich die dicke Rolle unter den linken Arm, dass sie ihn bei seinem kurzen Weg nicht behindern konnte und stellte sich die goldene Kammer vor, in der er überdauert hatte. Dann vollzog er den zeitlosen Schritt, der ihn durch ein viel zu enges, finsteres Zwischenspiel in seine goldene Kammer zurückbrachte. Sofort fühlte er die heilenden Ströme der eingekerkerten Sklavenseelen in seinen Körper hineinschießen.
Nun konnte er endlich seinen kleinen Sieg auskosten. Er hatte der angeblichen höchsten Königin der Nacht mindestens zwanzig Untertanen entrissen. Damit musste die erst einmal zurechtkommen. Dann fiel ihm ein, dass er wohl weitere Geisterwesen an sich binden musste, wollte er gegen sie bestehen. Ihm war nur bewusst, dass er diese Nachtkönigin nicht unterwerfen konnte, wo er es bei ihrem einen Kind Lutras Dibam nicht vollbracht hatte. Denn die Mutter und Meisterin mochte mindestens dreimal oder noch viel mehr stärker sein als Lutras Dibam. Er nutzte die ihn wieder stärkenden Kräfte seiner Heimstatt, um das einverleibte Wissen des vernichteten Schattengeistes zu durchforschen. Ja, es war tatsächlich so, dass ihn ein anderer Schattengeist heimgesucht hatte, ihn, das Mitglied einer in Algerien herumziehenden und raubenden und mordenden Bande. Sie hatte seine aus dem Leib gelöste Seele dann in ihren Körper hineingerufen, wo er wie ein fleischliches Kind im Mutterschoß neu ausgereift war, bis er als Lutras Dibam in die Dunkelheit der Nacht zurückgeboren worden war. Trotzdem die so entstandenen Kinder der Nachtkönigin stark waren mieden sie auch die Sonne. Auch nahm er mehr über die versklavten Menschen zu sich. Denen wurde mit den Worten des entrissenen Schattens der natürliche Schattenwurf genommen. Damit wurden diese Menschen zu gehorsamen Erfüllungsgehilfen aus Fleisch und Blut. Auch Lutras Dibam sollte, wenn er dreißig unberührte Seelen in sich hineingeschlungen hatte, so einen Schattenlosen erschaffen und lenken gegen die Zauberer, die Magielosen und vor allem gegen die langzähnigen Bluttrinker, die jener ihm bereits schon genannten Götzin der Blutsauger dienten. Das brachte ihn darauf, sich näher mit jener scheinbar göttergleichen Ausgeburt zu befassen, wenn er die Al-Assuani-Brüder aus ihren unrechtmäßigen Ämtern gejagt hatte und das Reich am Nil wieder sein Reich auf Erden sein würde.
Dann fiel ihm aus Lutras' Erinnerungen noch etwas ein: Die Mutter der Schattengeister hatte was von der noch lebenden Zwillingsschwester von einer gesprochen, die sie bereits mit sich vereint hatte, eine Vaterlose Tochter, die die Dunkelheit der Nacht oder unterirdischer Höhlen für sich einsetzen konnte. Die Bezeichnung "Vaterlose Tochter" hatte bei ihm Saiten zum klingen gebracht. Meinte sie damit eine der nicht mehr neun vaterlosen Schwestern? Falls ja, was konnte die alles und wie konnte er diese besiegen? Nach der Vernichtung jener, die sich von Sonnenkräften nährte und diese anwenden konnte war er natürlich der Todfeind aller noch lebenden vaterlosen Töchter und ihrer Mutter, die laut McBanes Wissen zurückgekehrt sein sollte und irgendwo in der Wüste des Ostens ein Versteck hatte. Sollte er das Übel an der Wurzel packen und dieses Versteck heimsuchen? Aber ganz sicher nicht alleine. Ja, er musste erst sein Heer vergrößern, das ägyptische Zaubereiministerium unterwerfen oder auflösen und dann noch mit den Kobolden dieses vertückten Geheimbundes aufräumen. Denn die hatten noch ein paar Dinge, die ihnen nicht gehörten, wie das Auge der Bastet oder auch den Stein des Tayet, mit dem Erdzauber verstärkt werden konnten. Beides wollte er sich zurückholen.
Sie hatte erst das siegessichere Johlen ihrer zwanzig Krieger gehört, bis diese mit Wucht gegen eine Kugelschale aus verdichteter, andere Kräfte verschlingender Dunkelheit geprallt und augenblicklich erloschen waren. Für die von ihrem Volk anerkannte Kaiserin waren diese zwanzig rein gedanklichen und magischen Entladungen wie dumpfe Donnerschläge auf die nicht mehr knöcherne Schädeldecke. Wer konnte das? Die Antwort fiel ihr sofort ein, die noch frei herumlaufende Schwester Riutillias, die Dementoren und jemand, der die dunklen Künste in Vollendung beherrschte. Da ihr irgendwie nicht völlig gestorbener, aber auch nicht mehr eigenständig handlungsfähiger Diener Lutras Dibam was von einer männlichen Seele gemeldet hatte war es also Möglichkeit drei. Doch wer konnte so einen starken Zauber, dass mittelgroße Nachtkinder daran zerschellten und unverzüglich aufgezehrt wurden? Ein wenig unbehaglich war ihr zu Mute. Wenn der Feind wahrhaftig so stark war würde er das mit all ihren Dienern und auch aus ihr Geborenen Kindern anstellen. Dagegen musste sie was tun.
Sollte sie noch einmal eine Truppe zu ihm hinschicken? Nein, die mochten genauso vernichtet werden wie ihre Vorgänger. So viele neue Kinder und Diener hatte sie auch wieder nicht, um vierzig oder mehr sichere Verluste zu riskieren. Sie musste da wohl selbst hin, um dem frechen Widersacher das Lebenslicht auszupusten und bei der Gelegenheit seine Seele in sich einzuverleiben. Vielleicht konnte der als ihr neuer Sohn Lutras' und Ulurans Stelle einnehmen, wenn sie ihn nur lange genug in sich austrug, um nicht wieder einen heimlichen Rebellen auszubrüten.
Sie wollte gerade zeitlos an den Ort reisen, wo der Fremde ihre Getreuen bekämpft und zwanzig von ihnen mal so im vorbeifliegen vernichtet hatte. Doch als sie sich gerade auf das Ziel einstimmte fühlte sie, dass die schwache Nachschwingung von Lutras Dibam erlosch. Sie war einfach nicht mehr zu orten. Dennoch wechselte sie zum Hochland des Hammada du Draa über.
In etwa eintausend Metern Höhe suchte sie nach den Spuren ihrer Kinder. Die Dunkelheit war für sie wie ein von aufgeweichter Erde oder Schnee bedeckter Boden, in dem Spuren sehr gut zu erkennen waren. So konnte sie erfassen, wie weit die verschlingende Dunkelheit um sich gegriffen hatte. Der Gegner musste nach der Gefangennahme oder gar Vertilgung von Lutras Dibam mehrere dutzend Kilometer weit geflogen sein. Das sprach für einen fliegenden Besen oder einen orientalischen Flugteppich. Sie konnte auch erfassen, dass den gegner eine aus vielen schlimmen Taten gespeiste Ausstrahlung begleitete. Esoterisch gesprochen erkannte sie das Echo oder den Schatten seiner dunklen Aura. Diese Wahrnehmung verriet ihr auch, dass er gelandet war und sich dann wegteleportiert hatte.
Um zu spüren, ob noch was von Lutras Dibams eigener Ausstrahlung zu hören war musste sie selbst landen, um eine Verbindung zwischen Himmel und Erde zu schaffen. Sie konzentrierte sich aufs äußerste. Doch sie konnte keine noch so winzige Nachschwingung erfassen. Das konnte heißen, dass Lutras Dibambs Geist wirklich vollständig vernichtet war oder dass der Gegner sich an einen gegen alle möglichen Auffindezauber abgesicherten Ort teleportiert hatte. Jetzt danach zu suchen brachte ihr nichts. Deshalb wechselte sie selbst wieder in ihre Höhle zurück. Weil ihr kristalliner Uterus eine gewisse Luftverdrängung bot ging es bei ihr nicht so geräuschlos ab wie bei ihren nichtstofflichen Dienern und eigenen Kindern. Doch in dieser gerade menschenleeren Gegend hörten nur die aufgeschreckten Nachttiere den dumpfen Knall, und in ihrem neuen Hauptquartier war außer ihr gerade niemand.
"Die Kobolde sind sehr erzürnt, dass wir Gringotts geschlossen haben, Herr Zaubereiminister", sagte Feriz Al-Assuani, der mit seinem zweitältesten Bruder Kaya und dem Erstgeborenen Karim im geheimen Lagebesprechungsraum saß. "Sie wollten meine Leute nicht in ihre Geheimlager lassen."
"Dann sollen sie verschwinden, und zwar auf nimmer Wiedersehen, diese Überbleibsel der Knechtschaft Europas", knurrte Karim. "Kaya, sind deine Truppen bereit, die Rücksiedelung der Kobolde auf ihre Heimatinseln durchzuführen?"
"Wenn du pfeifst springen tausend tapfere Kämpfer, Karim. Aber dann geht unser aller Gold verloren."
"Eben nicht", sagte Feriz zu Kaya. "Meine Leute haben schon sichergestellt, dass die Kobolde nicht mal eben alle Verliese leerräumen können. Auch deren findige Geheimtruppe konnte da nichts machen, weil wir mittlerweile wissen, woran wir die erkennenund wie wir die davon abhalten, uns in die Quere zu kommen."
"So, wissen wir das?" knurrte Kaya. "Das ist mir ganz neu. Ich bin ja auch erst seit gestern Leiter der Abteilung für innere und äußere Sicherheit und Frieden innerhalb der ägyptischen Zaubererwelt", stieß Kaya aus.
"Dann lies bitte mal den Erkenntnisbericht aus dem Überfall des ungenannten Herrschers. Der hat ganz sicher einen Dunkelkraftverstärker bei sich, der jeden Fluch vielfach stärker wirken lässt. Damit wollte er mehrere Kobolde gleichzeitig mit dem Imperius-Fluch aus dem griechisch-römischen Zauberschatz unterwerfen. Ergebniss: Die für Gringotts arbeitenden Kobolde unterwarfen sich, die für ihren Bund der zehntausend Augen und Ohren tätigen starben, weil ihnen die Köpfe verglühten oder explodierten. Offenbar hat jemand denen Zaubergegenstände eingesetzt, die bei möglichem Verrat an der eigenen Sache diesen plötzlichen und gnadenlosen Tod bringt, etwas, was wir mal vor tausend Jahren bei uns hatten, als dieser Magier Olim Urgadi verwendet hat, den Opal der Ordnung oder auch des Gehorsams. Damit hat er seine Leute ..."
"Jetzt bitte keine Geschichtsvorlesung, Bruder, dieser dunkle Abschnitt unserer Geschichte ist mir genauso bekannt wie dir und unserem großen Bruder und Zaubereiminister", knurrte Kaya verdrossen. "Also brauchen wir nur die Kobolde mit den Worten der Unterwerfung oder diesem europäischen Imperius-Fluch zu bedrängen, und die Geheimbbündler unter denen verlieren ihre Köpfe?" Feriz bejahte es klar und deutlich.
"Des weiteren können wir dank einer neuen Ausstrahlungsprüfvorrichtung erkennen, bei welchen Kobolden dieser Tötungszauber wirksam ist und bei welchen nicht. Deine Leute bekommen gerade von meinen Leuten die entsprechenden Unterlagen und zehn bereits erprobte Vorrichtungen." Karim nickte, was hieß, dass er es zur Kenntnis nahm und bewilligte. "Ach, das ist aber nett, dass ich das jetzt schon erfahre und nicht erst in einem Monat, Herr Schatzhüter", ätzte er. Feriz sagte darauf nichts. Er hätte sich sicher ähnlich überrumpelt gefühlt, wenn ihm jemand eine überragende Möglichkeit an Gold zu kommen vorgeführt hätte.
"Also, meine Herren Mitarbeiter. Absicherung der Verliese von Gringotts gegen mögliche Plünderungen und Abschiebung der Kobolde, sofern sie weiterhin den Zugang zu ihren Geheimverliesen verweigern!" befahl der Zaubereiminister Ägyptens. Dann kam er noch einmal auf das gerade drängende Anliegen zurück.
"Wissen wir mittlerweile, was genau die Feindseligkeiten auslöst, die fünf Meilen um die vermutete Stelle des umgekehrten Stufengrabes wirkt, Kaya?"
"Heute kam von sieben Kundschaftern nur der zurück, der weit genug über dem verbotenen Gebiet flog und sozusagen absichern sollte, dass denen keine Dschinns oder andere Flugwesen zusetzten", sagte Kaya Al-Assuani nun ziemlich betrübt. "Er konnte sehen, wie die sechs, die sich in die Nähe des Stufengrabes versetzt haben in Wut gerieten und dann auf einander losgingen, als hätten sie den Trank der hemmungslosen Mordlust getrunken. Es muss ein flächendeckender Fluch sein, der keinen Feind des finsteren Pharaos in dessen Nähe duldet. Meine Mitarbeiter wühlen sich durch die alten Aufzeichnungen, was genau für ein Fluch das ist, Herr Zaubereiminister."
"Und auch die neuen?" fragte Karim Al-Assuani. Kaya verneinte es und begründete es damit, dass der finstere Pharao ja eher auf das Wissen seiner Zeit zurückgriff. "Gut, dass wir unter uns sind, Bruder. Sonst müsste ich dich für diese Einfalt glatt deines Amtes entheben", schnaubte Karim. "Der Geist des ungenannten Herrschers hat sich den Körper eines modernen Zauberers gegriffen. Also dürfen, ja müssen wir voraussetzen, dass er auch dessen Wissen erbeutet hat und Gebrauch davon macht, wie Feriz es gerade so trefflich erwähnt hat. Also kann dieser Flächenfluch auch neueren Ursprungs sein, sich von der im Stufengrab wirkenden dunklen Kraft nähren und womöglich auch durch die Tode der in seinen Wirkungskreis geratenden verstärken. Also lass herausfinden, was gegen einen solchen Fluch wirkt!" befahl der Zaubereiminister seinem Sicherheitsfachmann. Dieser verzog das Gesicht und bejahte es.
"Wir müssen auch davon ausgehen, dass der ungenannte Herrscher seine alten Streitmächte wieder aufleben lässt, die Kinder und Enkel der Apep, sowie die wild in tiefen Höhlen hausenden Riesenkäfer. Wenn er zudem jeden Unterwerfungsfluch noch stärker wirken kann als zuvor kann und wird er sich womöglich auch noch arglose Menschen Untertan machen. Am Ende kennt er sogar noch etwas gleichwertiges wie die Feuerrose."
"Was erwartest du von uns?" fragte Kaya. Karim erwiderte: "Warnvorrichtungen gegen dunkle Künste an jedem Ort, wo Zauberer und Hexen wohnen, die die aus Europa stammenden Spürsteine ergänzen. Zudem eine Aufstellung aller Orte, wo wir magische Riesenschlangen vermuten. Diese sollten dann gefunden und mit Sprengzaubern vernichtet werden."
"Karim, öhm, Herr Minister, das hatten wir schon. Diese Schlangenungetüme sind nicht mit Feuer oder Sprengmitteln zu bekämpfen, weil in deren Schuppenpanzern die Kräfte von Erde und Feuer gebündelt werden, die wie ein Wall aus viele Meter dickem Stahl wirken. Die einzige Schwachstelle wäre, ihnen Sprengkörper in ihre Schlünde zu stopfen. Doch so schlau waren meine Vorgänger schon und haben dabei zwanzig Mitstreiter verloren. Die einzige Möglichkeit, diese Wesen zu beherrschen war und ist der tiefe Schlaf, herbeigeführt durch Schlafdunst."
"Wie ist es mit Eis? Ich hörte davon, dass die Alchemisten unseres Landes die Herausforderung der Magielosen angenommen und mit Auszeichnung gemeistert haben, die höchsten und tiefsten Wärme und Kältegrade zu erzeugen."
"Ja, aber diese Mittel kosten eine Menge Gold und hängen zu sehr von Importen aus anderen Ländern ab."
"Feriz, wenn wir das mit den Kobolden erledigt haben stellst du Kaya einen Freibrief aus, alle Goldmittel einzusetzen, die nötig sind, um diese Vereisungsmittel herstellen und anwenden zu lassen!" befahl Karim Al-Assuani. Feriz bestätigte das. Dann fragte er: "Hatte der selbsternannte Sohn der gefangenen Sonne nicht auch Geister von getöteten Gefolgsleuten zum Kampf eingesetzt und willige Schattengeister, die seinen unsichtbaren Kundschaftern bei Nacht beistanden?"
"Drachendreck! Du hast recht, Feriz. Der kann auch Geister unterwerfen und jetzt womöglich noch besser als vorher. Gut, Feriz, ich brauche schon einmal fünf Großscheffel Gold aus deiner Schatzkammer, um die Fachkräfte für Geisterabwehrzauber einzuspannen, jedes wichtige Haus mit entsprechenden Abwehrmitteln zu versehen. Ich prüfe nach, wie schnell wir alle bekannten Zauberersiedlungen absichern können."
"Öhm, dann haben wir aber nicht mehr genug, um unsere Leute die nächsten zwei Monate zu bezahlen", sagte Feriz. Karim sah seinen jüngeren Bruder an und schnaubte: "Wir dienen alle der Königin, auch deine Untergebenen, Feriz. Sage denen, dass sie will, dass sie bis zum Ende jener Lage ohne Lohn auskommen. Die haben sicher genug verdient, um mindestens zwei Monde lang davon zu leben."
"Kann ich tun, Bruder. Aber sicher wäre das nur, wenn die Königin es uns allen selbst erzählt und ..."
"Du glaubst doch nicht, dass sie selbst herkommt um den niederen Bediensteten zu verraten, warum sie will, dass die erst einmal ohne Bezahlung arbeiten sollen, Feriz. Sie hat genug wichtigeres zu tun, jetzt wo ihr die Veelastämmigen den Krieg erklärt haben und sich der magischen Menschen bedienen, um diesen Krieg zu führen. Also, du sagst denen das, dass ab heute erst einmal zwei Monate lang ohne Bezahlung gearbeitet wird. Wer dagegen ist verrät die Königin. Sage denen das so und bedenke das selbst, Bruder Feriz! Wer die Königin verrät oder ihre Befehle verweigert stirbt." Feriz musste daran denken, dass auch den Mitgliedern des Koboldgeheimbundes diese Aussicht eingebläut worden war. So bejahte er die Anweisung seines älteren Bruders.
Um nicht alle drei am gleichen Fleck zu bleiben, um einem gezielten Angriff der Veelas und ihrer menschlichen Gefolgsleute ausgeliefert zu sein verabredeten die drei Brüder sich erst in vier Wochen wieder. Bis dahin galt, jeder in seinem Bereich das beste.
Julius arbeitete am 30. August wieder in seinem Büro. Dort besuchte ihn Léto und erwähnte, dass ihr Schwiegerenkel Bill Weasley sich bei einem seiner haarsträubenden Aufträge für Gringotts eine heftige magische Vergiftung zugezogen hatte, die die Heiler nicht behandeln konnten. Die lehnten es jedoch ab, sie und die anderen Veelaverwandten an ihn heranzulassen. Julius erwähnte, dass er zwar Pflegehelfer sei, aber dass er wohl schlecht gegen die Leitung des St.-Mungo-Krankenhauses vorgehen könne, wenn er keine handfeste Alternative zu deren Heilmethoden anbieten könne. Léto grummelte auch, dass die Hauptschuld bei den Kobolden läge, weil die Bill und seinen Kollegen, der die magische Falle viel besser überstanden hatte, an etwas rühren ließen, dass ihnen nicht zustand. Näheres hätte man ihr Fleur nicht erzählen wollen. Julius erwiderte darauf, dass die Kobolde besonders seit der Folgen der Erdmagieentladung noch gieriger und aargwöhnischer seien und die meisten von denen Angst vor einer Art Geheimpolizei hätten, die sicherstellen müsse, dass die Koboldzivilisation nicht aus dem Tritt gerate. Léto bestätigte das und vor allem, dass die Kobolde trotz der Enthüllung der Goldschwund-Verschwörung, wie es später genannt wurde, weiterhin allen Veelas und Veelastämmigen misstrauten. Er wünschte ihr auf jeden Fall, dass fleurs Mann Bill von der Mischung aus Fluch und Gift geheilt werden konnte. Dann fiel ihm noch was ein. "Die wissen, dass Bill von einem Werwolf in menschlicher Gestalt gebissen wurde?" fragte er.
"Ja, wissen sie und ja, sie gehen davon aus, dass dieses Gift oder dieser Fluch mit dem nicht ganz ausgebrochenen Lykanthropiekeim kämpft und Bill deshalb nicht aufwacht. Aber solange die uns nicht an ihn ranlassen", seufzte Léto. Dann erwähnte sie noch, dass Arcadi den Gerichtsprozess in Frankreich dazu ausnutze, um sein Land noch mehr abzuriegeln. Er paktiere mit einer Gemeinschaft die "Russischer Zaubererstolz" heiße und allen nichtrussischen Hexen und Zauberern die Einreise verbot und vor jeder Einmischung in deren innere Angelegenheiten warnte. Alle Veelastämmigen weltweit seien zu unerwünschten Wesen erklärt worden, die auf Sicht erlegt werden dürften. Deshalb könnten die russischen, bulgarischen und rumänischen Veelas derzeitig nicht frei herumlaufen, sondern müssten sich wie eben Werwölfe und Blutsauger bei Nacht ihre Nahrung beschaffen. "Rechne bitte damit, dass Arcadi eurem Zaubereiministerium eine Drohung zukommen lässt, dass wir französischen Veelastämmigen bloß nicht über die römisch-slawische Grenze reisen, falls uns unser Leben lieb ist."
"Schöne Grüße an Winston Churchill, der eiserne Vorhang ist wieder unten", grummelte Julius und wollte ansetzen, Léto den Begriff zu erklären. Doch sie hakte sofort ein: "Ja, so wurde diese irrsinnige politische Abgrenzung damals genannt, wo die einen für das Geld eintraten und die anderen für die Unterdrückung aller Menschen zur angeblichen Gleichsetzung jedes einzelnen. Jetzt haben wir das auch in der magischen Welt."
"'tschuldigung, Léto, aber ich bin darauf eingestimmt, Begriffe aus der nichtmagischen Welt erklären zu müssen und vergesse dabei häufig, dass jemand mit deinem Lebensalter schon einmal von allem was gehört haben kann, was für mich Jungspund noch total neu ist."
"Leben heißt lernen. Deshalb ist deine erste Tochter ja jetzt auch in der Schule", sagte Léto dazu. Julius stimmte ihr zu. Er versprach ihr, ihre Berichte an Madame Barbara Latierre und die Ministerin weiterzugeben, damit die wussten, worauf sie sich einrichten mussten. Léto bedankte sich. Dann kehrte sie wieder in ihre eigene Unterkunft zurück.
Am Nachmittag prasselte ein und dieselbe Nachricht in unterschiedlicher Formulierung aus unterschiedlichen Quellen auf ihn ein.
Zunächst erfuhr er von Temmie, dass es einen Tag vor Aurores Einschulung zu einer stärkeren Verschiebung im Gesamtfeld magischer Kräfte gegeben hatte. Jemand mächtiges musste wohl mit wem anderen gekämpft und das Machtgefüge verändert haben.
Welcher Jemand das war erfuhr er dann von Catherine. Diese nutzte das Abholen von Claudine vor dem Abendessen, um Millie und ihm mitzuteilen, dass ihre Kontakte zur Liga gegen die dunklen Künste und zu den im arabisch-indischen Kulturraum bestehenden Töchtern des grünen Mondes eine Warnung vor einem wiedererstandenen Dunkelmagier, der einmal zwölf Jahre als ägyptischer König regiert hatte, verkündeten. Offenbar sei es wem von Gringotts gelungen, die schwarzmagisch gesicherte Ruhestatt jenes Königs zu betreten und sich dabei als neuer Wirtskörper für den dort rastlos weilenden Geist anzubieten. Es sei auch damit zu rechnen, dass jener finstere Pharao die ägyptischen Geister und Tierwesen gegen die Menschen aufbringen würde. doch solange es keine Möglichkeit gab, den dämonischen Geist aus dem besessenen Körper zu vertreiben könnten sie wohl nur die Symptome lindern, so Catherine.
"Die Liga hat von den eigentlich kongenialen Brüdern des blauen Morgensternes, die du ja auch schon kennenlernen durftest, eine klare Warnung erhalten, sich nicht in deren Hoheitsgebiet zu verirren. Die Angelegenheit mit Otschungu und dem Sonnenmedaillon sei bereits ein harter Verstoß gegen die jahrhundertealte Territorialanerkennung."
"Die haben es nötig", knurrte Julius. Der Stachel saß immer noch tief in seiner Seele, dass ihn jene Morgensternbrüder damals entweder lebenslang gefangenhalten oder verstümmeln wollten und beinahe alle Hexen der Dusoleil-Familie umgebracht hätten, nur um Aurélie Odin zu bestrafen. Für das Gute zu kämpfen sah Julius völlig anders.
Mit wem sich der finstere Pharao angelegt hatte erfuhr Julius, als er am Abend zwischen Bettgehzeit von Clarimonde und Chrysope und Aurore seinen virtuellen Anrufbeantworter abhörte.
"Hallo, Julius. "Da ich gerade genug Zeit habe, die fälligen Angelegenheiten zu regeln wollte ich dir mitteilen, dass jemand aus uralter Zeit wieder aufgewacht ist und sich an deiner sonnigen Cousine aus dem Osten vergriffen hat. Sie ist nun gezwungen, ihr Leben völlig neu aufzubauen. Für den Fall, dass dieser Unhold auch bei euch was anstellt mein gut gemeinter Rat: Halt dich bloß aus allem raus, was mit dem zu tun hat! Der hat sich mit mir und deinen Cousinen angelegt und soll auch nur von uns dafür bestraft werden. Je weiter du von dem wegbleibst, desto besser ist das für dich und deine eigene Familie. Das darfst du auch allen anderen sagen, die von meiner überfürsorglichen Schwester mit nützlichen Hilfsmitteln bedacht wurden. Der Kerl, der sich als wahrer König von Ägypten bezeichnet, will sein altes Reich wiederhaben, also das am Nil mit den hoch aufragenden Pyramiden und der einen in den Sand eingegrabenen Pyramide. Also, bleib besser aus Ägypten fort, wenn du nicht zwischen ihn und eine meiner noch frei handelnden Töchter geraten willst! Alles liebe für dich und deine sehr groß gewordene Familie, deine Tante Alison."
Julius benutzte eine neue Software seiner Mutter, um aufgezeichnete Anrufe in Text umzuwandeln und diesen auszudrucken. Dann mentiloquierte er an Camille, was seine "Tante Alison" mitgeteilt hatte. Offenbar war diese gerade wieder mal in ihrer menschlichen Gestalt unterwegs, um "ihre Angelegenheiten" zu regeln. Camille riet ihm, die Drohung ernstzunehmen. Denn sie habe aus dem Denkarium ihrer Mutter erfahren, dass es tatsächlich schon zu Zusammenstößen mit dem Geist aus der umgekehrten Pyramide gekommen sei. Nun konnte sich auch Julius an die Zeremonie erinnern, bei der er vollständig in die Reihen der sieben Kinder Ashtarias aufgenommen worden war. Ja, Buramesch, von dem er über viele Generationen hinweg den Heilsstern geerbt hatte, hatte zusammen mit Camilles weit zurücklebender Vorfahrin auch versucht, den sogenannten ungenannten Herrscher zu vernichten und dabei mit ansehen müssen, wie ein anderer Magier, der dem Totengott Seth verbunden war, von jenem wahrhaftigen Dämon in sein unterirdisches Reich gezogen und dort sicherlich getötet worden war. Er hatte dann die Seelen der diesen Sethanhänger begleitenden Feuerlöwen als geisterhafte Erscheinungen ausgespuckt, wohl weil er keine rein tierhaften Seelen verdauen konnte. Falls dieser dämonische Geist sich einen neuen Körper gegriffen hatte konnte der jetzt frei in der Welt herumlaufen. Nur nach Millemerveilles, in das Sonnenblumenschloss, das Château Florissant oder das Haus der Brickstons oder Beauxbatons würde der wohl hoffentlich nicht hineinkommen. Sich darauf zu berufen, dass Ägypten weit weg war galt für Julius genauso wie die Sorge um einen seit Monaten schwelenden Konflikt im Libanon oder die Gefahr eines iranischen Atomwaffenprogramms. Wer konnte sagen, wann jener wiederverkörperte Unheilsbringer die restliche Welt heimsuchte? Doch erst einmal wurde Frankreich nicht bedroht. Wie sagte seine Frau: "Auch andere können mal die Welt retten." Sollten das am Ende Lahilliotas Töchter sein, weil dieser zum Dibbuk gewordene Ex-König eine von ihnen entkörpert hatte und die jetzt ihr Leben neu einrichten musste? Wie oft hatte ihn Anthelia, wo sie noch nicht mit Naaneavargia verschmolzen war geholfen. Wie oft hatte Naaneavargia selbst schon was getan, um ein anderes Übel von der Welt abzuwenden? Dann kam noch was hinzu: Ägypten gehörte zu Ladonnas erweitertem Hoheitsgebiet. Zumindest waren sich alle europäischen Zaubereiministerien darin einig, seitdem der griechische Zaubereiminister ganz knapp einem Feuerrosenanschlag entgangen war, bei dem auch Mittelmeeranrainer vor Ort waren, also auch Nordafrikaner. Am Ende putzte Ladonna selbst diesen finsteren Pharao von der Landkarte. Aber wenn der schon so mächtig war, einer mit Sonnenmagie um sich schlagenden Abgrundstochter den Garaus zu machen konnte der womöglich auch mit Ladonna fertig werden. Ein Übel fraß ein anderes auf und wurde davon stärker. Keine schönen Aussichten, fand Julius. Wie herrlich war es doch vor drei Tagen gewesen, Aurores ersten Schultag mitzuerleben, etwas wirklich unbeschwertes. Ja, wohl wahr, der echte Ernst des Lebens lauerte nicht hinter dem Lehrerpult oder zwischen den Schulbänken, sondern irgendwo da draußen.
Julius informierte Catherine über den Anruf seiner verschollenen Tante Alison. Da im Ministerium alle von ihm erfahren hatten, dass Itoluhila seine Tante entführt und sie mit dem Geist ihrer Mutter Lahilliota verschmolzen hatte und dass dieser Geist die Schnapsidee gehabt hatte, mit den Tränen der Ewigkeit herumzumurksen und deshalb zu einer riesenhaften roten Ameisenkönigin mutiert war, konnte er es seinen Leuten ruhig mitteilen, was seine Tante, die sicher wieder ein geklautes Handy benutzt hatte, auf seinem AB hinterlassen hatte. Es war sowieso wichtig, dass sie auch in Paris erfuhren, was es mit dem ägyptischen Dämon aus der umgekehrten Pyramide auf sich hatte. Da konnte die Liga einhaken, sofern die Morgensternbruderschaft sie ließ.
Sie hatte überlegt, sich den künstlichen Uterus aus dem Körper zu lösen, der sie sozusagen in der Welt hielt und ihr Anker und Machtzentrum überhaupt war. Doch wenn sie ihre volle Stärke ausspielen wollte brauchte sie ihre kristalline Kraftquelle. Die Nachteile waren, dass sie damit nicht geräuschlos den Standort wechseln konnte, ihr Ankerartefakt einer gewissen Gefahr der Vernichtung auslieferte und bei schnellen Flügen nicht schneller als der Schall fliegen konnte, wenn sie keinen typischen Überschallknall erzeugen wollte. So flog sie sicherheitshalber nur mit drei Vierteln der Luftschallgeschwindigkeit und mehr als fünfhundert Meter über den Wellenbergen des im Mond- und Sternenlicht silbergrau schimmernden Ozeans.
Mit ihrem Nachtsichtvermögen konnte sie bei diesem Licht wie am hellsten Mittag den dunklen Fleck weit voraus im spiegelnden Ozean sehen. Das war jene Insel, von der sie aus Riutillias Erinnerungen wusste, dass Thurainilla dort mehrere hundert Dementoren zusammengetrieben hatte, um sie im Bedarfsfall als ihre Armee einsetzen zu können. Sie wusste, dass ihr Vorhaben gefährlich, ja existenzbedrohend war. Doch sie wollte es wissen, ob nicht auch sie diese für Menschen so unheilvollen Wesen unterwerfen und für sich einsetzen konnte. Immerhin war sie sich nach mehreren Übungsrunden sicher, dass sie der Mantel der verschlingenden Dunkelheit nicht vertilgen konnte. Denn sie konnte sich Dank Riutillias Erinnerungen mit einem Schutzzauber aufladen, der die großflächige Dunkelheit und Kälte von ihr fernhielt.
Als die Insel nur noch wenige Kilometer entfernt war bremste Birgute Hinrichter ihren schnellen Flug und streckte ihre besonderen Sinne nach der Insel aus. Sogleich traf sie auf mehrere Dutzend stark nachschwingende Quellen, die keine reinen Menschen waren. Sie erinnerte sich an die von Riutillia verspürten Eigenschwingungen der Dementoren und erkannte, dass die von ihr erfassten Quellen in genau dieser Weise schwangen. Ja, hier war sie vollkommen richtig.
Entschlossen, es endlich herauszufinden näherte sie sich den unheimlichen Wesen, von denen nicht mal Riutillia und Morgause wussten, wie sie entstanden waren.
Als sie nur noch fünfzig Meter von einer Felsenhöhle entfernt war fühlte sie den Aufruhr dort drinnen. Man hatte sie bemerkt. Dann sah sie, wie an die zwanzig oder dreißig von denen herauskamen. Da Riutillia diese Wesen aus Thurainillas Erinnerungen kannte wurde Birgute nicht überrascht. Das einzige, was sie als neu empfand war, dass die Dementoren nur halb so groß wie sie waren. Gut, für normalsterbliche Menschen waren es wahre Riesen. Sie wusste aber auch, dass jeder einzelne von denen diesen Mantel aus verschlingender Dunkelheit ausbreiten und durch sein Atmen die glücklichen Gefühle und Gedanken anderer Wesen in sich einsaugen konnte. Daher panzerte sie sich mit den von Riutillia und Morgause erlernten Gefühlsschutzzaubern, wobei sie ein kurzes Beben in ihrem nachtschwarzen Unterleib fühlte.
Die auf sie zufliegenden Wesen blieben in der Luft stehen und schienen wild herumzuschnüffeln, wo denn die fremde Gedankenquelle war. Dann schwärmten sie aus.
Birgute Hinrichter sog noch etwas von der wohltuenden Dunkelheit in sich auf und lud sich mit dem Schutz gegen den Mantel der verschlingenden Dunkelheit auf. Dann waren die Dementoren schon auf ihrer höhe. Jetzt erkannte sie, dass diese wohl blind waren und sich nur nach Gehör und Gedankenausstrahlung ausrichten konnten. Nun umgab sie völlige Dunkelheit. Ihr künstlicher Uterus brummte nun wie ein auf 100 Hertz gestellter Transformator. Sie rief alle in ihr steckenden Kräfte wach, um die sie umschwirrenden Monster zu unterwerfen.
"Halt, Dementoren. Ich bin die Kaiserin der Nachtgeborenen. Damit sind mir alle Untertan, die in der Nacht wandeln und handeln. Also ergebt euch mir!" rief Birgute in jener Sprache, die sie von Riutillia als für diese Wesen wirkmächtigste Sprache erlernt hatte. Die Dementoren hörten den Anruf und steuerten nun auf die Quelle zu. Nur Dank ihrer Nachtsicht konnte sie die einzelnen, in weite Kapuzenmäntel gehüllten Wesen klar und deutlich sehen. Sie sah, dass sie eingekreist wurde. Auch spürte sie, dass der von den Dementoren ausgehende Dunkelheitszauber ihr doch etwas anhatte. Er bremste ihre Bewegungsfähigkeit, je mehr Dementoren sich um sie versammelten. Nur mit ganzer Stärke konnte sie ihre Gliedmaßen noch bewegen. "Verringert eure Macht der Verdunkelung und ergebt euch mir!" rief Birgute Hinrichter laut. Doch die Dementoren gehorchten nicht. Sie rückten noch enger auf sie zu. Sie fühlte, dass jeder von ihnen einen Mantel der Dunkelheit ausbreitete, der sich mit den vielen anderen Mänteln überschnitt. Birgute erkannte mit steigendem Unbehagen, dass sie gerade ein Netz spannen, in dem sie unrettbar festhängen würde. Die Dementoren wussten das wohl und rückten in einer klar abgestimmten, immer engeren Formation vor. Gleich war ihr der Rückweg versperrt. Wenn dann das Geflecht ineinanderfließender Dunkelheitszauber verstärkt wurde hing sie gleich in der Falle fest.
"Ich bin die Herrin der wahren Nachtkinder. Ich verlange eure Unterwerfung!" rief Birgute. Doch die Dementoren gingen nicht darauf ein.
"Deine fleischlos fliegende Seele gehört jetzt uns, Geisterfrau. Einer von uns oder mehrere von uns kriegen gleich deine Seele", klang hohl wie aus einem Brunnenschacht die Stimme eines der Unheimlichen.
"Oder ich kriege deine, Gefühlssauger", dachte Birgute und sprach für Ohren hörbar: "In mir wirkt das Erbe der Herren aller dunklen Wesen. Ihr müsst mir gehorchen. Gehorcht mir!" Sie spürte, wie die von den Dementoren einzeln erzeugten und ineinanderfließenden Dunkelheitsauren immer engmaschiger wurden, ja sich sogar zu lebenden Strängen verdrehten, die ihre eigene Beweglichkeit immer stärker einschränkten. Wenn sie in den nächsten Sekunden keinen Erfolg mit ihren Befehlen hatte war sie wie ein Insekt in Bernstein eingebacken.
"Du bist nicht unsere Herrin. Du hast nicht die Kraft der Herrin, nur ein Viertel davon. Nur die Herrin, die unseren Mantel der alles Licht verschlingenden Kraft ausbreiten kann, kann uns Befehlen", erwiderten die Dementoren nun im Chor. Offenbar hatten sie sich vollständig aufeinander eingestimmt. Sie rückten noch näher. Jetzt meinte Birgute, Dutzende von erbebenden, sich um sie schlängelnden Schlangen unterschiedlicher Größe zu spüren. Dann fühlte sie, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Sie sah vor sich einen leicht aus sich dunkelblau leuchtenden Dementor, der gerade seine Kapuze zurückwarf und ein Gesicht entblößte, das im wesentlichen aus einem großen, breiten Maul bestand. Er öffnete dieses Maul und sog rasselnd Luft und was auch immer ein. Birgute fühlte, wie ihr künstlicher Uterus im Rhythmus dieses Atems nachschwang. Dieses schwebende Ungeheuer wollte ihr wahrhaftig die Seelenenergie aussaugen. Dann zuckte der Dementor zurück. "Du bist nicht nur eine, du bist vier. Du bist zu groß für mich alleine. Los, Geschwister, packt sie und saugt ihr aus, was sie hat!"
Nun rasten mehr als zehn Dementoren auf sie zu. Das Netz der Dunkelheitszauber zog sich um sie zusammen, zwang sie dazu, immer kugelförmiger zu werden, bis sie ihren künstlichen Uterus wie ein nahtloser Globus umschloss. Doch der Druck der sich um sie zusammenziehenden Netzstränge wuchs noch. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Dann fühlte sie, wie etwas versuchte, an ihr zu saugen. Doch weil zugleich die Stränge aus formbarer Dunkelheit auf sie eindrückten und sie gerade in der kompaktesten Erscheinungsform steckte fühlte sie nur die gierig an ihr saugenden, jedoch nicht, dass ihr gerade Kraft entschwand. Was sie jedoch spürte war, dass ihre kristalline Gebärmutter immer wilder erbebte. Sie dachte mit großer Sorge an Kristalle, die durch von außen zugeführter Resonanzfrequenz zerspringen konnten. Wehe ihr, wenn die Dementoren diese bei ihr herausfanden. Aus der Besorgnis wurde Angst, nackte, eiskalte Angst. Sie fühlte, dass sie gleich sterben oder vergehen würde. Sie wollte aber nicht ausgelöscht werden, nicht von diesen Wesen, die genauso dämonisch waren wie sie selbst. Nein, sie musste hier weg!
Mit einem aus der Angst erwachsenen Energieschub blähte sie sich kurz auf, womit sie die an ihr saugenden Dementoren von sich abschüttelte und versetzte sich mit einem einzigen Gedanken zurück in ihre eigene Höhle.
Als sie erleichtert feststellte, dass sie keinen der Unheimlichen mitgebracht hatte beruhigte sie sich wieder. Sie entfaltete sich wieder zu ihrer riesenhaften menschlichen, aber undurchdringlich schwarzen Erscheinungsform. Das Beben in ihrem Bauch war verklungen. Sie spürte nur die zwischen sich und ihrem Ankerartefakt wirkende Strömung. Beruhigt sog sie die natürliche Dunkelheit in sich ein und atmete sie wieder aus.
Als sie das Erlebnis von eben noch einmal durchdachte ärgerte sie sich, dass sie, die Mutter aller Schattenkinder, die wahre Herrin aller Nachtwesen, derartig schwach war, um mit diesen Seelensaugern fertig zu werden. Wieso konnte Thurainilla diese Wesen unterwerfen? Wie genau ging der Mantel der verschlingenden Dunkelheit? Sie erkannte, dass Riutillia nur wusste, dass Thurainilla ihn beherrschte, aber kannte nur einen kleinen Teil der reinen Gedankenformel.
Ihr fiel ein, dass der eine Dementor ihr entgegengehalten hatte, dass sie nur ein Viertel der Kraft seiner Herrin in sich trug. Aber sie hatte doch Riutillias Geist in ihren eigenen eingesaugt und ihn sich unterworfen. Ja, aber Birgit Hinrichsens und Ute Richters Seelen waren ja auch mal Einzelseelen gewesen. Dann hatte sie noch Morgauses schattenhafte Existenz in sich eingesogen und bestand somit aus vier miteinander verschmolzenen Seelen, wobei sie, Birgute Hinrichter, die Gedankenhoheit besaß. So blieben ihr nur drei Möglichkeiten: Sie musste sich von einer Gruppe aus mehr als vier Dementoren fernhalten, jeden Anspruch auf Herrschaft über auch nur eines dieser Wesen aufgeben oder sich endlich auch Riutillias Zwillingsschwester einverleiben und sich ihr unterwerfen, um alles Wissenund alle Macht der kosmischen Dunkelheit anwenden zu können. Aufzugeben kam nicht in Frage. Also blieb am Ende nur die dritte Möglichkeit. Doch wo und wie sollte sie Thurainilla finden und angreifen? Diese Frage wollte sie klären und dann zur Jagd auf die Tochter der Dunkelheit ausrücken, auf dass sich die Rollen von Jägerin und Beute nicht umkehrten. Sicher wollte Thurainilla sich an ihr für die Auslöschung ihrer Schwester Riutillia rächen. Die dachte sicher auch schon daran, wie sie das anstellen wollte, nachdem es zum Zusammenstoß zwischen ihrem Diener und den Unterpfändern ihrer Kinder gekommen war.
Der Entschluss stand fest: Um alle ihre Feindinnen und Feinde zu besiegen musste sie Thurainilla überwältigen und all ihre Kraft in sich einverleiben. Das hatte eigentlich immer schon festgestanden. Doch nun bestand noch mehr Druck, das auch durchzuziehen, dachte Birgute Hinrichter. So begann sie die weiteren Schritte zu planen.
Der bei Tag grasgrüne Fiat 500 holperte auf den Parkplatz vor dem Weitmarer Holz, einem im Süden Bochums gelegenen Wald. Helga Frenzen stellte den Motor aus und löste den Sicherheitsgurt. Jetzt hieß es warten.
Seit über drei Jahren musste sie ein Leben abseits der Menge führen, damit nicht auffiel, was ihr anhaftete oder besser, was ihr fehlte. Die Dämonin, die ihr vor über drei Jahren ihren natürlichen Schatten geraubt hatte konnte sie damit aus jeder Entfernung lenken und ihr alles abverlangen, wenn sie nicht unter heftigen Qualen sterben oder gar sich und ihre Liebsten in derselben Sekunde in den Tod reißen wollte. Zu unregelmäßigen Zeiten, mal nach nur wenigen Stunden, mal nach mehr als vier Monaten, bekam sie von jener Schattenräuberin telepathische Anweisungen, wo sie hinzugehen und wen sie sich genauer ansehen sollte. Warum sie das tun sollte wusste sie nicht und durfte es auch nicht hinterfragen. Sie hatte nur einmal gesagt bekommen, dass es noch andere wie sie gab, die ähnliche Aufgaben wie sie hatten.
Warum sie jetzt am Weitmarer Holz anhalten sollte wusste sie nicht. Sie hatte nur den Befehl: "Fahre um elf zum weitmarer Holz und warte auf meinen nächsten Befehl!" gehört. Also wartete sie. Die analoge Uhr im Armaturenbrett zeigte viertel nach elf, als die Stimme ihrer übernatürlichen Meisterin wieder in ihrem Kopf ertönte: "Helga, steig aus und geh nach Süden bis zur ersten Lichtung. Da bleibst du stehen, bis elf andere Leute bei dir sind."
Helga verließ ihren Wagen. Sie sah sich kurz um, ob jemand anderes sie beobachten mochte. Sie blickte dabei auch nach oben, als wenn von dort wer zuschauen mochte. Mit modernen Drohnen war das ja mittlerweile leider möglich. als sie sich sicher war, nicht beobachtet zu werden betrat sie den Wald und ging schnell und ohne Angst vor wilden Tieren, Räubern oder Vergewaltigern zur anbefohlenen Lichtung. Dort waren bereits zwei andere Leute, ein Mann und noch eine Frau, beide schon älter als dreißig Jahre. Weil der Mond gerade hinter der Frau stand hätte diese einen sichtbaren Schatten werfen müssen. Dies tat sie aber nicht. Da wusste Helga, dass sie eine ihrer Schicksalsgenossinnen vor sich hatte. Als sie sicher war, dass auch der Mann keinen eigenen Schatten mehr hatte ahnte sie, dass es hier zu einem Treffen der Schattenlosen kommen sollte. Durfte sie die Frage stellen, ob sie mehr über dieses Treffen wussten? "Nein, das darfst du nicht", hörte sie auf diese rein gedachte Frage eine unüberhörbare telepathische Antwort. also durfte sie sich auch nicht vorstellen oder nach Namen fragen. So standen die erst drei, dann fünf, dann sieben Schattenlosen mehr als eine halbe Stunde auf der Lichtung. Dann trudelten noch fünf Schattenlose ein. Insgesamt waren es nun sieben Männer und fünf Frauen, die hier zusammenkamen um gemeinsam schweigend auf die Dinge zu warten die da kommen sollten. Helga dachte daran, dass vielleicht gleich jene Schattenräuberin erscheinen würde und ihr und den anderen neue Befehle erteilen sollte.
Helga Frenzen fühlte es, dass sich etwas all zu vertrautes näherte und sah nach oben. Da flog eine pechschwarze Kugel herunter. Eine? Nein, es wurden immer mehr dieser nachtschwarzen Kugeln. Sie segelten wie landende Ballons ohne Gondeln vom Himmel herunter, genau auf die Lichtung zu. Helga spürte den sanften Wind auf ihrer Haut. Eigentlich müsste dieser die niedersinkenden Kugeln doch abtreiben. Doch sie kümmerten sich nicht um den Wind. Also waren das auch nichtnatürliche Flugkörper. Als die schwarzen Kugeln zwischen allen Schattenlosen landeten pulsierten sie und wurden zu gespenstischen Wesen, die aus reiner Schwärze bestanden. Nur da, wo Menschen Augen hatten leuchteten je zwei dunkelblaue Lichter. Das waren jene dämonischen Wesen, die Helga Frenzen und den anderen ihre Schatten weggenommen hatten. Also gab es nicht nur die eine Dämonin, sondern mindestens noch elf andere.
"Schön, dass ihr es einrichten konntet, heute nacht hier zu sein", sagte einer der männlich wirkenden Dunkelgeister. "Unser aller Mutter und Kaiserin, die durch uns auch eure Herrin wurde, hat beschlossen, euch für eure treuen Dienste zu belohnen. Ihr habt ihr jedesmal, wenn ihr eine Aufgabe erfüllt habt Bericht erstattet. Nun wird es Zeit, das gelieferte Wissen praktisch umzusetzen. Dazu wird euch die Kaiserin der Nacht mit neuer Kraft und neuen Aufträgen betrauen. Seht, da ist sie!"
Mit einem deutlich vernehmbaren dumpfen Knall erschien wie aus dem Nichts heraus eine Ungeheuerlichkeit, wie sie sonst nur in Horrorgeschichten oder Fantasyerzählungen zu finden war. Eine wahrhaftige, pechschwarze Riesenfrau, mindestens zwölf Meter groß, schwebte mit ihren gewaltigen Füßen knapp einen halben Meter über dem Boden. "Ich grüße euch, meine Kinder und eure künftigen Geschwister. Ist doch schön, wenn aus ganz Deutschland alle in derselben Nacht am selben Ort zusammenkommen können", sagte die Unheimliche, die unverkennbar die Mutter jener zwölf Dämonen war, die je einen der hier hinbefohlenen zu schattenlosen Menschen gemacht hatten. Helga Frenzen spürte die gnadenlose Kälte, die von dieser Erscheinung ausstrahlte. Zugleich fühlte sie sich zu dieser Gespensterriesin hingezogen. "Knie vor deiner und meiner Kaiserin!" hörte sie den telepathischen Befehl der einen Dämonin, die sie heimgesucht und ihr den Schatten weggenommen hatte. Als habe diese Helga nun auch körperlich übernommen fühlte sie, wie sie sich hinkniete und ihren Kopf nach unten beugte.
"Das ist nett von euch, meine Kinder. Aber ich möchte die wertvolle Zeit nicht mit zu viel menschlichem Unterwürfigkeitsgetue vertun", sagte die Schattenriesin. "Steht alle wieder auf, oder besser, legt euch alle auf den Rücken, damit eure Paten euch zu mir hinführen können!"
Anderthalb Kilometer über dem Grund, eingehüllt in den Tarnzauber eines Harvey-5-Flugbesens und dazu noch mit dem Lebensaurenverdunkelungszauber für auf Lebensausstrahlung empfängliche unerfassbar schwebte die seit der "goldenen Erleuchtung" des deutschen Zaubereiministeriums wieder in allen Ämtern und Würden eingesetzte Albertrude Steinbeißer über dem Weitmarer Holz und hielt ihn unter Beobachtung. Gerade sah sie, wie die Mutter und Kaiserin der neuen Nachtschatten persönlich erschien und hörte aus der Tiefe den vielfach widerhallenden Klang ihrer tiefen Stimme. Doch weil sie keine magischen Ohren hatte konnte sie nicht verstehen was die dämonengleiche Kreatur sagte. Doch ihre magischen Augen verrieten ihr, dass es offenbar darum ging, die zwölf an diesen Ort zitierten zu töten. Denn gerade legten sich die eindeutig schattenlosen Männer und Frauen auf den Rücken. Jene zwölf Unterschatten, die sie offenbar an der langen magischen Leine geführt hatten stiegen in Form schwarzer Wolken auf und glitten auf ihre Opfer zu. Währenddessen hockte sich die Mutter der Nachtschatten hin, als wolle sie gleich ein Kind zur Welt bringen. Albertrude wechselte schnell die Position und sah mit der dazugewählten Aurensicht die Schattenriesin noch fünfmal größer. Doch vor allem fiel ihr die dunkelrot-silbern pulsierende, birnenförmige Lichtquelle im Unterleib der Riesin auf. Da begriff die aus Gertrude und Albertine Steinbeißer zu einer Person verschmolzene Hexe, was der Sinn dieser Zusammenkunft war. Denn gerade flackerten die Lebensauren der ersten drei, darunter Helga Frenzen, die erst vor einem Jahr entdeckt und aus sicherer Entfernung unter Beobachtung genommen worden war.
"Soviel zur Lockvogelbehauptung", dachte Albertrude. Ladonna hatte die zeitweilig von ihr beherrschten Ministeriumszauberer und -hexen angehalten, die Schattenlosen nicht zu behelligen oder gar zur vorzeitigen Explosion zu reizen. Sie wollte wissen, was die zu tun hatten und ob es keine Möglichkeit gab, dass sie jene anlockten, die für das alles verantwortlich war. Tja, dem war nun so, dachte Albertrude.
Die Beobachterin verfolgte mit, wie außer den zwölf kleineren Nachtschatten noch fünfzig weitere um die Lichtung herum erschienen und als kompakte Kugeln wie aus unsichtbaren Kanonenrohren abgefeuert in den Himmel schossen. Albertrude dachte erst, dass man sie doch irgendwie wahrgenommen hatte. Doch dann sah sie, dass sich die dazugekommenen Nachtschatten wie natürliche schwarze Wolken vor den Mond schoben. Sie sollten die dunkle Empfängnis nur absichern, nicht auf Jagd gehen.
Trotz der Durchblickfunktion ihrer magischen Augen konnte Albertrude nicht mehr sehen, was dort unten vorging. Sicher war auch, dass das Mondlicht abgedunkelt wurde und die Schattenkönigin somit noch mehr Kraft aus der Nacht bezog. Das hatte die verdammt gut ausgeklügelt. Sollte sie es wagen, eine der drei aus dem Ministerium mitgegebenen Sonnenlichtkugeln einzusetzen? Dazu hätte sie jedoch bis auf hundert Meter Höhe über dem Geschehen heruntersinken müssen. Doch da warteten schon die als dicke schwarze Wolken getarnten Untertanen der Schattenriesin. Ihr Aurensehvermögen zeigte die absichernden Nachtschatten als bunte Lichtwirbel, die langsam kreiselnd über dem Geschehen schwebten. Sie konnte nicht hindurchblicken.
"Schwester Anthelia, Nachtschattenkönigin wie von Ladonna erhofft in Bochumer Wald aufgetaucht. Will bisher schattenlos gehaltene Menschen offenbar umbringen oder als ihre künftigen Kinder empfangen", mentiloquierte Albertrude der gerade in Österreich weilenden Obersten der Spinnenschwestern. Diese antwortete nach nur drei Sekunden: "Wirf die Phiole mit verdichteter Dunkelheit ab und beobachte Reaktion aus ausreichender Entfernung.", Schwester Albertrude!"
albertrude lächelte. Sie nestelte an ihrem Umhang und berührte zwei kleine Knöpfe, die sich wie Zierknöpfe anfühlten. Darauf öffnete sich eine winzig wirkende Tasche. Sie steckte ihre Finger hinein und bekam den Hals einer kleinen Flasche zu fassen. Diese zog sie hervor. Es ploppte leise, als die aus der kleinen Geheimtasche befreite Flasche ihre eigentliche Größe annahm und sacht zu pulsieren begann. "Infragibilitatem recanto!" dachte Albertrude, während sie ihren Zauberstab an die Flasche hielt, die sie gerade nicht sehen konnte. Sie wusste, dass sie jetztnur noch eine Minute hatte, bis die Flasche zerspringen musste und die darin konzentrierte Dunkelheit von zehn Mondlosen Nächten auf einmal freigesetzt wurde. Albertrude hatte zudem noch den Flaschenkorken bezaubert, dass er in Richtung der größten Quelle dunkler Magie zog. Sie ließ die Flasche mit dem Hals nach unten fallen. Sofort änderte sie ihre Position. Sie schwirrte mit dem Harvey-Besen im 30-Grad-Winkel nach oben und mindestens 80 Grad nach rechts, bis sie knapp zwei kilometer über Grund war. Dort bremste sie den Besen wieder ab und schwang herum, um die Lichtung zu beobachten. Sie sah die nach unten stürzende Flasche, die immer wilder erbebte, sah, wie sich der Korken auf etwas ausrichtete. Wie viel Zeit blieb noch?
Die Flasche fiel auf die finstere Formation der wachenden Nachtschatten zu. Diese geriet in Bewegung. Also nahmen die Schatten das von oben herunterstürzende Objekt wahr. Dann geschah es.
Zwanzig oder dreißig zu kompakten Kugeln verdichtete Schatten brachen aus der Formation aus, schwirrten aus verschiedenen Richtungen auf die herunterfallende Flasche zu und umhüllten diese. Albertrude erkannte, dass der direkte Angriff auf die Nachtschattenkönigin gerade fehlschlug, als die Flasche von der neuen Kugelschale weiter nach oben befördert wurde. Dann erfolgte die laut- und lichtlose Explosion.
Innerhalb einer Viertelsekunde blähte sich eine neue Kugel aus völliger Dunkelheit aus und überdeckte einen Teil des Waldes. Die lichtlose Sphäre erreichte eine Ausdehnung von an die 500 Meter. Albertrude überschlug die Steiggeschwindigkeit der Gruppe Nachtschatten und kam darauf, dass der untere Pol der Kugel bereits mehr als 100 Meter über Grund war. die auf dunkle Zauber spezialisierte Hexe brauchte ihre Aurensichtverstärkung nicht zu nutzen, um die magische Erschütterung zu spüren. Als die Kugel dann nach zehn Sekunden zu erst schwarzem und dann grauem Dunst auseinanderfloss und ebenso geräuschlos verschwand wie sie erschienen war sah sie, dass die verbliebenen Nachtschatten eine Halbkugel über der Lichtung bildeten, die weiterhin den Mond und jede normaläugige Beobachtung aussperrte.
"Hat nicht die erhoffte Wirkung gehabt, Schwester Anthelia. muss schleunigst Abstand nehmen", mentiloquierte Albertrude. Wie recht sie damit hatte sah sie dank ihrer biomaturgischen Augen, als an die hundert weitere schwarze Schattenkugeln aus dem Nichts erschinen und in kleinen Suchgruppen ausschwärmten.
Helga Frenzen spürte die eisige Kälte, die von der sie bedeckenden Dämonin ausging. Sie erkannte, dass sie jetzt doch sterben würde. Doch sie wollte noch nicht sterben. Zum ersten mal seitdem ihr Schatten gestohlen worden war fühlte sie wieder Angst. Doch es war zu spät. Die über ihr liegende Unheilserscheinung saugte ihr das Leben und die Wärme aus. Doch bevor sie noch ihre Seele an dieses unnatürliche Wesen verlor ließ dieses von Helga ab. "Komm zu mir! Wachs in mir!" hörte sie die Stimme jener, die die Kaiserin und Mutter der Schattendämonen war. Sie fühlte sich ganz leicht und sah den von tiefschwarzen Wolken verhüllten Himmel. Wo waren die Wolken auf einmal hergekommen? Unwichtig. Denn sie sah nun noch die vor ihr auf der verdunkelten Lichtung hockende Schattenriesin und fühlte einen von ihr ausgehenden Sog. Sie ffühlte auch, dass weitere unterwegs zu ihr waren. Da begriff sie, dass die Mutter der Dämonen sie in sich hineinzog, damit sie selbst eine von ihnen wurde, nachdem sie durch welche bösen Zauberkräfte auch immer entsprechend umgewandelt worden war. Sie wollte schreien, ihr Schicksal lautstark zurückweisen. Doch ihr fehlte die Stimme. Sie sah und spürte nur, dass sie auf die Schattenriesin zuschwebte. "Komm zu mir! Wachs in mir!" hörte sie die Worte, die Verlockung und unablehnbarer Befehl in einem waren.
Sie fühlte, wie sie und gleich drei andere ihrer unheilvollen Schicksalsgenossen auf den gewaltigen Unterleib der Riesin zuflogen und dann von einem Moment zum anderen in einem Raum mit festen Wänden landete. Sie fühlte, wie etwas von außen in sie einzuströmen begann. Der Verwandlungsvorgang hatte eingesetzt. Würde sie nun sterben oder war sie nicht schon längst tot? Jedenfalls würde sie hier nur als neue Tochter dieser Überdämonin wieder herauskommen, ihr ganz sicher treu ergeben sein und Jagd auf andere unschuldige Leute machen, zu denen sie selbst mal gehört hatte.
Birgute traute der Ruhe nicht. Sie wollte diese Empfängnis von gleich zwölf auf einmal unbedingt durchziehen. Daher rief sie vier Zehnertrupps nicht aus ihr geborener Getreuer. Die sollten zum einen den Mond verdunkeln, zum anderen jeden fliegenden Beobachter aussperren und im Falle eines Angriffes, egal von wo den Angreifer sofort umschließen und töten oder ein Geschoss sofort möglichst aus ihrer Sichtweite befördern, bevor es sie mit irgendwelchem Vernichtungszauber treffen konnte.
Sie hatte gerade die ersten fünf entkörperten Seelen der ehemaligen Unterpfänder in sich aufgenommen, als sie den geistigen Aufschrei aus der Abschirmformation hörte. Sie konnte jetzt aber nicht aus ihrer eigenen Konzentration heraus, weil sie unbedingt alle freigelegten Seelen in sich einverleiben und neu ausreifen wollte. Zwölf auf einmal sollte ein neuer Rekord werden. Weil die zwölf schon lange von ihrer dunklen Magie durchdrungen waren würden die leichter auszutragen sein als bis dahin unberührte Seelen. Doch wer oder was wagte es, sie dabei zu stören?
Sie bekam eher beiläufig mit, dass dreißig Getreue ein dunkle Schwingungen aussendendes Ding aus dem Himmel abfingen und befehlsgemäß umschlossen und mit annähernder Schallgeschwindigkeit in den Himmel zurücktrugen. Dann bekam sie mit, wie sich ein gewaltiger Schwall reiner Dunkelheit über dem Wald ausdehnte und in alle Richtungen strömte. Sie meinte, von starken Windstößen von oben und allen Seiten gebeutelt zu werden. Doch sie blieb konzentriert. Sie fühlte die in ihrem kristallienen Uterus eingenisteten neuen Kinder, wie sie sich bewegten. Einige begehrten noch auf. Andere wie eine gewisse Helga Frenzen hatten erkannt, was ihnen widerfuhr und dass sie es nicht mehr abwenden konnten.
"Beschützt die Kaiserin und ihre treuen Kinder! Tod dem Frevler!" hörte sie den Gedankenruf eines ihrer Truppenführer, während sie Garnor Reko, Remurra Nika und die anderen zehn ersten Schattenpfänder näher zu sich heranwinkte, nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten. Gerade schlüpfte die zwölfte entkörperte Seele in Birgutes Unterleib und verband sich mit den dort wirkenden Strömen. Jetzt konnte sich die Kaiserin der Nachtgeborenen wieder voll auf das konzentrieren, was um sie herum geschah.
"Wo bist du, Frevlerin oder Frevler? Die Kaiserin will dein Leben!" hörte sie die Stimme Remurra Nikas. "Wenn ihr in einer Minute keinen Feind findet kehrt zu euren Standorten zurück!" befahl die Kaiserin. Sie fühlte sich so, als habe sie eine ganze Tonne Gewicht zugenommen. Offenbar war das mit zwölfen auf einmal doch nicht so eine gute Idee. Doch jetzt steckten die in ihr drin und sollten auch nur noch als ihre neuen Kinder wieder herauskommen. Aber an weite Flüge war in ihrem Zustand nicht zu denken. Daher befahl sie allen ihr folgenden Schatten: "Rückkehr in unsere Heimstatt!"
"Aber wir haben gerade die Spur der bösen Bombe gefunden. Wer immer die geworfen hat muss noch da oben sein", widersprach einer der Truppenführer. "Ich befahl den sofortigen Rückzug, Truppenführer Birur Nogachim! Ausführung!" gedankenrief Birgute. Keine zwei Sekunden später verschwanden sie mit lautem Knall und alle anderen geräuschlos. Zurück blieben zwölf tiefgefrorene Leichname, die Spuren von zwölf Leuten auf dem Waldboden, sowie neun verwaiste Autos und drei dito Fahrräder.
Albertrude Steinbeißer wusste, dass Nachtschatten für gewöhnlich nicht höher als drei Kilometer aufsteigen konnten, weil sie dem Licht des Mondes und der Sterne dann zu sehr ausgesetzt waren. Darauf setzend jagte sie beim Ausschwärmen der hundert Schattenkugeln nach oben. Sie ließ ihr linkes Auge in seiner Höhlung so kreisen, dass sie damit hinter und unter sich sehen konnte. So bekam sie mit, wie fünf Nachtschatten in Kugelform genau dort herumschwirrten, wo sie vorhin die Flasche in die Tiefe hatte fallen lassen. Sie flogen nun in immer weiteren Spiralen nach oben. Mit gewisser Besorgnis erkannte Albertrude, dass die Schattenkugeln dabei mit mehr als der Schallgeschwindigkeit unterwegs waren. Sollte eine davon mit einem lebenden Wesen zusammenstoßen war das garantiert der Tod des Wesens aus Fleisch und Blut. Es ging den Getreuen der Nachtschattenkönigin nicht um Gefangennahme. Weitere Kugeln folgten ihnen. Albertrude sah mit Unbehagen, dass die Nachtschatten genau da entlangflogen, wo ihr Besen gerade entlanggeflogen war. Offenbar nutzten sie einen Sinn für fremde Magie wie einen Flugzauber. Also würden die jetzt wie einer Blutspur folgenden Suchhunde weiter nach oben steigen. Falls das mit der 3000-Meter-Obergrenze nicht oder nicht mehr stimmte musste Albertrude zusehen, dass sie sich der Schattenbiester entledigte. Sie sah, wie die Nachtschatten erst schnell und dann immer langsamer aufstiegen. Das sie von oben und den Seiten und vom Boden gespiegelte Mondlicht setzte ihnen zu. Sie gerieten aus der geraden Bahn und schwankten. Dann stoppten sie, verharrten einige Sekunden und verschwanden dann. Albertrude sah, dass auch die bis dahin bestehende Abschirmung über der Lichtung verschwunden war. Sie sah mit der auf Restlichtverstärkung wirkenden Funktion ihrer Kunstaugen die am Boden liegenden zwölf zu Eisblöcken erstarrten Körper, an denen die Luftfeuchtigkeit zu Reif kondensierte. Waren die Schatten nun vollständig abgezogen? Oder lauerte noch irgendwo einer darauf, sie anzugreifen? Besser war es, im Schutze einer Kopfblase noch eintausend Meter weiter aufzusteigen und dann bis zu einer stark beleuchteten Stelle zu fliegen, die Bochumer Innenstadt.
Immer mit einem nach hinten gerichteten Auge jagte Albertrude durch die Nacht. Als sie über der Stadtmitte der Bergbau- und Stahlindustriestadt Bochum flog bremste sie behutsam, immer darauf bedacht, nicht doch noch von einer kleinen, tiefschwarzen Kugel getroffen zu werden. Dann stürzte sie sich in die Tiefe, hinein in das mit elektrischem Licht überflutete Stadtzentrum Bochums. Knapp 100 Meter über Grund fing sie den Besen ab und flog im gesitteten Tempo solange an den beleuchteten Fassaden entlang, bis sie sicher war, dass ihr kein Nachtschatten folgte. Dann landete sie in der Nähe einer Einfahrt. Dadurch wurde sie wieder sichtbar. Doch noch ehe irgendwer sie sehen konnte disapparierte Albertrude mit dem unter dem Arm geklemmten Besen.
Als sie im Zaubereiministerium ankam berichtete sie, was sie beobachtet hatte und welche Spuren zurückgeblieben waren.
"Und die sind mit Kanonenkugelgeschwindigkeit herumgeflogen?" wollte Adrian Bolzenschmidt, der Lichtwacheneinsatzleiter der Nachtschicht wissen. Albertrude, die hier immer noch Albertine genannt wurde, bestätigte es und bot an, die von ihren biomaturgischen Kunstaugen gemachten Bildaufzeichnungen auszulagern und auszuwerten.
"Mit anderen Worten, wenn diese nachtschwarze Schattenmutter keine Gefangenen haben will können diese Kugeln einen sozusagen alles Leben aus dem Körper schlagen", seufzte Adrian Bolzenschmidt. Albertrude setzte dem noch eins drauf: "Ja, und die sind als stofflose Schattenkugeln völlig geräuschlos unterwegs. Wir müssen unbedingt was finden, was die abfängt. Am besten sowas wie Sonnenzauberschilde. Ich weiß, dass die Nordafrikaner damit damals die Höhle dieses Schattenlenkers durchsucht haben."
"Ja, und die Ägypter stehen noch immer unter dem Einfluss Ladonnas", schnarrte Bolzenschmidt. Er wollte nur ungerne daran erinnert werden, dass er über Wochen für die schwarze Hexenkönigin aus Italien ihr gefährlich werdende Hexen und Zauberer gejagt hatte.
"Nicht jeder Sonnenmagiefachzauberer Ägyptens arbeitet im Ministerium", erwiderte die Hexe mit den biomaturgischen Augen.
"Ja, doch wenn wir versuchen, die zu kontaktieren kriegen Al-Assuanis Spitzel das sicher mit und setzen alle fest, die mit nicht unter dem Banner der Feuerrose stehenden Leuten Kontakt halten", wandte Bolzenschmidt ein.
"Dann müssen Sie eben jene ins Vertrauen ziehen, die keine Ministeriumsangehörigen sind. Kriegen sie den Finanzabteilungsleiter dazu, entsprechende Goldsummen auszugeben."
"Fräulein Steinbeißer, bitte halten Sie mich nicht für einen kleinen Zauberschüler, dem irgendwer noch was erklären muss! Außerdem verbitte ich mir die von Ihnen unterschwellig unterstellte Naivität, was die Kobolde angeht. Die wollen nur wieder mit uns zusammenarbeiten, wenn wir ihren halbmenschlichen Abkömmling Giesbert Heller wieder mit allen Rechten und Vollmachten einsetzen." Albertrude nickte. Im Augenblick lief ein von der magischen Öffentlichkeit fast unbemerkter Machtkampf zwischen den Kobolden und dem Zaubereiministerium ab. Doch Albertrude Steinbeißer wollte sich dazu nicht äußern.
"Ich wollte auch nicht meine Befugnisse überschreiten oder Ihnen gar irgendwas vorschreiben, Herr Bolzenschmidt", sagte Albertrude beschwichtigend. "Mir liegt nur wie Ihnen was daran, dass unsere magischen Mitmenschen nicht von diesen Nachtgespenstern im Vorbeifliegen umgebracht werden. Mehr war und mehr ist nicht."
"Entschuldigung gewährt, Fräulein Steinbeißer. Bitte kehren Sie auf ihren Dienstposten zurück."
"Die Überwachung der Schattenlosen war mein heutiger Dienst. Da diese bedauerlicherweise nicht mehr leben ist dieser Auftrag beendet, wenn auch nicht mit einem erfreulichen Ergebnis", erwiderte Albertrude. Adrian Bolzenschmidt nickte beipflichtend. Dann zuckte er vor Schreck zusammen. "Öhm, wir haben von Ihnen alle Unterlagen über die gefundenen Schattenlosen erhalten?"
"Über die, die wir gefunden haben, Herr Bolzenschmidt. Ich wiederhole jedoch, dass ich sechs Menschen gesehen habe, die wir bis dahin nicht als Schattenlose ermittelt haben und daher nicht wussten, welchen Hintergrund sie haben beziehungsweise hatten." Bolzenschmidt nickte schwerfällig. "Klären Sie das mit ihrem direkten Vorgesetzten ab, dass wir von der Lichtwachenzentrale die von Ihren Augen aufgenommenen Bildeindrücke erhalten und schlagen Sie von mir vor, erkennbare Bilder von Gesichtern durch Ihre Elektrorechner laufen zu lassen. Angeblich können die ja Bilder auf ihren Ursprung untersuchen!" Albertrude bestätigte es und verabschiedete sich.
"Dem ist mit einem Schlag eingefallen, dass die Seelen der Schattenlosen darauf eingeschworen werden können, ihre Angehörigen oder weitere zu Schattenlosen machbare Leute zu suchen", dachte Albertrude. Es belustigte sie keineswegs. Die zur nachtschwarzen Überriesin angeschwollene Verschmelzung aus Birgit Hinrichsen und Ute Richter war unbestreitbar intelligent und einfallsreich. Womöglich versuchte sie einen schwarzmagischen Schneeballeffekt auszulösen, bei dem erst schattenlose Menschen zu neuen Kindern der Nachtschattenbrüterin wurden, die dann wieder welche zu Schattenlosen machten, um die dann zu neuen Kindern der Ausgeburt der tiefsten Dunkelheit werden zu lassen. So ähnlich stellten sich die Magieunfähigen das bei Vampiren vor, die immer neue Generationen von Blutsaugern erschufen. Dabei war sicher wichtig, wielange die selbsternannte Kaiserin oder Kaiserin der Nachtschatten brauchte, um die in sich hineingezwungenen Seelen zu neuen Kindern auszureifen und wie viele pro widernatürlichem Wurf sie tragen und gebären konnte. Waren die zwölf das Maximum, oder waren es gerade mal die zwölf, die als Schattenlose herumliefen, und sie könnte im Bedarfsfall auch zwanzig oder gar hundert von ihren Unterschatten entkörperte Seelen zu neuen Kindern ausreifen?
Albertrude, die in ihren beiden getrennten Leben schon so viel mit dunkler Magie und dunklen Zauberwesen zu tun hatte, empfand doch eine gewisse Beklemmung, sich vorzustellen, dass dieses Schattenweib ihr Dasein wie eine Seuche über die ganze Welt ausbreitete. Jedenfalls musste Anthelia davon erfahren, sowie auch die Sonnenkinder um die ehemalige Mitschwester Patricia Straton, die nun einen Sonnenkindnamen führte.
Von ihrem nun wieder von Ministeriumsleuten unbehelligten Haus auf der Lüneburger Heide aus mentiloquierte Albertrude mit Anthelia und gab die Unterredung mit Lichtwachenmajor Adrian Bolzenschmidt wieder. Anthelia mentiloquierte danach: "Das hat ihm gar nicht gefallen, dass ihm eine einfache Späherin der achso verpönten Magieunfähigenverwaltung sagt, was er als Lichtwächter zu tun hat. Wir müssen jedenfalls selbst was finden oder erfinden, mit dem wir uns dieser verdorbenen Geisterbrut erwehren können. außerdem ist wichtig zu wissen, dass der Zauber der schlagartig freigesetzten Dunkelheit mehrerer Stunden auf einmal nicht unter freiem Himmel ausgeführt werden kann. Danke für deinen Bericht, Schwester Albertrude."
Der grüne Fiat 500 stand geduldig und still auf seinem Parkplatz. Plötzlich durchbrach ein Musikstück die Stille in Wageninneren. Es war das Stück "Le Rève", das Helga Frenzen als Klingelton für ihre französische Studienfreundin Caroline festgelegt hatte. Doch Helga Frenzen würde nie wieder einen Telefonanruf tätigen. Der grüne Fiat 500 würde erst in zwei Tagen wieder bewegt werden, nachdem seine Besitzerin vermisst gemeldet werden würde.
Tief unter der Wüste Ägyptens erstreckte sich ein meilenlanges und -breites Gefüge von Gängen, Stollen, Kammern und Sälen. Diese Höhlen waren keinem Menschen bekannt. Denn hier herrschte seit mehr als viertausend Jahren der Orden der Akashiten, in Afrika entstandene Kinder der Nacht, die ihre mächtige Urmutter als ihre Gottkönigin verehrten. Hier unten hatte sie in einem saalgroßen Raum, in dem an die zweitausend ausgewachsene Nachtkinder hineinpassten, eine Verehrungs- und Beratungsstätte eingerichtet. Als ehemalige Angehörige des Bundes der Trommler und Tänzerinnen der Macht hatte sie den Mächten von Dunkelheit und Tod gedient, bis sie vom achten Träger des Steines, Schattenschläger, das Versprechen erhielt, sie zu seiner Stellvertreterin im Namen des Urschöpfers aller Nachtkinder zu erwählen, wenn sie eine Nachttochter würde. Sie war der Verlockung erlegen und als Nachttochter wiedergeboren worden.
Akasha, so hieß die einstige Tänzerin der Macht, erlernte jedoch Künste, um ihr Leben noch mehr zu verlängern als ihr neues Blut es schon gestattete. Außerdem verstärkte sie ihre eigenen innewohnenden hohen Kräfte. Das machte ihren Anvertrauten Schattenschläger eifersüchtig. Denn als Träger des Mitternachtssteines galt er wegen dessen Segen als mächtigstes Wesen der Nacht. Es war zum Kampf gekommen, bei dem tausende Anhänger beider den Tod gefunden hatten. Doch einen Sieg hatte es nicht gegeben. So hatten sie beschlossen, dass er weiterhin nördlich des mittleren Meeres seine Anhänger beherrschte, während sie südlich davon ihre Kinder und Anhänger beherrschte. Er war damals davon ausgegangen, dass sie sich nicht weit in den Urwald südlich der großen Wüste hineintrauen würde und vor allem, dass sie den Schattenträumer erzürnte, dessen fleisch- und blutlose Krieger immer wieder Angst und Tod unter die denkenden Wesen brachten. Doch Akasha hatte es vollbracht, sich die schattenhaften Geister fernzuhalten und den Erdteil auf dem sie herrschte in zwei Machtbereiche aufzuteilen.
Vor über viertausend Jahren, nach mehr als zweitausend Jahren verlängerten Lebens, hatte Akasha ihr Lebenund ihr Blut mit einem mächtigen Stein vereint, dem Stein der Entscheidungen. Auf ihm wurden seitdem bei jeder vollständigen Mondfinsternis je ein Mann, eine Frau, ein Mädchenund ein Knabe geopfert, um die Macht des Steines und damit die Stärke der Akashiten zu bewahren.
Heute versammelten sich zwölf Kinder der Nacht um den Stein, sechs Akashiten und sechs Zellensprecher der Liga freier Nachtkinder. Es ging darum, ob die Akashiten sich doch noch der blutroten Götzin unterwarfen, die sich für mächtiger als jeder Mitternachtssteinträger zuvor hielt und angeblich den Urschöpfer, den die freien nicht mehr als ihren Herren anbeten wollten, in ihren eigenen Schoß hineingezogen hatte, um ihn als ihr ewig ungeborenes Kind zu tragen und so wahrhaftig als Muttergöttin und Erbin des Urschöpfers weiterzubestehen. Die Mitglieder der Liga freier Nachtkinder hofften darauf, die Akashiten davon abzubringen, sich dieser falschen Göttin zu unterwerfen und auch, dass keiner ihrer Späher unter den Akashiten war um die Beratung zu belauschen und an seine falsche Gottheit weiterzuberichten.
Als gemeinsame Sprache hatten sie sich auf Englisch verständigt, auch wenn einige Akashiten aus den Ländern südlich der Sahara und der Ostküste Afrikas Bedenken gegen die Sprache der alten Kolonialisten und Sklavenhändler hatten. Doch Arabisch konnten die sechs Abgesandten der Liga freier Nachtkinder nicht, zumal auch diese Sprache bei Bewohnern südlich der Sahara einen gewissen Argwohn erregte.
Der zwei Manneslängen hohe Stein glomm in einem blutroten Licht, was hieß, dass er reine Nachtkinder um sich hatte, die frei von fremder Herrschaft waren. Soeben knieten die sechs einheimischen Nachtkinder, alles Männer mit hellbrauner Hautfarbe, vor dem Stein und murmelten sowas wie Gebetsformeln. Die Sechs Besucher hielten respektvollen Abstand. Sie spürten jene starke Aura, die den Stein umgab und alles hier durchtränkte. Sich mit den Akashiten hier in ihrem höchsten Heiligtum anzulegen wäre ganz sicher sehr dumm, dachten die sechs in ihrer jeweiligen Sprache.
Als das Gebet oder die Begrüßung der anwesenden Gottkönigin beendet war wandte sich ein bereits von vielen hundert Mittwinternächten beladener Vertreter an die sechs Besucher. Sein Haar schimmerte im schwachen roten Schein des Steines ebenso rot, woraus zu schließen war, dass es bei Tageslicht schneeweiß sein mochte. "Ich bin Mondberg, der vom Rat der sechzehn Hüter ausgewählte Sprecher unseres Volkes. Bitte stellt euch mit euren Nachtkindnamen vor!" sagte er mit einer leicht angerauhten, aber dennoch kraftvoll tiefen Stimme. So stellten sich die sechs mit ihren Nachtkindnamen vor. Als ihr Sprecher war Blutschwinge, der älteste von ihnen, ausgewählt worden, der seine Zelle westlicher Unterrhein vertrat. Auch er hatte im magischen Licht des Kultsteines hell schimmerndes Haar.
Nun brachten die sechs Besucher die Grüße ihrer Liga freier Nachtkinder vor und bedankten sich bei den Kindern Akashas für die Einladung hierher. Mondberg erwiderte darauf: "Nur an diesem Ort können wir wissen, dass ihr ohne Fremdbestimmung handelnde Nachtkinder seid. Wäret ihr bereits einer Herrin unterworfen hätte euch Akashas Macht vonhier ferngehalten." Das erkannten die Besucher an.
Nun ging es um das, was in den Jahren seit der Blutmondkönign Lamia und der ersten Erwähnung einer Göttin aller Nachtkinder geschehen war und auch, dass in der Zeit in Afrika der uralte Orden der Trommler der Macht erloschen war, mutmaßlich, weil sie es gewagt hatten, eine übermächtige Dämonin zu sich zu rufen und ihrer nicht würdig waren. Das konnte jene Nachtgöttin gewesen sein, aber auch die seit einigen Jahren in Südafrika hausende Tochter der schwarzen Felsen, eine der neun Vaterlosen. Als Mondberg das erwähnte zuckten die sechs Besucher zusammen. Mit welcher Gelassenheit der alte Akashit diese Bezeichnung ausgesprochen hatte, wo diese vaterlosen Töchter die Todfeindinnen der Nachtkinder waren erstaunte Blutschwinge. "Nun, die vaterlosen Töchter mögen gefährlich sein. Aber sie lassen sich in ausreichender Anzahl von Gegnern bezwingenund in tiefen Schlaf versetzen. Falls wir mit einer von ihnen zu tun bekommen wird Akasha uns helfen, sie zu überwinden", erwiderte Mondberg sehr überzeugt klingend. Wie um ihn zu bestätigen flackerte der Stein der Entscheidung für einen Herzschlag doppelt so hell. Das lag vielleicht an der Nennung des Namens, dachte Blutschwinge. In der magischen Welt waren Schau und Gepränge weit verbreitet.
"Abgesehen davon, wie würdet ihr euch gegen die selbsternannte Göttin und ihre Anhängerschaft schützen, wenn sie euch eine Frist zur Unterwerfung setzt?" wollte Blutschwinge wissen. Mondberg sah seine fünf Begleiter an und übersetzte die Frage. Vier von ihnen lachten. Einer zuckte die Achseln. Dann erwähnte einer der sechs was in einer afrikanischen Sprache, das Mondberg übersetzte: "Wir werden jedem, der uns in den Dienst dieser selbsternannten Göttin rufen will auffordern, uns zu beweisen, dass sie das Recht hat, sich so zu nennen. Wir wissen, dass sie ihre Anhänger mit einem Strudel aus dunklen Strängen zu sich holen kann. Das konnten aber auch schon alte Verehrer der dunklen Kräfte, was sie nicht höher stellte als die Schöpfungsgottheit, der sie huldigten. Kann sie uns nicht beweisen, dass sie mächtiger als ein Mitternachtssteinträger ist ist sie keine Göttin. Denn Akasha konnte auch ohne Mitternachtsstein mehr Macht aufbieten und sogar ihrem damaligen Blutgemahl trotzen, der den Mitternachtsstein besaß. Wir vom Rat der sechzehn kennen alle geheimen Schätze des Wissens, die Akasha angehäuft hat." Blutschwinge wunderte sich, dass bei Nennung des Namens Akasha kein neues Aufflackern zu sehen war. Hatte das also doch eine andere Bedeutung?
Im weiteren Verlauf des Gespräches kam heraus, dass die Akashiten die Liga freier Nachtkinder wie Bittsteller ansahen, deren Anliegen sie gerne nachkommen würden, jedoch unter der Bedingung, dass die Liga freier Nachtkinder mithalf, den Kult der afrikanischen Nachtgöttin in die Länder zu bringen, wo rotblütige Kinder Afrikas lebten, um sie, wenn es der Gottkönigin gefiel, zu ihren neuen Kindern zu machen. Blutschwinge argwöhnte, dass es gleich zu einer klaren Forderung kommen würde, dass hellhäutige Nachtgeborene sich nur am Blut hellhäutiger Rotblütler laben durften. Deshalb ließ er vorher schon die Katze aus dem Sack und verkündete, dass sie die Karte mit den Tempeln der falschen Göttin erhalten hatten und den Akashiten sagen konnten, wo der afrikanische Tempel war, um ihn zu schließen. Denn dieser Tempel war ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft freier Nachtkinder. Von dort wollte die falsche Göttin ihre Macht über den Erdteil ausdehnen, wie sie es in Europa, den beiden Amerikas, Asien und auch Australien versuchte. Darauf fragte einer von Mondbergs Ordensbrüdern: "Wenn ihr diese Stätten der Macht kennt und sie euch bekümmern, warum geht ihr nicht hin und zerstört diese von euch aus? Wozu sollen wir dies tun?"
"Weil uns wichtig ist, dass wir, die Liga freier Nachtkinder, mit allen freien Volksgruppen der Nacht in Eintracht und Zusammenhalt gegen die falsche Göttin stehen und das hier euer Land ist, in dem sie ihre Macht ergreifen will. Wir wollten schon mit den Zaubereiministerien gegen die Tempel in unseren Ländern vorgehen. Aber seit der Wiederkehr der Dreiblüterin Ladonna Montefiori, die ebenfalls Feindin aller Nachtkinder ist, müssen wir davor auf der Hut sein, dass sie noch mehr Zaubereiministerien in ihren Bann zieht und gegen uns aufhetzt."
"Das ist nicht wirklich überzeugend, warum wir mit euch besser dran sind als mit jener, die sich zur neuen Göttin erhoben hat", grummelte Mondberg. Dann sprach er das aus, womit Blutschwinge schon gerechnet hatte.
"Einst sprach die göttliche Königin und Urmutter aller Nachtkinder dieses Erdteiles: "Mein sind alle Kinder dieses großen Landes. Mein sind ihr Blut, ihre Kraft und ihre Folgsamkeit. Auch wenn sie meinen, durch Flucht auf Inseln oder über das Meer meinem Ruf und dem Verlangen meiner Kinder entrinnen zu können bleiben sie mein Eigen und werden eingefordert, wann immer mir und den Meinen danach ist, ob als Quelle der Nahrung oder der Nachkommenschaft." Daher ist geboten, dass alle von diesem Erdteil stammende, deren Wurzeln bis zum Übergang Akashas in das Reich der ewigen Nacht zurückreichen, ihr und damit unser eigen sind. Wollt ihr unseren Beistand und unseren Rat, so lasst ab von den dunkelhäutigen Rotblütlern und helft uns, an diese heranzukommen, auch wenn sie durch ein viel zu breites und bewegtes Wasser von uns getrennt leben. Ihr konntet über das mittlere Meer reisen, und Nachtspäher hier ist sogar über das Meer im Westen herübergekommen, was für uns Kinder Akashas unmöglich ist. Zeigt uns, wie ihr das anstellt und helft uns, selbst nach Akashas Eigentum zu suchen! Nur dann werden wir mit euch zusammen gegen die selbsternannte Göttin kämpfen und euch auch die Kenntnisse für längeres Leben und die Rückgewinnung entschwundender Zauberkräfte verraten. Im Kampf gegen die Feindin dürfte das sicher sehr, sehr erwünscht sein."
"Will sagen, wir sollen euch zeigen, wie ihr fließendes Wasser überqueren könnt, um in den Ländern, in die afrikanische Menschen ausgewandert sind, verschleppt wurden oder deren Nachkommen geboren wurden Akashas Willen durchzusetzen?" fragte Blutschwinge. "Dies ist der Wille unserer Gottkönigin. Da ihr für euren Orden sprecht werdet ihr dieses hier und jetzt mit Blut und Wort beschwören."
"Ihr erlaubt, dass ich mich mit meinen fünf Begleitern darüber beraten muss, ob die uns gestattete Zusagefreiheit groß genug ist, um das zu beeiden und unseren Mitbrüdern und -schwestern als verbindliche Vereinbarung zu übermitteln."
"Etwas anderes haben wir nicht erwartet", sagte Mondberg unverhohlen verächtlich. "Also beratet euch noch einmal, wie groß eure Vollmachten sind und was ihr euren Brüdern und Schwestern vermitteln könnt, ohne von diesen davongejagt oder der Sonne zum Fraß vorgeworfen zu werden. Wir geben euch drei Nächte Zeit. In der dritten Nacht sollt ihr wieder hier erscheinen und es beeiden oder besser gleich fernbleiben. Aber dann gilt, dass dieser Erdteil namens Afrika von keinem eurer hellhäutigen Volksangehörigen mehr betreten werden darf. Macht dies euren Brüdern und Schwestern auch begreiflich, wenn sie unser Anliegen zurückweisen."
"Ja, dies werden wir tun", sagte Blutschwinge. Da loderte der Stein hell auf wie in flammenlosem Feuer. Die von ihm ausgehende Aura wurde zu einem starken Wind, in dem etwas prickelndes mitschwang. Was sollte das bedeuten?
Auch Mondberg wirkte plötzlich sehr angespannt. Er sah den Stein der Entscheidungen an und nickte dann seinen Leuten zu. "Jemand fremdes, mächtiges will zu uns, der kein freies Kind der Nacht ist. Beschwören wir die ganze Kraft Akashas, um den Fremden zu verjagen oder zu vernichten!"
"Einer von euch hat dieses Heiligtum verraten", schnaubte einer von Mondbergs Mitbrüdern und funkelte Blutschwinge an. "Akasha wird den Frevler fressen."
"Keiner von uns hat dieses Treffen verraten!" widersprach Blutschwinge. Könnte es sein, dass Ladonnas Untertanen doch herausgefunden haben, wo euer Heiligtum ist?"
"Niemals weiß wer in Afrika, wo diese Höhle ist. Der einzige der das je wusste starb bereits vor über drei Jahrtausenden und nahm sein Wissen mit in die ewige Gefangenschaft, zu der Akasha ihn in dieser Höhle verurteilt hat. Keine Aufzeichnung besteht. - Ihr wart es, die uns verraten haben", schnaubte Mondberg. Der Stein der Entscheidungen glühte dabei immer heller, fast schon gelbrot wie der Sonnenaufgang. Die von ihm ausstrahlende Kraft wurde zu einem leise wummernden Sturmwind. Die hier anwesenden Nachtkinder spürten winzige Entladungen auf ihrer Haut. Das war alles andere als angenehm.
Eine leicht verschwommen klingende Männerstimme rief mit hohlem Nachhall etwas in einer Sprache, die die sechs Besucher nicht verstanden, Mondberg jedoch ein wütendes Schnauben entlockte. Dann sahen sie ihn.
Inmitten einer Wolke aus gelbroten Funken schwebte ein männliches Gespenst in flimmernden grauen Gewändern herein, dessen Hände und Füße Spuren von einstigen Fesseln aufwiesen, und dessen Hals in ganzer Breite aufgeschlitzt war. Der Geist hieltin der rechten hand eine mondlichtfarben flackernde Lampe und in der linken Hand eine glasartig durchsichtige Amphore, in der nebelhaft Schriftrollen zu erkennen waren. Mondberg funkelte den Eindringling böse an, während dieser gegen den ihm entgegenfliegendenFunkenstrom anschwebte. Mondberg entgegnete was in einer anderen Sprache als Englisch, Arabisch oder einer neuzeitlichen afrikanischen Sprache. Darauf antwortete der von Funken umschwirrte und durchwehte Geist etwas, stieg zur Höhlendecke hinauf und drang in die steinerne Decke ein.
"Er wurde ernsthaft befreit. Jemand hat das Siegel des Blutes und der sieben Monde gebrochen und ..." stieß Mondberg aus. Da erstrahlte der Stein der Entscheidungen weißblau, dass die hier anwesenden Blutsauger ihre Augen abwenden mussten um nicht geblendet zu werden. in diesem aufstrahlenden Licht betrat noch jemand die Höhle, umschwirrt von weißblauen Funken, die jedoch von einer ihn wie einen weiten Mantel und weite Hosen umkleidenden Aura aus Dunkelheit geschluckt oder zurückgeprellt wurden.
Olim Athnaphis, auch bekannt als der Jäger der Nacht, war von Akasha oder ihren Priestern rituell geopfert und zu ewiger Gefangenschaft in einer silbernen Amphore verflucht worden. Davon hatte der Räuber von McBanes Körper erfahren, als er weitere rastlose Seelen in seinen Dienst gestellt hatte. Er hatte den Ort aufgesucht, der von mehreren auf Rotblütler tödlich wirkenden Flüchen umgeben war. Er hatte alle Flüche gebrochen und die Amphore gefunden. Er hatte den mit sieben bleiernen Siegeln des Mondes verschlossenen Deckel geöffnet und den ewigen Gefangenen freigelassen. Er hatte ihm mit dem Geisterzepter die strahlenden Fesseln und den glimmenden Knebel entfernt, nur um den befreiten Geist selbst zu seinem Sklaven zu machen. So hatte er von der Höhle erfahren und sie gefunden. Zur Sicherheit hatte der ungenannte Herrscher noch zehn seiner neuen gespenstischen Gardisten mitgenommen.
Er hatte gleich gespürt, dass aus der Höhle eine starke Abwehrkraft auf ihn einwirkte. Denn der Unlichtkristall an seiner linken Hand hatte zu beben begonnen, und er hatte trotz seiner Gleitlichtbrille einen halbdunklen Schleier vor den Augen gesehen. Da war eine Kraft, die ihn zurückweisen wollte, sich bisher jedoch an seinem Ring brach. Er gebot seinen Gardisten, unsichtbar durch die Höhle zu fliegen und alle dort hineinführenden Eingänge zu bewachen, damit niemand hineinkam. Dann hatte er Olim Athnaphis vorausgeschickt, um sein Kommen zu verkünden. Denn er ging davon aus, dass es ein heftiger Schlag für die Akashiten sein würde, dass ein Rotblüter, noch dazu der Reiter der großen Schlange selbst, geschafft hatte, ihr Heiligtum zu finden und es auch noch betreten würde.
Als Olim Athnaphis wie befohlen seinen Botendienst verrichtet und sich durch die Höhlendecke entfernt hatte betrat der ungenannte Herrscher den gewaltigen Saal aus Naturstein. "ich grüße euch allesamt, ihr Kinder der Nacht. Es wird Zeit, dass ich alte Schulden eintreibe, deren Auszahlung eine widerwärtige Unholdin vor über drei Jahrtausenden vereitelt hat. Dienen oder vergehen, dies sei mein einziges Angebot an euch."
"Du kannst es nicht sein", knurrte der ältere, offenbar weißhaarige Blutsauger, der neben dem weißblau strahlenden Einzelstein stand, der eigentlich nicht in diese trockene Höhle passte. Doch der ungenannte Herrscher bekundete in seiner Muttersprache, dass er es war, der Eintrittund Gehör erzwang.
"Dann sei so verdammt wie jener, dem du gegen den Willen unserer Mutter und Königin die Freiheit wiedergabst!" spie ihm der Sprecher der sechs Akashiten entgegen. Sein Haar flirrte im Widerschein des strahlenden Steines bläulich-weiß. Sein Gesicht hatte einen mittelblauen Farbton angenommen. Seine angriffslustig entblößten Fangzähne schimmerten ebenfalls im weißblauen Licht. Alles in allem war er eine gespenstische Erscheinung.
Die sechs Akashiten sprangen auf ein blitzschnelles Handzeichen ihres Anführers los, um den Frevler zu ergreifen, um ihn ihrer Königin auf dem hohen Stein der Entscheidung zu opfern, auch wenn gerade keine Mondfinsternis stattfand. Doch der ungenannte Herrscher ließ einen breiten, violetten Flammenstrahl aus seinem Zauberstab entfahren, der die sechs Blutsauger einäschern sollte. Diese standen jedoch im selben Augenblick von einer flirrenden blauen Lichtkuppel überdeckt. Der Feuerstrahl prallte mit Getöse darauf und zerstob zu violetten, blauen und roten Funken, von denen ein Teil knackend an den Wänden und der Decke zerstob und der Rest vom Stein eingefangen und leise knisternd verschluckt wurde. Da wurde dem Schlangenreiter klar, dass selbst die ihm gewährte Kraft des Unlichtkristalls hier nicht ausreichen mochte.
Die sechs Nachtsöhne versuchten, aus der sie bedeckenden Kuppel freizukommen. Doch es war wie eine Käseglocke aus Stahl. Der ungenannte Herrscher schleuderte noch einen violetten Flammenstoß auf sie, der die volle Breite der Kuppel ausfüllte und wie beim ersten mal zu dreifarbigen Funken zerstob.
