DIE REISE FÜR DEN FRIEDEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: oberbossel@akbi.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2025 by Thorsten Oberbossel

_________

P R O L O G

Ladonnas Macht ist gebrochen. Vier Jahre hatte sie mit Hilfe ihres einzigartigen wie unheilvollen Feuerrosenzaubers viele Zaubereiministerien unterjocht. Nach ihrer Entmachtung fielen die noch nicht aus ihrem Bann befreiten in einen unaufweckbar erscheinenden Tiefschlaf. Die Ministerien werden bis auf weiteres von außenstehenden Hexen und Zauberern aus der Liga gegen dunkle Künste betrieben. Doch das kann und soll kein Dauerzustand bleiben. Außerdem müssen viele durch Ladonnas Treiben aufgeworfene Fragen abschließend geklärt werden, unter anderem was mit den von ihr gesammelten Zaubergegenständen und Aufzeichnungen geschieht oder was den Umgang mit anderen Zauberwesen wie Kobolden und Veelas angeht.

Nachdem Ladonnas Blutsiegelzauber um den Weinkeller der Girandelli-Villa verfliegt versuchen mehrere Gruppen von Hexen und Zauberern, die dort angehäuften Artefakte und Aufzeichnungen aus aller Welt zu erbeuten. Albertrude Steinbeißer gelingt es mit einem flächendeckenden Betäubungszauber, die Konkurrenten auszuschalten und sich in den Besitz deutscher und altägyptischer Zaubergegenstände zu bringen. Dabei trifft sie eine kleinwüchsige Frau mit gläsernem Helm und silbernem Bogen, die von Albertrudes Betäugungszauber weit fortgeschleudert wird. Die Kleinwüchsige ist die Koboldstämmige Diana Camporosso, der Ladonna kurz vor ihrem Verschwinden den erbeuteten Seelenglashelm des Koboldgeheimbundgründers Deeplook aufgesetzt und dessen darin lauernden Geist Dianas Gedanken und Willen unterworfen hat. Diana will nun Königin der Kobolde und damit Ladonnas Nachfolgerin werden. Sie sammelt mit Hilfe von Deeplooks Wissen überlebende Mitglieder des Geheimbundes der Kobolde um sich. Diese glauben, Deeplook sei der vorherrschende Geist im unfreiwillig angenommenen Körper der koboldstämmigen Hexe. Sie versuchen Gringotts zu übernehmen. Das misslingt, weil einer der Gringottszweigstellenleiter bereits unter dem Bannwort des schlafenden Königs steht und die Aktion an die Ministerien verrät. So bleibt Diana nur, sich nach Afrika zurückzuziehen, wo noch Schlupfwinkel des Geheimbundes sind.

In den USA wird lebhaft diskutiert, ob es nicht ein neues Zaubereiministerium oder einen neuen magischen Kongress der USA geben soll. Diesen bevorzugen die zehn mächtigsten Zaubererfamilien, darunter die Greendales und die Southerlands und arbeiten darauf hin, dieses Ziel zu erreichen.

In Europa ist noch unklar, was mit den ehemaligen Unterworfenen des Feuerrosenzaubers geschieht. Außerdem gilt es, den von Ladonna verursachten Kriegszustand mit anderen Zauberwesen zu beenden. Julius Latierre hofft darauf, einen Frieden zwischen den Menschen und Veelas herbeiführen zu können. Die französische Zaubereiministerin plant eine Rundreise, um mit anderen Zaubereiministerien darüber zu verhandeln. Bevor Julius am 16. März aufbricht erfährt er noch, dass seine Frau Millie und seine mit ihm und ihr in einer Dreiecksbeziehung zusammenlebende Schwiegertante Béatrice gleichzeitig von ihm schwanger geworden sind. Mit dieser Erkenntnis und mit der Hoffnung auf eine europaweite Verständigung zwischen magischen Menschen und Zauberern begibt er sich mit der hochrangig besetzten Abordnung des Zaubereiministeriums auf eine Reise für den Frieden zwischen Menschen und denkkfähigen Zauberwesen.

__________

Es war schrecklich. Er träumte davon, wie er zwischen zwei Frauen im Bett lag. Beide bemühten sich durch innige Liebkosungen um ihn, wollten ihn jede für sich. Für die meisten anderen Männer wäre das ein höchst erfreulicher, anregender Traum. Doch für ihn war es seit seinem Erwachen aus viel zu langem Schlaf der schlimmste Albtraum überhaupt. Denn immer dann, wenn er fast am Gipfel seiner eigenen Wonne ankam, schrie die eine der beiden laut auf und verging in einer Wolke aus flammen, während die zweite mit ihrem makellos schönen Gesicht über ihm hockte und die Vernichtungskraft der Flammen in sich hineinzuatmen schien. Sie wurde schlagartig immer größer, bis ihr roter Mund wie ein riesiger Höhleneingang über ihm gähnte und ihn selbst wie von einem wilden, heißen Strudel gezogen in eine schmerzvolle Dunkelheit hineinsog. Er schrie wie die verbrennende Frau, schrie seine aus der höhe lodernder Leidenschaft auf den eiskalten Grund abgrundtiefer Angst gestürzten Seele. Er schrie und wachte davon auf. Schweiß und Tränen tränkten sein Gesicht und seine Nachtbekleidung. Sein Herz hämmerte mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes gegen seinen Brustkorb. Seine Halsschlagadern drohten unter der Wucht der Herzschläge zu platzen. Sein ganzer Körper zitterte und bebte wie bei einem schweren Bodenbeben. Seine Stimmbänder brannten von den lauten Schreien. Dann wusste er, dass er wieder mal nur geträumt hatte. Er hatte geträumt, von seiner geliebten Frau Carmen Estrella genannt Menchu zum Liebesspiel angeregt zu werden. Dasselbe wollte auch die andere, die übermenschliche Schönheit mit den nachtschwarzen Haaren und den kreisrunden Smaragdaugen, Ladonna Montefiori.

Rodrigo Pataleón keuchte und bibberte. Erinnerungen an seine Frau huschten wie ein Schwarm dahinjagender Fledermäuse durch sein Bewusstsein. Zugleich hörte er sie im Tode schreien, vom siegreichen Lachen Ladonnas beinahe übertönt. Deshalb schlief er seit seinem endgültigen Erwachen am 27. Februar nicht mehr in den geräumigen Wohngemächern des spanischen Zaubereiministeriums, sondern in einem kleinen Sommerhaus bei Toledo, das eigentlich für wichtige Gäste des spanischen Zaubereiministeriums gebaut worden war. Doch im Ministerium wollte er nicht mehr schlafen, wo alles dort an seine verstorbene Frau Menchu erinnerte. Sie war gestorben, als Ladonna ihn und seine wichtigsten Mitarbeiter sowie die Kollegen aus Portugal mit ihrem widerwärtigen Feuerrosenzauber unterworfen hatte. Solange er unter dessen Bann stand hatte er keine Sekunde mehr an Menchu gedacht. Ladonna hatte ihren Platz eingenommen, als Herrin seiner Gedanken und seines Körpers. Doch seitdem er aus dem Bann der Feuerrose erwacht war stürzte die verschüttete Trauer wie ein Schwarm wilder Wespen auf ihn ein und versetzte ihm einen Stich nach dem anderen in die Seele. Aus diesem Grund hatte er gleich nach dem Erwachen seine Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter Fernando Luiz Gotaplata Arbolblanco übergeben, auch wenn Pataleón wusste, dass auch dieser mit seinem befreiten und wiedererwachten Gewissen zu kämpfen hatte.

Ein Blick auf die Wanduhr zeigte ihm, dass es gerade fünf vor drei war. Weil noch kein Morgenlicht durch die schmalen Ritzen des Rollladens schimmerte war es die drei zwischen Mitternacht und Morgendämmerung.

Rodrigo Pataleón erinnerte sich, dass er am 13. März zu einer Anhörung geladen war, auch um zu besprechen, wie die im Ministeriumsgebäude angebrachten Veelavernichtungsvorrichtungen ohne Gefahr für Menschen und Gebäude entfernt werden konnten. Sicher, mit diesen machtvollen Vorrichtungen konnten die Ministeriumsbeamten frei von jeder Belästigung durch Espinela Flavia Bocafuego de Casillas' Abkömmlinge arbeiten. Doch eben diese hatte über ihre zahlreichen Kinder und Kindeskinder Stimmung gegen das Zaubereiministerium gemacht, weil es nicht mehr für alle in Spanien lebenden Zauberwesen erreichbar war. Auch riefen die Sportfunktionäre nach Ignatio Bocafuego, Espinelas Enkelsohn, der die Abteilung für magische Spiele und Sportarten geleitet hatte. Offenbar hatte dessen Nachfolge von Ladonnas Gnaden einiges angerichtet, was sie verärgert hatte. Doch um den Veelastämmigen wieder im Ministerium arbeiten zu lassen mussten eben jene vertückten Vorrichtungen vollständig verschwinden. Die Sache war nur die, dass diese Dinger direkt miteinander verbunden waren. Wurde eines davon berührt, gerieten die vielen anderen Glasvorrichtungen in Aufruhr. Auch deshalb sollte er vor dem seit dem zweiten Dezember 2006 quasi regierenden Ausschuss für einen geordneten Übergang magischer Angelegenheiten auf spanischem Hoheitsgebiet aussagen, was er von der Unterbringung dieser Veelavernichtungsvorrichtungen mitbekommen hatte. Der ministeriumseigene Heiler vom Dienst, sowie der Leiter der Arquibaldo Montemilagros-Station hatten ihm bescheinigt, dass er wegen der erlittenen Verletzungen an seiner Seele nur eingeschränkt belastbar war und er "knapp an der Einweisung in eine geschlossene Verwahrung" vorbeigeschrammt war. Doch diese Neunmalklugen aus der spanischen Sektion der Liga gegen dunkles Zauberwerk drängten darauf, die leidige Angelegenheit endlich aufzuklären und das Kapitel von Ladonnas Fremdherrschaft abzuschließen. Daher hatten sie sich mit ihm zusammen darauf geeinigt, ihn am dreizehnten März anzuhören.

Er fühlte, dass es ihm irgendwie gut tat, daran zu denken, was genau er von der Einrichtung der Veelafallen im spanischen Zaubereiministerium mitbekommen hatte. Er wusste wo genau die kristallischen Zaubergegenstände angebracht worden waren, die immer in Verbindung mit magischem Glas und Lichterzeugungszaubern gehalten werden mussten, um ihr tödliches, in alle Raumrichtungen reichendes Netz zu erhalten, in dem eindringende Veelastämmige je nach Grad der Reinblütigkeit in weniger als zwei Sekunden bis zu zehn Sekunden aus sich heraus verglühten. Zumindest hatte die, die ihn als ihren Leib- und Lustsklaven gehalten hatte, das so beschrieben. Auch hier im Haus von Toledo lauerten ganze zwölf dieser Vernichtungskristalle, die jene verwünschenswerte und hoffentlich in die tiefsten Tiefen der christlichen Hölle hinabgestürzte Furie persönlich eingebaut hatte, um ihn auch hier vor dem Zugriff der sich selbst Kinder Mokushas nennenden Zauberwesen zu schützen. Aus dem aufwühlenden und schmerzenden Gedränge der Gedanken schimmerte für eine Sekunde die erfreuliche Erkenntnis, dass er so jederzeit vor den Machenschaften der Casillas in Deckung springen konnte, wenn er die hier verbauten Vernichtungsvorrichtungen an Ort und Stelle belassen würde. Doch wie sollte er mit den anderen klären, was mit jenen im offiziellen Ministeriumsgebäude zu geschehen hatte? Am Ende blieb ihm doch nur, nicht nur zeitweilig sein Amt abzugeben, sondern es gleich seinem Nachfolger zu überlassen und sich bereitwillig der Obhut der Seelenheiler anzuvertrauen, auch wenn das hieß, dass er nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich entmündigt und enteignet wurde. Die mit Menchu gezeugten drei Söhne und sieben Enkel mochten sich dann auf alles stürzen, was er an Gold und sonstigen Wertsachen angesammelt hatte. Ach ja, es musste ja auch geklärt werden, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen die Eigentümer von Gringotts nach Spanien zurückgelassen werden sollten. Nötig war es nicht, seitdem die Ministeriumsbeamten mit der Hilfe der Rosenkönigin die elementarmagischen Fallen und Schutzvorrichtungen aufgehoben hatten. Doch die Kobolde würden es sich nicht bieten lassen, weiterhin ausgesperrt zu bleiben. Ja, und am Ende hatten die noch was eingebaut, was die von Ladonna angeleiteten Ministeriumszauberer nicht gefunden hatten, etwas wie eine Selbstvernichtungsvorrichtung, die ganz Gringotts Madrid in Schutt und Asche legen konnte und ähnlich wie die Filialen in Australien in einem gähnenden Krater verschwinden lassen mochte.

"Du schuldest uns noch den einen Gefallen", hörte er auf einmal die Stimme jener mehr als fünfhundert Jahre alten Matriarchin der nordgalizischen Meigas. Einen beklemmenden Moment lang dachte er, ob ihm diese Aussage zumentiloquiert worden war oder seine aufgewühlten Erinnerungen diese Ankündigung in sein Bewusstsein gespült hatten. Er erkannte, dass er selbst an diese Aussage gedacht hatte.

Nach der Quidditchweltmeisterschaft in Frankreich hatten seine Frau Menchu und er befürchtet, dass die unerbetene aber höchst wichtige Hilfe der mitgenommenen Meigas entlohnt werden musste. Doch die "Mutter aller Wälder", wie die älteste der Meigas genannt zu werden wünschte, hatte ihn nur einmal zu sich hingebeten und ihm mitgeteilt, dass sie und ihre vielen Töchter und Nichten ihm noch keine Gegenleistung abverlangen würden, weil sie wollten, dass er und seine erwählte Menschengefährtin weiterhin glücklich leben und er somit ohne Last auf seiner Seele sein Amt fortsetzen konnte. Erst wenn er sein Amt nicht mehr ausübte und / oder seine Frau von ihm ging würde sie seine Gegenleistung einfordern. Da hatte sie genau jene Ankündigung ausgesprochen, an die er sich nun so klar erinnerte, als habe sie ihn erst gestern zu sich gebeten. Er war sich sicher, welcher Art die Gegenleistung sein würde. War er bereit, diese zu erbringen? Dann fiel ihm noch etwas ein: Meigas waren mächtige Naturhexen, die aus einer uralten, rein animistisch denkenden Abzweigung magischer Menschen entstanden waren. Sie waren keine Veelastämmigen. Mochte es vielleicht möglich sein, sie um eine weitere Hilfsleistung zu bitten, um die für Veelastämmige tödlich gefährlichen Glasgegenstände zu entfernen, weil ihre Magie eine ganz andere war als die der druidisch-hermetisch zaubernden Menschen? Doch würden die dann nicht erst die noch ausstehende Gegenleistung einfordern? Womöglich hatte er keine andere Wahl, dachte Pataleón und dachte mit einer Mischung aus Unbehagen wie wohliger Erregung daran, wie er die übliche Gegenleistung für erbetene oder unerbetene Hilfe durch Meigas entrichten würde.

"Die de Casillas macht gegen mich und alle anderen mobil. Sie hat verdammt viel Einfluss. Diese Veelavernichter müssen weg, sonst bringt sie uns noch dazu, das Ministeriumsgebäude in Madrid aufzugeben", dachte Pataleón. Dann beschloss er für sich alleine, vor der in zwei Tagen stattfindenden Anhörung zu klären, ob ihm die Meigas helfen konnten und wollten.

Als er sich sicher war, dass er in der Rolle des Bittstellers nach Galizien reisen konnte, ohne zu wissen, ob ihm die erbetene Hilfe überhaupt gewährt wurde fand er genug innere Ruhe, um die bis zum Läuten seines Weckers verbleibenden Stunden zu verschlafen, ohne dass er diesen immer wiederkehrenden Albtraum noch einmal durchleiden musste. Vielleicht konnten ihm die Meigas auch dagegen helfen.

__________

Pontio Barbanera hatte sich entschlossen, seinem verfehlten Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen. Dass er nicht mehr Zaubereiminister bleiben würde war schon seit dem 27. Februar klar. Jetzt schrieben sie schon den 12. März 2007, und trotz der Vereinbarung mit den Mitgliedern der Liga gegen dunkle Künste Italiens, dass er bis zu einer offiziellen Verhandlung über seine Rolle während der bald drei Jahre unter Ladonnas Einfluss nur suspendiert, aber nicht vollständig seines Amtes enthoben wurde wusste er, dass er nur drei Auswahlmöglichkeiten hatte. Entweder ließ er sich attestieren, dass er sich wegen der erlittenen Seelenschäden in eine unbefristete, stationäre Behandlung begab, mit oder ohne Ruhestandsgeld weit ab von allen Machtbefugnissen sein noch an die hundert Jahre dauerndes Leben fristen musste oder im schlimmsten Fall wegen höchst schädlicher Fahrlässigkeit beim Umgang mit Ladonna Montefiori eine an der Zahl ihrer von ihm zugeführten Opfer gemessene Zeit in Haft genommen oder gar exemplarisch und öffentlich hingerichtet wurde. Dann, so Barbanera, wollte er lieber selbst bestimmen, wann und wie er sein Leben beendete.

Er hatte unter dem Vorwand, seine alte Heimat bei Bologna besuchen zu wollen, um durch die Erinnerung an seine unbeschwerte Kinderzeit einen seelischen Ausgleich zu finden, bevor die am 15. März stattfindende Anhörung über seine weitere Zukunft befinden sollte. Tatsächlich aber war er mit drei Appariersprüngen an eine Steilküste auf Sardinien gereist, von der er aus gerne dem urgewaltigen Treiben der Meereswellen zugeschaut hatte. "Aus dem Wasser werden wir geboren, ins Wasser kehren wir dereinst zurück", dachte er an einen Ausspruch, den seine Großmutter Felicia damals geäußert hatte, als sie ihren Mann Luigi dem Meer hatte übergeben lassen. Ja, so sollte es sein. Ein Sprung über hundert Meter in die Tiefe, der Einschlag ins Meer, womöglich der Aufschlag auf den von der Branndung abgeschmirgelten Felsen, und er war alle Last und Sorgen los. Da er selbst keine Kinder hatte würde sein Vermögen wohl in den allgemeinen Haushalt einfließen. Er hatte dann nichts mehr damit zu tun.

Es war jetzt halb drei in der Frühe. Hier waren nur er, das rhythmisch rauschende Meer, die uralten Felsen und ein unendlich erscheinender, sternenklarer Himmel über ihm. Der Mond tauchte die an- und abrollenden Wellen in silbernes Licht. Die Schaumkronen der an der steilen Felswand zerschellenden Wogen glitzerten wie Feenlicht im Schein der nächtlichen Hüterin Luna. Pontio Barbanera lotete mit seinem Blick die Tiefe aus. Wenn er den richtigen Zeitpunkt erwischte konnte er bei einer zurückrollenden Brandungswelle auf einem der davon freigelegten Felsbrocken aufschlagen, mehr als hundert Meter unter ihm. Er würde noch einige Sekunden freien Flug genießen, den letzten Flug seines mehr als fünfzig Jahre langen Lebens.

Er blickte sich schnell um und lauschte. Hier war gerade niemand. Und den ihm angelegten Aufspürstein hatte er bei seiner zweiten Zwischenstation in Bologna von sich abgelegt und mit einem vorher bezauberten Stein zusammengelegt, der eine Kopie seiner Lebensaura aufgeprägt bekommen hatte. Also würden die, die meinten, seinen Aufenthaltsort überwachen zu müssen, davon ausgehen, dass er wahrhaftig die nächtliche Stille in Bologna genoss. Nur ein wenig bedauerte er es, dass er die wärmende Sonne nie wieder aufgehen sehen würde. Doch wenn er seinen Entschluss ausführen sollte durfte er nicht länger warten.

Er trat nahe an die Kante der Klippen heran und blickte in die tödliche Tiefe hinab. Wie der Atem eines urgewaltigen Ungeheuers rauschte das regelmäßige Kommenund Gehen der meterhohen Brandungswellen ihm entgegen. Das würden die letzten Geräusche sein, die er hören würde. Sollte er mit offenen oder geschlossenen Augen in den selbstbestimmten Tod springen? Ja, er wollte mit geschlossenen Augen springen, und sich ganz und gar dem schwerelosen Flug, dem aufkommenden Fallwind und dem ihm entgegenklingenden Tosen der Wellen überlassen. Er passte die richtige Sekunde ab, dass er dann dort unten ankommen würde, wenn die Brandung neuen Anlauf nahm. Entweder fand er gleich beim Aufschlag den Tod oder dann, wenn ihn die nächste ungestüme Welle gegen die Wand schlug. Er fühlte überhaupt keine Furcht davor. Er ging davon aus, dass dieser unumkehrbare Weg ihn von allen Schulden und Lasten befreien würde. Denn er glaubte weder an den christlichen Himmel noch an die Hölle. Als Zauberer hatte er diesen Jenseitsvorstellungen nie was abgewinnen können. Denn für die Christen war jede Zauberei Teufelswerk.

Gerade donnerte eine drei Meter hohe Woge gegen die steile Felswand und brach sich laut rauschend in abertausend kleine Wasserfontänen und einen aufschießenden Sprüh aus Salzwasser, als Pontio Barbanera den entscheidenden Sprung vollführte. Kopfüber stürzte er nun von der Felskante weg in die Tiefe hinab. Wie beschlossen hielt er seine Augen geschlossen. Er fühlte die Schwerelosigkeit des freien Falles, merkte, wie der erzeugte Fallwind sein Haar und seine Kleidung zerzauste. Immer schneller fiel er dem sicheren Tod entgegen. Das Tosen der gerade wieder gegen die Felsen drängenden Brandung wurde lauter und lauter.

__________

Ein leises aber hektisches Bimmeln weckte den ältesten Angehörigen der italienischen Sektion der Liga gegen dunkles Zauberwerk aus einem höchst chaotischen Traum. Doch als Bonifatio Montecello sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte und sich umblickte stellte er fest, dass es noch drei Stunden zu früh für den regulären Wecker war. Dann sah er die immer noch hektisch bimmelnde Glocke. Das war die Rufglocke seines Ligakameraden Francesco Torregrande, der nach einem Auslosungsverfahren die Geschäfte des zeitweiligen Zaubereiministers innehatte. "Ich bin wach!" rief Montecello. Die Glocke verstummte. Montecello stemmte sich aus seinem wohlig warmen Bett hoch und tastete mit den füßen nach den flauschigen Hausschuhen. Er fand sie und schlüpfte hinein. Dann eilte er für sein Alter sehr schnell und energisch aus dem holzgetäfelten Schlafzimmer in sein Studierzimmer. Dort blickte er die hellblau gefärbten Vorhänge vor Zweiwegspiegeln an. Er zog jenen vor dem für Torregrande zuständigen Spiegel bei Seite und sah den Kollegen sofort von einer Aureole aus Kerzenlicht zurückblicken. "Ui, nur eine halbe Minute vom Rufton bis zum Erscheinen, Bonifatio. Respekt!"

"Keine Schulhofnickligkeiten, Fran, was ist los?" knurrte Montecello. "Barbanera ist mitten in der Nacht losgezogen und laut Körperortungsstein am westlichen Ausläufer von Bologna, wo sein Geburtshaus auf dem Sternenhofhügel steht. Wir sind uns nicht sicher, was er da will."

"Tja, wen hinschicken, nachfragen, fertig", grummelte Montecello. Er mochte es nicht, so abrupt aus dem Schlaf geholt zu werden, wenn was anlag, dass auch von anderen erledigt werden konnte.

"Gut gebrüllt, Löwe! Barbaneras Geburtshaus ist von einem mehrfach gestaffelten Apparierbeschränkungszauber umgeben und noch dazu mit einem Tarnzauber belegt, der es vor ihm unerwünschten Leuten verbirgt. Das wir überhaupt wissen, dass er da wohl sein muss liegt eben nur an dem auf seine Körperaura abgestimmten Ortungsstein. Aber genau das ist wegen erwähnter Tarnung auch nur auf achtzig Metern genau feststellbar. Ich habe deshalb einen Trupp Besenflieger losgeschickt. Die sind aber erst in dreißig Minuten da, weil wir in der Gegend Bologna keine Bereitschaftsmannschaft hatten."

"Ja, und was gibt es neues?" fragte Montecello. Dass ihm jemand Zeit stahl, indem er oder sie ihm Sachen erzählte, die er längst wusste, war die zweite ihn annervende Sache, die seine sonst so gut geübte Selbstbeherrschung erschüttern konnte.

"Das neue ist, dass wir mittlerweile wissen, dass wir die Veelafallen wohl nur mit echt fiesen dunklen Wasserzaubern niederhalten können. Nehmen wir einen dieser verwünschten Kristalle von seinem Platz, will das restliche Netz alles in die Luft jagen, was es umfasst. Wir denken, dass wir zeitgleich alle mittlerweile gefundenen Veelafallen mit dunklem Eis einfrieren und dann wegnehmen können, sobald die mit ihnen verbundenen Beleuchtungskörper abgedunkelt sind, also nur bei Sonnenlicht."

"Ja, und weil diese Kristallkörper Sonnenlicht fokussieren können ist das genau die Zeit, wo sie besonders aktiv sind", erwiderte Montecello ungeachtet, dass nun er seinem Kameraden etwas erzählte, was der längst wusste. Doch Torregrande nickte nur und sagte: "Daher ist es ja so riskant, die Fallenkristalle zu entfernen. Außer jener vaterlosen Tochter, die von Geburt an alle dunklen Wasser- und Eiszauber beherrscht kenne ich nur fünf von uns, die das dunkle Eis zaubern können. Es sind aber nach offizieller Zählung sechsunddreißig Veelafallen im ganzen Ministerium verteilt. Ich frage mich mal wieder, wie die Franzosen es damals geschafft haben, den Pavillon in Genf von diesen Dingern zu befreien."

"Tja, das fragen wir uns alle", grummelte Montecello. "Aber das hat ja auch nicht ganz geklappt. Kann sein, dass da einer von denen den legendären Zeitpaktzauber Temporipactus benutzt hat, um möglichst alle erreichbaren Kristalle zu beseitigen. Aber wir kennen nur zwei von uns, die den können. Außerdem kennen wir ja beide den Preis für seine Verwendung. Am Ende braucht man eine Stunde, um alle Kristalle zu entfernen."

"Ja, das wäre heftig", erwiderte Torregrande. "Deshalb müssen wir das auf jeden Fall so hinkriegen, dass wir die Dinger zeitgleich so runterkühlen, dass wir sie gefahrlos aus dem Ministeriumsgebäude hinausschaffen können. Wenn die Dinger weit genug ... Aber eigentlich ging es doch gerade um Barbanera. Wenn die von mir losgeschickte Truppe sein Geburtshaus enthüllen kann und ihn dort echt findet, was sollen wir mit ihm anstellen?"

"Bin ich der Übergangsminister oder du?" erwiderte Montecello eine Gegenfrage. Dann sagte er noch: "Vielleicht will er dort den Rest der Nacht verbringen, weil er sich dort am wohlsten fühlt. Solange der Körperortungsstein an ihm dranhängt wissen wir doch, wo er ist und wie es ihm geht."

"Ja, aber vielleicht sollten wir ihn doch den Seelenflickern überlassen", sagte Torregrande. Montecello seufzte: "Fran, das Ei ist schon längst gelegt und in Tiramisu verrührt worden. Wenn Barbanera, der unserer Auffassung nach am längsten von Ladonna unterworfen war und am meisten von ihr erfahren hat, von den Seelenflickern behandelt wird könnten die an Erkenntnisse rühren, die besser nur einem kleinen Teil verantwortungsvoller, wissender Leute zustehen. Ja, und scheiß auf die Heilerdirektiven und deren Verschwiegenheitsklausel!"

"Ui, so gossenmäßig habe ich dich aber lange nicht mehr reden hören. Hat die Rufglocke dich aus einem leidenschaftlichen Traum herausgerissen oder was?" feixte Torregrande. Montecello verzog sein Gesicht. Ja, seine Selbstbeherrschung war noch nicht so wach wie es nötig war. So sagte er: "Da wir zwei nicht nur in Gattiverdi die besten Kumpels waren, sondern durch so viele heftige Sachen mussten wirst du das keinem verraten, dass mir gerade die Zunge entglitten ist. Sieh bitte zu, dass du rausfindest, was Barbanera in seinem Geburtshaus anstellt und dass er besser wieder nach Rom zurückkommt. Falls nötig hängt ihm noch einen Ortsverharrungszauber ans Bein, damit er nicht dauernd durch die Gegend appariert!

"Haben wir schon überlegt. Aber dann könnte der auf die Idee kommen, sich in der Toilettenschüssel zu ersäufen, um alles Elend seines Sklavendaseins runterzuspülen."

"Ach ja, und in seinem Geburtshaus kann er das nicht?" entfuhr es Montecello. Francesco Torregrandes Gesicht im großen Zweiwegespiegel verzog sich. "Genau deshalb schicke ich ja gerade die Außentruppe hin, um ihn zu befragen", knurrte er.

"Ja, holt ihn da wieder weg und bringt ihn am besten im Gästehaus mit erweiterten Schutzzaubern unter! Setzt in alle Zeitungen, dass er wegen der anstehenden Hauptanhörung bis auf weiteres von allen Verbindungen abgeschnitten leben muss, um nicht von wem auch immer beeinflusst zu werden!" Dann ärgerte sich Montecello, weil er sich doch dazu hatte breitschlagen lassen, eine Entscheidung zu treffen, obwohl er nicht der Übergangszaubereiminister war. Wegen des fatalen Fehlschlages in der Girandellivilla stand auch er nicht gerade sehr gut da. Ja, es gab einige Mitbrüder und -schwestern, die ihn gerne selbst vor eine Anhörung der Liga gegen dunkles Zauberwerk zitieren würden. Doch die hatte er damit abwettern können, dass die ja gegen den großflächigen Betäubungsbann auch kein Mittel gewusst hatten.

"Soll ich dir mitteilen, was bei der Aktion herumkommt, sofern wir Barbanera noch lebend antreffen und ohne Gewaltanwendung zurückholen können?" fragte Torregrande. "Nur, wenn es eben nicht gelingt, ihn lebend zurückzuholen und sicherzustellen, dass er bis zur Hauptanhörung überlebt", sagte Montecello. "So, und jetzt will ich noch mindestens zwei Stunden schlafen. Der Tag heute wird sicher noch lang."

"Davon darfst du aber ausgehen, Bonifatio", sagte Francesco Torregrande. Dann verschwand sein Gesicht übergangslos aus dem Spiegelglas. Nun sah Montecello sich alleine im Spiegel. Die Verbindung war beendet. Er zog den Vorhang wieder vor den mit Zauberzeichen verzierten Rahmen und kehrte in sein Schlafzimmer zurück. Mit Barbaneras Aussagen stand und fiel die vollständige Aufklärung der Ära Ladonna Montefiori.

__________

Unvermittelt verstummte das immer lauter gewordene Tosen der Brandung. Schlagartig meinte Pontio Barbanera, in körperwarmes Wasser einzutauchen. Völlige Stille umhüllte ihn. Er fühlte seinen Herzschlag, atmete die ihn scheinbar umgebende Flüssigkeit wie die reinste Luft ein und wieder aus. Das Gefühl des schwerelosen Schwebens in jenem warmen Wasser blieb. Er hatte gedacht, dass sein Sprung in den Tod mit einem abrupten, vielleicht noch schmerzhaften Schlag enden würde. Doch als er mehr als zehn Atemzüge lang nichts von einem Aufschlag gefühlt hatte öffnete er seine Augen um nachzusehen, wo denn der tödliche Aufprall geblieben war. Was er sah ließ ihn erschauern.

Er meinte, in einem unendlichen Raum aus smaragdgrünem Licht zu treiben. Nirgendwo war etwas anderes als dieses helle, grüne Licht. Als er seine Arme und Beine bewegte meinte er immer noch, durch wohlig warmes Wasser zu gleiten. Doch er hatte kein Gespür, wo oben, unten, vorne, hinten, links oder rechts war. Er schwamm wie ein kleiner Fisch in einem tropisch warmem Ozean ohne Ufer und Grund.

Offenbar war seine vom aufgeprallten Körper entwichene Seele in einer Art Zwischenwelt gelandet, etwas, in dem er für eine unbestimmte Zeit feststecken mochte, bevor irgendwelche höheren Mächte entschieden, ob er in die Totenwelt eingehen durfte, in einem anderen Körper wiedergeboren werden sollte oder auf Ewig in diesem Zwischenzustand gefangenbleiben musste.

"Wohl wahr, ich sollte dich mit Leib und Seele bei mir behalten und ewig verwahren, unsterblich, unschädlich für dich und alle anderen", hörte er eine aus allen Richtungen zugleich in seine Ohren dringende, in seinem Kopf erhaben nachhallende Frauenstimme sprechen. "Doch wem würde dies nützen? Du sollst weiterleben, helfen, das dunkle Zeitalter Ladonnas zu überwinden und dein eigenes Leben wiederfinden, statt es sinnlos fortzuwerfen und darauf zu hoffen, dass dir die Mächte jenseits aller Welten gewogen sind, dich alles vergessen zu lassen. Daher habe ich dich aufgefangen und trage dich gerade in mir", sprach die unbekannte Stimme weiter.

"Bei allen Gorgonen, Drachen und Chimären, wer bist du?" fragte Barbanera und hörte seine Stimme wie aus einer weiten Halle widerhallen.

"Dies zu wissen steht dir nicht zu. Für dich wichtig ist, dass ich darüber wache, was aus Ladonnas dunklem Erbe wird und dass jene, die ihr dienten, es nicht erneut erwecken sollen, sondern es ein für allemal entkräften und unschädlich machen. Dazu brauche ich dich lebendig in deiner Welt. Ich habe dich wie alle anderen, die Ladonnas Unterworfenen waren aus sicherer Entfernung überwacht. Als ich fühlte, dass du den Entschluss fastest, deinem Leben ein Ende zu setzen, musste ich dich zu mir nehmen. Du hast noch genug zu tun, um Ladonnas Wirken auf der Welt zu überwinden. Ich erlaube es weder dir noch anderen, diese Aufgabe zu verweigern und sich durch Flucht in die Welt nach dem Leben zu entziehen. Daher schicke ich dich in die Welt zurück, damit du alles verrichten kannst, was dir aufgetragen wurde. Hilf mit, einen dauerhaften, tragfähigen Frieden zwischen den denkenden und fühlenden Trägern der hohen Kräfte zu erwirken! Hilf dabei, alle verbliebenen Errungenschaften und Ideen Ladonnas zu entkräften, auf dass sie nicht noch einmal Früchte tragen können! Danach nutze die Gelegenheit, deinem Leben einen neuen Sinn zu verschaffen und führe es solange das allem übergeordnete Gefüge der Kräfte es erlaubt. Trachtest du erneut danach, dein Leben mit Gewalt zu beenden, so verheiße ich dir, dass ich deine Seele nach der Entkörperung in ein niederes Wesen versetze, dessen Leben du dann zu führen haben wirst. Nur wenn du frei von allem Arg und allen Selbstzerstörungsgedanken dein Leben führst und irgendwann friedlich beschließt sei dir der Weg in eine erfüllte Daseinsform der Nachwelt gewährt. So kehre nun zurück und vollbringe, wozu du bestimmt bist!"

Er wollte noch was antworten. Doch da prallte er mit dem Rücken zuerst auf etwas hartes auf. Er fühlte flüchtige Luft um sich, nicht so kalt wie im Winter, aber doch kühler als jenes fremdartige Fluidum, in dem er sich bis gerade eben befunden hatte. Das scheinbar unendliche grüne Licht war erloschen. Er sah durch die haarfeinen Schlitze der zugezogenen Vorhänge das Mondlicht hereinsickern und erkannte an den tiefschwarzen Schatten, dass er in seinem Elternhaus lag, von wo er den dritten Appariersprung ausgeführt hatte. Er fühlte einen harten Gegenstand gegen seinen Rücken drücken und rollte sich herum. Er war genau auf der Verbindung des Körperortungssteines und dem mit der Kopie seiner Lebensaura getränkten Täuschkörper gelandet. Schnell raffte er sich auf und nahm den Ortungsstein an der angeblich nicht lösbaren Silberkette auf. Er legte die offene Kette wieder um sein linkes Fußgelenk und fühlte, wie sie sich wieder schloss. Wenn die ihn hier suchten sollten die nicht wissen, dass er den angeblich geheimen Schlüssel herausgefunden hatte, mit dem die Ortbarkeitsfessel gelöst werden konnte.

Er wollte gerade in das ihm zugewiesene Gästehaus des Zaubereiministeriums zurückkehren, als der auf ihn abgestimmte Meldezauber verriet, dass jemand sich auf fliegenden Besen näherte. Er wusste nicht, wielange er in jener befremdlichen Erscheinungsform gefangen gewesen war, die ihn davon abgehalten hatte, sich selbst den Tod zu geben. Doch er war sich sicher, dass der neunmalkluge Ligabursche Torregrande vor Sorge, warum er jetzt hier in Bologna war, eine Truppe Eingreifzauberer losgeschickt hatte, wo der genau wusste, dass keiner hier in sein Haus hineinapparieren konnte.

Pontio Barbanera erhob sich und ging denen entgegen, die aus reinster Sorge um sein Wohlbefinden zu ihm hingeflogen kamen. Er wusste, dass er nicht noch einmal versuchen konnte, sich diesen Besserwissern und Gelegenheitsergreifern zu entziehen, die ihn und alle anderen ehemaligen Unterworfenen Ladonnas an der langen Leine führten, bis sie befanden, ob sie noch weiter ministerielle Aufgaben erfüllen durften oder nicht.

"Was hat Sie dazu gebracht, mitten in der Nacht nach Bologna zu apparieren?" fragte ihn einer von Torregrandes Kollegen, der bis auf weiteres den Bereich innere Sicherheit verwalten durfte. Barbanera erwiderte: "Ein Traum von meinen Eltern hat mich dazu veranlasst, vom Dach meines Hauses aus die Sterne anzusehen, wie ich es mit meiner für Sternenkunde schwärmenden Mutter immer wieder tat. Ich hoffte so, zur Erkenntnis zu finden, wie es für mich weitergehen soll", sagte er. "Und, haben Sie eine Erkenntnis gefunden?" wurde er gefragt. "Ja, nämlich die, nur noch alle Sachen zu erledigen, die ich gegen meinen Willen mit angerichtet habe und dann zuzusehen, wie Sie oder Ihre neunmalklugen Kameraden von der angeblich gegen alles dunkle Zauberwerk fechtenden Bruderschaft das italienische Zaubereiministerium umstricken", antwortete Barbanera aufsässig. Denn er hatte erkannt, dass er seine Erlebnisse der letzten Stunde gut okklumentieren konnte.

"Bis auf weiteres bleiben Sie bitte in Rom, auch und vor allem zu Ihrer eigenen Sicherheit!" sagte der, der ihn verhörte. "Auch wenn Ihr Elternhaus gegen die meisten unerwünschten Eindringungsformen gesichert ist darf nicht ausgeschlossen werden, dass missliebige Zauberer und vor allem Hexen Ihnen wegen Ihrer Taten im Auftrag Ladonnas zürnen und Sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit entführen oder gleich an Ort und Stelle töten wollen. Bedenken Sie bitte, dass es noch viele unerkannt gebliebene Hexen aus Ladonnas Feuerrosenorden gibt, die nicht zulassen wollen, dass das Werk ihrer achso großen Meisterin zerstört wird!"

"Natürlich, die achso über allem erhabene Weisheit jener kleinen elitären Gruppe, die meint, alles böse in der Zaubererwelt bekämpfen zu können", begehrte Barbanera auf. Dann sagte er: "Aber schön, dass Sie nicht heucheln, es läge Ihnen was an meinem Leben. Ihnen ist doch nur wichtig, was ich aus der Zeit, wo ich unter Ladonnas Zauber stand behalten habe und wie ich für Sie und Ihren Gutmenschenverein von Nutzen bin."

"Warum so aufsässig?" fragte der ihn verhörende jetzt erst. Barbanera hätte ihm dafür fast einen guten Morgen gewünscht, weil der andere scheinbar jetzt erst kapierte, was Barbanera so gegen ihn aufbrachte. Doch er antwortete: "Weil ich weiß, dass Sie mich nur deshalb noch in gewisser Freiheit herumlaufen lassen, weil Sie hoffen, von mir und allen anderen die Antworten zu bekommen, welche eigenen Versäumnisse Sie begangen haben und wie so jemand wie Ladonna Montefiori in Zukunft von Italiens Zaubereiministerium ferngehalten werden kann. Dass ich nie Minister werden wollte wissen sie. Dass ich nach Ihren erhofften Erkenntnissen kein Minister mehr bleiben werde weiß ich. Also was habe ich noch zu verlieren außer meiner Freiheit oder meinem Leben?"

"Auch wenn Sie mich gerade wie einen Feind ansehen gestatten Sie mir, diese Frage mit "Ich weiß es nicht" zu beantworten", sagte der andere ganz ruhig, als habe ihm jemand eine ganz sachliche Frage gestellt. Barbanera kkonnte nicht anders als den Burschen von der Liga gegen dunkle Künste für seine Selbstbeherrschung zu bewundern.

Als er wieder in seinem Gästezimmer war und überlegte, ob es sich noch lohnte, die Stunden bis zum Morgenrot zu verschlafen dachte er wieder an den verhinderten Freitod. Jemand, eindeutig weibliches, wachte über ihn und hatte eingegriffen. Außer jenem smaragdgrünen Licht hatte er nichts von der anderen Wesenheit mitbekommen. Auch hatte ihn beeindruckt, dass er ohne eigenes Zutun von Sardinien nach Bologna versetzt worden war. Er wusste was eine transvitale Entität war und auch, dass jene danach, wie viele entkörperte Seelen sie bildeten im Quadrat zu der Anzahl der eingefügten Seelen stärker als Hexen oder Zauberer sein konnten. Mochte es sein, dass jene, die ihn von seinem Sprung in den Tod abgehalten hatte, aus mehr als zwei Seelen bestand? Dann wäre sie mindestens neunmal so mächtig wie eine lebende Hexe oder ein körperloser Geist von mehr als zweihundert Jahren Daseinsdauer. Ja, mochte es sein, dass dieses überirdische Wesen die Seele Ladonnas in sich aufgenommen und zu einem Teil von sich gemacht hatte? Doch offenbar war Ladonnas Sein dem Gesamtgefüge unterworfen worden, so dass dieses nun alles wusste, was Ladonna je erlernt und erlebt hatte, aber nicht von ihrem Willen gelenkt wurde. Dieses unheimliche, jenseits der Stofflichkeit existierende Wesen wollte, dass Ladonnas Errungenschaften und Hinterlassenschaften unschädlich gemacht wurden. Hieß das, dass es dies nicht selbst erledigen konnte? Offenbar hieß es das, weil es ihn sonst nicht ins Leben zurückgeworfen hätte. Er wusste aber, dass er die Drohung der transvitalen Entität ernstnehmen musste. Wenn die echt mehr als neunmal so mächtig wie eine Hexe aus Fleisch und Blut war konnte sie seine dem Körper entrissene Seele sicher genauso einfangen wie gerade vorhin und bestimmen, ob sie ein Teil dieses Gefüges wurde oder eben in ein anderes, geistig niederes Wesen umgebettet wurde wie bei einem Iterapartio-Zauber. Ja, womöglich konnte sie diese Art von Strafe immer und immer wiederholen, bis er es einsah, dass er so nicht aus der ihm aufgeladenen Verpflichtung freikam. Also musste er helfen, Ladonnas Hinterlassenschaften zu tilgen, angefangen von den im Zaubereiministerium verteilten Veelafallen. Wo die waren wusste er ja ganz gut. Er wusste aber auch, dass nur Ladonna sie hätte entschärfen können, ohne das ganze Ministerium in Schutt und Asche zu legen. Doch irgendwie mussten diese gut versteckten Kristallkörper verschwinden, auch wenn es in Italien selbst keine Veelastämmigen mehr gab, nachdem Ladonna aus der Welt verschwunden war.

__________

Rodrigo Dario Lopez Pataleón nutzte die nächtlichen Stunden zwischen dem 12. und 13. März, um so heimlich er konnte von Toledo in die vor nichtmagischem Zugang abgesicherten Wälder Galiziens zu reisen. Da er anders als Barbanera keinerlei Fernortungsgegenstand am Leibe trug, weil ihm noch immer viele seiner magischen Mitmenschen vertrauten, konnte er frei und unbehelligt auf seinem schnittigen Feuerblitz über die Wipfel dahingleiten, bis er den felsigen Hügel vor sich hatte, der von besonders hohen Pinien umstellt wurde. Schon aus mehr als einer kastilischen Meile entfernung fühlte er die besondere Ausstrahlung dieses Ortes, die ihn wie ein warmer Sommerwind anwehte und auch den hochgezüchteten Rennbesen beeindruckte. Denn das hölzerne Fluggerät erbebte leicht und erwärmte sich, als läge es in der prallen Mittagssonne. Pataleón wusste in dem Augenblick, dass die Hüterinnen des Hügels ihn bereits entdeckt hatten und dass er nur dann dort landen konnte, wenn er die seit Jahrhunderten gültige Opfergabe darbrachte. Tat er es nicht, so würde er dem Hügel nie näher als fünfzig Schritte kommen, ganz gleich aus welcher Richtung er sich näherte. So zog er den schwarzen Opferdolch mit der scharfen, spitzen Klinge aus reinem Obsidian, in dessen Ebenholzgriff die fünf Zeichen der natürlichen Ordnung alter Zeiten eingraviert waren, die Zeichen für Wachstum, Leben, Vergehen, Tod und verrinnender Zeit. Als er den äußeren der fünf Baumringe um den etwa fünfzig mal fünfzig Meter in der Fläche und zwanzig Meter in der Höhe messenden Hügel erreichte ritzte er sich mit der scharfen Spitze des Dolches den linken Arm auf. In kleinen feinen Tropfen rann sein Blut in die Tiefe und regnete zwischen den Bäumen auf den Boden. Die grünen Wächter des "heiligen Hügels" mochten nun dem alten Zauber folgend erkennen, dass ein Bittender mit magischem Blut um Zutritt bat. Behutsam einen Kreis nach dem anderen abfliegend benetzte er mit seinem freiwillig geopferten Blut die vier innersten ringförmigen Reihen der hohen Bäume. Erst als er sicher war, dass er jedem Baum mindestens einen winzigen Tropfen seines Blutes dargebracht hatte wagte sich der um sein Amt fürchtende Zaubereiminister Spaniens in die unmittelbare Nähe des Hügels. Die von diesem ausstrahlende Kraft durchdrang und heizte ihn und seinen Flugbesen immer mehr auf. Dann fühlte er, wie die zugefügte Schnittwunde heftig pochte. Beinahe hätte er den Arm hochgerissen, um zu sehen, was geschah. Doch er wusste, dass dies den Zutritt verderben würde. Er musste es aushalten und darauf hoffen, dass die Hüterinnen des Hügels seine Gabe annahmen und die magische Barriere für ihn öffneten. Dann fühlte er, wie es eiskalt über seinen verletzten Arm strich und wie sein Besen vorwärtssprang. Im nächsten Augenblick schwebte er in nur noch zehn seiner Körperlängen über der Hügelkuppe. Man hatte ihm den Zutritt gewährt.

Weil der Feuerblitz ein überragender Besen für schnelle Flüge und wendige Manöver auf der Stelle war konnte Pataleón auf der Stelle niedergehen und sicher landen. Als seine Füße den felsigen Untergrund berührten erbebte dieser schwach. Pataleón blickte nach oben. Der freie Himmel über ihm flimmerte wie die Luft über einer von der Mittagssonne erhitzten Sandwüste. Die Sterne schienen in abertausend Funken zu zerfallen. Der Mond schien in silberweißen Flammen zu stehen und dabei winzige Bruchstücke von sich in die Weiten des Alls zu sprühen wie eine große, hoch am Himmel entzündete Wunderkerze. Das war das Zeichen, dass er nun so lange auf diesem Hügel verharren musste, bis die Mutter aller Wälder oder eine von ihr ausgesandte Botin ihn freisprach. Tat sie dies nicht, weil er ihr nicht bot, was sie erwartete oder wagte er gar, sie anzugreifen, würde zwischen den grünen Wächtern um den Hügel ein winziger Schößling aus der Erde wachsen und im Laufe der Jahrzehnte zu einem weiteren Getreuen von ihnen heranwachsen, beseelt vom Frevler, der es wagte, die geheiligte Beratungsstätte zu missachten. Da er noch kein Verlangen hatte, selbst zu einem solchen eewigen Wächter zu werden musste er warten, bis er angehört worden war und hoffen, dass es ihm gelang, die Gunst der hier residierenden Königin der Wald- und Flusshexen zu gewinnen. Doch wann würde sie oder ihre Botin ihn hier aufsuchen? Wenn das nicht in den nächsten vier Stunden geschah würde die angesetzte Anhörung ohne ihn stattfinden. War er bis dahin nicht zurück in Madrid würde er als Verweigerer des einberufenden Rates abgeurteilt und aller Ämter und Rechte entledigt. Dann konnte er sich wirklich dazu hergeben, als neuer Wachbaum zwischen all jenen zu verbleiben, die den Hügel mit der natürlichen Magie ihres langen Lebens und ihrer Verbindung zwischen Himmel und Erde schützten.

Er saß von seinem Besen ab und stellte sich so, dass er von oben und aus allen Richtungen gesehen werden konnte. Nun begann das Warten.

Eine halbe Stunde dauerte es, bis er Bewegungen zwischen den majestätischen Baumstämmen sehen konnte. Dann erkannte er die frei in der Luft schwebenden Gestalten, Frauen in einfacher Kleidung mit bis zum Steiß herabreichenden Haarschöpfen. Da gerade der Mond die einzige starke Lichtquelle war konnte er nicht sehen, dass die vier herbeischwebenden Meigas blassgrüne Haut besaßen und dass ihre Augen ockergelb schimmerten. Nur die katzenhaften Pupillen waren deutlich zu erkennen. Dann erkannte er die größte von ihnen, wobei sie gerade einmal 1,70 Meter groß war. Sie trug einen Kranz aus hell im Mondlicht glitzernden Blättern auf dem dunklen Schopf. Auch spürte er die von ihr ausgehende Aura der Macht. Er sah ihr entschlossenes Gesicht und wusste, er hatte es geschafft, die Mutter aller Wälder persönlich zu sich zu rufen. Als die vier Meigas näherkamen fiel ihm auf, dass die drei kleineren und schmächtigeren vom Gesicht her der großen Waldhexe glichen. Sie waren also direkte Blutsverwandte, höchstwahrscheinlich Töchter der Waldkönigin, Meigaprinzessinnen.

In dem Augenblick, als die vier aus den verschiedenen Himmelsrichtungen herangleitenden Meigas den Fuß des Felsenhügels erreichten und diesen hinaufschwebten verfestigte sich das Flimmern des Himmels zu einer silbrigen, größtenteils durchsichtigen Glocke. Die hohen Bäume schimmerten aus sich selbst heraus in einem dunkelgrünen Licht. Pataleón wusste nun, dass die machtvolle Schutzkraft wirkte, die den Hügel und jedes darauf befindliche Wesen vor äußeren Einflüssen, Fernbeobachtung und Fernbelauschung abschirmte, aber jedes Wesen, das keine Meiga war wie in einer von meterdicken Stahlwänden umschlossenen Kerkerzelle festhielten. Er war diesen vier entfernten Basen der grünen Waldfrauen Nordwesteuropas nun auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.

Wie er es gelernt hatte wartete er wortlos und geduldig, bis die vier Meigas die Hügelkuppe erreichten. Die Mutter aller Wälder sah den nächtlichen Besucher an. Er fühlte, wie der Blick ihrer katzenhaften Augen in seinen Verstand eindrang und versuchte sich dagegen abzusichern. "Leiste keine Gegenwehr oder trete den grünen Hütern bei, Rodrigo Dario Lopez Pataleón!" hörte er eine gestrenge Frauenstimme in seinem Kopf widerhallen. Er gab den okklumentischen Widerstand auf und ließ sich gefallen, wie Bilder aller Erinnerungen aus den letzten Monaten durch sein Bewusstsein glitten und er alle Gefühle nachempfand, die ihn in dieser Zeit bewegt hatten. Besonders qualvoll waren die Erinnerungen an die ihrem Zweck dienenden Liebesakte mit Ladonna Montefiori, mit denen sie ihn zu ihrem Statthalter und somit zu ihrer mächtigen Marionette in Spanien gemacht hatte. Diese unerwünschte Rückschau seiner Erinnerungen, die für ihn wie die christliche Hölle selbst anmuteten, dauerte eine unbemessene Zeit. Dann endlich ließ die ihn legilimentierende Meiga von seinem Geist ab. Seine Gedanken, Gefühle und Erinnerungen gehörten nun wieder ihm alleine und waren doch nicht mehr seine ganz eigenen. Er sah die nun keine zwei Meter vor ihm schwebende Mutter aller Wälder vor sich. Er sah die Verachtung in ihrem Gesicht und wusste nicht, wem diese galt, ihm oder Ladonna. Dann sah ihn die ranghöchste Meiga mit einem Ausdruck der Entschlossenheit an, als wolle sie eine getroffene Entscheidung durchsetzen. Dann hörte er ihre körperliche Stimme. Diese klang wie eine sanft auf tiefen Tönen gespielte Klarinette.

"Du warst der Unterworfene jener aus drei Geblüten entstammten Tochter, vor der alle Furcht hatten, die sich ihr nicht beugten oder die ihr zu mächtig waren. Du hast es solange genossen, ihr zu gehören und von ihr besessen zu sein, wie ihr giftiger Rauch in deinem Körper wirkte. Doch ich habe trotz aller Leidenschaften und Liebkosungen, die sie dir zudachte Reue erfasst. Du trauerst um jene, die dir von den deinen als deine Gefährtin zugesprochen wurde, jene, wegen der ich meine neun Schwestertöchter davon abbrachte, die Gegenleistung für die Besänftigung der in Wut geratenen Menschen einzufordern. Doch nun, wo sie nicht mehr ist, weil jene, die ihren Leib nutzte, um sich deinen Leib und deine Seele zu unterwerfen sie getötet hat gilt meine Frage: Was genau willst du nun von uns?"

Pataleón atmete auf, dass sie am Ende doch eine Frage stellte und ihm nicht nur vorbetete, was er alles hatte aushalten und tun müssen. Er dachte an die Veelafallen im spanischen Zaubereiministerium und antwortete: "In jenem Haus, in dem ich mit vielen anderen über die Geschicke unserer Rasse wache, wurde von jener, die mich zu ihrem Unterworfenen erniedrigte eine Reihe von Gegenständen verteilt, die das Blut einer bestimmten Art von Wesen zum verglühen drängt. Da wir in diesem Haus für alle magischen Wesen erreichbar sein müssen hoffe ich, diese Gegenstände unschädlich machen zu können. Doch noch fehlt mir das Mittel, dies zu tun, da sie alle miteinander verbunden sind und sofort Tod und Vernichtung über uns bringen, wenn einer davon entfernt wird." Er dachte an die magischen Kristalle und an das, was Ladonna Montefiori ihm darüber erzählt hatte.

Nach einer halben Minute Pause antwortete die Mutter aller Wälder: "Die sich selbst über so viele andere Wesen erhaben fühlenden Kinder der Mutter aus Sonnenaufgangsrichtung fürchten das innere Feuer ihres Blutes, dass durch die von dir beschriebenen Gegenstände entfacht wird. Sie bedrängen dich, diese für sie tödlichen Dinge zu entfernen, weil einer der ihren in eurem Zaubereiverwaltungshaus arbeitete und seine alte Tätigkeit wiederhaben will, richtig?" Pataleón bejahte dies. ""Es bleibt nur, diese Gegenstände in tiefen Schlaf zu versenken und gleichzeitig voneinander zu entfernen, bis sie weit genug fort sind, um einander nicht mehr zu erspüren und ihr Netz des tödlichen Feuers nicht mehr besteht. Deshalb kommst du zu uns, weil wir die tiefen Geheimnisse der weltformenden Kräfte verstehen und ohne Hilfsmittel lenken können. Doch weißt du auch, dass wir jederzeit auf die Wahrung des Gleichgewichtes zwischen diesen Kräften bedacht sind. Zu viel Feuer könnte das Wasser versiegen lassen. Zu viel Wasser könnte die Wärme aufzehren, die lebende Wesen brauchen. Zu viel feste Erde könnte die Luft zum Atmen rauben und zu viel Luft könnte die Beständigkeit der Dinge gefährden, da sie danach drängen könnten, wie die Luft selbst zu werden, frei und flüchtig. Beschreibe mir noch einmal genauer, welche Gegenstände dies sind und was jene, die dich durch leidenschaftliche Nähe unter ihrer Herrschaft hielt darüber berichtet hat!"

Während er nacherzählte, was Ladonna ihm über die Veelafallen erzählt hatte sah er diese genau vor sich, meinte sogar, Ladonnas Stimme selbst zu hören und konnte Veelastämmige sehen, die von gleißenden Lichtlanzen getroffen aus sich heraus in hellroten Feuerwolken vergingen. Natürlich wusste er, dass die Mutter aller Wälder ihn gleichzeitig legilimentierte. Doch es bekümmerte ihn nicht. Endlich hatte er alle Fragen der obersten Meiga beantwortet. Sie hob ihre Arme und vollführte eine Geste zum Himmel und zur Erde. Dann sagte sie: "So wie du uns die Gegenstände beschrieben hast besteht die große Hoffnung, diese ohne Schaden für Lebenund Gebäude zu entfernen. Doch für jeden dieser Gegenstände muss eine von uns dort hin und sich selbst gegen die lauernden Kräfte dieser gläsernen Tötungsvorrichtungen abgesichert sein. Der Einfall, jeden Gegenstand mit einem Zauber ewigen Eises mitternächtiger Länder einzuschläfern ist gut, doch reicht nicht lange genug aus, wenn sie bei Tageslicht entnommen werden sollen. Unsere Lieder der schlafenden Feuer und der im Schoße der Erde ruhenden Sonne, die nur wir singen können, vermögen da mehr auszurichten. Doch wenn wir, die wir eure Welt der Steinhäuser und Metallgegenstände nicht benötigen, helfen sollen, diese für die Kinder Mokushas tödlichen Gegenstände zu entfernen und unschädlich zu machen, so werden wir dies nur tun, wenn du und von mir auserwählte Kinder deines Volkes bereit sind, uns dafür neues Leben zu verschaffen. Du erinnerst dich noch, dass neun meiner Schwestertöchter darauf hoffen, deine Saat neuen Lebens in sich aufzunehmen und zu neuen Kindern auszureifen. Da sie euch damals halfen, ohne direkt darum gebeten worden zu sein konnte ich dieses Ansinnen als bis auf weiteres nicht zu erfüllen erklären. Doch wenn du uns nun eindeutig und als freier und ungebundener Mann darum bittest, dir zu helfen, so kann und werde ich eine Gegenleistung von dir und von mir erwählter anderer freier Männer einfordern. Dessen sei dir bewusst!"

"Ich kann nur über meinen eigenen Körper befinden, nicht über die von anderen", sagte Pataleón.

"So wirst du mir verweigern, mir welche auszusuchen, die mit von mir erwählten Töchtern oder Schwestertöchtern neues Leben zeugen?" fragte die Mutter aller Wälder. "Ich darf nicht befehlen, dass jemand sich dafür bereitfindet, nicht per Auswahl und nicht per Anfrage", erwiderte Pataleón, der jetzt fürchten musste, keine Hilfe zu erhalten.

"Ich verstehe. Deine Macht reicht nur so weit, das Handeln und den leblosen Besitz der anderen zu bestimmen, nicht wer ihre Kinder bekommen soll und wer nicht. Dann ist deine Macht sehr beschränkt, Rodrigo Dario Lopez Pataleón. Doch dies erfuhr ich bereits vor drei mal zehn mal zehn Sonnenkreisen von einem, der sich ebenfalls höchster Rat der magischen Menschen nannte. Ich wollte nur wissen, wie ehrlich du bist und ob du wahrhaftig nicht mehr Macht hast als jener von damals. So verfüge ich, die im Gegensatz zu dir über jede einzelne meines Volkes gebieten kann, solange ich ihr nicht Leben oder Lebensgrund entreißen will, dass du mit jeder meiner jüngsten Töchter je drei Töchter zeugen mögest, und zwar in der Zeit von sieben Sonnenkreisen. Hierfür verlange ich den Eid an die grünen Urmütter und -väter dieser Wälder und an die erste aller Mütter, die Erde selbst. Erst dann werden wir dir helfen. Brichst du den Eid, so wirst du selbst zu einem Sohn der grünen Geschwister, deren belebende Kraft aus Sonne, Wasser und Erde vereint wird und die die Luft mit belebendem Odem verstärken, der alles nicht verwurzelte Leben erhält."

"Und wenn ich die Hilfsleistung nicht beanspruche, weil mir dein Preis zu hoch erscheint?" wollte Pataleón wissen. "So magst du frei von Hemmnis und Beschimpfung diesen Ort verlassen und zusehen, dass du und die deinen die von dir beschriebene Gefahr alleine aus der Welt schafft. Doch dann darfst du zeit deines Lebens keine weitere Hilfsanfrage an mich oder eine meiner treuen Schwestern und Töchter richten, ohne wegen Undankbarkeit bestraft zu werden. Auch mag dir und den deinen widerfahren, dass Ladonnas tödliche Hinterlassenschaften sich gegen ihre Entmachtung wehren und alles um sich herum mit sich in die Vernichtung reißen. Bedenke auch dieses, Rodrigo Dario Lopez Pataleón!"

Die, die das Ministerium mit mir zusammen verwalten hoffen darauf, dass dunkles Eis die Veelafallen lange und stark genug lähmt, um sie weit genug voneinander fortzuschaffen. Ihre Erfahrung ist groß, sodass ich auch hoffen kann, dass sie recht haben", erwiderte Rodrigo Pataleón ganz ruhig.

"Nach allem, was dir jene erzählt hat, die sich zur Königin aller Länder aufschwingen wollte?" fragte die Mutter aller Wälder mit gewissem Unwillen. "Gerade weil diese mich unter ihren Willen zwang und sich meines Körpers und meiner Seele bediente fällt es mir schwer, mich auf einen Handel einzulassen, bei dem mein Körper oder besser mein Samen als Zahlungsmittel eingefordert wird", erwiderte der spanische Zaubereiminister. Doch dann sah er vor seinem geistigen Auge, wie zwei flache Kristallkörper zu sonnenhellen Leuchtscheiben anwuchsen und im nächsten Moment alles in ihrem Umkreis zu Asche verbrannten. Konnte er es sich wirklich erlauben, auf etwas zu verzichten, dass diese Gefahr wirksam verhinderte? Sicher, dunkles Eis bei tiefer Nacht konnte diese Kristalle blockieren. Doch die waren in der unmittelbaren Nähe von Leuchtkristallsphären angebracht, deren Lichtzauber sie als Kraftquelle nutzten. Das hieß, dass dunkles Eis nicht vollständig wirken konnte. Dann gab er sich einen Ruck. Wenn er es richtig hinbekam und die drei, offenbar jene, die die Mutter aller Wälder mitgebracht hatte, in der fruchtbaren Phase waren beschlief, konnte er das mit den je drei Töchtern in sieben Sonnenkreisen hinkriegen. Er war doch jetzt frei von ehelichem Eid, ein Witwer, der mit jedem humanoiden weiblichen Wesen seiner Wahl verkehren durfte, wann, wo und wie er wollte. Außerdem mussten die anderen nichts davon wissen, was genau er hatte versprechen müssen. So sagte er: "Im Namen der magischen Menschen Spaniens und ihres Rechtes auf Frieden und Sicherheit bitte ich Euch um die Hilfe, die von Ladonna im Zaubereiministerium angebrachten Vernichtungskristalle zu beseitigen. Ich biete euch dafür mein Fleisch und Blut, vereint in eurem Fleisch und Blut, wenn ihr dies von mir verlangt."

"So sei es, dass du uns hier und jetzt den feierlichen Eid im Namen von Sonne, Mond, Wasser und Erde leisten wirst, dass du die von mir verkündete Gegenleistung erbringen wirst oder nach sieben Sonnenkreisen einer der grünen Wächter dieses erhabenen Hügels wirst, bis die Sonne erlischt und die Erde zu himmlischem Staube zerfällt", sagte die Mutter aller Wälder. Dann nahm sie Pataleón einen neuerlichen Bluteid ab, den sie mit eigenem Blut bestärkte. Eine ihrer Töchter holte noch einen Pinienzapfen hervor, porkelte einen der Kerne heraus und hielt diesen unter Pataleóns gerade wieder blutende Hand. "An diesen Keim der grünen Geschwister binde ich dein Sein. Sei dein Schwur bindend und unauflöslich, solange die Gestirne diese Welt umkreisen!" beschwor die Mutter aller Waldfrauen. Rodrigo Pataleón fühlte, wie jeder auf den freigelegten Pinienkern fallende Blutstropfen einen Teil seiner Kraft entzog. Die Meigas machten wahrhaftig Ernst und verbanden sein Leben mit dem jenes noch nicht aufgekeimten Pinienbaumes. er hörte die vier Meigas eine schöne, völlig außerhalb europäischer Tonskalen klingende Anrufung singen. Als der Pinienkern dann leicht glühte stießen sie alle ein lautes Befehlswort aus. Rodrigo Pataleón meinte, gleich von einer schlagartig angewachsenen Schwerkraft zu Boden gerissen zu werden und dass alle ihn umgebende Luft zu flüssigem Honig wurde. Er keuchte und kämpfte wild erzitternd um seine aufrechte Haltung. Dann endlich war der Akt der magischen Vereidigung beendet. Er hatte seinen Körper als Unterpfand eingesetzt, damit die Veelafallen in Madrid und Toledo gefahrlos beseitigt wurden. Er würde nicht verhindern, dass seine Leute die meigas zu sehen bekamen. Doch er würde diesen erklären, dass die Meigas von sich aus darauf ausgingen, alle Vernichtungsmittel zu beseitigen, die alle menschengestaltlichen Wesen bedrohen mochten. Ja, so konnte er das vermitteln. Doch er wusste nun auch, dass er gerade mal sieben Jahre Zeit hatte, die von ihm verlangte Leistung zu erbringen. schaffte er dies nicht, würde seine Seele in den Pinienkern überspringen, der mit seinem Blut getränkt worden war und nun in bezaubertem Erdreich eingegraben warten würde, bis die sieben Jahre verstrichen waren.

Nachdem der etwas anrüchige Handel besiegelt war verschwanden die drei Begleiterinnen der Mutter aller Wälder. Diese sah ihren künftigen Schwiegersohn und Vater von neun erhofften Enkeltöchtern an und meinte: "Sage jener, deren Tochtersohn für dich tätig ist, dass sie und ihresgleichen die unsichtbaren Grenzen unserer Reiche achten sollen. Denn wenn sie meint, wieder mächtig zu werden, nachdem ihre Widersacherin Ladonna nicht mehr in der Welt ist, so könnte es zu einer sehr, sehr unerfreulichen Auseinandersetzung zwischen ihrem Volk und meinem Volk kommen! Sage ihr das!" befahl die Mutter Aller Wälder. Dann vollführte sie mehrere Gesten gegen den silbernen Lichtdom, der den Hügel umschloss. Dieser flackerte und erlosch. Dann hob die höchste Meiga ohne Fluggerätschaft oder Flügel ab und glitt lautlos zwischen den wachenden Bäumen davon. Pataleón war sich sicher, dass er nun unangefochten davonfliegen konnte. Er saß auf seinem Besen auf, hob ab und schaffte es wahrhaftig, mehr als hundert Meter über die Hügelkuppe aufzusteigen. Dann flog er über die Wipfel der hier wachsenden Bäume hinweg und beschleunigte bis auf 250 Stundenkilometer. Bis zur Anhörung hatte er noch an die drei Stunden Zeit. Das würde reichen, um nicht zu spät zu kommen.

__________

Die Monate, die er um seines Lebens Willen nicht in die Nähe des Zaubereiministeriums geraten durfte hatte er noch irgendwie mit viel Lesen und der Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen überstanden. Doch nun wo die aus dem Stamm der Mondlichtgeborenen Töchter Mokushas stammende Widersacherin Ladonna Montefiori nicht mehr da war und alle ihre Marionetten frei von ihrem Unterdrückungszauber waren wollte er doch endlich wissen, woran er war. Würde Ignacio Lucio Bocafuego Escobar wieder in der Abteilung für magische Spiele und Sportarten arbeiten? Würde er gar diese Abteilung leiten dürfen wie vor dem 15. März 2006? Das wollte er endlich wissen.

Noch aber gab es jene tödlich gefährlichen Vorrichtungen in den Ministeriumsgebäuden, die auf die magischen Besonderheiten von Veelablut wirkten und je nach Grad der reinen Abstammung von Mokusha innerhalb einer Sekunde oder innerhalb von mehreren Dutzend Atemzügen den Garaus machten.

Am Morgen des 14. März 2007 christlicher Zeitrechnung las er im Haus seiner Großmutter Espinela Flavia Bocafuego de Casillas die von den Anverwandten zugeschickten Ausgaben der drei führenden Zaubererweltzeitungen Spaniens, Mundo Mágico, Sombrero des Noticias und El Caballo Volador. Alle drei Nachrichtenblätter berichteten über die am Vortag veranstaltete Anhörung im Zaubereiministerium. Es ging darum, ob die am 27. Februar aus langem Schlaf erwachten Unterworfenen Ladonnas von allen für sie verübten Untaten freigesprochen wurden, ob sie deshalb nur ihre Ämter abzugeben hatten oder ob sie gar vollumfänglich für alle unter Ladonnas Zauber verübten Taten verurteilt und bestraft werden sollten. Ganz nebenbei sollte es auch darum gehen, die von ihr im Ministerium zurückgelassenen Vorrichtungen zu entfernen, mit denen unter anderem Veelastämmige abgewehrt und vernichtet werden konnten. Nicht wenige der bei der Anhörung auftretenden, sich für die einzig wahren und berufenen Verwalter des Übergangs haltenden Magier wollten diese Vorrichtungen lassen wo sie waren, weil so weitere Einflussnahmeversuche von Veelastämmigen wie Ladonna von vorne herein verhindert werden konnten. Außerdem, so wurde eine Hexe aus der sich als Liga gegen dunkle Künste bezeichnenden Gruppierung zitiert, sollte sowieso beschlossen werden, alle Zauberwesen in ihre Ursprungsländer zurückzuschicken, weil was für die Kobolde gelte ja auch für die aus der Region Ost- und Südosteuropa stammenden Veelas gelten mochte. Wieder andere wiesen darauf hin, dass die von Ladonna in den Ministeriumsgebäuden angebrachten Vorrichtungen untereinander vernetzt waren und allein der Versuch, eine davon von ihrem Platz zu entfernen eine vollständige Zerstörung herbeiführe. Solange nicht eindeutig geklärt werden könne, wie alle diese Vorrichtungen gefahrlos entfernt werden konnten störten sie eben "nur" die Veelastämmigen, und die hätten ja in den letzten Monaten keine Sorgen leiden mögen, ja schliefen sicher noch, weil dies die einzige wirksame Möglichkeit sei, einen unbestimmt langen Zeitraum zu überdauern, wie "Die sieben von der entrückten Insel", die viele Jahre Lang auf einer von einem dunklen Magier zur Unbetretbarkeit und Unentrinnbarkeit verwünschten Insel hatten ausharren müssen, bis jener dunkle Fluch aufgehoben werden konnte, was an die 100 Jahre dauerte. Ein Gutteil der Übergangsverwalter bekannte sich jedoch zu der Gleichberechtigung aller friedlichen Zauberwesen gemäß der Scamandereinteilung für eigenständig handelnde, sprachfähige Zauberwesen und forderten, dass auch den Veelastämmigen, die seit mehr als 200 Jahren in Spanien lebten, wieder der freie Zugang zu den Ministeriumsgebäuden ermöglicht werden müsse. Zwar sei die Gefahr durch die untereinander verbundenen Vorrichtungen sehr groß, doch sei es nicht das erste Mal in der Geschichte der magischen Welt, dass scheinbar unüberwindliche Gefahren beseitigt werden konnten. Allerdings mochte es nicht nur eine Frage der Methode sein, sondern vor allem der dafür benötigten Zeit, so die Pressesprecherin der Übergangsverwaltung. Dann ging es um die befragten Ministeriumsbeamten, welche Anweisungen sie hatten ausführen müssen und inwieweit sie nicht verhindern konnten, dass südamerikanische Zaubereiministerien ebenfalls von Ladonnas dunklem Zauber unterworfen wurden. Ignacios Großmutter Espinela, die vor wenigen Minuten noch die aufgehende Sonne begrüßt hatte, wies darauf hin, dass wohl vieles nicht in den öffentlichen Nachrichtenverbreitern erwähnt wurde, so zum Beispiel, dass sich Ladonna ihre Untergebenen wohl auch durch geschlechtliche Handlungen gefügig gemacht hatte, um mit ihnen eine in jede denkbare Entfernung reichende Gedankenverbindung zu errichten. "Das werden uns die achso klugen Fachzauberer für finsteres Zauberwerk nicht auf die Nasen binden, dass wir Kinder Mokushas, wenn wir es darauf anlegen, dem Weg unserer Urmutter zu entsagen und riskieren wollen, irgendwann im ewigen Fluss der rastlosen Seelen zu landen, kurzlebige, die besondere Gegenstände zur Ausrichtung und Verstärkung von Zauberkraft nötig haben, durch Liebkosungen und den Beischlaf an uns binden können. Da könnte manche von uns auf sehr abwegige Einfälle gebracht werden."

"Ja, aber hier steht, dass der Minister auf Abruf eingeräumt hat, dass Ladonna ihn nach ihrem Feuerrosenzauber durch weitere "verstärkende Zauber" zu ihrem Statthalter in der spanischen Welt gemacht hat. Das lässt doch schon vermuten, wie sie das gemacht hat", wandte Ignacio ein. Seine Großmutter grinste und meinte: "Na ja, dass wir Kinder Mokushas eine hohe Anziehungskraft und Betörungskraft haben und somit jeden oder jede kriegen können, wen wir wollen ist ja doch vielen bekannt. Deshalb mögen uns ja viele Hexen nicht, und die Zauberer wissen nicht, ob sie mehr Angst vor uns haben sollen oder sich ihren Träumen hingeben, einmal mit einer von uns das Lager zu teilen oder gar in einer kurzweiligen Ehe zusammenzuleben, solange diese kurzlebigen Mannsbilder leben." Ignacio hütete sich davor, ihr zu widersprechen. Denn ihr, die sich damit brüstete, jeden Zauberer auf ihr Wonnelager locken zu können, den sie für würdig hielt zu verraten, dass es durchaus welche gab, die sich ihrer Kraft verschließen konnten schien ihm an diesem Ort und zu dieser Zeit nicht angebracht. Statt dessen wies er auf die Textabschnitte hin, in denen über die mögliche Entfernung der Veelafallen berichtet wurde. Dabei fand sie einen Satz, den er als reine Wunschvorstellung eingeordnet hatte und las ihn laut vor: "Der zur Zeit beurlaubte Zaubereiminister Pataleón sagte aus, dass für die Beseitigung der gegen Veelastämmige wirksamen Vorrichtungen nicht nur Zauberstabzauber erwogen werden, sondern auch die Unterstützung anderer Zauberwesen erhofft werden möge." Sie nickte der Ausgabe des Sombrero des Noticias zu und sagte dann: "Damit meint er diese sangesfreudigen Waldfrauen, die sich für die wahren Naturkinder der iberischen Halbinsel halten und uns Kinder Mokushas mit gewisser Abscheu ansehen. Deshalb hast du das hier wohl als reine Wunschvorstellung abgetan, Ignacio. Üblicherweise meiden diese grünhäutigen Wald- und Flussfrauen von Menschen erbaute Häuser, weil die sie als gegen die natürliche Ordnung wirkend bezeichnen. Du hast doch damals, wo die Quidditchweltmeisterschaft in Frankreich war die Unterbringung der neun galizischen Waldfrauen geregelt. Wohnten die in einem Haus oder unter freiem Himmel?"

"Sie wohnten in den Wipfeln von alten Bäumen, die extra für sie von menschlichem Zutritt freigehalten wurden. Ich weiß das noch, wie ich mit der rotblonden Amazone und der schwarzhaarigen Gartenbauhexe mit Vorliebe für grüne Kleidung geregelt habe, dass die neun Meigas weit genug von allen anderen Unterbringungsstätten unterkamen, weil die keinesfalls in künstlichen Behausungen untergebracht werden wollten. Ich weiß auch, dass drei von denen sich als Nichten ihrer Oberhexe, der Mutter aller Wälder, bezeichnet hatten und versucht haben, mich magisch zu benebeln und ich denen mit meiner ganzen von Mokusha ererbten Kraft widerstehen musste. Ich bin bis heute der Meinung, dass die nicht mal halb so viel Kraft in ihren Versuch gelegt haben wie sie hätten legen können, Abuelita."

"Sie haben deine Grenze ausgeforscht, mehr nicht, weil sie es sich nicht mit dem Zaubereiministerium verderben wollten. Aber sie haben nach diesem Spiel gegen Australien ihren Gesang angestimmt, alle neun zusammen."

"Ja, haben sie, und ich habe drei volle Minuten gebraucht, aus diesem Traum- oder Trancezustand freizukommen, auch dank deiner und Mamitas Hilfe", grummelte Ignacio. Was er während dieses Zustandes empfunden hatte wusste seine Großmutter ja. Ihm selbst war das mehr als peinlich gewesen. Da sagte sie:

"Geh davon aus, dass die sich für was besseres als wir haltenden Wald-, Berg- und Flusshexen aus Galizien, die nur eine Abart der grünen Waldfrauen aus Nordwesteuropa sind, sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, zu zeigen, dass sie stärker sind als Ladonnas Magie und uns zugleich in ihre Schuld stellen wollen, weil sie mithelfen können, dass wir wieder ins Zaubereiministerium hineingehen können. Abgesehen davon ist Pataleón der Erbe einer uralten Zaubererfamilie, deren zu ihm hinführende Ahnenlinien große Elementarmagier enthalten. Wie wir Kinder Mokushas sind auch die Meigas davon überzeugt, dass vergangene Großtaten im hellen wie dunklen in das Blut der Nachgeborenen eingefügt werden und somit an alle nachgeborenen Geschlechter weitervererbt werden können und je nach Umfeld und eigenen Bestrebungen erwachen oder bis zum nächsten Nachkommen weiterschlummern. Sicher hat Pataleón schon für die unerbetene Hilfe von damals bezahlen dürfen. Falls nicht, könnte die lebende Mutter der Meigas die noch fällige Gegenleistung mit höhrem Zins einfordern, wenn sie ihm hilft, die gegen uns wirkenden Träger des gläsernen Lichtes zu entfernen, die auch in der Schweiz gewirkt haben."

"Du meinst, sie könnten Nachkommen von ihm oder seinen Söhnen einfordern, Abuelita?" stellte Ignacio eine überflüssige Frage. Denn naturverbundene Wesen würden kein Gold oder keine in Zivilisationen gültige Entlohnung verlangen. Espinela nickte verdrossen. Ignacio meinte zu wissen, woran sie gerade dachte und hütete sich, sie das merken zu lassen. So sagte er schnell: "Dann wird sich dieser selbsternannte Übergangsrat entscheiden müssen, ob er die Träger des gläsernen Lichtes entfernen lassen will oder nicht und ob Pataleón den dafür fälligen Preis bezahlen soll oder nicht oder ob Pataleón und alle rein menschlichen Abteilungsleiter entlassen werden sollen um unbelasteten Hexen und Zauberern Platz zu machen. Kann sein, dass ich dann auch außen vor bleibe. Vielleicht gehe ich dann doch wieder zu den Tormentosos und picke mir da eine einträgliche Betätigung raus."

"O nein, das tust du nicht, Nietito mio! Du wirst dich bereithalten, in die Abteilung für magische Spiele und Sportarten oder in die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe zurückzukehren und dort für mich und alle deine anderen aus Mokushas warmem Schoß nnachgeborenen zu handeln!" sprach Espinela mit sehr strenger Stimme. Ignacio fühlte die Kraft dieser unmissverständlichen Anweisung, gegen die sich keiner von ihr abstammender auflehnen konnte, weil die Rangordnung des Blutes dies verhinderte. So blieb ihm nur, bestätigend zu nicken und zu sagen, dass dies nur dann möglich sei, wenn die Träger des gläsernen Lichtes vollständig aus den Ministeriumsgebäuden entfernt würden und sich die, die eine Aussiedlung der nicht ursprünglich in Spanien entstandenen Zauberwesen wünschten nicht durchsetzen konnten. Er wagte es jedoch zu vermuten, dass die Meigas genau das als eine der Gegenleistungen verlangen mochten, wenn sie die Träger des gläsernen Lichtes beseitigten, nämlich, dass Veelastämmige nur noch ins Ministerium hineingelassen werden sollten, um ihre Auswanderungsdokumente zu erhalten, mit denen sie nach Bulgarien, Rumänien, die Ukraine oder Russland zurückkehren sollten, falls sie nicht auf Mokushas Insel Zuflucht nehmen wollten wie die russischen Veelas, die von Ladonnas Handlangern dorthin vertrieben worden waren.

"Das werden die nicht wagen. Wir sind alle hier auf der Peninsula Iberica geboren worden. Wo ein neues Herz frisches Blut durch neue Körper treibt ist die Heimat und bleibt sie auch", schnaubte Espinela und warf ihrem Enkel tadelnde Blicke zu. Ja, er hatte sie offenbar doch an einer schmerzhaften Stelle gepiesackt. Doch so wie sie ihn anfunkelte konnte und durfte er sich nicht darüber freuen. Sie verwies auch darauf, dass eine von Himmelsglanzes Enkeltöchtern genau deshalb zur Untäterin geworden war, weil sie mit ihrem auserwählten frei und unbehelligt in ihrem Geburtsland weiterleben wollte. Natürlich kannte er diese Geschichte.

"Diese Wald- und Flussfrauen werden diesen überheblichen Kurzlebigen im Zaubereiministerium nur helfen, wenn sie möglichst viel dafür zurückbekommen. Wir werden dafür sorgen, dass unsere Rechte gewahrt bleiben und wir in unserer Heimat bleiben dürfen. Sollten diese Wald- und Flussfrauen unsere Vertreibung verlangen, so heißt das Krieg mit diesen grünhäutigen Biestern", fauchte Espinela Flavia Bocafuego de Casillas. Darauf wagte ihr Enkel nichts mehr zu erwidern, auch wenn er wusste, dass ein echter Krieg zwischen Veelastämmigen und Meigas eine Katastrophe sein würde.

__________

Das Erlebnis mit jener als smaragdgrün leuchtender Ozean empfundenen TVE hatte Pontio Barbanera selbstsicherer gemacht, auch wenn er wusste, dass er aus einer höheren Warte überwacht wurde. So trat er am 15. März hoch erhobenen Hauptes vor die aus zwanzig Zauberern zusammengestellte Gruppe aus dem Rat der Richter und von Ladonnas Einfluss freigebliebener Honoratioren, darunter Professore Dottore Aurelio Bernadetto Eudoro Lagoverde, dem Direktor der Gattiverdi-Akademie für junge Hexen und Zauberer. Er grüßte die Versammlung und wartete eine volle Minute, bis ihm erlaubt wurde, sich auf den bereitgestellten Eisenstuhl zu setzen. Er wusste, dass dieser Stuhl dazu da war, Angeklagte, denen noch dazu eine gewisse Gefährlichkeit zugestanden wurde, festzuhalten wie der goldene Thron des Vulcanus dessen Mutter Juno gefesselt hatte. So erschrak er nicht und begehrte auch nicht auf, dass er kaum dass er saß von aus Lehnen und Stuhlbeinen schießenden Eisenketten umschlungen und gefesselt wurde. Ja, er sah die anderen so an, als sei nicht er der Bedauernswerte, sondern sie alle, weil sie ihn für so unheimlich gefährlich hielten, dass sie ihm nicht nur den Zauberstab fortgenommen sondern auch an Armen, Körper und Beinen festketten mussten, um sich vor ihm sicher zu fühlen. So ähnlich mochten sich alle vor ihm auf diesem Stuhl gelandeten Anwender dunkler Zauber gefühlt haben, die hier in den letzten zweihundert Jahren ergriffen und abgeurteilt worden waren. Er war sich auch sicher, dass sie ihn nicht lebendig im vergrabenen Turm der kalten Tränen vergraben würden, wie die italienische Entsprechung zum nordeuropäischen Gefängnis Askaban genannt wurde. Denn denen ging es darum, alles zu erfahren, was Ladonna ihm beigebracht und von ihm abverlangt hatte.

"Signore Pontio Barbanera, einstmals Mitarbeiter in der Abteilung zur Erfassung, Bestimmung und Haltung zauberischer Wesen aller Macht- und Intelligenzgrade, nach dem Tode des ehemaligen Zaubereiministers Romulo Bernadotti durch die böswillige Erzdunkelhexe Ladonna Montefiori zum ihr unterworfenen Zaubereiminister erhoben, Sie wurden für den Morgen des 15. März, also heute, vor dieses versammelte Komitee der Aufarbeitung der von Ladonna Montefiori beherrschten Zeitspanne gerufen, um alle in diesem Zusammenhang bestehenden Fragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Hierzu werden Sie gleich dem Eid der bedingungslosen Wahrheit unterworfen. Danach werden wir Ihnen all die Fragen stellen, die wir für dringend zu beantworten erachten und aus Ihren Antworten ersehen, ob noch weitere Fragen bestehen, die Sie dann ebenso wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten haben. Sollte sich trotz der Vereidigung erweisen, dass Sie wie auch immer Antworten zurückhalten oder in Ihrem Sinne verfälschen behalten wir uns vor, sie durch ein Verhör des umwälzenden Geistes, auch Mentipressionsverfahren genannt, zu befragen. Wir gehen davon aus, dass Sie diese Befragungsweise nicht herausfordern wollen", sagte der offenbar zum Sprecher berufene Francesco Torregrande, der sich derzeitig als geschäftsführender Zaubereiminister aufspielte. Barbanera antwortete ruhig:

"Sie trauen weder diesem Stuhl, der nicht umsonst Sedes veritatis purae genannt wird, weil alle auf ihm sitzenden durch die entsprechenden Eidesworte zur vollen Wahrheit gezwungen werden, noch Ihren eigenen angeblich nur dem reinen Guten dienenden Wahrheitszauber oder Tränke? Warum haben Sie mir zum Beispiel kein Veritaserum verabreicht?"

"Weil die Heiler festgestellt haben, dass durch Ladonnas Einfluss offenbar ihr Blut verändert wurde und wir so nicht ausschließen können, dass Zaubertränke in ihrer Wirkung verfremdet, bestenfalls wirkungslos, schlimmstenfalls tödlich giftig anschlagen. Daher bleibt uns eben nur der Stuhl der reinen Wahrheit", grummelte Torregrande. Einer seiner Gesinnungsgenossen, dem Aussehen nach Bonifatio Montecello, warf ein: "Wir ersuchen den Vorgeladenen, nur Fragen zu beantworten und weisen ihn darauf hin, dass er gemäß Index legum magicarum gemäß der Rechtsnachfolge der Leges magicae romanae solange keine eigenen Rechte besitzt, solange er auf dem Stuhl der reinen Wahrheit sitzt. Es folgt nun die Vereidigung gemäß erwähnter Gesetzesgrundlage Paragraph dreizehn folgende, Durchführung einer nichtgerichtlichen Anhörung potenziell gefährlicher Verdächtiger zur Klärung, ob ein ordentliches Gerichtsverfahren eröffnet werden soll oder nicht."

"Im magischen Recht des römischen Reiches galt aber auch der Grundsatz Audietur et altera pars, Signori", erwiderte Barbanera ruhig. "Ich hoffe doch sehr, dass mir wenigstens dieses Recht zusteht."

"Sie werden auf jeden Fall Gehör finden, wenn Sie die Ihnen gestellten Fragen beantworten", erwiderte Torregrande. Das reichte Barbanera, um zu verstehen, wie vergeltungssüchtig diese Bande war. Wohl wahr, die Sieger konnten sich erdreisten, die Besiegten nach Belieben abzuurteilen. Gut, Ladonna hätte das garantiert nicht anders gemacht, wenn sie ihre Welteroberungsziele erreicht hätte. Er selbst hatte ja von ihr schon zu hören bekommen, dass er die französischen Ministeriumsbeamten abzuurteilen haben würde, sobald es gelänge, sie zu ergreifen. Tja, das war bevor die sich von den anderen Veelastämmigen mit einer zusätzlichen Widerstandskraft hatten aufladen lassen.

Nun folgte die von je einem Zauberer aus jeder Haupthimmelsrichtung gesprochene und mit im Takt der Worte nach oben und unten schwingenden Zauberstäben bekräftigte Vereidigung. Zugleich fühlte Barbanera, wie der eiserne Stuhl unter ihm erbebte und sich stark erhitzte. Doch eigentlich musste dann auch ein Gefühl wie von warmem Wasser durch alle Fasern des Körpers und ein fast schmerzhaftes Pochen unter seiner Schädeldecke erfolgen, um die Kraft des Wahrheitsmöbels zu entfalten. Er fühlte jedoch nur die Sitzfläche beben und sich bis fast zur Schmerzgrenze aufheizen. Dann sprach der im Norden stehende Zauberer mit im Takt winkendem Zauberstab die Formel, dass bei Eiseskälte und Mitternacht immer die Wahrheit als Licht und Wärme scheinen solle.

Die folgenden Minuten und Stunden waren für Barbanera anstrengend, aber zu ertragen. Es begann damit, wie er unter Ladonnas Bann geraten war. Eigentlich hatte er ja nur sicherstellen wollen, dass die wegen der verschwundenen Mafiafamilienführerin Regina Venuti geborene Fraschetti wütend gewordenen Banditen nicht im Blutfeuernebel vergingen. Dass Ladonna ihn als Beobachter erkannt und sich dann mal eben unterworfen hatte sah er als unentschuldbare Missachtung aller Vorsichtsregeln. Ab da musste er erwähnen, was Ladonna von ihm verlangt hatte, dass sie ihn durch körperliche Zuwendungen an sich gekettet hatte und er keine Möglichkeit hatte, sich ihr wieder zu entwinden und deshalb das italienische Zaubereiministerium an sie ausgeliefert hatte. Er musste haarklein beschreiben, wie genau er alle Sicherheitsvorkehrungen umgangen hatte, als er dem damaligen Minister und von ihm eingeladenen Zuhörern erklärte, warum Ladonna so gefährlich war. Ab da ging es um die innen- und außenpolitischen Aktivitäten, an denen er beteiligt gewesen war. Er wurde gefragt, ob Ladonna ihn schon damals als würdigen Nachfolger Bernadottis auserwählt hatte. Das verneinte er. Denn Ladonna war bis zu ihrem ersten Versuch, mehrere Zaubereiminister auf einmal zu unterwerfen, davon ausgegangen, dass ihr Feuerrosenzauber unabwehrbar war. Was sie ihm über die ihr als gefährlichste Widersacherin außer den Veelas erschienene Hexe mit dem flammenden Schwert berichtete war für die zwanzig Zauberer offenbar sehr interessant. Sie hingen förmlich an seinen Lippen und stellten Einzelfragen zum Aussehen der Erzfeindin und ihrer Waffe. Als sie merkten, dass er nicht mehr dazu sagen konnte ging es um seine höchst fragwürdige Amtszeit und was genau er Ladonna alles zugänglich gemacht hatte. Als er erwähnte, dass er ihr die volle Zutrittsbefugnis zur Crypta tenebrosa, der dunkelsten Ecke des italienischen Zaubereiarchives verschafft hatte nickten die anderen. Natürlich hatten die nach dem Wegfall des Blutsiegelzaubers alles herausgeholt, was noch zu retten war. Doch vieles, vor allem schriftliche Aufzeichnungen, fehlten. Als er noch erwähnte, dass Ladonna sich auch in Deutschland und anderen unterworfenen Ländern Gegenstände und Aufzeichnungen verschafft hatte wurde er gefragt, wovon sie ihm selbst erzählt hatte. Sie hatte nur erwähnt, dass sie sich aus den Verliesen der ägyptischen Niederlassung von Gringotts und aus der umgekehrten Pyramide des vergessenen Herrschers aus der zwölften Dynastie mächtige Artefakte gesichert hatte, von denen einige nur von Zauberern benutzt werden konnten, sie aber davon gehört habe, dass es einst "entschlossene Hexen" gegeben habe, die auf reine Männlichkeit festgelegte Gegenstände "hexenfreundlich" oder gar auf Hexen allein umstimmen gekonnt haben sollen. Ladonna hatte in den ihr zugefallenen Aufzeichnungen gesucht, ob dieser eine Zauber oder diese möglichen Zauber dort nachzulesen waren. Ob sie fündig geworden war hatte sie ihm jedoch nicht erzählt. Montecello, den diese Antwort sichtlich beunruhigte fragte deshalb: "Kann es also auch sein, dass Ladonna Montefiori solche Gegenstände entsprechend verändert hat, dass sie zwar ihre ursprüngliche Wirkung behalten konnten aber nicht ausschließlich von Zauberern oder gar nur noch ausschließlich von Hexen verwendet werden konnten?"