Die sechs Besucher aus Europa erkannten wohl, dass der Eindringling aufgehalten werden musste. Doch der erkannte das auch, als ihm drei Blutsauger entgegensprangen. Ungesagt entstand zwischen ihnen und ihm eine meterhohe und vier Breiten ausgedehnte schwarze Wand. Die drei Angreifer prallten darauf und wurden von roten und schwarzen Entladungen davongeschleudert, weit zurück in die Halle. Die drei anderen erkannten, dass sie so nicht gegen den Eindringling kämpfen konnten. Sie brachen ihren Vorstoß ab und wichen zurück, wobei sie darauf achteten, die unvollständige, gleißende und brummende Steinsäule nicht anzusehen oder ihr zu nahe zu kommen.
Gerade erlosch die blaue Kuppel wieder. Der Reiter der großen Schlange wollte mindestens einen von ihnen lebendig haben und rief "Imperio!" Sein vom Unlichtkristall verstärkter Fluch jagte unsichtbar in seiner ganzen Sichtweite auf die sechs auf ihn zustürmenden los und traf sie auch. Er wusste, dass er bis zu acht Menschenwesen und zwanzig niedere Tiere damit unterwerfen konnte, wenn er einen ganz einfachen Befehl dachte. Doch bei sechs Blutsaugern sah das anders aus. Deren Wille war stärker als der eines Menschen und viel stärker als der eines einfachen Tieres. Dennoch mussten sie stehenbleiben, weil die in ihren Geist flutende Welle aus Glückseligkeit und Sorglosigkeit ihren Angriffswillen lähmte. Doch als er ihnen den Befehl "Ergib dich mir!" in arabischer Sprache dachte fühlte er, dass sein Zauberstab sich merklich erwärmte. Das sprach für einen heftigen Widerstand. Die sechs Akashiten bewegten sich erst langsam und dann immer schneller auf ihn zu. Wenn er jetzt nicht unmittelbar angriff konnten sie ihn erreichen. Er ließ auch zwischen ihnen und sich jene schwarze Wand entstehen. Die nun im Sturmlauf auf ihn zueilenden Gegner konnten nicht mehr abbremsen und prallten wie ihre europäischstämmigen Artgenossen gegen die Wand. Alle sechs wurden zurückgeschleudert. Dabei geschah etwas unheimliches.
Alle sechs erstrahlten beim Rückprall in weißblauem Licht, als habe der Stein seine Kraft in sie hineingepumpt. Drei der sechs flogen nicht geradeaus durch die Höhle, sondern flogen wie davon angezogen auf die gleißende Steinsäule zu. Ehe sie und ihr Gegner es richtig begriffen trafen sie auf den Stein und verschmolzen in grellem Licht und lautem Aufschrei mit diesem. Aus dem oberen Ende des Steines flogen weißblaue Funken bis zur Decke. Dann wurde der Stein völlig weiß. Der von ihm ausgehende Brummton wurde so laut, dass alle noch bestehenden Blutsauger sich die Ohren zuhalten mussten. Auch der Eindringling merkte, dass er gerade von starkem Schall durchgewalkt wurde. Auch wenn er vorsorglich Gleitschall-Ohrenstöpsel in die Ohren gesteckt hatte war das Dröhnen doch sehr laut. Außerdem fühlte er, wie sein Unlichtkristall immer schneller pochte. Er hörte, wie das Brummen in immer kürzeren Abständen lauter und leiser wurde. Da begriff er es. Der Stein hatte seinen Schutz erkannt und trachtete danach, den Kristall zu überreizen oder, was auch möglich war, in seine Gleichschwingung zu versetzen, um ihn von innen heraus zu zerbrechen. Das konnte gelingen, erkannte der ungenannte Herrscher mit großem Schrecken. Blieb ihm nur der Rückzug?
Er sah auf den Stein. Seine Gleitlichtbrille schützte ihn vor der blendenden Helligkeit. So konnte er sie sehen, eine übergroße Frauengestalt und drei Männer, die in ihr eingeschlossen waren, nicht wie ungeborene Kinder, sondern als wenn sie eine Art gemeinsamer Rüstung für sie wäre. Also stimmte die Mär von Akashas Seelenopfer an den Stein. In dem Stein steckte ihr geist und hatte drei Anhänger wegen ihres Versagens einverleibt, aber noch nicht in sich aufgelöst.
Der Sohn der gefangenen Sonne griff mit der linken Hand in seinen Umhang. Dort trug er in einer rauminhaltsvergrößerten Außentasche den gläsernen Herrscherstab. Diesen zog er frei, zielte nach oben und rief "Olim Nathraphis, sei eins mit dem Stein!" In dem Augenblick schoss eine weißblau flirrende Wolke aus der Decke herab und stürzte sich auf den Stein der Entscheidung. Dieser erbebte und gab ein widerstrebendes Wummern von sich. Dann verschmolz der Geist des ewigen Gefangenen mit dem Stein. Dieser dunkelte ab und wackelte. Das wilde Pochen des Unlichtkristalls erstarb. Ebenso wirkte die wie ein Sturmwind gegen ihn wehende Aura des Steines nicht mehr.
"Das wirst du büßen!" rief der weißhaarige Sprecher der Akashiten. Der finstere Pharao blickte nur auf den Stein. In diesem tobte ein Kampf. Denn der ewige Gefangene war kein Blutsohn Akashas. Sie wollte ihn verschlingen. Doch er klammerte sich an ihrem Hals fest und rang mit ihr, trat ihr in den Leib und hielt sie so davon ab, den Stein als Waffe einzusetzen.
Der Sohn der gefangenen Sonne nutzte dies aus und feuerte gleißende Sonnenlichtspeere auf die verbliebenen Blutsauger ab. Da er davon ausging, dass der weißhaarige Akashit eine Menge über den Orden wusste wollte er ihn am Leben lassen. Doch seine zwei Mitbrüder brauchte er nicht. Ein Sonnenspeer traf den, der gerade wieder auf ihn zurannte voll an der Brust. Der Fluch schlug ein tiefschwarzes, stark qualmendes Loch hinein. Der Blutsauger blieb wie vor eine Wand gerannt im Laufen stehen. Dann fiel er um. Der Sonnenspeer hatte ihm den Garaus gemacht.
Als der zweite nicht unbedingt benötigte Akashit nur noch fünf Schritte von seinem Gegner entfernt war schleuderte dieser den nächsten Sonnenlichtspeer auf ihn und traf ihn voll am Kopf. Dieser ging in gelbroten Flammen auf und lief kohlschwarz an. Der Angreifer fiel um und zuckte nicht einmal mehr. So blieb von den Akashiten nur noch der Weißhaarige. Dann waren da noch die sechs hellhäutigen Blutsauger, die nun versuchten, den Fremden einzukreisen. Der grinste und sagte: "Ich brauche nur einen von euch lebend." Dann rief er den Mantel des Seth hervor, mit dem er auch die Abgrundstochter der schwarzen Sonne überwältigt hatte. Schlagartig wurde es stockfinster und bitterkalt. Der Unlichtkristall pochte nun stärker. Der ungenannte Herrscher fühlte wieder jenes Saugen an seiner Hand, dass sich über den Arm bis in den Körper fortpflanzte. Doch was er erreichen wollte erreichte er. Die Vampire erstarrten in der Bewegung, erzitterten und fielen polternd zu Boden. Aus dem Stein drang derweil ein laut schrillendes Sirren. Der Reiter der großen Schlange erkannte, dass er seine mächtigste Flächenwaffe nicht weiter einsetzen durfte. Er bat seinen Schutzgott, die Bedeckung zurückzunehmen. Sofort wurde es wieder hell. Der Stein erstrahlte nun in wechselnden Farben, Rot, Violett, Hellgrün, goldenund Weißblau. Der ungenannte Herrscher sah, dass die sechs ihn bedrängenden Nachtkinder wimmernd am Boden lagen. Die Dunkelheit, eigentlich die mächtigste Verbündete der Blutsauger, hatte sich diesmal gegen sie gekehrt und ihnen die Kraft entrissen. So konnte sich der ungenannte Herrscher überlegen, wen er von ihnen übriglassen wollte. Da kam ihm der Einfall, dass es besser war, alle sechs zu unterwerfen. Doch zuvor musste der Stein entkräftet werden.
Akashas Stein zeigte ihm, dass die Besitzerin die vier in sie hineingeratenen Seelen mehr und mehr auflöste. War sie damit fertig mochte sie noch stärker sein als zuvor. Doch sie war doch auch nur eine gefangene Seele, ein Geisterwesen. So zielte er mit dem gläsernen Zepter des Totenrichters Amun-Min auf den Stein. Sofort erstrahlte dieses in derselben weißblauen Farbe wie der Stein. Er rief die Worte der Geisterbindung und flocht dabei Akashas Namen und den Olim Nathraphis' ein. Der Stein erstrahlte nun in einem satten Dämmerblau, wie der gläserne Herrscherstab. Der Geist der alten Blutsaugerkönigin erschien wie ein kristallenes Standbild. Die in ihr zerflossenenSeelen waren nur noch nebelhafte Schemen. "Sei mir unterworfen bis ans Ende deines Seins, Akasha, Königin der Nachtkinder!" befahl er in der altägyptischen Sprache, die der Geist der Blutkönigin verstehen musste. Das Zepter pochte heftig. Es musste einen starken Widerstand niederringen. So wiederholte der ungenannte Herrscher seinen Befehl. Da schrumpfte die Geistererscheinung auf ein Viertel der Ausgangsgröße. In dem Augenblick erlosch das helle Leuchten des Steines. Es wurde wieder völlig dunkel. Nur dank der Gleitlichtbrille konnte er nun tiefgrau die Wände und schwarz die vor ihm liegenden und hockenden Blutsauger erkennen. Er sah den alten Akashiten, der bibbernd und mit hilflosen Handbewegungen gegen den Stein versuchte, Akashas Zauberkraft zurückzurufen.
"Deine Königin ist jetzt meine Dienerin, Weißhaar!" rief der ungenannte Herrscher. "Also dienst du nun mir, weil du ihr dienst. Also diene mir!" fügte er hinzu und rief noch einmal "Imperio!" Da er nur ein Ziel vor sich hatte gelang es ihm, den starken Willen des alten Blutsaugers niederzuringen. "Sei mir unterworfen, Weißhaar!" dachte er ihm zu. Diesen Befehl wiederholte er solange, bis der andere vor ihm niederkniete und seinen Kopf neigte. Dann senkte der Körperdieb den Zauberstab.
Da die sechs am Boden liegenden noch immer um neue Kraft rangen konnte er nun jeden einzelnen von ihnen mit dem Imperius-Fluch unter seine Herrschaft zwingen. Danach befahl er jedem der sieben, ihm gehorsam und ohne Angriffswunsch zu folgen.
In der völligen Dunkelheit führte er die sieben Gefangenen durch die Gänge und Stollen. Die ihm gehorsamen Geister folgten ihm.
Draußen erwarteten sie nicht nur die dunkle Nacht, sondern auch ein Schwarm herbeigerufener Akashiten, die in Fledermausform herangeflogen kamen. Der ungenannte Herrscher sandte die ihm unterworfenen Geister aus, ihm und den Gefangenen die Gegner wortwörtlich vom Hals zu halten. Wo gerade keiner der gespenstischen Gardisten sein konnte jagte er Sonnenlichtspeere in die Reihen der Gegner und brachte damit mal nur einen, mal zwei auf einmal zum Absturz. Doch die Gegner flohen nicht. So mussten er und die mit durchsichtigen Schwertern und Speeren bewaffneten Geistergardisten weitere Akashiten vom Himmel holen, bis wirklich keiner mehr übrig war.
Mehrfach den Imperius-Fluch anwendend trieb er die sieben Gefangenen zu seinem Flugteppich hin. Den Gardisten befahl er, ihn in alle Raumrichtungen abzusichern. Dann flog er mit seinen Gefangenen in Richtung Nordwesten, hin zu seinem Stufengrab, wo er die Gefangenen verhören wollte. Erst dann würde er entscheiden, was er mit ihnen anstellen wollte.
Sturmnacht war der Zwillingsblutsbruder von Blutschwinge. Als solcher konnte er mit diesem auch über viele tausend Meilen, womöglich sogar über alle Weltmeere hinweg Gedankensprechen, nicht nur bei direktem Blickkontakt. Als Blutschwinge ihm zurief, dass ein mächtiger Gegner die Beratung in Akashas Höhle störte und dann noch rief, dass der Fremde das fressende Dunkel über ihn und die anderen ausgebreitet hatte argwöhnte Sturmnacht schon, dass der Gegner seinen Bruder getötet hatte. Dann kamnoch ganz leise der wimmernde Gedanke: "Liege am Boden, kann mich nicht bewegen. Leb wohl, Bruder!" Dann wurde es still. Sturmnacht rief immer und immer wieder nach Blutschwinge. Doch der antwortete nicht. Tot konnte der jedoch nicht sein, weil er sonst dessen geistigen Todesschrei gehört hätte. Wieso antwortete der dann nicht? Dann ging ihm auf, dass der Bruder womöglich besinnungslos abtransportiert worden war. Wenn es gelang, ihn zu verhören konnte der ausplaudern, wen er von der LFN kannte, erschrak Sturmnacht. Sofort rief er seinen Zellenbruder und warnte ihn davor, dass Blutschwinge womöglich dazu gezwungen wurde, Geheimnisse der Liga zu verraten. Da er wusste, dass Blutschwinge mit fünf anderen Zellensprechern unterwegs gewesen war galt es, deren Zellen zu warnen. Am Ende waren sie in die Falle der blutroten Götzin geraten, die natürlich die Gelegenheit nutzen würde, die LFN mit Stumpf und Stiel auszurotten. Doch dann hätte Blutschwinge auch von ihr berichtet. Er sprach von einem übermächtigen Gegner, keiner Gegnerin oder gar von ihr, der falschen Göttin. Also hatte jemand der Akashiten das Treffen an wen verraten, nicht an die Götzin, auch nicht an Ladonna oder die nicht minder gefährliche Schattenfürstin. Offenbar hatten die Akashiten einen Pakt mit einem mächtigen Zauberer oder Zauberwesen geschlossen, dass die Liga freier Nachtkinder auskundschaften und gegebenenfalls beherrschen wollte. Dies galt es zu verhindern.
Die Blutsauger hockten in je einer kleinen Kammer mit einem Goldrelief. Sie spürten instinktiv, dass in dieser Kammer eine besonders furchtbare Magie wirkte, keine auf ihr Fleisch und Blut, sondern ihre innere Beschaffenheit, ihre Seele abzielende.
Noch hielt der mehrfache Imperius-Fluch. Noch machten sie keine Anstalten, auszubrechen. So hörte Mondberg ohne Ansatz von Widerstreben, was sein Gefangenenwärter ihn fragte. Er versuchte, die Antworten zu verzögern. Doch jeden Herzschlag, wo er das tat fühlte er, wie das hinter ihm angebrachte Relief eines nur umrisshaft gezeichneten Mannes ihn mehrund mehr an sich zog. Wenn er sich wehrte mochte ihn das magische Bild an sich reißen und seine Seele aus ihm heraussaugen wie er das Blut von lebenden Wesen in sich hineinsog. Deshalb gab er völlig nach und beantwortete die Fragen, vor allem jene, wie viele lebende Kinder Akashas es gab und wo diese sich trafen. Es würde sich schon herumgesprochen haben, dass das Heiligtum entkräftet war. Damit war der ungenannte Herrscher zum höchsten Todfeind des Ordens geworden.
Immer weitere Fragen beantwortete Mondberg. Dann hatte er die Erlaubnis, sich auszuruhen. Das war wie ein Schlafzauber, der ihn unvermittelt besinnungslos machte.
So wurde jeder weitere Gefangene verhört, ohne dass der Verhörende sich dem zu verhörenden zeigte. Dieser erfuhr nun das, was Blutschwinge und die anderen von der LFN zu berichten hatten. Blutschwinge gestand ihm auch ein, seinen Blutzwilling Sturmnacht um Hilfe gerufen und ihn gewarnt zu haben. Das machte den ungenannten Herrscher etwas wütend. Denn so setzte er sich gleich auf die Todesliste mehrerer Blutsauger. Doch der Kessel war umgekippt und ließ sich nicht mehr auffüllen. Also galt es, diesen Umstand auszunutzen und Unruhe ins Fledermausvolk zu treiben. Damit konnte er die Liga freier Nachtkinder dermaßen schwächen, dass er sie am Ende doch als Streitmacht erlangen und gegen seine anderen Feinde einsetzen konnte.
Als der Herrscher seine Gefangenen verhört und mit der Kraft seines Stufengrabes in einen Zauberschlaf bis auf Widerruf versenkt hatte überlegte er, wie er die erhaltenen Kenntnisse ausnutzen sollte. Sollte er nur die Liga freier Nachtkinder aufscheuchen und dann erobern? oder sollte er nicht vielmehr die Blutgötzin ködern, dass sie und ihre Diener ihm folgten, wenn er ihr dafür die Leben der Widersetzlichen darbrachte? Er beschloss erst einmal, sich die Kobolde vorzunehmen. Mittlerweile hatte er vierzig willige Geister, die ihm beistehen konnten.
"Blutschwinge meldete sich nicht mehr bei seinem Blutszwilling?" fragte Gooriaimiria ihre Botin in Deutschland, die es geschafft hatte, sich in Blutschwinges Nähe zu schleichen und dessen Zelle auskundschaftete.
"Sein Zwilling hat alle gewarnt, auch den, dessen Nähe ich nutze, um mehr mitzubekommen, meine Göttin. Wenn die Afrikaner ihn eingefangen haben dann sicher, um die Liga der Abtrünnigen zu unterwandern oder für ihre Zwecke einzusetzen. Wird denen nicht gefallen."
"Was war das von einem einzelnen Übermächtigen, der die Versammlung gestört hat?" wollte die Göttin wissen und holte sich die Antwort auf die Frage gleich aus dem Gedächtnis ihrer Spionin. So erfuhr sie auch, das Sturmnacht wusste, wo Akashas Beratungshöhle zu finden war. "Dann wird es wohl doch Zeit, meiner Vorgängerin und ihren Getreuen meine Aufwartung zu machen", schickte sie ihrer Spionin zu. "Bring Sturmnacht dazu, sich mit dir an einem Ort seiner Wahl zu treffen, wo er sich sicherfühlt! Dort erwarte ihn mit zwei Getreuen, die ich dir senden werde!"
"Dein Wort ist mir Gebot,Mutter und Göttin", erwiderte die Kundschafterin rein gedanklich.
"Ich muss ihn so schnell einverleiben, dass er keinen Hilferuf mehr an wen anderen schicken kann und es so drehen, dass die Akashiten ihn verfolgt und getötet haben, weil er deren Geheimnis erraten hat. Das wird sicher amüsant", dachte die große Mutter der Nacht.
Deeplook betrat in Begleitung von vier Vollstreckern den neuen Überwachungsraum, wo er den diensthabenden 100-Augen-Späeher begrüßte. Dieser warf sich fast vor dem Vater aller Augen auf den Boden. Der winkte ab und sagte: "Ich wurde schon genug geehrt, Quickwink! Wo ist Brummback?"
"Der Herr der zehntausend Augen und Ohren ist gerade auf Inspektionsgang in Gringotts. Er will eine Prüfung der dort gelagerten hochmächtigen Gegenstände und unserer Weihesteine vornehmen, Vater der Augen", erwiderte 100-Augen-Späher Quickwink.
"Ich hatte eigentlich gehofft, er würde meine Wachzeit mehr zu schätzen wissen. Aber wenn die Prüfung ansteht soll sie stattfinden, damit die Goldzähler nicht meinen, wir würden nachlässig", grummelte der erwachte Meister aller zehntausend Augen und Ohren. Dann wechselte er das Thema.
"Dein neuer Herr Brummback sagte mir, dass ihr ein paar Artefakte aus Ägypten eingelagert habt. Wie viele Wächter sichern die Umgebung?" Der 100-Augen-Späeher nahm die Rundumsichtbrille ab und sagte: "Fünfzig unsichtbare Vollstrecker, abgesichert von je zwei Augen, also insgesamt einhundertfünfzig Außendienstleute."
"Wieso zwei Augen für einen Wächter?" wollte Deeplook wissen. "Weil wir sowohl die Bewegungen in der Erde als auch in der Luft beachten müssen, sagt Herr Brummback."
"Dann ist der aber sehr großzügig, was die Verteilung von Fachkräften angeht", schnarrte Deeplook. "Ändere die Verteilung. Ein Auge im Flugsessel überwacht je zwei Wächter. Tiefengläser sind an die Überwacher auszugeben, damit sie auch unterirdische Bewegungen erkennen können", sagte der Vater aller Augen und schalt Brummbak ins geheim einen übereifrigen, aber unzureichend kundigen Emporkömmling. Am Ende musste er selbst mehr als die sonstigen drei Monate wach bleiben, um diesen Anfänger richtig einzuarbeiten. Das ärgerte ihn. Quickwink änderte die Fachkraftverteilung.
"Gut, jetzt will ich wissen, welche Artefakte ihr hier eingelagert habt, nachdem die in Ägypten betriebene Zweigstelle vernichtet werden musste." "Das weiß Lagerhüter Barlock. Wir mussten viele Dinge aus der alten Hauptstelle herüberholen, immer auf der Hut vor ..."
"Ja, weiß ich. Diese vertückte Erdmagiestoßwelle hat die Zwergenabwehr verstelltund damit die eigene Besatzung umgebracht. Deshalb mussten die gerade erst ausgebildeten, die noch keine Tötung und Todeserfahrung erlebt haben in den Stützpunkt und innerhalb von nur zwanzig Minuten wieder raus. Weiß ich eben alles. Und Barlock ist der neue Hüter der geheimen Schätze, weil sein Vorgänger zu den Toten der Hauptstelle gehört. Ruf ihn her! Ach nein, ich mach das!" grummelte Deeplook und wandte sich dem siebartigen Einsatz in der Wand zu: "Hier vater der Augen Deeplook. Lagerhüter erster Ordnung Barlock sofort in den Hauptüberwachungsraum kommen! Das ist eine Dringlichkeitsanweisung!"
Keine halbe Minute später meldete sich ein mit fünfzig Jahren noch junges Mitglied des Bundes im Überwachungsraum. Der Lagerverwalter trug mehrere Schlüsselringe am Gürtel, an denen bei jedem seiner Schritte unterschiedlich große Schlüssel klimperten. Deeplook kam gleich auf den Punkt. "Was für ägyptische Gegenstände habt ihr erhalten? Wo sind diese und warum wurden sie so brisant eingestuft?"
Barlock gab unverzügliche Antworten auf die Fragen und erwähnte auch, dass der Stein des Tayet deshalb im Sicherheitsverlies 007 von Gringotts gelagert würde, weil er dazu geeignet war, Kobolde zu unterwerfen, der Griffel des ewigen Schreibers in einer silbernen Schatulle aufbewahrt wurde, welcher durch das Niederschreiben von Ereignissen diese geschehen ließ, sobald sie laut verlesen wurden oder eben solche Schriften vorübergehend oder dauerhaft unwirksam machte. Dann gab es noch den Bogen des Anhor, der auf mehr als zweihundert Schritte ein Ziel traf und die von ihm abgeschossenen Pfeile nur zu treffen brauchten, um ein Lebewesen zu töten und der Bogen deshalb bei ihnen lagerte, weil er nur von Menschen geführt werden konnte. Was das Auge der Bastet anging hofften die Mitglieder des Bundes noch darauf, dass sie die eingewirkten Meldezauber aufheben konnten, ohne die sonstigen, begehrten Eigenschaften des grünen Katzenauges zu verfälschen oder gar auszulöschen.
"Ich will das Ding sehen und beurteilen, ob es wirklich die Gefahr wert ist, von diesen Katzenweibern aufgespürt und angegriffen zu werden", grummelte Deeplook. Barlock nickte dienstbeflissenund führte den für ungefähr drei Monate wachen Vater aller Augen in das Hochsicherheitslager Nummer 1 hinunter, wo die wirklich gefährlichen Gegenstände lagerten, darunter auch das unsichtbare Schwert des Ritters Sir Harvey von Windfall Castle, das beim Führen jeden Unsichtbarkeitszauber in der Umgebung unterbrach, so dass der Kämpfer seine Gegner sehen konnte oder ihn da selbst unsichtbar machte, wenn er es mit dem Ausspruch "Schütze mich vor bösen Augen!" in die Scheide aus Drachenleder zurücksteckte.
"Ich erfuhr etwas von einem ägyptischen Schwert, das seinem Träger eine höhere Kampfkraft, Schmerzunempfindlichkeit und Widerstandskraft gegen Feuer und Metallwaffen verleiht. War dies auch in der geheimen Lagerstätte von Gringotts?" Barlock überlegte kurz und nickte. "Warum war das nicht hier?" wollte er wissen. "Weil das Schwert von keinem von uns geführt werden kann. Es ist wie ein Nachtwandler, es trinkt Blut, um zu wirken, menschliches Blut, Vater der Augen."
"Trotzdem gehören solche hochmächtigen und gefährlichen Gegenstände in unser Sicherheitslager", sagte Deeplook. "Offenbar ist mit dem Vergehen der bisherigen Besatzung auch die Anweisung vergangen, Gegenstände, die einem Kobold dienen oder ihm schaden können, unverzüglich in unseren Besitz zu übernehmen. Schon schlimm genug, dass wir bis heute nicht an Gryffindors Silberschwert herankommen, da es die eingeschmiedete Eigenschaft hat, immer dort zu sein, wo Gryffindors Anhänger sind oder denen im Notfall zur Verfügung zu stehen. Aber alles andere gehört ab sofort hier her. Schon schlimm genug, dass wohl etliche wertvolle Gegenstände im Geheimlager von Gringotts vernichtet wurden."
"Dies wird derzeitig noch geklärt. Es steht zu vermuten, dass einige Verliese die Vernichtung überstanden haben und deren Inhalt unversehrt ist", sagte Barlock.
"Und Turnlook dachte, der Stein dieses Tayet sei in Gringotts besser aufgehoben, da wo unser alle Weihesteine aufbewahrt werden?" fragte Deeplook. "Ja, weil es sich erwiesen hat, dass der Stein des Tayet nicht nur Erdzauber erheblich verstärken kann, sondern auch erdgebundene Wesen wie die Sauf- und Raufbärte und uns bei häufiger Benutzung körperlich und seelisch davon abhängig machen kann. Daher hat Turnlook die Benutzung des Steines verboten und ihn im Verlies 007 zu den Weihesteinen legen lassen, natürlich in einer Kiste der Unauffälligkeit, die nur mit den Gläsern des wahren Blickes gesehen werden kann", erwiderte Barlock. Deeplook wiegte den Kopf. Das hatte schon was für sich, dachte er.
Nun betrachtete er das Auge der Bastet. "Wer es berührt löst den Weitermeldezauber aus. Wir haben trotz aller Kenntnisse noch keinenWeg gefunden, den zu unterbrechen, außer, dass das Auge nicht unmittelbar mit Lebensausstrahlung oder Körperteilen lebender Wesen in Berührung kommt."
"Es sieht verdammt lebendig aus, wirklich wie einem lebenden Wesen entnommen", knurrte Deeplook, als er den menschenfaustgroßen Smaragdgegenstand durch seine Brillengläser betrachtete. "Ich merke auch, das ich mich ihm nicht auf weniger als Armreichweite nähern darf, ohne es anzuregen. Schließ den Deckel wieder, Lagerhüter Barlock!" sagte er
"Barlock befolgte die Anweisung. Er führte seinen höchstgestellten Gast noch in seinem neuen Reich herum und erklärte ihm die Absicherungen des Lagers. Da geschah es.
Ohne Vorwanung schepperte eine dreistimmige Glocke los, und drei blökende Warnhörner tönten. Angriffsalarm! Deeplook rannte sogleich zum nächsten Fernsprechsieb und forderte einen Bericht an.
"Acht Außenwächter und deren behütende Augen sind nacheinander vergangen, Vater der Augen. Jemand greift aus den Haupthimmelsrichtungen an, jemand unsichtbares."
"Was sagen die Gläser des wahren Blickes?" fragte Deeplook. "Die zeigen nur einen flirrenden, grün-blauen Nebelhauch, der mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft flieg tund öhm, zwanzig Körperlose mit sich ständig verfestigenden Schwertern und Speeren. Gerade sind Auge neunzehn und Auge zweiunddreißig vergangen. Sie wurden von diesen Geisterkriegern erstochen, obgleich sie selbst unsichtbar waren."
"Geister? Niedere Gespenster greifen uns an? Woher wissen die, dass hier die Hauptstelle des hoch geheimen Bundes der zehntausend Augen und Ohren zu finden ist, 100-Augen-Späher Quickwink?" wollte Deeplook wissen. "Können wir nicht sagen. Verrat kann es nicht sein, weil jeder Verräter ..." setzte 100-Augen-Späher Quickwink an. "Ist mir bekannt, Quickwink. Wächter mit Geistersirrern bewaffnen und die Biester zu blauem Rauch zerstäuben!" befahl Deeplook. Er hoffte, dass die Geisterschutzvorkehrungen hielten. Doch der Schock, dass jemand den Standort dieses Hauptstützpunktes kannte, der kein Mitglied des erhabenen Bundes war, saß tiefer als jeder Dolchstoß.
"An alle inneren Wächter, Obacht vor möglichen Eindringlingen, die den Angriff der Geister ausnutzen!" befahl Deeplook. Dann sah er auf den länglichen Kasten, in dem die Scheide mit dem Schwert von Harvey von Windfall Castle geborgen lag.
"Geisterschutzzauber halten. Weitere zwanzig Gespensterkrieger im Anflug. Unerkennbarer Nebel kreist in etwa hundert Längen Höhe über uns. Wir versuchen ihn mit gebündeltem Sonnenlicht zu treffen und setzen Sichtbarkeitszwangszauber ein. Doch die Zauber gehen fehl, als wenn der Hauch genau spürt, woher ein Angriff kommt und sofort ausweicht. Die Gläser des wahren Blickes versagen. Offenbar führt der Angreifer einen genau darauf abgestimmten Unortbarkeitszauber mit sich."
"Quickwink, wieso werden wir angegriffen!" brüllte Deeplook höchst verärgert. Der 100-Augen-Lenker wimmerte aus dem Schallverpflanzungssieb: "Es klingt sehr unwahrscheinlich. Aber jemand von uns muss dem Lenker dieser Geister unsere Hauptstelle verraten haben."
"Das ist unmöglich. Ich selbst habe die Schutzvorkehrung für unfreiwilligen Verrat oder absichtliche Täuschung eingeführt", schrillte Deeplook und fühlte, wie seine Kehle schmerzte.
"Dennoch bleibt nach der Auswertung des Wahrscheinlichkeitsfinders nur diese eine Möglichkeit, so unwahrscheinlich sie auch ist", erwiderte der Überwacher vom Dienst.
"Wenn sie unmöglich ist ist sie auch unwahrscheinlich, Sie Zwergenfurz", schrillte Deeplook. Doch die Wahrheit war, dass da draußen kriegerische Geister Jagd auf die Außenwächter machten und sie ohne Gegenwehr abschlachteten, weil die Wächter nur auf Gegner aus Fleisch und Blut ausgerichtet waren. Doch das würde sich gleich ändern, wenn die Geistersirrer zum Einsatz kamen. Diese zerstreuten die feinstoffliche Struktur eines Gespenstes und machten es zu einer vollkommen körperlosen Seele, die entweder handlungsunfähig im Diesseits herumirrte oder doch noch in die Nachtodwelt überging. So genau wusste das keiner zu sagen.
Geistersirrer gleich am Ausgang und ... Ausfall von Entsatztruppe Nord. Alle zehn Vollstrecker sind vergangen!" rief Quickwink aus. "Waaas?!! Waren die schon draußen?" rief Deeplook.
"Nein, die mussten noch durch die doppelt gegen Gespenster und Körperflüche gesicherten Türen und ... Ausfall Entsatztruppe Ost. Alle Einsatztruppler zeitgleich vergangen", vermeldete der Überwacher vom Dienst mit hörbar erregter Stimme.
"Meister, es wird zu gefährlich für Euch", zischte Barlock. "Jemand hat einen Weg gefunden, uns auch innerhalb unserer Räume zu töten."
"Wie soll das ... Zwergendreck!" rief Deeplook und sah zur silbern und golden beschlagenen Decke hinauf. Eigentlich waren die Verliese gegen alles zerstörerische gepanzert. Da oben konnten tausend Drachen ihr Feuer spucken und ein Heer Zauberstabträger mit Sprengzaubern draufhalten, ohne dass sie hier unten was davon spürten. Dann fühlte Deeplook seinen kristallenen Helm der bergenden Seele vibrieren. Dann sah er, wie Barlock erstarrte, sich den Kopf hielt und dann unter einem kurzen Aufschrei niederstürzte. Sein Kopf verglühte im gleichen Augenblick in rotem Feuer, jedoch ohne den Rest seines Körpers zu verheeren. Barlock war tot und mit ihm wohl alle in der Ausrichtung jenes tückischen Zaubers, der Deeplooks Helm erzittern ließ. Dann fiel dem Vater der Augen ein, was Buttrock berichtet hatte. Der in McBanes Körper zurückgekehrte finstere König konte breitstreuende und vielfach stärkere Unterwerfungsflüche austeilen. Wen er damit zu etwas zwang musste gehorchen, was für ein Bundesmitglied gleichbedeutend mit Verrat war. Für Verrat ereilte einen der eingewirkte Todeszauber.
"Hier Deeplook an alle, Kennwort Eiskopf. Kennwort Eiskopf!" rief er. Er hoffte, dass dieser Notbefehl noch rechtzeitig erfolgt war. Denn außer ihm und noch zwei anderen wusste niemand, dass die Verratsvereitelung zeitweilig unterbrochen werden konnte, wenn der Verhörende den Tod des Verräters beabsichtigte.
Stille folgte. Dann erzitterte wieder Deeplooks Helm. Der Angreifer versuchte es immer noch. Er rief nach seinen Leuten, ob sie den Eiskopfbefehl erhalten hatten. Doch niemand meldete sich. War er jetzt ganz alleine in diesem Stützpunkt?"
"Hier ist Meister Deeplook, ist noch wer da?!" rief er. Diese frage wiederholte er fünfmal. Doch es kam keine Antwort. Auch das Beben seines Schutzhelmes blieb aus. Da wurde dem Vater der Augen klar, dass er den Eiskopfbefehl zu spät erteilt hatte. Der Fremde hatte gezielt und nach genauem Plan alle Bereiche der Hauptstelle mit seinem Fluch beharkt, bis keiner mehr da war, außer ihm. Der Helm schützte nicht nur vor geistiger Beeinflussung, sondern auch vor dem Abschöpfen seiner Erinnerung und erspüren seiner Gefühle. Womöglich rechnete der Angreifer nun damit, dass alle tot waren. Gut, dann wollte er seinem Bund den letzten großen Dienst erweisen und den anderen vernichten, wenn er sich durch alle Schutzvorrichtungen gekämpft hatte, ohne verbrannt, zerquetscht, von elektrischen Entladungen zerbrutzelt oder von tonnenschweren Gesteinsbrocken oder aus den Wänden schnellenden Giftpfeilen getroffen zu werden. Er ging davon aus, dass der Fremde die zentnerschweren Türen nicht aufzaubern konnte. Das ging nur mit den richtigen Schlüsseln und Handberührungen.
"Notwagen her!" rief er in leere Luft. Hoffentlich arbeiteten noch alle Hilfszauber.
Ein für vier Kobolde geeigneter Eisenwagen schoss wie auf unsichtbaren Schienen heran. Deeplook überlegte noch, ob er einsteigen und durch den Fluchttunnel aus dem schlagartig entvölkerten Schutzraum hinausfahren sollte. Dann erkannte er, dass er die mmachtvollen Dinge im Lager zu schützen hatte. Wenn der Feind es doch wider erwarten schaffte, einzudringen, so musste er ihm einen gebührenden Empfang bereiten und ihn auslöschen, nachdem er erfahren hatte, woher der das Geheimnis der Hauptfestung kannte und ob er wem davon berichtet hatte.
Minuten vergingen ohne hörbare Veränderungen. Die zehntausend Augen und Ohren hatten einen schmerzlichen, vielleicht sogar tödlichen Stoß in ihr Herz und Hirn erhalten. Er musste das Lager schützen. Gleichzeitig musste er wissen, ob sich der Feind mit der Auslöschung der Besatzung zufriedengab.
Er rannte zu einem Lager für Waffenund Gebrauchsgüter und nahm eine silberne Spirale mit angesetztem silbernen Totenkopf, einen Geistersirrer. Falls hier wider alle Schutzzauber Geister hereinkamen durfte er nicht zögern. Außerdem fand er eine der Überwachungsbrillen, mit denen die 100-Augen-Späher die Außentruppen oder die inneren Überwachungsvorrichtungen im Blick behalten konnten. Er stimmte sie mit seinem Schlüsselwort auf sich ein und dachte gezielt an jeden größeren Raum der Anlage. Doch außer kopflosen Leichnamen sah er nur die Möbel und die wegen des Alarms im Stich gelassenen Speisen, Getränke und Spiele. Er richtete den Überwachungsblick nach außen. Da sah er den grün-rot flirrenden Ring um den Stützpunkt. Weil er hier unten im Lager war, das noch gesondert gegen Erdzauber abgeschlossen war, fühlte er es nicht. Doch das Flirren verriet, dass jemand die Hauptstelle mit einem Erdreisehemmzauber durchtränkt hatte. Das hieß für ihn, dass er in diesem Stützpunkt gefangen war. Nein, er war keine Fliege im Spinnennetz. Der Notwagenkonnte ihn noch hinausbringen. Doch er musste wichtige Dinge mitnehmen, vor allem die ägyptischen Artefakte und das unsichtbare Schwert. Das durfte nicht hierbleiben.
Schnell klaubte er die würfelförmigen Kisten und den schmalen langen Kasten mit dem Schwert auf und legte alles in den Notwagen. Dann beobachtete er noch einmal die Umgebung. Da sah er, dass jemand mit rotem Schopf sich an einem der Tore zu schaffen machte. Er berührte es ... mit dem Kopf eines nicht im Verratsvereitelungszauber getöteten Koboldes und sprach wohl einige Worte. Da ging das Tor auf. Deeplook hätte fast auf den Boden gestampft. Nur die eingeschworenen Leitwächter und natürlich er wussten, dass ein Körperteil eines Koboldes des Bundes in der richtigen Weise eine verriegelte Tür aufbekam, einfach für die Notflucht. Hatte dieser Frechling wahrhaftig noch aus Allbrick oder dessen Kollegen etwas herausgeholt. Er musste einräumen, dass dem so war. Denn gerade durchschritt der falsche McBane in Begleitung von zehn schwebenden Geistern das Nordtor. "Wirrgänge auslösen!" rief Deeplook. Ab jetzt änderten sich alle Wege alle drei Herzschläge. Das würde den Fremden so sehr irritieren und frustrieren, dass er irgendwann niedergeschlagen am Boden hockte und aufgab. Außerdem ließ er noch Angstgas einblasen, das bei dem, der es einatmete die schlimmsten Angsttraumvorstellungen oder schlimmsten Erinnerungen hervorrief. Der Körperräuber steckte jetzt in der Falle. Er würde den Tod der treuen Augen und Ohren hundertfach büßen.
Er beobachtete den Fremden, wie er weiterging, mal links und mal rechts abbog, aber immer ganz zielsicher. Dann sah er die um dessen Kopf bläulich flirrende Blase. Er hatte mit einem Gasangriff gerechnet und war nun dagegen abgesichert. Dann tat er noch was, er bewegte schwere Möbel so, dass sie den Wirrgangmechanismus blockierten und schuf sich so einen unveränderlichen Weg. "Auch das nützt dir nichts, Körperdieb. Wie immer du von uns erfahren hast, gleich endet dein Weg", dachte Deeplook. Er setzte die Wände des gleißenden Lichtes in Tätigkeit. Erst knisterte es. Dann sprang mit einem lauten Knall ein Lichtbogen vor dem Fremden in eine Gangöffnung und erzeugte einen flackernden Lichtvorhang. "Wer da durchgeht wird Asche", dachte Deeplook. Er verfolgte, wie auch in allen anderen Gängen diese Barriere erschaffen wurde. Das also hatte noch beim Umzug geklappt, dachte der Vater der Augen.
"Ach, ist doch noch wer wach, vielleicht das Oberauge persönlich!" hörte er unvermittelt die Stimme des falschen McBane. "Wo immer du bist, ich finde dich, Sleeplook!"
"Ich heiße Deeplook!" brüllte der oberste des Bundes, bevor er erkannte, wie plump der andere ihn in diese Falle gelockt hatte. Doch die Verballhornung Sleeplook konnte er nun einmal nicht dulden. Dann rief er noch: "Falscher McBane oder angeblicher Wiedergekehrter König der zwölften Dynastie, dein Weg endet hier. Du hättest in deinem Grab und deiner Vergangenheit bleiben sollen."
"Sagt mir einer, der nicht sterben wollte und deshalb immer wieder für zwanzig Jahre in ein silbernes Ei steigt, um dort die Zeit zu verschlafen", konterte der falsche McBane. "Und dein Blitzfeld da vor und hinter mir ist kein Hindernis mehr. Deine Erdzauber habe ich bereits unterbrochen, wenngleich ich nicht so viel Zeit habe."
"Angeber!!" brüllte Deeplook. Vor lauter Verärgerung vergaß der überdauernde Vater aller Augen, dass er nicht auf geistige Tricks eines Gegners und erst recht keine Provokationen eingehen durfte. Doch der Fremde wusste eindeutig zu viel. Mochte es sein, dass er wirklich Allbrick oder einen anderen Bundesgenossen verhören konnte, ohne dessen Verratsvereitelung auszulösen?
"Dann pass auf, damit du nicht doch noch dumm stirbst, Sleeplook!" rief ihm der Eindringling Knabenfrech entgegen. Dann sah Deeplook was der andere vorhatte.
Er ging einige Meter zurück, bückte sich und zog einen kopflosen Bundesgenossen unter einem Tisch hervor. Über diesen schwang er den Zauberstab. Der Kopflose erzitterte. "Man nehme einen beliebigen Leichnam!" kommentierte der Fremde. "Danach belege man ihn mit dem zauber des raschen Verfaulens, warte, bis dieses weit genug fortgeschritten ist und tue dann folgendes", fuhr er fort. Da begann sich der Tote immer mehr aufzublähen. Die Haut wurde bereits rissig, und aus der ausgebrannten Wunde über dem Hals quoll gelblicher Qualm. Dann stieg der Tote von unsichtbarer Hand gehoben in die Höhe, blieb einige Sekunden schweben und rieb dann auf die Barriere aus grellen Blitzen zu. Kurz davor verharrte sie, vom Zauberstab des Frechlings gelenkt, bis sie kurz vor dem Zerplatzen war. Dann flog sie durch die Barriere. Es krachte laut. Ein weißblauer Glutball füllte die Tür aus. Mit einem lauten Knacken zerstoben noch zwei Blitze. Dann war die Tür frei. "Gesehen, großer Schnarchmeister?" fragte McBanes Körperdieb.
"Ich weiß wo du bist. Bleib da und ich hole dich!" schimpfte Deeplook.
"Triff mich in eurem Schatzlager. Da will ich hin, um das zurückzuholen, was dem alten Ägypten gehört und ihr Langfinger euch widerrechtlich angeeignet habt. "Ich finde den Weg schon, meistens nach unten", sagte der Fremde.
Deeplook musste noch dreimal die anwidernde Prozedur mitverfolgen, wie sich der Eindringling seinen Weg durch die Blitzeefelder bahnte. "Vermerk für die Sicherheitsschmiede, Blitzefelder entzünden in überschnell verwesenden Körpern angestaute Faulgase, die widerum die Tür zersprengen. Dieser Stinkhaufen einer fetten Zwergin", knurrte er noch und strich den letzten Teilsatz aus dem Protokoll. Er musste wieder sachlich werden, sich nicht in jungenhafte Fluchtiraden hineintreiben lassen. Darüber musste er doch stehen.
"Ich werde alle Dinge zerstören, die du suchst, und dann dich im Glutfeuer von tausend Drachen verbrennen lassen, du Körperräuber", knurrte Deeplook, als er sah, wie sich der Eindringling trotz der auf ihn zufliegenden Giftpfeile, verdrehter Gänge und Abzweigungen immer weiter dem kreisenden Fahrstuhl näherte, der in die Lagerhallen führte. "Drehfahrstuhl aus!" rief er schnell. Warum hatte er das nicht gleich getan? Klar, weil er selbst ja noch darauf gehofft hatte, wieder nach oben zu fahren.
"Du kannst die Sachen nicht zerstören, ohne dich selbst zu vernichten. Passiert das kriege ich hier bescheid, hat Allbrick mir verraten."
"Der kann dir nichts verraten haben. Der war gegen Verrat abgesichert."
"Ja, sein Körper. Aber als er starb bekam ich sein Kaa und konnte dieses ausschöpfen. Tja, ihr solltet lieber mit totalen Vergessenszaubern und möglicherweise einer spontanen Vollverjüngung arbeiten wie jene Frechlinge, die sich Vita Magica nennenund sich anmaßen, bestimmen zu dürfen, welcher Zauberer mit welcher Hexe Nachwuchs zeugt. Ach, da ist dein Dreaufzug. Natürlich hast du ihn stillgelegt. Macht nichts. Felswühlerspeiwarnung!" Der Drehfahrstuhl setzte sich wieder ratternd in Bewegung. Deeplook schlug sich vor den Kopf. Das Geheimwort zum Aufheben aller Bewegungssperren kannten nur die Leitwächter.
"So sei es hier unten, wo du fällst, Zwergendreck!" dachte Deeplook. Er brauchte nur noch zwei Minuten zu warten, bis ein Fahrkorb des Drehfahrstuhls den Eindringling ausspuckte. Deeplook hielt den Geistersirrer in der Hand, um die durchsichtige Begleittrupe des Eindringlings zu bekämpfen. Außerdem hielt er noch das unsichtbare Schwert in der Hand. Damit würde er den anderen in zwei oder drei Teile hacken.
"Ergreift ihn!" rief der Eindringling seinen Begleiter nzu. Diese schwärmten aus. Da betätigte Deeplook den Auslöser des Geistersirrers. Dieser vibrierte in seiner linken Hand und gab einen flirrenden Ton von sich. Gleichzeitig glomm die silberne Spirale in bläulich-weißem Licht auf. Wo die Spirale auf einen der ihn anfliegenden Geister zielte zerstob dieser mit lautem, verschwimmenden Aufschrei zu blauem Rauch. Er konnte damit sogar weitwinklig arbeiten. So schaffte er es, mehrere Geister auf einmal auszulöschen. Als zwei ihn zu packen versuchten berührten sie die glimmende Spirale und vergingen mit kurzem Knacken zu blauem Rauch. Das unsichtbare Schwert erwies sich sogar als Geisterabwehrwaffe. Zwar konnte es die ihn bestürmenden Gespenster nicht auslöschen, aber wie mit einer schweren Keule von ihm fortschleudern. Den Rest erledigte der schnell im Kreis geführte Geistersirrer. Am Ende trieb nur noch blauer Qualm im Gang herum. "Und, gesehen, Frechling?" fragte Deeplook.
"Nette Spielsachen habt ihr vom Raub- und Mordbund", knurrte der Fremde und zielte mit seinem Zauberstab auf Deeplook. "Imperio!" schnarrte er. Deeplooks Helm begann unvermittelt wie ein aufgescheuchtes Hornissennest zu brummen und ließ seinen Kopf erzittern. Der Zauberstab des Körperdiebes bog sich sichtbar und erbebte selbst. Gerade noch rechtzeitig senkte der ihn. "Ah, das Schnarchauge hat einen gesonderten Schutz gegen Unterwerfungszauber", schnaubte der Eindringling. "Ja, und gleich deinen Kopf, den ich in der Halle der Siegreichen an die Wand nageln werde", dachte Deeplook und holte mit dem unsichtbaren Schwert aus.
Brummmback hatte es erst nach Tagen geschafft, sich beim Zweigstellenleiter von Gringotts Respekt zu verschaffen. Jetzt besichtigte er mit ihm die gesonderten Verliese.
"Der Angstschlundzauber hält wieder?" fragte er den Leiter der Koboldbank. Dieser nickte eifrig. Dann zeigte er ihm, wie umständlich man Verlies 007 öffnen musste, um an die wertvollsten und für Kobolde gefährlichsten Gegenstände zu kommen. Brummback sah in dem saalgroßen Verlies die mehr als zehn Stockwerke hohen Regalwände mit den Behältern für die Weihesteine. Es hieß, dass von fast allen lebenden Kobolden die Weihesteine hier unten aufbewahrt wurden. Ihn gruselte es, sich vorzustellen, dass hier auch sein Weihestein und der des Vaters aller Augen gelagert war und dachte mit Unbehagen daran, dass es einmal einer dunklen Hexe gelungen war, mehrere Weihesteine zu stehlen. Er konnte froh sein, dass sie nicht gewusst hatte, dass er der Leitwächter des deutschen Sprachraums gewesen war oder dass es den Vater aller Augen Deeplook gab. Sonst hätte sie mehr als nur ein paar schwere Diebstähle ausführen können. "Du hast den ägyptischen Erdkraftstein des Tayet erwähnt. Wo steckt der?" Der Zweigstellenleiter deutete weit in den Saal hinein. "Er ruht in einer Kiste der Unauffälligkeit, wie Euer Vorgänger Turnlook es befohlen hat. Nur mit den Gläsern des wahren Blickes ist sie zu sehen." Brummback nickte und holte solche magischen Sichtgläser aus seiner Uniform. Er setzte sie auf und blickte sich um. Sofort meinte er, dass sich alle Regale verdoppelt oder verdreifacht und mehrere Stockwerke hinzugewonnen hatten. Er konnte in hellgrüner Schrift die Bezeichnungen auf den Behältern lesen. Dann sah er auch die quaderförmige, aus Silber geschmiedete Kiste, die in einem grün-roten Flimmerlicht leuchtete. "Die Kiste da links bei dem fünften Regal von links und dem vierten von der Stirnwand?" fragte er. Sein Begleiter bestätigte es. "Gut, die kann da bleiben. Ich weiß aus Turnlooks Aufzeichnungen, wie gefährlich der Stein für unsereins ist. Ich muss das nicht ausprobieren." Er nahm die Gläser des wahren Blickes wieder ab und verstaute diese. "Dann zeig mir noch das Lager für die britischen Gegenstände, die nicht in Privat- oder Ministeriumsbesitz sind!" sagte Brummback. Sein Begleiter nickte und führte ihn hinaus. Mit umständlichen Handreichungen und der Unterstützung von zwei Gehilfen und Brummbacks verschloss er das Verlies 007 wieder. Als die Tür vollständig verriegelt und magisch versiegelt war gingen sie mit den Drachenklappern lärmend den Gang zurück. So bekam Brummback nicht mit, was sich im Verlies 007 ereignete.
Pfeifend fuhr die unsichtbare Klinge auf den Hals des ruhig dastehenden Eindringlings zu. Dann prallte sie mit lautem, verschwommen klingendem Klirren auf einen plötzlich entstandenen schwarzen Schild und blitzte violett und hellblau auf. Deeplook hatte so fest zugeschlagen, dass ihm die Waffe aus der Hand geprellt wurde und wieder unsichtbar zu boden schepperte.
"Soviel zu deinem Mut, Sleeplook", ätzte der Eindringling in McBanes Körper. "Werde ich gleich auch mitnehmen, für meine Schwertersammlung."
Deeplook griff an seinen unsichtbaren Gürtel, um den Dolch der letzten Vergeltung zu zücken. Den wollte er dem anderen in den Leib jagen. Dieser ließ jedoch eine Wand aus flimmernder Luft zwischen sich und ihn entstehen. Deeplook sprang mit vorschnellendem Dolch vor. Die aus Triamant gefertigte grüne Klinge prallte gegen die blaue Wand und zerbarst in einer grünen Wolke. Deeplook hielt sofort die Luft an. Denn er wollte die in den Dolch eingelagerten Blutgefrierkristalle nicht einatmen, die einen Gegner schlagartig unterkühlten und die von ihm eingeatmete Luft verdarben. Diese Gemeinheit hatte sich der Geheimbund von den verfeindeten Zwergen abgeschaut. Doch wieso war die Triamantklinge, die eben dreimal härter als Diamant beschaffen war, so leicht zerbrochen?
"Oh, ein Mordbubendolch, deiner Räuber- und Mörderbande würdig, sicher auch mit schnell wirkendem Gift bedeckt, wie?" fragte der Eindringling, der wegen der oben eingesetzten Gase immer noch seine Kopfblase trug.
"Du hast einen widerlichen Luftzauber benutzt, du Körperdieb." Deeplook berührte einen spiegelnden Knopf seiner Uniformjacke. Noch hatte er nicht alle Waffen eingesetzt. Ein gleißender weißgelber Lichtstrahl, dünn wie ein Frauenhaar und heißer als Drachenfeuer zischte auf den Eindringling zu und prallte gegen dessen Brust. Das konnte der mit seiner Schutzaura nicht kontern. Doch als sich der Qualm des angebrannten Umhangs verflüchtigte sah er, dass der Fremde einen silber-goldenen Schild umgebunden hatte, der einen Gutteil seines Körpers verdeckte, ihm aber genug Bewegungsfreiheit ließ. Der Schild hatte das Bündel konzentriertes Sonnenlicht geschluckt. Jetzt erstrahlte er selbst und traf Deeplook mit blendender Helle und sengender Hitze. "Einem Ägypter mit Sonnenzaubern kommen, wo die diese überhaupt erschlossen und weiterentwickelt haben", lachte der Dämon in McBanes Körper, als Deeplook sich laut schreiend die Augen zuhielt und wie von einem heißen Wüstensturm zurückgeweht wurde. Er musste schnell die Worte des Heils ausrufen, um jede Verletzung mit einem Stoß heilsamer Erdkraft zu behandeln. Blind und mit verbrannter Haut war der diesem Eindringling hilflos ausgeliefert. Da traf ihn die linke Faust des Feindes in der Körpermitte. Er fühlte etwas eiskaltes, schnell pulsierendes in ihn einschießen, das ihm schlagartig Kraft raubte, als habe der andere ihm das Blutgefriergift in den Körper gejagt. Ihm schwanden die Sinne. Der letzte Gedanke war, dass er den Feind doch unterschätzt hatte und dass er hoffte, dass sein fest angewachsener leichter Helm der bergenden Seele ihn vor jeder geistigen Beeinflussung bewahren würde.
Es stimmte also doch. Wenn der von einem anderen getragene Unlichtkristall einen anderen Körper berührte, dessen Besitzer bereits mehr als einmal getötet hatte, konnte der Kristall ihm die Kraft entziehen. Da der ungenannte Herrscher seinen Gegner nicht töten durfte, solange er noch was von ihm wissen wollte musste er seine linke Hand mühevoll zurückreißen, um Deeplook nicht alle Lebenskraft zu entziehen. Gut, dass er der Versuchung widerstanden und das bronzene Schwert des Kriegsgottes Reput in seiner unheilvollen Unterkunft gelassen hatte. Denn damit hätte er jeden Feind zumindest schwer verletzen, oder sogar töten müssen, um nicht selbst zu sterben. Jetzt lag dieser achso legendäre Vater aller zehntausend Augen, der Gründer jener uralten Koboldbande Axdeshtan Ashgacki az Oarshui ohnmächtig zu seinen Füßen, wie es sich für einen unterlegenen gehörte. Er hörte das weiter oben trötende und scheppernde Alarmgetöse. Dem ungenannten Herrscher war klar, dass er sich selbst vernichtet hätte, wenn er seinen Feind hier unten umgebracht hätte. Denn dann wäre sicher die ganze Räuberhöhle mit allen Verzweigungen und Kammern auf ihn herabgestürzt, wie es in der geheimen Niederlassung von Gringotts in Ägypten geschehen war.
"Das unsichtbare Schwert nehme ich mal mit und deine Geisterverbrennungsfeder auch", dachte der Körperdieb und tastete den Boden ab, bis er die unsichtbare Klinge fühlte. Offenbar steckte in dieser auch dunkles Zauberwerk, weil der Unlichtkristall sie sonst nicht abgewehrt hätte. Im Grunde hatte der finstere Pharao gewaltig großes Glück gehabt, dass diese heimtückische Waffe nicht ausschließlich koboldischer Schmiedekunst entstammte. Was es genau damit auf sich hatte wollte er in Ruhe erforschen, wenn er Deeplook in eine der noch freien Seelenkammern gesperrt und ihn darin verhört hatte.
Als er den Kopf des Koboldes betastete fühlte er einen glasartigen Widerstand auf den scheinbar sehr streng glattgekämmten Haaren. Da begriff er, dass Deeplook wohl einen völlig durchsichtigen Helm trug. Er versuchte, ihm diesen abzunehmen. Doch es gelang nicht. Da war ihm klar, dass nicht nur er ein mit ihm verwachsenes Hilfsmittel am Körper trug. Der Helm war es wohl, der Deeplook vor dem Imperius-Fluch bewahrt hatte. Nun, falls der ihn auch lebendig vor den Strömen der Seelenkammer schützte würde das wohl noch ein sehr langer Tag für beide werden.
Der ungenannte Herrscher lud den besinnungslosen Herren aller zehntausend Augen und Ohren auf den bereitstehenden Karren. Er fand die Drachenlederscheide für das unsichtbare Schwert und legte es in den länglichen Kasten zurück, aus dem es sein letzter Gegner hier unten genommen hatte. Dann untersuchte er noch den kopflosen Körper des zweiten Koboldes mit den vielen Schlüsseln und fand zusammengerollte Pergamente, offenbar Bestandslisten. Sollte er ausprobieren, zu welchen Schätzen die Schlüssel führten? Da hörte er in seinem Kopf die schwirrende Stimme eines seiner Wachposten: "Meister, man will in die Festung, Hundert kleine Krieger mit langen Händen."
"War zu befürchten", dachte der Körperdieb zurück und nam nur die Pergamente an sich. Dann sprang er auf den Wagen. Doch dieser ließ sich nicht so einfach in Bewegung setzen, auch nicht durch das Überlagerungswort. Dann hatte er den Einfall, die Hände des Gefangenen auf die mit "Fahrt und Lenkung" bezeichneten Stellen zu legen und die entsprechenden Worte zu sagen. Da fuhr der Wagen los. Der ungenannte Herrscher rief: "Notflucht!" Ja, das war es. Denn nun raste der eiserne Wagen auf eine aufgehende Klappe zu, durchfuhr diese und jagte durch einen unbeleuchteten Tunnel davon, weg von der Festung des Geheimbundes. Gut, dass er seinen Flugteppich schon im Rucksack verstaut hatte, als er alle Außenwächter erledigt hatte. So musste er nicht vor Tunnelende anhalten. Wie weit genau der Wagen fuhr, bevor er durch eine zweite Klappe glitt und von selbst anhielt wusste er nicht. Er hoffte nur, dass er weit genug entfernt war.
Er holte den besonderen Flugteppich hervor, entrollte ihn, legte den Gefangenen und die mitgenommenen Schätze aus dem Wagen darauf und flog los, Richtung Mittagssonne.
Im Hochsicherheitsverlies 007 der Gringotts-Filiale London erbebten mehrere Behälter mit Weihesteinen. Dann knackte und paffte es in ihnen. Sie hüpften einmal auf und kamen leise Scheppernd wieder auf. Dannliefen sie kohlschwarz an. Dieser unheimliche Vorgang wiederholte sich noch an die hundert Mal. Dann kehrte wieder Ruhe ein.
Indes quäkte ein kleines Signalhorn an Brummbacks Gürtel los, als wolle es alle hörenden Wesen der Umgebung warnen oder verscheuchen. Er griff danach und blies hinein. Das Quäken hörte auf. Dafür quakte eine blecherne Stimme: "Überfall auf Hauptstelle. Mehr als siebzig von hundertzehn, nein achtzig von hundertzehn vergangen."
"Was höre ich da?" fragte der Brummback begleitende Gringottsmitzweigstellenleiter. "Sie haben gar nichts gehörtund werden um ihres Lebens und dem Ihrer Angehörigen willen auch nichts mehr hören, was aus diesem Horn kommt. Verstanden?" schnarrte Brummback. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. in der Hauptstelle war gerade der Vater aller Augen. Wer wusste, wo die neue Hauptstelle war, außer jenen aus dem Bund? Wer war der Angreifer oder besser, wer waren die Angreifer. Denn gerade quakte die künstliche Stimme aus dem Horn, dass 109 von 110 gemeldete Anwesende der Hauptstelle vergangen waren. "Was ist mit Deeplook", dachte Brummback, während er sachte in das Horn blies. "Höchstwichttiger Insasse noch am Leben", hörte er nun die Stimme zwischen seinen Ohren, weil er das Horn noch im Mund hatte.
"Ich muss fort. Notausstieg öffnen, aber sofort!" befahl Brummback. Er musste die Hauptstelle schützen, bevor der Feind sie einnehmen und alle ihre Geheimnisse herausholen konnte.
Brummback ließ sich von jenem System von übereinander angeketteten Förderkörben hinausbringen, dass auch jene tolldreiste Diebin benutzt hatte, die in London und Frankfurt eingebrochen war. Außerhalb von Gringotts stampfte Brummback auf den Boden und verschwand unter der Erde.
Mit Erdstoßgeschwindigkeit jagte er zur englischen Niederlassung des Bundes. Von dort aus befahl er den Entsatzangriff. Wer immer der Feind oder die Feinde waren sollten nicht überleben.
Dann erfuhr er jedoch, dass in der Hauptstelle kein lebendes Wesen mehr war. Alle toten Bundesgenossen wurden kopflos aufgefunden. Also hatte sie der Verratsvereitelungszauber ereilt. Doch wo waren die Feinde? Dann stellte sich heraus, dass im untersten Sicherheitslager mehrere Gegenstände fehlten, Lagerverwalter Barlock ebenso ohne Kopf aufgefunden wurde und der für eine Flucht vorgehaltene Notwagen fehlte. War Deeplook damit entkommen? Brummback musste ihn rufen, zumindest um zu wissen, wo er war. Doch die dafür ersonnene Vorrichtung versagte. Offenbar befand sich Deeplook nicht auf festem Erdboden. Flog er gar? Geschah dies freiwillig oder gewaltsam? Wohin war er unterwegs? Brummback dachte daran, dass zumindest noch kein Todesruf von ihm erfolgt war wie bei den anderen Bundesbrüdern. Falls Deeplook starb war dies ein schwerer Schlag für den Bund, der alles sieht und hört. Denn viele Dinge kannte nur der Vater aller Augen.
"Ausschwärmen, nach Vater Deeplooks Lebensprägung suchen!" befahl er allen handelnden Augen, Händen und Ohren. Die Nachricht wurde über die gesonderte Glockenstrecke innerhalb von wenigen Minuten in alle noch besetzten Stützpunkte des Bundes gesendet. Jeder der Bundesgenossen wusste nun, dass der Vater der Augen verschwunden war.
Erst als sich die östliche Falltür über ihm geschlossen hatte atmete der ungenannte Herrscher auf. Er hatte dem Teppich einen Gewaltflug abverlangt. Der brauchte jetzt mindestens einen vollen Tag und eine Nacht, um sich zu erholen.
Zuerst sperrte er den immer noch ohnmächtigen Deeplook in eine freie Seelenkammer ein. Wenn der wieder aufwachte würde er es mitbekommen. So nahm er sich nun zeit, die mitgenommenen Gegenstände und Pergamente zu untersuchen.
Er fand heraus, dass er die Kisten nicht öffnen konnte, weil er kein Kobold war. Die Pergamente ließen sich nur mit den Gläsern des wahren Blickes lesen. Die wenigstens hatte er Deeplook abnehmen können. Als er auf den Kisten die Beschriftungen las, dass er das Auge der Bastet, den Griffel des ewigen Schreibers, den Bogen des Anhor und den Spiegel der Savanna erbeutet hatte, vom Schwert des Sir Harvey ganz zu schweigen, war er zumindest beruhigt, mehrere der ihm wichtigen Schätze wiedergefunden zu haben. Er entnahm den Pergamenten, dass noch weitere britische und irische Gegenstände aus Koboldfertigung in den Lagern gewesen waren und auch, dass der Stein des Tayet als Gegenstand der zweithöchsten Gefahrenstufe eingeordnet und deshalb im Hochsicherheitsverlies 007 von Gringotts London verstaut worden war und wieso die Kobolde diesen verlockenden Gegenstand nicht mehr anrühren durften. "Werde ich wohl irgendwann auch in jene Geheimkammer vordringen müssen", dachte der ungenannte Herrscher. Doch zunächst wollte er die ihm zugefallenen Beutestücke begutachten. Dazu brauchte er die Hände eines lebenden Koboldes. Gut, dass er gerade einen vorrätig hatte.
Er holte den Gefangenen aus der Kammer heraus. Dieser kam gerade wieder zu sich. Da der Körperdieb ihm alle Kleidung außer dem durchsichtigen Helm abgenommen hatte konnte er Deeplook mit Fernlenkzaubern vor sich hertreiben, die ihn wie mit unsichtbaren Stricken in der Luft hielten. "Du wirst sterben. Meine Leute werden dich finden und töten", schnaubte der gefangene Geheimbundgründer.
"Kleiner Räuberhauptmann, du bist jetzt in meiner Festung, meiner Heimstatt. Nur wen ich hier haben will gelangt hier herein, und deinesgleichen schon mal gar nicht, weil meine Heimstatt starke Erdzauber ausstrahlt, die das Reisen unter der Erde vereiteln. Und wer überirdisch zu mir will wird vom Hauch der verheerenden Angriffslust gegen seine eigenen Leute kämpfen und sie töten oder dabei den Tod finden. Ich brauche nur deine von deinem Macht- und Goldgierigen Blut durchströmten diebischen Klauen, um die von dir so nett auf den Wagen gelegten Kisten zu öffnen."
"Du kannst mich nicht zwingen, die nötigen Hand- und Fingergesten zu machen. Ich halte jeden Schmerz aus, den du mir zufügen willst und bin gegen jeden Unterwerfungsfluch gefeit. Außerdem werden meine Leute deine Räuberburg umstellen und sie ausräuchern, bis du heraustorkelst oder in ihr verreckst."
"Verstehe", sagte der Körperdieb und beförderte Deeplook in eine weitere Kammer. Dort standen die scheinbar unaufschließbaren Kisten. Deeplook wehrte sich gegen die Handgriffe des Fremden. Doch dieser war so schnell und so geschickt, dass er nichts machen konnte. Seine Finger wurden genauso platziert und geführt, dass die Kisten aufsprangen, bevor er noch irgendwas ausrufen konnte, um das zu verhindern. Danach entzog der Ungenannte ihm erneut Körperkraft und sperrte ihn wieder in seine vorgesehene Kammer ein, die er nicht mehr lebend verlassen sollte.
Nun konnte er die erbeuteten Gegenstände betrachten. Der silberne Bogen des Anhor, zu dem ein aus Drachenleder gefertigter Köcher mit 100 silbernen Pfeilen gehörte, deren Schäfte mit Phönixfedern versehen waren und dessen Spitzen aus Drachenhorn bestanden. Der Unlichtkristall an seiner linken Hand warnte ihn davor, die Spitzen zu berühren. Laut der Aufzeichnungen aus der zerstörten Gringottsniederlassung und der in der Hauptstelle erbeuteten Pergamente trugen die Pfeilspitzen einen konzentrierten Feuertodzauber in sich. Lebende verloren nach zwei Herzschlägen alles innewohnende Lebensfeuer, Widergänger verbrannten in dem freiwerdenden Feuer der Vernichtung. Danach musste jeder Pfeil eine Mondphase lang dem Licht der beiden Hauptgestirne ausgesetzt sein, um diese tödliche Kraft zurückzubekommen.
Der Unlichtkristallring hinderte ihn auch daran, das Auge der Bastet zu berühren, das wild erbebte. Also stimmte es, dass es wohl mit seinen Schöpfern verbunden war. Doch er war der mächtige König der Magier. Wenn einer außer diesen Katzenweibern dieses grüne Schmuckstück beherrschen sollte war er das.
Er las nun die Pergamente aus der Hauptstelle und erfuhr so von jenen Schätzen, die vor und nach seiner Zeit geschaffen worden waren. Den Schild, den Bogen, das Schwert, den Griffel, das Ohr, das Auge und das Zepter hatte er schon. Wo der Stein des Tayet war, der alle Erdzauber verstärkte und Erdwesen lenken konnte wusste er. Doch die von den anderen Gegenständen mochte er vielleicht noch die Kralle Anats zur Herrschaft über wilde Tiere erbeuten können, falls er genug Betäubungsgas erwarb, um an den Wächtersphinxen vorbeizukommen. Den Bronzehelm des Upuaut, der seinem Träger alle sicheren Wege verriet und ihm bei der Nutzung geheimer Wege half würde er wohl nur finden, wenn er es schaffte, die Verwirrungen und Fallen der Lagerstätte zu entschärfen. Die silberne Kette der Isis, die heilende Kräfte verstärkte, konnte er getrost vergessen, weil er keine Mutter war und obendrein schon zu viele Menschen und andere denkfähige Wesen getötet hatte, um sich dieser als würdig zu erweisen. Das Gnadenbett des Osiris hielten die Kobolde jedoch für eine Legende, weil sie es für unmöglich hielten, dass bereits verstorbene Wesen wiederbelebt werden konnten. So beschloss er, mit dem zufrieden zu sein, was er jetzt hatte und anwenden konnte. Damit würde er sich bald seinen Thron und die Anerkennung der Zaubererwelt zurückholen, vor allem, wenn er die Schattenkönigin unterwerfen konnte. Immerhin hatte er neben dem Zepter nun auch eine Geistervernichtungswaffe aus Koboldbeständen, mit der er sicher Eindruck schinden konnte. Zunächst wollte er aber die in einem Schlaf der fesselnden Nacht liegenden Blutsauger ausnutzen, um sich bei jener blutroten Götzin vorzustellen. Dafür musste er jedoch sicher sein, dass er den Koboldgeheimbund der zehntausend Augen und Ohren auf Abstand halten konnte.
Drei Stunden später erwachte Deeplook wieder aus der Besinnungslosigkeit. Sein Kopf dröhnte. Er sah sich um und erkannte, dass er in einer kleinen Kammer gefangen war. Hinter ihm war wohl eine Metallplatte an der Wand angebracht. Er berührte sie mit den Fingern und meinte, hunderttausend winzige Kerbtiere darüber laufen zu fühlen. Er hörte weit entfernte Stimmen flüstern. Dann hörte er von allen Wänden die Stimme seines Überwinders. "Ah, der Schläfer ist wieder aufgewacht. Dann wirst du mir jetzt alle Fragen beantworten, die ich habe. Wir haben viel Zeit."
"Meine Treue ist mein Leben. Verrat ist mein Tod", knurrte Deeplook jene Parole, die er jedem seiner Schützlinge eingebläut hatte. "Deine Unterwerfungszauber können mich nicht bezwingen, und ich kann jede Folter ertragen, Körperräuber. Vielleicht hast du auch gar keine Zeit, weil die erzürnten Schwestern der Bastet dich schon suchen, nachdem du ihr verlorengegangenes auge angefasst hast, du Aufschneider."
"Wer ist hier der Aufschneider? Ich sitze nicht in einem Kerker und speie noch große Töne über meine Möglichkeiten wie du. Ob dein Helmchen dich wirklich vor der Kraft von über vierhundert gebundenen Seelen schützt wirst du gleich erleben. Da brauche ich keine körperliche Pein zu bereiten. Außerdem weiß ich von Allbrick, der in einer ähnlichen Kammer sein Ende fand, dass du einen Koboldzauber erlernt hast, alle Schmerzempfindungen und Verletzungen in die Erde abzuleiten. Ich bräuchte dich also nur hoch genug über der Erde zu lagern, ohne Verbindung zum festen Boden, und du würdest kreischen wie ein hungriger Geier, der sein Revier verteidigen muss, sobald ich dir den Cruciatus-Fluch auferlege, übrigens eine sehr vielversprechende Erfindung. Wir konnten damals nur die Pein der gequetschten oder brennenden Glieder ausführen. Aber das ist nicht mehr bedeutsam. Du wirst mir gleich alle Fragen beantworten, wenn nicht lebend, dann eben tot."
"Ich sagte es, Körperdieb, meine Treue ist mein Leben. Verrat ist mein Tod."
"So möge es sein, dass dein Tod mir alles Verrät, was du mir nicht im Leben sagen willst", erwiderte die Stimme. Dann begann es um Deeplook zu vibrieren. Sein Helm erbebte. Er meinte, in einen wilden Sandsturm zu geraten, der auch Eisbrocken vor sich hertrieb. Er hörte die Fragen. Doch er schwieg sich aus. Sein Helm dröhnte auf seinem Kopf. Jetzt konnte er die Fragen nicht mehr hören. Dann war ihm, als brenne sich der ihn umtosende Sturm mit heißen Funken tiefer und tiefer in seine Haut hinein. Er fühlte Stöße wie von elektrischen Schlägen. Er dachte die Formeln der heilsamen Erde, die er erlernt hatte. Solange er auf festem Boden lag konnte ihm niemand mehr weh tun. Tatsächlich erbebte sein Körper immer wilder. Die Schmerzen waren zwar fort, aber das Gefühl, von unsichtbaren Kräften durchgerüttelt zu werden stieg. Vor seinen Augen blitzte es immer häufiger und heller auf. Dann wurde er von Boden hochgeschleudert. Unverzüglich stürzten alle Schmerzempfindungen der letzten Minuten auf einen Schlag auf ihn ein. Sein Körper brannte. Sein Blut kochte. Seine Knochen blähten sich auf. Seine Nerven wurden zum Zerreißen angespannt. Dann fühlte er, wie seine Organe versagten. Er bekam keine Luft mehr. Seine Eingeweide kochten. Sein Herz schlug nur noch einmal. Dann war alles Vorbei. Er fühlte sich erst leicht. Dann merkte er, dass ihn etwas anzog. Es waren zwei Kraftquellen, die an ihm zerrten. Er dachte daran, dass er eine letzte Absicherung getroffen hatte, wenn er doch vor der Zeit starb. Doch würde sie ihm helfen, wenn alles, was er am Körper getragen hatte, auf ewig hier eingeschlossen blieb? Dann fühlte er wieder einen festen, wild bebenden Körper. Doch er sah nichts und hörte nichts. Dann schwanden ihm die Sinne.
Er kannte das Gefühl, dass er hatte. Ja, so hatte es sich angefühlt, als er den Sethkrieger Ixandesh in seine Grabstätte hineingezogen hatte. Erst hatte er gedacht, dessen Kaa in das in der Kammer enthaltene Relief zu bannen. Doch es war in Ixandeshs Ring geströmt und hatte sich dort eingenistet. Sowas ähnliches erlebte der ungenannte Herrscher nun erneut. Erst hatte er gedacht, Deeplooks Seele sicher in das freie Relief einzukerkern. Doch dann war sie wie an einem zurückschnarrenden Gummiband von der Wand fortgerissen worden und einfach an einem Punkt des Raumes zusammengeschnurrt und eingeschlafen. Da wusste der ungenannte Herrscher, dass der alte Geheimbundgründer ihn doch noch ausgetrickst hatte. Der hatte seinen Helm mit seiner Seele verknüft, so dass diese nach seinem körperlichen Ende dort eingelagert wurde. Offenbar hoffte er darauf, dass eines Tages jemand mit seiner Kopfgröße kommen und der Versuchung nicht widerstehen würde, den Helm aufzusetzen.
Der ungenannte Herrscher eilte zu der Kammer. Ja, Deeplooks Körper war tot. Der gläserne Helm lag nur wenige Schritte entfernt. Die Annäherung mit dem Unlichtkristall zeigte, dass der Helm wahrhaftig eine lauernde Ausstrahlung besaß. Doch der ungenannte Herrscher geriet nicht in Versuchung, den entfallenen Helm aufzusetzen und zu ergründen, ob Deeplooks Seele darin nistete. Denn der Helm war ihm einfach zu klein, ja überhaupt jedem Menschen. Dann sah er, wie Deeplooks Körper innerhalb von Sekunden in einem unsichtbaren Feuer verbrannte, das wohl auch ihn vernichtet hätte, wenn sein Ring ihn nicht geschützt hätte. "Dann sei hier auf ewig mit deinen Geheimnissen begraben, Sleeplook!" fauchte der finstere Pharao wütend und versetzte dem nicht ganz so herrenlosen Helm einen gehörigen Tritt, dass dieser laut klappernd bis in die äußerste Ecke kullerte.
Das Tröten war unüberhörbar. Brummbacks kleines Signalhorn quäkte über drei unheimlich klingende Töne. Eine Glocke schepperte. Dann dröhnte in allen Schallausgabevorrichtungen der Niederlassung: "Große Bestürzung und Trauer. Der Vater unseres Ordens, Herr aller Augen damals bis heute, Deeplook Ondork Honodack, ist soeben nach langem Sein und Wirken von uns gegangen. Er starb in Erfüllung seiner ewigen Treue des von ihm gegründeten Bundes. Ehre seinem Andenken! Tod seinem Mörder! Sucht sein Vermächtnis da, wo er starb!"
Diese Meldung wurde dreimal wiederholt. Dann trat völlige Stille ein. Brummback sah seine Untergebenen an. Es war also doch geschehen. Der Vater aller Augen war vor der Zeit, wohl durch Gewalthandlung, ums Leben gekommen. Damit waren viele nur ihm bekannte Geheimnisse des Bundes verschlossen und womöglich unnachforschbar verschüttet.
"100-Augen-Lenker Peepgap, wo genau fand unser aller Vater und Führer seinen Tod und wodurch?"
"Öhm, der Todesruf kam über unsere Festung aus Ägypten. Da war er wohl. Er starb wohl durch eine unerträgliche Überlastung seines Körpers", sagte der Gefragte mit gedämpfter Stimme. Brummback nickte. Damit stand es fest, wer ihn entführt und getötet hatte. "Ich werde alle Leitwächter zusammenrufen und die verschwiegene Schriftrolle verlesen. Sie wird uns sagen, was unser erloschener Vater uns allen hinterlassen hat. Niemand außerhalb des Bundes darf wissen, dass unser großer Vater und Lehrmeister nicht mehr da ist." Doch außerhalb des Bundes wusste ja auch niemand, dass es den Überdauerer Deeplook gegeben hatte. So machte dessen Tod keinen Unterschied. Diese nüchterne und fast frevelhafte Einsicht erschreckte Brummback.
"Komm heraus, Zerfa Gellenhef!" hörte sie die Stimme ihrer Mutter und Kaiserin. Endlich durfte sie aus ihrer innersten Obhut hinaus, zurück in die Welt. Hoffentlich war da gerade kein Licht! Als sie, die auf den Namen Zerfa Gellenhef hören sollte, es nach einer gewissen Anstrengung schaffte, den schützenden Schoß ihrer geliebten Herrscherin zu verlassen freute sie sich unbändig über alle die, die um ihre Mutter herumstanden, alles für sie in verschiedenen Farben leuchtende Wesen, keine dunklen Schatten. Selbst ihre Mutter erstrahlte in einem warmen rotgoldenen Licht.
Zerfa Gellenhefs Geschwister fanden ebenso den Weg an die Dunkelheit der Welt, die bisher nur aus einer weitläufigen Höhle bestand. Doch die als fleisch- und blutlose Tochter der mächtigen Kaiserin aller Nachtkinder wiedergeborene wusste, dass es außerhalb der Höhle noch eine ganze Welt gab.
Als alle sich um ihre Kaiserin und Mutter versammelten sagte diese: "So seid mir alle willkommen, die ihr auf engstem Raum herangewachsen seid! Ich freue mich, euch alle zwölf kräftig und ergeben erblicken zu können. So werdet ihr die nächsten Tage erst einmal eure neuen Fähigkeiten erkunden und in Begleitung eurer älteren Geschwister anfangen, euch mehr eigene Kraft anzueignen. Dann könnt ihr mir und allen euren Geschwistern helfen, die großen Feinde unseres Volkes zu besiegen, die vaterlose Herrin dunkler Kräfte, die falsche Göttin der vom Blut lebender Wesen zehrender Geschöpfe, sowie jene, die meinen, weil sie mit Zauberstäben herumwedeln die Beherrscher und Verwalter aller übernatürlichen Sachen und Wesen zu sein. Unser ist die Zukunft. Unser Reich der Dunkelheit ist unsere Heimat."
Zerfa Gellenhef hörte der Begrüßungsrede ihrer Mutter zu. Noch verstand sie nicht alles. Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sie es verstand.
Aurores Begeisterung für die Schule war noch nicht verflogen, auch wenn sie bereits merkte, dass es nicht nur Spiel und Spaß war, was sie dort zu tun hatte. Claudine Brickston, die laut Millie nicht nur Aurores Einschulpatin war, sondern laut Millie auch mit auf die jüngeren Geschwister Aurores aufpasste, schien einen gehörigen Anteil an Aurores Begeisterung zu haben.
Die Quidditchsaison hatte begonnen, und sowohl die Millemerveilles Mercurios, die Pariser Pelikane, als auch die Lyoneser Löwen, bei denen Claudines große Schwester Babette mitspielte, hatten ihre Eröffnungsspiele gewonnen. Hierbei hatten die Pelikane mit Schnatzfang und geworfenen Toren 200 Punkte Vorsprung, die Mercurios durch Schnatzfang und geworfene Tore 400 Punkte Vorsprung und die Löwen geradeso durch den Schnatzfang 180 zu 170 Punkten, also nur 10 Punkte Vorsprung erspielt.
Bisher hatte keine offizielle Stelle aus Nordafrika bestätigt, dass dort der Geist eines ehemaligen Pharaos mit starken Zauberkräften auferstanden war. Es war, als hätte das ägyptische Zaubereiministerium einen tonnenschweren Bleideckel daraufgelegt, um keine ausländischen Begehrlichkeiten oder Hilfsangebote zu erhalten. Es mochte auch sein, dass Ladonna Montefiori veranlasst hatte, dass über diesen Vorfall nichts an die nicht von ihr beherrschten Zaubereiministerien drang.
Julius fand am Morgen des 7. Septembers in seinem Einzelbüro im französischen Zaubereiministerium einen Brief von Heilzunftsprecherin Antoinette Eauvive. Sie bat um einen zeitnahen Gesprächstermin in seinem Büro oder ihrem Büro. Es ginge um einen Konflikt zwischen der Heilmagiezunft und den Verwandten der Veela Léto. Julius fragte sich, was Léto den Heilmagiern getan haben sollte. Doch weil der Brief höchst offiziell an seine Ministeriumsadresse geschickt und amtlich formuliert war nahm er diese Anfrage sehr ernst. Er schickte eine Antwort, dass er wegen der vorübergehenden Personalumbildung im Zaubereiministerium am nächsten Tag keine Zeit habe, aber für eine Besprechung um zwei Uhr nachmittags zu ihr in die Delourdesklinik kommen könne.
Nach der üblichen 10-Uhr-Konferenz mit den Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern klärte er es noch mit Nathalie Grandchapeau ab, dass er diesen Nachmittagstermin auch wahrnehmen konnte. Nathalie meinte dazu: "Nachdem sie unseren ehemaligen Kollegen Lepont erst am 20. September vor den Gamot zitieren wollen ergibt sich für uns doch noch ein gewisser Freiraum, um die bis dahin möglichen Vorgänge ordentlich abzuschließen. Ich kann mir auch schon denken, was die gute Madame Eauvive von Ihnen möchte. Doch ich will ihr nicht vorgreifen", sagte Nathalie.
In seinem eigenen Büro fand er die Bestätigung, dass Madame Eauvive am Nachmittag Zeit für ihn habe und dafür danke, dass er zu ihr kommen wolle, sodass sie weiterhin für ihre Mitarbeiter in der Delourdesklinik jederzeit ansprechbar sei.
Er aß mit Hippolyte und der aus Japan zurückgekehrten Barbara Latierre zu Mittag und sprach nur über Familienangelegenheiten, die selbst nicht all zu vertraulich waren.
Um zwei Uhr Nachmittags klopfte er an die Tür von Antoinette Eauvives Büro in der Delourdesklinik zur Behandlung magischer Erkrankungen und Verletzungen.
"Guten Tag, Monsieur Latierre. Vielen Dank, dass Sie so schnell einen freien Zeitpunkt für eine wie ich finde wichtige Unterredung fanden", begrüßte die Direktrice des magischen Krankenhauses, die zugleich die Sprecherin der französischen Heilmagiezunft und Familiensprecherin des Eauvive-Clans war ihren Besucher. Dieser erwiderte, dass er froh sei, dass er neben der durch die Gerichtsprozesse aufgeladenen Extraarbeiten noch genug Freiraum für andere Anfragen habe. Sie bot ihm einen freien Stuhl an und rief dem Bild einer kleinen, kugelrunden Heilhexe zu: "Roselle, bitte teile den Kollegen mit, dass ich bis Widerruf nur noch direkte Anfragen der Stufe fünf oder höher entgegennehme!" Die Angesprochene bestätigte und verschwand durch den oberen Teil des Bilderrahmens aus ihrem Gemälde.
"Es geht um folgendes", setzte Antoinette an, "seit dem neunten August liegt ein Patient mit einer schwerwiegenden Kombination aus Fluch und magischer Vergiftung im britischen St.-Mungo-Krankenhaus. Mein Rangkollege Diokles Greenstam erhielt mehrfach die Anfrage, ob dieser Patient nicht in die Fürsorge seiner veelastämmigen Schwiegerverwandtschaft überordnet werden möge, da es bisher nicht möglich sei, ihn mit bekannten oder erfolgversprechenden Methoden magischer Heilkunst zu kurieren. Die Verwandten von ihm üben einen schon an Unverfrorenheit und Überheblichkeit grenzenden Druck auf die behandelnden Kollegen aus, weshalb er mich als französische Heilzunftsprecherin bittet, Sie als Veelavertrauten für Europa zu bitten, beruhigend in dieser Angelegenheit zu vermitteln, zumal sie amtlich zertifizierter Pflegehelfer sind und somit in heilmagische Belange einbezogen werden dürfen, wenn die Lage dies erlaubt oder gar erfordert."
"Oh, dann kann es sich bei dem Patienten nur um Wiliam Arthur Weasley, den Ehemann von Fleuer Weasley geborene Delacour handeln, weil dies der meines Wissens nach einzige britische Zaubererweltbürger mit Veelaverwandtschaft ist. Was genau ist ihm zugestoßen und weshalb ist es bisher nicht möglich, dies zu heilen?" fragte Julius ebenso auf den Punkt wie Antoinettes kurze Erläuterung.
"Gut, dass es Bill Weasley ist hätte ich wirklich erwähnen können, da er wahrhaftig der einzige erwachsene britische Zaubererweltbürger mit Veelaverwandtschaft ist", grummelte Antoinette. Dann fragte sie: "Ist Ihnen auch bekannt, welchen Beruf der Patient ausübt, falls man das ethisch als redlichen Beruf bezeichnen darf."
"Gut, ob ein Fluchbrecher, der alte verzauberte Grab- und Tempelstätten für Gringotts-Kobolde zugänglich macht redlicher als die Tätigkeit bei einem Geheimdienst ist weiß ich nicht. Aber ich weiß aus meiner Zeit in Hogwarts und auf Grund flüchtiger Kontakte zu ehemaligen Mitschülern, dass Mr. William Weasley für Gringotts als Fluchbrecher tätig ist. Dann hat er sich bei seiner Arbeit mit etwas unentfluchbarem infiziert?" Antoinette nickte und sagte auch laut "Ja", wohl weil eine Flotte-Schreibe-Feder mitprotokollierte. Dann erinnerte sie Julius an die als Pflegehelfer zu achtende Vertraulichkeit im Umgang mit heilmagischen Erwähnungen über nichtverwandte Mitmenschen und schilderte ihm, was Bill Weasley widerfahren war und dass es bis zu diesem Zeitpunkt keine alchemistische oder kurativ-thaumaturgische Möglichkeit gab, ihn aus dem Tiefkoma herauszuholen. Allerdings behaupteten Fleur und ihre Blutsverwandten, ihm helfen zu können und dies auch zu müssen, weil er mit Fleur ein Kind hatte und somit ein Teil ihrer Familie sei. Daher seien sie und ihre Verwandten verpflichtet, ihm mit ihren Mitteln zu helfen. Doch die Kollegen in London wollten den Patienten nicht an ihnen unbekannte Methoden ausliefern. Doch Fleur Weasley beharre immer stärker darauf, dass ihr Mann nur noch von ihr und ihren Blutsverwandten geheilt werden könne.
"Und Ihre Kollegen in England wollen das nicht zulassen, weil sie finden, noch nicht alles ausprobiert zu haben?" fragte Julius hochoffiziell. Antoinette bestätigte das. "Als Ehefrau des Patienten darf sie ihren Mann aus dem Krankenhaus herausholen, wenn sich abzeichnet, dass er dort nicht weiter therapiert werden kann, Madame Eauvive. So steht es in der Übereinkunft zwischen Zaubereiministerium und dem globalen Rat der magischen Heilkunde. Sehen denn die Kollegen in London noch Möglichkeiten, ihm zu helfen?"
"Nur solche, die die in seinem Körper miteinander streitenden Auswirkungen entweder in die eine oder andere Richtung umschlagen lassen, also entweder die vollständige Aktivierung der Lykanthropie oder die psychosomatische Bindung an die Felianthropen oder gar den Tod des Patienten. Alle drei Ausgänge sind für die Kollegen inakzeptabel. Daher wollen sie ihn bis zur Entwicklung eines wirklichen Heilverfahrens weiterhin mit intravenöser Ernährung am Leben halten."
"Ja, doch Sie haben gerade angedeutet, dass Ihre Kollegen fürchten, dass Mr. Weasley wegen der in ihm widerstreitenden Auswirkungen immer schwächer wird und ohne erfolgreiche Behandlung sterben könnte. wäre das eine akzeptable Lösung für die Kollegen?" stellte Julius eine rhetorische Frage.
"Natürlich nicht", knurrte Antoinette Eauvive. "Dennoch muss ich als Kollegin von Großheiler Greenstam auf dessen Gesuch eingehen und Sie darum bitten, in dieser Angelegenheit zu vermitteln, auch wenn Madame Léto dies bisher offenbar nicht für nötig hält."
"Da Madame Léto mich bisher nicht in dieser Angelegenheit aufsuchte muss ich davon ausgehen, dass sie es ihrer Tochter überlässt, wie sie rechtlich damit umgeht. Da Mrs. Fleur Weasley mich bisher nicht als Veelabeauftragten für Europa angesprochen hat konnte ich nichts davon wissen. Laut der mir vermittelten Rechtslage dürfen Eltern, Kinder oder Angetraute von austherapierten Patienten befinden, ob deren Verwandte weiterhin in einer heilmagischen Behandlungsstätte verbleiben oder in eine ihnen vertraute Umgebung zurückgebracht werden. Somit ist meine Frage an Sie, Großheilerin Eauvive, ob Mr. Weasley bereits austherapiert ist oder es noch einen Ansatz gibt, ihn von seiner magischen Erkrankung zu befreien, ohne ihn einer anderen magischen Beeinträchtigung anheimfallen zu lassen?"
"Die Kollegen suchen noch nach alten Zaubertrankrezepten, die möglicherweise die ihn beeinträchtigende Bezauberung aufheben können. Sie setzen darauf, dass es ein altägyptischer Fluch ist, den die Magier des alten Ägypten bereits kannten. Doch gemäß der Ihnen bekannten Formulierungen gilt er als austherapiert, wenn innerhalb eines Monats alle bekannten oder neu entwickelten Verfahren an ihm angewendet wurden und nicht den gewünschten Erfolg hatten. Dieser Zeitpunkt ist also in drei Tagen erreicht."
"Nichts für ungut, Madame Eauvive. Aber dann kann ich als Veelabeauftragter keinen Einwand erheben, dass Mr. Weasley von seinen Verwandten nach Hause geholt wird. Abgesehen davon sind die Veelas siebentausend Jahre alte Zauberwesen, die in diesem langen Zeitraum sicher eine Menge Kenntnisse über die ihnen möglichen Zauberkräfte gewonnen haben. Es kann also sein, dass Fleur Weasley bereits genau weiß, wie sie ihren Ehemann behandeln muss, um ihn doch noch zu heilen."
"Ja, nur dass die Heilerzunft die Magie der Veelas noch nicht als Grundlage magischer Heilkunst anerkennt und sie gelinde gesagt nicht höher wertet als prähermetische Ritualzauberei, die im Wesentlichen nur dann wirkt, wenn die darin einbezogenen fest an die Wirkung glauben."
"Nur, dass wir beide wissen, dass die Ritualmagier der indigenen Völker Afrikas, Amerikas und Australiens sehr starke Magien entfalten können, wie die Sache mit den in Australien aufgetauchten Schlangenkriegern durchschlagend bewiesen hat. Wenn Ihr Kollege also damit argumentiert, dass er und seine Kollegen keine Ahnung von der Macht der Veelamagie haben wird er vor dem Anrufungsgericht verlieren, dass Fleur Weasley in dem Moment aufsuchen kann, wenn ihr Mann in der Obhut der Heiler des St.-Mungo-Krankenhauses verstirbt. Ja, und das Anrufungsgericht aus Heilmagiern und Zivilrichtern könnte dem behandelnden Heiler und dessen Vorgesetzten bis rauf zu Zunftsprecher Greenstam Unterlassung vorhalten, weil diese wohl oft genug von Fleur Weasley auf die ihr und den Veelastämmigen zu Gebote stehenden Kräfte hingewiesen wurden. Also noch einmal die Frage, was genau möchten Sie oder Ihr britischer Amtskollege nun von mir?"
"Das Madame Weasley den Kollegen die Möglichkeit einräumt, ihren Mann weiterhin zu therapieren oder, wenn es eben nicht mit unseren Methoden geht, diese wenigstens bei jeder von ihr und ihren Verwandten angewandten Bezauberung anwesend sein dürfen, um den Verlauf und die Auswirkungen heilmagisch zu dokumentieren. Abgesehen davon kann jeder behandelnde Heiler außer der Entscheidung eines Ehepartners oder einzelnen Kindes noch weitere Meinungen von Anverwandten des Patienten oder der Patientin verlangen und darauf seine Entscheidung begründen, ob er die Therapie fortsetzen oder beenden soll. Schließlich wollen wir ja nicht wegen irgendwelcher Begehrlichkeiten einzelner Verwandter riskieren, dass uns anvertraute Hexenund Zauberer vorzeitig zu Tode kommen.""
"Für das Protokoll, ist dies nun Ihre einschätzung oder die Ihres Kollegens Greenstam und der ihm unterstellten Heilmagierinnen und -magier?" fragte Julius.
"Ich zitiere den Fall Charpentier im Jahre 1720, bei dem der Patient durch eine starke, mit damaligen Mitteln nicht nachweisbare Vergiftung immer schwächer wurde und seine Frau die Überordnung in sein Haus erwirkte, wo er innerhalb von drei Wochen starb. Es kam am Ende heraus, dass die Gattin des Verstorbenen ein Mangelerscheinungsgift entwickelt hat, dass die Salzverwertung im menschlichen Körper beeinträchtigte. Dieses Gift konnte auf Anfragen ihrer misstrauischen Verwandten sichergestellt und dessen Rezeptur ermittelt werden. Damals galt Gattenmord noch als mit dem Tode durch Erhängen zu ahndende Straftat. Seitdem gilt für jeden behandelnden Heiler, dass er bei scheinbar oder wahrhaftig nicht weiterbehandelbaren Patienten niemals nur einen Verwandten darüber entscheiden lassen darf, ob die Behandlung fortgesetzt wird oder nicht."
"Achso, dann ist die Sache für mich ganz einfach. Ich kann, nur wenn Madame Léto oder Madame Fleur Weasley mich dazu fragen, raten, sich mit allen erwachsenen Familienangehörigen von Bill Weasley zu beraten und eine schriftliche Stellungnahme und eine Entscheidung von möglichst vielen der erwachsenen Verwandten zu erhalten, falls diese ihrer Meinung sein sollten, dass Bill Weasley wieder nach Hause entlassen wird. Liegt so eine Entscheidung vor, gilt die Austherapierungsfrist, also wenn sich im Zeitraum eines Monats keine erkennbare Besserung des Zustandes eingestellt hat, auch schon deshalb, um das belegte Krankenbett wieder freizubekommen. Aber wie erwähnt werde ich mich nur dann diesbezüglich einschalten, wenn ich von Madame Léto oder ihrer Enkeltochter Fleur Weasley um meine Meinung gebeten werde. Da Bills Vater jedoch in der Strafverfolgung tätig ist und Bills Bruder Percy sowie dessen Schwager Harry Potter ebenfalls mit rechtlichen Dingen bescheid wissen könnte es mir geschehen, dass ich ihr nichts wirklich neues erzähle und damit ihre und auch meine Zeit vertue."
"Glauben Sie denn, dass die Magie der Veelas eine nennenswerte Besserung von Bill Weasleys Zustand bewirken kann?"
"Für das Protokoll, ich glaube es nicht, dass Veelamagie sehr mächtig ist, sondern ich weiß es. Nicht anders kann die massenhafte Unterwerfung von willensstarken Hexen und Zauberern unter den Einfluss von Ladonna Montefiori gedeutet werden. Ebenso ist es erwiesen, dass die von den uns wohlgesinnten Veelas zugänglich gemachte Methode zur Immunisierung gegen jenen Masseneinfluss Ladonna Montefioris auf sehr starke Magie basiert. Damit kann ich die von Ihnen gestellte Frage aus tiefster Überzeugung mit einem klaren Ja beantworten. Wenn es einen durch Blutsverwandtschaft wirksamen Zauber von mindestens zwei Veelas gibt, dann kann und hoffentlich wird dieser Mr. William Arthur Weasley heilen."
"Ich erkenne Ihre Argumentation an", erwiderte Antoinette Eauvive. "Allerdings möchte mein britischer Kollege eine Ausgabe des gerade angefertigten Protokolles erhalten. Darum muss ich Sie noch einmal fragen, ob Sie seinem Antrag folgen und im Sinne der magischen Heilerzunft auf Mrs. Fleur Weasley einwirken werden, dass diese ihren Mann zur weiteren Beobachtung und möglichen Behandlungsfortsetzung in der Obhut des St.-Mungo-Krankenhauses belässt."
"Ebenso für das Protokoll", setzte Julius an, "Da meine Aufgabe auf gegenseitigem Einverständnis der einbezogenen Parteien beruht, also ich nur als Vermittler tätig werden darf, kann und werde ich mich zu dieser Sachlage nur dann äußern, wenn Mrs. Fleur Weasley oder eine mit ihren rechtlichen Angelegenheiten betraute Veelastämmige mich darum bittet, in dieser Lage zu vermitteln. Was ich tun kann ist eine Anfrage an Madame Léto zu richten, ob ihre Enkeltochter mich in dieser Angelegenheit um Vermittlung bittet. Falls die Antwort ein klares Ja ist werde ich die von Ihnen von Ihrem Amtskollegen Greenstam übermittelte Bitte weitergeben. Falls ich kein Ja oder sogar ein klares Nein zur Antwort erhalte endet meine Vermittlung in dieser Angelegenheit."
"Das ist protokolliert und meinerseits bezeugt", sagte Antoinette Eauvive. Dann bedankte sie sich bei Julius Latierre. Dieser durfte das gerade mitgeschriebene Gesprächsprotokoll noch einmal lesen und unterschreiben. Sie unterschrieb auch und übergab ihm drei Kopien davon für seine Akten und das Archiv. Auch für ihr Archiv fertigte sie mehrere Kopien an. Dann sagte sie: "Mein Kollege Greenstam ist was fremde Zauber angeht sehr, sehr misstrauisch. Natürlich wissen er und ich, was der Feuerrosenzauber bewirkt und wie die Verwandten von Madame Léto diesem entgegenwirken können. Aber wenn es um die magische Heilkunst geht will und wird er sich nicht auf bloße Zusagen oder gar den Ausschluss seiner Kollegen einlassen."
"Das erinnert mich an die Diskussionen in der nichtmagischen Presse, ob jemand ohne Hinzuziehung der akademischen Medizin behandelt werden darf oder nicht. Es gibt selbsternannte Wunderheiler, die den Angehörigen von Patienten eine Menge Geld aus dem Koffer quasseln, damit die mit ihren Angehörigen nicht zu akademisch ausgebildeten Ärzten hingehen. Ja, und was ich über die Ritualmagie gesagt habe wird in der nichtmagischen Welt ähnlich kontrovers diskutiert, ob die Heilerfolge oder Flüche von Schamanen oder Medizinleuten steinzeitlich lebender Völker altes Wissen oder reiner Placebo- und Nocebo-Effekt sind. Ja, und ich musste gerade an eine in Spielfilmlänge erzählte Geschichte von zeitreisenden Raumfahrern aus dem 23. Jahrhundert denken, die einen ihrer Leute aus einem Krankenhaus des 20. Jahrhunderts herausholten, weil deren mitgereister Arzt ihn nicht der Medizin des 20. Jahrhunderts überlassen wollte und man auch nicht riskieren durfte, dass durch seinen Aufenthalt noch ein Zeitparadoxon auftrat."
"So, war die Medizin aus der fiktiven Zukunft denn jener des 20. Jahrhunderts wirklich so weit voraus?" fragte Antoinette Eauvive. Julius gab darauf eine Kurzzusammenfassung, was die Ärzte in jener erzählten Zukunft schon alles heilen konnten und dass diese Heilkunst schon Arthur C. Clarkes drittem Gesetz entsprach, demnach weit genug fortgeschrittene Technologie nicht von Magie zu unterscheiden sei. "Sogesehen würde ein Heiler aus dem 15. Jahrhundert ebenfalls vor den heutigen Erkenntnissen staunen, ja und wir würden natürlich auch keinen der unseren in einem magielosen Krankenhaus belassen. Vielleicht werde ich das bei der nächsten Zunftsprecherkonferenz einmal andeuten. Nun, womöglich werden wir dann alle schlauer sein als heute. Aber ich durfte es nicht ins Protokoll eintragen, dass ich genau wie Sie der Meinung bin, dass die Veelas im Verbund eine Menge mehr gutes wie böses Zauberwerk entfalten können als wir Zauberstabträger. Jetzt kommt auch noch hinzu, dass die Nachkommen von Léto ebenfalls den Umgang mit Zauberstäben gewohnt sind und dadurch ein noch stärkeres Zauberkraftpotential entfalten können. Ja, und ganz ganz außerhalb jedes Protokolls, Julius, ich fürchte, dass mein ansonsten hochgeschätzter Amtskollege in Großbritannien genau davor Angst hat, dass jemand ihm zeigt, dass die bisherigen Heilzauber von anderen intelligenten Wesen übertroffen werden können."
"Das würde aber auch eine Ausnahme bleiben, Madame Eauvive. Denn soweit ich das zwischen den Zeilen mitgelesen habe macht Fleur Weasley ihre Verwandtschaft mit Bill und die Blutsverwandtschaft von ihm mit ihrer Tochter Victoire geltend, um ihre Verwandten überhaupt dazu zu kriegen, einem reinrassigen Menschen die hohe Kunst der Veelazauber angedeihen zu lassen. Ja, aber das könnte ein Präzedenzfall werden, der die Geschichte der magischen Heilkunst und der magischen Familienrechtsprechung verändern wird. Dann sollten wir stolz sein, dabeigewesen zu sein."
"Lümmel!" grummelte Antoinette Eauvive und musste dann doch grinsen.
Wieder zurück in seinem Büro heftete er seine Protokollkopien ab. Sollte Léto oder Fleur ihn von sich aus ansprechen würde er tätig, sonst nicht. Langweilen würde er sich auf keinen Fall.
Als er wieder zu Hause war erzählten ihm Aurore und Claudine, wie der Tag gelaufen war. Es hatte sich herausgestellt, dass Sandrines Zwillinge bereits das Einmaleins mit drei aufsagen konnten und ein hohes Talent im Nachzeichnen von Bildern hatten. Dafür war Aurore gut im Lernen von Buchstaben, konnte aber auch schon bis hundert und zurück zählen.
"Und was müsst ihr bis zu den nächsten Stunden machen, Aurore?" wollte Julius wissen. "Ich soll die von mir gezählten Zahlen aufschreiben und fünfzig Mal meinen vollen Namen Aurore Béatrice Latierre untereinanderschreiben und dann noch die noch draußen wachsenden Blumen nachmalen. Aber morgen ist erst mal Turnstunde."
"Wer gibt die bei euch noch mal?" wollte Julius wissen. "Janine Duponts Tante, zu der wir Madame Dupont sagen sollen", sagte Aurore. Claudine meinte dazu: "Die ist heftig, weil die meint, dass wer gut im Zaubern sei zu wenig Bewegung macht und deshalb besonders rangenommen werden muss. Ist wie bei deiner Schwiegermutter Hippolyte, Julius."
"Ja, ich kenne sie natürlich", sagte Julius. Er unterdrückte gerade noch, dass er Madame Dupont zusammen mit Béatrice bei der Geburt von zwei Jungen und zwei Mädchen geholfen hatte. Das mussten Claudine und Aurore ja wirklich nicht wissen.
Claudine rauschte kurz vor dem Abendessen in den Kamin Rue de Liberation zurück.
Nach der Bettgehzeit für die großen saßen die drei erwachsenen Latierres noch im Musikzimmer und besprachen die wichtigen Ereignisse des Tages. Béatrice meinte wegen Greenstams Antrag, dass er Bill Weasley wohl eher in eine magische Stasis versetzen würde, als zuzugeben, dass die zauberstabbezogene Heilkunst immer noch Grenzen hatte. Dem wollte Julius nicht widersprechen.
"Also, wenn Miriam und Claudine schon in diesem Jahr nach Beaux gelassen würden käme Claudine garantiert bei den Weißen oder den grünen rein, während Miriam eindeutig eine Rote ist", sagte Millie und erwähnte eine Auseinandersetzung draußen im Garten, in die sie nicht eingegriffen hatte, weil es beim laut Anschreien geblieben sei, bis Aurore genug hatte und dem ganzen ein Ende machen wollte. Da habe sie ein Machtwort gesprochen und klargestellt, dass Claudine für Aurore zuständig sei und Miriam, wenn ihr das nicht passe, gerne nach der Schule gleich vom Postamt aus zu ihren Eltern flohpulvern könne. Sie wolle jedenfalls keinen Zank in Hörweite Aurores und der anderen Kinder.
"Oha, und Claudine hat sich nicht von Miriam unterbuttern lassen?" fragte Julius. "Neh, die hat Miriam immer angelächelt, nach dem Motto: Was du nur hast. Ich denke, Miriam ist eifersüchtig, weil Claudine für Aurore wichtiger ist als sie, die Tante aus Paris."
"Dann soll die sich aber auch vernünftig benehmen", sagte Julius dazu. Innerlich war er jedoch erheitert, welche vernachlässigbaren Sachen für Kinder noch die Probleme der Welt waren, während er mit schwerwiegenderen Streitfragen zu tun hatte.
Als es doch schon spät war zogen sich die drei zur Nacht zurück. Gemäß der ungeschriebenen Vereinbarung zwischen Millie, Béatrice und ihm übernachtete Julius wieder bei Béatrice. Diesmal fanden sie auch in die Stimmung, einander zu lieben. Danach keuchte Béatrice: "Was war das noch mal mit sich vernünftig verhaltenden Tanten?" Julius wollte dazu was sagen, doch sie schloss seinen Mund mit einem innigen Kuss, der an die zwanzig Sekunden dauerte.
Ohne schlechtes Gewissen Millie gegenüber lagen sie dann nebeneinander und schliefen dem neuen Tag entgegen.
Kippblock ärgerte sich ebenso wie alle anderen Kobolde, die gerade hier zusammengetrieben worden waren. Gleich würde das erste von zehn gebuchten Schnellsegelschiffen anlegen und die vertückten Zauberstabträger würden an die achttausend Kobolde, Männer, Frauen und Kinder an Bord treiben. Sie hatten hier nichts mehr verloren, so die unmissverständliche Mitteilung aus allen dafür zuständigen Ministeriumsabteilungen. Sie hatten die Wahl, entweder in den Urwald verfrachtet zu werden oder auf die britischen Inseln zu remmigrieren, wie es im ministeriellen Sprachgebrauch genannt wurde. Kippblock, der eigentlich Wittrocks Nachfolge in Gringotts hätte antreten können, war sozusagen zum heimat- und mittellosen Unerwünschten erniedrigt worden. Alle Verdienste der Kobolde in den letzten hundert Jahren interessierten den Al-Assuani-Clan nicht mehr. Die machten den anderen Zauberern weiß, es ginge auch ohne die kleinwüchsigen Fachleute. Kippblock hoffte, dass die sich schon bald mit aller gebotenen Demut bei ihnen entschuldigen würden.
"Da ist der erste Bottich nach Hause", ätzte ein Sicherheitszauberer, der seinen Zauberstab auf die Gruppe um Kippblock richtete. Einmal war es passiert, als der Sohn von Kippblocks Außenhandelsfachmann versucht hatte, unter dem flimmernden Zaun aus Zauberkraft durchzuschlüpfen, dass sie alle mit unerträglich lautem, unerträglich hohem Lärm beschallt wurden. "Abhauen ist nicht, Zwergenbalg", hatte der, der den Lärm gemacht hatte dann gesagt. Ja, diese Erfahrung wollte keiner wiederholen. "Wir werden wiederkommen. Ägypten wird ohne uns im Chaos ersaufen. Glaubt nicht dass ihr so leicht an euer Gold herankommt, wenn keiner von uns euch dabei hilft", flüsterte Kippblock. Er wusste, dass er nach der Überfahrt auf die britischen Inseln dem dortigen Graubart und dem Leiter von Gringotts in London einen sehr betrüblichen Bericht erstatten musste.
Keiner der Kobolde merkte, dass sie von jener Person beobachtet wurden, die Schuld an ihrer vollständigen Ausweisung trug. Unsichtbar und unortbar stand Ladonna Montefiori zweihundert Schritte vom flirrenden Zaun entfernt und betrachtete die ihr treu ergebenen Zauberer und Hexen, die diese aufmüpfigen Kleinlinge zusammenhielten. Sie mentiloquierte mit Karim Al-Assuani. "Habt ihr die Fähre mit den erwiesenen Geheimbündlern bereit und diese Burschen sicher unter Verschluss?"
"Nein, sie sind alle auf einmal gestorben. Ihre Köpfe sind verglüht, meine Königin. Nur zwei konnten wir vor diesem Suizidzauber betäuben." "Gut, Karim, die werde ich gleich mitnehmen. Auch wenn sie womöglich nicht die höchsten Ränge haben werde ich von denen wenigstens erfahren, wo deren Schlupfwinkel sind. Die werden dieses Jahreswendfest nicht mehr erleben."
"Wie du gebietest, meine Königin", gedankenantwortete Karim Al-Assuani.
Ladonna hoffte, dass Arcadi endlich eine Spur der russischen Veelas gefunden hatte. Sie wollte nicht schon wieder in einen tiefen Schlaf fallen und von einer auf sie wartenden großen Schwester träumen wie in den letzten Wochen. Afrika und Osteuropa sollten und würden weiterhin ihr allein gehören.
Sie verfolgte nun mit, wie die nicht als Geheimbündler erkannten Kobolde auf ein Schiff nach dem anderen getrieben wurden, welche dierekt durch die Meerenge von Gibraltar und die Atlantikküste entlang zum heimlichen Hafen von Irland übersetzen würden. Ja, es war einiges zu regeln gewesen, dass die ihr widerstrebenden Briten die ganzen hier lebenden Kobolde zurücknehmen mochten, wohl auch, weil sie mit diesen kleinwüchsigen Gaunern keinen Ärger kriegen wollten. Demnächst würde sie die von den Veelas unterstützten Widersacher vor die Wahl stellen, ihr doch zu folgen oder unterzugehen. Sicher, Frankreich hatte sie schon sicher geglaubt. Doch diese Ornelle Ventvit und ihre Bande hatten die Machtübernahme durch den Reinblutfanatiker Mardirouge vereitelt und ihn und seine Leute wegen erwiesenen Verrates und gefährlicher Machenschaften zu lebenslanger Haft verurteilt. Frankreich galt wegen seiner Verflechtungen mit den Veelas und wegen ihrer Festung Millemerveilles als Hoffnungsträger aller jener, die ihr die Herrschaft missgönnten. Doch der Tag würde kommen, wo sie dies dauerhaft ändern würde.
Die Kobolde verschwanden unter Deck. Dann legte ein Schiff nach dem anderen ab und nahm Fahrt auf. Einige Zuschauer klatschten und riefen spöttisch: "Viel Spaß im Regen!"
Ladonna hatte genug gesehen. Sie apparierte in der Nähe von Karims geheimer Niederlassung. Dort traf sie ihren ägyptischen Statthalter. "Berichte mir, was ihr neues über den wiederauferstandenen Pharao wisst!"
"Nichts neues mehr, seitdem er sich in Gringotts hat blicken lassen, meine Königin. Die Pyramide ist weiterhin von einem Bann der gegenseitigen Angriffswut umgeben. Da kommen wir nicht heran. Aber wir rechnen jeden Tag damit, dass er die offiziellen Amtsräume heimsuchen oder uns ein Ultimatum stellen wird, meine Königin."
"Was auch immer er verlangt, lehnt es ab. Wenn er welche von euch tötet, ruft den Kriegszustand aus! Dann hast du sogar die Möglichkeit, weitere Überwachungsmittel durchzusetzen und Privateigentum zu konfiszieren. Was besseres kann dir im Augenblick doch nicht widerfahren. Ja, und du kannst die Kobolde als ertappte Kollaborateure bezeichnen, die den Auftrag hatten, diesem Dibbuk alles Gold Ägyptens zu beschaffen."
"Ja, meine Königin, dies ist sehr klug von Euch. Ich werde diese Weisungen vollständig befolgen."
Ladonna hatte nichts anderes erwartet. Denn ihr zu widersprechen war Untreue. Untreue bedeutete den Tod. So sagte sie auch nichts zu Karims Lobenden Worten. Sie verabschiedete sich und kehrte in ihre Residenz bei Florenz zurück. Dort dachte sie darüber nach, dass sie diesen wiederverkörperten Pharao einige Zeit gewähren lassen wollte. Drohte der jedoch, zu mächtig zu werden und ihre Untertanen zu töten, wollte und würde sie ihm Einhalt gebieten. Bis dahin musste sie nur genug Nachforschungen über seinen Hintergrund und die ihm nun zur Verfügung stehende Macht anstellen. Vielleicht konnte sie ihn auch mit dem Duft der Feuerrose gefügig machen und seine Macht für sich einsetzen.
Peckstock und Woodrunk erwachten in einem fensterlosen Kellerraum. Diese Zauberstabträger hatten sie doch glatt mit einem heftigen Eisenweiseüberreizungsstoß betäubt. Die hatten gewusst, dass die üblichen Schockzauber nichts brachten und dass die Mitglieder der Bruderschaft der zehntausend Augen und Ohren jeden Tag einen Trank zur Unterdrückung aller festen, flüssigen oder dampfartigen Gifte tranken, damit sie nicht von jedem beliebigen Zaubertrankpanscher mit Betäubungsnebel überwältigt werden konnten. Doch die das geschafft hatten, sie mal eben einzufangen würden gleich enttäuscht. Peckstock dachte daran, kein Verräter sein zu wollen aber Angst zu haben, seinen Bund verraten zu müssen. Er ging davon aus, dass der winzige flache Vulkansteinsplitter, der ihm bei seiner Eingliederung in die Bruderschaft unter die Schädeldecke gepflanzt worden war, das Verräterfeuer entfachen und seinen Kopf einäschern würde, bevor er was für den Bund schädliches preisgeben konnte. Doch er spürte nur ein dumpfes, eiskaltes Pochen um seine Stirn. Außerdem waren seine Hand- und Armgelenke, sowie die Fuß-, knie- und Oberschenkelhälse mit irgendwas gefesselt, dass seine Kraft schwächte. Ja, und er fühlte, dass er nicht auf einer mit den Strängen der natürlichen Erdmagie verbundenen Unterlage ausgestreckt lag, sondern auf einer die Erdkräfte schluckenden Kunststoffmatte. Er unterdrückte einen Fluch.
"Heh, ist da noch wer?!" brüllte eine hohe Stimme. das war Woodrunk. Dieser Junge hatte mal wieder seine Selbstbeherrschung vergessen, dachte Peckstock. Er flüsterte: "Bruder, ich bin auch hier. Wir sind gefesselt und offenbar so, dass wir nichts tun können. Aber die werden keine lange Freude an uns haben. Sei leise. Das ist ein Befehl!"
"Verstanden, älterer Bruder", zischte Woodrunk.
Eine Tür wurde aufgestoßen. Wieso hatten er und Woodrunk nicht gehört, dass wer kam? Dann sahen sie im durch die Tür fallenden Schein von mehreren Leuchtkristallen die Antwort.
Knapp über dem Boden schwebte die schönste und zugleich gefährlichste Frau der Gegenwart herein. Peckstock erkannte sie an ihrem schwarzen Haar, zu dem ihr knöchellanges Samtkleid vollkommen passte, ihre kreisrunden grünen Augen und ihr überragendes rosiges Gesicht, die für eine erwachsene Frau vielversprechenden Körperformen und die schlanken Arme und Beine. Das war sie, Ladonna Montefiori, vor der der Bund seit mehreren Jahren genauso auf der Hut war wie vor den Zwergen und koboldfeindlichen Zauberstabträgern. Ja, dieses übernatürlich schöne Geschöpf stand beim Bund der zehntausend Augen und Ohren unter Hauptverdacht, die Entmachtungen und Vertreibungen von Kobolden zu verantworten, die in verschiedenen Ländern stattfanden. Doch warum sie ihn und Woodrunk persönlich heimsuchte wusste er nicht.
"Ah, ihr zwei fleißigen Lauscher seid wach. Das ist gut", sagte sie mit ihrer verboten reinen Stimme. Wieder hoffte Peckstock darauf, dass gleich der Verratsvereitelungszauber in Kraft trat. Doch er fühlte nur einen dumpf pochenden, eiskalten Ring um seinen Kopf. Getreu der Regel, nicht mit Kerkermeisterinnenund -meistern zu sprechen schwieg er. "Du hoffst wie dein Mitverschwörer, dass euer Verratsabwehrzauber euch früh genug umbringt, damit ich nicht erfahre, was ihr über euren Geheimbund wisst. Doch ich habe euch mit einem Unfeuer- und Mondeisring versehen, der jeden fremden Feuerzauber auf und in eurem Körper unterdrückt. Als ich wusste, wie ihr euch jeder Befragung in Gefangenschaft entzieht war es zaubertechnisch ganz einfach, wenngleich auch vom Materialaufwand her etwas mühselig. Deshalb fange ich erst mal mit euch beiden an, ob die Vorkehrungen wirken und ob ich was über euch erfahre."
"Treue ist Leben, Verrat ist der Tod", knurrte Peckstock auf Koboldogack. Damit verriet er im Grunde, dass er dem Bund der zehntausend Augen und Ohren angehörte und sich damit erst recht der Verratsvereitelungsvorkehrung unterwarf. Woodrunk wiederholte die Losung jedes Mitgliedes. Das eisige Pochen um Peckstocks Kopf wurde stärker. Dann hörte er ein ganz leises Knacken in seinem Kopf. Da ließ das eisige Pochen nach. Ladonna, wohl wegen ihrer Sabberhexenabstammung mit guter Nachtsicht begütert, nickte ihm und Woodrunk zu. "So, eure eingepflanzten Abtöter haben sich wohl gerade verabschiedet und euch nicht mitgenommen. Jetzt könnte ich euch foltern, einen Wahrheitstrunk nutzen oder euch unter den Imperius-Fluch zwingen. Aber das ist mir alles zu umständlich. Es geht auch einfacher", sagte sie. Dann winkte sie mit ihrem Zauberstab. Es rasselte Leise um Peckstocks und dann Woodrunks Kopf. Sie sahen einen hauchzarten, bläulich schimmernden Metallstreifen, der sich vor ihren Augen zusammenrollte und dann zu ihrer Kerkermeisterin hinüberschwebte und in einer kleinen, kugelrunden Tasche an ihrer rechten Seite verschwand. Eigentlich müsste der Verratsvereitelungszauber nun frei wirken. Doch er tat es nicht und würde es auch nicht mehr tun.
Peckstock wollte die Frage nicht stellen, doch der unbeherrschte Woodrunk musste das doch echt fragen: "Warum hast du uns diese Metallbänder wieder abgenommen, Dreiblut?"
"Metall stört", sagte Ladonna darauf nur. Was sie damit meinte erfuhr der vorwitzige Frager, und Peckstock musste es mit ansehen.
Kobolde besaßen, wenn sie mit festem Erdboden in Verbindung standen, einen den Riesen gleichenden Fremdverwandlungswiderstand, den Halt der Eigenform, wie sie es nannten. Doch Woodrunk stand nicht mit der Kraft der allerersten Mutter in Verbindung. Deshalb reichte die in ihm nachwirkende Haltbarkeit nicht aus. Er wurde unter leisem Stöhnen in die Länge gezogen. Seine Beine wurden zusammengedrückt und verschmolzen. Seine Arme wurden breiter und flacher. Seine Hände verschwanden vollständig darin. Dann vollendete sich die in violettem Licht leuchtende Verformung. Da wo vorher Woodrunk auf einer dicken Kunststoffmatte gelegen hatte lag nun eine langstielige, dunkelrote Rose. Peckstock erinnerte sich an die Geschichten über Ladonna. Sie hatte früher Feinde, vor allem gegnerische Hexen, in solche Rosen verwandelt und sie als Trophäe und ewige Gefangene zugleich bei sich in einem Garten eingepflanzt. Das tat sie nun mit ihm und Woodrunk. Das gemeine daran war, dass sie sie nicht tötete, sodass der Bund es erfuhr, dass sie beide in Erfüllung ihrer Treue und Pflichten vergangen waren. Wenn die Verwandlung ihn traf würde wohl auch der Findestein in seiner linken Gesäßbacke mitverwandelt und somit auch kein Nachspüren möglich sein. Das wäre auch nur gegangen, solange er Verbindung mit natürlichem Erdboden ohne Schmiedeeisen und Kunststoffbelag gehabt hätte.
Als er von Ladonnas Verwandlungszauber getroffen wurde wusste er, dass er in diesem Zustand nichts mehr gegen sie unternehmen konnte. Als dann die Empfindung eines Mundes und seiner Geschlechtsteile vertauscht wurde und er Durst fühlte wusste er, dass dieses Dreiblutweib nun mit ihm anstellen konnte was sie wollte.
Als er und Woodrunk dann unter freiem Himmel in kleine, mit Erde gefüllte Töpfe eingegraben dastanden und Ladonna mit Tropfen ihres Blutes ihrer beider Leben an ihr eigenes Leben band verging auch Peckstocks letzter innerer Widerstand. In reiner Gedankenübermittlung musste er nun jede Frage wahrheitsgemäß beantworten, die sie ihm stellte, und sie stellte viele Fragen, vor allem nach den bekannten Niederlassungen des Bundes in Ägypten, aber auch wer die Niederlassungen in anderen Ländern kannte und nicht gleich der oberste Niederlassungshüter war. Dass er damit den Bund an den Abgrund der Vernichtung trieb wusste Peckstock. Doch er konnte nichts mehr dagegen tun. Er wusste genausowenig wie jene, die ihn auf ihre besondere Art ausforschte, dass bereits der Fall Herzstoß eingetreten war.
Durch Deeplooks letzten Trick hatte der ungenannte Herrscher die Möglichkeit verloren, den vollständigen Geheimbund der Kobolde auszuheben. Zumindest hatte er sichergestellt, dass die Festung in Ägypten für ihn keine Gefahr bot, indem er dort einfach wie in Schottland alle dort eingesetzten Mitglieder mit dem Imperius-Fluch bestrich und diese dann natürlich dem eingewirkten Verratsvereitelungsfluch zum Opfer fielen. Da er Allbricks Wissen um die noch bestehenden Kundschafter besaß und zudem einen Spürzauber erfunden hatte, mit dem jene Kobolde von den mittlerweile aus Ägypten fortgeschafften unterschieden werden konnten war es für ihn ein leichtes gewesen, sie aufzuspüren und wie ihre Mitverschwörer in die Ewigkeit zu schicken. Damit war sein Land nun frei von jenen räuberischen Spitzohren. Sicher, die zauberer, die Gringotts die vielen Schätze beschafft hatten lebten noch hier. Doch denen würde er auch bald seine Aufwartung machen.
Mittlerweile hatte er unter den Geisterwesen genug Helfer und Kundschafter, dass ihm nicht mehr viel entging, was sich dort zutrug. Auch hatte er auch ohne die Kralle der Anat herausgefunden, wie er sich fleischfressende Tiere, die keine Schlangen waren, Untertan machen konnte. So war es ihm gelungen, einn Nest jener berüchtigten Riesenskarabäen zu entdecken, die vom Zaubereiministerium sehr sorgfältig beobachtet wurden. Er hatte die Bewacher mit dem Imperius-Fluch unterworfen Am 9. September entsandte der finstere Pharao zwanzig seiner überall im Land am Nil zwangsgeworbenen Geisterkrieger zu der von Allbrick erfahrenen Niederlassung Feriz' Al-Assuanis. Allerdings mussten die bewaffneten Geisterkrieger feststellen, dass die Niederlassung mit Abwehrzaubern gegen geisterhafte Wesen und angriffslustige Wesen gesichert waren. Als sie ihren Herrn und Meister zu Hilfe riefen konnte dieser mehrere der Abwehrzauber brechen, weil er die dunklen Umkehrungen der auf Sonne, Mond und Erde bezogenen Zauber kannte. Doch als er, eine silberblaue Feuerwalze vor sich herjagend das Ministeriumsgebäude stürmte, flüchteten die Mitarbeiter, allen voran Feriz Al-Assuani in Verstecke, die Allbrick und die ihm unterstellten Augen und Ohren noch nicht gefunden hatten. Der ungenannte Herrscher musste sich gegen lebendig werdende Tierstandbilder wie Skarabäuskäfer, Spinnen, überlebensgroße Löwen und schakale durchsetzen, bis er herausfand, dass die von ihm gesuchten längst verschwunden waren. Als er auf der Suche nach in der Eile zurückgelassenen Aufzeichnungen Feriz' Schränke aufbrach fauchte ein grünblaues Feuer aus allen Wänden, das auf angriffslustige Geisterwesen wie wütender Sturm auf einzelne Sandkörner wirkte und sie hinausblies und feindselige Lebewesen körperlich und geistig erschöpfte, sofern sie keinen Unlichtkristall am Körper trugen. Weil der Sohn der gefangenen Sonne jedoch einen solchen bei sich trug wurde das grünblaue Feuer von einem schwarz-blau flirrenden Schutzmantel um seinen Körper zurückgeprellt und zerschmolz und verbrannte alle Einrichtungsgegenstände, Wände und Decke. Der Dieb von McBanes Körper musste sich selbst mit einem Beschleunigungszauber belegen, um das gegen unerlaubtes Eindringen über den Kurzen Weg abgeriegelte Gebäude zu verlassen. Um ihn verglühten die Wände. Die Decke begann zu schmelzen und in großen hellgelbrötlichen Tropfen herunterzuregnen, bis einzelne Teile von der Festigkeit halbfertigen Brotteiges herabfielen. Er sprengte und brannte sich einen Weg nach draußen frei, bevor das ganze Gebäude unter den Rückprellern des grünblauen Feuers laut donnernd und polternd in sich zusammenkrachte. Geschützt von seinen fünf beim Flugteppich wachenden Geisterkriegern flog er wieder zurück zu seiner Heimstatt. Der Überfall auf das Zaubereiministerium war kläglich gescheitert. Der finstere Pharao wusste nun, dass es auch mit einer zur Treue gezwungenen Armee von Geistern nicht so leicht war, die ranghöchsten Zauberer dieses Landes gefangenzunehmen, um sie zu seinen willigen Untergebenen zu machen. Doch auch für die Al-Assuanis war es ein heftiger Schlag, dass der wiederverkörperte Dunkelmagier aus der vergrabenen Pyramide so dreist und zielstrebig vorgegangen war. Feriz bejammerte die Vernichtung seiner Außenstelle und musste von seinem ältesten Bruder Karim zur Ordnung gerufen werden, nicht die Beherrschung zu verlieren. Abgesehen davon lagerten alle das Ministerium betreffenden Unterlagen längst bei den sieben Unsichtbaren, sieben turmhohe und mit ihren Fundamenten bis an die fünfzig Manneslängen unter die Erdoberfläche reichenden Gebäuden, die durch starke verhüllungszauber für nicht darauf eingestimmte Augen unsichtbar waren. Allerdings wurden die Sicherheitsposten in den anderen Gebäuden verstärkt. Aus der Säule der tödlichen Zauberkünste wurden Papyrusblätter mit aus Tier- und Menschenblut bestehenden Malereien aufgehängt, die bei einem erneuten Angriff die gemalten Wesen als mörderische Streitmacht freisetzen konnten, ähnlich wie es ein gewisser Hironimus Pickman vor bald vier Jahren in Asien, Europa und Amerika angestellt hatte. Dadurch hofften sie, dass bei einem neuen Überfall alle ihn ausführenden getötet wurden. Doch dass der wiederverkörperte Unheilskönig einen mächtigen Schildzauber gegen dunkle Elementarzauber besaß stimmte die Sicherheitsfachleute des Ministeriums nicht gerade hoffnungsvoll.
Was ihn kurz nach Sonnenuntergang in die Nähe der modernen Staatsgrenze zu Tunesien trieb war die Information eines Geistes, der einst ein ehemaliger Zauberer des osmanischen Sultans gewesen war. Der hatte ihm verraten, dass in Tunesien und Algerien neue Nester jener dunklen Bedrohung entstanden, die von einer mächtigen Schattendämonin beherrscht wurden. Damit konnte nur jene neuartige Schattenkönigin gemeint sein, mit deren Gefolgsgeschöpfen er bereits zusammengetroffen war. Hier und heute wollte er es darauf anlegen, sie doch noch zu unterwerfen. Außerdem hatte er nun auch Deeplooks Geistersirrer. Der konnte noch schneller und noch gründlicher feindliche Geister auflösen, so dass ihre rastlosen Seelen ohne Erscheinungsform blieben oder doch noch in die Ewigkeit hinüberwechselten.
Er näherte sich auf seinem Flugteppich dem Punkt, an dem sein Kundschafter die unheimlichen Schatten vermutete. Das Ohr des Anubis und sein Ring würden ihm hoffentlich früh genug verraten, wenn er welche antraf.
Eine weitere Stunde flog er über der sich langsam abkühlenden Wüste herum. Die Sterne erstrahlten in glasklarer Pracht. Der Mond übergoss das karge Land mit seinem silberweißen Licht. Dann endlich hörte er das bereits einmal vernommene Brummen. Es war rechts voraus und schien von weiter unten zu klingen. Er berichtigte seinen Flugteppich und eilte damit auf die Quelle zu. Dabei erkannte er, dass es mehrere Quellen waren. Dann sah er sie über einem kleinen, wenig bevölkerten Dorf, wie nächtliche Wolken. Doch er wusste, dass sie nicht so harmlos waren. Offenbar ging es den Schatten darum, Beute zu machen. Als sie ihn trotz Unsichtbarkeit wahrnahmen schwärmten sie sofort aus, um ihn zu umzingeln. Das konnte sehr gefährlich werden. Sollte er nicht besser gleich den bewährten Mantel des Seth ausbreiten? Nein, diesmal nicht.
Der erste größere Schattendämon flog in Form einer langgezogenen schwarzen Wolke auf ihn zu. Der ungenannte Herrscher versuchte es erst mit dem Zepter des Totenrichters, ihn zu unterwerfen. Doch wie schon einmal gelang ihm das nicht. "Du bist der, der unsere Geschwister gejagt und getötet hat. Jetzt kriegen wir dich", zischte die Stimme des Anführers. "Wird sich zeigen", knurrte der finstere Pharao. Dann zielte er mit dem spiralförmigen Geistersirrer auf den Angreifer und löste diesen aus. Die Spirale glühte hell auf, und ein schwirrender Ton klang durch die Stille der Wüste. Der ihn anfliegende Schatten erstarrte, glühte von innen her blau-violett auf und ächhzte. Dann stieß er einen kurzen Schrei aus und zersprühte zu silbernen Lichtentladungen. Die anderen hielten mitten im Fluge. Als der ungenannte den ihm nächsten anzielte und den Sirrer erneut auslöste erging es dem zweiten nicht besser als dem ersten. Er erstarrte, erleuchtete und zerstob in silbernen Blitzen. "Damit habt ihr nicht gerechnet, wie? Unterwerfung oder Erlöschen, das ist mein Angebot an euch." Weitere Schatten flogen nun schneller auf ihn zu. In seinen Ohren klang es wie wildes Schwirren. dazu mischte sich der Schwirrton der Geistervernichtungsvorrichtung. Mit leisem Prasseln zersprühten die beiden Schattenwesen. Blieben noch sieben. "Am Besten ordnet ihr euch diesem Zeichen meiner Macht unter, oder ich schleudere euch genauso ins ewige Nichts wie eure Brüder."
"Wir sind die Kinder der einzig wahren Mutter der Nacht. Wir verschlingen dich oder bringen dich zu ihr, damit sie über dich befindet", sagte einer der Schatten. Der ungenannte Herrscher zielte auf ihn und löste den Geistersirrer aus. Doch der Gegner ließ sich diesmal nicht vernichten, sondern entzog sich der Kraft durch einen Raumsprung. Der zweite geriet nun in den blauen Vernichtungsstrahl und erstrahlte von innen her. "Sie wird dich straf..." mit lautem Plopp und einem vielstimmigen Prasseln zerbarst der Nachtschatten. "Sag deiner Herrin, wenn sie sich nicht mir, dem rechtmäßigen König Ägyptens, unterwirft, wird sie genauso enden wie ihre niederen Untertanen!" rief er. Da schrillte es laut und mindestens fünfstimmig in seinen Ohren.
ausleerer Luft heraus erschien mit einem vernehmlichen Knall eine nachtschwarze Erscheinung, die jedes menschliche Maß weit übertraf. Sie mochte mindestens zehn oder zwölf Manneslängen messen und besaß beinahe wagenradgroße, tiefblau leuchtende Augen. Sie war trotz ihrer Schattennatur kein flaches, sondern räumliches Wesen, eindeutig eine Frau. Außer ihren weiblichen Ausprägungen fielen dem finsteren Pharao vor allem die langen, dünnen Haare auf, die das Geschöpf wie hauchzarte Nebelstreifen umwehten. "Du bist das also, der meine Kinder umbringt. Wer hat dir das erlaubt?!" rief das aus dem Nichts gekommene Ungetüm mit einer noch gerade noch weiblich klingenden Donnerwetterstimme.
"Ich, der König, der Schlangenreiter, der wiedergekehrte Sohn der gefangenen Sonne, Herr über Menschen, Tiere und Geister, habe es beschlossen, dass Geister, die mir nicht dienen vergehen sollen. Also verrate mir deinen Namen, Schattenkönigin, auf dass ich dich zu meinem Dienste rufen kann."
"Königin, kleiner Zauberer? Ich bin die höchste Königin, Kaiserin, wie es im englischen, deutschen und anderen Sprachen heißt", donnerte die Schattenriesin. Wie heißt du genau, damit ich weiß, wessen armseliges Leben gleich endet?"
"Mein Name ist vergangenheit. Ich bin der, der die mächtigen Wesen der Unterwelt kennt und lenkt, Schützling des Seth", erwiderte der finstere Pharao. Tatsächlich hatte er seinen Geburtsnamen längst vergessen, auch um nicht darüber gelenkt und Unterworfen zu werden. "So willst du mir genausowenig sagen wie du heißt, wie ich dir meinen Namen verrate. Aber ich werde dich trotzdem zu mir nehmen und als einen meiner treuen Söhne in die Nacht zurückgebären. Helft ihm, zu mir zu kommen!" rief sie. Einer ihrer Schatten flog auf den Körperdieb zu. Dieser hob den Geistersirrer und löste ihn aus. Der kleinere Schattengeist erstrahlte wieder von innen her und zerstob. Die Riesin schrie vor Wut auf. Doch dann breitete sie die Arme und Beine aus und bot sich ihm dar, als wolle sie mit ihm das Lager teilen. So ähnlich deutete der finstere König auch ihre Aufforderung: "Komm zu mir! wachs in mir!"
Der ungenannte Herrscher spürte, wie sich von hinten etwas über ihn warf. Doch der Unlichtkristall wehrte es ab. "Mutter, ich kann ihn nicht aus seinem Leib lösen. Ihn umschließt schon was starkes", seufzte der andere Nachtschatten. "Dann nehme ich ihn selbst", grollte die nachtschwarze Dämonin und streckte ihre rechte Hand nach ihm aus. "Gib dich hin und werde mein Kind!" befahl sie, als sie den ungenannten Herrscher mit ihrer Hand umschloss. Dessen unlichtkristallring erzitterte wild. Er fühlte die eisige Kälte, die trotz seines Schutzes in ihn einzuströmen versuchte. Er konnte sich fast nicht mehr bewegen. Gleich würde seine Seele den Körper verlassen und dann ... Er zielte mit dem Geistersirrer auf die ihn zusammendrückende Risenhand und löste ihn aus. Die Hand erbebte, erstrahlte und löste sich von ihm. Doch sie verging nicht. Das ganze Unwesen verging nicht. Aber jetzt konnte er sehen, wie sich etwas aus ihrem tiefschwarzen Unterleib hervorzudrängen trachtete. Er zielte darauf. Da schlug das Ungetüm nach ihm. Er wurde von seinem Teppich heruntergeschleudert. "Dann kriege ich dich, wenn du aufschlägst", lachte die andere. Doch der finstere Pharao hatte vorsorglich den Leviportgürtel umgelegt und löste ihn mit voller Schwerkraftumkehr aus. Der Fall wurde gebremst. Dann stieg er wieder nach oben. Er konnte seinen Teppich nicht sehen. Doch ein Zuruf reichte, ihn zu ihm hinzutreiben. Die Schatten versuchten, darauf zu landen. Doch der ungenannte Herrscher beschoss sie mit den Geistervernichtungsstrahlen. Sie ließen vom Teppich ab und verschwanden im Nichts. "Du wirst mein oder sterben!" rief die Schattendämonin. Sie holte wieder aus. Er zielte mit dem Geistersirrer auf sie. Als er den auf sie ansetzte glühte die Spirale noch heller und erbebte. Der schwirrende Ton wurde lauter und lauter, während die andere am Bauch blau erleuchtete und erbebte. Dann geschah es.
Mit einem lauten metallischen Schnappen zersprang die Spirale und schleuderte blaue und silberne Funken in alle Richtungen. Die eben noch kurz vor der Vernichtung stehende Dämonin erkannte, dass sie nun die Oberhand besaß. Sie flog vorwärts. Da schleuderte er ihr einen Sonnenlichtspeer entgegen. Dieser traf sie und verschwand in ihr. Sie erbebte und wurde langsamer. "Das hält mich nicht lange auf. Gleich gehörst du mir", stieß sie aus. Der ungenannte Herrscher wusste, dass er ohne den Geistersirrer auf schlechtem Posten stand. Als er das Zepter ausprobierte, glühte es auch hell und lief dann für einige Sekunden tiefschwarz an. Dabei wurde es eiskalt und immer schwerer. Er musste es sinken lassen. "Interessantes Spielzeug hast du dabei. Aber jetzt ist die Spielstunde zu Ende, kleiner. Komm schon zu mir und genieße meine mütterliche Stärke!"
Erst wenn die Sonne gefriert!" rief er und schleuderte ihr noch einen Sonnenspeer entgegen. Doch da ließ sie wieder ihre Hand über ihm niedersinken. Diesmal, so wusste er, würde sie ihn solange halten, bis ihm der Unlichtkristall alle Kraft aus dem Körper gezogen hatte. Dann würde er ihr gehören. Noch einmal konnte er ihr einen Sonnenspeer verpassen, direkt in die Hand. Das gab ihm die Sekunden, um den Patronuszauber zu wirken. Damit hatte er schon mehrere dieser Schattenwesen beeindruckt.
Eine silberweiße, vierköpfige Riesenschlange schnellte aus seinem Zauberstab und ging auf die Ungeheuerlichkeit aus verdichteter Dunkelheit los. Die Dämonin brach ihren Angriff ab und ließ die Silberschlange kommen. Diese trieb sie wahrhaftig weiter und weiter zurück. Doch dann packte die Mutter der Schattendämonen das silberweiße Schutzkraftwesen und riss es mit einem wie in großer Ferne klingendem Prasseln und Krachen in Stücke. Silberne Funken flogen davon. Der ungenannte Herrscher spürte einen Schlag auf den Kopf und das Gefühl, seine schlimmsten Erinnerungen auf einmal nachzuerleben. Als er wieder klar sah flog ihm das übermächtige Unwesen wieder entgegen. Die anderen Schattengeister hielten sich zurück. Offenbar hatten die es noch nicht mitbekommen, dass er seine mächtige Vernichtungswaffe schon verloren hatte. Er versuchte erneut einen Patronus zu rufen. Doch er konnte sich nicht auf ein glückliches Erlebnis besinnen. Als beide bald so groß wie er selbst gedehnten Hände über ihm herabsausten blieb ihm nur das schnelle Ausweichen und die sofortige Flucht. Er wusste, wann er die Schlacht verloren hatte. Jetzt galt nur noch, die Niederlage zu überleben, um daraus zu lernen.
"Du entwischst mir nicht!" rief sie und wechselte krachend den Standort, dass er nun genau auf sie zuflog. Er wich ihren vorschnellenden Händen aus und flog quer zur bisherigenRichtung. Doch sie wechselte wieder den Standort und wartete genau vor ihm. Also musste er sie verwirren. Er stieg nach oben, immer weiter nach oben. Ja, sie meinte, ihn dort oben abfangen zu können. Doch als sie genau über ihm erschien und die Gunst nutzen wollte, ihn zwischen ihren sicher unerträglich kalten Beinen einzuzwengen ließ er sich zur Seite weggleiten und in die Tiefe fallen. Sie folgte ihm jetzt. Er ergriff eine Falte des Teppichs und riss ihn in die Senkrechte. Er rutschte nicht ab, sondern hing nun senkrecht am nach oben flatternden Teppich. Sie lachte laut. Dann warf er sich mit gezogenem Zauberstab herum und verschwand im viel zu engen Nichts zwischen Hier und dort.
Als er wieder in der Welt war schwebte er hoch über seinem Stufengrab. Er blickte sich um. Doch die andere war ihm nicht gefolgt. Das hatte er gehofft, dass sie das nicht wahrnnahm, wohin er flüchtete. Da hörte er ihre Stimme in sich und fühlte ein leises Erbeben im ganzen Körper. "Du hast einen der meinen in dich einverleibt. Daher werde ich dich finden, sobald du es wagst, in mein Reich zu kommen. Dann wirst du mein sein und einer meiner gehorsamen Söhne sein. Versteck dich in deinem Schlupfwinkel. Ich habe Zeit. Ich kann warten."
Jetzt begriff er, welchen fast tödlichen Fehler er begangen hatte, einen ihrer Unterschatten durch das Zepter in seine eigene Seele einzuverleiben und das ganze Wissen von ihm auszunutzen. Damit hatte er ohne es zu planen ein wenig von dessen eigener Ausstrahlung und Beschaffenheit in sich behalten. Die andere konnte ihn somit orten, sobald er in ihre Nähe kam und konnte auch mit ihm Gedankensprechen. Ja, sie hatte ihn fast gehabt und wusste jetzt, worauf sie horchen musste, um ihn zu finden. Trotz des Unortbarkeitsquaders hatte er sich ihr als mögliche Beute angeboten. Der Jäger war der Gejagte. So durfte es nicht bleiben.
Wen hatte dieses schattenhafte Scheusal zum Feind oder ... zur Fein-din? Die hielt sich für die einzige wahre Herrin der einzig wahren Nachtkinder. Tat das nicht auch jene selbsternannte Göttin der Blutsauger? Außerdem vertrugen Schattengeister wie dieses Unweib das Licht der Sonne nicht und waren sehr empfindlich gegenüber auf Sonnenkraft bezogene Zauber, wie er selbst ja feststellen konnte. Gab es von den vaterlosen Töchtern nicht auch eine, die anders als die von ihm Besiegte nicht die Sonne, sondern die Dunkelheit als Kraftquelle und Hauptbefähigung hatte? Vielleicht konnte er die drei Dunkelheitsfürstinnen gegeneinander ausspielen und zugleich seine Angelegenheiten bei hellem Sonnenlicht erledigen. Helles Sonnenlicht gab es in Ägypten mehr als genug. Also wollte er demnächst die angebliche Bezwingerin Seths finden und zum anderen sein Reich bei hellem Sonnenlicht weiter ausdehnen.
Er hatte ihr nicht viel anhaben können. Seine auf schwächere Geisterwesen verheerend wirkenden Waffen waren an ihrer massiven, aus vier verschmolzenen Seelen verdichteten Beschaffenheit abgeprallt. Die Sonnenspeere und diese halbe Hydra aus verdichteter Lebensfreude hatten ihr da schon eher zugesetzt. Nur der Umstand, dass sie mehrere unwichtige Menschen vollständig ausgesaugt und ihre ganze Lebens- und Seelenenergie in sich angereichert hatte halfen ihr, diese Angriffe zu überstehen. Was sie aber am meisten beunruhigt, ja schon beängstigt hatte war, dass ihre kristalline Gebärmutter aus ihr hinauszudrängen getrachtet hatte, als sie versuchte, den Widersacher dort hineinzuziehen. Der hatte Unlichtkristall an sich wie damals Vengor, der mit Kanoras einen Pakt geschlossen hatte. So kam sie ihm nicht bei, und ihre Schattendiener konnten sich ihm auch nicht nähern. Doch bald würde sie weitere Stärke und noch mehr Macht und Wissen bekommen. Dann würde sie es diesem Wicht heimzahlen. Der würde dann darum betteln, sich in ihrem kristallinen Uterus zu ihrem neuen Kind austragen zu lassen.
"Was willst du gegen ihn tun, der unsere Geschwister verbrennt, Mutter und Kaiserin?" wollte ihr neuer afrikanischer Heerführer wissen.
"Ich werde eine weitere Quelle großer Kraft erschließen und dann mindestens doppelt so stark sein wie bisher", deutete Birgute an. Alles musste ihr Heerführer ja echt nicht wissen.
Als sie wieder allein mit ihren vereinten Erinnerungen war durchforstete sie Riutillias und Morgauses Wissen über die Verstärker dunkler Zauber. Dabei kam ihr der Einfall, dass jeder Kristall, ob winzig wie ein Sandkorn oder hausgroß, eine Eigenschwingungszahl besaß. wurde er damit angeregt und schwang immer weiter aus konnte er zerspringen. Sie dachte an die von Ute Richter mitgeguckten Folgen aus dem Star-Trek-Universum, wo ein solches Kristallungeheuer mit künstlichen Schwerkraftwellen in Resonanz versetzt wurde oder an die Behauptungen, Opernsängerinnen und -sänger könnten hauchzarte Weingläser zersingen. Ja, sie musste die Eigenschwingung dieses verwünschten Unlichtkristalls herausfinden und irgendwie solange und so stark hervorrufen, bis der Kristall zersprang. Allerdings, so erkannte sie, konnte auch ihr künstlicher Uterus eine solche Eigenschwingung haben. Doch dem konnte sie locker entgegenwirken, indem sie ihren darum herum befindlichen Schattenkörper schallschluckend machte. Ja, so musste es gehen. Sie musste irgendwie herausfinden, wie sie selbst solche Schwingungen aussenden konnte, ohne sich selbst damit zu gefährden. Im Bedarfsfall konnte sie ihren Anker- und Machtgegenstand ja solange auslagern. Allerdings durfte sie das eben nur eine ganze Nacht lang tun.
Sie beschloss, ihre Diener und Kinder einstweilen aus Ägypten und dessen Nachbarländern herauszuhalten. Sie sollten sich auf die Suche nach jener konzentrieren, die ihr sowohl tödlich gefährlich wie verheißungsvoll erschien. Die Entscheidung würde bald fallen. Wie war das bei "Hamlet"? "Sein oder Nichtsein? Das ist hier die Frage." Auf diese Frage musste sie bald die Antwort finden.
Cane Swordgrinder freute sich über jeden Kunden, der noch in seinem Geschäft einkaufte. Seitdem die junge Thaumaturgin Arcadia Priestley mit ihrem Laden und den da verkauften Neuerungen mehr Kunden für alltägliche Zaubergegenstände anlockte war Prazap ins Hintertreffen geraten. Swordgrinders Boss, der Ladenbesitzer Baden Proctor, hatte ihm mal im Scherz empfohlen, der jungen Konkurrentin einen Heiratsantrag zu machen und so eine Fusion der beiden Geschäfte zu ermöglichen. Doch weil er aufs Heiraten oder gar Kinderhaben keine Lust hatte hielt er sich an Proctors zweite Generalanweisung: Jeder Kunde ist wertvoll. Immer sehr freundlich sein und möglichst was verkaufen, was sich gut rumspricht!
So freute sich Swordgrinder, als der mittelalte Zauberer mit dem ordentlich gekämmten Rotschopf und dem sorgsam gestutzten Vollbart sein Geschäft betrat und sich die blinkende, blitzende, klickende, rasselnde und surrende Ware in der Auslage ansah. Er grüßte ihn sehr freundlich, stellte sich vor und fragte nach allgemeinen oder besonderen Wünschen.
"Ich suche Sonnenlichtkugeln, die fünf Stunden lang Sonnenlicht speichern und wiedergeben können. Ich muss meinen Beruf ändern und kriege deshalb keine Lichtausrüstung von meiner Firma mehr", sagte der Besucher mit schottischem Akzent und wies mit seiner golden beringten linken Hand durch den Raum. . Da fiel Swordgrinder ein, dass der Tagesprophet in den letzten Tagen von den Fluchbrechern für Gringotts berichtet hatte, die wegen der Massenausweisung aller Kobolde in Nordafrika ihre Jobs verloren hatten oder zusehen mussten, schnell außer Landes zu kommen, um nicht als Komplizen von Grabräubern und Kulturdieben drangekriegt zu werden. Womöglich war der Schotte da einer von denen, so braungebrannt die bartlosen Hautpartien waren.
"Sie möchten also wenigstens eine unserer Sonnenlichtkugeln erwerben, die wir auch in allen anderen englischsprachigen Zauberergemeinschaften und in Lizenz auch in allen Mittelmeerstaaten und dem deutschsprachigen Raum verkaufen?" fragte Swordgrinder geschäftssinnig. Der Besucher bejahte es. "Ich habe nicht viel Zeit, um mich beruflich neu auszurichten und bin froh, nicht mehr unter gewissem Druck zu stehen. Näheres möchte ich nicht dazu sagen. Jedenfalls benötige ich für das, was ich mir vorstelle drei Sonnenlichtkugeln, eine für den direkten Einsatz und zwei in Reserve." Swordgrinder nickte und multiplizierte den Verkaufspreis mit mindestens drei. Das würde Mr. Proctor gefallen.
Kennen Sie unsere Sonnenlichtkugeln schon oder wünschen Sie eine Vorführung?" fragte er den Kunden. Dieser bat um eine Vorführung.
In einem fensterlosen Hinterzimmer ließ Swordgrinder eine kleine goldene Kugel, die wie die stachelige Hülle einer Kastanie aussah, mit dem englischen Spruch: "Lass die Sonne raus!" zur Decke aufsteigen und den ganzen Raum in taghelles Licht tauchen. "Sie können damit eine Fläche von bis zu einunddreißigtausendvierhundert Quadratmetern so hell wie halbes Tageslicht ausleuchten. Wollen Sie eine größere Fläche oder helleres Licht haben brauchen Sie unsere seit 2001 erhältliche Kugel Solarglobus Millennium, mit der eine Fläche von bis zu 125600 Quadratmetern mittagshell ausgeleuchtet werden kann. Die kostet natürlich auch entsprechend mehr. Allerdings helfen wir gerne dabei, die bestmögliche Beleuchtung bereitzustellen und bieten auch verschiedene Zahlungsarten an."
"Diese kleinen Kugeln sind offenbar gut zu handhaben und zu transportieren. Wie groß wäre denn Ihre Millennium-Sonnenlichtkugel?" wollte der Kunde wissen. Swordgrinder holte eine quaffelgroße Version der bereits gezeigten Stachelkugel hervor. "Die füllt einen kleinen Raum natürlich mit mehr als benötigtem Licht aus. Wie erwähnt dient sie zur Ausleuchtung einer Kreisfläche von 400 Metern Durchmesser."
"Bitte vorführen!" sagte der Kunde. Swordgrinder warnte noch einmall vor dem Lichtüberschuss. Der Kunde nahm das zur Kenntnis und zog eine Brille aus seinem Umhang. "Ah, eine Dusoleil-Gleitlichtbrille. Ja, mit den Franzosen pflegen wir auch lukrative Handelsvereinbarungen", sagte Swordgrinder und ließ die kleine Sonnenlichtkugel von der Decke sinken. Dann hob er die größere Kugel und kniff beide Augen zu. "Lass die Sonne raus!" rief er. Die stachelige Goldkugel erwärmte sich spürbar und stieg zur Decke. Mit leisem Ping stieß sie dort an. Trotz geschlossener Augen konnte Swordgrinder die Wand des fensterlosen Zimmers als helle Fläche wahrnehmen. "O ja, eine erhebliche Steigerung. Ich vermute, die Kugel steigt auch entsprechend weit auf, um die von Ihnen erwähnte Fläche auszuleuchten", sagte der Kunde. Swordgrinder bejahte es und ließ die größere Kugel wieder niedersinken. "Ich nehme alle die Sie vorrätig haben", sagte der Besucher mit unvermittelt bedrohlichem Unterton. Als Swordgrinder die Worte verarbeitete und sich seine Augen an die wiederhergestellte Dunkelheit gewöhnten sah er, dass der Besucher mit seinem Zauberstab auf ihn zielte. Er wollte gerade zu einer Unmutsäußerung ansetzen, als er schon das verbotene Wort "Imperio" hörte. Er kam nicht einmal dazu, sich zur Seite zu werfen oder seinerseits den Zauberstab freizuziehen. Die Woge völliger Sorglosigkeit und Glückseligkeit fegte jeden Gedanken an Gefahr und Widerstand weg wie eine Seebebenwelle. Dann dröhnte des anderen Stimme mit einem eher orientalischen Akzent in seinem Kopf: "Gib mir alle großen Sonnenlichtkugeln heraus, die gerade da sind!"
Aus dem Ladenlokal plärrte eine blecherne Stimme "Fluchalarm! Fluchalarm!" Zugleich pingelte sehr schnell die Glocke des Prazap-Krawallmelders, der gezielte Flüche und magische Kämmpfe im Umkreis von hundert Schritten verriet. Doch für den Angestellten Proctors waren diese beiden Alarmzeichen gerade unwichtig.
Swordgrinder fühlte, hörte und sah sich quasi von innen her dabei zu, wie er ohne jedes Aufbegehren die Metalltür zu den Lagerräumen öffnete und an die fünf Kisten mit Sonnenlichtkugeln vom Typ Solarglobus Millennium herausschweben ließ. Der Fremde zeigte nicht, ob er staunte oder erfreut über diese unerwartete Anzahl war. Er fragte nur, wie viele Kugeln in jeder Kiste waren. Swordgrinder hörte sich selbst "je vier in einer Kiste" antworten. Somit lieferte er dem Fremden gerade zwanzig große Sonnenlichtkugeln aus. "Sehr zuvorkommend, dass dein Geschäft so viele Kugeln auf Vorrat hergestellt hat. Fünf Stunden für jede Kugel?" Swordgrinder antwortete unverzüglich: "Ja, wie bei den kleinen Kugeln." "Und es ist in jeder Kiste eine Gebrauchsanleitung?" fragte der andere. Swordgrinder bejahte auch das. "Kann was von hier fortteleportiert werden?" fragte der Fremde. Swordgrinder verneinte es. "Nur was draußen auf der Straße steht ist außerhalb unseres Fremddbeförderungsschutzes", sagte er. "Dann hilf mir, die Kisten rauszubringen!" befahl der Fremde.
Swordgrinder beförderte die Kisten zusammen mit dem Fremden per Fernlenkzauber aus dem Lagerraum auf die Straße. Der Rotschopf wendete sogleich einen Objektteleportationszauber an und ließ eine Kiste verschwinden. Dann verschwand noch eine.
Unvermittelt apparierten an die zwanzig Zauberer und Hexen auf der Straße und zielten auf den Rothaarigen und Swordgrinder. "Stehenbleiben und Zauberstäbe weg!" rief einer von denen. "Sonst passiert was?!" rief der rotschopfige Räuber herausfordernd. "Werden Sie immobilisiert und wegen Widerstands in Haft genommen", erwiderte der Anführer der Truppe.
"Das ist ein Wort!" rief der andere und zielte auf den Anführer und alle in unmittelbarer Nähe stehenden. Da schwirrten ihm gleich vier Schock- und fünf Fesselzauber entgegen. Die Schockzauber prallten von einer plötzlich sichtbaren dunklen Aura zurück und erwischten Ministeriumszauberer. Die Fesselzauber zerstoben in silbernen und blauen Blitzen an jener tiefschwarzen Aura. Dann schlug der Rotschopf zurück.
Swordgrinder und wohl auch die anderen, die versuchten, den Fremden zu überwältigen verstanden die Sprache nicht. Swordgrinder hörte nur das Wort Seth heraus, mit dem er was aus Ägypten verband. Da wurde es übergangslos völlig dunkel und so kalt, dass die Eiseskälte sich wie mit tausend brennenden Klingen in Swordgrinders Körper hineinfraß und in seine Lungen stach. Er erstarrte, wohl wie viele andere auch. Er hörte, wie der andere weitere Zauber murmelte, die wie aus großer Ferne klingend schwirrten und säuselten. Dann sprach er wie in hundert Metern Entfernung stehend andere unverständliche Worte. Da wurde es ebenso plötzlich wieder hell, und die klirrende Kälte wich warmer Luft, die in die Straße nachströmte.
Swordgrinder konnte nun die am Boden liegenden, zuckenden und wimmernden Ministeriumszauberer sehen und die noch auf der Straße stehenden Kisten mit den Sonnenlichtkugeln. "Wo waren wir?" fragte der rothaarige Räuber. Dann ließ er die dritte, vierte und fünfte Kiste verschwinden. "War nett, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Mr. Swordgrinder", sagte er mit einer Spur Spott in der Stimme. Dann disapparierte er einfach. Zurückblieb ein von widersprüchlichen Gedanken und einem überragenden Befehl gelähmter Fachverkäufer für Zaubergegenstände und eine halbe Hundertschaft von irgendwelchen üblen Zaubern gebeutelter Ministeriumszauberer.
Gerade stürmten von beiden Seiten weitere vierzig Ministeriumszauberer herbei, während aus dem Laden alle zur Begutachtung ausgestellten Krawallmelder plärrten.
Der Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung und Sicherheit erhielt die Meldung aus der Winkelgasse, dass dort sechs oder sieben Personen zur selben Zeit den unverzeihlichen Imperius-Fluch ausgerufen hatten. Die dort stationierte Sicherheitshundertschaft war ausgeschwärmt, um die Untäter zu ergreifen. Da die Streuwirkung des Zaubers so groß war, dass sein Ursprung nicht auf den Meter genau bestimmt werden konnte galt es, zu Fuß dort hinzueilen, um nicht aus Versehen vor die Zauberstäbe der Untäter zu geraten, ehe sie erkannt wurden. Dann bekam er über die Meldungen und die ausbleibenden Meldungen der Sicherheitsmannschaft mit, dass dort offenbar ein einzelner Untäter war, der mal eben eine halbe Hundertschaft handlungsunfähig machte. Von den Warnmeldungen der seit Riddles letzten Untaten ausgelegten Zaubermeldepflastersteinen erfuhr er, dass dort auch noch mindestens vier Dementoren aufgetaucht sein mochten, der typischen Aura von völliger Dunkelheit und Kälte nach und es dann zu Wogen aus Körperschwächungszaubern kam, denen die halbe Hundertschaft anheimfiel. Dann waren die Dementoren offenbar ebenso plötzlich wieder verschwunden wie sie aufgetaucht waren. Die nun nachsetzende Truppe fand die Kolleginnen und Kollegen im halbbewusstlosen Zustand und einen Verkäufer von Prazap, der sich erst einmal nicht rühren konnte, ohne einem Erstarrungszauber unterworfen zu sein. Sofort wurden Heiler aus dem St.-Mungo-Krankenhaus hinzugezogen. Sie stellten fest, dass jemand eine Art breitstreuenden Kraftschwundzauber gewirkt haben musste, der in Verbindung mit einem anderen Körper und Geist beeinträchtigenden Zauber vielfach stärker gewirkt hatte. Die Betroffenen mussten unverzüglich in die Fluchschadensabteilung eingewiesen werden.
"Das war nicht Ladonna. Das muss ein neuer selbsternannter Anwärter auf Riddles Nachfolge sein", sagte Weasley dem Zaubereiminister.
"Was spricht die Rückschaubrille?" fragte Shacklebolt verdrossen. "Unortbarkeit. Keine Erkennung möglich", knurrte Arthur Weasley. "Aber dafür haben wir den Zeugen, beziehungsweise das Opfer dieses Überfalls. Unsere Heilerin vom Dienst hat mich gebeten, ihn forensisch zu legilimentieren."
"Und geben Sie dem statt, Arthur?" fragte Shacklebolt. "Wenn es uns verrät, wer der Angreifer oder die Angreiferin war ja, Kingsley", erwiderte der Strafverfolgungsleiter verdrossen. Er lehnte Legilimentik ab. Doch es gab Ausnahmen, wo sie mehr Nutzen als Schaden versprach.
"Gut, alle daraus gewonnenen Erkentnisse sofort zu mir. Besser ist es, wenn wir das auf S9 oder S0 einstufen."
"Das mache ich davon abhängig, was wir erfahren", sagte Weasley, der Shacklebolts Worte als Vorschlag und nicht als Dienstanweisung einstufte.
Wenige Minuten später hatte Arthur Weasley einen Kurzbericht auf dem Tisch. Dieser erwähnte, dass Cane Swordgrinder unter einem vielfach verstärkten Imperius-Fluch eines einzigen Zauberers alle vorrätigen Kisten mit großen Sonnenlichtkugeln herausgegeben hatte. Die aus seinen Erinnerungen geschöpfte Personenbeschreibung ließ Artuhr Weasley sichtlich erbeben. Wenn die Beschreibung stimmte hatte niemand anderes als Rore McBane Prazap überfallen. Er hatte über verschiedene Wege davon erfahren, was mit Rore McBane passiert war, auch wenn das ägyptische Zaubereiministerium keine offizielle Verlautbarung darüber verbreitet hatte, weder öffentlich noch auf reiner Ministerebene. Als er dann noch erfuhr, dass McBane einen auffälligen Ring mit einem dunklen, zwölfflächigen Kristall trug läuteten bei ihm die inneren Alarmglocken. McBane trug einen Unlichtkristall. Das erklärte so ziemlich alles, was in den letzten Minuten geschehen war. Doch es erklärte nicht, woher er den Kristall hatte und ob er von einem darin steckenden Geist besessen war. Er dachte bekümmert an die Kammer des Schreckens und dass seine Tochter Ginny damals von Riddles Seelensplitter verführt und in Besitz genommen worden war, bis dessen verfluchtes Tagebuch zerstört werden konnte. Am Ende hatten sie hier etwas ähnliches, zumal ein Unlichtkristall dem Träger eine vielfach verstärkte Macht über dunkle Zauber verlieh. Dazu passte dann auch die scheinbare Dementorenaura, die seine Leute buchstäblich kalt erwischt hatte. Er dachte an Bill, der immer noch in einem komaartigen Zustand lag. Fleur hatte da vor zwei Tagen einen Vorschlag gemacht, den die Heiler bisher als nicht sicher zurückwiesen. Bill war zusammen mit McBane ins St.-Mungo-Krankenhaus eingeliefert worden. McBane hatte die Vergeltung der Katzengöttin Bastet besser weggesteckt als Bill und war entlassen worden. Danach hatten ihn die Kobolde wohl gleich zu jener Irrsinnstat angestiftet, der er zum Opfer gefallen war.
Als Arthur Weasley wie gefordert mit dem Minister sprach meinte dieser: "Die altägyptischen Flüche sind für uns Europäer immer noch nicht alle nachvollziehbar. Am Ende hat McBane sich wahrhaftig einen Horkrux eingehandelt, der ihm vorgaukelt, mehr Macht zu haben und ihn dabei immer mehr dem Erschaffer unterworfen. Ich hörte was von einem Mantel des Seth, der die gleiche Wirkung wie eine Dementorenaura hat, Dunkelheit und Kälte, sowie Abschwächung der eigenen Willenskraft. Allerdings bleibt die für Dementoren typische Verzweiflung und die sturmartige Flutung des Bewusstseins mit schrecklichen Erinnerungen aus."
"Dann stimmen Sie mir zu, dass McBane besessen ist?" fragte Weasley. "Voll und ganz", schnaubte Kingsley Shacklebolt. "Und noch was: Ein bezauberter Ring kann, besonders als Seelenauffanggegenstand, die unangenehme Eigenschaft haben, mit seinem Träger zu verwachsen, je mehr er sich seiner Macht hingibt. Das heißt, wir können McBane den Ring nicht so einfach abnehmen."
"Leider wahr", seufzte Arthur Weasley. "Aber was will ein Dunkelmagier mit Sonnenlichtkugeln?" fragte Weasley. "Arthur, das liegt leider auf der Hand. Er braucht sie, um gegen die Sonne fürchtende Wesen zu kämpfen und / oder sie seinem Willen zu unterwerfen. Wir kennen da zwei, die er sich da ausgeguckt haben mag." Arthur Weasley nickte verdrossen. "Postieren sie noch eine Hundertschaft in der Winkelgasse. Nicht dass dieser Überfall Nachahmungstäter anregt!" Arthur Weasley stimmte zu.
Damit hätte er doch rechnen müssen, dass sie seit diesem Schwächling Riddle, der sich zum Herren aller Zauberer aufschwingen wollte besondere Warnvorrichtungen eingerichtet hatten und dass sein verstärkter Unterwerfungsfluch diese ausgelöst hatte. Doch das Gefühl, mal eben an die dreißig Widersacher mit dem Mantel des Seth und dann den Worten des aushungernden Atems an den Rand des Todes getrieben zu haben gefiel ihm. Sicher hätte er auch die ihm entgegentretenden mit dem Todesfluch niederstrecken können. Doch dabei hätte er vielleicht eine der fünf Kisten zerstört und das darin gesammelte Sonnenlicht auf einen Schlag freisetzen können. Davor hätte ihn auch sein Unlichtkristallring nicht schützen können. Er ging auch davon aus, dass die Sicherheitsleute um Bills Vater Arthur ihn trotz Unortbarkeitszauber identifizierten, ja womöglich wussten, was es mit dem Ring und den verstärkten Kampfzaubern auf sich hatte. Die würden sich jetzt noch mehr zusammenkauern und auf weitere Angriffe von ihm warten. Doch mit England war er nach der Sache mit dem Koboldgeheimbund und dem "Einkauf" in der Winkelgasse erst einmal fertig.
Er musste jedoch feststellen, dass die erworbenen Sonnenlichtkugeln in der mit dunkler Magie getränkten Grabstätte immer mehr erbebten, als stritte das in ihnen gespeicherte Sonnenlicht mit den Kräften von Dunkelheit und Tod. Dabei glühten sie hellblau und sprühten Funken. Sofort schickte er jede Kiste in eine der gesicherten Schlangenhöhlen, die er als Stauraum für größere Gegenstände auserwählt hatte. Dann apparierte er hinterher. Er lagerte die zwanzig Sonnenlichtkugeln so, dass er sie jederzeit finden und einsetzen konnte. Eine von denen wollte er in den nächsten Tagen mitnehmen, um sich den nötigen Respekt bei den Blutsaugern zu verschaffen. Das würde ihm auch verraten, ob er nicht doch gegen die Schattenfürstin bestehen konnte. Er hoffte nur, dass sich die vaterlose Tochter der Dunkelheit und die Schattenkönigin nicht gegen die Blutsauger und damit auch gegen ihn verbünden mochten.
"Lassen wir die noch im Glauben, ich müsse mich erst einmal von meiner neuesten Glanztat erholen. Dann schlage ich um so unerwarteter zu", dachte der ungenannte Herrscher. Er würde die Zeit nutzen, mit unbezauberten Pfeilen zu üben, Anhors Bogen zu nutzen. Auch ihn wollte er mitführen, wenn es zu den Blutsaugern ging.
Er suchte noch einmal die im tiefen Dunkelschlaf liegenden Gefangenen. Solange keine Sonne auf sie fiel oder sie starke Schmerzen verspürten konnte nichts und niemand außer ihm sie aufwecken.
"Sie wissen, dass ich Ihrer Magie nicht ganz so unvoreingenommen gegenüberstehen kann", bekräftigte Stationsheiler Silvanus Heatherbloom Fleur gegenüber. Diese nickte. "Dennoch haben Sie und Ihre durchaus fachkundigen Kollegen bisher kein Mittel gefunden, diesen altägyptischen Katzenfluch aus meinem Mann zu vertreiben, obwohl Sie alles versucht haben, was ihn nicht gleich umbringt", sagte sie. Heatherbloom musste zugeben, dass dies stimmte. "Zumal wir von unseren ägyptischen Kollegen bisher keine einzige Antwort auf unsere schriftlichen Anfragen erhalten haben, was uns selbst sehr verwundert."
"Dann möchte ich den Vorschlag von vor zwei Tagen noch einmal erneuern. Ich kann mit meiner Tochter Victoire, meiner Mutter und meiner Schwester Gabrielle zusammen einen Zauber ausführen, der Tanz des heilenden Lichtes heißt und alle, die mit mir Fleisch und Blut vereinigt haben von tückischen Giften oder gar tiefgreifenden Zaubern freisingen. Ich sehe das als die uns letzte Möglichkeit an, meinem Mann zu helfen, wo sie sagen, dass er immer näher an den Tod heranrückt und mit zusätzlichen Flüssignährstoffen versorgt werden muss, um nicht zu sterben."
"Wie erwähnt, Ihre Magie ist für die magische Heilkunde sehr, öhm, unzugänglich. Andererseits hat Mr. Weasley Ihnen alle Vollmachten gewährt, über seinen Gesundheitszustand und alle diesen wiederherstellende Maßnahmen zu befinden. Doch Sie wissen selbst nicht, ob das Gift der Bastetjüngerinnen auf diese Weise ausgetrieben werden kann. Ich würde da doch lieber noch auf eine Antwort aus dem Rat der Heilung aus Alexandria warten."
"Wieviele Tage geben Sie meinem Mann noch, bis er stirbt oder unrettbar im Tiefkoma gefangenbleibt?" fragte Fleur Weasley. "Öhm, die letzten Untersuchungen lassen keine verbindliche Aussage zu", druckste Heatherbloom herum. Fleur sah ihn sehr ernst an. Er fühlte diese unbändige Kraft dieser überragend schönen Frau. Dann sagte er: "Zwischen Ende September und Anfang Dezember könnte er unheilbar sein. Noch helfen ihm die über den Nahrungsschlauch zugeführten Kräftigungs- und Entgiftungsmittel."
"Dann entscheide ich und gebe Ihnen das auch gerne schriftlich, dass meine Tochter, meine Mutter, meine Schwester und ich den Heilstanz der Veelas anwenden, um ihn zu behandeln. Falls Sie dies wünschen gebe ich Ihnen das auch schriftlich, dass ich Sie jeder Verantwortung für die Folgen enthebe."
"Das Recht haben sie nicht, Mrs. Weasley. Nur die Heilerzunft darf beschließen, welcher Heiler für einen Patienten Verantwortung übernimmt oder nicht", sagte Silvanus Heatherbloom. "Ich werde also diesem Heilstanz wohl beiwohnen, um die Lebenszeichen Ihres Mannes zu überwachen."
"Eben das werden Sie nicht. Denn wenn wir diesen Heilstanz ausführen dürfen nur wir in seiner unmittelbaren Nähe sein und außer unserem Tanz und Lied kein anderer Zauber, auch kein Körperzustandsprüfzauber wirken."
"Sie dürfen mich nicht aussperren,nicht in meiner eigenen Abteilung", versuchte der Stationsheiler, sein Hausrecht durchzusetzen.
"Dann frage ich als kenntnisberechtigte Verwandte, ob Sie außer der künstlichen Ernährung noch irgendwelche Heilzauber ausprobieren können, um meinem Mann zu helfen."
"Wir haben alles uns bekannte ausgeschöpft. Das heißt aber nicht, das ...", setzte Heatherbloom an. "Ja oder nein?!" schnaubte Fleur. "Die magische Heilkunde ist kein binäres Fachgebiet. Es gibt nicht nur ja oder nein, schwarz oder weiß, ganz richtig oder ganz falsch", erwiderte Heatherbloom. "Ja, aber gesund oder krank, sowie Leben und Tod gibt es in der Heilkunde", knurrte Fleur. "Also, können Sie meinem Mann mit Ihren hier bekannten Mitteln noch irgendwas geben oder an ihm ausführen, um seinen Zustand zu bessern, ja oder nein?"
"Ich weiß worauf Sie hinauswollen", knurrte nun Heatherbloom. "Doch leider kann ich Ihre insistierende Frage derzeitig nur mit einem bedauernden Nein beantworten. Alles was wir kennenund können haben wir in den letzten Wochen versucht. Außer der künstlichen Ernährung und Blutentgiftung gibt es derzeitig nichts, was wir tun können."
"Dann ist mein Mann Ihrer Sprachführung nach austherapiert. Da ich ihn nicht nach Ägypten zurückbringen werde, weil dort gegen alle ehemaligen Gringotts-Zauberer ein Ermittlungsverfahren wegen Auftragsdiebstahls in überhundert Fällen droht verfüge ich, dass mein Mann in sein Haus zurückgeschickt wird, wo mein Vertrauen genießende und ich selbst ihn weiterpflegen werden."
"Das muss ich mit dem Zunftsprecher erörtern, weil solch ein Fall nur dann gegeben ist, wenn der Patient eindeutig dem Tod entgegengeht und die totale Wiederverjüngung nur bei Opfern progressiver Flüche möglich ist."
"Ach, Das hätten Sie dann noch tun können, meinen Mann in einen Säugling ohne bisherige Erinnerungen zurückzuverwandeln? Ist aber sehr nett, dass Sie davon bisher keinen Gebrauch gemacht haben", ätzte Fleur.
"Ich kann und will Ihnen nur raten, Ihren Mann in unserer Obhut zu belassen. Ich kann wohl mit unserem Klinikdirektor genehmigen, dass Sie Ihr Ritual durchführen können, aber nicht ohne meine oder einer kompetenten Fachkollegin Anwesenheit und Aufsicht."
"Wollen Sie mir das Recht absprechen, mich um meinen Mann zu kümmern, nur weil Sie sich nicht damit abfinden möchten, dass Ihre bisher erlernten Methoden nicht wirken?"
"Vielleicht sollten Sie das mit weiteren am Leben Ihres Gatten interessierten Personen besprechen, bevor Sie sich deren Unmut zuziehen oder gar von diesen wegen mutwilliger Gefährdung ..." zog Heatherbloom noch ein Argument aus dem Ärmel, mit dem er hoffte, die ihm obskuren Zauberkräfte der Veelas von seinem Patienten abzuhalten. Da übergab Fleur ihm ein Pergament. "Dieses Pergament, unterschrieben von den Eltern meines Mannes, seines Bruders Percy und seiner Schwester Ginny gestattet mir, die mir bekannnten Heil- und Erholungsmittel anzuwenden, wenn Sie die Frage nach Ihnen möglichen weiterführenden Behandlungen mit nein beantworten. Da Sie dies getan haben und ich das vor jedem Gericht unter Eid bezeugen werde gilt das, was da draufsteht."
Heatherbloom erbleichte, als er das ihm vorgelegte Pergament las und es mit Prüfzaubern der Unterschriften auf seine Echtheit untersucht hatte. "Bis morgen früh darf mein Mann noch bei Ihnen bleiben. Dann kommen wir und holen ihn ab", sagte Fleur sehr entschlossen.
"Falls er stirbt werde ich mit unserem Zunftsprecher Diokles Greenstam ein Gerichtsverfahren wegen fahrlässiger Tötung, vielleicht auch mutwilliger Tötung prüfen", drohte Heatherbloom. Doch Fleur Weasley ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie deutete auf das Pergament. "Ich habe eine Kopie davon. Sie dürfen das Original behalten, falls Ihre Zunft der Ansicht ist, dass sie neuen Heilwegen gegenüber aufgeschlossen ist."
"Wann wollen Sie Ihren Mann abholen?" fragte Silvanus Heatherbloom. "Neun Uhr früh", legte Fleur fest. Dann verabschiedete sie sich von dem Stationsleiter für kombinierte Fluch- und Giftschäden und verließ das Krankenhaus.
Julius erfuhr am zehnten September, dass Fleur den Heilern vom St. Mungo eine schriftliche Genehmigung vorgelegt habe, ihren Mann nach Hause zu holen, die von mehreren seiner Verwandten mitunterschrieben worden war. Antoinette fragte ihn per Brief, ob er ihr dazu geraten habe, möglichst viele Zustimmungen zu erbitten. Er antwortete ihr, dass weder Léto noch Fleur sich an ihn gewendet hätten.
Wieder zu Hause fand er einen Brief von Jophiel Bensalom mit dem nur in seinen Händen aufleuchtenden Schriftzug "Höchst vertraulich!" Offenbar hatte der in Israel wohnende Nachkomme Ashtarias den Brief auch so bezaubert, dass nur ein Heilssternträger ihn öffnen und lesen konnte. Jetzt erfuhr er es quasi offiziell, das wohl seit dem 13. August jener dunkle Pharao wieder aufgewacht sei, von dem bereits frühere Generationen des blauen Morgensterns gewusst hatten. Er habe sich wohl den Körper eines Gringotts-Mitarbeiters erstohlen um in diesem aus seiner mit dunkler Magie getränkten Grabstelle entkommen zu können und sei nun dabei, seine alte Macht zurückzuerobern. Jophiel riet Julius sehr ernst dazu, sich nicht in diesen Fall einzuschalten, da der blaue Morgenstern bereits daran sei, die dunkle Grabstätte zu entkräften und den durch unheilige Kraft auferstandenen finsteren Pharao zu entmachten, wobei Jophiel hoffte, den unterdrückten Eigentümer des geraubten Körpers zu befreien und den Betroffenen vom bösen Einfluss zu erlösen, ohne ihn töten zu müssen.
"Dann haben wir es jetzt doch quasi amtlich, dass dieser Pharaonen-Dibbuk sein Unwesentreibt, Catherine", erwähnte er Catherine gegenüber, die im Auftrag sowohl der Liga gegen dunkle Künste als auch als Sprecherin des stillen Dienstes alles erfahren durfte, was an hellen und vor allem dunklen Hinterlassenschaften wieder aufgetaucht war. "Ja, und du weißt nicht ob du es hoffen oder befürchten sollst, dass es zu einem Kampf zwischen dem und den Abgrundstöchtern kommt?" fragte Catherine, während aus Claudines Zimmer fröhlicher Mädchengesang erklang. "Wir haben es mitbekommen, dass Ullituhilia sich daran gestärkt hat, Otschungu zu vernichten. Wenn die oder eine der anderen wachen Schwestern das hinkriegt, diesen Körperdieb zu fangen und ihm die komplette Kraft auszusaugen wird die noch stärker und überheblicher als vorher. Will ich nicht wirklich", seufzte Julius. Dem konnte Catherine nur zustimmen.
Da er und Aurore schon mal im Haus der Brickstons waren durften sie beide dort auch zu Abend essen. Millie und die anderen waren bei Oma Ursuline und Opa Ferdinand im Sonnenblumenschloss.
So wunderte es ihn auch nicht, als Millie ihm gegen neun zumentiloquierte, dass sie alle eingeladen seien, die Nacht dort zu verbringen, weil sich Chrysope und Clarimonde nicht von ihren kleinen Großtanten trennen wollten.
Da einmal mehr die Nacht zu einem ungeraden Tag anstand konnte er mit Millie ganz getreu des Ehegelübdes in einem der großen Zimmer übernachten.
Das Landhaus am Meeresstrand strahlte die übliche Ruhe und den Frieden aus. Von ferne waren die Brandungswellen zu hören.
Molly Weasley stand mit ihrer Tochter Ginny am Grab des Hauselfen Dobby, der damals sein Leben für den Kampf gegen Voldemort gegeben hatte. "Wollen wir hoffen, dass die Veelas wirklich wissen, was sie tun, Ginny", seufzte Molly. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie heftig sie und Arthur mit Fleuer gestritten hatten, ob Bill nun lieber bei den menschlichen Heilern in Dauerbehandlung bleiben oder durch die Kraft der Veelas in sein Leben zurückgeholt werden könnte. Am Ende hatte ihr Mann gesagt, dass er von den guten Absichten der Veelas überzeugt sei, nachdem alle Ministeriumszauberer und -hexen durch das goldene Freiheits- und Friedenslicht gegen Ladonnas Feuerrosenzauber geschützt wurden.
"Wir hoffen alle, dass Bill wieder aufwacht und möglichst geheilt weiterleben kann", sagte Ginny. "Ich will ihm schließlich den kleinen Albus Severus vorstellen, wenn er ihn auch begrüßen kann."
Aus dem Haupthaus des Anwesens drang eine weithallende, glockenhelle Stimme. Das war Léto, Fleurs Großmutter. Sie hatte sich auch dazu bereiterklärt, das über drei Generationen wirkende Heilslied und den dazugehörigen Tanz für Bill auszuführen. Dann sangen Fleur, ihre Mutter und Gabrielle eine wunderschöne, dreistimmige Weise, die jedoch nicht den abendländischen Tonleitern entstammte. Ginny, die früher genau wie ihre Mutter eine gewisse Abneigung gegen Fleur empfunden hatte, fühlte sich auf einmal sehr wohl und geborgen, als sei sie selbst wieder eine Ungeborene. Mutter und Tochter lauschten dem Gesang, in den immer mehr Frauenstimmen einstimmten, von ganz tief bis Glöckchenhoch.
Arthur Weasley hatte sich freigenommen, um auch da zu sein, wenn Bill der exotischen Heilbehandlung unterzogen wurde. Er trug seinen ersten Enkel James auf den Schultern.
"Warum steht ihr an Dobbys Grab, Molly?" fragte er seine Frau. "Deine Tochter wollte es besuchen, wo sie schon mal hier ist, Arthur", erwiderte Molly. "Hat schon was für sich. Es erinnert uns daran, wie knapp wir damals davonkamen, leider auch dass Fred nicht mehr da ist und dass wir es diesem mutigen Wesen verdanken, dass am Ende dieser Irrsinnige sein Ende fand. Aber ich denke, die Damen aus Frankreich haben nichts dagegen, wenn wir ins Haus gehen. Wir dürfen nur nicht im selben Raum wie sie sein."
"Stimmt, hat Fleur gesagt", meinte Ginny ohne Anflug von früherer Häme oder Verachtung. So gingen die drei zum Haupthaus, geführt und auch irgendwie getragen von den wunderschönen, miteinander überragend harmonierenden Stimmen.
Léto war die älteste und hatte das Heilslied angestimmt. In den Versen klang durch, dass sie ihrer Tochter kraft gab, um dem zu helfen, der mit ihr Fleisch und Blut vereint hatte. Dann sangen Fleur und Gabrielle und begannen, den auf einem Feldbett liegenden Bill zu umtanzen. In den Reigen reihten sich nun auch Léto, Fleurs Mutter Apolline, Gabrielle und Victoire ein, die von ihrer Mutter und ihrer Tante Gabrielle die nötigen Schlüsselwörter gelernt und ihre dazu passende Singstimme gefunden hatte.
Immer wieder deutete Fleur auf Bill und sang aus dem Text heraus, dass sie sein Wohl wünschte. Victoire tat dies auch. Zwischen Mutter, Erstgeborener Tochter und Vater entstand eine immer dichtere, erst unsichtbare Verbindung. So ging es mehrere Runden lang. Wer jetzt im Raum war spürte, wie sich eine starke, alles und jeden durchströmende Kraft entfaltete. Dann wurde diese auch sichtbar.
Zwischen den Tänzerinnen entstanden orangerote Funken, die immer dichter wurden. Als Fleur und Victoire einmal mehr ihre schlanken Hände ausstreckten und sie wie Segen spendend über Bills reglosen Körper führten, flossen orangerote Funken auf ihn über und blieben als helle, warme Lichtflecken an ihm haften. Ihrer wurden es immer mehr. Bills Frau und Tochter gaben von der nun immer deutlicher sichtbaren Gemeinschaftsmagie immer wieder etwas an Bill weiter. Dabei wurde der Funkenstrom zu einem warmen, schwingenden Lichtband, dass jede hier tanzende mit jeder anderen verband. Über Bill regneten nun immer mehr heilsame Funken nieder und bildeten eine immer dickere Decke aus Licht. Bill erstrahlte nun in einem immer helleren, von Orangerot zu golden übergehendem Schein. Was die Tänzerinnen nicht beachteten war, dass die Narben in seinem Gesicht rötlich leuchteten und immer wilder erbebten, als wollten sie eine Gegenkraft aufbieten.
Der Gesang der Tänzerinnen wurde immer lauter, blieb jedoch in seinen Tönen glasklar und genau auf der gewünschten Höhe. Das Leuchten zwischen ihnen wurde immer mehr zu einem Ring aus Licht, aus dem wie die Speichen eines Rades Ströme goldener und roter Funken auf Bills Körper übergingen. Fleurs Großmutter, sowie Fleurs Mutter, Fleur, Gabrielle und Victoire bewegten ihre Hände so, als wollten sie die leuchtenden Kraftströme wie Spinnfäden verknüpfen. Dann begannen auch von Bills Körper Funken aufzusteigen. Dort wo der fanatische Werwolf Greyback seine Spuren hinterlassen hatte flogen rote Funken in die Höhe. Goldene strömten von allen anderen Körperstellen aus. Dann bildeten sich zwei voneinander klar getrennte Wolken aus. Über Bills Kopf formten die roten Funken die erst verschwommene und dann immer dichter werdende Gestalt eines kauernden Wolfes, dessen Maul im Takt der Tänzerinnen auf- und zuklappte. Die goldenen Funken wurden zu einer luchsgroßen, goldfelligen Katze, deren Schwanz im Takt des Tanzes erzitterte. Immer deutlicher wurden die sichtbaren Ausprägungen der in Bills Körper widerstreitenden Zauberquellen. Dann, als Tanz und Gesang an Tempo zulegten, sprangen die zwei leuchtenden Erscheinungen aufeinander zu. Sie hieben mit Pranken und Tatzen aufeinander ein, bissen sich mit ihren nun deutlich bezahnten Mäulern und versuchten, einander zu verdrängen. Dabei stiegen sie immer weiter nach oben. Lautlos tobte der Kampf der als reine Leuchterscheinungen sichtbaren Geschöpfe. Dann begann das Bild des Wolfes zu schrumpfen. Jeder Tatzenhieb der goldenen Katze nahm ihm etwas Stofflichkeit. Je kleiner der Wolf aus blutrotem Licht wurde, desto größer wurde die goldene Katze. Es sah ganz danach aus, als wenn die aus altem Katzenzauber stammende Magie die Oberhand gewinnen würde. Keine hier wusste, ob das gut oder schlecht war. Doch alle hofften, dass sie Bill damit heilen konnten. Dann war der Wolf nur noch so groß wie eine Ratte. Die goldene Katze schnappte nach ihm und biss ihn in zwei Teile. Einen Teil verschlang sie. Der andere flog als rote Funkenwolke im Kreis herum, wobei sie immer wieder mit goldenen Funken zusammenstieß und weiter an Vorhandensein verlor. Am Ende blieb nur noch die goldene Katze übrig, die sich nun umwandte und auf die Tänzerinnen blickte. Funken sprühten aus ihren Augen. Doch sie zerstoben auf Höhe der Tänzerinnen und wurden eins mit dem goldenen Ring aus Licht. Dieser glomm immer heller, wurde zu einer die ganze Raumhöhe einnehmenden Wand. Aus dieser flogen noch mehr goldene Funken, trafen die Katze, die immer wieder versuchte, aus dem Ring herauszuspringen und dabei von immer mehr leuchtenden Funken wie in einen Kokon eingesponnen wurde. Die Tänzerinnen zogen noch einmal das Tempo an und sangen einige Töne höher, wobei sie nun in der alten Sprache die Kraft der Verbundenheit von Fleisch und Blut und die heilsame Gnade Mokushas beschworen.
Bills Körper erstrahlte nun selbst im goldenen Licht und schien dabei immer größer zu werden. Der Kokon mit der goldenen Raubkatze wurde immer dichter, erschien wie ein langgezogenes Ei, das im Takt der auftreffenden Füße der Tänzerinnen pulsierte. Dann schossen Funken aus Bills Körper heraus und vereinten sich mit dem eiförmigen Gespinnst, das immer mehr mit der goldenen Katze verschmolz. Mehr und mehr vergingen die klaren Außenformen. Am Ende schwebte der Kokon über Bill und ballte sich zu einer Kugel, die halb so groß wie Bill war. Sie stieg mit jedem Ton immer weiter nach oben. Fleur und Victoire bewegten ihre Hände und lenkten die goldenen Funken aus Bills Körper in die über ihm schwebende Kugel. Dann, auf ein Handzeichen Fleurs, stießen alle Tänzerinnen einen langen, glasklaren Ton aus. Dieser brachte die goldene Kugel zum schwingen. Dann zerbarst sie in einer Wolke von Funken, die eins mit all jenen wurden, die aus Bills Körper entfuhren und dem goldenen Ring entstammten. Sie wurden in die Erde und in die Decke abgeleitet. Dann stoppte der Tanz. Alles goldene Licht entwich nach oben und unten, weg von Bill, weg von den Tänzerinnen. Bills Körper lag nun wieder da, als wenn nichts geschehen war. Doch etwas war nicht mehr wie vorher.
Victoire sah es zuerst. Sie deutete auf das Gesicht ihres Vaters. Es zeigte keine weißlichen Bissnarben mehr. Dann begann sich der Kranke zu bewegen. Er atmete tief ein und wieder aus. Nun öffnete er schwerfällig seine Augen. Er blickte sich wie nach einem langen Schlaf benommen um und sah, wer alles bei ihm war.
"Hallo, Fleur, mein Herz und hallo Goldstückchen", sagte er mit leicht belegter Stimme. Dann lächelte er. In sein vorhin noch bleiches Gesicht trat wieder mehr Farbe. Er hob die linke und dann die rechte Hand und winkte erst steif und dann geschmeidig zu den ihn umstehenden Verwandten. "Ui, habt ihr die ganze Verwandtschaft gerufen, nur um mich zu begrüßen?" fragte Bill. Alle hier lachten, am lautesten Victoire.
"Du warst mehrere Wochen schwerkrank, Bill", sagte Fleur, jetzt ihren am Leben gehaltenen Akzent sprechend. "Woran kannst dü disch noch erinnern?" fragte sie noch.
"Das mir ein künstliches Katzenauge vor den Augen explodiert ist und ich danach meinte, ständig einen wilden Wolf und eine Raubkatze wie einen Puma knurren und jaulen zu hören. Dann habe ich die Biester auch gesehen, einen roten, struppigen Wolf und eine goldene Katze, die miteinander gekämpft haben. Dann hörte ich ganz schön klingende Frauenstimmen singen. Wart ihr das?" Die Gefragten nickten. "Jedenfalls haben sich die beiden Biester immer wilder beharkt, bis sie mit lautem Geschrei aufeinandergeprallt und regelrecht zerscheppert sind. Dann habe ich mich hier wiedergefunden. Öhm, wie lange war ich weg? Bitte nicht lügen."
"'eut' ist der ölfte September, Bill", sagte Fleur. "Echt?" fragte Bill erschrocken. "Öhm, war ich die ganze Zeit hier?" Nun berichtete Fleur ihm, welchen löwinnenhaften Kampf sie mit den Heilern vom St. Mungo ausgefochten hatte, nachdem er einen Monat lang bei denen gelegen hatte. Inzwischen durfte Victoire ihre Großeltern und ihre Tante Ginny ins Zimmer holen. Er sah sofort, dass Ginny nicht mehr schwanger war.
Molly Weasley sah ihren Sohn, sprang auf ihn zu und schlang ihn in ihre üppigen Arme. Sie küsste ihm mehrmals auf die Wangen. Dann hielt sie inne. "Deine Narben, die sind weg, Bill."
"Echt?! Spiegel bitte!" erwiderte Bill darauf. Da Veelas von sich aus auf ihr äußeres bedacht waren reckten sich ihm gleich mehrere Taschenspiegel entgegen, so dass er sein altes und neues Gesicht betrachten konnte. "Die Heiler haben behauptet, diese Narben nicht mehr wegzukriegen, weil das hartnäckige Fluchnarben seien wie die von Schwager Harry. Öhm, oder sollte ich das bessernicht wissen, wie ihr Töchter Mokushas das angestellt habt?"
Arthur Weasley betrachtete seinen erstgeborenen Sohn und führte sogar einige Prüfzauber aus. "Erstaunlich. Du strahlst eine starke Aura aus, die ich sonst nur bei mit starken Abwehrflüchen belegten Gegenständen erfassen kann. Mag sein, dass alles an und in dir, was ein dunkler Zauber war ausgetrieben wurde, also auch die Bissspuren dieses tollwütigen Untäters."
"jetz kann isch disch ohne Angst auch mit sü ünserem nächsten Familientreffön mitnehmen, Bill", sagte Fleur und löste damit ein erheitertes Lachen bei ihren Verwandten aus.