"Wie erwähnt hat sie mir nicht verraten, ob sie solche Möglichkeiten gefunden und verwendet hat. Außerdem erfuhr ich nur, dass sie angeblich oder wahrhaftig legendäre Artefakte aus Ägypten erbeutet hat. Sie erwähnte den Begriff "Zwölf Schätze des Nils". Da ich mich in der ägyptischen Zaubereigeschichte ebensowenig auskenne wie in altägyptischer Alchemie und Thaumaturgie ist mir weder der Begriff bekannt noch was für Schätze das genau sein sollen." Offenbar war es aber einigen der hier versammelten Zuhörer bekannt. Denn sie kämpften regelrecht um ihre Ruhe.

Montecello fragte den Gefesselten: "Ladonna hat Ihnen also nicht verraten, welche dieser zwölf Schätze sie durch ihre Machenschaften an sich gebracht und wo sie diese versteckt hat? Sprechen Sie die Wahrheit, Signore Pontio Barbanera!"

"Sie hat mir nur erzählt, dass es ihr gelungen sei, mächtige Zaubergegenstände aus jenem offenbar doch legendären Bestand zu erbeuten, aber nicht, was genau und wofür genau. Sie erwähnte nur, dass sie diese Gegenstände vor fremdem Zugriff versteckt habe, damit nur sie damit hantieren könne. Ja, und sie erwähnte eben, dass es davon einige Gegenstände gebe, die sich nur von magisch begabten Männern anfassen und benutzen lassen wollten. Doch sie wolle den Gerüchten nachgehen, demnach eine Hexe einen Zauber erfunden haben sollte, um nur für Zauberer bestimmte Dinge auch oder nur für Hexen verwendbar zu bezaubern. Sie hat jedoch keinen Namen genannt, wer diese Hexe oder Hexen war oder waren. So wie ich sie kennenlernen musste nahm sie das wohl als nur für Hexen erlaubtes Wissen."

"Sie erwähnten einige der von Ladonna rekrutierten Nachkommen ehemaliger Gesinnungsschwestern. Halten Sie es daher für möglich, dass jene dieses Wissen von ihr erhalten haben?" fragte Torregrande. Barbanera erwiderte: "Wenn sie dieses Wissen erworben hat und wenn sie eine aus ihrer neuen Schwesternschaft für würdig genug hielt, ihr das mitzuteilen ja. Aber nur unter diesen zwei Bedingungen."

"Sie haben auf Nachfragen nur einige Namen genannt. Wen hat Ladonna Ihnen noch als eine ihrer Mitschwestern vorgestellt?" wollte Torregrande wissen. Barbanera überlegte kurz. Der unter ihm immer härter gewordene Stuhl begann wieder zu erbeben, weil sich der auf ihn gefesselte so viel Zeit nahm. Doch er spürte keinen Drang, schnell zu antworten. Dann erwähnte er noch vier Namen italienischer Hexen. Doch er konnte nicht sagen, wo die alle waren.

"Wir wissen es", grummelte einer der zwanzig Zuhörer. Torregrande gebot ihm mit einer energischen Handbewegung zu schweigen. Dann sagte er: "Ladonna hat Ihnen nie neue oder durch den Feuerrosenzauber unterworfene Gefolgshexen aus dem Ausland vorgestellt oder zumindest namentlich erwähnt?" Barbanera antwortete ohne zu zögern mit nein. Torregrande schien mit dieser Antwort nicht zufrieden zu sein. Er starrte auf die Ketten und den eisernen Stuhl. Dann sagte er: "Sie stehen immer noch unter den beiden Eiden der vollständigen Wahrheit, Signore Barbanera. Wenn Sie die Namen der ausländischen Hexen kennen, so müssen Sie diese verraten. Veritatem plenam loqui hic et nunc!"

Alle blickten auf den Gefesselten. Doch dieser saß ruhig auf dem ebenso unbeweglich dastehenden Kettenstuhl und sagte: "Ich habe Ihnen allen erzählt, was Ladonna für nötig und harmlos genug hielt, es mir, einem Zauberer zu erzählen. Wenn Sie finden, dass sie mehrere von uns in ihre Geheimnisse eingeweiht hat müssen Sie wohl die von ihr unterworfenen Hexen befragen."

"Zählen Sie bitte auf, wen sie davon kennen, alles vollständig!" verlangte Torregrande und deutete auf die hinter ihm aufragende Wand. Auf dieser tanzte eine Adlerfeder über ein Stück Pergament, dessen Ursprung womöglich ein Hausrind oder ein mittelgroßer Drache gewesen sein mochte. Diese Feder protokollierte seine Antworten. Sie brachte sich am Anfang einer neuen Zeile in Stellung und zitterte erwartungsvoll. So diktierte Barbanera die Namen aller im Ministerium tätigen Hexen, von denen er wusste, dass sie Ladonnas Feuerrosenzauber unterworfen worden waren. Da dies mehr als einhundert Namen waren musste die Schreibfeder die Liste zehnspaltig ausfertigen, weshalb sie jedesmal, wenn sie das untere Ende erreicht hatte, wie von einer unsichtbaren Hand nach oben gerissen und neu angesetzt wurde. Die Aufzählung der Namen dauerte wohl mehr als eine Stunde. Denn immer wieder konnte Barbanera das leise Grummeln und Gluckern hungriger Mägen vernehmen. Bei einem der Zuhörer mochte auch ein anderes natürliches Drängen immer stärker werden, weil der sich auf seinem bequemen Stuhl immer wieder herumwarf und gerade so seine Hand davon abhalten konnte, sich was ganz privates zuzuhalten. Weil Torregrande dies wohl bemerkte unterbrach er die Aufzählung und befahl dem Gepeinigten, sich an den ihm wohl gerade nötigen Ort zu begeben. Montecello sah Barbanera an. Dieser blickte ihn beinahe unverschämt überlegen an und meinte: "Ich muss noch nicht austreten. Wer auf diesem Stuhl sitzt muss nichts anderes als die gestellten Fragen beantworten. Aber das wissen Sie doch, wo ihr Großvater einst selbst auf diesem Stuhl zu sitzen kam, nicht wahr?"

"Verdammt, wir befahlen Ihnen, nur zu antworten, keine Fragen zu stellen", blaffte Montecello. Barbanera verbuchte das als kleinen Punktsieg für sich. Keiner hier wollte wohl daran erinnert werden, wenn die eigenen Verwandten nicht ganz so anständig und gesetzestreu waren. Zwar war die Sippenhaft und Sippenschuld im Jahre 1945 nach Grindelwalds Niederlage aus dem Index Legum Magicarum getilgt worden. Doch so einer wie Montecello war sicher nur deshalb zum achso entschlossenen Streiter für die angeblich gute Seite geworden, weil er eine gewisse Schuld an der Zaubereigemeinschaft abzuzahlen hatte, die er nicht selbst aufgehäuft hatte. Auch musste dieser Bursche da wohl dran denken, wie leicht er selbst auf diesem Stuhl hätte landen können, wenn ihn seine Mitverschwörer nicht rechtzeitig in ein geschütztes Haus mit Fidelius-Bezauberung geschafft hätten. Dann hätte er, Pontio Barbanera, diesen Wichtigtuer und Möchtegernwohltäter da befragen und alles von ihm erfahren können, was Ladonna hätte wissen wollen.

Als der vom Harndrang getriebene Zauberer wesentlich erleichterter dreinschauend zurückkehrte sollte Barbanera die Namensaufzählung fortsetzen. Am Ende hatte er an die dreihundert Hexen erwähnt, von denen die meisten wie er in Tiefschlaf gefallen waren, als Ladonna Montefioris Macht verging.

Das Pergament wurde getauscht, um weitere Einzelheiten aufschreiben zu können. Barbanera wurde noch zu Vorhaben befragt, in die er eingeweiht worden war. Ladonna hatte noch beabsichtigt, die sich ihr entziehenden Zaubereiministerien mit Krieg und Chaos an den Rand der Vernichtung zu treiben, indem sie Einfluss auf Zauberwesen gewinnen wollte, zum beispiel den Riesen. Auf die Frage, was an ihrer spektakulären Vorführung dran war, dass sie den von Kobolden und Zwergen gefürchteten riesenhaften grauen Eisentroll aus den Tiefen der Erde hervorrufen konnte hätte Barbanera fast laut gelacht. Dann erklärte er, wie Ladonna genau vorgegangen war, um den italienischen Zwergen vorzugaukeln, sie könne deren schlimmsten Erbfeind rufen und befehligen. Immerhin habe sie so die Zwerge in Schach halten können. Sie setzte auch darauf, dass es wegen des Goldverwahrungsrechtes zum Krieg zwischen Zwergen und Kobolden kommen würde und plante, genug Unfrieden zwischen den beiden kleinwüchsigen Zauberwesenarten zu stiften. Ob von diesem Vorhaben noch was nachgeblieben sei konnte er jedoch nicht beantworten, weil Ladonna dies wohl ihren treuen Bundesschwestern außerhalb des Ministeriums zugeteilt habe.

"Halten Sie es demnach für möglich, dass dieser Plan noch wahrgemacht werden könnte?" wollte Torregrande wissen. "Da ich als Zauberwesenfachzauberer ausgebildet bin weiß ich, dass Kobolde und Zwerge über die Zusage von mehr Rechten oder die Absprache bisheriger Rechte zu aggressiven Handlungen gereizt werden können. Zwerge gelten zwar als größtenteils sehr diszipliniert und zielstrebig und Kobolde als schlau bis verschlagen, dass sie erkennen, wenn ihnen jemand was unterjubeln will. Aber die weltweit als Goldebbe bezeichnete Krise von Gringotts dürfte beide Völker so stark verunsichert bis verärgert haben, dass ein kleiner Funke ausreichen mag, einen offenen Flächenbrand zu entfachen. Da dies bis zu Ladonnas Entmachtung nicht eintrat kann ich nur vermuten, dass sie den Zeitpunkt noch nicht für gekommen hielt, ihren Plan zu verwirklichen. Aber ihre Saat könnte auf dem Boden der Goldebbe doch noch aufgehen."

"Sehr blumig geantwortet", knurrte Montecello. "Aber Sie als Zaubereiminister von Ladonnas Gnaden können doch sicher berichten, welche Aktions- und Reaktionspläne es im Ministerium gab, wenn dieser Flächenbrand ausbricht und die böse Saat die dunklen Früchte trägt, nicht wahr?" Barbanera zählte alle Vorkehrungen auf, die das Ministerium nach der Beseitigung der zwergischen Spionagevorrichtungen getroffen hatte und wie die italienische Zaubereigemeinschaft auf die Abwehr von Übergriffen ausländischer Kobolde hätte reagieren wollen. Auch ging es darum, wie trotz der noch vorhandenen Abwehrvorkehrungen in Gringotts die Abwesenheit der Kobolde ausgenutzt werden konnte, um die dortigen Gold- und Wertgegenstandsvorräte für die Ladonna und dem von ihr gelenkten Ministerium treuen Hexen und Zauberer zugänglich zu machen. Damit schienen die zwanzig Fragensteller genug von ihm gehört zu haben.

"Wir geben Sie in die Obhut der Sicherheitshüter zurück, bis wir beschließen, wie wir weiterhin mit Ihnen verfahren. Vielleicht wird ein ordentliches Gericht Ihren Fall noch einmal verhandeln. Bis dahin bleiben Sie unter strengem Hausarrest. Versuchen Sie dagegen zu verstoßen, behalten wir uns vor, Sie in den Turm der kalten Tränen zu verbringen."

"Ich habe verstanden", erwiderte Barbanera. In dem Moment traten zwei Sicherheitszauberer links und rechts neben ihn. Die Ketten lösten sich mit lautem Klirren und zogen sich rasselnd in ihre von außen unsichtbaren Lagerungen in Lehnen, Sitzfläche und Beinen zurück. Die zwei Zauberer zogen Barbanera auf die Füße und führten ihn aus dem Anhörungssaal. Er gönnte seinen Verhörern keinen weiteren Blick.

"Er wirkte so, als wenn er es als Erleichterung sehe, uns alles zu erzählen", meinte Torregrande zu Montecello.

"Soso, dann hast du nicht den Eindruck gehabt, dass er sich irgendwie gegen die Kraft des Wahrheitsstuhles gestemmt hat?" wollte Montecello wissen.

"Wieso hätte er das tun sollen? Ihm selbst muss doch daran gelegen sein, seine Unschuld auf Grund magischer Willensunfreiheit zu beweisen", entgegnete Torregrande.

"Du hast gehört, was er über Ladonnas Methoden der Unterwerfung erzählt hat. Mit so einem in jeder Bedeutung des Wortes willigen Knecht konnte sie doch alles tun wonach ihr war", erwiderte Montecello.

"Ja, aber wie du selbst ganz genau weißt erzählt auch nicht jeder Halter eines Hauselfens, was er so alles weiß und vorhat, selbst wenn Hauselfen nur unter starker Legilimentik Geheimnisse preisgeben, Bonifatio", widersprach Torregrande. Bonifatio Montecello verzog sein Gesicht. Musste sein alter Kumpel und Mitstreiter ihn jetzt auch noch daran erinnern, was er wegen seines unrühmlichen Großvaters Aegisthus in Gattiverdi und darüber hinaus zu erleiden hatte? Da war es auch darum gegangen, dass sein Großvater als Helfershelfer Gellert Grindelwalds versucht hatte, das altrömische Imperium neu zu errichten. Dabei hatte er auf Gold und Hauselfen von Familienangehörigen der Lupi Romani zurückgreifen können, bis diese erkannten, wem er wirklich diente. Die verhörten Hauselfen hatten längst nicht alles verraten können, was ihr Herr und Meister so im Schilde geführt hatte.

"Meinst du, wir sollten Barbanera legilimentisch verhören?" fragte Torregrande. "Du bist der zeitweilige Zaubereiminister, Fran. Aber wenn du echt wieder einen Rat von mir haben willst sieh zu, dass dieser Bursche weit genug von allen Hexen fortgeschafft wird, die irgendwann mal mit Ladonna zu tun hatten und behalte dir ein tiefschürfendes Legilimentikverhör für die ranghöchsten Schwestern dieser Mischblüterin vor! Vorausgesetzt, wir finden die verschwundenen Schwestern von der noch rechtzeitig, bevor sie Ladonnas Erbschaft antreten, sofern sie das in den Wochen seit dem Erwachen der ehemaligen Feuerrosenopfer nicht schon getan haben. Ach ja, an die Signori, die sich gerade sehr leichtfertig haben anmerken lassen, wie aufwühlend die Erwähnung der zwölf Schätze des Nils war, kriegt euch gütigst bei künftigen Befragungen wieder ein, dass die zu befragenden nicht mitkriegen, wie brisant diese Information für uns war. Denn wir wissen nicht, wie viele dieser Schätze sie sich angeeignet hat und wie viele davon aus ihrem Keller verschwunden sind. Francesco, die Ägypter zanken noch darum, wer dazu berechtigt ist, in deren Namen zu verhandeln, ähnlich wie bei uns. Aber wenn die schneller klarbekommen, wer für sie spricht werden die wiederkommen um die ganzen Sachen einzufordern, von denen sie wissen, dass Ladonna sie zusammengerafft hat. Bis dahin müssen wir wissen, welche der zwölf Schätze bei Ladonna gelandet sind und wohin die verschwanden, die von diesen Morgensternbrüdern als entwendet bestätigt wurden."

"Wir müssen bald klären, ob der Ältestenrat zusammentritt und einen unbelasteten Minister erwählt oder wir es wie die Briten und die achso freien, gleichen und brüderlichen Franzosen halten, dass die Bevölkerung selbst wählen darf", sagte Torregrande.

"Und was gibt es neues?" fragte Bonifatio Montecello genervt. "Sub sole non novum!" bekam er es von Torregrande zurück. " "Prahl noch weiter mit deinen Lateinkenntnissen und du wirst mit deinem Podex auf dem Ministerstuhl festgenagelt bis dein Fleisch vertrocknet von den Knochen fällt und der Wind dir durch die Rippen pfeift, Francesco Torregrande."

"Als wenn du so viel schlechter in diesem Fach gewesen wärest, kleiner Tiefstapler", erwiderte Francesco Torregrande. Montecello beschloss, darauf keine Antwort mehr zu geben.

"Dann werden wir wohl die ebenfalls in Gewahrsam befindlichen Hexen befragen müssen, was sie von Ladonna mitbekommen haben. Ach ja, und die Schwestern, die sich gleich nach dem Wiedererwachen abgesetzt haben zur Fahndung ausschreiben", sagte Torregrande. Dem wollte keiner hier widersprechen.

"Ja, und was hältst du von der Bewegung Vox Illuminationis?" wollte Torregrande noch wissen. "Ach die, die den Zeitpunkt für gekommen halten, die Aufhebung der Zaubereigeheimhaltung zu fordern, weil sich durch das ganze Computerzeug und die künstlichen Nachrichtenmonde im Erdumlauf früher oder später eh alles enthüllt, was mit unserer Welt zu tun hat?" fragte Montecello. Torregrande nickte. "Gerade jetzt, wo die magielose Welt sich immer schneller immer mehr auf individuellen Ruhm und Reichtumsanspruch zuentwickelt, weil Schöpfungsmythen entkräftet wurden und die darauf aufbauenden Glaubensrichtungen um ihre Existenzberechtigung kämpfen, mal mit Worten, mal mit blutigem Schwert, halte ich es für sehr bedenklich, nach allen Jahrhunderten der sinnvollen Geheimhaltung auszuplaudern, dass es die Zaubererwelt gibt und dass vieles, was die meisten nur noch als Gegenstände von Sagen, Märchen und mehr oder weniger anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur ansehen doch wahr ist. Diese Enthüllung dürfte noch schwerere Auswirkungen auf die nichtmagische Gesellschaft haben als die von denen für allumfängliche Wissenschaft gehaltene Tatsachenaufklärung. Aber Ladonna wollte die technischen Errungenschaften der magielosen Menschheit vernichten, um sie wieder in einen fügsamen, schwachen Zustand zurückzuwerfen. Das könnte ein Teil jener von Barbanera erwähnten Saat sein, die irgendwann aufgeht. Denn es gibt noch genug Hexen und Zauberer hier und im Ausland, die das mit sehr großem Argwohn verfolgen, welche Maschinen die nichtmagischen Leute erfinden und benutzen und vor allem, dass diese Gerätschaften giftige Brennstoffe brauchen, um ihre Kraft zu erhalten, Stoffe, die aus der tiefen Erde gesogen werden, wo sie über Äonen eingelagert wurden", erwiderte Montecello. "Auch deshalb sollten wir zusehen, bald wieder klare Amtsführungsverhältnisse zu haben. Je länger wir damit zu tun haben, Ladonnas ganzes Erbe aufzuräufeln desto lauter werden die, die nach klaren Entscheidungen und Handlungen rufen. Das sage ich dir als von unserer Liga ausgeloster zeitweiliger Zaubereiminister", erwiderte Torregrande. Montecello konnte ihm da leider nicht widersprechen.

__________

Der 16. März des Jahres 2007 war gerade fünf Stunden alt. Noch verbarg sich die Sonne unter dem Horizont. Doch ein grauer Schimmer im Osten verkündete den baldigen Tagesanbruch.

Um die Abreise der Teilnehmenden an der kurzfristig geplanten Verhandlungsreise möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen hatte der innere Sicherheitsdienst um vier Uhr morgens drei der zwölf Flohpulverkamine im Foyer geöffnet. Ebenso durften jene, die sich sehr sicher im Apparieren fühlten im Foyer erscheinen. Wichtig war, dass kein Beobachter von außerhalb des Ministeriumsgebäudes die Zusammenkunft mitbekam. Sowohl der Miroir Magique als auch die Temps de Liberté hatten eingewilligt, den genauen Abreisezeitpunkt zurückzuhalten. Dafür durfte von jeder der beiden Zaubererzeitungen ein Reporter mit Fotoausrüstung dabei sein. Für die Temps war es Otto Latierre, Millies Onkel mütterlicherseits. Auch reiste ein Außenreporter des Zaubererweltechos mit.

So waren die ersten Worte, die Julius Latierre hörte, als er das Kunststück vollbrachte, mit seinem großen Schrankkoffer zu apparieren: "Soeben appariert Monsieur Julius Latierre, der von Zaubereiministerin Ventvit als Veela-Menschen-Verbindungszauberer zur vollständigen Teilnahme an ihrer mit den wiedererwachten Zaubereiministerinnen und -ministern eingeladen wurde. Ah, und da ist auch der Kollege von der schreibenden Zunft, Monsieur Otto Latierre!"

"Das ist aber nett, dass du den Herold gibtst, Alfonse", erwiderte Julius' Schwiegeronkel mit lausbübischem Grinsen und setzte den dunkelbraunen Schrankkoffer mit den aufgeprägten Silberbuchstaben O. LATIERRE auf den boden. Auch Julius ließ seinen weinroten Schrankkoffer, der ihn durch die Jahre in Beauxbatons begleitet hatte, auf den Boden sinken.

"Monsieur Latierre, möchten Sie für spätere Berichterstattungszwecke schon einen Vorabkommentar zu Ihrer Teilnahme und Ihren Erwartungen an die Zusammenkunft abgeben?" fragte der Radiozauberer und hielt Julius erwartungsvoll den Schallsammeltrichter entgegen. "Es wäre unverantwortlich voreilig, zum jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Erwartungen oder Ansprüche zu verkünden, auch wenn diese erst später an die Öffentlichkeit gelangen sollten", erwiderte Julius. Otto grinste. "Hat der mir auch schon genauso gesagt, Alfonse. Vergiss es also!"

"Nun, immerhin dürfen Sie als Sonderbeauftragter bei Mensch-Veela-Kontakten mitwirken, womit Sie durchaus mit gewissen Voraussetzungen in diese Verhandlung gehen", blieb der Radioreporter hartnäckig. Julius nickte und erwiderte: "Diese Einschätzung ist richtig. Doch genau deshalb werde ich zum jetzigen Zeitpunkt keine weiterführende Aussage zu eben diesen Voraussetzungen und Vorhaben abgeben. Bitte haben Sie und Ihre Hörerschaft dafür Verständnis! Womöglich muss ich sogar bedauernd einräumen, dass ich nur dann zu einer abschließenden Aussage nach der Unterredung Gelegenheit erhalten werde, wenn die amtierende Ministerin und die Vertreterinnen und Vertreter des Ältestenrates der Veelas mir hierzu die Genehmigung erteilen."

"Nun, Sie sind kein Golem, Homunculus oder magicomechanisches Automaton, sondern ein fühlendes, menschliches Wesen. Sie haben doch daher bestimmt gewisse Vorgefühle, wie die Unterredung verlaufen kann und hegen Hoffnungen, in welche Richtung sie verlaufen soll. Worauf hoffen Sie also?"

"Dass sich die Reise für alle daran teilnehmenden und alle von ihnen abhängigen oder profitierenden Wesen lohnen wird", sagte Julius darauf nur. Otto Latierre nickte und sagte: "Abgesehen davon sind persönliche Aussagen, die nicht als offizielle Verlautbarungen, sondern gefühlsmäßige Äußerungen gelten per Exklusivvertrag zur Veröffentlichung in der Temps de Liberté vorbehalten." Sein Kollege verzog das Gesicht und nickte. Er hatte doch damit rechnen müssen, dass private Aussagen im familieneigenen Blatt der Latierres abgedruckt wurden, wenn Mildrid Latierre schon nicht aus Millemerveilles mitreiste, warum auch immer.

Aus dem Kamin erschinen die weiteren Reiseteilnehmer mit mehr oder weniger sperrigem Gepäck. Wie Julius apparierte auch Barbara Latierre mit ihrem Schrankkoffer, einem jadegrünen Ungetüm mit sonnengoldener Aufschrift. Sie sah ihren Schwiegerneffen und ihren Bruder Otto an und nickte nur. Als auch ihr der Schallsammeltrichter des Radiozauberers vor den Mund gehalten wurde sagte sie: "Mein Name ist Barbara Latierre, und ich leite die Gesamtabteilung zur Erfassung und Betreuung magischer Wesenheiten innerhalb des französischen Ministeriums für magische Angelegenheiten. In dieser meiner Eigenschaft nehme ich auf Einladung der amtierenden Zaubereiministerin an dieser Reise teil, um das Verhältnis zwischen magischen Menschen und eigenständig handlungsfähigen Zauberwesen zu besprechen, wo und wann dies immer erforderlich ist. Mehr kann und will ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht aussagen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Verständnis!"

"Tja, Alfonse, nicht immer fängt der frühe Vogel die dicksten Würmer", grinste Otto Latierre den Kollegen vom magischen Rundfunk an, der wie der noch mitreisende Ministerialberichterstatter vom Miroir Magique eine kleine Nachrichtenzentrale in jenem Reisefahrzeug erhalten würde, mit dem es zu den angesetzten Verhandlungsorten ging.

Um viertel nach fünf, also fünf Uhr cum tempore, wie Julius es nur für sich markierte, betrat Ministerin Ventvit in einem langen, jadegrünen Seidenkleid das Foyer. Hinter ihr her schwebte ein mondlichtfarbener Schrankkoffer. Es sah aus, als liefe er auf unsichtbaren Rollen. Die ranghöchste Hexe Frankreichs blickte in die um sie zusammenkommende Runde der eingeladenen Mitreisenden und nickte. "Schön, Sie alle sind schon da. Dann wird es keine Verzögerung geben. An die drei Herren Reporter ergeht meine dringende Bitte, auf Vorabimpressionen und gefühlsbetonte Aussagen der Reiseteilnehmenden zu verzichten. Für Sie wichtig ist, dass Sie Zeugen eines sicher in den geschichtlichen Aufzeichnungen vieler Zaubereiministerien festzuhaltenden Ereignisses sein dürfen, das, wie ich sehr hoffe, zur Wiedererstarkung einer freien und friedlichen Weltgemeinschaft magischer Menschen und denkfähiger Wesen mit magischem Ursprung führen mag. Wir alle, die wir hier stehen, sind als für dieses Unterfangen hauptverantwortliche Hexen und Zauberer darauf bedacht, aus den unangenehmen Ereignissen der letzten Jahre erlernten Wissen einen Gangbaren Weg zu erbauen, der in eine für uns alle sichere und friedliche Zukunft führen soll. Betreten wir nun gemeinsam die ersten Meter dieses so wichtigen Weges!"

Die Ministerin winkte drei mit ihr zusammen ins Foyer gekommenen Hexen in der Kleidung der hauseigenen Sicherheitstruppe. Dann nickte sie noch der blonden Hexe Britta Gautier aus der Außentruppe für magische Sicherheit zu, die sie als Übersetzerin aber auch persönliche Sicherheitsbeauftragte angefordert hatte. Dann winkte sie Barbara Latierre zu. Diese trat zu der Ministerin hin. Diese bedachte sie mit einem fragenden Blick. Barbara Latierre nickte. Damit stand für Julius fest, dass sie mit Hilfe magischer Zugtiere verreisen würden, vielleicht sogar mit einer oder zwei Latierre-Kühen, vielleicht sogar Temmie. Aber nein! Wenn sie Temmie dafür hätte mitnehmen wollen hätte sie ihn und Millie um Erlaubnis fragen müssen. Das hatte sie jedoch nicht getan.

Durch eine selten genutzte Seitentür ging es in einen schlauchartigen Gang, dessen Wände wie blank poliertes Elfenbein im Licht der weißgelben Leuchtkristallsphären schimmerten. Der Gang schlängelte sich in sanften Windungen durch das Gebäude nach oben. Kurz vor der höchsten Stelle erweiterte sich der schlauchartige Geheimgang zu einem trichterförmigen Ausgang. An dessen Ende befand sich eine kreisrunde, drei Meter durchmessende Luke. Barbara und die Ministerin führten nun vollkommen aufeinander abgestimmte Zauberstabgesten aus. Klackernd sprangen mehrere Riegel zurück. Die Luke schwang lautlos nach außen und gab den Weg auf eine weitläufige Dachterrasse frei, die Julius bis dahin noch nicht betreten hatte. Ein silbriger Nebel wehte von draußen herein, bis die Ministerin und Barbara Latierre erneut ihre Zauberstäbe schwangen. Der Dunst wich und enthüllte, was auf der marmorplattierten Terrasse auf die Reisegruppe wartete.

Julius erinnerte sich augenblicklich an die Graublaue Reisekutsche aus Beauxbatons und die Reisen, die er selbst darin mitgemacht hatte. Das Gefährt, das nun zu sehen war übertraf die fliegende Kutsche aus Beauxbatons. Zum einen besaß es statt nur vier mannshoher Räder mindestens sechs doppelt so hohe Räder. Zum zweiten waren diese Räder schneeweiß und besaßen je zwanzig armdicke Speichen, die scheinbar aus purem Gold bestanden und um eine silberne Radnabe angeordnet waren. Das imposante Fahrzeug ragte höher als das Apfelhaus der Latierres auf und war sonnengelb. Goldene Zierleisten teilten die Höhe des überragenden Fuhrwerks in eine obere und untere Hälfte. Der einstieg wurde von einem Flügeltor gebildet, auf dessen hälften je eine französische Flagge und das Wappen des französischen Zaubereiministeriums, der blau-weiß-rot längsgestreifte Zaubererhut mit silberner Feder und dem in der Krempe verlaufenden Schriftzug MFDAM (Ministerie Français des affairs magiques" auflackiert war. Vier Reihen von Spitzbogenfenstern verliefen vom bocklosen Vorderteil bis zum geräumig wirkenden Hinterteil. Statt einer Deichsel mit entsprechend vielen Geschirrbefestigungen ragten drei Paare baumstammlanger Stangen aus dem Vorderteil ohne Bock. Ihm fiel gerade nicht das passende Wort dafür ein. Doch ihm war klar, dass dies die bestmögliche Vorrichtung zum Anspannen von mehr als drei Tieren hintereinander war. Die wortwörtliche Krönung des haushohen Reisefuhrwerkes bildete eine gläserne Kuppel, deren unterer Rand in einem vergoldeten Ring endete.

"Meine hochgeschätzten Hörerinnen und Hörer, die Frage nach der Unterbringung und des Reisemittels für zwanzig Ministerialdelegierte wurde soeben beantwortet. Die vom magischen Rat der Franken vor fünfhundert Jahren bestellte und erbaute Sonnenkarosse von Apollonius Arculaureus Eauvive kommt wieder zum einsatz. Ich muss offen und ehrlich gestehen, dass ich beeindruckt bin. Bisher habe ich dieses höchst gewaltige Fuhrwerk, von dem es heißt, dass es mit bis zu 36 Abraxanern bespannt dreimal um die Erdkugel reisen kann, nicht mit eigenen Augen gesehen", fasste Radioreporter Alfonse in Worte, was alle anderen mit ihren eigenen Augen sehen konnten und beschrieb die Kutsche. Anschließend spulte er noch einige Großereignisse weltweiter Zaubereigeschichte herunter, bei denen dieses mehr als hausgroße Reisegefährt zum Einsatz kam, unter anderem auch bei der Friedensreise von 1790, als die französische zaubereiverwaltung zusammen mit einer Delegation des königlichen Zauberrates Großbritanniens nach Nordamerika reiste, um den in den einstigen Kolonien der Briten und Franzosen angesiedelten Hexen und Zauberern die Wohnrechtsgarantie und Eigenständigkeitsversicherung zu überbringen, dass sie ihre Angelegenheiten ohne Einspruch und Vorbestimmung Europas festlegen und regeln sollten. Insofern war dieses schon imperial zu nennende Fuhrwerk sowas von symbolträchtig für die nun anstehende Reise. Otto Latierre, diktierte ebenso Notizen in seine Flotte-Schreibefeder, bis seine ältere Schwester ihn sanft anstubste und auf das Flügeltor in mehr als zwei Metern Höhe deutete. Die beiden Flügel glitten lautlos nach außen. Julius stellte sich neben seine Schwiegertante und meinte: "Wenn die Kutsche auch so rauminhaltsvergrößert ist wie die Beauxbatonskutsche brauchen wir aber Kompass und Landkarten, um uns darin nicht zu verirren."

"Das ist doch ein Stichwort", grinste die sonst sehr auf Selbstbeherrschtheit und Verhaltensregeln bedachte Leiterin der Abteilung zur Erfassung und Betreuung magischer Wesen und deutete auf zwei Zauberer in sonnengelben Umhängen, auf deren Brustteil das Ministeriumswappen prangte. Zugleich öffnete sich im vorderen Bereich der Kutsche eine Verblendung wie ein einziges ovales Auge und enthüllte eine nach außen gewölbte Scheibe, die drei Viertel der Kutschenbreite und ein Drittel der Höhe einnahm. Julius konnte dahinter vier Gestalten sehen, je zwei Hexen und zwei Zauberer. Nun wuchs unter der goldenen Türschwelle eine mit sonnengelbem Läufer bespannte Treppe heraus und streckte sich so lange, bis sie mit einem leisen Pong auf den Marmorplatten der Dachterrasse zu liegen kam. Links und rechts davon klappte ein schneeweiß lackiertes Geländer nach oben. Die stumme Einladung zum Besteigen war ausgesprochen.

Die Ministerin nickte den beiden Torwachen zu und schritt ganz eine Staatshexe auf die ausgefahrene Treppe zu. Schritt für schritt erstieg sie die insgesamt zwölf stufen und nahm vor den zwei sonnengelb gewandeten Wachen Halltung an. Füralle wartenden hörbar sagte sie: "Guten Morgen Messieurs, ich als amtierende Ministerin der magischen Angelegenheiten Frankreichs erbitte von Ihnen für mich und meine Begleiterinnen und Begleiter die Erlaubnis, dieses Reisefahrzeug betreten und bewohnen zu dürfen, solange seine Reise dauert."

"Ministerin Ventvit, im Namen der Abteilungen für magischen Personenverkehr und internationale magische Zusammenarbeit, fühlen wir uns geehrt, Ihnen und Ihren Begleiterinnen und Begleitern eine angenehme wie zuverlässige Reise- und Unterbringungsgelegenheit zu bieten. Ihnenund Ihren Begleiterinnen und Begleitern ist es gestattet, dieses altehrwürdige Reisegefährt zu betreten und es für die Dauer der von Ihnen erbetenen Reise als angemessene und sichere Wohnstatt nutzen zu dürfen. Willkommen im Sonnenwagen des Apollonius Eauvive!"

"Bei der Marine und im Star-Trek-Universum geht sowas schneller", raunte Julius. Barbara Latierre hörte es wohl und räusperte sich. Dann sagte sie leise: "Denk mal an eure Schlüsselzeremonie im Tower von London!" Das sah Julius vollkommen ein und nickte. Da wurden die Schlüssel ja auch nicht mal eben von einer Wachschicht zur anderen übergeben.

Vom Dach her schmetterte eine vierstimmige Fanfare, als die Ministerin über die goldene Torschwelle trat. Ihr folgte ihre Untersekretärin. Dann kamen Auguste Chaudchamp, der Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit zusammen mit dessen mehrsprachig begabter Reisesekretär. Dann durften Barbara Latierre und Julius Latierre die Kutsche besteigen. Gleich beim Eingangstor bekamen sie silbern gerahmte Rechtecke, die wie dreißig mal zwanzig Zentimeter große Fotos aussahen. Als Julius seine Ausgabe in die Hand nahm vibrierte sie. Nun las er seinen Namen in Großbuchstaben am oberen Rahmen und sah, dass er einen Lageplan in der hand hielt. Ein kleiner roter Lichtkreis mit darin blinkenden Initialen JL zeigte, dass er gerade an der Markierung "Haupteinstieg" stand. "Dieser Wegehelfer weist Ihnen zuverlässig den Weg an jeden per Stimmbefehl aufgerufenen Zielort, ob die eigene Kabine, einen der drei Räume für Körperertüchtigungen, den Speisesaal, einen der drei Beratungssäle oder die Sonnenkuppel", verriet der Julius am nächsten stehende Torwächter halblaut. "Also brauche ich nur zu sagen oder rufen, dass ich in den für mich reservierten Wohnbereich möchte, und die Karte führt mich hin?" fragte Julius, der sich an etliche Folgen mit dem neuen Raumschiff Enterprise erinnerte. "Genauso ist es. Öhm, und falls Sie mit einem der anderen Mitreisenden zu sprechen wünschen genügt eine höfliche Anfrage, und falls der erfragte Teilnehmer nicht um ausdrückliche Privatheit ersucht hat oder sich in einem der allgemeinen Baderäume oder dem eigenen zur Kabine gehörigen Badezimmer aufhält können sie sehen, wo er ist und über das Netz der gelenkten Worte direkt mit ihm oder ihr sprechen, wobei ich davon ausgehe, dass Ihnen dieses Verständigungsmittel bereits vertraut sein mag." Julius nickte bestätigend und wisperte seinem silbergerahmten Lageplan zu, "Bring mich bitte zu meinem Wohnbereich!" Manchmal lohnte es sich, magische Gegenstände darum zu bitten, ihre Aufgabe zu erledigen, hatte Julius gelernt. So war er nicht überrascht, als ein "Danke der Anfrage! Sehr wohl!" auf dem Plan las und dann eine grüngepunktete Linie sah, die von seinem gegenwärtigen Standort zu einem mit "Stiegenschacht 1" beschrifteten Bereich wies. Julius nickte Barbara und den anderen zu. Diese hatten ebenfalls schon ihre Ausgaben der Lagepläne aktiviert und um Zielführung zu ihren Wohnbereichen gebeten. Allerdings warteten sie noch, ob die Ministerin was sagen wollte. Als diese sich der ungeteilten Aufmerksamkeit aller Mitreisenden sicher war rief sie aus: "Bitte bringen Sie nach vollzähligem Besteigen der Sonnenkarosse ihr Gepäck in den für Sie vorbereiteten Wohnbereich und finden Sie sich anschließend in der Aussichtskuppel ein, um mit mir zusammen die Abreise zu erleben. Madame Latierre, bitte überwachen Sie noch die vollständige Bespannung der Karosse und bestätigen Sie die einteilung der ministeriumseigenen Zugtiere und kommen Sie dann ebenfalls zu uns hinauf!" Barbara Latierre bestätigte die Anweisung und winkte mit dem Zauberstab ihrem Schrankkoffer zu, der hinter ihr herflog wie mit unsichtbaren Flügeln. Das war für Julius das Signal, auch seinem Reisekoffer mit einem ungesagten "Locomotor Schrankkoffer" einen Transportzauber aufzuerlegen, der ihn zum hinterdreinschweben brachte.

Mit einem Auge auf den magischen Wegfinder gerichtet durchquerte Julius das mit Parkett ausgelegte Foyer, von dessen Decke zwei 24armige Kronleuchter hingen und an dessen Wänden große animierte Gemälde hingen, die frühere Zaubereiministerinnen und -minister zeigten. Er fand den Eingang zum erwähnten Stiegenschacht, der ähnlich dem Treppenhaus in einem breiten Wach- oder Kirchturm aus gemauerten Wänden bestand und eine sich nach oben windende Treppe beherbergte, die eine aus sich selbst heraus im warmen gelbweißen Licht leuchtende Säule umlief. Julius folgte der grüngepunkteten Linie bis zum zweiten Absatz und näherte sich der silbern beschlagenen Ebenholztür. Diese tat sich vor ihm auf, ohne dass er einen Finger rühren musste. Er betrat einen mit einem dicken Teppich ausgelegten Flur, von dem vier Türen abzweigten. An der Decke hingen warmes Gelblicht ausstrahlende Leuchtkristallvielecke. Julius näherte sich der auf dem Plan mit einem grünen Rechteck markierten Stelle im Gang und las "Reiseunterbringung M. Julius Latierre, Menschen-Zauberwesen-Beauftragter". Julius dachte, dass er keinen Schlüssel mitbekommen hatte, als aus dem Lageplan heraus ein goldener Schlüssel mit zweiseitig bezahntem Bart heraus verstofflichte. Tja, stil musste schon sein, dachte Julius und ergriff den Schlüssel. Damit entriegelte er die Tür und betrat eine wahrhaftige Suite, wie er sie im Haus zum sonnigen Gemüt in Viento del Sol kennengelernt hatte. Hierzu gehörte ein Salon mit Tisch und Sesseln, sowie einem Schrank für Trinkgefäße und einer wahrhaftigen Minibar mit verschiedenen alkoholfreien Getränken, ein Schlafzimmer mit einem Himmelbett für zwei Personen, das einen sonnengelben Betthimmel und gleichgefärbte Vorhänge besaß, einen Kleiderschrank und einen Nachttisch links und rechts vom Bett. Als Julius zur Probe den Bettvorhang berührte durchpulste ihn für eine Sekunde ein Wärmeschauer. Der Betthimmel und der Vorhang nahmen eine weinrote Farbe an, so wie der Festumhang, den Julius in seinem Reisekoffer mitführte. "Jau! persönliche Farbabstimmung", dachte Julius.

Er fand noch ein gemütliches Schreib- und Lesezimmer mit einem Schrank voller Fachbücher und Reiseromane. Gegenüber den drei Wohn- und Arbeitsräumen befanden sich ein Badezimmer mit einer ovalen, wasserblauen Badewanne und vier Wasserhähnen, einem blauen Waschtisch und einem verspiegelten Frisiertisch, der offenbar auch für weibliche Mitreisende geeignet war. Der zweite Raum beherbergte eine marmortoilette mit gepolstertem Sitz, ein Porzellanurinal, das sich selbsttätig auf Julius Hüfthöhe hob, als er sich provokant davor in Stellung brachte und ein Bidet mit drei Wasserhähnen für gründliche Intimreinigung. Wer also baden oder sich nur waschen wollte musste keine Gerüche von der Toilette aushalten, abgesehen davon dass in der Decke mehrere Sprühvorrichtungen eingebaut waren, die gemäs eines weißen Schildes über den sanitären Einrichtungen reine Geruchsvertilger bis aus hundert angenehmen Düften auswählbare Gerüche verteilen konnten. "Voll die Lucxuskutsche", dachte Julius, der daran dachte, dass die Beauxbatonskutsche pro Stockwerk nur eine Tür für Damen und Herren eingeteilte Toilettenräume besaß.

Ein warm tönender Gong erscholl. Dann klang eine Stimme wie aus leerer Luft: "Sehr geehrte Mitglieder der ministeriellen Reisegruppe für die Reise zu den fünf vorgebuchten Reisezielen. Die Einschirrung unserer 36 treuen Abraxanerrösser ist so gut wie vollendet. Daher steht einer Abreise in zehn Minuten nichts mehr im Wege. Für den Fall, dass Sie diese von einem der exponierten Beobachtungsräume aus miterleben wollen wird Ihnen empfohlen, sich ohne Eile dorthin zu begeben. Natürlich werden Sie alle keinerlei Auswirkungen der Beschleunigungen oder Lageänderungen unseres altehrwürdigen Reise- und Unterbringungsgefährtes unterliegen, da seit der Vollendung des Innerttralisatus-Zaubers im Jahre 1771 jegliche Beharrung oder Erschwerung vollständig ausgeglichen wird. Wir wünschen Ihnen allen eine angenehme Reise mit der Sonnenkarosse des Apollonius Eauvive und erfolgreiche Unterhandlungen an Ihren Reisehaltepunkten!"

"Reicht noch um den Koffer auszupacken", dachte Julius und wechselte in den Schlafraum hinüber, wo er seinen Schrankkoffer geparkt hatte. Mit den erlernten Auspack- und Einräumzaubern hatte er alle seine Sachen innerhalb von nur einer Minute ordentlich sortiert und faltenfrei verstaut. Er musste nicht aus dem Koffer leben.

"Melotest eins zwei!" schickte er los, als er sich ohne Unterstützung der Goldherzanhängerverbindung auf seine Frau konzentrierte. Er vernahm den inneren Nachhall, dass seine Botschaft die gewünschte Adresse erreichte. "Ah, Monju! Bist du jetzt in der gelben Reisekutsche, von der Oma Line mir erzählt hat? Ach ja! Test erfolgreich", antwortete Millie.

"Wusste echt nicht, dass die Eauvives vor fünfhundert Jahren so eine Luxuskarosse gebaut haben. Das steht nicht in der Familienchronik der Eauvives", erwiderte Julius rein gedanklich.

"Echt? Muss ich noch mal nachlesen. In der Familienchronik der Latierres steht aber drin, dass einer unserer Vorfahren, Hubert Ignatius Latierre, als Oberratskutscher schon mit dieser von Apollonius Eauvive gebauten Sonnenkarosse gereist ist, so um 1628 herum. Er hat erwähnt, dass es manchmal schwer war, die vorgespannten Rösser zu bändigen, weil andauernd Kanonen und einschüssige Handfeuerwaffen gekracht hätten. Damals haben wohl wieder welche in Europa Krieg geführt."

"Ja, dreißig Jahre lang von 1618 bis 1648. Es ging um unterschiedliche Auffassungen, wie an den Christengott geglaubt und zu Jesus Christus gebetet werden sollte", gedankenseufzte Julius und schwor sich, die Familienchronik der Latierres nach der hoffentlich erfolgreichen Heimkehr noch einmal genauer durchzulesen.

"Also, Melo geht von der Kutsche aus. Alles andere kriegt ihr ja sicher vom Zehnergespann mitgeteilt. Verlauf dich aber nicht in dem Wagen!"

"Wir haben interaktive Lagepläne bekommen, so wie magische Navigationshilfen, die uns helfen, nicht verlorenzugehen", beruhigte Julius seine Frau. "Ich muss jetzt auch los, zum gemeinsamen Abflug in der Sonnenkuppel", schickte er noch zurück. Millie wünschte ihm noch eine abwechslungsfreie Reise. Béatrice meldete sich noch bei ihm: "Ja, und halt dich zwischen dem zwanzigsten und siebenundzwanzigsten März von meiner älteren Schwester fern. Wenn die ohne ihren Göttergatten verreist könnte sie nach Ersatz suchen, so weitläufig euer gelbes Flughaus ist."

"Das wird eh noch lustig, wenn beim Rest der Familie rumgeht, dass du auch wen kleines von mir austrägst", schickte Julius zurück. Dann verschloss er den Kleiderschrank und den daneben verstauten Schrankkoffer und verließ das Schlafzimmer seiner Suite. Wieder draußen vor der Tür vibrierte sein goldener Schlüssel. Als er ihn probehalber an den mitgenommenen Lageplan hielt verschwand der Schlüssel darin wie in Wasser. "So geht's auch", dachte Julius.

Durch den Flur mit den vier Türen ging es zurück in den "Stiegenschacht 1" und in diesem hinauf bis unter die zwei Drittel der Kutschenbreite einnehmenden Glaskuppel.

"Und, was sagt der aus der Maschinenwelt in unsere Welt eingewanderte Herr zu den Einrichtungen von vor fünfhundert Jahren?" fragte ihn Britta Gautier, als Julius sie bei dem ebenfalls gläsernen runden Tisch traf, um den mehrere wie aus verstofflichtem Silberdunst gemachte Stühle standen, die mit sonnengelben Sitzkissen gepolstert waren.

"Wenn ich das richtig verstanden habe bekamen die das mit der Innerttralisatus-Bezauberung erst vor zweihundertsechsunddreißig Jahren so hin, dass es keinerlei Auswirkungen der Beschleunigung oder Lageänderung gibt. Bei den Maschienenmärchen, wie mein Schwiegervater die moderne Science Fiction der technischen Welt nennt, geht sowas erst in dreihundert Jahren< oder später."

"Angeblich soll das in England schon im 17. Jahrhundert so weit gewesen sein", meinte Britta Gautier und deutete dann auf die um den Tisch stehenden. Die Ministerin kam gerade aus dem Treppenhaus. Julius nahm jetzt wahr, dass der Eingang unsichtbar wurde, sobald die Tür wieder zu war. So war ein unverstellter Rundblick nach oben und in alle Himmelsrichtungen geboten. Nur nach unten gab es wohl keine Sichtmöglichkeit, dachte Julius.

Als sie alle saßen schmetterte noch einmal die Fanfare. Dann läuteten zwei in großer Terz aufeinander abgestimmte Glocken. Ein fast unhörbares Kommando klang von vorne. "Achtung, wir starten. Mitreisende mit möglicher Höhenangst wird geraten, nicht unter der Sonnenkuppel oder im Beratungssaal Nummer eins auf den Boden zu blicken!" sagte eine weibliche Stimme. Anne Laporte, die von der Ministerin eingeladene Heilerin vom Dienst, blickte in die Runde und meinte: "Diese Warnung ist bei den gestandenen Besenheldinnen und -helden hier sicher überflüssig, wenngleich wir bis auf fünftausend Meter aufsteigen werden."

Noch einmal läuteten die beiden Signalglocken. Es klapperte und rasselte leise. Dann schien sich der helle Holzboden unter den Füßen in Nichts aufzulösen. Denn unvermittelt sahen alle die weitt unter ihnen ausgelegten Marmorplatten der Dachterrasse, die jetzt auch noch einfach so nach unten wegstürzten. Julius überwand den kurzen Schrecken und staunte nur noch. Es sah jetzt echt so aus, als würde er mit allen anderen hier frei in der Luft fliegen. Als Julius nach vorne und unten sah erkannte er die vier Reihen zu je neun hintereinander angespannten Abraxanerpferden, die gerade so dicht zusammenhingen, dass sie ihre Flügel weit ausspannen und durchschwingen konnten. Gerade fanden die elefantengroßen Riesenrösser in einen Rhythmus, dass sie kraftsparend aber schnell vorankamen. Die Rue de Camouflage fiel gerade unter der sonnengelben Kutsche zurück und schien von den daran liegenden Häusern zusammengedrückt zu werden, bis sie in dem von Dunst und vielen Autos verstopften Straßen von Paris nicht mehr zu sehen war. Julius dachte daran, dass die vorgespannten Zauberpferde jetzt den ganzen Abgasbrodem einatmen mussten. Doch dann fiel ihm ein, dass die Latierres bei der Zucht von Latierrekühen ja auch Zaumzeug mit eingewirktem Kopfblasenzauber erfunden hatten. So mentiloquierte er seine Schwiegertante an: "Anfrage zu Abraxanerpferden: Tragen diese Kopfblasenzaumzeug zur Frischluftversorgung?"

"Ja, tun sie, Monsieur Latierre. Das hättest du aber auch mit dem Mund fragen dürfen", kam Barbaras Gedankenstimme zurück. Dann sagte sie mit körperlicher Stimme: "Um alle Besorgnis zu entkräften, die uns wacker und zuverlässig voranbringenden Abraxanerrösser müssten sowohl den von Verbrennungsmaschinen der nichtmagischen Welt erzeugten Qualm einatmen als auch in den für die schnelle und unbeobachtbae Reise empfohlenen Höhen mit der dünnen Luft ringen darf ich mit berechtigtem Stolz verkünden, dass die von meiner Familie für unsere eigenen Züchtungen entwickelten Kopfblasenzaubergeschirre auch für flugfähige Reit- und Zugtiere aller Größen verbessert und zur Serienreife vollendet wurden. Unsere Abraxanerpferde können auch in der Flughöhe von fünftausend Metern über Meeresspiegelhöhe mehr als genug kräftigende Luft einatmen, um uns alle an das vorgewählte Etappenziel zu bringen. Es war und ist nur wichtig, die Tiere vorher im ausreichenden Maße mit irischem Single Malt Whiskey zu tränken. Wir haben die 36 ausdauernsten Abraxaner des ministeriumseigenen Zuchtbetriebes vorgespannt. Soviel die von meiner Seite aus sicher zu erwartende Auskunft über die uns dienlichen Zugtiere, Messieursdames et Mesdemoiselles."

"Ja, und was unsere eigene Nahrungs- und Getränkeversorgung betrifft darf ich als für diese Reisegruppe eingeteilte Heilerin vom Dienst darüber informieren, dass drei für das Mittagspersonal eingeteilte Hauselfen zusammen mit den sechs Lenk- und Wartungspersonen unseres Gefährtes mehr als genug abwechslungsreiche Nahrungsmittel für den Zeitraum von vier Wochen eingelagert haben. Sollte es zu feierlichen Anlässen kommen kann sogar Wein, Met oder Champagner ausgeschenkt werden, natürlich in den für eine erfolgreiche Fortsetzung der Unterhandlungen empfohlenen Menge", berichtete Anne Laporte. Darauf ergriff Monsieur Chaudchamp als beauftragter Protokollchef vom Dienst die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass feierliche Zusammenkünfte meistens mit den gerade zu Unterhandlungen einladenden Abordnungen stattfandenund somit wohl die mitgeführten "geistigen Getränke" wohl erst im Anschluss nach einem hoffentlich erfolgreichen Abschluss "zum Ausschank" gelangen würden. Das wiederum nahm die Ministerin zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass französischer Wein und Champagner gern gereichte Gastgeschenke seien und mit den sie darbringenden Gästen zusammen genossen würden. Das wiederum brachte alle Anwesenden zum lachen.

Als die Kutsche in die Wolken über Frankreich eintauchte schwiegen erst einmal alle, weil sie diese perfekte Illusion genossen, ohne Besen oder andere Flughilfen in dieser weißen Pracht ohne Grenzen zu schweben, die dunstigen Gebilde bis schneeweißen Wattefelder entlangblickten und sich der Vorstellung hingaben, sich wie in ein weiches Federbett dort hineinlegen zu können, ohne in die Tiefe zu stürzen. Julius dachte an ein oft nachgesungenes Stück, in dessen erster Strophe von den zwei Seiten der Wolken gesungen wurde, dass sie von oben märchenhaft schön waren und von unten eher lästig waren, weil sie die Sonne verdeckten, Regen oder Schnee brachten. Dann durchbrach die Sonnenkarosse des Apollonius Eauvive die weiße Wolkenpracht und stieß mit einer gerade nicht genau angegebenen Geschwindigkeit in den freien Himmel hinein. Gerade ging die Sonne gelbrorange am östlichen Himmel auf und spiegelte sich wie flammenloses Feuer in den ausgedehnten Wolkenfeldern. Erst als das wärmende Tagesgestirn vollständig über den Horizont gestiegen war und von Orange zu gleißendem Gelb gewechselt war sagte die Ministerin: "Darauf habe ich mich schon seit der Endplanung dieser Reise gefreut, dieses herrliche Erlebnis genießen zu dürfen. Ich wünsche uns allen eine erfolgreiche Unterhandlungsreise und viele ebenso schöne wie beeindruckende Erlebnisse wie jenes, dessen wir alle gerade teilhaftig werden durften. Hat jemand Frühstückshunger?"

Alle hier sitzenden grinsten. Keiner wollte als erster darauf antworten. Da sagte die Ministerin: "Gut, dann mache ich den Anfang. Servatio, bitte für alle unter der Aussichtskuppel decken!"

Unvermittelt erschienen mit leisem Plopp Teller, Tassen und Besteck auf dem Tisch. Dann ploppte es erneut, und ein Korb voller Baguettestücke, Marmeladen- und Honigtöpfe, eine gewaltige Kaffeekanne und eine Milchkanne aus Porzellan verstofflichten sich auf dem Tisch. "Ich wünsche uns allen einen guten Appetit!" sagte die Ministerin, nachdem sie als erste Bagguette, Brotaufstrich und Heißgetränk ausgewählt hatte.

Während des Frühstücks über den Wolken sprachen sie leise über das erste Reiseziel, ein scheinbar von Menschen verlassenes Gebirgsdorf im südlichen Wales. Dort würden sie mit der Abordnung der britischen Zaubereiadministration und Vertretern aller vier britischen Teilvölker zusammentreffen. Einen vollen Tag lang sollte die dortige Verhandlung dauern, weil es im wesentlichen nur um eine gemeinsame Haltung gegenüber den von Ladonnas Feuerrosenzauber befreiten Ministerien gehen würde. Damit hatte Julius nur insofern zu tun, weil in England die Tochter von Apolline und Pygmalion Delacour und ihre Familie wohnte. Da Fleurs Schwiegervater Arthur Weasley an der Zusammenkunft teilnehmen würde würde der ja auch mitbekommen, was für die Veelastämmigen vereinbart wurde. Sicher war der als immer noch als Leiter der Abteilung für magische Gesetze tätige Zauberer am französischen Frieden zwischen Menschen und Veelas interessiert. Ornelle Ventvit hatte beschlossen, das bisher vor der Öffentlichkeit geheimgehaltene Abkommen zumindest den britischen Fachkräften mitzuteilen. Insofern konnte sich Julius hier schon einbringen.

Am nächsten Tag sollte es dann zur ostfrisischen Insel Feensand gehen, die hinter einem ähnlichen Unortbarkeitszauber verborgen lag wie die einstige Elfenbeininsel. Um sie zu erreichen mussten die Reisenden selbst über magische Kräfte verfügen, mit Magie durchtränkte Fahrzeuge benutzen und zudem kurz vor Erreichen der Sichtweite die vier Bilder des Zutritts denken. Diese durften nur jene kennen, die selbst auf Feensand geboren waren, jemanden dort geborenes geehelicht hatten oder als Beamte in der Abteilung für magischen Personenverkehr und magische Wesen im deutschen Zaubereiministerium tätig waren. Die vier Lenker der Sonnenkarosse erhielten jene Zugangsbilder zwei Tage vor der Abreise unter der Geheimstufe S9 übermittelt. Die Flugzeit zwischen Großbritannien und Feensand würde nur wenige Stunden dauern, was in einer halben Nacht geschafft werden konnte. Auf Feensand würden alle deutschsprachigen Ministerialabordnungen, sowie die aus den Beneluxländern mit den Franzosen zusammentreffen. Hier hatte Julius nicht so viel zu tun, obwohl es in Deutschland eine aus Polen eingewanderte Veelastämmige gab, für die er als gesamteuropäischer Veelabeauftragter auch zuständig war. Für die Verhandlungen waren zwei volle Tage angesetzt. Hoffentlich reichte die Zeit, um für alle Seiten hinnehmbare Ergebnisse zu erzielen.

Von Feensand sollte es dann über die Nordsee, die schmale Landmasse Dänemarks zur Ostsee und dann nach Gotland gehen. Dort sollte endlich die große Verhandlung über das Zusammenleben von Menschen und Veelastämmigen stattfinden, bei dem nicht nur die Franzosen, sondern auch alle anderen Staaten mit Veela-Mitbürgern teilnehmen durften. Ganze vier Tage, falls nötig noch um drei Tage zu verlängern, waren für diese Verhandlung angesetzt.

Nach dem Treffen auf Gotland sollte es dann richtung Südwesten zurückgehen, wo sie sich mit den Mittelmeeranrainern auf der Insel Malta treffen wollten. Der mit nur hundert magischen Menschen bevölkerte Inselstaat besaß kein Zaubereiministerium im herkömmlichen Sinne, sondern eine Art Bürgerrat, der durch alljährlichen Austausch immer wieder neu besetzt wurde, abgesehen vom Zehn-Jahres-Sprecher, der in etwa einem Zaubereiminister gleichkam. Weil Malta von Ladonna nicht sonderlich beachtet worden war, aber doch zu den Mittelmeergebieten gehörte und bis zur Unabhängigkeit von Großbritannien Teil des britischen Zaubereiverwaltungsterritoriums gewesen war hatten sich alle Mittelmeeranrainer darauf eingelassen, dort zusammenzukommen, wenn die Frühlings-Tag- und-Nacht-Gleiche mindestens eine Mondphase zurücklag.

Falls die dort besprochenen Themen und Streitpunkte länger als bis zum sechsten April dauern würden überlegte Julius, um einen Freien Tag zu bitten, um zu Félix' zweitem Geburtstag nach Millemerveilles zu reisen. Sicher gab es in der Heimlichgasse von Valetta auch einen Flohnetzanschluss zur französischen Grenze. Sollten sie da aber schon auf dem wirklich langen Weg nach Westen sein, um in Viento del Sol mit allen nordamerikanischen Ministeriumsdelegationen zusammenzutreffen konnte Julius Felix wohl nur mit Hilfe von Brittany Brocklehurst gratulieren. Zumindest hoffte er, dass er eine Möglichkeit fand, seinem bisher einzigen Sohn zum Geburtstag zu gratulieren.

Julius bedachte noch einmal, was er über die Höchstgeschwindigkeit von Abraxanern und Latierre-Kühen gelernt hatte. Demnach konnte ein Abraxaner im Sprintflug über zwanzig Kilometer mit 400 Stundenkilometern fliegen, war danach aber dann auch ziemlich angestrengt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit eines ungerittenen Abraxaners lag bei 180 Stundenkilometern. Kutschpferde, so hatte ihm Madame Maxime damals erklärt, konnten sich jedoch ihre Kraft einteilen, wenn die Kutsche mit Flugzaubern belegt war und so nach außen hin schwerelos war. So konnten sie bei der richtigen Bespannung von früh Morgens bis spät abends in der Luft bleiben und konnten ihre Ausscheidungen im Flug absetzen, anders als die Latierre-Kühe, die dafür festen Boden unter den Füßen haben mussten. Daher war es auch wichtig, dass die Rösser für längere Flüge nur flüssige Nahrung in Form von Whiskey zu sich nahmen und nur, wenn sie länger als einen vollen Tag am Boden blieben feste Nahrung in Form von mit Alkohol getränktem Heu und angegorenen Hafer bekamen, dass sie die kopfgroßen Pferdeäpfel an dafür vorbereiteten Stellen absetzen konnten.

"Woran erkennen wir, wo genau wir uns gerade aufhalten?" fragte der Rundfunkreporter Alfonse ohne seinen Schallsammeltrichter. Er wurde an Monsieur Dubois, dem Lenkmeister verwiesen, der zu den vier im vorderen Teil sitzenden Besatzungsmitgliedern gehörte. Er erhielt dafür die Genehmigung. Zugleich gab sie die Einladung weiter, dass die Mitreisenden im Verlauf der gesamten Reisezeit bis zu zwei Stunden je Person das Lenkerhaus besuchen durften, um alle aufkommenden Fragen zur Sonnenkarosse beantworte zu bekommen. Julius dachte daran, dass er jederzeit auch im freien Flug die Erdmagnetfeldlinien erspüren und daran den ungefähren oder gar sicheren Standort bestimmen konnte. Dann kam er noch auf eine Idee. Er holte den ihm mitgegebenen Lageplan hervor und sprach diesem zugewandt: "Zeige den Standort der Kutsche in der Welt!" Der Lageplan flimmerte. Der Rahmen erbebte kurz. Dann konnte er eine Landkarte sehen, die einen Ausschnitt Frankreichs mit blauen Flusslinien, grünen Waldflächen und weißen Siedlungsbezeichnungen zeigte. Im Zentrum war eine verkleinerte Abbildung der sonnengelben Kutsche in einem blau-silbernen Kreis zu sehen und die Beschriftung "92 km nnordöstlich von Paris richtung Nordost, Reisehöhe 4,20 km" zu erkennen. Die Entfernungsangabe änderte sich sekündlich. Das ging eine volle Minute lang. Dann begann die Darstellung zu blinken, bis sie sich für zwei Sekunden in eine rein weiße Fläche auflöste, um dann wieder den farbigen Lageplan mit Julius' Standort "unter der Sonnenkuppel" anzuzeigen. Jemand kniff ihm keck in die Wange. Er dachte erst, seine Tante Barbara wäre das gewesen. Doch als er Britta Gautiers schmale Hand von seinem Gesicht zurückweichen sah grinste er. "Da muss einer drauf kommen, dass die Lagepläne auch Standortpläne für die Kutsche selbst sind."

"Das können Sie pro Stunde drei mal für je eine Minute durchführen. Je schneller wir reisen, desto größer ist der Maßstab", erwähnte die Ministerin, die offenbar schon mehr über die Vorzüge ihres Reisegefährtes wusste. Barbara Latierre nickte und bat Julius darum, seinn Vorgehen zu wiederholen. So konnten auch alle anderen die ihnen als eigene Lagepläne ausgeborgten Hilfsmittel nutzen, um zu sehen, wo genau sie sich befanden. Er erwähnte, dass er als Computernutzer immer wieder erfahren hatte, dass die Möglichkeiten von Abläufen und Bedienungsweisen sehr häufig durch mutiges Ausprobieren erlernt werden könnten. Dem widersprach niemand, auch nicht Monsieur Chaudchamp, der sich sonst immer sehr skeptisch bis ablehnend den nichtmagischen Informationsmöglichkeiten gegenüber äußerte.

Nach dem Frühstück über den Wolken zogen sich bis auf die Ministerin, Barbara und Julius Latierre und Britta Gautier alle Reisenden in ihre Wohnquartiere zurück. In sieben Stunden sollte es Mittagessen im Zentralspeisesaal geben, der genau zwei Etagen tiefer im Zentrum der Reisekutsche lag. Barbara und Julius wollten es noch genießen, wie frei über den Wolken dahinzugleiten. "Die wollen nur zwei auf einmal im Lenkerhäuschen haben?" fragte Julius seine Schwiegertante. Diese bestätigte das und ergänzte, dass dies jedoch nur bei freiem Flug und nicht bei Sturm, Abflug oder Landung galt. Das verstand Julius. Barbara nahm seine Frage als Vorschlag, mit ihm zusammen vor dem Mittagessen das Lenkerhäuschen zu besuchen. Julius erwähnte, dass er vor seiner Einschulung in Hogwarts auf einem Überseeflug von London nach Florida die Piloten des Verkehrsjumbos besucht hatte. Er erwähnte auch, dass seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 keine solchen Besuche im Cockpit mehr möglich waren, um ähnliche Anschläge zu verhindern. Er wurde dann gefragt, warum die Steuerkabine eines maschinengetriebenen Flugapparates Cockpit genannt wurde. Er musste kurz nachdenken, bis ihm einfiel, was sein Großvater, der Schiffskoch gewesen war, über die Abteilungen eines Schiffes erzählt hatte. "Cockpit oder Plicht wurde der Bereich bei Seeschiffen oder hochseetauglichen Booten genannt, von wo aus der Kurs und die Geschwindigkeit gesteuert wurden. Gut, bei Segelschiffen war das eben nur der unmittelbare Platz am Ruder, also dem Schiffssteuer. Als die ersten motorkraftbetriebenen Flugmaschinen schwerer als Luft mehr als einen Kilometer weit fliegen konnten wurde die Bezeichnung für den Steuerstand auch auf die Steuerung im Flugzeug übernommen und soweit ich erfahren durfte auch bei Luftschiffen US-amerikanischer Thaumaturgie." Barbara nickte. Julius fragte dann, warum die Steuerung der Reisekutsche weder Bock noch Cockpit genannt wurde. "Weil das eben ein kleines Häuschen ist und die Lenkung nicht über Hebel und Drehräder alleine geschieht sondern über stimmliche Befehle. Aber das können wir uns gleich von den Fachleuten selbst erklären lassen. Gemäß Betriebsvorschriften müssen für längere Reiseabschnitte ohne zu erwartende schnelle oder gefahrvolle Manöver nur zwei Lenker am Platz sein, eine Hexe und ein Zauberer. Warum das so sein muss weißt du sicher noch von damals, wo du von Madame Maxime persönlich in der Handhabung von Abraxanern unterwiesen wurdest." Julius wusste es noch. Demnach ließen sich Abraxanerstuten nur von dominanten Hexen anleiten, während Hengste üblicherweise von dominanten Zauberern angeleitet werden konnten. In Madame, heute Mademoiselle Maximes Fall war das etwas anders, da sie als körperlich weit überragende Person mit unverkennbarer geistiger und körperlicher Stärke beide Geschlechter gleichermaßen unterwerfen und lenken konnte. Sicher könntest du auch eine Abraxanerstute alleine lenken, weil du Erfahrung mit unseren Latierre-Kühen hast."

"Na ja, aber da werden ja auch nur die Kühe als Transporttiere eingesetzt", wandte Julius ein, während Britta dem Gespräch interessiert zuhörte. "Ja, weil die Bullen oder Stiere eben immer und überall ihre Eigenständigkeit und Stärke beweisen wollen und daher nicht als Transporttiere geeignet sind. Denn wie du auch von meiner Mutter gelernt hast ist es für die Beziehung zwischen Menschen und Latierre-Kühen fundamental wichtig, dass die Tiere niemals herausfinden, dass sie Menschen körperlich überlegen sind. Bei einem Stier müsste somit jeden Tag und bei jeder mit ihm zu erledigenden Sache klargestellt werden, dass er diese Überlegenheit nie herausfindet."

"Aber das gilt dann ja auch für andere große Tiere wie eben Abraxaner-Pferde", wandte Britta Gautier ein. "Ja, nur dass sich die Züchter dazu verstiegen haben, den geschlechtsreifen Tieren dünne Fügsamkeitsbänder um die Hälse zu schmieden, die sie durch ein nur gedachtes Passwort dazu anregen, den Tieren ihre Entschlossenheit zu nehmen, was auch mit einem Verlust der Tagesausdauer einhergeht", erklärte Barbara Latierre ihrer verschwägerten Anverwandten. "Wenn sie dazu noch ein hörbares Signal, einen Pfiff, ein Klatschen, einen gerufenen Befehl oder dergleichen verwenden verknüpft ein Abraxas-Pferd diese sinnlichen Begleiterscheinungen mit plötzlicher Willenlosigkeit und Schwächung und gehorcht lieber, statt zusammenzubrechen und vor den anderen Herdenmitgliedern schwach und hinfällig zu wirken. Meine Großmutter hat bei der Züchtung von Latierre-Kühen auf dieses Lenkmittel verzichtet, weil sie nicht nur die körperlichen Vorzüge der in die Züchtung eingekreuzten Originaltiere, sondern auch die dabei verschmelzende Intelligenz und Sinnesbegabtheit ausnutzen wollte und somit gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe mit den gezüchteten Tieren wechselwirken wollte", fügte sie noch hinzu. An Julius mentiloquierte sie: "Und der Pokal der Verbundenheit ist wesentlich respektvoller als ein Fügsamkeitsband." Julius verstand. Die Schöpferin der Latierre-Kühe hatte damals schon mit dem den Latierres gehörenden Pokal der Verbundenheit eine besonders innige Verbindung mit den entstandenen Kühen geknüpft und somit eine wahrhaftige Partnerschaft und keine reine Nutzanwendung hinbekommen. Davon profitierte er ja jetzt auch, nachdem er aus dem ihm vererbten Pokal Aurélie Odins Temmies Milch getrunken und sich so mit ihr verbunden hatte.

"Britta, wenn es dich auch interessiert, das Lenkerhäuschen zu besuchen kriege ich das sicher hin, dass du nach uns beiden rein kannst", sagte Barbara, nun die verwandtschaftliche Duform benutzend. Britta Gautier wies das Angebot dankbar zurück. Sie wollte sich lieber noch mit den Feinheiten der internationalen Strafgesetzausübung befassen, für den Fall, dass die Unterredungen auch die Zukunft der ehemaligen Unterworfenen Ladonnas behandelten.

Durch die breiten, mit feuer- und schmutzabweisenden Teppichen ausgelegten Korridore der obersten Etage erreichten Barbara und Julius eine goldene Tür, auf der ein Speichenrad und ein geflügeltes Pferd in Sprungpose prangten. Darüber stand in handlangen Großbuchstaben:

KAMMER DER LENKUNG
NUR FACHKUNDIGEM PERSONAL ODER NACH ABSPRACHE GELADENEN REISEGÄSTEN ZUGÄNGLICH.
REISEGÄSTE BITTE DEN RUFBLINKER BETÄTIGEN UND AUF TÜRÖFFNUNG WARTEN!

"Da auf die aufgemalte Kerzenflamme drücken, Julius", wies ihn Barbara an, wo der erwähnte Türblinker auszulösen war. Julius legte seine flache Hand auf die rechts angebrachte Abbildung einer brennenden Kerze. "Verstehe, dass die da drinnen keine laute Glocke oder Signalhupe haben wollen", wisperte er. Barbara meinte dazu: "Ja, und weil die Lenkerkammer zur Reisekabinenseite hin schalldicht ist musst du nicht flüstern. Lass die Hand solange auf der Kerzenflamme, bis die Tür ..." Es rasselte mehrfach leise, als würde ein riesenhafter Reißverschluss geöffnet. Dann klackte es laut, und die goldene Tür tat sich auf. Dahinter wartete eine stämmige Hexe mit dunkelbraunem Haar, die Julius einmal in der Behörde für Tierwesen gesehen hatte. "Ah, Madame und Monsieur Latierre. Ich habe die Wette um eine Flasche algerischen Feuergeist gewonnen, dass Sie innerhalb der ersten Stunde nach dem Abflug schon bei uns vorstellig werden", sagte die Türöffnerin. "Öhm, Sie wetten hier um hochprozentige Spirituosen, welche Reisegäste wann bei Ihnen hereinschauen möchten, Madame Duchamp?" fragte Barbara Latierre sichtlich ungehalten. Doch die dunkelbraunhaarige Hexe antwortete unbekümmert: "Nur bei Ihnen beiden, Madame Latierre und nur weil die als Wetteinsatz geltenden Spirituosen nach der Reise an den Gewinner oder die Gewinnerin übergeben werden, nicht vorher. - Bitte eintreten!"

"Drachend...ung", knurrte ein korpulenter Zauberer mit nachtschwarzem Haarkranz, der in einem hochlehnigen Sessel hinter einer Apparatur saß, die ein Zwischending zwischen Lokomotivführerstand und Schiffsruderstand war. Links von ihm stand ein gerade leerer sessel vor einer artgleichen Apparatur.

"Nana, Sie wollen michh, ihre zweithöchste Vorgesetzte, doch nicht mit einem derben Fluch begrüßen, Monsieur Moureau", sagte Barbara Latierre leise aber sehr ungehalten. "'tschuldigung, Madame Latierre. Aber die Kollegin Duchamp hat gleich nach dem Abflug gewettet, dass es keine Stunde dauert, bis Sie und Ihr Schwiegerneffe hier reinkommen wollen. Ich war so einfältig, dagegenzuhalten und habe darauf verwiesen, dass Sie unsere Sonnenkarosse ja schon kennenund Monsieur Latierre sicher schon mal im Lenkerhäuschen der Beauxbatonskutsche war, wo die ihn doch aus Hogwarts mit nach Frankreich rübergeschaukelt hat. Ist ja abgesehen von der Größe nicht anders als da."

"Ja, und ich habe dir gesagt, dass Madame Maxime nur den von ihr ausgebildeten Lenkern gestattet hat, die Beaux-Karosse zu besuchen und Julius da ja noch nicht für Beaux eingetragen war, sondern nur auf Bitte von Madame Faucon aus Hogwarts mitgenommen wurde", hielt Madame Duchamp ihrem Schichtdienstkollegen entgegen. Dann besannen sich beide darauf, dass sie das zugesagte Besichtigungsrecht einzulösen hatten.

Julius erfuhr nun, dass die vier Hebel der Lenkvorrichtung für die Radkupplung, die Spannung der Zugstränge, die Eigengewichtssteuerung der Kutsche und die Fluglagebeherrschung standen. Das einem Schiffsruder vergleichbare Steuerrad diente wie auf Seeschiffen der Kurslenkung, konnte aber auch als Steigungswinkelsteuerung benutzt werden. Weil die Kutsche gerade auf der gewünschten Reiseflughöhe war befand sich das Steuerrad in lotrechter Stellung. Durch die gewölbte Frontscheibe, die wie die Windschutzscheibe eines Busses wirkte, konnten die Lenker vom Dienst (LvDs) die vorgespannten Pferde beobachten, wobei die lenkende Hexe links alle Stuten und der lenkende Zauberer rechts alle Hengste beaufsichtigte. "Madame Maxime hat damals, wo sie mit der Kutsche zu Ihnen nach Hogwarts geflogen ist die Stuten rechts und die Hengste alle links angespannt, wobei der alte Pyrois, den ich noch als gerade zwei Wochen altes Fohlen kennengelernt habe, ganz vorne flog", erklärte der füllige Monsieur Moureau. "Mit insgesamt sechsunddreißig erwachsenen Abraxanern ist das um ein vielfaches schwerer, die alle im gleichflug zu fahren, zumal die Stallhüter aufpassen müssen, dass keine der Stuten unmittelbar vor oder voll in der Rosse ist, falls Sie verstehen, was ich meine." Julius grinste und nickte. Er erwiderte, dass Madame Maxime ihm damals, wo das mit den Schlangenmenschen passiert war und er deshalb drei Monate lang in ihrer unmittelbaren Nähe zubringen musste, alles bis dahin noch nicht erwähnte über Abraxaner beigebracht hatte und er verstand, dass Stuten die gerade in Paarungsbereitschaft waren sicher die Disziplin des Gespanns beeinträchtigten. Damit war klargestellt, dass die zwei LvDs ihm nicht erst die Lebensweise von Abraxanerpferden beibringen mussten. So konnten sie sich auf die mechanische und stimmliche Lenkung beschrenken. Wenn sie den Gespanntieren Kommandos geben wollten wurde ein kleines auf die Steuerung gemaltes rotes Sprachrohr angestupst, das für fünf Sekunden wie ein Vocijectus-Zauber wirkte, der gesprochene Worte wie durch eine Hochdruckleitung bis zu mehr als tausend Metern Entfernung weiterleiten konnte, ohne die ganze Umgebung zu beschallen. An einem Kompass und einem rechteckigen Standortplan zwischen den beiden Lenkvorrichtungen konnten die LvDs Kurs und Position ablesen. "Was den Standort angeht können Sie das auch mit dem ausgehändigten Lageplan", meinte Moureau und sah an Barbaras und Julius' Gesichtern, dass die das schon wussten. "Stimmt, ist ja doch sehr leicht rauszukriegen und superpraktisch", meinte Moureau. Seine Kollegin Duchamp beantwortete noch die Fragen nach regelmäßiger Tränkung während des Fluges, falls sie wegen eines zu überquerenden Ozeans nicht mal eben landen konnten. "Ich hörte, dass die Kriegsflugzeuge der nichtmagischen Streitkräfte von großen Treibstofftankflugzeugen nachgefüllt werden. Wir haben das Prinzip der Versorgung in der Luft bereits vor über vierhundert Jahren entdeckt und ständig weiterentwickelt", sagte Duchamp und deutete auf eine kleine Klappe über ihrem Kopf. Sie berührte sie mit drei Fingern. Die Klappe klickte und klappte nach unten. Jetzt konnte Julius eine Vertiefung erkennen, in der vier Reihen von neun zylindrischen Erhebungen angebracht waren. "Jede Erhebung steht für ein rauminhaltsbezaubertes Whiskyfass, das im vorderen Abschnitt der Bevorratungsetage über den Achsen bereitgehalten wird. Eine ausgeklügelte Thaumaturgie lenkt die mit schwerelos bezauberten Eisenbändern umschlossenen Fässer zielgenau unter eines der vorgespannten Pferde, nachdem sie durch ein wohlklingendes Glockensignal auf die Tränkung hingewiesen wurden. Da die Fässer so auf die Kutsche abgestimmt sind, dass sie immer denselben Abstand zur Karosse einhalten können die Pferde völlig frei aus den maulgerechten Trichteröffnungen saufen, bis sie genug für die weitere Wegstrecke haben. Über den Kraftschöpfungsvorgang im Verdauungstrakt von Abraxanern haben Sie ja ausführlich gelernt. Jedenfalls merken die Fässer, wenn die aus ihnen saufenden Pferde genug haben, verschließen sich und schweben in ihr Lager zurück. Wenn alle Tiere getränkt sind verschließt sich das Lager vollständig und kann erst zwei Stunden später neu entriegelt werden. Da wir für den Überflug nach Großbritannien drei Tränkungen eingeplant haben werde ich die Zuführung erst in anderthalb Stunden betätigen", sagte Duchamp. Julius fragte Moureau, ob er eine gleichwertige "Treibstoffversorgungseinrichtung" über seinem Kopf hatte. "Ich bin für die Feststoffernährung zuständig. Aber die läuft ähnlich ab wie die mit dem Whisky", sagte Moureau. "Wir haben hundert metrische Tonnen mit Nullogravitusbezauberung und ähnlicher Fernlenkbarkeit bezauberte Hafersäcke geladen. Das sollte für die gesamte Reise reichen."

"Was tun Sie, wenn sich das Wetter auf der Strecke verschlechtert?" fragte Julius.

"Zunächst einmal senden wir gleich nach dem Start den Wetterspäher aus, eine quaffelgroße Vorrichtung mit sechs Flügeln, die bis zur zehnfachen Reisehöhe unserer Kutsche nach oben steigen kann. Diese Vorrichtung kann Wolkenbewegungen, Wellenbewegungen und an Unterschieden im Wärmebild erkennen, ob auf unserem Weg eine Schlechtwetterzone lauert. Können wir sie weiträumig umfliegen, tun wir das. Der Wetterspäher bleibt immer über der Hochachse der Sonnenkarosse und begleitet uns", erklärte Duchamp und führte Julius mit einer Zauberstabbewegung vor, wie die Kutsche von weit oben betrachtet dahinflog. Ein Gitter aus blauen, leicht gebogenen Linien mit roten alle fünf und schwarzen alle zehn Striche wurde darübergelegt. "Sie haben also einen eigenen Wettersatelliten, der vorwarnt, wo was aufzieht?" fragte Julius. Duchamp fragte, was mit Satellit gemeint war, da sie den Begriff nur aus der Astronomie kannte. Ihr Kollege grinste und erwiderte: "Monsieur Latierre kennt als Zauberer mit nichtmagischem Hintergrund die künstlichen Nachrichten- und Beobachtungsmonde, die auf supergroßen, im Flug einzelne Stufen verlierenden Raketen in den Weltraum und eine planbare und stabile Umlaufbahn geschossen werden. Und ja, die Antwort ist ja, und das schon vierhundert Jahre vor den ersten rein mechanischen Weltraumsatelliten, Monsieur Latierre. Aber wenn wir landen sinkt der Wetterspäher ebenfalls. Setzen wir auf landet er in seiner Lagerkammer."

"Hmm, ich las im Bezug auf Flugbesen, dass die eine Höhengrenze haben wegen der mit zunehmendem Abstand zum Erdmittelpunkt schwächer werdenden Schwerkraft, heißt das, dass Ihr Wetterspäher auf den Mond oder die Sonne als Steigungshilfe eingestimmt ist?" bohrte Julius nach wo er schon mal hier war und seine Neugier befriedigen durfte.

"Vom eigenen Torraum durch den gegnerischen Mittelring, Monsieur. Was bei Besen oftmals tödliche Auswirkungen hat, ist bei Beobachtungsbegleitern wie unserem Wetterspäher die ganze Stärke."

"Ja, und noch zu Ihrer Eingangsfrage, was wir bei schlechtem Wetter machen", hakte Duchamp wieder ein. "Wenn wir es nicht umfliegen können gilt die Vorschrift, uns ausschließlich über Land zu bewegen oder, wenn wir bei Berührung der Schlechtwetterzone über dem Meer fliegen müssten, vorher zu landen oder gar nicht erst zu starten. Können wir die Route über Land nehmen gilt, dass wir nie näher als zwei römische Meilen an den Rand einer Siedlung von mehr als fünftausend magielosen Mitbürgern herankommen dürfen. Das kann eine sehr kurvige Angelegenheit sein." Barbara und Julius nickten.

Ein leises Pingeln erklang, und in der breiten Frontscheibe erschien ein feuerrot blinkendes Symbol, das einen auf sie zufliegenden Vogel darstellte. "Achtung, Flugmaschine voraus auf Gegenkurs!" rief Madame Duchamp. "Klar bei Ausweichmanöver. Besucher bitte hinsetzen!"

Barbara zog Julius zu einer der beiden Bänke auf denen die sich ausruhenden Besatzungsmitglieder schlafen konnten. Da kippte die Kutsche nach vorne über. Sie hörten die an die Abraxaner gehenden Kommandos "Ab! Ab! Ab!". Für wenige Sekunden raste die Kutsche im 80-Grad-Winkel nach unten auf die Wolken zu. Dann fing sie sich wieder und glitt durch die oberen Schichten der Wolken. Da hörte Julius das typische Fauchen und Heulen von Strahltriebwerken. Dann sah er die entgegenkommende Maschine heranrasen, eine Boeing 737-600, wie er erkannte. Das Verkehrsflugzeug donnerte über sie hinweg und zog einen unverkennbaren Kondenzstreifen hinter sich her. "Das war ein Verkehrsflugzeug im Steigflug", erwähnte Julius, als die beiden LvDs das Gefährt wieder in eine vernünftige Fluglage brachten. "Dann sind wir offenbar schon in der Nähe eines der drei Flugmaschinenhäfen von Paris, Madame Duchamp. Das hätten wir eigentlich schon gleich nach dem Abflug klären können", grummelte Moureau. "Klären wir jetzt", sagte Madame Duchamp. "dreißig Grad Steuerbord. Neuen Kurs für zehn Minuten anlegen und dann wieder auf geplantem Kurs weiterfliegen und nach einer halben Stunde für zehn Minuten dreißig Grad Backbord, um auf die ideale Reiseroute zurückzukehren!" kommandierte Madame Duchamp. Monsieur Moureau bestätigte. Beide steuerten die Kutsche über die Steuerräder und befahlen ihren Abraxanern offenbar voranzustürmen. Als das Korrekturmanöver beendet war sagte Barbara: "So konnten wir direkt miterleben, wie die Lenkung der Sonnenkarosse funktioniert. Vielen Dank für die kurze Vorführung." Sie winkte Julius zu, sie zu begleiten. Er bedankte sich auch für die Vorführung und verließ mit seiner Schwiegertante die Lenkkabine.

"Hui, gut, dass die Kutsche vollständig innerttralisatus-bezaubert ist und sozusagen ihre eigene Schwerkraft hat", meinte Julius auf dem Weg zurück zur Sonnenkuppel. "Da haben die zwei nicht richtig aufgepasst, Julius. Gerade die Flugzeughäfen der Nichtmagier sind für Reisen wie diese sehr gefährliche Orte. Das hätten die vorher schon regeln können, die zu umfliegen. Immerhin sind die auf den Standortanzeigeplänen überdeutlich dargestellt."

"Ich denke, das wissen die beiden jetzt und werden nun noch mehr aufpassen, keinem Flieger in den Weg zu kommen."

"Ich habe auf die Gespanntiere geachtet. Die reagierten sehr gereizt auf die Geräusche der Flugzeugtriebwerke. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären uns durchgegangen", sagte sie sehr besorgt und mentiloquierte: "Ich weiß von unseren Kühen und vor allem Temmie, dass die von den Antriebsmaschinen erzeugten unteren und oberen Töne den Abwehrdrang auslösen, also Flucht oder Angriff."

"Stimmt, hat Temmie mir auch erzählt, als Pétain die Giftgasbomben über Millemerveilles abwerfen wollte", mentiloquierte Julius zurück. Mit körperlicher Stimme sagte er noch: "Ich gehe davon aus, dass die Tiere für diese Reise besonders ausgewählt wurden, die nicht so leicht bei lauten Geräuschen erschrecken oder aggressiv werden."

"Abraxaner sind und bleiben trotz ihrer majestätischen Größe und ihren Flügeln immer noch Pferde, Julius. Ich habe einmal die Flucht einer bis dahin friedlich auf der Koppel stehenden Herde mitbekommen. Abgesehen davon, dass beim Abflug die fünf Meter hohe Palisade niedergerissen wurde haben die Tiere auf dem Weg nach oben noch drei ausgewachsene Eichen entastet, bevor sie freien Himmel über sich hatten und dann mit wilden Gebrüll und Gewiher davongeschossen sind. Sind die einmal im Fluchtmodus fängt die kein Ruf und kein Strang mehr ein. Und die können dann für zwanzig Minuten bis zu fünfhundert Stundenkilometer schnell rasen, bevor ihnen die Puste ausgeht. Sollte man meinen, dass auf Größe gezüchtete Zaubertiere auch mehr Ruhe und Überlegenheit entwickeln. Aber wenn der Fluchttrieb doch überwiegt wirkt er um so nachhaltiger."

"Die Kühe sind aber besser beherrscht", meinte Julius. "Die Kühe ja. Die Bullen könnten in einer Frage von Flucht oder Angriff eher zum Angriff übergehen. Tja, und wenn zehn in Panik flüchtende Abraxaspferde schon so zerstörerisch sind nimm das mit drei oder vier mal und du hast die Zerstörungswut von nur drei wütenden Bullen", erwiderte Barbara. "Daher ist es ja für uns so überaus wichtig, sie vor überlauten Geräuschen oder Angst oder Wut auslösenden Sachen zu schützen."

"Ja, und wenn dann so eine große Kutsche aus der Spur fliegt ist die sicher auch schwer wieder einzukriegen", vermutete Julius. Barbara bejahte es. Dann fiel ihr noch was ein: "Wo wir schon mal unterwegs sind können wir uns ja mal einen der Ertüchtigungsräume ansehen, die für Leute mit Hang zu Sport eingebaut wurden. Kann nämlich sein, dass wir an den jeweiligen Zielorten keinen Auslauf im Sinne von Freilauf haben." Julius nickte. Er hatte ja schon auf dem Lageplan gesehen, dass es eine ständig mit Frischluft bewetterte Kraftsporthalle, eine Turnhalle mit verschiedenen Geräten und einen Hindernisparcours gab. Im Sommer, so Barbara, konnte der hintere untere Teil sogar als Schwimmhalle benutzt werden.

Julius staunte nicht schlecht über die Möglichkeiten, Gymnastik zu treiben oder in einem Rudersimulator Arm-, Bauch- und Beinmuskulatur zu trainieren. Er war froh, leichtes Sportzeug eingepackt zu haben. So konnte er also zumindest morgens ein paar Übungen machen, um in Form zu bleiben. Barbara Latierre wusste das. Immerhin hatte sie damals bei den morgentlichen Turnstunden ihrer großen Schwester mitgemacht, und die Wettbewerbe in Japan hatte sie auch nicht vergessen.

Nach zwanzig Minuten kehrten Julius und seine Schwiegertante wieder in die Sonnenkuppel zurück.

"Hallo zusammen, wissen Sie, was das gerade sollte?" wurden sie von Belenus Chevallier begrüßt, der die Minuten zwischen Verlassen und Rückkehr der Latierres genutzt hatte, um sich mit Monsieur Chaudchamp zu einer Schachpartie zu verabreden. "Ich hatte den Monsieur hier gerade nach nur drei Zügen in einer sehr prekären Lage, als erst die Sonne über uns weggesprungen ist und wir dann fast kopfüber in die Wolken reingeschossen sind. Trotz der völligen Beharrungs- und Lageausgleichsbezauberung sind uns die Schachmenschen umgekippt und durcheinandergepurzelt. Dann kam noch dieser feuerspeiende Donnervogel über uns weggeflogen, und jetzt sind die Schachmenschen nur noch am bibbern und reagieren auf keinen Spielbefehl mehr."

"O, Interessant", meinte Julius. "Monsieur Chevallier übertreibt maßlos. Ich hätte aus der letzten Stellung heraus noch vier Auswege gewusst, um ein Schachmatt abzuwenden, ja um ihn da selbst in ein solches hineinzutreiben. Aber wie er sagte sind die Figuren gerade nicht spielbereit", erwiderte Chevalliers Opponent.