Ginny meinte dann: "Kann auch sein, dass du deshalb wieder frei von Fluchnarben bist, weil Greyback selbst tot ist, Bill. Bei Harry ist die Narbe ja auch etwas schwächer geworden, auch wenn sie nicht ganz weggeht."
"Öhm, ich weiß echt nicht, ob wir das den Leuten im St._mungo-Krankenhaus aufs Brot schmieren sollen. Am Ende kassieren die mich wieder ein, um mich noch eingehend zu untersuchen", sagte Bill. Dann fiel ihm noch was ein. "Ach ja, hat sich wer von Gringotts mal nach mir erkundigt oder mein Kamerad aus der Liga der Rotschöpfe Rore McBane?"
Arthur Weasley seufzte und übernahm es dann, seinem Sohn zu erzählen, was in den letzten Wochen geschehen war. Er begann damit, dass sich die Lage für Gringotts-Fluchbrecher in Ägypten drastisch verschlechtert hatte. Dann erwähnte er noch, dass zu befürchten stand, dass McBane wie damals Ginny von einem bösen Zauberer besessen war, der sich in der Winkelgasse Sonnenlichtkugeln erstohlen hatte, womöglich um gegen Vampire und Nachtschatten kämpfen zu können.
"Dad, du würdest mir so eine Gruselgeschichte nicht vor Ginny und Vicky auftischen, wenn du nur einen Scherz machen wolltest", grummelte Bill. "Das heißt, Gringotts Kairo gibt es nicht mehr, und alle Kollegen von mir, die noch da unten sind müssen zusehen, das weite zu suchen oder sich dem Ministerium auszuliefern, auch der alte Geisterschreck Thybone?"
"Genau den suchen sie noch", sagte Arthur Weasley. "Harry und Hermine haben über ihre jeweiligen Verbindungen mitbekommen, dass die Familie, die das Ministerium führt alle Zauberer und Hexen zu Verdächtigen in mehreren Straftaten erklärt hat. Die suchen wohl nach allem, was ihr damals aus dem Land rausgeschleppt habt."
"Jaha, und für das wir den sauberen Al-Assuanis eine Menge Gold rübergereicht haben, wenn nicht sogar wertvolle Statuen und Gefäße. Die sollen sich bloß nicht so aufblasen wie ein rot-blauer Kugelfisch", knurrte er. Dann nickte er. "Klar, wo die wohl nicht mehr selbst bestimmen, was sie tun sollen. Öhm, wo hier genug große Veelamädchen sind: Wisst ihr echt noch nicht, wo die Brüder sich versammeln, um denen eure Friedenslichter zuzuschicken?"
"Hast du es damals rausgefunden?" wollte Gabrielle von ihrem Schwager wissen. Der schüttelte den Kopf. Dann sagte Molly was, das alle anderen Themen in den Schatten stellte: "Du hast sicher Hunger. Ich werde dir dein Lieblingsessen kochen, damit du wieder was anständiges zwischen die Rippen bekommst, mein Junge."
"Hoffentlich kann ich überhaupt noch was essen, Mum, wenn ich fast einen Monat lang nur mit Flüssignahrung gefüllt wurde."
"Das will ich aber stark hoffen, Bill. Sonst werde ich diesen Kurpfuschern im St. Mungo aber mindestens drei Heuler schicken, dass denen die Ohren abfallen." Ginny grinste. Wie gut ihre Mutter Heuler konnte wusste sie selbst noch aus ihrem ersten Jahr in Hogwarts, wo Ron einen von ihr abbekommen hatte.
"Also, Molly, du kümmerst dich ums Essen, wir lassen Bill erst mal ins Bad und sich anziehen", sagte Arthur Weasley. Bill war einverstanden.
Als Bill wieder herzeigbar und munter genug aus dem Badezimmer kam stellte ihm Ginny seinen zweiten Neffen Albus Severus vor. "Er kam am 24. August auf die Welt. Mum war zusammen mit Tante Muriel dabei, als Heilerin Newport mir geholfen hat, ihn zur Welt zu bringen. Harry meinte im Scherz, wir könnten ihn auch Pluto nennen, weil genau an dem Tag beschlossen wurde, dass Pluto kein großer Planet mehr ist. Aber dann hat er gesagt, dass es bei der Namensgebung bliebe, die wir für den zweiten Jungen vereinbart haben."
"Wieso bitte Albus Severus? Albus kann ich ja noch verstehen", grummelte Bill. Der kleine Junge, der diesen Namen trug begann zu quengeln. Ginny wiegte ihn schnell in den Armen und flüsterte: "Psst, keine Angst. Dein Onkel Bill meint es nicht böse." Dann wandte sie sich wieder ihrem ältesten Bruder zu und sagte: "Harry und ich haben uns darauf verständigt, dass er nach den zwei herausragenden Schulleitern benannt werden sollte, die das Ende von Du-weißt-schon-wem herbeigeführt haben. Denn ohne Snapes Einsatz hätte er, den nur Leute wie Harry und Hermine beim Namen nennen sicher doch gewonnen."
"Stimmt, die Geschichte habt ihr ja erzählt", grummelte Bill. "Nur, dass ich diesen sogenannten Wohltäter Severus Snape eben sieben volle Jahre miterleben musste und mir der fast den Zaubertrank-UTZ verss-semmelt hat. Aber gut, der kleine kann mit dem Namen wohl was anständigeres anfangen als die selige Hakennase. Außerdem hieß der Irre Tom Riddle, wie du, kleine Schwester, selbst hautnah mitgekriegt hast.""
"Mann, willst du mich jetzt echt noch ärgern, wo ich verdammt froh bin, dass du wieder gesund bist, William Arthur Weasley?"
"'tschuldigung, wollte ich nicht. Ich bin ja auch froh, dass ihr das hingebogen habt, dass ich wieder auf die Beine gekommen bin", erwiderte Bill abbittend dreinschauend. Dann durfte er seinen zweiten Neffen ebenfalls mal auf den Arm nehmen. "Wie war das mit Pluto?" fragte er, als der Kleine nicht laut losplärrte, weil er bei wem völlig fremdem im Arm lag. Ginny berichtete es. "Da werden wohl viele schallend laut gelacht haben", meinte Bill. Er erinnerte sich an Nicholas Norwich, den sie später alle Nachtweule nannten, weil der voll auf Astronomie stand und Astronomie bis zu den UTZs behalten hatte, zusammen mit Natasha genannt Natty aus Hufflepuff und Muriel Styles aus Ravenclaw. Damals hieß es in Gryffindor, dass die zwei Mädchen nur deshalb den Astro-Kurs weitergemacht hatten, weil sie um Nick, die Nachteule konkurrierten. Tja, als er dann kurz nach Schulabschluss Natty Weaver einen Heiratsantrag gemacht hatte war klar, wer diesen Wettstreit gewonnen hatte.
Später am Nachmittag - alle hatten Bills Lieblingsspeise, ungarisches Rindsgulasch mit extra scharfer Paprikasoße und böhmischen Knödeln genossen, und Bill hatte trotz seiner langen Auszeit doch genug verdrücken können, ohne es wieder auszuwürgen - sprachen Vater und Sohn Weasley über die veränderte Lage. Die Veelastämmigen kehrten in ihre Heimat zurück. Gabrielle lud Bill ein, Weihnachten mit Fleur und der kleinen Victoire nach Frankreich zu kommen. Victoire quiekte aus der Diele: "Ich bin nicht klein, Tante Gabie. Ich habe schon sieben Buchstaben gelernt, kann alle Zahlen von eins bis dreißig und auch schon meinen Namen schreiben."
"Für Tanten, Onkels und Großeltern sind alle Kinder immer klein, die sie mal als Baby gesehen haben, Vicky, nicht ärgern lassen!" rief Bill seiner Tochter zu.
"Du wirst nicht drum herumkommen, dass Heatherbloom und Sweetwater dich noch einmal genau untersuchen, um sicherzustellen, dass du auch wirklich du bist und geheilt wurdest", sagte Arthur Weasley noch.
"Klar, und dann steht das im Heilerherold", grummelte Bill. Doch innerlich war er froh, dass er wieder auf dem Damm war und auch, dass das Heil- und Reinigungsritual der Veelas auch die doch etwas unansehnlichen Narben aus seinem Gesicht geputzt hatte und er somit das Kapitel Greyback endgültig abhaken konnte. Gut, die weißlichen Narben hatten ihn daran erinnert, dass er Hogwarts vor dem ersten Ansturm der Todesser verteidigt hatte. Doch warum sollte er immer wieder davon anfangen, dass er von einem wahnwitzigen Werwolf gebissen worden war?
Was Bill mehr sorgte als ein Artikel über ihn war das Schicksal McBanes. Hatten Chapknock und die anderen Gierfinger von Gringotts den alleine zu dieser verbuddelten Pyramide geschickt? Falls ja konnte es dem da echt passiert sein, dass sich der darin vermutete Geist eines alten Dunkelmagiers auf ihn gestürzt und sich seinen Körper genommen hatte. Das hieß leider, dass McBane von den Ägyptern zur Tötung freigegeben werden mochte, falls er nicht schon auf einer Todesliste stand. Das hieß auch, dass keiner wusste, wen er unter dem Einfluss dieses Dämons aus der Vergangenheit tötete oder schon getötet hatte. ER würde wohl über seinen Vater nach einem neuen Job suchen müssen, bevor die Al-Assuanis meinten, ihn ihrer neuen Herrin zum Geschenk zu machen.
Als Fleur ihm alle Briefe der letzten Wochen zu lesen gab hellte das seine Stimmung etwas auf. Nick Norwich, früher Nachteule genannt, schrieb ihm, dass er seit dem 1. August als Gastprofessor für vergleichende Astronomie an der arkanen Akademie für fortgeschrittene Zauberei in Sydney arbeitete und er und Natty ihm gute Besserung wünschten. Bei der Gelegenheit teilte sein ehemaliger Hauskamerad ihm mit, dass Natty im September sein drittes Kind, eine Tochter, kriegen würde und dass sie dafür schon mit der in Sydney residenten Heilerin, die auch eine exzellente Kräuterhexe war, gesprochen hatte. "Dann muss ich wohl die Expressgebühr für Interkontinentaleulen springen lassen, um dem zu schreiben, dass ich wieder auf den Beinen bin", meinte Bill zu Fleur. Diese erwiderte: "Und, was schreibt er über die Rückstufung von Pluto?"
"Das er und Natty so laut darüber gelacht haben, dass ihr fast das Kleine aus dem Unterbau gefallen wäre. Sie mussten die zuständige Hebamme rufen, um die Kleine wieder sicher zu lagern. Aber wenn sie da ist will er mit mir australischen Eukalyptusschnaps wegbechern. Der wusste noch nicht, was mir passiert ist."
"Klar, ünd disch mit diesem Giftzeug wieder ins Koma saufen", knurrte Fleur."
"Hmm, vielleicht habt ihr ja durch euer Heilslied gemacht, dass ich jetzt viel mehr vertragen kann", scherzte Bill und erstarrte, weil Fleur ihn mit ihren strahlendblauen Augen sehr wütend anfunkelte. "Das probierst dü nischt aus, Bil! fauchte sie. Hatte er es echt übertrieben? Schließlich war Einohr George für derbe Witze zuständig. Er beruhigte sie, dass er sich nicht mit was betrinken würde, was er bisher noch nie probiert hatte. Dann sah er an seiner übernatürlich schönen Frau jenes erwartungsvolle Lächeln, dass er sehr gut kannte. Stimmt, sie hatten einiges nachzuholen, seitdem er zuletzt mehrere Tage am Stück in seinem Heimatland gewesen war. Warum nicht schon diese Nacht?
Julius war noch sehr müde. Das lag nicht daran, dass er und Béatrice die Nacht zum zwölften September wild und stürmisch zugebracht hatten, sondern dass er mit seiner Mutter vor der Bettgehzeit noch lange über den elften September 2001 und dessen Folgen sowohl in der nichtmagischen wie magischen Welt gesprochen hatte. Beinahe wäre Martha Merryweather damals eines der 3000 Opfer des Terroranschlages geworden. Ja, und derjenige machtversessene Zauberer, der sich Lord Vengor genannt hatte, konnte wegen dieser vielen gewaltsamen Todesopfer auf einmal einen brauchbaren Unlichtkristall erbeuten, mit dem er sein finsteres Werk vorangetrieben hatte. In den Staaten diskutierten sie über den Iran und sein mögliches Atomwaffenprogramm, sowie das immer noch betriebene Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba und mit welchen höchst fragwürdigen Mitteln die US-Geheimdienste Informationen erheischten.
Als Julius seine morgentliche Korrespondenz erledigt hatte fühlte er, dass sich eine Veelastämmige näherte, nein keine teilweise Veela, sondern Léto. Er wendete vorsorglich den Zauber Lied des inneren Friedens an, um seinen Geist frei von ihrer betörenden Aura zu halten. Dann klopfte die Großmutter Fleurs auch schon an.
"Ich erfuhr über mehrere Umwege, dass der britische Heilmagiezunftsprecher versucht hat, dich dazu zu bringen, meiner Enkeltochter zu raten, ihren Mann bei seinen Leuten zu lassen", kam Léto ohne Vorwort zur Sache. "Schön, dass du dich nicht dazu hast bereden lassen, ihr womöglich eine amtliche Anweisung zu erteilen. So konnten wir Fleurs Mann und Victoires Vater mit vereinter Kraft von den Auswirkungen der beiden in ihm kämpfenden Zauber heilen. Er wird sich morgen bei Zunftsprecher Greenstam einstellen und sich im Beisein seines Vaters untersuchen lassen. Dann ist diese anstrengende Angelegenheit endlich vorbei."
"Ihr habt einen Ritualzauber angewendet?" fragte Julius. Léto bestätigte es und erwähnte auch, dass dabei auch der in Bill untägig schlummernde Werwutkeim ausgetrieben werden konnte. "Ui, wenn das rauskommt dürft ihr demnächst die unfreiwillig zu Werwölfen gewordenen kurieren", sagte Julius.
"Zum einen wird es sich wohl nicht vermeiden lassen, dass es zumindest den Heilern bekannt wird. Zum anderen werden wir darauf beharren, dass wir Bill nur geholfen haben, weil er mit Fleur verheiratet ist und mit ihr bereits ein Kind hat, für das er sorgen soll. Wir werden nicht den Mondtöchtern in den Pyrenäen Konkurrenz machen. Bei der Gelegenheit, hast du noch einmal was von denen gehört?"
"Seitdem ich denen die drei Ex-Mondgeschwister zugeführt habe nichts. Ich lasse von denen vom Laveau-Institut immer noch nach den Kindern von denen suchen. Aber wenn die an einem Ort mit Fidelius-Zauber sind werden wir die nur finden, wenn der Geheimniswahrer das verrät. Solange werden die drei Ex-Werwölfe wohl weiter im magischen Tiefschlaf bleiben."
"Gut, ich wollte das auch nur wissen, weil es ja darum ging, dass wir Bill auch von dem schlummernden Werwolfkeim befreit haben, wobei ja nicht sicher ist, ob das nur deshalb möglich war, weil er auch von einem anderen Zauber betroffen war."
"Genau das wird die Heilzunft sehr interessieren", meinte Julius dazu. Léto konnte das nicht abstreiten.
Um das ganze amtlich korrekt zu erfassen diktierte sie ihm in die Flotte-Schreibe-Feder, was sie ihrer Meinung nach von Fleur mitzuteilen hatte und schilderte nur, dass mehrere ihrer Blutsverwandten an dem Ritual beteiligt gewesen waren. Danach verließ sie Julius' Büro wieder. Er machte die nötigen Kopien für das Archiv und seine eigenen Akten und für Antoinette Eauvive und die Heilerzunft.
"Tja, und Bill und die anderen Fluchbrecher sind jetzt arbeitslos und dürfen sich in Ägypten nicht mehr sehen lassen, solange Ladonna das Zaubereiministerium beherrscht", dachte Julius über diesen Fall, der ihn nur am Rande berührt hatte.
Er hatte sorgfältig darauf achtgegeben, nicht weiter aufzufallen. So hatte er seine Streitmacht aus Schlangen, Riesenkäfern und Geistern verstärkt, aber vor allem herausgefunden, wo eine Höhle der Anhänger der angeblichen Göttin der Nachtkinder war. Dort wollte er sie treffen, um zu erkunden, ob er wenigstens sie seiner Herrschaft unterwerfen konnte.
Der ungenannte Herrscher hatte drei der gefangenen Vampire einschließlich Mondberg in lichtdichte Leinensäcke gesteckt und in der vergangenen Nacht in dieses Gebirge geflogen und solange in einer anderen Höhle versteckt. Jetzt stand er in der Mitte der Höhle und betrachtete die Wände durch seine Gleitlichtbrille. Er erkannte eingeritzte Wellenlinien und Schriftzeichen, die älter als die seiner eigenen Lebenszeit sein mochten.
Er zog eine kleine Silberschachtel aus seinem Umhang und entnahm ihr einen aus einem Knochen geschnitzten Griffel. Er rammte sich die Spitze in die linke Handfläche. Sein Kristallring erbebte kurz. Dann sah er, wie sein Blut die Spitze benetzte. Nun konnte er den Griffel auf die sichtbare Schrift richten. Mehrere Zeilen leuchteten nun in hellblauem Licht. Eine jedoch glühte blutrot, und die Zeichen verschwammen zur Unleserlichkeit. Laut den gelesenen Unterlagen hieß das, dass wer diese Schrift laut las würde was da stand geschehen lassen. So ging er genau da hin, wo die nun rot verschmierten Leuchtflecken glommen. Über diese ritzte er mit dem scheinbar jeden Stein und jede andere Oberfläche ritzenden Griffel die Zeichen für schlafendes Unheil. Sofort erloschen die roten Flecken und machten unter den grünen Schriftzeichen blaue Schrift lesbar:
Wenn Feindesblut und Feindeswut von Menschenbrut bedrohen Freiheit, Hab und Gut,
so soll der Feinde Blut entbrennen und ihre Seel' vom Leibe trennen.
Lebensfeuer, Lebenssaft, bist du mein Feind sei fortgerafft!
"Mit dem Spruch könnt ihr mich schon mal nicht mehr verderben", dachte der ungenannte Herrscher. Sein Gegenzauber hielt nun mindestens einen halben Tag vor. Dann las er noch die anderen Schriften, die die Geschichte des einstigen Vampirclans dieser Gegend erzählten und die Nachtkindnamen der Gründereltern verriet. Dann lauschte er. Jemand kam, leise zwar aber für die in seinen Ohren steckenden Gleitschall-Ohrenstöpsel noch laut genug, um es ihm mitzuteilen. Außerdem begann sein Ring sanft zu pochen.
"Chi sei tu!!" schrillte eine erboste Männerstimme und ein schnüffelndes Geräusch erklang. Der Ungenannte Herrscher blickte sich um und sah zwei ältere Männer mit auffallend heller Haut und tiefliegenden Augen, die ihn sehr streng anblickten. Er fühlte, dass ihr Blick in seinen Geist vorstoßen wollte. Doch sein Kristallring hielt die dunkle Kraft fein zitternd von ihm fern. "Chi sei tu?!" Wiederholte die Stimme. McBane hatte diese Sprache wohl nicht erlernt. Doch der dunkle Pharao war sich sicher, dass die beiden Fremden wissen wollten, wer er war. So sagte er auf Englisch, dass er der neue Herrscher im Reich des Nils war. Die Sprache konnten die beiden wohl. Sie lachten laut. Doch dann streckte einer die Hand aus und erzeugte ein mondlichtfarbenes Blitzgewitter. Da wusste der ungenannte Herrscher, dass er wohl gegen diese Wesen gefeit war. "Mich schützt die Macht von über hundert Lebensopfern. Mein Blut gehört mir allein", sagte er. "Ich will mit eurer Herrin sprechen, die sich für eine Göttin hält."
"Dolceluna!" rief einer der beiden. Daraufhin betrat eine schlanke Frau mit hellen Haaren, nicht so hell wie ihr Gesichtin einem ganz weißen Kleid die Höhle. Am Saum des Kleides prangten Halbmondsymbole. Sie sah den Fremden und sog Luft in ihre Nase. Sie sagte was zu ihren männlichen Gefährten. Die nickten. "Wieso riechst du nach nichts und wieso strahlst du diese widerliche Kraft von Abwehr und Tod aus?" fragte der eine auf Englisch. Der ungenannte Herrscher sah die Frau an, die die Frage gestellt hatte und sagte: "Ich bin der wiedergekehrte Herr des vereinten Reiches des Nils. Ich bin gesegnet mit der Macht des Unlichtkristalls und unergründlich für empfindliche Nasen, weil ich das will. Bist du hier die Sprecherin?" Die Frau, die wohl Dolceluna hieß sah ihren Begleiter an, der die Frage ins Italienische übersetzte. Dann gab sie die Antwort. "Unsere leitende Schwester traut dir nicht. Doch sie bejaht, dass sie hier die Statthalterin ist", übersetzte ihr Dolmetscher. Dann erwähnte er, was ihn hergeführt hatte und woher er wusste, dass hier ein Treffpunkt der Verehrer der neuen Göttin sei. "Unsere Schwester verabscheut die Geisterwesen, weil sie so trübsinnig und unverwüstlich blutleer sind", knurrte der zweite nach der gefauchten Bemerkung der Sprecherin. Dann sah sie den Ungenannten an und versuchte, ihn mit ihrem magischen Blick zu unterwerfen. Das gelang ihr nicht. Dennoch meinte der Besucher, dass sein Ring immer stärker und schneller gepocht hatte. "Dich umschließt wirklich der hundertfache Tod wie den Knecht des entthronten Schöpfers. Doch weil dieser entthront wurde kannst auch du entthront werden, wenn dein Anliegenund deine Gabe ihre Missbilligung finden. Wo sind die, die du ihr darbringen willst?" Jetzt sprach sie Englisch, als habe sie nie eine andere Sprache gesprochen.
"Ich werde sie hereinholen", sagte der ungenannte Herrscher. Dann zog er behutsam das Geisterzepter hervor, das im violetten Licht glomm. Er schwenkte es in Richtung Höhleneingang. Dann tauchten sechs durchsichtige Gestalten auf, die je zu zweit einen der Gefangenen in ihren Säcken hereinbrachten. Die drei Diener der Blutgöttin blickten auf die nachtschwarzen Säcke. Der ungenannte Herrscher ließ diese von den Geistern ablegen und öffnete die Knoten mit seinem Zauberstab. Die Gefangenen regten sich nicht. Dolceluna ging sogleich zu ihnen hin. "Wie hast du sie in diesen Schlaf gezwungen. Das kann kein Mensch", knurrte sie auf Englisch und funkelte den rotblütigen Besucher an. Er grinste jedoch überlegen. Dann sah er, wie Dolceluna sich straffte und ihre Hände über den hellhaarigen Mondberg führte. Die Hände der Vampirin glühten rot. Sie berührte den Schlafenden. Dieser zuckte unter einem roten Blitz zusammen. Dann war er wach. Er sah sich um und erkannte, dass er in Feindesland war. Er erkannte den ungenannten Herrscher und verzog sein Gesicht. "Fluch über dich, rotblütiger Unrat", zischte er.
"Ich habe dich hergebracht, damit du und die zwei anderen mit denen hier redet, ob es nicht besser ist, euch hinter mir zu vereinen, statt einer nichtgestaltlichen Göttin zu folgen", sagte der ungenannte Herrscher. Mondberg schnaubte: "Stimmt, ob sie eine Göttin ist muss sie erst beweisen."
Jetzt hatte Dolceluna auch die beiden anderen Blutsauger aufgeweckt, wie immer sie dies anstellte. Diese erkannten sogleich, wo sie waren und wollten flüchten. Doch Dolceluna spreizte nur ihre Finger, und die beiden Aufgeweckten wurden von blutroten Lichtstrahlen getroffen und in der Bewegung angehalten. Sie starrten die andere verstört an. Dann sagte die leitende Schwester: "Die Göttin ist erheitert, dass du sie für nicht vorhanden hältst und dankt für dein Gastgeschenk, Fremder." Dann entstanden blutrote Funken in der Luft, die wild aufeinander zuschwirrten und miteinander verschmolzen. Eine Kugel aus Licht entstand, die immer größer wurde, mehr als drei Manneslängen. Die beiden gebannten Vampire von der Liga freier Nachtkinder blickten bange auf das was geschah. Der ungenannte Herrscher fühlte, dass sein Kristallring sich erwärmte. Er wechselwirkte offenbar mit einer anderen dunklen Macht, die immer dichter und stärker wirkte. Aus der Lichtkugel wurde eine nackte Frau mit breitem Mund und langen Eckzähnen. Ihr Unterbauch war gerundet, als trüge sie gerade ein Kind aus. Ja, der finstere Pharao konnte ganz sachte Ausbeulungen erkennen, als wenn sich das Ungeborene Bewegte. Ihm fielen wieder die Berichte ein, denen nach die angebliche Göttin den Urschöpfer, Gott Seth selbst, in ihren Schoß hineingelockt und dort eingeschlossen habe, um ihn für immer zu verbergen und an seiner Stelle über alle Nachtgeborenen zu herrschen. Doch am Ende war es nur eine Täuschung, ein Gepränge der Bruderschaft, die sich für die Jüngerinnen und Jünger einer solchen Gottheit hielten.
Als die in mittlerer Schwangerschaft erscheinende Frauengestalt vollständig Form gewonnen hatte hörte er auch ihre Stimme, weithin hallend und tief wie eine große Bronzeglocke: "Ich bin Gooriaimiria, die große Mutter aller Nachtgeborenen, Göttin der Nacht. Du wolltest einen Beweis meiner Wahrhaftigkeit? Sieh dieses, mein Erscheinen als diesen Beweis an! Danke für Deine Gastgeschenke an mich. Denn mir war immer schon wichtig, alle Nachtkinder der Erde zusammenzubringen und unter meiner mütterlichen Führung zu einen." Mit diesen Worten langte die riesenhafte rote Geistererscheinung mit ihren mehr als männerkopf großen Händen nach unten und ergriff die beiden erstarrten. Diese erwachten aus dem magischen Bann und erkannten, was ihnen widerfahren würde. Sie strampelten und schlugen um sich. Doch es war zu spät für sie. Der ungenannte Herrscher wollte schon Einhalt gebieten. Doch dann überwog die Neugier, was die angebliche Göttin ihm zeigen wollte.
Die rote Riesin hob die zwei wild um sich tretenden und schlagenden vor ihren breiten Mund und stopfte einen nach dem anderen hinein. Er hörte, wie ihre Stimmen in einem Gewirr von verschwimmenden Widerhalllauten vergingen. Dann sah er, dass ihre Körper zu Eis erstarrt zwischen den Beinen der Leuchterscheinung herausrutschten und klirrend am Boden zerschellten. Offenbar herrschte im Inneren der Erscheinung die tiefste Kälte überhaupt. Ihn fröstelte es bei dem Gedanken, dass sie ihn ebenso vertilgen konnte. Dann sah er für einige Atemzüge die geisterhaft verschwommenen Gesichter der beiden gerade verschlungenen zwischen Bauch und Brustkorb der Erscheinung, bevor sie eins mit der roten Erscheinung wurden. "Sei bedankt für diese beiden ungebärdigen Seelen. Den da, der sich als Fürsprecher der Akasha-Kinder hält, nehme ich auch noch in mich auf, um das Band zu seinem Orden zu knüpfen, um meine würdige Vorgängerin endlich zu beerben und die Nachtkinder des weißen und schwarzen Erdteils endlich in machtvoller Eintracht zusammenzubringen."
"Nein, Gnade!" rief Mondberg, als er sah, wie die rote Erscheinung auf ihn zuschwebte. "Ich erkenne dich als Göttin aller Nachtkinder an, ja dass du wahr bist und es so recht ist, dass wir Kinder Akashas dir folgen. Es ist nicht nötig, mich zu entkörpern."
"Doch, ist es. Denn ich will wissen, was du alles weißt, und zwar immer und nicht nur, wenn du es mir verraten willst", sagte die rote Riesin und schnappte mit einer blitzschnellen Bewegung beider Hände nach Mondberg. Dieser hieb noch mehrmals um sich. Doch seine Schläge trafen auf nachgiebigen aber unzerstörbaren Widerstand. Dann geriet auch er in den Schlund der übergroßen roten Geistererscheinung. Er stieß noch einen langen Schrei aus, der wie der der anderen in einem Wirrwarr von Widerhalltönen verklang.
Der ungenannte Herrscher spürte nun, dass die zwischen ihm und den Gefangenen geknüpften Bande zu starken Tauen wurden, die ihn immer weiter auf die andere zuzogen. Dann sagte sie: "Nun weiß ich , dass du sie unterworfen hast und dass du noch mehr Gefangene dein Eigen nennst. Du suchst das Bündnis mit mir? So lasse dich von Dolceluna und ihrem Gefährten Fortesangre zu ihrem gemeinsamen Sohn machen, schwöre mir den Treueid und gebiete dann über die Rotblüter und die Akasha-Kinder Afrikas, als mein Statthalter."
"Und wenn ich dies ablehne?" fragte er. "Denn ich will Herrscher unter Sonne und Mond sein, bei Nacht und bei Tage."
"Wer mit mir ein Bündnis eingeht muss der Nacht geboren sein und das Leben der Nachtkinder führen. Willst du mein Angebot zurückweisen, so ergeht es dir wie diesen dreien, die du mir gebracht hast und deren Wissen ich nun in mir hüte."
"Ich kann dir die anderen noch bringen. Doch dazu muss ich weiterhin bei Tag und Nacht unterwegs sein können. Wenn du mir abverlangst, ich soll deiner Gefolgschaft beitreten, so werde ich die, die ich noch habe, unter meine eigene Herrschaft stellen und mit ihrem Wissen, dass sie mir verraten werden, deinen Vorstoß auf meinen Heimaterdteil vereiteln, Göttererscheinung", sagte der ungenannte Herrscher. Er meinte was er sagte. Doch er erkannte auch, dass die andere meinte, was sie sagte. Sie deutete auf Dolceluna und einen ihrer Gefährten. Der ungenannte winkte schnell die sechs Geister zu sich und ließ sie einen schützenden Ring um ihn bilden. Konnte er dieses Unweib da mit dem Zepter bannen? Wenn nicht würde er den letzten Trumpf ausspielen, den er noch hatte.
Dolceluna und ihr Gefährte sprangen vor und wurden von drei Geistern mit vereinter Kraft zurückgeworfen. Als dann noch der zweite Gefährte Dolcelunas vorsprang wurde er ebenso fortgeschleudert. Dann war die rote Erscheinung heran und teilte einen lautlosen, aber wuchtigen Hieb aus. Die vor ihm schwebenden Geister wurden laut aufheulend davongeschleudert und durch die feste Wand gedrückt. In der Zeit rief der gerade wieder auf die Beine kommende Nachtgeborene etwas aus, von dem er wohl hoffte, dass es wirkte. Doch nichts geschah, außer dass die rote Riesin ihm mit einer wütenden Handbewegung Einhalt gebot. "Euer Feindestilgezauber soll ihn da nicht töten, zumal ich fürchte, dass er einfachen Tötungsflüchen widerstehen kann!" rief sie. Dann sei es eben sein Schicksal, in meinem Leib zu zerrinnen."
Die Unheimliche holte aus, um über die nun in ihren Weg stoßenden Geister hinweg nach dem Wiederverkörperten zu langen. Dieser wollte sich nicht auf den Unlichtkristall verlassen. Er rief: "Lass die Sonne raus!" Mit diesen Worten schnellte aus seinem Rucksack eine quaffelgroße goldene Kugel, die im raschen Steigflug erst orangerot und dann gleißend gelb erstrahlte und bis zur zehn Meter hohen Höhlendecke aufstieg. Dolceluna und ihre beiden Gefährten schrien auf und hielten sich die Hände vor die Gesichter. Es knisterte leise. Die rote Riesin flimmerte. Offenbar machte ihr das gesammelte Sonnenlicht auch zu schaffen. Dann sah der ungenannte Herrscher, wie die drei anderen zu qualmen anfingen. Die rote Hand, die ihn ergreifen wollte, verschwamm zu einem nebelhaften Gebilde. Er fühlte das Pochen des Unlichtkristalls, weil Ausläufer des Nebels ihn berührten. Dann verschwamm auch die ganze Gestalt mehr und mehr. Die drei noch lebenden Blutsauger schrien im gesammelten Sonnenlicht, das auf diesen Raum heller als taghell wirkte. Es war ja laut Cane Swordgrinder für eine wesentlich größere Fläche als diese hier ausgelegt. Das machte den dreien nun richtig zu schaffen. Sie verloren die Besinnung. Damit verging auch die aufgebotene Willenskraft, um die Erscheinung der Nachtgöttin zu beschwören. Sie waberte harmlos wie von innen angeleuchteter Nebel. Dann zerfloss sie zu jenen roten Funken, aus denen sie hervorgetreten war. Nur dass die Funken nun im grellen Licht der künstlichen Sonne immer heller wurden und leise zerknisterten.
Noch eine Minute ließ er die magische Kunstsonne erstrahlen, wobei er sich hütete, unmittelbar hineinzusehen. Dann befahl er ihr, wieder zu erlöschen. Kaum war die Kugel wieder in seinem Rucksack gelandet ließ er sich von den vier Geistern, die noch da waren ergreifen und durch die Höhle hinaustragen, bis er, nachdem er Blutfriedenszauber auf die roten Lichtvorhänge geschleudert hatte, auf dem Berghang anlangte, wo sein Flugteppich lag. Er sprang auf ihn über und befahl ihm, ihn schnellstmöglich fortzubringen. Dabei hörte er die erboste Stimme jener, deren Erscheinung er gerade vertrieben hatte: "Über deine Bande zu ihnen fühle ich dich. Du hast mein Angebot abgelehnt und meine drei Getreuen dem qualvollen Tod überantwortet. So sei dir deines eigenen Endes gewiss, wenn meine Leute dich erblicken. Deine fiesen Sonnenlichtzauber helfen nicht bei allen. Dies lass dir gesagt sein. Die drei konntest du damit treffen, weil sie in ihrer eigenen Höhle auf die sonstige Schutzhaut verzichten. Doch außerhalb jeder Höhle tragen meine Diener solche Häute und sind gefeit auch gegen die natürliche Sonne. Einer nicht mehr fernen Nacht werden meine treuen Priesterinnen dich ergreifen und entweder in einem meiner Tempel opfern oder in meinem Namen dein rotes Blut trinken und damit dein Leben in sich aufnehmen. Es sei denn, du leistest abbitte und bekennst dich zu mir als deiner Herrin und Göttin und erfährst die schmerzvolle wie süße Wiedergeburt als Sohn der Nacht."
"Auch du hast mächtige Feinde, falsche Göttin", dachte der ungenannte Herrscher, der sicher war, dass sie ihn genauso hörte, weil die von ihm geknüpfte Verbindung zu den Gefangenen Vampiren bestand. "Denke nicht einmal daran, sie gegen mich aufzuhetzen, obwohl das sowieso schon geschehen ist. Auch die wollen Gegenleistungen von dir. Bekommen sie die nicht, such dir aus, von welchem meiner Feinde oder von mir selbst du getötet oder dauerhaft unterworfen werden willst!" Dann schwieg die Göttin der Nachtkinder. Er hatte ihre Schwäche gefunden, dass zwei gesunde Blutsauger sie rufen mussten, aber auch erfahren, wie leicht er selbst ihr Opfer werden konnte, wenn sie in jener roten Riesengestalt erschien. Am Ende konnte die von hundert Anhängern gerufen werden und als Superriesin über ihn herfallen. Keine beruhigenden Aussichten. So galt es, sie sich dauerhaft vom Hals zu halten. Sein männlicher Stolz begehrte auf. Wieso konnte er, der mächtigste Herrscher der Welt, dieses Weibervolk nicht unterwerfen, wie es ihm gebührte? Doch er wusste aus seinem ersten Leben auch, dass magische Macht jederzeit von etwas stärkerem übertroffen werden konnte, auch seine eigene Macht. So plante er nun, alles andere bei Sonnenlicht durchzuführen, erst die Machtübernahme in der Zaubererwelt, dann die Vernichtung der Schattendämonin und die Abstrafung der falschen Göttin. Ja, sorum hatte er wohl bessere Aussichten auf Erfolg.
Das neue Wissen behagte ihr. Endlich kannte sie die wichtigsten Namen der Akashiten und kannte deren Hauptversammlungsorte. Ja, und sie hatte die Namen von weiteren Zellen aus widersetzlichen Nachtkindern. Dieses Wissen wollte sie ausnutzen.
"Dieser Kerl, wir haben ihn unterschätzt. Er kann und kennt doch schon neuere Zauber und Zaubergegenstände", gedankenschnaubte die Göttin. "Findet ihn mir und verlangt ihm ab, für welchen meiner Vorschläge er sich entscheidet! Dann ruft mich!" gebot die in ihrem Mitternachtsstein eingeschlossene. Ihre Gefolgsleute bestätigten den Erhalt dieses Befehls. So begann eine lautlose, weltweite Suche nach jenem, der sich als dunkler Pharao, als wiedergekehrter vergessener König Ägyptens bezeichnet hatte.
Feriz Al-Assuani hatte sich einen seiner Reservesessel in das Büro des ehemaligen Zweigstellenleiters von Gringotts stellen lassen. Von hier aus dirigierte er persönlich die Bemühungen, die durch einen grünlich-silbernen Lichtvorhang verschlossenen Verliese zu öffnen, ohne die darin eingelagerten Wertgüter zu vernichten. Denn als seine Leute das offizielle Ministeriumsverlies auf magische Weise zu öffnen versuchten, auch indem sie die Tür mit teilweise Verschwindezaubern zerlegt hatten, war alles dahinterliegende in einem grünen Lichtstrudel und wildem Erdbeben im Boden versunken und dann, als der Strudel sich schloss, mit lautem Knirschen und Krachen vernichtet worden. Alles Gold, Silber, Bronze und was sonst noch an nicht ganz so wichtigen Dingen im Verlies war ging somit unrettbar verloren. Das durften sie nicht noch einmal zulassen. Doch die Lichtvorhänge, eine nach ersten thaumaturgischen Prüfungen gelungene Kombination aus Mond- und Erdzaubern, waren mit den zunächst verwendeten Zaubern nicht zu zerstören. Am Ende mochten nur Kobolde diese koboldischen Barrieren aufheben. Doch soweit wollte Al-Assuani noch nicht gehen. Diese diebischen, gierigen Burschen sollten nicht doch noch triumphieren.
"Haben wir noch welche von den Geheimbündlern erwischt?" fragte Al-Assuani. Einer seiner Außenbeobachter verneinte das. "Die haben sich nach unseren ersten Erfolgen zurückgezogen, womöglich in ihren geheimen Schlupfwinkel, den nur Kobolde ortbar machen können."
"Gut, weiter aufpassen und weiter die Schmiedeeisensperren ausbringen und vor allem zusehen, dass die Tore weit genug offenbleiben. Die zittern mir zu sehr", sagte Feriz über seine kleine Schallverpflanzungsdose.
"Feriz, bist du wieder im Sprechzimmer des Gringotts-Leiters?" empfing er die Gedankenstimme seines Bruders Karim. Er bestätigte es auf dieselbe Weise. "Die Königin hat mir mitgeteilt, das heute noch eine starke Zauberkraftentfaltung stattfindet. Wir sollen uns keine Sorgen machen. Kommst du mit der Öffnung der Verliese voran?"
"Da wir nicht noch einen grünen Verschlingungsstrudel auslösen dürfen müssen wir vorsichtiger sein. Nein, bisher keine Möglichkeit, Verschluss und Vernichtungszauber voneinander zu entkoppeln", berichtete Feriz.
"Ich vertraue auf die Königin, dass sie den Weg erfährt, auf dem wir auch ohne die Hände lebender Kobolde an unsere Gold- und Silbervorräte gelangen können", gedankensprach Karim. Natürlich konnte Feriz dem nicht widersprechen.
Der neue Leitwächter Ägyptens hatte die vom Zaubereiministerium organisierte Ausweisung aller Kobolde mit großer Verärgerung mitverfolgt. Gleichzeitig hatte er sämtliche Angehörigen des Bundes in die geheime Niederlassung geholt und allen außer zehn seiner wichtigen Getreuen befohlen, in den Betten der Überdauerung zu liegen, ähnlichen Schlafvorrichtungen wie beim verstorbenen Vater aller Augen, die zumindest über einen Zeitraum von sechs Monaten pro Durchgang benutzt werden konnten. Er wollte den Al-Assuanis vorgaukeln, dass sämtliche Mitglieder des Bundes das Land verlassen hatten um dann, wenn die sich sicher fühlten, ein neues Kundschafternetz auszuwerfen und die heimliche Rückkehr aller Kobolde vorzubereiten, die dann unter Anleitung des hiesigen Leitwächters die alten Vorrechte und Vermögenswerte wiederherstellen sollten.
Doch etwas trübte diese Vorstellung. Zwei Horcher waren von ihrem Einsatz nicht zurückgekehrt, Peckstock und Woodrunk. Sie sollten den geheimen Versammlungsort der Al-Assuanis auskundschaften, um die von Ladonna Montefiori geknechteten Brüder auf einen Streich festnehmen und dieser dreiblütigen Dirne entrissen zu werden. Waren die beiden etwa ertappt worden? Tot waren sie nicht, was bei einer Festnahme und versuchter Befragung die Folge wäre. Doch sie meldeten sich auch nicht mehr. Sicher, sie hatten Nachrichtenstille vereinbart, solange sie im Umfeld der Al-Assuanis forschten. Doch so lange zu schweigen war ebenso verdächtig.
"alle anderen Mitbrüder liegen in den Halbjahreskammern, Leitwächter Buttrock", sagte Hüter der Kammern Tinlock. "War nicht einfach, in jede an die zwanzig Brüder reinzulegen und das Gleichgewicht von Mond und Erde auf so viele gleichzeitig einzupendeln, dass die bergenden Schwingungen sie zuverlässig und gesundheitswahrend in den langen Schlaf versenkt haben." Dann fragte er noch, ob in einem halben Jahr auch was gegen den Mörder von Deeplook getan werden konnte, wenn der sich ebenso sicher fühlte wie die Al-Assuanis.
"So will es das Gesetz der Bruderschaft, dass dem zu ehrenden Vater gedient ist, wenn der ehrlose Mörder bestraft wird. Doch im Augenblick kommen wir nicht nahe genug an ihn heran. Deshalb hat der eilige Notfallrat der Bruderschaft beschlossen, diesen Mörder gegen die Al-Assuanis und ihre Königin auszuspielen. Ob wir ihn töten oder er von denen getötet wird bleibt am Ende gleich, weil der Mörder des Vaters aller Augen seine Strafe erhält. Erwischen wir ihn jedoch vorher wird er sich wünschen, dass ihn die Al-Assuanis bekommen hätten, bei unserer allgebärenden Urmutter und dem ersten aller Väter", sagte Buttrock. Tinlock verneigte sich, um seinen Respekt vor der erwähnten Allgebärerin, der Erde, zu erweisen.
Unvermittelt blökten die Warnhörner los. Dann schepperte noch die Glocke des Überfalls. Alle die Feindeswut in gegen die Feinde selbst wirkende Angriffslust wandelnden Steine erwachten zu ihrem tödlichen Eigenleben. "Er weiß wo unsere Niederlassung ist und greift an. Alle Abwehr in Stellung! Ehre der Bruderschaft, Tod ihren Feinden!" rief Buttrock. Damit löste er nun auch die weiteren Abwehrmittel aus, die nach dem sowieso schon vollzogenen Schließen aller Tore und den unsichtbaren Angriffswutstrahlen auch noch das Feuer von hundert Drachen auf erfasste Ziele schleudern sollten oder sich auf festen Boden wagende Feinde von der Erde verschlingen und vertilgen zu lassen. Doch würde das reichen? Die Hauptstelle in Schottland war trotzdem gestürmt und Deeplook entführt worden.
Keine Verbindung zum Feind. Die Angriffsumkehrer finden keinen gegen uns gerichteten Geist", sagte 100-Augen-Lenker knoblook, der die fünfzig fest verbauten Außenspürvorrichtungen überwachte. Dann zuckte er zusammen. "Durchbruch bei Stockwerk sieben, Abschnitt dreiviertelmittag. Das ist ganz in der Nähe.""
"Form des Durchbruches?" fragte Buttrock. "Kristallschwund. Jemand hat den Kristallschwundzauber in einem Stein gebündelt und damit hundert ... Noch ein Durchbruch auf demselben Stockwerk Abschnitt ein Viertel Abend!" rief Knoblook. "Nein, das kann es nicht geben. Ausfall des Allsichtnetzes. Jemand hat unsere Bild- und Nachrichtenknoten überladen. Das ist unmöglich!" rief er. Dann stellte nicht nur er fest, was noch alles möglich war.
Buttrock dachte an einen Verrat, was unmöglich war. Nur Augen und Ohren wussten, wie die Überwachungsnetze in den Niederlassungen wirkten und wo ein Schädiger ansetzen musste, um sie zu unterbrechen. Dann sah er, dass auch die Abwehr apparierender Zauberer unterbrochen worden sein musste. Denn aus leerer Luft heraus erschien mit einem leisen Plopp eine Erscheinung, von der Buttrock gehört und gelesen hatte. Daher wusste er, dass es nun soweit war. Nicht ein Feind, sondern die Feindin hatte ihn gefunden. Doch das würde sie keine drei Sekunden überleben.
Die Hexe im schwarzen Lederkostüm, die ihr Haar unter einem Lederhelm verborgen hatte, zielte mit ihrer linken Hand auf Knoblook. Dieser sah die rubinroten Lichtbündel noch auf sich zurasen, bevor sie ihn trafen und in rotem Licht verglühen ließen. Eigentlich musste doch jetzt der Zorn der Erde auf die Feindin losbrechen, dachte Buttrock. Doch nichts geschah. Warum das so war sah er nun auch. Die Feindin stand nicht auf dem Boden, sondern schwebte mindestens eine Handbreit in der Luft. Er griff nach seinem silbernen Kurzschwert, in dem der Zauber Feindesfresser eingewirkt war. Damit würde er die andere töten. Als er dies tat überflutete ihn ein wildes Dröhnen, das aus allen Richtungen kam. Er sah die glitzernde Spule, die aus der Handtasche der Feindin ragte. Dann verlor er die Besinnung.
Nicht nur Buttrock erlag der auf Koboldgehirne eingestimmten Magnetfeldwechselschwingung, die Ladonna von ihren Feuerrosenknechten erhalten hatte und gegen die sie selbst mit einem unsichtbaren Stirnband abgesichert war. Auch alle anderen noch im Stützpunkt wirkenden Bundesmitglieder fielen in Ohnmacht. Buttrock wollte sie lebendig. Weil er das Schwert gezogen hatte wusste sie, wer es war. So konnte sie ihn gleich mit sich nehmen. Doch vorher legte sie noch eine kleine goldene Kugel auf den Boden, die mit ihrem magischen Ring verbunden war. Fehlte die Verbindung wurde sie ihr furioses Vernichtungswerk vollziehen, gegen das alle Märchen von der Hölle ein Witz waren, so dachte Ladonna.
Sie hob Buttrocks besinnungslosen Körper hoch, während sie mit ihren hochempfindlichen Ohren das Zischen geflüsterter Anweisungen von draußen hörte. Gerade als die Tür auf Zuruf zweier Sicherheitskobolde aufflog und drei Vollstrecker mit gespannten Armbrüsten hereinstürmten disapparierte Ladonna mit Buttrock. Die drei Vollstrecker suchten nach der Gegnerin, die sie nur eine halbe Sekunde gesehen hatten. Dann sahen sie die goldene Kugel, die nun immer heller glomm. "Raus hier!" rief der Anführer, als er sah, dass sonst niemand mehr im Überwachungsraum war. Die drei rannten durch die Tür und warfen sie zu. Nicht einmal Drachenfeuer mochte die aus gehärtetem Silber geschmiedete und mit Feuerabwehrzaubern belegte Tür öffnen.
Dann brach weißblaues Feuer aus der goldenen Kugel hervor, prallte gegen die Wände und die Tür und fand in den darin eingewirkten Zaubern eine sehr willkommene Nahrung. Das weißblaue Feuer überhitzte die Wände, schmolz diese und drückte die so zerfließende Masse in alle Richtungen auseinander. Auch die Tür, eigentlich gegen einfaches Drachenfeuer gepanzert, zerschellte und zerschmolz unter der Macht von Ladonnas eigener Feuerzauberei, die eine tückische Verschmelzung aus Schmelz- und Dunkelfeuer war.
Innerhalb weniger Sekunden dehnte sich die weißblaue Vernichtungswut über die halbe Niederlassung aus, fraß und schmolz alles, was ihr dabei im Weg war. Auch die Halbjahreskammern konnten der entfesselten Zerstörungskraft nicht entgegenwirken. Die darin überdauernden Kobolde fühlten es nicht einmal, dass sie wie Fett auf heißer Herdplatte vergingen und ihre Lebens- und Zauberkraft der weiter und weiter wütenden Wolke weißblauer Flammen überließen. Je weiter sie um sich griff, desto schneller dehnte sie sich aus. Je mehr Magie und Lebenskraft sie dabei schluckte, desto schneller wurde ihre Ausdehnung. So endete der geheime Stützpunkt der ägyptischen Augen und Ohren in einer gewaltigen Explosion, deren Auswirkungen weit über die Landesgrenzen Ägyptens zu messen waren. Außerdem zerstörte sie wegen der Verflechtungen mit Erdzaubern alle Nachrichtenstränge, die sie mit anderen Niederlassungen verband. Die dort enthaltenen Glocken schepperten noch einmal ganz laut. Dann zersprangen diese unter der Wucht der übersteigerten Erdmagie. Ab da hatte vorerst keiner der geheimen Stützpunkte mehr Verbindung mit anderen Stellen. Dies war nach dem Fall Herzstoß die nächste, ungleich schrecklichere Niederlage für den einst so allgegenwärtigen und allmächtigen Bund der zehntausend Augen und Ohren.
Buttrock erwachte. Um seinen Kopf lag ein silbern glitzernder Metallstreifen, der erst sanft und dann immer wilder pochte. Ladonna Montefiori sah es genau und wartete in Ruhe, bis der Streifen kurz erzitterte und dann ganz ruhig und fest um den Kopf des gefangenen Leitwächters anlag. Dieser gewahrte auch, dass er nackt und offenbar mit Plastikstricken gefesselt war. "Du haufen Zwerginnendreck", spie er seiner Überwinderin auf Koboldogack entgegen. Diese grinste ihn nur überlegen an. "Du bist der Leitwächter des kleinen, nicht mehr vorhandenen Stützpunktes. Mit dir werde ich mir mehr Zeit nehmen als mit deinen Knechten", sagte sie. Dann ließ sie den Stirnreif mit den Worten der Loslösung und Heimkehr zu sich hinfliegen. Buttrock wollte gerade ansetzen, sich selbst dem Erstickungstod preiszugeben, als Ladonna ihn mit ihrem Verwandlungszauber traf. Nach nur vier Sekunden lag an seiner Stelle eine gelbe Rose auf der fingerdicken Wärmeschutzmatte. "Soso, eine gelbe Rose, das Zeichen für gebrochene Treue", dachte Ladonna amüsiert. Dann nahm sie denVerwandelten behutsam und trug ihn in ihren Garten. Sie pflanzte ihn nicht in ihr Beet. Dort durften nur verdiente Feindinnen und wichtige Informantinnen der Menschenwelt zusammenstehen. Sie grub Buttrock in eine Handvoll Erde in einem Topf ein und goss ihn mit einer Mischung aus wasser und ihrem eigenen Blut. Dabei beschwor sie die Verbindung zwischen ihrem und seinem Leben. Als dies vollzogen war verhörte sie ihn. Sie wollte nun wissen, wo die ihm bekannten Stützpunkte waren und wer die dortigen Leitwächter waren. So würde sie selbst oder über ihre Gefolgsleute nach und nach das unsichtbare Netz von Überwachung und Intrigen in der Koboldwelt zerreißen und restlos vernichten, wie lange dies auch dauern mochte.
Sandsturmfänger war der jüngste seiner kleinen Familiie, die aus noch drei älteren Brüdern bestand, von denen einer als verschollen galt, einer dem Dschinnenmeister Hamit in die Hände gefallen war und einer angeblich oder wahrhaftig in die Hände raffgieriger Kobolde gelangt war. Jedenfalls hatte sein Schöpfer, der Perser Mehdi Isfahani, ihn mit zusätzlichen Eigenschaften ausgestattet.
Der schnelle Flugteppich, der auf Gedankenbefehl sich und alle auf ihm beförderten Menschen und Güter unsichtbar und für Gedankenspürzauber unauffindbar machte eilte unsichtbar auf jenen Bereich zu, der von mächtigen Meldeobelisken umfriedet wurde. Wer in den von ihnen gesicherten Bereich eindrang wurde nicht nur gemeldet, sondern für die herbeigerufenen Hescher der Sandfalken klar als Ziel bestimmt, sofern der Eindringling es wagte, zu weit in den gefährlichen Bereich vorzustoßen.
Auf dem schnellen Teppich Sandsturmfänger ritt ein einzelner Zauberer in der traditionellen Gewandung der Brüder des blauen Morgensternes. Es war Jophiel Bensalom, der einzige noch für die Bruderschaft tätige Sohn Ashtarias. Er sollte im Schutz seines besonderen Talismans und des von Mehdi Isfahani geliehenen Teppichs auskundschaften, ob es für ihn und andere Kinder Ashtarias einen Weg gab, an die in den Boden eingegrabene, auf dem Kopf stehende Pyramide heranzukommen und zu erkunden, ob man den wiedergekehrten finsteren Pharao aufhalten konnte.
Jophiel wusste, dass er nicht nur gegen die dunkle Magie der umgekehrten Pyramide, sondern auch gegen die Krallen der Sandfalken, die gefürchtete Jagd- und Vollstreckungstruppe des ägyptischen Zaubereiministeriums, anzutreten hatte. Es galt, eine offene Auseinandersetzung mit den Sandfalken zu vermeiden.
Sandsturmfänger glitt fast völlig lautlos über die für Menschenaugen unsichtbare Grenze, die vom ägyptischen Zaubereiministerium gesetzt worden war. Sogleich fühlte der Bruder des blauen Morgensterns, wie sein Erbstück vibrierte. Der Schutz vor Spürzaubern wirkte bereits. Wenige Atemzüge später gesellte sich zu dem Vibrieren ein ständig stärker werdendes Ruckeln. Zugleich sah Jophiel um sich herum eine blau-goldene Aura. Das war jene, die ihn vor feindlicher Entdeckung schützte. Eigentlich musste er festen Boden unter den Füßen haben, um sie mit voller Kraft wirken zu lassen. Doch es musste auch so gehen. Doch nun fühlte er, wie heißkalte Schauer durch seinen Leib gejagt wurden und sich im Takt seines eigenen Herzschlages immer stärker auswirkten.
Jophiel fühlte, wie Sandsturmfänger unruhiger flog. eine Kraft, die seinen eingewebten Gefahrenausweichzauber kitzelte, kämpfte mit der Entschlossenheit seines Reiters, den Weg fortzusetzen. Silberne, blaue und goldene Funken begannen, um Bensalom herum zu glühen. Sein Heilsstern pochte nun wie ein schnell klopfendes Herz. Mit Besorgnis sah er, wie bei jedem kalten Schauer silberne und bei jedem heißen Schauer blau-goldene Funken von der ihn umschließenden Aura abgeschieden wurden und in alle Richtungen davonflogen. Damit war die Unsichtbarkeit des Teppichs wertlos. Also konnte er sie auch aufheben und so den Sandsturmfänger zu seiner vollen Kraft und Beweglichkeit anregen.
Die Stöße durch seinen Heilsstern und die zeitgleich von ihm wegfliegenden Funkenschauer wurden stärker. Er hörte einen Chor aus sieben Stimmen in seinem Geist: "Bleibe ruhig doch wachsam." Doch diese Stimmen klangen nach weiteren zwei Kilometern Flug nicht mehr klar und kraftvoll, sondern verschwammen, wurden von einem misstönenden Schnarrenund Krächzen durchsetzt, als würde wer mit mindestens vier verstimmten Streichinstrumenten über die beruhigenden Worte hinwegspielen wollen. Jophiel fühlte, wie ihm jeder kalte Schauer Kraft entzog. Der Heilsstern musste seine Lebenskraft anzapfen, um seinen Träger zu schützen.
Jophiel fischte mit zitternden Fingern eine kleine, bei Sichtbarkeit silberne Schatulle aus seinem blauen Gewand und öffnete diese. Darin lag ein milchigweißer, schneckenhausförmiger Gegenstand, ein sogenanntes Seelenohr. Hielt wer sich dieses an ein Ohr und war kein erklärter Feind seines Erschaffers konnte er die ihn umgebenden Zauberkräfte, ob natürliche Magiequelle oder von Menschengeist beschworene Kräfte hörbar machen. Jophiel nahm das Seelenohr, das bereits von sich aus wild erbebte und presste es sich an sein rechtes Ohr.
Er meinte, ein glühender Dolch stoße direkt durch sein Ohr bis in sein Gehirn. Er hörte schmerzhaft laute Schreie wie von mehr als hundert Menschen. Es waren Schreie der Wut und der Angst zugleich. Jophiel schaffte es nicht, das Seelenohr wieder von seinem Ohr fortzunehmen. Nur die Gegenströme des Heilssterns, die durch seinen Leib jagten verhinderten, dass der Kontakt mit dem magischen Hörgerät ihn ertauben ließ. Doch die auf das Seelenohr wirkenden Kräfte forderten ihren Tribut.
Nachdem er mehr als zehn Atemzüge lang den vielhundertfachen Aufschrei von Knaben und Männern jeden Alters ertragen musste verstummte der Chor der lauten Schreier. Gleichzeitig zerrann das Seelenohr in seinen Fingern wie Wachs in der Kerzenflamme. Doch er fühlte keine Hitze, kein Prickeln. Das Seelenohr schmolz ohne Hitze von außen und ohne Hitze von innen. Jophiel neigte seinen Kopf schnell nach rechts, um keinen dieser Tropfen ins Ohr zu kriegen. Er hoffte nur, dass Mehdis Teppich keinen Schaden nahm. Dieser ruckelte und warf ständig Falten. Womöglich schüttelte er die auf ihn treffenden Tropfen ab. Dann hielt er nichts mehr in den Fingern. Die vielen Schreie hörte er nicht mehr. Dafür sah er nun, dass die ihn umfließende Schutzaura immer undurchsichtiger wurde. Sie flackerte wie wild, pulsierte wie ein schlagendes Herz und überlagerte alles, was er sehen konnte. Als er vor lauter blau-goldenem Flimmern nichts mehr wahrnehmen konnte und auch spürte, dass er immer schwächer wurde erkannte der Sohn Ashtarias, dass er hier nicht mehr bleiben konnte. Die in seinem Kopf wieder hörbaren Stimmen der Erschaffer des Heilssterns klangen nun völlig von misstönen durchsetzt. Es würde nicht mehr lange dauern, und selbst die Macht des Heilssterns würde unter dem, was hier wirkte zusammenbrechen.
"Notflucht nach Hause!" rief Jophiel dem Teppich auf Altpersisch zu, die Sprache, die sein Erschaffer ihm als Befehlssprache eingewirkt hatte. Sandsturmfänger gehorchte unverzüglich. Er drehte auf dem Punkt und jagte in die Gegenrichtung davon, während die blau-goldenen Blitze vor Jophiels Augen so grell wurden, dass er die Augen schließen musste.
Er hörte ein wildes Schwirren in der Luft und meinte, ein schnelles Zirpen und Zwitschern wie von hektisch um die Wette musizierenden Grillen und kleinen Singvögeln zu hören. Das kam aber nicht aus dem Heilsstern, sondern von außen. Dann fühlte er einen kurzen Stoß vom Heilsstern in seinen Körper und hörte ein leises metallisches Plopp, das wie in einem großen Teekessel klingend nachhallte. Er fühlte, wie der Sandsturmfänger sich nach links und rechts warf, merkte aber auch, dass der besondere Zauberteppich ihn sicher fest an sich hielt und ihn nicht abwerfen wollte. Sandsturmfänger wich feindlichen Angriffen oder anfliegenden Feinden selbst aus. Dann lichtete sich das Gewitter aus blau-goldenen Blitzen wieder. Er konnte mehrere auf kleineren Flugteppichen dahinjagende Männer in der goldbraunen Gewandung sehen, die eine goldene Kralle auf dem Brustteil trugen. Also hatten die Sandfalken ihn doch erspäht und jagten ihn nun.
Er hörte die altarabischen Worte des Lebensraubes, mit dem die dunklen Magier des Morgenlandes ihre Opfer je nach Sprechgeschwindigkeit lähmen oder töten konnten. Wieder ploppte sein Heilsstern. Er fing die feindlichen Zauber gerade so noch ab. Dennoch schwand aus Jophiel die Lebenskraft, weil sein Talisman zusätzliche Kraft brauchte. Er hörte das Schwirrenund Zischen ihm geltender Angriffszauber. Doch Sandsturmfänger wich den feindlichen Angriffen mühelos aus. Was dennoch bis zu Jophiel gelangte prellte sein Heilsstern zurück. Doch selbst ein Drache konnte von mehr als acht Zauberkundigen niedergestreckt und getötet werden. Das wusste Jophiel und vertraute auch auf seine eigenen Zauberkünste. Er schickte aus seinem Zauberstab Verwirrungszauber und den Verfolgungsabwehrzauber los, der jeden Gegner mit oder ohne magisches Fluggerät in der Luft anhielt und bis dass der Urheber außer Sichtweite war am gerade erreichten Ort festhielt. Damit konnte er drei Sandfalken von sich abschütteln. Zwei andere erwischte er trotz ihrer Schildzauber mit dem Zauber "Netz der Mittagssonne", das sie wegen des noch reichlichen Sonnenlichtes in ein Gewebe aus goldenen Lichtsträngen einspann und handlungsunfähig machte. Allerdings erschienen weitere Sandfalken. Sonnenlichtspeere flogen auf Jophiel zu. Da war er über die Grenze hinaus. Sein Heilsstern hörte auf dauerhaft zu ruckeln. Gerade sauste ein blaugrüner Feuerball heran. Sandsturmfänger wurde unsichtbar und stürzte schneller als im freien Fall nach unten. Laut fauchend raste der Feuerball über Jophiel hinweg und zerplatzte mit dumpfem Knall mehrere Dutzend Teppichlängen von ihm entfernt.
"Anhaltenund ergeben, Eindringling, im Namen des Zaubereiministers!" hörte er eine Stimme auf Arabisch rufen. Jophiel dachte jedoch nicht daran. Denn wenn er landete hatten sie ihn sicher. Dann wich sein Teppich drei Sandfalken auf ihren Jagdteppichen aus und schüttelte diese auch ohne Jophiels Zutun ab. Der Sandsturmfänger hatte seinem Namen mal wieder alle Ehre gemacht.
Im Notfluchtzustand raste Jophiels Flugteppich noch mehrere Kilometer weit nach norden. Dann, als ihm sowohl sein Heilsstern als auch die im Teppich verwobene Gefahrenwahrnehmung zeigten, dass hier keine Feinde mehr waren, bremste der Teppich und flog mit knapp hundert Stundenkilometern weiter. Jophiel beruhigte sich. Sie hatten ihn nicht erwischt. Sie wussten zwar nun, dass wohl ein Bruder des blauen Morgensterns in die verbotene Zone eingeflogen war, hatten aber die Spur verloren. Jophiel war jedoch nicht einfältig. Er wusste, dass die Ministeriumszauberer unter dem Bann der Feuerrose standen. Daher jagten sie alles und jeden, der oder die ihrer dunklen Königin gefährlich werden konnte. Sein Einsatz gerade eben wreichte somit aus, um die gesamte Bruderschaft des blauen Morgensterns zu unerwünschten, ja geächteten Zauberern zu erklären. Das würde Ladonnas unfreiwilligem Helfer Al-Assuani genügen, jeden Morgensternbruder in Abwesenheit zum Tode zu verurteilen. Dass sie ihn jetzt schon hatten töten wollen mochte mit seinem Einflug in den verbotenen Bereich zu tun haben. Doch ab jetzt würden sie bei neuerlichen Unternehmungen jeden Morgensternbruder töten, der sich nicht ergab. Das würde er auch dem Rat der großen Sieben mitteilen, in den er im Gegensatz zu seinem Vater Ramiel noch nicht eintreten durfte.
Mehr noch als die betrübliche Erkenntnis, dass der blaue Morgenstern nun wirklich geächtet sein würde war jedoch die Erkenntnis, dass es nicht einmal einem Heilssternträger gelang, an jene in den Boden hineingebaute Pyramide heranzukommen, um die Quelle des jahrtausendealten Unheils zu vernichten. Mit diesen beiden höchst beunruhigenden Mitteilungen kehrte Jophiel in die geheime Versammlungs- und Beratungsstätte der Bruderschaft zurück.
Vierhundert bewaffnete Geisterkrieger standen dem finsteren Pharao zur Verfügung. Zwanzig bis dahin ungebundene Schattengeister lauerten auf neue Seelen, weil sie die, die hier in diesen Räumen weilten nicht ergreifen konnten, ohne selbst ein Teil des Seelengeflechtes zu werden, dass dieses mächtige Bollwerk der Macht durchzog. Dreißig hungrige Kinder und Enkel Apeps suchten abgelegene Ortschaften heim, um sich darüber herzumachen. Das würde die Zaubertierjäger aus dem Ministerium auf sich ziehen und ihm und seiner Geisterschar zutreiben. Dann hatte er noch herausgefunden, wie er vorübergehend die Sinneswahrnehmungen eines Nachtgeborenen annehmen konnte, ohne mit einem solchen das Blut zu vermischen. Denn die gefangenen Nachtkinder konnten von den vielen hundert Seelen, die er bereits in den Seelenkerkern eingeschlossen hatte wie Schöpfbrunnen angezapft werden und die geistigen Eigenschaften konnten auf ihn, den ungenannten Herrscher, übergehen. So konnte er auch bei Nacht sehen, besser riechen und hören und sich auch ohne die Worte des magischen Jägers auf die fünffache Geschwindigkeit beschleunigen. Ja, und er konnte spüren, wo andere Nachtkinder waren. Seinem Feldzug gegen die neue Göttin stand somit nichts im Weg. Doch er wollte sich möglichst viel Unterstützung verschaffen, am besten auch jene fremde Königin entthronen, die sich angemaßt hatte, die Gebrüder Al-Assuani zu ihren Sklaven zu machen. Deshalb würde sie hier und heute ihre erste große Niederlage in seinem Land erleben.
"Seid bereit, meine wackeren Krieger! Wir werden die Heere des selbstherrlichen Zauberrates aus ihren Festungen hervorlocken, sie schlagen und die Überreste in ihre Festungen zurückverfolgen, um deren Festen dann selbst in den Sand der Wüste zu stampfen!" rief der ungenannte Herrscher. Alle ihm unterworfenen Geister und Nachtschatten johlten vorfreudig, dass es in den Gängen und Kammern laut und hohl widerhallte. Dann besann er sich auf den Segen der Nacht, wie er die Aneignung von Nachtkindfähigkeiten ohne Blutopfer nannte. Als er spürte, wie die Dunkelheit ihm mehr Kraft und schärfere Sinne verlieh ließ er alle vier großen Falltüren aufklappen, die in sein unterirdisches Reich führten. "Für das erhabene Reich!" rief er. Diesen Ruf nahmen alle ihm unterworfenen Geisterwesen auf. Dann schwirrten sie los, an die von ihm vorbestimmten Orte, um dort wild zu wüten, ja mit ihren Fernlenkkräften auch den einen oder anderen Menschen zu töten. Die Schattengeister durften von sich aus Jagd auf fühlende Wesen machen. Nur wenn sie merkten, dass jemand sie angriff sollten sie sich anderswohin versetzen und den sternenlichtverbundenen rastlosen Seelen das Schlachtfeld überlassen.
Als das gespenstische Heer zu seiner ersten großen Schlacht ausrückte flog der ungenannte Herrscher auf seinem Flugteppich hinaus in die Nacht. Er wollte an besonderen Stellen Aufmerksamkeit erheischen und den einen oder anderen Gefangenen machen, der ihm noch was wichtiges verraten konnte. Und sollte er einen Diener Akashas oder einen Gläubigen der neuen Göttin erwischen wollte er diesen ebenfalls in seine Heimstatt schaffen.
Eigentlich hatte man ihn gerufen, weil sich riesige Schlangen über kleinere Städte hermachten. Kaya Al-Assuani hatte seinen Vetter, der für Tierwesen zuständig war, in seinen Lagebesprechungsraum geholt und ihn von dort aus die schnellen Jagdtruppen einteilen lassen, die die sogenannten Enkel Apeps niederbrachten und in ihre Höhlen zurücktrieben.
"Leyth, du findest auch, dass dieser Massenausbruch von Apeps Kindern und Enkeln kein Zufall ist?" stellte Kaya seinem Vetter eine rhetorische Frage. So sagte dieser: "Nur wer mit Schlangen sprechen kann vermag, sie zu bändigen. Doch die, die das können verdienen selten Vertrauen. Ich habe alte Aufzeichnungen gelesen, nachdem ihr mich gewarnt habt, dass der Geist des ungenannten Herrschers aus dem Grab entstiegen ist und in der Hülle eines ausländischen Schatzjägers umgeht. Er vermochte oder besser vermag die hörbare Sprache der Schlangen zu sprechen."
"Damit sagst du, lieber Vetter Leyth, dass er die gefräßigen Ungeheuer aufgeweckt und auf die unschuldigen Bewohner ferner Ortschaften gehetzt hat, richtig."
"Das war die Antwort, die deine Frage zwingend erwartete, Vetter Kaya. Dieser nickte.
Als dann die Meldungen eintrafen, dass es in bekannten Zauberersiedlungen zu wahren Geisterstürmen kam, bei dem mehrere Dutzend wütende Gespenster und ein großer Nachtschatten die Bevölkerung heimsuchten wussten sie es genau, dass die Ruhe vor dem Sturm beendet war.
"Fall dunkler Sturm!" riefen Kaya und Leyth ihren jeweiligen Untergebenen zu. Dieses Kennwort hatte Kaya mit seinem ältesten Bruder Karim schon vor zehn Tagen festgelegt, wenn sicher war, dass der aus dem Grab entstiegene Pharao die Kraftprobe mit dem Ministerium wagte. Vielleicht war es auch nur ein kleiner Versuch, um die Reaktionsschnelligkeit und Schlagkraft der Ministeriumsmitarbeiter zu prüfen. Dann sollte der ungenannte Herrscher erleben, dass er alleine gegen eine große Zahl ausgebildeter Zauberer stand. Kaya hoffte nur, dass diese Machtprobe nicht auch die Aufmerksamkeit von Leuten auf sich zog, denen das Ministerium seit je her misstrauisch gegenüberstand. Denn die Anmaßung der Brüder des blauen Morgensterns, über alle dunklen Kräfte erhaben zu sein, brauchten sie nicht wirklich. Auch durften sie nicht zulassen, dass die Ordnung anzweifelnde Zauberinnen meinten, mehr Wissen und Können als Zauberer zu besitzen. Jedes gerade betroffene Dorf, jedes bestürmte Zaubererviertel barg die Gefahr, solchen verdächtigen Gruppen Anlass zum Eingreifen zu geben. Daher musste der Überfall von Tierwesen und Geistern mit ganzer Härte zurückgeschlagen und die daran beteiligten unschädlich gemacht werden.
"Sind die für alle Gemeinschaftsmitglieder zugänglichen Räume gesichert, Kaya?" fragte Leyth. Sein Vetter sah ihn an und sagte: "Du meinst, es könnte auch ein großes Ablenkungsmanöver sein, um schlagkräftige Truppen von uns wegzulocken. Damit haben wir auch gerechnet. Falls wir auch unerwünschten Besuch erhalten wird dieser Besuch entweder ausgelöscht oder auf unbestimmte Zeit fortgesperrt", knurrte Kaya.
Es vergingen nun mehrere Stunden, in denen eine Schreckensmeldung die nächste jagte. Die aufgetauchten Geister stürzten sich aus dem Himmel oder fuhren wie Dämonen aus alten Geschichten aus dem Boden heraus und griffen Menschen an, die in ihren Weg gerieten. Wo keine Geisterschutzbezauberung wirkte drangen sie in Häuser ein und bedrohten die Bewohner. Wer sich nicht verjagen ließ und gar mit Zauberstab und Bannformeln gegenhielt riskierte, von durchsichtigen Speeren getroffen zu werden, die keine äußeren Verletzungen verursachten, aber bei einem Stoß ins Herz oder Gehirn den Tod durch sofortige Vereisung herbeiführten. Auf diese Weise starben in dieser Zeit zehn Zauberer und ihre Familien. Doch unter den Überfallenen gab es auch welche, die mit Mondfeuer und anderen wirksamen Abwehrzaubern gegenhalten konnten. Vor allem dass es Zauberinnen waren, die über die ihnen erlaubten Haushaltszauber hinaus gegen sie bestürmende Gespenster und sogar drei ausgewachsene Nachtschatten bestanden ließ Kaya übles ahnen. "Bruder Karim, der Finstere ist unter dem grünen Schleier hervorgekrochen", gedankensprach er zu seinem Bruder. Dieser verlangte eine Fernbildsitzung, da das Geistsprechen über diese Entfernung doch ziemlich anstrengte. Also legte Kaya Al-Assuani die zwölf Kristalle der fernen Bilder so, dass sie auf die seines Bruders Karim abgestimmt waren. Dann sprach er die vier arabischen Worte für die Haupteigenschaften des Lichtes. So entstand im Mittelpunkt des Kristallkreises Karims körperloses nichtstoffliches Abbild. Es flackerte kurz. Dann war es klar und fest.
"Du meinst im Ernst, dass die Mondhuren gegen die Geistertruppen unseres neuen Hauptgegners kämpfen?" fragte Karim, dessen Stimme leicht schwirrend aus dem Mund des Abbildes drang. "Mir wäre nicht bekannt, dass die drei Häuser der weiblichen Weisheit in Madinat al'abraj alhamra' auch Geisterabwehrzauber lehren."
"Was wohl daran liegt, dass unser beider Mutter befunden hat, dich als Jungen zur Welt zu bringen, Bruder", erwiderte Karim. Er teilte Kayas gewisse Abneigung gegen höhere Zauberkunst bei Frauen nicht so ganz. "Ja, aber unsere Mutter war da und hat keine höheren Kampfzauber gelernt, sondern wie sie das Gleichgewicht der Naturgewalten erhalten kann, um zu kochen, den Garten zu pflegen und welche Kräuter und Pilze sie für wichtige Tränke verwenden muss", widersprach Kaya. "Zumindest haben wir das von ihr so mitbekommen", sagte Karim. "Und selbst wenn unter den Überfallenen jene überfürwitzigen Frauenzimmer sein sollten, die meinen, eine Zauberin mag soviel Wissen und Macht erlangen wie ein Zauberer, dann wird das unseren Gegner noch mehr verwirren als dich, Brüderchen."
"Du findest es also in Ordnung, wenn diese dem Mond verbundenen Weiber unsere Arbeit machen und uns dann damit kommen, dass sie nicht auf uns angewiesen sind?" fragte Kaya. "Pass besser auf, dass wir nicht selbst von diesen Geistern überrannt werden! Wie viele Schattengeister sind dabei?" fragte Karim. Kaya erwähnte die neue Zahl. "Allein schon, dass einer alleine so viele an sich binden kann ist sehr beunruhigend", erwiderte Karim.
Kaya wollte sich gerade von seinem Bruder verabschieden, als ein scheppernder Gong in schneller Folge losdröhnte. Jemand unerwünschtes versuchte sich gewaltsamen Zugang zur Sicherheitsfestung zu erzwingen. "Also doch ein Ablenkungsmanöver", knurrte Kaya. "Fall blauer Dolch!" rief er in leere Luft hinein. Da krachte es laut wie ein Donnerschlag. Dem folgte ein mehrsekündiges Pritzeln und Knistern. Die Beleuchtung flackerte, und das räumlliche Abbild Karims zerfiel in regenboogenfarbigen Entladungen. Drei Kristalle waren verrutscht.
"Seht zu, dass ihr die alle auf Flaschen zieht wie niedere Dschinnen, Bruder!" gedankenrief Karim ihm noch zu. Dann eilte Kaya durch die mit Silber beschlagene Tür, die auch gegen nichtstoffliche Eindringlinge schützte. Er trug vorsorglich einen Geisterabweiser, wie ihn die Behörde für rastlose Seelen und gefährlichen Spuk an ihre Mitarbeiter ausgab.
Wieder gab es einen Donnerschlag und ein die Luft erfüllendes Prasseln und Pritzeln. Die Lichter wurden dunkelrot und flackerten lange, bevor sie wieder gleichmäßig glühten.
"Das kann kein Geist sein, auch kein Geisterfürst, der an einen verfluchten Gegenstand gebunden ist", knurrte Kaya. Er hörte über den kleinen Ohrstecker im rechten Ohr die Befehle und Meldungen seiner Leute mit. So erfuhr er, dass zehn mit Speeren und Säbeln bewaffnete Geister durch die nicht gesicherten Wände drangen und auf die Sicherheitszauberer losgingen. Doch dann hörte er auch, dass jemand die Sperren gegen unerwünschtes Apparieren aufzubrechen suchte, jemand der nicht mit den Bilderfassungsvorrichtungen zu fassen war, ein Unsichtbarer. "Stellt auf Lebenshaucherscheinung um!" rief Kaya. Sein Ohrstecker leitete diesen Befehl weiter.
"Lebenshaucherfassung nicht vorhanden", erhielt er eine an ihn selbst gerichtete Meldung. "Wie, keine Lebenshaucherfassung? Selbst ein Unsichtbarer muss eine Lebensausstrahlung zeigen, die über die ihn verbergende Bezauberung hinausweist."
"Wiederhole gehorsamst, keine Lebenshaucherfassung, aber auch keine für rastlose Seelen übliche ..." Rums! Wieder krachte es. Diesmal dauerte das Prasseln, Knistern und Pritzeln noch länger und war viel lauter. Die Luft entlud sich sppürbar. Gleichzeitig erloschen alle Lichter. Kaya Rief das begleitende Licht aus seinem Zauberstab, eine der Sonnenmagie entstammende gelbe Lichtkugel, die über ihrem Beschwörer schwebte und eine Fläche von fünfundsiebzig Quadratschritten erhellte. Dieses Licht konnte auch niedere Nachtschatten lähmen und höhere zurücktreiben oder ganz verscheuchen.
"Melde, Ausfall der zeitlosen Kuppel. Zeitloser Weg nun frei begehbar."
"Wiederherstellen, sofort!" rief Kaya Al-Assuani. "Wird sehr mühevoll, weil Säulensteine zerstört", erwiderte der, der die Meldung vom Ausfall der Apparierabwehr gemacht hatte.
"Karim, wer immer hat genau die Säulen der Abwehr gegen zeitloses Eindringen zerstört. Wenn er das ist gilt dein Wort?"
"Mein Wort gilt. Siehst du ihn töte ihn!"
Kaya hörte aufgeregte Stimmen durcheinanderrufen und das Zischen und Krachen entfesselter Kampfzauber. Er rief den Schild des wackeren Kriegers hervor, der ihn wie eine Rüstung aus bläulichem, selbstleuchtendem Glas umschloss und eine Menge Kampfmagie abwehren oder zerstreuen konnte.
Aus der Wand zu seiner Rechten sprang ein Geist mit einem durchsichtigen, zwei Arme langen Speer heraus und ging sofort zum Angriff über. Kayas Geisterabweiser strahlte ein weißblaues Licht aus und prellte den Speer mit himmelblauen Blitzen zurück. Der Geist leuchtete aus sich heraus im selben Blau. "Na warte, niedere Seele", knurrte Kaya und zog eine silberne Phiole hervor. "Im Namen der gewalten, die die Welten wohl gestalten, sei gebannt und festgehalten!" rief er. Da die Worte auch in die Phiole eingraviert waren leuchteten sie in einem gespenstischen Weißblau auf. Der Geist mit dem Speer wurde von einer blauen Lichtspirale ergriffen und auf die Phiole zugezogen. Er versuchte sich aus dem immer stärkeren Griff der magischen Spirale loszureißen. Doch der Bannzauber war stärker. Als weißblauer, formloser Nebelfleck wurde der Geist in die Phiole hineingezogen. Sie erbebte wild. Kaya rammte den kleinen Korken in die Öffnung und sprach das Wort der Versieglung, das noch aus der Zeit des weisen Magiers und Königs Suleiman überliefert worden war. Ein leiser Aufschrei erklang aus der Phiole. Dann war es vorbei. "Der bringt schon mal keinen mehr um", dachte Kaya und holte gleich die nächste Phiole hervor. Zehn hatte er vorsorglich eingesteckt. Feriz hatte zwar geheult wie ein Klageweib, weil er dem vielen Gold nachtrauerte, was für Beschaffung und Grundbezauberungen ausgegeben wurde. Doch Karim, er und der Leiter der Behörde für rastlose Seelen und gefährlichen Spuk hatten sich durchgesetzt.
Die Stimmen wurden lauter. Die Lichter an der Decke flackerten tiefrot auf und erstrahlten wieder. Doch das hieß nicht, dass alles in Ordnung war.
Zwanzig kampferprobte Zauberer fochten in der Halle der Befehle mit einem Mann in einem blauen Umhang ausländischer Mode. Der Mann hatte rotes Haar und einen gestutzten Vollbart. Er wirbelte mit seinem Zauberstab umher und verteilte gnadenlose Angriffszauber. Jeder gegen ihn geführte Zauber prallte von einem tiefschwarzen Dunst ab, der seinen Körper ähnlich umgab wie der Schild des wackeren Kriegers Kaya. Viele der zurückgeworfenen Zauber trafen ihre Absender und wirkten viel heftiger als üblich. Kaya erinnerte sich an den Zauber des schwarzen Spiegels, der Flüche fünfmal so stark wie ausgeführt auf ihre Absender zurückwerfen konnte. Jetzt sah der Sicherheitshüter des ägyptischen Zaubereiministeriums, dass auch eigene Leute gegen ihre Mitstreiter kämpften. Offenbar hatte der Eindringling sie mit Unterwerfungszaubern belegt. Gerade flog einer seiner Leute von einem roten Blitz getroffen zurück und landete funkensprühend auf dem Rücken. Dann fuhr ein silberner Lichtfächer, halb so breit wie die Halle aus dem Zauberstab des Eindringlings. Alle im Weg stehenden Zauberer wurden davon durch die Halle geschleudert. Auch Kaya erwischte der Lichtfächer, eindeutig der Mondlichthammer. Sein Schild ballte sich um ihn zu einer hellblauen Kugel zusammen, so dass er beim Aufprall des Zaubers wie ein Spielball davongeschleudert wurde und mehrmals zwischen den Wänden hin und herschwirrte, bis er landete. Doch er warnicht ohnmächtig geworden. Der Schild wurde wieder zur nebelhaften Rüstung. Dann sah der Eindringling seinen Hauptgegner.
"Ah, habe schon gebangt, dass wirklich starke Zauber nicht mehr überliefert werden! Du bist einer der Brüder, die dieses großartige Land für mich verwalten!" rief er auf Arabisch.
"Und du hältst dich für den wiedergekehrten Sohn der gefangenen Sonne?" fragte Kaya. "Ganz recht, der bin ich. Und ich fordere mein Recht auf den alten Thron, den mir ein unwürdiges Weib entrissen hat. Imperio!" rief er.
Kaya wollte ihm schon die zwei geächteten Worte zurufen, als eine Woge völliger Glückseligkeit und Sorglosigkeit alle feindseligen Gedanken aus dem Kopf fegte.
"Trupp sieben sofort zum Haus der Sicherheit, den Kollegen bei Abwehrkampf gegen feindliche Geister und Zauberer helfen!" rief Karim Al-Assuani einem an der Wand hängenden Bild zu, das drei bunte Teppiche zeigte, auf denen je ein Zauberer in grün-goldenem Gewand saß. Einer davon flog auf und verschwand durch den oberen Bilderrahmen. "Kaya, wenn du ihn siehst sofort töten!" schickte der ägyptische Zaubereiminister noch einmal an seinen bruder. Doch seine Gedankenbotschaft hallte wild verwirbelnd nach. Irgendwas stimmte da nicht. Doch er musste abwarten, was Kaya oder die Entsatztruppen berichteten.
Drei Minuten musste er warten. Dann erhielt er eine Meldung, die ihn erschütterte.
Eine unbändige Woge von Glückseligkeit und Sorglosigkeit flutete Kayas Bewusstsein und riss alle feindlichen Gedanken fort, die er gegen den Eindringling hegte. Dann hörte er eine dröhnende Männerstimme: "Töte deine Untergebenen! Töte deine Untergebenen!!" Er fühlte, dass er seinen Zauberstab anhob und auf den ihm nächsten zielte. Da dröhnte eine Frauenstimme in seinem Kopf: "Deine Herrin ist die Königin, Königin Ladonna Montefiori. Ihr allein dienst du bis in deinen Tod." Diese Worte vermischten sich mit dem Nachhall des ihm ins Bewusstsein gerammten Befehls, seine Untergebenen zu töten. Deshalb konnte er nichts tun. Er hielt seinen Zauberstab fest in der Hand. Doch er schaffte es nicht, ein einziges Zauberwort zu rufen. Die zwei in seinem Geist widerstreitenden Befehle lähmten ihn vollständig. Dabei wurde die aus der brennenden Rosenblüte gedrungene Stimme in seinem Geist immer lauter. Sie verdrängte alle mit den Ohren gehörten Umgebungseindrücke. Er starrte mit fest auf einen Punkt gerichteten Augen auf den, der ihm gerade seinen Willen aufzwingen wollte. Der stand in Erwartungshaltung, was geschehen würde. Dann hörte er nur noch die Stimme der Feuerrose, die ihm befahl, eher zu sterben als gegen die Befehle seiner Königin zu verstoßen. Er fühlte, wie diese Worte seinen Kopf und seinen restlichen Körper aufheizten. Dann entlud sich die Hitze wie ein entflammender Feuerball in Kopf und Brust zugleich. Kaya spürte nur noch, wie die mörderische Hitze aus ihm hinausdrängte. Dann brannte diese alle Sinneseindrücke aus. Er fühlte, wie er in einen rubinroten Strudel stürzte, an dessen Ende ein immer helleres Licht aufleuchtete und meinte, ein Gewirr immer lauterer Stimmen zu hören. Dann überstrahlte das helle Licht alle seine Sinne und Gedanken.
Der finstere Pharao blickte überlegen auf den, den er gerade mit dem überstarken Imperius-Fluch getroffen hatte. Der setzte schon an, dem erteilten Befehl zu folgen. Da erstarrte dieser wie unter einem entsprechenden Zauber. Der Reiter der großen Schlange sah, wie Kaya Al-Assuanis blaue Schildaura violett und dann rot erstrahlte, bevor völlig übergangslos rubinrote Flammen aus dem Körper des Bezauberten schlugen, vier seiner Armlängen weit in den Raum griffen und dann in nur einem Herzschlag in sich zusammenbrachen. Statt des Sicherheitsleiters stand nur noch ein von Aschewolken umhülltes, verkohltes Knochengerüst da, das wankte und dann laut klappernd in sich zusammenfiel. Die verkohlten Gebeine zersprangen und zerfielen zu schwarzem Staub. Dann sah er die unförmigen Klumpen aus angelaufenem Silber. Aus einem davon entwich gerade ein weißer, durchsichtiger Schemen und formte sich zu einer mit einem Speer bewaffneten Geistererscheinung aus.
"So kann ich die also auch töten, wie diese spitzohrigen Räuber", dachte der Reiter der großen Schlange. Er wehrte alle ihm weiterhin zufliegenden Zauber mit der Aura des Unlichtkristalls ab und unterwarf sich noch zwei weitere, die statt seinen Befehlen zu folgen in einer roten Flammenwolke vergingen. Einer riss dabei zwei seiner ihm am nächsten stehenden Kollegen mit in die Vernichtung. Doch nicht bei allen wirkte sich der verstärkte Imperius-Fluch dermaßen aus. Die, die nicht verbrannten gehorchten dem neuen Befehl, ihre eigenen Kollegen anzugreifen und zu töten. Der ungenannte Herrscher badete sich in der Überlegenheit, während er weitere Opfer seines grausamen Einfalls fand. Er wollte gerade ansetzen, weiter in das Gebäude zu gehen und nach Al-Assuanis Unterlagen suchen, als aus dem Unsichbaren heraus eine Frauenstimme "Sanguisanus!" rief.
Der Körperdieb konnte gerade noch in die Richtung sehen, aus der dieser Ruf erfolgte, als er bereits in hellrotes Licht gebadet wurde. Es war, als versetze ihm sein Ring einen heißkalten Stoß durch den Körper. Dann schwanden ihm die Sinne.
Es hatte gedauert, die gegen fremde Eindringlinge wirkenden Zauber so zu unterlaufen, dass sie eindringen konnte, ohne weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Mantel des bergenden Neumondes in Kombination mit dem Hauch des freien Atems hatte ihr endlich geholfen.
Suleika bint Sabur Al-Kahiri, offiziell Leiterin des grünen Hauses für Entgiftungen und Erholungen der Stätte magischen Heilwissens hatte über ihr und ihren Schwestern vertraute Wege erfahren, dass Kaya Al-Assuanis Behörde bestürmt wurde. Gelang es dem Feind, sie zu erobern, ja sich die dort arbeitenden Zauberer Untertan zu machen, so hatte er einen wichtigen Teilsieg errungen. Dies galt es zu verhindern.
Sie kam zu spät für Kaya Al-Assuani und zwei seiner Mitarbeiter. Doch dann hatte sie den von einem dunklen Hauch umhüllten Gegner vor sich und erkannte ihn als den verschollenen Schatzjäger Rore McBane. Weil dieser ohne große Abwehrbewegungen alle ihm geltenden Kampfzauber zurückwarf und offenbar selbst wesentlich stärkere Zauber ausführte wusste die gerade unsichtbare Hexe, dass der Gegner unter dem verächtlichen Schutz eines Unlichtkristalls stand. Sie zielte auf ihn und rief das aus dem Abendland erlernte Wort des genesenen Blutes "Sanguisanus!" Damit konnten nicht durch Krankheitskeime ins Blut gelangte leichte bis mittelschwere Giftstoffe im Blut unschädlich gemacht werden, auch wenn der Patient danach mehrere Tage lang viel Hunger und Durst hatte und bei einer innerhalb eines Monats erneuten Giftstoffaufnahme viermal so empfindlich darauf reagierte. . Es war ein ausgesprochener Heilzauber. Doch auf den Unlichtkristallträger wirkte dieser wie ein Bündel gleichzeitig treffender Schockzauber. Er wurde in ein rotes Licht gehüllt, taumelte und fiel hin. Doch ehe er auf dem Boden aufschlug verschwand er in einem grün-golden leuchtenden Wirbel ähnlich einem Portschlüssel. Wieso das geschah wusste Suleika bint Sabur Al-Kahiri nicht. Ihr war nur wichtig, dass sie nun zusehen musste, die zu Amokläufern gemachten Ministeriumszauberer zu betäuben, damit diese kein weiteres Blutbad anrichten konnten. Außerdem waren da noch zehn feindselig herumwuselnde Geister, die gerade sie als neues Ziel erwählt hatten. Dem machte sie jedoch mit dem Mondfeuerzauber ein schnelles Ende. Gegen die von Mond und vierfacher Mutterschaft genährten Zauber konnten auch von fremdem Unterwerfungszauber aufgehetzte Gespenster nicht widerstehen. Sie wurden regelrecht aus der Halle hinausgeschleudert. Dann begriff Suleika, dass sie jetzt besser ganz schnell von hier flüchten musste. Denn trotz ihrer Unsichtbarkeit war den anderen nicht entgangen, woher die mondlichtfarbenen Feuerstrahlen gekommen waren, die die Geister vertrieben hatten.
Suleika eilte ohne weitere Zauber auszuführen durch einen der Gänge, verfolgt von zweien, die mit Enthüllungszaubern die Umgebung bestrichen. Dann erkannte sie, dass sie wohl gefahrlos disapparieren konnte. Sie verschwand aus dem Lauf heraus im Nichts. Als ihre Verfolger die Stelle erreichten, an der sie gerade eben noch gewesen war konnten sie nur einen ganz schwachen Luftwirbel fühlen, der die von ihr hinterlassene Leere ausfüllte.
"Das war sicher eine von diesen Grünmondlerinnen", knurrte einer der noch frei handlungsfähigen Sicherheitszauberer. Sein Kollege stimmte dem zu. Das würde dem Minister überhaupt nicht gefallen. Doch dass Kaya Al-Assuani verbrannt und als kohlschwarzes Knochengerüst in sich zusammengefallen war würde dem Minister noch viel, viel weniger gefallen.
Warum hatte er es nicht gespürt, dass sein Bruder starb? Als er die Meldung erhielt war das die einzige Frage, die Karim Al-Assuani umtrieb. Er hatte immer gedacht, es zu spüren, wenn einer seiner Verwandten starb. Wer hatte ihn getötet? Nein, diese unsichtbare Mondhure war es nicht. Die hatte nur den Feind mit einem ihm unbegreiflichen Zauber verschwinden lassen. Dann hörte er die Stimme seiner wahren Herrin: "Euer Feind kann siebenfach so stark wie sonst den Imperius-Fluch. Hüte dich und alle die, die mir unterworfen seid davor. Denn jeder dieser Flüche wird euch zu Verrätern an mir machen. Jene, die so werden ereilt meine Strafe."
"Dann ist Kaya gestorben, weil er gegen Euch kämpfen sollte, meine Königin?" wollte Karim wissen. "Es ist so, dass jemand ihn sich unterwerfen und mir damit entreißen wollte. Findet und tötet diesen Frevler, diesen aus dem Grab gekletterten Möchtegernkönig! Seht zu, dass ihr ihm seinen Körper nehmt und seinen Geist in alle Winde verstreut, sonst wirst du noch anderen deiner Brüder nachtrauern und wegen Führungsunfähigkeit dein Amt verlieren, was Gleichbedeutend damit ist, versagt zu haben. Versager dulde ich nicht in meinen Reihen."
"Ich habe verstanden, meine Königin. Ich werde Euch nicht enttäuschen", schickte Karim Al-Assuani zurück.
Wie lange hatte er nun schon wieder hier zugebracht? Sein Körper bebte. Er hörte wieder die Stimme Rore McBanes und fühlte, dass der von ihm aus dem Körper verstoßene Geist erneut versuchte, sich seinen angestammten Körper zurückzuholen. Doch wieder verhinderte dies der Unlichtkristallring.
"Was war das für ein Zauber, der mich derartig niederwarf?" knurrte der Reiter der großen Schlange. als er dann noch erfuhr, dass er mehrere Tage handlungsunfähig in seinem Stufengrab zugebracht hatte ärgerte er sich fast so sehr, dass er am liebsten alles kurz und klein geschlagen hätte. Immerhin erfuhr er, dass seine Geisterarmeen gehörigen Aufruhr verursacht und das Vertrauen in das Zaubereiministerium nachhaltig erschüttert hatten. Zu dem kam noch, dass der für seine strenge Hand bekannte Kaya Al-Assuani verstorben war. Ja, und diese Narren hatten es mal wieder versucht, seine Heimstatt anzugreifen. Dabei waren offenbar zwanzig Feinde von der sie befallenden Angriffslust getrieben worden. Doch die hatten nun einen mehrfachen Ring aus Wachsteinen um die von seiner mächtigen Magie erfüllte Umgebung gepflanzt, um zu erfahren, ob etwas darüber hinausging. Diese Narren wussten nicht, dass er von den Kobolden diesen Unortbarkeitsquader erhalten hatte. Mit dem konnte er kommen und gehen wann er wollte. Doch zunächst musste er erfahren, warum er so heftig und derartig lange zurückgeschlagen werden konnte.
Nach einigen Überlegungen stellte er fest, dass es ein besonders mächtiger Heilzauber gewesen sein musste, der ihn betroffen hatte. Unlichtkristallträger konnten alle feindlichen Zauber, sogar den Todesfluch, zurückprellen oder diesen widerstehen. Doch simple Heilungszauber wirkten zumindest im ersten Ansatz schwächend auf den Unlichtkristallträger. Diese unsichtbare Hexe musste ihn mit einem besonders mächtigen Heilzauber getroffen haben, der auf ihn wie ein Betäubungszauber gewirkt hatte. Der ihm schon vertraute Schutzzauber hatte ihn dann wieder in sein Stufengrab zurückgeworfen, wo er vor weiteren Nachstellungen sicher war. Doch wenn sich das rumsprach konnte jeder Wicht und jede Hexenmagd ihn besiegen. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Hieß denn das, dass er sich nicht mehr offen zeigen durfte? Er musste wohl noch mehr Geister und auch andere Geschöpfe in seinen Dienst nehmen und an seiner Stelle kämpfen lassen. Nur so konnte er noch sicherstellen, dass er als wiedergekehrter König anerkannt und geachtet werden würde.