"Also, wir mussten gerade einer von einem der drei pariser Flughäfen abfliegenden Verkehrsmaschine ausweichen", sagte Julius. "Die Triebwerke von denen machen schon eine Menge Krach. Kann sein, dass das für die kleinen Schachmenschen zu laut war."

"Da war wohl eher die Ausrichtung zur Lichtquelle entscheidend, Julius. meine Mutter hat mal von einer Partie berichtet, wo jemand mit einem Spiegel geblinkt hat und dabei die Dame angeleuchtet hat. Diese schlug dann die Hände vor ihr Gesicht, wirbelte wie eine Ballerina auf Kreiselflugtrank mehrmals um ihre Achse und kippte dann um. Es kam raus, dass Schachmenschen empfindlich auf sich ständig ändernde Lichteinstrahlung reagieren. Aber die Lautstärke dürfte auch bedeutsam sein."

"Sind das die Standardschachmenschen von Royome Rouge Zauberschnitzerei?" fragte Julius. Die zwei um ihre Partie gebrachten Spieler nickten. "Okay, aus der von Madame Latierre zitierten Quelle habe ich auch einen Trick, wie durch grobe Gewalt oder überlaute Geräusche zum Zittern gebrachte Schachmenschen wieder spielbereit gemacht werden. Augenblick, haben wir gleich!" sagte Julius, trat vor und ergriff mit jeder Hand einen der Könige. Diese zuckten kurz zusammen. Als er den weißen hochhob krakehlte der: "Einen König packt man doch nicht am Kragen!" Der schwarze König blaffte: "Nehme er seine Finger von uns, solange er nicht unser Lenker ist."

Julius ging nicht darauf ein und stellte die zwei Könige auf die Felder e4 und e5 einander gegenüber. Als sie sicher standen sahen sie einander an und riefen dann zeitgleich: "Schachmatt!" Dann versuchten sie, sich gegenseitig vom jeweiligen gegnerischen Feld zu schupsen. Das wiederum schien das schockartige Beben der anderen Schachmenschen aufzuheben. Sie entspannten sich, streckten sich dann einmal ganz lang und stellten sich dann wieder auf ihre kleinen Füße. "Und wir sagten, Weiß ist matt", stieß der schwarze König aus. "Mit nichten, denn Ihr seid nach mir auf jenes feld getreten, somit sind wir am Zuge und Schwarz ist matt."

"Ist mal Ruhe hier", kblaffte nun einer der weißen Bauern, während einer der schwarzen Springer wieherte. "So, wer jetzt neu spielen will sagt entweder Remis oder Abbruch und kann dann einen Neuaufbau befehlen", meinte Julius zu Jeannes Schwiegervater, der ja über Jeanne und Millie auch irgendwie mit ihm verwandt war. "Spiel Remis. Neuaufbau!" rief Belenus Chevallier und grinste dabei wie ein amüsierter Schuljunge. Sein Gegner sah dem ganzen nur ungläubig zu. "Die Könige wecken die anderen, wenn sie meinen, die Partie gewonnen zu haben aus jeder Schockstarre oder jedem Schlaf", meinte Julius. "Ist ein eingewirkter Trick der Manufaktur, die diese Schachmenschen herstellt. Meine Schwiegergroßmutter Ursuline Latierre hat das von einem Gegner erfahren, als sie bei einem Turnier von einem heftigen Gewitter unterbrochen wurden. Die Partie wurde als Patt gezählt und die Punkte gleichmäßig verteilt."

"Stimmt, das war, als sie mit mir in der zwanzigsten Woche schwanger war", meinte Barbara Latierre.

"Jedenfalls gehen die Figuren wieder", meinte Belenus Chevallier, während sein Gegner an den Ohren errötete, weil Barbara eine intime Begebenheit aus ihrem und ihrer Mutter Leben ausgeplaudert hatte.

"Außerdem kann die Sonnenkuppel nicht nur abgedunkelt, sondern gegen alle Geräusche abgeschirmt werden", sagte Barbara und gab dem Tisch in der Mitte zugewand das Kommando "Gewitterruhe!" Die Kuppel flimmerte kurz. Dann war sie wie vorhin, nur dass jetzt wohl kein lautes Geräusch mehr durchdringen würde.

Julius beobachtete die zwei Spieler und erkannte, dass Jeannes Schwiegervater durchaus eine Aufstufung auf die Spilerstärke C verdient hatte, auch wenn er nicht so häufig spielte. Immerhin war sein Gegner ein miserabler Schachspieler. So dauerte die Partie gerade einmal zehn Züge, bis der weiße König Monsieur Chevalliers frohlockte: "Jetzt seid ihr matt, schwarzer Regent!" Jener nickte, nahm die Krone ab und warf sie scheppernd vor sich auf den Boden, bevor er sich demütig vor dem Sieger verbeugte.

"Ich verzichte auf Revanche", knurrte der Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und stand auf. "Eh, er vergibt die Möglichkeit, die Schande zu tilgen? Wie demütigend ist dies und wie feige!" rief der schwarze König aus seiner unterwürfigen Körperhaltung heraus. "Ich lasse mich nicht von einem Stück belebten Ebenholzes beleidigen", knurrte sein Spieler und wandte sich zum gehen. "Außerdem gilt es für die Konferenz mit den Engländern noch einige wichtige Punkte zu prüfen. Bis bald!"

"Wie viel Zeit bis Mittag?" fragte Julius. Barbara erwähnte, dass sie noch an die drei Stunden hatten. "Das geht gut", meinte Julius.

Die erwähnten drei Stunden nutzte Julius, um Jeannes Schwiegervater dreimal zu besiegen. "Also gegen dich will ich garantiert nicht beim Turnier antreten. Aber mit der werten Madame Delamontagne lege ich mich in der Form besser auch nicht an", grummelte Belenus Chevallier. "Jedenfalls haben wir die Zeit optimal runtergespielt", meinte Julius dazu. Die Schachmenschen zogen sich in das schwarz-weiße Häuschen zurück, in dem sie bis zu einer neuen Partie verbleiben konnten.

"Ich habe dieser Figurenverschieberei nie so recht was abgewinnen können", sagte Barbara Latierre, obwohl ich wie erwähnt von frühester Zeit an auf dieses Spiel eingestimmt wurde. Aber es gibt wichtigeres im Leben. Aber zum Zeitvertreib ist es allemal brauchbar."

"Na ja, Barbara, Sie werden nicht abstreiten, dass es das vorausschauende Denken und die Konzentration fördern kann", sagte Belenus Chevallier. Dem hielt Barbara Latierre entgegen, dass ein wildes Quidditchspiel dieselbe Wirkung habe und hierbei sogar räumlich und zeitlich gedacht werden müsse, um zu erkennen, an wen ein Quaffel weitergepasst werden konnte und welcher gegnerische Jäger den Pass noch vereiteln konnte. Dem konnte auch Julius zustimmen. "Es wird mal wieder Zeit für eine Familienpartie. Meine beiden Erstgeborenen wagen es, mir altersbedingtes Nachlassen zu unterstellen und meine ältere Schwester behauptet, ich könne nicht mehr gerade auf einem Besen sitzen, weil ich den bequemen breiten Bock eines Latierre-Kuh-Reisekastens gewohnt sei."

"Bruno meint auch, ich sollte mit seinen Kindern üben, um wieder in Form zu kommen", grummelte Monsieur Chevallier. "Na ja, ich muss auf jeden Fall noch ein paar Flugstunden abreißen, damit ich den Ganni 15 beherrsche, den mir die Behörde für magische Ausrüstung und Reisemittel zugebilligt hat."

"Ja, der ist sehr anspruchsvoll. Dafür geht der aber auch ab wie ein geölter Blitz", meinte Julius.

Ein die G-Dur-Tonleiter aufsteigender Gong verkündete, dass es jetzt Mittagszeit war. "Alle Reisenden sind eingeladen, das Mittagessen im Speisesaal im Mittelpunkt der Karosse einzunehmen. Unser Küchenchef wünscht allen einen guten Appetit!" erklang noch die Durchsage einer Männerstimme.

"Küchenchef? Da unten sind drei Hauselfen in der Küche", meinte Belenus Chevallier. Dann geleitete er die Latierres in den erwähnten, kreisrunden Mittelsaal, der über einen die ganze Wand reichenden Rundumsichtzauber verfügte. Nur den freien Himmel konnten sie nicht über sich sehen. Weil die Sonne auf den massiven Silberbesteckteilen spiegelte wurden die Fenster zu fünfzig Prozent undurchsichtig. Soweit zur Rundumsicht, dachte Julius. Dafür konnte er nun blendfrei das zweigängige Mittagessen genießen.

Den Nachmittag verbrachte er in der in der Karosse enthaltenen Bibliothek und prüfte, welche Bücher ihn noch für die eigene Bibliothek interessierten. Weil die Kutsche ja ein Staatsgefährt war enthielt die Bibliothek eine große Auswahl Sprachlernbücher von Polyglosse und Babel, geographische Werke und auch eine Menge Zaubereigeschichte aus verschiedenen Bereichen, alles, um bei anstehenden Besuchen ein gewisses Konversationswissen parat zu haben, dachte Julius.

Den Flug über den Ärmelkanal genoss er wieder unter der Sonnenkuppel. Als er die britische Hauptinsel an Backbord voraus sichtete überkamen ihn wohlige Gefühle, nach einer langen Reise wieder heimatliche Gefilde zu erreichen. Dabei würde die Kutsche nicht in London landen oder in der Nähe von Hogwarts, sondern in einem Bergdorf von Südwales, dessen Namen Julius als geborener Engländer und Importfranzose nicht aussprechen konnte. Er mentiloquierte seine Frau an und teilte ihr mit, dass sie gleich landen würden und wünschte ihr auch einen schönen Abend. "Britt hat sich gemeldet, die Mexikaner grabschen nach Texas, Kalifornien und Neumexiko. Die wollen wohl Pflöcke einschlagen, bevor sich die Yankees darüber einig sind, ob Makusa oder Föderation", gedankensprach Millie. "Danke für den Hinweis. Ich muss nur überlegen, wie ich den bei Ministerin Ventvit und Monsieur Chaudchamp anbringen kann. Grüße an Béatrice!"

"Gebe ich gerne weiter", erwiderte Millie.

"Verehrte Mademoiselle Ventvit, verehrte Teilnehmer an der Mission Friedensreise, in zehn Minuten erreichen wir unseren ersten Aufenthaltsort im malerischen südlichen Wales. Wir nähern uns vom Bristolkanal her, den der in der Sprache der Waliser Môr Havren genannt wird und werden am Südsaum des kambrischen Gebirges landen. Wir hoffen alle, dass Ihr bisheriger Aufenthalt angenehm verlief und hoffen auf einen Erfolgreichen Abschluss Ihrer Unterhandlungen!"

"Wie ein Linienflieger", meinte Julius. Da kam Auguste Chaudchamp auf ihn zu und sah ihn entschlossen an: "Auch wenn sie eine gewisse Heimatverbundenheit empfinden mögen erachte ich es für geboten, Sie daran zu erinnern, dass Sie nur dann auftreten und reden mögen, wenn Sie ausdrücklich und nur zu dem von Ihnen repräsentierten Fachgebiet befragt und / oder um eine Darlegung gebeten werden. Ich hoffe, es wird keinerlei Zuständigkeitskonflikte geben."

"Da dürfen Sie unbesorgt sein, Monsieur Chaudchamp. Denn ich stamme aus England, nicht aus Wales und empfinde demnach keinerlei Heimatverbundenheit zu dem von uns angesteuerten Reiseziel. Des weiteren wurde ich bereits mehrfach in der Vorbereitung dieser Unterhandlungsreise darauf hingewiesen, dass ich mich nur zu Dingen einlassen oder äußern möge, die mit meinem unmittelbaren Fachgebiet zusammenhängen und / oder wenn ich ausdrücklich zu einem mir bekannten Thema befragt werde", erwiderte Julius ganz ruhig. Er war es nun schon so sehr gewohnt, dass Chaudchamp ihn für zu voreilig oder überheblich hielt und meinte, ihn vorsorglich zurückpfeifen zu müssen, bevor auch nur etwas passiert war. Sollte Chaudchamp seine Auftritte haben. Er würde sich nicht langweilen.

Die Reisekutsche glitt aus ihrer Flughöhe nach unten und überquerte die Küstenlinie. Wie es verkündet worden war landete das imposante Gespann am südlichen Rand jenes Gebirges, dass einen Gutteil von Wales durchzog. Beim Sinkflug enthüllte sich eine kleine Ansiedlung, die von den größtenteils englischsprachigen Briten Stoney Cauldron genannt wurde, weil der walisische Originalname für Nichtwaliser schwer bis unmöglich auszusprechen war, ohne schadenfrohes Gelächter oder Unmut über eine angebliche Respektlosigkeit zu entfesseln. Als die nun aus ihrer Ruhelage ausgeklappten Speichenräder festen Boden berührten und die Abraxanerpferde mit allen 144 Hufen auf dem felsigen Untergrund standen ergriff die Ministerin noch einmal das Wort. "Werte Mitreisende, Monsieur Chaudchamp wird zusammen mit mir die Karosse verlassen und die Begrüßung unserer Gastgeber entgegennehmen. Bitte stellen sie sich so auf, dass sie auf meinen oder Monsieur Chaudchamps Zuruf das Reisegefährt verlassen können, sobald sichergestellt ist, dass wir alle auf britischem Boden willkommen sind. Ich schließe mich den Worten unserer fachkundigen Flugbesatzung an und hoffe darauf, dass unser Aufenthalt hier ein Erfolg wird. Vielen Dank!"

Nur zwei Minuten nach der Landung öffnete sich die portalartige Tür, die Treppe wurde ausgeklappt, und die Ministerin und Auguste Chaudchamp entstiegen der Kutsche. Julius konnte sehen, dass draußen der Leiter der internationalen magischen Zusammenarbeit aus Großbritannien und Irland und Mr. Weasley als Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung warteten. Den amtierenden Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt sah er gerade nicht. Doch womöglich war der auch schon in Stoney Cauldron. Zehn Minuten nach der Ministerin durften auch alle anderen Mitreisenden aussteigen, die Ranghöchsten zuerst. So kam es, dass Julius zusammen mit Barbara Latierres Untersekretär aus der Sonnenkutsche stieg. Arthur Weasley und der für internationale Zusammenarbeit tätige Kollege begrüßten ihn förmlich ohne Überschwang.

Nach der französischen Mittagsmalzeit genoss Julius das britische Abendessen, verzichtete jedoch auf das angebotene Bier und blieb bei hausgemachter Erdbeerlimonade. Er durfte sich mit Tim Abrahams unterhalten, der heute Abend zur Begrüßung herübergekommen war. Weil es bei der Unterhandlung mehr um Gesetze und Zauberwesen gehen würde würde Abrahams nur dann was zu tun bekommen, wenn es um die Verständigungsmittel ging. Dann, so erwähnte Tim Abrahams, würde auch seine Computerexpertin Pina Watermelon anwesend sein. Julius ließ sich wegen Chaudchamp nicht anmerken, wie er sich darauf freute, seine Schulfreundin aus Hogwartszeiten wiederzusehen. Doch wenn hier alles einem strickten Protokoll folgte durfte er mit ihr wohl nur fachgebietsbezogene Konversation machen.

Nach dem Abendessen kehrten die französischen Delegierten in ihre fliegende Staatskarosse zurück. Die Abraxanerpferde waren auf einer Koppel untergebracht, wo sie nun auch feste Nahrung zu sich nehmen durften. Gegen elf Uhr Ortszeit zogen sich alle in die zugeteilten Kabinen zurück. Julius verzichtete darauf, seine Frau noch einmal anzumentiloquieren, weil es in Frankreich schon Mitternacht war. Er machte sich bettfertig und gab sich der umgebenden Stille hin. Ab morgen würde es hochoffiziell und entsprechend anstrengend sein.

__________

Kingsley Shacklebolt erfuhr am Abend des 16. März, dass die französische Abordnung eingetroffen war. Der immer noch amtierende Zaubereiminister der britischen Inseln kontaktfeuerte mit allen für die Unterredung wichtigen Mitgliedern seines Verwaltungsstabes, um sicherzustellen, dass die Zusammenkunft ein Erfolg wurde. Es war nur ein Tag für die nötigen Absprachen angesetzt, weil die Franzosen gleich am 18. weiter nach Feensand reisen würden, wo sie mit Vertretern deutschsprachiger Zaubereiministerien zusammentreffen wollten. Also standen die Franzosen unter Termindruck.

"Wen haben die jetzt alles dabei, Arthur?" fragte der dunkelhäutige Ex-Auror seinen Mann für magische Gesetzesüberwachung. "Wie angekündigt ist die Ministerin selbst mit dabei, dann mein Amtskollege Chevallier, Chaudchamp von der internationalen Zusammenarbeit, Madame Barbara Latierre für die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe zusammen mit dem Veelabeauftragten Julius Latierre und der Leiter der Abteilung für magischen Handel. Die haben alle ihre Untersekretäre mitgenommen. Die Ministerin hat zudem vier Hexen als Personenschützerinnen, Britta Gautier, Michelle Crapaut, Eloise Boisclair und Valerie Bouvier. Die warten alle auf uns", erwiderte Arthur Weasley, der bereits im goldenen Falken logierte, um nicht lange anreisen zu müssen.

"Gut, dann bringe ich auch vier Leibwächter mit. Öhm, Tim Abrahams wird mit seiner Sekretärin Pina Watermelon anreisen. Ich habe Amos vorgeschlagen, deine Schwiegertochter Hermine mitzubringen, weil sie sich wie der junge Monsieur Latierre mit beiden Welten zurechtfindet, sollte es noch einmal um eine Verbesserung dieses Fernverständigungsverfahrens namens Internet gehen."

"Wissen die schon von ihrem Glück?" fragte Arthur Weasley. "Ich habe Mr. Diggory vorgewärmt, ihn gleich deshalb noch einmal anzurufen, wenn du mir erzählt hast, wen die Franzosen jetzt alles mitgeschickt haben."

"Gut, dann denke ich, wir sehen uns morgen im Jägersaal. Thelma und Bono haben den für die Verhandlung umdekoriert, weil nicht jeder den Anblick von Bären- und Keilerköpfen vertragen kann."

"O, dann bin ich gespannt, was sie sich an Stelle der abgetrennten Tierköpfe hinhängen oder hinstellen", sagte Kingsley Shacklebolt.

"Ich hab's schon gesehen, Kingsley. Aber ich will dir die Überraschung nicht verderben", erwiderte Arthur Weasley.

"Apropos Überraschung: Seid ihr euch sicher, dass wir in den vier britischen Ländern keinen VM-Aktivisten oder keine VM-Aktivistin mehr haben? Es wäre all zu peinlich, wenn diese Babymacherbanditen finden, unsere Zusammenkunft mit ihrem unerwünschten Besuch zu beehren und da ihren Fortpflanzungsrauschnebel zu versprühen."

"Ich möchte nicht lügen, aber auch keine Panik machen, Kingsley. Derzeitig haben wir keine weiteren Verdächtigen, die für Vita Magica arbeiten. Damit möchte ich nicht behaupten, dass es auf britischem oder irischem Boden keinen mehr gibt. Aber was das Fortpflanzungsgas angeht hat Heilerin Newport alle Räume des goldenen Falkens mit entsprechenden Gegenmaßnahmen ausgestattet."

"Gut, Arthur. Dann bis morgen um neun Uhr im Jägersaal!" erwiderte Kingsley Shacklebolt und beendete die Kontaktfeuerverbindung.

Nachdem er noch einmal bei Amos Diggory durchgefeuert hatte zog sich der Zaubereiminister Großbritanniens in seine Wohnräume zurück und sicherte diese mit Feindesabwehrzaubern. Während er sich zur Nacht umkleidete dachte er daran, was Ladonna Montefiori noch alles hinterlassen hatte, mit dem sie es in den nächsten Wochen, Monaten oder gar Jahren zu tun hatten. Allein die angespannte Stimmung mit den Kobolden ließ sich nicht so leicht beseitigen. Auch wussten weder die Auroren, noch die Mitglieder der Liga dunkler Künste oder die nach Riddles Ende für sich lebenden und arbeitenden Mitglieder des Phönixordens nicht, wie genau Ladonna verschwunden war und ob dieses Verschwinden wirklich endgültig war oder auch nur sowas wie damals bei Tom Riddle oder den Schlangenkriegern des alten Reiches. Doch bisher hatten die Italiener nichts darüber ausgeplaudert, auf welche Weise Ladonna Montefiori aus der Welt verschwunden war.

Als er in seinem Bett lag dachte er auch daran, dass Vita Magica durch Ladonna schwere Rückschläge erlitten haben mochte. Das hieß jedoch, dass diese Gruppierung sehr hart zurückschlagen mochte. Er hatte es nicht vergessen, dass sie ihn ja auf die Liste erwünschter Nachwuchserzeuger gesetzt hatten. Nur die Rundumbewachung, die er genoss, hatte ihn vor diesem fragwürdigen Schicksal bewahrt. Zumindest dachte er das. Denn er hatte vergessen, dass er längst im Auftrag Vita Magicas mehr als fünfzig unehliche Kinder gezeugt hatte und wusste auch nicht, wo und bei wem diese aufwuchsen.

__________

Am Morgen des 17. März nutzten Julius, Barbara und Belenus Chevallier die Sporteinrichtungen der Reisekutsche, um sich in Tagesform zu bringen. Julius sah einmal zu, wie Jeannes Schwiegervater sich mit Barbara ein Duell im Parcours lieferte ... und verlor. Dann nahm er Barbaras Herausforderung an und schaffte es immerhin, nur drei Sekunden nach ihr durchzusein. "Also du trinkst keine Latierre-Kuhmilch, oder?" fragte Belenus Chevallier, der hier im Sportraum die Förmliche Distanz aufgab. "Nein, das ist noch von der Zeit nach dem Schlangenmenschenüberfall auf Beauxbatons und der Radikaltherapie von Madame Rossignol und Madame Maxime. Tja, und dann habe ich ja einige Kinder ins Leben geschaukelt", protzte Julius Brunos Vater gegenüber. Dieser verzog sein Gesicht, während sich Barbara warnend räusperte. "Hoffe bloß darauf, dass das jetzt keiner mitgehört hat. Manche der Damen könnten dir unsittliches, postpubertäres Betragen unterstellen", mentiloquierte sie. Doch Julius ließ sich davon nicht beeindrucken und setzte seine Morgenübungen fort. Dabei dachte er, dass er jedem, der so geredet hatte wie er gerade selbst ein auf bestimmte Körperzonen beschränktes Denkvermögen unterstelltt hätte. Aber Brunos Vater wollte das ja so haben, und Bruno hätte sich womöglich über diese Bemerkung amüsiert.

um sieben Uhr frühstückten die Delegierten aus Frankreich im Zentrumssaal ihrer Reisekutsche. Zwar hätten sie auch im Gastraum des goldenen Falken frühstücken können, doch die Ministerin hatte festgelegt, dass ihre Abordnung die Mahlzeiten in der gesicherten Reisekutsche einzunehmen hatte.

Nach dem Frühstück sprach Anne Laporte, die mitgereiste Heilerin vom Dienst, zu den Anwesenden. "Werte Kolleginnen und Kollegen, da es durchaus vorkommen kann, dass wir die landestypischen Speisen und Getränke in Gesellschaft mit den Gastgebern und anderen Delegationen einnehmen können möchte ich Jeder und jedem von Ihnen die Blähungsverhütungspastillen übergeben, die vor jeder größeren Mahlzeit eingenommen peinliche bis lästig riechende Darmwinde vermeiden. Wenn wir schon solche exzellenten Verdauungsunterstützungsmittel mitführen, dann dürfte es uns auch ein leichtes sein, peinliche Vorkommnisse zu vermeiden. Als zugeteilte Heilerin bitte ich nun jede und jeden zur Ausgabe zu mir."

"Antifurzpillen, ist nicht Ihr Ernst, Heilerin Laporte", stieß Belenus Chevallier aus. "Die Dinger sind superteuer."

"Zum einen bitte ich mir für einen amtlichen Abteilungsleiter eine wesentlich mannierlichere Ausdrucksweise aus, Monsieur Chevallier. Zum anderen müssen Sie die Pastillen nicht bezahlen, sondern das Ministerium tut dies, nachdem Monsieur Chaudchamp und ich befunden haben, dass bei Zwiebel- und Hülsenfrüchtereichen Mahlzeiten Blähungen und unerwünschte Leibwinde dem Anlass und dem gesellschaftlichen Miteinander nicht immer förderlich sind. Man könnte meinen, Sie seien noch nie zu einem wichtigen Empfang oder einer wichtigen Konferenz gereist."

"Doch das schon, aber ich habe mir dann die Vorläufer von den Antifurzpillen dahin geschoben, wo nie die Sonne hinscheint", erwiderte Brunos Vater. Barbara sah ihren Kollegen sehr tadelnd an. Der sagte: "Was gibt es da so kritisch zu gucken, Kollegin Latierre. Hier sind keine Kinder im Raum."

"Ja, aber acht damen, einschließlich meiner Person", sagte Heilerin Laporte. Dann präsentierte sie kleine rosarote Dosen wie eben Pillendosen. Julius nahm die für ihn bestimmte entgegen und blickte hinein. Die Pastillen waren so groß wie Erdnusskerne, kreisrund und schneeweiß. Das waren also die seit 2002 im freien Handel oder beim Vertrauensheiler erhältlichen Blähungsverhütungspastillen. "Um der Diskretion wegen empfehle ich, die für einen Tag vorhaltende Pastille entweder nach dem Frühstück oder kurz vor dem Mittagessen in einem diskreten Waschraum einzunehmen. Dann können Sie bedenkenlos zwiebeln, Kohlgemüse und Hülsenfrüchte zu sich nehmen."

"Warum eine Rosarote Dose?" fragte Alain Dupont. "Weil das nicht verrät, wozu der Inhalt gut ist", erwiderte Anne Laporte abgebrüht. Die Ministerin bedankte sich für die fürsorgliche Vorsorge. Damit waren alle Lästermäuler gestopft.

Um fünf Minuten vor neun betraten die Delegierten das Gasthaus zum goldenen Falken durch eine Seitentür, die für geschlossene Gesellschaften bereitgehalten wurde. Durch schmale, holzgetäfelte Gänge ging es zu einer grün angestrichenen Tür, auf der ein röhrender Hirsch und ein grün gekleideter Bogenschütze aufgemalt waren. "Der Jägersaal, eine gerne von unserem Siedlungsrat genutzte Versammlungsstätte", stellte der kleine, untersetzte Zauberer mit den fuchsroten Haaren den dahinterliegenden Raum vor. Julius hatte sofort das Bild einer feudalen Jagdstube mit jeder Menge abgetrennter Tierköpfe im Kopf. Doch als sie durch die grüne Tür waren und in den rechteckigen Saal mit einem Kamin an der Stirnseite und zwei Reihen rechteckiger Fenster gelangten sah er nur einen blattgrün lackierten Parkettboden, einen aus mehreren Tischen zusammengestellten Versammlungstisch, daran aufgestellte hochlehnige Stühle mit blattgrünen Polstern und an den Wänden hängende Ölbilder, die friedliche Waldlandschaften zeigten. Allerdings entging ihm nicht, dass es in den Wänden Löcher gab, in die sicher starke Haken gesteckt werden konnten, an denen wiederum schwere Gegenstände gehängt werden konnten, womöglich Hirschgeweihe, Wolfs- oder Wildschweinköpfe. Zumindest hatten sie eine aus gefärbtem Metall gefertigte Nachbildung jenes Bogenschützens auf dem Türblatt im Raum belassen. An der Decke hing eine quaffelgroße Leuchtkristallkugel, deren Licht gerade nicht entzündet war.

Vor Kopf möchte Minister Shacklebolt platznehmen, verkündete der Wirt des goldenen Falkens, Bono Galbraith. Wie ein höfischer Zeremonienmeister teilte er die Plätze nun zu, so dass sich die verschiedenen Amtsträger aus Frankreich und Großbritannien einander gegenübersetzen konnten. So würde Julius entweder Pina Watermelon oder Hermine Weasley gegenübersitzen, während seine Schwiegertante Barbara ihrem britischen Kollegen Amos Diggory gegenübersitzen durfte.

Als die in feinen Umhängen gekleideten Ministeriumsmitglieder aus Großbritannien eintraten erhoben sich noch einmal alle französischen Delegierten und nickten den Amtskolleginnen und -kollegen zu. Dann konnte Julius noch einen sehen, den er hier und jetzt nicht erwartet hatte, seinen ehemaligen Hogwarts-Schulkameraden Fredo Gillers, von dem er wusste, dass der für den Tagespropheten schrieb. Also hatte Shacklebolt es zugelassen, dass Reporter bei der Sitzung anwesend sein durften. So konnte die französische Zaubereiministerin die von ihr mitgenommenen Pressevertreter ebenfalls hinzubitten, die dann abseits des großen Tisches an einem kleinen Ess- und Schreibtisch platznehmen konnten.

Als alle britischen Beamten vollzählig erschienen waren winkte Shacklebolt dem Wirt zu. "Bringen Sie uns bitte noch zu trinken und die Platte mit den belegten Broten, Bono!" Der Wirt bestätigte es und verließ den Saal.

"Ladies and Gentlemen, Messieursdames, ich bin hocherfreut, dass es wirklich gelungen ist, hier und heute zusammenzukommen. Da ich nicht weiß, wie lange die Besprechung dauern kann habe ich mal eben entschieden, dass wir genug Tee, Kaaffee, Milch und belegte Brote zur Verfügung haben. Keine Sorge, das wird alles aus dem Haushalt für besondere Anlässe bezahlt", sagte Shacklebolt.

Sie warteten noch, bis Bono mit einem vor sich herschwebendem Ballett aus vier Tabletts in den Saal zurückkehrte und die Tabletts mit bauchigen Kannen und großen Tellern mit verschiedenartigen Sandwiches punktgenau auf dem Tisch absetzte. Die Gäste bekamen zudem aus dem Nichts heraus Teegeschirr aus edlem Porzellan hingezaubert. Als alle Geschirr und Besteck vor sich hatten verbeugte sich Bono Galbraith erneut und wünschte allen einen angenehmen Vormittag. "Sollten Sie gegen Mittag mehr Hunger verspüren und Minister Shacklebolt dies genehmigen wird es meiner Frau und mir eine Ehre sein, Sie alle mit warmen, herzhaften Speisen der walisischen Küche zu versorgen, auf dass Sie keinen Hunger leiden müssen."

"Ich danke Ihnen für dieses Angebot und werde es Sie wissen lassen, ob oder besser wann genau wir davon Gebrauch zu machen wünschen", sagte der Zaubereiminister. Das nahm der Wirt zum Anlass, den Saal zu verlassen.

"Da dieser Saal für geschlossene Gesellschaften, den Siedlungsrat und solche Versammlungen wie die unsere vorgesehen ist wurde er mit einem Dauerklangkerkerzauber belegt. Wir können also ohne Sorge vor unerwünschter Belauschung sprechen. Ich sage dies auch für die Damen und Herren der Nachrichtenzunft. Ich bitte darum, erst dann über die hier gewechselten Worte und Vorschläge zu berichten, wenn wir uns alle darin einig sind, was davon an die Öffentlichkeit gelangen darf und was nicht. Bitte erweisen Sie sich meiner Wertschätzung würdig, erst dann zu berichten, wenn alle zu erörternden Punkte besprochen und Übereinkünfte erzielt wurden! Vielen Dank!"

Als ersten Tagesordnungspunkt erwähnte Shacklebolt ein Gespräch mit dem britischen Oberhaupt der Kobolde. Nachdem es wohl gerade so verhindert werden konnte, dass die Gringotts-Zweigstellenleiter eine vereinte Aktion gegen ihre menschlichen Kunden durchführten, um alle bis zu Ladonnas Machtergreifung in Italien und anderswo geltenden Vereinbarungen wiederzubeleben, ja sogar noch mehr auszuhandeln, gährte es in den Reihen der Kobolde. Julius dachte dabei daran, wem Ministerin Ventvit und Minister Shacklebolt die Warnung vor der sogenannten Aktion "Letzter Glockenschlag" zu verdanken hatten. Doch natürlich wollte er kein Wort darüber verlieren. So hörte er zu, wie Kingsley Shacklebolt und dann auch Amos Diggory davon sprachen, dass die Zweigstellenleitung von Gringotts womöglich von missgünstigen Kobolden aus Italien, Russland oder Nordamerika angestiftet worden war und die Hinterleute sich wohlweißlich in Deckung begeben hatten, um nicht festgenommen zu werden. Amos Diggory erläuterte, dass seine Abteilung "herausgefunden hatte", dass mit der erwähnten Aktion "Letzter Glockenschlag" eine gefährliche Attacke auf alle Gringotts-Kunden mit Angstmacherzaubern und magicomechanischen Giftüberträgern gemeint war, um zu bekräftigen, dass die Kobolde nur noch dann Menschen in die Verliese einlassen und bedienen wollten, wenn sie eine Übereinkunft vollständig nach ihren Bedingungen erzielt hatten. Wer bis dahin versuchte, in Gringotts einzudringen riskierte die seelische Gesundheit oder gar das eigene Leben. Dieses Vorhaben sei jedoch vorerst verhindert worden. Ob die Kobolde sich geschlagen gaben oder einen neuen Vorstoß wagen mochten wusste niemand außer jenen Hinterleuten. Dann packte Diggory nach einem einverstandenen Nicken des Ministers einen weiteren Hammer aus.

"Da es wohl vorgesehen war, sämtliche britischen und anderswo betriebenen Gringotts-Zweigstellen zur gleichen Zeit gegen Hexen und Zauberer abzuriegeln und diese frei beweglichen Waffenträger darin herumschwirren zu lassen, müssen wir davon ausgehen, dass der bei Kobolden und ihren Feinden gleichermaßen mit Unbehagen betrachtete geheime Bund der zehntausend Augen und Ohren hinter diesem Vorhaben steckt. Es hieß zwar zunächst, Ladonna Montefiori habe mehrere Unterschlupfe dieser geheimen Organisation vernichtet und mehrere Dutzend ihrer Mitglieder getötet. Doch offenbar überlebten genug von denen, um jetzt mit solchen Aktionen ihre alte Rangstellung zurückzugewinnen, sowohl was das an Unterwürfigkeit grenzende Ansehen bei den Kobolden, als auch die gegen Koboldfeinde wirksame Bedrohung angeht. Daher müssen wir davon ausgehen, dass die verbliebenen Mitglieder jenes Bundes es nicht bei dieser Aktion belassen werden, sondern bereits eine neuerliche Operation gegen uns planen. Das wiederum droht die Beziehung zu den Kobolden nachhaltig zu vergiften. Um den magischen Handel und alle internationalen Beziehungen zu schützen gilt es, dieses Missverhältnis sobald wie möglich zu bereinigen. Da Minister Shacklebolt der einzige ist, der vom hiesigen Sprecher der Kobolde als Gesprächspartner akzeptiert wird vermute ich, dass dies in Frankreich nicht anders ist. Trifft dies zu?" Die Ministerin sah Barbara Latierre an. Diese antwortete: "Wenn Sie die Mitglieder der grauen Bärte meinen, Kollege Diggory, so pflegt unser Verbindungssprecher mit diesem noch ein gutes Verhältnis, vor allem, weil wir es ja geschafft haben, einen bisher andauernden Frieden zwischen den Kobolden, den Zwergen und uns zu erwirken."

"Dazu möchte ich, das Einverständnis des Ministers vorausgesetzt, gleich noch mehr erfahren", erwiderte Amos Diggory. Das sah Barbara Latierre ein.

Diggory erwähnte dann noch, dass es nun bis auf weiteres galt, dass jeder Gringottsbesucher sich per Eule im Ministerium melden sollte und in Begleitung eines Sicherheitszauberers oder einer Hexe an das angemietete Verlies in Gringotts herangehen sollte. Die meisten Bürgerinnen und Bürger hatten nach anfänglichem Murren wegen der eingeschränkten Diskretion verstanden, dass es sinnvoll war, bis zu einem festgelegten und unverbrüchlichen Abkommen vorsichtiger zu sein. "Gut, die ältesten und zugleich goldreichsten Familien haben bereits signalisiert, lieber nur mit eigenen Schutzleuten an die Verliese zu gehen und lieber riskierten, sich mit den Kobolden anzulegen als das Ministerium um Erlaubnis zu bitten, zu einer festgelegten Zeit für einen festgelegten Zweck nach Gringotts zu gehen. Julius dachte sofort an Lucius Malfoy und dessen gleichgesinnte, die sich noch immer nicht so ganz damit zurechtfanden, dass ihr Traum von einer reinblütigen Zaubererherrschaft unter einem starken, entschlossenen Anführer vorerst ausgeträumt war.

Shacklebolt fragte seine Kollegin Ventvit nun, ob diese erlaubte, dass deren Mitarbeiterin Latierre seinem Mitarbeiter Diggory näheres erzählte, wie der Frieden zwischen den magischen Völkern auf französischem Boden zustande gekommen war und was seinen Fortbestand garantierte. Barbara Latierre holte wie auf Stichwort eine dicke Rolle zusammengesteckter Pergamente hervor, zog den Haltering ab und las von den nun ausgebreiteten Schriftstücken ab, was genau in Frankreich beschlossen und umgesetzt worden war. Sie endete damit, dass sie sagte: "Wir wissen, dass es sowohl dem für den Mittellmeerraum zuständigen Koboldsprecher als auch dem König der französischen Schwarzalben nicht daran gelegen ist, die eigenen Völker und die guten Handelsbeziehungen in einem blutigen Krieg zu dezimieren. Außerdem konnten wir für die Zwerge bessere Gold- und Silberumtauschprämien aushandeln, was ihnen den Verzicht auf das Wert- und Verwahrbestimmungsrecht schmackhaft gemacht hat. Denn im wesentlichen geht es den Zwergen ja darum, mehr am Handel mit Gold zu verdienen und eine gewisse Mitsprache zu haben und nicht nur von den Entscheidungen der Kobolde abhängig zu sein. Ministerin Ventvit und ich hoffen sehr, dass unser Friedensmodell durchaus auch in allen anderen Zaubereiverwaltungsbereichen, in denen Kobolde das Goldwert- und -verwahrungsrecht besitzen, angewendet werden kann, ohne dass sich eine der drei Seiten benachteiligt oder ernidrigt fühlen muss. Falls Ihnen, Kollege Diggory, Kollegin Weasley, daran gelegen ist, den genauen Wortlaut aus dem Französischen ins Englische oder gar in die Sprache der Kobolde oder die nordische Runenschrift der Zwerge zu übertragen kann ich Ihnen gerne eine vollständige Kopie dieses gerade vorgetragenen Vertragswerkes zukommen lassen. Vielleicht hilft es, weitere Stör- oder gar Kriegsakte seitens jenes angeschlagenen Geheimbundes der Kobolde von vorne herein abzuwehren."

"Es wäre sicher noch wirksamer, wenn es einen international abgestimmten Aktionsplan oder gar ein Beistandsbündnis zwischen allen mit Gringotts handelnden Ministerien gibt, um im Falle solcher Störmanöver oder offener Gewaltakte schnell und entschlossen zu reagieren", wandte Auguste Chaudchamp ein, obwohl er nicht ums Wort gebeten hatte. Dementsprechend sahen ihn alle verdutzt an und warteten, ob die französische Zaubereiministerin oder der britische Zaubereiminister was dazu sagten.

"Natürlich kann im Rahmen bestehender Übereinkünfte auch ein Handelsschutz- und Personenschutzbündnis begründet werden", sagte Shacklebolt. Julius dachte an die NATO und dass viele Mitgliedsstaaten deshalb den Vergeltungskrieg der USA gegen Afghanistan mitmachten, weil Bush Junior die Anschläge vom elften September als kriegerischen Angriff ausgegeben hatte, obwohl es "nur" ein grausamer Massenmord war.

"Ich erkenne, dass hier ddurchaus Interesse und sicher auch schon Einfälle bestehen, wie wir uns gegen neuerliche Störaktionen der geheimen Koboldbruderschaft absichern und zugleich einen dauerhaften Frieden zwischen uns und den humanoiden Zauberwesen Kobolde und Zwerge erwirken können, ohne die Drohung einer gewaltsamen Vertreibung des einen oder anderen Volkes wahrmachen zu müssen", sagte Kingsley Shacklebolt ruhig. "Daher schlage ich vor, dass die dafür zuständigen Fachkollegen sich nach Erörterung der für alle wichtigen und / oder interessanten Themen zusammensetzen und einen ersten Entwurf ausarbeiten, der dann von den Experten auf beiden Seiten verfeinert und zur Unterschriftsreife gebracht werden kann", fügte er noch hinzu. Damit hatte er auch schon diesen Tagesordnungspunkt beendet. Denn nun ging es um die gemeinsame Haltung zu den aus Ladonnas Bann befreiten Zaubereiministeriumsbeamten und da auch um die Haltung gegenüber der Liga gegen dunkle Künste, die sich ohne offizielle Genehmigung als Übergangsverwaltung betätigte, bis klar war, ob die befreiten Ministeriumsangehörigen von allen begangenen Untaten freigesprochen werden konnten, wegen des erschütterten Vertrauens besser gestern als morgen auf die Fortführung ihrer Ämter verzichteten oder gar wegen der begangenen Untaten nach den hoheitlichen oder internationalen Zaubereigesetzen bestraft werden sollten. Nun zeigte sich, dass die beiden anwesenden Abteilungsleiter für internationale magische Zusammenarbeit sich in dieser Frage sehr unneinig waren. Nelson Watergate, der britische Leiter der Abteilung, den Julius auch schon von seiner Japanreise kannte, wandte ein, dass er alle laufenden Unterhandlungen hätte unterbrechen müssen, bis er von einer von ihm anerkannten Stelle eine schriftliche Bestätigung für die Rechtmäßigkeit des mit ihm zu Verhandlungen antretenden Ministeriumsbeamten bekam. Da er jedoch die internationalen Beziehungen nicht auf unbestimmte Zeit einfrieren wollte bliebe ihm nichts anderes übrig, als mit denen zu unterhandeln, die sich als zeitweilige Amtsträger bezeichneten. Chaudchamp wies auf die Lage der Mittelmeerländer hin und hob vor allem die Lage in den Zaubereiministerien und Zauberräten des arabischen Kulturraumes hervor. da die einstigen französischen Kolonien Algerien und Tunesien ebenso von Ladonnas Feuerrosenzauber unterworfen worden waren hatte er seit dem zweiten Dezember mit Zauberern zu tun, die sich als "Brüder des blauen Morgensterns" bezeichneten und sich auf einen 1000 Jahre alten Anspruch beriefen, "bei gewahrung böser Mächte, die ein Volk zu knechten trachten", einzuschreiten und solange die hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen, bis alle diesen Mächten dienenden Menschen und Zauberwesen endgültig abgeurteilt und / oder dauerhaft entmachtet seien.

"Ich balanciere zur zeit auf einem immer heißer werdenden Drahtseil über einem unendlich tiefen Abgrund, weil ich zum einen die bestehenden Beziehungen zu unseren nordafrikanischen Nachbarn nicht einfrieren will, zum zweiten nicht weiß, ob die Völker der arabischen Mittelmeerstaaten die derzeitigen Machthaber anerkennen und ihnen vertrauen und drittens mit der immer noch köchelnden Ablehnung unserer großen Nation zu tun habe, weil die betreffenden Länder einstmals von Frankreich kolonisiert und längst nicht immer anständig behandelt wurden. Daher ging es mir bei der hier und jetzt stattfindenden Unterredung auch darum, mit Ihnen, Kollege Watergate abzustimmen, ob Sie oder ein Ihnen gut vertrauter Kollege mit Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten verhandeln kann, um den Verdacht der Rekolonisation vollständig auszuräumen."

"Wo die britische Krone da selbst in Afrika viele gnadenlos ausgebeutete Kolonien unterhielt, Kollege Chaudchamp? Wie verliefen denn Ihre bisherigen Dialoge mit erwähnten Hoheitsgebieten?"

"Auf der Basis, dass wir nur dann Informationen aus den betreffenden Ländern erhielten, wenn deren Verwaltungsbehörden dies für günstig erachteten. Ich erinnere mich sehr unangenehm an einen Vorfall vor zwanzig Jahren, wo mein Amtsvorgänger in interner Abstimmung mit seinen Kollegen von der Handelsabteilung ausgemacht hatte, dass die von ihm gepflegten Verbindungen in den betreffenden Ländern auch an unsere Abteilung berichteten, da der Handel ja die beste Form internationaler Beziehungen ist und wie bei den Nichtmagiern auch bei uns die Netzwerke kaufmännischer Geschäftsbeziehungen auch als gute Nachrichtenquelle gelten. Ich selbst arbeitete zu diesem Zeitpunkt gerade in der Unterbehörde zur Aufarbeitung ehemaliger Kolonialvereinbarungen, war also ziemlich stark in diesen Vorgang einbezogen. Tja, die in Ägypten quasi aristokratisch amtierende Al-Assuani-Familie wurde dieser stillen Absprache gewahr und drohte damit, alle Handelsbeziehungen zwischen Ägypten und Frankreich umgehend zu beenden, wenn wir die angeblich bei ihnen installierten Spione nicht an das Zaubereiministerium Kairo auslieferten oder umgehend zurückbefahlen. Abgesehen davon verlangte der ägyptische Zaubereiminister eine Bezahlung von 500 römischen Libra in 24karätigem Gold. Die Zaubereiministerien Marokkos, Algeriens und Tunesiens erhielten wohl Kenntnisse von diesem Streitfall und bestanden ihrerseits darauf, jede "französische Einmischung" in ihre "hart erkämpfte Eigenständigkeit" umgehend zu beenden. Das Ergebnis dürfte auch Ihnen vom britischen Zaubereiministerium bekannt sein, wir brachen von uns aus die Handelsbeziehungen für fünf Jahre ab und mussten alle aus den betreffenden Staaten benötigten Importe über Drittanbieter wie dem Irak und Persien beziehen, was uns ein Drittel über den früheren Einkaufspreis an "Vermittlungshonoraren" gekostet hat, bis dieglobale Magierkonferenz 1992 den Vertrag von Tunis ausgehandelt hat, demnach die Obliegenheiten diplomatischer Verbindungen streng von allen geschäftlichen Beziehungen zu trennen seien, was bis auf Ägypten alle Maghrebstaaten unterschrieben haben, zumal die Zaubereiministerien von Bagdad und Teheran wegen der massiven Kriegshandlungen nichtmagischer Mächte befürchteten, wir könnten uns auf die Seite der nichtmagischen Kriegsgegner aus Amerika und Europa schlagen und alle Handelsbeziehungen mit den Zauberergemeinschaften des Orientes beenden. Ihnen, Kollege Watergate, ist die weitere Geschichte bekannt. Ägypten geriet in eine isolierte Lage und willigte 1995 ein, alle aus seinem Hoheitsgebiet auszuführenden Trankzutaten oder thaumaturgischen Erzeugnisse wieder direkt an uns Franzosen weiterzugeben, wobei die Al-Assuanis jedoch die Gunst nutzten, sich von den bei ihnen verzeichneten Händlern und Trankbrauern Ausfuhrberechtigungsgebühren auszahlen zu lassen, die dann natürlich auf die Preise aufgeschlagen wurden. Seitdem ist die ägyptische Handels- und Gesprächsbeziehung ein schlafender Drache unter Tonnen von Wüstensand, den wir nicht wecken sollten. Daher kann ich im Augenblick keine einschneidende Entscheidung über die Legitimität der in Ägypten derzeit amtierenden Zauberer treffen, so suspekt mir die Morgensternbrüder sind."

"Ja, und wenn wir jetzt vereinbaren, nur mit ministeriell oder zaubereigerichtlich zertifizierten Gesprächspartnern bindende Abkommen treffen zu wollen könnten die Morgensternbrüder ihr den ganzen Orient von Marokko bis Indien überspannendes Netzwerk nutzen, um uns als angebliche Nutznießer Ladonnas und Handlanger ihrer Unterworfenen hinzustellen", meinte Watergate, nachdem er von Shacklebolt das Wort erhalten hatte. Alle sahen ihn und dann den Minister an, ob der was dazu sagen wollte. Shacklebolt sah jedoch Amos Diggory und Hermine Weasley an, also sollten die beiden etwas dazu sagen. Diggory sah seine Mitarbeiterin an. Diese straffte sich und sagte erst den Minister und dann die gesamte Versammlung anblickend:

"Minister Shacklebolt, Ladies and Gentlemen, Messieursdames, Mr. Watergate hat mit Ihnen, Minister Shacklebolt schon darüber gesprochen, dass er sich unsicher ist, inwiefern die Vereinigung, die sich als Bruderschaft des blauen Morgensterns bezeichnet, als rechtmäßiger Verhandlungspartner anerkannt werden darf. Soweit ich recherchieren konnte hatte die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe im Jahre 1980 damit zu tun, die in Indien und dem heutigen Irak lebenden Zauberwesen zu registrieren, weil im Rahmen der magischen Commonwealth-Abkommen gewisse Zugeständnisse bestehen, die dortigen Zauberwesen und Tierwesen ins Gesamtregister britischer Zauber- und Tierwesen einzuordnen. Dabei ging es auch um die in Indien lebenden Wertiger. Wegen der von Indien nach Europa bestehenden Verkehrs- und Handelswege hatte die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe zusammen mit der Abteilung für magischen Handel, internationale magische Zusammenarbeit und magische Gesetzesüberwachung vereinbart, jeden aus Indien einreisenden auf Anzeichen zu prüfen, dass er oder sie zu den Wertigern gehörte. Das hat dann eben jene bereits erwähnte Bruderschaft des blauen Morgensterns auf den Plan gerufen, die behauptet, alle in Indien lebenden Zauberwesen, die den dunklen Mächten entstammen oder dienen zu überwachen und dass britische Hoheitsinteressen in Indien keine Bedeutung mehr haben, ja trotz der britischen Kolonisation oder gerade wegen dieser niemals anerkannt waren. Das führte fast zum Abbruch der bestehenden Verbindungen. Die damalige Zaubereiministerin Millicent Bagnold hat deshalb ihre geschichtsträchtige Gartenzaunrede gehalten, in der sie klargestellt hat, dass jeder Grundstücksbesitzer für die von seinem eigenen Zaun umfriedeten Sachen zuständig sei und es deshalb so auch für magische Landesverwaltungen zu gelten habe. Wir dürften daher bei der Einreise indischer Besucher prüfen, ob diese dem uralten, seit über hundert Jahren nicht mehr aufgefallenen Tigerclan angehörten, aber nicht in Indien da selbst nach solchen Leuten suchen. Dies sei deren Angelegenheit. Sie hat aber in ihrer Rede klargestellt, dass die "Grundstückseigentümer" jenseits des Gartenzaunes auch sicherzustellen hätten, dass es "kein überwucherndes Unkraut" in ihren Gärten gäbe, da dessen Samen ja all zu leicht auf "unsere Seite des Zaunes" geweht werden könnten. Das haben dann die Morgensternbrüder garantiert. Na ja, wie viel wir von dieser Garantie zu halten hatten erfuhren wir ja leider in den Jahren 1997 und 1998, als es einigen indischen Wertigern gelang, mit nichtmagischen Flugmaschinen nach Europa und Nordamerika zu reisen, um dort gegen die Schlangenkrieger und Entomanthropen zu kämpfen. Insofern ist durchaus fraglich, wie zuverlässig die Morgensternbrüder sind. Nach dem, was ich im Vorfeld dieser Unterhandlung recherchieren durfte müssen wir aber davon ausgehen, dass die Morgensternbrüder die Angelegenheit mit den Wertigern so persönlich nehmen, dass sie noch mehr als vorher Einfluss auf die orientalischen Zaubereiministerien nehmen, sich nicht von Europa oder Nordamerika in ihre Amtsführung dreinreden zu lassen. Wenn die also jetzt zu zeitweiligen Zaubereiministeriumsbeamten aufgestiegen sind gilt deren Forderung noch mehr als vorher. Wenn wir also behaupten, nur mit ordentlich legitimierten Beamten zu verhandeln werden die uns im Gegenzug das Recht absprechen, deren Befugnisse zu beurteilen. Dann dürfte es zu einem Abbruch der internationalen Beziehungen kommen. Wie der Vorfall mit den Wertigern überdeutlich zeigte sind wir jedoch auf diese Beziehungen angewiesen, um bei neuerlichen Vorfällen auf die Kenntnisse der Herkunftsländer zurückgreifen zu können. Also gilt die alte Erziehungsregel: "Auch wenn es nicht immer schmeckt, es wird gegessen, was auf den Tisch kommt."

"Auch bekannt unter der vereinfachten Formel "Friss oder stirb", warf Tim Abrahams seiner Kollegin aus der Abteilung für magische Geschöpfe zugewandt ein. Julius hätte ihm dafür fast Beifall geklatscht. Doch er beharrte auf die Absprache, sich nur einzubringen, wenn etwas sein unmittelbares Fachgebiet betraf. Sollten die gleich noch von den Veelas anfangen konnte er sich einklinken, vorher nicht.

Um die Debatte nicht unendlich andauern zu lassen forderte der Zaubereiminister Großbritanniens die Anwesenden auf, darüber abzustimmen, ob sie die derzeitigen Vertreter der ehemals von Ladonna unterworfenen Zaubereiministerien als rechtmäßige Verhandlungspartner anerkennen wollten oder mit Hinweis auf anstehende Entscheidungen auf ein Pausieren der bestehenden Beziehungen bestehen sollten. Chaudchamp wies darauf hin, dass bei der Wahl der Ministerin Ventvit erst einmal geklärt werden musste, ob die Wählerstimmen ordentlich gezählt worden waren und der bis zu einer endgültigen Entscheidung geschäftsführende Zaubereiminister weiterhin international bindende Absprachen treffen durfte oder nicht. Ministerin Ventvit bestätigte das. Somit kam es zu einer Abstimmung über einen gemeinsamen Aktionsplan, der alle auf Großbritannien und Frankreich bezogenen Vereinbarungen mit anderen Ländern für gültig befand, solange kein Gericht der jeweiligen Hoheitsgebiete etwas anderes urteilte. Julius hätte beinahe eingeworfen, dass Vita Magica nicht nur den Zaubereiminister Buggles, sondern auch den kompletten obersten Richterrat der USA unterworfen hatte. Er musste einfach darauf vertrauen, dass die wesentlich länger amtierenden Leute hier das auch wussten und daran dachten. So atmete er innerlich auf, als Hermine Weasley die Frage in den Raum warf, ob Ladonna nicht auch amtierende Gamotsmitglieder unterjocht hatte und dass die dann ja selbst darüber beschließen könnten, ob sie zeitweilig schuldunfähig waren oder sich selbst wegen Beihilfe in so vielen Fällen verurteilen müssten, womit wohl eher nicht zu rechnen sei, so Hermine Weasley. Ihr Schwiegervater Arthur Weasley sah sie erst verdutzt an, musste dann aber nicken. Dann bat er ums Wort: "Nun, meine geliebte Ehefrau hat die von Mrs. Hermine Weasley zitierte Erziehungsregel, immer brav zu essen, was auf den Tisch kommt, immer so ausgelegt, dass eine bedachtsame Haushexe und liebende Mutter immer eine genaue Abwägung zwischen nährendem und schmackhaftem Essen treffen müsse. Wortwörtlich sagte sie: "Was bringt es, wenn das essen nährt und satt macht, wenn kein Kind es mag, dann macht es auch nicht satt. Also muss schmecken, was gut ist. Insofern habe ich als langjährige amtierender Beamter für die Einhaltung magischer Gesetze und früherer Fachzauberer zur Abwehr des Missbrauchs von Muggelartefakten einen bitteren Beigeschmack, wenn ich heute nicht weiß, ob der, mit dem ich über magisches Recht verhandeln soll, nicht morgen als Schwerverbrecher enthüllt wird. Gut, im Augenblick hat damit eher der Kollege Watergate zu tun. Wir sollten aber darauf achten, keine über Jahre oder gar Jahrzehnte geltenden Abkommen zu treffen, ohne eine gewisse Absicherung einzubauen, dass wir von uns aus die Vereinbarungen widerrufen können, wenn etwas geschieht, dass die Rechtmäßigkeit dieser Abkommen in Frage stellt."

"Ja, und wie die junge Kollegin Weasley vorhin erwähnt hat gilt auch, dass wir von der Behörde für friedliche Koexistenz zwischen Menschen mit und Ohne Zauberkräfte sicherstellen müssen, dass wir keine üblen Leute oder Dinge in die nichtmagische Welt reinlassen", sagte Tim Abrahams. "Gerade die Sache mit den Wertigern und Schlangenmenschen hat klargestellt, wie schnell die nichtmagische Bevölkerung in Gefahr geraten kann, ja und dass die Geheimhaltung der Magie an sich obsolet werden mag, wenn unsere Vergissmichs nicht mit der nötigen Gedächtnisberichtigung nachkommen. Aus dem Grund haben Sie, Minister Shacklebolt, mich und meine mit elektrischen Nachrichtenverbreitungsgeräten vertraute Mitarbeiterin Ms. Watermelon ja in ihre hochrangige Delegaation berufen. Daher erbitte ich dringend die Klärung, ob Monsieur Chaudchamp weiterhin auf eine rein eulenpostalische Verständigung beharrt, wenn es um Aktivitäten ausländischer Zauberwesen geht."

"Monsieur Chaudchamp, Sie dürfen darauf antworten", sagte der britische Zaubereiminister, der hier als Gesprächsleiter anerkannt war.

"Natürlich sind Sie, Mr. Abrahams und Ihre Mitarbeiterin Ms. Watermelon ebenso wie der von Ministerin Ventvit in diese Zusammenkunft eingeladene Vertreter des französischen Büros für friedliche Koexistenz ganz versessen auf diese elektrischen oder auch elektronischen Gerätschaften, die angeblich in nur drei Sekunden tausende von Kopien ein und derselben Nachricht um die ganze Welt versenden können. Doch sollte gerade nach den Ereignissen der letzten Jahre ein hoher Wert auf die einstmals so hochgehaltenen und für anerkennenswert befundenen Mittel gegenseitiger Verständigung gelegt werden, auch und vor allem, weil eben nur ein verschwindend kleiner Anteil unserer beiden Zauberergemeinschaften Zugang zu solchen nichtmagischen Gerätschaften hat und die nötigen Kenntnisse besitzt, diese dann auch im gedeihlichen Sinne unserer geltenden Gesetze und Traditionen zu verwenden. Gerade letzteres erscheint mir jedoch höchst fraglich, weil hier eine Aufweichung der für lebensnotwendig befundenen Abgrenzung zwischen uns und den Nichtmagiern möglich ist und dieses obskure Konstrukt namens Internet nur in dem Zusammenhang verwendet werden darf, wo es um die dort selbst einsickernden Berichte nichtmagischer Augenzeugen magischer Vorkommnisse geht. Dort liegt die Kompetenz derer, die mit diesem Geflecht vertraut sind. Mehr Kompetenz oder gar Abteilungsübergreifende Änderungen der bestehenden Verständigungsmittel erachte ich als nicht nur unnötig, sondern beängstigend. Ich weiß nicht, ob Sie, Mr. Abrahhhams, davon erfuhren, was sich im letzten Jahr bei uns in Frankreich ereignete. Eine zahlenmäßig bedenklich große Gruppe von Traditionalisten sah in der Einflechtung nichtmagischer Verständigungsverfahren und Anerkennung nichtmagischer Verhaltensweisen eine Bedrohung der magischen Gemeinschaft und griff zum Mittel des gewaltsamen Umsturzes. Dieser konnte zwar verhindert werden und die Rädelsführer wurden vom Zaubergamot unseres Landes wegen mehrfacher Verbrechen an der magischen Gemeinschaft abgeurteilt. Doch sollten wir den in Schlaf gebannten Drachen nicht kitzeln, um ihn nicht wieder aufzuwecken. Daher halte ich meine vor einigen Wochen verbreitete Aussage aufrecht, dass ich als Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit ausschließlich auf magische Verständigungsmittel bestehe, auch und vor allem um sämtliche Ansprechpartner auf derselben Augenhöhe zu halten."

"Sie meinen damit hoffentlich auch Ansprechpartnerinnen, Monsieur Chaudchamp", wagte Hermine Weasley einen Einspruch und legte nach, dass in Australien, Griechenland und wohl demnächst auch wieder in Nordamerika Hexen in hohen Ämtern tätig waren.

"Sehen Sie, das meine ich", knurrte Chaudchamp und funkelte Diggory an, weil der seine rangniedere Mitarbeiterin offenbar nicht im Zaum halten konnte. diese neumodische Umständlichkeit, Männer und Frauen für sich zu erwähnen, damit was bisher so selbstverständlich war zur Absurdität verdreht wird ist in Ländern, in denen die Hinnahme nichtmagischer Einflüsse auf magisches Leben nicht so ausgeprägt ist wie bei uns in Europa ein Grund für diplomatische Widerstände. Ja, und bevor Sie es noch einmal ungefragt wagen, Ihre persönlichen Ansichten kundzutun, Mrs. Weasley, wir haben nicht das Recht, den magischen Verwaltungsräten vorzuschreiben, Hexen gleichwertig zu Zauberern einzuordnen und müssen uns, auch wenn Ihnen das nicht gefällt, auf deren sprachlichem Niveau halten, um mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Ja, und genau das deutete ich auch eben an, dass wir Europäer in den afrikanischen oder orientalischen Ländern als unerwünschte Besserwisser angesehen werden, die bewusst die jahrtausendealten Gepflogenheiten und Erfahrungen missachten und daher nur schwer bis gar nicht als gleichberechtigte Verhandlungspartner anerkannt werden. Insofern beglückwünsche ich Sie, Kollege Watergate, dass Sie nicht der Vorgesetzte dieser offenbar voreilig redenden und übergescheiten Dame sind."

Julius sah an Hermine, wie heftig sie dieser Einwand getroffen hatte und dachte daran, dass sie gerade als lebender Blitzableiter herhielt, weil sowas wie das gerade auch locker ihn hätte treffen können. amos Diggory bat eilig ums Wort und erwiderte:

"Monsieur Chaudchamp, auch wenn Ihnen der Einwand meiner Mitarbeiterin nicht gefällt ist das kein Grund, ihr indirekt sowas wie Ungehorsam oder fachliches Fehlverhalten zu unterstellen. Es ist zwar richtig, dass Mrs. Weasley überdurchschnittlich eifrig ist und daher ständig der Versuchung ausgeliefert ist, voreilige Äußerungen zu tätigen. Doch ihre erworbene Sachkenntnis verhalf ihr mehr als einmal zu überaus wichtigen und für unsere magische Gemeinschaft nützlichen Entscheidungen. Da ich ihr im Beisein des Ministers wegen ihrer sehr eifrigen Recherchearbeiten eine Gleichrangigkeit während der Unterhandlungen zuerkannt habe weise ich Ihren auf mich zielenden Vorwurf zurück, ich hätte meine Mitarbeiterin nicht unter Kontrolle, auch wenn ich Ihnen dahingehend rechtgeben muss, was die Rücksicht auf Traditionen und gewachsenes Kulturerbe bei ausländischen Verhandlungspartnern angeht. Denn da muss ich Ihnen beipflichten, dass wir nur Anerkennung erfahren, wenn wir selbst anerkennung erweisen."

"Gut, nachdem dies noch einmal geklärt ist möchte ich jetzt doch abstimmen lassen, wie wir, auch unter Berücksichtigung bestehender Kulturunterschiede, mit den derzeitigen zeitweiligen Ministeriumsvertretern umgehen sollen", beendete Minister Shacklebolt dieses unangenehme Zwischenspiel. Julius sah Pina an, die ihn ansah und dann ihren direkten Vorgesetzten ansah. Der wiegte seinen Kopf und schüttelte ihn dann. Offenbar fand sich Tim Abrahams damit ab, dass das Internet bis auf weiteres nur eine Angelegenheit der Behörde für friedliche Koexistenz bleiben sollte.

Die Abstimmung ergab, dass die Briten und Franzosen mit einer klaren gemeinsamen Haltung in die folgenden Verhandlungsrunden mit anderen Zaubereiministerien auf allen Ebenen gehen würden und dass sie klarstellen wollten, dass alle in den nächsten Wochen zu treffenden Vereinbarungen immer unter dem Vorbehalt stehen sollten, widerrufen werden zu können, sobald magische Gerichte, allen voran der Kontrollrat der globalen Magierkonferenz zu internationalen Rechtsfragen, die Rechtmäßigkeit der zeitweiligen oder neuen Ministeriumsmitarbeiter widerrief. Das wurde nun schriftlich fixiert und von den entsprechenden Fachabteilungsleitern unterschrieben.

Arthur Weasley atmete sichtbar auf. Dann bat er ums Wort. Der britische Zaubereiminister erteilte es ihm.

"Sehr geehrte Damen und Herren dieser Zusammenkunft. Nun, wo wir uns ohne äußeren Druck darauf verständigt haben, wie wir uns als von Ladonnas Zauber unberührt gebliebene Europäer verhalten möchten kann und muss ich Ihnen allen berichten, was seit dem Wiedererwachen der ägyptischen Ministerialbeamten geschieht und warum ich persönlich davon betroffen bin", begann der Leiter der Gesetzesüberwachungsabteilung des britisch-irischen Zaubereiministeriums. Alle hörten aufmerksam zu, auch Julius, der schon eine gewisse Ahnung hatte, worauf der Zauberer mit dem feuerroten Haarkranz hinauswollte. "Als die Bruderschaft des blauen Morgensternes am zweiten Dezember die vorübergehende Zaubereiverwaltung Ägyptens an sich zog wurden sämtliche archivierten Unterlagen zu entdeckten und gelagerten Artefakten aus dem ägyptischen Pharaonenreich vom Zeitalter des Pyramidenbaus bis zur Zerstörung der umfangreichen Kunst- und Schriftensammlung in Alexandria durchgesehen, um zu überprüfen, was angeblich oder wahrhaftig unrechtmäßig außer Landes geschafft oder der Zaubereiverwaltung entzogen wurde. Wie Sie, Minister Shacklebolt, sowie alle hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen wissen arbeitete mein ältester Sohn Bill seit den erfolgreichen UTZs in Hogwarts für Gringotts als Auffindungsfachzauberer und sogenannter Fluchbrecher, um vor allem in vorchristlichen Grab- und Kultstätten mit magischem Bezug nach wert- und / oder machtvollen Gegenständen und Aufzeichnungen zu forschen und diese für seine koboldischen Arbeitgeber sicherzustellen. Wie es offenbar ein Naturgesetz ist lehnte mein Sohn Bill meine Ratschläge im Bezug auf die Fragwürdigkeit dieser Tätigkeiten ab und erwähnte, dass er in diesem Aufgabengebiet seine wahren Talente ausschöpfen könne und ihm, der immer schon eher der Abenteurertyp war, keinen Zitat "alltäglich eintönigen Ministeriumsjob" Zitat Ende übernehmen wollte. Kennen Sie alle das Gefühl, es zu bedauern, recht zu haben? Falls nein, schätzen Sie sich bitte glücklich! Mein Sohn förderte für die nach altertümlichen Wertgegenständen verlangenden Kobolde mehrere Dinge zu Tage, die auf gar keinen Fall in unbedarfte Hände fallen oder Angehörigen der Dunklen Seite der Magie in die Hände geraten durften. Die Kobolde ließen sich von ihm und seinen Kollegen diese aus verfluchten Gräbern oder Kultstätten entnommenen - man könnte auch sagen geraubten - Gegenstände übergeben und sicherten diese, sofern sie nicht fanden, sie für sich selbst zu nutzen, in einer inoffiziellen Nebenstelle von Gringotts Ägypten. die Familie Al-Assuani, die seit dem Abzug der europäischen Kolonialmächte eine Art aristokratische Vorrangstellung in der Zaubereiverwaltung Ägyptens innehat, duldete dieses Vorgehen, womöglich auch weil sie für die geborgenen Gegenstände eine gewisse Entlohnung von Gringotts erhielten. Dann kam Ladonna Montefiori und unterwarf sich die nordafrikanischen Mittelmeeranrainer mit ihrem hier allen bekannten Feuerrosenzauber. Ja, und offenbar erlangte sie auch Kontrolle über die Kobolde von Gringotts, und, was ich hier nur als vom Hörensagen her erwähnte Behauptung verstanden wissen möchte, Zugriff auf den geheimen Überwachungs- und Eingreiftrupp der weltweiten Koboldgemeinschaften. So gelang es ihr wohl, sich die von den Kobolden angeeigneten Gegenstände zu verschaffen und in ihrem eigenen Unterschlupf zusammenzutragen. Sie befahl ihren Unterworfenen, alle Kobolde aus Ägypten abzuschieben und alle von diesen gesammelten Dinge zu sichern. Deshalb begannen die Al-Assuanis auch, alle menschlichen Mitarbeiter von Gringotts zu suchen, um von diesen zu erfahren, was sie alles im Auftrag der Kobolde zusammengetragen haben. Die Al-Assuani-Sippe erklärte Zauberer wie unter anderem meinen Sohn Bill zu Räubern am ägyptischen Vermächtnis und setzte Belohnungen auf ihre Ergreifung aus. Zumindest ging es ihnen darum, sie lebendig zu fangen, weil Tote bekanntlich nichts mehr verraten können." Alle hier kämpften darum, bei dieser sarkastischen Bemerkung nicht zu grinsen. Julius ahnte, worauf das jetzt hinauslief und fragte sich, warum Arthur Weasley so weit ausholte. Dann kam dieser auf den Punkt. "Tja, und seitdem Ladonna Montefiori entmachtet ist und die ägyptische Zaubereiverwaltung scheinbar wieder unabhängig arbeitet wurde der Fahndungsdruck auf die rechtzeitig außer Landes gelangtn Mitarbeiter erhöht. Der blaue Morgenstern hat nach mit sehr viel Risiko betriebenen Nachforschungen ein im gesamten Einflussgebiet bestehendes Ergreifungsgebot gegen meinen Sohn Bill und alle seine Kollegen ausgesprochen. Hinzu kommt, dass die Al- Assuanis nach ihrem Wiedererwachen erkannt haben, dass ihre bisherige Haltung was aus ihren ursprünglichen Verwahrungen entnommene Gegenstände angeht vollständig umstoßen müssen und jetzt verlangen, dass sämtliche ägyptischen, sudanesischen und auch tunesischen Zaubergegenstände und Aufzeichnungen, die einst in der geheimen Bibliothek von Alexandria zusammengetragen wurden, unverzüglich und ohne eine Entschädigung an Ägypten zurückzuerstatten sind und dass wir, die als angebliche Nutznießer der Gringotts-Fluchbrecher eingestuft werden, die Entwender dieser Gegenstände an Ägypten auszuliefern haben, sofern uns daran gelegen ist, wieder in Handelsbeziehungen mit der dortigen Zauberergemeinschaft einzutreten. Es hat sich also für mich erwiesen, wie recht ich damals hatte, als ich meinem Sohn Bill abzuraten versuchte, für Gringotts in alte Gräber einzudringen und die dort liegenden Gegenstände herauszuholen. Denn nun sind die Ägypter in jeder Hinsicht aufgewacht und betrachten dieses Vorgehen als Verbrechen gegen ihr Land, ja als ein langjähriges Überbleibsel der seit dem römischen Weltreich bis zum 20. Jahrhundert andauernden europäischen Kolonialzeit. Der Kollege Watergate kennt diese Aufforderung ebenfalls. Ich bat ihn, erst einmal nicht davon zu sprechen, solange wir uns darüber abzustimmen hatten, ob wir eine gemeinsame Haltung gegenüber den aus Ladonnas Bann erlösten Ministerien finden oder jeder für sich mit diesen Ministerien unterhandeln wollen." Nelson Watergate nickte und wartete, ob sein Kollege Arthur Weasley noch was sagen wollte. "Ich habe meinem Sohn Bill geraten, bis auf weiteres nicht mehr nach Ägypten zurückzukehren und bin beruhigt, dass er diesmal auf seinen alten Herren gehört hat, wohl auch, weil seine Familie ihm nach seinem letzten, beinahe tödlich verlaufendem Einsatz riet, erst einmal in England zu bleiben. Was Bills Kollegen angeht, so haben diese sich dazu entschlossen, ebenfalls bis auf weiteres in England zu bleiben, wohl auch, weil einer von ihnen, ein gewisser Warren Thybone, erfahren haben will, dass die Morgensternbrüder vor allem ihn erwischen wollen, weil er als Experte für Geisterwesen und die Seelen lebender und toter Wesen betreffender Zauber auf deren Liste steht. Was die Lage noch unübersichtlicher und gefährlicher macht ist, dass sich magische Wesen und Gemeinschaften aus Ägypten, die auf das Pharaonenzeitalter zurückzuführen sind, um die ihnen entwendeten Dinge zu streiten beginnen und die Al-Assuanis unbedingt beweisen wollen, dass sie ihr Land noch im Griff haben. Die sind nämlich alles andere als erfreut, dass die Brüder des blauen Morgensterns sie überwachen und ihnen die Führung des Ministeriums noch nicht zurückgegeben haben. Daher halten sie den Fahndungsaufruf gegen die ehemaligen Fluchbrecher von Gringotts aufrecht und bestehen auf die Auslieferung der Gesuchten. Sowohl die Morgensternbrüder als auch die Al-Assuani-Familie haben uns Briten eine Frist gesetzt, bis zum ersten Vollmond nach der Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche sowohl die Fluchbrecher auszuliefern, als auch die zeitweilige Zaubereiadministration Italiens davon zu überzeugen, die aus Ladonnas Schlupfwinkel geborgenen Gegenstände aus Ägypten an den Nil zurückzusenden. Das habe ich doch richtig verstanden, Kollege Watergate?" Der Gefragte nickte eifrig und bat seinerseits ums Wort.

"Sie mögen jetzt alle denken, dass diese höchst unerfreuliche Angelegenheit als allererstes und wichtigstes Thema besprochen werden sollte, Ladies and Gentlemen. Doch ich habe dem Kollegen Weasley dazu geraten, dieses Thema erst dann zu erwähnen, wenn wir ohne den davon ausgehenden Druck eine gemeinsame Vorgehensweise bei künftigen Verhandlungen finden sollten und wenn wir wussten, ob Sie uns in dieser Angelegenheit zumindest moralischen Beistand leisten möchten oder dies als reine britische Angelegenheit einordnen. Außerdem bin ich in gewisser Weise ebenfalls persönlich davon betroffen, da einer meiner eifrigsten und fähigsten Mitarbeiter der Bruder des von Ägypten zur Fahndung ausgeschriebenen Mr. William Weasley ist. Jene, die mit uns bei den Beratungen zur Wahrung der Geheimhaltung vor elektronischen Aufnahmevorrichtungen in Japan dabei waren kennen ja Mr. Percival Weasley von dieser Konferenz." Die sich zu recht angesprochen fühlenden nickten bestätigend. "Ja, und weil die Al-Assuanis das wissen haben die mir über eine Eule doch tatsächlich ihr Missfallen bekundet und verlangt, dass ich jenen Mitarbeiter als Unterpfand an sie auszuliefern hätte, wenn ich weiterhin Wert darauf legte, mit orientalischen Amtskollegen in gedeihlichem Gedankenaustausch zu bleiben. Will heißen, sie wollen meinen Mitarbeiter als Geisel haben, damit dessen Bruder William sich ihnen stellt. Hier spielen wohl noch althergebrachte Ansichten von Familienehre und Stammesdünkel mit hinein. Selbstverständlich lehne ich es vollkommen ab, einen meiner Mitarbeiter in eine höchst fragwürdige Obhut zu überstellen. Ich muss die Drohung jedoch ernstnehmen, dass mir die Al-Assuanis, vielleicht in stiller Absprache mit den sich als Wächter des Guten im Orient verstehenden Morgensternbrüdern, die Möglichkeit entziehen könnten, mit Amtskollegen aus den arabischen Zaubereiadministrationen, ja womöglich auch dem Zauberrat Persiens und dem Rat der weisen Magier Indiens zu unterhandeln, was mich persönlich und die von mir geleitete Abteilung im allgemeinen größtenteils handlungsunfähig machen dürfte. Monsieur Chaudchamp, Sie erinnern sich sicher an unseren eulenpostalischen Notenaustausch bezüglich jener Vorkommnisse mit einem machtversessenen Geisterkundigen in Mesopotamien, das die nichtmagischen Bewohner Irak nennen. Sie deuteten an, dass dieser Vorfall von den orientalischen Zaubereiadministrationen mit sehr großem Unmut betrachtet wurde und wir gehalten waren, uns nicht in diese Angelegenheit einzumischen. Haben Sie in diesem Zusammenhang nicht auch ein Schreiben der panarabischen Magierkonferenz erhalten, dass jede diplomatische Beziehung nur noch unter dem Vorbehalt aufrechterhalten bleibt, dass wir Europäer uns nicht in die inneren Angelegenheiten der von ihnen gehüteten Hoheitsgebiete einmischen?"

"Ja, bedauerlicherweise", sagte Chaudchamp und sah offenbar nicht ganz zufällig Julius Latierre an. "Insofern musste ich schon häufiger darauf drängen, dass Mitarbeiter unseres Ministeriums nichts unternehmen, was das magische Gefüge in jenen Ländern erschüttern oder gar umstoßen könnte. Dieser junge Monsieur hier geriet schon einigemale mit übermächtigen, dunklem Schaffen entstammenden Wesen in Konflikt und erhielt deshalb Kontakt mit Leuten, die ähnlich wie die Morgensternbrüder der Auffassung sind, auf Grund eines von uns nicht eindeutig nachzuvollziehenden alten Vermächtnisses als Wächter des Guten über das Böse auftreten zu müssen. Daher kann ich vollkommen nachempfinden, in welch brisanter Lage Sie im besonderen und Ihre Abteilung im allgemeinen sich befinden. Ja, und ich muss Ihre unangenehme Enthüllung dahingehend ergänzen, dass die Morgensternbruderschaft sich als über allen modernen Zaubereiverwaltungsstellen erhabene Überwachungsinstanz versteht und daher sicher in der Angelegenheit der aus ägyptischen Grab- und Kultstätten entwendeten Gegenstände am gleichen Strangende zieht."

"Öhm, ja, diese Einschätzung muss ich wohl teilen", seufzte Watergate. Dann sagte er noch: "Auch möchte ich Sie alle und vor allem Sie, Kollege Chaudchamp um Verzeihung bitten, dass Minister Shacklebolt, Kollege Weasley und ich dieses heikle Thema jetzt erst zur Sprache gebracht haben und nun von Ihnen eine verbindliche Aussage abverlangen muss, wie Sie zu diesem Punkt stehen und wie Sie sich dazu verhalten werden", sagte Watergate.

An die zwanzig Sekunden lang wagte niemand was darauf zu antworten. Jede und jeder wartete offenbar darauf, dass wer anderes zuerst sprach. Dann sagte die französische Zaubereiministerin: "Das ist aber jetzt ungewohnt, dass Monsieur Chaudchamp keine Worte findet, um diese einfache Frage, ja Bitte zu beantworten. Ich als ranghöchste Vertreterin der französischen Zauberergemeinschaft sowohl des europäischen Mutterlandes als auch der noch bestehenden Überseehoheitsgebiete möchte Ihnen, Mr. Watergate, mit aller Deutlichkeit zusichern, dass wir Ihnen und Ihrem Zaubereiministerium beistehen werden und mit allen gewaltlosen Mitteln danach trachten werden, diese offenkundige Erpressung zurückzuweisen und die Lage friedlich zu bereinigen, indem wir zumindest was die Rückführung der aus Ägypten fortgeschafften Gegenstände angeht mit Ihnen am gleichen Strang ziehen werden, um die von Monsieur Chaudchamp verwendete Metapher zu benutzen. Inwieweit es berechtigte Hoffnungen gibt, dass die italienische Zaubereiadministration die in ihre Obhut übernommenen Dinge an die Herkunftsländer zurückgibt muss ich es Ihnen überlassen, es einzuschätzen und gegebenenfalls auf diese Rückgabe hinzuwirken, da Sie die zuständigen Fachkollegen besser kennen als ich."

"Nun, das wird sich weisen, wenn wir wissen, welcher von denen überhaupt noch in Amt und Würden steht", murrte Chaudchamp. "Soweit Sie alle wissen hat die Sektion der Liga gegen dunkle Künste immer noch die Amtsgeschäfte in Italien inne, bis eine höchstrichterliche Entscheidung gefällt wurde, ob die bisherigen Beamten von aller Schuld freigesprochen oder dauerhaft ihrer Ämter enthoben sind. Damit dürfte das an Sie ausgesprochene Ultimatum bereits uneinhaltbar sein, Kollege Watergate." Der Angesprochene nickte schwerfällig. "Jedenfalls werden wir Ihnen dabei helfen, die Lage zu klären und darauf hinwirken, dass Ladonna nicht doch noch einen Sieg über uns alle erringt, indem ihr Wirken die internationale magische Zusammenarbeit zum erliegen bringt. Auch wenn ich hoffe, dass es den Ägyptern bewusst ist, dass sie bei einer Aufkündigung internationaler Beziehungen sehr viel verlieren mögen komme ich leider nicht davon ab, dass deren Ehrgefühl und Stammesdenken diese Einsicht überlagert und sie wahrhaftig bis zum äußersten gehen werden, um ihre Ziele zu erreichen. In jedem Fall pflichte ich Ihnen vollkommen bei, Kollege Watergate, dass Sie das von unserer Warte überholte Mittel eines Geiselaustausches ablehnen und Sie daher nicht auf die Auslieferung Ihres Mitarbeiters Percival Weasley eingehen werden. Ich muss jedoch bei Ihnen voraussetzen und es allen anderen hier anwesenden in aller Deutlichkeit mitteilen, dass jeder von Ägypten oder einem anderen Land als gesuchte Person eingestufter Zauberer oder Hexe in dem Moment den dort geltenden Gesetzen untersteht, sobald er oder sie das international garantierte Hoheitsgebiet der betreffenden Zaubereiverwaltung betritt und von dortigen Ordnungskräften festgenommen wird. Ihr Mitarbeiter Percival Weasley ist gewiss über diesen Umstand unterrichtet und wird sicher auf jede private Reise in eines der betreffenden Länder verzichten. Ganz Sicher haben Sie ihn auch dazu angewiesen, bis auf weiteres hier in Großbritannien zu verbleiben, bis die unerfreuliche Lage beendet werden kann."

"Äh, ja, ähm, nicht so ganz", druchste Watergate herum und sah aus wie ein bei einem üblen Streich ertappter Schuljunge. "Es galt und gilt, den fliegenden Besen in der Luft zu halten, solange der Wind günstig ist. Daher habe ich ihn zu einer vorbereitenden Konferenz der Commonwealthstaaten nach Kapstadt entsandt, wo er sich mit ihm ranggleichen Kolleginnen und Kollegen aus den ehemals britischen Kolonien verständigt, zumal gerade die afrikanischen und ozeanischen Zaubereiministerien größtenteils von Ladonnas Einfluss freigeblieben sind. Allerdings gilt es nun, klare Positionen zu erörtern, wie wir mit den Kobolden verfahren, die immer noch darauf bestehen, dass sie in Australien und Neuseeland ihren Geschäften von vor der Erdmagieentladungswoge nachkommen dürfen. Für alle, die nicht in der Aufrechterhaltung internationaler magischer Zusammenarbeit und internationalen magischen Handels tätig sind: Das australische Zaubereiministerium lehnt eine Rückkehr der Kobolde ab und verweist auf den damals geschlossenen Vertrag, dass nur in Australien geborene Kobolde die dortige Gringotts-Zweigstelle betreiben dürfen. Da wegen der erwähnten Erdmagiekommotion vom 26. Dezember 2004 kein Kobold überlebt hat und Gringotts unwiederherstellbar in sich zusammenbrach fühlen sich Ministerin Rockridge und ihre Mitarbeiter im vollen Recht, die Goldwertbestimmungsrechte und Goldverkehrsrechte zu besitzen, auch wenn die außerhalb Ladonnas Einflussbereiches weiterwirtschaftenden Kobolde immer wieder damit drohen, dass Australien aus internationalen Handelsbeziehungen ausgeschlossen sein wird. Sie machen für sich geltend, dass Gringotts im Schatten britisch-irischer Kolonisationsmaßnahmen eine quasi Monopolstellung erworben zu haben glaubt, dies aber von vielen anderen Exkolonien mit moderner Zaubereiverwaltung und vor allem den afrikanischen, süd- und Ostasiatischen und Mittelöstlichen Zaubereiverwaltungen nicht als naturgegebene Eigenschaft der Kobolde einstufen. Die südafrikaner stimmen Australien zu, dass wo Menschen Gold fördern auch Menschen bestimmen, wieviel es wert ist und was dafür eingehandelt wird oder nicht. Deshalb weilt Mr. Percival Weasley seit dem ersten März in Kapstadt."

Julius beschloss, kein Diplomat zu werden. Wieso konnten diese Leute nicht einfach in einem Satz rüberbringen, was Sache war? Watergate hätte doch nur zu sagen brauchen: "Percy Weasley ist in Kapstadt, um da mit den anderen Ministerien ehemaliger Kronkolonien zu verhandeln." Das ganze drum herum war für die anderen hier doch unwichtig. Tja, auch Arthur Weasley hätte nur zu sagen brauchen: "Leute, die Ägypter haben meinen Sohn Bill wegen seiner Arbeit für Gringotts zum gesuchten Verbrecher erklärt und wollen, dass wir ihn ausliefern." Andererseits hatte Julius selbst schon sheinbar einfach erscheinende Sachlagen mit viel Bremborium beschrieben, um möglichst keinem mit Wucht vor den Kopf zu stoßen.

"Hmm, Kollege Watergate, es wäre sicherlich sehr entgegenkommend gewesen, wenn Sie meine Abteilung über diese Zusammenkunft in Kapstadt unterrichtet hätten. Denn natürlich wissen Sie auch, dass wir Franzosen zu den Rechtsnachfolgern französischer Kolonialverwaltungen einen gewissen Kontakt halten und zu diesen Kolonien auch der Senegal und andere südlich der Sahara oder an den afrikanischen Küsten gelegene Länder gehören. Am Ende gilt es noch, einen Interessenskonflitk zwischen den ehemaligen afrikanischen Kolonien und europäischen Zaubereiministerien zu verhindern oder, wenn dies bereits unmöglich ist, ihn möglichst bald und leise wieder zu beenden", erwiderte Chaudchamp. Watergate sah Shacklebolt und dann seinen Amtskollegen an und sagte: "Wir mussten unverzüglich auf die vereinte Ankündigung des südafrikanischen Zaubereiministers und der australischen Zaubereiministerin reagieren, zumal der oberste Rat der indischen Zauberergemeinschaft sich deren Auffassung größtenteils vorbehaltlos anschloss. Daher benutzte ich auch das Bild vom im kräftigen Wind fliegenden Besen, Kollege Chaudchamp. Ich ging bis gerade eben auch davon aus, dass die einstmals französisch dominierten Länder mit ähnlichen Anfragen oder Forderungen an Sie herangetreten wären. Da dies offenbar nicht so ist bestand wohl auch kein Anlass, eine entsprechende Zusammenkunft einzuberufen. Ich darf jedoch nicht ausschließen, dass die einstigen Kolonien Frankreichs, vor allem die nordafrikanischen, die Gunst der Stunde nutzen möchten, um frei von jeder Intervention Frankreichs eigene Übereinkünfte zu treffen und Ihnen dann das Endergebnis vorzulegen, auf dass Sie dann reagieren mögen."

"Ja, um das Feuer auszutreten, wenn das Kind bereits seit Minuten im Kessel liegt", knurrte Chaudchamp. Julius musste einmal seine Selbstbeherrschungsformel denken, um nicht schadenfroh zu grinsen. Abgesehen davon wusste er nicht, ob die Schadenfreude berechtigt war. Er wusste dass die politischenund wirtschaftlichen Verhältnisse in der magischen Welt ganz anders lagen als in der nichtmagischen Welt. Die afrikanischen, arabischen und asiatischen Zaubereigemeinschaften waren wesentlich stärker und selbstbewusster gegenüber denen aus Europa als es die nichtmagischen Staatsführungen den Europäern oder den USA gegenüber waren. Und selbst da, so wusste Julius, gährte bereits Widerstand gegen die einstigen Kolonialmächte.

"Nun, so pessimistisch würde ich das nicht sehen", meinte Watergate. Darauf räusperte sich der britische Zaubereiminister und forderte, dass es eine verbindliche Aussage Frankreichs zu den Forderungen Ägyptens gab, ja es vielleicht möglich war, dass Frankreich zwischen Großbritannien, Italien und Ägypten vermitteln konnte. "Denn das, werte Herren Watergate und Chaudchamp, haben Sie offenbar bei allen Erwähnungen nicht in Betracht gezogen", sagte Shacklebolt mit unüberhörbarem Unmut. Julius hätte ihm dafür fast laut Beifall geklatscht. So wurde nach der Vereinbarung, erkannte gemeinsame Interessen nach außen zu vertreten, Frankreichs Zaubereiministerium gefragt, ob es wegen der geografischen und politischen Lage zwischen den unterschiedlichen Parteien vermitteln konnte. Dazu meinte Chaudchamp: "Nun, es könnte sein, dass sich Tunesien, Algerien und Marokko gegen eine Vermittlung unsererseits aussprechen, weil sie nicht gänzlich zu unrecht davon ausgehen müssen, dass wir Franzosen weiterhin gewisse Interessen an der Entwicklung in Nordafrika hegen und soweit es die seit dem Ende der Kolonialherrschaften geltenden Hoheitsgrenzen zulassen weiterhin Einfluss ausüben möchten. Ich selbst kann und möchte mich nicht gänzlich von dieser Einschätzung freisprechen. Immerhin leben in den einstigen Kolonien der afrikanischen Mittelmeerküste noch viele Nachkommen europäischer Hexen und Zauberer und hoffen darauf, im gedeihlichen Miteinander mit den Ureinwohnern weiterleben zu dürfen. Auch deshalb war und ist mir das sehr wichtig, ob es in den einst französisch kolonisierten Ländern Afrikas ein ähnliches Bedürfnis nach gemeinsamem Auftreten gibt wie bei den einstmals britisch kolonisierten Ländern. Ich muss sogar zu bedenken geben, dass ich deshalb womöglich nicht weiter an diesem und allen noch geplanten Treffen teilnehmen kann, weil ich die Verbindungen nach Afrika und Südostasien überprüfen muss, ob dort etwas dergleichen im Schwange ist oder nicht, auch wenn die Gefahr besteht, dabei einen tief schlafenden Drachen zu kitzeln, wenn Sie verstehen, was ich meine, Kollege Watergate, Mademoiselle Laministre Ventvit und Herr Zaubereiminister Shacklebolt."

"Darf ich diese Aussage als Anfrage deuten, diese Versammlung zu verlassen und sich mit den von Ihnen erwähnten Anliegen und Besorgnissen zu befassen, Monsieur Chaudchamp?" fragte Ornelle Ventvit, nachdem ihr der britische Zaubereiminister durch Nicken das Wort erteilt hatte. "Nun, es wäre zumindest von erheblichem Vorteil für unsere magische Administration, wenn ich mich mit meinem Mitarbeiterstab in Paris ausgiebig über diese Sachlage beraten und möglicherweise anstehende Unterhandlungen anberaumen oder delegieren kann. Mein Untersekretär Dupont ist ja bereits bevollmächtigt, mich in Abwesenheit zu vertreten und besitzt, wie Sie ja wissen, sämtliche Vorabsprachen meiner Abteilung, um unsere internationalen Anliegen so darzustellen, als sei ich selbst anwesend, Mademoiselle la Ministre Ventvit."