Der im Mondlicht glänzende, aufrecht stehende Quader sah der Kaaba in Mekka bis auf wenige Einzelheiten ähnlich. Zum einen war er nur ein Drittel so groß wie das zentrale Heiligtum der Muslime. Zum anderen war er nicht mit Vorhängen verhüllt wie das weltberühmte Heiligtum. Zum dritten standen hier noch jene Standbilder, die in der Zeit vor dem Islam die Kaaba geziert hattenund die altarabischen Gottheiten Hubal, Al-Lat, Al-Uza und Al-Manat darstellten, alles Gottheiten des Himmels, wobei Hubal und Al-Manat für den Mond standen.
Ähnlich wie bei der Kaaba von Mekka galt dieser Stein als besonderes Heiligtum, wenn nicht im Sinne alter Götter oder einer der drei abrahamitischen Religionen, aber als Zeichen des Friedens und der Anerkennung zwischen magischen Bruder- und auch Schwesternschaften. Es galt jedoch als verpönt, diesen Stein einfach so zu besuchen und ihn anzusehen. Nur wer einen wichtigen Anlass hatte, bei dem es auch um Sein oder Nichtsein, Leben und Tod gehen mochte, durfte sich bei diesem Stein einfinden, dem Stein des magischen Ausgleiches. Hier hatten schon Gesandte der hellen und dunklen Künste über ihre Zukunft gesprochen, wenn ein Krieg zwischen zwei oder mehreren Gruppen keiner von ihnen nützte, aber langwierige Schäden zurücklassen mochte. Der Stein war bei allen obersten Führern der magischen Gemeinschaften Nordostafrikas und Vorderasiens bekannt. Doch es hatten sich auch schon einmal eine Gruppe aus Indien und eine aus Arabien hier getroffen, um Unstimmigkeiten beim Handel mit magischen Kräutern und Tiererzeugnissen zu beheben. Höchst selten waren magisch ausgebildete Frauen zu solchen Treffen erschienen, da in der arabischen Welt und auch in Persien und Indien die öffentliche Zauberei als Vorrecht der Männer angesehen wurde.
So musste dieses Treffen, was über Unterhändler vereinbart worden war, als geschichtsträchtig angesehen werden. Die in ruhender, aber nicht beendeter Fehde liegende Bruderschaft des blauen Morgensterns und die Schwesternschaft der Töchter des grünen Mondes hatten sich dazu entschlossen, den Stein des Ausgleiches als Zeugen einer Absprache zu erwählen.
Von den Töchtern des grünen Mondes waren die beiden Hexen Suheir bint Jamal Al-Kahiri und Namika bint Mahdi al-Burak in ihrer traditionellen Gemeinschaftstracht erschienen, von den Brüdern des blauen Morgensterns waren Jophiel Bensalom und Mehdi Isfahani auf Mehdis Flugteppich herbeigeflogen. Die zwei Schwestern des grünen Mondes sahen sogleich, dass Jophiel der eine Träger eines silbernen Sternes war, den die Morgensternbrüder noch in ihren Reihen hatten. Denn von dessen Brust strahlte ein sanftes, goldrotes Leuchten aus, das vom Stein des Ausgleiches widerschien.
Wie es die seit drei Jahrtausenden gepflegte Überlieferung gebot sprachen die vier Anwesenden erst einmal kein Wort miteinander. Sie traten an den Stein heran und umschritten ihn zwölfmal in Laufrichtung von Sonne und Mond, wobei sie sich an seiner Ost-, Süd-, West- und Nordseite für genau vier Atemzüge vor ihm verbeugten. Als sie dieses Begrüßungsritual für den Stein des Ausgleichs vollzogen hatten verbeugten sich die je zwei Zauberinnen und zwei Zauberer voreinander. Dann durfte der älteste der einen die Älteste der anderen Gruppe begrüßen und zurückgegrüßt werden. In dem fall also brach Mehdi Isfahani das ehrfürchtige Schweigen.
"Ich grüße dich, Frau Suheir bint Jamal Al-Kahiri. Es ehrt mich, dich hier anzutreffen", sagte er auf Arabisch.
"Ich grüße dich, Herr Mehdi Isfahani. Auch ich bin erfreut, dich hier anzutreffen", erwiderte Suheir. Dann deutete sie auf ihre Begleiterin und stellte sie den beiden vor. Mehdi erwiderte, indem er Jophiel Bensalom vorstellte. Dann sprachen sie kurz von der Anreise und dass sie hofften, dass dieses Treffen helfen mochte, die seit Jahrhunderten schwelende Fehde vielleicht doch zu beenden. Denn die Zeiten riefen nach Einigkeit unter jenen, die von gemeinsamen Feinden bedroht wurden. Dem stimmten die beiden Zauberer zu. Dabei verbargen Mehdi und Jophiel sehr sorgsam, welch hitzige Auseinandersetzung sie hatten überstehen müssen, um ein Treffen zwischen Vertretern der Morgensternbruderschaft und den Mondtöchtern zu erwirken. Doch beiden Gruppen war über ihre eigenen, ganz geheimen Nachrichtenwege zugetragen worden, dass jener seit Jahrtausenden in seinem eigenen Grab eingesperrte Geist des von den Nichtmagiern nicht mehr erinnerten Königs einen Weg gefunden hatte, seinem eigenen Kerker zu entfliehen, wohl weil ein für die raffgierigen Kobolde aus dem Nordwesten arbeitender Zauberer dort eingedrungen sein mochte. Es war damit zu rechnen, dass dieser böse Geist in neuem Körper seine alte Herrschaft wiederhaben wollte. Hierzu warb er wohl einsame Geister und an verfluchten Orten umgehende Seelen gefallener Kämpfer an und hatte auch schon in Ägypten lebende Zaubertiere dazu angetrieben, über die ihnen nächsten Ansiedlungen herzufallen. Auch hatte er es geschafft, in die Amtsräume von Feriz Al-Assuani vorzudringen und das Gebäude in magischem Feuer verbrennen zu lassen, offenbar weil er nicht fand, wen oder was er suchte.
"Ja, und ihm sind Landesgrenzen völlig unwichtig. Er erschien auch in der Heimat dessen, dessen Körper er sich erstohlen hat, um dort Sonnenlichtsammelkugeln zu rauben", sagte Namika bint Mahdi Al-Burak. Jophiel fragte, woher sie das wusste. "Wir hüten die Pfade unseres Wissens wie ihr die euren. Nur so viel, dass uns jemand von der Insel Britannien die entsprechende Nachricht übersandte", erwiderte Namika. Das nahm Jophiel als ausreichende Antwort. Mehdi, der ältere der beiden Morgensternbrüder, sagte: "Womöglich hat er bereits Feindberührung mit der Götzin der Blutsauger oder der aus dummem Streich entstandenen Mutter aller Schattendämonen gehabt und wähnt sich mit Sonnenlichtsammelkugeln im Vorteil. Also kann er beliebig auf die Erinnerungen seines Wirtskörpers zurückgreifen wie ein rastloser Körperdieb." Die drei anderen nickten zustimmend. Dann tauschten sie ihre jeweiligen Kenntnisse über den ungenannten Herrscher aus und auch, was sie vom Treiben der Nachtschattenkönigin und der Götzin der Blutsauger erfahren hatten. Jophiel erwähnte, dass sich ein Entscheidungskampf zwischen der Schattenkönigin und der Blutgötzin anbahnte. Er könne sich jedoch als Träger eines Silbersterns auch vorstellen, dass die vaterlose Tochter der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen in diese Auseinandersetzung eingriff oder hineingezogen werden mochte. Darauf sagte Suheir: "Falls es zu so einem Kampf kommt werden sich die Schwestern dieser Unheilstochter nicht zurückhalten. Es könnten unschuldige Menschen dabei zu Schaden kommen. Wisst ihr denn, wo die Gebieterin der schädlichen Dunkelheitszauber ihre Wohnstatt hat?"
"Da wo sie vorher weilte ist sie seit ihrem Erwachen nicht mehr anzutreffen. Sie hat sich ein neues Versteck erwählt, wie ihre Schwester der dunklen Sonnenzauber. Sicher wusste sie, dass wir von der erhabenen Bruderschaft des blauen Morgensternes sie unverzüglich wieder in den langen Schlaf zurückschicken würden, sobald wir davon Kunde erhielten, dass sie wieder aufgewacht ist", erwiderte Mehdi Isfahani.
Suheir bint Jamal Al-Kahiri sah Jophiel Bensalom an und fragte ihn, ob er als Träger eines Silbersterns der Sonnenmutter alter Zeiten nicht herausfinden könne, wo die aufgewachten Abgrundstöchter steckten. Jophiel machte ein leicht betretenes Gesicht und seufzte: "Ich alleine kann dies nicht. Deshalb müssen wir immer warten, wo genau sie sich zeigen. Da sie so schlau sind halten sie sich mit ihren Taten zurück und gehen so heimlich zu Werke, dass wir es bestenfalls noch rechtzeitig schaffen, die Auswirkungen davon zu beheben, schlimmstenfalls alles in völliger Verborgenheit verüben. Außerdem gibt es von uns nicht viele."
"Ja, der Dschinnenmeister Omar ben Faizal Al-hamit hat einen von euch getötet, und er hat keinen lebenden Sohn oder Enkel, der den verwaisten Stern für euch tragen kann", erwiderte Namika bint Mahdi Al-Burak. Jophiel Bensalom nickte. Dabei wirkte er so, als müsse er sehr darauf achten, nicht zu viel zu verraten, zum Beispiel das Erstaunen, wie gut die Töchter des grünen Mondes unterrichtet waren. Hatten die etwa Spione in den Reihen der Bruderschaft? Wollte Suheir ihm genau das damit verraten, dass die Bruderschaft nicht unbeobachtet und unbelauscht war? Doch welchen Grund sollte sie dafür haben? Zumindest mochten die zwei Mondtöchter das von ihm denken, hoffte Jophiel Bensalom. Was er wirklich dachte behielt er sehr genau für sich und war froh, dass sein mit dem Stein des Ausgleiches magisch wechselwirkender Heilsstern seine Gedanken und Gefühle verhüllte.
"Wir könnten euch helfen, da wir mit den Zauberinnen, die zu den Kindern der Ashtaria gehören eher Verbindung aufnehmen können als ihr, die meint, dass Frauen keine höhere Magie wirken dürfen", sagte Namika bewusst provokant. Mehdi Isfahani reagierte darauf mit einem verdrossenen Seufzer. Jophiel deutete ein leichtes Nicken an. Dann sagte er schnell: "Im Augenblick geht es um den wiederverkörperten finsteren Pharao, dessen Namen nur er selbst kennt, weil die ägyptischen Zauberräte im Namen von Sesostris I. jede Spur seines Wirkens getilgt haben, sowie Echnaton versuchte, bis auf Aton alle Götter auszulöschen und sein Erbe versuchte, das Andenken an ihn aus dem Gedächtnis seines Volkes und seiner Zeit zu tilgen."
"Besteht noch die Hoffnung, den wiederauferstandenen Unheilskönig lebend zu ergreifen und ihn zu zwingen, den von ihm geraubten Körper an dessen in ihm geborenen Eigentümer zurückzugeben?" fragte Namika. Mehdi sah Jophiel an. Dieser berichtete den zwei Mondtöchtern dann, was ihm vor wenigen Tagen widerfahren war und dass er und alle anderen Brüder des Morgensterns davon ausgehen mussten, dass es nur dem Unhold selbst möglich war, in den Bereich seines dunklen Erbes einzukehren und jederzeit darin Schutz zu finden. Suheir und Namika hörten aufmerksam zu. Dann berichtete Namika, dass auch das ägyptische Zaubereiministerium weder einen hellen noch einen dunklen Weg fand, die umgekehrte Pyramide zu erreichen.
"Ja, und außerdem jagen uns jetzt nicht nur unsere Feinde der dunklen Bruder- und Schwesternschaften, sowie die Abgrundstöchter und Blutsauger, sondern auch die Sandfalken der Al-Assuani-Sippe", erwähnte Mehdi Isfahani. "Unser Schriftenhüter und Nachrichtenhorcher erhielt einen Brief, in dem klargestellt wird, dass die Bruderschaft des blauen Morgensterns ab dem kommenden Vollmond als unerwünschte Gruppierung gilt und jeder, der als Mitbruder oder Gehilfe erkannt würde den vollständigen Tod erleiden würde. Ihr wisst, was das heißt?"
"Ja, dass nicht nur der Leib, sondern auch die Seele eines Feindes getötet wird", seufzte Namika. Suheir meinte: "Da haben wir ja noch Glück, dass die unsere erhabene Schwesternschaft nur in Kamele, Ziegen oder Schafe verwandeln und verkaufen wollen." Namika ergänzte: "Diese Übereaktion kommt sicher von der italienischen Meisterin aus drei menschenförmigen Urgeschlechtern, welche die Al-Assuanis und ihre Getreuen unterworfen hat. Die haben Angst vor euch und wollen euch deshalb umbringen." Mehdi bejahte das mit unüberhörbarem Widerwillen. Suheir wollte wohl was sagen, verzichtete aber darauf.
"Was schlagt ihr vor, wie wir diesen Körperdieb ergreifen können?" wollte Suheir wissen. "Wichtig ist, dass wir den Bereich, in dem die dunkle Kraft seiner verfluchten Grabstätte wirkt, tag und Nacht bewachen", sagte Mehdi Isfahani. Ich bin bereit, eine von euch mit einem von uns auf meinem Jagdteppich Sandsturmfänger aus der kleinen Familie der Söhne des Windes fliegen zu lassen."
Unsere erste Mutter hat uns ermächtigt, euch während dieser Gefahrenlage mit allen und allem zu unterstützen, was wir aufbieten können", sagte Suheir. "Daher werden euch Namika und ihre Schwester Sina unterstützen. Um sie zu rufen darf der Heilssternträger einen unserer Mondsmaragde erhalten, der auf ein Gegenstück Namikas abgestimmt wurde", sagte Suheir. Mehdi wollte schon fragen, warum Jophiel und nicht er, als Namika dem im Vergleich zu ihr selbst jungen Silbersternträger einen Armreif übergab, in dem ein halbmondförmiger Stein eingearbeitet war. Jophiel betrachtete das Schmuckstück und führte es behutsam in die Nähe seines unter dem Umhang getragenen Silbersternes. Doch es erfolgte offenbar keine befremdliche Wechselwirkung. So fragte er: "Warum ich und nicht mein älterer Mitbruder?"
"Weil, bei aller Anerkennung und Achtung seiner Verdienste, du der am besten vor dunklen Kräften geschützte bist und wohl auch am besten vor Aufspürzaubern verborgen bist", sagte Namika. Dann erklärte sie ihm, wie er den Stein im Armband verwenden konnte. Mehdi traute der Sache nicht ganz. Doch Jophiel versicherte ihm, dass sein Sternenamulett keine Gefahr gemeldet hatte und obendrein jede ihn beeinträchtigende Zauberkraft von ihm abhalten konnte. Da begriff Mehdi Isfahani, warum die Mondtöchter seinem jüngeren Mitbruder dieses Armband überließen.
Sie beschlossen dann, dass sie sich über diese neue Verbindung immer wieder abstimmten und gemeinsam die umgekehrte Pyramide beobachten wollten, um eine Gelegenheit zu erhalten, den wiederverkörperten dunklen Magier zu ergreifen.
Sie verabschiedeten sich dann voneinander und flogen dorthin zurück, wo sie hergekommen waren.
Die Königin hatte Leyth Al-Assuani persönlich zur Ordnung gerufen, weil der sich doch wirklich geweigert hatte, Kayas Posten mitzuübernehmen. Als Leiter der Tierwesenüberwachung hatte er bis dahin genug mit der Erfassung ägyptischer Zaubertiere zu tun gehabt. Außerdem hatte das Erwachen des finsteren Pharaos zu vermehrten Angriffen von Riesenschlangen geführt. Ja und seit dem 20.09.2006 wurde auch von Riesenskarabäen berichtet, die in den Abwasserkanälen großer Städte marodierten. Das fragwürdige Glück des Zaubereiministers war, dass die zwei Meter großen, wegen ihres golden spiegelnden Panzers gegen die meisten Zauber gefeiten Riesenkerbtiere jeden unbewaffneten Zeugen ihrer Anwesenheit gnadenlos töteten und mit Haut, Haaren und jeder Kleidung auffraßen. Das unangenehme dabei war, dass Weibchen, die sich so ernährten, noch mehr Eier legen konnten und dass die darin heranreifenden Larven im Überfluss von Abwasser und Faulgas schneller ausreiften als in der kargen Wüste, wo sie Kamelmist und Aas zum Ausreifen benötigten. Wenn sie der Brut nicht bald Herr wurden würde Ägypten eine Riesenskarabäenplage erleiden, gegen die die in der jüdischen Glaubenslehre erwähnten zehn Plagen verblassten. Dann waren da noch die gegen Menschen aufgehetzten Geisterkrieger. Karim und Feriz waren überzeugt, dass sowas nur mit dem gläsernen Zepter des Totenrichters möglich war, einem der legendären zwölf Schätze des Nils, von denen welche von den Schatzjägern der Kobolde erbeutet worden waren. Was hatten die sonst noch erbeutet? Am Ende konnte dieser Wicht mit der Kralle der Anat alle in Ägypten lebenden Fleischfresser mit und ohne magischen Ursprung gegen Menschen aufhetzen.
Die Königin war von ihren Plänen abgerückt, den finsteren Pharao zunächst sein Unwesen treiben zu lassen, um mehr Überwachung und noch mehr Lenkung in die ägyptische Zauberergemeinschaft zu bringen. Der Tod von Kaya und weiteren unter ihrem Einfluss stehenden durch einen reinen Imperius-Fluch hatte ihr klargemacht, wie leicht es der Gegner hatte, ihre Getreuen zu töten und dass sie es einer unbekannten Hexe aus der ihr widersetzlichen Schwesternschaft des grünen Mondes zu verdanken hatte, dass Karim und die meisten ihr treu ergebenen noch da waren.
"Feriz, was ist mit den Verliesen in Gringotts?" fragte Karim. Feriz sah seinen Bruder und Vorgesetzten an und sagte: "Meine Mitarbeiter versuchen, die Türen zu umgehen und sich ähnlich wie die Kobolde unter der Erde zu den Verliesen durchzugraben. Das wiederum ist schwierig, weil die Kobolde auch dagegen was eingewirkt haben. Doch wir versprechen uns mehr Erfolg davon, als die grünen Türsperren zu brechen und aus Versehen weitere Goldschlingstrudel auszulösen."
"Gut, wenn ihr an das Gold drankommt lass den zehnten Teil davon für uns beschlagnahmen, damit wir unsere Leute bezahlen können! Dann stelle weitere Fachzauberer für magische Tierwesen und Geisterabwehrzauber ein! Leyth, wie viele von den ehemaligen Schatzjägern der Kobolde haben wir in Verwahrung?"
"Zehn, weil wir deren Familien in Schutzlager gebracht haben", sagte Leyth Al-Assuani ohne Anflug von Unbehagen, mal eben zehn unbescholtene Familien in Sippenhaft genommen zu haben. "Gut, sage denen, die wir haben, die sollen uns helfen, das von ihnen angerichtete Unglück zu beseitigen, wenn sie nicht in die Pyramide der Unentrinnbaren eingesperrt werden wollen!" sagte Karim. "Ja, und versprich ihnen auch, dass sie nach dem Sieg über den finsteren Pharao mit einer großzügigen Menge Gold abgefunden werden, sofern sie unser Land auf nimmer Wiedersehen verlassen. Ach ja, sollten die wissen, wo noch welche sind, die sich uns bisher entzogen haben sollen die denen dieses Angebot weitergeben."
"Netter Witz, Bruder", sagte Feriz. "Die, die sich uns entzogen haben sind in England, Frankreich oder Deutschland, wo wir nicht an sie herankommen, weil diese Länder nicht oder nicht mehr der Koalition angehören und wir deshalb keinen Haftbefehl erwirken können", sagte Feriz. Karim sah seinen Bruder sehr verstimmt an und schnaubte: "Wenn sie Gold wittern sind diese Glücks- und Schatzjäger wie die Schmeißfliegen, die sich auf Aas stürzen. Bring diese Banditen dazu, für uns und nur noch für uns zu arbeiten! Die Königin hat geplant, sie auch in ihre Reihen zu berufen, wenn sie sich an einem Ort treffen."
"Ja, weil sie mittlerweile einen Kriegszug gegen die Kobolde führt", grummelte Feriz. Dafür wurde er von allen hier sehr beunruhigt angesehen, als müsse ihm gleich der Kopf platzen oder ein greller Blitz würde ihn in zwei verkohlte Hälften spalten. Doch nichts dergleichen trat ein. So sagte Karim nur: "Die Königin ist es leid, sich von diesen goldgierigen Langfingern auf der Nase herumtanzen zu lassen. Daher tut sie, was sie zu tun beliebt. Es ist uns verboten, ihr Handeln zu bewerten. Merkt euch alle das, wenn euch euer Leben lieb ist!" Dann forderte er weitere Vorschläge ein, wie dem Treiben des Wiederverkörperten Einhalt geboten werden konnte. Mehrere Vorschläge wurden in die engere Wahl gezogen. Andere wurden als undurchführbar verworfen. Am Ende waren sich alle einig, dass sie nur noch einen Monat Zeit hatten, den Feind zu besiegen, wenn sie nicht von diesem oder der Ungnade ihrer Herrin getötet werden wollten.
Er wusste, dass es ein Wagnis war, wie so vieles, was er bisher getan hatte.
Der ungenannte Herrscher flog auf seinem tarnfähigen Teppich über die von Menschen überlaufenen Straßen von Port Said, einer Stadt, die von Kolonisten errichtet worden war und am nördlichen Ende des durch das Land gebauten Verbindungskanals zwischen dem afrikanischen und dem roten Meer zu schaffen. Hier sollte laut seinen gespenstischen Kundschaftern ein Mann leben, der keinen Schatten warf. Er hatte schon von solchen Sonderlingen gehört. Sie waren die fleischlichen Helfershelfer jener Schattenfürstin, mit der er sich überworfen hatte. Wenn es ihm gelang, einen solchen Schattenlosen zu fangen und ihn zu unterwerfen erfuhr er wohl mehr über die Getreuen jener Schattendämonin und konnte ihr Einhalt gebieten.
Er musste mehrere Minuten lang fliegen, bis sein Unlichtkristallring ihm verriet, dass unter ihm jemand war, in dem dunkle Kräfte wirkten. Er guckte sich einen Landeplatz aus, der in der Nähe lag. Einen der Abstellplätze für die pferdelosen Fuhrwerke wollte er nicht nehmen. Doch er fand ein großes Haus mit einem flachen Dach, ein Haus mit unzähligen Verkaufsläden. In der Nähe dieses dem ungebändigten Handel gewidmeten Gebäudes musste der Träger dunkler Kräfte sein. Der ungenannte Herrscher landete auf dem Flachdach und streckte seine linke Hand weit von sich. Dann drehte er sich auf der Stelle, bis der Ring behutsam zu pochen begann. Er hob und senkte den Arm, um zu ergründen, ob das Ziel weiter oben oder unten zu finden war. Als er das wusste zog er seinen Tarnmantel über und disapparierte.
Unsichtbar erschien er in der Nähe des großen gläsernen Haupttores, das wie von Zauberhand immer wieder auff- und zuglitt. Musik und kalte Luft wehten ihm jedesmal entgegen, wenn das Glastor leise surrend aufglitt. Er prüfte, ob sein Ziel in jenem Gebäude war. Ja, dort drinnen musste er stecken.
Er betrat in einem Pulk von ahnungslosen Zauberkraftunfähigen das Gebäude. Wie die das anstellten, eine gewisse Kühle im Inneren zu halten wusste er nicht. Doch er empfand es zunächst als angenehm, nicht mehr in der Hitze herumzulaufen. Die Musik kam aus den Wänden. Die Musiker waren nicht zu sehen, womöglich wieder eine Ausprägung der als Magieersatz gebändigten Elektrizität. Das war ihm jetzt im Augenblick unwichtig. Er folgte dem mal stärker und mal schwächeren Pochen seines Ringes und musste dabei aufpassen, dass keiner der ahnungslosen Menschen mit ihm zusammenstieß. An und für sich war der Einfall gut, einen Basar in einem großen Haus abzuhalten, fand der finstere Pharao. Doch wie die Magielosen das anstellten war es nicht richtig.
Er nahm eine der brummenden Treppen mit nach oben gleitenden Stufen und näherte sich dem Ort, wo er den Gesuchten vermutete. Er betrat einen der kleinen Läden, welcher offenbar Wohlgerüche und ihm unbekannte Tinkturen zur Verschönerung und Körperpflege anbot. Hier drang eine andere Musik als in den Zwischengängen aus den Wänden. Eine Frauenstimme sang auf Arabisch von einer verlorengegangenen Liebe. Sowas war dem ungenannten Herrscher gleichgültig. Denn er kannte überhaupt keine Liebe. Für ihn war das ein Ausbund von Schwachheit oder nur damit gerechtfertigt, Nachwuchs in die Welt zu setzen.
Ja, jetzt hatte er die Bestätigung, dass da vor ihm jemand war, der oder die von dunklen Kräften erfüllt oder gelenkt wurde. Behutsam schlich er sich an. Dann sah er das Ziel.
Es war eine Frau, die wohl zu den Bediensteten dieses Geschäftes gehörte. Sie mied das von den Deckenlampen fallende Licht. Doch als sie an in Regalen angebrachten Lichtquellen vorbeiging konnte er sehen, dass sie keinen Schatten warf. Es war, als bestehe sie aus reinstem Glas, obwwohl er bei unmittelbarem Anblick nicht durch sie hindurchsehen konnte. Also war es eine von denen, die der von ihm überwältigte Schattengeist gekannt hatte. Unsichtbar folgte er ihr, bis sie in einen gerade weniger besuchten Abschnitt kam, wohl dem Lager für neue Ware. Hier war es etwas dunkler.
Er überlegte, ob er die Rückkehr ihres Schattens erzwingen oder sie durch den verstärkten Imperius-Fluch unterwerfen sollte. Auf jeden Fall würde die Macht, die ihren Schatten gestohlen hatte das mitbekommen. Dann beschloss er, ihren natürlichen Schatten zurückzurufen, weil an diesem auch derjenige dranhing, der ihn ihr gestohlen hatte, also sie sozusagen als Gegenstand für eine Beschwörung zu nutzen.
Er trat noch näher an sie heran. Wichtig war, dass er selbst so stand, dass er bei Sichtbarkeit einen Schatten werfen würde. Er musste aber nicht unmittelbar sichtbar werden. Er näherte sich ihr bis auf drei Schritte. Da fuhr sie herum und blickte in seine Richtung. Sah sie ihn? Nein, sie blickte ins leere. Doch sie spürte ihn womöglich, weil ihr Körper auf den Unlichtkristall an seiner linken Hand ansprach, wie diser auf ihren verwünschten Körper. Jetzt musste er sich beeielen, damit die andere ihm nicht fortrannte.
Er rief in der Sprache seiner Heimat die Kräfte von Licht und Schatten, die der sichtbaren Welt ihre Gestalt gaben. Die Unbekannte hörte ihn und stand erst einen Augenblick starr da. Dann wollte sie auf ihn zuspringen. Doch da wurde sie von silbernen Blitzen durchzuckt. Sie öffnete den Mund, wohl um zu schreien. Das musste der ungenannte Herrscher in Kauf nehmen. Dann geschah was gänzlich unerwartetes.
Ohne Vorwarnung färbte sich die schattenlose Frau völlig schwarz ein, um im nächsten Augenblick so heftig zu zerbersten, dass abertausende von Fetzen wie Splitter eines zerspringenden Kristallkelches durch den Raum schossen. Der Unlichtkristall umschloss den finsteren Pharao mit einem tiefschwarzen Dunst. Laut klirrend und sirrend prallten die mit Wucht versprengten Bruchstücke davon zurück. Die restlichen Splitter fuhren in die Wände, durchschlugen klirrend Flaschen und andere Gefäße in Regalen und löschten die flammenlosen Lampen aus. Es wurde beinahe völlig dunkel.
Schreie gellten durch das Geschäft. Jetzt sah der ungenannte Herrscher, dass zehn Menschen von den herumfliegenden Splittern getroffen worden waren und schwerverletzt am Boden lagen. Blanke Todesangst wallte unter den hier herumlaufenden Menschen auf. Sie suchten ihr Heil in der Flucht. Ein unerträglich lautes Wimmern ertönte von der Decke her. Es pflanzte sich in den ans Geschäft anschließenden Hauptgang fort. Noch mehr Menschen riefen durcheinander und eilten davon.
Der Ungenannte drückte sich an eines der beschädigten Regale und unterdrückte den Drang, sich eine Kopfblase zu zaubern, weil eine unerträgliche Wolke durcheinandergemischter Duftwässer den Raum ausfüllte. Dann sah er den Schatten ohne festen Körper, der an einer der Wände entlangglitt. Er sah die tiefblauen Augen glimmen. Er griff ohne es sehen zu müssen in seine linke Außentasche, um das Geisterzepter freizuziehen. Diesen Schattengeist wollte er sich bannen und womöglich alles Wissen von ihm einsaugen. Sicher war der es gewesen, der der unglückseligen Frau den eigenen Schatten geraubt hatte.
Als er das Zepter dem suchenden Schattengeist entgegenhielt erbebte es wild. Er dachte die Worte der völligen Vereinnahmung und löste sich von seinem Standort.
Der Schattengeist spürte wohl Zepter und Unlichtkristall. Er wandte sich in die Richtung des ungenannten Herrschers. Dann schnellte er vor. Jetzt war zu sehen, dass es kein flacher Schatten, sondern ein tiefschwarzer Geist war, der Geist einer Frau.
Die entkörperte Frau flog auf den ungenannten Herrscher zu. Dieser streckte ihr das Zepter entgegen. Sie geriet in dessen Sog. Sie schrie geisterhaft verwaschen klingend und hohl nachhallend auf. Dann ballte sie sich zu einer winzigen Kugel zusammen, die genau in das vordere Ende des gläsernen Herrscherstabes hineingeriet. Der ungenannte Herrscher fühlte den Ansturm verschiedener Erinnerungen. Er war verwirrt, jetzt von weiblich geprägten Gefühlen und Gedanken überflutet zu werden, die Geschichte eines jungen Mädchens zu durchleben, das weiter im westen geboren und großgezogen worden war und bis vor einem halben Jahr als Hochschülerin gelernt hatte, bis sie, die einzig wahre Nachtkönigin, sie als ihre Tochter wiedergeboren hatte. Die hatte einer ehemaligen Mitstudentin den Schatten genommen, um über sie an vielversprechende Menschen heranzukommen, die im Land was bedeuteten. Tatsächlich hatte ihre schattenlose Sklavin ihren nachtgeborenen Mitschwestern fünf Frauen zugeführt, die ebenfalls Schattenlose geworden waren. All das erfuhr der ungenannte Herrscher innerhalb von nur vier Atemzügen. Dann wusste er auch, warum die Schattenlose zerborsten war. Das war eine Schutz- und zugleich Vergeltungsmaßnahme der Königin, um jene zu strafen, die ihre Pläne störten. Immerhin hatte sie damit erreicht, dass andere Zauberkundige ihre Schattenlosen mieden. Tja, bis er kam. Er würde dieser Brut heute noch Einhalt gebieten. Solche Geschöpfe hatten in seinem Land nichts verloren. Er dachte an die übermittelten Wohnorte der anderen Opfer. Wenn es eben so war, dass sie sich nicht fangen oder unterwerfen ließen sollten sie eben vergehen und ihre Lenker gleich mit, dachte er. Dann meinte er, sein Körper würde unter heftigen Schwingungen erbeben und vermeinte aus diesen durch Fleisch, Blut und Knochen jagenden Bebenwellen eine tiefe Frauenstimme zu hören:
"Du hast es wieder gewagt, eines meiner Kinder zu verschlingen. Doch dadurch hast du auch etwas von mir einverleibt. glaub nicht, dass die Sonne dich schützt, kleiner Möchtegernkönig. Ich komme und ich hole dich, wenn du das nicht sein lässt, meine Kinder umzubringen."
"Die sind doch schon tot, genau wie du, Schattenfürstin", dachte er verwegen zurück, als ihm klar wurde, dass er wirklich eine Verbindung mit der obersten Schattendämonin bekommen hatte.
"Nein, sie leben, auch wenn sie kein Fleisch und Blut in sich haben, du ahnungsloser Kerl. Aber das wirst du erleben, wenn ich dich doch noch zu mir nehme, wie ich es dir bereits anbot."
"Ach ja, dann komm doch. Du wirst ja wissen, wo ich demnächst bin oder es zumindest mitbekommen", erwiderte der ungenannte Herrscher. Dann befand er, dass er von hier zu verschwinden hatte. Denn gerade kamen Männer in dicker Bekleidung mit schweinerüsselartigen Bedeckungen vor Mündern und Nasen hereingestürmt.
Er apparierte bei seinem Flugteppich und packte diesen fort. Hier in der Sonne würde ihn keiner der niederen Schatten und auch keine Schattenfürstin heimsuchen.
Er wechselte zeitlos vor das Haus, in dem eine der anderen Schattenlosen wohnte, ein herrschaftliches Haus in der Stadt Alexandria. Sofort spürte er, wo die andere war, wohl weil er gerade den Geist einer anderen Schattendämonin in sich einverleibt hatte. Er öffnete die Tür mit einem einfachen Alohomora-Zauber und stürmte hinein. Die Schattenlose hielt sich in einem verdunkelten Raum auf. Offenbar vertrugen die Befallenen das Licht der Sonne nicht mehr so gut wie die Unbefallenen. Das machte sie den Blutsaugern ähnlich.
"Sei gegrüßt, Sklavin eines unwürdigen Geistes!" rief er der ziemlich beleibten Frau zu, die gerade in einem Buch las. Sie fuhr herum. Er sprach den Imperius-Fluch aus, weil der schneller ging und befahl ihr, sich ihm, dem König des vereinten Reiches zu unterwerfen. Wie er vermutet hatte führte das zu einem Widerstreit der Verbundenheiten. Dieser entlud sich in einer heftigen Sprengung der Betroffenen. Wieder wehrte der magische Schutzmantel des Unlichtkristalls alle ihm entgegenjagenden Splitter ab. Alles andere ging in Fetzen oder wurde durchlöchert. kein neuer Schattengeist erschien, wie er insgeheim gehofft hatte. Er meinte nur, jemand wolle ihn von innen her durchschütteln und meinte ein Wutschnauben daraus zu hören. Er beachtete es nicht weiter, sondern wechselte sogleich zum nächsten erfassten Wohnort über. Wenn er schnell genug war kam die Feindin nicht mehr dazu, ihre Sklaven in Sicherheit zu bringen.
Zwei weitere Schattenlose erledigte er auf die gleiche weise wie die ersten beiden. Als er bei der fünften war meinte er, in einen stockdunkeln Raum geraten zu sein. "Schön, dass du da bist, Kleiner. Mein Sohn wirst du nicht. Aber dein Wissen werde ich mir jetzt einverleiben!" rief die erboste Stimme einer riesenhaften Frau wie aus allen Richtungen und dröhnte auch in seinem Körper nach. Er rief: "Lass die Sonne raus!", bevor sein Ring ihn mit Urgewalt den linken Arm herumschlenkern ließ und ihm Kraft aus dem Körper zog.
Aus seinem Rucksack flog eine der erbeuteten großen Sonnenlichtkugeln und entfaltete das in ihr gesammelte Licht. Die über ihm niedersinkende Wolke dunkler Kraft erbebte. Er hörte einen lauten Aufschrei und fand sich in einem nun sonnenhell erstrahlenden Zimmer wieder. Vor ihm kniete eine andere Frau und hielt sich keuchend die Hände vor die Augen. Er sah, dass sie keinen Schatten hatte. "Sei Vertilgt, Schattenbrut", dachte er und rief erneut den Imperius-Fluch aus, weil der schneller ging als der Todesfluch. Wie bereits zuvor zerbarst die andere wegen der in ihr widerstreitenden Verbundenheitszwänge. Zwar schützte auch diesmal der Unlichtkristallring seinen Träger vor den mit dunkler Zauberkraft überladenen Fetzen. Doch viele von denen trafen laut klirrend die Sonnenlichtkugel. Diese begann auf einmal Funken zu sprühen und in einem aufsteigenden Ton zu summen und auf- und abzuschwingen. Da wusste der ungenannte Herrscher, dass er hier ganz ganz schnell verschwinden musste. Er disapparierte, als die Sonnenlichtkugel einen schrillen, weiter aufsteigenden Sirrton aussandte.
Um gegen einen neuen Angriff der Schattenkönigin gewappnet zu sein musste er sich zunächst eine weitere der zwanzig erbeuteten Sonnenlichtkugeln aus seinem Stufengrab holen. Während er danach suchte hörte er wieder die Stimme der Schattenkönigin, die wie aus einem in ihm stattfindenden Beben heraus erklang: "Ich sagte dir, vertraue nicht zu sehr auf die Sonne, auch wenn mich die von dir in mich hineingerammte Sonnenlichtkonserve gut gepiesackt hat. Aber jetzt weiß ich, wie ich das abhalten kann. Wenn du noch eine meiner Unterdienerinnen behelligst verschlinge ich deinen kümmerlichen Kleingeist und sauge deinem Leib alles Leben aus. Dann ist Ruhe im Karton."
"Bitte was?!" rief er in Gedanken zurück. "Klar, diesen Ausdruck kennst du Mumie ohne Binden ja gar nicht. Ich meine, wenn ich dich verschlungen und alles wichtige von dir verdaut habe übernehme ich dein Land mit meinen Kindern und Dienern, du Frechling."
"Oder ich verleibe mir deine ganzen kenntnisse und Kräfte ein und übernehme deine fleischlosen Untertanen, Schattenkönigin ohne Namen", versetzte der ungenannte König. "An meinem Geist wird sich dein kleiner Einsaugstecken überfressen und dir um die Ohren fliegen, König ohne Land und Untertanen."
"Oh, das will ich gerne erproben, kleines Schattenmädchen. Treffe ich dich also bei deiner nächsten Dienerin und zeige dir, was der kleine Geisterstecken mit dir anfängt, fleischlose Metze."
"Lern du erst mal neue Wörter, kleiner Körperdieb. Ja, ich bekomme schon mit, wer du bist, weil du so dreist warst, eine meiner Töchter in deinen kümmerlichen Verstand hineinzufressen. Solange du lebst lebt auch ein Teil von ihr in dir und ist dadurch mit mir verbunden. Also bringen wir es zu Ende. Komm her und sei mein!"
"Der Tag ist noch jung!" rief der ungenannte Herrscher. Dann disapparierte er.
Der Alarm erreichte die Leitstelle um 10:33 Uhr. Keine zwei Sekunden nach dem ersten Alarmton erschütterte ein kurzer Erdstoß das Feuerwehrzentralgebäude. Sofort wurden mehrere Löschzüge losgeschickt. Gleichzeitig trafen mehrere Notrufe ein. Die einen berichteten von einer grellen Explosion, die ihnen das Augenlicht geraubt hatte. Andere erwähnten eine heftige Druckwelle, die ihnen das halbe Haus eingedrückt hatte. Einige schrien was von einer Atombombenexplosion im von wohlhabenden Leuten bewohnten Außenbezirk von Alexandria West. Der Leiter der Feuerwehr rief sogleich beim Innen- und beim Verteidigungsministerium an. Beide Stellen befahlen ihm, keine Nachrichten darüber zu verbreiten.
Es stellte sich heraus, dass die sogenannte goldene Oase im Westen Alexandrias vollkommen vernichtet war. Ganze Häuser waren restlos zu Staub zerblasen worden oder verglüht. Andere Häuser brannten lichterloh oder stürzten in sich zusammen. Ein noch glühender Krater gähnte da, wo vor wenigen Minuten noch mehrere stattliche Häuser gestanden hatten. Die Feuerwehrleute prüften mit Gasspürgeräten und Geigerzählern nach, wie gefährlich es dort war. Die Geigerzähler schlugen heftiger aus als sonst, aber noch im Rahmen des unbedenklichen. Nur im Zentrum des Kraters herrschte eine stärkere Strahlung vor. Das sprach wirklich für eine Atomexplosion, wenn auch eine, die weit unterhalb der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe lag. Gab es wirklich schon derartig kleine Bomben.
Das Militär übernahm die Regie. Es filterte auch die Berichte, die schon ins Internet geraten waren und milderte die Atombombenphantasien zu einem Großbrand und einem explodierten Gastank herunter. Als dann noch ein Mann in arabischer Tracht im Büro des Feuerwehrchefs erschien fiel der endgültig von seinem Glauben ab. Doch wenige Sekunden später dachte er nur daran, dass ein Kommando von Al-Qaida ein Sprengstoffdepot eingerichtet hatte und dieses wohl in die Luft gegangen war. Also war es nun an den Geheimdiensten und dem Militär, dem nachzuforschen.
"Was bitte war das, Leyth?" wollte Karim Al-Assuani wissen. "Keine Kernspaltungsbombe, Bruder Karim. Es war laut unseren Spürsteinen eine Entladung von mehreren Dutzend Sonnenlichtzaubern auf einmal, als hätten über drei Dutzend Zauberer zugleich Ras Zorn heraufbeschworen. Allerdings muss dieser Zauber in einem feststofflichen Gegenstand gebündelt worden sein. Meine Leute prüfen das gerade nach. Ich habe denen geraten, bei einer Rückschau die neuen Gleitlichtbrillen zu nehmen, die überstarkes Licht auf für Augen verträgliches Maß abschwächt. In fünf Minuten wissen wir mehr."
"Wer kommt auf die Idee, drei Dutzend Zauber Zorn des Ra auf einen Schlag zu entfesseln. Gab es im betroffenen Vorort ein Vampirnest oder gar eine Zuflucht der Schattendämonin?"
"Das wird auch gerade vor Ort geprüft", erwiderte Leyth Al-Assuani. Ihm war anzusehen, dass ihm sein Zusatzposten überhaupt nicht behagte. Doch die Königin hatte es verlangt, dass er ihn ausfüllte.
Wenige Minuten später wussten sie, was geschehen war. Eine Frau ohne Schatten hatte in dem Haus gewohnt. Dann war es für eine halbe Minute völlig Dunkel geworden. Dann war die Frau ohne Schatten explodiert. Viele ihrer Splitter hatten eine an der Decke schwebende Lichtkugel getroffen und sie zum Schlingern und schließlich zur grellen und heißen Explosion gebracht. "Eine neuartige Sonnenlichtsammelkugel", meinte Karim dazu. "Wir wissen, dass die Engländer an sowas geforscht haben. Eigentlich gehört dieses Wissen hierher, weil wir das wahre Reich der Sonne sind. Aber wichtiger ist, dass diese Kugeln nicht von dunkler Magie aufgeladenen Eissplittern getroffen werden dürfen. Dann explodieren die und entladen alle in ihnen gesammelte Sonnenkraft in einem Augenzwinkern. Das sieht dann so ähnlich aus wie bei einer Kernspaltungsbombenexplosion, wie sie uns von unserem Verbindungsmann zu den Nichtmagiern beschrieben wurde."
"Und wer macht sowas, Herr Minister?" fragte Feriz. "Jemand, der gegen sonnenempfindliche Wesen kämpft, ein Jäger der Blutsauger oder der Schatten. Er konnte nicht wissen, dass die Auslöschung einer Schattenlosen diese Überheftige Entladung auslöst."
"Hmm, wenn es unser dämonischer Körperdieb aus dem vergrabenen Stufengrab ist, Karim, meinst du, dass es ihn miterledigt hat?"
"Hoffst du darauf, Vetter Leyth?" fragte Karim Al-Assuani. "Falls ja, dann hat dieses Ende aber viele Dutzend Menschenleben gekostet und noch mehr Leuten das Augenlicht. Oder willst du sie alle behandeln lassen?"
"Die Heiler sagen, wenn es was magisches war hätten sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, unmagische Menschen zu heilen", sagte Leyth, dessen Schwägerin eine Heilerin war. Karim überlegte. "Es sei ihnen gestattet, Leyth. Gib den für Organschädigungen ausgebildeten Heilern die Anschriften der Betroffenen oder in welchen magielosen Heilstätten sie behandelt werden! Die Toten können wir nicht mehr zurückholen. Aber wenn wir den Schaden an den Lebenden kurieren können sollten wir dies tun", seufzte Karim. Er dachte bereits weiter. Was wenn der finstere Pharao noch rechtzeitig entkommen war. Gesehen hatte ihn niemand. Das hieß jedoch nichts, wenn der sich unsichtbar machen konnte. Wenn der nun wusste, wie er großflächige Schäden anrichten konnte hielt er noch ein Druckmittel gegen ihn und das Ministerium in seinen dreckigen Händen. Blieb dann echt nur die Hoffnung, dass er von der Entladung der Sonnenlichtkugel vernichtet worden war? Er fragte Leyth, wie lange es von der Dunkelheit zur Sonnenkugelexplosion gedauert hatte. "Ungefähr dreißig Sekunden. Die Kugel hat bereits Funken gesprüht und ist immer wilder auf- und abgehüpft." "Tja, werter Vetter Leyth, dann müssen wir beide wohl die Hoffnung begraben, dass unser neuer Feind es nicht mitbekommen hat. Der hat sich sicher noch rechtzeitig davongemacht", seufzte Karim. Leyth nickte betrübt.
Er hatte es befürchtet. Doch er hatte es auch prüfen müssen. Die vorletzte Schattenlose war nicht dort, wo er sie anzutreffen hoffte. Statt dessen erschien eine mitternachtsschwarze Schattenkugel mitten im Raum vor ihm. Er rief: "Lass die Sonne raus!" Da erbebte das ihn umgebende Haus in einem knapp unterhalb der Hörschwelle liegendem Dröhnen. Sein Unlichtkristallring ließ eine wild pulsierende schwarze Wolke um ihn entstehen, die das zerstörerische Dröhnen von ihm fernhielt. Seine Sonnenlichtkugel stieg noch aus dem Rucksack, spie dabei aber wie wild Funken aus. Er wollte nicht noch eine davon zurücklassen und befahl ihr, zu erlöschen. Sie spie noch eine gelbe Funkenwolke aus, bevor sie in seinen Rucksack zurückplumpste. Einen Augenblick lang hörte er ein leises Zischen und fürchtete schon, die Kugel würde alles andere im Rucksack ansengen oder gar in Brand stecken. Doch dann musste er sich auf seine Umgebung besinnen. Das Haus erbebte immer wilder. Er versuchte, zu disapparieren. Doch irgendwas hielt ihn hier fest. Er kam so nicht fort. Er fühlte auch, dass ihm der Unlichtkristall Kraft entzog, während die vor ihm in der Luft hängende, metergroße Kugel aus Dunkelheit erbebte. Sie gab die extrem tiefen Töne von sich, deren Oberschwingungen nun aus Wänden und Decken nachklangen. Dann rissen die Wände auf. Aus der Decke rieselte es herab. Dann brachen größere Brocken heraus.
Der finstere Pharao zog sein Geisterzepter hervor und zielte damit auf die Schattenkugel. Doch wie schon einmal schlackerte der magische Herrscherstab so heftig und wurde immer kälter und schwerer, dass er ihn fallen ließ. Er sprang schnell nach und ergriff es, während die nachtschwarze Riesenkugel über ihn glitt und sich von oben auf ihn niedersenkte. Jetzt meinte auch er, wild zu erbeben. "Na, wird dein Schutzmantel mich noch länger abweisen ohne deine Knochen zu zermalmen", hörte er über das nun in seinem Kopf und seinen Knochen dröhnende Getöse hinweg. Er ahnte, dass er jetzt erledigt war. Während das Haus um ihn herum immer stärker schwankte und immer mehr von der Decke herabfiel fühlte er, wie ihm seine Kraft schwand. Am Ende brach ihm das Getöse alle Knochen im Leib. Dann starb er, und dieses Unweib, das gerade als tödliche Riesenkugel über ihm hing, würde seine entweichende Seele schlucken. Doch er konnte nichts dagegen tun. Er war verloren! Er würde gleich sterben und zum Teil dieses Ungeheuers werden!
Da fühlte er, wie etwas nach ihm griff und in einen Schacht hineinzog. Es war ein Schacht, der von rotem und goldenem Licht erfüllt war. Dann fand er sich in einer goldenen Kammer wieder, jener, die seine langjährige Ruhestatt und Zuflucht war. Er lag wieder auf dem Tisch. Alles an ihm schmerzte. Zu allem Überdruss fühlte er, wie der Tisch unter ihm erzitterte. Nein, dem wollte er sich jetzt nicht auch noch ausliefern. Er schaffte es noch, von seinem Aufbahrungstisch herunterzurutschen. Keuchend und mit wild pochendem Herzen landete er auf dem fgoldenen Boden. Er blickte sich ängstlich um. Hatte er die Feindin mit hierhergebracht? Bange Sekunden vergingen. Dann wusste er, dass sie nicht mitgekommen war.
"Hast du eine kleine aber wirksame Rückversicherung, dass dich niemand zu fassen kriegt, kleiner König ohne Land? Aber das wird dir nicht helfen. Ich weiß von meiner von dir einverleibten Tochter, wo immer du auftauchen wirst. Jetzt weiß ich, dass ich dich mit den Tönen der Vernichtung erledigen kann, wenn ich zu dem allgemeinen Rückhaltezauber auch noch deinen Fluchtzauber erfassen und dich am Ort halten kann. Oder noch besser, wenn ich rausfinde, wie ich zu dir hinkommen kann, um dich in deinem eigenen Haus zu erledigen."
Der finstere Pharao erwiderte nichts darauf. Er fühlte nur, dass er etwas in seiner linken Hand hielt, das Geisterzepter. Er hatte es doch noch ergreifen können.
Erst einmal musste er seinen geschundenen Körper heilen. Dafür war er hier genau richtig. Er beschwor die in den Seelenkammern gefangenen Kaas seiner Opfer, ihm neue Kraft zu geben. Sogleich begannen heilende Ströme in ihn hineinzufließen und ihn von innen her zu stärken. Sein Unlichtkristall pochte zwar wild, konnte jedoch den Strom der dunklen Heilkraft nicht unterbrechen. Allerdings fiel der finstere Pharao wieder in einen tiefen Schlaf, von dem er nicht wusste, wie lange er andauern würde.
Die Jäger waren zu gejagten geworden. Die ganze über Jahrhunderte bewährte Verwaltung und Verständigung zerfiel immer mehr. Der neue Herr der nicht mehr ganz zehntausend Augen und Ohren, dem Bund, der vor kurzem noch davon prahlte, überall zu sein und alles zu regeln, hatte sich mit fünf verbliebenen Leitwächtern des Bundes in dieser Höhle verabredet und hoffte inständig bei der Gnade der großen Urmutter, dass keiner von denen den Auftrag hatte, sie alle umzubringen. Denn damit musste er jeden Tag rechnen, seitdem jemand angefangen hatte, die geheimen Leitstellen des Bundes mit blauem Vernichtungsfeuer zu zerstören. Er selbst hatte es sich angewöhnt, niemals länger als einen halben Tag am selben Ort zu bleiben. Das hatte ihm das Leben gerettet, als am 30. September die deutsche Hauptstelle in blauem Schmelzfeuer verging. Seltsamerweise blieb Gringotts weiterhin unbehelligt.
"Brüder, es ist bestätigt. Jemand aus unseren Reihen hat Ladonna verraten, wo unsere Hauptstellen liegen. Dann dringt sie darin ein, wie immer sie das trotz der Appariersperren und Erddurchdringungssperren schafft, legt einen ihrer berüchtigten Brandsätze und verschwindet wieder, um dann alles in blauem Feuer hochgehen zu lassen. Unser Bund ist nicht mehr Herr der Lage", brachte er es ohne Umwege und mit allem zu erwartenden Schmerz auf den Punkt. "Sie beschränkt sich dabei nicht einmal mehr auf die von ihr versklavten Hoheitsgebiete, sondern greift auch dort an, wo sie eigentlich selbst die Unerwünschte Nummer eins ist. Wir können nur noch unsere Geheimaufzeichnungen zusammenraffenund uns an einem sicheren Ort, den der Zufall aus drei Dutzend möglichen auswählt, zurückziehen und in Überdauerungskammern aushalten, bis die Nachricht kommt, dass Ladonnas Herrschaft beendet ist."
"Wir sollen uns selbst einlagern wie alte Dokumente?" fragte der einstige italienische Leitwächter, der vor kurzem noch versucht hatte, die Rückkehr der Kobolde nach Italien einzuleiten und dabei fünfzig Leute verloren und den stillgelegten Stützpunkt der Vernichtung preisgegeben hatte.
"Hast du denn noch eine Idee, wie wir uns dieses Weib vom Hals schaffen, Bruder Rothpock?" fragte er den italienischen Mitbruder.
"Ja, wir greifen dieses verwünschte Haus von der an. Ob sie wirklich den, den niemand laut beim Namen nennt rufen kann oder nicht ist egal. Wir müssen dieses vom Blutfeuernebel umschlossene Haus zerstören. Dann hat sie keine sichere Festung mehr. Finden wir sie dann werden wir sie eben töten. Was deren Veelaverwandte dazu sagen muss uns gleichgültig sein. Sollen die sich dann bei uns blutige Nasen holen, wenn sie auf ihre Blutrache bestehen. Wir untergraben wortwörtlich ihr Haus und jagen die Tunnel dann mit Erumpenthornflüssigkeit in die Luft. Wie sie uns, so wir ihr", sagte Rothpock sehr entschlossen. Man sah ihm die Wut an, dass jemand ihn aus seiner Heimat verjagt und ihm alle Macht genommen hatte.
"Also, ihr glaubt das auch nicht, dass sie den rufen kann, vor dem wir alle die größte Angst haben müssen", sagte Cuthmock, der Leitwächter der Niederlassung der Bahamas. Brummback erwiderte, dass es mittlerweile erwiesen sei, dass sie hierfür einen vorbereiteten Erdzauber, der eine Nachbildung des größten aller Feinde erschaffen hatte, um vor allem die Zwerge in Italien und Deutschland einzuschüchtern. Die glaubten wohl immer noch, dass Ladonna die Herrin dieses größten aller Schrecken sei und ihn jederzeit hervorrufen konnte.
"Dann frage ich mich, warum du das mit dem Untergraben nicht schon vor einem Jahr angefangen hast, wo ihr offiziell aus dem Land hinausgescheucht worden seid, Bruder Rothpock?" erwiderte Brummback noch. Rothpock verzog das Gesicht und sagte: "Wir haben kein Erumpenthorn. Wir müssten welche besorgen, bestenfalls über Gringotts. Die haben noch Fäden in die Handelsabteilungen Nord- und Zentralafrikas."
"Ägypten zum Beispiel oder Algerien?" fragte Cuthmock mit feisten Grinsen. Rothpock schnaubte ihn an, nicht so überheblich dreinzuschauen, nur weil die Bahamas-Inseln bisher nicht von Ladonnas Leuten heimgesucht worden waren. Immerhin hätten die da auch heftig an der Goldebbe und dem Ausfall der Nachrichtenverbindungen knabbern müssen. "Wie tief meint ihr, muss gegraben werden, um nicht von diesem Blutnebel behelligt zu werden und zugleich genug Sprengkraft zu entwickeln, um ihre feine Villa zu zerstören?" fragte Brummback. Rothpock und die anderen warfen nun Schätzungen in den Raum. Sicher war, dass je tiefer sie graben mussten, desto mehr Erumpentflüssigkeit wurde benötigt, desto riskanter war es für die, die den Sprengstoff an die Tunnelausgänge brachten. Warum es jetzt erst angesprochen wurde kam daher, dass es unmöglich war, Ladonna aus sicherer Entfernung zu überwachen, also ob sie in ihrem gesicherten Haus war oder nicht. Denn die meisten hier wollten sie gerne töten und nicht nur ihr Haus zerstören. Doch nun, wo sie ihre geheimen Stützpunkte zerstörte galt, dass auch ihr Stützpunkt vernichtet werden sollte. Brummback überlegte kurz. Dann sprach er es aus: "Ja, wir vernichten ihren Stützpunkt und greifen auch das italienische Zaubereiministerium auf diese Weise an. Wir schieben es dann den sie ablehnenden, vor allem den Franzosen in die Schuhe, die Millemerveilles zu einem für unterirdische Reisende unbetretbaren Ort gemacht haben. Pierroche wollte mir nicht verraten, wer das getan hat. Offenbar steht er unter dem Bannwort des ersten Königs. Das heißt, wer es kennt muss sterben. Aber solange wir nicht wissen, wer es kennt können wir nicht jeden in Millemerveilles umbringen, ohne uns der restlichen Zaubererwelt auszuliefern. Also legen wir es so aus, dass eben jene, die sich für die Hüter der Freiheit halten, Ladonnas Stützpunkt und das italienische Zaubereiministerium zerstören. Das wird einen offenen Krieg mit allen geben, die Ladonna unterworfen sind. Das werden wir ausnutzen, um erst sie zu vernichten und dann unseren Bund neu zu beleben. Die Geheimunterlagen sollten nicht in Europa bleiben, sondern auf den Bahamas deponiert werden."
"Verstanden, werden Sie meinen Leuten die Zugangsworte verraten, Herr der zehntausend Augen?" fragte Cuthmock. Brummback wiegte den Kopf. Noch war das Hauptlager aller Unterlagen sein Geheimnis, seitdem der Vater aller Augen getötet worden war. Gab er es preis hatte er vielleicht keine Herrschaft mehr darüber. Doch wenn er sagte, dass alles ausgelagert werden sollte, dann musste er es eben tun. Er nickte und verriet den Standort, die Zugangspasswörter, die zusammen mit bestimmten Berührungsgesten ausgesprochen werden mussten. Cuthmock und auch die anderen Leitwächter schrieben es sich auf. Jetzt konnte jeder von denen da rein und alle Aufzeichnungen der letzten vierhundert Jahre hinausbringen. Brummback dachte daran, dass damit auch die Gefahr von Verrat erhöht wurde.
"Gut, dann möchten wir das jetzt noch einmal klar hören, welchen Befehl Sie geben, Herr der zehntausend Augen", sagte Rothpock unvermittelt ernst. Offenbar drängte er auf eine höchst offizielle Entscheidung, auf die er sich später berufen konnte, falls etwas schiefging. Brummback holte luft und sagte: "Für die Mitschrift unter Geheimhaltung blauer Turm oberstes Stockwerk: hier und heute beschließe ich, Herr der zehntausend Augen und Ohren, Brummback, dass wir durch gezieltes Unterminieren der Villa Girandelli bei Florenz und des Gebäudes des italienischen Zaubereiministeriums zu Rom ausreichend starke Vernichtungsmittel platzieren und damit die erwähnten Gebäude zerstören. Ehre dem Bund der zehntausend Augen und Ohren. Ehre unserem aller in Erfüllung seiner Treue vergangenen Vater Deeplook!" rief Brummback.
"Unsere Treue ist unser Leben, Verrat ist unser Tod!" riefen dann alle noch.
Kaum hatten sie diese Losung ihres Bundes ausgerufen, glühte Rothpocks Kopf. Noch bevor sie begriffen, was geschah leuchtete der ehemalige italienische Leitwächter hellblau auf und zerbarst in einer um sich greifenden Flammenwolke. Ehe die hier versammelten noch was unternehmen konnten erfasste sie das blaue Feuer, wurde dadurch noch stärker und breitete sich noch schneller aus. Innerhalb von nur drei weiteren Herzschlägen war der geheime Stützpunkt in einer Höhle im Schwarzwald ein einziges hellblaues Flammenmeer. Keiner der hier versammelten überlebte die Vernichtung.
Die Decke brach in sich zusammen. Halbgeschmolzenes Gestein rutschte nach, füllte die hellblau flackernden Gänge und Kammern aus und erstickte die Flammen, als diese keine lebende Quelle und keine Zauberkraft mehr fanden. Der Bund der zehntausend Augen und Ohren hatte mit einem einzigen Schlag alle seine Führer verloren.
Viele tausend Meilen davon entfernt lehnte sich eine überlegen grinsende Frau mit nachtschwarzen Haaren in ihren Sessel zurück. Sie hatte es geschafft. Der Koboldgeheimbund war so gut wie zerschlagen. Die wenigen noch lebenden Mitglieder würde sie durch die sechs gefangenen und ihr unterworfenen Kobolde herausfinden und dann entweder einsperren oder hinrichten lassen. Es ging ihr nur noch um alle Aufzeichnungen in jenem Geheimlager unter dem schottischen Hochland. Womöglich erfuhr sie dadurch auch, wo sie noch mächtige Artefakte erbeuten konnte, die bis dahin unter Verschluss gelegen hatten.
Die Idee, Rothpock zum Träger ihres blauen Vernichtungsfeuers zu machen war ihr gekommen, als der versucht hatte, einen seiner Stützpunkte wiederzueröffnen. Sie hatte ihn gefangennehmen und den Verratsvereitelungsstein in seinem Kopf zerstören können. Dann hatte sie ihn auf die bisher praktische Weise verhört und ihn dann in seiner ursprünglichen Gestalt, aber mit einem von ihr bezauberten Überwachungsstein im Kopf zurückgeschickt. Sie wollte nur wissen, ob wirklich alle anderen noch lebenden Leitwächter zu einer Beratung kommen würden. Das war geschehen. Damit hatte sich der mächtige Bund, der alles hört und alles sieht endgültig ausgeliefert. Im Grunde konnte sie diesem wiederverkörperten alten König sogar danken, dass er sie auf die Idee gebracht hatte, diesen Geheimbund auszulöschen. Wenn sie alle Aufzeichnungen hatte mochte sie auch die Gringotts-Kobolde beherrschen. So hatte sie nun den Rücken frei, um diesen finsteren Pharao zu vernichten, wenn sie herausfand, wie sie in dessen Machtbasis, die in die Erde gegrabene Pyramide, eindringen konnte.
Er hatte wieder lange geschlafen. Vielleicht zu lange. Er konnte sich jedoch nicht an einen Traum erinnern. Als er herausfand, wie viele Tage er im Schlaf zugebracht hatte verwünschte er diese Schattenkönigin in den tiefsten Feuersee der Unterwelt. Doch ihm war auch was klargeworden. Solange er die Essenzen der besiegten Schattengeister in sich trug konnte sie ihn finden. Er musste sie wieder loswerden.
Hierzu ging er in eine noch unbesetzte Seelenkammer und beschwor die Umkehrung der Macht des Geisterzepters. Er hatte nämlich gelesen, dass er damit auch schädliche Gedanken einverleibter Geister und deren Essenz aus sich hinaussaugen und in ein anderes stoffliches Gefäß übertragen konnte. So hielt er sich das Zepter an den Mittelpunkt seines Körpers und beschwor diese Kraft. Er fühlte, wie etwas in seinem Kopf verschoben wurde, wie heißkalte Wellen aus seinem Körper hinausströmten und das Zepter immer schwerer und undurchsichtiger machten. Er merkte, dass er alles vergaß, was er von den einverleibten Geistern aufgenommen hatte. Doch wenn es ihm half, dieser Schattenkönigin zu entgehen musste es so sein. Als das Zepter so schwer war, dass er es fast nicht mehr halten konnte hielt er es gegen das noch glatte Relief. Dann stieß er die Worte der Entlassung und Befreiung aus. Schwarze Dampfwolken schossen aus dem gläsernen Stab und bedeckten das Relief. Er hörte mehrere leise Schreie wie mit umgekehrtem Widerhall lauter und wieder leiser werden. Dann war der gläserne Stab des Totenrichters wieder völlig durchsichtig. Dafür war das einst goldene Relief nachtschwarz angelaufen und pochte langsam. Er fühlte, dass eine gewisse Kälte davon ausströmte. Doch er fühlte auch, dass er sich von einer gefährlichen Last befreit hatte. Das Gefühl, von etwas belauert zu werden war genauso verschwunden wie der Eindruck, nicht ganz Herr seines Körpers zu sein.
Er verschloss die Kammer von außen und rief in Gedanken nach der Schattenkönigin. Doch sie meldete sich nicht. Hatte er es also geschafft, den winzigen Anteil von ihr aus sich hinauszubefördern wie unverdauliche Nahrungsreste? Er würde es wissen, wenn er die Sicherheit seiner Heimstatt erneut verlassen musste.
Mit hilfe seiner versklavten Schattendämonen war es dem ungenannten Herrscher gelungen, einen Zauber zu finden, der in Verbindung mit dem Zepter des Totenrichters Amun-Min von anderen Schattendämonen belangte Menschen zu finden. Mit Hilfe des erbeuteten Griffels des ewigen Schreibers hatte er mehrere kleine Steintafeln mit immer derselben Anrufung beschrieben. Sie sollte bei einem seines Schattens beraubten dafür sorgen, dass der angeborene Schattenwurf zusammen mit dessen Räuber, wer es auch sei, an den Ort gelangte, wo der des Schattens beraubte weilte. Dann war er mit seiner Geisterarmee losgezogen und hatte in Ägypten lebende Schattenlose gejagt. Auch wenn es nur vier waren, die er fand, so schaffte er es, ihnen mit der beschriebenen und bezauberten Tafel ihre Schatten wiederzugeben. Dass dabei die Schattenräuber in die Sonne gezerrt wurden und darin vergingen wie Eis im Schmiedefeuer war genau beabsichtigt. Der Unlichtkristallring und die als bei Vorlesen jederzeit wirksamen Beschwörungszauber auf den Täfelchen zwangen die Schattenräuber auch ohne ihre Namen und Schlupfwinkel zu kennen herbei.
Der finstere Pharao genoss die letzten lauten Schreie der erst grau, dann weiß werdenden und dann in silbernen Funken vergehenden Nachtschatten, wenn sie ins volle Licht der Mittagssonne gerieten. Beim vierten und letzten Schattendämon auf ägyptischem Boden musste deren Königin wissen, was der Meldegong geschlagen hatte. Doch sie konnte nicht zu ihm hin, weil ja die Sonne schien.
Von seinen Erfolgen angespornt ließ er auch Geisterscharen über arglose Menschen herfallen, denen er die Gabe verliehen hatte, wie die blutroten Rachegeister die Seelen der Überfallenen zu Ihresgleichen zu machen. So würde er bald seine ganz große, Tag und Nacht einsetzbare Streitmacht ruheloser Seelen besitzen, gehorsamer als Menschen, unverwundbar, weil keiner einen Geistersirrer besaß, wie er ihn hatte und wohl auch die Kenntnisse um das Feuer der brennenden Seelen mehr hatte.
Er weckte weitere Kinder und Enkel Apeps auf, die auch in anderen nordafrikanischen Ländern im tiefen Schlaf lagen, gebannt von mächtigen Zauberern, die bereits vor Jahrhunderten zu Staub geworden waren. Außerdem erwischte er noch fünf Schattenlose in wichtigen Anstellungen der völlig ahnungslosen und magieunfähigen Leute und zwang die Schattenräuber ins helle Sonnenlicht. Mit jedem Schattenräuber verlor die Schattenkönigin einen treuen ihrer Krieger. Tja, und selbst wenn sie wusste, wo er sich selbst verbarg konnte sie nicht an ihn heran, war er sich sicher. Es sah ganz danach aus, dass er sowohl Fluch als auch Segen für lebende Menschen sein würde. Er würde die Nachtschattenkönigin enttrohnen und auch die Blutsaugergötzin von ihrem hohen Sockel stoßen. Denn zwischendurch erwischte er Dank seines Ringes und eines eigenen Blutsaugersuchkristalls Anhänger der falschen Göttin. Dabei erfuhr er, dass diese tatsächlich auch bei Sonnenlicht unterwegs sein konnten, weil sie eine besondere zweite Haut unter ihrer Kleidung trugen, die sie wie die dunklen Glaseinsätze in ihren Augen vor der tödlichen Sonnenstrahlung schützte. Doch dagegen würde er auch noch was erschaffen, im Zweifelsfall einen zersetzenden Dampf, der genau auf diese falsche Schutzhaut abgestimmt war.
Als er jedoch das Treffen dreier Blutsauger entdeckte, die wohl berieten, wie sie ihn loswerden sollten und er mit Todesflüchen dreinschlug verschwanden zwei von ihnen in einem Strudel aus nachtschwarzen Spiralarmen. Damit hatte er auch die Bestätigung, dass jene falsche Göttin wahrhaftig ihre Gefolgsleute aus einer Gefahrenlage wegholen oder sie zum Einsatz aus dem Nichts heraus auftauchen lassen konnte. Auch dagegen musste er was erfinden.
Alles in allem wähnte er sich aber jetzt schon unaufhaltsam. So konnte er es wagen, dem sogenannten Zaubereiministerium seiner Heimat eine Frist zu stellen.
Die vergangenen Tage waren höchst anstrengend gewesen. Die von jenem wiederverkörperten König entfesselten Geisterarmeen waren dazu übergegangen, lebende Menschen umzubringen und deren Seelen zu neuen Gefolgsknechten zu machen. Man sprach von der Geisterpest oder der Seelenseuche. Allerdings hatte es sich auch gezeigt, dass die früher noch für den ungenannten Herrscher mitmarschiierenden Nachtschatten nicht mehr auftauchten. Die Abwasserkanäle der großen Städte wurden nach wie vor von Spürtrupps durchkämmt und von Gelegen, Larven oder erwachsenen Einzelwesen des ägyptischen Riesengoldkäfers gesäubert. Dabei war es zweimal zu Faulgasverpuffungen gekommen, die die nichtmagischen Brandbekämpfungstruppen auf den Plan gerufen hatten.
Heute berieten sie über ein Ultimatum, dass einer der geknechteten Geister am Vortag überbracht hatte. Falls sie das Land nicht bis zum Ende des Kalendermonates Oktober an den wiederverkörperten König übergaben, so würde er die noch unter Verschluss gehaltene Streitmacht unterworfener Sphinxen, Göttervögel und Apepskinder aufwecken, von den aus anderen Ländern eingeführten Geistern ganz zu schweigen.
"Er will es jetzt wissen. Warum?" fragte Karim seine Brüder und Vettern. Diese wiegten die Köpfe. "Weil er selbst unter Druck steht, Herr Minister", erwiderte Leyth, der mittlerweile an den ihm übertragenen Aufgaben gewachsen war. Karim nickte. "Er hat nicht nur uns zum Feind, sondern auch die Schattenkönigin, deren Artgenossen er für sich eingespannt hat, die Vampire, die er nicht für sich hat einspannen können, wenn dein Geheimdienst das richtig berichtet hat, Leyth, ja und auch die Zaubereiministerien der Nachbarländer, die er in den letzten Tagen belästigt hat, um weitere Apepskinder in tiefen Höhlen aufzuwecken. Die wussten bis dahin nicht, dass bei denen auch noch welche im tiefen Sand verbuddelt waren. Er muss damit rechnen, dass wir eine Streitmacht gegen ihn aufbiten. Also will er uns nun auf seine Seite zwingen. Müssen wir die Drohung von ihm ernstnehmen? Ja, sollten wir. Müssen wir uns beugen? Nein, das verbietet unsere Königin. Sie hat auch klar gesagt, dass wir nicht mit den Brüdern des blauen Morgensterns zusammengehen dürfen. Sie will, dass wir alle ägyptischen Mitglieder dieses Bundes ermitteln, festnehmen und falls nötig töten, sofern eine Ausweisung alleine nicht reicht."
"Wir kommen nicht an seine verfluchte Pyramide heran. Sonst wäre das kein Akt", knurrte Feriz.
"Sei beruhigt, dass unsere Königin alles Wissen ausschöpft, um dieses Problem zu lösen, ohne nichtmagische Vernichtungswaffen einsetzen zu müssen", erwiderte Karim Al-Assuani darauf. "Sie sagt auch, dass das von ihm gestellte Ultimatum für ihn gelte. Bis zum Monatsende soll er sich ergeben oder vergehen, spricht unser aller Königin." Alle priesen Ladonna, die Mächtige und schöne Herrscherin.
Wie machte der das? Er hatte eine Möglichkeit gefunden, ihre schattenlosen Helfershelfer zu finden und deren Beherrscher, ihre eigenen Kinder, einfach so über große Entfernung zu diesen hinzurufen. Weil dort dann auch immer Sonnenlicht hinfiel und die Beschwörung sie zwang, am Ort des beraubten Menschen zu verweilen, verlor sie auf diese Weise über zehn ihrer Kinder. Wenn der so weitermachte und das womöglich noch anderen beibrachte mochte ihr gesamtes Volk zu Grunde gehen. Sicher konnte sie befehlen, keine Menschen mehr zu schattenlosen Gehilfen zu machen. Doch dann konnte sie gleich vor diesem Körperräuber aus Ägypten niederknien und sich ihm als gehorsame Dienerin anbieten. Nein, das wollte sie nicht. Unter Kanoras zu dienen war schon demütigend genug gewesen. Sie war die Kaiserin der wahren Nachtkinder, die wahre Macht der Nacht überhaupt. Dann erfuhr sie, dass nicht nur in Nordafrika jemand umging, der ganz gezielt Jagd auf ihre Kinder und auf Schattenlose machte.
"Ich habe gestern die sehr ärgerliche Neuigkeit erhalten, dass unsere kleinen Stützpunkte in Asien von diesem Pendler zwischen fleischlichem und nächtigem Dasein überfallen und dazu gezwungen werden, ihre Herren zu verraten. Ich will in China und Japan welche von uns haben, weil diese Länder so stark bevölkert sind. Ich weiß, dass die Götzin der unwahren Nachtkinder ebenfalls dort einen Unterschlupf hat. Einer von denen, die ihr mir dargebracht habt verriet mir, dass es auf jedem Erdteil einen Tempel von ihr geben soll. Aber die Umtriebe dieses Jägers in Ostasien müssen zuerst beendet werden. Ich weiß, welcher Herrin er dient. Sie hält sich für die wahre Macht der Nacht. Das wird sie mir beweisen müssen", sprach die Kaiserin der Nachtschatten. Sie fühlte dabei die vor einem Tag und einer Nacht in sich aufgenommenen Seelen argloser Männer und Frauen, die sie in der nächsten Nacht zur Welt bringen würde. Diesmal waren es nur sieben. Sie würde sich so schnell keine zwölf auf einmal mehr einverleiben.
Gut, dass er aus diesem Lichtermeer und dem Lärm von Tokio heraus war. Aldous Crowne, der Schattenreiter, freute sich über seinen neuen Auftrag. Endlich würde es möglich sein, die Erzfeindin seiner Beschützerin und Herrin an einem Ort zu stellen. Er wusste von zwei ergriffenen und an der Selbstvernichtung gehinderten Schattenlosen, dass sich in dieser Nacht acht von ihnen mit ihren Herren treffen wollten. Thurainilla, die Tochter der koosmischen Dunkelheit, hatte es genau darauf angelegt, dass die angebliche Königin aller Nachtgeborenen es mitbekommen musste, dass man ihren Kindern und Knechten nachstellte und vor allem, dass Thurainilla wusste, wo ein Zusammentreffen stattfinden würde.
Als Aldous endlich weit genug von Tokio entfernt war, um in die Schattenform zu wechseln konnte er mit seinem in dieser Form beseelt wirkenden Motorrad Sharon lautlos durch die Luft jagen, dabei sogar schneller als der Schall reisen, ohne den typischen Überschallknall zu verursachen. Es galt, die Zusammenkunft der Schattenlosen und ihrer Lenker auffliegen zu lassen, um die oberste der Schattengeister persönlich anzulocken. Natürlich mussten er und seine Herrin auch davon ausgehen, dass die Schattenkönigin den Spieß umdrehen mochte und ihrerseits Jagd auf ihn und seine Herrin machte. Doch was hatte Thurainilla gesagt? "Es muss mal zu einer klaren Entscheidung kommen. So kann es nicht bleiben. Ich werde ihr Riutillias Geist entreißen und wenn es nicht anders geht in mich aufnehmen und dieses aus einem dummen Zauberstreich entstandene Ungeheuer ins Nichts zurückschicken, aus dem es gekommen ist."
Der Schattenreiter näherte sich einer Gruppe von zwei Frauen, die er anhand ihrer stark geschwächten, von dunklen Schwingungen erfüllten Lebensausstrahlung als Schattenlose erkannte. Als er nahe genug an sie herankam befahl er Sharon, jede von ihnen mit dem Unlichtscheinwerfer zu entseelen und sich einzuverleiben. Das musste jene, die diese arglosen Frauen zu Schattenlosen gemacht hatte ziemlich übel erwischen.
Der nachtschwarze Trichter des Unlichtscheinwerfers erfasste die erste, die merkte, dass etwas unheilvolles auf sie zukam. Sie schrie auf. Dann erstarrte ihr Körper zu Eis. Der Schattenreiter konnte noch ihren geistigen Aufschrei hören, bevor ihre Seele über den Unlichtstrahl in Sharons magische Struktur übersprang und dort verging. "Da hängt noch was dran. Das will ich auch haben", hörte er die blecherne Frauenstimme seines dämonischen Zweirades. Doch das andere Ende der unsichtbaren Verbindung wehrte sich. Dann riss die Verbindung so abrupt, dass Sharon zurückschnellte und einen Rückwärtssalto schlug. Aldous befürchtete, dass er mit seinem Kopf auf den lichtundurchlässigen Boden krachen würde. Zwar konnte er sich in diesem Zustand keinen Knochen brechen. Doch es würde ein ziemlicher Stoß sein, der ihn verformen konnte. Jedenfalls hatte Sharon das schwarzmagische Tauziehen verloren. Wer immer diese Frau zur Schattenlosen gemacht hatte war ihr mindestens ebenbürtig.
Die zweite Zielperson musste gewarnt worden sein. Denn sie umgab sich mit hellem Licht. Doch gegen Sharons Unlichtstrahl half das nichts. Der Schattenreiter setzte eine Lichtquelle nach der anderen außer Kraft. Dann schaffte er es, sein zweites Opfer zu entseelen. Auch hier erfasste Sharon die Gegenstelle und versuchte, sie über die Entfernung zu sich hinzuziehen. Doch auch hier riss die Verbindung ab.
"Da waren's nur noch sechs, die zur Party kommen", dachte Aldous und nahm Kurs auf den Ort, wo sich die Schattenlosen mit ihren Lenkern treffen sollten.
Wer Köder und wer Beute war stand nicht fest, als Aldous die Berghöhle erreichte und zwei weitere Schattenlose, die gerade darauf zugingen, aus dem Hinterhalt überfiel. Doch dann war erst einmal Schluss mit der wilden Jagd.
Unvermittelt erschienen an die fünfzig weitere Schattengeister, die größer als drei Meter waren. Sharon versuchte, sie mit dem Unlichtstrahl zu erfassen und einzusaugen. Doch sie hielten einander bei den Händen und gaben sich so mehr Kraft. Als Aldous versuchte, den sich immer enger zusammenziehenden Ring zu durchbrechen war es für ihn, als pralle er gegen eine Gummiwand und federte zurück. Als er nach oben ausbrechen wollte flog er in eine Wolke winziger schwarzer Kugeln, die ebenfalls mit Überschall auf ihn zurasten und ihn und Sharon voll trafen. Da lernte Aldous, dass es außer Licht noch was anderes gab, das ihm in der Schattenform Schmerzen bereiten konnte. Es war, als würde er von Blitzen getroffen, nur dass die ohne grelles Licht und Donnerschlag daherkamen. Sharon bekam fünf der wie auf sie abgefeuerten Kugeln gegen Vorderrad und Tank. Sie stieß einen metallisch klingenden Schrei aus. Aldous erkannte, dass die Schattenkugeln nicht durch ihn durchsausten, sondern von ihm zurückprallten wie Tennisbälle von einer Betonwand. Sie beschleunigten ohne Rücksicht auf Massenträgheit und G-Kräften, so wie er es auch konnte. Dann schlugen sie wieder auf ihn ein. Das Gefühl, in der Falle zu sitzen überwog die Überlegenheit, die Aldous und Sharon über vier Jahre lang von Sieg zu Sieg, Opfer zu Opfer getrieben hatten. Ja, diese Nacht würde es sich entscheiden.
Die Köder waren geschluckt worden. Doch nicht die, die sie eigentlich anlocken wollte schluckte die Köder, sondern dieser Halbling auf seinem verwünschten Motorrad, das mit ihm zu einer Schattenform werden konnte. Sicher, ihr entgingen so an die vier mögliche Kinder. Doch diejenigen, die sie für den Raum Ostasien auserwählt hatte waren stark genug, sich nicht zu den vergehenden Kindern hinziehen zu lassen. Doch sie konnte auf diese Weise ihre anderen Krieger hinschicken. Diese sollten den frechen Schattenrocker umzingeln und an der Flucht hindern. Dann würde sie selbst erscheinen und sich seiner annehmen. Nein, sie würde ihn nicht zu einem ihrer Kinder machen. Sie würde ihn einfach nur in Stücke reißen und mit dem, was dabei frei wurde ihrerseits die zu sich rufen, die ihn so gemacht hatte.
Thurainilla, die haben mich echt umzingelt und ... Autsch! Die krachen immer wieder mit mir zusammen!" hörte Thurainilla die Gedankenbotschaft ihres ersten und mächtigsten Abhängigen. Sie spürte sogar, wie er gegen andere Schattenformen prallte oder von solchen, die zu kleinen Kugeln schrumpfen konnten andauernd getroffen wurde. Seine Schmerzwellen erreichten auch sie. Ihr war natürlich klar, was die andere Seite damit erreichen wollte. Das große Duell der Nachtbeherrscherinnen gewann an Härte. Doch sie wollte erst dann eingreifen, wenn sich Aldous nicht mehr halten konnte oder wenn ihre verhasste Widersacherin persönlich bei ihm auftauchte.
Gongs lärmten und verkündeten einen Aufruhr dunkler Magie westlich von Tokio. Die wachhabenden Beobachter prüften sofort nach, wo genau der Aufruhr stattfand und welcher Art er war. Immerhin konnte es wegen der Woge dunkler Zauberkräfte vor drei Jahren mal wieder zu einem Entscheidungskampf mächtiger Yokais kommen. Vielleicht war eine Yamauba mit einem anderen Bergdämonen aneinander geraten und wollte nun das Revier verteidigen. Als die Wache dann aber erkannte, dass sie es hier mit jenen Dunkelgeistern zu tun hatten, die sich wie eigenständige Schatten verhielten wurde ihr klar, dass es wohl die erwartete Auseinandersetzung zwischen der Tochter der ewigen Dunkelheit und der im Westen wütenden Schattenkönigin gab.
"Fall Schattensturm!" rief der Beobachter vom Dienst und teilte eine Einsatzgruppe ein. Der Rat der Hände Amaterasus hatte klar befohlen, einen solchen Kampf, sofern er weit genug von größeren Menschenansammlungen stattfand, nur zu beobachten. Vielleicht ergab sich die in solchen Fällen gerne erhoffte Möglichkeit, den angeschlagenen Sieger dieser heftigen Entscheidungsschlacht zu erledigen.
So wurden zwanzig Streiter der Hände der Amaterasu mit entsprechenden Schutzvorkehrungen vor Schattendämonen ausgestattet und in die Nähe des Kampfgebietes versetzt. "Falls die Schattenkönigin den Kampf gewinnt löscht sie mit geballter Sonnenlichtkraft aus. Falls die vaterlose Gebieterin über Dunkelheit den Kampf gewinnt schwächt sie so stark, dass sie in den langen Schlaf zurückfällt!" gab der diensthabende Befehlshaber an seine Leute aus. Der Befehl wurde bestätigt.
"Die heimlichen Späher im Zaubereiministerium vermeldeten, dass auch dort Warngongs losgegangen waren, aber die Einsatztruppe Takaharas noch nach dem genauen Ursprungsort des Aufruhrs suchen musste. "Tja, hättet ihr es euch nicht mit uns verdorben könnten wir gemeinsam gegen diese beiden Unheilsgeister vorgehen", bemerkte der Wachhabende vom Dienst.
"Eiserner Beobachter sieben soeben erfolgreich in fünftausend Manneslängen über Zielgebiet abgesetzt", bekam er die Meldung herein. Somit war es nun sogar möglich, den Verlauf und den Ausgang der Auseinandersetzung zu beobachten.
Wie sollte er diese verflixten Winzdämonen loswerden? Jede dieser kleinen, schwarzen Kugeln, die jede für sich ein zusammengeballter Schattengeist war, verursachte beim Aufschlag auf ihn und auf Sharon heftige Schmerzen oder ein metallisches Kreischen. Nach unten blieben nur die Erde und die fünfzig auseinandergefalteten Geschwister dieser Balla-Balla-Bällchen. Warum gingen die bei ihren Kamikazeanflügen nicht selbst drauf? All diese Fragen flackerten zwischen den schmerzhaften Entladungen im Geist des Schattenreiters auf. Tong! Wieder prallte einer dieser Nachtschattenglobuli von seinem Helm ab und sauste mit einem kurzen Aufschrei davon, nur um wenige Sekunden später mit seinen Krawallkugel-Geschwistern neu anzufliegen. Wollten sie ihn irre machen? Er erinnerte sich, dass Thurainilla die Nähe von Wahnsinnigen nicht aushielt, weil deren Geistesausstrahlung so verwirrend für sie war. Pong-pong! Gleich zwei dieser Mördermurmeln trafen Sharon, die von einem eigenen Überlebensinstinkt getrieben versuchte, wegzufliegen. Er versuchte, sich einfach anderswohin zu versetzen. Doch als wenn diese Schattenbrut eine Kuppel über das Gebiet gedeckt hatte prallte er auf ein silbern-blau-goldenes Hindernis und fand sich wieder hundert Meter über dem Boden zwischen den herumfegenden Flipperkugeln aus dunkler Magie und durchgeknallten Dämonenseelen. Dann erkannte er die wahre Falle.
Während er versuchte, nach oben wegzukommen waren die unten stehenden Nachtschatten noch enger zusammengerückt und hakten sich an den Füßen ein. Dann schnellte die gesamte Mannschaft nach oben auf ihn zu. Gleichzeitig prasselten noch weitere Krawallkügelchen auf ihn und Sharon ein, die immer wieder versuchte, welche mit dem Unlichtscheinwerfer zu fangenund einzusaugen. Dann umfingen die von unten kommenden Nachtschatten die Räder und bremsten Sharons Fluchtversuche. Als wenn sie alle zusammen einen für den Schattenreiter unhörbaren Befehl erhalten hatten quollen die bis dahin so gemeinen Kügelchen zu menschengroßen, vollkommen undurchsichtigen Geistererscheinungen auf, die ihrerseits von allen Seiten anstürmten und den Schattenreiter und sein Schattenmotorrad Sharon von oben zudeckten. Aldous merkte, dass diese eigentlich genauso nichtstofflichen Gegner mit einem schon tonnenschweren Gewicht auf ihn niederdrückten. Gleichzeitig hörte er Sharon metallisch Wimmernund wehklagen. Auch er spürte, wie seine Konzentration und seine Kraft abgesaugt wurden. Die ihn vollständig umschließenden Nachtschatten blockierten die natürliche Dunkelheitszufuhr und klauten ihm durch ihre Berührung selbst Energie. Da wurde ihm klar, wer nun wessen Köder war und dass sie es immer noch taten. Denn jeder von denen hätte ihm bei unentrinnbarem Körperkontakt alle Energie aus Leib und Seele saugen können. Dass sie das zu zehnt oder zwanzigt nicht taten hieß sicher, dass sie ihn noch als Lockvogel für seine Herrin brauchten.
Wie wandlungsfähig diese Biester waren und wie vollkommen sie aufeinander abgestimmt waren bekam er dann noch mit, als sich die ihn nun umgebenden Schattenwesen in eine einzige, vollkommen schwarze, kompakte Kugel verwandelten, die ihn bewegungslos einschloss wie ein Bernstein ein Urzeitinsekt. Er versuchte noch seine Herrin zu rufen. Doch seine Gedanken prallten wie gegen eine Wand geschleuderte Bälle zurück, schlugen von allen Seiten zugleich auf ihn ein und brachten ihn zum erbeben, bis die ihn einbackende Schattenkugel noch dichter wurde. Er fühlte, wie seine Gedanken und Empfindungen erlahmten. Er fühlte, dass Sharon unter seinem Hinterteil erstarrte wie ein ganz gewöhnliches Stück Metall. Er ahnte, dass diese Biester ihn ganz und gar auslöschen würden.
Bald empfand er nichts mehr. Das ließ ihn an die Falle des skrupellosen Arztes Abraham Johnson denken. Er erkannte, dass jener sensorische Deprivationsraum gegen diese kompakte Einschließungskugel größtenteils harmlos gewesen war. Dann erstarrten seine Gedanken vollständig.
Lyndon Morrow hatte mal wieder Schichchtdienst, als seine offiziell angetraute Ehefrau wütende Gedankenrufe auffing.
"Diese zusammengebackene Möchtegernkönigin der Nacht will es jetzt wissen. Die hat meinen Boten und Diener erwischt. Aber das treibe ich der aus. Frisst du meinen diener fresse ich deine, kleiner Dunkelgeist."
"Thurainilla, pass auf. Die hat sich gganz bestimmt was ausgedacht, um dich zu erledigen!" rief Ullituhilia ihrer aufgebrachten Schwester zu.
"Natürlich hat die sich was ausgedacht. Ich habe die ja auch lange genug beschäftigt. Aber dass die meinen Diener einfangen kann hätte ich nicht gedacht. Aber den kriege ich schon wieder, wenn ich dieses Kunstgeschöpf in meinen Lebenskrug gegossen habe."
"Thurainilla, dieses Schattenweib besteht aus mindestens drei Seelen, wenn Riutillia dazugezählt wird. Du weißt, was das heißen kann", warnte nun Itoluhila alias Teresa Dolores Morrow die Schwester der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen. Darauf kam noch eine Bemerkung Ilithulas: "Schwestern, nur Thurainilla oder Tarlahilia können mit dieser Missgeburt der Nacht fertig werden. Also lasst sie es tun, wenn dieser körperraubende König mich schon mit Tarlahilia schwängern musste und ich ihre Kräfte noch nicht mitbenutzen kann."
"Thurainilla, wir müssen herausfinden, wo der eigentliche Wohnort dieser Schattenkönigin ist. Dort können du und wir alle anderen sie mit all unseren Kräften bekämpfen, weil wir sie dann auch in ihrer eigenen Höhle oder was es ist einschließen können", wandte Itoluhila ein. Da hörte sie mit den Ohren ein verstimmtes Quengeln aus dem Kinderbettchen am Fußende des Ehebettes.
"Ich werde diese letzte Frechheit dieses angeblichen Herrn der Welt namens Vengor aus der Welt schaffen und mir alles einverleiben, was dieses eigensinnige Schattenspiel an Kraft geschluckt hat", gedankentönte Thurainilla. Da klang Ignatias alias Hallitis Gedankenstimme in den Bewusstseinen aller wachen Schwestern. "Thurainilla, krieg dieses Biest und mach es klein oder friss seine Seele, damit ich weiterschlafen kann. Man, ein Babykörper braucht eine Menge Schlaf."
"Och, ist die kleine Schwester aufgeschreckt?" spöttelte Thurainilla. "Schlaf weiter, Hallitti oder lass dir von Itoluhila noch mal die Brust geben, damit du groß und stark wirst. Bis dahin wird keiner mehr von dieser Schattenkönigin reden."
"Ich schließ mich dem an, dass du aufpassen musst. Immerhin hat sie deine körperlos geborene Zwillingsschwester geschafft", gedankensprach Ignatia mit hörbarem Unmut. Natürlich ärgerte sie sich, dass ihre eigene Urmutter Lahilliota ihr auferlegt hatte, wie ein übliches, kurzlebiges Menschenkind aufzuwachsen und nicht nach einem Jahr wieder voll erblüht und im Vollbesitz aller Fähigkeiten zu sein.
"Genau da werde ich sie packen, Riutillia aus ihr herausreißen und dann mit ihr gemeinsam diese Seelenverschmelzung auslöschen", tönte Thurainilla. Darauf schaltete sich nun auch Eranilithanila, die Schwester der tödlichen Tiefen ein.
"Womöglich ist das genau der Ansatz, den die Schattengeburt selbst verfolgt, dich über Riutillia an sich zu ketten und entweder zu ihrem Dienst zu zwingen oder deine ganze Kraft in sich einzusaugen und so noch viel stärker zu werden, nicht zweimal so stark, nicht dreimal, sondern gleich vier-, neun- oder sechzehnmal. Gib deinen Diener auf, wenn der so einfältig ist, sich einfangen zu lassen und mach dir einen neuen Kurzlebigen Untertan. Du wurdest von ihm aufgeweckt. Also sieh zu, dass du auch wach und eigenständig bleibst! Finde nur heraus, wo dieses Schattenweibchen sein eigenes Nest hat. Dann gehen wir alle, die wir gerade keine kleinen Kinder im Bauch oder an den Brüsten hängen haben hin und machen ihr gemeinsam ein Ende."
"Sprichst du jetzt für unsere wider in der Ameisenkönigin steckenden Mutter, Eranilithanila, Schrecken der Meerestiefen?" gedankenfauchte Thurainilla. "Ich gehe jetzt da hin und werfe den das äußere und innere Licht verschlingenden Mantel über diese Schattenbrut. Das hält die nicht aus. Wenn dann ihre Herrin und Brutmutter auftaucht kläre ich das im offenen Zweikampf mit der, wer die wahre Kaiserin der Nacht ist."
"Ich wollte nur unsere Hilfe anbieten", erwiderte Eranilithanila darauf."Nicht, dass ich nicht schon Genug damit zu tun hätte, diesen Irrsinn der magielosen Kurzlebigen auszuhalten, den die alles in die Meere kippen und wie tief die sich in die Erde reinwühlen, um Gold und vor allem Steinöl herauszuholen."
"Wenn ich dieses Unweib mit ihrer gesamten Erinnerung in mich einverleiben kann wissen wir auch wo ihr Nest ist. Was da noch ist können wir gerne unter uns aufteilen", erwiderte Thurainilla. Dann forderte sie die anderen auf, ihr Erfolg zu wünschen. Weil ihnen nichts anderes übrigblieb taten sie es, auch Ignatia alias Hallitti.
"Eranilithanila hat recht, ich könnte wieder was vertragen", gedankensprach Ignatia nur zu ihrer Wiedergebärerin. Diese erhob sich von ihrem Platz und holte das kleine Bündel Leben, das niemand für brandgefährlich halten konnte und ließ Ignatia auswählen, ob sie links oder rechts trinken wollte.
"Ich habe gerade das, was die Franzosen Déjà Vu nennen, Ignatia. Du weißt, dass ich dir damals auch geraten habe, dich nicht zu überschätzen."
"Ja, und jetzt denkst du, dass unsere die Dunkelheit liebende Schwester sich gnadenlos überschätzt?" Gedankenfragte Ignatia, ohne aus dem Saugrhythmus zu kommen. "Ich fürchte das. Tarlahilia hat ihren letzten Gegner auch unterschätzt, weil sie nicht darauf gefasst war, dass der einen Unlichtkristall am Körper trug. Jetzt muss sie in Ilithula neu heranwachsen."
"Tja, schön, dass ich da schon zwei Schritte weiter bin, heranwachsen und geboren werden habe ich ja schon hinter mir", gedankenspöttelte Hallitti. Sie hatte bei ihrer Wiedergeburt die gleichen schwarzblauen Haare mitbekommen wie ihre Mutter. Ob sie auch die milchkaffeefarbene Haut besitzen würde mochte sich im Verlauf des ersten Lebensjahres zeigen.
Birgute hielt sich in fünf Kilometern Abstand vom Kampf um den Schattenreiter in einer Berghöhle versteckt. Von dort aus hatte sie ihren drei Truppenführern die entsprechenden Befehle erteilt, bis es möglich wurde, den mit seinem Motorrad verwachsenen Schattenreiter einzuschließen. An die fünfzig ihrer Getreuen hatten sich zu einem Verbund zusammengeschlossen, der beinahe in eine Verschmelzung aller beteiligten Seelen ausuferte. Doch Birgute hatte strickt befohlen, nicht vollends ineinanderzufließen und behauptet, dies würde eine Überladung und eine Entladung aller Einzelkräfte auslösen. Was wirklich geschehen würde wagte sie sich lieber nicht vorzustellen. Am Ende erwuchs ihr aus einem solchen Verbund noch ein weiterer Feind, doch dann unbesiegbar.
"Alle frei gebliebenen Getreuen auf Posten, warten bis die Feindin selbst erscheint!" befahl Birgute. Sie hatte in ihren Vorleben als Birgit Hinrichsen und Ute Richter nichts vom militärischen Gepränge gehalten und oftmals dem Schöpfer oder der Spermienlotterie bei ihrer Zeugung gedankt, dass sie als Mädchen geboren wurden und es für Frauen keine Whrpflicht in Deutschland gab. Doch jetzt fühlte sie sich in der Rolle der Oberkommandantin irgendwie ganz groß. Die Kaiserin selbst zog mit ihrem Heer in die entscheidende Schlacht, so wie es in den Geschichtsbüchern stand.