"Ja, das heißt dann wohl, Sie möchten darum bitten, diese Versammlung verlassen und nach Paris zurückkehren zu dürfen", legte Ornelle Ventvit diese Antwort aus. Chaudchamp sah seinen Untersekretär Dupont an, mit dem Julius allemal besser zurechtkam. Julius sah, dass Chaudchamp sein Gesicht verzog, als habe ihn ein heftiger Kopfschmerzanfall erwischt. Der Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit erbleichte für eine Sekunde, um dann schneller zu erröten als eine Verkehrsampel. Er machte Handbewegungen für Alain Dupont, die dieser mit anderen Gesten erwiderte. Dann sagte Chaudchamp: "Somit erbitte ich hier und jetzt höchst offiziell und in Befolgung der Richtlinien zur Teilnahme an internationalen Zusammenkünften von den ranghöchsten Mitgliedern dieser Zusammenkunft die Erlaubnis, mich zu entfernen und von Mademoiselle Ministerin Ventvit die Genehmigung, die meinem Aufgabenbereich unterstehenden Angelegenheiten bezüglich einstmals französischer Kolonien von Paris aus zu ergründen und zu regeln, was zu regeln ist."

"Erlaubnis erteilt", sagte Shacklebolt. Julius vermeinte, ein leicht schadenfrohes Grinsen im ebenholzschwarzen Gesicht des britischen Zaubereiministers zu sehen. "Da es für Sie offenbar sehr wichtig ist, Klarheit über die von Ihnen geäußerte Besorgnis zu erlangen ist Ihnen von meiner Seite die Rückkehr nach Paris gestattet. Allerdings müssen Sie dafür wohl das internationale Flohnetz bemühen oder das britische Zaubereiministerium um die Zuteilung und Nutzungsgenehmigung eines Portschlüssels bitten", sagte Ministerin Ventvit.

"Ich vermag mit einem Appariersprung mehr als vierhundert Kilometer zu überwinden und sehe mich im Stande, mit drei oder vier Sprüngen in das Foyer des Ministeriumsgebäudes zu apparieren, sofern Sie mir dazu die Genehmigung erteilen", sagte Chaudchamp und sah die Ministerin eindringlich an. Shacklebolt antwortete darauf: "Die Schenke zum goldenen Falken wurde für die Zeit unserer Zusammenkunft mit einem bidirektionalen Apparierabwehrwall umspannt und wie Sie wohl gerade selbst feststellen durften gegen geistige Übermittlungen und Fernüberwachungen abgeschirmt. Sie müssten mindestens einhundert Meter von hier fortgehen, um gefahrlos zu disapparieren, Monsieur Chaudchamp."

"Genehmigung erteilt", sagte die französische Zaubereiministerin. Chaudchamp nickte ihr mit ausdrucksloser Miene zu. Dann verabschiedete er sich und nickte zweimal seinem Untersekretär Dupont zu, der dreimal zurücknickte. Offenbar war das eine wortlose Absprache, dass Dupont Chaudchamps Aufgabe übernahm und in seinem Sinne erledigen würde. Dann eilte Auguste Chaudchamp so schnell zu Fuß aus dem Besprechungssaal, als müsste er mal ganz schnell wohin. Shacklebolt und Ventvit bedachten diesen eiligen Aufbruch mit keinem weiteren Wort.

"Wie Sie erfuhren bin ich bevollmächtigt, in Abwesenheit von Monsieur Chaudchamp verbindliche Übereinkommen zu treffen und zu unterschreiben", sagte Alain Dupont, um für die irgendwo mitschreibende Protokollfeder klarzustellen, dass er jetzt der Ansprechpartner für internationale Angelegenheiten war. Dies wurde von den Anwesenden bestätigt.

Nun ging es darum, wie genau Frankreich als Vermittler zwischen Italien, Großbritannien und Ägypten auftreten sollte und das bei der geplanten Zusammenkunft der Mittelmeeranrainer auf Malta erwähnt und beachtet werden sollte. Ziel dieser Vermittlung sollte sein, dass Italien eine Aufbewahrungsgebühr von den britischen Kobolden erhalten sollte, um "im Auftrag der ägyptischen Zaubereiverwaltung" die von Ladonna entführten Gegenstände zu verwahren, bis diese an die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger zurückerstattet werden konnten. Barbara Latierre brachte zur Sprache, dass sie die friedlichen Beziehungen zu den französischen Mitarbeitern von Gringotts nutzen könnte, um die britischen Gringottsmitarbeiter von einer friedlichen Rückgabe der von Ladonna gestohlenen Gegenstände zu überzeugen. Julius hätte sie dafür fast gefragt "Wovon träumst du nachts, Tante Babs?" Doch gemäß der Absprache hielt er sich solange zurück, wie es nicht um magielose Fernverständigung oder Veelas ging. So wurde nun ausformuliert, was Frankreich und Großbritannien Gringotts anbieten konnten, um eine gewisse Entschädigungsgebühr an Italien zu bezahlen, damit die den Ägyptern ihre Zaubergegenstände zurückgaben, aber im Gegenzug auch darauf eingingen, die ehemaligen Fluchbrecher von ihrer Fahndungsliste zu streichen und jede Andeutung, dass arabische Zaubereiministerien die weitere internationale Zusammenarbeit aufkündigen mochten, zu unterlassen. Julius hoffte, dass er sich irrte. Doch im Moment war er sich zu sicher, dass weder die Gringottskobolde eine Entschädigung rausrücken würden noch dass die italienische Zaubereiverwaltung die aus Ladonnas Villa bei Florenz geholten Gegenstände zurückgab, noch dass Ägyptens Zaubereiverwaltung darauf verzichten mochte, Bill Weasley und alle anderen Fluchbrecher von ihrer Fahndungsliste zu streichen. Er hatte den unbestimmbaren Eindruck, dass vor allem die Morgensternbruderschaft zu gerne wissen würde, wie die britischen Fluchbrecher die altägyptischen Schätze geborgen hatte. Tja, und soweit er wusste hatten die dabei den gefangenen Geist eines dunklen Magiers im Range eines totgeschwiegenen Pharaos befreit und es sich auch mit den ägyptischen Katzenfrauen verdorben, die garantiert noch sehr wütend auf Gringotts und seine menschlichen Mitarbeiter waren. Wie gut, dass er da nichts zu verhandeln hatte. Zumindest hoffte er das.

Als Frankreich offiziell damit beauftragt worden war, für Großbritannien zu verhandeln ging es doch noch um etwas, mit dem Julius zu tun hatte, nämlich um die offiziellen Verständigungsmöglichkeiten zwischen London und Paris. Monsieur Dupont wandte vorsorglich ein, dass sein Vorgesetzter ablehnte, nichtmagische, auf elektrischen Strom zugreifende Mittel zu benutzen, da er zum einen die Erzeugungsart für Strom für fragwürdig hielt als auch auf die Traditionalisten Rücksicht nehmen wollte, die ganz und gar ohne moderne, magielose Mittel auszukommen wünschten. Der Einwand wurde zwar von Shacklebolt und Ventvit zur Kenntnis genommen. Doch die Ministerin wandte ein, dass sich das nichtmagische Nachrichtennetzwerk namens Internet bereits als sehr viel schneller und weitreichender erwiesen habe, auch und vor allem was die schnelle Abstimmung über grenzüberschreitende Gefahren anging und auch was die Wahrung der Geheimhaltung der Magie betraf, die durch eben jene modernen Nachrichtenmittel mehr als ehedem gefährdet war und deshalb von genügenden fachkundigen Hexen und Zauberern genutzt werden sollte, um die Geheimhaltung der Magie abzusichern. Offenbar hatte Nathalie Grandchapeau das mit ihr abgesprochen, ahnte Julius. Als er dann zu seinen Erfahrungen mit dem Internet während seiner Tätigkeiten befragt wurde erwähnte er auch, dass die Sekte der selbsternannten Vampirgöttin und die Werwölfe der Mondbruderschaft bereits das Internet nutzten und dass die wegen der Terroranschläge von 2005 und der Unruhen in Frankreich vom November 2005 verstärkte Videoüberwachung die Gefahr magischer Vorgänge oder magischer Wesen erhöhte. Dagegen mussten sie ja vorgehen. Deshalb waren sie ja auch im Oktober 2005 in Japan gewesen, was ja als Erfolg der internationalen Zaubereigeheimhaltung verbucht werden konnte. Er beendete seinen Vortrag mit den Worten: "Auch wenn all diese Erfahrungen mich persönlich davon überzeugen, weiterhin verstärkt mit elektronischen Fernverständigungsmitteln zu arbeiten erkenne ich Monsieur Chaudchamps Einwand an, dass längst nicht jedes Zaubereiministerium über diese Mittel verfügt und auch kein Interesse hat, diese zu benutzen. Daher befolge ich die Bitte, weiterhin die für die Geheimhaltung vor Nichtmagiern wichtigen Maßnahmen zu betreiben und nur im Rahmen von direkten Anfragen oder bereits getroffener Fernverständigungsabkommen außerhalb meines Aufgabenbereiches liegende Botschaften zu versenden oder entgegenzunehmen."

"Die Reise nach Japan hat ja klargestellt, wie wichtig die Kenntnisse von Elektrorechnern und Elektrofernbildübermittlern ist", sagte Arthur Weasley. "Die geltenden Bestimmungen zur Verwendung von Muggelartefakten beziehen sich ja auf die Bezauberung und die Verbreitung außerhalb der magischen Welt. Diese Solarstromgeräte, die die Elektrizität für die Internetgeräte erzeugen sind als rein magische Kraftquellen zertifiziert oder magisch belangte Muggelartefakte?" Julius erwähnte, dass Florymont Dusoleil aus magischen Feuerperlen und Mineralien in Beachtung der nichtmagischen Elektrizitätslehre Stromerzeuger gebaut hatte, aber die Erzeugung von Feuerperlen nicht so leicht war, um Solargeräte massentauglich nachzubauen. Da hakte Tim Abrahams ein und erwähnte, dass im Zuge der möglichen Vergrößerung der Internetüberwachungsabteilung seiner Behörde Mehrschichtenrouter benutzt wurden, bei denen bis zu drei eigenständige Rechner am selben Satellitenmodem angeschlossen werden konnten und über Datenverteiler auch untereinander Nachrichten austauschen konnten, sodass letztendlich bis zu sieben Nutzer an einem Router arbeiten konnten. "Ich habe Ihnen das schon mal angeboten, als wir aus Japan zurückkamen, Arthur. Wenn Sie zwei oder drei von Ihren direkten Mitarbeitern kennen, die die nötige Auffassungsgabe und Toleranz nichtmagischen Geräten gegenüber haben kann ich die zertifizierte Mitarbeiterin Pina Watermelon beauftragen, Ihre Mitarbeiter weit genug auszubilden, dass diese im Rahmen Ihres Aufgabenbereiches das Arkanet und das Internet benutzen können. Aber sie sagten immer wieder, dass die meisten Ihrer Mitarbeiter die elektrischen Nachrichtenverbreitungsmittel als unangemessen oder gar abzulehnen einstufen, auch und vor allem, weil diese die Geheimhaltung der Zauberei vor Muggeln gefährden können."

"Gemäß dem Grundsatz, ich verschließe meine Augen, dann sieht mich niemand mehr", grummelte Arthur Weasley. Doch dann bestätigte er, dass er im Augenblick keinen Zauberer kannte, der sich damit befassen wollte, aber davon hörte, dass im sechsten Jahr von Hogwarts gerade ein Paar Zwillingsschwestern unterrichtet wurde, deren Eltern im nichtmagischen Handelswesen tätig waren und die deshalb mit Genehmigung von Professor McGonagall und deren Hausleiterin Sprout die Grundlagen der Internetarbeit lernten, um sie in den Ferien in der Praxis auszutesten. "Vielleicht besteht da die Möglichkeit, wie bei Ms. Watermelon Nachwuchs anzuwerben", sagte Arthur Weasley. Tim Abrahams und Julius nickten. Julius sah Shacklebolt noch einmal an und erwähnte auf dessen Nicken, dass seine Mutter erwähnt hatte, dass sie interessierten Hexen und Zauberern Unterricht geben wollte, solange sie noch für das US-amerikanische Zaubereiministerium gearbeitet hatte. Doch da dieses selbst derzeitig keinen Bedarf hatte, weiterhin das Internet zu überwachen und das Marie-Laveau-Institut in New Orleans klargestellt hatte, dass Martha Merryweather nur denen, die schon mit ihr zu tun hatten neue Erkenntnisse weitergeben durfte sei er im Moment der einzige, der das Arkanet am besten kannte und im Falle einer Amtshilfegenehmigung seiner Vorgesetzten oder der Ministerin selbst Unterricht erteilen durfte. Ministerin Ventvit nickte, räumte jedoch ein, dass sie diese Genehmigung nur dann erteilen würde, wenn er dafür nicht von seinen anderen Aufgaben abgehalten würde und dass eindeutig festgeschrieben werden müsse, wer und wozu diese Kenntnisse erhalten sollte. Damit hatte es Julius buchstäblich amtlich, dass sie das letzte Wort hatte, wem er seine Kenntnisse weitergab. Das beruhigte ihn. Denn so wusste er, woran er war. Arthur Weasley wirkte dagegen ein wenig enttäuscht, weil Ornelle Ventvit seine Begeisterung für überragende Muggelsachen runtergekühlt hatte. Tja, damit musste der eben leben.

Als das alles geklärt und alle daran interessierten sich Julius' Erläuterungen von der Tafel abgeschrieben hatten gingg es um die nächste Sache, bei der Julius mitreden durfte, ja es von Amtswegen musste, um die Beziehung zwischen Menschen und Veelas, weil doch viele in England fürchteten, dass jemand mit den Fähigkeiten Ladonnas auf die Idee kommen konnte, sie zu beerben. Auch hatten die Handelsbeauftragten in den Vereinigten Staaten erfahren, dass der neue magische Kongress der USA eine Wohn- und Arbeitsberechtigungsabgabe für reinrassige oder teilweise Zauberwesen wie Zwerge, Kobolde und eben Veelas einführen wollte, um eine Art Ausgleich für die von Ladonna verursachten Aufwendungen zu erhalten. Das war für Julius zwar nicht gerade neu, ärgerte ihn jedoch, weil er eigentlich gehofft hatte, dass das Thema von der Tagesordnung gestrichen worden war. Doch offenbar hatten künftige Kongressangehörige sich zusammengetan, um klarzustellen, dass die US-amerikanische Zaubereigemeinde vordringlich von Menschen bestimmt wurde und alle anderen Zauberwesen die Wahl haben sollten, sich denen zu unterwerfen oder das Land zu verlassen. Da konnte noch was auf ihn zukommen, dachte Julius.

Jedenfalls konnte er zusammen mit Arthur Weasley und Jack Potts von der Handelsabteilung beschließen, dass die in Großbritannien lebenden Veelastämmigen keinerlei Wohnberechtigungsgeld zu zahlen hatten. Ministerin Ventvit erlaubte ihm hier vor dieser Versammlung, die bis zu klar für die Öffentlichkeit bestimmten Beschlüssen ja größtenteils geheim war, den Friedensvertrag zwischen magischen Menschen und Veelastämmigen auf französischem Boden zu erwähnen und die wichtigsten Einzelheiten aufzuzählen, vor allem die Abschwächung der Blutracheandrohung der alten Veelagesetze. Arthur Weasley lauschte mit gewissem Unbehagen und dann mit großer Erleichterung. Als Julius den genehmigten Kurzvortrag beendete fragte Fleurs Schwiegervater: "Das heißt, wer mit einem veelastämmigen Wesen verheiratet oder Blutsverwandt ist wird von dieser erschreckend rigorosen Blutracheandrohung ausgenommen?" Julius bejahte es und erkannte, wie erleichtert Arthur Weasley war. Seine ebenfalls anwesende Schwiegertochter Hermine meinte dazu: "Das wird meinen Mann freuen, dass ihn Fleurs Cousinen nicht in tausend Stücke zerreißen, wenn dieses überkandidelte Frauenzimmer mal wieder zur Last fällt."

"Mrs. Weasley, bitte beherrschen Sie sich!" rief Amos Diggory seine Mitarbeiterin zur Ordnung. Doch diese tat es nur mit einem verdrossenen Achselzucken ab. Julius dachte daran, dass Hermine Weasley geborene Granger vor kurzem selbst eine Tochter geboren hatte und dass sie immer schon meinte, über allen Vorgaben zu stehen und das von ihr für richtig gehaltene mit aller Macht durchzusetzen. Gut, mit dieser gewissen Entschlossenheit hatte sie auch Rita Kimmkorn in die Schranken verwiesen und Harry Potter und ihrem Mann Ron geholfen, Tom Riddle alias Lord Voldemort zu besiegen. Doch offenbar behagte es nicht allen im Zaubereiministerium, dass sie immer noch derartig übereifrig und auch altklug auftrat. Garantiert eckte sie auch bei ihrer Schwippschwägerin Fleur Weasley geborene Delacour an, abgesehen von der natürlichen Abneigung von Frauen und Mädchen gegenüber Veelas und Veelastämmigen.

"Wenn ich diesen Vertrag richtig verstehe, Ministerin Ventvit und Monsieur Latierre, so bezieht er alle lebenden Blutsverwandten der französischen Veelastämmigen mit ein, also auch die Damen Fleur und Victoire Weasley, korrekt?" erkundigte sich Kingsley Shacklebolt.

"Es steht nicht niedergeschrieben, liest sich aber eindeutig aus dem Vertrag heraus", kam die französische Zaubereiministerin Julius mit einer Antwort zuvor. "Dann mag dieser Vertrag bereits auf britischem Boden gelten. Aber zur Sicherheit beantrage ich als amtierender Zaubereiminister, dass Madame Barbara Latierre und Monsieur Julius Latierre mit den hier anwesenden Vertretern der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe eine für Großbritannien gültige Vereinbarung auf Grundlage dieses Vertragswerkes verhandeln, während die Vertreter der Handelsabteilung die vorhin erwähnten Nachjustierungen unserer Handelsbeziehungen auch im Hinblick auf die mit den ehemaligen Kolonien bestehenden Beziehungen beratschlagen", legte Minister Shacklebolt fest.

Hermine Weasley wirkte auf einmal sehr begeistert und entschlossen. Als sie ihren Vorgesetzten ums Wort bat sagte sie: "Dann sollten wir hier und heute doch gleich die sich bietende Gelegenheit ausnutzen, eine generelle Anerkenntnis aller denkfähigen Wesen auf gleicher Augenhöhe und Zubilligung von Wohn- und Arbeitsfreiheiten einschließlich Einkommen und Unterbringungsweise auszufertigen. Auf diese Weise würden wir das seit 1613 bestehende Friedens- und Handelsabkommen mit den Kobolden, dass wir durch die Abwehr von Ladonnas Machtstreben bewahren konnten, um ein vielfaches aufwerten und die Kobolde in eine wohlwollende Stimmung versetzen, dass die vorhin erwähnten Verhandlungen mit Italien und Ägypten zum Erfolg führen können. Abgesehen davon könnte endlich eine seit Jahrhunderten bestehende Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft und eine wahrhaftige Verbesserung der magischen Gemeinschaftsordnung Großbritanniens erzielt werden ..." Diggory stöhnte, während Shacklebolt verwegen grinste und Julius erkannte, welche achso günstige Gelegenheit Hermine Weasley meinte, nämlich die, ihren alten Traum zu erfüllen und eine Beendigung des quasi Sklavendaseins der Hauselfen herbeizuführen. Denn was für Veelastämmige und Kobolde gut war durfte auch für Hauselfen gut bis sehr gut sein. Arthur Weasley sah seine Schwiegertochter und dann den Kollegen Diggory verschmitzt lächelnd an. Als Amos Diggory seufzte: "Das musste ja jetzt kommen", antwortete er ihm: "Was meinen Sie, warum die junge Dame so darauf erpicht war, in Ihrer Abteilung arbeiten zu dürfen, Amos."

"Nur, dass es daran scheitern dürfte, dass Hauselfen jede Gehaltszahlung ablehnen und auch die Bereitstellung von Kleidung oder die auch nur angedeutete Möglichkeit, durch bezahltes Gehalt Kleidung zu erwerben als Ablehnung ihrer weiteren Arbeit betrachten, und das weiß die junge Dame hier ganz genau."

"Soweit ich dies eben mitbekam galt bis zu jener Vertragsvereinbarung zwischen der reinrassigen Veela Léto und dem französischen Zaubereiministerium die totale Blutrache von Veelas an den Angehörigen der Mörder ihrer Blutsverwandten als ehernes Gesetz, das seit Jahrtausenden unveränderlich gehandhabt wurde. Wenn so ein ehernes Gesetz zu Gunsten eines friedlichen, einträglichen Miteinanders verändert werden konnte, dann doch sicher auch die scheinbar unwiderlegbare Tradition, dass die Übergabe von Kleidung an Hauselfen einer Entlassung gleichkommt. Immerhin könnten die Hauselfen, die Gold erhalten bestimmen, ob und wenn ja wie sie sich bekleiden, also sich nicht vom Willen ihrer Dienstherrschaft vorbestimmen lassen, was sie anziehen, und ich erinnere daran, warum Mr. Crouch damals seine Hauselfe Winky verstieß, Mr. Diggory."

"Ja, und Sie berufen sich seit Ihrer Verbeamtung in meiner Abteilung darauf, dass der ehemalige Elf der Familie Malfoy alle Rechte auf Freiheit und Eigenständigkeit besaß und diese auch wahrzunehmen wünschte, was ihn zunächst dazu brachte, in Hogwarts zu arbeiten und sich in letzter Konsequenz für Sie und Ihre Freunde zu opfern, um Ihnen das Leben zu retten, Mrs. Weasley. All das ist mir ebenfalls hinlänglich bekannt. Natürlich müssen Sie Ihrem offenbar unbeherrschbaren Enthusiasmus folgend die sich bietende Gelegenheit nutzen, statt der Verbesserung der Beziehung zwischen Menschen und nur einer Zauberwesengattung eine Verbesserung der Rechte aller denkfähigen Zauberwesen zu erwirken. Doch das könnte schwierig sein, da Kobolde sich über den Hauselfen stehend wähnen, die Hauselfen die Unverfrorenheit und schwer beherrschte Renitenz von Kobolden verachten und Veelas sowieso meinen, über allen anderen Zauberwesen zu stehen, einschließlich Zwergen und Riesen. Daher ist es ja so unbedingt erforderlich, eine klare Festlegung der bestehenden Verhältnisse zu treffen."

"Darf ich Sie bei allem Respekt der Untergebenen vor dem Vorgesetzten darum bitten, sich daran zu erinnern, dass es genug Kollegen gibt, die handfeste Gründe dafür anführten, dass eine Gleichstellung von Vampiren und Werwölfen eine höhere Sicherheitsgrundlage bieten, als das Geflecht von Arbeits- und Bewegungsbeschränkungen", konterte Hermine Weasley. "Darauf Bezug nehmend vermute ich, dass die Arbeitsfreude von Hauselfen, die ich ja doch respektieren muss, erheblich gesteigert und wertgeschätzt wird, wenn diese Wesen nicht mehr wie frei übertragbares Eigentum gehandelt werden."

"Sie meinen Sklaven", hakte Julius ein und grinste innerlich, weil Diggory erst ihn und dann Hermine Weasley tadelnd ansah. Da legte ihm Barbara Latierre die Hand auf die Schultern, baute sich rechts von ihm auf, was Hermine und Diggory sichtlich einschüchterte und sagte: "Da Sie, Mrs. Weasley, offenbar durch Ihre Abstammung meinen, von Außen einen umfassenden Überblick über das Verhältnis zwischen magischen Menschen und Hauselfen zu haben mussten Sie natürlich davon ausgehen, dass Hauselfen wie tote Gegenstände oder niedere Tiere an- und verkauft werden können. Doch dem ist nicht so. Viele der Hauselfen wachsen in eine über viele Generationen währende Beziehung zwischen ihrer Familie und der ihrer Dienstherrschaft hinein und empfinden es als Ehre, die Nachfolge ihrer Eltern und Großeltern antreten zu dürfen. Was Sie wohl mitbekommen haben, nämlich dass wir in Frankreich und Großbritannien ein Amt zur Erfassung und Zuteilung von Hauselfen haben, scheint Sie zur Annahme zu berechtigen, wir hielten Hauselfen als bessere Tiere oder eben Sklaven, sowie Ihre Vorfahren es mit den afrikanischen Männern und Frauen taten, die in den britischen und ja auch in den französischen Kolonien zur Arbeit gezwungen wurden. Aber genau da endet Ihr voreiliger Vergleich. Denn Hauselfen müssen nicht zur Arbeit gezwungen werden, sondern eher im Gegenteil, davon abgehalten werden, für jeden Menschen, dessen sie ansichtig werden, alle möglichen Arbeiten auszuführen. Daher gilt die seit vielen Jahrhunderten bestehende Übereinkunft, dass Hauselfen der Familie, der sie zugeteilt wurden zu dienen haben, niemandem sonst und auch nur die Arbeiten zu verrichten, die ihnen aufgetragen wurden. Ja, ich sehe es Ihnen an Ihren funkelnden Augen an, dass Sie mir jetzt gleich die Geschichte von Dobby, dem Hauselfen der unrühmlichen Familie Malfoy um die Ohren schlagen möchten. Aber diese Geschichte und ihr tragischer, ja für Sie jedoch günstiger Ausgang ist mir von verschiedenen Stellen erzählt worden. Daher verzichten Sie gütigst darauf, Ihre und meine wertvolle Zeit mit einer Wiederholung zu verschwenden! Was Dobby anging, so gehörte seine Familie einst zur traditionellen Belegschaft der Familie Black, ebenso wie jener Hauself, der Ihrem Schwipsschwager Harry Potter bis heute dient, obwohl dieser doch alle Zeit hat, ihn ehrenvoll zu entlassen, nicht wahr? Ja, gucken Sie ruhig verdutzt. Sie dürfen gerne wissen, dass ich weiß, dass jener Elf Creacher der Cousin von Dobbys Großvater war und Dobbys Großmutter mit der mutter der Schwestern Narzissa, Bellatrix und Andromeda in die Familie einzog. Das Hauselfenzuteilungsamt hatte eigentlich geplant, deren Nachkommen an eine andere Familie weiterzugeben, da, und das sollten sie wissen, die Anzahl von Hauselfen pro Familie durch die Anzahl lebender Familienangehöriger ob ungeboren oder bereits selbst zu Eltern geworden, beschränkt ist. Allerdings stand Narzissa Black kurz davor, mit Lucius Malfoy die Ehe zu schließen und konnte so den jungen Hauselfen Dobby zugeteilt bekommen. Das dieser aus mangelndem Respekt, gut meinetwegen auch übler Misshandlung seiner zugeteilten Herrschaft immer abtrünniger wurde lag eben daran, dass Hauselfen tatsächlich eine Entlohnung erhalten, jedoch kein Gold, sondern die Anerkennung ihrer Arbeit und die Wertschätzung ihrer ständigen Dienstbereitschaft. Ich gehe stark davon aus, dass Mr. Potters geerbter Hauself Creacher sich bereits mehrfach entsprechend geäußert hat, nachdem er die nötige Wertschätzung seiner Arbeitsbereitschaft und Anerkennung seiner langjährigen Treue erfuhr." Hermines Gesicht wurde lang und länger, während Diggory seine Amtskollegin mit einer unübersehbaren Dankbarkeit ansah. Harry Potters ehemalige Kampfgefährtin versuchte sich zu straffen. Doch die über 1,90 m große Barbara Latierre überragte sie immer noch. "Winky wurde übel abgestraft, weil sie mit Harrys Zauberstab erwischt wurde, und ihr achso respektvoller Dienstherr Mr. Crouch hat sie augenblicklich verstoßen. Und dass Dobby immer schon dieser faschistoiden Bande um Lucius Malfoy und Bellatrix Lestrange zugeteilt war, ja in diese rabenschwarze Sippschaft hineingeboren wurde bestätig nur, was ich immer und immer wieder kritisieren muss. Ja, wieviele Hauselfen hat denn Ihre achso große Familie, Madame Latierre?"

"Die Familie meiner Mutter hat fünf, obwohl wie Sie sicher wissen meine Familie sehr fruchtbar ist. Ursprünglich standen meiner Familie mütterlicherseits zehn private Hauselfen zu, die sie dann jedoch an jene weitervermitteln konnte, die weit ab von direktem Zugang zu magischen Versorgungsbetrieben und Einkaufsmöglichkeiten wohnen. Daher hat meine Familie zwei dieser zehn Hauselfen. Ja, und wir hatten einmal das Missverständnis, dass meine Töchter ihre Kleidung da auf den Boden haben fallen lassen, wo sie gerade standen und unsere Hauselfen sich weigerten, den Boden zu putzen, weil sie Angst hatten, die Kleidung meiner Töchter anzufassen und somit aus unserem Dienst entlassen zu sein. Sie fragten in der ihnen eigenen Dienstbeflissenheit - ja, Sie nennen das sicher submissives Verhalten oder bedingungslose Unterwerfung -, ob mir oder meinem Gatten was an ihrer Arbeit oder ihrem Fleiß missfalle, dass wir sie unbedingt loswerden wollten. Als mein Mann und ich ihnen verbindlich versichern konnten, dass es nicht ihr mangelnder Fleiß, sondern die mangelnde Ordnungsliebe meiner gerade fünf Jahre alten Töchter war und wir sie eben nicht entlassen wollten freuten die sich. Ich konnte meinen Erstgeborenen dann verdeutlichen, dass die beiden Elfen sehr, sehr traurig wären, wenn sie nicht mehr bei uns wohnen dürften. Seitdem sind die zwei überaus gewissenhaft, was die Unterbringung ihrer getragenen Kleidung angeht und dass diese nur dort abgelegt wird, wo sie als zu reinigende Kleidung gilt und nicht als Entlassungsgabe. Ja, und soweit ich weiß erhielten ihre Schwiegereltern ebenfalls eine Hauselfe, nachdem Ihr Schwiegervater die vom Ministerium ausstehende Wertschätzung erhielt. Ja und Ihre Schwiegermutter könnte sogar noch einen Hauselfen erhalten, da sie ja sieben Kinder bekommen hat und Ihr Schwiegervater ein ranghoher Beamter ist", sagte Barbara Latierre."

"Klar, nur die reichen oder ranghohen bekommen Hauselfen zugeteilt und zahlen entweder durch ihren Einfluss oder durch ihr Gold für die Zuteilung. Das ist doch Sklavenhandel", zischte Hermine. Da kam Arthur Weasley, der sich gerade mit Tim Abrahams und Pina Watermelon unterhalten hatte und hörte den Rest. "Hermine, du erinnerst dich doch sicher noch ganz gut, dass du unserem Hauselfen unbedingt klarmachen wolltest, dass er eine Krankenversicherung und Anspruch auf Ruhestandsgold einzufordern hat. Wie war da noch einmal die Antwort?"

Hermine Weasley knirschte mit den Zähnen, hob den rechten Fuß, als wolle sie damit aufstampfen und stellte ihn dann doch gesittet wieder auf den Boden. "Ich diene bis zumletzten Herzschlag, Meisterin Hermine Weasley", knurrte Arthur Weasleys Schwiegertochter. "Ja, und Molly, also meine Frau, Madame Latierre, hat meine Bitte um Annahme eines Hauselfen nur befolgt, weil sie nach der üblen Sache mit Fred und dem Duell mit ihrer missratenen Tante immer wieder in depressive Zustände verfiel, weil sie sich die Schuld gab, nicht gut genug auf Fred aufgepasst zu haben und unser Familienghul diese Schwäche ausgenutzt hat, um ständig irgendwelchen Unsinn anzustellen."

"Na klar, der Ghul ist schuld", zischte Hermine. "Immerhin konnten Molly und ich einem sonst für überflüssig erachteten Hauselfen seinen Lebenssinn zurückgeben", erwiderte Arthur Weasley. Julius fragte Arthur Weasley, ob er wissen durfte, wieso sich die Weasleys einen zur Rammdösigkeit neigenden, langzüngrigen Ghul hielten. Natürlich wusste er längst, dass die echten, an Menschen gewöhnten Guhle nicht die schleimigen Leichenfresser waren, die er in seiner Rollenspilerzeit in so manchem der vielen Kerker hatte plattmachen müssen.

"Mein Großvater hat ihn in einer Höhle unter dem Haus gefunden, dass er für meine Mutter und damit mich gebaut hat. Er hat erst gedacht, es sei ein besonders großer, durch das Vorhandensein von Blaurüben fressenden Gnomen gewachsener Fuchs, weil der so ein rotes Fell hatte. Daher heißt unser Haus auch zum Fuchsbau. Als dann das Babyfell abfiel und sich der angebliche fuchs auf die Hinterbeine stellte kapierte mein Großvater, dass es wohl doch ein Ghul war. Immerhin konnte er ihm beibringen, Spinnen zu fangen und anderes Ungeziefer aus Ritzen und Löchern herauszuziehen. Tja, und als der Ghul dann merkte, dass die meisten Spinnen und Fliegen unter dem Dach zu finden waren hat er sich dort sein Nest gebaut und blieb da wohnen", sagte Arthur Weasley.

"Ja, und weil die eurasischen Ghule im Vergleich zu ihren Verwandten in der afrikanischen Wüste Menschen nicht gefährlich werden, solange sie nicht bis aufs Blut gereizt werden gelten sie nicht als magische Schädlinge gemäß der Scamandereinteilung", sagte Barbara Latierre. "Ja, und sie sind noch hartnäckiger Ortsgebunden als zu erwachsenen Froschlurchen herangewachsene Kaulquappen, die jedes Jahr an ihren Geburtsteich zurückkehren oder noch Ortsgebundener als gewöhnliche Hauskatzen. Um sie dauerhaft von einem Ort fernzuhalten müsste man sie in einem mit Silber beschlagenen Eisenkäfig einsperren oder töten. Das Einsperren macht sie jedoch so schwermütig, dass sie verhungern", sagte Barbara Latierre. "Wir hatten schon Fälle, wo eine aus ihrem Haus ausgezogene Zaubererfamilie ein Nest mit einem jungen Ghul zurückgelassen hat. Als eine nichtmagische Familie das Haus gekauft hat war der Pergament- und Personalbedarf sehr hoch, den dort eingenisteten Ghul umzusiedeln, bevor seine Ortsgebundenheit voll ausgereift war."

"Na, jedenfalls sind Hauselfen nicht mit Kobolden oder Veelas gleichsetzbar", meinte Julius dann, um noch was dazu beitragen zu können. "Wenn Sie also ernsthaft eine Gleichstellung der Hauselfen erreichen wollen, Mrs. Weasley, dann sollten Sie sich von den Hauselfen beraten lassen, was genau sie von uns magischen Menschen erwarten und denen irgendwie begreiflich machen, warum sowas selbstverständliches wie ihr Arbeitsverhältnis unbedingt auf Pergament aufgeschrieben werden muss. Abgesehen davon haben Ministerin Ventvit und Madame Léto den Vertrag ausgehandelt, und die Kobolde haben 1613 das Abkommen über die Goldwerttbestimmung und die Goldmünzenherstellung mit den Zauberern und Hexen ausgehandelt. Gut, dass Hauselfen lesen und schreiben lernen weiß ich. Aber wie erwähnt müssten Sie erst einmal den ranghöchsten von Ihnen finden, also einen, oder eine, der oder die von allen Hauselfen für Verhandlungsbevollmächtigt angesehen wird. Dann müsste jener Elf oder die Elfe auch einen Sinn darin sehen, für alle anderen Elfen einen Vertrag auszuhandeln, wo die doch durch ihre Anstellung klar geregelt haben, bei wem sie sind und was sie da zu tun haben. Ich fürchte, an Punkt eins ist schon Ende Gelände."

"äh, bitte was?" fragte Amos Diggory. Hermine Weasley verzog ihr Gesicht und übersetzte: "Monsieur Julius Latierre geborener Andrews möchte damit sagen, dass die Hauselfen keine Hierarchien kennen wie die Kobolde, die Veelas oder wir Menschen, sondern jeder für sich für die eigene Arbeit und die angeblich so bereitwillige Treue zu der zugeteilten Familie lebt und es deshalb keinen Hauselfenrat oder Hauselfensprecher gibt, es sei denn, jemand würde seinen oder ihren Elfen befehlen, sich als solcher auszugeben. Ja, und weil das eben nicht geschieht meint Ihr Schwiegerneffe, Madame Latierre, dass es schier unmöglich sein soll, einen Gleichberechtigungs- und allgemein gültigen Anerkennungsvertrag zu schließen. Dann müssen eben wir Hexen und Zauberer das erledigen und die, die meinen, einen Hauselfen oder mehrere davon wie lebendes Mobiliar und Haushaltsgeräte besitzen zu müssen denen erklären, welche Rechte sie haben."

"Das spricht aber gerade nicht für eine Gleichstellung der Hauselfen. Weil Gleichstellung heißt, dass diese über ihr Leben mitbestimmen dürfen und somit auch alle rechtlichen Regularien mitvereinbaren sollten, eben wie es die Veelas und Kobolde getan haben", warf Julius ein und sah an den unterschiedlichen Gesichtern, bei wem das wie einschlug. Amos Diggory wirkte erleichtert, weil jemand ein alles erschlagendes Argument vorbrachte, Arthur Weasley blickte ein wenig unsicher drein, weil er wohl fürchtete, dass seine Schwiegertochter gleich noch heftiger gegenhalten mochte. Barbara Latierre wirkte überlegen, weil Hermine wiederum sehr niedergeschlagen aussah. "Sie würden doch auch nicht wollen, dass nur Zauberer darüber befinden, welche Rechte Sie als Frau haben. Bedenken Sie, was in afrikanischen und arabischen Ländern noch als sogenanntes gutes Recht gilt, was Frauen und Mädchen angeht." Barbara Latierre nickte und sagte: "Wenn dies Ihr Lebenssinn ist, eine Gleichberechtigung aller sprach- und denkfähigen Zauberwesen einschließlich der Hauselfen zu erwirken sollten Sie noch mehr Erfahrungen mit diesen Wesen sammeln um dann zu erkennen, wie Sie diesen Wesen bestmöglich helfen können, sofern diese überhaupt Hilfe erbitten. Jemandem irgendwas zu geben oder für ihm geboten zu erklären ist ebenso bevormundend als wenn Sie ihn zu einfacher Arbeit anleiten, ohne ihn zu fragen, ob er diese Arbeit verrichten will. Das ist Ihr Dilemma, Mrs. Weasley. Sie wollen einer Zauberwesenart zu mehr Anerkennung verhelfen, sich aber gleichzeitig als deren Fürsprecher über diese Wesen erheben, weil Sie meinen, zu wissen, was diese Wesen nötig haben und was nicht."

"Ich erkenne wenigstens, dass Sie genauso auf Beibehaltung Ihrer achso naturgegeben scheinenden Bequemlichkeit beharren wie meine Schwiegerverwandtschaft", zähneknirschte Hermine Weasley und zog sich ohne weiteres Wort zurück, zumal ihr direkter Vorgesetzter ihr durch einen Wink bedeutete, die von Julius angeschriebenen Stichpunkte über den Friedensvertrag mit den Veelas mit ihm zu diskutieren.

"Sie war nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein, die aus der nichtmagischen Welt kommt und meint, gleich alles zu verstehen und zu wissen, was in unserer Welt richtig oder falsch läuft", sagte Barbara Latierre verdrossen.

"Ich möchte dafür um Entschuldigung bitten, falls meine Schwiegertochter Sie in irgendeiner Form beleidigt haben sollte", bemühte sich Mr. Weasley um ein diplomatisches Ende dieser kurzen aber heftigen Aussprache. Doch Barbara Latierre schüttelte ihren Kopf und erwiderte: "Zum einen konnte mich Ihre Schwiegertochter nicht damit beleidigen, dass sie meinte, sich als Hauselfenanwältin darzustellen, da mir dieses Ansinnen ja schon bekannt war und ich eben mehr über diese Wesen weiß als sie offenbar noch zu lernen hat. Abgesehen davon ist sie volljährig. Sollte sie mich oder jemanden aus meiner Familie beleidigen ist es an ihr, dafür um Entschuldigung zu bitten oder eine Bußleistung zu erbringen, beispielsweise die Hinterlassenschaften unserer Prachtgeschöpfe aufzusammeln und an den dafür vorgesehenen Lagerplatz zu schaffen." Arthur Weasley verzog angeekelt das Gesicht und nickte dann heftig. Dann bat er darum, sich zu der kleinen Gruppe zu gesellen, die gerade die Handelsrechtsfeinabstimmungen besprach.

"Oha, die junge Mrs. Weasley wird uns beiden keine Weihnachtskarten mehr schicken", meinte Julius zu seiner Schwiegertante. "Daran werden wir nicht sterben", gab diese knochentrocken zur Antwort. "Und was machen wir jetzt, wo alle was zu besprechen haben?" fragte er seine Schwiegertante. "Das möchten Sie bitte die in Vertretung für Ihre direkte Vorgesetzte anwesende Mademoiselle Ventvit fragen", sagte Barbara Latierre und steuerte auf Amos Diggory und Hermine Weasley zu, die vor Julius' Stichpunkten standen und darüber diskutierten. Julius blickte die Ministerin an, die sich mit ihrem afrikanischstämmigen Amtskollegen unterhielt und befand, da jetzt besser nicht zwischenzufunken. So sah er zu Tim Abrahams und Pina Watermelon hinüber. Die winkten ihm zu. Das verschaffte ihm die Rechtfertigung, sie anzusprechen.

"Ich weiß, die anderen wollen keine Internetanschlüsse haben, zumal die Magiedichte bei uns im Ministerium ziemlich hoch ist. Aber was Sie vorhin eingeräumt haben und was auch Monsieur Chaudchamp begriffen haben sollte ist, dass uns die nichtmagische Menschheit zu immer schnelleren und weltweiten Handlungen zwingt. Manche meinen noch, sie könnten dieselben Lebensweisen wie im Mittelalter fortsetzen. Gut, privat dürfen die damit gerne glücklich werden. Nur sollen die sich dann bitte nicht bei mir beschweren, dass wir eines Tages bei Facebook, Youtube und reinen Internetfernsehsendern herumgereicht werden und wir uns einer Flut von Forderungen oder blankem Hass entgegensehen müssen. Die einen werden verlangen, dass wir ihre Probleme lösen. Die anderen werden uns genau deshalb hassen, weil wir denen jederzeit ihr achso gefälliges Leben verleiden können."

"Ja, und Hass ist das Kind der Angst", sagte Julius. "Schön gesagt", erwiderte Tim Abrahams. "Wenn es auch bedeutet, dass wir aufpassen müssen, uns nicht vom Hass der anderen zur Paranoia treiben zu lassen. Ms. Watermelon hier erwähnte, dass es im Zuge des elften Septembers immer noch viele Verschwörungserzählungen gibt, dass Busch Junior den Anschlag veranlasst habe, um die amerikanische Rüstungsindustrie anzukurbeln und den achso gläubigen Christen in den Staaten eine Rechtfertigung für ihren eigenen Fundamentalismus zu geben, abgesehen vom bequemen Feindbild, der Kriegszüge und Kommandounternehmen rechtfertigt."

"Ja, und das mit den angeblichen Reptiloiden, die die Menschheit unterwandert haben sollen", meinte Pina. "Ich dachte erst, da wäre echt was von den Schlangenmenschen in Australien im Netz gelandet. Aber die paranoide Behauptung kommt aus einer anderen Ecke der Welt. Jemand meint, das verbreiten zu müssen, weil er oder sie mit den amtierenden Machthabern unzufrieden ist. Ja, und sollte echt herauskommen, dass es die echte Zaubererwelt gibt kriegen solche Paranoiker vollen Zuspruch und die Menschheit gerät ins Chaos, weil jeder meint, der oder die andere sei aus der Zaubererwelt und jeder Mensch, der nicht nach den allgemeinen Regeln lebt wird zum machtversessenen Zauberer oder zur bösen Hexe erklärt. Was der letzte große Hexenwahn angerichtet hat ist ja bekannt."

"Zu gut", erwiderte Julius. Dann fragte Tim Abrahams ihn, ob seine Frau ihn gerne hatte verreisen lassen, wo sie mit den vielen Kindern alleine im Haus blieb. "Da würden sie die Falsche fragen. Wenn es nach meinen Töchtern geht müsste ich jeden Tag um vier nach Hause zurückkommen und mit jeder von denen spielen und herumtoben. Aber mittlerweile haben meine drei erstgeborenen genug eigene Freundinnen und Freunde, um auch mal ohne mich zu toben. Außerdem wohnt ja meine Schwiegertante bei uns, so dass meine Frau nicht allein mit den Kindern ist."

"Was schon ganz komisch ist, dass deine Tante den einen Jungen gekriegt hat, den deine Frau nicht austragen konnte", meinte Pina. Tim Abrahams räusperte sich und sagte: "Gut, wir haben das Privatthema angefangen, Pina. Aber bitte werden Sie nicht abfällig. Abgesehen davon sind Sie bei Julius' Familie doch immer noch eine gern gesehene Besucherin, oder?"

"Ja, das ist wahr", erwiderte Pina. Dann wisperte sie: "Habt ihr auch mitbekommen, wie es mit Gloria weitergegangen ist?" Julius nickte. "Sie ist in Australien geblieben, nachdem sie dort gegen das behandelt wurde, was ihr passiert ist", sagte er leise und ärgerte sich, dass er nicht mentiloquieren konnte. Tim Abrahams tat so, als bekäme er das nicht mit und blickte seine Kollegen an. "Na ja, Mr. Potts hat sich nur geärgert, dass Gloria mal soeben den Auswanderungsparagraphen der Wohnsitz- und Berufsfreiheitsbestimmungen angewendet hat und jetzt bei denen in der Zaubertierbehörde arbeitet, angeblich, weil sie dort stärker gefordert wird als in der der Unternehmensregistratur und Abgabenverwaltung."

"Da wird sie uns ja demnächst wieder was spannendes zu erzählen haben", sagte Julius und meinte damit, dass Gloria dann sicher wieder zu seinem Geburtstag hinkam. "Wie geht es eigentlich dem Baby, dass Laurentines Mitbewohnerin bekommen hat?" fragte Pina. "Der kleinen geht's sehr gut. Sie krabbelt schon durch die Wohnung und nuckelt alles an, was nicht vor ihr wegläuft oder hoch genug liegt. Wieso fragst du?"

"Na ja, weil das schon irgendwie komisch ist, dass eine alleinstehende Hexe wie Laurentine sich eine in die Wohnung geholt hat, die gerade wen kleines im Bauch hatte, so als wenn sie mit der zusammen sei und die Kleine deshalb gut untergebracht werden müsste." Das wollte Julius weder bejahen noch verneinen. Statt dessen fragte er sie, ob sie oder er die heutigen Beschlüsse an die mit dem Arkanet arbeitenden weiterschicken sollte. "Gut, du fliegst ja um die halbe Welt und kommst da wohl nicht so locker an einen Arkanetrechner dran. Dann schicke ich herum, was Mr. Abrahams dafür freigibt. Kann sein, dass ihr dann auf Malta oder bei den Yankees schon gut klarkommt, weil ihr da nicht so lang und breit berichten müsst."

"Das wird sowieso sehr anstrengend, jetzt wo das französische Zaubereiministerium zum Vermittler zwischen Großbritannien, Italien und Ägypten erwählt wurde", sagte Julius. Pina nickte bestätigend. Dann holte sie Fotos von ihrer Schwester Olivia und ihrem Neffen James Tiberius hervor. Der kleine Fielding besaß flachsblondes, in den Nacken reichendes Haar und große, hellblaue Augen. Dann sah er das rothaarige Mädchen in einer Ecke des Bildes, das ihm zuwinkte. "Ach, das ist die kleine Ziehtochter von Ceridwen Barley, Arianrhod", sagte Julius. "Die ist aber auch schon groß geworden."

"Oja, und ziemlich weit entwickelt. Olivia hat sie mal dabei ertappt, dass sie den Text im Tagespropheten richtig gelesen hat, nicht nur geguckt hat, ob sie schon einzelne Buchstaben erkennt. Die hat dann aber gesagt, dass sie noch nicht lesen kann, sondern nur die ganzen Os und Us gezählt hat."

"Klar, was bei einem Zeitungsartikel auch mit zehn Fingern und zehn Zehen völlig ausreicht", meinte Julius. Doch weil weder er noch Pina mit Arianrhod Barley viel zu tun hatten wollte er sich lieber nicht weiter dazu auslassen. Denn er musste Pina nicht auf die Nase binden, wie viele Kinder er kannte, die bereits vor der Geburt das ganze Leben eines erwachsenen Menschen im Kopf hatten und sich supertoll anstrengen mussten, wie harmlose, unschuldige Babys rüberzukommen. Nicht dass Arianrhod Barley auch eine Daisiria war. Genau deshalb, weil er ja offiziell nichts mit ihr zu tun hatte, verdrängte er diesen Gedanken ganz schnell wieder.

Später wurden Pina und Julius noch von Tim Abrahams hinzugebeten, um Handelsabteilungsleiter Jack Potts zu beschreiben, wozu das Internet im nichtmagischen Handelsverkehr taugte und dass es auch schon zu einem größeren Börsenkrach geführt hatte, als Firmen, die nur im Internet unterwegs waren, sich größer aufgeblasen hatten als sie waren und ihnen dann doch jemand die heiße Luft rausgelassen hatte. "Rosaroter Wind, Monsieur Latierre. So nennen wir Goldwühler und Zahlendompteure das, wenn ein Unternehmen so tut, als mache es mehr Umsätze, schreibe aber auch ständig Verluste, um von unseren Arbeitsvielfaltskrediten abzubekommen. Ja, und vor hundert Jahren haben zwei dreiste Gauner zusammen mit der halben Gringottsbelegschaft von Kapstadt eine Mine zum Kauf angeboten, in der es angeblich quaffelgroße Diamanten gab. Angeblich seien die von südafrikanischen Felsenwühlern erzeugt worden, sozuusagen als mineralische Ausscheidungen. Es stellte sich dann heraus, dass die Diamanten von diesen beiden Hochstaplern künstlich hergestellt worden waren, indem sie eine mittelenglische Kohlemine zum Einsturz gebracht und dann durch dort eingewirkte Teleportale hausgroße Kohlebrocken transportiert haben, die unter großem Druck und abgerufenem Drachenfeuer zu jenen Diamanten umgepresst worden sind. Die angebliche Riesendiamantmine war nur eine große Täuschung, um auf Naturdiamanten ausgehende Käufer zu ködern."

"Stimmt, Kobolde stehen auf Naturdiamanten, weil sie in diesen die von keinem lebenden Wesen besudelte Grundkraft von Feuer und Erde schätzen", erwiderte Julius. "Aber genau deshalb haben Kobolde Prüfgeräte, mit denen sie Naturedelsteine von Synthesen unterscheiden können. Wie haben die Hochstapler das mit ihren Koboldverbündeten angestellt?"

"In Ihrer Frage steckt die Antwort. Weil diese beiden sich mit der halben Belegschaft von Gringotts Kapstadt verbündet haben um eine Menge südafrikanisches Gold und Indische Zauberkräuter einzuhandeln haben die ihren britischen Kollegen vorgegaukelt, dass die Diamanten Natursteine sind und die in London damals noch glaubten, dass die Naturgesetze südlich des Äquators noch ganz anders seien als auf der Nordhalbkugel. Damals waren in südamerikanischen Ländern und auch Australien die ersten Uraniumerzlager gefunden worden, die dortige Kobolde aus uns damals noch unbekannten Gründen in die Schwarzfelskobolde verwandelt haben. So konnten die Betrüger ihren Artgenossen nur vorgaukeln, dass die auf mögliche Fälschungen hindeutenden Eigenschaften auf Grund der südländischen Besonderheiten vorhanden waren."

"Ja, aber für Zauberer und Hexen sind Diamantkristalle so oder so verwendbar, wenn sie rrein genug sind", wusste Julius. "Ja, aber eben nicht für Kobolde. Die brauchen die urwüchsigen Natureigenschaften, die Essenz der Eigenschaften ihrer Urmutter Erde. Ja, und die Behauptung, südafrikanische Abwandlungen der Felsenwühler hätten diese Steine ausgeschieden zog so lange, bis der Ihnen womöglich mal zu Ohren gekommene Überwachungstrupp der Kobolde das mit der gekaperten Kohlemine herausgefunden hatte. Die beiden Menschen konnten wir wegen groß angelegten Betrugs inhaftieren. Die südafrikanischen Kobolde fanden ein sicher sehr unrühmliches und schmerzvolles Ende. Jedenfalls musste danach die halbe Belegschaft in Kapstadt ausgetauscht werden, und der Bund der zehntausend Augen und Ohren hat die wichtigsten Posten besetzt, um sowas nicht nochmal vorkommen zu lassen", sagte Potts.

"Oh, dann könnten da unten in Südafrika noch welche von denen in hohen Stellungen sitzen?" fragte Julius nicht ohne gewissen Unmut. "Die von damals jedenfalls nicht, weil die da schon mehr als zweihundert Jahre alt waren und die Erdmagiekommotion vom 26. Dezember 2004 alle südlich des Äquators lebenden Kobolde über zweihundert Jahren dahingerafft hat. Zumindest bekam ich dies über Kontakte zu dortigen Händlern für magische Pflanzen- und Tierprodukte mitgeteilt."

Julius wollte nicht weiter von der Erdmagiewelle reden, weil er durch diese beinahe selbst zu Schaden gekommen wäre und nur ein Jahrtausendzufall seinen Geist vor dem Wahnsinn bewahrt hatte. So erwähnte er noch, dass mit nur im Internet gehandelten Dingen noch mehr Betrug angestellt werden konnte als mit greifbaren Gegenständen. Auch fragte er Mr. Potts, ob er das Schneeballsystem kannte. Potts überlegte. "Ach ist es das, bei dem höchst skrupellose Leute mit Versprechungen auf hohe Gewinne Leute dazu verleiten, ihr Erspartes auszugeben und dieses sozusagen durch die aufgebauten Stufen immer weiter zentriert wird, aber die unteren Stufen nur dann was davon mitbekommen, wenn sie ständig weitere Anleger ködern können?" Julius bejahte es. "Das heißt bei uns im magischen Finanzwesen Goldenes Wolkenschloss oder Pyramide der Narren. Ja, das haben vor fünfzig Jahren noch welche versucht, die das sich von der nichtmagischen Welt abgeschaut haben, weil deren elektrische Nachrichtenverbreiter da schnelle Erfolgsmeldungen generieren konnten und dies wohl heute noch viel besser können. Aber seitdem dadurch auch Gringotts an die eintausend Feinunzen Gold eingebüßt hat droht den Kobolden, die bei sowas mitmachen das Bad in flüssigem Gold und die Ausstellung im Saal der Schande irgendwo in Gringotts London."

"Na ja, so Pyramidenspiele gibt es im Internet eben auch. Hier wird sogar bewusst an die Intelligenz der geköderten Anleger appelliert, dass sie doch eine Riesenmöglichkeit haben, ohne große Arbeit an immer mehr Geld zu kommen, wenn sie immer mehr Anleger ködern können", sagte Julius. Jack Potts und Pina hörten zu. Dann meinte Tim Abrahams: "Das ist einer meiner Tanten väterlicherseits passiert. Herzkreis nannte sich dieses falsche Spiel, ja und wie Sie sagten, Julius wurde hier gezielt an die Klugheit der Mitspielenden appelliert und die Teilnehmerinnen, es waren damals alles alleinstehende, berufstätige Frauen, so beschwatzt, dass sie bis zum unvermeidlichen Zusammenbruch nicht argwöhnen, betrogen zu werden. Aber wo wir schon dabei sind, Julius, Mr. Potts: Als die eiserne Grenze zwischen dem kommunistischen Ostblock und dem freien Westblock zusammenbrach wurden viele angeblich gewinnträchtige Anlageformen im Osten angeboten, weil da natürlich vieles neues entstehen sollte und die Anleger damit geködert wurden, dass sie sich an den Gewinnen dieser neuen Firmen oder Mietgrundstücke beteiligen konnten. Da passt das dann mit dem goldenen Wolkenschloss noch besser, weil außer heißer Luft und blauem Dunst nicht viel mehr zu holen war."

"Wo Sie Ihre Frau Tante erwähnt haben, hat sie viel Geld verloren?" fragte Julius.

"Na ja, die Verwandtschaft mit einem Navy-Offizier half ihr, dass er wiederum internationale Aufklärungsabteilungen bemühen konnte - natürlich nicht hochoffiziell, um die Betrügerbande zu finden. Allerdings konnte meine Frau Tante nur noch ein Zehntel der eingesetzten Anlage zurückbekommen. Vor allem der Familiengoldschmuck meiner Großeltern ist unwiederbringlich verlorengegangen. Womöglich haben die Betrüger alles eingeschmolzen oder kannten superfindige Hehler, die das Zeug umgebaut und mit noch höherem Wert verkauft haben."

"Aber gut, dass Sie uns nicht nur die rosaroten Wolkenschlösser des Internetgewerbes präsentieren, Julius", sagte Jack Potts. "Es ist aber für mich und meine Abteilung sehr gut zu wissen, dass jenes weltweite Internetgeflecht nicht nur Tatsachen und Behauptungen mit Blitzesschnelle verbreiten hilft, sondern möglicherweise auch über Gedeih und Verderb einzelner magischer Mitbürger entscheiden kann und dass genau unsere magischen Mitbürger die nichtmagischen Mitmenschen gehörig wie an einer dutzende Meter langen Leine laufen lassen können, wenn sie denen irgendwelche außergewöhnliche Sachen anbieten. Insofern muss ich Ihrem Landsmann Chaudchamp doch widersprechen, dass dieses elektrisch betriebene Geflecht angeblich nichts mit unserer Welt zu tun hat.""

"Ich möchte Ihnen da nicht widersprechen", erwiderte Julius.

"Nun, wir schätzen uns glücklich, mit den britischen und irischen Kobolden noch in der bisherigen gedeihlichen Handels- und Wertverwahrungsbeziehung leben zu können. Doch erscheint es mir durchaus empfehlenswert, bei einem neuerlichen Ausfall von Gringotts, wie er ja fast am zehnten März gedroht hat, alternative Tauscheinheiten für Waren und Arbeitsleistungen bereithalten zu können und welche Risiken dabei entstehen können. Ich habe mich bereits mit Monsieur Fourier darüber verständigt, die Koexistenz- und Handelsbestimmungen des in Ihrem Land geltenden Vertrages zu übernehmen und dem Generalvorstand von Gringotts zur Prüfung vorzulegen. Nachdem wir ja die bisherigen Leiter festnehmen mussten, da sie offenbar von Angehörigen des doch noch nicht ausgelöschten Geheimbundes zur Mitarbeit gegen uns gezwungen werden sollten gilt es nun um so mehr, ein für beide Seiten unumstößliches Abkommen auszuarbeiten. Näheres dazu erfahren dann eben die dafür zuständigen Fachleute."

"Sie haben aber hier in London keine aufbegehrenden Zwerge?" fragte Julius.

"Sie meinen wie in Deutschland? Es wird nicht einfach sein, das bei uns bestehende Königreich ruhigzuhalten. Die kleinste Unruhe in Deutschland könnte auch den König unter den schottischen Bergen aufbegehren lassen", sagte Tim Abrahams. "Ja, da müssen wir gut aufpassen, habe ich auch schon ihrer verschwägerten Verwandten Madame Latierre mitgeteilt. Ich werde mich wohl nach dem Mittagessen mit ihr näher darüber beraten und den Kollegen Diggory dazuholen, sofern er es bis dahin schafft, seine sehr wildentschlossene und voranpreschende Mitarbeiterin davon zu überzeugen, dass das Miteinander von Menschen und Zauberwesen nicht an einem einzigen Tag umgestoßen und in neuer Form wiederhergestellt werden kann." Dem konnte Julius nur beipflichten. Jener Friedensvertrag zwischen den französischen Veelastämmigen und dem Zaubereiministerium war schließlich auch in wochenlanger Beratung und Feinabstimmung erzielt worden und das auch nur, weil beide Seiten sich bewusst waren, dass ein Scheitern fatale Auswirkungen gebracht hätte.

Die Beratungen gingen bis zwölf Uhr britischer Zeit. Dann gab es ein dreigängiges Mittagessen. Anschließend verfolgte Julius die Unterredung zwischen seiner Schwiegertante, ihrem Kollegen Diggory, Mr. Potts und dessen französischem Kollegen von der Handelsabteilung. Es erwies sich nämlich, dass die Vertragsvereinbarungen und Regularien zwischen den britischen Kobolden und dem Zaubereiministerium in London anders beschaffen waren, wohl auch weil der Zaubererrat von 1613 sicherstellen wollte, dass es keinen weiteren Koboldaufstand mehr geben konnte und dass die Kobolde mehr zu verlieren hatten, wenn sie dergleichen noch einmal zuließen. Die Goldebbe hatte daran nur geändert, dass die Kobolde nun wussten, dass ihr Goldverwahrungs- und Goldwertmonopol jederzeit fallen konnte. Entsprechend schwer würde es sein, den Italienern eine Aufbewahrungsgebühr anzubieten, damit sie die beschlagnahmten Gegenstände aus Ägypten und anderswo an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgaben. Die gingen offenbar davon aus, dass die gerade an der Macht befindlichen Leute von der Liga gegen dunkle Künste nur auf Gold ausgingen, um hochpotente Zaubergegenstände mit gefährlichen Eigenschaften an wen auch immer zurückzugeben. Ja, im Grunde wussten sie alle hier doch nicht einmal, welche Gegenstände genau Ladonna im Laufe ihrer dunklen Herrschaft zusammengetragen hatte, dachte Julius.

Zumindest konnte Julius als persönlichen Erfolg verbuchen, dass Amos Diggory Bill und Fleur Weasley einen Entwurf des französischen Friedensvertrages anbieten konnte, den sie dann mit Léto besprechen konnten. Sollte das ihre Zustimmung finden konnten die Briten diesen Friedensvertrag entsprechend übernehmen. Hermines Traum von einem Hauselfengleichstellungsgesetz würde heute noch nicht wahr werden. Denn es stimmte schon, dass Hauselfen, die gemäß der Regularien von vor über tausend Jahren mit Zaubereifamilien zusammenlebten, zwar einen Gruppensprecher in einer öffentlichen Anstellung wie Hogwarts oder bei größeren Familien mit mehr als zwei Hauselfen bestimmen konnten, meistens den Elfen, der am dienstältesten war. Doch einen landesweiten Gesamtsprecher oder einen aus mehreren Ältesten bestehenden Rat gab es nicht, und die Elfen wollten sowas auch nicht, aus dem für Hermine ziemlich piesackenden Grund, weil sowas sie von ihrer "richtigen Arbeit" abhielt. Julius konnte im Beisein von Barbara Latierre und Amos Diggory die Empfehlung weitergeben, dass sämtliche Zaubererfamilien, die einen oder mehrere Hauselfen hielten, die für bezahlte Dienstboten geltenden Höflichkeitsregeln einhielten und davon abstand hielten, ihre Elfen wie niederes Nutzvieh zu behandeln. Natürlich war Julius nicht so naiv zu glauben, dass das bei Anhängern der dunklen Kräfte Eindruck machte und Familien wie die Malfoys einen Dreck darum gaben, ob sie den Hauselfen, den sie aus welchem Grund auch immer zugeteilt bekamen, wie einen treuen, fleißigen und deshalb zu achtenden Dienstboten behandelten. Diggory präsentierte denen, die ihm zuhörten eine schriftliche Verlautbarung von Professor McGonagall, die in Erinnerung an Albus Dumbledore jedem freien Elfen ein Gehalt anbot. Doch bisher hatte sich kein aus der bisherigen Familie entlassener Elf dazu bereitgefunden, für einen monatlichen Lohn zu arbeiten. Winky, die nach der Schlacht von Hogwarts und der "Heimkehr" von Creacher zur Sprecherin der Hogwarts-Elfen aufgestigen war, hatte klargestellt, dass nur Kobolde am glitzernden Gold hingen und deshalb immer vom ehrlichen Arbeiten abgehalten würden, sobald sie daran dachten, immer mehr davon kriegen zu können. Hermine Weasley nahm dies wohl eher um des augenblicklichen Friedens willen zur Kenntnis, sah jedoch so aus, als wolle sie demnächst noch in dieser Angelegenheit tätig werden.

Beim Abendessen saßen Julius, Barbara Latierre, Tim Abrahams und Pina Watermelon am selben Tisch und sprachen über die eigenen Familien. Julius ließ die Katze aus dem Sack, dass Millie wieder in guter Hoffnung war. Dass auch seine Schwiegertante Béatrice ein Kind von ihm erwartete verschwieg er natürlich.

Tim Abrahams seufzte, dass sein Vater beinahe aus der Marine geflogen wäre, und zwar weil er immer wieder meinte, trotz seines Ranges als Trägerkapitän selbst noch in eines der Kampfflugzeuge zu steigen und an Patrouillenflügen teilzunehmen. "Sie haben ihm noch einen lauten Schuss vor den Bug gesetzt, dass bei einem neuerlichen Vorfall, wo er fast mit zwei MiGs zusammenrasselt nicht wie sein offenkundiges Vorbild James T. Kirk vom Raumschiff Enterprise um eine Rangstufe degradiert wird, sondern sich vor dem Kriegsgericht wegen fortgesetzter Gehorsamsverweigerung in Tateinheit mit unerlaubtem Verlassen seines Postens belangt werden würde oder besser seinen vorzeitigen Abschied nehmen sollte, wenn ihm die OPZ eines Flugzeugträgers zu langweilig sei. Na ja, er hat sich entschieden, lieber auf eigene Flugkunststücke zu verzichten und dafür lieber bis zur ehrenvollen Pensionierung weiterzuarbeiten, auch weil meine Mutter das britische Wetter nicht mehr so gut verträgt und auf ein Haus auf einer ehemaligen oder noch bestehenden Überseebesitzung der Krone ausgeht. Hätte noch gefehlt, dass sie auf die Falklandinseln ziehen wollte, wo mein Vater damals zu den Truppen gehörte, die sich mit dem argentinischen Gangster Galtieri angelegt haben. Aber Neuseeland könnte ihr gefallen, hat sie gesagt. Deshalb will mein Vater zumindest noch bis zum Ende der Afghanistanmission dienen, wann auch immer das ist."

"Waren Sie da noch in Hogwarts?" fragte Julius Tim Abrahams. "Ja, war ich", sagte Tim Abrahams mit gewissem Unmut. Julius argwöhnte, dass er hier besser nicht weiterbohren sollte. Denn er wusste, was Tim während seiner Hogwarts-Zeit passiert war.

"Pina grüßte ihn von ihrer Schwester Olivia und deren Ehemann Tom Fielding. Deren James Tiberius entwickelte sich zu einem kleinen Wonneproppen, so zeigten es die Fotos, die Pina ganz die stolze Tante herumzeigte. Julius erkannte im Hintergrund eines der Fotos ein rothaariges Mädchen auf einem rosaroten Spielzeugbesen und erinnerte sich an die Willkommensfeier im Haus Preiselbeerwürfel. Die Kleine hatte so einen altkeltischen Namen, weil sie aus der Familie von Ceridwen Barley stammte. Ja, Arianrhod hieß sie wohl.

"Sind die Barleys häufiger bei deiner Schwester?" fragte Julius seine ehemalige Schulkameradin. "Alle zwei Wochen rauscht Ceridwen Barley nach Hogsmeade herein und trifft sich da mit ehemaligen Schulfreundinnen und -freunden. Dann lässt sie ihre Ziehtochter bei den Fieldings. Die Kleine ist sehr aufgeweckt. Ich habe die mal dabei erwischt, wie sie den Tagespropheten so gehalten hat, als wolle sie ihn lesen. Das war eine Seite, auf der kein Foto abgedruckt war. Als die das merkte hat sie schnell umgeblättert, bis sie ein Foto mit der neuen Mannschaft der Holyhead Harpies gefunden hat. Ja, und sprechen kann die schon so gut wie ich mit acht oder neun."

"Oh, das stimmt, dass Ari sehr auf Zack ist", bestätigte Tim Abrahams. "Ja, und die kann schon alle Großbuchstaben des Druckalphabetes, wohl aus der Sesamstraße wie ja alle, die zwischen 1970 und heute ihre Kindheit vor dem Fernseher erlebt haben", sagte Tim. "Insofern kann ich mir das super vorstellen, dass sie die Buchstaben in der Zeitung angeguckt hat, selbst wenn die Druckschrift im Tagespropheten eigene Typen hat als die der Times oder die von Ernie und Bert erklärten Buchstaben."

"Ach ja, die kann ja Fernsehen", meinte Pina. "Hatte ich ja nicht, obwohl meine Mutter ja auch muggelstämmig ist." Julius sah ihr an, dass sie wohl gerade an ihre eigene Kinderzeit zurückdachte und sie deshalb ein wenig traurig war. Ja, er wusste auch warum. Weil sie merkte, dass er sie beobachtete lächelte sie wieder und meinte: "Ich bewahre mir die schönen Tage gut auf, auch wenn ich kein eigenes Denkarium habe."

Nach dem Abendessen versammelten Shacklebolt und Ventvit alle Konferenzteilnehmer noch einmal um sich. "Laut den Zwischenberichten von ihnen schlagen Ministerin Ventvit und ich vor, ddass wir morgen früh noch einmal die auf bestimmte Bereiche bezogenen Kleingruppen zusammentreten lassen und dann nach dem Mittagessen die von einigen hier angedachte Interdisziplinärvereinbarungen schriftlich festlegen lassen, bevor Sie von der französischen Hochrangabordnung zu Ihrem nächsten Termin nach Feensand weiterreisen. Falls Sie heute noch Eulen an Ihre in der Heimat verbliebenen Mitarbeiter schicken wollen steht Ihnen das Posthaus am Mondhügel zur Verfügung. Die Versandtkosten übernimmt das britische Zaubereiministerium", sagte Shacklebolt und erhielt ein Nicken seines Handels- und Finanzabteilungsleiters Potts.

"Wie weit reicht die Meloabsperrung?" fragte Julius Tim Abrahams. "Die betrifft nur das Haus. Ihre Staatskarosse steht außerhalb der Sperrzone, wenn Sie Ihre Gattin heute noch zur Nacht grüßen wollen."

"Sie schätzen mich richtig ein", erwiderte Julius. Sicher hatte Tim Abrahams dies auch vor, nur dass die britische Delegation ja in den Gästezimmern des Goldenen Falkens übernachtete. Wenn Tim mentiloquieren wollte musste er also aus dem Sperrbereich heraus.

Als Julius in seiner Suite in der Ministeriumskutsche saß war es zehn Uhr abends. Vielleicht war Millie schon im Bett. Wenn sie schwanger war ermüdete sie schneller als ohne Kind im Bauch. Das wusste er aus den mehr als ausreichenden Erfahrungen. Dennoch schickte er ihr ein Zaghaftes: "Millie, schläfst du schon?" zu. Keine fünf Sekunden später bekam er ihre Antwort: "Ich sitze mit Trice in der Küche über dem Haushaltsplan für diese Woche. Trice will morgen nach Gringotts und von ihrem Konto was abholen, was sie in unser gemeinsames Verlies legen will. Wie war es heute?"

"Zu viel für Melo. Nur so viel: Hermine will immer noch die Hauselfen befreien, die britischen Kobolde sind noch auf Alarmstufe Gelb wegen der Sache mit den Gringottsleitern und Pinas Neffe sieht aus, als sei der selbst gerade schwanger. Mehr ausführlich nach Rückkehr."

"Fliegt ihr morgen nach Feensand?" wollte sie wissen. "Morgen nachmittag oder abend, weil die Einzelfachgruppen noch an den gemeinsamen Sachen feilen müssen."

"Dann siehst du Pina ja morgen noch mal. Öhm, hat sie auch das mit Gloria mitbekommen, dass die Aussis sie von den Engländern abgeworben haben?" Julius bestätigte das und dass der britische Handelsabteilungsleiter nicht sonderlich erfreut darüber war, eine intelligente Aktensortierhilfe an die Leute auf dem fünften Kontinent verloren zu haben. Dann wünschte er ihr noch eine gute Nacht. "Melo Trice an, die möchte auch sicher wissen, wie es dir geht. Noch sind wir zwei nicht so weit, dass du uns zwei auf einmal anmeloen kannst", erwiderte Millie über die vielen hundert Kilometer zwischen Millemerveilles und Südwales.

Julius gedankensprach mit Béatrice, dass es Gloria offenbar wieder ganz gut ginge und sie jetzt dauerhaft in Australien wohnte und arbeitete. "Habe ich mir schon gedacht, als Auroras Bild-Ich zu mir allein sagte, dass ihre englische Patientin sich in jeder Hinsicht erholt habe und einen neuen Sinn in ihrem Alltag gefunden habe. Ihr wollt jetzt schlafen?" Julius bestätigte es, auch wenn es in Wales erst zehn Uhr war und in Frankreich schon elf Uhr abends.

Julius ließ noch einmal angenehm kühle Nachtluft in seine Kabine. Er lauschte auf alle Geräusche. Er versenkte sich derartig in das angenehme Schweigen, dass das hektische Pingeln ihn wie ein heftiger Stromschlag durchzuckte. "Achtung, bitte alle Fenster und Dachluken schließen! Die Sonnenkarosse wechselt in den Nachtschutzmodus über. Bitte alle Fenster und Dachluken schließen! Die Sonnenkarosse wechselt in den Nachtschutzmodus über", sprach die magisch in den Raum versetzte Stimme des Flugbesatzungsmitgliedes Albert Messier. Julius verzog erst das Gesicht. Doch dann begriff er, dass in dieser Karosse ja die halbe Chefetage des französischen Zaubereiministeriums versammelt war. Die Airforce One des US-Präsidenten galt ja auch als beweglicher Hochsicherheitsbereich. Also schloss er das Fenster. Das leise Warnpingeln erstarb. Dann sah er, wie zwei massive Fensterläden zuklappten und hörte mehrere Verriegelungen einrasten. Sogleich erstrahlte die an der Decke hängende Leuchtkristallsphäre im warmen, weißgelben Licht.

"Anfrage an Sicherheitsüberwachung: Wann endet der Nachtschutzmodus?" rief Julius in den Raum hinein, als gäbe es hier mindestens ein offenes Mikrofon. Zwei Sekunden nach seiner Frage antwortete Albert Messier: "Der Nachtschutzmodus dauert bis morgen früh sechs Uhr dreißig Ortszeit oder bis ein Notfall dies erfordert oder die Ministerin als ranghöchstes Mitglied der Delegation es ausdrücklich befiehlt. Gute Nacht, Monsieur Latierre!"

"Ihnen auch, Monsieur Messier", erwiderte Julius.

Julius zog die verkleinerte Reisebibliothek aus seinem Practicus-Brustbeutel und fingerte die gerade briefmarkengroße Ausgabe über australische Zaubertiere und magische Wesen heraus. Als er die zwei Winztüren der verkleinerten Bibliothek schloss wuchs das Buch zu einem beachtlichen Folianten an. Wenn Gloria jetzt mit australischen Tier- und Zauberwesen zu tun hatte wollte er sich noch mal auf einen guten Wissensstand bringen.

Er las sich das Kapitel über die grasgrünen Wächter durch, von australischen Zauberern gezüchtete Riesenkänguruhs mit eben grasgrünem Fell, die ähnlich wie Kniesel richtige Wege oder verborgene Fallen, vertrauenswürdige oder gefährliche Charaktere erspüren konnten und sich ähnlich wie Kniesel einem magischen Menschen anvertrauten, den sie begleiten und beschützen konnten, wenn er nur weit genug von nichtmagischen Ansiedlungen entfernt war.

Gegen halb zwölf nutzte er das große Badezimmer, um sich noch einmal gründlich zu duschen und sich die Zähne zu putzen. Er dachte an die Badezimmer im Apfelhaus. Die waren nicht so groß und luxuriös ausgestaltet.

Als er nach allen Verrichtungen im Bett lag genoss er die nicht all zu weiche, aber auch nicht zu harte Matratze, die sich seinen eigenen Körperformen anpasste. Er wollte schon den Befehl für das Lichtausschalten rufen, als die Kristallsphäre von selbst immer dunkler wurde und dann ganz erlosch. Womöglich würde sie wieder aufleuchten, wenn er aufstand, dachte Julius. Dann gab er sich diesem scheinbar supermodernen, aber in Wahrheit uralten Luxus der magischen Staatskarosse hin und schlief ein.

__________

Es war am Abend des Tages, den die Menschen als 17. März 2007 bezeichneten, als ein Bote Meister Gischtbartes Meister Wolkenbart um Gehör bat.

Wolkenbart prüfte gerade, ob die Fernblickvernebeler genug Kraft aus Erde und Sonne gesammelt hatten, um einen weiteren Erddrehungskreis lang vor magischer Fernbeobachtung zu schützen. Er hoffte auch, dass nicht doch ein Mitspäher oder Mithörer aus dem größtenteils zerschlagenen Bund Axdeshtan Ashgacki az Oarshui in einem seiner Fernblickvernebeler verbaut war. er musste sich einfach darauf verlassen, dass die von seinen eigenen Landsleuten geformten Vernebeler vollständig wirkten.

Gischtbarts Bote trug die für solche Aufträge vorgeschriebene und den Träger schützende Kleidung aus grünsteingrünem Stoff. Er schwenkte zudem eine Fahne aus gleichgefärbtem Stoff.

"Was möchte mir dein Meister ausrichten, Bote Soulac?" fragte Meister Wolkenbart den Nachrichtenüberbringer. Dieser verbeugte sich ein weiteres mal vor dem ältesten Kobold Britanniens und sprach:

"Dies, o Meister Wolkenbart, sind die Worte, die mein Meister Gischtbart durch mich spricht: Bruder Wolkenbart, ich vernahm auf löcherigen Wegen, dass die französische Zaubereiministerin mit einem hochrangigen Gefolge abgereist ist, um mit ihren Amtsgeschwistern zu beraten, was nach dem Vergehen der dunklen Dreiblüterin zu schaffen ist. Womöglich geht es da auch um Gringotts und unsere Brüder und Schwestern. Da du immer noch nach dem großen Schlag gegen den Bund, der alles sieht und hört die besten Kundschafter hast bitte ich dich durch diesen Boten, mir früh genug mitzuteilen, wann und wie dieses Reisegespann in deinem Land erschien und ob dir möglich ist, mehr über dessen Auftrag und Erfolge zu erfahren. Behalte den Boten Soulac bis dahin in deinem Gefolge und sende ihn mir erst wieder, wenn du meine Bitte erfüllen kannst oder sende ihn zurück, wenn du erfährst, dass die französische Reisegruppe bereits wieder fort ist! Ich verweile in Geduld und brüderlicher Dankbarkeit für deine erfolgende Hilfe. So spricht mein Meister Gischtbart", sagte Soulac und verneigte sich erneut.

"Hast du Reisegepäck bei dir?" fragte Wolkenbart. Soulac deutete auf seinen Rücken, auf dem sich eine breite, flache Erhebung zeigte, ein Koboldrucksack, der zwanzigmal mehr in sich aufnehmen konnte, als seine äußere Abmessung verriet. "Gut, dann befolge den Auftrag deines Herren und geselle dich bis zum Empfang meiner Antwort in unser Haus der reisenden Boten in der Nähe des höchsten Berges Irlands! Weißt du, wo das ist?"

"Ich trage die Erdweisekraftlinienkarte für Euer erhabenes Inselreich bei mir und habe mir die wichtigsten Stellen mit den Worten der steinernen Einprägung gemerkt. Ich weiß, wo das Haus der reisenden Boten ist und bedanke mich für Eure Gastfreundschaft."

"Gut, dann darfst du gehen, Bote Soulac", erwiderte Wolkenbart. Der Bote verbeugte sich noch einmal richtig tief, winkte mit der grünen Botenfahne und verließ die Heimstatt des obersten britischen Koboldes.

"Soso, löcherige Wege. Da musst du aber noch einiges an deinem Kundschafterdienst tun, Bruder Gischtbart", dachte Wolkenbart, bevor er in seine gesicherten Wohnräume zurückkehrte.

__________

Die wärmende, Licht und Leben spendende Sonne war nun völlig versunken. Nur ein immer mehr schwindendes Dämmerlicht grüßte vom Westen her. Die unbekleidete Frau mit den flammenroten Haaren verbeugte sich tief zur Erde, der Mutter alles Lebendigen, in deren ewig fruchtbaren Leib die Licht, Wärme und Leben gebende Sonne zurückgekehrt war, um dort die nächsten Stunden neue Kraft für den kommenden Tag zu schöpfen. Die Frau, deren Mutter und Vormutter aus dem Stamm der sonnengeborenen Kinder Mokushas stammte, zog sich hinter die bruchsichere Glastür des westlichen Balkons ihres Hauses zurück. Leise raschelnd schob sich der apfelsinenfarbene Vorhang vor die Tür. Die Besitzerin des hochherrschaftlichen Hauses atmete ruhig ein und aus. Der Abendgruß an die versinkende Sonne gehörte wie der allmorgentliche Willkommensgruß zu den unumstößlichen Handlungen, die sie jeden Tag verrichtete. Nun konnte sie sich wieder bekleiden und nach ihren hier bei ihr Schutz erhaltenden Kindern, Enkeln, Nichten und Neffen sehen, die seit nun schon einem Jahr vor dieser von Sabberhexenblut vergifteten Mondgeborenen verborgen bleiben mussten.

Sie hatte es gefeiert, als sie erfuhr, dass Nachtlieds Enkeltochter ihren letzten Atemzug getan hatte. Jemand, zwei augenscheinliche Schwestern, hatten sie mit einer geheimnisvollen Zauberwaffe besiegt und in drei reinblütige Neugeborene aufgespalten, die nun jedes für sich neu zu leben lernen mussten, während Ladonnas mächtige Seele im Meer der magischen Gewalten verflossen war. Zumindest hatte sie das so von den Ältesten der anderen Stämme erfahren.

Sie hatte jedoch warten müssen, bis Pataleón und seine Mitstreiter aus dem magischen Tiefschlaf erwacht waren, in den Ladonnas Ende sie alle gestürzt hatte. Sie wusste, dass die Träger des gläsernen Lichtes nicht entmachtet wurden, nur weil deren Erzeugerin nicht mehr da war. Denn die hatten sich jeden Tag am Sonnenlicht satttrinken können, so wie sie die Sonne als ihre Kraftquelle sah. Also war ihr nur geblieben, die reinblütig menschlichen Ministeriumsmitglieder darauf hinzuweisen, dass die Träger des gläsernen Lichtes entfernt werden mussten. Doch offenbar gefiel das denen, die gerade dort zu bestimmen hatten, dass weder sie noch ihre Blutsverwandten das Ministerium betreten konnten, ohne wie Blutsauger bei Mittagssonnenlicht zu Asche zu verbrennen. Das missfiel ihr, und gerne würde sie jemanden dafür büßen lassen. Doch sie musste darauf setzen, dass die menschlichen Verwandten ihrer Kinder, Enkel, Nichten und Neffen genug Druck machten, um dieses Übel auszuräumen. Warten war die einzige Wahl die sie hatte.

Ihre Geduld schien sich auszuzahlen. Denn vor sieben Stunden hatte sie von ihrer im Haus untergebrachten Enkeltochter Rosalba erfahren, dass eine völlige Evakuierung des spanischen Zaubereiministeriums geplant war. Rosalbas zwei verbliebene Quellen im Ministerium hatten das vermeldet. Offenbar wollten die in Madrid es den Kollegen in Rom nachtun, die planten, die dortigen Träger des gläsernen Lichtes zu schwächen, von ihren Plätzen zu entfernen und dann so schnell es ging so weit wie möglich voneinander fortzuschaffen, bevor die vorübergehende Schwächung verflog.

Espinela schlüpfte in Ruhe in ihre Hauskleidung, die sie selbst für schlicht hielt, die für andere Hexen aber immer noch elegant erscheinen mochte. Sie verließ den westlichen Salon und suchte das Studier- und Schlafzimmer ihrer Enkeltochter Rosalba auf.

Als sie nach dem Anklopfen die fünf mal fünf Meter messende Stube betrat sah sie, dass ihr Enkel Ignacio ebenfalls hier war und die fein säuberlich an den Wänden verteilten Zaubergemälde betrachtete. Bis zur Unterwerrfung Pataleóns hatten zehn von diesen Bildern über Gegenstücke im Ministerium mitverfolgt, was dort vor sich ging. acht der Bilder waren, weil die Malerin bekannt war, vorsorglich abgehängt und in dunklen Schränken verstaut worden. Doch zwei der Bilder, von denen keiner der Ministeriumsleute wusste, dass Rosalba sie gemalt hatte und dass die darauf abgebildeten Waldbäume über in ihren Ästen zwitschernde Vögel Botschaften mit ihren Gegenstücken austauschen konnten, hingen noch frei aus und hatten alles im Blick der gefiderten Spione geschehene weitergemeldet.

"Sie haben mit der Evakuierung angefangen, Abuelita", sagte Rosalba nach der Begrüßung und deutete auf zwei Bilder, die majestätische Eichen zeigten, in dessen Zweigen Rotkehlchen, Spatzen und Eichelhäher zwitscherten.

"Dann hat Abuelita Espinela doch recht, und der hat sich bei diesen Wald- und Flusshexen Hilfe gesucht", antwortete Ignacio darauf.

"Das glaube ich erst, wenn die Boten das melden, wenn frei schwebende Frauenzimmer mit schwarzen Haaren durch die Gänge spuken", erwiderte Rosalba. Espinela gebot beiden Ruhe und lauschte. Gerade schwirrte ein Grünspecht durch den linken Rahmen herein, während ein zweiter Grünspecht in Gegenrichtung das Bild verließ und scheinbar im Nichts verschwand. Dann hörten sie alle die hohe Stimme des hereingeflogenen Vogels trillern: "Alle Menschen aus Ministerium, grüne Flugfrauen ohne Flügel in Mittelgang."

"Wir hätten doch wetten sollen, Prima", sagte Ignacio. "Tja, doch wenn die anderen das mitkriegen, dass Pataleón diese Frauenzimmer beauftragt hat könnte der Ärger kriegen", meinte Rosalba.

"Welchen Ärger will der noch kriegen, wo er eh schon ein Minister auf Abruf ist, Rosalba?" erwiderte Ignacio. Seine Großmutter gebot erneut Ruhe. Sie deutete auf ein zweites Bild. Gerade formte sich im Stamm der darauf abgemalten Buche ein schroffes Gesicht mit großen, blattgrünen Augen. Knarrzend öffnete sich der Mund, und eine wie durch ein langes Holzrohr dringende Stimme sagte: "Wald- und Flusshexen. Sie besingen die Lichtkristalle mit Feuerschlafzaubern und Mondeis."

"Wie viele?" wollte Rosalba wissen, die ihre Bilder so bezaubert hatte, dass diese nur ihre Stimme verstehen konnten. "An mir vorbei zwei mal zehn. Keine Kenntnis, ob das alle sind", sprach das Baumstammgesicht. Dann bildete es sich wieder zurück und hinterließ einen scheinbar harmlosen, in Frühlingserwachen steckenden Baum.

"Wenn die es nicht schaffen könnte der Retiro-Park in einem glühenden Krater verschwinden", meinte Ignacio. "Ruf den großen Drachen nicht", grummelte Rosalba. "Ich werde solange bei euch bleiben, bis deine beiden Spionagebäume melden, ob es gelungen ist oder nicht oder ob ihre Gegenstücke in einer schlagartigen Sonnenfeuerfreisetzung verglühten", beschloss Espinela und setzte sich unaufgefordert in einen der freien Sessel, die Rosalba für Gäste bereitgestellt hatte.

__________

Sie waren keine bleichen Blutsauger. Die Sonne und das fließende Wasser taten ihnen nichts zu Leide. Dennoch bevorzugten sie die Nacht, um ihre ganze Kraft zu entfalten, vor allem, weil sie mit dem Schattenkleid genannten Zauber mit der Dunkelheit der Nacht verschmelzen konnten und selbst dann keinen Schatten warfen, wenn sie doch einmal durch Mondstrahlen flogen. Die dreißig am besten mit den Kräften von Feuer und Wasser vertrauten Untertanen der Mutter aller Wälder, sonst klare Einzelgängerinnen, waren in sechs Gruppen zu je fünf Wesen mit jenen an und für sich verpönten Ortswechselgegenständen von Galizien nach Kastilien befördert worden. Als sich ihre Ortssinne wieder beruhigt hatten waren sie in einer Nacht bis zur Stadtgrenze von Madrid geflogen und hatten sich am Morgen in abgelegenen Waldstücken versteckt. Dort hatten sie aus der Verbindung der Bäume mit Sonne, Luft und Erde neue Kräfte geschöpft.

Sie hatten darauf gewartet, dass die Sonne wieder untergegangen war. Dann waren sie weit über dem künstlichen Lichtermeer und dem giftigen Qualm der lärmigen Kraftwagen hinweggeflogen, bis sie den Pflanzenbestand unter sich hatten, den die Menschen Retiro-Park nannten. Dort unten lag das Ziel.

Eingehüllt in den Schattenkleidzauber schwebten sie auf die von Pataleón bezeichneten Stellen zu und holten die fünf silbernen Schlüssel hervor, die Pataleóns ihnen mit den Ortswechseltüchern übergeben hatte. Die Schlüssel zeigten durch Erwärmung und Erbeben an, wo die ihnen bestimmten Geheimtüren lagen. Als sie sie fanden steckte die jeweilige Gruppenerste den mitgeführten Schlüssel in den Stamm eines jungen Baumes und drehte den Schlüsselgriff, als sei der Baum aus Luft. Der Boden erbebte nun selbst. Dann tat sich an jedem der geheimen Zugänge ein kreisrundes Loch auf, in das bequem vier Menschen gleichzeitig hineinklettern konnten. Aus den Löchern stiegen steinerne Plattformen mit silbernen Rändern, in denen magische Zeichen für federleichtes schweben und sichere Geborgenheit eingraviert waren. Die dreißig Meigas drängten sich zu je sechs Einzelwesen je Gruppe auf den Plattformen. Diese schwankten einen Moment. Dann glitten sie nach unten. Als die Plattformen vier Menschenlängen tief gesunken waren schlossen sich die runden Einlassöffnungen über ihnen wieder. Den besonderen Besucherinnen machte das jedoch nichts aus. Sie konnten im Dunkeln so gut sehen wie am Tag.

Erst fürchteten sie, von Überwachungszaubern als Unbefugte eingeordnet und mit Abwehrzaubern bekämpft zu werden. Doch offenbar hatten Pataleóns Leute diese Schutzmaßnahmen außer Kraft gesetzt oder die immer noch wirksamen Schattenkleider verbargen sie vor den Überwachungszaubern. "Auf, Schwestern! Sucht und findet die kleinen gläsernen Herde unbändigen Feuers, das das im Blute bestimmter Wesen schlafende Feuer entfachen kann!" wisperten die Gruppenersten und glitten durch die Luft weiter. Gleich bei der ersten Biegung sah eine der ersten eingetroffenen jenes flache, gläserne Ding, was über einem der Kugelkörper angebracht war, die üblicherweise Licht gaben. "Findet alle, die ihr finden könnt und singt ihnen das Lied vom tief schlafenden Feuer und dem gefroeren Fluss bei Mittwintervollmond!" flüsterten die Gruppenersten so leise, dass nur ihre Artgenossinnen es verstehen konnten, zumal sie sich in ihrer urwüchsigen Sprache unterhielten, die älter war als das von den Römern und Kelten ins Land getragene, was sich später zur galizischen Sprache entwickelt hatte.

__________

"So, gleich werden wir es wissen, ob der alte recht hatte und Pataleón die Meigas um Hilfe gebeten hat", sprach Jorge Valerio Murillo Valdéz zu seinem Mitstreiter Felipe Martín Montesoleado. Beide trugen Brillen mit besonders dicken Gläsern. Es waren Fernbeobachtungsbrillen, wie sie in ähnlicher Form auch von Sicherheitskobolden in Gringotts benutzt wurden. Die Gegenstücke dieser Sehwerkzeuge waren in Wände eingebaute Spähkacheln, die für unbewaffnete Augen wie harmlose Keramikplatten aussahen, das auf sie fallende Licht jedoch aufsaugten und an die Fernbeobachter weitergaben, sofern kein Fernbeobachtungsunterdrückungszauber an Ausgangs- oder Zielort wirkte. Gerade hatten sie damit beobachtet, wie die letzten Diensthabenden das Ministerium verließen. Die Leuchtkristalle blinkten in einem tiefroten Licht, das war der Evakuierungsalarm.

Nun hörten die Kristalle zu leuchten auf. "Lichtverstärkung zehnfach!" befahl Jorge mit dem rechten Zeigefinger zwischen den beiden Brillengläsern. Sofort hellte sich die Ansicht etwas auf. Der Gang lag nun stumpfgrau da. Dann begann das Bild zu flimmern. Jorge meinte noch, einen ausgedehnten Schwarm schwarzer Fliegen zu sehen. Dann verschwand die Ansicht für eine volle Minute. Als das Bild wieder stabil war konnte er sehen, dass die an der Decke hängende Kristallsphäre in einem tiefvioletten Licht pulsierte. "Drachenmist! Etwas überlagert unsere Spähkacheln", meinte Felipe.

"Dann sind die das, Felipe. Oder hast du vergessen, dass nicht nur Veelastämmige, sondern auch Meigas einen Unortbarkeitszauber verwenden können? Das violette Pulsieren ist nur wegen der Lichtverstärkung sichtbar. Ich vermute, es ist der legendäre Feuerschlaf, mit dem Meigas natürliche und viele magische Feuerquellen erstarren lassen können."

"Nicht nur. Der Feuerschlaf soll dunkelrot sein und die damit belegten Flammen auf ein Zehntel der Ausgangshelligkeit abdunkeln oder völlig auslöschen. Ich vermute, die haben noch jenen legendären Zauber Wintervollmondeis gewirkt, der nur bei Nacht geht und alle Wärmequellen versiegen lässt, was auf gleichwarme Lebewesen wie ein Bad in Eiswasser wirkt und in nur einer Minute zum Tod durch Erfrieren führen kann, wenn sie es nicht schaffen, aus dem blasenförmigen Wirkungsbereich herauszukommen. Damit können auch kochende Kessel in massive Eisblöcke verwandelt werden."

"Danke für den Nachhilfeunterricht. Das mit dem Eiszauber wusste ich nicht mehr", grummelte Jorge.

Die beiden beobachteten nun über die verteilten Spionagekacheln, wie eine Leuchtkristallsphäre nach der anderen von der dunklen Wolke berührt und in tiefviolettes Licht gehüllt wurde. "Geh davon aus, dass die die von uns erkannten Vernichtungskraftträger entfernt haben und jetzt so schnell sie können fortschaffen", sagte Felipe. Jorge bestätigte es. "Wenn das echt so geht, dann können unsere Kollegen in Rom das auch so machen. Immerhin können da welche das Unfeuer und das dunkle Eis. Wenn damit alle diese Veelabrenner entfernt werden können haben wir auch diese Hinterlassenschaft von Ladonna Montefiori erledigt."

Sie beobachteten eine volle Stunde lang, wie sämtliche Leuchtkristallsphären behandelt wurden. Dann tat sich nichts mehr. "Na, wie hoch wird der Preis sein, den der ehemalige Statthalter Ladonnas zu zahlen hat, damit ihm die obskure Dame de Casillas wieder auf die Bude rücken kann?" fragte Jorge. "Für dich und mich auf jeden Fall zu hoch", schnaubte Felipe. Denn auch er wusste, dass Meigas, auch wenn es die menschenfreundlicheren waren, ihren Preis verlangten, wenn sie um Hilfe gebeten wurden. Dann meinte Felipe: "Kann nur sein, dass der Rat der zwölf Richter Pataleón doch für schuldfähig erklärt und er den ausgehandelten Preis nicht zahlen kann."

"Ruf keinen großen Drachen, Felipe. Wenn Pataleón gehindert wird, den ausgehandelten Preis zu zahlen wird jemand anderes dies tun müssen. Willst du das sein?" "Öhm, echt? Nein, bloß nicht", entsetzte sich Felipe. Jedenfalls meldeten sie an ihren Sektionsoberen, was sie beobachtet hatten und dass das Ministeriumsgebäude nicht in Feuer und Glut vergangen war oder wie das einstige Gebäude des US-Zaubereiministeriums in einem glühenden, gefährliche Strahlen aussendenden Krater verschwunden war.

__________

Es war nicht einfach, erst den Feuerschlaf zu wirken, weil in den Leuchtkristallen und den an sie angebrachten Blutfeuerfallen schon so viel magisches Feuer eingelagert war. Doch nach der vierten Wiederholung war das lauernde Feuer weit genug erstarrt. Dann belegten sie die Blutfeuerfallen noch mit dem Mittwintervollmondeiszauber und gefroren damit alles. Nur mit den vorbehandelten Handschuhen an den Händen konnten sie nun die Blutfeuerfallen entfernen und in die Lederbeutel legen. Sie gingen davon aus, dass sie nur ein Viertel der Nacht Zeit hatten und bloß nicht in die Nähe offener Flammen geraten durften, weil diese den Mittwintervollmondeiszauber aufzehren und das eingeschlafene Feuer langsam aber sicher wieder aufwecken konnten.

Insgesamt je zehn dieser gefährlichen Glasplatten fand jede der dreißig Untertanen der Mutter aller Wälder. Sie trugen die gefrorenen Platten zu den Ausgangsschächten. Dabei hörten sie, dass die erbeuteten Glasscheiben langsam wummerten wie ferne, langsam schlagende Herzen. Sie waren dabei wieder aufzuwachen, wohl weil sie nun so nahe beieinander lagen.

"Schwestern, wir haben nicht die Zeit für die Schächte. Sammelt euch und ruft das Wort für den befreienden Sprung, das uns unser Bittsteller verraten hat!" hörten sie alle die Stimme der ältesten aus ihren fünf Gruppen. Die erbeuteten Glasscheiben wummerten immer lauter und in kürzeren Abständen. Damit war klar, dass sie nicht mehr lange schlafen würden. Also flogen die dreißig Meigas im Schutze ihrer Schattenkleider zueinander hin und ergriffen sich bei den Händen. Dann riefen sie das Auslösewort für jene mitgelieferten, zerfranst aussehenden Geschirrtücher. Blaues Licht umschloss sie und verschwand mit ihnen zusammen. In dem Moment tröteten die Alarmzauber los, weil jemand einen nicht angemeldeten Portschlüssel verwendet hatte. Doch die dreißig Meigas waren da schon über fünfhundert Kilometer weit fort. Jetzt setzten auch noch Warntöne für den Ausfall der Beleuchtung ein. Doch im Augenblick hörte niemand es. Denn im Augenblick befand sich keine Menschenseele in den Gängen und Räumen des spanischen Zaubereiministeriums.

Jede der fünf Gruppen erschien weit genug von der nächsten entfernt. "Ausschwärmen und die Glasplatten möglichst weit voneinander auf den Boden werfen!" rief die Älteste der dreißig Meigas. Diese gehorchten sofort und flogen mit ihrem immer unberechenbarer klingenden Fang davon.

Aus großer Höhe heraus verstreuten die dreißig Meigas die nun wie freigelegte Herzen pochenden Glasscheiben. Dabei beeilten sie sich, möglichst viel Abstand zwischen jeder abgeworfenen Scheibe zu bringen. Denn sie waren sich sicher, dass die darin wirkende Kraft sich beim Aufprall auf den Boden wieder frei entfalten würde. Erst als sie alle dreihundert erbeuteten Glasscheiben losgeworden waren konnten sie sich über den Flüssenund Bächen sammeln.

Sie hörten ein lautes Klirren, gefolgt von einem lautstarken Fauchen und Heulen. Dabei spiegelten sich weißblaue Lichter in den Wellen der fließenden Gewässer. Sie hörten ein vielfaches Schwirren und Pfeifen. Dann war es vorbei. "Die Träger des Blutfeuers sind vergangen. Unsere Arbeit ist getan, Schwestern! So mag jede von uns wieder dorthin zurückkehren, wo sie wohnt und wirkt!" gebot die Älteste der dreißig Ausgesandten.

__________

"Ob sie alle Träger des gläsernen Lichtes entfernt haben?" fragte Ignacio seine Cousine und seine Großmutter. Espinela sah ihn tadelnd an und sagte: "Wenn sie auch nur einen Träger vergessen haben mag dessen Vergeltung reichen, um das Ministerium in Schutt und Asche zu legen. Also werden sie darauf geachtet haben, jede Leuchtkristallsphäre zu erreichen."

Sie warteten noch eine Stunde. Doch außer dem Portschlüsselalarm und dem Warnton für den Ausfall der Beleuchtung war nichts mehr passiert. Dann war es endlich still im Ministerium. Die Warn- und Meldezauber hatten niemanden erreicht oder waren ignoriert worden.

"Wir müssen noch bis morgen abend warten, um sicher zu sein, dass wirklich kein Träger des gläsernen Lichtes übriggeblieben ist. Dann werde ich den Herren vom zeitweiligen Zaubereiministerium meine Aufwartung machen", erwähnte Espinela Flavia Bocafuego de Casillas. Dann wünschte sie ihren beiden Enkeln noch eine erholsame Nacht und zog sich in ihre eigenen Schlafräume zurück.

__________

Wie es Albert Messier gesagt hatte erklang am nächsten Morgen um halb sieben zeitgleich mit Julius Wecker ein aufsteigender, sanft angeschlagener F-Dur-Dreiklang. Die Fensterläden entriegelten sich leise rasselnd und klappten geräuschlos auseinander. "Guten Morgen, Mademoiselle la Ministre, hoch verehrte Reisende. Der Nachtschutzmodus wurde soeben beendet. Wir hoffen, dass auch Sie eine angenehme Nacht hatten und wünschen Ihnen allen einen erfolgreichen Tag!"

"Spricht der das selbst oder hat der eine Aufzeichnung davon gemacht und spielt die ab?" fragte sich Julius, dem automatische An- und Durchsagen so vertraut waren wie für andere der Umgang mit Posteulen und belebten Gemäldenund Fotos.

Die Ministerin nutzte die in der Kutsche mögliche Rundsprechfunktion und bedankte sich bei Monsieur Messier und seinen Kolleginnen und Kollegen für die Begrüßung und die Wünsche und schloss sich denen an. "Wie abgesprochen frühstücken wir um sieben Uhr in Ruhe im Zentrumsraum, bevor wir um acht uhr wieder auf die britische Delegation treffen. Bis gleich!"

"Okay, erst kurz duschen, dann die Morgeneinheiten im Sportraum", dachte Julius.

Diesmal traf er im Sportraum auch Britta und die drei anderen Leibwächterinnen der Ministerin, dazu Belenus Chevallier und Barbara Latierre. Da sie nur bis sieben Zeit hatten und nach dem Sport noch einmal unter die Dusche wollten blieb es bei gerade zehn Minuten intensiven Übungen für alle Muskelgruppen, wobei Julius auf Gewandtheit, Schnellkraft und Ausdauer ausging und nicht auf Gewichtskraft.

Um sieben Uhr traf er geduscht, rasiert und mit supergründlich geputzten Zähnen wieder im zentralen Esszimmer ein, von dem aus sie einen Dank Bildverpflanzungsmagie vollständigen Rundblick über den Standort ihrer Kutsche hatten. Alain Dupont nutzte die Zusammenkunft, um die nach dem Nachtschutzmodus zu ihm durchgelassene Eulenpost seines direkten Vorgesetzten zu erwähnen. Demnach stand Chaudchamp bereits mit dem Kollegen in Dakar im Senegal in Verhandlung, der bereits von jener sehr rasch einberufenen Konferenz außereuropäischer Exkolonialländer gehört hatte, diese aber eben nur die ehemals britischen Kolonien betraf.

"Es mag sein, dass der Kessel schon umgekippt ist. Aber Monsieur Chaudchamp ist noch zuversichtlich genug, die ehemaligen französischen Kolonien Afrikas zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu bringen, zumal diese ja größtenteils von Ladonnas Einfluss verschont blieben", beendete Alain Dupont die Zusammenfassung der erhaltenen Post. Die Ministerin erwiderte, dass sie darauf vertraute, dass Monsieur Chaudchamp eine für alle Seiten genehme Übereinkunft mit den Zaubereiverwaltungen ehemaliger Kolonien traf. Dupont räumte ein, dass Afrika wohl noch wohlwollend zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich stand, wo doch viele Erzeugnisse und Errungenschaften aus Europa weiterhin geschätzt wurden. Er sah jedoch größere Schwierigkeiten in neuerlichen Vereinbarungen mit Vietnam, dass die Franzosen früher Indochina genannt hatten und dass sich vielleicht genau deshalb berufen fühlte, sich eher mit der indischen oder chinesischen Zaubereiverwaltung zusammenzutun. Julius dachte kurz, ob er sich dazu äußern sollte. Denn er hatte über seine Internetverbindung nach Tokio erfahren, dass seitens Indiens, Chinas und der anderen Staaten auf dem ostasiatischen Festland eine Anfrage ergangen sei, ob sie nicht wie die panarabische Zaubereivereinigung auch eine ostasiatische Zaubereikonföderation gründen wollten. Das wurde aber vom japanischen Zauberrat abgelehnt, da dies hieß, die Eigenständigkeit gegenüber dem westlichen Nachbarn China in Frage zu stellen. Er bat ums Wort und fragte:

"Könnte es nicht auch in der magischen Welt so laufen wie in der nichtmagischen, wo China sich als die vorherrschende Macht Ostasiens etablieren möchte, Monsieur Dupont?"

"Sie haben wohl mal wieder an unserer Abteilung vorbeigeleitete Neuigkeiten von der japanischen Zaubereiadministration, Monsieur Latierre. Diese dürfte sich einer Erstarkung chinesischer Interessen widersetzen. Dasselbe gilt für Indien. Aber die Zaubereigemeinschaften der früheren Königreiche Siam, Vietnam und Nepal ringen immer noch darum, ob sie sich als eigenständige Gemeinschaften erhalten oder sich unter die Verwaltungshoheit eines der beiden asiatischen Traditionsmächte stellen sollen. Nepal hat vor kurzem erklärt, sich der indischen Zaubereiverwaltung zu unterwerfen, eben weil der chinesische Zauberrat mehr Territorialeinfluss anstrebt. Tja, und wegen jener unverzeihlichen Grausamkeit, die Ihnen, Monsieur Latierre, unter dem Begriff Vietnamkrieg geläufig sein dürfte, sucht die kleine Zauberergemeinschaft Vietnams nach einer klaren Ausrichtung. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht den entscheidenden Anstoß geben, dass sich Vietnam in kleinere Verwaltungsgebiete zersplittert und dass die Nachfahren einstiger französischer Zauberer und Hexen sich nicht mit den animistisch wirkenden Magiern einen eigenen Krieg liefern, wer dort das Bestimmungsrecht ausübt." Julius nickte. Tatsächlich begriff er, wie übervorsichtig Chaudchamp mit den Vietnamesen verhandeln musste.

"Danke für Ihren Kurzbericht, Monsieur Dupont. Bitte richten Sie Ihrem Vorgesetzten aus, dass ich ihm eine sichere Hand und stets das rechte Wort für die anstehenden Gespräche wünsche", sagte die Ministerin, was gleichbedeutend war, dass sie wohl gerne das Thema wechseln wollte. Das kam allen hier ganz gelegen. So konnte Julius erwähnen, dass er sich gestern vor dem Schlafengehen noch über australische Zaubertiere schlauer gelesen hatte, nachdem er erfahren hatte, dass eine ehemalige Hogwarts-Schulkameradin nun im Land unten drunter arbeitete. Barbara Latierre erwähnte, dass sie nach ihrer Beförderung zur Gesamtabteilungsleiterin auch schon mit ihrer australischen Kollegin Tharalkoo Flatfoot korrespondiert habe und wohl im Sommer für einen Erkundungsbesuch dorthin reisen wolle. "Deren Sommer oder unserem?" fragte Julius. Seine Schwiegertante sah ihn erst verdutzt an. Dann sagte sie: "Im Juli, also unserem Sommer. Stimmt, die umgekehrten Jahreszeiten. Das führte dann wieder zu einem lockeren Gespräch über begangene Feiertage wie Ostern und Weihnachten und dass Australien wegen seiner britischen Prägung auch Halloween feierte, weshalb die dortigen Heiler und Sicherheitszauberer immer auf dem Posten sein mussten, wenn wer meinte, heftige Streiche zu spielen. Auf die Frage, woher er das so gut wisse erwähnte er, dass er eine Bekannte in Australien habe, erwähnte aber nicht, dass es jene Aurora Dawn war, die auch das leicht verständliche Lehrbuch "Der kleine Hexengarten" verfasst hatte. Barbara Latierre wusste das, sagte aber nichts dazu.

Nach dem Frühstück begann die am Vortag beschlossene Aufteilung in kleinere Arbeitsgruppen. So konnte Julius mit Tim Abrahams und Pina über die Arkanetverbindungen in andere Länder sprechen und wie das Türsteherprogramm arbeitete, das seine Mutter entwickelt hatte, um für die Zaubereigeheimhaltung gefährliche Nachrichten in den Hauptknotenpunkten des Internets abzufangen, bevor sie an abermillionen Endnutzer weitergeschickt werden konnten. Es ging auch um die außerministeriellen Gruppierungen wie das Laveau-Institut, aber auch weniger rechtschaffene Vereinigungen wie Vita Magica, die Mondbruderschaft oder die Sekte der großen Mutter der Nacht. Immerhin bekamen die drei es innerhalb einer Stunde hin, eine für ihren Fachbereich verbindliche Abschlusserklärung auszuformulieren. Die anderen debattierten über Detailfragen, was die Wiederherstellung des Gringotts-Netzwerkes anging, ohne voreilig Entschädigungen für die Mitarbeiter anzubieten oder wie der Handel mit magischen Tier- und Pflanzenprodukten geregelt wurde.

Erst um drei Uhr nachmittags Ortszeit hatten alle Gruppen ihre Einzelerklärungen vorgelegt, die dann von Ventvit und Shacklebolt unterschrieben wurden. Damit war nun amtlich, wie sich sowohl Großbritannien wie Frankreich bei künftigen Gesprächen erklären würde.

Um vier Uhr nachmittags erfolgte eine kurze, offizielle Verabschiedung der französischen Reisegruppe. Julius wünschte Pina und ihrer Verwandtschaft noch eine angenehme Zeit. Pina gab ihm einen Gruß für Millie mit und wünschte ihr weiterhin das nötige Durchhaltevermögen, wenn sie beide schon meinten, eine ganze Quidditchmannschaft Kinder großfüttern zu wollen. Das bekam Arthur Weasley mit und lächelte vergnügt. Doch weil er nicht angesprochen war schwieg er.

Wieder in der Sonnenkarosse genoss Julius die Aussicht aus der Kuppel auf dem Dach. Nun würde es über die Nordsee nach Feensand gehen, jene für Nichtmagier unsichtbare Insel, die nur erreichte, wer zum einen wusste, wo genau sie lag und zum anderen die bunten Schlüssel besaß, um die unsichtbare Tür nach Feensand zu öffnen. Damit waren in Gedanken zu haltende Bilder und dabei gedachte Losungswörter gemeint, die von je zwei Hexen und zwei Zauberern im Bewusstsein gehalten werden mussten. Auch deshalb bestand die Lenkerbesatzung aus eben zwei Hexen und zwei Zauberern.

Die Abraxaner zogen das fliegende Gefährt mit großer Geschwindigkeit in zweitausend Metern Höhe über die wild wogende Nordsee hinweg. Julius vermeinte in Süden die Küstenlinie von Belgien und den Niederlanden zu sehen, bevor diese wieder unter den Horizont sank. Er konnte mehrere Frachtschiffe erkennen und erklärte denen, die es genauer wissen wollten, was ein Containerfrachter und was ein Stückgutfrachter war. Sie konnten sogar ein Schiff der bundesdeutschen Kriegsmarine sehen, das wohl auf einer Übungsfahrt war und an Deck mehrere Hubschrauber mitführte. "Es ist schon sehr abenteuerlich, dass diese Gerätschaften fliegen können", meinte der Leiter der Handelsabteilung. Julius erwiderte darauf, dass es deshalb auch lange gedauert hatte, bis Hubschrauber oder Helikopter allgemein eingesetzt wurden, aber im Vergleich zu starrflügeligen Flugzeugen mehrere Vorteile hatten, aber den entscheidenden Nachteil, dass sie nicht über all zu lange Strecken fliegen konnten, weil ihr Antrieb zugleich auch den Auftrieb erzeugen musste.

Als die Kutsche in den Sinkflug überging blickten sich alle um, ob sie das Ziel erkennen konnten. Doch sie sahen erst einmal nur die graue wogende See unter sich. "Hoffentlich passen die Gedankenschlüssel auch", sagte Barbara Latierre zu Alain Dupont. "Der Feensander Inselrat hat es noch einmal bestätigt, natürlich unter Einhaltung der dritthöchsten Geheimstufe", beteuerte Dupont verdrossen.

Es dauerte jedoch noch fünf Minuten, bis sie voraus ein wildes Flimmern der Wellenkämme sahen. Dann meinten sie silberne und dunkelblaue Blitze aus dem Meer emporschießen zu sehen. Dann hing für zehn Sekunden ein silber-blau flirrender Dunst über dem Wasser, aus dem sich flackernd wie bei einem gestörten Fernsehbild eine Insel herausschälte. Als Nebel und Blitzgewitter übergangslos verschwanden lag direkt voraus eine von grünen Hügeln bedeckte, von einem weißgoldenen Sandstrand umschlossene Insel in Form einer geöffneten Blüte. In der Mitte ragte ein kreisrunder Turm auf, auf dessen Spitze vier geflügelte Frauengestalten aus purem Gold um eine silberne Schale voller bunt glitzerndem Sand hockten. Das war der Turm des feensander Inselrates, des Feenthings, von dem die Austauschschülerin und später auch als Mitglied der trimagischen Abordnng in Beauxbatons weilende Waltraud Eschenwurz berichtet hatte. Jetzt konnte Julius die geheime Insel nordwestlich der Insel Nordernei mit eigenen Augen sehen. Er bedauerte es, dass er Waltraud wohl nicht antreffen würde.

Die Sonnenkarosse flog auf den goldenen Sandstrand zu. Für drei Sekunden meinte Julius, das offene Meer hinter dem Reisegefährt in silbern flirrenden Nebel gehüllt zu sehen. Doch dann war der Blick bis zum Horizont, was die Seelleute auch Kimm nannten, frei von jedem Dunst.

Die Kutsche eilte über den an die 100 Meter breiten Sandstrand hinweg. Dann überquerte sie drei der grünen Hügel, auf denen kleine Schafherden weideten. Zwischen zwei an die hundert Meter hohen Hügeln, die wie die grün bewachsenen Rücken schlafender Riesen wirkten, setzte das gigantische Gefährt auf. Die vorgespannten Riesenpferde trabten mit bis fast zu den Fesseln im Boden versinkenden Hufen voran und zogen die Kutsche noch an die zwanzig Meter weit, bevor sie fast auf den Punkt stehenblieb. Womöglich hatte einer der Lenker die eingebauten Bremsen angezogen. Die Abraxanerpferde wieherten laut.

Der Feenturm ragte im Südosten auf. Julius sah einen sandigen Weg, der sich in sanften Kurven auf das vom südlichen Hügel teilverdeckte Dorf zuschlängelte. Von dort kamen mehrere fliegende Besen, auf denen Hexenund Zauberer saßen. Sie wurden von einer Hexe in einem im Winde flatternden, wasserblauen Umhang angeführt. "Ach neh, der halbe Feenthing kommt um uns zu begrüßen", meinte Belenus Chevallier. Alain Dupont fragte ihn, woher er das so sicher wisse. "Tja, weil von denen drei wichtige Mitglieder von Ladonna ziemlich heftig beeinträchtigt worden waren, unter anderem deren erst nach langen Diskussionen wieder eingesetzte Ratssprecherin Gundula Wellenkamm. Das ist die im blauen Flatterumhang."

"Sie haben recht, Monsieur Chevallier. Das ist ein Drittel des Inselrates von Feensand", bestätigte die Zaubereiministerin. "Aber was das Schicksal der von Ladonna heimgesuchten angeht möchte ich Sie, Belenus und auch alle anderen sehr dringend bitten, nicht darüber zu sprechen, ob auf Französisch oder der für unsere Reise vereinbarten Sprache Englisch. Nicht dass unser Aufenthalt hier zu einem Fehlschlag wird, weil sich Mitglieder des Feenthings tödlich beleidigt fühlen." Die Anwesenden nickten.

"Bitte nehmen Sie beim Aussteigen je einen der in den Einbauschränken des Einstiegraumes enthaltenen Flugbesen mit! Offenbar müssen wir doch schneller als zu Fuß sein, um zum Verhandlungsort zu kommen", sagte die Ministerin noch.

__________

Heinrich Güldenberg saß zusammen mit Andronicus und Eilenfried Wetterspitz im obersten Zimmer des Feenturms und spielte Skat. Dabei beobachteten sie die Ankunft der gewaltigen Reisekutsche aus Frankreich. "Bleibt es dabei, dass erst der Feenthing die Gäste aus dem Frankenland begrüßt, Heinz?" fragte Andronicus. "So habe ich das mit Frau Wellenkamm und Herrn Eschenwurz vereinbart, Andi. Übrigens kriege ich diesmal den Stich."

"Drachendreck", knurrte Andronicus, als er sah, dass sein Mitspieler und oberster Dienstherr die nötigen Karten hatte, um sein Blatt zu übertrumpfen. "Anstand hier schuljungenhaft rumzuschimpfen eul die anderen an, dass wir morgen mit der Zusammenkunft anfangen", sagte Güldenberg schadenfroh grinsend.

"Ich mach das über den Kamin, geht schneller, weil Lore noch im Büro sitzt", sagte Andronicus Wetterspitz. "Bei der Gelegenheit mach ich auch klar, dass die zugeteilte Lichtwache beim schlafenden Königspaar Posten bezieht, um sicherzustellen, dass keiner die sonnengoldene Kutsche klaut oder die vorgespannten Hottepferdchen vergiftet."

"Joh, mach das!" sagte Güldenberg. "Frau Wellenkamm wirft sich aber mächtig ins Zeug. Die will zeigen, dass sie vollständig rehabilitiert ist", sagte Eilenfried Wetterspitz.

"Kann ich ihr nicht verdenken", sagte Güldenberg. "Immerhin hat sie von uns allen ja am meisten unter dieser schwarzhaarigen Furie gelitten und dann noch gegen Ina Graswurz und Rena Wolkenflug ankämpfen müssen, um ihren alten Posten im Feenthing zurückzukriegen. Aber psst, bloß nichts darüber, wenn die drei Damen in Hörweite sind!"

"Sag das den Franzosen!" grummelte Eilenfried Wetterspitz. "Was meinst du, was ich meiner Amtskollegin Ventvit expresseulenschnell mitgeteilt habe, als die vom Thing mich darum gebeten haben, das Empfangskomitee zu machen", erwiderte Güldenberg und dachte daran, dass er ja selbst mehrere Wochen lang Ladonnas Unterworfener war. Aber ihn hatte sie nicht in eine ihrer Rosen verhext wie sie es mit Gundula Wellenkamm getan hatte.

__________

Millie wunderte sich nicht schlecht, dass das ihr zeitweilig überlassene Orichalkarmband schon um halb fünf nachmittags erbebte. Brittany pflegte sonst jeden Morgen mitteleuropäischer Zeit, was bei ihr selbst später Abend war, durchzurufen. Vielleicht war es doch Aurora Dawn oder Camille oder Martha Merryweather.

Millie stellte die Direktverbindung mit dem Anrufer oder der Anruferin her. Aurore kam zusammen mit Béatrice in die Wohnküche.

Vor ihnen allen entstand Brittany Brocklehursts räumliches Abbild. "Was ganz dringendes, Britt? Julius ist wohl gerade unterwegs nach Feensand.

"Nun, es wurden gestern Abend unserer Zeit noch einige Sachen beschlossen, wann und wie der neue Makusa zusammengestellt werden soll", klang Brittanys Stimme aus dem Armband.

"Haben sie es jetzt heraus, wieviele Leute diesem neuen Makusa angehören sollen, Britt?" fragte Millie die gerade nur als räumliches Abbild vor ihr schwebende Bekannte in Viento del Sol. "Im Moment haben sie es noch davon, welche Straftaten unterhalb von Mord und Millionenraub für abgebüßt oder ungeschehen erklärt werden können, Millie. Die Greendales und eure bei uns weit verbreiteten Anverwandten drehen gerade an einer großen Kurbel, wie der Makusa besetzt werden soll. Die großen zehn, wie sich die ältesten und in vielen Bereichen reichen Familien gerne nennen lassen, wollen bis zum vierten April geklärt haben, wi viele Leute den Makusa stellen und dann zur Kandidatur für die Sitze und den Präsidentenposten aufrufen."

"Und wie läuft bei euch Quodpot. Spielen die immer noch Schneckenquodpot?" fragte Millie.

"Ja, ist echt nicht mehr schön. Venus hat es einmal gewagt, in nur zehn Minuten einen gemütlich hin und herrschwebenden Quod einzutopfen. Seitdem darf sie nicht mehr in die Startauswahl. Die wollen immer noch die alten Gehälter und eine Ausfallsentschädigung für die Zeit der Goldebbe und die Ausweisung der Kobolde während der kurzen Zeit von Ladonnas Rosenzauber", grummelte Brittany. "Venus hat deshalb angedroht, wenn nicht mehr anständig gespielt werden darf würde sie wie ich was anständiges suchen. Die Obersten der Windriders haben dann zusammen mit der Mannschaft beschlossen, dass Venus Partridge offenbar vom Quodpot genug hat und ihr "empfohlen", sich was nicht ganz so anstrengendes zu suchen. Könnte gleich in den Morgenmeldungen laufen. Ich drehe Rodddys Wildwassermundwerk mal lauter."

Aurore hörte die auf Englisch geführte Unterhaltung mit. Ihr war im Moment nur wichtig, wie es Britt, Leonidas und seiner kleinen Schwester Brooke ging. Das ganze Politikzeug langweilte sie noch, auch wenn ihr Papa viel damit zu tun hatte und deshalb gerade mit der Ministerin und anderen wichtigen Leuten unterwegs war, wo keine Kinder mitgenommen werden durften.

"Ja, und hier ist wieder euer rasender röhrender Roddy Krueger, der Albtraum aller Morgenmuffel und Spaßverderber auf dem Supersender VDSR 1923, der fröhlichen Stimme kalifornischer Morgenstunden und da flattert mir doch gerade eine Superdupertopnachricht auf den Lesetisch." Millie und die anderen hörten ein unverkennbar theatralisches Pergamentgeraschel. "Unser aller großartiger Quodstreichel und trag ihn wie eine Schildkröte über das Feld Verein Viento del Sol Windriders hat soeben seine Trennung von der langjährigen Rekordeintopferin Venus Partridge bekanntgegeben. Die Begründung, jetzt kkommt's liebe Leute, sie hat sich beim Spiel gegen die Misty Mountain Peaks nicht an die Regel gehalten, den Quod später als eine Stunde nach dem Anpfiff einzutopfen und damit gegen das zwischen den Vereinen getroffene Abkommen verletzt, nur noch dann wie früher zu spielen, wenn auch die Gehälter von vor der Goldebbe bezahlt werden. Tja, und weil das gefälligst einheitlich zu erfolgen hat und nicht die reichen Regionen die weniger reichen Regionen übertrumpfen dürfen gilt ja seit Anfang Februar die Wette, wer seinen Besen langsamer als eine Schildkröte über das Feld fliegen kann und den Quod länger als zwei Stunden uneingetopft führen kann, ohne dass der heiß wird ist ein wahrer Freund des edlen Quodpotspiels. Ja, und die Familie Partridge hat auf diese offenbar schon klar vorhersehbare Entscheidung reagiert und kommentiert, dass Ms. Venus Partridge bereits mit der Verwaltung vom Tierpark verhandelt hat, da sie eh vorhatte, in fünf Jahren in der Zaubertierpflege anzufangen. Hey, und den muss ich wortwörtlich wiedergeben, auch wenn mir das gerade sowas von die Neidesblässe ins Gesicht treibt. Also alle Mann gut festhalten! Venus schreibt: "Wenn die finden, dass ein Quodpotspiel nun fünf Jahre andauern soll, bis irgendwer genug Gold zusammengekratzt hat, um allen Spielern freiwillig das Gehalt früherer Spiele zu bezahlen, dann habe ich mein Ziel schon erreicht und sowohl meine Zeit als Quodpotterin vollendet und noch einen Eintopfrekord geschafft, der in die Geschichte eingeht und wünsche dem Verein, dem ich seit meiner Schulmädchenzeit treu und redlich gedient habe, dass er auch ohne mich das kommende Spiel von 2007 bis 2012 erfolgreich beenden kann." Yippy! Das war doch mal eine Absage mit Ansage. Alles gute für den neuen Job, Ms. Partridge und den Jungs und Mädels von den Windriders noch eine Menge Einnahmen, wenn pro Spiel je zwanzig neue Kinder gezeugt und geboren werden. Ach ja, falls euch das nächste Lied zu schnell ist schickt gerne eine Beschwerde an die Redaktion. Im Postamt haben sie neue Zustellschnecken vorrätig! Der Kesselschepperrap von Missy Fright und dem brüllenden Aufruhr. Bidde schööön!"

Es erfolgte ein schnelles Bongo-Intro, dann ein sich wiederholender Bläsersatz, bevor die angekündigte Sprechsängerin loslegte.

"So, jetzt habt ihr es voll amtlich bekommen, Millie, Trice, Rorie, Chrysie und Clarimonde", lachte Brittany. "Ich schicke dem Roddy mal 'ne Nachricht, dass seine Moderation auch in Frankreich gehört wurde."

"Ja, und grüß Venus von uns, dass sie gerne bei meiner Tante Babs einen Leitfaden für das magische Melken von Latierre-Kühen erbitten kann, wenn sie wieder da ist. Aber ich kann auch meine Cousinen Callie und Pennie fragen, ob die das aufschreiben", sagte Millie.

"Joh, ich geb's weiter. Vielleicht kommt sie sogar im Sommer auf einen Fortbildungslehrgang zu euch rüber."

"Gut, bis dahin wissen wir ja, ob wir noch Gästezimmer anbieten können", sagte Millie. "Stimmt, du hast ja wieder die kleine Backstube angeheizt. Schaffst du diesmal selbst einen Jungen oder wird's wieder eine Ladung Mädels?" fragte Brittany.

"Das bekommt sie erst in zwei Monaten amtlich von mir", sagte Béatrice. Millie nickte. Dann erfolgte das übliche Verabschiedungsritual zwischen Aurore und Leonidas.

__________

"Im Namen des hohen Rates von Feensand, dem Feenthing, begrüße ich in meiner Eigenschaft als dessen Sprecherin die Hochrangabordnung aus unserem wunderschönen Nachbarland Frankreich und heiße Sie alle auf Feensand willkommen, der Heimat nordfrisischer Meeresmagie", sprach die auf einem Donnerkeilbesen reitende Hexe im wasserblauen Umhang in lupenreinem Pariser Französisch, als alle Mitglieder der Ministeriumsdelegation die gigantische Reisekutsche verlassen hatten. "Mein Name ist Gundula Wellenkamm und ich freue mich, dass Sie alle wohlbehalten angereist sind." Dabei sah sie jedes Mitglied der Delegation genau an, als müsse sie prüfen, ob auch wirklich die angekommen waren, die ihr gemeldet worden waren. Dann deutete sie auf die Kuppen der beiden Hügel, auf denen eine Truppe Zauberer in weißen Umhängen mit goldenen Säumen Aufstellung genommen hatte. "Bitte folgen Sie meinem Ratskollegen Enno Kiepenholz zum Feenkrug, um dort mit ihren Unterhandlungsteilnehmern zusammenzutreffen!"

Julius flog seiner Schwiegertante auf dem von ihm ausgeborgten Ganymed 8 hinterher. Er musste sich erst wieder daran gewöhnen, einen langsameren Besen zu reiten. Doch weil die Ratsmitglieder von Feensand auf ihren Brausewind-3-Besen nicht schneller als hundert Stundenkilometer flogen kam er gut mit.

Der Feenkrug ähnelte dem Greifenkrug, in dem Millie, Julius und die anderen ausländischen Gäste bei der totalen Sonnenfinsternis 1999 zu Mittag gegessen hatten, nur dass das Dach nicht aus Schiefersteinen bestand, sondern aus dem hierzulande üblichen Reedgeflecht. Innen drin hingen Bilder und Dekorationsgegenstände, die für das weite Meer, Fischfang und Seeschifffahrt standen. Vor allem das Bild von einem viermastigen Schiff mit purpurnen Segeln, die vom starkem Wind gebauscht wurden zog Julius Blick auf sich. Die Möbel waren allesamt aus bester deutscher Eiche gezimmert, aus deren Holz auch der Parkettboden bestand. Eine junge Hexe in wasserblauer Schürze, dem Gesicht nach die Tochter oder Enkelin des Schankwirtes, begrüßte die Gäste aus Frankreich auf Französisch. Ihr Dialekt stammte aber eher aus Ostfrankreich, wo Laurentine Hellersdorf ihre Muttersprache erlernt hatte.

Als alle an einem großen, blütenweiß gedeckten Tisch saßen betrat der rundlich aussehende Zaubereiminister Heinrich Güldenberg in Begleitung von zwei Mitarbeitern und vier in Weiß gekleideten Lichtwächtern den Schankraum. Die beiden ältesten Ratsmitglieder begrüßten ihn. Dann stellten sie ihn und seine Mitarbeiter Andronicus Wetterspitz und Eilenfried Wetterspitz vor. "Ich bin sehr erfreut, werte Kollegin Ventvit, dass Sie Ihre Unterhandlung in Großbritannien so rasch beenden konnten, so das wir genug Zeit haben, alle vorgeplanten Anliegen in der gebotenen Ruhe zu besprechen", sagte Güldenberg nun auf Englisch, obgleich er auch Französisch hätte sprechen können, wie Julius von der Quidditchweltmeisterschaft 1999 her wusste. Doch die vereinbarte Konferenzsprache sollte ja Englisch sein, auch und vor allem, um den US-Amerikanern was vorzulegen, was sie nicht erst übersetzen mussten.

Es folgte ein ungezwungenes Beisammensein, bei dem Julius sich freute, ostfriesischen Tee mit braunem Kandiszucker zu kosten. Sie sprachen über die Anreise und über Feensand. Das Teetrinken ging um halb acht in ein zünftiges Abendessen über, bei dem Julius sich echt typische Feensander Fischbrötchen genehmigte. "Sie haben leider Pech, dass Sie nicht alle während der Grünkohlsaison bei uns abgestiegen sind", meinte der Wirt des Feenkruges einmal, als es außer den Fischbrötchen noch Bratkartoffeln mit Ei und Speck gab.

Julius hörte, wie nebenan in einem größeren Schankraum die Stammgäste zusammenkamen. Da diese friesischen Dialekt sprachen staunte Julius, wie viel er daraus zu verstehen meinte, weil das Friesische ja entfernt mit dem Englischen verwandt war.

"Mister oder Monsieur Latierre, ich darf Sie von meiner Enkeltochter Waltraud grüßen", sagte einer der Ratsmitgliedszauberer, als er Julius höflich gefragt hatte, ob er sich kurz zu ihm setzen durfte. Julius bedankte sich für den Gruß und erkundigte sich, wie es ihr ging. "Der geht es noch ganz gut in der Zaubertierabteilung. Die wollte schon heute hier dabei sein. Aber der große Heinrich Güldenberg hat gesagt, dass erst wir vom Thing und höchstens noch er und seine zwei obersten Lichtwächter mit dabei sind. Aber wenn Sie immer noch bei den Zaubertieren zu tun haben sehen Sie sie morgen ja im großen runden Zimmer im Feenturm, wo wir sonst immer jede Woche einmal zum Schnacken zusammensitzen."

"Oh, dann hoffe ich, dass unsere Zusammenkunft Gelegenheiten gibt, außerprotokollarisch miteinander zu sprechen", sagte Julius. "Hängt sicher von dem ab, was so ansteht. Vom Rat darf ja nur Frau Wellenkamm dabei sein, so die Vereinbarung, weil sie als Sprecherin uns Feensander vertritt."

"Kann sie denn auch Englisch?" fragte Julius. "Aber sicher das. Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Meerisch und ja auch Zwergisch und Koboldisch. Die ist schon eine sehr patente Besenreiterin. Mehr sollte ich dazu besser nicht sagen, weil es sie doch deshalb auch übel erwischt hat", sagte Ignatius Eschenwurz, der im Rat die Stelle des Sicherheitshauptverantwortlichen innehatte. Julius hütete sich davor, zu nicken.

Als nach dem Abendessen jedoch Gundula Wellenkamm zielstrebig auf ihn zusteuerte fragte er sich, was sie von ihm wollte. Als sie nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war spürte er, wie der unter seiner Kleidung getragene Heilsstern Ashtarias sanft vibrierte. Offenbar merkte auch Gundula Wellenkamm etwas. Denn sie blieb kurz stehen und tat dann einen weiteren Schritt nach vorne. Sie wirkte so, als müsse sie sich sehr stark zusammennehmen, obwohl ihr irgendwas zusetzte. Julius zwang sein Gesicht zu einer entspannten Miene. War diese Hexe da womöglich Anhängerin der dunklen Seite, und sein Heilsstern drängte sie zurück? Dann trat sie noch weiter vor. Das Erbeben seines Heilssterns ging in ein schnelles, kaum spürbares Pulsieren über. Dann war die ältere Hexe bei ihm.

"Ich habe mit großem Interesse erfahren, dass Sie als Beauftragter der Veelas in Frankreich und inoffiziell auch ganz Europas an dieser Reise teilnehmen, weil es wohl nach uns nach Osteuropa geht. Richtig?"

"Nicht ganz, Frau Wellenkamm", erwiderte Julius wie sie Französisch sprechend. "Wir treffen uns auf neutralem Boden, weil die verschiedenen Veelafamilien darum gebeten haben, nicht in Russland, Bulgarien oder Rumänien zusammenzutreffen. Darf ich davon ausgehen, dass Sie sich für Veelas interessieren?" tat Julius ahnungslos. Denn er wusste ja, dass Gundula Wellenkamm von Ladonna heimgesucht worden war.

"Sagen wir es ganz klar: Es sind interessante Geschöpfe, solange sie dort bleiben wo sie herstammen und sich an die ihnen gebotenen Verhaltensgrenzen halten. Aber vielleicht sollte ich nicht von der einen entarteten auf alle anderen schließen", grummelte Gundula Wellenkamm. Dann fragte sie leise: "Mag es sein, dass Sie auf Grund Ihrer besonderen Aufgabe mit einem besonderen Schutz versehen wurden, um solche wie dieses Unweib von sich fernzuhalten?"

Julius hätte fast laut gejubelt über diese supergeniale Steilvorlage. Er antwortete schnell: "Oh, haben Sie das irgendwie wahrgenommen. Sind Sie Auravisorin? Ja, mir wurde ein besonderer Schutz der obersten Veela Frankreichs verliehen, um gegen jene zu bestehen, die uns trotz ihres Verschwindens noch so heftig beschäftigt, dass wir heute hier zusammentreffen."

"Auravisorin bin ich dann doch nicht. Aber ich führe etwas mit, dass mich darüber vorwarnt, wenn ich in eine besonders starke magische Aura hineingerate. Doch mehr darf ich dazu nicht sagen, weil ich jemandem ein Versprechen geben musste. Es ist nur sehr bedauerlich, dass es mir nicht half, als mich dieses dreiblütige Weibsbild heimgesucht hat und mich zum Gehorsam zwingen wollte. Daher bin ich, wie Sie sicher verstehen werden, sehr daran interessiert, dass Nachfolgerinnen dieser Möchtegernweltkönigin klare Grenzen aufgezeigt werden, damit sowas nicht noch einmal vorkommt, als persönlich betroffene."

Da meldete sich Andronicus Wetterspitz, der zunächst mit Belenus Chevallier geplaudert hatte: "Sie sind nicht die einzige gewesen, der Ladonna Montefiori übel mitgespielt hat, Frau Wellenkamm. Wir verdanken es diesem jungen Herren und der von ihm mitgepflegten guten Beziehung zu den französischen Veelastämmigen, dass wir wesentlich glimpflicher davonkamen. Dass Ladonna Sie so heftig verwünscht und unterdrückt hat ist sehr tragisch, aber kein Grund, diesem jungen Herren hier eine zusätzliche Last aufzubürden."

"Herr Wetterspitz geborener Eisenhut, wenn Sie über Monate lang Gefangener dieser machtbetrunkenen Megäre gewesen wären, die meinte, alle mächtigen Hexen zu ihren willfährigen Mitstreiterinnen machen zu wollen, dann würden Sie gleichfalls darauf bestehen, dass alle die von ihrer Art sind lernen und dauerhaft befolgen, dass sowas nicht mehr hingenommen wird. Mehr wollte und mehr werde ich von Monsieur Latierre nicht verlangen."

"Ich denke, Ihnen mein Bedauern auszusprechen wird von Ihnen nur als Akt der Höflichkeit verstanden", erwiderte Julius ruhig. "Mir ist auch so einiges passiert, was mich heftig betroffen hat. Ich durfte und darf zumindest lernen, dass selbst die heftigsten Schläge überwunden werden können. Ich hoffe für Sie, dass Ihnen das auch gelingt, wo Sie schon mehr erlebt und erreicht haben als ich."

"Wie heißt es? Die Hoffnung stirbt zum Schluss. Jedenfalls wollte ich nur bekunden, dass diese überschönen Frauenzimmer und adonisgleichen Mannsbilder darüber unterrichtet werden sollen, dass ihre besondere Abkunft auch besondere Verpflichtungen hat und sie sich an diese Verpflichtungen zu halten haben."

"So spricht Ben Parker, der Onkel von Peter Parker: Mit großer Macht kommt große Verantwortung", zitierte Julius einen moralischen Grundsatz aus den Spidermancomics, die er vor seiner Einschulung in Hogwarts sehr gerne gelesen hatte. Er legte dann noch nach: "Ja, und alle die Veelas, denen ich schon begegnen durfte sind sich genau dieser Aufgabe bewusst, weil sie uns in Frankreich und auch den Ministeriumsleuten in Deutschland sonst nicht geholfen hätten, Ladonnas Feuerrosenzauber zu überstehen oder unmöglich zu machen."

"Gut, wenn Sie dies so erfahren haben und dieser Erfahrung folgen bin ich beruhigt, dass Sie wenigstens verstehen, was mir wichtig ist. Mehr möchte ich Ihnen auch nicht zumuten", sagte Gundula Wellenkamm. Dann wünschte sie ihm noch einen erholsamen Abend und eine erfolgreiche Zeit hier und auf den nächsten Haltepunkten seiner Reise.

"Ich bedanke mich für Ihre Ruhe und Sachlichkeit, Monsieur Latierre. Es gibt leider noch mehr wie Frau Wellenkamm, die der Meinung sind, die Veelas müssten entweder in ein abgesperrtes Reservat verbracht oder auf eine für uns Zauberstabträger beherrschbare Zahl reduziert werden. Hmm, offenbar wurden sie wirklich mit einem sehr starken Zauber der hellen Künste versehen. Ich muss ja schon aufpassen, dass mir mein eigener Lichtwächterring nicht den Finger abbrennt, so viel wohlige Wärme strahlt was immer Sie an sich haben zu mir herüber. Hat wohl Gundulas Zwergenuntergewand gepiesackt, das gegen Ladonnas Rosenzauber nicht geholfen hat. Na ja, wird sie jetzt wissen", sagte Andronicus Wetterspitz. Er zeigte Julius seinen Siegelring aus Gold, dessen Zentrum ein in zwölf Facetten geschliffener, kugelförmiger Diamant war, der nun, wo Julius ihn frei sah, aus sich heraus in einem warmen, goldenen Licht flirrte. Fast wäre er versucht gewesen, seinen besonderen Schutz der hellen Künste hervorzuholen. Doch dann sagte er: "Das ist noch von der Affäre Diosan Sarjawitsch, von der Sie als oberster Lichtwächter ja gehört haben." Wetterspitz nickte sehr eifrig und wünschte Julius dann ebenfalls noch einen ruhigen Abend und eine erholsame Nacht.

Julius durfte dann noch mit dem deutschen Zaubereiminister persönlich sprechen, der sich dafür bedankte, dass unter anderem er mitgeholfen hatte, dass er nicht all zu lange der Sklave Ladonnas bleiben musste.

Gegen halb elf flogen die französischen Delegierten wieder zu ihrer Reisekutsche zurück und zogen sich in ihre Kabinen zurück. Der Nachtschutzmodus trat in dem Augenblick in Kraft, als die Einstiegstüren hinter dem letzten Delegierten zufiel.

"So, bin jetzt auf Feensand", mentiloquierte Julius seiner Frau. "Sieht schön aus die Insel. Morgen treffe ich wohl auch Waltraud Eschenwurz. Du kennst sie ja noch."

"Oh, dann zeig ihr gerne die Bilder unserer Apfelhausbande, damit sie richtig neidisch dreinschaut. Britt hat übrigens um halb fünf nachmittags bei uns durchgerufen", gedankensprach Millie. Dann teilte sie Julius in Stichworten mit, was sie erfahren hatte.

"Könnte ich glatt Tante Babs auftischen, dass Venus Partridge zur Tierpflegerin ausgebildet werden will. Aber das kann die gerne nach der Reise erfahren", schickte Julius zurück.

"Jedenfalls soll ich dich schön grüßen", gedankenantwortete Millie.

"Ich wurde vorhin von einer Gundula Wellenkamm, ihres Zeichens Ratssprecherin der Feensander angesprochen, den Veelas bloß klarzumachen, dass die nicht noch mal sowas wie Ladonna auf die Welt loslassen sollen. Offenbar gehörte die Dame zu denen, die Ladonna in ihrem privaten Rosengarten eingepflanzt hat. Aber laut wollte ich der das nicht um die Ohren hauen."

"Gundula Wellenkamm? Wenn die nicht selbst daran mitgedreht hat, dass Ladonna die bei sich eingebuddelt hat, Monju. Aber mehr will ich auch auf dem Weg nicht rauslassen. Schick bitte Trice noch einen Gutenachtgruß und schlaf dich dann aus! Übermorgen wird Trice sehen, ob ich nur eine kleine Prinzessin in Aussicht habe oder wieder zwei."

"Das kriege ich dann ja hoffentlich gleich von dir oder ihr mitgeteilt", schickte er zurück. Dann verabschiedete er sich von seiner offiziellen Ehefrau, um die in einer nichtehelichen Partnerschaft dazugewonnene Schwiegertante Béatrice zu grüßen. Diese meinte: "Entweder kriegt Félix noch einen kleinen Bruder, oder ich kann vergleichen, ob sich ein Mädchen leichter austrägt als ein Junge", schickte sie ihm noch zurück. Dann war er mit sich und seinen Gedanken wieder alleine.

__________

Rodrigo Pataleón wollte gerade in die außerhalb des Ministeriumsbereiches gelegene Wohnung zurückkehren, als ein leises Läuten seine Aufmerksamkeit weckte. Wer mochte noch um halb elf abends was von ihm wollen? Um nicht von irgendeinem Widersacher kaltblütig überfallen zu werden löste er den stillen Sicherheitsalarm aus. Denn halb elf abends ohne Anmeldung hatte niemand mehr bei ihm hereinzuschneien.

Es vergingen keine zehn Sekunden, da standen fünf Sicherheitszauberer in seinem Büro. Nun entriegelte er die äußere Vorzimmertür von seinem Schreibtisch aus.

Eine hochgewachsene Frau mit bis zu den Hüften wehenden, seidenweichen, feuerroten Haaren betrat das Büro. Jeder ihrer Schritte war pure Anmut. Sie trug ein sonnengelbes, figurbetontes Abendkleid und weiße Halbschue. Sie winkte den ihr entgegenzielenden Zauberstäben und lächelte mit ihren verführerisch roten Lippen. Ihre goldbraunen Augen glitzerten im Licht der Leuchtkristallsphäre. Dann fühlte Pataleón eine wohlige Ausstrahlung von der anderen, die ihn innerlich erwärmte. "Ich bitte vielmals um Entschuldigung für meinen verspäteten Besuch. Ich möchte jedoch auch kein unnötig unverschämtes Gerede herausfordern, wo Sie, Minister Pataleón, mit so vielem zu ringen haben, was Ihnen widerfuhr", sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme. Pataleón fühlte, wie in ihm wohlige Wärme aufstieg und er beinahe dem Klang dieser Stimme erlag. "Ich möchte vor allem trotz der großen Verspätung in meinem und meiner Verwandten Namen unser tiefes Beileid zum Verlust Ihrer Angetrauten bekunden. Ich hoffe, Sie sehen mir diese Verspätung nach." Pataleón meinte, gerade neben sich zu stehen, als etwas aus seinem Bauch und seinem Kopf herausdrängte und ihn wie in eine wohlig warme, ihn umkreisende Luftsäule einschloss. Der in ihn eindringende Einfluss verflog in diesem Moment. Er konnte wieder klar denken. Sicher, die da vor ihm stehende Frau war immer noch makellos schön und trotz ihres unbestimmten Alters noch sehr attraktiv. Doch der sonst von ihr ausstrahlende übernatürliche Liebreiz wirkte gerade nicht auf ihn. Er sagte deshalb nur: "Mir wurde schon von so vielen so spät Beileid bekundet, da kommt es auf zwei Wochen oder Monate später auch nicht mehr an, Señora de Casillas. Aber dass sie jetzt so spät noch dafür zu mir kommen glaube ich nicht."

"Nun, ich wollte kein übles Gerede verursachen, dass jemand wie ich einen Zauberer, der Witwer geworden ist, aufsuchen könnte, um zu versuchen, ihn für mich zu gewinnen. Derartige Nachrede wollte ich Ihnen ersparen. Aber warum ich hier bin, kurz nachdem Sie es wahrhaftig vollbracht haben, die gegen mich und meine Verwandten tödlich wirksamen Vorrichtungen entfernen zu lassen? Ich möchte Sie fragen, ob Sie das für uns alle unangenehme Jahr unter Ladonnas Herrschaft nicht schnellstmöglich überwinden möchten und alles wieder so einrichten, wie es vor dem 15. März 2006 war."

"Ah, daher weht der Wind", schnarrte Pataleón und blickte kurz seine Sicherheitsleute an, die leicht erbebend dastanden und ihre Zauberstäbe auf die späte Besucherin richteten. "Sie wollen Ihren Enkelsohn wieder zum Abteilungsleiter der Spiele und Sport machen, richtig?"

"Fast richtig", erwiderte die späte Besucherin mit einer gewissen Verdrossenheit in Miene und Tonfall. "Ich kann meinen Enkelsohn Ignacio nicht zum Abteilungsleiter erheben. Das können nur Sie oder Ihr Amtsnachfolger, Minister Pataleón. Ich kann und ich möchte Sie nur bitten, es sich genau zu überlegen, ob es nicht ein großartiges Signal für die spanische Zaubererwelt wäre, dass alles, was Ladonna angerichtet hat, überwunden und das gedeihliche Miteinander von früher wiederhergestellt werden kann. Wenn Sie dann finden, dass mein Enkelsohn Ignacio seinen früheren Dienstposten zurückerhalten kann, steht es Ihnen frei, ihn auf diesem wieder einzusetzen. Mir ist dabei nur wichtig, dass nach der Behebung aller von Ladonna eingerichteten Hindernisse jeder und jede hier wieder das tun kann, was vor dem ganzen anstand. Daher mein später Besuch."

"Was spricht dafür, Ihren Enkel wieder in seinem früheren Amt einzusetzen?" fragte Pataleón bewusst herausfordernd. "Der Umstand, dass er in seinem Amt für unsere Quidditchmannschaften sehr einträgliche Abschlüsse erzielt hat und dass er unser Land im Ausland hervorragend repräsentiert hat."

"Ja, und dagegen spricht, dass die Stimmung im Lande gerade nicht gerade wohlwollend ist, was Angehörige Ihres Stammvolkes betrifft, Señora de Casillas. Insofern glaube ich es Ihnen all zu gerne, dass Sie kein übles Gerede verursachen wollen, indem Sie mich persönlich auf- oder auch heimsuchen. Sie meinen jetzt, ich hätte die Vorrichtungen Ladonnas nur deshalb entfernen lassen, um Ihrem Volk und Ihnen wieder freien Zugang zum Ministerium zu gewähren und würde deshalb auch gleich alles tun, was Ihnen recht ist. Das ist nur zu dem Teil richtig, weil die Liga gegen dunkle Künste darauf besteht, dass das Ministerium für alle friedliebenden Zauberwesen zugänglich zu sein hat und sie mir auferlegt haben, dies wiederherzustellen. Da ich auch im Moment auf Abruf, quasi als geschäftsführender Zaubereiminister tätig bin weiß ich auch nicht, ob ich Personalentscheidungen von solcher Tragweite treffen kann, einen Abteilungsleiter einzusetzen oder zu entlassen. Da möchte ich Sie und andere zukünftigen Antragstellenden um die nötige Geduld bitten, bis diese rechtlichen Fragen abschließend und unmissverständlich geklärt sind. Insofern ist es wohl an mir, Sie um Entschuldigung zu bitten, dass Ihnen der Eindruck entstand, es würde sich lohnen, mich um diese Uhrzeit noch besuchen zu können, um einen heimlichen Erfolg im Bezug auf Ihre Familie zu erringen, Señora de Casillas."

"Ich gewähre Ihnen die Entschuldigung", sagte die späte Besucherin nun merkwürdig gelassen klingend. Pataleón fühlte nichts mehr von jener übernatürlichen Ausstrahlung. Offenbar hatte sie es aufgegeben, ihn damit betören zu wollen. Er sagte dann noch: "Wenn Ihr Enkelsohn wieder seinen früheren Dienstposten zurückerhalten möchte steht es ihm frei, bei den dafür zuständigen Entscheidungsträgern vorstellig zu werden. Doch im Moment besteht wohl kein Anlass, das Personal zu ändern, da die Vereine seit dem zweiten Dezember 2006 einen Rat gebildet haben, um die laufende Quidditchsaison auch ohne ministerielle Unterstützung zu verwalten. Das gleiche gilt für die anderen Spiele und Sportarten. Da müssten Sie sich an die Funktionäre der Vereine wenden, Señora de Casillas. Ich könnte höchstens anregen, dass Ihr Enkel sich beim Besenkontrollamt bewirbt, um wieder in Lohn und Brot zu kommen."

"Ich hoffe, dass dies nur der verzweifelte Versuch war, die Zumutungen des vergangenen Jahres auszugleichen und keine ernsthafte Ankündigung Ihrerseits, meinen Enkel nur noch als Besenprüfer und Abstemplungsknecht zu beschäftigen", schnarrte Espinela de Casillas.

"Das Besenkontrollamt ist eine sehr wichtige Behörde. Die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verwendbarkeit von Flugbesen ist durchaus eine für alle Mitglieder der magischen Welt wichtige Sache", antwortete Rodrigo Pataleón. Doch er musste zugleich daran denken, dass er damals seine ersten Jahre im Zaubereiministerium als Aktenräumer in dieser Behörde zu tun hatte. Kurzweilig war das nicht. Daher wunderte es ihn nicht, dass die rothaarige Dame etwas verärgert antwortete: "Ich werde wie alle anderen genau beobachten, ob es sich lohnt, in diesem Ministerium noch irgendeinen wichtigen Posten anzustreben. Ich hoffe, Sie finden die Ruhe und den Beistand, um alles zu überwinden, was Sie in diesem Jahr an Lasten aufgeladen bekommen haben, Señor Pataleón." Dann winkte sie zum Abschied. Die ihr entgegengestreckten Zauberstäbe senkten sich, als sie mit einem eleganten Hüftschwung zur Vorzimmertür zurückkehrte und das Büro verließ.

Kaum war sie durch die äußere Vorzimmertür verriegelte Pataleón sie wieder. "Ui, ich dachte, ich würde gleich von innen her verglühen", meinte einer der fünf Sicherheitszauberer. "Ja, aber dieses betörende Gefühl bei einer Veelastämmigen war diesmal nicht", meinte ein anderer der Sicherheitsleute. Pataleón indes dachte darüber nach, was er gerade erlebt hatte. Wollte Espinela Flavia Bocafuego de Casillas ihn allen Ernstes mit ihrer Veelakraft dazu bringen, ihren Enkelsohn wieder auf seinem früheren Posten einzusetzen? Was hatte ihn diesmal davor beschützt, diesem übernatürlichen Einfluss zu erliegen? Der Ehering war ja leider verglüht. Unwillkürlich blickte er auf seine linke Hand. Sie fühlte sich unversehrt an und sah auch ganz heil aus, keine Spur, dass sie durch die Zerstörung seines Eheringes schwer verletzt worden war. Konnte es sein, dass was Ladonnas Ende herbeigeführt hatte ihn mit einem Schutz vor anderen Veelastämmigen aufgeladen hatte? Falls dem so war und die Heiler das schon wussten, warum hatten sie es ihm noch nicht mitgeteilt? Aber so musste es sein. Als Espinela ihn zu betören versucht hatte war etwas aus ihm hervorgedrängt und hatte ihren Zauber von ihm abgeschüttelt. Die hatte es gemerkt und hatte deshalb so verbittert reagiert. Tja, nun wusste sie, woran sie bei ihm war. Er hatte ihr auch eine gute Antwort gegeben, was ihr Vorhaben betraf, ihren Enkel wieder ins Ministerium zu bringen. Er konnte es wirklich gerade nicht entscheiden, wer hier arbeiten durfte und in welcher Anstellung. Damit musste die sich für so überragend haltende Dame nun leben. Doch er hatte ihr nicht verraten, dass die Vereinsfunktionäre diesen rotschopfigen Veelastämmigen allen Ernstes zurückhaben wollten. Tja, sollte sich doch sein Nachfolger damit befassen. Falls er selbst weitermachen durfte hatte er dieses Frauenzimmer wenigstens auf unbestimmte Zeit vertröstet.

"Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und hoffe, dass ich Sie in dieser Nacht nicht noch einmal benötigen werde. Falls Sie möchten dürfen Sie sich nun zur Nacht zurückziehen. Ich werde dies auch tun", sagte Pataleón. Die fünf ihm zugeteilten Sicherheitszauberer bedankten sich für seine guten Wünsche und zogen sich durch die für Uneingeweihte unsichtbaren Türen aus dem Büro zurück. Da fiel dem Minister auf, dass der ihn eigentlich beschützende Notrettungszauber nicht in Kraft getreten war. Doch der wirkte eben nur bei klar vorbestimmten Zauberangriffen, nicht bei Veelamagie. War es wirklich so gut gewesen, diese Vernichtungsvorrichtungen entfernen zu lassen? Für diese Frage war es aber nun wirklich zu spät. Er dachte daran, dass die Mutter aller Wälder ihren Preis einfordern würde, nicht heute, aber bald. Da durchfuhr ihn ein heißer Schreck. Wenn Espinela mitbekommen hatte, dass sie wieder zu ihm vordringen konnte mochte sie auch wie auch immer erfahren haben, wann, wie und von wem die Veelavernichtungsvorrichtungen entfernt worden waren und konnte sich ihren Teil denken. Dass sie es ihm nicht an den Kopf geworfen hatte sprach für ihre Überlegene Vorgehensweise. Doch ganz abwegig war es nicht, dass sie dieses Wissen gegen ihn verwenden konnte, wenn er nicht tat, was sie wollte. Er musste also auf der Hut bleiben.

__________

Es hatte sich schon richtig zum Morgenritual gemausert, das Treffen der Sportbegeisterten in den Übungsräumen. Jedenfalls fühlte sich Julius danach so richtig wach. Er hoffte nur, dass er nicht bei dem vielen Gerede nachher einschlafen mochte.

Anders als bei den Briten kamen zu der Unterhandlung auf Feensand auch die Delegationen aus Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz , Österreich und Liechtenstein dazu. Warum bei der deutschen Abordnung auch der Zwergenverbindungsbeauftragte Hanno Erlenhain dabei war wurde im Verlauf des Vormittages geklärt. Denn der unter dem Schwarzwald lebende Zwergenkönig Malin VII. trachtete danach, das uralte Recht der Zwerge an den Schätzen der Erde von den deutschsprachigen Kobolden zurückzuerobern. Daher war es für die Menschen um so wichtiger, ein stabiles Verhältnis zu den bei ihnen lebenden kleinwüchsigen Zauberwesen zu unterhalten. Barbara Latierre erwähnte darauf die Absprache zwischen Frankreich und Großbritannien und legte vor den hier versammelten Delegationen die Übersetzung des Friedensvertrages zwischen den französischen Zwergen, Kobolden und Menschen vor. Erlenhain hörte sich den Text an und sagte: "Ja, das geht aber bei Ihnen in Frankreich nur, weil der dort regierende Zwergenkönig genug für sein Volk herausgeholt hat, nämlich dass er die eigenen Gold- und Silberminen ausschöpfen und eigene Barren schmelzen darf, die er dann zu selbst erhobenen Preisen an Kobolde oder Menschen verkaufen darf. Das erwähnt Ihr Vertrag ja unter dem Punkt "Langjähriges vertrauenswürdiges Handelsverhältnis". Ja und die Kobolde bei Ihnen wollen den erhaltenen Status nicht gefährden, wenn sie sehen, was ihren Artgenossen in anderen Ländern widerfahren ist und noch widerfährt. Die bei uns lebenden und arbeitenden Kobolde sehen sehr argwöhnisch auf uns und hören sehr aufmerksam hin, was Malin VII. fordert und was er anbietet. Die beiden Völker bei uns wollen offenbar keine Rückkehr zu einem Status ante commotionem terrestris, sondern neue Machtverhältnisse, die einen durch mehr Goldüberwachung, die anderen durch Gewaltandrohungen. Falls wir es hinbekommen sollten, einen Friedensvertrag zu entwerfen, den auch unsere Zwerge und Kobolde unterschreiben wollen, dann hat sich meine Anwesenheit gelohnt."

"Nichts für ungut, Herr Erlenhain, aber sind wir durch Ladonna und die beiden großen globalen Zauberkraftwellen so schwach und eingeschüchtert, dass wir uns nicht mehr gegen zauberstablose Wesen durchsetzen können", begehrte der belgische Zauberwesenexperte de Bruyne auf. "Wenn wir mitbekommen, dass der flämische Zwergenkönig sich mit Malin VII. auf einen Feldzug gegen uns und die Kobolde verständigen will, dann heißt das im Bezug auf den Codex pacis magicis, dass von sich aus gewalttätige Wesen entweder das Land zu verlassen haben oder gemäß den Regularien zum Umgang mit gefährlichen Geschöpfen vom dafür eingesetzten Ausschuss bewertet und gegebenfalls exterminiert werden, falls nötig nicht nur einzelne Wesen, sondern die ganze Species. Der flämische König weiß das auch und wird sich hüten, sich auf einen Krieg einzulassen."

"Bei allem Respekt, aber dieser Grundsatz des friedlichen Miteinanders basiert auf der Fähigkeit, Entscheidungen treffen zu können und nicht auf potenzielle Gefährlichkeit einzelner Wesen oder Arten. Ja, und der Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe darf nur nichthumanoide Wesen aburteilen und zwar aus dem Grund, dass alle humanoiden, denk- sprech- und handwerklich begabte Wesen einen gemeinsamen Urstamm besitzen und somit verwandt sind", warf Barbara Latierre nun ein. "Allein schon die vielfältig belegten Fälle von Nachkommenschaft zwischen Menschen und humanoiden Zauberwesen, egal ob Zwerge, Kobolde, Meermenschen oder Riesen, ja auch Veelas, Monsieur Latierre, beweisen die Richtigkeit dieser Annahme. Also darf in keinem Land der internationalen Zaubererkonföderation und laut verbindlicher Entscheidung der globalen Magierkonferenz kein Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe über Leben und Tod einzelner humanoider Wesen oder ihrer Völker urteilen. Das muss dann vom Ausschuss zur Bewahrung oder Wiederherstellung magischen Friedens als Form der Gerichtsbarkeit verhandelt und entschieden werden. Ich fürchte, Kollege de Bruyne, da haben Sie etwas falsch verstanden, als sie die Gesetze zum Umgang mit magischen Wesen erlernt haben, die soweit ich das weiß in Belgien genauso beschaffen sind wie in Frankreich."

"Natürlich kommen Sie uns jetzt mit der Urstammdoktrin, dass alle menschenförmigen Wesen mit und ohne Zauberkräfte miteinander verwandt sind. Gilt das dann auch für alle affenartigen wie den Demiguisen?" warf de Bruyne verächtlich ein. Darauf erwiderte Barbara Latierre: "Wie erwähnt, Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, Kollege de Bruyne, und zuhören können Sie offenbar auch nicht. Was habe ich gerade im Bezug auf die Unterscheidung zwischen Tierwesen und Zauberwesen zitiert?"

Julius wollte sich melden. Doch seine gleich neben ihm sitzende Schwiegertante hielt kurz seinen Arm fest, damit er sich nicht melden konnte. Erlenhain antwortete und erwähnte, dass Zauberwesen, die denk- sprach- und handwerksfähig seien mit Menschen verwandt waren und weil sie mit Menschen auch fruchtbare Nachkommen zeugen konnten diese Verwandtschaft nicht all zu fern war. Julius wusste nicht, ob seine Schwiegertante es selbst so persönlich nahm, weil in ihrer Ahnenlinie eine Riesin war oder ob sie es persönlich nahm, weil ihre Schwester Hippolyte mit einem Zwergenstämmigen verheiratet war oder ob er selbst es gerade persönlich nahm, weil seine Frau die Tochter eines zwergenstämmigen Vaters war und seine eigenen Kinder dessen Enkel waren. Da bat die zur deutschen Delegation gehörende Waltraud Eschenwurz ums Wort und sagte: "Soweit ich weiß haben die westeuropäischen Zaubereiministerien vor hundert Jahren eine gemeinsame Gesetzesnovelle in die internationale Zaubererkonföderation eingebracht, dass handlungs- und verständigungsfähige Zauberwesen einen besonderen Schutz gegenüber Tierwesen genießen und selbst die Regeln zum Umgang mit Tierwesen diesen besondere Schutzrechte zubilligen, auch wenn diese nicht als solche schriftlich festgelegt werden, also dass Tierwesen keine Gegenstände sind und die Eigentumsübertragbarkeit immer an die fachlichen Möglichkeiten des neuen Besitzers gebunden ist. Ich könnte also jetzt nicht mal eben eine von Madame Latierres fliegenden Kühen kaufen, wenn ich nicht nachweisen kann, dass ich mit magisch gezüchteten Großtieren umgehen kann und womöglich auch nachweisen muss, dass ich die von den Kühen gebildete Milch abmelken kann. Ich erwähne in dem Zusammenhang den Fall Krötenfuß gegen Hirsenwurz, wo Hirsenwurz der Kauf zweier Greifen untersagt wurde, weil er keine ausreichende freifluganlage für diese Tierwesen vorhalten konnte."

"Ja, aber das erzählen Sie mal einer erwachsenen Knieselkätzin, die meint, sich ständig in der Nähe eines Zauberers aufhalten zu müssen, obwohl dieser keinen Eigentumsanspruch an diesem Tierwesen anmeldet und noch dazu in einer von vielen Magielosen besiedelten Umgebung lebt", warf der österreichische Handelsabteilungsleiter ein. Julius hätte fast wieder ums Wort gebeten. Denn das mit dem Kniesel kannte er ja aus eigener Erfahrung.

"Deshalb ist es ja auch höchst erforderlich, den Bestand und die Unterbringung von derartig wählerischen Tierwesen zu protokollieren und zu regeln", antwortete Waltraud Eschenwurz. Der österreichische Tierwesenbeauftragte bat seinen Landsmann darum, keine unbedachten und ohne vorherige Fallkenntnis vorgebrachte Äußerung außerhalb seines Fachgebietes einzustreuen und erwähnte, dass in erwähntem Fall die Knieselkätzin in einen Bestand hinter einem magischen Zaun lebender Kniesel eingebracht wurde, wo sie selbst als neue Zuchtkätzin leben durfte.

"Diese sicherlich sehr interessanten Begebenheiten aus Ihrem Berufsalltag dürfen Sie gerne mit den dafür zuständigen Fachkollegen diskutieren, meine Herren", sagte der Gastgeber Heinrich Güldenberg. "Hier und jetzt geht es um das Verhältnis zwischen uns Menschen, Kobolden und Zwergen. Es wäre vielleicht günstiger gewesen, hierzu auch die Meinung eines skandinavischen Kollegen zu hören, da die Zwerge oder auch Schwarzalben ja in ihren Hoheitsgebieten erstmalig nachgewiesen wurden, bevor diese anfingen, nach Edelmetall- und Edelsteinvorkommen zu suchen uns sich so im Laufe der Jahrtausende vom Norden in den Süden und im Zuge der globalen Entdeckungsfahrten auch nach Afrika und Amerika weiterverbreitet haben. Insofern behaupte ich jetzt mal, dass alle Zaubereiministerien auf uns sehen, wenn es in Deutschland zu einem Krieg zwischen Zwergen und Kobolden kommt und sich dieser Krieg wie ein Flächenbrand ausbreitet. Ich muss den Einwand Herrn Erlenhains bestätigen, nicht weil er für das von mir geführte Ministerium arbeitet, sondern weil es zutrifft, dass der französische Zwergenkönig auf Grund vor mehr als hundert Jahren vereinbarter Edelmetallausbeutungsrechte im Frieden mehr zu gewinnen und im Kriege alles zu verlieren hat. Ja, und was Sie, werte Kollegen aus Frankreich, im Bezug auf die Kobolde geleistet haben, dass diese sich Ihnen gegenüber sehr zugänglich, dankbar und friedfertig verhalten, ist auch aller Achtung wert. Die bei uns lebenden Kobolde sind bedauerlicherweise der Ansicht, wir wollten sie loswerden, weil wir nach der Befreiung aus dem Feuerrosenbann erkannt haben, dass der langjährige Handelsabteilungsleiter Giesbert Heller sich der mehrfachen Vorteilsnahme und Veruntreuung im Amt schuldig gemacht hat. Die Kobolde behaupten, wir hätten ihn nicht wieder eingestellt, weil er koboldstämmig ist und erwähnen damit so nebenbei, dass sie nur deshalb mit uns zusammengearbeitet haben, weil sie gewissermaßen einen der ihren in unseren Reihen hatten. Tja, da konnte ich Herrn Heller unmöglich wieder in sein altes Amt einsetzen. Daher dürfte es, bei allem Respekt vor Ihrer Leistung, Kollegin Ventvit und der nicht minder hochachtungsvollen Arbeit Ihrer Mitarbeiter, keinen solchen Frieden geben, wie Sie ihn erzielen konnten."

Julius hatte einen Einfall und überlegte, ob er es wagen durfte ihn zu äußern. Als dann de Bruyne meinte, von Güldenberg die nötige Rückendeckung bekommen zu haben sagte er: "Daran erkennen wir, dass es keinen Sinn ergibt, wenn wir andere Zauberwesen ähnliche Rechte zusprechen wie uns, die anderen Zauberwesen jedoch nur im Sinne der eigenen Species denken und handeln. Wenn wir diesen Friedensparagraphen der internationalen Zaubereigesetze weiter unverändert anwenden ist dies gegenüber gierhälsiger Kobolde und ruhmsüchtiger Zwerge ein Schwächeeingeständnis. Ja, ich gehe sogar so weit und sage, wenn es eine verwandtschaftliche Beziehung gibt und ja, wenn humanoide Zauberwesen entscheidungs- und handlungsfähig sind, sie auch die Konsequenzen aus ihren Fehlentscheidungen vollumfänglich zu tragen haben. Also müssen wir, wenn der flämische Zwergenkönig Garloin XI. einen Krieg zwischen seinem Volk und den bei uns nur in Brüssel siedelnden Kobolden vom Zaun brechen will, klarstellen, dass er damit das eigene Volk in den Untergang führt und bereit sein, ihn zur Not in den Abgrund zu stoßen, auf den er ganz von selbst zugeschritten ist. Wir Menschen, die wir gelernt haben, unsere Zauberkraft in kombinierten Kraftausrichtern aus starkem Baumholz und magischen Tierfasern zu kanalisieren, als die stärkere Art auftreten und die uns zugefallene Macht als Auftrag und Verantwortung sehen, bei Gewaltsamen Ausschreitungen mit der nötigen Gewalt einzuschreiten und die Unruhen vollständig und nachhaltig zu beenden."

Julius erkannte, dass das, was er eben noch auf der Zunge hatte, schon nicht mehr angebracht war. Eigentlich hatte er vorschlagen wollen, aus den in Deutschland sicher noch lebenden Koboldstämmigen einen neuen Handelsabteilungsleiter zu erwählen. Doch nun fiel ihm auch ein, dass das nicht nur ein Schwächeeingeständnis den Kobolden gegenüber war, sondern eine willkommene Begründung für Malin VII. war, gegen Menschen und Kobolde zu kämpfen. Ui, das wäre voll die Blamage geworden, dachte Julius. So hörte er dem Geplänkel von Belgiern, Deutschen und Österreichern weiter zu. Die Österreicher nutzten offenbar eine Gelegenheit, dem "großen Bruder" Deutschland eins einzuschenken, weil sie erwähnten, dass Güldenberg mit seiner Koboldbeschwichtigungspolitik durch die Einsetzung von Heller den Wutkessel der Zwerge ja erst angeheizt habe und im Lande der Donau und des Walzerklangs eine Ausgewogenheit zwischen Rechten und Pflichten der menschenförmigen Zauberwesen hergestellt hatten, dass die Kobolde bei unverschuldetem Verlust von Angehörigen und / oder eigenen Werteinheiten aus einem Beistandsfond der österreichischen Finanzabteilung entschädigt wurden. Dies sei noch zur Zeit der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn geregelt worden, mit einer Ausnahme: Vampire und Werwölfe zählten nicht zu den unterstützenswerten Geschöpfen, da ihre Vermehrung zu Lasten anderer Menschen ging und sie somit keinen Anspruch auf Entschädigung bei Todesfällen hätten, zumal diese ja dann verschuldet würden, da sich jedes denkfähige Lebewesen gegen direkte Angriffe verteidigen dürfte. Julius nickte. Sonst hätte er gefragt, ob die von Österreich mitverwalteten Karpaten und der Balkan, das frühere Hauptverbreitungsgebiet europäischer Vampire, eine hohe Entschädigung an die dortigen Blutsauger zu zahlen hatten. Das wäre eine heftige Lachnummer gewesen.

Es stellte sich im Laufe des Vormittags heraus, dass das französische Friedensmodell nur von Österreich übernommen werden wollte, sofern es gelang, den erwähnten Zwergenkönig davon zu überzeugen, dass eigene zusätzliche Minen mehr einbrachten als eine Änderung des Goldwertbestimmungsrechtes.

Nach dem Mittagessen, wobei sich die Gäste zwischen fleischhaltigem, fischhaltigen oder Laktovegetarischem Menü entscheiden konnten ging es um die von Ladonna während ihrer Herrschaft über die deutschsprachigen Länder erbeuteten Zaubergegenstände und Aufzeichnungen. Hier waren sie sich sehr rasch einig, dass Italien die eindeutig aus den bestohlenen Ländern stammenden Artefakte möglichst lautlos zurückerstatten sollte. Dazu wurde eine gemeinsame Verlautbarung und rechtlich bindende Anforderung abgefasst. Dann durften die einzelnen Fachgruppen miteinander sprechen. Sollte es möglich sein, noch eute die ausgehandelten Punkte abzuhandeln konnte morgen noch einmal ausführlich über das Verhältnis zwischen Menschen, Zwergen und Kobolden diskutiert werden. Am 20. März musste die französische Delegation schon abreisen, um am 21. März an der großen Konferenz auf Gotland teilzunehmen.

Julius mentiloquierte am Abend noch mit seiner Frau. Sie grüßte ihn von ihrer Mutter. Der kleine Alain Durin lernte gerade, dass er doch besondere Hände und Füße hatte. "Ma hat sich umgehört. Sie will mit Pa bereden, ob es nicht sinnvoll ist, Alain eine berufsmäßige Ausbildung für seine zwölf Finger zu verschaffen, damit er nicht doch meint, er sei sowas wie eine Fehlentwicklung. Trice hat ihr da einige Kontaktadressen gegeben, die sich mit Bewegungs- und Geschicklichkeitsübungen bei kleinen Kindern auskennen." Julius erwiderte, dass er das auch für richtig halte, dass Alain mit der Besonderheit, zwölf Finger zu haben, richtig umzugehen lernte, nicht als Abart, sondern als etwas einzigartiges, nützliches. Millie bejahte das. Dann wünschten sich beide eine gute Nacht.

Nach Millie mentiloquierte Julius kurz noch Béatrice an und schilderte ihr in einem Satz die Schönheit von Feensand und bedauerte, dass er wohl keine rechte Gelegenheit haben würde, diese verborgene Insel genauer zu erforschen. "Das kommt bei Seminaren oder Verhandlungsreisen leider häufig vor, Julius", bestätigte Béatrice. "Ich bin bei den zwei Heilerkongressen, an denen ich teilnehmen durfte oder musste auch nur wenig in der Gegend herumgekommen. Damals war es Turtles Rest bei Florida und dann die Zauberersiedlung Greifenberg, die Millie und du damals bei der Sonnenfinsternis kurz besuchen konntet. Aber genieße die Seeluft, Julius!" Er bestätigte, dass er dies tun würde und wünschte ihr und dem sich noch entwickelnden neuen Zaubererkind in ihrem Bauch eine erholsame Nacht. Dann war er wieder für sich alleine und beschloss, zu Bett zu gehen.

_________

Drei Kundschafter meldeten ihm, dass alle deutschsprachigen Zaubereiminister sich zu einer Beratung auf einer Insel im nordwestlichen Meer treffen wollten. Der für Malin VII. in der Nähe Güldenbergs lauernde Horcher vermeldete seinem Herrn und König, dass der Beratungsort die Insel Feensand war. Dies schürte das Feuer der Wut in Malins wild pochendem Herzen noch mehr. Man wollte offenbar etwas gemeinsames wider ihn planen, weil Güldenberg allein keinen Mut hatte, sich gegen ihn, den König unter den Bergen des Schwarzwaldes, Herr aller südgermanischen Schwarzalben, zu unternehmen.

Seitdem der übermächtige und viel zu wissbegierige Bund der zehntausend Augen und Ohren von der tödlichen Schönheit aus Italien größtenteils zerschlagen worden war konnten Malins Kundschafter sich auch in der Nähe von Gringotts verstecken, natürlich noch außerhalb der gegen seine Art wirkenden Verdrängungs- oder Vernichtungszauber. So hatte Malin VII. Eisenknoter, Träger eines besonderen Schwertes aus unbrechbarem Gestein, erfahren, dass die Kobolde dem Anführer der deutschen Zauberstabträger gram waren, weil er ihren Lieblingsgoldverwalter Giesbert Heller nicht mehr auf seinen Posten zurückgeholt hatte. So war verständlich, dass Güldenberg sich Rückendeckung und Kriegsverbündete suchte, um zumindest ihn, Malin, niederzuhalten.

Was Malins Wut jedoch noch mehr anheizte war die Meldung, dass Güldenberg auch die Minister aus seinen unmittelbaren Nachbarländern Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande zu dieser Beratung eingeladen hatte. Wenn die Franzosen dem auftischten, dass sie den Dickwanst Roudorin Bierfeuer eine Menge Süßbrei ins verfressene und versoffene Maul gelöffelt hatten, weil der mehr für die von seinem Volk hergestellten Sachen bekam und weil man ihn für seine Weitsicht bewunderte, man könne ja einen Goldwertbestimmungsrat einberufen, bei dem er mitmachen durfte, könnten die überheblichen langen Leute meinen, jeder König unter den Bergen sei so leicht zu beruhigen. Gut, der flämische König hatte den über ihn herumlaufenden Belgiern und Holländern schon klargemacht, dass die Zeit des ewigen Stillhaltens vorbei war. Doch König Garloin XI. wollte nicht alleine losziehen, um die in Brüssel nistenden Langfinger zu vertreiben oder wie Felsenwühlergelege zerstampfen. Der wartete darauf, dass er, Malin, das Schwert zog und sein Kriegshorn blies.

"Feensand ist für uns unerreichbar, weil da diese Wasserwirbelwand ist, die diesen Flecken Land im Salzwasser für Augen verbirgt und unerreichbar macht. Da kommen wir mit unseren Tiefenkreuzern nicht hin, weil dieser Wasserwirbel bis tief in den Meeresgrund reicht und vom Atem des Meeres auf und abbewegt wird", bestätigte der Meister der Kriegergilde. "Dieser widerliche Wasser- und Luftzauber stört die durch die Erde führenden Stränge. Deshalb kommen wir dort nicht hin."

"Ja, das ist mir bekannt, und wohl deshalb treffen die sich dort. Doch ich hörte, dass Großmeister Borodin Zauberweber von der Gilde zauberischer Weber und Schneider einst mit Schmiedemeister Andurin Silberschläger für eine dort lebende Zauberstabträgerin ein Untergewand gefertigt hat, in das von Silberschläger gezogene Stränge aus in vier Vollmondnächten bezaubertem Silber eingefügt sind. Es ist ein Kleidungsstück, dass alle sieben Zauber hoher Schilde in sich birgt und für die Trägerin benutzbar macht. Ich werde Borodin fragen, wie dieser Handel geschlossen wurde und ob er hierfür auf die Insel reiste", sagte der König. Dann schickte er den Großmeister der Kriegergilde fort und schickte seinen dritten Leibwächter aus, um den erwähnten Schneidergroßmeister herzuholen.

Eine Viertelstunde dauerte es, bis ein mehr als zweihundert Jahre alter Zwerg mit kieselbleichem Stoppelhaar und dem bis zum Unterleib hinabreichenden Bart eines erfahrenen Meisters die Höhle der Herrschenden betrat. Er trug ein rot-silbernes Lederwams, eine hautenge, blau-silberne Hose und an den Füßen schwarz-silberne Stiefel, die eindeutig aus der Haut eines Drachens gefertigt waren. Auf dem Brustteil des Wamses prangte ein goldener Wappenknopf, der die zwei Scheren und die von Zwergenrunen umringte Garnrolle der Zauberschneidergilde zeigte. Als der ältere Schwarzalb den rechtmäßigen König auf dem eisernen Stuhl der Herrscher sah sank er mit leise knirschenden Gelenken auf die Knie. Malin fühlte, dass von dem herbeigeholten Meister der Hauch eines starken Zaubers ausging. Ja, selbst das auf dolchgröße eingeschrumpfte Schwert an seinem Gürtel erfasste den Hauch starker Zauber, denn es erbebte oder vielleicht auch nur die es auf Dolchlänge verkleinernde Scheide.

"Ihr dürft aufstehenund euch auf eine der Anhörungsbänke setzen, Großmeister Zauberweber", sagte Malin VII. ungewohnt sanft und ruhig. Der König der Zwerge wusste, wann es besser war, mit einem erfahrenen und weithin anerkannten Meister oder Großmeister seines Handwerks ruhig zu sprechen, wenn der was hatte, was er gerne wollte.

Borodin Zauberweber befolgte die Anweisung seines Herren und Königs. Dieser sah ihn an und fühlte die innere Stärke und jahrhundertealte Erfahrung des anderen. Irgendwas in ihm flüsterte, dass er diesen da besser nicht zum Gegner im Kampf um seine Königswürde haben wollte. So fragte er ihn leise, ob er eine angenehme Anreise gehabt hatte.

"Euer Schwertträger und treuer Diener trieb mich, meine Arbeit zu unterbrechen und mich in Eile zu Euch zu begeben, mein Herr und König", sagte Borodin mit einer seinem äußeren Erscheinungsbild entgegenstehend jung klingenden Stimme. Malin nickte und sagte: "Es mag sein, dass sich die Zauberstabträger wider unser Volk zusammentun und beraten, wie sie uns bekämpfen können. Sie haben sich auf Feensand versammelt, einer Insel im nordwestlichen Meer, die weder von uns noch von den langfingrigen Spitzohren betreten werden kann, falls die dort lebenden dies nicht erlauben. Ich erhielt Kunde, dass Ihr zusammen mit dem vor zehn Wintern zu Durins wärmenden Feuern heimgekehrten Meister Silberschläger einst für eine dort lebende Zauberstabträgerin ein höchst wertvolles Kleidungsstück geschneidert habt. Hat sie euch dazu eingeladen, es ihr nach Feensand zu bringen?"

Borodin blickte seinen König mit einer Mischung aus Bedauern und Unbehagen an. Daraus konnte Malin schon erkennen, dass ihm die Antwort nicht gefallen mochte. Dann hörte der König sie auch schon. "Ihr meint das Mieder der sieben hohen Schilde, mein rechtmäßiger König. Ja, es ist so, dass Euer in ewigem Ruhm und Frieden in Durins Hallen eingekehrter Herr Vater mich damals beauftragte, dieses so machtvolle Kleidungsstück zu fertigen, weil sein Bruder dieser Hexe, einer Gundula Wellenkamm, einen Bartschwur geleistet hat und eben jener von Eurem von Durin gesegneten Vater selbst einen Dienst abgerungen haben soll, über den ich jedoch selbst nichts erfuhr. Jedenfalls schuf ich aus den Fäden mächtiger Tiere und fein gesponnenen Strängen aus gediegenem Silber ein den Leib einer sich kleidenden Frau umschließendes und formendes Mieder und passte es ihr, die sich mir dafür in ihrer von der allgebärenden Mutter zugeteilten Erscheinung enthüllte an. Dafür trafen wir uns jedoch nicht auf Feensand, sondern am Felsen von Norderblick, dem Stein, in dem die Priester des Njörđr Segenswünsche für ihre Schifffahrer eingeschrieben haben. Sie erwähnte, dass ihre Heimstatt auf Feensand von einem langsam kreisenden Wall der Wasser und Lüfte umgeben sei, den nur große Leute mit Zauberstäben durchdringen konnten und seit der Schlacht von Grauanger weder Schwarzalb noch keltischer Langfinger dort Zutritt bekäme, selbst wenn er auf Einladung einer wichtigen Bürgerin käme."

"Du hast ihr also dieses Mieder übergeben, wo jederzeit jemand hätte zusehen können?" wollte Malin wissen, der es sich gerade vorstellte, wie einer seiner Leute eine unbekleidete Frau ansah und wohl auch berührte, um ihr ein Kleidungsstück anzumessen. Wie alt war sie damals? Das fragte er. "Es ist vierzig Sommer und Winter her, dass euer Vater mich beauftragte, dieses Kleidungsstück zu schneidern, mein Herr und König. Sie war da wohl schon ausgewachsen und von ersten wichtigen Erfolgen und Niederlagen gestärkt. Heute dürfte sie mehr als 75 Sommer alt sein. Doch seit der Anprobe und Endabstimmung habe ich sie nicht mehr angetroffen. Aber ich weiß, dass Eure Familie in ihrer Schuld stand. Wie gesagt ist ihr Name Gundula Wellenkamm."

"Ja, ich erinnere mich, dass mein ehrenvoll zu Durins wärmenden Feuern heimgekehrter Vater diesen Namen erwähnte und dass er meinen Oheim Dvarin Eisenschürfer immer wieder verwünscht hat, weil der diese mit einem Bartschwur besiegelte Schuld auf sich und unsere Familie geladen hat. Ob sie mit Eurem Werk abbezahlt wurde, Großmeister Borodin weiß ich nicht. Mein Vater wollte mir nie erzählen, was mein Oheim genau zu entrichten hatte und warum. Ich weiß nur, dass er bei der Länge seines Bartes schwören musste, auf Anfrage die Schuld abzuzahlen und er meine Familie mit in diese Rückerstattung einbezogen hat."

"Euer Oheim lebt selbst nicht mehr, richtig. Er fiel einem wütenden Höhlentroll zur Beute, weil er meinte, diesem seinen Schatz entreißen zu können, richtig?" fragte Borodin mit gewisser Beklommenheit. Malin fühlte, wie neue Wut in ihm aufflackerte. Doch er hielt sie nieder. Denn er wusste nun, dass Borodin selbst Kleidung trug, die mit dem Zauber der sieben hohen Schilde verwoben war. Wenn er dazu noch die Haut eines oder mehrerer Drachen oder Bergtrolle verwendet hatte mochte selbst das Schwert Norin Feuertreters nicht dort hindurchdringen, weil es da selbst mit Zaubern belegt war. Also blieb dem König nur, die eiserne Selbstbeherrschung zu bewahren.