Etwas erbebte in ihr, eine Gleichschwingung, eine selbsttätige Antwort auf einen stummen Anruf. Da wusste sie, dass Thurainilla am Ort des Kampfes erschienen war. Noch wollte sie warten, wie sie es anstellen wollte, ihren kleinen reitenden Boten zu retten.
"Mutter und Kaiserin, die Nachtfrau, deine Feindin, ist da!" rief ein männlicher Vorposten. Birgute peilte eine ihrer Töchter an, die ebenfalls als Wache eingeteilt war und sah durch deren Augen einen gewaltigen, für sie als violettrot leuchtender Körper sichtbaren Nachtfalter. Sie kam also in ihrer Tiergestalt. Sogleich fühlte sie die ansprechenden Schwingungen, die von dem stammten, was Riutillia war, aber ganz und gar in ihr und mit Morgause von den nördlichen Sümpfen aufgegangen und ihr unterworfen war. Ihr wurde klar, dass Riutillias Anteil der Feindin verraten konnte, wo sie selbst war. Sie musste aus der Höhle raus, um möglichst viel Bewegungsfreiheit zu haben.
Sie wechselte zeitlos aus der Höhle zu einem einen Kilometer entfernten Ort. Dort bekam sie mit, wie ihre gefährliche Feindin jenen üblen Flächenzauber wirkte, mit dem sie ein Gebiet in völlige Dunkelheit und klirrende Kälte einhüllen konnte. Wie sie befürchtet hatte wirkte dieser Zauber auf alle im Wirkungsbereich befindlichen Schattendiener Kraftraubend. Sie würde sich die Energie der Eingeschlossenen einverleiben wie leicht zu essende Nahrung. Birgute hörte die Aufschreie und das klagende Wimmern ihrer Diener, auch jener, die den Schattenreiter fest umschlossen hielten. Sie hörte die Hilferufe der Gepeinigten. Sie riefen nach ihr, ihrer Mutter und Kaiserin. "Remurra Nika, bleib bloß außerhalb ihrer Erfassung und beobachte weiter!" befahl Birgute.
"Die hat einen Absorberzauber oder sowas gemacht, Mutter und Kaiserin. Die löscht meine Mitbrüder aus."
"Soll sie es wagen, dann ist dies die letzte Seelenmahlzeit, die sie bekommen hat. Warum meinst du, dass ich nur dich als fliegende Wache mitgeschickt habe und keines deiner Geschwister?"
"Kanonenfutter", war Remurra Nikas gedachte Antwort darauf. "Giftköder, meine geliebte Tochter", erwiderte Birgute darauf.Sie griff jeden nach ihr rufenden Gedanken wie das Ende eines hauchdünnen Fadens. Je mehr Hilferufe sie erhielt, desto stärker wurde das Band, dass sie zu den Gepeinigten knüpfte. Dann fühlte sie, wie an die hundert Seelen auf einen Punkt zustürzten und dabei laut aufschrien. Es war, als stürzte eine halbe Galaxis auf einmal in ein superstarkes schwarzes Loch hinein. Dabei wurde eine Menge Energie ausgestrahlt und ein anderer Großteil verschwand aus der Gültigkeit von Raum und Zeit. Doch die Stränge hielt Birgute fest. Sie verwendete eine von Morgause erlernte und vervollkommnete Geistzaubertechnik, die die alte Sumpfhexe damals zur Unterwerfung und Lenkung von Sumpftieren genutzt hatte. So behielt sie trotz der Energieentladungen und -schwankungen Verbindung mit ihren gerade vergehenden Dienern. Ihr gut überlegter Plan trat in seine entscheidende Phase.
Thurainilla grüßte nicht und bot auch keine Verhandlungen an. Sie warf gleich bei ihrer Ankunft in Gestalt eines schwarzen Nachtfalters den Mantel der alles innere und äußere Licht und Wärme schluckenden Dunkelheit aus. Damit entzog sie den von ihr gesehenen Nachtschatten die Kraft. Einen Teil davon schlang sie in sich hinein wie die Lebenskraft ihrer Opfer. Der Rest strahlte in Form schwarzer Blitze und Wirbel lautlos in die einsame Nacht in den Bergen westlich von Tokio hinaus. Sie fühlte, dass ihr Schattenreiter noch lebte. Doch diese Unterlinge hatten ihm alle Kraft und Beweglichkeit genommen. Es würde Minuten oder gar eine Stunde dauern, bis er wieder ganz erholt war und das auch nur bei natürlicher Dunkelheit.
Was sie ebenfalls spürte war, dass sie über die durch den Mantel der alles verschlingenden Dunkelheit und Kälte aufgezehrten Kraft eine unsichtbare Verbindung hergestellt hatte, die mit ihrem Geist und Körper in einem bestimmten Rhythmus schwang. Sie erkannte, dass diese Unholde mit ihrer Herrin in Verbindung getreten waren und diese Verbindung trotz des Auslöschens noch hielt. Ja, sie hatte die unsichtbaren, nichtstofflichen Verbindungsschnüre dieser Wesen verschluckt wie ein hungriger Fisch Köder und Haken in sich hineingeschlunggen hatte und somit an der Schnur hing. Als ihr klar wurde, dass dieses Unweib genau darauf ausgegangen war wurde sie wütend. Meinte dieses Unweib, sie auf diese Weise angeln zu können. Dann wollte sie ihr zeigen, dass sie stärker war.
"Ich weiß wo du bist, Bettelmaid der Nacht. Dein Trick mit dem Gedankenstrang wird dich gleich selbst angeln!" schickte Thurainilla über die gerade geknüpfte Verbindung. "Dann komm zu Mama, Flitter-Flatter-Flittchen", bekam sie wie über eine gezupfte Saite die Antwort der Feindin mit.
Thurainilla fühlte, wie ein unbändiger Wunsch, zum anderen Ende des Fadens zu springen in ihr aufloderte. Die andere wollte sie genau dort haben, wo sie selbst war, sie dann wohl gleich bei der Ankunft mit ihrem Leib aus dunkler Kraft einschließen, wie sie es mit Riutillia gemacht hatte. Doch sie widerstand diesem Drängen, wollte lieber behutsam an diesen Ort heranfliegen und der anderen dann die ganze in sich aufgesogene Kraft als einzige geballte Kraft der ewigen Dunkelheit entgegenschleudern. Das würde die nicht überstehen.
Um ihrem Diener wieder Kraft zu verschaffen ließ Thurainilla den Mantel der alles innere und äußere Licht verschlingenden Dunkelheit verschwinden. Sie würde den gleich bei dieser widerlichen fleisch- und blutlosen Kreatur entfalten, sie darin einwickeln und ihr so ebenfalls Kraft wegnehmen.
Mit schnellen Flügelschlägen jagte die Tochter der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen der magischen Verbindung entlang. Je näher sie der Quelle kam desto größer wurde ihr Wunsch, die letzten Meter dorthin im zeitlosen Raumsprung zu überwinden. Doch sie hielt stand. Sie fühlte jedoch, wie die andere wie an einer feststofflichen Angelschnur zog. Sie fühlte es als geistigen Ruf, aber auch als körperlichen Ruck, immer und immer wieder. Da ihr Körper mit der freigepressten Energie der Schattendiener getränkt war wirkte jede Veränderung der unsichtbaren Verbindung eben auch darauf ein. Thurainilla dachte zum ersten mal, dass sie womöglich doch zu viel wagen mochte. Doch nun war es zu spät für Zweifel und einen Rückzug. Sie musste das jetzt endlich entscheiden, auch im Namen ihrer vernichteten Schwester Riutillia.
"Schwester, ich fühle dich. Du bist in der Nähe. Bitte komm und befreie mich. Sie quält mich." Thurainilla hätte fast dem Zug an der nichtstofflichen Angelschnur nachgegeben. Das war doch wahrhaftig Riutillias Stimme!
"Schwestern, Riutillia ist nicht vergangen. Dieses Unweib hält sie gefangen. Ich werde sie befreien", schickte sie an ihre noch voll handlungsfähigen Schwestern. Da erklang wieder Riutillias Stimme. "Komm schnell, Thurainilla. Sie will mich auslöschen, weil sie mich nicht mehr unterdrücken kann. Du hast sie geschwächt."
"thurainilla, pass auf. Das ist ganz sicher eine Falle", vernahm Thurainilla Ignatias alias Hallittis Gedankenstimme. Auch Itoluhila warnte vor einer lauernden Falle.
"Die meint, weil sie mir ihre Unterschatten wie einen Angelköder angeboten und mich so mit sich verbunden hat bereits gewonnen zu haben. Aber nicht immer siegt der am oberen Ende der Angel, meine geliebten Schwestern."
"Thurainilla, hilf mir!" klang nun Riutillias Gedankenstimme mit deutlichen Stärkeschwankungen. Thurainilla rief ihr zu, durchzuhalten. Dabei flog sie mit der dreifachen Geschwindigkeit auf den Endpunkt der Verbindung zu. Dann sah sie die Feindin.
Es war wie damals zwischen Morgause und Morgana, erinnerte sich Birgute. Die zwei Schwestern, die sich in vilem uneinig waren, aber im Bezug auf ihre Freiheit und ihr Machtstreben gleicher Meinung waren. Diesem Streben hatten damals zwei Brüder im Weg gestanden, die nicht in den Überlieferungen von Camelot erwähnt wurden. Diesen zwei Brüdern hatten die beiden magiebegabten Schwestern einen überdeutlichen Denkzettel verpasst.
Daran dachte Birgute, während sie die Feindin auf sich zuzog. Eigentlich hätte sie sie gerne gleich bei sich gehabt und unverzüglich wie eine ausgehungerte Riesenamöbe umschlossen und vertilgt, phagozytiert, wie Biologen und Mediziner es nannten. Doch die andere widerstand dem Sog der mitgeschluckten Angelschnur. Doch sie wollte die Entscheidung, und sie sollte sie haben.
Endlich sah Birgute Hinrichter den mehr als zwei Meter großen Nachtfalter, dessen Saugrüssel aufgerollt war. Sie wusste, dass diese Tierform Thurainillas Lebenskraft und verdorbene Seelen mit diesem Rüssel in sich aufsaugen konnte. Würde die andere sie damit angreifen?
Thurainilla zuckte überrascht zurück. Sie war nicht darauf gefasst, eine zwölf Meter große Riesin vor sich zu haben. Das verriet ihr, wie kraftvoll dieses Unwesen da vor ihr nun war. Doch der alles innere und äußere Licht verschlingende Mantel war weit genug, um dieses Geschöpf da einzuschließen. "Schwester, du bist da. Sie hält mich in ihrem Leib gefangen wie ein ewig ungeborenes Kind. Öffne ihren Leib und zieh mich heraus!" hörte Thurainilla Riutillias dumpfe Stimme in ihrem Geist.
"Hallo kleiner Schmetterling, da bist du ja doch an meinem seidenen Leitfaden zu mir hingeflattert", grüßte die Schattenriesin ihre Gegnerin. Im nächsten Augenblick verschwanden Mond und Sterne. Totenstille und klirrende Kälte herrschten.
"Eh, tut man das, einfach einen alten Mantel über wen zu werfen, ohne ihn vorher zu grüßen!" hörte Thurainilla die leicht schwappend klingende Stimme der Gegnerin. Sie spürte, dass die Kraft des verschlingenden Mantels mit der verdichteten Kraft der Schattenriesin zusammenprallte und versuchte, alles darin steckende herauszusaugen. Dann erkannte Thurainilla, dass die andere sich weiterhin frei bewegen konnte. Sie fühlte keine Kraftübertragung von der Anderen. Doch wenn auch die von natürlicher Dunkelheit zehrte sperrte die magische Finsternis diese aus. thurainilla setzte darauf, dass sie über fünfzig ganze Seelen in Form von Lebensenergie in sich aufgenommen hatte. Sie würde es aushalten. Ob die andere das aushielt wusste sie nicht.
"Schwester, was tust du? Du zerdrückst mich. Sie drückt mich zusammen, wird mich zu nichts als losen Erinnerungen und Gefühlen zerquetschen. Bitte lass ab davon!" hörte sie Riutillias Stimme. Das mochte eine Täuschung sein, eine bewusste, gemeine Irreführung der Feindin, um sie, Thurainilla zu schwächen. Doch als die Gnadenrufe ihrer Schwester immer lauter und schmerzvoller klangen entschied sie, es nicht darauf ankommen zu lassen. Dann musste es eben anders gehen.
Sie widerrief den Flächenzauber der vollständigen Dunkelheit und wich den schnellen Faustschlägen und Fußtritten der anderen aus, die nun, wo sie wieder natürliche Dunkelheit atmen konnte höchst verärgert auf ihre in Tierform vor ihr fliegende Feindin einschlug.
Thurainilla fühlte immer noch die unsichtbare Verbindungsschnur. Diese versuchte sie zu der anderen hinzuzerren. Die Tochter der ewigen Dunkelheit erfasste nun, dass das Ende der Schnur in der Körpermitte der anderen war. Dort sollte auch Riutillia gefangen sein.
Als ein starker Ruck an ihrem Körper zog und in ihr der Wunsch aufflammte, unmittelbar ans Ende der magischen Angelschnur zu springen konnte Thurainilla gerade noch einem Schlag ausweichen. Sie sah, dass die andere nun nun anstalten machte, sie mit ihren Händen zu ergreifen. Sie dachte daran, alle fremde Kraft aus sich abzuscheiden und mit einem Schlag auf die andere zu schleudern. Doch gerade rechtzeitig fiel ihr ein, dass das auch ihren Körper zerstören konnte. Doch ihr kam eine andere Idee.
Sie schwenkte in eine spiralförmige Flugbahn ein, die von den frei schwebenden Füßen bis zum Kopf der angeblichen Kaiserin der Nacht führte. Sie wollte diese in ihre eigene geistige Angelschnur einwickeln und diese dann fest zusammenziehen. Dann wollte sie ihr ihren gefährlichen Saugrüssel in den nicht aus Fleisch und Blut bestehenden Leib rammen und ihr weitere Kraft aussaugen.
Die andere merkte das wohl und schlug nach ihr. Thurainilla wich dem Schlag aus und wollte ihren Flug fortsetzen, da zeigte die Feindin, dass sie ebenso wandlungsfähig war wie ihre nideren Diener.
Birgute schlug schnell nach dem Nachtfalter. Wollte der echt versuchen, sie in jener magischen Schnur einzuspinnen, die sie beide miteinander verband. Bis zu einem bestimmten Grad ließ sie sie ihren merkwürdigen Versuch durchführen. Dann schlug sie so schnell und kräftig nach dem überlebensgroßen Nachtfalter, dass dieser sich nur mit einem Rückwärtssalto retten konnte. Birgute Hinrichter sah mit gewissem Vergnügen, wie die Feindin darum kämpfte, ihre gewünschte Flugbahn einzunehmen. Als ihr das gelang dachte Birgute daran, dass dies der entscheidende Augenblick war. Sie setzte zwei Dinge in Gang, die, wie sie hoffte, ihren Sieg bedeuten würden.
Auf einmal wurde die Riesin zu einer einzigen schwarzen Wolke. Gleichzeitig erfolgte ein gewaltiger Ruck durch Thurainillas Körper, dass sie ohne es verhindern zu können in die sich ausdehnende schwarze Wolke hineinsteuerte. Instinktiv bildete Thurainilla einen eigenen Schutzmantel gegen dunkelheit um sich. Doch was ihr dann widerfuhr hatte sie nicht vorausgesehen.
Sie hörte eine in einer ihr unbekannten Sprache dröhnende Stimme um sich herum. Sie fühlte, wie ihr Schutzmantel erbebte. Gleichzeitig hörte sie Riutillias Stimme aufschreien. "Schwester, sei mit mir. Sei eins mit mir!" Sie fühlte, wie diese Aufforderung sie tiefer in die verheerende dunkle Wolke hineintrieb. Gleichzeitig dröhnte jene tiefe Frauenstimme, die Stimme der Feindin um sie herum, als stecke sie unter einer tonnenschweren Bronzeglocke, auf die jemand von außen mit einem schweren, gepolsterten Hammer einschlug. Dann sah sie Riutillias nachtschwarzes Gesicht vor sich, sah, wie sich ihr Körper aus der Dunkelheit herausschälte. Sie fühlte, wie sie selbst ihren Körper änderte, ohne es geplant zu haben. Dann flogen beide Schwestern aufeinander zu. Als Riutillia ihre Arme und Beine ausbreitete, um Thurainilla zu umschlingen erkannte die Tochter der ewigen Dunkelheit zwischen den Sternen, in welche heimtückische Falle sie am Ende getappt war. Doch sie konnte den Schwung nicht mehr bremsen. Riutillias Arme und Beine schlugen um ihr zusammen. Ihr bebender, eiskalter Körper drückte sich fest an ihren. Ihr Schutz vor dunklen Zaubern barst, als Riutillia ihre Schwester eng an sich zog. Thurainilla fühlte, wie ihr mit einem Schlag alle eingesaugte Kraft entströmte, nach außen abfloss und sie gleichzeitig mit Riutillia zu einer körperlichen und seelischen Einheit verschmolz.
Sie erkannte, was die andere vorhatte. Sie stemmte sich mit der Kraft ihrer Schwester Riutillia dagegen. Doch beider Gedanken und Gefühle vermischten sich, flossen zu einer gemeinsamen Persönlichkeit zusammen. Sie erkannte, wem sie da in die Falle gegangen war, zwei Sterblichen, die an Kanoras' dunklen Zauber gebunden worden waren, sowie einer ehemaligen Magierin, die einst im fernen Britannien gelebt und gewirkt hatte. Sie wollte kämpfen, die drei mit ihrer Schwester verwobenen Einzelwesen niederringen. Doch da wurde aus drei einzelnen Gesichtern und Körpern ein einziger. Im selben Augenblick brach die letzte in ihr angesammelte Kraft von fünfzig Nachtschatten endgültig aus ihr heraus. Sie sah, hörte und fühlte eine Flut von Bildern, hörte unzählige Worte, erlebte drei Geburten, drei Leben und drei Tode mit, wobei zwei zur selben Zeit erfolgten. Dann zerfloss sie selbst. Ihre Gedanken, Gefühle und Erinnerungen verrannen in der Flut aus allen in der Schattenriesin, die sich Birgute Hinrichter nannte. Sie erkannte, dass ihre Schwestern recht hatten. Sie hatte die Gegnerin gnadenlos unterschätzt. Mit allerletzter Anstrengung rief sie ihre Schwestern: "Sie verschlingt mich! Macht ihr ein Ende!"Dieser Gedanke war der letzte, den sie noch in die Unendlichkeit von Raum und Zeit hinaussenden konnte. Dann verschmolz die Abgrundstochter Thurainilla mit ihrer Schwester Riutillia, die mit bereits drei mächtigen Seelen eins geworden war und wurde mit allem Wissen und all ihrer Kraft ein Teil jener, die sich selbst als Kaiserin der wahren Nachtkinder, die wahre Macht der Nacht bezeichnete. Thurainilla gab es nicht mehr.
Rot glühte der an die zwei Meter hohe Krug mit zwei Henkeln. Doch dann ging ein heftiges Beben durch das goldene Metall. Das rote Glühen erlosch. Die orangerote Substanz, die weder Gas noch Flüssigkeit war, wurde dunkler und erstarrte zu einer festen Masse. Niemand war hier der oder die es sehen konnte. So konnte auch niemand sehen, dass in der erstarrten Oberfläche Spuren von Gesichtern zu erkennen waren. Eingefrorene Daseinsbruchstücke derer, deren Leben einst in diesen Krug eingefüllt worden waren, um seiner Herrin Nahrung und Kraftquell zu sein. So wie er nun dastand mochte er die nächsten Jahrtausende dastehen, ohne gefunden zu werden. Seine Herrin gab es nicht mehr.
Thurainillas letzter Aufschrei hallte lang und laut durch den gemeinsamen Gedankenraum der wachen Schwestern. "Sie verschlingt mich! Macht ihr ein Ende!" Dann trat völlige Stille ein. Jede rief nach Thurainilla, auch Hallitti. Doch es kam keine Antwort mehr.
Jede von ihnen hoffte und bangte zugleich, dass Thurainillas Seele unverzüglich in der ihr nächsten wachen Schwester halt findenund in einer fruchtbaren Eizelle als vaterlose Tochter neu aufkeimen würde. Doch nach zwei Minuten, in denen die Schwestern wieder und wieder nach Thurainilla riefen, fühlte keine von ihnen, dass der entkörperte Geist in ihren Schoß einfuhr, um dort zum neuen Kind zu werden.
"Schwestern, ich fürchte, Thurainillas inneres Selbst ist von der anderen restlos vertilgt worden", seufzte Ullituhilia. "Hat sie nicht gerade noch laut geschrien, dass wir recht hatten und sie die andere unterschätzt habe?" Alle gerade wachen Schwestern bestätigten das. Dann gedankensprach Ullituhilia:
"Schwestern, euch ist klar, dass dieses Unweib dann auch alles weiß und kann, was Thurainilla wusste und konnte. Dann weiß die auch wo unsere Verstecke sind und wird uns ihre Schattenbrut auf die Hälse hetzen. Es sei denn, wir finden ein Mittel, die alle abzuwehren."
"Das ist einfach", meinte Ilithula. "Ich kann den Wall des Geisterwindes um mein Versteck legen, der jede nicht in einem lebenden Körper steckende Seele fortweht. Itoluhila stimmte zu und erwähnte, dass Wasser für die Schattenwesen undurchdringlich sei und auch jeder undurchsichtige Feststoff. "Das sind keine rastlosen Seelen, die vom Sternenlicht und Mondlicht zehren, sondern aus verdichteter Dunkelheit, geformtem Unlicht bestehen. Alles, wo Licht nicht durchkommt ist auch für diese Geschöpfe undurchdringlich. Außerdem kann ich was ähnliches wie du, Schwester Ilithula, den Wall des dunklen Nebels. Der wirkt da, wo ein mit bösen Absichten entlangeilender Geist ob in einer sterblichen Hülle oder nicht, einen Gegenstoß, der jeden Geist am Weitereilen hindert und zurückprellt. Schwester Ilithula, von Mutter zu Mutter, wir können deinen und meinen Zauber vereinen und unsre Heimstätte gegen jeden Feind schützen, ohne die, die wir einlassen wollen abzudrängen.
"Ja, und wenn ich Zugang zu meinen Kräften hätte könnte ich euch noch den Wall der brennenden Feindschaft vorschlagen, der jeden feindlichen Geist zu einer inneren Hitzequelle macht und bei Geisterwesen das Gefühl unendlicher Qualen auslöst. Doch ich bin ja nur ein kleines süßes Menschenkindlein, das noch an der nährenden Mutterbrust saugen muss", fügte Hallitti hinzu.
"Ja, und damit du auch zur erwachsenen Frau heranwachsen kannst werden deine Mamita Loli und deine Tante Ila genau das machen, dass unsere sicheren Nester nicht von bösen schwarzen Biestern behelligt werden. "Am Besten machen wir das noch heute Nacht, Schwester Ilithula."
"Gut, weil wir zwei Mütter sind oder ich es noch werde und dieser Nachtschattenausgeburt ihre größte Todfeindin gebären will machen wir das. Wo du wohnst weiß ich. Ich bin gleich bei dir", erwiderte Ilithula
Er bekam es nicht mehr mit, was mit seiner Herrin geschah. Er war zu schwach und durch die Kraft der vielen Dutzend Feinde auf ein Hundertstel seiner denk- und Handlungsgeschwindigkeit abgebremst. Er merkte nicht, wie der Mantel alles verschlingender Dunkelheit die an ihm hängenden Schatten vertilgte. Er merkte nicht, wie er wegen der ihm aufgezwungenen Trägheit aus der Schattenform geriet. Er merkte nicht, wie er von jenem Motorrad herunterfiel, mit dem er über Jahre hinweg in der Welt der Menschen und Monster Angst und Schrecken verbreitet hatte. Als dann der letzte Faden zu seiner Gebieterin mit einem Ruck riss riss es ihm auch alle Wärme aus dem Körper. Doch die in ihm wirkende Dunkelheit berührte die natürliche Dunkelheit. So starb er nicht und löste sich auch nicht aus seinem Körper. Er erstarrte in der einen Sekunde, die zwischen Leben und Tod liegt. So bekam er auch nicht mit, wie das Motorrad, das er früher Sharon genannt hatte, anders als er von der in ihm nachwirkenden Dunkelheit schlagartig alterte und innerhalb einer Sekunde dreißig Jahre ohne Wartung und Neulackierung übersprang. Die Zeit des Schattenreiters war vorbei. Doch war es auch die Zeit von Aldous Crowne?
Sie fühlte, wie die Feindin versuchte, ihren Geist zu behalten. Doch Morgauses Anrufung der körperlich-seelischen Verbundenheit zweier Geschwister zwang sie, mit der von ihr gelenkten Teilkraft Riutillias eins zu werden. Birgute Hinrichter fühlte, wie das in ihr bestehende Seelengefüge für wenige Sekunden aufgelockert wurde. Birgit, Ute und Morgause sahen jeweils die Erinnerungen aus den Leben der anderen. Angst erfüllte die nun vier kurzzeitig getrennten Seelen. Sie hatten angst, zu vergehen. Doch dann, mit einem letzten Ruck, fügte sich alles wieder zu einer einzigen Persönlichkeit zusammen. Kanoras in ihr wirkende Zauberkraft ließ nicht zu, dass die nun fünf Seelen freikamen und sich in alle Dimensionen zerstreuten. Mit einem letzten geistigen Aufschrei aus fünf Seelen, der zu einem Aufschrei der Erleichterung wurde, kehrte Birgute Hinrichter stärker als je zuvor aus dieser kurzzeitigen Aufwühlung zurück. Die Wellen von Angst und Verzweiflung verebbten und wurden zu einem einzigen gewaltigen Triumphgefühl. Sie hatte es geschafft! Ihr über Wochen ausgearbeiteter Plan war aufgegangen. Sie hatte nun auch Thurainillas Seele, ihre magischen Kräfte und alle damit zusammenhängenden Erinnerungen in sich aufgenommen, ohne dass es zu einem großen inneren Kampf gekommen war. Morgauses Wissen hatte immer noch Gültigkeit. Der Zauberspruch der vollständigen Vereinigung zweier Geschwister, den sie sich damals ausgedacht und an mehreren Welpen und Kätzchen und später an erwachsenen Kühen von derselben Mutter erprobt und vervollkommnet hatte, galt auch für zwei nichtmenschliche Wesen, die im Bewusstsein bestanden hatten, dieselbe Abkunft zu haben, nicht nur die selbe Blutsverwandtschaft.
Birgute fühlte, wie die Erinnerungen Thurainillas in ihr aufblühten, sich bereitwillig in ihre eigenen Erinnerungen einfügten. Da erkannte sie, dass sie hier nicht mehr bleiben durfte. Denn wenn Thurainillas nicht minder gefährliche Schwestern ihren geistigen Todesschrei mitbekommen hatten mochten sie trotz aller schwesterlichen Rivalitäten zusammen herkommen und sie mit ihren unterschiedlichen Zauberkräften bekämpfen, auch wenn die, die die Kräfte der Sonne nutzen konnte, bereits von jenem Körperräuber aus der vergrabenen Grabstätte erledigt worden war. Nein, sie würde denen ihre Schattenkrieger schicken. Denn sie wusste, wer von denen wo zu finden war.
Als sie diesen klaren Gedanken dachte löste sie auch schon den Rückkehrsprung aus. Unverzüglich fand sie sich in ihrer eigenen Residenz wieder. Sie fühlte auch, wie der vorsorglich ausgelagerte kristalliene Uterus, ihr Ankergegenstand, zu ihr hinflog und sich mit einem von ihr spürbaren Ruck wieder an seinen angestammten Platz einfügte. Sofort merkte sie, wie sie die neu gewonnene Kraft durchströmte, wie sie davon noch größer und stärker wurde. War sie vorhin an die zwölf Meter hoch gewesen, so reichte sie nun zwanzig Meter nach oben, gerade noch so, dass sie nicht gegen die von glattem Obsidian bedeckte Decke stieß. "Tja, werde ich meinen Audienzsessel doch noch ein wenig größer machen müssen", dachte sie. Doch nun, wo sie die Kraft von drei mächtigen magischen Wesen in sich trug konnte sie alles, was sie berührte wie mit einem Zauberstab nach ihren Wünschen Formen, solange es dunkel war. Dass sie aus purer Dunkelheit zeitweilige Waffen oder andere Gegenstände machen konnte wusste sie ja schon. Doch nun fiel ihr ein, dass sie mit formbarer Dunkelheit auch magieschluckende Eigenschaften auf das gewünschte Objekt übertragen konnte. Das mochte ihr bald sehr nützlich werden.
"Remurra, ich bin wieder zu Hause. Komm am besten auch hin!" gedankenrief sie nach Remurra Nika.
"Mutter und Kaiserin, ihr habt gesiegt! Der Motorradfahrer von dieser Schmetterlingsfrau liegt wie tot neben seiner komplett durchgerosteten Maschine. Öhm, und hier schwirrt eine unsichtbare Kraftquelle herum, kein lebender Mensch. Könnte eine Art Spionagedrohne von wem sein. Ist auf jeden Fall magisch und nicht elektrisch. Kann sein, dass gleich welche kommen, die nachsehen, was hier abgegangen ist. Möchtest du wirklich, dass ich zurückkomme, Mutter und Kaiserin?"
"Was, eine Spionagedrohne? Dann mach gefälligst, dass du bei mir erscheinst, bevor noch wer von den Japanern mit irgendwelchen Sonnenlichtzaubern auf dich eindrischt, freches Mädchen."
"Bin schon da", klang nun Remurras Stimme, als sie schon während der Schimpftirade ihrer Mutter in der Residenzhöhle auftauchte. Dann beglückwünschte Remurra, eine von Birgutes ersten eigenen Töchtern, ihre Mutter und Kaiserin zu diesem großen Sieg.
"Sofern die falsche Nachtgötzin das nicht mitbekommen hat wird die bald eine sehr düstere Überraschung erleben", grinste Birgute Hinrichter. Die Feindschaft mit der Götzin der Blutsauger einte sie mit jener, die sie sich unterworfen und zu einem gefügigen Teil von sich gemacht hatte.
"Leute, ich fürchte, dagegen war der dunkle Wächter ein fröhlicher Pausenclown", seufzte der Wachhabende, nachdem er und die Innendienstmannschaft den Kampf der dunklen Herrinnen beobachtet und dessen ausgang miterlebt hatten.
"Eisenspäher sieben meldet aus allen Himmelsrichtungen anfliegende Teppiche und Besen mit Ministeriumsbeamten. Sollen unsere Leute da noch hin?"
"Natürlich nicht!" rief der diensthabende Befehlshaber über die Schallverpflanzungsverbindung zu seiner Einsatztruppe. "Setzen Sie sich sofort ab und kehren Sie auf den bei Entdeckungsgefahrenstufe drei gültigen Wegen in die Halle der Wachsamkeit zurück! Das ist ein Befehl der obersten Dringlichkeit."
"Sind schon weg", meldete der Einsatztruppenleiter.
"Wenn die Einsatzgruppe wieder da ist und wir deren vollständigen Bericht haben wecke ich den hohen Rat. Die sollen beschließen, wie wir damit umgehen."
"Soll der eiserne Späher sieben auch zurückgeholt werden?" Wollte der Lenker der eisernen Diener wissen. "Öhm, die Tarnzauber sind alle noch in Kraft. Dann soll der in seiner jetzigen Beobachtungshöhe bleibenund zusehen, was mit dem zu Eis erstarrten jungen Mann und dem im silbernen Feuer zu rostigen Überresten zerfallenen Kraftrad Marke Yamaha geschieht. Falls unser Späher wider alle Vorsichtsmaßnahmen doch entdeckt wird soll er sich unverzüglich selbstvernichten, möglichst ohne Menschenleben zu gefährden! Danke sehr."
Ilithula sah aus wie eine afrikanische Königstochter, ebenholzschwarz mit rotem Kräuselhaar. Die neben ihr beinahe lautlos wandelnde Frau mit der milchkaffeefarbenen Haut, den bis auf den Rücken fallenden, schwarzblauen gewellten Haaren sah überhaupt nicht aus wie eine leibliche Schwester von ihr. Doch sie war es.
"Wie lange brauchen wir?" fragte Itoluhila ihre Schwester Ilithula.
"Da du ja Wert darauf legst, dass die ganzen Elektrostromgeräte im Haus nicht allesamt ausfallen müssen wir die Beschwörung ganz langsam sprechen. Das dauert eine Viertelstunde", erwiderte Ilithula auf rein gedanklichem Weg.
Zunächst machten sie sich unsichtbar. Dann umschritten sie mit halber Schrittgeschwindigkeit das Grundstück entgegen der Sonnenlaufrichtung. Dabei summten sie leise Worte des Windes und der Verwüstung, des Wassers und der Vereisung und der Abwehr feindlicher Seelen, ob in fleischlicher Hülle oder rastlos in der Welt verharrend.
Während sie ihre Beschwörung summten ballte sich über dem Haus eine graue runde Wolke zusammen. Aus dieser glitt langsam eine dunstige Spirale herab, wie bei einer hundertfach verlangsamten Windhose. Nun galt es, diese Dunstspirale so fest zu machen, dass keine zu hohe Streuung ins Haus selbst hineinwirkte. Denn dann würden sämtliche elektronischen Geräte verrücktspielen. Deshalb mussten sie die dunklen Elementarkräfte, die sie gerade vereinten, so ausrichten, dass ihre Grenzschicht nicht dicker als ein Finger war.
Die grauweiße Dunstspirale kreiselte gemächlich nach unten und stülpte sich über das Dach. Eine Minute später hatte sie die beiden oberen Stockwerke eingeschlossen. Eine weitere Minute später umfing sie das ganze Haus. Weitere fünf Minuten umwanderten die beiden Schwestern das Grundstück und summten ihre Anrufung. Dann beendeten sie sie mit "Verweile ohne Eile und wehre alle Feinde!" Sie führten eine uralte magische Geste gegen die Dunstspirale aus. Diese wirbelte dreimal schnell herum und löste sich dann scheinbar auf. Doch in Wirklichkeit umgab nun eine kegelförmige Säule das Haus, die bis hundert Meter aufragte. Wer mit bösen Absichten gegen die beiden Beschwörerinnen oder ihre Familienangehörigen dort einzudringen versuchte würde sich fühlen, wie in einen eisigen Sturm am Nordpol geraten zu sein und dabei wieder nach außen gedrängt werden. Gleichzeitig würde sein Wille derart geschwächt, dass er oder sie jeden Drang verlor, noch einmal dort einzudringen. Nur wer gegen sowohl dunkle Windzauber als auch dunkle Wasserzauber mehrfach abgesichert war konnte die Grenze überschreiten. Sie war zugleich ein Locorefusus-Zauber, der direkt im Haus zu apparierende unverzüglich einen Kilometer weit zurückschleuderte. Nur jene, die den Zauber gewirkt hatten vermochten den kurzen Weg zu gehen.
"Meinen Unterschlupf sichere ich allein, weil ich dort die dreifache Laufgeschwindigkeit und Anrufungslautstärke benutzen kann", sagte Ilithula. Itoluhila bestätigte das. Dann fühlte sie, dass ihre Schwester wort- und geräuschlos in leerer Luft verschwand.
Als Itoluhila alias Teresa Dolores Morrow es ausprobierte und den Kurzen Weg ins Haus nahm bekam sie auf Gedankenwegen mit, dass es bei einigen gerade im Haus befindlichen Nachbarn Computerabstürze gegeben hatte. Bei Mrs. Cuvington, der Haushälterin der einen Stock tiefer wohnenden Eheleute Holyfield hatte die Waschmaschine verrücktgespielt und während des Schleudergangs statt Wasser abzupumpen neues Wasser einlaufen lassen und die Drehzahl so heftig erhöht, dass das in die Trommel geratende Wasser das Bullauge gesprengt und sich mit den dicken Glasscherben im ganzen Badezimmer verteilt hatte. Dabei war es zu mehreren Kurzschlüssen gekommen, die wiederum alle Sicherungen herausgeschlagen hatten, bevor es zu einer verheerenden Brandentwicklung kommen konnte. Die Holyfields würden sich sicher nicht über den entstandenen Schaden freuen. Zum Glück war Mrs. Cuvington schnell genug aus dem Badezimmer verschwunden, bevor die Waschmaschine kaputtging. Soviel dazu, dass der Ritualzauber keine bleibenden Schäden anrichten sollte, dachte Itoluhila. Aber von aufgehetzten Nachtschatten umgebracht zu werden war wohl ein viel, viel größerer Schaden, dachte die Tochter des dunklen Wassers.
Sie hatten den Sonnenuntergang abwarten müssen. Ihre Kaiserin argwöhnte, dass die die hier wohnte wohl schon vom körperlichen Tod ihrer einstigen Schwester Thurainilla erfahren hatte. Doch wenn sie hier war sollte sie noch in dieser Nacht endgültig vergehen.
je sechs Nachtschatten der mittleren Stärke rückten aus einer der Haupthimmelsrichtungen auf das Haus zu. Bereits hundert Meter von der Grundstücksgrenze entfernt spürten sie, dass hier was magisches war, etwas, das eine wortlose Todesdrohung an sie aussprach. Doch der Wille der Kaiserin war größer als jede Angst vor Fallen oder Gegnern. "Sturm auf das Haus. Lasst ihr keine Richtung zu entkommen!" befahl Truppenführer Moras tyhan, der besonders im Bereich England eingesetzt wurde und die hiesige Aurorentruppe schon mehrmals gefordert hatte.
Die 24 nachtschwarzen Geisterwesen ballten sich zu knapp handballgroßen Kugeln zusammen und schwirrten los, auf die von ihnen aus noch gut einsehbaren Fenster zu. Durch diese wollten sie eindringen und dann durch die Belüftungsschächte aus unterschiedlichen Richtungen in das Appartment der Morrows eindringen.
Die Schattenkugeln flogen mit einem Viertel Schallgeschwindigkeit auf das Grundstück zu. Als die ersten die Grundstücksgrenze berührten schrien sie geistig auf. Die Kugeln wurdn plattgedrückt und dann wie strahlen aus nedelfein gebündeltem Erdöl zurückgeschleudert. Einer der Angreifer war so ungestüm vorgeprescht, dass der aus ihm entstandene Strahl im Flug zerfaserte und der Schattenkrieger einen in viele hundert Einzelstimmen zerfallenden Aufschrei tat, bevor sich alle Tröpfchen mit einem Ruck wieder zur handballgroßen Kugel zusammenfanden, die jedoch mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit weiterflog und erst nach weiteren sechs Sekunden abbremste, bevor sie gegen die Wand eines Firmenhochhauses stieß.
Alle 24 Nachtschatten verloren auf diese Weise einen Gutteil ihrer feinstofflichen Fülle und kamen erst kilometerweit vom Haus fort wieder zur Ruhe. Moras Tyhan sammelte seine 23 Truppenmitglieder an einer von der Straßen- und Hausfassadenbeleuchtung unberührten Stelle in der Nähe des Grundstückes. "Die hat auf uns gewartet. Die hat einen Wallzauber gegen uns errichtet. Wundert mich, wo die doch nicht auffallen will", gedankenknurrte Moras Tyhan. Dann hörte er die Stimme seiner Mutter und Kaiserin.
"Die wird alle Menschen in dem Haus mit dem Blick der Unterwerfung beeinflusst haben, nichts mitzubekommen und nichts zu hinterfragen. Womöglich ist sie auch mit ihren vaterlos empfangenen Bälgern und dem von ihr gefügig gehaltenen Mann verschwunden und hat nur diesen Grenzwall erschaffen, um euch zu beschäftigen. Aber ich muss das genau wissen. Moras Tyhan, ihr fliegt folgendermaßen auf das Haus zu. Vielleicht könnt ihr die Barriere so knacken. ..."
Wenige Minuten später raste eine Kette aus 24 etwas kleiner geratenen Schattenkugeln auf das Grundstück zu. Sie flogen in einem Abstand von hundert Metern. Da sie jedoch mit vielfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs waren würde jeder von ihnen im Abstand von nur einer Zehntelsekunde auf den Wall treffen. Wem es gelang, ihn zu durchbrechen der oder die sollte wie geplant durch ein unverhülltes Fenster oder eine Ventilationsöffnung eindringen.
Moras Tyhan war der letzte der 24, weil er jetzt in unmittelbarer Gedankenverbindung mit seiner Mutter und Kaiserin stand. Er folgte wie angewiesen seinem Stellvertreter. Dann traf der erste auf das Hindernis. Er wurde mit einem lauten Gedankenschrei zu einem nach schräg oben wegspritzenden Strahl aus tiefschwarzen Partikeln. Dann krachte auch schon der zweite auf genau denselben Punkt, den der erste getroffen hatte. Doch auch er wurde kilometer weit zurückgeworfen und verlor dabei die hälfte seiner feinstofflichen Fülle. Dem dritten, vierten, fünften, sechsten und siebten erging es nicht anders. Acht und neun prallten fast zeitgleich auf den Wall und wurden so unglücklich zurückgeworfen, dass sie sich im Flug vermischten. Das führte dazu, dass sie um ihre jeweilige Identität rangen und dadurch den Verlust aller feinstofflichen Bestandteile nicht mitbekamen. Als nichts mehr da war, was sie in dieser Welt hielt wurden sie in einzelne, jedoch formlose Geisterwesen getrennt, die wegen des verlorenen Gefüges nicht in dieser Welt verweilen konnten und aus ihr verschwanden.
Das Manöver, denselben Punkt anzugreifen dauerte nur vier Sekunden. Dann waren alle 24 einmal gegen den Wall geprallt und hatten dabei erheblich an Eigensubstanz eingebüßt. Moras Tyhan, dem der Schwund seiner feinstofflichen Fülle besonders weh tat vermeldete, dass der Wall keinen Millimeter nachgegeben hatte.
"Also bleibt das nur Science Fiction, einen Abwehrwall aus reiner Energie mit konzentriertem Punktbeschuss zu knacken", gedankengrummelte die Kaiserin. "Gut, ein Versuch noch. Wer von euch kann noch zeitlos springen?" Moras Tyhan und drei weitere konnten das noch. Sie versuchten, in das Haus hineinzugelangen. Doch sie blieben dort gerade mal eine viertelsekunde, dann wurden sie von einer immensen Gegenkraft wieder nach draußen befördert, und zwar viele Kilometer weit von London entfernt und mehr als zwanzig Kilometer über der Erdoberfläche. Dabei büßten sie bis auf ein Zehntel ihrer Ursprungsfülle alle feinstofflichen Anteile ein, waren also gerade so noch als kleine Schattenwesen zu erkennen.
"Ihr konntet nicht erkennen, ob sie in der Wohnung war?" fragte die Kaiserin den nun wirklich erschöpften Moras Tyhan. Dieser bedauerte es. "Ich konnte es durch deine Sinne auch nicht erfassen, ob sie noch dort ist oder ihre vaterlos empfangenen Töchter", gedankenschnaubte die Kaiserin. "Gut, dann muss ich das selbst prüfen", fügte sie noch hinzu.
Nur eine Viertelminute später krachte es dumpf. Der Knall ließ die Fensterscheiben wackeln. Doch da es Verbundscheiben waren, die Einbruchswerkzeugen und Gewehrkugeln standhalten sollten blieben sie heil. Dass der Knall über hundert Meter weit gehört wurde störte das Ungeheuer nicht, das im selben Augenblick an der Grundstücksgrenze erschien. Es war eine Riesin, die aus purer Schwärze bestand, bis auf die mehr als wagenrad großen, tiefblauen Augen. Die Urmutter der Nachtschatten, als die sie sich selbst gerne sah, schwebte einen halben Meter über dem Boden auf das Grundstück zu. Dabei brummte sie irgendwelche alten Worte. Da entstand vor ihr eine sie um turmeshöhe überragende, kegelförmige Säule aus hellblauem und grünblauem Flimmerlicht. Ein leises Summen ging von diesem mächtigen Kegel aus.
Itoluhila bekam schon mit, wie feindliche Geisterwesen den von ihr und Ilithula geschaffenen Grenzwall bestürmten. Als sie mitbekam, wie sie in einer Art magischem Dauerfeuer gegen einen bestimmten Punkt im Raum anstürmten musste sie fast loslachen. Glaubte deren Herrin denn echt, so den kombinierten Wall aus Wind- und Wasserzauber zu durchstoßen? Dann fühlte sie, wie drei Feinde bei ihr in der Wohnung auftauchen wollten, aber sofort ins Nichts zurückgestoßen wurden, aus dem sie kamen. "So auch nicht. Mann, dass hat dir Thurainilla in ihrer Todessekunde offenbar nicht verraten."
Dann erschien die Kaiserin der Schattengeister höchts selbst und machte etwas, dass den Grenzwall sicht- und hörbar machte. In dem Moment fiel alles im Haus aus, was mit Strom lief, ob an das Versorgungsnetz angeschlossen oder mit Batterien betrieben. Deshalb konnte niemand die Notrufnummer 999 wählen, um Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst anzurufen.
"Malvina, schnell zu mir hin!" rief Itoluhila ihrer ersten Tochter zu. Malvina kam schon angelaufen. "Ist das die böse Schattenkönigin. OHa, ist die riesig", schrillte Malvina, bevor ihr ihre Mutter den Mund zuhalten konnte.
"Ja, weil sie deine Tante Nilla gefressen hat, Kleines", knurrte Itoluhila. Sie pflückte die gerade wieder schlafende Ignatia aus ihrem Kinderbett heraus. Diese erwachte und erfasste sofort was los war. "Kann sein, dass wir hier ganz schnell weg müssen", zischte Teresa Dolores. Erste Aufschreie klangen im Haus. Wutgebrüll wegen des Stromausfalls und der nicht funktionierenden Mobiltelefone drangen bis zu ihr hoch. Dann sahen alle erst den kegelförmigen Lichtturm und dann noch die Ausgeburt der tiefsten Nacht, die gerade ihre Hände so führte, als halte sie was darin. Die Riesin senkte ihre Hände. Der flimmernde Grenzwall verschwand. Itoluhila spürte jedoch, dass er noch wirkte. Sie spürte aber auch, dass seine Unsichtbarkeit eine weitere magische Schockwelle durch das Haus jagte, die dieselbe Wirkung hatte, die damals in der Casa del Sol auftrat, als sie die grauen Übervampire daraus verjagen musste. Der elektrische Widerstand in allen Kabeln und Drähten war um ein vielfaches erhöht worden. Nur lebende Wesen konnten sich noch frei bewegen. Dann setzte die gigantische Geistererscheinung noch einen drauf.
Unvermittelt wurde es völlig dunkel und eiskalt. Itoluhila begriff, dass die Schattenkönigin Thurainillas Gabe der großflächigen Verdunkelung ausprobierte. Sie riss Malvina und Ignatia an sich. Mit der rechten Hand ließ sie eine Nebelwolke um sich und ihre Kinder entstehen, dunkler Eiszauber gegen vereisende Dunkelheit. Sie fühlte, dass die großflächige Verdunkelung ihr Kraft nahm. Ihr Gegenzauber erbebte und wankte.
"Ah, da bist du, gefangen in der eigenen Festung, Eiskönigin!" hörte Itoluhila eine tiefe, unheilvoll nachschwingende Stimme aus der Dunkelheit. "Ich habe den lautlosen Ruf des Verharrens gewirkt, den ihr netten Schwestern verwenden könnt, um leute am Wegteleportieren zu hindern. Gilt das auch für dich? Falls nicht, komm besser freiwillig heraus und bring die kleinen mit, die du geboren hast! Ich will euch mit mir und damit auch deiner all zu überheblichen Schwester zusammenbringen."
Im Haus kam erste Panik auf. Itoluhila hörte und fühlte, wie die Bewohner in immer größerer Angst aus ihren stockdunklen Appartments zu entkommen versuchten. Sie dachte an Lyndon, der bis morgen früh um neun seine Schicht hatte. An die verzweifelten, panisch durcheinanderrennendenund -rufenden Nachbarn dachte sie gerade nicht.
"Schwestern, sie ist bei mir und hat Thurainillas weiten Mantel der verschlingenden Dunkelheit ausgebreitet", gedankenrief Itoluhila ihre anderen Schwestern.
"Kommt sie zu euch durch?" fragte Ilithula. Itoluhila horchte auf den Wallzauber. Dieser drehte sich immer langsamer und langsamer. Wenn er anhielt mochte er zusammenbrechen. Die verschlingende Dunkelheit konnte also alle auf Dunkelheit und Tod gründenden Zauber auslöschen. Wenn der Wall wegbrach hatte dieses Ungeheuer freie Bahn. Es wusste auch, wo genau es hinmusste.
"Gut, schnelle Zuflucht", dachte Itoluhila. Doch zuvor rief sie noch laut und trotz des ihre Kraft aufzehrenden Verdunkelungszaubers etwas aus, dass nur sie und Ullituhilia erlernt hatten, weil die eine auf die Erde und die andere auf das Wasser festgelegt waren. Dann hob sie die beiden nur äußerlich kleinen Mädchen nach oben und wartete.
"Ein Beben durchlief Hausund Luft. Itoluhila fühlte, dass der gerade erst errichtete Schutzwall verschwunden war. "Ich komm jetzt rein!" brüllte ihr da auch schon die Stimme der Schattenkönigin entgegen. "Wegteleportieren klappt nicht", rief sie noch.
"Ja, nicht auf die übliche Weise", dachte Itoluhila. Dann dachte sie: "Lebensgefahr! Letzte Zuflucht!"
Ein Donnerschlag dröhnte durch das Haus. Da, wo das große Panoramafenster Richtung Hyde Park war ergoss sich ein Splitter- und Trümmerregen. Die Wände klafften auf. In genau dem Moment umschloss Teresa Dolores Morrow und ihre Töchter eine orangerot-violette Lichtspirale. Innerhalb einer halben Sekunde waren die drei fort. In der Sekunde darauf schoss eine Hand fast so groß wie ein erwachsener Mann zur Faust geballt ins Zimmer. An der Faust hing ein Arm so dick wie ein Laternenpfahl. Der Arm fegte förmlich durch den Raum und zerschlug alles, was ihm im Weg stand. Doch er fand nichts mehr.
Birgute Hinrichter, die von ihrem Volk auch als Mutter und Kaiserin angesprochen wurde, wusste genau, wo das Appartment war. Doch in ihrer jetzigen Größe konnte sie da nicht hinein. Doch mit der Hand musste es gehen. Sie zerschlug einfach das protzige Panoramafenster. In dem Augenblick, als das mehrfach verglaste Fenster in tausend Scherben zersprang sah und fühlte sie, dass ein einem starken Wirbelsturm ähnelnder Zauber in Kraft trat. Sie sah für einen Sekundenbruchteil eine Frau mit zwei Kindern auf den Armen in orangerot-violettem Licht. Dann waren die weg. "Letzte Zuflucht!" schoss es Birgute durch das Bewusstsein. "Die Töchter Lahilliotas konnten im Angesicht einer unmittelbaren Gefahr oder wenn ihr Leben unmittelbar zu enden drohte in ihr Höhlenversteck zu ihrem Lebenskraftsammelkrug hinspringen, durch alle noch bestehenden Zauberbarrieren hindurch. Wie genau Lahilliota das hinbekommen hatte wusste keine der von ihr geborenen. Auch Thurainilla hätte das gekonnt. Doch sie hatte ja unbedingt mit ihr, der wahren Macht der Nacht, kämpfen müssen und verloren.
Wut und der Gedanke, keine Zeugen zurückzulassen trieben die Kaiserin der Nachtschatten dazu, alle Appartments mit ihren todbringenden Riesenfäusten zu zertrümmern. Dabei geriet sie in einen wahren Zerstörungs- und Tötungsrausch, vor allem, als sie durch bloße Berührung Lebenskraft aus den zur Flucht unfähigen Bewohnern zog, ob Mann, Frau oder Kind, Greis oder Säugling. Jedes von ihr geraubte Leben floss unmittelbar in sie ein und ging in ihr auf. Die Sorge, durch männliche Seelen um ihre einzig wahre Identität gebracht zu werden war unbegründet. Durch Thurainillas ganze Kraft konnte sie nun auch bedenkenlos männliche Opfer haben.
Unter der Wirkung des Verdunkelungszaubers, der eine Kugelzone von über hundert Metern Durchmesser erfüllte zerschlug sie alle Appartments von außen, riss die Wände ein wie Papierblätter und brachte so das Haus zum Einsturz. Da hörte sie den Ausruf: "Expecto Patronum!"
Das hektische Läuten der Alarmglocken brachte alle auf die Beine, die zum Außentrupp der Sicherheitsbehörde und des Aurorenkorps' gehörten. "Dementorenalarm in Mayfair!" rief Justin Finch-Fletchley, der diensthabende Überwacher in der Aurorenzentrale. "Alle die den Patronus können an folgende Adresse!" Er gab die Adresse durch und stellte den zeitweiligen Apparierdurchlass her, um selbst an den Tatort zu reisen.
Zu gerne hätte Justin seine Kameraden Ernie und Harry mit dabei gehabt. Doch Ernie McMillon befand sich auf Jamaica, um einen Voodoo-Zauberer zu stellen, der eine Zombie-Invasion in Großbritannien versucht hatte. Harry Potter war auf Anraten des obersten Kommandanten der Aurorentruppe auf einem Zaubertrankfortbildungsseminar in Tara, Irland, wo er, wie er sagte, auch was über den bösartigen Trank lernen würde, den Riddle benutzt hatte, um Slytherins Medaillon, dass er zum Horkrux gemacht hatte gegen Diebstahl abzusichern.
als die Einsatztruppe mit weiteren Leuten aus der Sicherheitsbehörde am Tatort war stellten sie zwar eine undurchdringliche Dunkelheit fest, sahen aber keinen Dementor. Trotzdem riefen die, die nahe dran waren den Patronus, auch Justin Finch-Flechley. Zehn vollgestaltliche Erscheinungen aus silberweißem Licht rasten auf das Zentrum der Dunkelheit zu, von dem lautes Krachen und Splittern erklang. Ihr Licht durchbrach die magische Finsternis. So konnte Justin sie sehen.
Er hatte davon gehört, dass es sie gab. Doch als er die mehr als zwanzig Meter große Riesin sah, die nur durch den Widerschein der Patroni zu erkennen war stockte ihm doch der Atem. Das war also jene Königin der Nachtschatten, von der es immer wieder hieß, dass sie ein Reich der Dunkelgeister auf der Erde gründen wollte. War sie gekommen, um einen Vergeltungsschlag wegen der ganzen gefangenen oder vernichteten Nachtschatten zu führen?
"Verschwindet!" rief das Ungeheuer und trat mit den Beinen dick wie junge Bäume um sich. Dann schlug sie auch nach den Patroni. Diese wurden zurückgeprellt. Ja, sie konnten sie nicht treffen. Dann lachte das Riesenweib lauthals: "Denkt hier dran und achtet meine Forderungen, ihr Winzlinge!" Dann krachte es, und sie war einfach fort. Schlagartig kehrte auch das Licht der Gestirne und das Licht der Straßenbeleuchtung zurück. Jetzt konnten die Einsatzzauberer sehen, was die Schattenriesin angerichtet hatte. Mit lautem Gepolter brachen gerade die letzten stehenden Reste eines Appartmenthauses in sich zusammen und begruben alles, was noch heil gewesen sein mochte. "Kopfblasen! Nicht den Staub einatmen!" brüllte Justin, der sich zu gut an die Nachrichten über den elften September 2001 erinnern konnte. Er zauberte schnell eine Kopfblase, bevor die vom Haus ausgehende Staubwalze ihn erreichte.
"Wieso hat die das Haus zerstört", keuchte Leda Baywater, eine zwei Jahre jüngere Kollegin.
"Frag mal besser, wie die das in den dreißig Sekunden geschafft hat, die wir vom Alarm hierher brauchten", erwiderte Einsatzleiter Marvin Ironback. "Wahrscheinlich war sie unortbar, bis sie die Verdunkelungsaura ausgebreitet hat, wie immer auch das geht", sagte Justin.
"Okay, SMAINU-Zustand. Ihr wisst, was das heißt", sagte Ironback. Ja, sie wussten, was das hieß. Wenn eine starke magische Aktivität in nichtmagischer Umgebung (SMAINU vorlag galt es, alle Ereigniszeugen zu finden und mit einem Gedächtniszauber so zu stimmen, dass sie an eine nichtmagische Ursache glaubten. Je heftiger das Ereignis war und je größer die Zahl der Zeugen, um so heftiger musste das anschließend im Gedächtnis zu hinterlassende Ereignis ausfallen.
War die Höhle kleiner geworden? Sie konnte sich fast nicht mehr darin bewegen. Dann begriff sie, dass es die von ihr im Akt der Zerstörungswut und des Verdunkelungszaubers erbeuteten Seelen waren, die ihre feinstoffliche Fülle erheblich vergrößert hatten. Gut, dann musste sie sich eben vorerst stark bücken. Rückenschmerzen würde sie keine bekommen. Außerdem konnte sie sich auf die dreifache Größe ihres Ankergegenstandes einschrumpfen. Dann sah sie zwar drei Monate über den Niederkunftszeitpunkt aus, aber auch damit würde sie weiterexistieren können. Nur dass ihr kristalliner Uterus bei jeder in seiner Anwesenheit verstorbenen Seele mitwuchs. Daran hätte sie denken und ihn besser hier zurücklassen sollen. Ihr fiel ein, dass sie dann auch nicht mehr hier hineingepasst hätte, wenn sie die Schwester Thurainillas wirklich in sich hätte aufnehmen können. Hatte sie dann sogar glück gehabt, sie nicht erwischt zu haben? Jedenfalls sollte sie es erst einmal lassen, sie und die anderen Ex-Schwestern Thurainillas zu jagen, zumal die jetzt garantiert gewarnt waren. Sicher waren die das schon längst, als ihre achso geliebte Schwester Thurainilla zu leben aufhörte. Die hatte denen ja noch zutelepathiert, dass sie, die Kaiserin, sie gerade verschlang. Dann hatten sie sie womöglich ködern wollen. Ja, deshalb hatte sich Itoluhila auch so schön im Haus aufgehalten, bis sie dort ankam. Man wollte sie austricksen, vielleicht dahin locken, wo einer der Lebenskrüge war um ihre gesammelte Seelenenergie dort einzufüllen. Doch offenbar hatte Itoluhila zu große Angst um ihre achso süßen Kinder, eine ehemalige Dienerin und eine wiedergeborene Schwester von ihr. Nun, sie hatte an die zwanzig oder dreißig Menschenleben erbeutet, darunter auch mehrere kleine Kinder, unschuldige Seelen. Mann! Sie kam sich jetzt wirklich vor wie eine Erzdämonin aus dem Zeug, was Ute Richters früherer Kommilitone Arne Hansen gelesen hatte. Warum nicht? Für die Menschen war sie doch nichts anderes. Und wo sie die winzigen Zauberstabschwinger gesehen hatte konnte sie denen das nachempfinden, dass sie sie für ein Monster aus der Hölle selbst hielten.
Dann fiel ihr was ein, wohl aus Morgauses altem Wissen oder von Tuhrainilla. Sie konnte überschüssige Kraft in ihren Ankergegenstand einfüllen, damit der noch stabiler wurde aber zugleich ihre eigene Körpergröße auf ein erträgliches Maß herunterschrauben ähnlich wie bei Alice im Wunderland. Mann! Früher hatten Birgit Hinrichsen und Ute Richter jeden ausgelacht oder für einen einfältigen Eskapisten gehalten, der oder die solche Geschichten gutfand.
Sie entlud also etwas ihrer erbeuteten Lebenskraft in den in ihr pulsierenden kristallienen Uterus. Der wurde dadurch nicht größer aber stabiler als so schon. Die Gefahr, ihn durch Eigenschwingung zu zerstören schrumpfte dadurch genau wie sie selbst. Als sie nun auf fünfzehn Metern Größe zurückgeschrumpft war dachte sie, dass die Generalprobe für den Mantel der alles verschlingenden Dunkelheit geklappt hatte. Sie konnte diesen Zauber ohne Zauberstab anwenden, einfach nur durch einen intensiven Gedanken an im Dunkeln sterbender Tiere und Menschen. Schon sehr bald würde sie von dieser neuen Macht Gebrauch machen. außerdem würde sie ein Ultimatum an alle Zaubereiministerien senden, die meinten, ihre Untertanen und Kinder daherschießen zu dürfen wie der Jäger aus Kurpfalz.
Der erst nur rotglühende Henkelkrug in der weitläufigen Kuppelhöhle erstrahlte golden. Die in ihm orangerot leuchtende Essenz unzähliger geraubter Leben wallte auf. Mitten drin erschien eine Mutter mit zwei kleinen Kindern auf den Armen. Sie streckte die zwei Kinder nach oben, hielt sie über den Rand des Kruges. "Halt dich bitte am Henkel fest, Malvina, damit ich eine Hand frei habe!" sagte sie. Dabei hätte sie nur "Malvina, am Henkel festhalten!" sagen müssen. Malvina befolgte die Anweisung auf jeden Fall. "Lass mich bloß nicht fallen! Sonst musst du mich noch mal ausbrüten, Mum!"
"Nein, Kleines. Einmal reicht für ein ganzes Leben", erwiderte Itoluhila auf Hallittis Gedanken. Dann kletterte sie mit ihr aus dem Krug.
"Daddy wird sich zu Tode erschrecken, wenn er nach Hause kommt", sagte Malvina sehr gehässig klingend.
"Den hol ich gleich nach, und dann wechseln wir ins Ausweichheim, das Thurainilla nicht kennt. "Das auf den Kanaren?" fragte Malvina. Itoluhila nickte. Dieses Versteck hatte sie seit fünfzig Jahren gut in Schuss gehalten und es weder Ilithula noch sonst einer ihrer Schwestern mitgeteilt, ebensowenig, dass es die Casa del Sol in Sevilla gab, wo "der schwarze Engel" sein heimliches Hauptquartier hatte, und die gegen Vampire schon gut abgesichert war.
Itoluhila bat Malvina, auf ihre kleine Schwester aufzupassen. Dann verschwand sie auf dem üblichen kurzen Weg. Der Lebenskrug dimmte zu einem orangeroten Farbton ab, weil zwei Trägerinnen von Itoluhilas Blut anwesend waren.
Dr. Lyndon Morrow war gerade dabei, eine Abrechnung für eine Krankenversicherung zu tippen, als es leise hinter ihm rauschte. "Cariño, der Fall roter Stier ist eingetreten", wisperte es in sein rechtes Ohr. Lyndon Morrow zuckte zusammen. Dann sah er sich um. Doch außer ihm war niemand zu sehen. Doch er wusste, dass sie da war, die Frau, die er als Bordellhure in Sevilla kennengelernt hatte und die sich als eine Art Dämonenprinzessin entpuppt und von ihm, einem Sterblichen, zwei gesunde Töchter bekommen hatte.
"Okay, dann muss ich die Textdatei wohl vollständig verwerfen, damit das jeder glaubt, dass ich nicht mehr hier war", sagte er und beendete die Textverarbeitung, ohne den Entwurf zu speichern. Die Zwischengespeicherte Datei löschte er mit der dafür nötigen Software, die auch jede Spur davon von der Festplatte entfernte. Dann dachte er an alle, die er vor drei Stunden noch gesehen hatte und die er seitdem noch angetroffen hatte. Dann streckte er seine Hand in den Raum hinaus. Eine warme, weiche Hand umschloss sie. Eine Sekunde später war er fort. Fünf Sekunden später flimmerte es bei dem Spint des diensthabenden Stationsarztes. Der Spint ging von alleine auf, und der Mantel Lyndon Morrows bewegte sich, um gleich darauf in einem Flimmern zu verschwinden.
Fünf Minuten später stand es in allen Protokollen und allen Erinnerungen jener, die noch da waren, dass Lyndon Morrow schon vor einer Stunde von seiner Frau wegen was dringendem wegen des Babys nach Hause gerufen worden war und sich ein Taxi genommen hatte. Zehn Minuten später wusste es auch die londoner Taxizentrale, dass ein Fahrgast aus dem St.-Thomas-Krankenhaus nach Mayfair gefahren worden war, auf den die Beschreibung Lyndon Morrows passte.
Als die Polizei und die Katastrophenhilfe vier schwerverletzte Leichen aus den Trümmern eines Appartmenthauses barg wusste es die gesamte britische Polizei, dass Lyndon Morrow und seine Familie bei jenem heftigen Einsturz des Hauses, dessen Ursache noch zu ermitteln war, den Tod gefunden hatten, so wie die anderen bedauerlichen Bewohnerinnen und Bewohner. Der rote Stier hatte die Spur der Einhörner verwischt.
WAS IST DAS? ICH HÖRE EIN DUNKLES SCHWIRREN. ES KLINGT WIE ZWEI STARKE GEFLÜGELTE WESEN, DIE SICH GEGENSEITIG UMKREISEN, IMMER SCHNELLER. WAS IST DAS? EIN SCHREI! JEMAND WEIBLICHES SCHREIT LAUT VOR SCHMERZ UND ANGST AUF. ICH KANN ABER NICHT HÖREN, WO GENAU DAS IST. DANN IST DA EINE KURZE HEFTIGE WELLE, DIE SEHR BÖSE SCHWINGT. ICH KANN NOCH HÖREN, DASS JEMAND LAUT AUFLACHT, ÜBERLEGEN, GEHÄSSIG, HÖCHST ERFREUT. DANN IST WIEDER ALLES RUHIG. DAS ALLES DURCHDRINGENDE GEFÜGE DER KRÄFTE BERUHIGT SICH WIEDER. WAS WAR DAS?
Julius hatte es sich angewöhnt, den Heilsstern unter seiner Kleidung zu tragen, nachdem er herausgefunden hatte, wie er ihn für unbefugte Augen unsichtbar machen konnte. Wenn er nicht gerade in Räumen mit viel Elektronik zu tun hatte konnte er ihn tragen.
Er saß gerade mit den anderen Außendienstmitarbeitern im Konferenzzimmer, weil heute die Urteile über die Anführer der Sanguis-Purus-Erhebung gegen das Ministerium verkündet werden sollten.
Unvermittelt vibrierte Julius' Heilsstern unter seiner Kleidung. Er meinte, einen fernen, in den Obertönen schwingenden Kontrabassakkord zu hören, der immer misstönender wurde. Er wollte zu gerne wissen, was das war. Jedenfalls bekam er gerade nichts mehr aus dem Radio mit.
Er saß auf seinem Stuhl und lauschte dem ungewohnten Klang, der seines antrainierten Magnetsinnes nach irgendwo im Osten klang, weit weit weg. Dann meinte er, unter den Misstönen der fernöstlichen Kontrabässe einen lauten Wut- und dann Angstschrei zu hören, der wie durch einen Frequenzenfilter gejagt dumpfer und dumpfer wurde, um dann in einem scheppernden Echo auszuklingen. Dann klang es, als hätte jemand sämtliche Saiten der Kontrabässe mit einem Schwerthieb durchtrennt. Darauf meinte er, ein drei- und dann vierstimmiges Lachen zu hören, ebenfalls weit weit weg. Das Lachen verhallte in der Unendlichkeit. Dann kehrten die natürlichen Höreindrücke in sein Bewusstsein zurück.
"... Lepont wurde wegen erwiesenen Verrates am Ministerium zu lebenslanger Haft in der Festung Tourresulatant verurteilt. Weil er geständig war haben die Richter ihm die Möglichkeit gewährt, nach zwanzig Jahren wieder freizukommen, jedoch mit der Auflage, keinerlei Zauberei mehr ausführen zu dürfen. Wie bei den anderen wurde auch sein Zauberstab eingezogen und im Beisein der Gamotsmitglieder zerstört", sagte der Reporter von Zaubererweltecho, dem sie bisher zugehörrt hatten.
"Ui, da wäre der lieber bis zum Tod auf Ministeriumskosten eingebunkert worden", meinte Primula Arno. Belle Grandchapeau sagte dazu: "Vielleicht hat er sogar darum gebeten, mit den anderen ins Gefängnis zu kommen, statt gleich ohne einen Zauberstab irgendwo außerhalb unserer Gemeinschaft weiterleben zu müssen." Julius mochte das nicht ganz abstreiten. Doch im Moment war ihm wichtiger, was mit ihm und seinem nun wieder ganz ruhig unter den Kleidern hängenden Heilsstern los war.
Immerhin hatten die anderen es nicht mitbekommen, bis auf Demetrius. Der fragte ihn nämlich, als seine Mutter Julius zum Mittagessen einlud über den Cogison-Ohrring. "Du hast Maman und mich irgendwie brummen lassen. Natürlich hat dein Erbstück aus dem Morgenland das gemacht, weiß ich. Aber richtig angenehm war das für mich nicht."
"Ich weiß nicht, was es war. Der Stern hat auf irgendwas reagiert, Demetrius", erwiderte Julius. Dann beschrieb er, was er genau empfunden hatte. "War das ein und diselbe Stimme, die erst geschrien und dann gelacht hat?" fragte Nathalie. Julius verneinte es. Bei dem Gelächter meinte er ja, drei oder vier vollkommen gleichzeitig lachende Stimmen gehört zu haben, die dann in einer einzigen Stimme ausgeklungen waren. Die davor wütend und dann angstvoll aufschreiende Stimme war eine andere, aber nun, wo er das genauer bedachte, waren alle Stimmen weiblich gewesen.
"Kann es sein, dass es einen erneuten Kampf zwischen einer der Abgrundstöchter und ihren Feinden gab?" wollte Demetrius wissen. Julius überlegte kurz. Dann nickte er. Doch als ihm aufging, was genau ihm eingefallen war wurde er bleich. "Ich will es nicht beschwören, Nathalie und Demetrius. Aber wenn es echt eine von denen war, dann hat die den Kampf verloren und damit wohl ihr Leben. Das wiederum heißt, falls es stimmt, dass wer den Kampf gewonnen hat noch mächtiger war als die Abgrundstochter und jetzt noch mächtiger ist, nachdem sie sie besiegt hat oder haben. Mächtiger als eine der Abgrundstochter sind entweder alle anderen zusammen oder die Vampirgötzin oder dieses Nachtschattenweib, diese Dämonenkaiserin, von der Albertine Steinbeißer damals schon berichtet hat."
"Ja, genau das fürchte ich auch", cogisonierte Demetrius. "Es mag zu einem Zusammenstoß gekommen sein. Dabei hat eine der Abgrundstöchter ihr Ende gefunden, womöglich sogar ihr vollständiges Ende, mit Leib und Seele."
"Jungs, das klingt für eine werdende Mutter in Dauerwartestellung aber nicht gerade erbaulich", bemerkte Nathalie dazu. "Besteht eine Möglichkeit zu verifizieren, was geschehen ist, bevor du, Demetrius, mir weit vor der Zeit entfällst?"
"Ich kann die anderen sechs fragen, ob die was mitbekommen haben und dann über Catherine nachfragen, ob die Liga gegen dunkle Künste was mitbekommen hat. Mehr geht nicht", erwiderte Julius.
Gut, dann tu das, Julius. Der da in meinem gut versteckten Kugelbäuchlein lässt mich sonst nicht in Ruhe, und ich muss auch wissen, was ihn, Belle und mich so hat vibrieren lassen wie dauerhaft angestrichene Basssaiten", erwiderte Nathalie. Sie erteilte ihm den offiziellen Auftrag, ein unbestimmtes Vorkommnis zu untersuchen, das ihr und ihrer Tochter Belle zu Ohren gekommen war und ob dieses die Sicherheit der französischen Zaubererwelt betraf. Derartige Blancoaufträge hatte sie für solche Fälle erarbeitet, wenn etwas eintrat, was den stillen Dienst betreffen mochte. Da Julius Erbschaft von Ashtaria und alles was mit da dranhing in diese Kategorie fiel war es nur recht, ihn derartig zu beauftragen.
Als Julius den Cogison-Ohrring wieder an Nathalie zurückgab rief er in Gedanken nach Temmie. Diese antwortete sofort. Ihr erzählte er, was ihm passiert war. Sie erwähnte, dass auch sie etwas merkwürdiges, eindeutig aus mitternächtiger Zauberquelle stammendes mitbekommen hatte. Ja, die Richtung Osten mochte stimmen. Als er ihr zudachte, dass es was mit einer der Abgrundstöchter zu tun hatte erwiderte sie: "Falls ja war dies jene, die Macht über die Dunkelheit und ihre Zauber an sich besitzt oder besessen hat, Julius. Dann könnte es wirklich zu einem entscheidenden Kampf zwischen ihr und der Bluttrinkergötzin gekommen sein. Dann hat sie den Kampf wohl verloren und kann nur von Glück reden, wenn sie im Schoß einer ihrer anderen wachen Schwestern aufgefangen wurde, um dort neu aufzukeimen."
"Wo meinst du, war das?" fragte Julius seine vierbeinige Vertraute auf dem Hof der Latierres. "Weit in Morgensonnenrichtung, Julius. Aber wo da genau kann ich dir nicht sagen." Julius bestätigte, dass auch er das so empfunden hatte.
Nun flohpulverte er sich zu Catherine. Dieser erzählte er, was er mitbekommen hatte. Sie versprach ihm, ihre Kontakte zur Liga zu befragen, allerdings so, dass sie nur von irgendwoher was gehört hatte, was sie nicht einordnen könne. Julius nickte. Dann verließ er das zum Dauerklangkerker gemachte Arbeitszimmer Catherines wieder und kehrte durch das Flohnetz nach Millemerveilles zurück. Dort selbst fragte er Camille, ob sie was mitbekommen hatte. Sie hatte jedoch nichts mitbekommen, was ganz sicher daran lag, dass das zusammen mit Maria Valdez, Adrian Moonriver, Millie und ihm geknüpfte Schutznetz jeden bösen Einfluss von außerhalb abgefangen haben mochte.
Julius schüttelte den kleinen Wichtel ab, der ihn ritt, über das Arkanet nachzufragen, was los sei. Ihm wurde klar, dass er keinen mit der Nase darauf stoßen durfte, dass er was mitbekommen hatte. Doch was er machen konnte war, in seinem Baumhaus mit den Sonnenkindern zu mentiloquieren. So apparierte er direkt unter dem Baum. Als er das Baumhaus erreichte schrak er fast zurück. Davor hockte Dusty, der silbergraue Knieselkater und fraß genüsslich eine offenbar sehr unvorsichtige Amsel. "Hallo was machst du denn hier, Dusty?" fragte Julius. Doch natürlich konnte ihm der Kater nicht antworten, weil er anders als mit Goldschweif keine Interfidelis-Verbindung mit ihm geknüpft hatte. "Aber lass dich nicht stören", sagte er noch und stieg über den erfolgreichen Vogelfänger hinweg in sein Baumhaus.
Er konzentrierte sich auf Faidaria. Nach nur drei Anläufen erreichte er sie. "Du willst wissen, was in jenem Land namens Japan geschehen ist, Julius?" fragte Faidaria. Julius nickte. Doch er begriff, dass Faidaria das nicht mitbekam. So bejahte er die Frage in Gedanken. "Die Wache im Turm hat es vorhin gemeldet, dass es in den Bergen westlich der aus mehreren Einzelsiedlungen bestehenden Residenzstadt Tokio zum Zusammentreffen eines dunklen Wesens und wohl eines anderen, dunkle Wellen aussendenden Wesens kam. Es muss eine kurze aber sehr starke Auseinandersetzung mit großflächig verteilter dunkler Kraft gegeben haben. Danach blähte sich die eine dunkle Wesenheit auf, besser, sie erstarkte und strahlte daher weiter in den Raum aus als vorher, um dann unerkennbar zu werden. Wir wissen, dass es die Mutter der bösen Schatten ist, die sich an einer anderen starken Widersacherin gelabt hat und nun deren Kraft in sich aufgenommen hat. Es war nicht die falsche Göttin der Nachtkinder."
"Heißt das, diese Schattenfrau hat eine andere mächtige Gegnerin mit Leib und Seele in sich einverleibt?" fragte Julius Faidaria. "So wird es wohl sein", erwiderte Faidaria. "Wenn das eine von den Abgrundstöchtern war ist die Schattenfrau jetzt mindestens doppelt, ach was, neunmal so stark wie vorher, weil drei Seelen in der drinstecken."
"Vier oder sogar fünf, Julius", berichtigte Faidaria. "Zwei Kernseelen, dann eine, die sie wohl vor gewisser Zeit in sich eingesaugt hat, sowie dann eben jene, die sie jetzt erbeutet hat, wie immer das ging."
"Ja, und das quadriert sich in der Kraft. Dann ist die jetzt so stark wie sechzehn einzelne rastlose Seelen oder Schattengeister."
"So sehen wir hier das auch. Halt dich besser von ihr fern, wenn du kannst. Selbst dein neues Erbe könnte in ihrer Gegenwart versagen."
"Ich hoffe, dass du unrecht hast, Faidaria. Denn wenn die jetzt meint, jeden so wegzuputzen wie eine der vaterlosen Töchter wird sie darauf ausgehen, dass wir uns begegnen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Aber danke für die Warnung. Denn jetzt weiß ich wenigstens, was in der Dunkelheit lauert", schickte Julius zurück.
Julius verließ das Baumhaus. Dusty war fort. Wenn der jetzt Millie erzählte ... Gut, er hatte nur nachgedacht und sich dafür in seinem Baumhaus eingeschlossen. Er disapparierte und tauchte keine Sekunde danach in der Wohnküche auf.
Millie und Béatrice saßen wohl in ihren jeweiligen Arbeitszimmern. So rief er: "Ich bin wieder zu Hause. War nur noch kurz am Baumhaus, private Nachrichten lesen. Nichts neues."
"Gut, Julius. Bin im Arbeitszimmer!" rief Millie. "Trice und die Kinder sind anderswo?"
"Rorie ist mit Claudine bei Sandrine und den Zwillingen. Trice ist unterwegs, neue Heilkräuter einkaufen. Ich ring mir hier gerade einen Artikel wegen Halloween ab."
"Achso, weil die aus VDS mit dem Dorfrat bereden, ob wir das nicht auch hier feiern können?" fragte Julius. "Ja, das auch, obwohl der Dorfrat wohl eher nicht dafür stimmen wird, habe ich von Eleonore gehört. Aber sie meinte, ich sollte ... aber wieso brüllen wir uns eigentlich an? Du zu mir oder ich zu dir?"
"Wenn du deine Schreibfedern mal allein lassen kannst komm zu mir in die Wohnküche! Ich kann uns beiden Kaffee kochen", erwiderte Julius. Millie bejahte es.
"Ich habe irgendwo noch alle Unterlagen von dem Halloween-Referat, dass ich sozusagen als Einstand in Beauxbatons gehalten habe, Mamille."
"Stimmt, das war nur für die Grünlinge", grummelte Millie. "Ist aber nett, wenn ich das lesen darf, Monju."
Julius erwähnte dann leise, was ihm am Morgen passiert war und dass Catherine ihre Kontakte spielen lassen wollte. Er selbst hatte erst gedacht, auch im Arkanet nachzufragen. Doch dann sei ihm eingefallen, dass er wem auch immer hätte berichten müssen, woher er das hatte. "Ui, das wäre wohl sehr heftig nach hinten losgegangen, Monju. Neh, das lass besser nur Catherine klären", sagte Millie.
Als hätte sie Catherine beschworen fauchte es im Kamin, und aus einer smaragdgrünen Funkenwolke wirbelte Catherine heraus. "Ach, schön, dich gleich hier zu erwischen, Julius. Dürfen wir einen eurer Klangkerkerräume benutzen? Gut, Millie, da das wohl den stillen Dienst betrifft komm bitte gleich mit. Aber Pssst, nichts für die Zeitung und besser auch nichts zu den Kindern!"
In einem der Dauerklangkerkerarbeitsräume packte Catherine dann den finsteren Hammer des Monats, vielleicht der restlichen Menschheitsgeschichte aus. "Julius, mein Kontakt bei den abgetauchten Händen der Amaterasu, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, hat mir ultradringend geraten, nichts auch nur andeutungsweise in die Welt zu setzen, dass es um elf Uhr unserer Zeit herum etwas besonderes gab. Er wundert sich überhaupt nicht, dass die Kinder Ashtarias das mitbekommen haben, zumal ihn auch schon sein Kontakt in Israel angesprochen habe. Aber vorerst soll das nur auf höchster Ministeriumsebene verhandelt werden. Womöglich bekommen du und Nathalie es dann doch irgendwie mit. Aber jetzt haltet euch fest: Die Hände Amaterasus haben beobachtet, wie der von der Tochter der Dunkelheit geführte Mensch, der bei Dunkelheit zu einem Schatten werden kann von anderen Schattengeistern umzingelt und eingeschlossen wurde ..."
Als Catherine alle Beobachtungen der Hände der Amaterasu berichtet hatte sogen Millie und Julius Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. "Dann ist dieses Biest noch mächtiger als vorher, mindestens neunmal, weil es ja aus zwei Einzelschatten zu einem verschmolzen wurde und jetzt noch Thurainillas ganzes Sein in sich einverleibt hat", seufzte Julius. Der wusste zwar schon, was los war, musste aber Catherine gegenüber so tun, als habe er es jetzt erst erfahren. "Ja, und das Ministerium hat den ehemaligen Diener dieser Abgrundstochter eingesammelt und fortgebracht?" fragte Millie. "Ja, und prompt haben die sich den aus dem Ministerium klauen lassen. Als sie den nicht genau als tod oder lebendig erkennbaren, weil in Dauereis eingeschlossenen Körper in einen Untersuchungsraum brachten hätten sich vier unsichtbare Leute dort den Geborgenen geschnappt und seien mit dem durch eine Art exotischen Portschlüssel verschwunden. Sie haben die Visitenkarte der Hände der Amaterasu zurückgelassen. Mein Kontakt bestätigt, dass seine Organisation wahrhaftig den zurückgelassenen Schattenreiter übernommen habe, um ihn in ihrem "Haus der Gefahren und Schätze" zu deponieren, nun, wo dieses nach von ihm nicht genauer benannten Vorfällen vor zwei Jahren erheblich stärker abgesichert worden sei. Er meinte, dass das Ministerium wohl versuchen würde, den dauervereisten dazu zu benutzen, um die Schattendämonin zu rufen, um sie zu vernichten. Das aber könnte über deren eigene Möglichkeiten gehen."
"Ja, und das japanische Zaubereiministerium wird sich diese Demütigung garantiert nicht bieten lassen und erst recht darauf drängen, dass niemand unbefugtes davon erfährt, richtig?" sagte Julius.
"Genau so ist es. Zaubereiminister Takahara ist gelinde gesagt höchst ungehalten über diesen dreisten Diebstahl. Ich habe meinen japanischen Kontakt gefragt, ob dieser wirklich dreiste Raub wirklich sein musste. Er wiederholte dann, dass es sicherer sei, den in einem Zustand untaubaren Eises eingeschlossenen solange vor Entdeckung und Zugriffen zu verbergen, bis ein Weg gefunden sei, die "gemästete Dämonenkönigin" zu besiegen. Weitere Einwände meinerseits würden in leerer Luft verwehen wie der Wind über den Gipfeln der Berge, so mein japanischer Kontakt."
"Oha, und ich wollte mir eigentlich mal Tokio außerhalb der goldenen Käseglocke ansehen", meinte Julius. Millie erwiderte, dass das sicher ging, falls Japan die Quidditchweltmeisterschaft 2015 zugesprochen bekam. Zumindest trommelten sie schon laut dafür.
"Oha, das dauert aber dann noch", meinte Julius. "Ob die dich dann überhaupt hier weglassen, wo der erste hyperstarke Jahrgang nach Beauxbatons geht?" fragte Catherine. Julius erkannte, dass Aurore 2015 in die ZAG-Klasse kommen würde, sofern sie die Grundschulzeit gut überstand und nicht aus Beauxbatons geworfen wurde.
"Jedenfalls gilt, dass wir nichts davon mitbekommen haben, Millie und Julius", sagte Catherine.
Julius dachte an das, was Faidaria ihm zumentiloquiert hatte. Sollte er das echt nur für sich behalten? War es nicht langsam Zeit, seiner Frau und vielleicht auch Béatrice zu berichten, dass er über den Pokal der Freundschaft mit Faidaria und allen Sonnenkindern Verbindung aufgenommen hatte? Nein, lieber jetzt noch nicht, dachte er. Aber die Vorstellung, dass da nun eine wahre Dämonenfürstin auf der Welt herumschlich, die selbst mit einer Tochter des Abgrundes fertig werden konnte, gefiel ihm nicht. Aber wo es Engel wie Ammayamiria und Ashtaria gab musste es zwangsläufig auch Teufel oder besser Teufelinnen geben, selbst wenn sie keine Hörner trugen. Er hoffte nur, dass das unsichtbare Schutznetz über Millemerveilles und die Sanctuafugium-Zauber über Catherines Haus, sowie den Stammschlössern der mit ihm verwandten Zaubererweltfamilien diese wahrhaftige Ausgeburt irgendeiner Hölle abhielt. Irgendwie, so dachte er, drohte dieses Jahr 2006 zum Schicksalsjahr der Menschheit zu werden. Er hoffte, dass er sich irrte.
Um Catherines Hiersein zu rechtfertigen sagte sie, dass sie sich mit Camille und anderen ehemaligen Schulkameraden von hier unterhalten würde, da sie "im Moment" nichts zu tun habe. Sie fragte dann, wann sie Claudine wieder mitnehmen könne. "Ich fürchte, das darfst du mit Sandrine ausdiskutieren", sagte Millie. "Seitdem ihre beiden in der Schule sind und sie sich mit Aurore und den jeweiligen Paten so gut angefreundet haben sind die häufiger bei ihr als bei uns, auch wenn Claudine immer noch gerne bei uns mitisst."
"Stimmt, hat sie mir erzählt, und dass Sandrine dabei richtig aufblüht, weil sie dadurch einen neuen Sinn in ihrem Leben gefunden hat", sagte Catherine. "Gut, dann lege ich meine Runde so fest, dass ich am Ende bei den Dumas' vorbeigucken kann."
Als Catherine durch die Tür war meinte Millie zu Julius: "Hast du noch Kontakt zu den Sonnenkindern, Monju? Falls ja, frage die, was die mitbekommen haben und ob die was gegen diese Superdämonin machen können, was wir noch nicht oder wohl gar nicht können."
"Ich habe noch Verbindung zu Faidaria und den anderen", sagte Julius. "Ich frage dann mal an, was die für Möglichkeiten haben. Ich fürchte nur, die werden uns keine davon verraten. Aber nur wer fragt darf auch mit einer Antwort rechnen, auch wenn sie ihm nicht gefällt." Millie nickte. Sie als Reporterin kannte das ja auch schon.
Kurz vor dem Abendessen brachte Catherine Aurore und Claudine zum Apfelhaus zurück. Sie verabschiedeten sich, als wenn an diesem Tag überhaupt nichts passiert wäre. Es fiel Julius und Millie schwer, den Kindern gegenüber weiterhin so zu tun, als sei das Leben der Großen anstrengend, aber die Welt an sich noch in Ordnung und die Zukunft ein verheißungsvolles Land.
Später am Abend weihten Julius und Millie auch Béatrice in den weit entfernt geschehenen Vorfall ein. Béatrice meinte dazu nur: "War das nicht zu erwarten, dass eine der beiden Entitäten die jeweils andere auslöschen, schlimmstenfalls ihre ganze Macht übernehmen würde? Dann ist es eben heute schon geschehen. Schlimm, aber leider nicht zu vermeiden. Gut, dass wir es wissen und uns so gut wir können darauf einstellen können. Besser, als überhaupt nichts davon mitbekommen zu haben."
"Auch wieder wahr", sagte Julius. Wie war das mit der Gefahr, die nur noch halb so gefährlich war, wenn man sie kannte? Galt das aber auch für eine unendlich große weil unberechenbare Gefahr? Nein, das wollte er sich jetzt nicht antun, das weiter zu denken.
Er hatte seine Vorgehensweise geändert. Sein Ziel war es nun, die Schattenkönigin dorthin zu locken, wohin er sie haben wollte. Dazu hatte er die Geister, die ihm dienten, auf die klaren Schwingungen von Schattenlosen eingestimmt und diese gezielt jagen lassen. Dadurch hatte er zehn von ihnen erledigt, ohne dass die für ihn tätigen Geisterkrieger vernichtet worden waren. Dann hatte er es zugelassen, dass einer seiner Geister von ihr selbst gefunden und verschlungen worden war. So hatte sie mitbekommen, dass er angeblich am roten Meer eine alte Festung der Vorzeit mit darin schlafenden Eisenkriegern gefunden hatte und diese nun aufwecken würde, um sie gegen die Menschen einzusetzen. Er ging davon aus, weitere Schattenlose an diesem Ort vorzufinden, die er dann gezielt umbringen konnte. Doch als er mit seinem Teppich landete dröhnte es in beiden Ohren. Das Ohr des Anubis hatte einen mächtigen Geist erfasst, der in unmittelbarer Nähe war. Dann sah er eine drei Manneslängen durchmessende schwarze Kugel über sich. Sie umfloss violettes Flimmern, das wie Flammenzungen um sich griff. Es wirkte so, als sei eine zweite, schwarze Sonne mit ihrer Corona am Himmel entstanden und nähere sich nun der Erde. Der Körperdieb erkannte, dass es die Schattenkönigin selbst war, die aus ihm unerfindlichen Gründen bei hellem Sonnenschein in Erscheinung treten konnte. Er sprach die Worte, die das Ohr des Anubis zum schweigen brachten. Dann war die Unheilskugel genau über ihm.
Sein Unlichtkristallring pochte schnell und heftig. Die natürliche Sonne wurde von der niedersinkenden Erscheinung überdeckt. Schlagartig wurde es kälter. "Ich habe den Bann des verschlossenen Pfades über diesen Ort gelegt, Frechling. Im Umkreis von zwanzig Kilometern kannst du nicht disapparieren oder wegteleportieren oder wie ihr das damals immer genannt haben mögt", hörte er die laut dröhnende Stimme der Unheimlichen. "Besser ist es, du legst deinen lästigen Goldschmuck ab und genießt die innige Vereinigung mit mir und die Aussicht, dein Ziel, dieses Land wieder groß zu machen zu erreichen. Eigentlich wollte ich dich doch noch als meinen Sohn gebären. Aber deine Frechheit mit meinen fleischlichen Dienern soll nicht dadurch belohnt werden, dass ich dir das ewige Leben gebe, selbst wenn du mir auf ewig Achtung und Dankbarkeit schulden müsstest."
"Wieso kannst du die Sonne aushalten, Schattenweib?" fragte er erstaunt. "Weil ich es kann", antwortete die Unheimliche. Dann hing sie nur noch einen Meter über ihm. "Er öffnete seinen Umhang und rief "Ra!" Unter seinem Umhang blitzte der Schild des Horus auf. Der Schild strahlte nun selbst wie die Sonne. Das brachte die Riesenkugel jäh zum halten. Er hörte ein gequältes Stöhnen. "Nein, was ist das denn? Noch eine Sonne. Doch ich bin stärker." Da wurde es auf einmal völlig dunkel und eiskalt. Er fühlte, wie sein Kristallring dagegen anwirkte. Er wusste, was das war. Sie hatte den Mantel des Seth ausgebreitet. Der Schild des Horus hörte zu strahlen auf, kühlte sich schlagartig ab und wurde immer schwerer, als sauge er wie ein Schwamm die ihn umgebende Dunkelheit auf. "So, kleiner. Dein Unlichtkristall mag dir noch ein paar Sekunden geben. Aber er zieht dir schon Kraft ab, erkenne ich."
Der finstere Pharao stemmte sich gegen die Wirkung des ihn umfließenden Zaubers. Er versuchte, seinerseits den Mantel des Seth auszubreiten, ja möglicherweise den bereits hier herrschenden zu übernehmen und gegen dessen Beschwörerin einzusetzen. Doch als er die entscheidenden Worte rief kühlte sein Zauberstab so plötzlich herunter und summte wild wie eine angestrichene Celloseite. Er ließ den Stab kurz fallen, um ihn nicht zu verlieren. Die eisige Kälte des Mantels des Seths kam zwischen den einzelnen Pulsschlägen seines Unlichtkristallringes zu ihm durch. Er fühlte, dass er gegen diese Kraft nicht lange bestehen konnte. Er schaffte es, seinen Zauberstab wieder aufzuheben. Noch wollte er nicht aufgeben.
Der ungenannte Herrscher steckte den zentnerschwer wirkenden Schild fort und zog den gläsernen Herrscherstab des Totenrichters hervor und zielte damit auf die über ihm vermutete Schattenkugel. Doch als wenn jemand ihm einen zentnerschweren Eisklotz in die Hand gedrückt hätte sackte sein Arm nieder. Er fühlte, wie der gläserne Stab erbebte. Er musste ihn wieder einmal fallen lassen. Auch der Schild des Horus wog immer schwerer, zog ihn nach vorne. Er wusste, wenn er jetzt fiel war es sein Ende. Würde sein Rettungszauber ihn noch einmal in seine Zuflucht zurückbringen?
Damit hatte dieser Wicht nicht gerechnet, dass sie nun den Mantel der völligen Dunkelheit ausbreiten konnte. Gleich würde er vor ihr erlöschen. Da würde auch der Unlichtkristallring nichts ändern. Hmm, sie wollte es doch versuchen, diesen einerseits faszinierenden und andererseits höchst lästigen Kristall zum zerspringen zu bringen. Sie versuchte es mit Eigenschwingungen ihres schattenhaften Körpers, die sich in den Mantel der alles verschlingenden Dunkelheit fortpflanzten. Dann jedoch erlebte sie eine Überraschung.
Er fühlte, wie er nach vorne überkippte. Er schlug in den weichen Sand. Seine Hand bekam etwas eiskaltes zu fassen und schloss sich sogleich darum. Er wollte nicht wehrlos sterben. Er drehte sich auf den Rücken, zielte mit Zepter und Zauberstab nach oben. Er wollte das Feuer der wütenden Seelen rufen, einen Zauber, der auf ungeschützte Zauberer genauso verheerend wirken konnte wie auf Geisterwesen. Doch sein linker Arm wackelte. Er konnte das Zepter fast nicht mehr halten, weil sein Ring heftig pochte. Er glaubte sogar, dass der Ring gleich seine Eigenschwingzahl erreichte und zerspringen würde. Geschah das war es aus mit ihm. Dann würde ihn dieses fleischlose Ungeheuer verschlingen und seine gesamte Kraft aus Leib und Seele verdauen. Doch er spürte, dass er das nicht mehr bewusst erleben würde. Denn der Kristall sog ihm immer mehr Kraft aus dem Körper. Er fühlte, wie er immer steifer wurde. Gleich würde seine ganze Kraft in dem Kristall stecken. Zersprang dieser hatten sie beide verloren, die Schattenkönigin und er selbst. Als er diese endgültige Erkenntnis hatte fühlte er wieder jenen starken Griff an seinem Körper, der ihn in einen rot-golden flackernden Schacht hinüberzog. Er hörte noch das wütende Geschrei der Gegnerin: "Nein! Du gehörst mir!" Dann war er bereits wieder unterwegs in seine Zuflucht.
Als er wieder in seiner goldenen Kammer ankam wusste er, dass er und die Schattenkönigin sich gegenseitig aufwogen. Wie auch immer sie es angestellt hatte, noch stärker zu werden, so dass sie sowohl der Sonne trotzen als auch den Mantel des Seth ausbreiten konnte, den er als seine stärkste Flächenwaffe beanspruchte, sie musste in den letzten Tagen darauf gestoßen sein. In diesem Zustand war sie für ihn schlicht unbesiegbar geworden. Die Erkenntnis, dass sie auch für andere unbesiegbar war tröstete ihn nicht wirklich. Er wusste nur, dass er dann, wenn sie erfuhr, wo er war, jeden seiner Pläne im Keim ersticken würde. So wie es jetzt war konnte er unmöglich Herrscher über Ägypten werden. Denn das bedeutete, dass er an einem für seine Untertanen erreichbaren Ort weilen musste. Blieb ihm also nur der Rückzug? Sollte er sich selbst entleiben, damit sein Geist die nächsten Jahrhunderte überdauern konnte? Doch diese Schattendämonin war selbst ein Geisterwesen mit unbegrenzter Daseinsdauer. Sie mochte auf ihn warten, wann und als wer er dann immer zurückkehren würde. Ihm blieben nur noch zwei Möglichkeiten: Seine Geisterarmee löschte ihre Schatten aus und konnte sie mit mehr als hundert ebenso fleischlosen Seelen überwältigen und auslöschen, oder sie trieb ihn immer wieder zurück, wenn er sich hinauswagte. Dann fiel ihm noch eine dritte Möglichkeit ein: Sie würde ihn suchen und dann in seine Heimstatt eindringen. Denn ihr mochte es ebenso missfallen, sich immer wieder mit ihm anzulegen. Er wollte heute das Ende erzwingen. Doch seine eigene Heimstatt hatte es vereitelt. Würde sie ihm den Endsieg über dieses Unwesen bringen oder für weitere Jahrtausende sein Kerker bleiben, in dem er dann bei völligem Bewusstsein der verrinnenden Zeit darben musste, ohne sterben zu können? So oder so würde sie ihn suchen. Dann sollte es so sein. Sie sollte sich an den vielen hundert Seelen, die er hier gefangenhielt, verheben und dann selbst Teil der ihn schützenden und stärkenden Kräfte werden. Ja, er wollte, dass sie ihn hier angriff. Natürlich wollte er nicht, dass sie bis zu ihm vordrang. Aber sie sollte an ihm scheitern. Sonst konnte er seine Zukunft vergessen, die doch vor zwei Monden erst wieder richtig interessant zu werden versprochen hatte.