"Ja, mein Oheim war so einfältig, einer zugetragenen Behauptung zu folgen, einem unter den mittelhohen Bergen des Nordostens lebenden Höhlentroll einen Kopfgroßen Stein abnehmen zu wollen, der als gläsernes Herz der hundert mächtigen bezeichnet wurde. Tja, wie mächtig dieses Herz ist bekam er dann zu spüren, weil der es hütende Höhlentroll davon zu unbezwingbarer Stärke erhöht wurde und meinen Oheim erschlug und womöglich auch verschlang, um dessen Fleisch, Blut und Knochen in seine eigene Stärke einzuverleiben. Deshalb kann ich ihn nicht mehr befragen, was die von ihm aufgehäufte Schuld ist oder war. Aber ich danke euch, Großmeister Borodin Zauberweber, dass Ihr mir meine Fragen beantwortet habt. Wenn ihr es möchtet dürft Ihr wieder an eure Arbeit gehen."

"Wie Ihr gebietet, mein Herr und König", sagte Borodin und stand von der Bank der Anzuhörenden auf. Sofort traten zwei Leibwachen des Königs herein und geleiteten den alten Zauberschneider hinaus.

"Vielleicht weiß sie, was Vater und Oheim Dvarin da abzugelten hatten", dachte Malin. Er wusste jedoch, dass seine Mutter ihm nur die Sachen erzählte, von denen sie wollte, dass er sie wusste. Abgesehen davon konnte es auch sein, dass sein Vater es ihr nicht erzählt hatte und sie es eben nicht wusste. Die Vorstellung, dass da ein Zauberstab tragendes langes Weib ihn als Erben seines Vaters noch um eine Schuldigkeit bitten konnte, weil sein Oheim so sehr in ihrer Schuld stand, dass er ihr sogar den heiligsten Schwur leisten musste, den die Schwarzalben schwören konnten, gefiel ihm nicht. Er konnte nur hoffen, dass die Schuld seiner Familie mit der Herstellung und Übergabe jenes schützenden Kleidungsstückes abgegolten war.

"Ihr seid also auf Feensand sicher vor jedem unerwünschten Sohn meines Volkes. Nun, so werde ich es euch gleichtun und selbst einen Rat einberufen, auch wenn der dickbäuchige Roudorin Bierfeuer sich mir verweigern mag. Der Rat der neun Könige wird beschließen, dass die Zeit des Stillhaltens endet. Swordgrin Klingenmeister und mein flämischer Zechkumpan Garloin Felsenbrecher, sowie Huorchino Feuerklinge werden mir beipflichten, das Goldverwahrungsrecht der Langfinger zu beenden, und wenn ihr euch auf dieser Festungsinsel Feensand bis zum Ende aller Tage einschließen wollt."

Malin brauchte eine Stunde, um die Bitte um eine Zusammenkunft der neun hohen Könige unter allen Bergen der Welt zu schreiben. Denn er wollte es nicht dem Hüter der Erinnerungen überlassen, einen derartig wichtigen Aufruf niederzuschreiben. Dem Großmeister aller Boten befahl er, den Wortlaut neunmal abzuschreiben und jede Abschrift zu einem der acht anderen Könige tragen zu lassen. Eine der Abschriften wollte Malin in der goldenen Halle der Erinnerungen verstauen, als geschriebene Erinnerung für spätere Könige.

Irgendwie musste seine Mutter Miru von diesem Vorhaben erfahren haben. Das Gewebe der redseligen Weiber war schier vielfältig und empfindlich. Jedenfalls sang sie ihm zu, er möge sich in ihren Gemächern einfinden. Auch wenn er der König war, sie gebot immer noch über ihn, seitdem sie ihn in in ihrem Schoß herangetragen, unter ihr und ihn peinigenden Qualen geboren und mit der Milch ihrer Brüste genährt hatte. Er konnte sich ihrem Willen nicht widersetzen. Was sie von ihm wollte hatte er zu erfüllen. Doch das durfte außer ihr und ihm keiner wissen. Es war ihr größtes, das Leben schützende oder auch beendende Geheimnis.

"Du willst jetzt doch die acht anderen Könige zusammenrufen, mein Sohn? Haben die Spitzohren doch was gegen uns geplant? Ich hörte, dass deren Geheimbund der zehntausend Augen und Ohren von der Dreiblüterin zerschlagen wurde. Also, was genau hast du erfahren und was erhoffst du dir vom Rat der neun Könige?"

Malin berichtete vollständig und wahrheitsgemäß, was er erfahren hatte und wieso er nun davon ausging, dass er und die acht anderen rechtmäßigen Könige sich auf einen Feldzug gegen die Zauberstabträger und Kobolde vorbereiten sollten, jetzt wo die Dreiblütige angeblich entmachtet worden war.

"Du hast von der alten Schuld erfahren, die der Bruder deines Vaters auf sich lud, richtig. Ja, ich weiß davon, dass es diese Schuld gibt, die angeblich alle blutsverwandten von ihn einbezog. Willst du wirklich wissen, warum sich dein Oheim, dieser Narr, die ganze Blutsverwandschaft in den Dienst dieser Hexe Wellenkamm getrieben hat?"

"Ich will wissen, ob diese Schuld mit dem von Borodin geschneiderten Kleidungsstück abgegolten wurde und ob sie mich und meine Brüder noch um irgendwas angehen kann, Mutter."

"So, das wilsst du", brummte seine Mutter Miru Silberstimme. Dann erzählte sie es ihm. Er hörte zu und erbleichte. Immer wieder griff er sich an den eigenen Bart. Als sie dann sagte, dass deshalb nicht nur der Wall der langsam kreisenden Wasser und Lüfte den Zutritt nach Feensand verwehrte, sondern die Blutsverwandten seines Vaters nicht dort selbst hingehen durften, ohne gleich von ihrer Familie zu einer Gegenleistung verdingt zu werden, die auch nach dem Tod des unglückseligen Oheims bestand, wusste Malin, warum die deutschsprachigen Zauberer sich auf Feensand trafen. Jemand musste denen verraten haben, dass sie dort vor ihm und seinem Volk vollkommen sicher waren. Dann straffte er sich und sagte: "Ja, damit musste ich ja schon rechnen, Mutter. Genau deshalb entschloss ich mich, den Rat der neun Könige einzuberufen. Wenn außer mir noch vier weitere Könige dieser Bitte folgen, so sind die vier verbliebenen gehalten, ebenfalls hinzukommen. Ich werde mit denen zusammen beschließen, wie wir uns endlich unsere alten Rechte und Machtbefugnisse zurückholen können, selbst wenn Bierbauch Roudorin Bierfeuer sich dem widersetzen sollte, weil er den Schneckenschluckern und Weinschlürfern wohlgesinnt bleiben will. Das Goldhütungs- und Goldwertbestimmungsrecht gehört nur den Söhnen Durins, ehre seinem Andenken und aller Ruhm seiner Sippen!"

"Du musst erst herausfinden, ob diese Gundula Wellenkamm mächtige Verbündete hat und ob diese in ihrem Namen noch eine Restschuld von dir und deinen Brüdern einfordern können. Es wäre wider Durins Willen, wenn ihr in einen Krieg zieht und der erste beste Zauberstabschwinger dir Einhalt befehlen kann, weil er für dieses Weib spricht und in ihrem Namen noch was von dir abverlangen kann, und sei es die bedingungslose Unterwerfung unter die Herrschaft aller Zauberstabträger und die Knechtschaft im Dienste der Langfinger. Finde erst heraus, ob es sich lohnt, zu einem Feldzug zu blasen! Denn wenn du scheiterst könnte dich einer der acht anderen zum Kampf der Könige herausfordern, um unser großes Reich in seines einzufügen."

"Doch nicht Roudorin Bierfeuer oder der flämische Zauderling", lachte Malin. Doch seine Mutter sah nicht so aus, als habe sie einen Scherz getrieben. Sie sagte ruhig: "Die zwei wohl nicht. Aber Swordgrin oder einer der nordländischen Könige könnte finden, dass die Gelegenheit günstig sei, dich zu fordern und im heiligen Zweikampf zu besiegen, was gleichbedeutend mit deinem Tod und dem Tod deiner Brüder ist und damit dem Ende all dessen, für das ich meinen Leib und meine Lebenszeit eingesetzt habe, du Heißsporn. Also sichere es ab, dass sie dich nicht für einen blindwütigen, unwissenden Narren halten, der es verdient hat, entmachtet zu werden!" Jetzt lachte Malin nicht mehr. Nein, er konnte wohl für längere Zeit nicht mehr lachen. Doch nun hatte er schon die Boten ausgeschickt, um die acht Könige zum Rat zu rufen. Innerhalb von zwei Mondkreisen musste die Antwort erfolgen, ob dieser Rat zustande kam. Sicher, er konnte die Bitte widerrufen. Doch das war ein Schwächeeingeständnis, dass er weder vor den anderen acht, seinem eigenen Volk und erst recht sich selbst nicht leisten wollte und nicht leisten durfte. Ihm kam der unangenehme Gedanke, dass er besser darauf hoffen sollte, dass mehr als vier der acht anderen Könige den Rat der neun ablehnen würden, damit er selbst nicht mehr daran teilnehmen musste. Doch keinen Atemzug später siegte seine wilde Entschlossenheit. Er wollte allen beweisen, dass er zurecht und zum Ruhm und Wohl seines Volkes König unter den Deutschen Bergen war.

__________

Der 19. März begann wie üblich mit der Meldung, dass der Nachtschutzmodus beendet wurde. Weil die Fachzauberer für magischen Handel und internationale Zusammenaarbeit sich dazu entschlossen hatten, in einer großen gemeinsamen Gruppe zu beraten, welche Verbesserungen es noch geben konnte nutzte Julius Latierre die Gelegenheit, als einziger französischer Abgesandter des Büros für friedliche Koexistenz zwischen Menschen mit und ohne magische Fähigkeiten mit Armin Weizengold und seiner Mitarbeiterin Bärbel über die Möglichkeiten besserer Nachrichtenüberwachung zu reden und die Weiterentwicklung des Türsteherprogrammes zu besprechen, dass in großen Internetknotenpunkten alles abfing, was die Zaubereigeheimhaltung gefährdete. Um elf Uhr morgens trat Barbara Latierre an ihn heran und bat ihn, für einige Fragen in die Gruppe der Beamte mit Zuständigkeit für magische Wesen herüberzukommen. Es ging um Lykotopia und ob mittlerweile offiziell war, dass die Sekte der Vampirgöttin ebenfalls auf das Internet zugreife. Julius erwähnte, was er selbst darüber erfahren und was andere Stellen wie das Laveau-Institut dazu recherchiert und durch eigene Überwachung herausgefunden hatten. Dann wurde er gefragt, wie er die Zuteilung von Vampirblutresonanzkristallen erwirkt hatte. Die anderen für magische Wesen zuständigen Beamten hatten bisher gerade je zehn Kristalle für ihr Ministerium erhalten und seien bei ministeriellen Anfragen von der Zaubereiadministration der Staaten höchst deutlich darauf hingewiesen worden, dass gemäß der internationalen Beziehungen Produkte aus anderen Ländern ausschließlich über die Handelsabteilungen der den Handel beabsichtigenden Ministerien abzuwickeln sei. Julius sah Barbara Latierre an, die ihm zunickte. Er erwähnte, dass das französische Zaubereiministerium einen Gefahrenfallparagraphen bemüht habe, um die Hersteller die Gefahr abwehrender Mittel anzuschreiben. ER wande aber auch ein, dass die Behörde zur Erfassung und Überwachung von Vampiren in Frankreich sich beklagt habe, dass das Büro für friedliche Koexistenz mehr dieser Kristalle zugesprochen bekommen hatte als sie und begründete es damit, dass mindestens ein Mitglied jener Sekte der Vampirgötzin über naturwissenschaftliche Kenntnisse der nichtmagischen Welt verfüge und daher wohl die Forschungs- und Lehranstalten für Medizin, nichtmagische Chemie und Physik unterwandern wollten, um dortige Forschungserkenntnisse auszunutzen. Dies sei bereits mehrfach versucht worden. Unter anderem deshalb könnten die Mitglieder jener Vampirgruppierung ja mit Ganzkörperschutzhäuten im direkten Sonnenlicht herumlaufen, ohne davon getötet zu werden. Dann wurde er noch zum Verhältnis der französischen Veelas und Veelastämmigen und den Menschen befragt. Da er hierzu die klare Erlaubnis der Ministerin und seiner Schwiegertante hatte erläuterte er den Friedensvertrag zwischen Menschen und Veelastämmigen und dass deshalb auch jenes goldene Licht zur Verfügung gestellt wurde, mit dem die Ladonnas Feuerrosenzauber unterworfene Hexen und Zauberer befreit werden konnten. Da es in Deutschland gerade eine Veelastämmige gab, für die Julius als von den Veelas erwählter Fürsprecher ganz Europas mitzuständig war bot er Barbaras deutschem Amtskollegen und dessen mitgebrachtem Leiter des Büros für Zauberwesen oberhalb der Zwergen- und Koboldgröße an, den mitgeführten Vertragstext Punkt für Punkt zu übersetzen. Dieses Angebot wurde angenommen. Er durfte es dann am Nachmittag wahrmachen.

Die anderen Abteilungsleiter verständigten sich in seinem Beisein darüber, dass sie ihre obersten Dienstherren davon überzeugen mochten, ebenfalls mit dem Laveau-Institut direkten Kontakt aufzunehmen. Da wandte die Zauberwesenbehördenleiterin Luxemburgs, Amélie Bleumont ein, dass die Heilerzunft der vereinigten Staaten erwirkt habe, dass dieser die Herstellung jener VBR-Kristalle zugänglich gemacht wurde. Somit könne sie, die sie ja auch Kontakt zur Heilerzunft ihres Landes habe, einen Beistandsantrag erwirken lassen, um über einen Umweg genug Kristalle zu erhalten. Sie sah den Kollegen Hintersee aus der Schweiz an und sagte: "Bekanntermaßen pflegen die Nichtmagier viel von ihrem Geld auf Ihren wie unseren Banken einzulagern. Da Geld bei denen denselben hohen Machtfaktor darstellt wie Gold und Silber bei uns dürfte es ebensowichtig sein, die Geldverwahrunternehmen gegen die Unterwanderung oder gar Unterwerfung dieser Vampire zu sichern. Denn wenn es dort welche gibt, die sich mit Forschungs- und Lehreinrichtungen auskannten dann womöglich auch solche, die sich mit den Finanzgefügen der nichtmagischen Welt auskannten und sicher schon planten, dieses zu beeinflussen.

"Hmm, da mögen Sie zum dreigeschwänzten Tatzelwurm recht haben, Kollegin Bleumont. Ich habe auch eine Cousine, die in der eidgenössischen Heilerzunft arbeitet. Vielleicht geht da was in der Richtung. Dürfen Sie Ihre Elektrorrechnergeräte nur im Auftrag Ihres Ministeriums benutzen oder darf auch die französische Heilerzunft darauf zugreifen?" fragte Eckbert Hintersee Julius. Dieser erwiderte, dass er die ministeriellen Rechner nicht im Auftrag der Heilerzunft benutzen durfte, es sei denn, die Heilerin oder der Heiler vom Dienst erhalte von der Ministerin und der Leiterin der Behörde für friedliche Koexistenz die ausdrückliche Genehmigung, einen bestimmten Nachforschungs- oder Kontaktauftrag ausführen zu lassen. Doch da hierzu noch eine klare Abstimmung zwischen Ministerin Ventvit und Heilzunftsprecherin Eauvive ausstehe dürfe er derzeitig nichts in dieser Richtung unternehmen. Er verwies darauf, dass die Heilerzunft ja doch noch genug magische Schnellverbindungen unterhalte, um internationale Absprachen und den Austausch von Wissen und Erzeugnissen zu regeln. Wenn also wirklich die US-amerikanische Heilzunft durchgesetzt hatte, dass das Laveau-Institut die Herstellungsweise der VBR-Kristalle mit ihr teilte, so war da doch was im Rahmen der zehn Heilerdirektiven möglich, die unter anderem ja auch verlangten, erworbenes Wissen mit anderen Heilern zu teilen, wenn sich dies anbot oder es erforderlich war. Bleumont und Hintersee nickten eifrig. Also kannten sie das schon. Amélie Bleumont erwähnte in dem Zusammenhang, dass sie während ihrer Zeit in Beauxbatons von 1960 bis 1968vier Jahre lang Pflegehelferin gewesen war und ihr Ersthelferinnenstatus immer noch gelte. Das ging genau in Julius' Richtung. Denn der wusste nun, dass Heiler auf zertifizierte Ersthelferinnen und Ersthelfer zurückgreifen konnten, wenn sie deren besondere Fachkenntnisse und Fertigkeiten benötigten um ein heilmagisches Problem zu lösen. Das mochte die Hintertür sein, die den französischen Heilern die Möglichkeit gab, auf die Erzeugnisse des Laveau-Institutes zuzugreifen. Doch laut aussprechen wollte er diese Vermutung nicht, um die Verhandlung zwischen Ministerin Ventvit und Heilzunftsprecherin Eauvive nicht zu torpedieren. Am Ende wussten die beiden das sowieso schon und hatten ohne sein Wissen eine entsprechende Übereinkunft getroffen. Doch dann durften die anderen hier anwesenden es nur von ihr selbst erfahren und nicht von ihm.

Barbara bedankte sich für Julius' fachkundigen Beitrag und bat ihn, sich am Nachmittag für die Aussprache über das Verhältnis zwischen Veelastämmigen und magischen Menschen bereitzuhalten. Für ihn hieß das, dass er in dieser Gruppe erstmal nicht mehr gebraucht wurde. Er bedankte sich für die ihm gebotene Aufmerksamkeit und kehrte zur kleinen Gruppe um Armin Weizengold zurück, zu der sich nun auch der schweizer Handelsabteilungsleiter dazugesellt hatte. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht loszugrinsen, als der Handelsabteilungsleiter anmerkte, dass wegen der vielen in seiner Behörde tätigen Beamten mit nichtmagischem Hintergrund auch die Befürchtung aufgekommen war, dass Gruppierungen wie Vita Magica, die Werwolfvereinigung Geschwister des Mondes und die weltweit operierenden Vampirvereinigungen finden mochten, die vielen verschwiegenen Banken in seiner Heimat zu unterwandern oder in ihrem Sinne zu lenken, um ein Chaos in der nichtmagischen Finanzwirtschaft anzurichten und ob hierzu nicht auch Schutzvorkehrungen aus der der Abteilung für magische Wesen angefordert werden konnten. Julius erwiderte, dass diese Gefahr bereits von der Abteilung zur Erfassung und Betreuung magischer Geschöpfe erkannt worden war und bereits Gespräche darüber stattfanden, wie eine Zusammenarbeit mit der Behörde für friedliche Koexistenz ablaufen möge.

"Minister Güldenberg wurde ziemlich deutlich darum gebeten, sich nicht mit dem Laveau-Institut zu verständigen, ob wir in Deutschland noch mehr VBR-Kristalle bekommen, Monsieur Latierre. Sonst hätte ich meine Mitarbeiterin Fräulein Weizengold längst darum gebeten, ebenfalls bei der Arkanetabteilung dieses Institutes anzufragen", erwähnte Armin Weizengold. Seine Mitarbeiterin und einzige Tochter nickte bestätigend. Sie bat ums Wort und fügte hinzu: "Wegen der zeitweiligen Unterwerfung unter Ladonnas Feuerrosenzauber und weil die USA gerade nicht wissen, wie sie ihre magischen Angelegenheiten weiter verwalten konnte Minister Güldenberg nur mit den Regionalvertretern aus Louisiana reden. Die haben ihm klargemacht, dass das Laveau-Institut gehalten sei, nur auf dem Boden der USA ihre besonderen Erzeugnisse anzubieten und es daher nach den von Cartridge, Dime und Buggles genehmigten Ausfuhren keine weitere Unterstützung geben dürfe. Ja, die haben in diplomatisch wohlformulierter Weise angedeutet, sie könnten auch die Rückgabe bereits ausgehändigter Gegenstände und / oder Aufzeichnungen erwirken, weil die Regionalverwaltung Louisiana darauf bedacht sei, keine internationalen Verwicklungen zu verursachen, solange es keine klare und mehrheitliche Abstimmung mit den anderen Regionalverwaltungen gebe, Monsieur Latierre. Tja, und weil nun ziemlich sicher ist, dass es einen neuen magischen Kongress der USA geben wird sollen wir gütigst solange mit allen in die Staaten gehenden Anfragen zum Handel oder der Gefahrenabwehr warten, bis dieser Kongress konstituiert ist. Will sagen, bis dahin darf gerne die Welt untergehen."

Armin Weizengold räusperte sich tadelnd und wies seine Mitarbeiterin zurecht, keine abfälligen Bemerkungen zu amtlichen Institutionen zu machen. Dann sagte er: "Soweit wir erfuhren soll dieser neue Makusa ja noch in diesem Jahr konstituiert werden. Es mag dann wohl noch einige Wochen dauern, bis dort entschieden wurde, inwieweit das Laveau-Institut eine Außenstelle oder weiterhin unabhängige Institution ist und dann feststehen, ob wir nur über den Makusa oder über die Direktion des Laveau-Institutes Anfragen zur Übereignung von Hilfsmitteln oder Beistandsleistungen in klar begrenztem Rahmen stellen dürfen oder nicht. Bis dahin sollten wir den Weltuntergang wohl hinauszögern oder sogar weitgehend verhindern können, Fräulein Weizengold, Monsieur Latierre."

"Zumal die nichtmagischen Staatsführungen ja nicht erst zu uns kommen, falls sie vorhaben sollten, einen weltweiten Atomkrieg zu führen und wir wegen der Geheimhaltung der Zauberei und der damit verbundenen Nichteinmischung in nichtmagische Angelegenheiten nicht verhindern können, dass der Ausstoß die Erdatmosphäre aufheizendr Abgase fortgesetzt oder gar gesteigert oder vielleicht sogar gesenkt wird", wusste Julius einen passenden Einwurf. Bärbel nickte ihm dankbar zu, während ihr Vater verdrossen dreinschaute und dann widerwillig nickte.

Nach dem Mittagessen durfte Julius den hier anwesenden Vertretern der Abteilungen für magische Geschöpfe den vollständigen Friedensvertrag zwischen französischen Zaubererweltbürgern und Veelastämmigen vorlesen und Punkt für Punkt übersetzen. "Das werde ich bei dem mit diesen anstehenden Treffen auch Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den slawischen Ländern und den skandinavischen Ländern darlegen, Ladies and Gentlemen. Aber womöglich kann ich im Namen der internationalen Zusammenarbeit schon gutes Wetter verheißen, wenn wir hier und heute oder spätestens bis morgen nachmittag erörtern, ob Ihre Ministerien bereit sind, dieses Vertragswerk für die bei Ihnen wohnenden Veelastämmigen zu übernehmen. Ihre Kollegen in Großbritannien, wo wie in Deutschland eine einzige Veelastämmige und ihre Familie lebt, zeigten sich sehr zustimmungsfreudig und deuteten an, dass sie eine ähnliche schriftliche Übereinkunft treffen wollten", sagte Julius nach dem Verlesen des Vertragswerkes. Dabei sah er mit voller Absicht die Vertreter aus Deutschland an. Diese erwiderten, dass sie bereits mit Minister Güldenberg darüber gesprochen hatten, einen dauerhaften Frieden zwischen Menschen und Veelas zu schließen, aber es im Moment keine rechte Zustimmung aus der magischen Bevölkerung gebe, da diese nach Ladonnas Machtansprüchen ein starkes Misstrauen gegenüber Veelastämmigen hätten. Barbara Latierre kam Julius mit einer Antwort zuvor: "Genau deshalb, um eine solche Missstimmung zu beenden haben Ministerin Ventvit und die älteste in Frankreich lebende Veela diesen Vertrag überhaupt geschlossen, um klarzustellen, welche Rechte und Pflichten jede Seite einzugehen hat und aus der Überzeugung heraus, dass nur ein klares, gegenseitig bekundetes Verständnis beider Gruppen Vorstöße von der Art Ladonna Montefioris im Ansatz verhindern und somit die Freiheit beider Gruppen bewahren könnte, so wie es die von Monsieur Latierre als Grund für die Vertragsschließung verlesen wurde. Gut, Sie beherbergen derzeit nur eine Veelastämmige in Ihrem Land. Doch diese dürfte ja bald selbst eine Familie gründen. Deren Mitglieder dürften dann in zwanzig oder dreißig Jahren eigene Familien gründen. Wäre es da nicht sehr von Vorteil, wenn diese Veelastämmigen sich nicht als nur geduldete oder zu verwaltende Wesen, sondern als gleichberechtigte Mitglieder der Deutschen Zauberergemeinschaft verstehen dürften?" Ihr Kollege aus Deutschland nickte, bat jedoch darum, das Thema mit dem Minister persönlich erörtern zu dürfen, bevor er eine klare Aussage dazu treffen mochte. Dies wurde ihm natürlich zugestanden. Julius überließ ihm hierfür eine Kopie des französischen Originalvertrages wie auch die ins Englische übersetzte Kopie. "Wie Sie sicher noch von der grandiosen Weltmeisterschaft in Millemerveilles wissen vermag Minister Güldenberg sowohl die englische als auch französische Sprache zu sprechen, zu lesen und zu schreiben", erwähnte der deutsche Leiter des Zauberwesenbüros. Dann ging er mit den überlassenen Kopien an den kleinen Tisch, an dem sich die Minister und Ministerinnen zusammengesetzt hatten, um auf höchster Ebene miteinander zu sprechen. Julius sah den wattebauschartigen Gegenstand auf der Tischmitte. Das war Florymonts grandiose Erfindung, um unter freiem Himmel oder auf kleinem Raum in einem großen Saal unabhörbar sprechen zu können. Dabei hatte der die von Hermine Weasley übernommene Technik weiterentwickelt.

Als der Leiter der deutschen Zauberwesenbehörde von seinem obersten Dienstherren einen Wink erhielt, in den geschützten Bereich einzudringen setzte der sich in die Runde. Julius beobachtete, dass Ornelle Ventvit nickte und fing ihren zufriedenen Blick auf.

"Ich habe die Mittagspause genutzt, um mit unserem Sprecher der Heilzunft zu kontaktfeuern", sagte Amélie Bleumont. "Es mag sein, dass ich bis morgen früh noch eine klare Übereinkunft der französischsprachigen Heilzunftsprecher erhalte, ob und wie Sie über jenes Geflecht namens Arkanet das Laveau-Institut um weitere Zuteilungen von Vampirblutresonanzkristallen bitten können. Ja, ich hörte von meinem deutschen Kollegen, der gerade am Tisch der Minister sitzt, dass Minister Güldenberg von der Regionalverwaltung Louisiana aufgefordert wurde, keinerlei Anfragen an das Laveau-Institut zu richten. Doch wenn es eine klare Übereinkunft zwischen Heilerzunft und den Ministerien mit französischsprachigen Zaubererweltbürgern gibt gilt diese Aufforderung nicht für uns. Das wollte ich Ihnen allen gerne mitteilen, wenn der deutsche Kollege nicht dabei ist, weil dieser zu sehr an Güldenbergs Weisung gebunden ist."

"Will sagen, Sie wollen ihn vor vollendete Tatsachen stellen?" fragte Julius, nachdem er sich von Barbara Latierre die Sprecherlaubnis erbeten hatte. "Drastisch aber eindeutig richtig formuliert", sagte Amélie Bleumont. "Sie und ich sind zertifizierte Ersthelfer und damit im Zweifel direkten, unsere Fähigkeiten betreffenden Anfragen der Heilerzunft unseres Landes verpflichtet. Minister Hochländer weiß, dass ich jederzeit auf Anfragen der Heilerzunft antworten muss, sowie Ihre Dienstherrin Ventvit es sicherlich auch weiß."

"Davon dürfen Sie ganz sicher ausgehen, Madame Bleumont", bestätigte Julius. Mehr wollte er dazu nicht sagen.

Nun ging es noch um die Liga freier Nachtkinder, wie sich jene Vampire nannten, die gegen die Sekte der selbsternannten großen Mutter der Nachtkinder waren und dass diese Fertigungsanlagen für Kunststoffe zerstört hatte, die angeblich oder wahrhaftig auch die erwähnte Sonnenschutzhaut für Vampire herstellten. Der österreichische Zauberwesenbehördenleiter Ochsenstaller fragte in die Runde, warum Vampire nicht die Gelegenheit nutzten, sich gegen Sonnenstrahlen abzuschirmen. Julius sah seine Schwiegertante an, die in dieser Runde seine ranghöhere Ansprechpartnerin war. Sie nickte ihm zu. Er antwortete: "Es geht den sich selbst zu freien Vampiren erklärenden Mitgliedern dieser Liga freier Nachtkinder darum, dass die Anhänger der Vampirgötzin diese Möglichkeit nicht mehr haben, um sich beliebig oft zu vermehren. Außerdem dürften unter denen auch welche sein, die es für unschicklich halten, dass Vampire im Sonnenlicht herumlaufen, so wie wir in der Zaubererwelt - wie heute ja wieder eindrucksvoll bestätigt - damit ringen, welche nichtmagischen Verständigungsmittel wir wofür nutzen oder nicht und wie weit wir mit den angehörigen der nichtmagischen Menschen Kontakt halten dürfen oder nicht. Wie wir ja gestern schon feststellen mussten gibt es durchaus einige Bestrebungen, entweder die internationale Geheimhaltung ganz aufzukündigen oder jeden Kontakt mit der nichtmagischen Welt zu beenden und die dort geborenen Träger nach außen wirksamer Zauberkräfte von ihren Eltern forzuholen, um sie ausschließlich im Umgang mit diesen Kräften auszubilden und ihnen jeden weiteren Kontakt mit ihren nichtmagischen Verwandten zu untersagen. Keines dieser beiden Extreme sagt mir persönlich zu, Ladies and Gentlemen. Wie einschneidender ist es da für Vampire, die Jahrhunderte alt werden können und ständig in Deckung vor ihnen nachstellenden Menschen leben müssen, weil ihre Art der Ernährung und Fortpflanzung Menschenleben bedroht. Daher denke ich, dass diese Liga freier Nachtkinder sich dazu entschlossen hat, alles zu bekämpfen, was ihren vampirischen Gegenspielern mehr Macht über Menschen mit und ohne magische Kräfte gibt. Also gilt, die Sonnenschutzfolienherstellung zu beenden, damit jene sich nicht weiter fortpflanzen können wiegt mehr als der Vorteil einzelner, mal unter der strahlenden Sonne herumlaufen zu können." Barbara Latierre nickte ihm zu und ergriff das Wort.

"Dies habe ich bereits nach den erwähnten Sprengungen von Sonnenschutzhautfabriken als offiziellen Standpunkt des Ministeriums festgelegt. Ich wollte Ihnen allen aber die Gelegenheit geben, aus kundiger Quelle zu erfahren, was geschehen ist und welche Schlussfolgerung sich daraus ergibt. Vielen Dank, Monsieur Latierre. Kollege Ochsenstaller, Sie deuteten an, dass sich die selbsternannte Liga freier Nachtkinder bei jenen Anschlägen der Werwölfe der Mondbruderschaft bedient haben könnte. Wie genau kommen Sie darauf?"

"Weil sich im Nachgang dieser Ereignisse andeutete, dass jene Abwehr gegen reinmenschliche Apparatoren zum Einsatz kam, die bereits bei den Mitgliedern jener Macht namens Lykotopia bekannt wurde. Also könnten hier Vampire und Lykanthropen erstmalig zusammenarbeiten?"

Julius wartete nun, wer dazu welche Vermutung hatte. Weil dabei auch erwähnt wurde, dass die Lykanthropen als Handlanger oder unwissende Erfüllungsgehilfen der Vampire gehandelt haben mochten brauchte er das nicht zu erwähnen.

Als er dann noch zu den Zerstörungen der Vampirtempel befragt wurde und wie weit seine Behörde sich mit den Nachtschatten befasste erwähnte er nur, dass auch seine Behörde, von den Übergriffen der Untertanen jener von Hagen Wallenkron alias Lord Vengor erzeugten Nachtschattenkönigin gehört habe und es ja die Übereinkunft gebe, wie die europäischen Zaubereiministerien gegen neuerliche Übergriffe dieser dämonischen Wesen vorgingen. Immerhin wurde diese Vereinbarung wieder in Kraft gesetzt, wie ja gestern schon beschlossen worden war.

Ministerin Ventvit persönlich kam von ihrem Tisch herüber und bat Julius an den kleinen Ministertisch. Dort durfte er noch einmal auf einzelne Punkte des Vertrages eingehen und als Veelabeauftragter höchst amtlich mitschreiben, dass die hier anwesenden Zaubereiminister vereinbarten, den zwischen französischen Veelastämmigen und dem französischen Zaubereiministerium geschlossenen Vertrag eins zu eins zu übernehmen, sobald geklärt sei, wie sich das Verhältnis aller Veelastämmigen und Menschen in der Welt darstellte. Das hieß, wenn Julius auf Gotland mit den dort zusammentreffenden Ministeriumsvertretern eine Friedensvereinbarung mit den Veelas hinbekam würden Deutschland, die Beneluxländer, Österreich und die Schweiz den in Frankreich gültigen Vertrag übernehmen und nur in wenigen Punkten an die bei Ihnen wohnhaften Veelastämmigen anpassen. Urs Rheinquell, der ja als einer der ersten durch das goldene Licht der Veelas aus Ladonnas Knechtschaft befreit worden war, erklärte, dass er sich dafür verwendete, dass die von Ladonna entfachte Missstimmung zwischen Menschen und Veelastämmigen schnellstmöglich beendet wurde und bot an, für den Vertreter des russischen Zaubereiministeriums eine entsprechende Empfehlung zu verfassen, da er mit Arcadis Leuten bis zur gemeinsamen Unterwerfung unter Ladonnas Zauber bereits viele wertvolle Abkommen geschlossen hatte und auch als Vermittler sehr angesehen war. Julius nahm dieses Angebot natürlich sehr gerne an und bat im Beisein der anderen Minister darum, eine schriftliche Empfehlung für die osteuropäischen Ministeriumsvertreter zu erhalten. Rheinquell bestätigte das und kündigte an, dieses Schreiben bis zur morgigen Abreise der Sonnenkarosse fertigzustellen.

"Bitte erwähnen Sie es noch nicht vor den anderen, Monsieur Latierre. Es obliegt uns Ministerinnen und Ministern, die zuständigen Abteilungen davon zu unterrichten", sagte Ministerin Ventvit. Julius bestätigte den Erhalt dieser Anweisung.

Da viele der Punkte erfreulicherweise größtenteils abgehandelt waren und nur noch wenige Feinabstimmungen nötig waren konnte am Abend festgelegt werden, dass die Delegationen am 20. März ab zwölf Uhr Mittags ihrer Wege gehen durften, was für die Sonnenkutsche der Franzosen hieß, dass sie auf jeden Fall früh genug auf Gotland ankommen konnte.

"Das hat dir doch heute sehr gefallen, was wir hinbekommen haben", meinte Barbara zu Julius, als sie ihn kurz vor der Schlafenszeit noch einmal in seiner Kabine aufsuchte. "Ich bin auf jeden Fall froh, dass sich meine Anwesenheit doch für was lohnt, Tante Babs", antwortete er. "Ich war früher nie so für lange Debatten und viel Gerede mit jeder Menge hochgestochenen Formulierungen. Aber ich kann zumindest verstehen, wie wichtig sowas sein kann, wenn dabei was für alle nützliches herumkommt. Ich werde gleich noch ein Schreiben für Madame Grandchapeau verfassen, dass die sich drauf gefasst machen darf, dass demnächst Madame Eauvive bei mir anklopfen könnte, um über das Arkanet mit der Heilerzunft in den Staaten oder Australiens Kontakt zu kriegen. Denn was die VBR-Kristalle angeht könnten ja auch die Australier oder Japaner was haben, was uns nützen könnte."

"Das wird dem Kollegen Chaudchamp nicht schmecken. Aber dagegen machen kann er nichts. Ich habe schon eine entsprechende Mitteilung an Ministerin Ventvit fertig und werde eine ähnliche Mitteilung auch für deine direkte Vorgesetzte ausformulieren, dass bestimmte Dinge im Zusammenhang mit Vampiren, Werwölfen und Nachtschatten im Zweifelsfall auch über die Heilerzunft abgehandelt werden könnten. Es könnte nur passieren, dass die Ministerin ihr Veto einlegt und dir per höchster Dienstanweisung von ihr direkt an dich untersagt, für die Heilerzunft ministerielle Verständigungsmittel einzusetzen. Das könnte dich in einen Befehlskonflikt treiben. Das sage ich dir nur, damit du nicht wie vom Blitz getroffen damit konfrontiert wirst."

"Das verstehe ich, dass dir das Sorge macht, ich könnte in einen Befehlskonflikt hineingetrieben werden, Tante Babs. Ich hoffe jedoch, dass Ministerin Ventvit diese oberste Dienstanweisung nicht ausspricht, weil sie ja selbst davon profitiert, dass wir schnelle Kontakte zu wichtigen Institutionen der Zaubererwelt nutzen können. Ich will nur hoffen, dass Minister Güldenberg das noch mit Frau Wellenkamm hinkriegt, dass alle Veelas und Veelastämmigen genauso unter Ladonna gelitten haben wie wir Menschen."

"Du meinst was da zwischen ihr und Güldenberg am abgeschirmten Tisch gezankt wurde?" fragte Barbara Latierre. "Ich denke, was in Frau Wellenkamm vorgeht sollte nur einem Heiler oder einer Heilerin ihres Vertrauens überlassen bleiben. Ich denke jedoch nicht, dass sie als Ratssprecherin so viel Einfluss auf den Zaubereiminister hat, dass er ausschließlich auf ihre Wünsche eingeht."

Julius wagte ihr zu widersprechen und erwähnte das, was er über Lucius Malfoys Bestechungen und über den nicht geringen Einfluss des Dorfrates von Millemerveilles mitbekommen hatte. Je danach, wie wichtig Feensand für das deutsche Zaubereiministerium war konnte die Ratssprecherin dieser Insel schon einiges bewirken. Er rief sogar den großen Drachen, dass die Familie Gundula Wellenkamms so mächtig sein konnte, über Güldenbergs Karriere zu entscheiden, wie ja auch Ministerin Ventvit durch das Wohlwollen der Latierres, Eauvives und anderer altehrwürdiger Zaubererfamilien ins Amt gekommen war und weiterhin dort verweilen durfte. Das erkannte seine Schwiegertante an.

"Gut, dann schlaf dich aus und achte bitte darauf, dass du deiner Frau und meiner kleinen Schwester nur erzählst, dass wir heute viel geredet haben. Was genau Millie für ihre Zeitung wissen darf bestimmen ja wir Abteilungsleiter."

"Also was das Büro des Veelabeauftragten angeht darf ich schon entscheiden, was die Temps de Liberté unter dem Vorbehalt der erst später zu erfolgenden Gesamtveröffentlichung erfahren darf", konterte Julius. "Jahaha, wenn die Ministerin es ausdrücklich genehmigt, Jungchen. Sie hat das letzte Wort. Also bitte nichts voreiliges weitergeben!" erwiderte Babs Latierre. Julius vermied es, noch was dazu zu sagen. So wünschte er seiner Schwiegertante noch eine gute Nacht und schloss die Tür seiner Luxuskabine hinter ihr.

__________

Roudorin Bierfeuer genoss das lustige Tanz- und Singspiel in der Halle der Vergnügungen. Heute feierte er die Geburt seines vierten Sohnessohnes. Seine Blutlinie war dadurch noch weiter ausgedehnt. Vor allem weil sein vierter Enkelsohn von Girou Goldfuß stammte, der begnadeten Hoftänzerin außer Diensten, Tochter von Klangkunstgroßmeister Gouldvarin Jubelsänger, standen diesem Jungen später alle Möglichkeiten von Handwerk und Kunst offen. Vielleicht wurde der dann auch einmal König unter den Bergen der Basken und Katalanen.

"Zum Wohl, mein Herr und König! Möge die Freude über das gemehrte Blut Eurer Familie das ganze Volk unter den Bergen erwärmen!" trank ihm der hiesige Bewahrer der Ereignisse und Bräuche zu. Casgorin hielt den verzierten Krug mit schäumendem Bier hoch. Der König hob seinen Krug und stieß mit Casgorin an. "Wieder ein Eintrag für die Halle der Erinnerungen, nicht war, Goldfeder?"

"Wohl wahr, mein Herr und König", bestätigte Casgorin aus der Sippe Goldfeder, die schon seit über tausend Jahren alle wichtigen Ereignisse mitgeschrieben und alle anstehenden Handlungen verrichtet hatte.

Ein noch junger Schwarzalb in der violetten Botenkleidung betrat die Halle der Vergnügungen. Hinter ihm eilten die Leibwachen des Königs mit halb erhobenen Schwertern her. Roudorin Bierfeuer blickte sich um, als die Musik aussetzte und die Tänzerinnen in ihren goldenen Kurzkleidern, die nur für diese Berufsgruppe zulässig waren, auf der Stelle anhielten. Der Bote eilte auf den König zu. Dieser erkannte das Wappen des Königs unter den deutschen Bergen auf dem Brustteil der Botenkluft. Was fiel dem ein, hier in die von allen Großmeistern besuchte Vergnügungshalle zu kommen? Boten hatten gütigst bei den jeweiligen Empfangsmeistern der Botengilde vorzusprechen und sich zu erkundigen, wann der, für den sie eine Botschaft hatten, dafür bereit war.

"Frag ihn, ob es wirklich ganz dringend ist, Casgorin Goldfeder!" schnarrte Roudorin Bierfeuer. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass ihm dieser deutsche Heißsporn den schönen Abend verderben wollte.

Wie befohlen trat der hiesige Bewahrer der Ereignisse und Bräuche dem Boten entgegen und hielt ihn auf. Die Musik wurde leiser. Doch der König gebot mit einer entschlossenen Handbewegung, dass die Musiker ihren Schwung und die für diesen Tanz gebotene Lautstärke wiederfanden. Keiner außer dem Bewahrer sollte hören, wenn der Bote was wichtiges überbrachte. Nur zwanzig Herzschläge später eilte der Bewahrer zu seinem Herren und König und raunte ihm ins rechte Ohr: "Malin will einen Rat einberufen, mein Herr und König."

"Was?! Gut, dann muss ich den Boten anhören. Ihr feiert gefälligst weiter und helft der Zunft der Brauer, ihre Fässer leerzukriegen!" rief der König den ihn beobachtenden Meistern und Großmeistern der Gilden und Zünfte zu. Dann stemmte er sich aus seinem doch so bequemen Sessel hoch und streckte seine vom Sitzen leicht steif gewordenen Beine durch. Dann folgte er Casgorin und dem Boten aus Deutschland aus der Halle der Vergnügungen hinaus.

durch von kleinen Laternen beleuchtete Gänge begaben sie sich zu einem runden Schacht. Der König presste seine linke Hand mit allen Fingern gegen eine mit Zwergenrunen beschriebene Stelle. Der Schacht erbebte einen Augenblick. Leise knarrend und rumpelnd glitt ein eiserner Korb von unten nach oben, ohne dass zu sehen war, ob dieser an Ketten hing oder von unten geschoben wurde. Eine kleine Tür tat sich im Korb auf. Die drei Zwerge bestiegen den Korb. "Zur Lesekammer, ganz schnell!" befahl der König. Da sprang der Korb mit ihnen dreien förmlich nach oben und raste immer schneller durch den Schacht, so dass die drei den kalten Wind fühlten. Nach zwanzig Herzschlägen verlangsamte der Korb wieder und hielt mit einem heftigen Ruck an einem anderen Schachtausgang.

Nun ging es durch drei weitere Gänge, in denen königliche Wachen standen, die bei Anblick ihres Herren ihre langen Helebarden zum Gruß erhoben. Am Ende des dritten Ganges war eine silbern beschlagene Tür, auf der der Mond in allen sichtbaren Zuständen eingraviert war und eine eiförmige Hinweisplatte mit eingeschriebenen Zwergenrunen verkündete, dass dies die Kammer des Lesens und Schreibens war und nur der König, der Bewahrer der Ereignisse und Bräuche, der Meister der Botengilde oder ein von diesem mit ausdrücklicher Erlaubnis betrauter Bote eintreten und sich darin aufhalten durfte. Jedes Zwergenreich mit mehr als zweitausend Untertanen besaß eine solche Kammer. Da gerade zwei Zutrittsberechtigte vor der Tür standen brauchten Roudorin und Casgorin nur ihre rechte Hand an die bezeichnende Stelle zu legen und einem nicht sichtbaren Ohr zugewandt das Schlüsselwort zu sprechen. Die Tür entriegelte sich rasselnd und schwang nach außen auf. Dahinter lag eine kreisrunde Kammer, die fünf Zwergenschritte durchmaß und drei zwergenlängen hoch war. In der Decke der Kammer war eine kreisrunde Öffnung, durch die das Mondlicht hereinschien. Ein Schreibpult mit Hocker und ein kreisrunder Tisch mit vier darum herum aufgestellten Stühlen stellten die Einrichtung dar. Roudorin gebot mit einem Winken, dass seine beiden Begleiter in die Kammer eintraten. Hinter ihm fiel die Tür wieder zu und verriegelte sich rasselnd. Nun waren sie unerreichbar und unabhörbar.

"Bote Malins aus den deutschen Landen, du bringst mir eine Kunde deines Herren und Königs? So verkünde, was er mir künden will!" befahl der König. Der ausländische Bote verbeugte sich tief vor dem hiesigen Herrscher und sprach dann: "O König Roudorin IV., mein Herr und König, Malin VII. sendet dir durch meinen Mund seine Grüße und eine Botschaft und durch meine Hand ein von seiner Hand geschriebenes Schriftstück mit amtlicher Wirkung. So spricht mein Herr und König:

"Gruß dir, Roudorin IV.; Herr der südwestlichen Berge des großen Erdenteiles. Ich vernahm über meine kundigen Getreuen in der Nähe des deutschen Zaubereiministers, dass dieser sich da selbst mit seinen Amtskollegen aus den Alpen und den Ländern an der Küste des nordwestlichen Meeres zu einem Treffen verabredet hat, bei dem auch jenes lange Frauenzimmer anwesend ist, das sich für die oberste Sprecherin der Zauberstabträger deiner Heimat hält. Offenbar wollen sie die Gunst der Zeit nutzen, sich nach dem unerhofften Verschwinden der dreiblütigen Unheilsbringerin aus Italien darüber zu beraten, wie sie mit den Spitzohren und uns Umgang halten wollen. Am Ende könnte ein verstärktes Abkommen zwischen denen und den Langfingern stehen, das unserem Volk sehr abträglich sein mag. Daher habe ich beschlossen, vom Rechte eines jeden Königs gebrauch zu machen, um in spätestens zwei Mondkreisen einen Rat aller neun herrschenden Könige einzuberufen. Ich schlage hierfür den Tag nach dem zweiten Vollmond im Frühling vor und als Ort die Höhle der steinernen Eintracht, den heiligsten Grund unseres Volkes. Ihr habt bis zum ersten Frühlingsvollmond Zeit, zu erwidern, ob ihr an diesem Rat teilnehmen wollt und ob euch Zeit und Ort behagen."

Dies sagt Euch mein Herr und König, Ehre seinen Ahnen und Ruhm seinen Taten!"

"Ach, weil sich ein parr deutschsprachige Zaubereiminister treffen und diese von einer dieser östlichen Überschönheiten mit überreichem Leben beladene Zauberstabträgerin dabeisitzt wollen die uns gleich den Krieg erklären oder was?" fragte der König und muste sich sehr beherrschen, nicht laut loszulachen.

"Näheres steht auf jenem Schreiben, dass mein Herr und König an Euch verfasst und gesiegelt hat, König Roudorin", erwiderte der Bote. Dann überreichte er dem König einen versiegelten Pergamentumschlag. Roudorin fragte, ob ihm der Inhalt bekannt sei. "Selbstverständlich ist er mir bekannt, König Roudorin. Denn ich hätte das Schreiben womöglich vertilgen müssen, wenn ich auf dem Weg zu euch in Feindeshand geraten wäre."

"Oh, das wusste ich nicht, dass König Malin bereits mit jemandem im Krieg liegt", spöttelte Roudorin. "Die Langfinger lauern überall, vor allem wo sie gerade selbst nicht wissen, wie sie zu den Zauberstabträgern stehen sollen", erwiderte der Bote. Roudorin grunzte nur verdrossen. Dann legte er seine rechte Hand auf den Umschlag und sprach: "Ich bin Roudorin Bierfeuer, Sohn von Boudvarin Fassroller, vierter König dieses Namens unter den südwestlichen Bergen des festen Landes. Gib preis, was mir zugedacht ist!" Der Umschlag erzitterte und erwärmte sich. Mit leisem Knistern zerbrach das steinharte Siegel des deutschsprachigen Zwergenkönigs und zerfiel zu Staub. Der Umschlag öffnete sich. Roudorin zog ein mehrfach gefaltetes Stück langes Pergament heraus und sah, dass es in den zwergischen Mondrunen verfasst war, jedoch nicht die auf einen bestimmten Mondzustand bezogenen, sondern die bei jedem Mond lesbaren, sofern sie eben unter Mondlicht gelesen werden konnten. Im Moment schien ja der Mond durch das Loch in der Decke herein.

Der König las das nun ganz ausführliche Schreiben, in dem Malin genauer ausführte, was er erfahren hatte und warum er nun der Ansicht war, dass die einzig richtige Antwort darauf ein Rat der neun Könige sei. Es stand da auch, dass er den ihm zugesandten Boten mit der kurzen Botschaft, die in Wort und Schrift überbrachte Botschaft erhalten zu haben und dann, wenn er seine eigene Antwort versenden wollte, einen seiner Boten unter den Schwarzwald senden möge.

"Hier steht, dass ich dich wieder zu deinem Herren und König zurücksenden darf, wenn ich alles gelesen habe. Gut, ich bestätige, dass ich die Botschaft deines Herren und Königs vernommen und seinen amtlich wirkenden Aufruf gelesen habe. Geh und verkünde es deinem herrn und König!"

"Wie Ihr befehlt, O König Roudorin, vierter dieses Namens!" bestätigte der Bote. Roudorin steckte Umschlag und Schreiben in seinen Prunkmantel aus der Haut eines pyrenäischen Purpurpanzerdrachens und öffnete durch mehrfaches Anstupsen der Türinnenseite die Lesekammer wieder. "Wache, geleitet den Boten zum Ausgang für reisende Boten. Dort gebt ihm Speis und Trank für den Weg, wie es der alte Brauch ist und gebt ihm den Weg zu seinem Herren frei!" befahl Roudorin einem der vor der Tür postierten Wächter. Dieser grüßte mit kurzem Schlag der flachen Hand an seinen Helm und winkte dem Boten, ihm zu folgen.

Mit dem Bewahrer der Ereignisse und Bräuche suchte der König einen anderen senkrechten Schacht auf und rief einen der darin auf- und niederfahrenden Körbe herbei. Mit diesem begaben sie sich wieder in die tieferen Bereiche der unterirdischen Hauptstadt des französischen Zwergenreiches. Er gab dem Bewahrer den Umschlag und befahl ihm, diesen in die Kammer der Aufzeichnungen zu legen. Vorerst sollte keine Abschrift davon angefertigt werden. Denn er wollte den Bewahrer noch mit beim weiteren Verlauf des Festes dabei haben.

Unterwegs zurück zur Halle der Vergnügungen lachte Roudorin plötzlich lauthals los. "Dieser Heißsporn will unbedingt einen Kriegsgrund aus dem Bart ziehen, weil er seinen Leuten als der ganz große König erscheinen will. Und er meint, dass die acht anderen Könige darauf eingehen. Dieser hitzköpfige Höhlenspringer."

"O mein Herr und König, und wenn es stimmt, dass die Zauberstabträger sich entschließen, wider uns zu Felde zu ziehen?" fragte Casgorin in der ihm gebührenden Sprechweise eines Bewahrers von Ereignissen und Bräuchen.

"Casgorin Goldfeder, ich habe lange verhandelt, um uns hier in den Pyrenäen einen besonderen Stand zu sichern, auch wenn mir der Großmeister der Kriegergilde und der Großmeister der Botengilde immer wieder in den Ohren lagen, nicht mit Leuten zu verhandeln, die sich von einem Weib das Sagen und Handeln befehlen lassen. Deshalb haben wir ja jetzt die fünf Diamantminen und das Recht, die vom Ministerium erschlossene Goldmine für uns selbst auszuschöpfen und das was da rausgeholt werden kann an die Spitzohren zu verkaufen, auch wenn denen das nicht schmeckt. Da fange ich doch jetzt nicht von mir aus einen Krieg an, nur weil Malin sich als großer Feldherr darstellen will. Hat das nicht dein Urgroßvater mal gesagt, dass Kriege ein notwendiges Übel sind, aber immer ein Übel bleiben, das zu meiden oder schnellstmöglich zu heilen ist?"

"Ja, dies sagte mein ehrenvoll in Durins Hallen der Erinnerung wandelnder Urgroßvater Candorin Goldfeder, Ehre seinem Andenken und Durins ewiger Segen", erwiderte Casgorin. "Ich muss jedoch in der mir vorgeschriebenen Rangstellung daran erinnern, dass ein im Kriege befindlicher König unseres Volkes den Beistand der anderen Könige erflehen kann und ihn auch in Durins Namen erhalten muss. Daher wäre es sehr klug, Malins Besorgnis und Drängen anzuhören und unverzüglich darauf antworten zu können, mein Herr und König. Solange er davon ausgeht, dass er Eure Aufmerksamkeit bei einem Rat erhalten wird, solange wird er nicht von sich aus einen Krieg mit den Spitzohren oder Zauberstabträgern beginnen. Doch wenn er davon ausgehen muss, dass er kein Gehör der acht anderen Könige erhält könnte ihm einfallen, selbst und zunächst ohne unseren Beistand zu Felde zu ziehen. Dann müssten wir ihm helfen, sobald er dies fordert."

"Ja, Casgorin Goldfeder, ist mir zum ewig hungrigen Sohn im Leibe unserer allgebärenden Mutter all zu bekannt", schnarrte der nun nicht mehr erheiterte König. "Entweder ich geh auf sein lautstarkes Getöse ein und treffe mich mit ihm und den anderen sieben in der Halle der steinernen Erinnerungen oder ich kann nur warten, bis er sich doch mit den Langfingern schlägt und laut um Hilfe trompetet. Das gefällt mir ganz und gar nicht, Casgorin. Das darfst du gerne als nur für die Ohren des Bewahrers und seine Nachfolger bestimmte Aussage festhalten."

"Wie Ihr befehlt, mein Herr und König", bestätigte Casgorin. Ihm war anzusehen, dass er selbst keine rechte Lust auf einen Krieg hatte. Einer seiner Urahnen war bei jener schmachvollen Schlacht am schwarzen Felsen gefallen. Der hatte vorher noch von den blutigen Taten der Kobolde geschrieben und dass diese da zum wiederholten mal jene üble Vorrichtung benutzt hatten, die unter den Zwergen unerträgliche Angst und wilde Angriffslust gegen die eigenen Leute entfacht hatte. Diese Kobolde kämpften nicht mehr ehrlich mit Schwertern, Äxten, Hämmern und Helebarden. Sie wandten gemeine Tricks an, um möglichst viele Gegner möglichst ohne eigene Verluste zu töten.

"Weiß Malin, was die Langfinger sich alles ausgedacht haben, um ihre Gegner umzubringen?" fragte Roudorin nach einigen schweigsamen Atemzügen. "Soweit ich erfuhr mussten seine Kundschafter dies schon häufig erfahren", erwiderte Casgorin. "Dann verstehe ich den nicht, dass er es immer noch darauf anlegt, mit denen Streit zu suchen. Sollen die Zauberstabträger die doch niederkämpfen, so wie dieses dreiblütige Unheilsweib es vorgeführt hat."

"Werdet Ihr das Malin und den anderen sieben Königen so sagen?" fragte Casgorin. "Dazu müsste ich erst mal entscheiden, ob ich an einem solchen Rat teilnehme, Casgorin. Du weißt doch ganz genau, dass nur dann ein Rat zusammentritt, wenn außer dem Einberufer vier der neun Könige zustimmen. Nur dann sind die vier anderen verpflichtet, ebenfalls zu erscheinen. Lass mich also die Zeit nutzen, die mir gegeben wurde. Du erfährst es dann sowieso als einer der allerersten", erwiderte Roudorin.

Als sie wieder in die Halle der Vergnügungen eintraten sah Roudorin, dass der Großmeister der Zauberschmiedezunft eine der goldgekleideten Tänzerinnen auf seinem Schoß balancierte. Das war Roudorins gerade erwählte Lieblingstänzerin, eine, die er sich vielleicht mal in die heimliche Kammer königlicher Freuden mitnehmen wollte, wenn es ihn mal wieder so richtig trieb und die drei Frauen, die er ordentlich zu seinen Anvertrauten erhalten hatte, ihm nicht geben wollten, wonach ihm war. Eine Spur von Eifersucht und Unmut stiegen in Roudorin auf. Doch bevor er den Großmeister der Schmiede deshalb maßregeln konnte warf er die junge Tänzerin mit ganzem Schwung in Richtung Tanzfläche zurück. Zwei ihrer Berufsgefährtinnen fingen sie aus der Luft auf und zogen sie in die gerade entstehende Aufstellung aller zwanzig Tänzerinnen. Ein kurzer Trompetenstoß verkündete die Rückkehr des Königs. Alle verbeugten sich kurz. "Macht weiter! Die Nacht ist noch jung!" rief der König der Menge zu. Auch wenn er gerade nicht die Heiterkeit und Freude von vor wenigen Minuten fühlte musste er die Stimmung hochhalten. Das tat er auch, als er zu seinem bequemen Sessel zurückkehrte, den dort sicher untergestellten Bierkrug nahm, den Deckel abschraubte und weithin sicht- und hörbar seinen Untertanen zutrank. "Auf uns, liebe Zechgenossen und Klangkunstmeister! Möge unser Volk auch die nächsten Jahrtausende überdauern!" Alle tranken ihm zu, die trinken durften. Die Tänzerinnen sprangen in die Luft, um dann vor dem Herrscher auf alle viere niederzusinken. Dann stießen sie sich mit Armen und Knien vom Boden ab, drehten sich mehrmals um die Längsachse und nahmen beim Aufkommen wieder das Gleichmaß der aufspielenden Barden auf. Das große Geburtstagsfest ging weiter, als wenn nichts geschehen wäre.

__________

Am Morgen des 20. März trafen sich die auf Feensand zusammengekommenen Delegationen im Feenturm, um die vereinbarten Beschlüsse zu verkünden. Wie Urs Rheinquell ihm angekündigt hatte übergab er Julius Latierre ein Empfehlungsschreiben, das er den Delegierten der osteuropäischen Zaubereiministerien vorlegen durfte. Darin bekundete der schweizerische Zaubereiminister seinen Dank für die Befreiung aus Ladonnas Feuerrosenzauber und schrieb dies der gedeihlichen und auf gegenseitigem Respekt fußenden Zusammenarbeit zwischen Menschen und Veelastämmigen zu. Sollte es möglich sein, diese gedeihliche Zusammenarbeit und den gegenseitigen Respekt auch in den ursprünglichen Heimatländern der Kinder Mokushas zu begründen, so sei dies sicher der Weg zu einem dauerhaften Frieden zwischen den beiden magischen Völkern. Daher empfehle er, Urs Rheinquell, dem französischen Veela-Menschen-Kontaktbevollmächtigten Julius Latierre, für dieses Ziel zu werben und auf diesen zu hören, wenn es um solch einen Frieden ginge.

Um halb elf morgens beschloss Zaubereiminister Güldenberg die Zusammenkunft auf Feensand und bedankte sich bei allen Delegationen für ihre Aufmerksamkeit und Mitarbeit. So konnte die französische Delegation weit vor der Mittagsstunde aufbrechen.

Julius verabschiedete sich von Bärbel Weizengold und Waltraud Eschenwurz. Beide gaben ihm Grüße und Wohlseinswünsche für seine Frau mit und hofften, dass er vor lauter Kindern nicht eines Tages am Boden liegen mochte. Julius lächelte darüber und meinte, dass Millie und er wohl nach dem gerade auf dem Weg befindlichen Nachwuchs wohl keine weiteren Kinder mehr in die Welt setzen wollten, weil die Schlafräume im Apfelhaus alle besetzt seien. Dann sagte er noch zu Waltraud: "Sage deinen Eltern bitte meinen Gruß und dass es schade ist, dass wir gleich weitermüssen und ich deshalb keine Gelegenheit hatte, mir Feensand genauer anzusehen. Aber falls ihr für Sommertouristen mit Großfamilien genug Ferienunterbringungen anbietet frage ich meine Frau mal, ob wir dann alle mal zu euch rüberkommen."

"Hmm, das müsstet ihr dann aber spätestens einen Mondmonat vorher beim Rat für Kultur und Freizeit anmelden, der dann mit dem Rat für Handel und Dienstleistungen abklärt, ob genug Platz für eine Großfamilie da ist."

"Notfalls haben wir ein eigenes, großes Campingzelt, in das alle reinpassen, die bis dahin auf der Welt sind", meinte Julius. "Echt! Dann müsstet ihr das aber auch anmelden, damit die Zelt- und Strandkorbverwaltung von Feensand das klärt, wo ihr euer Zelt hinbauen könnt. Wenn du mehr wissen möchtest schick mir ruhig eine euerer Eulen!" sagte Waltraud. Dann umarmte sie Julius nach französischer Landessitte, verzichtete aber auf die dort üblichen Wangenküsse. Es war ja schließlich eine amtliche Zusammenkunft und keine private Feier.

Wieder in der Sonnenkarosse bezogen Julius, Barbara und Britta gleich die Aussichtskuppel. Britta Gautier hatte eine Posteule an das schwedische Zaubereiministerium geschickt, dass die französische Reisegruppe gegen Abend am vorgeplanten Treffpunkt in einem abgeschirmten Waldstück südwestlich des Sees Bäster Trek ankommen würden. Julius meinte nur: "Abraxaner können auch bei Nacht fliegen, weiß ich ja von den Walpurgisnachtfeiern in Beauxbatons. Aber sie brauchen mindestens klaren Sternenhimmel, um Bodenmerkmale zu erkennen."

"Das ist die ganze Arbeit für die Lenker, Julius. Bei Nacht ausfliegende Abraxaner müssen von einem geführt werden, der oder die selbst eine klare Orientierung hat, wo man ist und wo es hingeht", sagte Barbara Latierre. "Wenn sie schon mal an dem gewünschten Zielort waren können sie auch größtenteils eigenständig nach dem Erdmagnetfeld ausgerichtet fliegen wie unsere Kühe, Julius. Aber von dem Gespann dass unser Stallmeister zusammengestellt hat waren gerade mal der Leithengst und seine Leitstute in Schweden gewesen, bei der Vargborg, der skandinavischen Zaubereischule."

"Stimmt, das war vor zehn Jahren, Barbara. Ich habe da gerade bei euch im Ministerium angefangen, als die Anfrage einer Tierwesenvorführung reinkam. Oberschulzauberer Thorben Baldursson wollte unbedingt Vergleiche zwischen Asgardschwänen, Abraxanerpferden, Thestralen und griechischen Pegasi anstellen."

"Jau, Pegasi! Kenne ich noch aus meiner Zeit vor Hogwarts. Diese fliegenden Pferde waren in den erfundenen Spielwelten von Kerker und Drachen beliebte Flugtiere. Öhm, neben Greifen und den großen Drachen", erwiderte Julius begeistert.

"Öhm, Drachen als Reittiere?" fragte Britta. Barbara Latierre grinste verächtlich. "Tja, werte Anverwandte, in den erfundenen Welten der Nichtmagier soll es gezähmte Drachen geben, die Menschen auf sich reiten lassen. Gut, die Chinesen und Japaner behaupten das auch schon länger, dass die Zwischenstufen zwischen urwüchsigen Drachen und ihren Bonsaizüchtungen so harmlos seien, dass gut mit ihnen vertraute auf ihnen reiten können. Wir in Westeuropa können uns das nicht so recht vorstellen. Julius, wie sahen denn die gespielten Drachen aus diesem Würfelspiel aus, von dem du uns erzählt hast?" Julius nickte und beschrieb die Einteilung der Kerker-und-Drachen-Welt und dass es dort böse, sprachlich und magisch hochbegabte Drachen gab und gutartige, die auch zaubern und sprechen konnten. Die guten Drachen seien golden, silbern und bronzen. Dabei musste er sich beherrschen, weil er an den goldenen Drachen Faiyandria dachte, den Millie von Kailishaia zu ihrem magischen Feuerkleid dazubekommen hatte. Britta wollte dann noch wissen, ob es dieses Rollenspiel immer noch frei zu kaufen gab. Er bejahte es, merkte aber an, dass sich jedoch immer mehr vor allem junge Leute auf Computerspiele verlegten, bei denen mehrere zusammen in einer Spiel- und Abenteuerwelt unterwegs sein konnten.

Die private Plauderei wurde jäh beendet, als Alain Dupont in die Aussichtskuppel aufenterte und für die drei hier sitzenden verkündete: "Ich bekam gerade eine Botschaft von Monsieur Chaudchamp. Er beglückwünscht uns zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlung auf Feensand, möchte jedoch vor allem Monsieur Latierre darauf hinweisen, dass er bei den anstehenden Unterhandlungen auf Gotland nicht all zu sehr auf diese Elektrorechnersachen eingehen möge und vor allem, das für ihn weiterhin gelte, dass er nur für die ihm auferlegten Aufgaben zuständig sei. gut, ich habe diese Nachricht weitergeben müssen, Monsieur Latierre. Sie wissen ja, dass Monsieur Chaudchamp einen schier unstillbaren Argwohn gegen die nichtmagischen Verständigungsmittel hegt. Ich selbst halte diese zumindest für beachtenswert, auch im Zusammenhang mit internationalen Absprachen. Aber es könnte sein, dass meine Kollegen aus den nördlichen Ministerien und vor allem der Kollege aus Russland, der meint, auf einem haardünnen Seil über einem tiefen Abgrund zu tanzen, einfallen könnte, Ihren vorhandenen Enthusiasmus für überheblich zu halten und sich über mich bei Monsieur Chaudchamp beschweren oder diesen direkt anschreiben. Ob die Ministerin Ihnen da noch Rückendeckung gewährt könnte fraglich sein."

"Botschaft und Warnung angekommen, Monsieur Dupont. Aber ich denke schon, dass die Ministerin mich ordentlich anmoderiert, bevor ich mit wem auch immer da zusammentreffe. Schreibt er denn auch was über die Afrikaner?" wollte Julius wissen. "Öhm, ja, tut er. Nein, Sie und andere außerhalb unserer Dienstbehörde mögen es vorerst nicht erfahren, was dabei beraten und beschlossen wird", erwiderte Dupont. Dann erschien auch die Ministerin persönlich.

"Genießen Sie immer noch das freie Meer unter uns, Mesdames et Messieurs?"

"Ich übermittelte soeben die mir per Expresseule übermittelte Nachricht von Monsieur Chaudchamp, Ministerin Ventvit", sagte Dupont hörbar unterwürfiger als eben noch. "Sie meinen die Zurückhaltungsanweisung gegenüber Monsieur Latierre, Monsieur Dupont. Wenn wir auf Gotland gelandet sind dürfen Sie ihm mit der Landebestätigung gerne noch ein paar persönliche Zeilen von mir mitgeben, was die Weisungsbefugnisse gegenüber einem Mitarbeiter unseres Ministeriums angeht und zweitens was die nur für Ihre Abteilung und mich bestimmten Mitteilungen und Anfragen angeht. Danke! - Möchten die Herrschaften gerne zum Mittagessen hier oben speisen oder im Speisesaal?"

"Wir genießen gerade den Blick auf die Wattlandschaft da unten", sagte Barbara Latierre. "Bleibt es dabei, dass wir erst die Meerenge von Dänemark überfliegen und erst über der Ostsee nach Norden umschwenken, um östlich der schwedischen Küste zu steuern?" Die Ministerin erwähnte, dass die Lenker vom Dienst nichts anderes mitgeteilt hätten. Also war ihnen das Wetter noch günstig. "Ja, dann verpassen wir wohl nicht viel, wenn wir mit den anderen unten essen", meinte Britta Gautier. Die drei anderen bestätigten das. Anders wäre es gewesen, wenn sie über Festland geblieben wären und Britta Gautier mit den erdkundlich interessierten hätte ausgucken können, welche Landschaftsmerkmale, Berge und Flüsse sie zu sehen bekamen. Laut Reiseplanung würden sie für die Strecke sieben Stunden brauchen, wenn das Wetter mitspielte. Kam jedoch ein stärkerer Wind oder gar ein Sturm aus der Querrichtung auf mussten sie gemäß den Bestimmungen für Langstreckenreisen mit Zug- oder Reittieren eine Route über Festland wählen, auf der sie jederzeit an einem schwer bis gar nicht von Nichtmagiern einsehbaren Ort landen konnten. Daher war ihre Ankunft auf Gotland auch nicht auf die Minute genau vorhergesagt, sondern auf den Zeitraum später Nachmittag und später Abend angekündigt worden.

__________

Hera Matine ließ es zu, dass Béatrice Millie untersuchte, um festzustellen, ob sie mit nur einem Kind oder mehreren schwanger war. Die jüngeren Geschwister Aurores waren alle im Kinderhort und störten nicht. Nach nur zehn Minuten wusste Béatrice, dass ihre Nichte und Mitbewohnerin wahrhaftig wieder zwei Kinder im Uterus trug. Von der Art der Aufteilung her wagte Béatrice die Vermutung, dass es wie bei Flavine und Phylla eineiige Zwillinge waren. "Damit kommst du an deine Tante Barbara heran", meinte die in Millemerveilles zweite Heilerin. Hera Matine nahm die Gelegenheit wahr, die Einblickspiegeluntersuchung zu wiederholen. "Stimmt, die zwei Embryos liegen so dicht beieinander, dass sie sich aus einem Ei entwickelt haben mögen. Und es werden ganz sicher wieder Töchter?"

"Laut den Mondtöchtern ist das so, weil wir nicht drei mal so viele Jahre wie wir schon Töchter bekommen haben abgewartet haben, Hera", sagte Millie, die ruhig und mit bloßem Unterleib auf dem Untersuchungsstuhl saß.

"Ihr habt noch genügend Zimmer für mindestens drei weitere Kinder?" fragte Hera Matine. Millie und Béatrice nickten. Notfalls bekamen die, die da nun unterwegs waren ein großes Zimmer zusammen.

Nun untersuchte Hera Béatrice und stellte fest, dass sie nur ein Kind in sich trug. Ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde war im jetzigen Zustand des Ungeborenen noch nicht zu erkennen. Als das Ergebnis amtlich niedergeschrieben war meinte die erste Heilerin von Millemerveilles: "Gut, das mit Félix verstehe ich. Aber warum du es darauf angelegt hast, noch einmal schwanger zu werden verstehe ich gerade nicht, Kollegin Béatrice. Am Ende kriegst du noch Ärger mit unserer Zunftsprecherin."

"Hmm, nein, kriege ich nicht. Ich habe nämlich schon mit ihr darüber gesprochen. Auch wenn Mildrid und ich keine leiblichen Schwestern sind sind wir doch Blutsverwandte, und somit gilt der Präzedenzfall Bellmaine und Orchaud von 1125, wo bei zwei blutsverwandten Hexen, die mit einem Zauberer im selben Zeitraum willentlich und im gegenseitigen Wissen und Anerkenntnis das Lager teilen und dabei schwanger werden das gleiche Recht auf die Aufzucht des so empfangenen Nachwuchses haben und der Kindsvater beiden Müttern Obdach gewähren oder zumindest sicheres Obdach bezahlen muss, weil er ja gänzlich absichtlich mit den beiden Hexen geschlechtlich verkehrt hat. Es wurde dann später im 13. Jahrhundert dahingehend abgeändert, dass nur die Frau, die sich einem Mann als erste hingab und dieser auch sie als seine erste körperliche Liebespartnerin oder Ehefrau angenommen hat Kinder gebären darf. Aber, jetzt kommt es, wir haben die Friedensretterinnenregel, weil eben die Ehefrau nicht immer die gewünschten Kinder bekommen konnte, und die Bellemaine-Orchaud-Regel wurde nie außer Kraft gesetzt, weil sie keine schädlichen Auswirkungen auf die drei hatte. Jetzt kommt noch hinzu, dass du, Kollegin Hera, uns drei offiziell zu gleichberechtigten Lebenspartnern erklärt hast, damit Félix rechtlich auch gut genug abgesichert ist. In dem Fall gilt der Anteil der Bellemainne-Orchaud-Regel, dass zwei blutsverwandte Hexen, die unter demselben Dach mit demselben Zauberer wohnen, mit dem sie in Zuneigung und Mitverantwortung zusammenleben, seine Kinder bekommen dürfen, sofern der Zeugungszeittraum bei beiden nicht länger als ein Fruchtbarkeitszyklus ist. Das einzige, was ich einhalten muss, so Antoinette Eauvive ist, dass ich als nicht offizielle Angetraute von Julius die von ihm ermöglichte zweite Schwangerschaft ebenso diskret austrage wie die mit Félix und das Kind entweder hier im Apfelhaus oder dem Sonnenblumenschloss zur Welt bringe, also nicht an einem öffentlichen Ort wie dein Entbindungsheim oder die Lucine-Laporte-Abteilung der Delourdesklinik. Noch einmal vielen Dank, dass du uns dreien die Möglichkeit verschafft hast, weiterhin mit leib und Seele friedlich zusammenzuleben. Ach ja, eine Bedingung nannte sie noch: Ich sollte nach der Entbindung die Anzahl der mit Julius erlebten Liebesakte deutlich reduzieren und bei oder nach jedem auf vollständige Verhütung achten, notfalls innerhalb der ersten zehn Tage nach einem Liebesakt eine kleine Dosis vom Trank der folgenlosen Freuden trinken, weil bis dahin ja noch keine vollständige Einnistung stattgefunden hat."

"Die Bellemaine-Orchaud-Regel? Stimmt, dieses uralte Recht gilt wirklich noch. Es wurde halt in Frankreich nur dieses eine mal angewendet und später nicht von den Heilern und der Familienfürsorgeabteilung widerrufen. Ihr seid echt zwei raffinierte Frauenzimmer", knurrte Hera. "Und Julius ist damit einverstanden, dass er noch einmal von zwei Müttern Kinder dazubekommt?" Da erklärten Millie und Béatrice ihr, worauf sie sich geeinigt hatten und dass er dabei doch sehr gut wegkam. "Gut, er ist jetzt gerade auf Reisen. Ihr könnt ihn wohl anmentiloquieren. Béatrice, halte dich bitte an Antoinettes Empfehlung, sofern sie dir das wirklich so empfohlen hat!" Da sagte die gemalte Viviane Eauvive: "Hera, warum sollte Béatrice dich anlügen, wenn es so einfach wäre, sie der Lüge zu entlarven?"

"Jetzt kommt mir auch noch eine längst verstorbene Schullehrerin mit Logik", knurrte Hera. "Also gut, wenn es um dein Kind geht, Béatrice, dann besprecht das Thema nur mündlich oder mentiloquistisch, nicht per Eulenpost! Klärt es ab, ob und wenn ja wann die von euch betreuten Kinder es mitbekommen. Bedenkt dabei immer, dass Kinder auch mal was ausplaudern, was ihre Eltern gerne verschweigen möchten. Bei Félix habt ihr das ja irgendwie hinbekommen, dass Aurore der Meinung war, in dir wüchse ein Kind von ihrer Maman, und du würdest deshalb seine richtige Maman, weil du es in deinem Bauch hattest. Noch einmal wird dieser Trick nicht klappen, und ich werde meine Hebammenehre nicht strapazieren, mich von den Leuten hier aus Millemerveilles anmeckern zu lassen, ich fördere unehelichen Nachwuchs."

"Geht davon aus, dass die gutgenährte Eleonore Delamontagne die Bellemaine-Orchaud-Regel auch kennt", meinte Viviane Eauvive, die sich sichtbar über Heras hochamtliche Einwände amüsierte."

"Ja, aber sie muss es nicht auf die Nase gebunden bekommen, werte Darstellung einer hochangesehenen Fachhexe", knurrte Hera. "Gut, ich bin dann mit meinen Obliegenheiten für heute durch. Ihr beide habt das ja schon so oft durchgenommenund erlebt, dass ich keine weiteren Anweisungen geben muss, wie ihr euch verhalten müsst. Millie, du musst nur damit rechnen, dass du wieder sehr schnell erschöpft sein kannst und dass du noch vor Béatrice niederkommen kannst. Da anders als bei den Zwerginnen eine gerade hochschwangere Hexe nicht als Hebamme tätig sein darf bist du hoffentlich wieder damit einverstanden, dass ich in dem Fall deine beiden Kinder sechs und Sieben auf die Welt hole." Millie nickte. "Ich bitte um eine klare Aussage, für mein Protokoll", bestand Hera auf eine laut ausgesprochene Antwort. "Ja, Madame Matine, ich bin damit einverstanden, dass Sie mir im Falle, dass ich vor meiner Tante und Zustandsgefährtin niederkommen sollte Sie als meine Hebamme um Hilfe bitte."

"Das war offiziell genug", meinte Hera Matine. Dann machte sie mit den beiden werdenden Müttern Termine für die Schwangerschaftsgymnastik aus. "Da Julius ja meistens daran teilgenommen hat darf er gerne auch wieder dazukommen, wenn er von der Friedensreise zurückkehrt."

"Stimmt, so heißt diese Mission ja ministeriell", sagte Millie. "Mein Onkel und Kollege schreibt da ja schon fleißig mit." Hera und Béatrice bestätigten das.

Als Hera das Apfelhaus verließ trafen sich Millie und Trice im Dauerklangkerker-Musikzimmer. Kaum war die Tür zu grinsten beide erst und lachten dann. Dann umarmten sie sich. "Das hat meine werte altehrwürdige Kollegin nicht mehr auf dem Zettel gehabt, dass da noch diese uralte Schwesternregel aus dem zwölften Jahrhundert gilt", meinte Trice. "Ja, und ich habe mich echt amüsiert, wie Viviane das amüsiert hat, dass Hera da nicht mehr drauf kam. Die hat echt gedacht, du würdest aus der Heilerzunft fliegen."

"Na ja, wäre ich ja ehrlicherweise, wenn ich nicht zufällig aus derselben Hexe entkrabbelt wäre, aus der deine Mutter einst in die Welt hinüberkroch. Diese Regel gilt nämlich ausschließlich bei zwei blutsverwandten Hexen, aber nicht bei zwei blutsverwandten Zauberern."

"Hera hätte sich noch mehr gewunden, wenn wir ihr von deinem Traum an deinem Geburtstag erzählt hätten und dass wir danach ohne Julius abgesprochen haben, dass wir uns darauf einlassen, beide von ihm schwanger zu werden."

"Stimmt, da hätte sie dann wohl doch an unserem oder ihrem Verstand gezweifelt, auch wenn sie weiß, dass es Ashtarias transvitale Entität gibt und ja auch von Ammayamiria weiß. Aber glaube mir, meine werte Nichte und Zustandsgefährtin, dann hätte ich der guten Hera doch mal die klare Frage gestellt, wie es sein kann, dass die kleine Lucine Beaumont dieselben Augen hat wie die Mutter von Laurentine Hellersdorf.""

"Ja, stimmt, das hätte sie wohl nicht so toll gefunden, darauf angesprochen zu werden. Glaubst du echt, dass die zwei was gemacht haben, dass Louiselle von Laurentine schwanger geworden ist? Das ist doch dann dasselbe wie bei Ladonnas Entstehung."

"In der Magie, den hellen und den dunklen Künsten, gibt es so viele Wege zum selben Ziel, das wir das nicht so sicher wissen, ob es genau dasselbe Verfahren war. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die zwei einen Abwehrzauber gegen den Unfruchtbarkeitsfluch ausgeführt haben, der bis auf wenigen Hexen außerhalb der Heilzunft eben nur den Heilerinnen und Heilern bekannt sein darf. Tja, und Lucines Augen sprechen ziemlich sicher dafür, dass Laurentine diesen Fluch so gründlich abgewehrt hat, dass er in der Wirkung umgekehrt wurde und auf Louiselle selbst zurückfiel und in ihr Halt fand. Aber das werden die uns beiden nicht aufs Baguette streichen, und Hera wird sich auf die heilerische Schweigepflicht berufen. Ich fürchte nur, dass wenn andere, die Laurentines Mutter noch gekannt haben, die kleine Lucine sehen und wissen, dass Magie eine Zwei-Mütter-Tochter möglich macht, sie nicht mehr in Ruhe lassen. Denn wie Ladonna uns eindrucksvoll bewiesen hat vermögen Zwei-Mütter-Töchter einiges mehr anzustellen als Töchter eines Vaters und einer Mutter", erwiderte Béatrice. Für sich allein dachte sie, dass dieses kleine, unschuldige Mädchen womöglich der Schlüssel zur Entmachtung Ladonnas gewesen war. Doch weil sie weder wusste, wie genau das abgelaufen war noch ungefragt in Angelegenheiten anderer hineinfuhrwerken wollte behielt sie diese Hypothese für sich.

"Wie gehabt, nur wenn Julius uns anmentiloquiert teilen wir ihm mit, was die gute Hera herausgefunden hat", meinte Millie. Trice stimmte ihr zu.

__________

Nach dem Mittagessen besetzten fast alle Reisenden die Sonnenkuppel auf dem Oberdeck der Kutsche. Denn während des Essens war vermeldet worden, dass mit starken Windböen über der Ostsee zu rechnen war, Daher wurde die Reiseroute so abgeändert, dass die Sonnenkarosse nicht die Meerenge bei Dänemark passieren sollte, sondern weit genug weg von den großen Städten Dänemarks und Schwedens über Festland fliegen sollte, bis sie auf demselben Breitengrad wie Gotland waren. Da sie beim 53. Breidengrad abgeflogen waren mussten sie also einige Winkelminuten mehr als vier Grad nördlich vorstoßen.

Als sie über das skandinavische Festland flogen holte Julius aus seiner mitgeführten Centinimus-Bibliothek den magischen Atlas hervor, den er bereits als Schüler geschenkt bekommen hatte und wählte die Karten von Skandinavien aus. Erst besah er sich die Gesamtdarstellung, dann blätterte er bis zur Karte Schwedens vor und verglich das Gesehene mit dem, was die Karte hergab. Da die Karten bezaubert waren, Ausschnitte auf Gesamtkartengröße zu vergrößern und eine politische oder physikalische Darstellung zu zeigen konnte er die gegenwärtige Position auch ohne Naviskop darstellen. Das er zudem den Madrashainorian antrainierten Erdmagnetsinn benutzen konnte half ihm, die Richtung zum Nordpol und den ungefähren Breitengrad zu bestimmen. So konnten er und seine Mitreisenden die charakteristischen Landschaftsmerkmale des Königreiches Schweden klar erkennen. Auch konnte der jedem ausgehändigte Lageplan der Kutsche auf die Frage nach dem Standort die Position auf dem maßstabgetreuen Kartenausschnitt zeigen. Britta Gautier, die Ihr Geburtsland schon mehrfach aus größerer Höhe bereist hatte konnte sogar auf einige Berge und Flüsse deuten, die nicht gleich als wichtig erkennbar waren. Natürlich mussten sie vielbefahrene Verkehrswege und die größeren Städte umfliegen, was Julius innerlich bedauerte. Wann kam er je wieder in die Gegend von Stockholm oder Göteborg.

Das der Wind wirklich zugenommen hatte sahen sie immer daran, wenn ein Fluss sich mal nach links und nach rechts verschob. Zu spüren war davon nichts, weil die Kutsche innerttralisatus-bezaubert war. Doch die 36 Abraxanerpferde merkten sicher, dass sie nicht so einfach geradeaus fliegen konnten. Zwischendurch mochte die Karosse auch in ein Luftloch hineinsacken. Doch auch davon bekamen sie nichts mit, weil die völlige Trägheitsdämpfung in alle drei Raumdimensionen wirkte.

Die Reise wurde trotz der langen Flugzeit nicht langweilig. Die gesamte Delegation genoss den Landüberflug und die von Britta Gautier dazu erzählten Geschichten. Zweimal mussten sie einem heranfliegenden Düsenflugzeug ausweichen, das wohl zu einem der größeren Flughäfen wollte. Deshalb durfte Julius noch einmal beschreiben, was diese großen Metallvögel mit den Feuer und Rauch speienden Vorrichtungen unter den Flügeln überhaupt in der Luft hielt und warum es mittlerweile so kritisch gesehen wurde, dass viel mehr Menschen auf diese Weise durch die Welt reisten als vor fünfzig Jahren noch. Dann konnten sie auch eine einmotorige Propellermaschine sehen, die zwischen zwei Bergen dahinflog.

"Also, wer genug Geld hat und sich eine Erlaubnis zum Fliegen erwirbt kann auch mit eigenen Flugapparaten fliegen?" fragte Belenus Chevallier. Julius bestätigte das. "Der Mann oder die Frau muss dann aber erst eine vollständige Flugausbildung machen, die noch länger dauert als unsere Besenflugausbildung." Das konnte Belenus Chevallier sogar verstehen.

Dann wurde die Wolkendecke unter ihnen zu dicht, als noch mehr von der Landschaft zu sehen. Julius fühlte zwar noch die Bezugspunkte über das Erdmagnetfeld. Doch er konnte eben nichts von der Landschaft sehen.

"Anfrage an Lenker vom Dienst, besteht noch die Hoffnung, bis zur Landung was von der Landschaft zu beobachten?" fragte die Ministerin. "Leider nein, Ministerin Ventvit. Das Wetter über der Ostsee verschiebt starke Wolkenmassen aus südosten. Wir können gerade nur nach den Magnetfeldlinien navigieren ... Wir hoffen, dass Sie trotzdem eine unbeschwerte Reise haben", klang die Stimme eines Mannes wie aus leerer Luft.

"Das wird also ein reiner Instrumentenanflug", warf Julius noch einen Begriff aus der nichtmagischen Luftfahrt ein. "Sowas in der Art", meinte Britta Gautier.

"Der braucht doch nur unter die Wolken zu gehen", meinte Dupont. "Ja,und dann entweder von Nichtmagiern gesehen werden oder gegen einen Berg prallen oder gegen einen Turm stoßen", erwähnte Belenus Chevallier die möglichen Gefahren.

"Am besten ziehen wir uns alle in den Speisesaal oder die eigenen Kabinen zurück", sagte die Ministerin. Fast alle waren damit einverstanden. Wer aber hier oben bleiben wollte konnte dies auch tun. So fanden sich Britta, Barbara und Julius wieder als einzige in der Sonnenkuppel.

Britta erzählte nun noch einige Erlebnisse aus Vargborg, der ursprünglich schwedischen, später für ganz Skandinavien zuständigen Zaubereischule, wo sowohl die traditionellen Magieanwendungen der Nordvölker, der Schamanismus der nordeuropäischen Nomadenvölker und die international anerkannten auf griechisch-römischer Hermetik bezogenen Zauber gelehrt wurden. Julius fand es vor allem interessant, wie die isländischen Schüler oder gar die Grönländer dort hinkamen, nicht über einen Reisesphärenkreis wie bei Beauxbatons, nicht über einen Dampfzug wie bei Hoogwarts, sondern per Schnellsegler wie die magische Schifffahrtslinie Fliegender Holländer. "Ich verrate keine internationalen Staatsgeheimnisse, wenn ich erwähne, dass es vor dreißig Jahren ernsthaft Überlegungen gab, dass die europäischstämmigen Schüler aus Grönland in einer der US-amerikanischen Zaubererschulen unterkommen sollten. Eine gewisse Professeur Pablenut wollte gerne die grönländischen Hexen in ihrer reinen Mädchenschule ausbilden, und einige Leute aus den Staaten meinten, dass Grönland doch näher an Amerika sei und daher sie für die Zaubereiausbildung zuständig seien. Da gab es dann eine ähnliche Zusammenkunft wie wir sie gerade erleben. Es wurde geklärt, dass Kinder und Jugendliche dort zur Schule gehen sollten, wo für ihr Geburtsland und die Schule gleichermaßen dasselbe Zaubereiministerium zuständig ist. Also kamen die Grönländer weiter zu uns, weil Vargborg ein Abkommen mit dem dänischen Zaubereiministerium hat."

"Oha, ich will da keinen großen Drachen rufen. Aber wenn es dem neuen Makusa einfallen sollte, Grönland zum US-Territorium zu erklären", meinte Barbara Latierre.

"ich denke das gerade bei Nichtmagiern. Am Ende meint Bush Junior noch, da einmarschieren zu dürfen, weil es da jede Menge Öl gibt, wenn man mal die drei Kilometer Eisdicke weglässt", meinte Julius.

"Jetzt rufst du aber gerade einen großen Drachen", meinte Barbara Latierre. Julius konnte ihr da nur zustimmen.

Sie beobachten noch die Wolken und fanden immer wieder kleine Lücken, um auf den Boden zu sehen. Die Sonne tauchte die Wolken in gelboranges Licht. Bald würde sie untergehen. Da hier im Norden die Tage noch kürzer als in Mitteleuropa waren mochten sie sogar bei Abenddämmerung oder Dunkelheit ankommen. Dann wurde es wirklich ein reiner Instrumentenanflug.

Zum Abendessen versammelten sich wieder alle im runden Speisesaal im Mittelpunkt der Sonnenkarosse. Mittlerweile war die geschätzte Ankunftszeit bekannt. Sie würden um neun Uhr abends mitteleuropäischer Zeit ankommen. Also würden sie von der Ankunft nicht viel zu sehen bekommen. Immerhin warteten sie dort unten schon auf die Sonnenkarosse.

Als dann durch ein dreifaches Glockensignal bekanntgegeben wurde, dass die Kutsche ihre Reiseflughöhe verließ und somit durch die Wolken tauchen musste hörte Julius immer wieder ein wütendes Schnauben und Wiehern. Die fliegenden Pferde mochten offenbar den kalten Wasserdampf nicht. "Wir sind gleich über der Insel", sagte Britta Gautier. Julius wollte fast fragen, woher sie das wusste. Doch da sah er selbst den dunklen Schatten, der weiter voraus auftauchte.

Es dauerte noch zehn Minuten, bis das Geräusch der auftreffenden Hufe und Kutschräder verriet, dass die fliegende Kutsche gelandet war. "Hoch verehrte Ministerin Ventvit, sehr geehrte Reisende, wir sind soeben auf unserem vorbestimmten Haltepunkt südwestlich des Bäster Trek gelandet. Die Landung erwies sich als etwas heikel, da wir auf einer kleinen Waldlichtung heruntergehen mussten und uns vor überhohen Bäumen vorzusehen hatten. Doch nun sind wir am Zielort. Ein Empfangskomitee des schwedischen Zaubereiministeriums ist bereits unterwegs um uns zu begrüßen", verkündete der Lenker vom Dienst.

"Fehlt nur noch das örtliche Wetter und die Hoffnung, einen angenehmen Flug gehabt zu haben", meinte Julius. Seine Schwiegertante knuffte ihm dafür kurz in die Seite.

"Millie nur kurz, wir sind angekommen. Mehr später, wenn Begrüßung und erstes Absprechen vorbei sind", mentiloquierte Julius seine Frau an. "Alles klar, Julius. Näheres nachher vor dem Schlafengehen", gedankenantwortete sie.