Fast hätte sie die Resonanzfrequenz des Kristalls erwischt. Doch da hatte irgendeine Ferntransportzauberei ihn ihr einfach weggeschnappt. Sie ärgerte sich, dass sie bei Sonnenlicht keinen Ortsverharrungszauber wirken konnte, um das wie gerade eben zu vermeiden. Doch einen Vorteil hatte es, dass ihn eine schützende Macht "weggebeamt" hatte: Sie hatte erspürt, in welcher Richtung sein stärkster Daseinsanker liegen musste. Darum würde sie sich also bald kümmern.
Mit diesen Gedanken kehrte Birgute Hinrichter in ihre Residenz zurück. Kaum war sie wieder in der dunklen Audienzhöhle erlosch der Mantel der ausgesperrten Sonne, eine Errungenschaft Thurainillas und Riutillias. So konnte selbst sie, eine Schattengeborene, mehr als zwei Stunden im vollen Sonnenlicht handeln, ohne Angst vor dem Vergehen haben zu müssen. So hatten der unerlaubt aus seinem Grab gekletterte alte König und sie sich gegenseitig überrascht. Der musste jetzt damit rechnen, überall da, wo er hinkam, von ihr angegriffen zu werden. Schade nur, dass er die frecherweise verschlungenen Seelen ihrer Kinder wieder ausgewürgt und irgendwo eingesperrt hatte, wo sie im Augenblick nicht herankam.
"Mutter und Kaiserin, Ladonnas Marionetten werden jetzt wirklich dreist. Die haben sowas wie einen Auslösestrahl erfunden, mit dem unsere Schattenlosen ... Aua! Jetzt auch meiner", gedankenrief einer ihrer Unterführer, der einen Schattenlosen in Algier geführt hatte.
"Bist du noch da?" wollte Birgute Hinrichter wissen. Dann hörte sie, wie ihr Bote aufschrie. "Verflixt, die haben mich irgendwie zu sich .... Aaarg!" Das waren die letzten, von unendlichen Schmerzen getragenen Gedanken ihres Botens, eines ihrer eigenen Söhne.
"Wieso können die das? Es heißt, dass kein Schattenwesen zu einem feindlichen Ort gerufen werden kann, wenn sein Name unbekannt bleibt. Am Ende probieren die das noch mit mir. Nichts da!"
Auf der dritten Etage des weitläufigen Einkaufsparadieses im Herzen der Ruhrgebietsstadt Oberhausen tummelten sich Kundinnen und Kunden der hier ihre Wahren anbietenden Geschäfte. Stimmengewirr, hauptsächlich auf Deutsch und dem berühmten Ruhrpottdialekt, aber auch Wortfetzen aus anderen Mundarten und Landessprachen schwirrten durch die Luft. Darüber erklang eine Instrumentalfassung von Madonnas Ballade "This Used To Be My Playground". Wegen des herbstlichen Himmels waren die zusätzlichen Beleuchtungskörper eingeschaltet, um für ein gleichmäßig helles, aber nicht zu helles Licht zu sorgen.
Jennifer Marcovic, eine Studentin der Ruhruniversität in Bochum, war auf den Vorschlag ihrer Kommilitonin Gerda Fuhrmann hierher ins Centro Oberhausen gekommen, um sich anzusehen, ob dieses Einkaufszentrum wirklich mit einem Einkaufszentrum US-amerikanischer Prägung mithalten konnte. Bisher hatte sie nichts an der Bandbreite auszusetzen.
Leise sang sie den Refrain des gerade gespielten Stückes mit. Man, war das auch schon wieder vierzehn Jahre her, dass sie zu diesem Stück ihren zehnten Geburtstag gefeiert hatte?
"Jenn, kuck mal! Könnte dir der Laden noch was bieten?" fragte Gerda. Sie sprachen beide Deutsch, vor allem um Jennifers Sprachkenntnisse in Form zu halten. Denn die wollte mal Auslandskorrespondentin der Washington Post werden.
"Dann gehen wir da doch rein, Gerdi", stimmte Jennifer ihrer Studienkameradin zu.
Sie betraten einen kleinen, wohl zur gehobenen Klasse gehörenden Laden für Schmuck und Kleidungsaccessoirs. Von der eigenen Kleidung her machten sie durchaus was her. Hier drinnen klang klassische Musik, irgendwas von Mozart, hörte Jennifer. Was für ein Kontrast zu draußen.
Eine Verkäuferin im blauen Kostüm mit einem Namensschild eilte so lautlos sie konnte herbei. Gerda überließ es Jennifer, das mögliche Geschäftsgespräch zu führen. Da sie aus den Staaten kam konnte sie locker darauf aufsetzen, dass sie in Los Angeles und New York schon verschiedene Geschäfte besucht hatte, aber irgendwie nichts fand, was sie aus der Menge der jungen Frauen heraushob.
"Ja, wir führen auch exquisite Schmuckstücke und Aufnäher, die Sie als junge Dame oder als Dame in den besten Jahren noch tragen können und mit verschiedenen Handtaschen kombinieren können", sprach die Verkäuferin. Gerda blickte sich derweil schon einmal um.
Jennifer wollte gerade nach genaueren Angeboten fragen, als es plötzlich völlig dunkel und klirrend kalt wurde, als sei sie innerhalb einer Sekunde in eine Höhle am Nord- oder Südpol versetzt worden. Alle Geräusche, auch der Streichersatz aus der aus den Lautsprechern klingenden Mozartsymphonie klangen wie aus weiter Ferne. Ja, und alles klang irgendwie unheimlich, von Tönenund Geräuschen durchsetzt, die in Jennifer erste Angstgefühle auslösten. Wie aus vielen Meilen Entfernung, durch eine Art Tieftonhervorhebung gefiltert, klangen die ersten Schreckensrufe der Kundinnen und Kunden hier im Laden und draußen auf den Zwischengängen. Die Rufe klangen wie das Reviergebrüll zur Jagd ausrückender Raubtiere. Das gab Jennifer das Gefühl, gleich von einem mordlüsternen Monster aus der Finsternis heraus angefallen zu werden. Als sie tatsächlich einen fest zupackenden Griff am rechten Arm spürte schrie sie laut auf. Doch selbst ihr Aufschrei klang wie das unheilvolle Brüllen eines weit entfernten Raubtieres. "Jenn, ich bin's nur, Gerdi", klang eine dumpfe, irgendwie bedrohlich klingende Stimme von rechts. Das war doch nie im Leben Gerda Fuhrmann. Jennifer wollte sich losreißen. Doch die sie am Arm haltende Hand verkrampfte sich wie ein Schraubstock. Da wusste sie, dass auch Gerdi gerade große Angst fühlte. Dazu kam dieses Gefühl, von außen und innen her auszukühlen, als wenn jemand ihr die eiskalte Luft direkt in die Adern pumpte. Ja, mit jedem ihrer hektischer werdenden Atemzüge sog sie diese unwirkliche Kälte in sich ein und verlor immer mehr Wärme.
"Mist! Wat is' dat!" brüllte ein gerade nicht einzuordnendes Wesen im Laden. Schritte, mal trippelnd wie von übergroßen Ratten und mal Dumpf wie der auf Beutefang ausgehende Tyrannosaurus Rex aus dem Film Jurassic Park erklangen im Laden und draußen. Mozarts Musik klang wie ein Konzert geigender Höllengeschöpfe, die den Seelen der Verdammten ein Begrüßungslied spielten. Die Angst wurde in Jennifer immer größer. Gerdis Hand, wenn es Gerdis Hand war, klammerte sich immer noch an ihrem Arm. Sie rief: "Gerdi, was ist das hier?!" wobei sie selbst klang wie irgendeine Ausgeburt der Hölle. Hölle?! Am Ende war sie jetzt genau da. Aber dann hatten sich die ganzen Priester und Prediger voll geirrt, wie es da zuging. Aber gab es in der Hölle auch Mozart?
Jennifer fühlte Tränen aus ihrem bereits erstarrenden Augen fließen. Sie fühlte, wie diese auf dem Weg ihre Wangen hinunter zu Eis gefroren. Jeder Atemzug stach ihr mit kalten Klingen in Luftröhre und Lungen.
"Alle Raus hiieeerrr!" brüllte sie aus der Dunkelheit eine Monsterstimme an, die mehrfach und immer unheimlicher widerhallte. Passierte das jetzt alles echt? Das konnte es doch nicht geben, dachte Jennifer Marcovic. Als sie von irgendwem oder irgendwas angerempelt wurde schrie sie und erbebte unter dem Klang ihrer eigenen Stimme. Dann hielt sie auch links jemand am Arm und zog sie mit sich. Die Panik brach nun auch in ihr offen hervor. Sie rannten los, mitten hinein in die Dunkelheit.
"Wat! Dementorenalarm?! Wo?" rief Lichtwachenleutnant Karl Winkeleisen über das unvermittelt losbimmelnde Alarmglockenkonzert hinweg.
"Da is' 'ne Karte mit Alarmmarkierung", sagte sein Kamerad Hilmar Wetterschacht. "Jungs, bitte Hochdeutsch!" gemahnte Lichtwachenmajorin Anke Hochtal und deutete dann auf die Karte. "OO ha! Centro Oberhausen, laut Stärke der Dementorenaura mindestens zehn oder zwanzig, verteilt auf alle Etagen. Gut. Wer von euch kann den Patronus nicht?" Jeder hier im Raum konnte den nützlichen Abwehrzauber gegen Dementoren. "Gut, Jeder auf den ich zeigte geht da raus und klärt das. Vor allem, wie die mal eben im Centro auftauchen können."
Zehn Mitglieder der Lichtwache, davon vier bis vor einem halben Jahr noch als gesuchte Umstürzlerinnen gesuchte Hexen, disapparierten fast zeitgleich, nachdem sie sich den Lageplan des modernen Einkaufszentrums in Oberhausen angesehen hatten.
"Ja, hier LichtwachenMajorin Hochtal. Dementorenalarm in Oberhausen. Einsatztruppe ist raus, benötigen aber sicher alle verfügbaren Obleviatoren. Ziel ist das Centro Oberhausen."
"Ui, besser als der hamburger Hafen oder Schloss Neuschwanstein", hörte sie aus der Schallverpflanzungsdose. "Machen Sie bitte keine Witze. Da könnten mehrere tausend Maglos, öhm Menschen ohne magische Ausprägung betroffen sein", sagte Majorin Hochtal.
"Gut, ich löse den SMAINU-Alarm aus", erwiderte Hochtals Gesprächspartner, der oberste General der deutschen Lichtwachen persönlich. "Ich schicke am besten noch Leute aus den Regionen Nordrhein und Münsterland hin. Wenn da wirklich Dementoren im Centro herumspuken brennt aber sowas von die Hütte."
"Dem kann ich nur beipflichten, General", sagte Anke Hochtal. "Öhm, könnte es nicht auch die von dieser Schattenkönigin oder -kaiserin angekündigte Demonstration ihrer Macht sein?"
"Wenn die jetzt auch Dementoren lenken kann können wir gleich die Zaubereigeheimhaltung in die Wolken pusten", seufzte der Lichtwachengeneral.
Anke Hochtal konnte ihm auch da nur zustimmen, tat dies jedoch wortlos.
Jennifer Marcovic und Gerda Fuhrmann rannten zusammen mit noch einer gerade nicht genau bestimmbaren Person in die eiskalte Dunkelheit hinein. Einmal krachten sie gegen etwas, das wild rasselte und schepperte wie eine Reihe leerer Ritterrüstungen. Sie konnten sich weder nach dem Umgebungshall noch nach sichtbaren Merkmalen richten. Nur das wie ein langsamer Marsch dämonischer Heerscharen klingendes Musikstück wies ihnen die Richtung zur Tür. Jennifer knallte mit dem Kopf dagegen, spürte, dass sie sich wohl eine Platzwunde eingefangen hatte und spürte sofort die Eiseskälte, die in die Wunde hineinstach wie eine schmale Klinge. Doch dann waren sie und die zwei an ihr dranhängenden draußen auf dem Gang. Zumindest ging sie davon aus, weil hier viel viel mehr wildes Gewusel war und statt des Streichkonzertes aus der Hölle ein langsamer Marsch vorbeiziehender Monster und Dämonen aufgespielt wurde. Jennifer dachte nur daran, einfach zu laufen, einfach in die feindliche, viel zu kalte Dunkelheit hineinzurennen. Weil sie nicht die einzige war kam es zwangsläufig zu mehrfachen Zusammenstößen. Einmal fiel sie fast um. Doch die zwei an ihr dranhängenden hielten sie auf den Beinen. Sie rannten weiter. Dann knallten sie gegen das nächste eiskalte Hindernis. Jennifer meinte, an der Wand oder dem Aufsteller festzukleben. Tatsächlich fror ihre verletzte Stirn fast an der Säule fest, gegen die sie gekracht war. Dumpfer pochender Kopfschmerz verdrängte für einige Sekunden die wilde Panik. Dann betäubte das in ihr Blut eingeschossene Adrenalin die Schmerzen wieder. Die ziellose Flucht durch die Dunkelheit ging weiter.
"Expecto Patronum!" hörte sie eine irgendwo rufende Stimme, von der sie nicht sagen konnte, ob sie einem Mann oder einer Frau, einem alten Herren oder einem Schulmädchen gehörte. Alles in dieser höllischen Dunkelheit klang nur noch fremd und erschreckend. Dann sah sie für einige Sekunden Licht, silberweißes Licht. Ihre fast in den Höhlen festgefrorenen, von gefrorenen Tränen verklebten Augen erkannten ein Schwein aus silbernem Licht, das im Irrsinnsgalopp zwischen den panisch flüchtenden Menschen dahinjagte. Dann klang wieder dieses "Expecto Patronum!" War das eine magische Anrufung? Trotz der in ihrem Kopf wütenden Angst und der nicht ganz verdrängten Kopfschmerzen übersetzte ihre Lateinkenntnis diesen Ausruf mit "Ich erwarte den Schutzherren." Wieder sah sie was, dass es eigentlich nicht gab. Diesmal war es ein silberweißes Eichhörnchen, das mit großen Sätzen durch die fliehende Menge sprang. Und Dann meinte sie, einen frei fliegenden Adler über sich dahinsegeln zu sehen. Das konnte doch alles nicht sein. Gleich würde sie aufwachen und sich fragen, was sie bei der Party gestern im Drink gehabt hatte, dass solche irrwitzigen Albträume machte. Doch wer träumte hatte keine Schmerzen. Die ganzen Rempler, Kopfstöße und das eisige Brennen in den Lungen waren aber da. Dann musste das alles hier echt sein. Oder sie war von irgendwem oder irgendwas mit einem Schlag wahnsinnig geworden. Aber wieso rannten dann alle wie auf der Flucht vor dem Teufel und seinen Höllengeistern herum?
"Jenn, wo bist du?!" rief eine Stimme laut und unheilvoll schnarrend. Da erkannte sie, dass sie niemanden mehr am rechten Arm hängen hatte. War das Gerda? Egal. Sie musste hier weg! Sie musste einfach weg!
Wieder hörte sie jene Anrufung "Expecto Patronum!" Es waren mehrere Stimmen, und sie meinte weitere silberweiße Tiere oder menschenähnliche Wesen zu sehen. Einmal sah sie sogar einen Ritter auf einem Pferd, der mit eingelegter Lanze voranstürmte. Das waren doch alles Halluzinationen, Auswirkungen der Angst und der Dunkelheit. Gleich würde sie vor lauter Wahnsinn zusammenbrechen und nie wieder aufwachen. Da schwanden ihr auch schon die Sinne.
Albertrude Steinbeißer war umgehend von ihrem Vorgesetzten losgeschickt worden, um den Dementorenüberfall auf das Oberhausener Einkaufszentrum zu beobachten. Sowohl Anthelia als auch Gesine Feuerkiesel als auch ihr offizieller Vorgesetzter Armin Weizengold hatten unabhängig voneinander gemahnt, dass die selbsternannte Schattenkaiserin ihre Drohung wahrmachen und an einem Ort irgendwo auf der Welt einen Teil ihrer Macht demonstrieren würde. Natürlich konnte sie das mit den neuen Schattenfängern nicht so einfach hinnehmen. das würde Anthelia oder Ladonna ja auch nicht, wenn welche aus ihren Reihen einfach so eingefangen oder getötet würden. Doch die von Ladonna Montefiori gelenkten Zaubereiministerien wollten unbedingt beweisen, dass die selbsternannte Schattenkaiserin nichts gegen eine Heerschar von Zauberern ausrichten konnte.
Es war für die Hexe mit den biomaturgischen Augen eine neue Erfahrung, als sie aus dem noch normalbeleuchteten abrupt in den nicht mehr normal beleuchteten Bereich hineinkam. Sie fühlte die Eiseskälte auf der Haut und sah für eine Sekunde auch die völlige Dunkelheit. Doch dann sprang ihr Wärmesichtvermögen ein und die Funktion durchblicken von Hindernissen und Verhüllungen. Ja, und eine magische Dunkelheit war ja nichts anderes als eine Verhüllung. Für Albertrude war die von angeblich zwanzig Dementoren hervorgerufene Dunkelheit nun wie ein zweimal so heller Klangkerkerzauber, nur dass auch alle Einrichtungsgegenstände golden erstrahlten. Die hektisch fliehenden Menschen sah sie als doppelt so groß wie gewöhnlich aussehende, aus sich heraus mittelgrün schimmernde Wesen. Dabei müssten die eigentlich orange bis hellrot leuchten, wenn ihr Wärmesichtvermögen wirkte.
Die Lichtwächter riefen erst einmal ihre Patroni, um nach Dementoren oder Nachtschatten suchen zu lassen. Albertrude ließ auch ihren Patronus entstehen, seit der Verschmelzung mit Gertrude Steinbeißer war es ein silberweißes Einhorn. Dieses galoppierte los und jagte in die Richtung, in der Albertrudes Zauberstab zeigte. Nach nur zwanzig Sekunden bevölkerten an die sieben Patroni verschiedener Größe und Gestalt die Etage.
Gemäß dem Einsatzprotokoll, bei bereits begonnener Panik mit Schlafgas der Stufe eins zu arbeiten trugen alle Lichtwächter und Vergissmichs Kopfblasenzauber. Zumindest ersparte ihnen das auch die eiskalte Luft in den Lungen.
"Achtung, SG1 frei!" hörte Albertrude über die kleine Schallverpflanzungsdose. Albertrude spähte inzwischen durch die Decken und Böden, nachdem sie es raushatte, wie stark sie den Durchblickzauber einsetzen musste. Sie sah auch oben und unten panisch flüchtende Leute oder solche, die sich in den vielen Geschäften hier zusammengedrängt hatten. Aber sie sah keine Dementoren. Dann erkannte sie eine an die drei Meter große Kugel, von der lange, violette Strahlen ausgingen, die drei Etagen über ihr hing wie eine unheimliche zweite Sonne. Das gehörte sicher nicht hierher.
"Von Albertine Steinbeißer an alle Lichtwächter! Unbekanntes, kugelförmiges Objekt mit starker Ausstrahlung in oberster Etage Richtung Nordwest ausgemacht. Erbitte Verhaltensanweisung!" rief Albertrude in ihre Schallverpflanzungsdose und kümmerte sich nicht darum, dass ihre Stimme wie die einer Trollfrau mit Bronchialasthma klang. Ebensowenig fürchtete sie die blechern und rasselnd wie ein schnarchender Drache in einem Backofen klingende Antwort. "Genaue Beschreibung des unbekannten Objektes, Fräulein Steinbeißer!" Albertrude gab die genaue Beschreibung und dirigierte dann die Lichtwächter, während sie sich immer wieder vor ihr entgegenstürmenden Menschen in Sicherheit bringen musste. Mittlerweile wirkte das Schlafgas Nummer eins auf die Menschen ein. Es war völlig geruchlos und konnte je nach eingeatmeter Gesamtdosis zwischen fünf Minuten und zwei Stunden Schlaf bewirken.
Die ersten Menschen taumelten bereits. Weitere liefen noch wie vom Fuchs aus dem Schlaf gerissene Hühner durcheinander, stießen einander an oder knallten gegen Bauelemente und Möbel. Als Albertrude sicher war, dass sie hier auf der Etage bedenkenlos den Standort wechseln konnte apparierte sie in der Zieletage, wo bereits zehn Lichtwächter ihre Patroni gegen die an der Decke hängende pechschwarze Kugel schickten. Dass sie sie sehen konnten verdankten sie ihren Gleitlichtbrillen. Albertrude sah in die tiefschwarze Kugel hinein, weil sie wissen wollte, ob sich dort noch was versteckte. Doch ihr Durchdringungsblick kam nicht durch die Oberfläche. Ihr Aurensichtvermögen ließ sie die Kugel als mehr als zwölf Meter durchmessenden, violetten Glutball mit weit in den Raum ausgreifenden Protuberanzen sehen. Dann meinte sie mitten in dieser Flammenkugel ein riesenhaftes Frauengesicht zu erkennen. Dieses schien offenbar zu merken, dass es gerade angeblicktt wurde. Es verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. Dann schossen die flammenden Protuberanzen auf die im Aurensichtvermögen nicht silbern sondern gleißendgold strahlenden Patroni zu und versuchten, sie zurückzudrängen. Doch die Patroni stemmten sich gegen die violetten Flammenarme dieser künstlichen Unheilssonne mit Gesicht, die eine gelungene Verungeheuerung der üblichen gelben Bilderbuchsonnen darstellte. Immer mehr Patroni strebten jener Kugel zu, während um alle herum das Schlafgas seine Wirkung tat und die Panik der Centrobesucher eindämmte. Am Ende waren es alle Patroni, die im Centro aufgerufen worden waren, da sie dazu angehalten worden waren, die Quelle der bösen Kraft anzugreifen und zu vertreiben. Albertrude sah, wie die verfremdete Bilderbuchsonne mit ihren Flammenarmen um sich schlug. Doch einige Patroni, darunter auch ihr Einhorn, stießen gegen die Kugel, prallten zurück, brachten sie aber zum Schwingen.
"Das wird nicht helfen!" dröhnte auf einmal eine Stimme wie fünf fast zeitgleich anschlagender Kirchenglocken mit heftigem Sprung. "Ich kann warten, bis alle erfrieren, die in meinem Einfluss sind. Dann gehören ihre Seelen mir. Aber heute will ich noch nicht soweit gehen. Ich wollte euch Zaubersteckenschwingern nur zeigen, dass ich, die Kaiserin der Schattenkinder, die wwahre Macht der Nacht, mein Wort halte, ob Versprechen oder Drohung. Hände weg von meinen Kindern, sonst hole ich mir für jedes von euch getötete Kind aus meinem Schoß zwanzig der von euren Frauen geborenen, ob mit oder ohne Zauberer- und Hexenblut. Für jeden Gehilfen von mir werde ich vier von euren Kindern töten oder in mein Volk eingliedern. Ihr seid hiermit gewarnt! Sagt dies alles euren Befehlshabern."
"Heliotelum!" rief einer der Lichtwächter. Albertrude sah den für sie gerade weißgoldenen Lichtsper auf die Riesenkugel zujagen und daran zerbersten. "Netter Versuch!" klang die unheilvolle Höllenglockenstimme zur Antwort. Dann war die falsche Sonne einfach weg. Schlagartig verging auch die Kälte, und das goldene Licht auf Möbeln und Wänden wich dem üblichen Widerschein der vielen angebrachten Deckenlampen und dem schwindenden Tageslicht von draußen.
"War sie das jetzt echt, diese Schattenkaiserin?" fragte ein Junger Lichtwachengefreiter. "Ich hoffe es mal. Denn wenn es noch mehr von denen gibt können wir uns alle ganz warm anziehen und das nicht nur wegen der Kälte", sagte der Einsatzleiter im Rang eines Oberleutnants. Dann sah er Albertrude, die mittlerweile ihre Augen auf normales Sehvermögen umgestellt hatte.
"Danke, dass sie uns geholfen haben, Fräulein Steinbeißer. Es waren echt keine Dementoren hier?"
"Ich habe alle betroffenen Etagen überprüft und keinen Dementor gesehen. Das werde ich so in meinen Bericht schreiben", erwiderte Albertrude Steinbeißer. "Selbst die Gleitlichtbrillen konnten diesen Riesenglobus nicht aufhellen. Aber ich hatte den Eindruck, dass dieses Ding mit unsichtbaren Fangarmen nach den Patroni geschlagen hat. Können und wollen Sie das bestätigen?"
"Hiermit bestätige ich, aus der Kugel, die mutmaßlich der erwähnten Nachtschattenkaiserin entspricht, magische Arme umherschlagen gesehen zu haben, welche die ersten Patroni von ihr fernzuhalten vermochten", erwiderte Albertrude, wohl wissend, dass die aufgeklappten Schallverpflanzungsdosen das an die das Lichtwachenhauptquartier im berliner Ministeriumsgebäude weiterleiteten. Dann durfte Albertrude noch mithelfen, Verletzte zu finden, um sie zu heilen und alle Spuren von Zerstörung und Blutflecken zu beseitigen. Solange sollte SG1 weiterwirken.
Was die für die Vergissmichs wichtigen Anweisungen wegen der Erinnerung an diesen Zwischenfall anging so sollte ein Schwelbrand im Gebäude als Ursache angegeben werden, der die zum Teil panische Flucht der Kunden und anderen Besucher erklärte. Wie genau das zu deichseln war sollten die Fachleute absprechen.
Als Albertrude wieder in ihrem Büro in Berlin war mentiloquierte sie Anthelia an und schilderte ihr in kurzen Sätzen den Vorfall.
"Es steht zu befürchten, dass an Gerüchten aus Japan, dass die Schattenkaiserin mit der Abgrundstochter Thurainilla gekämpft und sie besiegt hat mehr dran ist, Schwester Albertrude. Ich erbitte einen Bericht bei unserer Samhainfeier." Albertrude versprach es und schrieb ihren Bericht. Diesem würde sie auch die Aufzeichnungen ihrer Kunstaugen beifügen.
"Wir können froh sein, dass der Brandherd so schnell gefunden wurde. Aber der Qualm war schon fies", sagte Gerda Fuhrmann zu ihrer Studienkollegin Jennifer Marcovic. "Gut, dass in dem Laden mit den Aufnähern und Glitzerschmuck ein Brandschutzraum ist, wo wir uns drin aufhalten konnten", sagte Jennifer. "Die nette Dame war ja hin und weg, dass wir ihr auf den Schreck hin drei Glitzergürtel für verschiedene Anlässe abgekauft haben", erwiderte Gerda darauf. Jennifer nickte. Wenn die Brandermittler ihre Arbeit erledigt hatten wollten sie noch einmal ins Centro. Da gab es doch noch etliches mehr zu sehen. Vor allem die aktuelle Kunstausstellung im Gasometer wollte sie gerne genauer bewundern.
Die letzten Tage waren für Julius sehr belastend gewesen. Sein Gewissen hatte ihn umgetrieben, ob er nicht doch eine öffentliche Meldung über den Vorfall in Japan erfragen sollte. Als dann an mehreren Orten der Welt schattenlose Menschen aufgetaucht waren, die "Das Gebot der Kaiserin" überbracht hatten, dass man ihre Untertanen nicht mehr behelligen solle, hatte die Ministerin alle für die Bekämpfung bösartiger Wesen zuständigen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter zu sich gebeten und ihnen eine Geheimnachricht aus Japan vorgelesen, dass der Zauberrat von Tokio sehr bedauere, davon künden zu müssen, dass ... und so weiter. Julius kannte den Text ja schon aus seinen eigenen Quellen. Da hatte er sich ein wenig erleichtert gefühlt, nicht mehr einer von ganz wenigen zu sein, die mit dieser Nachricht im Kopf herumlaufen mussten.
Als am 27. Oktober Bärbel Weizengold über das Arkanet verbreitete, was am Vortag im nordrhein-westfälischen Oberhausen vorgefallen war meinte Rose Deveraux dazu: "Dieses Ungetüm nimmt die ganze Welt als Geisel. Spuren wir nicht wie sie will, sterben hunderte oder tausende Leute, ohne dass die uns vorher sagen muss, wo."
"Ja, und das richtig schlimme ist, dass wir das noch nicht einmal mitbekommen müssen", meinte Primula Arno. "Bedenken Sie bitte, wie das in den Staaten mit diesen wildgewordenen Entomanthropen lief. Die konnten sich auch klammheimlich vermehren. Oder die Sache mit den Zombies dieses Voodoo-Zauberers in Amerika." Julius hätte da noch einige Beispiele aufzählen können, vor allem die Vampire der selbsternannten Göttin aller Nachtkinder. Doch er ließ es besser bleiben. Die Lage war auch so schon belastend genug.
Am Nachmittag durfte Julius zusammen mit Millie und Béatrice einer Dorfratssitzung in Millemerveilles beiwohnen. Sie wurden gefragt, ob sie sich sicher seien, dass die Schutzvorkehrung auch gegen eine offenbar vielfach stärkere, apparierfähige Nachtschattenkaiserin halten würde. Julius hoffte, dass sie hier sicher waren. Doch um nicht eines Tages selbst böse überrascht zu werden räumte er ein, dass der Schutz gegen die allermeisten einzelnen Feinde wirke. Doch wenn es sich um eine derartig starke Entität handele müsse zumindest eingeräumt werden, dass sie einige hundert Meter ins Dorf hineinkommen konnte, bevor sie vollständig zurückgewiesen würde. Er sei jedoch zuversichtlich, dass die Angreiferin auf jeden Fall sehr eingeschränkt sein würde, genug, um sie zurückzuschlagen, falls sie in den Schutzbereich einzudringen vermöge. "Ich vertraue jedoch auf alles, was ich über diesen Schutz gelernt und mit den anderen hinbekommen habe", beschloss Julius seine Antwort. Camille erwiderte darauf: "Julius, dieser Schutz wächst mit uns und bestärkt sich mit unserer Lebensfreude und allen friedlich hier lebenden Menschen, Tieren und Pflanzen. Wir sind mehr als die eine, auch wenn sie die Kraft von zehn oder zwanzig in sich zu tragen vermag. Also ich vertraue auf das, was wir errichtet haben. Aber ich verstehe auch, dass du als Rechenkünstler nie von einer hundertprozentigen Sicherheit ausgehen möchtest. Doch für mich als Naturkind zählt Vertrauen immer mehr als jede Zahlenangabe, und das sollte es für dich, deine Frau, deine Tante, deine Kinder und alle die hier gerade sitzen auch. Hoffnung ist das Licht, dass in der unendlichen Dunkelheit noch seinen Raum findet. Vertrauen ist das Fundament, das jedes Haus trägt."
Julius entspannte sich. Ja, Camille hatte recht. Sie und er und alle die mitgeholfen hatten hielten dieses Netz hoch. Die von Vita Magica hervorgerufene Woge neuer Mitbürger half mit, dass in Millemerveilles weiterhin jeder friedliebende Mensch vor bösen Wesen geschützt wurde.
Abends prüfte er noch einmal seinen privaten elektronischen Posteingang. Brittany schrieb, dass in Viento del Sol bereits an Mitteln geforscht würde, die Nachtschattenkaiserin zu fangen und in der Entladung von fünf gesammelten Sonnenstunden in einer Sekunde zu vernichten. Sie ging auf jeden Fall davon aus, dass der Feindeswehrzauber über VDS mindestens so gut wie der über Millemerveilles war.
Als Julius seinen Anrufbeantworter abhörte fand er wieder eine Nachricht, aber nicht von seiner Tante Alison, sondern seiner angeblichen Cousine Loli. Er hörte jede Menge Autoverkehr im Hintergrund, aber kein Glockenspiel oder sonstige kennzeichnenden Geräusche. Die Stimme der angeblichen Cosine klang entschlossen, ja fast schon bedrohlich.
"Werter Vetter. Sage das bitte auch den anderen, die kein Telefon haben, dass die angebliche wahre Macht der Nacht unser alleiniger Fall ist. Haltet die Unterlinge von ihr auf Abstand, aber geht sie selbst nicht an. Das was sie sich geleistet hat kann und darf nur von uns geahndet werden. Falls es einer von euch sieben schaffen sollte, sie aus der Welt zu schaffen hört der Burgfrieden auf, soll ich dir von meinen anderen Schwestern mitteilen. Ruf nicht auf dieser Nummer zurück, die ist nur geliehen. Also, gib es weiter, was ich dir gerade gesagt habe: Finger weg von der Mörderin unserer Schwester!"
Dr. Morrow war tot. Seine Leiche war unter den Trümmern gefunden worden. Dafür lebte nun ein Intensivmediziner namens Dr. Luiz Amando Mendes García und seine Frau Dolores Isabel mit ihren zwei Töchtern Malvina und Ignacia in Puerto Bonito, einem kleinen Fischerdorf an der Nordküste von Tenerifa. Die Bewohner des Ortes erinnerten sich gut daran, wie er vor drei Jahren hier mit seiner Familie hingezogen war. Dass hier auch viele Frauen wohnten, die früher mal für den schwarzen Engel von Südspanien gearbeitet hatten wusste der Arzt nicht. Er wusste nur, dass er nach dem Trubel in Madrid froh war, als niedergelassener Arzt praktizieren zu können, eine rechte kleine Familienidylle, schön weit weg von allen lauten und bösen Städten dieser Welt. Er fragte sich jedoch immer wieder, ob er nicht doch ein anderes Leben hätte führen können, wenn er ihr nicht begegnet wäre, der Prinzessin aus dem Reich der magischen Kräfte.
"So, ihr wisst jetzt, dass wir für jeden nicht von mir geborenen, der stirbt, vier von ihnen töten dürfen und für jedes Kind von mir je zwanzig von denen. Das hat sich herumgesprochen. Ob die von dieser Feuerrosenkönigin Ladonna gelenkten Ministerien sich daran halten wird sich noch zeigen. Falls nicht, dann können die nicht behaupten, nicht gewarnt worden zu sein. Lang lebe das Volk der wahren Nachtkinder!"
"Lang lebe unsere geliebte Mutter und erhabene Kaiserin Stella Nigra die Einzige!" riefen die versammelten Nachtschatten, als Birgute ihre Rede beendet hatte.
"Ich werde in den nächsten Tagen ein großes, gefährliches Unternehmen durchführen, das nur ich durchführen kann. Dabei kann es mir jedoch passieren, dass ich ausgelöscht oder für längere Zeit handlungsunfähig gemacht werde. Sollte das eintreten werdet ihr das erfahren. Dann führt das von uns besprochene Unternehmen "Schlagschatten" aus, um möglichst viele der Blutsauger hinter mir herzuschicken!"
"Das Unternehmen "Schlagschatten". Dafür müssen wir aber möglichst viele von uns in die Nähe von der Götzin unterstehenden Blutsauger postieren", warf Garnor Reeko ein. Seine Mutter und Kaiserin bestätigte das. "Dann bringt unsere einfachen Krieger in die entsprechenden Positionen und die noch nicht zu mir zitierten Schattenlosen dazu, die Eingänge der sieben Tempelbereiche anzusteuern. Wenn sie sie erreichen und dort magischen Widerstand spüren sollen sie die ganze in sich aufgenommene Kraft freisetzen!"
"Ja, Mutter und Kaiserin", bestätigte Remurra Nika.
"So fang gleich damit überall da an, wo keine Sonne scheint, bis alle in Position sind!" befahl die Schattenkaiserin. Ihre Untertanen bestätigten es.
"Ich bin sehr zufrieden mit euch allen", sagte sie. "Bevor ich das erwähnte Unternehmen mit dem wiederverkörperten König durchziehe will ich nur noch was anderes versuchen, dass mir vielleicht dabei helfen kann", sagte sie noch. Ihre Untertanen bestätigten es. Dann durften sie wieder ihrer Wege gehen. Sie hatte klare "Jagdquoten " und Reviere, sogenannte Lehen festgelegt. Da Nachtschatten nicht jede Nacht Nahrung brauchten reichte ein größeres Säugetier oder ein von seinen Artgenossen nicht vermisster Mensch pro Monat aus, sofern die Kaiserin nicht weitere Nachkommen hervorbringen wollte. Doch ihr nächstes Ziel stand fest, die Beseitigung jenes ägyptischen Unruhegeistes, der keine Anstalten machte, sich an das von ihr in alle Welt verkündete Ultimatum zu halten. Vorher wollte sie noch was anderes herausfinden.
Birgute, die sich von ihrem Volk Stella Nigra rufen ließ, damit die Kaiserin auch einen würdigen Namen hatte, war zunächst zum Versteck von Thurainilla geflogen und hatte versucht, die Höhle zu öffnen um an Thurainillas gesammelte Lebensessenz zu kommen. Doch die Höhle hatte sich ihr nicht geöffnet, und selbst auf zeitlose Weise konnte sie dort nicht eindringen. Sie wurde zurückgeworfen wie ein gegen die Wand stoßender Flummiball. Es stimmte also. Nur wenn die körperlich lebende Thurainilla dort hineinwollte konnte sie dies tun. Gleiches galt auch für die magische Öffnung der Höhle. Also blieb der Lebenskrug Thurainillas für sie einstweilen verwehrt. Damit musste sie eben leben.
Sie war zurück auf der Insel der letzten Dementoren. Sie musste wissen, ob sie diese besonderen Geschöpfe jetzt beherrschen konnte.
Als sie in Gestalt einer drei Meter durchmessenden, nachtschwarzen Kugel über die Insel flog fühlte sie, wie die über hundert Dementoren, die sich selbst auch als Krieger der letzten Schlacht bezeichneten, zu ihr nach oben stiegen. Sie hatte ihre geistige Ausstrahlung nicht verhüllt.
"Du bist das wieder. Oh, du bist stärker geworden, viel stärker. Das wird ein leckeres Festmahl!" rief der Anführer der Unheilsbotenund Seelenverschlinger. "Ja, stimmt, für ich!" rief Birgute den sie anfliegenden Dementoren zu. Dann sprach sie die Worte, die sie von Thurainillas unterworfenem Geist erfahren hatte. Die Dementoren erstarrten in ihrer Bewegung. Noch einmal sprach sie die Worte. Dann breitete sie selbst jene großräumige Aura der Dunkelheit und Kälte aus. Die Dementoren, die voll hineingerieten, schrien laut auf. Jene, die noch nicht davon berührt wurden schafften es nicht, ihre eigene Aura der Dunkelheit auszudehnen. Dann unterwarfen sich alle, weil Birgute auch die ausgemachten Kennwörter benutzte, mit denen Thurainilla sie unterworfen hatte. "Tja, kleiner Schmetterling, mit der Armee hättest du sehr großes leisten können", dachte Birgute. Dann wollte sie die Dementoren auffordern, mit ihr nach Afrika zu kommen und ihr dort als besondere Garde zu dienen und vor allem gegen einen bestimmten Feind zu kämpfen. Da erlebte sie jedoch ihre erste kleine Niederlage nach dem großen Sieg über Thurainilla. Die Dementoren konnten über land zwar schnell fliegen, solange es Nacht war. Doch sobald sie über das Meer wollten brauchten sie zehnmal so lange wie über Land, und bei Tag konnten sie nicht hoch fliegen, weil ihnen die Sonne Kraft nahm. So würden sie erst in mehreren Wochen in Afrika anlangen, sofern sie unterwegs auf den Inseln der Azoren und Kanaren nicht entdeckt wurden. So blieb ihr erst einmal nur, sie auf sich zu verpflichten, wobei sie auch ihnen nicht ihren selbstgewählten wahren namen verriet.
Mit einem einzigen Raumsprung überwand sie die Strecke zwischen der nächtlichen Dementoreninsel und ihrer Residenz. Dort angekommen beschloss sie, sich den finsteren Pharao alleine vorzunehmen, auch wenn sie wusste, dass der in seiner magischen Pyramide sicher gute Abwehrzauber vorrätig hatte.
Dieser Tag galt immer noch als einer der vier hohen Feiertage der Hexenheit, Samhain, das Fest des Überganges, das Fest der durchlässigen Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten. Die modernen Magier und Nichtmagier hatten es zu einer Zirkusvorstellung mit Kostümen und Tanz degradiert und hatten es unter dem Diktat der Monotheisten Halloween getauft.
Eigentlich hatte sie darauf gehofft, wie an Beltane und Imbolc mit ihren Schwestern zusammen zu feiern. Doch heute musste sie eine andere, für ihr Leben und ihre Macht wichtige Entscheidung finden. Endlich hatte sie den Schlüssel erhalten, der ihr den Weg zum Bollwerk eines immer lästiger fallenden Widersachers aufschloss. Aus den Geheimlagern der zehntausend Augen und Ohren hatte sie ihn erhalten, den Stirnreif der freien Gedanken, der gegen jede Form der Gefühlsbeeinflussung abschirmte. Es war ein aus Gold, Mondstein und Rubinen gemachter Kopfschmuck, der sicher einmal für einen mächtigen Zauberer oder eine mächtige Hexe hergestellt worden war. Doch als die Kobolde erkannten, dass mit diesem Stirnreif auch die eigene Lebensaura unsichtbar gemacht werden konnte und das damit die Annäherung von Feinden jeder Art und Form sichtbar gemacht werden konnte hatte der Bund der zehntausend Augen und Ohren diesen Stirnreif beschlagnahmt und dessen Erfinder und seine Unterlagen in einer schmiedeeisernen Kammer eingeschlossen, wo er verhungern musste. Nun hatte sie diese mächtige Schutzvorrichtung. Zusammen mit ihrem Rosenrubinring und dem gegen die allermeisten Flüche panzerndem Mieder Gundula Wellenkamms konnte sie es wagen, dem aus den Tiefen der Vergangenheit entstiegenen Rivalen um die Vorherrschaft entgegenzutreten.
Um keine bösen Überraschungen zu erleben, von wegen dass in der Zeit, wo sie unterwegs war, jemand wieder mal Befreier der Zaubererwelt spielen mochte und eines der Ministerien mit diesen widerwärtigen Veela-Kerzen beehren mochte hatte sie an alle ihre Statthalter den Befehl ausgegeben, die Ministerien zu schließen und sich in sichere Verstecke zurückzuziehen. Nach außen wurde vermittelt, dass die Minister der Koalition den Halloweentag nutzten, um an einem geheimen Ort über die weitere Ausrichtung ihres Bundes zu beraten.
Bald würde die Sonne untergehen. Dann wollte sie längst dort sein, wo laut Karim Al-Assuani die im Wüstensand vergrabene, auf dem Kopf stehende Pyramide zu finden war. Wenn die Kobolde recht hatten würde ihr Stirnreif sie vor den dort wirkenden Angriffs- und Einschüchterungszaubern schützen.
Sie trank vorher noch eine Dosis Wachhaltetrank, um schnell wieder zu kräften zu kommen. Dann apparierte sie in nur fünf Sprüngen von Italien bis an den Nil. Hier zog sie aus einem aus den Staaten erhaltenem Gürtelfutteral ihren Superfalconebesen mit Tarnfunktion. Sie saß auf und flog weiter, um die umgekehrte Pyramide zu finden.
Er fühlte es, dass jemand mächtiges herankam, der sich nicht von den Wellen der Angriffslust oder Angst vor Feinden verjagen ließ. Jetzt konnte der ungenannte Herrscher es auch spüren, dass es ein weibliches Wesen war. Die schwingungen verrieten ihm, dass es kein gewöhnlicher Mensch war. Die Entscheidung stand bevor. Sie, die seine größte Feindin war, hatte seine ständigen Herausforderungen endgültig satt. Sie kam, um es ein für allemal zu klären, wem das Land und die Zukunft gehören würden.
Er stimmte alle gefangenen Seelen, auch die der Kobolde auf sich ein und sog sich förmlich damit voll. Dann setzte er sich in die goldene Kammer auf einen thronartigen Stuhl. Hinter ihm stand der Aufbahrungstisch. Er hatte eine Tischdecke aus Seeschlangenhaut darüber ausgebreitet, die mit Geisterrückhaltezeichen beschrieben war. Hierfür hatte er den erbeuteten Griffel des ewigen Schreibers verwendet. Hier, im vollkommenen Mittelpunkt seiner Macht, lagerten auch all die bereits erbeuteten und erprobten Gegenstände. Er wusste, dass er mit dem Herrscherstab nichts gegen die Feindin ausrichten konnte. Denn er war sich sicher, dass sie die Kraft von mindestens sieben Seelen in sich trug, wenn nicht sogar von zehn. Das Ohr des Anubis brauchte er nicht. Der Schild des Horus brachte ihm nur etwas, wenn er unter freiem Himmel war. Auch das Schwert des Reput, ebenso wie die unsichtbare Klinge, mit der Deeplook ihn töten wollte, brachten gegen eine Geistererscheinung überhaupt nichts.
Jophiels Heilsstern pulsierte blau-golden. Zwei Finger einer Frauenhand lagen an zwei Enden des fünstrahligen Silbersternes, so dass auch sie von jenem blau-goldenen Schutzmantel eingeschlossen und von der den Geist beschützenden Aura umkleidet wurde.
Namika bint Mahdi al-Burak sah den im Vergleich zu ihr jungen Silbersternträger ruhig an. Seit fünf Tagen beobachteten sie den Aufmarsch ägyptischer Zauberer, die versuchten, in die verfluchte Zone um die vergrabene Pyramide einzudringen. Sie hatten von ihren jeweiligen Orden den Auftrag, diese Bemühungen zu beobachten und je nach ihrem Ausgang darüber zu beraten, wie es weitergehen würde.
Das blau-goldene Licht des Heilssterns wurde plötzlich heller. Namika bint Mahdi Al-Burak sah ihren Begleiter an. Das Licht schien in ihrem silbernen Haar wieder wie ein Glorienschein. "Was bedeutet das. Mein Talisman vibriert wild und deiner scheint noch mehr Kraft aufzubieten. Werden wir angegriffen?"
"Etwas dem Stern vertrautes wie gefährliches nähert sich, etwas, dem wir nicht unbedingt jetzt entgegentreten sollten", sagte Jophiel Bensalom. Dann wurde das helle Licht wieder dunkler. "Und die anderen sehen das nicht?" fragte sie. "Nein, nicht wenn sie uns feindlich gegenüberstehen oder unter einem fremden Einfluss sind", sagte Bensalom und spielte damit auf die von Namika gesehenen rosenroten Auren an, die die meisten hier postierten Ministeriumszauberer umflossen. Sie alle standen unter Ladonnas Bann.
"Ich konnte es sehen, eine tiefschwarze Kugel, die in sehr großer Eile über uns hinwegflog. Ich denke, das war sie, die selbsternannte wahre Macht der Nacht."
"Kein Wunder, dass der Stern so heftig reagiert hat", seufzte Jophiel Bensalom. Namika musste nicht weiterfragen. Denn sie kannte die Antwort. So sagte sie nur: "Größenwahn trifft auf Größenwahn. Sie will offenbar die Entscheidung, nachdem er ihr mit seinen fleischlosen Lanzensklaven viele ihrer bedauernswerten Helfershelfer entrissen hat."
"Namika, wenn alles stimmt, was deine Schwestern und meine Brüder herausgefunden haben könnte diese Ausgeburt aller Albträume nicht nur doppelt so viel Kraft erlangt haben, sondern die vier- oder gar neunfache. Denn dass sie bereits eine andere starke Seele in sich einverleibt hat und als Zweierseele begonnen hat ist ja gewiss." Namika bint Mahdi Al-Burak nickte nur beipflichtend.
"Sina sieht, dass sie da vorne jetzt richtig aufgeregt sind. Sie haben sie auch erkannt und wissen, wo sie hin will."
"Darf ich auch noch einmal sehen, was Sina sieht?" fragte Jophiel Bensalom. Zur Antwort drückte ihm Namika ihr smaragdenes Halbmondsymbol an der silberkette an die Stirn. Sie hatten herausgefunden, dass wenn beide Körperkontakt mit dem Heilsstern hatten Jophiel auch mitverfolgen konnte, was Namika über ihren Talisman mitverfolgen konnte. So irritierte es ihn nicht, dass er plötzlich meinte, weit über dem Boden zu fliegen, die Arme wie Flügel zu schwingen und den Wind durch straff gespannte Schwungfedern brausen zu hören. Unter sich sah er nun flaches Land, so nahe, als rase er nur einen oder zwei Meter darüber hinweg. Dabei wusste er, dass Sina mehr als zweitausend Meter über dem Boden flog. In ihrer Tiergestalt war sie gegen die Auswirkungen des Angriffswutzaubers gefeit, hatten sie und ihre Ordensschwestern herausgefunden. Vielleicht wirkte der Fluch auch nur auf Männer und Zauberer, hatte Jophiel dazu bemerkt.
Dass sie auch bei Dunkelheit so gut sehen konnte verdankte Sina einem Zauber des Mondes, der ihr die Macht gab, bei Nacht, ja sogar im Dunkeln so gut wie bei Tag zu sehen. So konnten die, welche gerade durch ihre Augen sahen, erkennen, wie mehrere Flugteppiche aufstiegen und von blauen und roten Lichtkugeln umschlossen nach süden vordrangen. Die wollten offenbar in den gefährlichen Bereich vordringen. Sina verhielt ihre Flügelschläge und ließ sich absinken. Als sie wohl genug gesehen hatte nahm sie wieder ihre Beobachtungshöhe ein und flog so schnell sie konnte zur Mitte hin. Ja, da war gerade eine schwarze Kugel, die von violetten Blitzen umtost wenige Meter über dem sandigen Boden schwebte. Aus der Kugel wurde eine riesenhafte Gestalt, kein flacher Schatten, aber auch kein lebendes Wesen und kein durchsichtiger Geist, sondern eine tiefschwarze Riesin mit langen Haaren und tiefblau glänzenden Augen. Jophiel dachte daran, dass dieses Unwesen dort ohne den ihm eigenen künstlichen Uterus unterwegs war. Falls sie jemals an diesen herankamen und den zerstörten war hoffentlich dieser Albdruck vorbei.
Die beiden Fernbeobachter sahen nun, wie die von violetten Leuchterscheinungen umschwirrte ihre Hände ausstreckte und ihre lichtschluckenden Finger so krümmte, als halte sie was fest in den Händen. Einen Lidschlag später sahen sie, dass sie eine viele Meter lange Schaufel in den Händen hielt. Unverzüglich begann sie damit, den Sand wegzuschaufeln.
"Das ist der Beweis, dass die beiden verschmolzen sind", seufzte Jophiel und hörte sich zweifach wiederhallen. "Ich hörte davon, dass Thurainilla und ihre nur als Schattenwesen geborene Zwillingsschwester aus Dunkelheit Waffen oder andere Gegenstände formen können. Ja, das ist der Beweis für die Verschmelzung", erwiderte Namika. Da antwortete eine zweite Frauenstimme: "Schwester, wenn du dem Sternträger schon erlaubst, bei mir mit drin zu sein bring ihm bitte bei, dass er seine Worte nur denken muss, damit mir nicht der Kopf zerplatzt. Danke!" Jophiel war so in Sinas Sinneswelt versenkt, dass er nicht merkte, ob er errötete oder nicht. Grund dafür hätte er jedenfalls.
"Bleib bloß mehr als tausend Schritte von ihr fern, Schwester. Sonst wirst du von ihr gefressen", klang Namikas Stimme ohne doppelten Widerhall auch für Jophiel. "ich bin die Jägerin und nicht die Beute", gedankenknurrte Sina.
Die Schattenkönigin grub schnell und kraftvoll in die Tiefe, bis die Fläche ihrer Schaufel auf etwas hartes traf und von violetten Blitzen umzuckt zurückfederte. "Sie hat die Bodenplatte gefunden", bemerkte Jophiel. Dann sahen er und Maika durch Sinas Augen, wie aus der Schaufel eine Spitzhacke wurde. Die Schattenkönigin holte damit weit aus und schlug zu. Weitere Blitze schossen aus dem Boden und über die Hälfte der Hacke, bevor sie zerstoben. Wieder und wieder hieb die Schattenkaiserin auf den harten Widerstand, bis erste dunkelviolett schimmernde Brocken herausbrachen. Weiter und weiter hackte sie auf den Boden ein. Die darin steckende Magie schlug zwar mit hellen Blitzen zurück, konnte aber nicht verhindern, dass die andere einen langen, breiten Spalt schlug. Der Boden schien zu beben. Nun wurde aus der Schattenriesin wieder eine Kugel. Diese stürzte durch die gewaltsam geschaffene Öffnung und verschwand. Die Beobachter sahen, wie sich der Spalt langsam wieder zu schließen begann. Wenn dies vollbracht war mochte die gerade eingedrungene Schattenkaiserin nicht mehr entkommen.
"Ich kann mir nicht wünschen, wer von den beiden da wieder rauskommen soll", argwöhnte Jophiel nur in Gedanken. Dann fühlte er etwas und sah einen kurzen blau-goldenen Blitz, bevor er wieder in Sinas Sinneswelt war. "Was bitte war das?" wollte die Beobachterin vor Ort wissen.
"Irgendwas hat sich uns genähert und dadurch den Schutz verstärkt und ist dann ebensoschnell weitergezogen", deutete Jophiel das Erlebte.
"Noch ein Feind?" fragte Namika in Gedanken. "Der Reaktion meines Heilssterns nach auf jeden Fall", erwiderte er.
Mit Sinas Augen konnten sie beobachten, wie sich der aufgebrochene Spalt immer weiter schloss. Nach nur einer Minute war davon nichts mehr zu sehen. Nun war die Schattenriesin dort unten gefangen.
"Sina, bitte fliege zu den Wachposten zurück und behalte sie unter Beobachtung! Was immer da unten jetzt vorgeht bekommen wir so nicht mit. Und falls aus der Pyramide etwas weggeschleudert wird musst du nicht voll hineingeraten", hörte Jophiel Namikas Stimme. Die ihr sehr ähnlich klingende Stimme Sinas erwiderte: "Das ist mal wieder sehr umsichtig, fürsorglich und liebenswert, meine Schwester."
"Das ist meine Bestimmung. Immerhin bin ich die ältere von uns beiden", erwiderte Namika. "Ja, Fünfzig ganze Atemzüge. Zumindest hat mir dein Schreien den richtigen Weg auf die Welt gezeigt", erwiderte Sina. Jophiel fand, dass er da nichts zu bemerken sollte.
Es krachte, polterte und donnerte. Er meinte, jeden Schlag körperlich zu spüren, weil er sich mit allen Sinnen auf seine Grabstätte eingestimmt hatte. Wie machte die das? Sie brach sich einen Weg frei. Die ihr entgegenwirkenden Seelenblitze fanden kein Ziel, obwohl er sie doch genau erspürte. Dann fiel ihm ein, wie sie das machte: Der Wall der wehrhaften Mitternacht. Damit konnten Geisterwesen wie von einem schwarzen Spiegel zurückgeworfen werden und lebende Wesen, die dagegenstießen zu Eis gefrieren. Ja, diesen Zauber konnte sie wohl, woher auch immer, wo sie keinen Kraftausrichter benutzen konnte. Dann wurde ihm klar, dass sie keinen brauchte. Sie gehörte zu jenen Wesen, die ihre Gedanken in Ereignisse oder Körper verwandeln konnten. So mächtig war sie also, dass sie einen nur aus gefrorenen Gedanken erschaffenen Gegenstand herbeigewünscht hatte, der natürlich gegen die Seelenblitze gefeit war. Ihm wurde klar, dass sie zu ihm hineinkommen würde. Dann fühlte er fast körperlich, wie sie es schaffte, in das Stufengrab einzudringen.
Sofort begannen die Stränge der Seelenfangzauber an ihr zu zerren, wollten sie als körperlosen Geist einschließen und dem großen ganzen eigen machen. Doch sie schaffte es irgendwie, die Stränge von sich abgleiten zu lassen. Sie war keine einzelne Seele. Ja, das war es. Sie bestand aus mindestens zwei, wenn nicht sogar drei, vier oder mehr Seelen. Die Seelenfangstränge konnten sie nicht halten, weil diese nur eine Seele zur Zeit fesseln und einsaugen konnten. Dem ungenannten Herrscher rann kalter Schweiß von der Stirn. Sein Körper zitterte. Er hatte Angst. Dieses Unwesen ohne eigenen Körper widerstand seinen Fallen und würde ihn kriegen, es zu einem Teil von sich machen. Aber dann herrschte sie über seine Grabstätte, konnte die hier gefangenen Seelen genauso als Nahrung verwenden wie er. Das durfte doch nicht sein!
Den Weg hinein hatte Birgute Hinrichter gefunden. Die Kaiserin der wahren Nachtkinder fühlte die ihr entgegenschlagenden Abwehrzauber und durchbrach die ihr auflauernden, meistens als magische Schlingen wirkenden Fallen. Ja, der Wall der wehrhaften Mitternacht, den sie von Thurainilla erlernt hatte, schützte sie vor Seelenzaubern, die auf Tod bei Dunkelheit beruhten. Hatte dieser kleine miese Möchtegerndämonenkönig denn echt geglaubt, er wäre der einzige, der mit kombinierter Dunkelheit und Todesmagie herumfuhrwerkte. Im Grunde machte das doch jeder, der die sogenannte schwarze Magie benutzte irgendwann. So war sicher auch mal Kanoras entstanden, also der Grund, warum es sie gab und diesem Pyramidenschläfer auf die Bude rückte.
Ah, er hatte es gemerkt, dass seine Seelenfangvorrichtungen nicht halfen. Jetzt krachten überall dicke Türen zu. Das würde schon ein wenig schwieriger sein, da durchzubrechen. Doch im Augenblick war sie sehr optimistisch, ihren zweiten großen Sieg einzufahren. Sie flog weiter, bereit, jedes ihr entgegenstehende Hindernis zu überwinden oder aus dem Weg zu räumen.
Das Verhängnis glitt im hohen Tempo auf ihn zu. Er verschloss alle Zugänge mit magisch bewegten Steinplatten. Ja, da kam sie so nicht durch. Die bestanden nämlich zum Teil aus Seelenstein, einem besonderen Mineral, das bestens für Zauber gegen Geister geeignet war. Was tat sie dann. Sie formte wieder etwas aus der hier unten in Hülle und Fülle vorhandenen Dunkelheit, eine Axt, deren Klinge wild erbebte. Damit schlug sie in die Platten und sägte sich mit der wild erbebenden Axt ein Loch, durch dass sie schlüpfen konnte. Es war, als hiebe ihm selbst jemand in die Brust, den Bauch, ja auch in den Unterleib. Er schrie vor mitgefühlten Schmerzen. So tief war er in die Kräfte des Stufengrabes eingetaucht. Er wusste, dass sie ihn hatte, wenn ihr das auch bei seiner goldenen Kammer gelang. So setzte er auf die letzte Möglichkeit, die zwar nicht die endgültige Entscheidung bringen würde, ihm aber dieses Unwesen für mindestens einen vollen Monddurchlauf vom Hals halten konnte.
"Nettes und nahrhaftes Häuschen, Kleiner. Aber ich spüre, wo alle Stränge zusammenlaufen. Da finde ich dich. Komm mir besser entgegen, damit es dir nicht so weh tut!" hörte er ihre Stimme in allen Gängen und Kammern wiederhallen.
"Sei verstoßen für alle Zeiten aus meinem Heime!" rief er in Gedanken. Dann rief er die Worte der Verbannung, wobei er den Namen der Feindin zwar nicht kannte, aber zumindest ihr Aussehen mit einbeziehen konnte. Seine Heimstatt sammelte die dafür nötige Kraft.
Die andere merkte das wohl. Denn sie versuchte, sich noch schneller Zugang zu seiner Kammer zu verschaffen. Dann entlud sich die geballte Gegenkraft in diesem einen Wunsch und dieser einen Handlung.
Er fühlte, wie die Feindin von einem mächtigen Stoß wie von mehreren Blitzen zugleich getroffen und durch die Decke und die Bodenplatte hinausgeschleudert wurde. Schneller als ein Laut, so schnell wie ein Gedanke, flog die verstoßene Feindin laut schreiend davon, weit hinauf in den Himmel, weit davon in die Wüste. Womöglich zerschellte ihre mehrfache Seele an dieser Kraft. Jedenfalls war sie fort und würde, weil sein Stufengrab es sich gemerkt hatte, nicht vor einem Monat wieder zu ihm vordringen können.
Der grelle blau-silberne Kugelblitz, der plötzlich aus dem Boden in den Himmel fuhr und von violetten und silbernen Funken gefolgt bis weit über die Wolken raste war unübersehbar. Nicht nur Sina sah ihn, sondern auch die Beobachter des Ministeriums. Es war jedoch kein Donnerschlag zu hören. "Was bitte war das jetzt?" fragte Sina. Jophiel vermutete eine starke Abwehrzauberei, die die übermächtige Feindin zurückgeschlagen hatte. Vielleicht verging diese dabei sogar. Doch das war nur eine Hoffnung. "Vielleicht hat er damit alle Kraft seiner geheimen Festung verbraucht", meinte Namika. Jophiel wollte das nicht ausschließen.
Der Schlag traf sie so hart, dass sie keinen Gedanken mehr fassen konnte. Sie merkte nur, dass sie schneller als der Schall, vielleicht sogar mit Lichtgeschwindigkeit, von der umgedrehten Pyramide fortflog. Sie fühlte heftige Schmerzen, als reiße jemand mit brennenden Pranken an ihrem Körper und wolle sie in viele Stücke zerfetzen. Sie hörte sich selbst mit mehr als einer einzigen Stimme schreien. Sie raste durch einen Raum aus Farben, Geräuschen, Angst und Schmerzen. War das vielleicht die Hölle? Dann fühlte sie einen heftigen Sog, der sie packte und aus der Bahn riss. Noch einmal schrie sie laut auf. Dann wurde es völlig dunkel um sie.
Sie hörte den Aufschrei und zweifelte an ihrem Verstand. Das war doch die Stimme Thurainillas. Doch diese war doch von dieser machtgierigen Schattenkönigin vertilgt worden und hatte ihr damit alle ihre Kräfte überlassen.
Die Tochter des schwarzen Felsens fragte in den geistigen Raum ihrer Mitschwestern hinein, ob noch wer den lauten Schrei Thurainillas gehört hatte. Doch keine der anderen hatte den geistigen Aufschrei gehört. War sie einer Sinnestäuschung erlegen? Dann erwähnte Hallitti, die diesen Ruf mal wieder als Gelegenheit nutzte, noch nach zehn Uhr Abends was zu essen oder zu trinken zu bekommen, dass es auch daran liegen konnte, dass sie, eine Tochter der Erde, auf dem Erdteil war, auf dem die Schattenkönigin mit Thurainillas einverleibter Seele irgendwas angestellt und dabei wohl "eins auf den Hut" bekommen hatte. Das hielten die anderen für denkbar, weil Ilithula sich ihre neue Heimstatt in Südasien gesucht hatte, Itoluhila und Hallitti irgendwo auf einer Atlantikinsel waren und die anderen auch eher in Asien ihre Zufluchtsstätten hatten. Nur sie, Ullituhilia, hatte sich auf dem afrikanischen Erdteil angesiedelt.
"Es ist zumindest sehr schön, dass mir eine von euch, die gerade neu aufwachsen darf, eine gescheite Erklärung für meine Wahrnehmung liefert und keine von euch mich für überreizt hält", antwortete Ullituhilia.
"Aber heißt das dann nicht, dass Thurainilla nicht restlos erloschen ist?" stellte Illithula eine sehr wichtige Frage. Ja, das war eine sehr gute Frage, eine Frage, die Hoffnungen schürte, die schmerzhaft zerstört oder mit großem Jubelgeschrei erfüllt werden konnten. Ullituhilia wurde darum gebeten, weiter auf mögliche Gedankenrufe Thurainillas zu lauschen, weil die anderen dort wo sie waren gut zu tun hatten. "Sollte es möglich sein, Thurainilla doch noch von dieser angeblichen Kaiserin der Schattenwesen loszukriegen nehme ich sie gerne in meinen Bauch und bring sie daraus neu zur Welt", gelobte Ullituhilia. Allerdings wusste sie weder, ob man ihre Schwester wirklich je wieder befreien konnte und falls doch, ob sie nicht dann bei einer der anderen, die gerade nicht schwanger war, als deren Tochter neu ausreifen durfte oder musste. Doch Ullituhilia empfand einen gewissen Neid auf Itoluhila, Tarlahilia und jetzt Ilithula, dass sie dieses für eine erwachsene Frau so bedeutsame Erlebnis haben durften. Hmm, vielleicht sollte sie was mit ihrer Dienerin Della Witherspoon aushandeln, ob die nicht als ihre Tochter ... Ach nein, das war so leider nicht möglich. Also hieß es hoffen und Warten und die beste Gelegenheit nutzen, wenn die Hoffnung sich erfüllen mochte.
Sie stieß auf einen nachgiebigen Widerstand, der groß genug war, sie abzubremsen. Sie sah sich um und staunte.
Sie befand sich nicht wie zu erwarten war in ihrer Residenzhöhle, wo sie die aus fremdartigem Kristall gemachte künstliche Gebärmutter zurückgelassen hatte. Sie befand sich in einem dunkelrot leuchtenden, langsam pulsierenden runden Raum, der sich in eine Richtung in zwei schmale Durchgänge und zur anderen seite verengte und in einem schmalen Gang endete, der wie ein kurzer Tunnel aussah. Sie fühlte, wie das sanfte Pulsieren sie in der Mitte hielt. Sie schwebte. Als sie sich bewegte stellte sie fest, dass sie von etwas weichem aber undurchdringlichem umschlossen wurde. Sie konnte ihre Beine und Arme ganz ausstrecken, doch sie konnte sich nicht durch Gedankenkraft von der Stelle rühren. Das unsichtbare Kraftfeld hielt sie sanft doch unerbittlich fest. Als sie sah, dass der Raum mindestens viermal so groß wie sie selbst war und ihr medizinisches Fachwissen aufblitzte hätte sie fast geschrien.
Sie hatte damit gerechnet, in ihre Residenz zurückgeholt und mit ihrem Ankergegenstand verbunden zu werden und dann nachzuforschen, was ihr Ausflug zur umgedrehten Pyramide gebracht hatte. Gut, eines stimmte. Sie war mit ihrem Ankergegenstand verbunden worden. Doch der aus einer Mischung aus magischen Kristallen gebildete künstliche Uterus war nicht in ihren feinstofflichen Körper eingedrungen, sondern umgekehrt! Ja, sie selbst steckte, wohl erheblich geschrumpft, in etwas wie einer magischen Fruchtblase, nur ohne Nabelschnur, Fruchtwasser und Plazenta. Wie war das möglich? Dann fiel es ihr ein, vielleicht von einer der magisch begabten Seelen, die sie in sich einverleibt hatte: Sie hatte bei dem Schlag gegen ihren Körper und dem rasenden Flug einen Großteil ihrer magischen Substanz verloren. Sie war zu einem winzigen Rest ihrer Selbst geschrumpft, groß genug, um in jenes kristalliene Gefäß hineinzupassen, aus dem heraus sie selbst mehr als anderthalbtausend neue Schattenwesen geboren hatte. Würde sie nun wieder wachsen, sich quasi selbst wiedergebären? Oder blieb sie nun für alle Ewigkeit in jenem Ding eingesperrt, dass dieser Trottel Vengor aus zwei Beherrschungskristallen von Kanoras erzeugt hatte?
"Hört mich wer?" rief sie in Gedanken. "Wer - wer - wer", scholl es von den sanft pulsierenden Wänden ihrer neuen Unterkunft zurück. Da wusste sie, dass kein Gedanke aus dieser besonderen Gefängniszelle hinausdringen konnte. Dann erhielt sie doch eine Antwort.
"Ich höre dich, Mutter und Kaiserin. Schade, dass du nicht auch vollständig zurückgeschrumpft bist. Dann könnten wir beide darauf warten, dass eine andere uns wiedergebiert", klang eine höchst verächtliche Männerstimme wie aus allen Richtungen ohne Nachhall. "Uluran Guthurrab?" dachte Birgute oder wer sie gerade auch immer war. "Ja, der den du aus diesem Teufelsding in die Welt zurückgeschickt und nur wegen berechtigter Kritik wieder darin eingesaugt und eingesperrt hast. Ich habe keinen Körper mehr. Doch ich bin nicht vergangen. Solange du Auswurf des Urdämonischen weiterbestehst bleibe ich hier gefangen. Aber schön zu wissen, dass du es gerade nicht besser hast als ich. Nein! Wieso?!"
Eigentlich hätte sie diese beiden letzten Ausrufe von sich geben sollen. Doch dann erkannte sie, warum der von ihr aus der Welt zurückgezogene Geist des rebellischen Afrikaners verunsichert war. Denn jetzt erkannte sie einen hauchdünnen Faden, der aus der Wand über ihr in ihre Körpermitte führte. Sie hatte also doch eine Nabelschnur. Ja, und jetzt spürte sie das sanfte Pulsieren der für sie dunkelrot leuchtenden runden Wandung auch in ihrem Körper. Etwas oder jemand flößte ihr auf diese Weise neue Kraft ein. Dann dachte sie an Thurainilla und Morgause. Thurainillas Schicksal wie das ihrer Schwestern wäre es, nach jedem körperlichen Tod von einer der noch lebenden Schwestern wiederempfangen, getragen und geboren zu werden. Ja, und Morgauses Wissen hatte ihr vermittelt, wie sie überschüssige Lebenskraft in ein magisches Gefäß umfüllen konnte. Weil sie das getan hatte war sie jetzt wohl hier. Weil sie das getan hatte floss nun die gespeicherte Kraft behutsam in sie zurück und würde sie wieder wachsen lassen. Doch wielange würde es dauern, bis sie, die Kaiserin der wahren Nachtkinder, sich selbst auf diese Weise wiedergebären mochte? Sie wusste es nicht. Sie hörte nur das wütende geknurre Ulurans, das jedoch leiser und leiser wurde. Denn je mehr eigene Substanz sie zurückerhielt desto schwächer wurde er auch wieder. Er war ein ewiger gefangener von Kanoras' Erbschaft. Sie würde es nicht sein. Doch wieviel Zeit würde vergehen? würde dieser wiederverkörperte Pharao bis dahin die halbe Welt beherrschen? Konnten ihre Feindinnen in der Zeit alle ihre Untertanen und eigenen Kinder umbringen und sie ganz allein in die Welt zurückkehren lassen? Vielleicht musste sie Jahre neu heranwachsen. Elefantenkühe konnten achtzehn Monate tragen, ja und von der Zauberwesenart Veela wusste sie über Thurainilla, dass diese ihre Nachkommen fünf Jahre im Leib trugen. Keine tollen Aussichten. Am Ende war es wie bei Dornröschen, und sie musste hundert Jahre hier drinnen ausharren, bis sie wieder groß genug war, um in die Welt zurückzukehren. Sie erkannte, welchen hohen Preis die ihr zugefallene Macht gefordert hatte. Irrigerweise musste sie jetzt genau an diesen blitzeblauen, ständig die Gestalt Ändernden Lampengeist aus Disneys Version von Aladin denken. "Phänomenale kosmische Kräfte, winzigkleiner Lebensraum." Ja, das traf gerade auf sie zu. Dann fiel ihr ein, dass sie es nicht ungeschehen machen konnte. Besser war es, sie verschlief den Gutteil der Zeit, die es brauchte, um sie auf die Welt zurückzubringen. Sie tröstete sich damit, dass die Vampire keine Freude an ihrem vorübergehenden Ausfall haben würden. Denn sie hatte ja eine ähnliche Lage vorausgesehen und entsprechende Anweisungen erteilt.
Sie hatte es schon mitbekommen, dass sie noch wen vor und unter sich hatte. Doch ihre Unortbarkeitsaura bewirkte, dass niemand sie wahrnahm. Als sie dann den tiefen Spalt sah, der sich langsam wieder zu schließen anschickte beschloss sie, alles auf die eine Karte zu setzen und stürzte sich mit ihrem Besen hinunter. Sie durchdrang die wild bebende Spalte und landete in einem langen Gang. Sie fühlte, wie ihr Kopfschmuck erbebte. Sie wurde von feindseligen Geistesschwingungen getroffen. Ihr magisches Mieder, von Zwergen gefertigt und eigentlich nur für Gundula Wellenkamm bestimmt, erzitterte ebenfalls. Also wirkte eine feindliche Körperbezauberung auf sie ein. Ihr Ring glomm rubinrot auf und gab ihr so genug Licht zum sehen.
Ihre feinen Ohren hörten das lautstarke Hämmern und Sägen, als würde jemand mit Hammer und Meißel und einer Betonsäge hantieren. Auch hörte sie die in den Gängen hallenden Stimmen, die eines Mannes und die einer Frau. Sie verstand sie beide. Dann gab es einen gewaltigen Ruck. Die Gänge wanden sich wie getretene Schlangen. Sie hörte einen merkwürdig klingenden Schrei, der innerhalb von zwei Sekunden verstummte. Dann war es totenstill.
Ladonna Montefiori flog auf ihrem Besen weiter, bis sie einen Abstieg fand, der durch eine Luke verschlossen gewesen war. Doch die Luke war zur Hälfte herausgeschnitten. So konnte sie sich ebenfalls durchschlängeln. Das gleiche Kunststück gelang ihr mit drei Türen. Dann fühlte sie, wie ihre Kopfbedeckung und ihr Mieder im gleichklang erschüttert wurden. Sie näherte sich einer weiteren Tür, die noch fest verschlossen war. Sie streckte ihre linke Hand aus. Da bewegte sich was in den Wänden. Sofort umschloss sie eine Kugelschale aus rubinrotem Licht. Das geschah keine Sekunde zu früh. Blitze und stteinerne Lanzen schossen aus den Wänden. Die Blitze umflossen sie knisternd. Die Steinlanzen prallten laut krachend auf und zerbarsten in roten Funken.
"Verweile für immer, neugieriges Wesen!" rief eine Männerstimme. Dies war der falsche McBane.
Wer war der oder die andere? Er hatte es überhaupt nicht mitbekommen, dass noch jemand in sein Reich vorgedrungen war. Er hatte sich zu sehr auf die Schattenkönigin besonnen. Es stimmte: Wer den Löwen vor der Tür brüllen hört kann die Mäuse im Gebälk nicht trappeln hören. Diese späte, vielleicht zu späte Erkenntnis aus seiner ersten und der noch nicht lange dauernden zweiten Lebenszeit ärgerte ihn. War der andere Eindringling ein Schattenloser, ein Gehilfe der Schattenkönigin, der sich nach lohnender Beute umsehen sollte, während er mit ihr beschäftigt war? Doch warum fühlte er dann nicht, wer das war?
Er rief dem Eindringling zu, für immer zu verweilen. Dann spürte er, wie etwas scharfes durch eine noch geschlossene Tür schnitt. Er fühlte, dass die Tür dem nicht standhielt und den Weg freigab. Was war das für eine Kraft? Vor allem fiel ihm auf, dass er erst eine volle Nacht und einen vollen Tag brauchte, um den Abweisezauber wieder aufzubieten, falls das nötig war. Dann fiel ihm ein, dass er es ja mit einem lebenden Wesen zu tun haben konnte. Also dachte er an die Stickgasbehälter. Wenn es ein lebendiges Wesen war würde es gleich mit oder ohne vollendeten Ortungsschutz seinen Körper verlassen und sofort von bereitgehaltenen Seelenfangzaubern geschluckt werden.
Sie hatte gerade die eine Tür mit den Feuerbündeln ihres Ringes durchschnitten. Als ihr Gefahreninstinkt den Ring dazu brachte, sie in eine rubinrote Kugel einzuschließen. Diesmal war es keine mechanische Falle, sondern offenbar ein gefährlicher Brodem, der sie überwältigen sollte. Blaue und grüne, violette und gelbliche Schlieren überzogen die rote Kugelschale um ihren Körper. Welches giftige Gas jetzt hier wirkte, noch wurde es von der Kugelschale abgewehrt. Sie zauberte sich eine Kopfblase und flog weiter. Sie spürte, dass sie durch schwere Luft musste. "Stickgas", dachte sie. es erschwerte die Atmung um ein zigfaches und konnte nach Dosierung lähmen, betäuben oder töten. Sicher war ihr Gegner darauf aus, den neuen Eindringling zu töten. Gut, darauf ging sie auch aus.
Sie flog auf eine Wand zu, unter der sich eine Falltür im Boden zeigte. Mit geschmeidig ausgeführten Handbewegungen brannte sie einen immer tiefer ausgeschnittenen Kreis in die Luke, bis diese erzitterte und laut polternd weiter unten landete. Blitze schossen aus der Luke und prallten laut wummernd von ihrer ebenso blitzartig erneuerten Schutzblase ab. Sie wusste, dass sie das so nicht über Stunden durchhalten konnte.
Jetzt begannen sich auch Wände zu verschieben. Doch sie konzentrierte sich auf das Magiezentrum, dass sie dank ihrer Veelaabstammung erfühlen konnte. Sie ließ sich nicht in andere Gänge locken. Wieder vor einer versperrten Tür wurde sie von einem Feld aus blauen und silbernen Überschlagblitzen aufgehalten. Wenn sie da durchflog war ihr Besen zerstört. So wandte sie eine andere Taktik an. Sie zielte über die von den Blitzen gesicherte Tür und brannte größere Brocken aus der Decke, bis diese an der beschädigten Stelle niederbrach. Die Blitze verfingen sich in den zusammentreffenden Trümmern. Ladonna selbst schlängelte sich mit ihrem Besen über die betroffene Stelle hinweg. Vier Blitze verpufften noch an ihrer roten Sphäre. Dann war sie durch.
"Wenn du mich suchst, Fremde, ich bin hier!" rief eine Stimme. Also hatte er es doch mitbekommen, dass ihn eine Hexe besuchte.
Sie sah weitere Durchgänge aufgehen. Doch sie wollte ganz nach unten.
Er fühlte schon, dass sie sich nicht von ständig die Richtung ändernden Gängen ablenken lassen wollte. Wo sie in eine Sackgasse zu geraten drohte wich sie wieselflink in einen anderen Gang aus. Wo sie weiter nach unten wollte schnitt sie mit etwas wie einem scharf gebündelten Feuerstrahl durch die erkennbaren Luken. Er ließ Giftpfeile, Steinspeere und Fallgitter auf sie los. Die würde hier nicht mehr lebend rauskommen. Doch ihr vermaledeiter Ring zerschnitt die Gitterstäbe oder baute um sie herum eine rubinrote Kugelschale auf, an der die Pfeile und Lanzen aufglühend zerplatzten. Da wurde ihm klar, dass er mit seinen magischen Waffen aus den zwölf Schätzen des Nils auch keinen Erfolg haben würde. Dennoch legte er alle Waffen an, die er greifen konnte, den Schild des Horus, auch wenn der hier unten nicht die volle Wirkung haben würde, links das Schwert des Reput, das er nur dann einsetzen durfte, wenn er sicher war, dass er damit auch Feindesblut vergießen konnte. Rechts trug er das unsichtbare Schwert des Sir Harvey, mit dem unsichtbare Gegner sichtbar gemacht werden konnten. Auf dem Rücken trug er den silbernen Bogen des Jägers Anhor und den Köcher mit den 100 bezauberten Pfeilen. Mochte es sein, dass er wenigstens einen Davon auf die Feindin abschießen konnte. Was er zurückließ waren das Geisterzepter des Totenrichters, das Ohr des Anubis, der Griffel des ewigen Schreibers und das Auge der Bastet. Diese Dinge würden ihm nicht helfen. Darüber hinaus hatte er noch seinen Zauberstab und den Unlichtkristallring. Er wartete, bis die Feindin, die immer wieder unsichtbar und dann wieder sichtbar wurde vor seiner Tür ankam. "So endet hier dein Weg, Hure!" rief er der Fremden auf Arabisch zu, auch wenn sie das vielleicht nicht verstand. Sie reagierte zumindest nicht so, als wenn sie es verstand.
Sina beobachtete die ägyptischen Zauberer. Unter ihnen befanden sich auch welche aus der berühmten Sicherheitstruppe der Sandfalken. Diese flogen auf zwanzig Teppichen zu je fünf Leuten auf die Stelle zu, an der die Schattenriesin sich mit einer aus verstofflichter Dunkelheit geformten Hacke Einlass erzwungen hatte. Die Teppiche flogen weit genug auseinander. Für den Fall, dass es wieder zu gegenseitigen Angriffen kommen würde mussten sie ganz schnell zurück. Doch sie kamen bis auf eine halbe Meile an die ausgegrabene Bodenplatte heran. Da begann einer, auf seinen Mitflieger einzuschlagen. Der Teppich wirbelte herum und raste sofort davon, noch ehe auf ihm eine wilde Schlägerei entbrannte. Zwei der fünf zu angriffswütigen Feinden angestachelten fielen vom Teppich herunter und stürzten einen halben Kilometer in die Tiefe. Dieses gnadenlose Beispiel trieb alle anderen, sich wieder zurückzuziehen. Die Abwehr der Pyramide mochte sich geschwächt haben, war aber immer noch wirksam genug, jemanden zu töten.
Der ungenannte Herrscher sah, wie die unerwünschte Besucherin die Tür überprüfte und dann die linke Hand so hielt, als wolle sie mit einem Stab den Boden vor der Tür abklopfen. Da die Tür nach außen aufschwang konnte er sie womöglich damit niederwerfen. Doch dann sah er, wie sie zwei Schritte zurückflog. Ja, sie flog richtig. Dann sah er am Fuß der Tür zwei kreisrunde Glutflecken, die zu zischenden und dampfenden Löchern im Boden wurden. Sie wollte sich also ernsthaft zu ihm durchgraben. Er beschloss, ihr dieses nette Schmuckstück abzujagen. Wenn er herausfand, wie es wirkte würde er noch mächtiger. Er stellte sich mit erhobenem Zauberstab hinter der Tür auf und ließ diese aufschwingen. Im nächsten Moment schickte er ihr den Sonnenlichtspeer entgegen, weil der Todesfluch bei der Streubreite mehr Schaden als nützen würde. Schlagartig wurde aus den roten Strahlenbündeln eine rubinrote Halbkugel. Der Sonnenlichtspeer blähte sich daran zu einem weißen Glutball auf, bevor dieser mit lautem Knall in sich zusammenstürzte. Die rote Halbkugel flackerte wild. Er wollte schnell nachsetzen, da flogen ihm sieben grün flammende Dolche entgegen. Er hoffte, dass sein Ring die magischen Geschosse parieren konnte. Tatsächlich zersprangen sie an einem plötzlich vor ihm wabernden Schleier aus schwarzem Dunst. Zugleich fühlte er den Schild des Horus, den er sich vor Brust und Bauch geschnallt hatte. Da flog ihm eine smaragdgrün lodernde Schlange entgegen, die Anstalten machte, sich um seinen Hals zu wickeln. Doch das Geschöpf aus dunkler Feuermagie zerfiel beim Kontakt mit seinem Hals zu schwarzer Asche. Er wollte sie unterwerfen, sie zwingen, alles abzulegen, was sie am Körper trug. Er öffnete schon den Mund, um "Imperio" zu rufen, als zwischen ihr und ihm ein schwarzer Spiegel entstand. Er starrte darauf. Dann zielte er darauf und rief "Episkye!" Mit leisem Klirren zerbarst der schwarze Spiegel zu nichts als grauen Funken. Da sah er Ladonna Montefiori in ihrem tiefschwarzen Lederkleid und den kniehohen Schaftstiefeln. Er sah sie einmal, zweimal und dann mindestens zehnmal. Gleichzeitig erzitterte die Pyramide. Ihm wurde klar, dass sie einen Täuschungszauber anwendete, um sich in eine bessere Angriffsstellung zu bringen. Doch Bildhafte Täuschungen waren eben Täuschungen und Verhüllungen, wie Unsichtbarkeit. Er ließ den Zauberstab in die Linke Hand gleitten und zog schnell das Schwert Sir Harveys. Es machte ein singendes Geräusch. Dann ploppte es laut. Alle Abbilder Ladonnas zerfilen, bis auf eines, das gerade den Zauberstab für einen neuen Fluch anhob. Die Gegnerin taumelte. Sollte er sie jetzt mit dem Schwert töten? Warum nicht. Er sprang vor.
"Sina, bleib nicht zu lange über einer Stelle. Die halten dich sonst für einen Kundschafter", warnte Namika die geflügelte Späherin. Diese teilte auf gedanklichem Wege mit: "Irgendwas geht da unten vor sich. Aber ich kann das nicht sehen. Du hast aber recht, große Schwester. Ich dreh besser ab und bleibe schön aus dem Mondlicht."
Die werden die Pyramide noch mehr abriegeln. Einer hat ein Weitblickfernrohr", berichtete Jophiel, was er durch Sinas Augen sah. "Oha, dann seh ich mal zu, dass ich hier wegkomme." Er fühlte, wie Sina ihre kräftigen Flügel weiter ausspannte und schneller und kräftiger durchschwang. Sie hielt sich dabei außerhalb des Mondlichtes, um keinen verräterischen Schatten auf den Boden zu werfen. Doch wenn sie den einen oder anderen Stern verdeckte war das genauso verräterisch. "Wenn man sie entdeckt und zu fangen oder zu töten versucht greifen wir besser ein", schlug Jophiel vor. Namika stimmte dem Zu. Immerhin riskierte ihre jüngere Zwillingsschwester ihr Leben dafür, dass sie auf dem laufenden blieben, was in der im Sand vergrabenen Pyramide geschah.
Ladonna sah, dass der Gegner etwas schenenhaftes in der rechten Hand hielt. Das konnte ein getarnter Stock oder ein Schwert sein. Egal. Sie musste es auf jeden Fall abwehren. Sofort verstärkte sie wieder ihre rubinrote Schutzkuppel. Da krachte das Etwas und zersprang laut klirrend in abertausend rote und orange Bruchstücke. Jetzt sah sie, dass er nur noch einen funkensprühenden Schwertgriff in der Hand hielt. Missmutig warf er diesen fort. Sie ließ den Schild erlöschen, um mit "Ignis Invictus" ihre gefürchteten Strahlenbündel auf ihn loszulassen. Sie hoffte, dass er jetzt im roten Licht erglühen und im flammenlosen Feuer verbrennen würde. Doch die Strahlen zerstoben in einem Schleier aus schwarzem Dunst zu roten Entladungsblitzen, die links und rechts von ihm gegen die Wände geschleudert wurden. Wo die Entladungen trafen sprengten sie glühende Brocken heraus. So wirkte also die Aura eines Unlichtkristalls, wie ein schwarzer Spiegel. Wie ein schwarzer Spiegel?
Sina wurde nicht verfolgt. Offenbar hatten die hier versammelten Sandfalken wichtigeres zu tun. Jedenfalls schwärmten sie nun in alle Richtungen aus, blieben aber knapp hundert Meter über dem Boden. Um die Teppiche entstanden dunkelrote Schutzsphären. "Ah, sie versuchen Isis' warmen Segen, ein Zauber ähnlich wie Aura-Calma", mutmaßte Jophiel.
"Wieso kennen Zauberer Isis' warmen Segen?" wollte Sina wissen, die nun eine geschickte Wende flog, um in mehr als zweitausend Metern Höhe über die ausschwärmenden hinwwegzufliegen.
"Die Stadt der roten Türme lehrt Zauberer viele Dinge aus alten Zeiten, auch wenn der Zauber an sich von Hexen besser beherrscht wird", erwiderte Jophiel. Dem mussten Namika und Sina zustimmen. Nur dass bei ihnen der erwähnte Zauber in einem satten Goldgelb erstrahlte.
Sie fliegen auf die Pyramide zu. Gleich wird es sich zeigen, ob dieser Zauber besser wirkt. "Ja, und es sind nur zwei auf jedem Teppich", erwiderte Namika. Eine Minute Später wussten sie es. Die Schutzsphären flackerten wild, und die jeweiligen Teppichbesatzungen fingen an, sich gegenseitig zu würgen. Da rasten die Teppiche von sich aus in einer ausladenden Kurve in die Gegenrichtung. Die jeweiligen Besatzungen schlugen sich nun offen, aber noch ohne Zauberstäbe. Die Schutzsphären flackerten immer noch wild. Dann glommen sie wieder ruhig. Die sich gerade wild über die Teppiche prügelnden wurden von roten Blitzen getroffen und erstarrten. Dann beruhigten sie sich offenbar.
"Ui, das hätte auch anders ausgehen können", meinte Jophiel. Dann sah er, wie die Teppiche wieder landeten. "Sie werden jetzt die Abriegelung verstärrken, jetzt wo sie wissen, dass die Pyramide trotz des Kugelblitzes nicht genug an Kraft verloren hat", vermutete Jophiel.
Erst spürte er seinen Unlichtkristallring erbeben. Dann sah er die um ihn in schwarzen Schlieren aufleuchtenden roten Lichter. Dieses widernatürlich schöne Weib hatte ihn mit den Strahlen aus ihrem Ring angegriffen. Die waren für andere sicher tödlich. Sollte er nun das andere Schwert ziehen und ihr die beringte Hand und dann den Kopf abhauen? "Domrmivenenum!" hörte er. Da flog ihm eine rosarote Lichtwolke entgegen. Ehe er sich's versah wurde sein goldener Ring sengendheiß. Gleichzeitig meinte er, dass etwas von innen alle seine Kraft aus dem Leib blies. Er fühlte, wie er umfiel.
Als er wieder zu sich kam lag er auf jenem goldenen Tisch in der goldenen Kammer, deren Tür wieder verschlossen war. Er hörte eine ungehaltene Stimme aus dem bebenden Tisch: "Raus aus meinem Körper, du Sabberhexensohn!" Er spürte schon, wie sich sein Geist zu lösen begann. Dann durchfuhr ihn ein eiskalter Schauer aus der linken Hand. Sein Ring wehrte den Versuch ab. Sofort stieg er wieder von dem Tisch herunter. Er wusste, dass Ladonna noch vor der Tür war. Die würde nun wieder versuchen, sich darunter hindurch zu ihm vorzuarbeiten. Sollte er nun Reputs Schwert ziehen und sie mit vierfacher Geschwindigkeit und gesteigertem Kampfesmut erwarten? Da fiel ihm ein, dass Sir Harveys Schwert an jener roten Schildbezauberung zersprungen war. Wenn ihm das mit Reputs Schwert geschah konnte das ungleich schlimmere Folgen haben. Sollte er sie unterwerfen? nein, sie konnte gleich wenn er auf sie zielte einen schwarzen Spiegel ausrufen. Was dann geschah wusste er nicht. Er beschloss, sie mit ihren Waffen zu schlagen und einen Selbstbildvervielfachungszauber zu wirken. Wie der ging wusste er von McBane, dessen geistige Stimme er im Hintergrund der gefangenen Seelen flüstern hören konnte.
Als er zwanzig Abbilder seiner Selbst erschaffen hatte öffnete er mit einem Gedanken die goldene Tür.
Ladonna Montefiori ließ eine weitere rosarote Lichtwolke in die Kammer hineinfluten. Die meisten Abbilder blieben davon unbeeindruckt. Sie stürmten hinaus und verteilten sich. Er nutzte dies aus, um im Strom der Abbilder mit hinauszueilen. Ladonna Montefiori ließ sich jedoch nicht täuschen. Offenbar konnte sie seine Unlichtkristallaura oder seine Lebenskraftaura als solche spüren. Sie fuhr herum und rief einen weiteren Heilzauber. Doch diesmal blieb die Wirkung aus. Der ungenannte Herrscher lachte. "Sowas geht nur einmal, wenn jemand noch nicht weiß, dass ein Heilzauber zum Schadenszauber wird. Beim zweitenmal geht das nicht mehr!" rief er. Doch da erfasste ihn eine pechschwarze Wolke, die seinen Unlichtkristallring zum erzittern brachte.
"Stimmt, aber der Wind der Ausdörrung ist kein Heilzauber!" rief sie. Ja, und sie wusste verdammt, wie sie diesen die Atemwege und Innereien eines Menschen austrocknenden Zauber verwenden musste. Die wollte seinen Kristallring zur Gleichschwingung anregen. Er versuchte noch einmal den Sonnenlichtspeer. Doch der zerplatzte wieder an ihrem roten Schild. Weil sein Ring immer wilder pochte wollte er es jetzt endlich beenden. Er zielte genau auf sie und rief die zwei Worte, die er eigentlich nicht hier rufen wollte: "Avada Kedavra!"
Der Gang war schmal genug, dass sie nicht ausweichen konnte. Doch sie wich nicht nach links oder rechts aus, sondern nach oben und über ihn hinweg. Er fühlte noch ihre Stiefelabsätze über sein Har gleiten. Da brauste sein eigener Todesfluch durch den Gang. Da knallte die goldene Tür zu. Er konnte es nicht mehr aufhalten. Der Todesfluch donnerte mit aller unlichtkristallstarken Gewalt in die Tür. Sie spiegelte einen Teil des grünen Lichtes. Es wurde von seiner Unlichtkristallaura verschluckt. Doch der Großteil entlud sich im festen Stoff der Tür. Laut Krachend zerbarst sie in einem weißblauen Splitterregen. Er fühlte, wie ihn die Wucht zurückschleuderte. Doch auch Ladonna musste aufpassen. Die glühenden Trümmer sausten schneller als Armbrustbolzen durch den Gang und schlugen laut knallend auf ihren roten Schild ein. Ein wilder Aufschrei durchdrang die in den Boden hineingebaute Grabstätte. Das Gefüge war aus dem Gleichgewicht. die goldene Kammer, an der er selbst ein Jahr mitgezaubert hatte, besaß keine fest verschließende Tür mehr. Was er eigentlich verhindern wollte brach nun laut und grell über ihn herein. Die Kammer selbst blieb offenbar unversehrt. Doch nun schrien die aufgewühlten gefangenen Seelen. Das ganze unterirdische Gebäude erbebte wie bei heftigen Erdstößen. Er stand da, bis ihn etwas von hinten umschlang und versuchte sich an ihm festzuklammern.
"Hättest mir fast die Augen ausgebrannt, du Wahnsinniger", schnaubte Ladonna und versuchte, ihn zu würgen. Er riss die linke Hand hoch. Da durchfuhr ihn und sie ein heftiger Stoß. Die beiden gegeneinander wirkenden Ringe hatten sich fast berührt. Jedenfalls kam er wieder frei und rannte los. Er versuchte es mit einem Eiswall hinter sich. Dieser hielt Ladonna gerade für zwei Sekunden auf. Dann hatte sie den Wall mit den Strahlen aus ihrem Ring verdampft.
"Tür links auf!" dachte der ungenannte Herrscher, während er keuchend dahinrannte. Die Tür sprang auf. Er wischte hindurch und dachte gleich "Tür zu!" Mit lautem Rums krachte die Steintür hinter ihm zu. Er rannte erst noch zehn Meter und sah sich um. Die Gegnerin war nicht hinter ihm. Also gehorchten die meisten Zauber der Grabstätte ihm noch. Allerdings gefiel ihm das gleichbleibend wilde Beben nicht. Durch die Beschädigung der goldenen Kammer waren die bis dahin wohl ausgeglichenen Kräfte verschoben. "Wenn er es schaffte, Ladonna in einen der Seelenkerker zu locken und darin einzuschließenkonnte er ihr Kaa erbeuten. Allerdings musste er dann wohl für mehr als ein halbes Jahr an einer neuen goldenen Tür arbeiten.
Er hätte fast laut losgelacht. Er konnte doch den zeitlosen Weg gehen. Er war auf die Pyramide abgestimmt. Außerdem konnte er in alle Kammern und Gänge ein tödliches Stickgas einblasen. Da hörte er das laute metalische Scheppern. Gleichzeitig hörte er einen erst verärgerten und dann erfreuten Aufschrei. Dann durchlief eine stärkere Stoßwelle das umgekehrte Grab. Er begriff, dass irgendwo eines der goldenen Reliefs von der Wand gefallen und dabei zersprungen sein mochte. Das hieß, die daran gebundene Seele war freigesetzt worden. Doch selbst dann konnte sie nicht aus der mit Seelenrückhaltezaubern ausgekleideten Kammer entwischen, wenn diese verschlossen war. Da wurde ihm mit derselben Gnadenlosigkeit die er gegen seine Feinde übte klar, dass Ladonna nun eine Kammer nach der anderen öffnete. Ihr verwünschter Feuerstrahlenring konnte sowas.
"Hallo, wo bist du kleiner König?! mir ist gerade so ein goldenes Wandbild runtergefallen und hat ganz merkwürdig geflackert, als wenn es gelebt hätte", hörte er Ladonnas glockenhelle Stimme magisch verstärkt durch die Gänge. "Dann sei es eben das", knurrte er und zauberte sich eine Kopfblase. Er gab den Gedankenbefehl, überall die volle Menge Stickgas einzublasen. Wenn sie das nicht innerhalb von vier Sekunden bemerkte würde es zu spät für sie sein, Veelablutrache hin oder her. Er selbst wollte zusehen, wie sie draufging. Daher eilte er im Schutz der Kopfblase weiter und ließ Türen auf und zugehen. Er lauschte. Dann war er in einer der zwölf Kammern des Überblicks, die wie seine goldene Kammer alle Vorgänge in der Grabstätte zeigten. Sofort sah er, nachdem er sich mit seinem Namen vorgestellt hatte, wo zwei Seelenkammern geöffnet und geleert worden waren und dass deshalb das gesamte Geflecht in Aufruhr geraten war. Doch Ladonna sah er erst, als ihr Gesicht übergangslos auf einer der Bilddarstellungswände auftauchte. "Nette Einrichtung diese. Ich kann dich jetzt auch sehen. Bringen wir es anständig hinter uns. Du ergibst dich mir und erkennst mich als deine Herrin und Königin an. Dann schwörst du mir den unverbrüchlichen Eid. Danach können wir beide gerne dein Heimatland regieren."
"Ich brauche keine eigensinnige, selbstherrliche, selbstverliebte Königin", knurrte der ungenannte Herrscher. Wieso war Ladonna nicht am Stickgas erstickt? Sie trug keine Kopfblase wie er.
"Du willst sicher wissen, warum ich nicht ohnmächtig oder tot in einem deiner Gänge herumliege. Ganz einfach. Der hier schützt mich vor bösen Gasen." Sie zeigte ihren rubinrot glühenden Ring. "So, und nachdem das auch geklärt ist sollten wir uns endlich wie erwachsene, machtbewusste Leute mit langer Erfahrung benehmen und uns dieses große Land und viele andere Länder dieser Welt gemeinsam teilen."
"Vergiss es. Ich jage eher meine ganze Errungenschaft mit dir zusammen in den Nachthimmel, statt dich weiterhin an meinem Land herumfuhrwerken zu lassen, Mischblüterin. Wenn du so unverwüstlich bist probier mal das!" Er dachte an die Seelenfangflüche. Hoffentlich gingen die nach der Vertreibung der Schattenkönigin noch. Zehn Sekunden später wusste er, dass diese Zauber offenbar nicht mehr gelangen. Statt dessen schepperte es irgendwo anders, und eine weitere Kammer verlor ihre Kraft. Das Geflecht wurde immer ungleichmäßiger. "Gut, du willst es so. Dann kriegst du es so", dachte er. Wenn sie die Grabstätte zerstören wollte sollte sie das tun. Hinaus kam sie so erst, wenn alles über ihr zusammenbrach.
Er schaffte es, über den kurzen Weg in die goldene Kammer zurückzukehren. Er hatte einen Augenblick gefürchtet, dass sie dort auf ihn warten würde. Doch er sah, dass sie gerade zwei Stockwerke über ihm in eine Kammer eindrang, indem sie die Türecken mit ihrem Feuerstrahlenring durchlöcherte. Dann sah er, wie sie das dort hängende Wandrelief mit vier glatten Handbewegungen herausschnitt. Es fiel scheppernd zu boden und bekam mehrere Sprünge. Die daran gebundene Seele entwich in Form eines silberweißen Dunstes, der für zwei Sekunden im Raum schwebte und dann durch die offene Tür davonstob und sich wie ein Blitz aus der Erde in die Nacht entlud.
"Die kann die Kammern öffnen und die Seelen befreien. Dann ist sie irgendwann bei Ixandesh und dem Helm von Deeplook", dachte der ungenannte Herrscher. Wenn sie Ixandesh befreite konnte der sich entschließen, auf der Welt zu bleiben und ihm den Ring streitig machen. Das musste er verhindern.
"Irgendwas entlädt sich aus der eingegrabenen Pyramide", bemerkte Namika bint Mahdi Al-Burak. Ihre wenige Dutzend Atemzüge jüngere Zwillingsschwester stimmte ihr zu. Jophiel argwöhnte sogar an den silberweißen Dunstgebilden, dass es sich um aus langer Gefangenschaft freikommende Seelen handelte, die für eine winzige Zeit sichtbar wurden und dann entweder als Geister weiterbestanden oder in die Nachwelt übergingen oder sogar restlos vergingen, weil ihnen jeder Zusammenhalt verlorengegangen war.
"Sina, wenn das so weitergeht fliegt dir dieses Unheilsbauwerk um die Flügel. Sieh zu, dass du da wegkommst."
"Bin schon fort!" erwiderte Sina.
Sie konnte keine Gedanken hören. Doch ihre Ohren waren hochempfindlich. Trotz des Dumpfen Donnerns der dauernd bebenden Erde hörte sie, wie jemand apparierte und dann wieder disapparierte. Sie lauschte. Wo konnte das sein? Sie wusste natürlich, dass sie nicht so einfach den Standort wechseln konnte. Aber was sie konnte war weitere Seelenkammern zu entladen. Denn das hatte sie sofort erkannt, als sie die erste Kammer aufgemacht und das erste Relief gesehen hatte. So setzte sie ihren langsamen Zerstörungsmarsch durch das Stufengrab des ungenannten Herrschers fort.
ja, Ixandeshs Kammer war noch verschlossen und das ihn haltende Goldrelief hing noch an der Wand. Sollte er es abnehmen und behutsam irgendwo anders hinbringen? Doch das bot keine Garantie, dass dessen Seele dauerhaft an das Relief gebunden blieb. So blieb ihm nur, die Kammer zusätzlich zu verschließen. Von McBane hatte er gelernt, was ein Bakunin'scher Vorhang ist und wie er erschaffen wurde. So verschloss er die Kammern von außen mit diesem Zauber, nicht nur die von Ixandesh. Was er dabei nicht bedachte war, dass Ladonna nicht nur schnell laufen konnte. so ging er auch bei jener Kammer vor, in der er Deeplooks glasartigen Helm eingeschlossen hatte.
Da ungefähr musste er gewesen sein. Ja, sie hörte, wie er irgendwas leises murmelte. Es klang dunkel und entschlossen. Er wiederholte es an mehreren Stellen. So hörte sie, dass er zwei Stockwerke über ihr war. Wo genau konnte sie durch den Widerhall nicht erfassen.
Sie öffnete eine weitere Kammer. Doch diesmal ließ sie das Relief unangetastet. Statt dessen brannte sie sich mit ihrem Ring einen Durchgang nach oben. Kaum war sie aus der Kammer heraus entlud sich unter ihr ein silbernes Blitzgewitter. Es krachte und Schepperte. Dann fühlte sie, wie etwas mit Irrsinnsgeschwindigkeit an ihr vorbeischnellte. Da war ihr klar, dass es schon ausreichte, ein Loch in die Decke einer Kammer zu brennen, um sie zu entladen. Sie vollführte das nun bei weiteren Kammern über sich, bis sie die fand, die noch mehr abgesichert waren. Sie erkannte die Magie nach kurzem Probezauber. "Bakunin'scher Vorhang. Und das mir", dachte sie lautlos. Sie stieg noch einmal einen Stock tiefer und suchte trotz der sich ändernden Gänge die bereits geöffnete Kammer nach oben. Dann bohrte sie mit ihrem Ring eine weitere Kammer auf und flog schnell hindurch. Nun wurden gleich zwei Kammern entladen. Der Zusammenhalt war bereits entsprechend geschädigt.
Schließlich erreichte sie trotz ihr entgegenfliegender Geschosse und weiterer Gaswolken die Kammern mit dem Bakuninin'schen Vorhang.
"Er beobachtete von einer anderen Überwachungskammer, was Ladonna tat und erschrak. Die konnte innerhalb von Sekunden in ein höheres Stockwerk wechseln. Dann fiel ihm ein, dass sie ja auch von einer grünen Waldfrau abstammte und diese frei fliegen konnten. So ging es also.
Dann erreichte sie die Kammer, wo Ixandesh war. Er musste hier fort! Gut, dass er noch alle wichtigen Gegenstände aus der goldenen Kammer wie das Ohr des Anubis, das Auge der Bastet, das Zepter und den Griffel eingesteckt hatte. Der Griffel. Damit hätte er doch den einen oder anderen Todeszauber aufschreiben können. Aber er erinnerte sich, dass soowas nur auf nicht schon vorbezauberten Unterlagen ging. Aber nun musste er fliehen, irgendwo untertauchen. Denn wenn dieses Unweib weiter die Kammern entludt würde ihr das Bauwerk wirklich um die Ohren fliegen.
Er konzentrierte sich und wollte einfach nur noch irgendwo am Nilufer sein. Er drehte sich. Doch er wurde nur zweimal herumgewirbelt und landete in der goldenen Kammer ohne Tür. Der Aufbahrungstisch zeigte McBanes Gestalt. Der gefangene Geist grinste. "Du kommst hier nicht mehr weg. Mein Körper gehört mir!" rief McBanes Stimme. Es klang hohl wie aus einem Brunnenschacht. Da erkannte der finstere Pharao, welchem endgültigen Irrtum er aufgesessen war. Sein ganzes Gefüge war auf seinen Geist eingestimmt gewesen. Doch das Gefüge zerbröckelte mehr und mehr. So blieb am Ende die Verbindung zwischen seinem neuen Körper, ihm und dem ausgelagerten Geist McBanes. Auch wenn die Tür zerstört war würde er bei jedem Sprung hinaus immer wieder hier landen, weil McBane wieder stärker wurde. Er wollte in seinen lebenden Körper zurück. Doch das wollte der ungenannte Herrscher nicht.
Er lief aus der Kammer hinaus. Da hörte er McBanes lautes Lachen: "Wenn die letzte Seele frei ist komme ich auch frei, du Dieb und Mörder. Dann blase ich dich aus meinem Körper hinaus wie einen lästigen Leibwind."
"Dann muss es eben sein", knurrte er und lief los, um einen Weg nach draußen zu suchen.
Ladonna Montefiori konnte gerade noch zur Seite springen, als ein blutroter Schemen aus dem Relief hervorschnellte und an ihr vorbeiwischte. Das war sehr knapp, dachte die Rosenkönigin. Offenbar hatte sich da jemand entschlossen, als blutroter Rachegeist weiterzubestehen, jemand so voller Hass und Bosheit, dass ihm Leib und Seele eines Menschen nichts mehr wert waren. Dass dieses rote Unding sie nicht gleich im Vorbeigehen niedergemacht hatte mochte daran liegen, dass dieser Ungeist es sehr, sehr eilig hatte.
Ihr wurde jetzt aber noch was klar. Sie hatte mit ihren Befreiungsaktionen einen Vorgang eingeleitet, der unweigerlich in einer Massenfreisetzung aller Gefangenen ausufern würde. Wenn das passierte wusste niemand, auch sie nicht, wie die Umgebung betroffen wurde. Am Ende löste sie noch eine zweite dunkle Woge aus, die um die Welt ging. Nicht alles, was die erste dunkle Welle angeregt hatte behagte ihr. Doch jetzt hatte sie den Prozess begonnen.
In einer weiteren Kammer, die nur eine goldene Wandplatte enthielt, fand sie einen kleinen Helm wie aus hauchdünnem Glas. Als sie ihn mit der behandschuhten Hand berührte fühlte sie, wie er in regelmäßigen Abständen erbebte. Also war der Helm verflucht und / oder beseelt, ein Horkrux. Von der Größe her mochte er einem siebenjährigen Kind oder einem erwachsenen Zwerg oder Kobold gerade so passen. Kobold? Sie öffnete ihre Tasche und versenkte den durchsichtigen Helm darin. Wenn die Tasche verschlossen war wirkte ein Conservatempus-Zauber mit hundertfacher Verzögerung. Was immer den Helm erfüllte konnte ihr so nichts anhaben.
Sie erreichte nach mehreren weiteren Stickgasfreisetzungen und Steingeschossen einen weiteren Überwachungsraum. Da sah sie ihn, ihren Gegner, wie er sich beeilte, nach oben zu kommen. Der wusste auch, was die Stunde geschlagen hatte. Doch warum disapparierte er nicht einfach? Die Antwort war, auch er konnte es nicht mehr tun.
Ladonna peilte den kürzesten Aufstieg an und bohrte sich durch drei weitere Seelenkammern, die unter ihr in silbernem Licht entladen wurden, drei Gänge und eine Falltür. Dann hörte sie einen lauten Aufschrei. Das war ihr Gegner.
Er hatte es fast geschafft. Er hörte die lauten Schreie der aus ihren Fesseln freikommenden Seelen. Dann hörte er jemanden mit abgrundtiefem Hass ausrufen: "Da bist du, Verräter an den Söhnen des Seth, Frevler des allerhöchsten. So ende hier in deinem eigenen Kerker!" Der ungenannte Herrscher blickte sich um. Er sah einen blutroten Schemen auf ihn zugleiten, langsam, aber entschlossen. Sollte er ihn noch mit dem Geisterzepter ... Da sprang es ihn an wie ein zuschlagendes Raubtier. Er dachte zuerst, Ixandeshs blutrote Nachtodform wollte in seinen Körper einfahren. Doch sie ballte sich zusammen und drang in den Ring ein, den er von ihm erbeutet hatte. Er fühlte einen unbändigen Schmerz und schrie seine Pein durch die Pyramide. Dann erstarrte er. Er fühlte nur, wie seine Sinne mehr und mehr verschwammen und hörte Ixandeshs triumphierendes Lachen. "Vergehe in der Macht des höchsten, Naira-Urapep!" Seit vielen hundert Jahren hörte er, der ewig leben wollende, seinen bei Geburt zugeteilten wahren Namen wieder.
Er fühlte, wie die Welt um ihn erst immer wilder bebte und dann in einem flirrenden Nebel verging. Unvermittelt stürzte er in einen wild kreiselnden silbernen Strudel hinein. An dessen Ende sah er ein Licht. Er wusste, dies war der Übergang vom Leben zum Tod. Er musste sich hier und jetzt entscheiden, ob er weiter als Geist in der Welt verbleiben wollte oder in die von ihm vorbestimmte Ewigkeit überwechseln wollte. Doch bevor er die Entscheidung fällte durchraste ihn ein letzter, nicht körperlich fühlbarer Schmerz. Er fühlte, wie es ihn mit allen Gedanken und Erinnerungen zerriss. Er meinte einen Moment, in mehrere hilflose Einzelwesen zu zerfallen. Dann verlosch auch die letzte Verbindung aller Erinnerungen seiner Persönlichkeit. Der ungenannte Herrscher, beladen mit hunderten von verschuldeten Toden ohne Reue, verging im Gefüge von Geist und Stofflichkeit, Lebendigen und Toten, Raum und Zeit zu nichts als hilflosen, verwehenden Gedankensplittern.
Ladonna nutzte ihren Besen und sprengte sich mit dem Reducto-Fluch und ihrem Ring den Weg frei. Sie hörte das laute Prasseln und geisterhafte Jubeln freikommender Seelen. Doch da war noch ein Ton, der fremd war. Es war ein mittelhoher Summton, der immer lauter wurde. Dann sah sie dessen Ursprung.
Ihr Gegner lag am Boden. Er war keine Leiche im üblichen Sinn, jedoch auch nicht mehr lebendig. Sein Körper bestand wieder völlig aus schwarzem Kristall. Doch diesmal blieb er nicht regungslos. Er zitterte auf jener Schwingungszahl, die sie hierhergelockt hatte. Ladonna sah, dass von seiner linken hand rote und silberne Lichter durch seinen Körper jagten. Dann sah sie, dass er verschiedene Waffen und Gegenstände bei sich trug. Wenn er gleich zerspringen würde konnte das alles zerstört werden und sie womöglich mit ins Verderben reißen. So zog sie sich hinter einen schwarzen Spiegel zurück und schloss sich in ihre rote Schutzblase ein. Sie lauschte. Dann krachte und klirrte es. Die Spiegelwand erzitterte in heftigen Wellen, hielt jedoch. Die frei herumfliegenden Splitter zerschellten an den Wänden. Nur dunkelgrauer Staub blieb übrig.
Sie hatte das Scheppernund Klappern in der Nähe herunterfallender Dinge wohl gehört. Dann fand sie den silbernen Bogen. zwei Meter davon fort den dazugehörigen Köcher mit Pfeilen. Sie fand den zerrissenen Schwertgürtel, die Schwertscheide und die Waffe selbst waren jedoch intakt. Auch fand sie den in der Decke steckenden, aber ohne jeden Kratzer davongekommenen Schild.
Als sie im Rausch der Aneignung und Angst vor fehlender Zeit alles eingesammelt hatte überlegte sie, ob es zu dem allem Aufzeichnungen gab. Musste sie dafür in die goldene Kammer zurück? Doch gerade entluden sich gleich fünf Kammern auf einmal. Dann fand sie knapp zehn Schritte von der vernichteten Körperform des Gegners einen unzerreißbaren Rucksack in der Nähe des vergangenen. Darin steckten geheimnisvolle Schatullen, ein Lederrohr und ein ohrenförmiges Amulett aus Silber an einer dünnen Lederschnur, sowie mehrere Pergamentrollen. weiteres Scheppern, Krachen und Rumpeln gemahnten sie, sich nun doch mal zu beeilen. Sie lud sich den Rucksack auf den Rücken. Da das Apparieren immer noch nicht möglich war schuf sie sich weitere Durchbrüche in den Decken, bis sie die meterdicke Bodenplatte fand. Diese bröckelte bereits bedenklich. Während unter ihr immer mehr Seelenkammern entladen wurden und jede Entladung eine noch schwerere Explosion hervorrief brannte und fluchte sie sich durch die Bodenplatte. Dann, als unter ihr ein ganzes Stockwerk wegbrach und das darüberliegende mit in die Tiefe riss, entkam sie dem nun seinen Lauf nehmenden Untergang des vergrabenen Stufengrabes. Sie raste im 45-Grad-Winkel davon, bloß weg von der sich mehr und mehr in ihre Grundbausteine auflösenden Pyramide.
Als sie gerade zwei Kilometer hoch und weit fort war knallte,, knatterte und bollerte es vielhundertfach hinter und unter ihr. Die Nacht wurde erhellt von aberhundert silbernen, blauen, weißen, roten und goldenen Blitzen, die am hohen Himmelszelt gestreut wurden. Sie wollte jetzt nicht wissen, was dort unten los war. Sie würde es von Al-Assuani erfahren. Dem wollte sie jedoch nicht verraten, was sie noch alles an Beute hatte mitgehen lassen.
Sie raste weiter davon, um noch in dieser so aufregenden, bedeutsamen, die Welt verändernden Samhain-Nacht nach Italien zurückzukehren. Nur in der Girandelli-Villa fühlte sie sich wirklich sicher. Denn auch sie hatte noch zu viele Feinde, die ihre Reisen all zu gerne ausnutzen würden.
Rore McBane fand sich nach einem grellen Lichtblitz in seinem eigenen Körper steckend mitten auf einem Zentrumsplatz wieder und erkannte ihn sofort. Das war Hogsmeade. Doch wo waren die Leute, seine Verwandten, seine alten Freunde von vor und während Hogwarts? Alles war so still. Dann hörte er ferne, quäkige Töne, die über einem tiefen Dauerton erklangen. So spielte nur einer den Dudelsack, sein Urgroßvater Koy McBane. Er folgte der Melodie. Das war das Lied McBanes große Reise über den Urururgroßvater Leroy McBane, einem Erbfeind der McTavishs und Bundesgenossen von Murray McGonagall, auch genannt der König des Wandels.
Er folgte dem alten Lied bis auf den Hügel im Süden. Von dort aus konnte man bei besserem Wetter den schwarzen See und die Mauern von Hogwarts erkennen. Genau dort stand Koy McBane, der wegen seiner bis zu den Hüften herabwallenden roten Mähne auch öfter Spikechestie Lassie, stachelbrüstiges Mädchen, genannt worden war. Koy wwar in die Ewigkeit gegangen, als er, Rore, gerade sieben Jahre alt war. Zum Abschied hatte der noch einmal McBanes große Reise gespielt. Rores Großvater Roy hatte dieses Lied bei der Trauerfeier gespielt, als Urgroßvater Koys Asche über der See zwischen Schottland und den Shetland-Inseln verstreut worden war. War das also jetzt sein Abschied? Seine große Reise?
"Hallo Laddy. Jetzt hast du doch noch den Weg hier auf den Hügel gefunden. Erzähl mir, was du unterwegs so erlebt hast", sagte Urgroßvater Koy mit seiner von keinem Alter gebrochenen, tiefen Stimme. Rore erwähnte alles, was seit Uropa Koys großem Abschied passiert war, bis eben zu jenen Haarsträubenden Erlebnissen im Sommer. "Oh, da hätten wir aber noch ganz lange warten müssen, bis du es hier heraufschaffst, Laddy", lachte der Urgroßvater. "Kannst du dieser überschönen schwarzen Natter doch noch danken, dass sie dich aus diesem Loch herausgeholt hat. Dann kann ich dir die Frage stellen, die Urahn Leroy mir gestellt hat. Bleibst du da und guckst den anderen zu, wie sie älter und älter werden, bis sie selbst gehen oder möchtest du mit zu all den strammen Burschen und zünftigen Frauenzimmern, die unsere Familie so groß und stolz gemacht haben? Aber wenn du bleiben willst sei bitte nicht böse, wenn du gerade mal so groß wie ein Winziges Kind bist. Der Kerl, der deinen Körper gestohlen hat gab ihn im Tod nicht heil weg. Die Gesetze, die ich selbst nicht im Ansatz kenne, Laddy, bewirken, dass du in der Kleidung und Körperbeschaffenheit in der Welt herumwanderst, die du beim Übergang zurückgelassen hast. Nur, dass mir später keiner vorhält, ich hätte dich nicht gewarnt."
"Great Grandpa Koy, wenn du mir vorangehst folge ich dir. Spiel es bitte noch mal! Spiel McBanes große Reise!"
Koy McBane nickte, setzte den Dudelsack an, blies das Windmagazin voll genug, um den begleitenden Grundton zu spielen. Dann marschierte er los, gefolgt von seinem Urenkel, der doch viel früher als gedacht die große Reise antrat.
Das Erdbeben wurde immer schlimmer. Jophiel und Namika flogen längst auf ihrem Teppich in der Nacht. Noch umgab sie der Heilsstern mit blau-goldenem Licht gegen die Entdeckung durch feindliche Augen. Sie beobachteten wie die hier stationierten Sandfalken, wie große Brocken und hunderte von silbernen Lichtentladungen aus der vergrabenen Pyramide flogen, in der Luft zerstoben und vom Nachtwind davongeweht wurden. Nach diesem wilden Spektakel aus Lärm, Licht und Staub blieb ein rechteckiges Loch, auf dessen Grund ein unförmiger Goldklumpen lag, aus dem es noch vereinzelt knisterte. Ansonsten war hier nichts mehr von einer in die Erde hineingebauten Pyramide zu erkennen. Die Ränder des Loches begannen bereits nachzurutschen. Jophiel ging davon aus, dass der Sand der Sahara dieses klaffende Loch in nur zwei oder drei Jahren vollständig aufgefüllt haben würde. Ein jahrtausendealtes Erbe dunkler Zeiten war vergangen, ob dessen Schöpfer mit ihm untergegangen war blieb zu prüfen. Das durften dann aber gerne die tun, die für Ladonna arbeiteten. Sowohl Namika bint Mahdi Al-Burak, wie auch er, Jophiel Bensalom würden es über ihre noch unentdeckten Verbindungen erfahren.
"Kommst du noch mit, meine kleine Schwester abholen und mit uns gestandenen Hexenweibern auf das Fest der lebenden und der Toten anstoßen?"
"ja, es reizt mich, deine kleine Schwester ganz ohne zu sehen. Federn und Krallen meine ich selbstverständlich. Aber dann muss ich nach Hause, wo meine holde Honigbiene sicher schon sehnsüchtig und sorgenvoll auf mich wartet." Namika lachte. "Dann darfst du aber nicht erzählen, dass du mit zwei lebenshungrigen Schwestern des Mondes die Nacht verbracht hast."
"Das hängt davon ab, ob was passiert, was es wert ist, ihr zu erzählen oder es besser nicht zu erzählen", konterte Jophiel. Namika hatte dafür nur ein mädchenhaftes Lachen übrig. Dass sie bereits sechsundneunzig Jahre alt war und Jophiel ihr Sohn sein konnte brauchte dessen Frau nicht gleich am ersten Tag zu erfahren, dachte Namika.
Sie war erstarrt. Der Zauber des kurzlebigen, weißen Rotblütlers hatte sie, die Mutter der Nachtkinder, in ihrer Säule der Macht über Blut und Nacht erstarren lassen. Doch nun erbebte die Säule. Die in der Höhle anwesenden Sprecher und Sprecherinnen konnten sehen, dass der dunkle Stein wieder blutrot erglühte. Dann schien er durchsichtig wie Bergkristall zu werden. Sie sahen den Geist ihrer Urmutter, wie er sich langsam bewegte. Dann erstrahlte er in hellrotem Licht, reckte und streckte sich. Sie sahen, wie die vier in ihrem Körper steckenden Opfer mehr und mehr zerrannen. Dann wackelte die unvollständige Säule noch einmal.
Die Erben im Rat der sechzehn, die von ihrem Blut abstammten hörten die erfreute Stimme: "Ich bin wieder frei. Ich, Akasha, die Mutter der Nacht im Lande zwischen Gluthitze und Eiseskälte!" Die mächtige Säule wurde wieder undurchsichtig und leuchtete in einem gleichbleibenden, blutroten Licht. Der Hauch der unbändigen Macht der Nachtkinder wehte erneut durch die heilige Höhle, überstrich und durchdrang jene, die hier die ganze Zeit versucht hatten, die gefangene Urkönigin zu befreien.
Jubel brach unter den mächtigsten Akashiten aus. Sie hatten ihr Heiligtum und den über sie wachenden Geist ihrer Urmutter wieder. Die Macht des rotblütigen Frevlers war gebrochen. Doch die Akashiten wussten, dass die Anhänger jener, die sich als Göttin aller Nachtkinder verstand, diesen Erdteil erobern wollten. Sollten sie ihr diesen Erdteil übergeben oder im Namen Akashas weiter unabhängig von den hellhäutigen Verwandten aus den Kolonialreichen beherrschen? Darauf sollte sie, ihre erste Mutter, die Antwort geben.
Für die Kinder aus der Familie veranstalteten die Latierres vom Apfelhaus eine private Halloweenparty. Laurentine wurde ausdrücklich von Millie und Julius eingeladen, auch wenn sie offiziell Aurores Klassenlehrerin war. Doch bei Feierlichkeiten konnten übliche Kontaktvorschriften einstweilen außer Kraft gesetzt werden, hatte Geneviève klargestellt. So konnten auch Sandrine und ihre Zwillinge mitfeiern. Um halb elf waren jedoch alle Kinder wirklich zu müde, um noch bis zum großen Kürbis um Mitternacht zu warten. Julius half den jungen Eltern, mit ihren ganz kleinen und mittelgroßen Angehörigen in Ruhe das Haus zu verlassen. Draußen schwirrten noch ein paar fluoreszierende Fledermäuse herum, und die Kürbislaternen in den Bäumen warfen ihr gespenstisches Licht über die große Wiese, die im Spiel von Licht und Schatten widerschien.
Auch wenn Julius eigentlich mehr Grusel als genug im Alltag mitbekommen mochte hatte er sofort zugestimmt, als Millie und Claudine gefragt hatten, ob sie eine Halloweenfeier machen konnten. Jetzt war er froh, dass er es getan hatte.
Kayas Stuhl blieb leer, auch wenn Leyth ihn vortrefflich beerbt hatte. Alle die hier saßen hatten was mit den Ereignissen der vergangenen Nacht zu tun und berichteten darüber. Leyth Al-Assuani erwähnte, dass erst die Nachtschattenkönigin persönlich gegen den finsteren Pharao gekämft hatte und dann jemand, der oder die einen ständigen Unortbarkeitsschutz besessen hatte, was die magische Nachbetrachtung der Ereignisse sichtlich erschwerte. Er erwähnte jedoch, was außerhalb dieses Unortbarkeitszaubers zu erkennen gewesen war. "Was immer der ungenannte Herrscher angesammelt hat wurde vor der Vernichtung der vergrabenen Pyramide zusammengetragen und fortgeschafft. Falls es jemand mit dunklen Absichten ist lohnt es nicht, die uns gewogenen Zaubereiministerien damit zu behelligen, dass wir vielleicht was sehr wichtiges vermissen. Sonst müsste ich vorschlagen, dass wir eine Rückgabeforderung an die Glomako, die internationale Zaubererkonföderation und die globale Überwachung magischer Kulturgüter richten."
"Dies wird nicht nötig sein, Leyth. Erst mal danke für den ausführlichen und in der erfassbaren Menge vollständigen Bericht", erwiderte Karim Al-Assuani. "Was die von dir erwähnten Gegenstände angeht, so hat unser aller Königin sie bereits sichergestellt und an einem gegen jeden feindlichen Zugriff geschützten Ort verbracht. Was die Schattenkönigin angeht, so pflichte ich dir bei, dass diese erheblich stärker und vielseitiger geworden ist als wir bisher wussten. Auch wenn sie den finsteren Pharao nicht besiegen konnte hat sie doch einen Weg in dessen Grabstätte erzwungen, den wir nicht erzwingen konnten. Das heißt leider, dass sie sich auch zu anderen magisch gesicherten Orten Zutritt erzwingen kann. Wir sind einen uralten Dämon losgeworden, müssen aber nun mit einer neuen, unsere Zeit gut kennenden und wesentlich mächtigeren Dämonin fertig werden. Somit steht die vergangene Nacht für die ewige Nähe von Licht und Schatten, Sieg und Niederlage, Hoffnung und Angst. Doch Angst darf uns nicht lähmen. Wir müssen und werden einen Weg finden, die Erzdämonin der Nacht zu vertreiben, zu bannen oder zu vernichten. So gebietet es auch unser aller mächtige und zu ehrende Königin Ladonna." Alle priesen die mächtige Königin der Hexen und damit auch der Zauberer.
"Vielleicht wurde sie auch vernichtet", erwiderte Leyth. "Die Wucht, mit der sie aus dem umgekehrten Grabmal geschleudert wurde dürfte auch für sie sehr stark wenn nicht zerstörerisch gewesen sein."
"Mag sein, Leyth. Aber wir sollten uns nicht in Hoffnungen verlieren, dass unsere Gegner sich gegenseitig vernichtet haben", gemahnte der Zaubereiminister von Ladonnas Gnaden. Dagegen erhob keiner hier Einspruch.
Die Rosenkönigin war mit dem Ausgang ihres Feldzuges mehr als zufrieden. Sie hatte für die erbeuteten Dinge eine eigene Kammer in den Kellerräumen der Villa freigeräumt. Früher hatte Luigi hier seinen Weinvorrat gelagert. Doch für die wenigen Flaschen, die er und sie im Jahr tranken musste er keinen übergroßen Vorrat bereithalten.
Was das in einer Silberschachtel steckende Smaragdauge anging wusste sie aus den Aufzeichnungen des Axdeshtan Ashgacki az Oarshui, dass es als Auge der Bastet bezeichnet wurde und einen Weitermeldezauber besaß, der jede nicht von einer der Katzenjüngerinnen stammende Berührung weiterpetzte. Einen winzigen Moment hatte Ladonna mit dem verwegenen Gedanken gespielt, diese Werkatzen gezielt hierher zu locken und sich königlich zu amüsieren, wie diese im Blutfeuernebel verglühten, bis keine mehr nachrückte. Doch dann hatte sie beschlossen, dass es erst einmal geheimbleiben sollte, dass sie dieses Artefakt hatte. Das gleiche galt für den Schild des Horus, den Bogen des Anhor und diediesen beigefügten Todespfeile, und auch den Griffel des ewigen Schreibers.
Das versilberte Ohr an der schwarz-rot gemusterten Lederschnur strahlte eine unverkennbare dunkle Aura des Todes aus. Sie konnte den Aufzeichnungen entnehmen, dass es das Ohr des Anubis war, ein Artefakt, mit dem rastlose Geister, Nachtschatten und schwarzmagisch belebte Leichname angekündigt werden konnten. Da nur Menschen ohne in ihnen schlummernden Todeszauber dieses Artefakt berühren und benutzen konnten, die bereits andere Wesen sterben gesehen oder gar selbst getötet hatten konnte Ladonna diesen alten Gegenstand wohl benutzen. Für die Jagd auf die Nachtschatten war das sicher sehr hilfreich.
Was den eindeutig mit einer schlummernden Seele erfüllten Helm anging hatte ihr der geheime zauber Revelio Animam occultam aus dem dunklen Archiv des italienischen Zaubereiministeriums offenbart, dass es sich um die Seele eines älteren Koboldes handelte. Sie hatte nicht groß überlegen müssen, wessen Seele das war und welchem Zweck der Helm diente, nämlich seinen Träger vor fremdem Geisteszugriff zu schützen und den ursprünglichen Besitzer nach seinem Tod mit einem neuen, untergebenen Körper zu versehen. Insofern war sie glücklich, dass ihr Kopf zu groß dafür war. Doch wo sie bei den Bastetjüngerinnen noch ihre beinahe mädchenhafte Verwegenheit unterdrückt hatte wollte sie bei dem Helm einen Streich landen, der allen davon betroffenen noch sehr, sehr lange in Erinnerung bleiben sollte.
Da sie den koboldischen Geheimbund größtenteils enthauptet und all sein pergamentenes und silbertäfeliges Gedächtnis an sich gebracht hatte hatte sie für jene, die ihr die Schlüssel zu diesem klammheimlichen Endsieg in die Hände gelegt hatten keine Verwendung mehr. Denn ihr Garten war für dauerhafte, ihren Dank verdienende Hexenund Menschenfrauen reserviert, nicht für intrigante Kobolde. So schaffte sie die Töpfe mit den darin steckenden ehemaligen Leitwächtern nach Neapel, wo sie sie in einer dunklen Verkehrung einer feierlichen Zeremonie in den noch immer brodelnden Krater des Vesuvs hineinwarf. "Von der Erde seid ihr, in die Erde kehrt ihr zurück. Dem Feuer diente euer Leben. Das Feuer verzehrt euer Leben", deklamierte sie. Sie lauschte den geistigen Todesschreien jener, die in der Sekunde ihres Todes aus dem Bann erwachten, den Ladonna über sie ausgesprochen hatte. So sollte es all jenen Kobolden, zwergen und Zauberern ergehen, die es wagten, sie zu bekämpfen. Die Hexen sollten wie bisher die Zierde ihres Gartens bilden, ihr ganzes Leben lang damit hadern, sich gegen ihre einzig wahre Königin aufgelehnt zu haben. Sie fragte sich, wann sie zu Gundula Wellenkamm auch Gesine Feuerkiesel, Hera Matine oder Sophia Whitesand hinzugesellen würde und welche ihrer aufmüpfigen Schwestern sie dabei begleiten würden.
Eines wusste sie durch den Feldzug gegen den finsteren Pharao: Sie durfte nicht länger tolerieren, dass es noch ihr gefährliche Gruppen und Einzelwesen gab. Wen sie erledigen konnte musste sie frühestmöglich erledigen. Bei wem es länger dauerte, der oder die musste daran gehindert werden, noch mehr Macht zu erlangen. Vor allem jene Schattenkönigin und die blutrote Vampirgötzin galt es, in den nächsten Wochen und Monaten zu schwächen oder zu vernichten.
Remurra Nika und Ganor Reeko wollten nachforschen, was ihrer Mutter geschehen war. Als sie den mittlerweile so groß wie sie selbst beschaffenen birnenförmigen Kristallkörper fanden dachten sie beide, dass ihre Mutter vernichtet sein musste. Doch dann kam Remurra Nika auf die Idee, durch den kristallienen Gebärmutterhals hineinzublicken. Da sah sie die dunkelrot leuchtende Blase, in deren Mitte die in klassischer Fötushaltung zusammengerollte rotgoldene Erscheinung schwebte, die jedoch kein übliches Ungeborenes war, sondern die auf ein Viertel des verfügbaren Raumes verkleinerte Form ihrer Mutter, der Kaiserin der Nachtkinder. Sie bewegte sich nicht. Doch ihr Körper pulsierte im Takt eines unsichtbaren, unhörbaren Herzschlages. Als sie aus versehen den Kristallkörper berührte fühlte sie, wie ihr Kraft entzogen wurde. Wenn Garnor Reeko sie nicht zurückgerissen hätte wäre ihr womöglich alle Kraft ausgesaugt worden und sie wäre im besten Fall ebenfalls dort hineingezogen worden.
"Dieser wiederverkörperte Geist muss ihr einen solchen Schlag verpasst haben, dass sie regelrecht zusammengeschmolzen ist, Remurra. Nur ihre feststoffliche Gebärmutter hat sie gerettet. Offenbar brütet die sie jetzt wieder neu aus. Aber wie lange das dauert.
"Du weißt noch, was sie uns für diesen Fall, dass sie nicht mehr da ist oder für längere Zeit weg ist befohlen hat?" fragte Garnor Reeko.
"Ja, wir sollen das Unternehmen "Schlagschatten" durchführen. Okay, du die Jungs, ich die Mädels", sagte Remurra Nika und blickte auf das kristallische Gebilde, in dem ihrer aller Schöpferin eingesperrt war.
Wie vorher unzähligemale durchexerziert verständigte Garnor seine europäischen Truppenführer, die wiederum alle Unterführer verständigten. Remurra machte das mit den weiblichen. Einen winzigen Moment war sie versucht, diese zu sich hinzurufen und zu versuchen, mit ihnen zu einer Einheit zu verschmelzen, wie es ihre Mutter mit der feststofflichen Beherrscherin der Dunkelheit geschafft hatte. Doch dann viel ihr ein, dass das eben nur wegen dieser künstlichen Gebärmutter möglich gewesen war, in der sie aus der Seele Karin Maurers neu entstanden war.
In nur zehn Minuten waren alle nötigen Befehle zur möglichst zeitgleichen Ausführung des Unternehmens "Schlagschatten" erteilt und bestätigt worden.
"Wenn alle von unseren Geschwistern, die eigene Unterpfänder haben, diese zu den Tempeln hingeschickt und eingesetzt haben sollen sie zurückkommen, um mit uns allen, die aus ihr heraus geboren wurden gemäß Plan "Mondschatten" erst mal sechs volle Monate oder bis sie uns aufweckt im Schlaf der Überdauerung auszuharren", sagte Garnor Reeko. Remurra Nika bestätigte es grummelnd. Ihr war das nicht so recht. Doch ohne ihre mächtige Mutter, sofern die dort in dem birnenförmigen Hohlkörper wieder mächtig werden mochte, waren sie den Schattenjägern von den Sonnenkindern oder den modernen Zauberstabschwingern ausgeliefert. Nur die Mutter und Kaiserin konnte neue Nachtkinder gebären. Solange das nicht ging würden alle die vergingen unersetzt bleiben.
Die Meldung kam nicht aus dem Land selbst, in dem es passiert war. Sie kam über die geheimen Kanäle der Liga gegen dunkle Künste, der Kinder Ashtarias und der Sonnenkinder.
Umgekehrte Pyramide in Südägypten eingestürzt.
wiederverkörperter Dunkelmagier und Ex-Pharao sehr wahrscheinlich getötet.
gefährliche, übermächtige Schattendämonin von heftiger Magieentladung davongeschleudert, mindestens geschwächt!
Das waren zumindest die Schlagzeilen, auf die Millie die von Julius erhaltenen Informationen von Jophiel Bensalom, Catherine Brickston und Faidaria zusammenfassen konnte. Hieß das nun, dass zwei mächtige Gefahren beseitigt waren? Wer hatte da wen genau so stark geschwächt, dass am Ende beide unterlagen? Gab es die Schattenkaiserin noch oder war sie vernichtet? Zumindest hatte die Welt eine Atempause gewonnen, um sich auf die einzustellen, die noch da waren.
Zweihundert ihrer natürlichen Schatten beraubte Männer, Frauen und Halbwüchsige waren in den vergangenen drei Tagen mit Hilfe der sie anleitenden Schattendämonen per Zug, Schiff oder wo es ging per Flugzeug zu bestimmten Orten Europas, Asiens, Australiens, Afrikas und der beiden amerikanischen Teilkontinente gereist. Immerhin hatten sie es geschafft, von keinem Zauberstabträger erwischt zu werden. Nun versammelten sie sich an bestimmten Stellen und schlichen auf das Zeichen der sie lenkenden Dämonen los, bis sie auf einen immer stärkeren magischen Widerstand trafen. "Weiter voran, bis es nicht mehr geht!" befahlen ihre Lenker. Dann ging es nicht mehr weiter. Sie zogen sich kurz zurück. Was sie erwarteten trat ein.
Sie fühlten die schnell wirbelnden Kräfte wie kurze Sturmböen. Dutzende von langzähnigen Wesen erschienen aus nachtschwarzen Strudeln heraus und begannen, die Umgebung abzusuchen. Zugleich näherten sich nicht aus dem Schoß der Kaiserin geborene Schattendämonen befehlsgemäß ihren seit Tagen ausgekundschafteten Zielpersonen. Wie bezahlte Auftragsmörder, die zunächst ihr neues Opfer studierten und sich dann in deren Nähe einrichteten lauerten sie nun auf das Zeichen zum losschlagen. Als es von ihren Truppenführern und sogenannten Regionalgouverneurinnenund -gouverneuren kam handelten sie blitzschnell und lautlos.
Gooriaimiria haderte damit, dass sich die Sonnenkinder wieder aus ihrem Versteck gewagt und an die dreißig ihrer Regionalkommandanten erledigt hatten. Woher die auch immer erfahren hatten, wer wo war, diese widerwärtigen Geschöpfe hatten schnell und ohne Vorwarnung zugeschlagen, wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine alte Eiche fällt. Immerhin war es ihr gelungen, die dreißig aus den Körpern herausgebrannten Seelen einzufangen und in ihren Verbund der über 900 Seelen einzufügen. Doch sie musste feststellen, dass dieses nur ein Geplänkel war, etwas, um ihr zu zeigen, wie schnell man ihre Untertanen finden und vernichten konnte.
Sie hatte gerade alle ihre sieben Priesterinnen im Blick, die die Tempel hüteten, um bald für die Operation "Blutherbst" genug treue Gefolgsleute zusammenzurufen, als die Vorwarnzauber der Tempel anschlugen. Jemand mit starker Zauberkraft versuchte, mal eben so in die Tempel einzudringen, sinnigerweise dann, wo es an den betreffenden Orten noch hell war. Falls es also wieder die in ihren unsichtbar machenden Rüstungen steckenden Sonnenkinder waren musste sie diesen beikommen. Sie ging zwar davon aus, dass die dunklen Abwehrzauber gegen Feinde halten und wirken mochten. Doch sie wollte auch kein Risiko eingehen. So versetzte sie hunderte von mit Solexfolienhäuten gesicherte Nachtkinder in die Nähe jedes einzelnen Tempels, um wem auch immer einen heißen Empfang zu entbieten. Als sie alle beisammen hatte sprach sie zeitgleich durch die Münder der sieben Priesterinnen:
"Meine Kinder! Feinde trachten danach, unsere heiligen Tempel und Festungen zu schänden. straft jeden Frevel mit dem Tod!" Doch was dann geschah überstieg selbst Gooriaimirias dunkelste Befürchtungen.
Waren die Sonnenkinder ihr schon unangenehm aufgefallen traf sie der beinahe zeitgleiche Überfall von scheinbar normalen Menschen, die in hoher Eile auf die Tempel zustürmten und in dunkle Flatterfelder eingehüllt durch die Schutzwälle drängten schon beachtlich. Als denen die neuen Wachen entgegenrannten vergingen die Eindringlinge in heftigen Detonationen, aus denen heraus viele tausend dunkle Eissplitter durch den Raum schwirrten und sich an der in den Tempeln wirkenden magie regelrecht aufluden. Wo die Trümmer auf Gardisten trafen durchschlugen sie die Solexfolien und schlugen in ihre Körper wie Granatsplitter und schwere MG-Geschosse. Ehe es die an die Tempel herangeführten begriffen endete ihr zweites Leben so abrupt, dass Gooriaimiria erst etwas davon mitbekam, als Dutzende wehklagende Vampirseelen im freien Raum herumwirbelten und sie sie nur noch mit ihren unsichtbaren Fangfäden ergreifen und zu sich holen konnte. Schlagartig waren an die hundertzwanzig ihrer Getreuen vergangen. Ihre Priesterinnen saßen zum Glück noch im allerheiligsten der Tempel. Doch von den Schutzwällen war nicht mehr viel übrig. Die aus den explodierenden Menschen freigesetzten Splitter mussten eine Art Energieabsorbtion beherrschen, die vor allem auf lebendiges und auf dunkles Zauberwerk einwirkte.
Noch ehe die erwachte Göttin es recht bedachte entlud sich eine zweite, dritte und vierte Welle von Nachtkindern, die ihr einst die Treue geschworen hatten. Sie erkannte, wie vorausplanend die Gegner handelten. Die mussten bereits mehrere in der Nähe einzelner Kundschafter lauernde Schattendämonen postiert haben, die unter Einsatz der eigenen Existenz weitere Untertanen in den Tod ttrieben. Sie kam mit dem Einsammeln der freiwerdenden Seelen nicht mehr hinterher. Viele davon verschwanden mit wehklagendem Nachhall aus der stofflichen Welt. Innerhalb von nur fünf Minuten verlor die achso mächtige Göttin der Nachtkinder auf diese weise 800 feststoffliche Getreue. Ihr eigenes Seelengefüge erbebte, ja schwankte wie ein Baum im wilden Sturm, weil die so plötzlich darin einströmenden neuen Seelen die geordneten Strömungen verwirbelten. Gooriaimiria konnte in diesen Minuten nichts tun. Ihre besonderen Sinne versagten in einem Meer aus Todesschreien und blutroten Blitzen, die auf ihre übernatürlichen Sinne einhieben. Vernünftiger wäre es gewesen, alle entkörperten Diener in die Nachwelt überwechseln zu lassen. Doch sie wollte keine Seele hergeben, die sich ihr zum Dienst verbunden hatte. Darin war sie wie die aus Märchen, Sagen und Glaubensgrundsätzen bekannte Figur mit den Hörnern und dem Pferdefuß. Doch bald merkte sie, dass ihr das Bombardement so vieler Seelen auf einmal arg zusetzte. Wollte sie nicht darunter vergehen oder in den Wahnsinn abstürzen musste sie die weiteren Seelen freigeben.
Dann war es vorbei. Der Seelensturm, wie sie es später nannte, flaute genausoschnell wieder ab wie er ausgebrochen war. Irgendwer oder irgendetwas hatte entweder alle ausgewählten Ziele vernichtet oder wusste nicht mehr, wo noch welche von ihren Kindern waren. Dass zugleich die Tempelsicherungen durchlässig wurden und somit alle auf dunkle Zauber ansprechenden Messverfahren die Standorte ihrer Tempel preisgeben mochten kam noch bedrückend hinzu.
"Wer immer das war wird dafür zahlen", dachte die Göttin, nachdem nach einer nicht bestimmbaren Zeit das wilde Schwappen und wippen des Seelengefüges nachließ. Selbst Iaxathans in ihr eingeschlossener Geist war von dieser Wirkung so beeindruckt, dass er nicht daran dachte, als lebender Mensch wiedergeboren zu werden. Sie erkannte, dass sie gerade so noch der eigenen Vernichtung entgangen war. Denn nur weil der Mitternachtsdiamant noch mit dem Zufluss neuer Seelen hatte mithalten könnenund in einer ewigen, eisigen Dunkelheit eingeschlossen war hatte sie den Seelensturm überstanden. Als sie nachzählte, wie viele Seelen ihr auf diese Weise zugeflogen waren erkannte sie, dass sie ihre geistige Substanz verdoppelt hatte. An die 2000 ehemalige Nachtkinder waren nun in ihr aufgegangen und stärkten sie. Doch nützte ihr diese dazugewonnene Stärke, wo so viele ihrer handelnden Gefolgsleute auf einen Schlag entkörpert worden waren?
Sie machte Bestandsaufnahme, indem sie nach allen Rief, die sie zu Regionalverwaltern eingeteilt hatte. Zu ihrer Erleichterung waren die wichtigsten ihrer Nachtkinder noch am Leben, darunter Haladorada, die aus zwei Seelen verknüpfte Beauftragte für die Anwerbung von Sicherheitsleuten. Denn diese flog im Schutz einer Sonnenschutzhaut in einem Firmenjet von Aiolos Airways über dem Pazifik dahin, um sich in Japan nach möglichen Kontakten im Rotlichtmilieu umzusehen, die ihr helfen sollten, wichtige Sicherheitsleute aus Fernost zu neuen Mitgliedern der Gemeinde der Nachtgöttin zu machen. Eleni Papadakis hielt sich selbst in ihrer fliegenden Befehlszentrale auf, einer mit gewaltigen Zusatztanks ausgestatteten Boeing 747 mit fensterlosen Kabinen, die sie als Büros und Nachrichtenknoten verwendete. Damit stand fest, dass nur die, die hinter ausreichend starken Abwehrzaubern steckten oder hoch über den Wolken durch den sonst so verhassten Sonnenschein flogen überlebt hatten. Am ende hatte sie gerade noch 100 treue Söhne und vor allem Töchter, und ihre sieben Tempel waren schutzlos.
Zwar hatte Gooriaimiria durch die in sie eingeschossenen Seelen mehr Substanz und Stärke hinzugewonnen, dafür aber eine Menge Schlagkraft auf der Erde eingebüßt. Sie war die in eine Nussschale eingesperrte Königin der Unendlichkeit, in der nur noch wenige ihrer Untertanen verweilten. Als sie die zu ihr hingeflogenen und in sie eingefügten Seelen genauer durchforschte erfuhr sie, dass sie im Augenblick ihres körperlichen Todes von einer murmelgroßen, nachtschwarzen Kugel in eine ihrer Körperöffnungen getroffen worden waren und dass sie in dem Augenblick, wo ihre Lebenskraft verschwand erfuhren, dass es die zu solchen schwarzen Murmeln verdichteten Schattengeister waren. Sie erinnerte sich daran, was sie von Kanoras und allen seinen ehemaligen Dienern erfahren hatte und ärgerte sich über sich selbst. Sie hätte daran denken müssen, dass sich Nachtschatten je nach eigener Stärke zu kleinen bis metergroßen Kugeln zusammenballen konnten und wegen ihrer nichtstofflichen Beschaffenheit schneller als der Schall in der Luft dahinfliegen konnten. Undurchsichtige Wände, Dächer und auch Wasser waren für diese Wesen zwar undurchdringlich, doch in freier Luft wirkten sie tödlicher als eine zentnerschwere Artilleriegranate. Diese nachtschwarze Schattenkönigin, die sich für eine art Highlander der Geisterwelt hielt, hatte ihr diesen übelsten Streich aller Nächte gespielt. Wieso hatte sie es nicht mitbekommen, dass deren Schattenbrut sich in der Nähe ihrer Kinder versteckt hatte? Dann wurde ihr klar, dass sie dafür die unwichtigsten ihrer Untertanen eingesetzt hatte, die im Bedarfsfall auch dabei draufgehen konnten. Das war eine Kamikazetaktik, wie sie im zweiten Weltkrieg von den Japanern erfunden und von den Spinnern des elften Septembers über New York und Washington nachgeahmt worden war. Sie musste herausfinden, wo dieses Weib sich aufhielt und deren Untertanen auslöschen, bevor diese Möchtegerndämonenkönigin zum nächsten Schlag gegen sie ausholte. Ihr gefiel es nicht, dass dieses Schattenmonstrum über solche gefährlichen Krieger verfügte. Ihre eigenen Leute konnten sich nicht mal eben zusammenschrumpfen. Die Vorstellung, dass möglicherweise stecknadelkopfgroße Schattengeister in den kleinsten Ritzen selbst bei hellstem Tageslicht lauern konnten war auch für sie, die Ausgeburt der Dunkelheit, eine sehr gruselige Vorstellung.
"An alle, die mich noch vernehmen können", wandte sich die Göttin mit der durch die zusätzlichen 1000 Seelen verstärkten Kraft an ihre verbliebenen Untertanen. "Wir wurden soeben von einer sehr hinterlistigen wie zielstrebigen Macht um einen Gutteil unserer Gefolgschaft gebracht. Es sind die Abkömmlinge jener, die als eigenständige schwarze Schatten umhergehen können und wie ihr alle das Licht und die Wärme der Sonne meiden müssen. Ich befehle euch, sucht nach allen solchen Schattenwesen und meldet wo sie sind an mich, bevor ihr sie angeht. Denn mit körperlicher Gewalt ist denen nicht beizukommen. Ich, euer aller große Mutter und Göttin, befehle hiermit: Tod allen falschen Nachtkindern!"
Sie konnte nicht wissen, dass die Schattenkinder mit einer derartigen Reaktion gerechnet hatten und alle die, die den Kamikazeschlag gegen die Blutsauger überstanden hatten, auf Befehl ihrer höchsten Herrin in unterirdische Verstecke geflüchtet waren, um dort zu warten, bis ihre Herrin sie wieder anrief.
1000 aus dem pulsierenden Uterus im Audienzsaal entschlüpfte weibliche und männliche Schattenwesen waren nach der Durchführung des Unternehmens "Schlagschatten" in das gegen Ortungszauber und feststoffliche Eindringlinge gesicherte Versteck gekommen und berichteten der Rangfolge nach, wie sie die seit Wochen beobachteten Blutsauger angegriffen und vernichtet hatten. Remurra Nika, Garnor Reeko und die anderen höchsten Kinder der nun bis auf weiteres ungeborenen Kaiserin der wahren Macht der Nacht hörten zu und lobten ihre Leute. Dann geboten sie, in den Schlaf der Überdauerung zu fallen, wie es der Plan "Mondschatten" vorsah, falls die Kaiserin bei ihrer eigenen Unternehmung verging oder auf lange Zeit Handlungsunfähig wurde. Erst ihre Stimme sollte diesen Schlaf der Überdauerung beenden. So wirkte es auf einen fremden Beobachter, als würden die 900 Schattenwesen mit dem tiefschwarzen Obsidian der Höhlenwände, -decken und -böden verschmelzen und somit völlig unsichtbar. Nur die hier herrschende Eiseskälte, die die Luftfeuchtigkeit zu Reif und dann zu Eis kondensieren ließ, bezeugte die Anwesenheit der vielen mit unnatürlichem Leben erfüllten Wesen. Wer jetzt nach ihnen suchte würde sie nicht finden, bis die Kaiserin da selbst ihrem zeitweiligen Kerker entschlüpfte und sie alle wieder wachrief. Für den Rest der Welt waren die Heere und Diener der Schattenkaiserin von der Erde verschwunden.
Ladonna thronte wieder als Feuerrosenkönigin an ihrem steinernen Versammlungstisch in jener Höhle im Norden Italiens. Vor einer Stunde hatte sie von ihr treuen Schwestern in den Reihen der schweigsamen Schwestern und der ihr weiterhin hörigen Ministerien erfahren, dass die sieben Tempel der Blutgötzin offenbar Ziel eines schwarzmagischen Anschlages geworden waren, der auf die selbsternannte Schattenkaiserin zurückgeführt werden konnte. Offenbar hatte jene veritable Dämonin nach der Sache in Ägypten einen Rundumschlag gegen die ihr verhassten Vampire gestartet, oder, was auch möglich war, sie selbst war bei der Freisetzung der Abwehrmagie ausgelöscht worden und hatte ein Testament hinterlassen, in dem drinstand, dass im Falle ihrer Vernichtung ein vorbereiteter Kahlschlag gegen alle Anhänger der Blutgötzin auszuführen war. Gut, für Ladonna kam diese Aktion sehr gelegen, da sie selbst die Macht jener falschen Göttin brechen wollte. Deshalb trafen sich nun alle abkömmlichen Regionalführerinnen ihres Ordens hier in der Höhle.
Ladonna erwähnte, was sie erfahren hatte und besprach mit ihren treuen Schwestern, ob sie die Gunst der Stunde nutzen sollten. Die meisten stimmten zu, dass die Festungen der falschen Göttin zerstört werden sollten. Daher plante sie einen Anschlag auf die Tempel, der in den nächsten 24 Stunden erfolgen sollte. Hierfür teilte sie an jene, die in den entsprechenden Gegenden wohnten kleine silberne Phiolen mit magischen Gravuren aus. Sie verriet den anderen nur, dass diese Phiolen dafür sorgen sollten, dass die Tempel zu Todesfallen für die Vampire werden sollten. Sie verriet jedoch nicht, dass sie hierfür ihre eigene Erfindung, das erweiterte Schmelzfeuer in die Phiolen eingelagert hatte und dass sie die Gravuren mit Hilfe des neuerbeuteten Griffels des ewigen Schreibers geritzt hatte, wodurch die Bezauberung der Phiolen um ein vielfaches stärker war. Erst wenn diese eine Minute lang kein nichtvampirisches Blut im Umkreis von 100 Metern witterten sollten sie ihr tödliches Innenleben freigeben.
"Schwestern im Zeichen der Feuerrose, wir haben eine unverhoffte Gelegenheit, das blutige Geschwür der Lanzähne aus unserem Fleisch auszubrennen, damit es wieder heilen kann. Ob wir dieser Schattendämonin dafür danken sollen oder nicht überlasse ich euch. Ich merke nur an, dass sie nicht auf unsere Dankbarkeit angewiesen ist und wir ihr auch keine Gegenleistung dafür erbringen sollten", sagte Ladonna.
Wo sie alle schon mal hier hatte erwähnte sie auch, dass sie alle ihr noch folgenden Ministerien veranlasst habe, weiterhin nur noch über Briefe und magische Fernverständigungsmittel miteinander Kontakt zu halten. Es durfte zu keiner Zeit mehr zu Vollversammlungen oder auch nur Abteilungsvollversammlungen kommen, bis sie sicher war, dass alle Spione der sich ihr widersetzenden Ministerien enttarnt und unschädlich gemacht worden waren. Natürlich gingen ihre Schwestern auf diese Bedingung ein.
Sechs ihrer treuen Priesterinnen waren tod. Jemand hatte die Angriffe dieser Schattenbrütigen ausgenutzt, um die nicht so schnell zu reparierenden Tempel gründlich und nachhaltig zu vernichten. Die Vorgehensweise zeugte von äußerster Skrupellosigkeit. Immer dann, wenn Gooriaimiria eine weitere ihrer Priesterinnen hatte schreien hören und ihre Seele aus dem blitzartig vergehenden Körper heraus in sich übernehmen konnte wusste sie, dass jemand eine Art Supermolotowcocktail in den Belüftungsschacht eines Tempels geworfen hatte, worauf dann blaues Feuer alles und jeden vernichtete, wer oder was sich darin aufhielt.
Nur die Priesterin in der asiatischen Tempelanlage entging dem Anschlag, weil sie selbst mit Haladorada in Japan unterwegs war. Doch die sieben Tempel, von denen aus eigentlich das Reich der erwachten Göttin auf Erden errichtet und geführt werden sollte, gab es nicht mehr.
Einmal mehr verwünschte Gooriaimiria diesen Idioten Umbriel Blackwing, der seiner angebeteten Moondew verraten hatte, wie sie den Standort der Tempel herausfinden konnte. Wäre dieser Vollidiot nicht gewesen ... Aber über geronnenes Blut zu klagen brachte nichts, hatte Gooriaimirias Kernpersönlichkeit Nyx von ihrem Blutgemahl zu hören bekommen, als sie sich darüber beklagte, ihr Haus am Oberlauf der Themse aufgeben zu müssen, weil das fließende wasser ihr sonst andauernd Kraft entzogen hätte.
Sie überlegte in einer Zeit, die für Menschen nur wenige Sekunden dauerte, wer da gegen ihre Tempel vorgegangen war. Es waren nicht die Sonnenkinder gewesen. Die hätten wohl mit goldenem Sonnenfeuer zugeschlagen. Doch jenes blaue Feuer, dass wie das berüchtigte Schmelzfeuer wirkte, eben nur, dass es auch wie das nicht minder berüchtigte dunkle Feuer alles von Magie erfüllte vernichten konnte, trug die Handschrift jener wiedererwachten Dreiblüterin, die bereits Heptachiron zugesetzt hatte und sich für die neue Königin aller rotblütigen Hexen und Zauberer hielt. Ja, die hatte es ausgenutzt, dass diese Schattenbrut die Tempel angreifbar gemacht hatte und dass Gooriaimiria nicht mehr genug kampfstarke Untertanen aufbieten konnte, um sie zurückzuschlagen.
Wie wollte sie sich von jenem zweiten Schlag innerhalb eines Tages erholen? An das Unternehmen Blutherbst war erstt einmal nicht mehr zu denken. Damit wollte sie eigentlich bis zum ersten Dezember 1000 wichtige Positionen in der magischen und nichtmagischen Verwaltungshierarchie unterwerfen. Das ging jetzt nicht mehr. Blieb ihr nur noch die Unternehmung "Nachthimmel", die eigentlich schon vor über einem Jahr hätte laufen sollen und von diesen Widerlingen aus New orleans vereitelt worden war. Ja, sie musste sich erst einmal eine neue Basis für direkte Aktionen schaffen. Mit nur noch 100 Untertanen, davon 30 Kristallstaubträgern, dauerte das eben länger. So beschloss sie, so zu tun, als hätten die beiden Anschläge auf ihre Organisation diese da selbst unrettbar zerschlagen. Ob sie damit durchkam wusste Gooriaimiria nicht. Doch in diesem Fall war es ratsam, erst mal in Deckung zu bleiben und behutsam neue Kräfte zu schöpfen. Dann fiel ihr ein, dass der Versuch, den sie mit Nightswallow und Lunadorada erfolgreich ausgeführt hatte durchaus auch mit anderen ging und so doppelt so starke Untertanen entstehen konnten. Sie musste nur herausfinden, wer mit wem gut zusammenpasste, ohne Identitätskonflikte zu verursachen.
"Wähnt euch alle erst einmal als Sieger, Ladonna und Schattenbrüterin! Meine Nacht wird kommen, ob in diesem Jahr oder erst in zehn Jahren", schwor die um viele Errungenschaften gebrachte Göttin aller Nachtkinder. Ihr fiel der klingonische Spruch von der kalt servierten Rache wieder ein. Ja, dieses auf der alten Wikingermentalität aufgebaute fiktive Sternenvolk hatte da eine ganz zutreffende Wahrheit verkündet.
Julius Latierre und Catherine Brickston erfuhren am achten November, dass es offenbar an mehreren Orten der Welt zu massiven Überfällen von niederen Nachtschatten auf getarnte Vampire gekommen sein musste. Auch Temmie hatte die magischen Echos dieser Übergriffe erspürt, weil es so viele auf einmal waren. Von Faidaria erfuhr Julius, dass die offenbar geschwächte oder vernichtete Nachtschattenkaiserin vor ihrem Angriff auf die umgekehrte Pyramide geplant haben musste, im Falle ihrer Niederlage einen Kahlschlag gegen die ihr und ihren Unterschatten bekannten Blutsauger auszuführen. Die Sonnenkinder konnten nicht klar erkennen, ob die an dieser weltweiten Aktion beteiligten ihr Ende gefunden oder sich an einen unortbaren Ort zurückgezogen hatten.
Es fanden mehrere Geheimsitzungen statt, im Ministerium, im Dorfrat von Millemerveilles und abends nach der Bettgehzeit von Aurore und Chrysope auch in Paris. Béatrice hütete das Haus, während Millie und Julius sich mit den Angehörigen des stillen Dienstes darüber unterhielten, ob damit die Gefahr der Nachtschatten und der Angehörigen der selbsternannten Göttin beseitigt oder nur auf ein überschaubares Maß verringert worden sei. Julius vermutete, dass die Schatten im Falle der Vernichtung oder starken Schwächung ihrer Herrscherin wie die japanischen Kamikazeflieger vorgegangen waren, jene zum Freitod gedrängten Piloten, die mit Sprengladungen in Flugzeugen in US-amerikanische Kriegsschiffe hineingeflogen waren.
Sie beschlossen die Sitzung damit, dass sie nicht davon ausgehen sollten, dass die Gefahr der Nachtschatten gebannt sei, aber es zumindest viel weniger der falschen Göttin dienende Vampire gab. Das wiederum ermögliche, mit den nicht unter ihrer Herrschaft stehenden Vampiren einen geheimen Burgfrieden zu schließen, damit sie der falschen Göttin gegenüber an Macht gewannen. Phoebus Delamontagne, der wegen dieser Geheimsitzung aus Beauxbatons herübergekommen war wwarnte nur davor, dass die falsche Göttin nun mit den wenigen verbliebenen Getreuen eine schnellstmögliche Vermehrung ihrer Unterworfenen betreiben, also eine Vielzahl argloser Menschen zu Vampiren machen und ihrem Willen unterwerfen würde. Schließlich sei ihr das ja mit Eleni Papadakis, der Hohepriesterin, ja auch schon einmal gelungen. Dem konnten die Anwesenden nicht widersprechen. Jedenfalls seien durch die Aktion der Nachtschatten alle sieben Tempel der Vampirgötzin entblößt worden, was eine großartige Gelegenheit sei, sie zu vernichten. Doch das, so die Mitglieder des stillen Dienstes, sollten dann die Ministerien durchführen.
Diana Cammporosso war der nur an sie ergangenen Einladung ihrer Herrin und Königin sehr willig und eilfertig gefolgt. "Komm morgen früh zu mir, wenn du unserer Sache mehr nützen willst als so schon", hatte die Königin ihr in Gedanken zugerufen. Das war gestern abend vor Mitternacht gewesen.
Nun saß sie hier im Salon dieses Mogglohauses bei Florenz, dass Ladonna sich mit dem Eigentümer verschafft und zu einer magisch unbezwingbaren Residenz und Fluchtburg gemacht hatte.
Die kleinwüchsige Rosenschwester, deren Großmutter väterlicherseits eine reinrassige Koboldin gewesen war, galt bei den anderen Rosenschwestern als von der Königin geduldete Kuriosität. An sowas war sie ja längst gewöhnt, seitdem sie in der Gattiverdi-Akademie für italienischsprachige Hexen und Zauberer aus Italien, San Marino und der südlichen Schweiz gelernt hatte. Nie hatte sie einen Mann für's Leben gefunden. Aber wie sich körperliche Liebe anfühlte hatte sie erleben dürfen.
"Du hast mitbekommen, dass es gelungen ist, die Kobolde aus Ägypten zu vertreiben?" fragte Ladonna. Ihr nachtschwarzes Haar wehte wieder mal seidigweich bis fast zu ihren Hüften. Sie trug ein tiefausgeschnittenes schwarzes Samtkleid.
"Ja, das habe ich mitbekommen, meine Königin", sagte Diana Camporosso. "Das heißt aber dann auch, dass die Ägypter Gringotts geplündert haben, oder?"
"Nicht ganz. Sie müssen drachenfeuerheiß aufpassen, dass sie keine Fallen gegen Diebstahl auslösen, die den Inhalt von Verliesen verschwinden lassen. Aber es gelang ihnen, eine geheime Zweigstelle von Gringotts zu findenund die dort gelagerten Gegenstände sicherzustellen. Dabei war das hier", sagte die Rosenkönigin und zog an etwas unsichtbarem auf dem Tisch vor sich. Dann hielt sie eine silberne Tarndecke in den schlanken händen. Unter der Decke war ein wie reinstes Glas durchsichtiger Helm mit feinlöcherigen Ausbuchtungen für Koboldohren verborgen gewesen. Diana blickte mit ihren kleinen, dunkelbraunen Augen auf diesen Gegenstand. "Seelenglas", grummelte sie. "Also gibt es diese Helme ernsthaft."
"Wie, du kennst sowas?" fragte die Rosenkönigin. "Meine selige Großmutter Idrunasha hat mal davon gesprochen, dass es vor über tausend Jahren in Irland fähige Glasbrenner der Kobolde gab, die besondere Zutaten verwandten, um daraus Tiaren für Frauen und Helme für Männer zu machen, die ohne weitere Bezauberung den Träger oder die Trägerin vor jeder Form geistiger Beeinflussung schützen sollten. Allerdings haben diese Glasbrenner ihre Dienste nicht nur für die selbsternannten Erben der Erde gefertigt, sondern auch für große, rundohrige Leute, also sowas wie meine Eltern und ... öhm, euch, meine Königin. Deshalb heißt es bei den weiblichen Kobolden, der Bund, dessen Namen niemand laut zu nennen wagt, habe sämtliche Glasbrennmeister und ihre Gesellen und Lehrbuben ergriffen, weggesperrt oder noch schlimmer, weil sie ein für Kobolde so verdammt wertvolles wie auch gefährliches Wissen erworben haben. Mehr weiß ich davon nicht, meine Königin."
"Dies ist bereits eine Menge mehr als ich in der kurzen Zeit von Nichtkobolden erfahren konnte. Also jene Bande von Dieben, Mördern, Räubernund Spionen unter den Kobolden, die deren Welt überwachen und drangsalieren hat diesen besonderen Helm herstellen lassen. Womöglich sollte einer ihrer oberen Führer damit vor fremden Zaubern geschützt werden. Nun, ich werde keinem Kobold diesen Helm überlassen, damit der gegen mich und den Imperius-Fluch geschützt wird. Aber ich kann mir vorstellen, dass du würdig genug bist, diesen Helm zu tragen, meine werte Schwester", sagte die Königin. Diana Camporosso sah den Helm genauer an. Sicher war der für einen Mann gedacht. Konnte sie den dann überhaupt aufsetzen?
"Habt Ihr irgendwelche Aufzeichnungen darüber erhalten, wozu der Helm dient und wem er zustand?" wollte Diana wissen. Die Königin schüttelte den Kopf. "Gut, mit deinen wuscheligen Haaren mag es sein, dass der Helm nicht richtig sitzt, weil Koboldmänner ihre Haare nur ein Achtel so lang tragen wie du. Aber wärest du bereit, den Helm auszuprobieren?"
"Grundsätzlich traue ich den Erzeugnissen dieses Bundes mit den zehntausend Augen und Ohren nicht über den Weg, meine Königin. Seid Ihr euch sicher, dass in diesem Helm kein Kopf von einem von denen dringesteckt hat, der diesem Bund angehört?" wollte Diana wissen. Die Königin wiegte den Kopf und erwähnte, dass sie das nicht wusste. Doch sie wolle nun, wo sie mehr über den Helm erfahren habe, auch den Rest wissen. Dann erteilte sie Diana den ausdrücklichen Befehl, sich ihre Haare bis auf kurze Stoppeln herabzukürzen und den Helm auszuprobieren, ob er ihr überhaupt passte. Diana verstand. Die Königin wollte eine ihrer treuesten Dienerinnen dafür einsetzen, ein Geheimnis der Kobolde zu ergründen. Ging sie nicht darauf ein war das Befehlsverweigerung, wenn nicht sogar offener Verrat. Ging sie darauf ein lieferte sie sich den obskuren Handwerkern des Bundes der zehntausend Augen und Ohren aus. Was wog schwerer?
"Wenn ihr mir helft, mit allem, was ich dabei erfahre und erlebe nicht von euch abzufallen, auch wenn es mir eingegeben werden sollte, dann werde ich den Helm probieren", sagte sie nach einigen Sekunden gefährlichen Schweigens.
Sie kürzte sich ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Haare bis auf eine Viertel Fingerlänge herunter. Ihre Haare wurden in einer Silberschale gesammelt. Wozu das gut sein sollte begründete die Königin damit, dass sie im Zweifelsfall einen sympathetischen Zauber anwenden konnte, der ihrem Körper und Geist mehr Kraft geben konnte, altes Wissen aus den dunklen Archiven, behauptete sie. Diana dachte jedoch eher an Ladonnas Abkunft von den Veelas, deren Zauberkraft vor allem in den Haaren steckte.
Die Königin gebot ihr, sich die Haare noch einmal gründlich zu waschen und zu trocknen. Sie erwähnte, dass sie den Helm bereits mit Ratzeputzzaubern geschrubbt und gescheuert habe. Dann sollte Diana ihn aufsetzen.
Es war für die koboldstämmige Hexe schon ein merkwürdiges Gefühl, wie warm und leicht sich das Material anfühlte. Dann fühlte sie, wie sich der Helm an ihre Kopfhaut anschmiegte, als wenn sie überhaupt kein Haar mehr auf dem Kopf hatte. Dann begann der Helm im gleichen Takt wie ihr Herz zu pulsieren. Er erwärmte sich immer mehr. Die Rosenkönigin beobachtete sie dabei ganz genau. Dann trat etwas ein, womit sie nicht gerechnet hatte.
Er hatte es gefühlt, wie sein Körper starb. Doch die von seinen treuen Glasmachern eingewirkten Schutzzauber hatten ihn davor bewahrt, aus dem Körper zu entweichen und dem Spiel der Welten ausgeliefert zu sein. Er hatte den Helm wie seinen eigenen Körper empfunden und dann, weil kein empfindendes Wesen ihn berührte, nichts mehr wahrgenommen.
Jetzt fühlte er wieder was. Ja, er fühlte einen Körper, sah durch Augen, hörte durch Ohren, fühlte einen lebenden atmenden Körper und erhielt Verbindung mit ... einem Weib?! Diese Narren hatten seinen Helm der Bewahrung einem Weib auf den Kopf gesetzt? welcher Zwergendrecksköpfige Trollfurz hatte das veranlasst? Sein Geist floss über den Helm in dieses Geschöpf, diese Halbstämmige. O nein, die hatten eine halbstämmige oder Viertelstämmige ausgesucht, um ihn in sich aufzunehhmen. Dann erkannte er die volle grausame Wahrheit. Er sah sie, die grünäugige Dreiblüterin mit den schwarzen Haaren. Die hatte seinen Helm erbeutet. Dann war die bei diesem finsteren Pharao, der seinen Bund auslöschen wollte und hatte ihm den Helm der Bewahrung abgenommen und ihn einer ihrer hörigen Huren auf den Kopf gesetzt. Na warte! Er griff nun in die ihm hörbaren Gedanken ein und wollte dieses Weibstück übernehmen, damit, wenn die Anhaftung des Helmes nach nur fünfzig Herzschlägen unumkehrbar wurde, er wenigstens Herr in diesem ungewollten Leib sein würde.
"Deine Saat geht nicht auf, von Veelas und Sabberhexen abstammendes Geschmeiß. ich bin Deeplook, Vater aller Augen. Und wenn du auch meintest, mich einem niederen Weib anzulegen, so werde ich dich durch seine Hand und mit seinem Wissen erledigen. Denn ich bin schneller als du", dachte er. Laut sagte er: "Wo bin ich?"
"Du bist immer noch in meinem Audienzraum, Schwester Diana. Und was fühlst du?"
"Fremdes Empfinden, ich fühle mich merkwürdig", sprach Deeplook, der glaubte, die schwächliche Seele Dianas im Handstreich unterdrückt zu haben und nun mit ihr und damit ihrem Körper anstellen zu können, was er wollte. Entweder würde Ladonna ihn töten oder er würde sie umbringen und dann in diesem widerlichen Weiberkörper einen Vernichtungsfeldzug führen, bis jemand ihm diesen Körper unter dem Helm totfluchte. Er hoffte dann, in einem anständigen, seinem Bund angehörigen Kobold wiederzuerwachen und ihm die Ehre zu erweisen, Träger des Vaters aller Augen zu werden.
"Woran denkst du gerade, Diana?" fragte dieses Unweib. Sicher, die merkte, dass ihre hörige Schwester nicht mehr so unterwürfig dreinschaute. Gut, dann wollte er es hier und jetzt entscheiden. Er versuchte aufzuspringen, um Dianas schlanken Zauberstab zu ziehen und mit ihrem magischen Blut die zwei bösen Worte aus dem Orient zu rufen. Doch was war das. Er klebte an dem Stuhl, auf dem er saß fest. Er konnte seine Arme, also Dianas Arme nicht mehr bewegen. Zwergendreck! Die hatte ihn und ihre Schwester gleichzeitig reingelegt.
"Bist du sicher, ob du wirklich noch meine treue Dienerin Diana oder nicht doch der ach so schlaue, sich über alles und jeden erhabene Vater aller zehntausend Augen, Deeplook bist?" fragte die grünäugige Hexenhure. "Weil sonst würde meine Vorkehrung in deinem Besucherstuhl dich nicht so fest an Sitzfläche, Beine und Lehne heften", fügte sie noch hinzu. "Zum nimmersatten Sohn der Erde, ja ich bin der Vater aller Augen, Herr des Bundes, den jeder fürchtet, auch du, dreiblütiges Geschmeiß. Dein Hochmut und dein Spott werden dir bald im Schlunde stecken bleiben, dreiblütige Hure", spie er ihr mit Dianas Stimme hin. O ja, dieses Mischblütige Frauenzimmer hatte eine schöne Stimme, wenn sie wütend war.
"Also bist du Deeplook, der Vater aller augen, jetzt in einer treuen Tochter des Ordens der Feuerrose. Willkommen in meiner Residenz, Deeplook."
"Irgendwann wird dein Zauber nachlassen. Denn der Helm schützt mich vor jeder Art von Beeinträchtigung. Dann erledige ich dich."
"Natürlich, kleiner Kobold. Denkst du, ich hätte es zugelassen, dass meine Schwester dir ihren adretten Körper zur Verfügung stellt, damit du darin deine intriganten Ideen verwirklichen kannst? Dann pass mal gut auf", sagte die schwarzhaarige Widersacherin. Sie entzündete die dunkle Masse in einer Silberschale, Dianas abgetrennte Haare, wie er sofort aus ihren Erinnerungen erfuhr. Dann nahm sie eine kleine Tontafel aus ihrem Kleid und hielt sie so wie ein heiliges Gefäß vor der feierlichen Zeremonie. Deeplook und Diana staunten gleichzeitig. Diana versuchte, sich gegen den geistigen Würgegriff der in sie eingedrungenen Persönlichkeit Deeplooks aufzulehnen. Doch er war stärker. Der Helm verstärkte seine Geisteskraft auf das vierfache. Dagegen kam dieses schwächliche Weibchen nicht an. Jetzt roch er auch noch das verbrennende Haar dieser törichten Hilfsmagd einer selbstherrlichen, größenwahnsinnigen Mischblüterin. Da wurde ihm irgendwie anders. Er merkte, dass Diana Camporosso durch diesen Duft stärker wurde. Nein, dieses Drecksweib hatte ihn schon wieder reingelegt. Die hatte einen Seelenverstärker gemacht, der in Verbindung mit Feuer und Haupthaar des Spenderkörpers dessen angeborenes Ich stärken konnte. Er musste wohl gleich dagegen kämpfen, nicht selbst in dieser Magd eingeschlossen zu sein wie die innere oder gar innerste Verkleinerung einer russischen Matroschka-Puppe. Dann hörte er durch Dianas wirklich hochempfindliche Ohren, was Ladonna auf bestem Koboldogack laut vorlas:
"Deeplook, wenn du laut und deutlich hast gestanden,
dass du Diana Camporosso hältst in deinen Banden,
soll dies wieder anders sein,
und du ihr lebenslänglich unterworfen sein.
All dein Wissen, denken streben,
sei Diana Camporosso untergeben!
Immer wahr sollst du ihr künden,
was sie in deinem Geist will finden.
Sei ihr Diener und mein Knecht,
so allein so ist es recht.
Deepllok, sei Dianas Wissen!
wirst ihr immer dienen müssen!
Nun diana wache auf,
nimm nun Deeplook in dich auf!
Halte ihn dir fest und treu,
dass sein Wissen deines sei.
So wie es gesagt so soll es sein."
Deeplook fühlte, wie jeder an ihn gerichtete Befehl wie ein glühender Schwertstreich durch Dianas Körper fuhr. Wieso wehrte sein Helm das nicht ab. Dann erkannte er, dass dieser gemeine Text ja vordringlich an sie gerichtet war und ihn zum inneren Dienstknecht abwertete. Er fühlte, wie sie sich aus seinem Griff löste und statt dessen er immer tiefer in ihre Persönlichkeit und Gedanken zurückgedrängt wurde, unfähig, sich daraus zu lösen. Ja, er wurde die eingelagerte Wissensquelle und Ideengrundlage für dieses Weib, das Ladonna diente. Er schrie auf vor wut. Doch er konnte nichts mehr tun. Er war wie ein Gefangener in einem engen Kerker, noch dazu bis zum Hals in einem mit Ketten an die Wand gebundenen Sack gesteckt. Dieses grünäugige Weib hatte ihn wahrhaftig überrumpelt.
Diana erwachte wie aus einem befremdlichen Traum, in dem sie von einer lauten, ihr gebietenden Männerstimme angeleitet wurde. Doch dann hatte Ladonna etwas vorgelesen. Der Text auf der Tafel, die sie hielt glühte blutrot. Dieser Schein und der nach verbranntem Horn stinkende Qualm aus der Silberschale mit ihren Haaren weckten sie endgültig aus diesem Albtraum. Sie meinte noch, Deeplook wie einen wütenden kleinen Jungen schreien zu hören. Doch als sie dachte: "Gib Ruhe!" wurde er still. Nun herrschten wieder ihre Gedanken und ihr Wille.
"meine Königin, ich bin wieder ich. Woher wusstet Ihr, dass der Helm den Urvater des intriganten Geheimbundes aufgenommen hat?"
"Seelenerkennungszauber, nicht jedem bekannt und wohl auch aus ganz guten Gründen", sagte Ladonna. Dann legte sie die Schreibtafel wieder hin, von der sie abgelesen hatte. Die rote Glut war erloschen. "Aus welchem Material ist die Tafel, dass ihr da einen so wirkmächtigen Bannzauber draufschreiben konntet, meine Königin?" wollte Diana wissen und Deeplook, der nun dazu verurteilt war, ihr immer und jederzeit sein Wissen auszuliefern sicher auch.
"Ein Geheimnis, dass ich für mich behalten werde, Schwester Diana. Sei unbesorgt. Du darfst nun weiterhin freiwillig dienen. Deeplook kann und wird trotz der Seelenverstärkung in seinem Helm nichts dagegen tun können, weil ich den Zauber auf deinen Körper und nicht auf deinen Geist alleine abgestimmt habe. Da er nun darin sozusagen Dauergast ist muss er sich an die für ihn geltenden und von mir vorgetragenen Regeln halten. Er kann dich auch nicht mehr zwingen, irgendwas zu tun oder dich gar überreden, gegen deine eigenen Interessen zu handeln. Dein Wille herrscht."
"Aber der Helm wird sich nicht mehr abnehmen lassen, meine Königin." "Stimmt, du würdest auffallen. Daher lasse ich dich offiziell von erbosten Veelas aus Russland töten, die dich als meine Spionin erkannt haben. Das gibt meinem Statthalter die Gelegenheit, die vollständige Ausrottung aller Veelas Osteuropas zu befehlen."
"Und wenn es zum Krieg kommt, meine Königin?" wollte Diana wissen. "Werden wir ihn gewinnen", sagte Ladonna sehr von ihrer Idee überzeugt.
Diana Camporosso erkannte, dass sie ab heute eine ganz wichtige Funktion hatte. Sie trug das gesamte Wissen jenes Kobolds in sich, der den Koboldgeheimbund gegründet hatte. Das machte sie zu einer verdammt mächtigen Hexe. Die Königin hatte sie damit fast auf ihre Stufe gehoben, höher als die sieben Regionalstatthalterinnen. Eben das durfte keine von denen wissen. Das sah sie vollkommen ein.
Ladonna blickte auf einmal noch überlegener als vorhin. Sie sah ihre mit Deeplooks Glashelm bekleidete Gefolgshexe an und fragte: "Kennt Deeplook das Wort, mit dem jeder Kobold dazu gezwungen werden kann, alles danach befohlene auszuführen?"
Diana Camporosso fühlte, wie Deeplooks Geist sich noch einmal aufzubäumen versuchte. Doch sie dachte konzentriert den Befehl: "Verrate mir das geheime Bannwort der Kobolde!" Denn sie erkannte, dass sie damit selbst einen Gutteil Macht erhalten mochte. Sie hörte, wie Deeplook ein Wort herausquetschte: "Habblalgirnosh!" Diana fühlte, wie ihr ein heißkalter Schauer durch den Körper lief und der gläserne Helm leicht erbebte. Mehr geschah nicht. Sie widerholte das Wort laut. Ladonna sah sie an und wiederholte das Wort. Diana fühlte, dass hinter dem Wort eine Menge Magie stecken musste. Dann hörte sie Deeplooks verächtliche Gedanken: "Damit kann keiner von meinem Bund beeinflusst werden. Außerdem reicht das nicht aus." Diana dachte die Frage: "So, was muss denn noch getan werden?" Deeplooks Geist wimmerte und grummelte. Sie dachte die Frage noch einmal. Dann verriet ihr unfreiwilliger Körperuntermieter: "Das Wort muss vor dem Befehl oder den Befehlen gesagt werden und nach den Befehlen selbst noch einmal, um ihn bedingungslos ausführen zu lassen. Außerdem kannst du damit keinen von uns zwingen, sich selbst zu töten oder gleich tot umzufallen wie nach Avada Kedavra." Das erwähnte Diana. Ladonna sah sie erwartungsvoll an. Sie sagte dann, dass die Mitglieder des Koboldgeheimbundes wohl gegen dieses Bannwort geschützt seien.
Ladonna nickte. "Dennoch wirst du denjenigen, der meinte, dich mir wegnehmen zu können, dazu bringen, dir die wichtigsten Geheimnisse preiszugeben, wenn ich das will. Vorerst reicht es, wenn er mir die Namen der italienischen Spione seines Bundes verrät."
"Sie werden dir nicht gehorchen, weil die Verratsvereitelung sie töten wird", drang es aus Dianas Mund, was Deeplook dachte. "Ach ja, dieser kleine gemeine Steinsplitter mit dem Todesfeuerzauber, der bei bevorstehendem Verrat wirkt", erwiderte Ladonna. "Aber damit konnte ich bereits zwei von seinen Kumpanen verhören, weil ich herausfand, wie diesem Stein Einhalt geboten wird. Also, was sind die wichtigsten Geheimnisse des Bundes?"
Diana dachte den Befehl: "Verrate die wichtigsten Geheimnisse!" Erst versuchte Deeplook wieder aufzubegehren. Doch dann verriet er ihr und damit Ladonna die drei größten Geheimnisse des Bundes der zehntausend Augen und Ohren.
"Das erste Geheimnis ist der nach der Vereidigung unter Betäubungsmittel unter die Schädeldecke verpflanzte Splitter der Treue bis in den Tod, in dem das Verräterfeuer schlummert, das bei bevorstehendem Verrat oder Unterwerfung entfacht wird", sprach Diana aus, was Deeplook ihr zudachte. "Das zweite Geheimnis ist, dass ich und jeder vereidigte Leitwächter eines unserer Stützpunkte weiß, dass unter dem Grabhügel von New Grange in Irland die Höhle der höchsten Schätze liegt, in dem das sich selbst weiterschreibende Buch der vollen Namen aller Kobolde bereitliegt. nur ein männlicher, amtlich als Leitwächter bestätigter Kobold und ich können diese Höhle betreten. Kein weibliches Wesen, erst recht keine Menschenfrau oder Halbstämmige kann dort eindringen." Als Diana das ausgesprochen hatte verzog Ladonna ihr Gesicht. Natürlich hatten die Kobolde sich gegen nichtkoboldische Feinde abgesichert. Dennoch fragte Ladonna: "Wer außer Deeplook und seinen Unterführern weiß davon?" Diana hatte den in ihr eingesperrten Geist Deeplooks nun soweit unter Kontrolle, dass sie die Frage nicht als Befehl zum antworten denken musste. Sie sprach aus, dass nicht einmal der Rat der grauen Bärte dieses Buch kannte, das damals vom zweitletzten König aller Kobolde und seinen bedingungslos gehorsamen Schreibern verfasst worden war und mit jedem neuen Weihestein die Geburt eines neuen Koboldes vermerkte. Nur Deeplook und die von ihm ins Vertrauen gezogenen Leitwächter wussten von diesem Buch. Das war das große Geheimnis, wie der Bund der zehntausend Augen und Ohren alle anderen Kobolde beherrschen konnte.
"Das dritte und wichtigste Geheimnis unseres Bundes ist, dass nur der erste König des Erdvolkes die Mitglieder des erhabenen Bundes mit dem Wort des vollkommenen Gehorsams unterwerfen kann, das sonst jeden anderen Kobold zum Gehorsam zwingt." Ladonna nickte.
"Gut, das soll es für's erste gewesen sein", sagte Ladonna, die sah, dass Diana unter dem nun nicht mehr abnehmbaren Helm schwitzte.
Wo es nun feststand, dass Diana Deeplooks Persönlichkeit als zusätzliches Wissen und Erfahrungsquelle in sich eingeschlossen hatte überraschte ihre Königin sie mit einer weiteren Gabe. Sie holte unter einer weiteren Tarndecke einen silbern glänzenden Bogen und einen ledernen Köcher hervor. Sogleich wusste sie aus Deeplooks Erinnerungen, was das war. "Anhors Zauberbogen und die tödlichen Pfeile des Kriegs- und Jagdglücks", seufzte sie. Denn sie wusste, dass sie auf keinen Fall die scharfen Spitzen der im Köcher steckenden Pfeile berühren durfte, da diese mit einer tödlichen Kombination aus Mond- und Feuerzauber belegt waren, der lebende Wesen innerhalb weniger Herzschläge alles Lebensfeuer und damit alle Lebenskraft entzog und alle durch dunkle Zauberkraft wiederbelebten Wesen von innen her verbrennen ließ. Ladonna sah ihre durch den Seelenglashelm aufgewertete Bundesschwester interessiert an. Deeplook versuchte noch einmal, sein Wissen zurückzuhalten. Doch immer wenn Diana mehr wissen wollte sprudelte es aus ihm heraus wie Milch aus einem prallen Euter. So konnte Diana alles berichten, was sie über diese mächtige Waffe wusste, auch dass sie zu den legendären zwölf Schätzen des Nils gehörte, von denen der Bund der zehntausend Augen und Ohren etliche eingesammelt hatte. Ladonna grinste überlegen und erwähnte: "Ich weiß, ich habe dem finsteren Pharao viele davon abgenommen und einige auch selbst erbeutet. Was kannst du mir über diese zwölf Schätze berichten, Schwester Diana?" Die Gefragte schilderte nun, was der Koboldgeheimbund und die Forscher von Gringotts darüber herausgefunden hatten und auch, wann welcher der zwölf Schätze in die Hände der Kobolde gelangt war und welche davon noch an ihren Aufbewahrungsorten versteckt waren. Als sie von einer silbernen Halskette der Isis erzählte, leuchtete es in Ladonnas smaragdgrünen Augen begehrlich auf, um gleich einer heftigen Enttäuschung zu weichen. Denn die Kette der Isis strafte jede Hexe, die sie anlegen wollte, falls diese bereits Leben genommen hatte. Damit war sie für Ladonna unbenutzbar wie für alle Hexen, die bisher noch kein eigenes Kind empfangen und geboren hatten. Was das sogenannte Gnadenbett des Osiris anging wussten auch die fähigsten Zauberforscher der zehntausend Augen nicht, ob es wirklich existiert hatte und falls ja, wie da heranzukommen war.
"Gut, Schwester Diana. Von den Schätzen, die ich von Deeplooks Gehilfen oder dem finsteren Pharao erbeutet habe sollen dir dieser Bogen und die hundert wiederaufladbaren Todespfeile gehören. Was den Stein des Tayet angeht erbitte ich von dir die Hilfe, in jenes ominöse Superhochsicherheitsverlies 007 in Gringotts London einzudringen, um ihn zu finden. Alles andere, was ich schon habe behalte ich einnstweilen für mich, da ich eine Konfrontation mit der Kaiserin der Nachtschatten befürchten muss, so stark wie diese sich mir gezeigt hat."
"Dann konnte sie den Angriff auf die umgekehrte Pyramide überleben?" wollten Diana und Deeplook wissen. Ladonna vermutete es, ging aber davon aus, dass die Schattenkaiserin einen Gutteil ihrer übermächtigen Kraft eingebüßt hatte und diese zunächst regenerieren musste. Diana verstand. Auch verstand sie, wie Ladonna den Bann gegen die durch den Helm übermächtige Seele Deeplooks gewirkt hatte. Deeplooks schwache Gedankenstimme lamentierte, dass er derartig ausgetrickst worden war. Doch mit "Gib Ruhe" brachte Diana den in ihr eingeschlossenen Geist des Gründers der zehntausend Augen und Ohren zum schweigen.
So wechselte der magische Bogen des Anhor und die für diesen gefertigten 100 Todespfeile die Besitzerin. Was von Dianas abgetrennten Haaren und drei von ihren Zehen abgeschnittenen Nägeln passierte verriet Ladonna ihr, als diese sicher war, dass Deeplook wirklich unumkehrbar in Dianas Geist eingeschlossen war. Wenn Ladonna das mit den Flugzeugführern, die die Elektrizitätserzeugungs- und -verteilungsanlagen zerstören sollten nicht zu hastig angegangen hätte wäre sie eine sehr weitreichend denkende, würdige Herrscherin. Doch beide gingen davon aus, dass sie aus den Fehlern gelernt hatte und ihr Ziel, die maschinenhörige magielose Menschheit auf den ihr gebührenden Platz zurückzuweisen, in nicht all zu ferner Zukunft erreichen und mehr als Sardonias Zeit lang die ganze Welt beherrschen konnte. So würde Diana, nun mit Deeplooks Wissen und Erfahrungen in sich in Ladonnas langem Schatten mitwachsen.
Die Spürsteine hatten eine starke Feuerentladung angezeigt, nicht so stark wie damals, als das Haus von Gina Venuti vernichtet wurde. Doch es reichte aus, um einen Trupp Katastrophenumkehrzauberer und Elementarmagieexperten aus beiden Ländern in die Tiroler Alpen zu locken. Bei einer verkohlten Blockhütte fanden sie die halbverkohlte Leiche einer kleinwüchsigen Frau, die entweder Zwergen- oder Koboldvorfahren gehabt hatte. Der neben ihr liegende, wie eine Pechfackel niedergebrannte Zauberstab verriet, dass sie eine Hexe gewesen sein musste. Es kam zu einem heftigen Disput zwischen den Österreichern und Italienern, auf wessen Seite dieses Unglück geschehen war. Die Italiener warfen den Österreichern vor, dass sie mit Hilfe der ihnen ihren Willen aufzwingenden Veelas Jagd auf italienische Hexen machten, weil sie diese für unumkehrbare Handlangerinnen Ladonnas hielten.
"Sollte eine der Veelastämmigen, mit denen ihr paktiert diese Hexe getötet haben ist das eine Kriegserklärung an uns, damit dies mal klar ist", drohte der Truppenführer der italienischen Einsatzgruppe. Dessen österreichischer Berufskollege erwiderte: "So, warum sollten wir mit den Veelas Krieg gegen euch führen? Abgesehen davon wissen wir doch, dass ihr alle nur Marionetten Ladonnas seid. Oder warum glaubt ihr, will die uns diese Hexe als unschuldiges Opfer präsentieren, wenn nicht um einen Kriegsgrund zu erfinden?"
"Wenn diese arme Hexe eine Mitbürgerin Italiens war steht fest, dass sie hier in Tirol wohl ihr Sommerhaus hatte und dass jemand mit starkem Hang zu Feuermagie sie umgebracht hat."
"Klar, starker Hang zur Feuermagie, also die, die sich das Feuer sogar unterwerfen kann, um unschuldige Leute zu willigen Erfüllungsgehilfen zu machen und ganze Großgebäude verglühen zu lassen. Aber wir wollen im Namen einer eher friedlichen Nachbarschaft erlauben, dass ihr rausbekommt, wer diese Hexe war. War sie eine von uns könnten wir euch sogar den Krieg erklären, weil ihr einen Anlass sucht, um Vergeltung zu üben."
"Der Totenerkenner vom Dienst von uns soll sich mit dem von euch, sofern ihr sowas überhaupt habt, zusammensetzen und herauskriegen, wer die Frau früher war. Nicht alles an ihr ist verbrannt", sagte der stellvertreter der Italiener, wofür er sich von seinem Dienstvorgesetzten einen tadelnden Blick einhandelte. Doch dann nickte der Truppenführer der Italiener und erlaubte die gemeinschaftliche Untersuchung der halbverbrannten Leiche.
Nur vier Stunden später wussten die Österreicher und Italiener, dass es sich um Diana Camporosso gehandelt hatte und dass diese wohl an Bergkristallen geforscht hatte, als sie mit einem unentrinnbaren Feuerzauber angegriffen wurde. Italiens Zaubereiminister Pontio Barbanera sollte beschließen, ob es eine Gegenaktion gegen Unbekannt oder eine offene Auseinandersetzung mit Österreich und dessen Verbündeten geben würde. Denn falls die Veelas für diesen Vorfall verantwortlich waren sollten sie nicht ungestraft davonkommen. Die Österreicher hofften, dass es sich erweisen mochte, dass Ladonna diesen Vorfall herbeigeführt hatte. Die früher so hoch gepriesene Rückschaubrille brachte hier keine Einsicht. Denn zum Zeitpunkt, wo Diana verstarb wirkte hier ein Unortbarkeitszauber. Der konnte durch Veelas, Veelastämmige und somit auch Ladonna Montefiori herbeigeführt werden.
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