"Wie es bisher gehalten wurde möchte ich die Gelegenheit nutzen, Sie alle über das mit den schwedischen Kollegen vereinbarte Protokoll zu unterrichten", sagte Alain Dupont, als sich alle für das Aussteigen im großen Einstiegsraum versammelten. "Da wir hier auf Gotland mit wesentlich mehr anderen Delegierten zusammentreffen möchte ich auf Anweisung von Monsieur Chaudchamp und mit Genehmigung von Ministerin Ventvit folgende Punkte offiziell verkünden." Er machte fünf Sekunden Pause und sprach dann weiter.

"Jede Delegation wird bei Ankunft vom amtierenden Zaubereiminister und den Abteilungsleitern für magische Zusammenarbeit, Sicherheit und Handel begrüßt. Die Unterbringung aller Gäste, die keine eigene Unterbringung mitführen erfolgt in den oberen Etagen des Allthing-Zeltes, einer Einrichtung, die von den skandinavischen Zaubereiministerien seit über hundert Jahren genutzt wird. Die Essenszeiten liegen um sieben Uhr morgens, zwölf Uhr mittags und acht Uhr abends, wobei nach dem Abendessen noch eine Zeit lang in gemütlicher Runde oder in weiteren Fachgruppengesprächen Themen des Tages weiterbesprochen werden können. Alle Delegierten treffen sich ausschließlich zu den gerade eben erwähnten Essenszeiten. Ansonsten finden die offiziellen Gespräche in dafür vorgehaltenen Beratungsräumen statt. Die mitgereisten Abteilungsleiter dürfen sich zwischendurch mit dem Minister - in unserem Fall der Ministerin - beratschlagen, wie sie weiterverhandeln. Die Minister treffen sich in einem eigenen Raum mit dem mitgereisten Sicherheitspersonal, dass ja bis zur Geheimhaltungsstufe S0 freigegeben ist. Für untergeordnete Mitarbeiter gilt, dass sie sich von ihren Abteilungsleiterinnen oder Abteilungsleitern vor den Einzelgruppengesprächen mitteilen lassen, worüber gesprochen wird und Genehmigungen einholen, was sie über bereits besprochene Themen bei vorangegangenen internationalen Zusammenkünften erfahren oder beschlossen haben. Was gibt es da zu grinsen, Madame Gautier?"

"Ich bin erheitert, weil es doch genau darum geht, was auf anderen Konferenzen besprochen wurde. Darüber zu schweigen wäre doch unsinnig. Aber ich bin ja als Sicherheitsbeauftragte der Ministerin mitgereist und nicht als Verhandlungsführerin. Verzeihen Sie mir meine Erheiterung", erwiderte Britta. Julius hätte fast selbst gegrinst. Doch Britta hatte den sonst ihm geltenden Blitz auf sich gezogen und abgeleitet."

"Wo war ich? Ach ja, Genehmigungen sind vorher einzuholen", grummelte Dupont. "Leute, ich mach das doch hier nicht zum reinen Vergnügen!" knurrte er, weil noch einige andere Mitreisende zu grinsen anfingen. "Weiter! Es kann zu abteilungsübergreifenden Gesprächen kommen, wenn die Abteilungsleiter dem mitgereisten Zaubereiminister - bei uns der Ministerin - glaubhaft vermittelten, dass Bedarf zu solch einer übergreifenden Beratung besteht. Hierfür werden dann größere Räumlichkeiten innerhalb des Allthing-Zeltes aufgeschlossen und für die Beratungen abgesichert. Soweit die Besprechungsvorgaben. Da der schwedische Zaubereiminister der Gastgeber sein wird und in der schwedischen Zaubererwelt noch eine stammesgleiche Hierarchie gilt stellt Minister Sören Österlund für die Dauer unseres Aufenthaltes die oberste Instanz dar. Nur wenn er sagt, dass sich jemand erheben oder setzen darf, darf sich erhoben oder hingesetzt werden. Wenn er Ruhe gebietet gilt das für jeden, egal welcher Rangstufe er oder sie sonst entspricht. Sollte er aus welchem Grund auch immer befinden, dass jemand den Raum zu verlassen hat, in dem er sich gerade aufhält, so ist dieser Anweisung unverzüglich Folge zu leisten. Zuwiderhandlung kann je nach seiner Tageslaune als Beamtenbeleidigung oder offener Widerstand gegen ihn ausgelegt werden. Nicht, dass jemand von Ihnen nachher behauptet, nicht vorgewarnt worden zu sein. Es gilt auch, dass erst dann gegessen oder getrunken wird, wenn der schwedische Zaubereiminister Speise und Getränk vor sich hat und allen einen guten Appetit wünscht. Man hat zumindest für uns Franken und Angelsachsen", wobei er Julius kurz anblickte, "auf den sonstigen altnordischen Ritus verzichtet, Odin und die Asen anzubeten und sich bei Ihnen für die Mahlzeit und die Getränke zu bedanken. Ja, die beten hier wirklich noch zu Odin und den ganzen Götterstall aus Asgard. Den müssen Sie nicht auswendig kennen. Jedenfalls gilt das Essen als unverzüglich zu beenden, wenn der schwedische Zaubereiminister seinen Essensbehälter mit darauf abgelegtem Besteck zurückschiebt und sich für alle hörbar für das angenehme Beisammensein bei Tisch bedankt. Es kann sein, dass er dies auf Schwedisch tun wird. Ich hoffe jedoch, dass er sich an die vorher festgelegte Sprache Englisch hält, der wir alle ja mächtig genug sind. Ansonsten möchte ich Madame Gautier, deren Muttersprache Schwedisch ist, darum bitten, den Dank auf Schwedisch zu wiederholen und dann gleichfalls auf Englisch für das Zusammensein bei Tisch zu danken. Wer dann noch was isst oder trinkt könnte sich der Missachtung des Ministers schuldig machen. Es gilt zwar diplomatische Immunität, könnte jedoch die Auswirkung haben, dass unsere Delegation ähnlich Strafpunkte erhält wie viele von uns das noch aus Beauxbatons kennen, nur dass diese Punkte nicht laut verkündet, sondern still und leise zusammengetragen werden. Es heißt, bei zweihundert Punkten müsste eine Delegation den Aufenthalt beenden und dürfe einen Monat lang nicht mehr zurückkommen. - Es gelten halt die Regeln des skandinavischen Allthings, von denen mir Monsieur Chaudchamp eben nur diesen kleinen Auszug überließ. Er hätte Ihnen da sicher noch weitere Gründe für diese straffe Verhaltensvorschrift benennen können. Jedenfalls wäre Monsieur Chaudchamp sehr enttäuscht, wenn wir vor nachweisbaren Erfolgen zur Weiterreise gezwungen wären, vor allem im Hinblick auf das Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn und dem Verhältnis zu den Veelas." Wieder blickte er Julius Latierre an, der jedoch sein Gesicht zu einer Maske der Aufmerksamkeit eingefroren hatte. "Das ist alles wichtige, was ich Ihnen vor dem Verlassen unserer Karosse mitzuteilen hatte. An und für sich sind diese Anweisungen und Verhaltensvorschriften einfach zu behalten. Sollte es dennoch Unstimmigkeiten geben ist jedem erlaubt, für eine kurze Rückfrage zu mir zu kommen. Dies darf aber nur dreimal während der Konferenz geschehen. Soweit von mir für Sie alle. Auf ein gutes Gelingen!"

Julius blieb mit dem geschulterten Besen in der Nähe seiner Schwiegertante und Britta Gautier. Wenn die große Tür aufging und die Treppe ausgeklappt wurde würde er in der dritten Reihe hinter der Ministerin, sowie den Abteilungsleitern für Sicherheit und Handel die Karosse verlassen.

Als die Reisenden ausstiegen landeten gerade mehrere fliegende Besen. Der Anführer der aus zehn Leuten bestehenden Truppe war ein hünenhafter Zauberer, der gut und gern einer nordischen Sage entstiegen sein mochte oder zumindest einmal Profiquidditch gespielt hatte. Er stellte sich als Gundolf Fredericksson vor und erwähnte, dass er der Leiter der Abteilung für magische Auslandsbeziehungen war und dass der schwedische Zaubereiminister sie alle im großen Verhandlungszelt erwartete.

Der Wind blies schon ziemlich kalt durch die Umhänge der angereisten Franzosen. Julius nahm sich vor, morgen früh den tiefblau eingefärbten Latierre-kuhwollumhang überzuziehen, den er für Ausflüge im Winter geschenkt bekommen hatte. Sie flogen auf den geliehenen Besen aus der Reisekutsche in Mitten der kleinen Abordnung. Britta bestätigte Julius, dass Gundolf Fredricksson vor zwanzig Jahren noch für die Småland Stormhowlers gespielt hatte und als Treiber auch zweimal in der schwedischen Nationalauswahl an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen hatte.

Als sie über die ganzen urwüchsig nordischen Bäume hinweg zu einer weiteren Waldlichtung kamen stand da ein an die zwanzig Meter durchmessendes, im Licht der in den rundherum wachsenden Bäumen hängenden Laternen grün widerscheinendes Kuppelzelt, ähnlich jenem fliegenden Zirkuszelt, in dem die Hogwarts-Abordnung zum trimagischen Turnier der Jahrtausendwende angereist war.

Bitte die Besen hier in die Halterungen einhängen!" rief ein kleiner, kugelrunder Zauberer mit für einen Mann untypischem hüftlangen blondzopf. "Oh, das Wer ist wer der schwedischen Quidditchveteranen", gab Britta den Herold. "Einar Helgesson, von den Malmö Meteors."

"Sie kennen mich?" fragte der erwähnte Zauberer und erkannte dann erst, dass sie womöglich Verwandte in diesem Land hatte. Sie wechselte in ihre Muttersprache und stellte sich und die Mitreisenden vor. Der ehemalige Quidditchspieler freute sich, Julius Latierre zu treffen. "Sie haben damals als freiwilliger Helfer bei der Weltmeisterschaft in Millemerveilles meinen Enkelsohn und seine Frau einmal zum richtigen Stadion geleitet. Soweit ich hörte haben Sie in Beauxbatons selbst gespielt."

"Ja, stimmt. Aber das ist schon acht Mittsommernächte her", erwiderte Julius auf Englisch. Darüber mussten die zwei lachen.

Julius wunderte sich überhaupt nicht, dass das Zelt im Inneren kein Zelt mehr war, sondern ein viele Räume enthaltendes Kongressgebäude. Der Rauminhaltsvergrößerungszauber machte das möglich. Die zwei ehemaligen Quidditchspieler Schweedens erwähnten, dass dieses Zelt alle drei Jahre beim Allthing, dem Treffen aller skandinavischern Zaubereiministerien zum Einsatz kam und ständig an einem anderen Ort auf dem skandinavischen Festland oder Island hingestellt wurrde. "Wegen dem weshalb Sie in den nächsten drei bis sieben Tagen unsere Gäste sind wurde gleich das Allthing vorverlegt, das im Anschluss an die Gesamtkonferenz tagen wird. Ihre Ministerin wies die Einladung zurück, Sie alle in den Übernachtungsräumen in der Kuppel unterzubringen. Dort können bis zu hundert Gäste in Zweibettzimmern mit eigenem kleinen Bad unterkommen."

"Ja, doch sehr eindrucksvoll", meinte Barbara Latierre dazu.

Dort, wo die Mittelachse des Kuppelzeltes verlief, war ein kreisrunder Saal von fünf Metern Höhe. Von der halben Höhe bis zur Decke reihten sich scheinbare Fenster, die einen von schmalen Rahmen unterbrochenen Rundumblick boten. An der Decke verteilt hingen kleine, sonnengelb leuchtende Kristallsphären, die den Raum in taghelles, schattenfreies Licht tauchten. Von der Deckenmitte hing an einer an die zwei Meter langen, sehr dünnen Goldkette ein nachtschwarzer Würfel mit schätzungsweise einem Meter Kantenlänge. Die vier Seitenflächen zeigten perlweiße Zifferblätter mit seegrünen römischen Zahlen und Zeigern für Stunden, Minuten und Sekunden. In der genauen Saalmitte stand ein kreisrunder Tisch, der aus dem Stamm einer majestätischen Eiche herausgesägt worden sein mochte. Um den weiß gedeckten Tisch standen hochlehnige Stühle. Julius sah sofort, dass zwölf von ihnen goldene Lehnen und Beine besaßen und mit etwas dickeren purpurroten Polstern versehen waren. Das waren wohl die Stühle für die anwesenden Zaubereiminister.

Als ein etwas kleinerer Mann mit pechschwarzem Haar und silberner Brille auf der Nase von einem dieser erhabenen Lehnstühle aufstand wunderte sich Julius doch. Sollte das der schwedische Zaubereiminister sein?

"Guten Abend, sehr geehrte Gäste aus Frankreich", grüßte der Gastgeber bereits auf Englisch. "Mein Name ist Sören Österlund und ich bin hier in Schweden sowas wie der oberste Häuptling aller Zauberer und Hexen, Minister für magische Angelegenheiten, Wesen, Gegenstände und Ortschaften innerhalb des Königreiches Schweden und aller seiner Hoheitsgebiete, kurz der schwedische Zaubereiminister. Ich bin also Ihr aller Gastgeber und für diese Verhandlung der oberste Verhandlungsleiter. Da ich hoffe, dass Ihr Abteilungsleiter für internationale magische Zusammenarbeit das für solche Anlässe auf unserem Boden geltende Protokoll, zumindest aber die leicht zu merkenden Verhaltensvorschriften verlesen hat - ja, hat er wohl - dürfen Sie in diesem runden Tisch den Mittelpunkt unserer dreimal täglichen Vollversammlungen sehen. Diese Ankündigung werde ich in einer bis zwei Stunden hoffentlich nur noch einmal wiederholen dürfen, da die Kollegen aus dem Nordland ja schon häufiger in dieser hohen Halle zu Gast waren. Es werden im Laufe dieses Abends noch die Abordnungen aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, sowie Russland eintreffen. Ebenso werden die beiden altehrwürdigen Damen Madame Léto aus Frankreich und Dama Sarja aus Russland dazukommen, die für ihr Volk der Veela und seiner Nachkommen innerhalb ihrer Geburtsländer sprechen. Das bedeutet für das morgen früh stattfindende Frühstück eine Menge neuer Gesichter. Um die Vorstellung möglichst zu vereinfachen dürfen Sie gleich von meinem wohlgenährten Mitarbeiter hier noch Anstecker entgegennehmen, die Ihre Namen in lateinischer Schrift tragen. Ich bitte Sie der Verständigung wegen diese Anstecker bei allen über den Tag stattfindenden Ereignissen weithin sicht- und somit lesbar am Brustteil ihrer Kleidung zu tragen. Was die Kleidung angeht gehe ich bei all den erwachsenen Damen und Herren davon aus, dass Sie sich des Anlasses entsprechend bekleiden. Die allgemeine Zuteilung der Fachgruppenberatungsräume erfolgt dann morgen nach dem Frühstück. Sollten Sie noch kein Abendessen zu sich genommen haben bieten unsere Küchenhelfer Ihnen an, in einem der kleineren Essräume aufzudecken und Ihnen einen Vorgeschmack auf die Köstlichkeiten zu biten, die Sie in den nächsten drei bis sieben Tagen zu sich nehmen werden. Sollte diesbezüglich heute kein Bedarf mehr bestehen erfolgt nun die Zuteilung der Namensanstecker. Ich weise darauf hin, dass diese Anstecker mit einem Wahrheitserkennungszauber belegt sind. Schummeln ist also nicht möglich." Alle hier bereitstehenden kämpften darum, nicht lachen zu müssen. "Gut, ich verstehe, dass Sie bereits alle den Ernst dieser Zusammenkunft verinnerlicht haben. Aber das musste ich so sagen, weil es doch immer mal wieder Neulinge bei Zusammentreffen gab, die meinten, die Namensanstecker tauschen zu können. Ich wollte Sie daher nur vorwarnen. Mr. Helgesson, bitte verteilen Sie nun die Namensanstecker laut vorliegender Teilnehmerliste!"

Der kleine, runde Besenveteran mit Zopf rief nun in hierarchicher Folge die Teilnehmer auf, erst die Ministerin persönlich, dann Auguste Chaudchamp. Die Ministerin musste ihm erklären, dass Monsieur Chaudchamp wegen dringlicherer Angelegenheiten nicht an dieser Reise teilnehmen konnte. So wurde zunächst "Abteilungsleiter magische Sicherheit und Recht, Chevallier, Belenus!" aufgerufen. Danach kam schon Barbara Latierre. Dann erfolgte "Beauftragter des Zaubereiministeriums Frankreich für Kontakte zwischen Menschen und Veelas, Latierre, Julius!" Julius marschierte an Alain Dupont vorbei, der ihn mit herunterhängenden Lippen nachblickte. Doch machen konnte er nichts dagegen, dass Julius im Range eines Behördenleiters höher gestellt war als ein Stellvertretender Abteilungsleiter.

Julius nahm den kleinen silbernen Anstecker, der seinen Namen und seine Zugehörigkeit weithin lesbar trug. Als er den Anstecker ansteckte leuchtete dieser hellgrün auf. "Grün heißt Wahrheit?" fragte er. "Genau. Bei falscher Namensangabe hätten sie ein feuerrotes Blinken ausgelöst", wisperte Helgesson und winkte ihn durch, um die nächsten mit Ansteckern zu bedenken. Alain Dupont kam nach dem Leiter der Handelsabteilung an die Reihe. Britta und die drei anderen mitgereisten Leibwachen der Ministerin wurden zum Schluss mit Ansteckern verziert.

"Damit ist dieser protokollarische Akt erfüllt. Falls Sie noch eine Kleinigkeit essen und trinken möchten dürfen sie dies gerne im Abendzimmer tun. Auf dem Weg dorthin können Sie dabei auch die wichtigsten Fachgruppenräume sehen", sagte Minister Österlund leutselig.

Ministerin Ventvit erkundigte sich mit einer Frage, ob noch jemand genug Hunger hatte. Alle nickten. So wurden sie von dem kleinen Quidditchveteranen durch die in sanften Kurven verlaufenden Gänge geführt. Weiße Türen mit goldenen Schildern wiesen in fünf Sprachen, darunter Englisch und Latein darauf hin, was dahinter beraten wurde und wer der schwedische Ansprechpartner war. Julius merkte sich vor allem den Raum für die Beratung über magische Wesen, Raum 002. Es konnte auch sein, dass er irgendwann mit den zwei angekündigten Veeladamen im Chefzimmer sitzen durfte, um mit den Ministern selbst zu sprechen.

Der Abendsaal hieß so, weil er im Westen lag und seine nicht ganz so großen magischen Fenster eben in diese Richtung blickten. Außerdem war hier alles in Blau gehalten. An der Decke hing sogar ein Modell der Mondscheibe, die der jeweiligen Phase nach leuchten konnte und, was den Hobbyastronomen Julius besonders beeindruckte, eine kuppelförmige Nachbildung des nördlichen Sternenhimmels. Ansonsten gaben mehrere silberne, halbmondförmige Leuchter ein warmes, weißes Licht ab. "Wie bei deiner Cousine Artemis", flüsterte Julius Barbara zu. Denn ob hier mentiloquiert werden konnte wollte er besser nicht ausprobieren. Sie sah ihn an und nickte. "Werde ich ihr hoffentlich berichten können, sofern das alles nicht auf S1 eingestuft bleibt."

Da hier Ministerin Ventvit die ranghöchste im Raum war bat sie alle, sich zu setzen. Die grünen Namensanstecker mischten ihr Licht in das der Kerzen.

Da sie eben nur wenig essen wollten gab es das weltberühmte Knäckebrot mit verschiedenen Käsesorten oder etwas, das wie englische Sandwiches aussah und mit raffinierten Belegen und Marinaden auftrumpfte. Zu Trinken gab es eine Mischung aus Beerensaft und Met. Man wollte ja schließlich kein Besäufnis veranstalten. Julius, Barbara und Belenus Chevallier saßen absichtlich in Brittas Nähe und genossen das Essen und die kurzen Beschreibungen der dargereichten Speisen. Sie sahen hier keine Hauselfen. Alles was aufgetischt wurde erschien auf Tabletts und in Karaffen wie appariert. Das kannte Julius von den zwei trimagischen Turnieren, an denen er als Zuschauer teilnehmen durfte. Teller und Bestecke waren aus edelstem Material. Julius staunte über ein goldenes Brotmesser und fand heraus, dass es aus purem Gold war. Aber es musste so bezaubert sein, dass es nicht so weich war wie übliches Gold.

"Kann sein, dass dieses Besteck von Zwergenschmieden angefertigt wurde", sagte Britta, als Barbara wissen wollte, ob das Besteck besonders bezaubert war. "In Schweden und den anderen Nordländern stellen die Zwerge die besten Handwerker dar und können geniale Zaubervorrichtungen und Kleidungsstücke anfertigen. Gringotts war hier in Schweden bis zu Ladonnas Koboldvertreibungsaktion eine kleine, nur für internationale Geschäfte wichtige Firma ausschließlich in Stockholm in der Trollergatan. Da müsste ich eigentlich mal wieder hin, weil ich für die Familie noch kleine singende Bäumchen suche, die es nur hier in Schweden gibt."

"Stimmt, da haben Sie von erzählt", sagte Barbara, in Anwesenheit so vieler hochraniger Kollegen lieber die förmliche Anrede benutzend.

Da sie nicht groß von dem sprechen wollten, was ab morgen stattfand ging es eben nur um das, was Britta Gautier aus ihrer Heimat erzählen konnte. Gegen halb elf nahmen sie das Angebot an, zu ihrer Sonnenkarosse zurückzukehren. Auf dem Weg dorthin hörten sie das Trompeten landender Asgardschwäne, die am westlichen Ufer des Bäster Trek herunterkamen.

"Du hast was von einer Nichtmagierstadt im Osten des Sees erzählt, Britta. Kriegen die das nicht mit, wenn hier elefantengroße Schwäne landen?" fragte Julius.

"Mit dem Ich-seh-nicht-recht-Zauber wird denen vorgegaukelt, es seien gewöhnliche Schwäne, die in ihrer Nähe landen. Die hinter ihnen hergezogenen Flugbarken sind getarnt", erwiderte Britta, die sich immer mehr in der Rolle der Reiseleiterin gefiel, obwohl sie offiziell als Leibwächterin mitgeflogen war. Julius konnte es ihr voll nachempfinden. Während sie in Südwales waren hatte es ihn schon gekribbelt, mehr über seine Heimat zu erzählen. Wären sie in London untergekommen hätte er sicher eine Gelegenheit gehabt, in die Winkelgasse oder das nichtmagische Westend zu reisen.

Wieder zurück in der Sonnenkarosse wünschte die Ministerin allen eine erholsame Nacht.

Als Julius vor seiner Kabine ankam erschrak er fast. Hinter ihm war jemand. Als er sich umdrehte sah er seine Schwiegertante Barbara. Diese sah ihn an und sagte: "Ab morgen ist unser wichtigster Auftritt, vor allem deiner. Du hast schon vieles erlebt, überstanden und gemeistert. Das bekommst du auch hin. Die Russenkönnen es sich nicht leisten, mit den Veelas in ständigem Unfrieden weiterzuleben. Wie du mitbekommen hast bist du Sonderbeauftragter im Rang eines Abteilungsleiters. Lass dich also nicht von Leuten wie Tupulew oder wem auch sonst einschüchtern, dass sie dich wegen angeblicher oder wirklicher Verfehlungen bei mir oder der Ministerin melden. Du hast deinen klaren Auftrag. Deshalb bist du dabei. Das soll dein einziger wichtiger Gedanke sein. Mehr möchte ich dazu nicht mehr sagen. Gute Nacht, Julius!"

"Danke für deinen Rat und die Hinweise, Tante Babs. Schlaf gut und träum schön von den beiden kleinen Rackern, die dich vermissen."

"Die haben zwei große Schwestern, die auf sie aufpassen", sagte Barbara Latierre lächelnd. Dann ging sie in Richtung ihrer Kabine weiter.

Als der Nachtschutzmodus in Kraft trat mentiloquierte Julius mit Hilfe der Goldherzverbindung mit seiner Frau. Dabei erfuhr er auch, dass er wahrhaftig drei neue Kinder gezeugt hatte und Millie zwei Töchter trug. Auch erfuhr er, was die beiden großen Hexen in seinem Leben mit der guten Hera angestellt hatten. "Und ich dachte schon, Trice müsste ihren Heilerberuf aufgeben", schickte er seiner Frau. Die verwies ihn an Trice. Aber sie gab ihm noch mit, dass Hera seine Reise als Friedensreise oder auch Reise für den Frieden bezeichnet hatte. Das deckte sich voll mit dem, was seine Schwiegertante Barbara gerade noch gesagt hatte. Ein toller Titel für einen Artikel oder eine ganze Artikelserie, wie damals die leidige Zeit unter der Dämmerkuppel, fand Julius. Er grüßte dann noch Béatrice und bestellte ihr auch Grüße von ihrer zweitgrößten Schwester Barbara. Dann wünschte er ihr noch eine gute Nacht.

Er wollte gerade in das zur Kabine gehörende Badezimmer, als Léto ihn anmentiloquierte: "Juhu, Julius. Ich hoffe, du bist bereits auf dieser waldigen Insel. Sarja und ich haben uns in unserem eigenen Reisezelt eine halbe Meile vom See niedergelassen, weit genug weg von dieser Nobelkarosse von Arcadi und seinen geflügelten Schwarzrössern."

"Ja, wir sind schon vor drei Stunden hier gelandet und schon vom schwedischen Zaubereiminister begrüßt worden. Wie habt ihr denn ein Zelt transportiert, wo ihr auf keinem Besen fliegen könnt?"

"Fleur hat uns beiden ein solches Zelt besorgt, das sich selbst ein- und entschrumpfen kann. Ist es entschrumpft muss es nur mit den zwölf Heringen fest am Boden verankert werden, um auch als magische Festung mit mehreren Schildzaubern zu wirken und nicht gleich wieder eingeschrumpft zu werden. Dann kann es von einer von uns auf dem Rücken getragen werden. In dem Fall bin ich diejenige, die es trägt, weil Sarja gerade genug zu tragen hat.""

"Oh, deine Schwester ist schwanger?" fragte Julius. "Ja, im siebten von wohl zwanzig Monaten. Sie hat wen gefunden, der ihr diese Freude macht, nachdem ich dich ihr ja vorenthalte."

"Womit ich gar kein Problem habe", schickte Julius zurück. "Aber dann weiß ich morgen wenigstens, warum sie besonders stark ausstrahlt und werde mich nicht über ihren sicher schon leicht rundlicheren Körper wundern."

"Na ja, im Gesicht und an der Oberweite legt sie im Moment ein wenig mehr zu. Den Bauch sieht nur, wen sie unter ihre Kleider sehen lässt. Dich würde sie sofort nachsehen lassen, hat sie mir vorhin noch zugesungen."

"Wie schwangere Frauen von innen und außen aussehen weiß ich. Danke für das angebot", schickte Julius zurück. "Na, das klang jetzt aber nicht nett oder gar anerkennenswert und Dankbar, Julius."

"Sollte auch nicht so rüberkommen", erwiderte Julius rein gedanklich. Er fühlte, wie sein Kopf sich erwärmte. Deshalb schickte er noch hinterher: "Ich habe schon länger mit meiner Frau mentiloquiert. Daher bin ich jetzt sehr müde. Gute Nacht und bis morgen!"

"Die hat sich sicher gefreut, von dir zu hören. Schlaf gut und erhol dich richtig!"

__________

Fast hätte Atalanta Bullhorn ihr Zauberradio aus dem Fenster geworfen. HCPC 2623 hatte gerade ein Interview gebracht, worin die Psychomorphologin Dalia Silvercup klar angesprochen hatte, dass Ladonnas dunkle Saat noch nicht aus der Welt sei, solange jene, die am meisten unter ihr gelitten hätten, Vergeltungsmaßnahmen bevürworteten, um Veelas oder andere obskure Hexenorden zu vernichten und dabei ähnlich wie die Nomaj-Hexenjäger der frühen Neuzeit und vor allem in Salem grausam gewütet haben. "Ich habe einen Patienten in Behandlung, den Ladonna zu ihrem Leib- und Liebessklaven gemacht hat. Dem oder der ähnliches widerfahren ist droht zur Gefahr für sich und für die Allgemeinheit zu werden. Es ist daher sehr wichtig, dass diese Betroffenen zwei Dinge anerkennen: Sie tragen keine Schuld an ihren Taten und müssen daher nicht in extremer Gegenbewegung Buße tun. Zweitens dürfen sie sich als eindeutig kranke Menschen meinen Kolleginnen und Kollegen anvertrauen und darauf vertrauen, dass alles, was sie uns berichten oder auf andere Weise enthüllen ganz diskret behandelt wird. Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten, wenn jemand weiß, dass er oder sie Hilfe braucht."

"Die wollen uns zu geistigen Krüppeln erklären. Natürlich weiß ich, was mir dieses Weib angetan hat. Doch ich lasse mir keine Beruhigungstränke und auch keinen Gedächtniszauber überziehen, nur damit ich in deren Sinne funktioniere", schnarrte Atalanta Bullhorn. Sie wusste, dass Ladonna sie fertiggemacht hatte. Ja, sie träumte noch jede Nacht davon, in diesem verfluchten Rosengarten fest in die Erde eingegraben zu stecken. Ja, sie wusste, dass Ladonna über sie eine Menge über die US-amerikanische Zaubererwelt herausgefunden hatte. Doch sie wollte sich nicht als arme, hilfsbedürftige Patientin von einer wie Silvercup verdrehen, mit Entspannungs- und Beruhigungsmethoden behandeln lassen. Sie war diesem Irrsinn nur entgangen, um sicherzustellen, dass sowas wie dieses mischblütige Ungeheuer nie wieder ehrbare Menschen heimsuchen konnte. Ja, und sie traute den Heilerinnen auch nicht. Wer sagte ihr, dass nicht welche von denen bei anderen obskuren Hexenorden mitmachten, bei der schwarzen Spinne zum Beispiel. Die würden doch schon darauf lauern, Ladonna zu beerben. Ja, wenn die freiwillig bei dieser Missgeburt mitgelaufenen Megären meinten, möglichst mächtig werden zu wollen machten die ihre eigenen dunklen Sororitäten auf, enntweder zusammen mit den Nachtfraktionsschwestern und dem Spinnenorden, oder sie taten, was Ladonna ihnen vorgelebt hatte, sie verleibten sich diese Orden ein wie Amöben Nahrungsteilchen. Das hieß, diese Brutstatt neuen Unheils musste verschwinden. Ja, wenn Ladonnas dunkle Saat wirklich vom Erdboden getilgt werden sollte, mussten alle Orden, die so waren wie der Feuerrosenorden von der Erdoberfläche verschwinden. Also durfte sie sich keiner Heilerin anvertrauen. Fand die nämlich heraus, worauf sie ausging, würde sie zur Gefahr für angeblich ehrliche Hexen erklärt. Doch offen gegen die dunklen Schwesternschaften vorgehen, ja womöglich Mitglied in jenem neuen Makusa werden durfte sie auch nicht, weil dann erst recht jemand finden könnte, sie "behandeln" zu müssen.

Es galt, genug wirklich ehrliche und treue Gefährten zu finden, um eine schlagkräftige Truppe zu bilden, die möglichst geheim und vor allem unabhängig von jeder von wem immer ernannten Zaubereiverwaltung handelte. Ihr war klar, dass sie darauf ausging, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Doch wenn das Ergebnis eine wirklich freie Welt war konnte sie am Ende noch Dankbarkeit erwarten.

Atalanta Bullhorn stellte das für sie so viel unerhörtes Zeug verbreitende Radio aus und fing an, eine Liste ihr sicher sehr treuer Kameraden zusammenzustellen. Sie wusste jedoch, dass sie auf der Hut sein musste. Verriet einer von denen, was sie wirklich vorhatte, könnte der Makusa beschließen, sie zwangseinweisen zu lassen, wenn die Narren nicht gleich fanden, sie töten zu müssen.

__________

Julius nutzte die Sportgeräte in der Kutsche, um sich diesen Morgen richtig in Schweiß zu treiben. Dann nahm er ein halbstündiges lauhwarmes Bad in seiner Kabine. Heute war sein erster wirklich wichtiger Tag dieser Reise.

"Du kannst auch Tee zum Frühstück, also dem Frukost haben", sagte Britta Gautier zu Julius. "Wir in Schwweden trinken nur viel Kaffee." "Hoffentlich kann ich die Kalorien wieder gut runterstrampeln", meinte Julius. "Wie, hast du Angst, zu dick zu werden?" wollte seine um drei Ecken verschwägerte Verwandte wissen.

"Also ich möchte nach Möglichkeit vermeiden, wieder so rund zu werden wie damals, als Millie Aurore erwartet hat und ich aus gewisser Sympathie so viel mitgegessen habe wie sie. Abspeck zwei wirkt bei mir nicht so wie er soll. Daher muss ich aufpassen, nicht zu viel zu futtern."

"Das verstehe ich. Gut, ich muss ja vorgeschriebene Turn- und Ausdauerübungen machen. Du hast doch diese Kampfkunst erlernt, hat Martine erzählt." Julius bestätigte das und dass er bei den Übungen zu Hause und in der Kutsche die dabei erlernten Bewegungen wiederholte, um im Fluss zu bleiben. "Schnellkraftübungen verheizen auch schon einiges an überschüssiger Nahrung", sagte Britta. Julius konnte dem nicht widersprechen.

Als sie dann mit ihren Besen zum grünen Zelt zurückflogen staunte Julius nicht schlecht. Unzählige Besen mit Leuten darauf glitten aus drei Richtungen auf das Zelt zu. Julius sah russische Buranbesen und sogar mehrere Feuerblitze, die wohl noch als Andenken von Victor Krums großartigem Schnatzfang 1994 nach Bulgarien verkauft worden waren. Wenn er das gewusst hätte hätte er seinen Ganni 12 mitgebracht. Aber den konnte Millie im Moment sicher besser gebrauchen als er.

Vor dem Zelt trafen sich alle, die an dieser internationalen Zusammenkunft teilnehmen würden. Die ausgeteilten Anstecker leuchteten grün und verrieten jedem, der sie ansah, welchen Namen ihre Träger trugen. Julius erkannte aber auch so Vertreter der russischen Delegation, allen voran den um sein Amt besorgten Maximilian Arcadi. Doch wo waren Léto und Sarja?

Die schwedischen Gastgeber ließen es geschehen, dass sich einzelne Delegierte begrüßten. Doch als es kurz vor acht Uhr war drängten sie sie doch, in das Zelt zu kommen. Schließlich sollte ja alles protokollgemäß ablaufen, auch das Frühstück.

Im Zelt trafen sie dann auf die zwei makellos schönen, zeitlos wirkenden Veelas. Julius fühlte den Heilsstern, den er unterseiner Kleidung verbarg, wohlig pulsieren. Er hatte es nicht nötig, das Lied des inneren Friedens anzustimmen. Doch er konnte sehen, wie unvorbereitet auf die beiden übernatürlichen Schönheiten treffende Zauberer fast dahinschmolzen. Das Sarja in anderen Umständen war konnte sehen, wer Veelas kannte. Außerdem wirkte sie noch zuversichtlicher, noch selbstbewusster als sonst. Ob sie wie damals Fleur Weasley auch eine besondere Aura verströmte spürte Julius gerade nicht. Der Heilsstern schirmte ihn ab. Das mochte Sarja sicher merken. Wie sollte er es ihr begründen, ohne die Wahrheit zu sagen?

"Es ist sehr schön und beruhigend, dass Sie es einrichten konnten, ebenfalls herzukommen", grüßte Léto Julius förmlich, wobei sie dieses völlig akzentfreie, glockenhelle Englisch sprach, dass er schon auf der Suche nach Euphrosyne und Alain Lundi bewundert hatte. Er erwiderte: "Ich hoffe nur, Ihre Hoffnungen zielen nicht all zu hoch. Ich bin zwar ein Zauberer, aber kein allgewaltiger Gott, der Menschen nach belieben umstimmen oder zu bestimmten Handlungen zwingen kann."

"Das möchten wir auch nicht von Ihnen verlangen. Überzeugung ist immer besser als Zwang, nicht wahr, kkleine Schwester?"

"Möchtest du mich schon verärgern, bevor diese Veranstaltung beginnt, Léto?" knurrte Sarja und sah Julius an. Er fühlte, dass sie ihn wohl mit ihrer Kraft betören wollte. Da sagte er: "Ich hörte, Ihnen darf demnächst gratuliert werden, Madame Sarja. Ich hoffe, der werdende Vater hilft ihnen aus freiem Herzen und mit ganzem Willen bei allem was ansteht." Sarja verzog erst das Gesicht, weil Julius sie schon wieder an die Sache mit Diosan und was er ihr deshalb mitgegeben hatte erinnerte. Dann strahlte sie und erwiderte: "Für die vorgemerkten Glückwünsche meinen vorauseilenden Dank. Ja, ich erwarte ein Kind, und ja, der Vater dieses Kindes wird sehr froh sein, mir dabei zu helfen, es in dieser wilden Welt großzuziehen, sofern nicht jemand einen Krieg zwischen meinem Volk und Ihrem entfacht."

"Seien Sie bitte versichert, dass ich alles mir mögliche tun werde, einen Krieg zwischen Ihrem und meinem Volk zu vermeiden. Schließlich wissen wir beide, wer unsere Völker an den Rand dieser Auseinandersetzung getrieben hat." Das beruhigte Sarja. Sie sagte: "Ich und das in meinem Leib heranwachsende Kindwerden uns freuen, in einer angstlosen Welt zu leben."

"guten Morgen, werte Gäste aus Norden, Süden, Westen und Osten!" grüßte Sören Österlund die nun sehr zahlreichen Gäste. "Ich bin sehr erfreut, dass wirklich alle angekündigten Gäste eingetroffen sind und dass wir die Zusammenkunft und Einzelberatungen zu einem für alle Seiten erfreulichen Abschluss bringen können. Die Damen Sarja und Léto haben sich ja bereits allen vorgestellt, die gestern abend noch eintrafen. Dem jungen Herren Latierre sind sie ohnehin bereits bekannt, wie ich lesen und jetzt auch miterleben konnte. So mögen wir uns nun zum Frühstück zusammensetzen, um genug Stärkung für den langen Tag zu erhalten!"

Das Frühstück im großen runden Mittelsaal des grünen Zirkuszeltes war wirklich einfach. Zu dem berühmten Knäckebrot und Butter wurden Käse und Marmelade gereicht, dazu Fruchtsaft und Kaffee oder Tee. Julius nahm ebenfalls von dem Tee, als er merkte, dass er nicht der einzige war. Auch die schwedische Handelsabteilungsleiterin mochte lieber Tee als Kaffee. Er konnte beobachten, dass Arcadi seinen Tee heimlich mit etwas "nachwürzte". Hatte der es echt so nötig, schon am frühen Morgen hochprozentiges zu trinken? Julius beschloss, sich nicht damit zu befassen, solange er nicht den Eindruck bekam, dass es seinen Auftrag gefährdete.

Er saß bei Tisch zwischen Belenus Chevallier und Barbara Latierre. die von den Ministern mitgebrachten Sicherheitsleute, darunter auch Britta Gautier, saßen so, dass sie ihre zu schützenden Personen immer genau im Blick hatten.

Beim Frühstück sprachen sie nur über die harmlosesten Oberflächlichkeiten wie das derzeitige Wetter, die dichten Wälder um den See und die jeweilige Quidditchliga. Keiner hier wollte schon mal mit was bedeutsamem, rechtskräftigem Anfangen. Doch die Zeit verging wie im Flug. Als der unter der Decke hängende Uhrenwürfel zehn Minuten vor acht Uhr zeigte schob der Minister seinen Frühstücksteller und seine leere Tasse weit von sich. Er sagte laut etwas auf Schwedisch und dann auf Englisch: "Ich danke all jenen, die uns dieses Mahl beschert haben." Sofort war es ruhig. Wie es das Protokoll gebot hörten nun auch alle anderen mit dem Essen auf.

"Nun, da wir alle gut und hoffentlich reichlich gefrühstückt haben möchte ich nun die Tagesordnung für heute vorlesen, weil mein Vorleser vom Dienst bereits unterwegs ist, um eine der gleich beginnenden Gesprächsrunden zu eröffnen. "In acht Minuten beginnen die Abordnungen für magischen Handel in Beratungsraum vier, für magische Zusammenarbeit in Beratungsraum drei, die Gruppe zur besseren Integration von Zauberwesen in Raum zwei und die Gruppe für magische Ausrüstungen und Tauschgüter in Raum fünf. Wir, die Ministerinnen und Minister, dürfen den Raum Nummer eins übernehmen, wo es um die bisherigen Ereignisse und die daraus zu ersehenden Folgen gehen wird. Die einzelnen Tagesordnungspunkte erhalten Sie alle dann von meinen für die Einzelgruppen eingeteilten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich wünsche uns allen einen erbaulichen, erfolgreichen Auftakt dieser außerordentlichen Konferenz!" Alle nickten dem Minister zu. Dann schoben auch sie alle ihre Teller zurück. Julius war froh, nichts darauf zurückgelassen zu haben, Britta hatte gestern auf dem Herflug noch erwähnt, dass es nicht gerne gesehen wurde, wenn jemand etwas auf dem Teller zurückließ. Das lag an der Achtsamkeit der Schweden für ihre Lebensmittel. Viele Sachen waren nicht so leicht zu beschaffen. Daher achteten sie sowohl auf gut angelegte Vorräte als auch auf sinnvollen Verbrauch von Lebensmitteln, keine Verschwendung.

Weil noch Zeit war konnten sich die angereisten Damen und Herren in den je zwei großen Waschräumen für Damen und Herren noch einmal erleichtern und frischmachen. Julius staunte schon nicht mehr, wenn er die zwanzig verschließbaren Kabinen und ebensovielen, sich der Hüfthöhe des Bedürftigen anpassenden Urinale sah.

Draußen im Rundgang traf er seine Schwiegertante wieder. Barbara Latierre deutete auf den schwedischen Leiter der Abteilung für magische Wesen. "Mit dem Herren müssen wir mit", sagte sie zu Julius. Dann folgten die einzelnen Fachgruppen den einheimischen Leitern in die angekündigten Besprechungsräume. Der eigentliche Tag begann um eine Minute vor acht Uhr.

Raum 002 war nur ein Achtel so groß wie der Mittelachsensaal. Außerdem war er rechtwinklig wie die meisten Räume eines Hauses, von den fruchtförmigen Varanca-Reisehäusern abgesehen. An jeder Wand hing eine einzelne Uhr mit ähnlichem Zifferblatt wie die des Uhrenwürfels im Mittelachsensaal. Auch hier gaben sonnengelbe Leuchtkristalle ein angenehm warmes und helles Licht ab. Die Decke war mit Runen verziert, von denen Julius fünf erkannte: Die für Macht, die für Stille, die für Verborgenheit, die für Festigkeit und die für Wirklichkeit. Dazu gab es wohl noch Runen, wie sie die nordischen Völker ihrem Göttervater Odin zuschrieben. Womöglich bildeten sie mit den magischen Runen eine Anrufung in nordischer Sprache, die Julius nicht konnte. In der Raummitte stand ein rechteckiger Tisch mit je zehn Stühlen an den Längsseiten und fünf Stühlen an der türseitigen Schmalseite. Vor Kopf stand nur ein einzelner, hochlehniger Stuhl mit silberner Rückenlehne und silbernen Beinen. Hier saß also der Gesprächsleiter, also Gunnar Bengtsson.

Jener sah so aus, als habe er früher gegen Drachen gekämpft. Seine Hände wiesen Brandnarben auf, auch an seinem Gesicht verlief eine solche Narbe. Er mochte bereits an die achtzig Jahre alt sein. Er besaß nur noch am Hinterkopf flachsblondes Haar und trug eine blaugeränderte Brille. Mit ihm musste sich Julius also gutstellen, wenn er möglichst bald und möglichst erfolgreich aus dieser Zusammenkunft herauskommen wollte.

"Wir erwarten noch eine der beiden Veelas als Repräsentantin ihres Volkes, sofern die sich darauf einigen, wer von ihnen den Rang hat, bei unserer Beratung dabei zu sein", sagte Bengtsson. Da kam auch schon beinahe schwebend schreitend Léto in ihrem langen, seidenweichen wasserblauen Kleid. Sie lächelte den älteren Ministeriumszauberer an, der beinahe dahinschmolz und sagte etwas zu ihm, von dem Julius der Sprachmelodie nach sicher war, dass es Schwedisch war. Bengtsson wich zur Seite und ließ sie an sich vorbei in den Beratungsraum. Dann griff er zur Türklinke und zog die Tür von innen zu. Er wirkte dabei fast wie in Trance. Überhaupt stellte Julius fest, dass die hier am Tisch stehenden Zauberer hingebungsvoll auf Léto blickten, während die Hexen einschließlich Barbara Latierre eine abweisende, ja fast angriffslustige Körperhaltung einnahmen. Nur er blieb von Létos besonderer Ausstrahlung verschont. Das lag sicher an dem sanft und wohlig warm pulsierenden Heilsstern. Léto sah einmal mit ihren stahlblauen Augen zu ihm herüber und schien tief Luft einzusaugen. Dann entspannte sie sich und sah Bengtsson an. Dieser deutete wie im Traum auf den Stuhl, der vom silbernen Stuhl aus der erste rechts war. Das schien den laut Namensanstecker Ole Haraldson heißenden Zauberer aus Norwegen sichtlich zu missfallen. Er sah die Veela an und wollte wohl was sagen, da sagte Bengtsson: "Ja, ich weiß, dem ältesten gebührt der beste Sitz nach dem Vorsitzenden, wenn er da selbst nicht der vorsitzende ist, Kollege Haraldson. Aber die Dame Léto ist die Repräsentantin aller in Frankreich lebenden Veelas und noch dazu einige Mittsommernächte älter als Sie und eben eine Dame. Seien Sie also bitte so galant, ihr den sonst für Sie angebotenen Platz zu überlassen. Sie dürfen sich dafür links von mir hinsetzen."

"Und ihr da andauernd ins Gesicht sehen", fragte Haraldson, der nun, wo Létos Ausstrahlung nicht mehr mit ganzer Kraft auf ihn einwirkte merkte, wie sehr sie ihn doch betört und damit erniedrigt hatte. "Nein, Kollege Bengtsson. Wenn Sie sich dieser Repräsentantin dort die ganze Zeit aussetzen wollen ist dies Ihre Angelegenheit. Ich ging davon aus, dass ..."

"Sich bitte im Namen Odins, Freyas und Balders an die geltende Bestimmung halten, dass der erwählte Gastgeber bestimmt, wo welcher seiner Gäste sitzt und dies demütig und dankbar annimmt", knurrte Bengtsson. "Wenn der norwegische Trollringer das nicht mag, eine wunderschöne Frau anzusehen setz ich mich dahin, wo Sie ihn hinsetzen wollten, Mr. Bengtsson", mischte sich nun Olek Bokowsky ein, der Vertreter des polnischen Zaubereiministeriums und grinste verschmitzt.

"Damit Sie die ganze Zeit nichts anderes mitbekommen?" begehrte Haraldson auf. "Könnte Ihnen so passen!"

"Genug jetzt. Sie haben mein Angebot abbgelehnt, Kollege Haraldson. Daher dürfen Sie sich dem Kollegen Ivarsson von der feurigen Insel Island gegenübersetzen. Gut, dann bestimme ich im Namen des von den Asen gesegneten Regelwerkes, dass jener links von mir zu sitzen kommt, der erstens den Anblick und die damit einhergehende Macht von Veelas gewohnt ist und zweitens laut meiner Beobachtung im Stande ist, sich ihr zu widersetzen, was ich leider nicht von allen hier anwesenden Herren behaupten kann, mich leider eingeschlossen. Doch Madame Léto genießt wie ihre Schwester Sarja den vorvereinbarten Anspruch, als höchste Repräsentantin des in ihrer erwählten Heimat lebenden Volkes aufzutreten. Mr. Latierre, Julius, bitte begeben Sie sich zu diesem Stuhl!" sprach Bengtsson und deutete auf den ersten Stuhl auf der vom Ehrenstuhl aus linken Tischseite. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht schadenfroh zu grinsen. Er hielt sein Gesicht gut im Zaum und ging ruhig, ohne sich besonders überlegen zu geben, an dem Tisch vorbei. Er fühlte die ihm geltenden Blicke und widerstand der Versuchung, sich umzudrehen. Dann stand er hinter dem ihm zugewiesenen Platz und erkannte, dass bis auf den des Gesprächsleiters und dem der ihm zur rechten gesetzten Ehrenperson alle Stühle gleich hoch und gleich bequem sein mochten.

Bengtsson dirigierte nun, weil es schon nach acht Uhr war, alle anderen auf die von ihm einer wie immer erstellten Rangliste nach verteilten Plätze. Julius sah, dass Barbara Latierre vier plätze weiter rechts von Léto Platziert war. Links von Julius nahm der dänische Zauberwesenbehördenleiter Lars Mortensen Aufstellung hinter seinem Stuhl. So kam Julius um die Unanehmlichkeit herum, neben Andrej Tupulew aus Russland zu sitzen. Der stand Barbara Latierre gegenüber.

Nachdem alle Teilnehmer hinter ihren Stühlen Aufstellung genommen hatten sagte Bengtsson: "Imm Namen des schwedischen Zaubereiministeriums begrüße ich Sie, Madame Léto, werte Kolleginnen, werte Kollegen, an diesem Tage, den 21. März des Jahres 2007 um nun bereits acht Uhr zwei und dreizehn Sekunden zu dieser über Wochen vorbereiteten Zusammenkunft. Da wir alle weithin lesbare Namensschilder tragen benötige ich keine große Vorstellung. Das Protokoll dieser Zusammenkunft wird von einer neutralen, selbstschreibenden Feder gemäß der darin eingewirkten Vorgaben für korrekte Darstellung und Ausdrucksweise erstellt. Bitte setzen Sie sich nun alle hin, damit ich die Tagesordnung der gesamten Zusammenkunft verlesen kann. Danke!"

Das Hinsetzen dauerte nur zehn Sekunden. Julius sah bewusst Léto an, die ihn anlächelte. Sein Heilsstern pulsierte etwas kräftiger aber wohlig warm. Dann ließ dieses Gefühl auch schon wieder nach. Offenbar hatte sie ihn testen wollen.

Die elf an dieser Zusammenkunft teilnehmenden Verwaltungsorgane für magische Angelegenheiten haben sich in Vorbereitung auf diese Zusammenkunft auf folgende Abfolge von Tagesordnungspunkten geeinigt", begann Bengtsson mit der Verlesung der Tagesordnung. Julius lauschte und erkannte, dass hier mehrere Gelegenheiten genutzt wurden, nicht nur die Zeit nach Ladonnas Ende abzuarbeiten, sondern andere länger schon bestehende Anliegen zu besprechen. Das Anliegen, für das er überhaupt mitgereist war kam an fünfter Stelle und wurde mit "Ergründung aller zu großen Unstimmigkeiten zwischen dem Volk der Veelas in den slawischen Ländern und anderen von ihnen bewohnter Länder und die Beilegung dieser Missverhältnisse" betitelt. Julius und Léto nickten andeutungsweise. Dann folgten noch fünf weitere Punkte, die vor allem das Verhältnis zwischen Schweden, Finnland und Russland betrafen, was "wandernde Berg- und Waldtrolle" anging. Natürlich war auch ein gemeinsamer Beschluss zum möglichst friedvollen Umgang mit den Kobolden von Gringotts und eine bei der Gelegenheit mögliche Festlegung von Einwohnerzahlen der Kobolde in den nordischen und slawischen Ländern auf der Tagesordnung. Dabei hörte Julius bereits heraus, dass die Nordländer wohl keinen Krach mit den Zwergen haben wollten und so wohl den Zustand vor der Feuerrosenära beibehalten oder wiederherstellen wollten. Da konnte es noch was geben, dachte Julius. Überhaupt fürchtete er gerade, dass Létos und sein Anliegen heute noch nicht zur Sprache kamen. Denn die bereits bekanntgegebenen Tischzeiten rahmten die Zeit für wichtige Gespräche gut ein. Ja, und wie Julius es aus den politischen Debatten im Fernsehen kannte mochte ein scheinbar einfach abzuhandelnder Tagesordnungspunkt eine elendlange Diskussion auslösen, weil sich vielleicht die einen oder anderen benachteiligt fühlten. Hier gab es sogar noch den gewissen Zünd- oder gar Sprengstoff, dass einige der anwesenden Ministeriumsvertreter auf Bewährung waren, ob sie weiterhin Ministeriumsbeamte bleiben durften oder nicht. Schweden war wohl damit schon durch und Frankreich hatte dieses Problem seit der Sanguis-Purus-Affäre auch nicht mehr.

"Zum Abschluss der verlesenen Punkte weise ich des Protokolls wegen darauf hin, dass alle in diesem Raum beratenen Dinge und getroffenen Vereinbarungen bis zur Genehmigung durch die Ministerinnenund Minister für Zauberei nicht mit außenstehenden besprochen werden dürfen. Vielen Dank! Kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt eins, die darlegung aller mit magischen Wesen verbundenen Ereignisse während der Zeit der sogenannten Feuerrosenkönigin Ladonna Montefiori." Julius dachte, dass sie es immerhin schafften, ihren Namen auszusprechen, obwohl sie durchaus eine sehr mächtige dunkle Lady gewesen war.

In der folgenden Stunde berichteten erst Bengtsson und dann alle skandinavischen Zauberwesenverwaltungsbeamten und dann die aus Osteuropa, wie Ladonnas Zeit bei ihnen angefangen hatte und welche Auswirkungen diese auf die bei ihnen lebenden Zauberwesen hatte. Da hier entweder nach Worterteilung des Gesprächsleiters oder nur in Form einer Zwischenfrage wer anderes sprechen durfte verlief dieser Teil sehr sachlich, auch wenn gerade der russische Vertreter sehr emotional darlegte, was Ladonnas Tun in seinem Land angerichtet hatte und an welchen von ihr befohlenen Untaten er persönlich beteiligt war. Natürlich wies er jede Schuld zurück und berief sich auf den ihm aufgeladenen Zauber der Feuerrose. Weil hier alle Schreibzeug zur Verfügung hatten nutzte Julius die Gelegenheit, sich das von Tupulew beschriebene Vorgehen gegen die Veelas aufzuschreiben.

Barbara Latierre schilderte die Lage in Frankreich und verwies darauf, dass Ladonna wohl eine sehr große Angst vor der macht reinrassiger Veelas haben musste, da sie immer wieder versucht habe, Ministerin Ventvit zu entmachten oder gleich umbringen zu lassen und dass Frankreich wegen Ministerin Ventvit und ihrer besonnenen Umgangsweise mit denkfähigen Zauberwesen vor jenem hier schon mehrfach erwähnten Feuerrosenzauber bewahrt worden war. Bengtsson wartete, bis sie fertiggesprochen hatte und fragte dann den gleich links von ihm sitzenden Julius Latierre, ob er etwas zu ergänzen habe. Er nahm die ihm gebotene Gelegenheit gerne wahr und schilderte in fünf Sätzen, dass er Barbara Latierre beipflichte und weshalb er davon überzeugt war, dass Veelas und ihre Nachkommen und Menschen durch ein friedliches Miteinander gegen machtsüchtige Wesen wie Ladonna und andere besser geschützt seien. Er schloss seinen Wortbeitrag mit den Worten: "Ich werde natürlich unter dem hier aufgeführten Tagesordnungspunkt fünf näheres dazu erläutern, sofern mir dazu das Wort gewährt wird. Da alle hier angegebenen Tagesordnungspunkte wichtig sind und daher in aller gebotenen Ausführlichkeit und gründlichkeit besprochen werden weiß ich nicht, wann erwähnter Tagesordnungspunkt fünf zur Sprache kommen wird und bitte daher vor allem die Vertreter jener Ministerien, in dderen Hoheitsgebiet Veelas und Veelastämmige leben, die von meiner Vorrednerin und mir dargelegten Ereignisse und Reaktionen darauf zu notieren, um sie dann, wenn es im Einzelnen um die Veelas und ihr Verhältnis zu uns magischen Menschen geht besprochen wird, die mitgeteilten Argumente bereitzuhaben. Ich danke allen Anwesenden für Ihre Aufmerksamkeit und gebe das Wort zurück an Mr. Bengtsson."

Der Leiter der Besprechung bedankte sich mit gewisser Anerkennung und erteilte das Wort der Vertreterin Rumäniens Anna Varescu, die wie viele vor ihr einräumte, an einigen Untaten beteiligt gewesen zu sein, als sie unter den Feuerrosenzauber geriet. Dann schilderte sie die Lage vor und die Lage während des Feuerrosenzaubers und da auch die Bekämpfung der rivalisierenden Vampirgruppen. Sie erwähnte auch, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen unter dem Vorbehalt, alle von ihr betroffenen Wesen zu entschädigen, von jeder Schuld freigesprochen worden war. Darauf warf Tupulew ein: "Klar, weil Ladonna auch eure Richter mitverhext hat und ihr bei euch keine Liga gegen dunkle Künste habt, die sich als Wächter des Rechtes aufspielt und neue Richter bestimmt."

"Kollege Tupulew, ich bitte um Einhaltung der Sprechordnung", schaltete sich Bengtsson ein. Dann bat er Anna Varescu, weiterzusprechen. Diese beschrieb dann noch die scheinbare Ruhe in ihrem Land, was Ladonna als Rosenfrieden bezeichnete und was nach der Entmachtung passiert war, nämlich dass wie auch andernorts die Unterworfenen erst in einen mehrwöchigen Tiefschlaf verfallen waren und in der Zeit beinahe ein heilloses Chaos ausgebrochen war, weil es eben nur junge Hexen und Zauberer gab, die meinten, sich um ein neues Ministerium zanken zu müssen, vor allem solche, die gerade mit Durmstrang fertig geworden seien. Sie schloss mit der klar als Vermutung gekennzeichneten Aussage, dass durch Ladonnas abruptes Ende und keinen geregelten Übergang bis zum Wiedererwachen aller Ministeriumsleute die Vertreter von Werwölfen, Vampiren und dunklen Zaubererorden mehr Halt in ihrem Land gefunden hatten und es nun anstand, ohne weiteres Blutvergießen eine für alle Seiten tragbare Ordnung zu errichten. Auf die Frage, Tupulews, welche Hin- oder Beweise sie für die Befürchtung habe, dass sich vor allem der Orden der Nachtgöttin in Rumänien verstärkt habe, wo doch kurz vor dem zweiten Dezember eine starke Dezimation der Vampire durch die nicht minder gefährlichen Nachtschatten stattgefunden habe antwortete sie: "Ich sprach nicht nur von Strigoi, die in den meisten anderen Ländern mit dem serbischen Wort Vampir bezeichnet werden, sondern auch und vor allem von dunklen Zaubererbruderschaften, die es geschafft haben, sich Ladonnas und damit unseres Zugriffs zu entziehen, von denen wir sicher ausgehen, dass da auch Werwölfe einbezogen sind und Vertreter der sogenannten Liga freier Nachtkinder. Sie wollten Beweise? Gerne. Schreiben Sie bitte mit, die sich dafür interessieren!" Sie präsentierte nun eine Pergamentrolle, von der sie die von ihr gerade noch frei vorgetragenen Punkte in Einzelheiten ablas und auch die Quellen wiedergab, selbst wenn diese sich als Hörensagen oder gezielte Falschbehauptungen erweisen sollten. Darauf bat der ungarische Zauberwesenbeauftragte, dessen Namen Julius lesen, aber wohl nicht aussprechen konnte, ums Wort und fragte: "Was hat sie gerade so gegen die Kollegin Varescu aufgebracht, Kollege Tupulew? Kann es sein, dass es vor allem Sie anfechtet, dass es Rumänien und Russland in Sachen Unterdrückung von Zauberwesen und ihren Nachkommen besonders schlimm getrieben haben und Sie deshalb nur auf Bewährung hier sind?"

"Die Frage stelle ich eins zu eins an Sie zurück", knurrte Tupulew, als ihm das Antwortrecht erteilt wurde. Weil Anna Varescu dazu nicht mehr sagen wollte und mit ihrer Liste durch war bedankte sie sich für das Rederecht und folgte Julius Beispiel, dem Gesprächsleiter das Wort zurückzugeben.

Nachdem alle Anwesenden ausführlich dargelegt hatten was sie zu sagen hatten ging es noch darum, wie die magische Bevölkerung auf die Enthüllung reagiert habe, dass mehrere Zaubereiministerien wahrhaftig von Ladonna unterworfen worden waren. Hier warf Barbara Latierre ein, dass Ladonnas versuchter Rufmord an Ministerin Ventvit auch viele Südosteuropäische Hexen und Zauberer aufgehetzt habe, die sich nicht auf den Feuerrosenzauber beriefen, als dieser offenbart wurde. Sie wurde gefragt, ob sie etwa auf Entschädigung klagen wolle. "Das steht mir nicht zu, sondern entweder der Ministerin selbst oder meinem Kollegen aus der Abteilung für magischen Handel oder meinem Kollegen aus der Abteilung für internationale Zusammenarbeit." Julius sah in die betroffenen Gesichter der osteuropäischen Teilnehmer und argwöhnte, dass diese Aussage seinen Auftrag gefährdete. Da sagte Barbara Latierre: "Allerdings darf ich, wenn diese Frage gestellt werden sollte, klar und verbindlich mitteilen, dass sich die Zaubereiministerin Frankreichs mit uns Abteilungsleitern darauf geeinigt hat, keine Entschädigungsforderungen an jene Ministerien zu stellen, die nachweislich von Ladonna Montefiori unterworfen wurden." Nicht nur die osteuropäischen Vertreter atmeten auf, sondern auch Julius. Mit dieser nun im Protokoll stehenden Aussage war ein verdammt großer Brocken aus dem Weg zu einem Frieden mit den Veelas geräumt. Ja, Ministerin Ventvit wusste das wohl. Auch Léto, die bisher ganz ruhig den Wortmeldungen zugehört hatte lächelte ein wenig.

Eigentlich war damit der Punkt zwei abgehandelt. Doch weil es um die Vertreibung der Kobolde gegangen war fühlten sich die Skandinavier, die es vordringlich mit den Zwergen hielten, berufen, einzuwerfen, ob nicht gleich eine ganz neue Rechtsordnung getroffen werden sollte, dass Kobolde, wenn man sie denn in ihre früheren Anstellungen zurückkehren ließe, sich das Goldverwahrungsrecht nicht doch mit den Zwergen teilten. Das fand tatsächlich Anklang bei den Osteuropäern. Nur Tupulew warf ein, dass es seinem Volk gleich ungerecht war, ob die aus Nordeuropa eingewanderten Zwerge oder die von den britischen Inseln eingewanderten Kobolde bestimmten, was ihr Gold wert war und ob sie da herankamen oder nicht. Er bezeichnete den 1730 verbindlich geschlossenen Goldverwahrungspakt als "westliches Golddiktat" und wandte mit einer Spur Spott in der Stimme ein, dass es in Russland wesentlich mehr Gold gab als in England und somit ja dann gleich die Töchter der ersten Baba Jaga das Goldverwahrungsrecht weltweit bekommen sollten. Léto, die das ja ebenso hörte wie alle anderen, sah ihn verdrossen an. die rumänische Vertreterin warf ohne Sprecherlaugnis ein, dass es typisch für die russische Zaubererwelt sei, die bestehende Weltordnung umstoßen zu wollen und dass die Berg- und waldhexen Russlands noch vertrauensunwürdiger als Strigoi, also Vampire waren. Tupulew feixte und meinte, dass es ja eben darauf ankäme, mit wem man gute Geschäfte machen könne und mit wem nicht. Da bat Barbara Latierre ums Rederecht. Doch Bengtsson schüttelte den Kopf und erteilte es seinem Kollegen aus Norwegen, der sich vorhin beklagt hatte, nicht direkt neben Bengtsson sitzen zu dürfen. Dieser verkündete: "Wir im Norden haben seit der als große Erdmagiewoge bekannten Katastrophe klar erkannt, dass wir uns mit den Zwergen besser stehen als mit den Kobolden aus Gringotts. Wir haben diesen klargemacht, dass sie nur noch deshalb geduldet sind, weil es in vielen anderen, vor allem von Großbritannien dominierten Ländern noch zu große Erwartungen an sie gebe. Ihnen blieb die Wahl, bleiben oder auswandern. Sie bleiben, weil sie nicht auf die Geschäfte mit uns verzichten wollen und weil sie wohl fürchten, wie die Kobolde aus Ägypten und den USA wie niederes Vieh abtransportiert und irgendwo auf kleinen Inseln ausgesetzt zu werden. Biten Sie das Ihren Kobolden auch als Alternative zum Stillhalten und brav die Anweisungen befolgen an oder erkennen Sie an, dass die britischen Abarten ehrlicher Erdkinder der falsche Weg sind und jetzt, wo wir es in der Hand haben, eine Änderung ansteht."

Julius dachte darüber nach, ob es keinen Interessenskonflikt mit der Handelsabteilung geben mochte, weil Gringotts ja maßgeblich für den Handel war. Doch er wagte nicht, sich in die laufende Debatte einzumischen. Denn jetzt ging es immer lebhafter darum, ob alle bestehenden Wohnberechtigungsabkommen für ausländische Zauberwesen nicht neu verhandelt werden müssten, also für alle, die nachweislich nicht in einem bestimmten Land entstanden waren. Anna Varescu wandte ein, dass dann aber wohl Streit mit den Zwergen aufkomme, da diese sich ja ebenfalls in ganz Europa verbreitet hatten, bis es zu jener denkwürdigen Schlacht am schwarzen Felsen gekommen sei, bei der die Zwerge unterlagen. Barbara Latierre, die sich bis dahin zurückgehalten hatte, bat wieder ums Wort und teilte mit, was sie mit ihrem deutschen Kollegen zu dieser Frage beschlossen habe, nämlich da, wo Gringotts die Goldvorräte hütete, sollten auch weiterhin Kobolde sicherstellen, dass nichts damit geschah. Die Zwerge sollten dafür freien Zugang zum Goldmarkt haben und zu denselben Bedingungen Rohgold verkaufen dürfen wie es die Zauberer den Kobolden anboten und natürlich auch Edelsteine.

"Ach, hat sich Güldenberg doch dazu breitschlagen lassen, um des internationalen Handels willen die Kobolde bei sich weiterarbeiten zu lassen?" fragte der norwegische Verwalter magischer Geschöpfe. "Wir wissen, was Sie in Frankreich mit den Zwergen und Kobolden ausgehandelt haben. Gut, in Handelsfragen dürfen wir uns nicht einmischen. Doch Sie sollten schon bedenken, was ein Nebeneinander gleichstarker Zauberwesenvölker bedeutet, wenn das eine mehr Rechte als das andere hat."

"Was Sie nicht sagen, Kollege Haraldson. Genau das haben wir nämlich bedacht und deshalb einen hoffentlich andauernden Frieden zwischen beiden Völkern und damit eine Stabilität des Goldverkehrs für uns", antwortete Barbara Latierre.

Es zeigte sich jedoch, dass die Nordländer sich bereits auf einen Pakt mit den Zwergenkönigen eingerichtet hatten und nur noch über die Ein- und Ausreisebstimmungen für Kobolde und Zwerge verhandeln wollten. Darum ging es nun bis zur Mittagspause, ohne dass es einen verbindlichen Beschluss gab. Im Gegenteil, dieser Tagesordnungspunkt würde nach dem Essen weiterbesprochen, wenn die hier anwesenden sich mit ihren Zaubereiministern abgestimmt hatten, wie die Ein-und Ausreise und das Bleiberecht für Zwerge und Kobolde geregelt werden sollte.

"Na, ob mein Tagesordnungspunkt heute noch dran kommt", meinte Julius zu seiner Schwiegertante, als sie auf dem Weg in den Mittelachsensaal waren. "Na, ich fürchte, es wird nur bis Tagesordnungspunkt drei reichen, der noch heftiger werden kann." Julius ahnte, dass sie da recht bekommen mochte. Wenn es bei Kobolden und Zwergen schon heftig wurde würde die Frage nach der Toleranz von Vampiren und Werwölfen und die Entschädigungsansprüche derer die unter diesen Wesen litten wirklich heftig.

Gemäß des Protokolls, dass die einzelnen Fachgruppenmitglieder nichts von ihren Gesprächsrunden weitererzählen durften, solange die Ministerin Ventvit und ihre Amtskollegen das nicht erlaubten ging es nur um Oberflächlichkeiten wie die Umgebung, das Wetter und das Essen. Es gab ein drei-Gänge-Menü mit gelber Erbsensuppe als Vorspeise, Lachsfilet mit Kräutersoße und kleinen Kartoffeln und einer verdammt leckeren Süßspeise zum Nachtisch. Wer die Speisen zubereitete sah keiner. Denn sie erschienen auf der Tischmitte und wurden herumgereicht. Da die Anstandsregel galt, nur soviel aufzutun, wie jemand auch aufessen konnte hielten sich die meisten zurück. Julius und Britta hingegen taten sich genug auf ihre Teller, um satt zu werden, bevor Minister Österlund satt war und seinen Desertteller mit Löffel drauf zurückschob und sich bedankte. Julius war froh, dass er die Blähungsverhütungspastille eingenommen hatte. So konnten die gelben Erbsen in seinem Darm keine unpassende Blasmusik veranstalten.

Nach dem Essen kehrten die Delegierten in die Fachgruppenräume zurück. Der Tagesordnungspunkt zwei wurde noch einige Minuten lang besprochen. Da dabei nichts neues herauskam wurde beschlossen, es mit den angereisten Ministern abzustimmen, ob es eine gemeinsame Vorgehensweise geben oder doch jedes einzelne Land eine Regelung festlegen sollte.

Nun ging es um die sogenannten halbmenschlichen Wesen, zu denen alle Wergestaltigen und die Vampire gezählt wurden. Erst verlief diese Debatte noch ganz sachlich, weil erst einmal wieder jeder und jede ausführte, was im eigenen Zuständigkeitsbereich getan wurde. Doch dann ging es um die möglichkeiten zur Einwanderungsbeschränkung und um mögliche Entschädigungsleistungen, wenn diese Beschränkungen nicht durchgehalten wurden.

"Das hätten wir sicher alles regeln können, wenn die Vampire dieser Blutgötzin nicht eine Art schwarzen Portschlüssel erfunden oder erhalten hätten, um mal eben in ein andderes Land einzudringen", stieß Haraldson aus. "Ja, und die Wolfsmenschen, die nicht mal wissen, ob sie sich jetzt auf den gefesselten Götterwolf Fenrir berufen oder doch auf eine Art afrikanischen Urwolf, der durch seinen Urin in mehreren Gewässern den Werwutkeim in die Welt gebracht hat, benutzen entweder Portschlüssel, können selbsttätig apparieren oder reisen ganz dreist in den magielosen Flugapparaten durch die Gegend. Von diesen neuen Nachtschatten wollen wir gar nicht erst anfangen."

"Weil Sie dann zugeben müssten, dass Ihr Vorgesetzter mitgeholfen hat, dass sowas überhaupt entstand", warf Bokowsky ein. Haraldson fragte, woher Bokowsky das hatte, dass die neuen Nachtschatten in Norwegen entstanden seien, wo es doch bekannt sei, dass deren sogenannte Mutter und könign von Hagen Wallenkron erschaffen worden war. Julius musste sich sehr beherrschen, nicht zu verraten, dass er diesen einen Nachtschatten in Norwegen getroffen hatte, als er mit Catherine die Opfer der schlafenden Schlange befreien wollte. Doch dieser Nachtschatten hatte doch nichts mit Wallenkron alias Lord Vengor zu tun gehabt, oder?

Nun gingg es richtig los, sodass Bengtsson mehrmals die Rederegeln anmahnen musste. Alle bis auf Barbara Latierre und den Isländer Ivarsson beschuldigten sich gegenseitig, nicht gründlich genug gegen menschenfeindliche Zauberwesen zu unternehmen und dass es schon sehr peinlich war, dass die Nachtschatten den Vampirjägern ihre Arbeit abgenommen hätten. Nur weil seitdem erst mal nichts neues von den Dienern der Blutgötzin oder den Nachtschatten zu hören war hieße das nicht, dass die Zaubererwelt sich beruhigt zurücklehnen könne. Das Gegenteil sei der Fall. Denn sicher erholten sich die beiden unheilvollen Gruppen. Es galt, wer zuerst wieder auf die Beine kam würde noch heftiger dreinschlagen.

Die Debatte drohte fast in einen offenen zank auszuufern. Nur der Wille des Gesprächsleiters, diesen Punkt überhaupt zu einem vorzeigbaren Abschluss zu bekommen hielt ihn davon ab, das ganze hier abzubrechen. Rumänien und Ungarn mussten sich ständig gegen Vorwürfe verteidigen, nicht genügend gegen die Vampire unternommen zu haben. Doch die bestanden darauf, dass diese Wesen auch in Bulgarien, Griechenland und der Türkei vorkamen und eben Griechen und Türken gerade nicht hier seien. Varescu behauptete, dass der große Volksheld Fürst FWlad der Voyvode nur deshalb zum Vampir geworden sei, weil er bei einem Feldzug gegen die Türken an einen für diese kämpfenden Blutsauger geraten sei.

"Das türkische Zaubereiministerium hat unsere Anfrage abgelehnt, an dieser Versammlung teilzunehmen und sich lieber mit den arabischen Zaubereiministerien zu einer Koalition des Propheten zusammengeschlossen, abgesehen von der auch in der Zaubererwelt bestehenden Fehde zwischen Türken und Griechen. Also können wir diese Schuldfrage nicht vollumfänglich klären, Kollegin Varescu", rief Bengtsson laut, weil Varescu und Haraldson nun richtig aneinandergerieten, dass es in Norwegen keinen einzigen Blutsauger gebe, wenn die Rumänen "dieser Pest" früh genug Einhalt geboten hätten. Darauf meinte der Vertreter Polens: "ja, und wir hätten keine zwanzig Bergtrolle bei uns gehabt, wenn Ihre Leute diese menschenfressenden Steinklötze früh genug an der Ausreise gehindert hätten, Kollege Haraldson."

Das waren die Handlanger Grindelwalds, die die Trolle in Ihr Land eingeschleppt haben, weil Ihre damaligen Vorfahren um was gebeten haben, um sich gegen die nichtzauberischen Deutschen wehren zu können", protestierte Haraldson und ging dann wieder verbal auf Varescu und ihren ungarischen Amtskollegen los, dass viele tausend Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn die Vampirplage früh genug eingedämmt worden wäre. Er kündigte an, sich mit dem türkischen Amtskollegen noch einmal genauer zu unterhalten, wenn sichergestellt sei, dass Rumänien und Ungarn, womöglich auch Südslawien eine ausreichend hohe Menge Gold übergaben, um die Kosten für größere Vampirbekämpfungsvorhaben zu erstatten. Ab da wurde es nach Julius' Meinung nur noch Kindergartengezank. Bengtsson mahnte an, dass das die Feder mit dem Mitschreiben nicht nachkäme und forderte sein vorher vereinbartes Recht zurück, die Wortbeiträge zu leiten. Als das nur fünf Minuten hielt sah er Haraldson an und sagte: "Erkennen Sie nun, dass es eine Schnapsidee war, auf Unterstützungszahlung aus Rumänien und Ungarn zu drängen, nur weil Sie eine großangelegte Vampirbekämpfungscampagne ins Leben gerufen haben?"

"Der Sie und der Kollege aus Dänemark sofort zugestimmt haben, Kollege Bengtsson. Insofern weise ich die beschimpfende Bezeichnung "Schnapsidee" mit allem mir gebotenem Nachdruck zurück.

"Das werde ich nachher den Minister selbst fragen, ob diese Bezeichnung eine Beschimpfung oder wohl eher eine Untertreibung war, Kollege Haraldson. Sie erinnern sich sicher, zu welcher Gelegenheit wir dieses Ihr Vorhaben besprochen haben?"

"Muss das jetzt echt sein, Kollege Bengtsson?" fragte Haraldson. Julius ahnte schon was. Bengtsson erwiderte: "Nicht wenn Sie Ihre Zurückweisung zurückziehen und anerkennen, dass wir hier nicht in einer Höhle für Trollkinder sind, Kollege Haraldson."

"Selber Trollkind, Gunnar Bengtsson", stieß Haraldson aus. Schlagartig erstarrten alle aus dem skandinavischen Raum vertretenen Anwesenden wie unter einem kollektiven Erstarrungszauber. Für einige Sekunden lag eisiges Schweigen über der Versammlung. Dann sagte Bengtsson: "Im Namen des Geistes von Tromsö, sowie der ruhmreichen Beziehung unserer beiden Länder, gewähre ich Ihnen, Ole Haraldson, die einmalige Gelegenheit, die gegen mich gebrauchte Beleidigung zurückzunehmen und sich zu einer Strafzahlung von einem durinischem Goldrad zu verpflichten, weil die Alternative der Ausschluss Ihrer Person aus dieser Beratungsgruppe und eine weiterführende Beleidigungsklage wider Sieund damit auch gegen das von Ihnen vertretene Zaubereiministerium ist."

"Ein durinisches Goldrad für eine simple Beschimpfung? Jetzt übertreiben Sie es aber", meinte Haraldson verbittert. "Ich kann die Beschimpfung als solche zurückziehen, aber ein Goldrad kriegen Sie nicht von mir."

"Dann sehe ich mich leider zu meinem Bedauern und wegen der Wahrung des mir zustehenden Respektes gezwungen, Sie bis zum Ende dieser Zusammenkunft von diesem und allen weiteren Fachgruppenberatungen auszuschließen und fordere Sie hiermit auf, den Raum zu verlassen! Weiteres erfahren Sie dann von Ihrem Vertreter für magisches Recht und / oder Ihrem Minister Sigurson."

"Sie werfen mich hinaus? Sie mich, Gunnar Bengtsson? Aber natürlich, wer einen halbgrünen Jungen auf den Platz für angesehene Zauberer hinsetzt und eine Veela gleich neben sich hinplatziert muss so danebendenken."

Bengtsson sagte etwas auf Schwedisch. Erst meinte Julius, sein Stuhl wolle ihn abwerfen. Doch dann krachte es laut, und Haraldson war mit seinem Stuhl verschwunden. Drei Sekunden später knallte es erneut, und der Stuhl stand unbesetzt wieder an seinem Platz. Bengtsson rief auf Englisch: "Wegen dieser höchst groben Störung der Besprechung und wegen der sich daraus ergebenden Folgen unterbreche ich diese Sitzung bis auf schriftliche Mitteilung durch mich oder den Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit. Die Sitzung ist hiermit unterbrochen. Bitte verlassen Sie alle den Raum und bewahren Sie Schweigen, solange Ihre obersten Dienstherren Sie nicht ausdrücklich zur Aussage auffordern! Danke!"

"Sie begleiten mich in den für uns vorgesehenen Notizraum, Monsieur Latierre", sagte Barbara Latierre und sah so aus, als dulde sie keine Widerrede. Julius folgte ihr in eine kleine Kammer, die für ffranzösische Delegierte reserviert war, die sich mit anderen Kollegen noch einmal abzustimmen wünschten. "Was ein Trollkind ist weißt du?" fragte Barbara, als sie die Tür von innen verschlossenhatte.

"Jedenfalls eine ziemlich tödliche Beleidigung für einen Schweden", meinte Julius. Seine Schwiegertante nickte andeutungsweise und fügte hinzu: "Nicht nur für Schweden, sondern Norweger und Finnen, kurz für alle, in deren Ländern menschenfressende, Kinderraubende Trolle zu Hause sind. Ja, und da sind wir gleich schon am Ziel, denn kleinere Wald- und Höhlentrolle, die mehr als ein Kind pro Wurf hervorbringen tauschen eines davon gerne gegen ein nicht ganz so wildes, nicht gganz so hungriges Menschenbaby aus. Zumindest behaupten das die Skandinavier und pflegen deshalb alle sehr schwer satt zu bekommenden, grobschlächtigen, zauberisch unterbegabten Volksangehörigen als Trollkinder zu bezeichnen, was, wie wir soeben vor einem großen Publikum gehört haben, die mit abstand tödlichste Beleidigung ist. Insofern hielt da wohl noch der eherne Bund von Tromsö, von dem Madame Gautier mir mal erzählt hat. Wenn du oder ich diese Beleidigung ausgesprochen hätten wären wir beide und der Rest der Delegation mit sofortiger Wirkung von der weiteren Zusammenkunft ausgeschlossen worden, und Ministerin Ventvit hätte eine sehr hohe Strafgebühr bezahlen müssen. Mir sind keine Präzedenzfälle bekannt und wir dürfen ja gerade nicht vor unseren anderen Kollegen darüber reden. Aber wir beide sollten uns hüten, diese Beleidigung zu gebrauchen, soviel ist sicher."

"Wechselbalg, sowas wie Sebastian Pétain", raunte Julius. "Ja, stimmt, dieser Begriff bezeichnet es richtig, und ja, Pétain war ein solches Beispiel."

"Gut, jetzt könnte ich spekulieren, was der Kollege Haraldson heute mittag hatte, was wir nicht hatten. Doch den Quaffel mit dem Trollkind hat ihm Bengtsson doch selbst zugepasst."

"Nein, nicht ganz. Er wollte nur nicht, dass das Gespräch auf ein Niveau abfällt, dass sich balgenden Trollkindern entspricht. Dass der Kollege Haraldson das in den falschen Hals bekommen hat und meinte, sich dafür mit dieser Beleidigung rächen zu müssen verstehe ich nicht, und nein, ich weiß nicht, was Kollege Haraldson zum Mittag hatte."

"Ja, und was machen wir mit dem angebrochenen Nachmittag außer Léto und Sarja aus dem Weg gehen, weil die sich ärgern, dass wir noch nicht über den Frieden zwischen ihrem Volk und uns gesprochen haben?" Wollte Julius wissen. "Fragen, ob wir uns die Beine vertreten dürfen oder auf unseren Besen herumfliegen dürfen", erwiderte Barbara Latierre. "Öhm, dürfen wir das?" fragte Julius. "Eben deshalb sollten wir fragen", konterte seine Schwiegertante.

Der Besprechungsraum war nun verschlossen. Sicher war Bengtsson bei seinem obersten Dienstherren. Vielleicht war Haraldson auch da. Deshalb suchten sie die Zeltwache auf. Barbara erwähnte, dass es zu einer zeitlich unbestimmten Unterbrechung wegen eines zu klärenden Vorfalls gekommen sei und ob sie solange die Umgebung besuchen durften. "Moment", sagte der Wachzauberer und prüfte was nach. "Ui! Autsch", stieß er aus und legte einen für die zwei französischen Delegierten unverständlichen Ausdruck nach. "Ja, wer nicht wegen grober Ordnungswidrigkeiten, sondern mit Erlaubnis des eingeteilten Gesprächsleiters den zugewiesenen Raum verlässt darf sich außerhalb des Zeltes bewegen und sich soweit entfernen, dass die Rückkehr zu Fuß oder per Besen in weniger als zwei Minuten möglich ist. Die Ihnen ausgeteilten Namensanstecker werden durch einen vernehmlichen Summton und einen hellgelben Farbton mitteilen, wann Ihr Fachgruppenleiter sie wieder im vorgesehenen Besprechungsraum zu sehen wünscht. Meistens gibt er dieses Zeichen fünf Minuten vor dem gewünschten Termin, daher die zwei Minuten Rückkehrzeitvorgabe. Wir müssen darauf hinweisen, dass es eine zwei Kilometer weit reichende Appariersperre gibt."

"Dann nehmen wir die Besen", bestimmte Barbara. Sie verließen das Zelt und suchten den Wachhabenden mit den abgestellten Besen auf.

Julius und Barbara bedauerten, dass sie ihre eigenen Besen nicht mitgenommen hatten. Doch sie waren auf den Ministeriumsbesen immer noch schneller als zu Fuß. Unterwegs sprachen sie nur über die mögliche Länge der Zusammenkunft. Bis zu sieben Tage waren ja angesetzt. sieben Tagesordnungspunkte standen ja noch aus. Zwischendurch landeten sie mal hier und mal da, um die urwüchsigen Eichen und Tannen zu bestaunen. Dann sagte Julius: "Schade, dass wir jetzt hier sind. Später im Frühling oder im Sommer könnten wir in den weniger bewaldeten Gebieten interessante Orchideen finden. Habe ich zumindest gelesen, als feststand, dass wir hierher kommen."

"Ja, das stimmt", sagte seine Schwiegertante.

Ein majestätischer weißer Schwan flog zwischen den Wipfeln heran und landete scheinbar handzahm vor Julius Füßen. Barbara Latierre wollte schon was sagen, als aus dem Schwan die nicht minder makellos schöne Léto wurde.

"Ich darf mich dir offenbar nicht bis auf Armlänge nähern, weil das was du an dir trägst mich wieder in diese ganz besondere Stimmung versetzen will, Julius. Aber es beschützt dich offenbar vor fremder Ausstrahlung und bösen Zaubern und klingt, wenn ich mich nicht zu nahe heranwage, wie ein sanfter, siebenstimmiger Chor, nicht laut genug, um alles zu übertönen, aber noch laut genug, damit ich ihm folgen kann", sagte Léto unbekümmert, dass Barbara Latierre zuhörte.

"Eine besondere Gegenleistung für etwas, dass ich erledigen musste", erwiderte Julius. Léto nickte. Offenbar verstand sie.

Barbara Latierre fragte sie, ob sie sich nicht langweile. "Nein, bisher nicht. Aber ein wenig verärgert bin ich, dass Ladonna immer noch so viel Einfluss hat, dass sich ihretwegen Leute zanken müssen", knurrte Léto. "Es war auf jeden Fall interessant, die ereignisse der letzten Jahre aus anderer Warte zu hören und auch, wie leicht es Ladonna hatte, die alle zusammenzubekommen, um sie ihrem verächtlichen Zauber zu unterwerfen." Julius konnte dem nur zustimmen.

Léto hielt sich wahrhaftig mehr als Armeslänge von Julius entfernt, als sie mit ihm und seiner Schwiegertante weiterging. Sie mochten so eine Viertelstunde unterwegs gewesen sein, als Barbaras und Julius' Namensanstecker laut summten und ihre Namen in gelbem Licht aufleuchten ließen. "Ah, der Rückruf. Es geht offenbar weiter", sagte Barbara. Julius winkte Léto, dass sie wieder in den Besprechungsraum zurücksollten. Léto nickte. Sie straffte sich und hockte sich dann hin. Erst flimmerte ihre Gestalt. Dann wechselte sie ohne sich aufzulösen innerhalb weniger Sekunden in die Gestalt des weißen Schwanes, die Julius fast besser kannte als jeder andere. Sie streckte den langen, biegsamen Hals aus und gab ein kurzes Tröten von sich. Dann breitete sie die kräftigen Flügel aus und flog davon. "Na, ob sie schnell genug zurückkommt?" fragte Barbara. "Bei den Besen, die wir haben ist die lange vor uns wieder da", erwiderte Julius und saß auf seinem Besen auf.

Wie er vorausgesagt hatte war es den beiden nicht möglich, den vor ihnen herfliegenden Schwan einzuholen. Nur zehn Sekunden später war er schon außer sicht. "Windzauber, wie?" fragte Julius' Schwiegertante ein wenig verblüfft. Er bestätigte das.

Das stetige Summen der Namensträger wurde etwas lauter. Entweder lag es daran, dass sie sich der Signalquelle näherten oder weil die verbleibende Zeit schwand. Jedenfalls trieb es die beiden Latierres zur größten Eile. Immerhin schafften sie es noch vor Schließen der Tür, in den Besprechungsraum 002 zurückzukehren. Das Summen der Namensanstecker verstummte, das gelbe leuchten wurde wieder zum gewohnten Grün.

"Bitte setzen Sie sich alle auf ihre bisherigen Plätze!" forderte Bengtsson, bevor er die Tür von innen schloss. Als alle saßen verkündete er: "Mr. Ole Haraldson wird den Rest dieser Zusammenkunft nicht mehr bei uns verweilen. Minister Österlund und Minister Sigurson haben ihm die weitere Teilnahme untersagt, nachdem sie das bisherige Sitzungsprotokoll gelesen haben. Mehr ist zu dieser höchst unerfreulichen Angelegenheit nicht zu sagen. Ich bitte nun darum, das Gespräch dort fortzusetzen, wo es beendet wurde und bitte mir mehr Gesprächsdisziplin und gegenseitigen Respekt aus. Danke!"

Tatsächlich verlief die Debatte um die Überwachung von Vampiren, Werwölfen und anderen gefährlichen Zauberwesen nun geordneter. Es mochte der Eindruck bestehen, dass Haraldson die Unruhe von vorher verursacht hatte. Allerdings hieß das nicht, dass sie sich nun einig darüber wurden, wie sie mit den Vampiren und Werwölfen umgehen sollten. Einige schlugen doch ernsthaft vor, die Vorrichtung zu erwerben, mit der bei Vollmond Werwölfe in blauem Licht verbrannt werden konnten. Barbara Latierre fragte, welchen Preis die Interessenten denn zu zahlen bereit seien, da der Anbieter wohl die Vita-Magica-Gruppe sei. Das dämpfte den Enthusiasmus der Interessenten schlagartig.

Als es darum ging, wie man reisende Kobolde und Zwerge überwachen wollte kam es fast wieder zum Streit, weil die Russen verlangten, Kobolden und Zwergen Ortsmarkierungszauber anzuhängen und die Skandinavier das ausdrücklich zurückwiesen. Außerdem stand zu befürchten, dass es dann erst recht zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit den kleinwüchsigen Zauberwesen kam. Klar war, dass durch die Erde reisende Kobolde nicht aufzuhalten waren. Ja, und Zwerge besaßen Fahrzeuge, die unter der Erde dahinjagen konnten wie Fische durch Wasser oder Greifvögel durch die Luft. Somit wären Ortsmarkierungszauber sinnlos, wenn die Träger nicht aufgehalten werden konnten. So blieb am Ende nur, eine Fahndungsliste zu erstellen, auf der straffällig gewordene Vampire, Werwölfe, Zwerge, Kobolde und Riesen aufgeführt wurden, um sie im nächsten Land der zu treffenden Vereinigung ergreifen und festsetzen zu können. Über ein Auslieferungsverfahren für die festgenommen sollte dann morgen gesprochen werden.

Die Wanduhren, die nur zu den Essenszeiten läuteten, verkündeten die Zeit des Abendessens.

Als alle am runden Tisch im Mittelachsensaal saßen klopfte Minister Österlund an seinen goldenen Becher. Alle lauschten erwartungsvoll. "Sehr geehrte Gäste aus den nördlichen Bruderländern, Frankreich und unseren Besuchern aus dem Osten Europas. Heute Nachmittag ereignete sich in der Besprechung der Fachgruppe magische Geschöpfe ein höchst unschöner Zwischenfall, mit dem ich als langjähriger Minister für magische Angelegenheiten, Wesen, Gegenstände und Ortschaften nicht bei einer derartig wichtigen Zusammenkunft gerechnet habe, schon gar nicht von einem Vertreter unserer verehrten Nachbarn aus Norwegen. Dies erklärt die Abwesenheit von Abteilungsleiter Ole Haraldson. Er wird bis morgen einen Stellvertreter benennen, der in seinem Auftrag der weiteren Zusammenkunft beiwohnen wird. Immerhin gilt es, die Gelegenheit zu nutzen, umfangreiche und verbindliche Abkommen zu treffen, die helfen sollen, dass keine international handelnde Gruppe böswilliger Wesen uns noch einmal so kalt erwischt wie es Ladonna Montefiori vollbracht hat. Mehr gibt es zu diesem Thema nicht zu sagen. Ich hoffe, dass der Rest der Zusammenkunft erfreulich und erfolgreich verläuft." Er hob seinen goldenen Becher und brachte einen Trinkspruch aus: "Mögen wir alle im Geiste der Einsicht, das Eintracht und Einigkeit Stärke sind die noch ausstehenden Anliegen in gegenseitiger Achtung und Anerkennung verhandeln und zu für die uns allen vertrauenden Menschen sicheren Ergebnissen gelangen. Skål!"

"Skål!" sprachen alle nach und tranken. Julius genoss diese ihm gestern schon begegnete Mischung aus Beerensaft und leichtem Honigwein.

Die Stimmung beim Abendessen war ruhig, nicht all zu locker aber auch nicht so ernst. Ornelle Ventvit und die anderen Zaubereiminister unterhielten sich leise. Für sie galt offenbar die Regel nicht, nicht über die am Tag geführten Gespräche zu reden. Julius dachte an Fernsehberichte von Gipfeltreffen und Staatsbesuchen, wo es öfter hieß, dass beim gemeinsamen Essen dieser Präsident jenes zum anderen Premierminister oder die Königin zum Kanzler gesagt haben sollte. Doch die mitgereiste Presse hatte die Anweisung, erst nach der Versammlung auf Gotland zu berichten.

Nach dem Abendessen erkundeten die Delegierten die Freizeitmöglichkeiten des Zeltes. Doch außer sechs großen Schachbrettern mit dazugehörigen Schachmenschen und einer finnischen Sauna mit zwei unterschiedlich kalten Abkühlbecken war da nichts, was Julius wirklich begeisterte. So fand er sich dann um halb Elf mit den anderen wieder bei der Sonnenkarosse ein.

Julius wollte sich in seine Kabine zurückziehen, um mit Millie und Trice zu mentiloquieren. Doch die Ministerin bat ihn, Barbara Latierre und Britta Gautier noch einmal in das Sprechzimmer, einen Büro auf der ersten Etage der hausgroßen Reisekutsche.

"Ich bekam mit, dass während Ihrer Sitzung heute nachmittag wohl ein diplomatischer Zwischenfall geschah. Minister Österlund und der Amtskollege Sigurson verließen für einige Minuten die Besprechung, die zu meiner großen Freude sehr vielversprechend verläuft. Ich könnte Ihnen die Anweisung erteilen, mir zu berichten, was vorgefallen ist und ob dies unser Vorhaben vereiteln kann. Doch ich frage im Respekt vor verdienten Mitarbeitern, Können Sie mir bitte berichten, was passiert ist?"

Barbara übernahm es, vom bisherigen Tag zu berichten. Dann erwähnte sie die ihr völlig unverständliche Situation, aus der heraus Haraldson Bengtsson beleidigt hatte. Als Britta hörte, womit, erstarrte sie genauso wie ihre ehemaligen Landsleute vorhin, als Haraldson die Beleidigung ausgerufen hatte. Barbara erwähnte, dass ihr die Beschimpfung und ihre Herkunft bekannt sei und sie "Monsieur Latierre" auch darüber aufgeklärt hatte. Britta entspannte sich wieder. Barbara Latierre erwähnte noch, was Bengtsson Haraldson angeboten hatte, wenn er die Beleidigung zurückzöge. Britta sog Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. Doch sie ließ Barbara erst mal zu Ende erzählen. Als diese damit schloss, dass sie wegen dieses Zwischenfalls wohl keinen vollständigen Abschluss des besprochenen Tagesordnungspunktes erzielt hatten nickte die Ministerin. Dann sah sie Julius an und fragte, wie er den Vorfall erlebt habe.

"Ich kam mir zeitweilig wie in einem Kindergarten vor, wo jeder meinte, er hätte mehr verdient als der andere. Dass Haraldson aus einer vergleichenden Bemerkung, die eigentlich dazu dienen sollte, die Gesprächsdisziplin zu verbessern, eine so dermaßen tödliche Beleidigung aussprach verwundert mich doch sehr. Ich ging bisher davon aus, dass ich als junger Beamter mit wesentlich weniger Erfahrung eher aufpassen muss, keinen entscheidenden Fehler zu machen. Haraldson ist doch mindestens vierzig Jahre länger im Dienst als ich, oder?"

"Ob er das morgen noch sein wird entscheidet sicher Sigurson", seufzte Britta Gautier. Ornelle Ventvit räusperte sich und forderte Julius durch Blickkontakt auf, weiterzusprechen. "na ja, Ministerin Ventvit, mehr kann ich nicht sagen als was Madame Latierre schon berichtet hat. Ich hoffe nur, der Rest dieser Zusammenkunft verläuft zum einen gesittet und zum anderen für uns doch erfreulich und für die Veelas beruhigend."

"Das hoffe ich auch. Madame Gautier, was möchten Sie als in Schweden geborenund aufgewachsen dazu anmerken?"

"Zum einen, dass das mit den Trollkindern ein in der nichtmagischen Welt ebenso bekannter Stoff ist. In der magischen Welt gilt diese Behauptung für Menschen, die geistig unterbemittelt sind, dafür körperlich grobschlächtig bis hässlich, unersättlich und brutal und bei allem noch mit unterentwickelter Zauberkraft, die selbst Vargborg in sieben Jahren nicht richtig erwecken kann. In England heißen derartige Hexen und Zauberer glaube ich Squibs. Auf jeden Fall ist es für einen schwedischen, norwegischen oder finnischen Zauberergeborenen eine tödliche Beleidigung, die außerhalb von hochamtlichen Anlässen auch mal zum Duell führen kann. Bengtsson war schon Beamter, als meine Mutter geboren wurde. Zumindest hörte ich es in Vargborg. Haraldson war schon beamter, da war Lasse Sigurson selbst noch ein Kind, erfuhr ich von dem Kollegen, der ihn bei Spaziergängen bewacht. Ach ja, es ging doch um eine Entschädigungsforderung an die amtlichen Ursprungsländer der Vampire. Es heißt, dass sich Bengtsson, Haraldson, Ivarson aus Island und der dänische Verwalter magischer Geschöpfe bei einem Treffen am 20. Februar 2006, also kurz vor Ladonnas großem Rundumschlag gegen europäische Ministerien, darüber verständigt hatten, die Vampirgefahr durch massive Jagden und Vampirfallen zu beseitigen. Ob dabei die Idee von einer Unterstützungszahlung aus Osteuropa aufkam weiß ich nicht. Aber sicher werden die langgedienten Zechbrüder da einiges an hochprozentigem getrunken haben, um das Feuer der Entschlossenheit zu schüren und ihre vom vielen Sprechen ausgetrockneten Kehlen zu befeuchten Leider auch ein Grund, warum ich aus Schweden weg wollte, auch wenn ich die Landschaft und das Essen und die Musik immer noch liebe. Aber dass sich gestandene Männer immer einen Trinkwettbewerb liefern müssen, wenn sie zusammen sind ..."

"Ja, ich muss leider beipflichten, dass mir dies auch unangenehm aufstößt ... gut, merkwürdiges Wortspiel. Aber leider stimmt es, dass sich Arcadi und die Skandinavier offenbar gesucht und gefunden haben. Dass die bei den Gesprächen noch so sicher sprechen konnten erstaunt mich. Doch offenbar gilt hier, dass Übung den Meister macht und Gewohnheit abhärtet. Aber das ist eine höchst inoffizielle Randbemerkung", seufzte die Ministerin. "Jedenfalls bin ich nun darüber orientiert, was sich ereignet hat. Im Zweifelsfall kann ich genauso wie Sie, Madame Latierre, das betreffende Protokoll anfordern." Barbara Latierre nickte und erwähnte, dass offenbar der Wachzauberer am Zelteingang Leseberechtigt war, weil der sehr erschüttert reagiert hat. "Die Wachzauberer erhalten kurze Notizen, warum jemand aus einer Sitzung hinausgelassen wurde oder warum eine Sitzung unterbrochen wurde", wandte Britta Gautier ein. Julius nutzte die Gelegenheit, sie zu fragen, was ein Durinisches Goldrad sei. "Wie der Name sagt, eine vier Zwergenfinger breit dicke, eine volle Armlänge des mythischen Zwergenvaters Durin durchmessende Scheibe aus purem Gold, in deren Mitte ein kleiner Eisenkern eingeschmolzen ist, um das Rad mit anderen magnetisch zu befestigen. Die Zwerge fertigen das seit mehr als zweitausend Jahren an und haben es zur höchsten Währungseinheit erhoben. Wer ein ganzes Goldrad verdient hat sich bei den Zwergen Ehre und bei den Menschen Ansehen verdient. Ach ja, um Fälschungen zu vereiteln werden in den Rand mit Zwergenblut getränkte Goldkörner eingegossen, die in vorher eingravierte Runen eingeschmolzen werden. Nur ein Zwerg mit dem entsprechenden Blutsichtglas kann die Runen dann lesen. Für alle anderen bleiben sie unsichtbar."

"Ja, Moment, aber die Kobolde handeln doch auch mit Gold", warf Julius ein.

"Das war der Aufhänger für die Schlacht am schwarzen Felsen von 1730, dem letzten größeren Krieg zwischen Kobolden und Zwergen", sagte Ornelle Ventvit. Julius nickte. "Stimmt, davon hat Mildrid damals im Zauberwesenseminar referiert und zitiert, dass Zwerge das als die Schande vom schwarzen Felsen bezeichnen. Die Kobolde haben diesen Krieg gewonnen."

"Richtig, und seitdem gibt es südlich von Dänemark mehr Kobolde als Zwerge und die Zwerge mussten sich bisher damit begnügen, dass ihre handwerklichen Erzeugnisse hohes Ansehen haben und sie selbstgeschürftes Gold an die Kobolde verkaufen dürfen, die das vorher abgelehnt haben", sagte Ornelle. "Ich habe mir das Referat von Millie mal zuschicken lassen, weil es ja da zu jener ebenso unverständlich unschönen Sache zwischen Madame la Directrice Maxime und der Mutter meines Schwagers gekommen ist und das seine Kreise in unsere Abteilung zog."

"Stimmt, Monsieur Vendredi hat uns allen dann erklärt, was geschehen ist und dass er leider keiner der beiden eine eindeutige Schuld zuweisen konnte und davon ausgehen musste, dass Madame Maxime damals ihr Hausrecht gewahrt hat. Als dann noch die Sache mit Koldorin war, der mir ja mal die Bürotür eingerannt hat, Monsieur Latierre, hat Monsieur Vendredi beschlossen, keinen Verbindungszwerg mehr von König Roudorin in das Ministerium einzulassen. Dafür hat erwähnter Zwergenkönig Roudorin IV. Feudebière einige von Menschen nicht erschließbare Goldminen und Opalminen zuerkannt bekommen, um den Friedensvertrag zwischen ihm, den Kobolden und uns zu sichern. Im Moment komme ich leider zu der Überzeugung, dass Roudorin nur solange Frieden hält, solange die anderen Könige nicht finden, doch noch gegen die Kobolde Krieg zu führen, um die sogenannte Schande vom schwarzen Felsen zu tilgen."

"Schon merkwürdig, dass ein Schulreferat dazu geführt hat, dass ich in letzter Konsequenz hier in diesem mobilen Sprechzimmer sitze", meinte Julius dazu. Denn Koldorin war durch Ornelles Tür gerannt, weil er eigentlich ihm seinen eisenharten Dickschädel in den Bauch rammen wollte und Ornelle Ventvit dadurch auf ihn aufmerksam geworden war. Barbara Latierre erinnerte sich ebenso daran. "Na ja, Sie wären ja so oder so bei uns untergekommen, vielleicht auch eher bei Madame Grandchapeau", erwiderte Ornelle Ventvit lächelnd.

"Ich habe einmal ein Durinisches Goldrad gesehen", erwähnte Britta Gautier. "Mein Urgroßvater muss mal eines erarbeitet haben. Nur Zwerge geben sowas heraus. Es kann aber sein, dass sich die nordischen Zaubereiministerien Optionen auf den Erwerb solcher Goldräder gesichert haben."

"Ganz sicher das. Immerhin gibt es bei uns ja auch Schuldverschreibungen von Gringotts, die locker den Wert von einer Million Galleonen übersteigen können und nur für das Zaubereiministerium oder magische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Million Galleonen erstellt werden", wusste die Ministerin noch zu ergänzen. Dann bedankte sie sich bei den dreien für die Auskunft und hoffte, dass sie in den kommenden Tagen mehr Grund zur Freude als zur Frustration haben würden.

Nun konnte Julius in seine Kabine und mit seinen beiden Lebenspartnerinnen mentiloquieren. Er erwähnte nur, dass er heute noch nicht zu seinem Einsatz gekommen war, dafür aber jetzt wisse, was ein Durinisches Goldrad sei, weil die Skandinavier wohl damit größere Goldgeschäfte machten. Millie schickte ihm dafür zurück: "Klar machen die das. Euer toller Friedensvertrag mit Roudorin Bierbauch wird bei den Nordländern die reinste Lachnummer sein, Monju. Tut mir leid, dir das so ins Hirn zu klopfen."

"Da bin ich seit heute drauf gefasst. Außerdem durfte ich mich wieder an die beiden Zwerge erinnern, die damals in Beauxbatons aufgetreten sind."

"Nur ein Zwerg. Das andere war eine Zwer-gin, Monju."

"Exzwergin", musste Julius dem einen draufsetzen. "Vom Körper und ihrer Zauberfertigkeit immer noch", hielt seine Frau dagegen. Dann wünschte sie ihm eine gute Nacht.

__________

Am Folgenden Tag ereignete sich nichts für Julius wirklich interessantes. Der Morgenund der halbe Nachmittag vergingen damit, dass sich die Zuständigen für magische Geschöpfe über Auslieferungsbedingungen für festgenommene denkfähige Zauberwesen unterhielten und der von Norwegen neu eingesetzte Repräsentant Horkon Martensen am Ende zustimmte, dass in besonders schweren Fällen auch Sonderermittler aus den diese Vereinbarung treffenden Ländern über die Grenze konnten, wenn sie wen verfolgten. Dieser Sonderermittler oder die Sonderrmittlerin musste nur nach Erfolg oder Misserfolg die Anwesenheit anmelden und bei Abschluss des Aufenthaltes auch bestätigen, ob der Einsatz erfolgreich war. Eine Liste noch zu betrauender Sonderermittlerinnen und -ermittler sollte dann den Abteilungschefs für magische Sicherheit, Handel und magische Wesen zugänglich werden. Von einer Unterstützungsforderung an die osteuropäischen Länder wurde abgesehen. Es wurde den betreffenden Repräsentanten jedoch angeboten, sich auf freiwilliger Basis an der Finanzierung dieser Sondereinheiten und der Verwaltung zu beteiligen. Julius argwöhnte schon, dass die Sprache auf die Sonnenkinder kam. Doch offenbar wussten die Nordländer nicht mehr, dass es sie gab oder sie und die Osteuropäer waren zu stolz, als dass sie mit diesen Kontakt aufnehmen wollten. Barbara Latierre und Julius sagten überhaupt nichts dazu.

Zwischen Mittagspause und Abendessen wurde Tagesordnungspunkt vier angesprochen, der Austausch magischer Tierwesen zu Forschungszwecken. Hierbei galt auch, dass die Richtlinie, dass ein nichtmagischer Regierungschef eines Landes über die Einfuhr ausländischer Tier- und Zauberwesen oberhalb der Gefahrenstufe XXXX informiert werden sollte, auch schon bei Gefahrenstufe XXX zu informieren war. Doch weil das Beispiel USA gerade verdeutlichte, wie schnell der Kontakt zum dortigen Regierungschef abreißen konnte sollte in die internationale Richtlinie noch eingefügt werden, dass der nichtmagische Regierungschef nur dann zu unterrichten war, wenn es keinerlei Bedenken gab, ihn überhaupt in magische Angelegenheiten einzuweihen. Falls wie bei George W. Bush solche Bedenken bestanden sollte gelten, dass magische Tierwesen und denkfähige Zauberwesen nur unter ständiger Aufsicht gemäß der eigenen Fähigkeiten und Gefahrenstufe an einem vorbestimmten Ort gebracht werden durften. Julius dachte an Hagrid, wie viel Ärger der noch bekommen konnte und dass dem das bisher auch egal gewesen war.

"So werden wir uns morgen noch eingehender über die Transportsicherheit, die Verständigungswege und die genauen Gründe für den Transport von Tierwesen in eines der hier vertretenen Länder einigen", sagte Bengtsson. Barbara Latierre bat ums Wort und sah dann die rumänische Kollegin Varescu an. "Ich wurde von meinem Kollegen aus Großbritannien dahingehend authorisiert, im Zusammenhang mit den Drachenreservaten anzubieten, dass der Austausch an Fachpersonal vereinfacht werden kann, da Mr. Charles Weasley offenbar einige Kollegen bei Ihnen in Rumänien hat, die gerne die westeuropäischen Drachenreservate besuchen möchten und das bisher immer in einem großen Stapel Formulare und einer Wartezeit von mehr als einem Jahr ausgeartet ist. Falls Sie ebenfalls an einer Erleichterung des Personal- und Wissensaustausches interessiert sind können wir das gerne noch morgen früh fixieren."

"O ja, ich bin sehr interessiert, darf ich auch von meinem obersten Dienstherrn mitteilen. Wir können das dann morgen früh genauer festlegen", antwortete Anna Varescu.

Nach dem Abendessen durfte Julius gegen den isländischen Zaubereiminister persönlich Schach spielen. Beinahe hätten sie Beide die Zeit vergessen. Doch als Britta Gautier die beiden ins Spiel vertieften Zauberer daran erinnerte dass um elf Uhr alle Zelttüren verschlossen würden und Monsieur Latierre ja noch bis zur französischen Reisekutsche fliegen müsse bedankte sich Björn Baldursson bei Julius für diese interessante Partie.

"Ich wurde von deiner Schwiegertante gewarnt, dass du leicht die Zeit vergisst, wenn du dich mit einem mindestens ebenbürtigen Gegner auf eine Schachpartie einlässt", sagte Britta, als sie neben Julius her zur Sonnenkarosse zurückflog. "Stimmt, wenn ich eine Partie richtig ausspiele kann ich da locker die Minuten vergessen."

Er bekam keinen Ärger, als er um eine Minute vor Elf in die Kutsche einstieg. Doch direkt nach dem Schließen der Tür wurde der Nachtschutzmodus in Kraft gesetzt.

Als er im Bett lag merkte er, wie heftig er sich doch angestrengt hatte. Fast hätte ihn Baldursson im 20. Zug in die Falle gelockt. Doch jetzt war es sogar möglich, dass er ihn in den nächsten zwölf Zügen mattsetzen konnte, sofern der nicht merkte, dass sein linker Turm drei Felder auf die Seite von Schwarz zurücken musste, um das zu verhindern. Doch jetzt musste er sich noch von seinen beiden Frauen verabschiieden und Grüße für Aurore und die anderen weitergeben. Irgendwie ärgerte er sich doch, dass er schon eine ganze Woche nicht mehr mit den wilden Mädels und dem kleinen grünäugigen Wuselwichtel Félix gesprochenund gespielt hatte. Das wäre zumindest noch ein ehrlicher, ganz erträglicher Kindergarten, dachte Julius.

__________

"Und der erzählt dir echt nichts konkretes, was die so bereden?" wollte Brittany Brocklehurst wissen, als sie am abend des 22. März über die Armbandverbindung mit Millie sprach. "Die haben alle Auflagen, erst was zu vermelden, wenn sie wieder von der Konferenz weg sind. Es wird nur erwähnt, dass die Fachgruppen sich zusammengesetzt haben, um die Gelegenheit zu nutzen, überfällige Themen zu besprechen und dass dadurch, dass Ladonna Montefiori ja eine Zeit lang viele Ministerien nach ihrer Pfeife hat tanzen lassen müsste geklärt werden, was von dem da noch für Menschen erträglich und im Sinne freier Hexen und Zauberer sei", antwortete Millie.

"Und wie kommen deine Kinder damit klar, dass ihr Daddy nicht zu Hause ist?" wollte Brittany wissen.

"Ich hoffe sehr, dass er mal eine Möglichkeit hat, denen einen Brief zu schreiben oder dass das, weshalb er da überhaupt mitgereist ist, bald so erledigt ist, wie er und die überschöne Dame Namens Léto sich das vorstellen. Vielleicht muss er dann nicht am Rest dieser Tour teilnehmen. Viele von denen, die dabei sind haben entweder keine Kinder oder haben ihre schon groß und aus dem Haus. Trice sagt, dass es mit der Zeit anstrengend für Mütter mit mehreren Kindern ist, wenn der Vater nicht regelmäßig nach Hause kommt. Tja, und Laurentine hat mal was von Schönwetterpapis erwähnt, Vätern, die für Monate weg sind und dann, wenn sie nach Hause kommen, ihre Kinder mit Spiel, Ausflügen und Geschenken ruhig halten, wo die Mütter sonst allen Frust und allen Knatsch abkriegen, den die Kinder mit ihnen kriegen. Da kann was dran sein. Ich hoffe aber, dass Julius auch mal klarstellt, dass er nicht nur als lustiger Pausenfüller da ist. Trice sucht auch danach, ob die Wochen Unterwegs nicht als Überstunden angesehen werden können und er dann mehr Urlaub kriegt. Ah, Rorie ist hier. Da ist Britt, Rorie!"

"Hallo, Britt. Du gehst gleich schlafen?" fragte Aurore auf Englisch, obwohl Brittany mittlerweile auch ganz ordentlich französisch konnte. Sie bejahte es und rief Leonidas. Der war schon im Schlafanzug. Doch als er seine französische Fernkontaktfreundin sah wollte er mal wieder durch das räumliche Bild springen. "Ist ja bald wieder Sommäää!" rief Millie auf Englisch, damit Leonidas das verstand. "Ja, und dann sehen wir Rories kleines Geschwisterchen, wie es in seiner Mom Ballett tanzt", meinte Brittany. "Falls du bis dahin nicht Leos kleines Geschwisterchen heranträgst, Brittany Brocklehurst", grinste Millie. "Falls bis dahin nicht, weiß ich ja, wo ich es zu mir hineinlassen kann", erwiderte Britt, wo ihr Sohn Leonidas und Aurore zuhören konnten. Doch Aurore hatte ja erzählt, wie sie ihre zwei kleinsten Schwestern Flavine und Phylla aus dem Bauch ihrer Maman hatte kommen sehen dürfen.

Die beiden etwas mehr als zwei Jahre auseinander liegenden Kinder verabschiedeten sich noch . Für Aurore fing der 23. März an, für Leonidas endete der 22. März.

__________

Julius fürchtete, dass der 23. März 2007 eine persönliche Niederlage werden mochte. Es ging erst wie die Tage davor um Sachen, mit denen er nur bedingt was zu tun hatte. Kurz vor zehn Uhr wurde er jedoch ernsthaft gefragt, ob er einem Vorschlag zur Registratur und Besteuerung von Nachkommen von Menschen und menschenförmigen Zauberwesen zustimmen würde. Als wenn Barbara nicht wüsste, dass das ihn sehr persönlich betraf und die weiterhin als stille Zuhörerin anwesende Léto das auch sehr persönlich nehmen mochte. Daher sagte er schnell aber sehr ruhig klingend: "Ich weiß, es gibt Zaubereiminister und ihre Handelsabteilungsleiter und auf Rundumüberwachung setzende Verwalter magischer Wesen, die über Steuuern oder jährliche Meldegebühren mehr Einfluss auf die bei ihnen lebenden Zauberwesen und ihre Nachkommen mit Menschen ausüben wollen und bei der Gelegenheit auch noch Galleonen dazuverdienen möchten. Doch ich weiß aus genug Erfahrung mit denkfähigen Zauberwesen, dass wir uns damit sehr, sehr heftig schädigen, wenn wir magische Wesen mit hoher Intelligenz und Befähigung zu dingen, die wir selbst mit Zauberstab nur schwer bis gar nicht ausführen können, zu reinen Ertragseinheiten abwerten. Ja, zu sichern, dass sie gut von den ahnungslos gehaltenen Nichtmagiern abgeschirmt sind, ihren Lebensraum zu sichern und ja auch wegen einer möglichen Gefährlichkeit wie bei Riesen, Manticoren und grünen Waldfrauen genug Abstand zur Menschenwelt zu erhalten kostet Galleonen. Doch wir haben in allen Jahrhunderten, die wir mit jenen denk- und sprachfähigen Wesen zusammenleben mehr Vor- als Nachteile gehabt. Ich weiß, dass in den USA mal wieder darüber diskutiert wird, ob es Sondersteuern auf Nachkommen magischer Wesen gibt, je reinrassiger sie mit magischen Wesen verwandt sind um so mehr. Was haben wir davon? Sicher, es wird Gold fließen und wir könnten unsere Verwaltungsgesetze verschärfen. Doch diejenigen die sich nicht von uns einzäunen oder an wie auch immer lange Leinen legen lassen werden sich dann noch mehr gegen uns auflehnen und die welche sowieso nur für sich leben wollen werden sich aus unserem Hoheitsgebiet davonmachen. Ich frage jetzt Gosbodin Tupulew, was die im Ural lebenden Riesen sagen würden, wenn einer vom Ministerium käme und von denen oder ihren Nachkommen Gold einforderte. Die auch schon erwähnten Nachkommen der Baba Jaga werden ebenfalls alles ablehnen, was sie noch mehr beschränkt. Von Vampiren brauchen wir hier gar nicht zu reden. Ja, und die Veelas nehmen für sich in Anspruch, schon viele Jahrtausende länger in Russland beheimatet zu sein als die slawischen und normannischen Siedler. Bestimte Regeln, die klären, wer wo und wie leben darf ja, aber eine Rassensteuer nein, meine Damen und Herren. Das wird im besten Fall nur Hohn und Spott und im schlimmsten Fall nur sehr böses Blut und die Gefährdung der Geheimhaltung einbringen."

"Öhm, hätte es jetzt ein einfaches "Ja" oder "Nein" nicht auch getan?" wollte Bengtsson wissen. Anna Varescu meldete sich und sagte: "Nein, hätte es nicht, weil irgendwer hier sicher eine genaue Begründung verlangt hätte. Die haben wir jetzt und können uns darüber verständigen."

"Gut, dann nehme ich alle Für- und Widererklärungen als dargelegt an und möchte zur Abstimmung schreiten. Gemäß der Vereinbarung bedeutet Einstimmigkeit eine Änderung der bisherigen Regeln. Alles andere heißt, es findet keine Änderung der bisherigen Verwaltungsvorschriften statt. Ist dies von allen hier verstanden und akzeptiert?" Alle bejahten es. Dann wurde abgestimmt. Niemand stimmte für eine Einführung einer Zauberwesensteuer und Gemischtrassensteuer. Das galt genauso, als wenn die bisherige Vorgehensweise beibehalten wurde. Aber für anschließende bilaterale Verhandlungen war das ausschlaggebend. Für Julius und Léto war das auf jeden Fall ein wichtiger Teilerfolg.

Julius fühlte förmlich, wie ein Knoten Platzte, als Gunnar Bengtsson nun verkündete: "Nun kommen wir zum fünften der zu verhandelnden Themen, die Verhandlung über die weitere Beziehung zwischen magischen und nichtmagischen Menschen und den sich selbst als Kinder Mokushas bezeichnenden, denk-, sprech- und entscheidungsfähigen Zauberwesen, die wir Veelas nennen, sowie der gesetzliche Status ihrer mit Menschen hervorgebrachten Nachkommen. Hierzu erteile ich nun Madame Léto, in Frankreich wohnhafte reinrassige Veela, das Wort und bitte um Ihrer aller Aufmerksamkeit!"

Léto stand auf und straffte sich. Dann begann sie damit, dass sie sich bei Gunnar Bengtsson für das Wort und bei allen hier vertretenen Zaubereiministerien für das Recht auf Teilnahme und Rede bedankte. Danach berichtete sie, wie das Verhältnis der französischen Veelastämmigen und der Menschen in den letzten anderthalb Jahrhunderten entstand und dass es sich trotz des Vorfalls mit ihrer Enkeltochter Euphrosyne und Ladonna Montefioris unbestreitbarer Abstammung von den Veelas fortwährend vertraut und förderlich entwickelt hatte. Sie erwähnte auch, dass ihre Töchter bis auf die eine erwähnte Ausnahme, Menschen nie als ihnen zu sehr überlegene oder zu sehr unterlegene Geschöpfe angesehen hatten. Sicher, viele von ihnen machten keinen Hehl daraus, dass ihre äußerliche Erscheinung vielen Menschen überlegen war. Doch äußerliche Erscheinung, so hatten ihre Töchter lernen müssen, reichte oft nicht aus, um Anerkennung zu finden. Anerkennung, so Léto, erwachse nur aus Taten. Dann kam sie auf Ladonnas Betreiben, alle Veelas in Ungnade stürzen zu wollen, um sie aus der Welt zu schaffen. Warum das so war erwähnte sie auch noch. Sie schilderte Ladonnas Betreiben, die osteuropäischen Veelas zu jagen und zu vernichten. Das verstärkte sie noch, als sie sich die osteuropäischen Zaubereiministerien unterworfen hatte. Die französischen Veelastämmigen und sie selbst konnten helfen, Ladonnas Unterwerfungszauber zu brechen und so alle hier repräsentierten Zaubereiministerien aus ihrer Knechtschaft zu befreien. Nun gelte es, den von ihr gestifteten Unfrieden wieder zu beenden und die Gelegenheit zu nutzen, das über Jahrhunderte gewachsene Miteinander auf sichere Beine zurückzustellen, auch und vor allem um Ladonna nicht am Ende doch noch triumphieren zu lassen. Danach bedankte sie sich für die ihr gewährte Aufmerksamkeit und setzte sich wieder. Die Skandinavier, der bulgarische Vertreter und der aus Polen applaudierten ebenso wie Julius Latierre.

"Ich danke im Namen aller hier vertretenen Zaubereiministerien für Ihr Vertrauen und Ihren Willen zum friedlichen Zusammenleben. Jetzt bitte ich den französischen Beauftragten für die Vermittlung zwischen Veelas und Menschen, Monsieur Julius Latierre ums Wort, sofern Sie noch was zu ergänzen haben."

"Ja, das habe ich, Herr Gesprächsleiter Bengtsson", begann julius. Er stand auf und begann ebenfalls damit, sich bei den Zuhörenden zu bedanken. Dann begann er seine eigene Rede.

"Ich war ein gerade mal zwölfjähriger Junge, ein Jahr mit Hogwarts vertraut, Kind von nichtmagischen Eltern, als ich die erste Veelastämmige erlebte. Sie gehörte zur Reisegruppe von Beauxbatons zur Quidditchweltmeisterschaft in Großbritannien. Ihre besondere Ausstrahlung ließ mich, gerade mal zwölf Jahre alt, fast wie in Trance hinter ihr herlaufen. Als mir dann erklärt wurde, wer dieses junge Mädchen war wusste ich erst nicht, ob ich mich jetzt vor ihr fürchten, sie anbeten oder ablehnen müsste, weil sie mich derartig heftig beeinflusst hat. Später traf ich jenes Mädchen als Teilnehmerin beim Trimagischen Turnier in Hogwarts wieder und erlebte mit, wie sie mit den Mitschülern klarkam und diese mit ihr. Einfach und angenehm war das nicht. Aber wie Sie alle wissen ist das mit der Pubertät soo, dass viele scheinbar leichten Sachen unheimlich schwer sind. Jedenfalls habe ich gelernt, dass es außer uns Menschen noch andere Wesen gibt, die ihre Stärken, Schwächen, Vorzüge und Fehler haben. Das lehrte mich schon eine gewisse Toleranz. Wegen Umständen, die zu privat sind, um sie hier zu erwähnen, wechselte ich nach Beauxbatons über und verbrachtet dort die verbleibenden Jahre der Zaubereiausbildung. So bekam ich mit, wie die jüngere Schwester der hier nicht namentlich erwähnten Veelastämmigen eingeschult wurde und was sie willentlich oder unbeabsichtigt mit ihrer Ausstrahlung bewirkte.

Nach meiner Ausbildung wollte ich unbedingt mit magischen Wesen arbeiten, weil es mich nicht nur wegen der Veelas, sondern wegen der magischen Tiere faszinierte. Gut, ich hatte leider bis dahin auch Kontakt mit Zauberwesen, die mir nicht wohlgesonnen waren und musste mir das wirklich überlegen, ob ich mich solchen Wesen ausliefern sollte. Doch das gab mir auch die Erkenntnis, das Veelas wesentlich umgänglicher, friedfertiger und hilfreicher sind als die hier schon erwähnten Vampire, Nachtschatten oder Trolle. Ich erlernte wegenn meiner mich immer wieder verwirrenden Empfänglichkeit für die Ausstrahlung von Veelas eine innere Zauberkunst, um mich vor äußeren Einflüssen abzuschirmen. Das gelang mir dank der Quellen und Lehrmeister so gut, dass diese Dame dort", er zeigte auf Léto "offenbar davon beeindruckt war. Ja, dann geschah die Sache mit Diosan Sarjawitsch, von der der Kollege Tupulew und die Kollegin Latierre sicher noch alles wissen. Wegen erwähnter Befähigung, mich vor Veelaeinflüssen weitestgehend abzuschirmen wurde ich beauftragt, Diosan zu finden. Dies gelang mir mit viel Glück. Da ich ihn nicht tötete und wegen meiner für besonders gehaltenen Fertigkeiten beschlossen die Ältesten der Veelas, mich zum Vermittler zwischen ihnen und uns Menschen zu wählen, vorzugsweise in Frankreich.

Ja, auch wenn es ab und an wegen der Unterschiede oder der einen oder anderen Überheblichkeit von Veelastämmigen Schwierigkeiten gab habe ich doch in den Jahren, über die nun schon oft hier berichtet wurde, erfahren, wie wichtig es ist, mit diesen Wesen in respektvoller Nachbarschaft zu leben. Wie wir Menschen gibt es welche, die sehr überheblich sind oder sich ganz bescheiden mit ihrer Natur zurückhalten. Nur dieser gegenseitigen Achtung und dieses gegenseitigen Vertrauens wegen gelang es uns, jene Goldlichtkerzen herzustellen, die dem Feuerrosenzauber Ladonnas entgegenwirken konnten. Deshalb konnten wir viele Zaubereiministerien aus der Knechtschaft befreien und den von ihnen verwalteten Menschen und Zauberwesen ihre Freiheit und ihren Frieden bewahren.

Zu dem was Madame Léto über die angefachte Vernichtungswut in Russland, Bulgarien und anderswo erwähnt hat möchte ich nur ergänzen, dass ein blutiger Krieg zwischen uns und den Veelas nur denen nützt, die uns beide lieber heute als morgen vernichten wollen, allen voran die Vampire der Blutgötzin. Außerdem würde Ladonna doch noch ihren Endsieg feiern, wenn ihr nach ihrem mutmaßlichen Ableben gelänge, was sie zu Lebzeiten nicht vollbrachte. Sicher, sie wollte mit ihrer teilweisen Veelaerbschaft die Welt beherrschen. Das vermag sie so nicht mehr. Doch ich weiß nicht, ob sie nicht in all den Jahren, die sie auf der Erde wandeln durfte, Hinterlassenschaften erschaffen hat, die von ihr angestiftete Erbinnen irgendwann finden und in ihrem Sinne benutzen. Wir wissen, dass Ladonna durch einen von ihr hergestellten Ring in ihr Leben zurückgekehrt ist. Was, wenn es noch mehr solcher von ihr hergestellten Dinge gibt, die vielleicht nicht sie selbst, aber einen Teil von ihr zurückbringen, der in arglosen oder ganz bewusst für sie bereitstehenden Menschen neue Weltherrschaftsphantasien weckt. Dann, Ladies and Gentlemen, sollten wir alle stark sein und uns ebensostarker Verbündeter gewiss sein, mit denen wir unsere Freiheit und unseren Frieden verteidigen können, ja bestenfalls erst keinen neuen Weltherrschaftswahn von wem auch immer aufblühen lassen. Wir haben gefährliche Feinde in der Welt. Wir sollten mit denen, die uns nicht fressen, aussaugen oder in willenlose Diener verwandeln wollen möglichst gut auskommen. So bitte ich Sie alle darum, jedes von Ladonna entfachte Feuer des Argwohns und des Unfriedens zu löschen und jedes Brandnest auszutreten, bevor neues Feuer entsteht. Reichen wir den Veelas in Frankreich, Deutschland, Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und natürlich auch Russland und der Ukraine die Hände zum Frieden und zur Freundschaft! Nur so können wir sicherstellen, dass sie uns beistehen, wenn unsere wahren Feinde, die nur ihrer Natur und nicht ihrer Vernunft folgen, unsere Unterwerfung oder unsere totale Vernichtung ins Werk setzen. Dies war, was ich berichten wollte. Nun liegt es an Ihnen, wie Sie mit dieser Lage umgehen möchten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!"

Julius verbeugte sich und setzte sich dann wieder hin. Diesmal bekam er von allen Applaus. Seine Schwiegertante sah ihn sehr zufrieden an. Léto lächelte warmherzig.

Bengtsson gestattete nun dem russischen Kollegen Tupulew das Wort. Dieser erwähnte auch, dass in Russland die meisten Veelaas lebten, was der bulgarische Vertreter mit einem Kopfschütteln bestritt. Doch Tupulew ließ sich nicht abbringen. Er erwähnte, dass das Unbehagen und damit der Widerwille bei der Bevölkerung wegen Ladonnas Umtrieben gestärkt worden war. Dann sei es zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Da die Veelas nach dem Gesetz der Blutrache lebten fürchteten viele, dass sie und ihre Familien sterben müssten. Somit sei es nicht einfach, mit den Veelas Frieden zu schließen. Es wäre zumindest ein Schritt, wenn Veelas und ihre Nachkommen bis auf weiteres in einem für sie allein ausgewiesenem Gebiet weiterlebten, bis aller Argwohn und Widerwille vergangen sei. Doch Sarja wolle das nicht, weil sie ihre Enkelkinder in der Welt der Menschen untergebracht habe und diese nicht als zu beseitigende Tiere daraus entfernt werden sollten. "Sie haben die süße Seite des Verhältnisses mit den Veelas gekostet, Madame und Monsieur Latierre. Wir haben durch Ladonna und durch Diosan die Bittere Seite zu schlucken bekommen, und ja, weil Veelastämmige nicht mal eben in Durmstrang zur Schule gehen dürfen, weil die dortigen Regeln das ausschließen, können wir nicht einfach sagen, die gehören zu uns dazu. Daher befürworte ich einen Burgfrieden zwischen uns und den Veelas und deren Nachkommen, wenn jene Nachkommen sich für sagen wir mal eine Generation aus den Siedlungen und Einrichtungen der Menschen fernhalten und in der Zeit eine vorsichtige Annäherung zwischen uns und Ihnen angebahnt wird. Da Sie, Dama Léto, Jahrhunderte alt werden ist dies für Sie und Ihresgleichen kein Opfer, dass das ganze Leben kostet, sondern eine schon vernünftige Vorsichtsmaßnahme, um jede weitere Auseinandersetzung zu vermeiden. Wir können Ihnen zwar nicht garantieren, dass nicht der eine oder andere Mensch vor allem ohne Magie in Ihre Wohngebiete hineingerät, würden uns aber sehr dankbar erweisen, wenn Sie dieses Eindringen nicht als feindlichen Akt auslegen. Minister Arcadi und ich sind zudem nicht sicher, ob unsere Meinung und unser Vorgehen noch weiterhin gewürdigt wird. Daher dürfen und können wir bis zu einer klaren Entscheidung der Liga gegen dunkle Künste nicht zu einem derartig großen Schritt entschließen, so sehr Sie das auch enttäuschen mag. Im Moment können wir nur einen Waffenstillstand und die Aussicht auf eine Verbesserung Ihrer Lebensumstände anbieten. Bitte haben Sie dafür Verständnis.""

Diesmal applaudierte nur der ungarische Vertreter. Der Bulgare schien eher von dem bewegt zu sein, was Julius vorhin gesagt hatte.

"Sehe ich das richtig, dass Sie, Gosbodin Tupulew, nicht im Stande oder gewillt sind, eine klare Entscheidung zu treffen, bevor nicht die angeblich unabhängigen Richter darüber geurteilt haben, ob Sie weiterhin für das Zaubereiministerium arbeiten dürfen?" fragte Bengtsson. Julius meinte, Léto hätte ihm das in seine Gedanken eingeflüstert. "Wir sind leider nicht in dieser glücklichen Lage, dass unser Volk uns von allem freispricht, was passiert ist wie bei Ihnen in den Nordländern oder dass wir von Anfang an frei entscheiden durften, wie die Kollegen aus Frankreich. Minister Arcadi und ich können im Moment nur diese Lösung anbieten und davon ausgehen, dass wir oder unsere Nachfolger sie beibehalten: Veelas wo Veelas wohnen, Menschen wo Menschen wohnen."

"Herr Vorsitzender, werte Anwesende", ergriff Léto wieder das Wort. "Sie räumten eben ein, dass Sie nicht garantieren könnten, das nichtmagische Menschen nicht zu uns in die Wälder oder an die kleineren Flüsse kämen und dort was immer anzustellen. Aber Durmstrang kann sich schon vor uns und vor allem vor jungen Menschen mit magischer Begabung schützen und solche, die keine magischen Eltern haben von vorne herein aussperren. Sie begründen das in Ihrem Volk gährende Misstrauen damit, dass kein Nachkomme von uns Veelas in Durmstrang unterrichtet werden dürfe. Monsieur Latierre hier hätten die zaubererstolzen Schulräte in Durmstrang auch nicht aufgenommen und gelehrt. Dennoch ist er unbestreitbar ein Zauberer, weil es seine Natur ist. Machen Sie es allen Ernstes davon abhängig, wen Durmstrang unterrichtet, mit wem Sie in Friedenund Freundschaft und gegenseitigem Beistand zusammenleben?"

"Muss er doch, er war ja auch da in Durmstrang", warf Ivarsson aus Island dazwischen. "Durmstrang über alles. Was dort gilt gilt überall oder Durmstrang ist nicht die Tinte wert, mit der man es aufschreibt", meinte noch der dänische Vertreter einwerfen zu müssen. Julius fürchtete schon, dass es gleich zu einer heftigen Grundsatzdebatte über den Wert von Durmstrang geben mochte. Da sagte Bengtsson:

"Meine Herren, bitte Gesprächsdisziplin! Bitte beantworten Sie die Frage von Madame Léto, Kollege Tupulew!"

"Gut, was die Einschränkung betrifft, dass wir nicht garantieren können, dass Menschen den Weg zu Ihnen finden könnten wir entsprechende Absperrungen errichten, natürlich so, dass sie diese jederzeit aufheben können. Doch was die gegenseitige Anerkennung angeht muss der am Anfang der Zusammenkunft zitierte Scherbenhaufen langsam wieder zusammengesetzt werden, sonst zerfällt er gleich wieder in noch mehr Scherben. Keiner bei uns möchte noch einmal derartig beeinflusst werden wie von Ladonna Montefiori. Das sehen Sie sicher ein. Also kann ich nicht mehr für Sie anbieten als diesen Burgfrieden bei Einhaltung der von uns beiden zu ziehenden Grenze."

"Mit Erlaubnis des Gesprächsleiters möchte ich die größte Errungenschaft in unserem Verhältnis zu den Veelas und ihren Nachkommen präsentieren, Ladies and Gentlemen", brachte Julius ein, als ihm das Wort erteilt wurde. Er durfte. So las er den ins Englische übersetzten Friedensvertrag zwischen den französischen Veelastämmigen und dem Zaubereiministerium laut vor. Er wehrte jeden Zwischenruf mit einem Kopfschütteln ab und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Als er fertig war sagte er: "Inn Durmstrang und Beauxbatons darf man nicht mal eben von anderen abschreiben, ohne es klar zu zitieren. Dieses Dokument, Kollege Tupulew, darf mit Erlaubnis der Zaubereiministerin und Madame Létos von jedem so abgeschrieben werden, bis auf die Ausnahmen, dass da wo "Frankreich" und "französisch" steht das eigene Heimatland und dessen Adjektiv eingetragen werden möchte. Natürlich dürfen Sie das Dokument auch in Ihre Amtssprache übersetzen, damit es jeder, der oder die daran interessiert ist, lesen kann. Wir haben es bis heute größtenteils geheimgehalten, um die von allen hier geschilderten Nachwirkungen Ladonnas erst einmal abzuschütteln. Aber in Ihrem Fall, Gosbodin Tupulew, haben Sie doch noch die Zeit und die Berechtigung, solche Dokumente zu erstellen und zu unterschreiben. Wir, die Vertreter des französischen Zaubereiministeriums, erlauben es Ihnen. Wenn in der nichtmagischen Welt ein Regierungschef demokratisch abgewählt wurde und sein gewählter Nachfolger noch seine neue Mannschaft zusammenstellt nennen ihn die Zeitungen und Rundfunkmacher gerne eine lahme Ente, weil er angeblich nichts neues mehr entscheiden oder in die Tat umsetzen kann. Sie, Gosbodin Tupulew und ihr Dienstvorgesetzter Minister Arcadi, sind Sie solche lahmen Enten, die nichts mehr tun können. Nein! Sie können noch was tun. Sie können noch was bewegen, was Ihre Nachfolger heute oder erst in nicht gezählten Jahren anerkennen und fortführen müssen, wenn sie weiterhin das Wohl und den Ruhm des russischen Zaubereiministeriums bewahren wollen. Sie sind zu Entscheidungsträgern ernannt worden, weil eine wichtige Menge von Leuten findet, dass Sie das können. Treffen Sie eine Entscheidung für den Frieden, die Sicherheit und die Zukunft!"

Eine erhabene Stille folgte Julius' am ende sehr gefühlvoller Ansprache. Alle sahen ihn und dann Tupulew und den bulgarischen Fachkollegen an. Julius' verbeugte sich andächtig und setzte sich wieder hin, sein Zeichen, dass er jetzt alles für ihn wichtige gesagt hatte. Seine Schwiegertante strahlte ihn an, als sei er nicht ihr Schwiegerneffe, sondern ihr Sohn, der hier und heute seine UTZ-Prüfung bestanden hatte. Auch Gunnar Bengtsson lächelte anerkennend und nickte. Dann blickte er auf die ihm gegenüberhängende Wanduhr.

"Nun, die unmittelbare Zukunft verheißt, dass in zwei Minuten das Mittagessen serviert wird", sagte Bengtsson. "Ich denke, wenn Sie uns allen Kopien dieses doch sehr beachtlichen Dokumentes zur Verfügung stellen können, dann ließe sich darüber beraten, ob es wirklich eins zu eins übernommen oder als sehr gut gemeinter Vorschlag erwogen werden darf. Beschließen wir für diesen Moment die Unterredung! Ich wünsche Ihnen allen einen guten Appetit." Mit diesen Worten schloss Bengtsson die Vormittagssitzung.

Sie verließen zügig aber nicht hektisch den Besprechungsraum 002. Julius peilte in Richtung Herrenwaschraum. Barbara Latierre blickte sich schnell um, ob ihr jemand zusah. Als dem nicht so war trat sie an ihren Schwiegerneffen heran und klopfte ihm kräftig auf die rechte Schulter. "Hast du gut gemacht. Jetzt müssen sie darüber reden, dass es so nicht weitergeht. Das steht jetzt alles im Protokoll und kann von den Ministern nachgelesen werden. Insofern haben die schon Kopien für ihre eigenen Fachleute. Bis gleich, Julius."

Julius fühlte sich merkwürdig. Einerseits fühlte er sich supergenial, weil er wohl gerade die stärkste Rede seines jungen Lebens gehalten hatte, noch besser als die Rede gegen Werwolfinternierungslager. Andererseits war da doch die Besorgnis, dass die Russen gerade weil er noch so jung und angeblich so unerfahren war zu stolz waren, um etwas von ihm zu übernehmen. Doch das war doch nicht von ihm. Der Friedensvertrag stammte von Ministerin Ventvit und Léto, und die zwei waren wahrlich alt und erfahren genug, um für andere als Vorbild dienen zu dürfen. Er hatte es nur an die richtigen Leute gebracht, wie ein junger Werbefachmann, der ein bereits angejahrtes Produkt für alle Generationen neu anpreisen muss, um die Verkaufszahlen wieder nach oben zu bringen. Er hatte seinen Job gemacht, wie gut, würde sich schon bald zeigen.

Beim Mittagessen durfte protokollgemäß nichts aus den Arbeitsgruppen besprochen werden. Doch irgendwie strahlte was von der Arbeitsgruppe magischer Wesen aus Raum 002 auf die anderen aus. Die Handelsabteilungsvertreter waren wohl frustriert aus ihrer Besprechungsrunde gekommen. Die Vertreter für internationale Zusammenarbeit wirkten so, als hätten sie den ganzen Morgen lautstark aneinander vorbeigeredet, weil sie sich über den runden Tisch hinweg immer so befremdet anblickten. Belenus Chevallier als Vertreter für magische Sicherheit und Gesetzesüberwachung wirkte als einer der wenigen zufrieden, ja regelrecht begeistert, als habe er heute den Handel seines Lebens abgeschlossen. Als die anderen sahen, dass die Fachgruppe für magische Wesen teils nachdenklich, teils entschlossen dreinschauend am Tisch saß Fühlte Julius die Blicke der anderen auch auf sich ruhen.

Als Minister Österlund, der ganz ungeniert drei Becher Mittagsmet getrunken hatte, den blitzblank leergegessenen Desertteller von sich fortschob und sich erst auf Schwedisch und dann auf Englisch für die erquickliche und sättigende Mahlzeit bedankte war das wie hier üblich das Zeichen, dass alle fertig zu sein hatten. Bis zur Fortsetzung der Gesprächsrunden blieben laut Uhrenwürfel über dem Tisch noch zehn Minuten.

Alle nutzten die Zeit, um noch einmal die nach Geschlechtern eingeteilten Waschräume aufzusuchen. Danach trafen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppen wieder vor den zugewiesenen Besprechungsräumen. Julius fiel sofort auf, dass Tupulew fehlte. War der noch in einem der drei Waschräume für Herren?

Bengtsson kam angelaufen. Er grüßte seine Kolleginnen und Kollegen leicht abgehetzt. Dann sagte er: "Ich komme gerade von Minister Österlund. Er und sein Kollege Arcadi sprechen noch mit dem Kollegen Tupulew. Es mag sein, dass dieser sich verspätet. Bitte treten Sie schon einmal ein. Ich warte hier, bis ich Gewissheit habe. Es sind ja noch zwei Minuten bis zur offiziellen Fortsetzung der Besprechung."

Alle stellten sich hinter ihre bisherigen Plätze bereit. Denn das Protokoll verlangte, dass der Gesprächsleiter ausdrücklich anordnen musste, platzzunehmen. Dieser stand jedoch auf leicht zitternden Beinen im Türrahmen und wartete und wartete und wartete. Dann schwirrte ein bunter Memoflieger zu ihm hin. Bengtsson entnahm diesem die kurze Nachricht. "Aha, der Kollege Tupulew wird von den Ministern entschuldigt, nicht an der Fortführung der Sitzung teilzunehmen. Wir mögen schon einmal anfangen", sagte Bengtsson und fügte hinzu: "Öhm, bitte setzen Sie sich!" Dann schloss er die Tür von innen und eilte auf seinen eigenen Platz vor Kopf des rechteckigen Tisches.

"Auch wenn es wichtig wäre, den russischen Kollegen Tupulew mit dabei zu haben möchte ich die uns verfügbare Zeit gerne nutzen, um über die Möglichkeiten, Vor- und Nachteile dessen zu sprechen, über das uns der junge Kollege Latierre vorhin im Auftrag des französischen Zaubereiministeriums unterrichtet und für das er so überzeugend geworben hat. Wer möchte sich zuerst dazu äußern? - Ah, der Kollege Bolkov aus Bulgarien. Bitte sehr, Sie haben das Wort!""

Julius bangte, dass Bolkov jetzt alle seine für so toll gehaltenen Argumente in der Luft zerriss. Doch er sagte, dass er "endlich" eine Vorlage habe, mit der sein Ministerium arbeiten könne. Denn einer der größten Streitpunkte im Verhältnis zwischen den bulgarischen Veelas und der dortigen Zauberergemeinschaft war die seit Jahrtausenden bei Veelas geltende Blutrache auch an Angehörigen von ihnen verfolgter Mörder. Es habe deshalb vor Ladonnas Einflussnahme schon sowas wie ein Burgfrieden bestanden, von gegenseitigen Hilfsleistungen mit vereinbarter Gegenleistung abgesehen. Nun könnte sogar ein Frieden auf der Basis gegenseitiger Anerkennung und darauf aufbauend ein Vertrag für gegenseitigen Beistand beschlossen werden. Er merkte an, dass der vorhin verlesene Vertragstext für die kleine Veelagemeinschaft in Frankreich, die noch dazu ein und dieselbe Stammmutter habe, vollauf ausreichend sei. Doch für eine größere Anzahl reinrassiger Veelas müssten noch weitere Einzelheiten ausgearbeitet werden, um keine Missstimmung zu erzeugen, und es müsste abgestimmt werden, wie das Verhältnis der Geschlechter zu bewerten sei, da Veelas größtenteils matriarchalisch organisiert seien und die bulgarische Zaubererwelt traditionell eher patriarchalisch organisiert sei. Anna Varescu zwinkerte dem Kollegen aus dem Nachbarland verwegen zu. Dieser ließ sich davon nicht beeindrucken und beschloss seinen Redebeitrag damit, dass er dies mit all den dafür mitzuständigen Kololegen und natürlich mit Minister Oblonsk besprechen müsse. Er könne sich aber eine Konferenz ost- bis südosteuropäischer Zaubereiministerien vorstellen, die eine gemeinsame, auf friedliches Miteinander mit den Veelas ausgerichtete Vereinbarung treffen könnten. Dies, so Bolkov, hinge jedoch auch von der Bereitschaft der Veelas ab, einer solchen landesübergreifenden Vereinbarung zuzustimmen.

Bengtsson wollte erst Anna Varescu das Wort erteilen. Doch weil Léto ebenfalls die Hand hob zog die Rumänin ihre Bitte ums Wort zurück. Léto sah alle ost- und südosteuropäischen Mitglieder dieser Arbeitsgruppe an und straffte sich. Julius konzentrierte sich auf seinen Heilsstern. Doch dieser steckte reglos und handwarm unter seinem Unterhemd. Also versuchte die Veela nicht erst, ihre besondere Ausstrahlung einzusetzen. Sicher, hier saßen ja vier Hexen im Raum, die auf sowas nicht begeistert reagierten.

"Sehr geehrte Anwesende. Ich habe mich bereits für die Einladung bedankt, an dieser Gesprächsrunde teilhaben und mitwirken zu dürfen. Daher erfreut es mich um so mehr, dass der zwischen meiner Person und Ministerin Ventvit geschlossene Friedensvertrag nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch eine gewisse Anerkennung gefunden hat. Daher ist es mir sowohl eine Freude wie eine Beruhigung, Ihnen allen, vor allem jenen aus den Geburtsländern meiner Schwestern, Brüder, Nichtenund Neffen, mitteilen zu dürfen, dass meine bei den Ministern weilende Schwester Sarja und ich Mitglieder des Ältestenrates aller Kinder Mokushas sind und daher alle mit uns befassten Vorschläge und Entscheidungen dort berichten und zur Abstimmung stellen dürfen. Daher versichere ich dem Herren Bolkov und jedem anderen hier gerade anwesenden und auch Gosbodin Tupulew und seinem Ministerium, dass wir selbst einen großen Wunsch nach einem Frieden in gegenseitiger Achtung und Anerkennung haben. Dieser Wunsch wird uns, da bin ich sicher, dazu bewegen, Vertreterinnen unseres Volkes mit Vertreterinnen und Vertretern Ihrer Völker zusammenzubringen, um über einen Friedens- und Anerkenntnisvertrag zwischen uns und ihnen zu beraten und hoffentlich ein für uns alle begrüßenswertes Endergebnis zu erzielen, auf welches wir und unser aller Nachkommen über lange Jahre in Sicherheit und gegenseitiger Anerkennung werden leben können. In Deutschland gibt es ein Sprichwort, das übersetzt so viel heißt wie alles gute braucht seine Zeit. Ebenso heißt es dort zuversichtlich, was lange währt wird endlich gut. Die Geschichte unserer beiden Völker war bisher geprägt von gegenseitigem Unbehagen, neidvoller Belauerung oder Befremden. Sie fand ihren dunklen Tiefpunkt in den Taten Ladonna Montefioris. Somit kann und möge es von nun an nur noch nach oben gehen. Wir vom Volk der Kinder Mokushas wollen diesen Weg gehen und nehmen gerne die Einladung an, uns mit Ihnen zu einer dies ermöglichenden Zusammenkunft zu treffen. Wir hoffen auch, dass nicht nur wir mit Ihnen in Frieden leben, sondern alle denk- und handlungsfähigen Wesen, die gewillt und befähigt sind, friedlich und ohne Gier und Tötungsdrang mit Ihnen zusammenzuleben. Es werden dann leider immer noch mehr als genug Widersacherinnen und wahrhaftige Fressfeinde übrigbleiben, mit denen Sie und wir uns auseinanderzusetzen haben, ich denke da vor allem an jene körperlosen, eigenständigen Schatten aber auch an jene, die Sie sicher auch kennen und mit denen Ihr junger Kollege Julius Latierre auch schon unangenehme bis gefährliche Begegnungen hatte. Über die langzähnigen Blutsauger wurde hier ja schon häufig genug gesprochen. Aber womöglich kann mit jenen zumindest ein Stillhalteabkommen getroffen werden. Halten Sie das bitte nicht für einen reinen Wunschtraum! Ich habe ein gewisses Lebensalter erreicht und daher schon viele angeblich reine Wunschträume wahr werden sehen können, leider auch so manchen Albtraum, wie eben den, dass Ladonna Montefiori, die zum Teil eine von uns war, die Weltherrschaft an sich reißen wollte, nicht mit blutiger Gewalt wie jener Massenmörder aus England, der es vollbracht hat, selbst Angst vor seinem frei gewählten Namen zu schüren. Aber sie hätte mit der ihr in die Wiege gelegten Kraft Mokushas noch mehr Unheil anrichten können als jener, den noch immer viele nicht beim selbstgewählten Namen nennen wollen. Dass sie dies nicht konnte erfreut uns. Für viele war es auch ein Wunschtraum, sie wieder loszuwerden, nicht sie zu töten, aber zu entmachten. Dieser Traum wurde wahr. Warum sollte da nicht auch so manche andere Hoffnung zur erfreulichen Wirklichkeit werden? Wir Töchter und Söhne Mokushas stehen jedenfalls bereit, mit Ihnen zusammen an der Erfüllung einer großen Hoffnung zu arbeiten, Frieden in ehrlicher, vertrauensvoller gegenseitiger Anerkennung unserer Natur und unserer Befähigungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"

Léto setzte sich wieder hin. Außer Anna Varescu applaudierten ihr alle. Julius vermutete, dass ihr die Passage mit den möglicherweise friedlich mit ihr lebenden Vampiren nicht gefiel. Stimmt, man musste ja nicht gleich alles auf einmal haben. Ja, und wer würde noch von Ladonna Montefiori sprechen, wenn sich die Anhänger der Blutgötzin und die körperlosen Untertanen jener Nachtschattenkaiserin wieder regten?

Bengtsson bedankte sich bei Léto für ihre offizielle Ankündigung, dass der Ältestenrat der Veelas mit den Vertreterinnen und Vertretern der osteuropäischen Zaubereiministerin verhandeln wollte. Julius hätte fast noch einmal geklatscht. Denn Bengtsson nahm ihm jedes Wort von der Zunge.

Nun, wo auch Léto ihre große Rede gehalten hatte, konnten die anderen nicht anders als ihre Bereitschaft zu bekunden, zumindest mit ihren Dienstherren darüber zu reden und nach mindestens einem Weg zu suchen, den in Aussicht gestellten Frieden sicher zu vereinbaren und dann auch zu leben. Ja, da konnte es noch dran scheitern, argwöhnte Julius. Verträge ließen sich leichter schließen, als den dahinterstehenden Völkern beizubringen, sie auch einzuhalten. Russen und Amerikaner belauerten sich immer noch mit einer Menge Atomwaffen, weil trotz bestehender Abrüstungsverträge immer noch der Argwohn bestand, angegriffen zu werden, wenn nicht genug abschreckende Vernichtungskraft bereitstand. Da konnte auch eine kleine Machtverschiebung ausreichen, um die Gefahr eines Weltkrieges wieder aufkommen zu lassen. Doch für sowas gab es ja zwei wichtige Einrichtungen bei den Atommächten, den Weltsicherheitsrat der UNO und die direkte Telefonverbindung zwischen Washington und Moskau, auch heißer Draht oder rotes Telefon genannt. Das wollte er fürs Protokoll noch kurz einwerfen, um die Möglichkeiten für einen dauerhaften Friedenund den dafür nötigen Dialog zu erweitern. Aber er wartete erst, bis sich alle Osteuropäer zu den vorliegenden Vorschlägen und zu den Reden von ihm und Léto geäußert hatten. Er musste die in ihm aufkommende Glückseligkeit niederhalten. Für sowas war es noch viel zu früh, dachte er immer wieder.

Als Bengtsson alle Vertreter Osteuropas außer Tupulew hatte sprechen lassen bat Julius kurz ums Wort und schilderte in für nur mit der Zaubererwelt vertraute Menschen verständlicher Sprache die Sicherheitseinrichtungen der nichtmagischen Staaten, um einen alles vernichtenden Weltkrieg zu verhindern und erwähnte auch die Stadt Genf, wo sich immer wieder Vertreter jener Mächte trafen, die Atomwaffen besaßen. Ein solch neutraler Ort konnte ja im Laufe von Vertragsverhandlungen gefunden werden, sowie ja Gotland als neutraler Ort erwählt worden war, um diese Konferenz abzuhalten. Damit warf er Bengtsson einen gezuckerten Pass zu, den dieser all zu gerne annahm.

"Nun, sollten die künftigen Vertragspartnerinnen und -partner nach einem geeigneten Ort für regelmäßige Aussprachen auf neutralem Boden suchen wird es uns vom schwedischen Zaubereiministerium eine Ehre sein, Ihnen einen derartigen Ort anzubieten. Doch dies ist nur ein Angebot, keine verbindliche Aufforderung, Ladies and Gentlemen." Dies empfanden wohl alle hier. Allerdings blickten die meisten immer wieder zur Tür. Offenbar fanden nicht wenige, dass jetzt doch mal der russische Kollege Tupulew zu diesem Punkt gehört oder zumindest darüber informiert werden sollte, was in seiner Abwesenheit besprochen wurde. Doch Tupulew kam nicht zurück. So fasste Bengtsson die am Morgenund bis jetzt besprochenen und dargelegten Argumente zusammen.

"Für das weiterhin mitgeschriebene Protokoll, dass auch nachher vom Kollegen Andrej Tupulew nachgelesen werden darf: Es besteht die überwiegende Mehrheit seitens der ost- und südosteuropäischen Vertreter, einen dauerhaften, auf gegenseitigem Respekt gründenden Frieden mit den Veelas zu schließen und dafür die nötigen Einzelheiten in einer noch zeitlich zu bestimmenden Konferenz nach dieser Zusammenkunft zu erörtern. Die Vertreterin der Veelas hat höchst offiziell angeboten, im Ältestenrat ihres Volkes für dieses Vorhaben zu werben. Um den Vertrag zu schließen und dessen Einhaltung zu gewährleisten schlägt der französische Veelabeauftragte Julius Latierre vor, einen neutralen Ort zu bestimmen, an dem sich in regelmäßigen Abständen Vertreter der künftigen Vertragsparteien treffen und ihre Gedanken austauschen können. Allen hier anwesenden ist bewusst, dass es mit der reinen schriftlichen Abfassung und Unterzeichnung nicht getan ist, weil ja die gesamten Einwohner der damit verbundenen Hoheitsgebiete ihr Leben und Denken entsprechend einstimmen müssen, um den Vertrag, wie es so schön blumig heißt, mit Leeben zu erfüllen. Die Anwesenden hegen jedoch die Hoffnung, dass dies gelingt und sehen auch keinen Sinn darin, zu zögern, nur weil sie nicht wissen, wie dies ohne Gewaltanwendung zu bewerkstelligen ist. Selbst der längste Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt. Und der längste Weg wird nur halb so lang, wenn jene, die ihn gehen, aufeinander zugehen. Dies möchte ich in meiner Eigenschaft als Leiter dieser Fachgruppe als abschließenden Punkt zu dem Thema Nummer fünf, Besprechung der Möglichkeiten zur Schaffung eines dauerhaften Friedens zwischen Menschen und Veelas, ins Protokoll aufnehmen. Ich bedanke mich bei allen für Ihre rege Teilnahme. Ich möchte diese Sitzung an dieser Stelle unterbrechen, um mich nach dem Verbleib des Kollegen Tupulew zu erkundigen. Ihnen steht es solange frei, den Kaffeeraum aufzusuchen oder im Rahmen der zwei-Minuten-Wege-Regel die Umgebung unseres Zeltes zu erkunden. Die Sitzung ist unterbrochen."

Julius fühlte jetzt doch diese warme, prickelnde Euphorie. Das war fast so wie die Aussicht auf einen beglückenden Liebesakt, fand er. Durfte er sich jetzt doch freuen? An Arcadi und Tupulew konnte das gerade besprochene noch scheitern. Russland hatte auch in der Zaubererwelt einen sehr großen Einfluss auf seine Nachbarn. Falls Arcadi ablehnte, war es wieder offen, ob die anderen einen Friedensvertrag haben wollten.

Anna Varescu winkte Barbara und dann Julius Latierre zu und deutete auf eine der Türen zu den kleinen, ebenfalls dauerklangkerkerbezauberten Kabinen für Notizen oder Besprechungen in kleinen Gruppen, womöglich auch fachübergreifend. Als die drei in der Kabine waren fragte Anna Varescu, ob Julius es für möglich hielt, dass es mit den Blutsaugern der freien Liga auch zu einem Abkommen auf gegenseitiges Stillhalten kommen konnte. "Dazu kenne ich mich mit den Vampiren zu wenig aus, um das verbindlich beurteilen zu können, Madam Varescu. Aber was bei den Veelas gilt gilt besonders für Vampire. Die Bevölkerung könnte das sehr verstimmen. Sie könnte finden, dass man sich hier mit Monstern an den Verhandlungstisch setzt. Doch irgendwie hat es ja bis zu dieser sogenannten Blutgöttin oder großen Mutter der Nacht einen Weg gegeben, dass Menschen und Vampire nebeneinander gelebt haben. Aber jetzt, wo die Jünger dieser nachtgötzin aus einer nichtmagischen Quelle diese Ganzkörperschutzhaut gegen Sonnenstrahlen und sicher auch dazu passende stark abgedunkelte Kontaktlinsen oder Sonnenbrillen haben fühlen die sich doch erst recht allen Menschen überlegen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie unsere damalige Schulleiterin ein Vampirehepaar eingeladen hat, über sein Leben und seine Lebensweise zu erzählen. Die waren der Ansicht, dass ihr Dasein keine Krankheit, sondern eine Form von Wiedergeburt ist und dass Vampire eine den Menschen überlegene Lebensform sind, weil sie ja nicht lebende Tote sind, wie sie die nichtmagischen Sagen und Gruselgeschichten darstellen."

"Ja, diesen Eindruck kann man wirklich gewinnen. Ich habe im Amt zur erfassung und sicheren Überwachung städtischer und in freier Natur lebender Strigoi, also Vampire angefangen. So konnte ich im Gegensatz zu Ihnen, Domnul Latierre, mehrere dieser selbsternannten Überwesen antreffen, manchmal musste ich auch welche pfählen oder aus sicherer Entfernung mit sonnensegenbezauberten Eichenholzbolzen erschießen. Daher sind die sich mal mehr und mal weniger stark organisierenden Angehörigen dieser bedenklichen Lebensform mir sehr feindselig gegenüber eingestimmt. Ja, und jetzt kommt etwas, dass Ihrem Erfolgserlebnis von vorhin womöglich eine hässliche Kerbe verpassen mag - Veelas und Strigoi sind Erzfeinde. Sie sind wie Feuer und Wasser, die nur da bestehen können, wo nicht mehr von den anderen sind. Die Strigoi vertragen kein Veelablut, weil die darin enthaltenen Kräfte sie erst mit Stärke aufladen, um sie dann jedoch zu überladen und wie unter freiem Sonnenlicht zu Asche verbrennen. Daher trachten sie gerne danach, Veelas zu jagen und zu töten, was dann natürlich die Blutrache der Veelas weckt. Deshalb, und das dürfte Ihre Fürsprecherin bei den Veelas Ihnen vielleicht noch nicht verraten haben, herrscht seit mehr als dreihundert Jahren Krieg zwischen Strigoi und Mokushas Kindern. Wer den Feind sieht muss schneller sein als dieser und ihn töten. Wenn wir jetzt einen Vertrag mit den Veelas auf gegenseitige Anerkennung schließen werden die sechs hohen Paare, wie sich die sechs ältesten sogenannten Ehepaare nennen, das als unseren Eintritt in diesen Krieg werten. Allerdings wissen wir nicht, ob die sechs hohen Paare nicht auch schon dem Lockruf jener übermächtigen Entität erlegen sind und wir ohne es zu wissen mit denen im Krieg liegen. Zumindest ist mir als Leiterin der Abteilung für die Führung und Aufsicht magischer Lebewesen noch nichts dergleichen mitgeteilt worden. Wenn die Strigoi ihre Nahrung suchen tun sie dies erschreckend unauffällig. Wenn sie neue Kinder oder Weggefährten oder niedere Dienerinnen und Diener anwerben erfahren wir das möglicherweise auch erst Jahre später. Denn nachdem Fürst Wlad im 15. Jahrhundert einem türkischen Blutsauger zum Opfer fiel und somit selbst zu einem wurde, bis man ihn grausam zerstückelte hielten seine Anhänger Frieden mit christlichen Menschen. Aber ab da gingen sie, wie es heutzutage so schön heißt, in den Untergrund und wurden zu jenen ewigen Wanderern durch die Nächte, als die sie die Sagenwelt der Magielosen kennt und fürchtet."

"Mittlerweile begeistern sich vor allem junge Nichtmagier für neuere Geschichten, in denen Vampire romantische bis erotische Beziehungen zu Menschen haben, vorzugsweise männlicher Vampir mit junger Menschenfrau oder jugendlicher Vampir mit halbwüchsigem Menschenmädchen", warf Julius ein. Anna Varescu nickte bestätigend. "Unsere Überwachungsabteilung für Strigoi ist sich uneins, ob sie diese teils schwülstigen Geschichten für billige Witze ahnungsloser Erfinder oder für eine gefährliche Verdummung von Menschen halten soll. Aber es ging um die Veelas und die bei uns hausenden Blutsauger. Ich bin davon überzeugt, dass Madame Léto weiß, dass ihre Artgenossen in Rumänien mit den Strigoi Krieg führen. Ich möchte ihr nicht Naivität unterstellen, dass ihre Hoffnung reine Ahnungslosigkeit ist. Doch wie sie selbst sagte kann es lange dauern, bis Hoffnungen sich erfüllen oder aus Träumen Wirklichkeit wird. Wir jedoch, die wir nicht in Jahrhunderten denken können wie Veelas und Strigoi und Verantwortung für unsere Nachkommen haben dürfen nicht von überschwänglichem Friedenswillen getrieben in diesen Kampf eingreifen, und sei es nur, weil wir mit der uns genehmeren Partei einen Gegenseitigkeitsvertrag schließen wollen. Ich sage Ihnen das hier und außerhalb des mitgeschriebenen Protokolls, damit Sie nicht all zu enttäuscht sind, wenn mein Dienstherr es ablehnt, dass Rumänien sich in die Riege der Friedenswilligen einreiht. Dazu müssten wir erst einmal einen Weg finden, mit den Strigoi alleine zu verhandeln. Ja, und der ist durch die Existenz jener angeblichen Blutgöttin sehr steil und steinig und schmal, und links und rechts lauern unendlich tiefe Abgründe, wie in einer nichtmagischen Kindergeschichte, wo es durch eine Region absoluter Dunkelheit und Kälte ging."

"O, dann brauchen sie entweder nur viel flüssige Lava zu trinken, um nicht zu erfrieren oder brauchen eine gehörige Portion Kohle, um einen Dampfkessel so zu heizen, dass der Ihnen den richtigen Weg mit weißem Schnee bedeckt", erwiderte Julius. Barbara Latierre, die bis dahin nur zugehört hatte sah ihn verwundert an. Anna Varescu nickte jedoch. "Ich werde das meinem Dienstherren so weitergeben, falls er darauf eingeht, den Strigoi die Hand zum Burgfrieden auszustrecken. Aber das wird er wohl nur tun, wenn wir wissen, dass es in unserer schönen Heimat noch kein Reich der Blutgötzin gibt."

"Das ist verständlich", sagte Julius. Barbara Latierre nickte und sagte: "Auch unser Ministerium wird derzeitig nicht darauf ausgehen, einen Friedensvertrag mit den Vampiren zu schließen. Wir müssen befürchten, dass der Preis dafür zu hoch ist." Da konnten Anna Varescu und Julius nur zustimmen.

Die rumänische Ministeriumshexe bedankte sich bei den beiden Franzosen für die Aufmerksamkeit. Dann verließen sie die kleine Besprechungskammer. Dort wartete Britta Gautier, die so aussah, als dränge sie etwas.

"Hallo, Madame Latierre, Hallo Monsieur Latierre. Monsieur Latierre, Minister Österlund, Ministerin Ventvit und Minister Arcadi laden Sie ein, vor ihnen und den andern Ministern noch einmal die genauen Punkte des zwischen Ministerin Ventvit und Madame Léto geschlossenen Friedensvertrages zu erörtern und, falls schon verfügbar, eine Kopie des heutigen Besprechungsprotokolls Ihrer Arbeitsgruppe mitzubringen. Madame Latierre, Sie werden gebeten, an der weiteren Sitzung Ihrer Fachgruppe teilzunehmen und Monsieur Latierre auch noch einmal bei Gesprächsleiter Bengtsson zu entschuldigen. Ihm wird gerade eine schriftliche Mitteilung zugestellt, hörte ich von Minister Österlund."

"In Ordnung, Madame Gautier", sagte Barbara Latierre. Julius nickte und bat die als Leibwächterin und Landeskennerin von Schweden mitgereiste Hexe ihn zu führen, obwohl er den Raum 001 auch sicher alleine finden konnte.

"Hui, du hast heute deinen großen Tag, Julius. Nutze ihn!" flüsterte Britta ihm unterwegs zu. Er hielt es für sicher, ihr nur zuzunicken.

Raum 001 erwies sich als kleiner Bruder des Mittelachsensaales, was die Einrichtung und die Ausstattung anging. Nur war der runde Tisch ein Achtel so groß und der von der Decke hängende Uhrenwürfel hatte nur einen halben Meter Kantenlänge. Dafür leuchteten hier noch ein paar sonnengelbe Kristalle mehr, und die Zifferblätter der vier Uhren glänzten golden und besaßen schwarze Zeiger. Auf dem Tisch standen mehrere Karaffen mit unterschiedlich gefärbten Flüssigkeiten, eine Kanne Kaffee und eine Kanne Tee. Vor den Ministern standen goldene Becher, nur Mademoiselle Ventvit hatte eine Tasse vor sich stehen. Die mitgebrachten Leibwächterinnen und Leibwächter standen unter den Rundumsichtfenstern verteilt und winkte Julius und der Kollegin mit ihren Zauberstäben.

"Willkommen im Hirn des Allthingzelttes, nachdem Sie ja in den letzten Tagen ausgiebig den Bauch unserer Einrichtung genießen durften", grüßte Sören Österlund den eingeladenen Zauberer. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Jetzt sah Julius auch, dass Tupulew an einem kleinen Beistelltisch saß und Zwiesprache mit einem silbernen Becher hielt. Österlund winkte Julius, an den runden Tisch heranzutreten. Ein Ministeriumsbote brachte einen Stapel Pergamentrollen. "Mit freundlichen Grüßen von Bengtsson", grüßte der Bote und übergab Österlund die Pergamentrollen. "Ah, da sind die Protokolle von heute, die Dame und die Herren. A ja, in der nötigen Kopienanzahl auch. Dann können wir alle sie zeitgleich mitlesen, während Sie uns allen noch einmal jenen offenbar sehr beachtenswerten Vertrag vorlesen, den meine Kollegin Ventvit mit Madame Léto geschlossen hat."

"Bevor ich damit anfange, ist Madame Sarja verhindert?" fragte Julius. "Nein, sie wird gleich wieder da sein. Offenbar hat sie drängende Angelegenheiten erledigt und .. Ah, wie aufs Stichwort", sagte der schwedische Zaubereiminister mit einer Tonlage, die Julius an einen Schwips denken ließ. Zumindest passte der goldene Becher zu dieser Vermutung. Ja, und wenn er behutsam tief Luft einsog roch er auch den unverkennbaren Dunst hochprozentiger Getränke.

Hallo, Monsieur Latierre. Schön, dass es möglich wurde, Sie dazuzubitten", sagte Sarja und näherte sich Julius, offenbar für eine Begrüßungsumarmung. Julius Heilsstern pulsierte warm und wohlig. Als Sarja weniger als Armeslänge von ihm entfernt war begann sie zu beben und zu keuchen. Doch es war kein Keuchen unter großer Last oder wegen auftretender Schmerzen. Julius sah am Gesicht von Létos Schwester, dass es ein wohliges, von steigender Anregung rührendes Keuchen war. Er zog sich schnell einen halben Meter zurück. "DAS ist ja unfassbar beglückend", hörte er Sarja auf Französisch sagen, bevor sie enttäuscht dreinschaute, weil der sie anregende Effekt vergangen war. "Sei froh, dass ich gerade ein Kind trage, sonst hätte ich dich gleich hier und jetzt zu mir genommen und mir all deine Lust und deinen fruchtbaren Samen einverleibt", hörte er ihre Gedankenstimme in sich. "Pass auf, dass meine Schwester dich nicht oben und unten verschlingt", hörte nur er sie noch hinzufügen. "Ihre Schwester weiß, dass sie mir nicht so nahe kommen darf, um nicht in wilder Wonne zu zerschmelzen", schickte Julius zurück. Er wunderte sich, dass er hier mit ihr mentiloquieren konnte. Dann sah er, wie Sarja noch einmal auf die kritische Distanz herankam, sich einige Sekunden im Schauer aufsteigender Erregung badete und dann entschlossen weiterging und sich auf einen für sie bereitstehenden goldenen Lehnstuhl setzte, eine Kanne und eine Tasse vor sich.

"Besser ist es wohl, wenn Sie sich hier zu mir setzen, Monsieur Latierre", gebot ihm seine oberste Dienstherrin. Er gehorchte und nahm auf einem eher schlichten Stuhl neben ihr Platz. Die Tür wurde von einem von Österlunds Leibwächtern verschlossen. "So, jetzt sind wir unter uns", sagte der schwedische Zaubereiminister. "Der Raum ist jetzt auch gegen Mentiloquismus verriegelt, für den Fall, dass jemand mit Ihnen auf diese Weise Kontakt sucht", sagte Österlund. Dann sprach er im Stil eines Radiomoderators: "werte Kollegin, werte Kollegen, geehrte Vertreterin der Kinder Mokushas. Da wir heute nachmittag erfuhren, dass es bereits einen rechtskräftig wirksamen Vertrag zwischen Menschen und Veelas in Frankreich gibt und der Mitarbeiter des geschätzten Kollegen Arcadi uns davon berichtete entschlossen wir uns, diesen in englischer Übersetzung abgefassten Vertrag von einem der Zeugen seiner Entstehung vorlesen und in den einzelnen Punkten erläutern zu lassen. Mr. Julius Latierre, von den Veelas der Welt und dem Ministerium für magische Angelegenheiten in Frankreich bestätigter Vermittler, bitte verlesen Sie das von Ihnen bezeugte Vertragswerk. Achso, ich war unhöflich. Quellwasser, Kaffee, Tee, Met, Wodka oder Aquavit?"

"Tee bitte", sagte Julius. Da erschinen mit leisem Plopp eine Tasse und Untertasse vor ihm auf dem runden Tisch. Eine der Kannen bekam sechs flinke Beine und kam zu ihm herüber. Sie öffnete ihren schnabelförmigen Ausguss und goss echten Earl-Grey-Tee in die Tasse. Ein kleines, schwarz-weiß geschecktes Porzellangefäß in Form einer erwachsenen Kuh trabte von der Tischmitte her zu ihm und ergoss einen kleinen Schluck Milch aus den vier dünnen Zitzen des rosig lackierten Euters. Dann zogen sich die zwei bezauberten Gefäße wieder zurück. Julius wunderte sich längst nicht mehr über derartige Spielereien und bedankte sich bei Österlund für das Angebot. Er trank erst einen Schluck. Dann holte er die Englische Übersetzung hervor und bat um die geschätzte Aufmerksamkeit. Diese wurde ihm zu Teil.

Nachdem er jeden Punkt einzeln vorgetragen und auf die Zwischenfragen der Anwesenden geantwortet hatte sagte Arcadi, der eine bemerkenswerte Wodkafahne verströmte: "Liebe Anwesenden, vor allem der großzügige Gastgeber Österlund. Ich wollte das erst nicht so richtig glauben, dass sich die Kinder Mokushas auf geschriebene Verträge einlassen, wo drinsteht, was sie zu tun und zu lassen haben. Aber die französische Kollegin versicherte mir, dass dieser Vertrag, ja dieser sehr bemerkenswerte Vertrag, von ihr und der etwas zivi.. vivilisierten Schwester dieser blonden Dame mit dem Namen Mooho-orgenrot dort wahrhaftig un-untersch-schrieben worden ist. Skål!" Diesen Trinkspruch nnahmen alle Minister auf und nahmen tiefe Schlucke aus ihren Bechern. Nur Ornelle Ventvit und Julius blieben beim Tee. "Ich habe dem Kollegen Tu-pupulew nicht richtig geglaut. Das tut tut mir l-leid, Andrej Iwanowitsch. Wenn das, öhm, ja, wenn das geht dann kann sie dort ja da auch sowas mit uns abschließen, wenn die ganzen Sachen vo-von wegen Gebieten und gegegengenseititiger L-leistungen k-klären k-können. Ich dachte, ich wäre noch nüchtern."

"Also, was mein Kollege und ausdauernder Zechkumpane hier gerade sagen will ist, dass der Vertrag von Ihnen nicht eins zu eins übernommen werden kann, weil es mehr reinrassige Veelas in Russland als in Frankreich gibt, die größere Gebiete bewohnen und ja es auch wegen Ladonna zu sehr unschönen Zusammenstößen mit ihrem Volk gab", sagte Österlund, der im Vergleich zu Arcadi noch gut geradeaussprechen konnte.

"Bibt es denn auch schöne Zusammenstöße, Kollege Österlund?" fragte Ornelle Ventvit und bereute das in den nächsten Sekunden. Denn alle anderen sahen sie verwegen bis mitleidig an, während der schwedische Amtskollege grinste und antwortete: "O ja, die gibt es. Denen verdanke ich fünf stramme Burschen und die wiederum zusammen sieben weitere Burschen und drei holde Mädchen. Skål!" Die anderen wiederholten den Trinkspruch und nahmen weitere Schlucke. Mit hochrot angelaufenen Ohren raunte Ventvit: "Ich hätte vielleicht besser nicht fragen sollen. Die Herren sind bereits in einer sehr enthemmten Stimmung."

"Werte Exzellenzen Zaubereiminister, nüchtern betrachtet ist die Anzahl der Veelas in einem Gebiet unabhängig, wenn diese sowieso eine Fürsprecherin haben, die in ihrem Auftrag Verhandlungen führt", sagte Julius und musste lauter sprechen, weil alle schon beim Begriff "nüchtern betrachtet" lachen mussten. "Also, ich merke ess, die Stimmung hier ist gerade sehr gut, und ich möchte nicht verhehlen, dass ich auch ohne geistige Getränke in recht guter Stimmung bin, weil sich so viele hier für den Frieden zwischen zwei intelligenten Völkern interessieren. Ich möchte gerne noch einmal auf den Blutracheverzicht zurückkommen. Die von Ihnen als unschöne Zusammenstöße bezeichneten Auseinandersetzungen sollten bei einem von beiden seiten gewollten, mit der nötigen Entschlossenheit zum Freiden verhandelten Vertrag als von fremdem Einfluss getriebene, höchst bedauerliche Vorfälle bestätigt werden. Auch besteht ein Unterschied zwischen einem heimtückischen Mord und einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung. Was von beiden vorliegt gehört dann auch in den Bereich zu klärende Vorfälle. Da darf und möchte ich mich nicht zu sehr aufdrängen. Ich erwähnte ja, dass der Vertrag zwischen französischen Veelas und Zaubereiministerium als Grundlage oder gutgemeinter Vorschlag verstanden werden möchte. Sie können ihn natürlich einzs zu eins übersetzen und an Ihre Landesbesonderheiten anpassen. Wie gesagt liegt das dann bei Ihnen, Eure Exzellenzen."

Julius atmete auf, dass alle ihm da beipflichteten. Allerdings fragte er sich doch nun, wie gut sie das behalten würden. Jedenfalls hatte er gerade den Eindruck, dass die hier versammelten Osteuropäer in der richtigen Stimmung waren. Hoffentlich war das nicht nur dem hier ausgeschenktem Alkohol zuzuschreiben. Dann lief das am Ende noch unter Schnapsidee. Er hoffte, dass auch hier Protokollfedern mitschrieben. Außerdem standen die Leibwächterinnen und Leibwächter an den Wänden, die das im Zweifelsfall auch bezeugen konnten. Julius durfte noch ergänzen, was in Tupulews Abwesenheit besprochen worden war und gab die Zusammenfassung Bengtssons wieder. Damit löste er eine weitere Skål-Runde aus. Er dachte seine Selbstbeherrschungsformel, um sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm ihm diese Lage war. nach der großen Euphorie, doch was bewirkt zu haben, fühlte er sich gerade am falschen Ort. Er sah die Ministerin an. Diese nickte andeutungsweise und fragte nach dem gegenseitigen Zutrinken, ob ihr Mitarbeiter noch benötigt würde.

"Bis zum Abendessen ist ja nicht mehr lange", sagte Österlund. Julius trank inzwischen den Tee aus. "Aber wenn Sie, Monsieur Latierre, noch Ihren Kolleginnen und Kollegen verkünden wollen, was wir hier gerade besprochen haben dürfen Sie dies gerne tun."

Julius bedankte sich und verabschiedete sich von der illusteren Runde. "Wir sehen uns dann um halb elf wieder an unserer Reisekutsche", sagte Ornelle Ventvit. Julius bestätigte das.

Wie war er froh, als Britta Gautier ihn zum Raum 002 zurückbegleitete. "Die haben eine Wette am laufen, ob Arcadi den schwedischen Drachenfeuerschnaps genauso wegschlucken kann wie seinen üblichen Wodka. Bitte nichts davon bei den anderen erzählen."

"Danke fürs zurückbringen, Madame Gautier", sagte Julius, als ihm Bengtsson die Tür von innen geöffnet hatte. Wie froh war er nun, dass er vor Leuten sprechen konnte, die sich nicht auf ein seiner Meinung nach hirnloses Wettsaufen einließen.

Nach dem Abendessen spielte Julius noch einmal mit Björn Baldursson Schach und schaffte es, in dreißig Zügen zu gewinnen. "Da habe ich schon den völligen Durchblick und habe das doch nicht kommen sehen", meinte der isländische Zaubereiminister. Er spielte auf seine beiden täuschend echt aussehenden Kunstaugen an, die wie die von Moody viele Sachen durchblicken, ja auch magische Tarnungen durchdringen konnten und natürlich im Wärmesichtbereich wirkten.

"So wie es gerade aussieht sind wir von der Fachgruppe Zauberwesen wohl morgen oder übermorgen durch. Eine Revanche ist da sicher noch möglich, Minister Baldursson", bot Julius an. Der ehemalige Drachenjäger und jetzige Zaubereiminister bedankte sich für das Angebot. Dann meinte er leise: "Hoffentlich finden Arcadi und Österlund morgen aus ihren Betten, sonst muss der Sitzungstag abgesagt werden." Julius nickte nur. Er wollte es nicht darauf anlegen, ob er dazu was sagen durfte oder nicht.

Wieder zurück in der Reisekutsche lud die Ministerin noch einmal alle mitreisenden in den Besprechungssaal ein. "Ich könnte jetzt eine Runde Champagner spendieren, weil heute alle einen recht erfolgreichen Tag verbracht haben. Aber ich behalte mir das für unsere Rückreise vor. Das brachte Julius auf eine Idee.

"Wir fliegen nicht gleich weiter bis Malta?" fragte er. "Nein, wir werden in Millemerveilles zwischenhalten, da sie auf Malta uns erst am zweiten April dort haben wollen. Es besteht für Sie alle dann die Gelegenheit, Ihre Familien und Freunde zu besuchen und für mich ist es eine Gelegenheit, die ausgehungerte Presse mit unseren ersten Ergebnissen zu füttern. Außerdem hat mir der Kollege Shacklebolt per Eule mitgeteilt, dass er die große Angloamerikareise übernehmen wird. Zwar könnten wir auch mit der Karosse im Reisekreis nach New Orleans hinüber, aber die dort residierenden Regionalverwalter wollen dann Einfuhrgebühren für die Kutsche und die Abraxaner haben. Das darf dann Shacklebolts Schatzmeister entrichten. Dann fragte Julius, ob er die geplante Mittelmeerkonferenz mitmachen sollte. Offenbar hatte er sein Gesicht da nicht so im Griff wie er hoffte. "Sie meinen, wo Sie heute den Zweck Ihrer Teilnahme erfüllt haben, Monsieur Latierre? Gefällt es Ihnen etwa nicht bei uns?" fragte die Ministerin. Julius sagte schnell, dass ihm diese Reise bisher sehr interessant erschienen war und er sich weiterhin geehrt fühlte, daran teilzunehmen. Dann sagte er jedoch: "Mein Sohn Félix feiert am sechsten April seinen zweiten Geburtstag. Der ist jetzt richtig auf den Beinen. Meine Frau und seine Mutter möchten daher ein richtiges Fest feiern. Gut, wenn Sie mich dazu bitten, Sie alle weiterhin zu begleiten werde ich dies natürlich tun. Ich frage mich halt nur, was ich noch zu tun habe.""

"Das heißt, Sie fragen mich und Madame Latierre und Monsieur Dupont und womöglich auch die nicht anwesende Madame Léto. Immerhin gibt es in Spanien eine Familie aus Veelastämmigen, und Rodrigo Pataleón, sofern er nicht von den dortigen Ältesten abgewählt wird, möchte vielleicht erfahren, was Sie den Kollegen aus Skandinavien und Osteuropa dargelegt haben." Julius zuckte zusammen. An Espinela Flavia Bocafuego de Casillas und vor allem ihren Enkel Ignacio Lucio Bocafuego Escobar hatte er nicht gedacht. Wenn auf Malta alle Mittelmeer-Zaubereiministerien zusammentrafen war ja auch Spanien mit dabei. Sollte es bis dahin einen Vertrag zwischen den Russen, Bulgaren und den anderen geben konnte er das den Spaniern wunderbar als Empfehlung um die Ohren hauen. "Für wie lange ist die Konferenz auf Malta angesetzt?" fragte Julius. "Zwischen dem zweiten und dem zehnten April, sofern keine Verlängerungsanträge gestellt werden. Es soll wieder Fachgruppenberatungen geben. Die Konferenzsprache bleibt weiterhin Englisch", erwiderte Alain Dupont ein wenig verdrossen klingend. Dann sagte Ministerin Ventvit: "Ich kann als amtierende Ministerin einen Portschlüssel bereitstellen lassen, der Sie am sechsten April nach Paris befördert. Von dort aus können Sie dann nach Millemerveilles. Nehmen Sie das Angebot an?" Julius nickte und sagte laut: "Ja, ich nehme das Angebot dankbar an, Ministerin Ventvit.

"Sie haben Recht, Kollege Dupont. Der Elternschaftsparagraph erlaubt die Abwesenheit eines Elternteils von außerdienstlichen Veranstaltungen, für zwei Tage, wenn es begründen kann, warum es bei der eigenen Familie sein möchte. Da Julius Latierre dies hiermit getan hat und ich das auch jederzeit tun kann, solange ich Kinder unterhalb des Beauxbatons-Einschulungsalters habe, kann eine derartige Ausnahme gemacht werden." Dupont verzog sein Gesicht noch mehr. Offenbar ärgerte er sich, dass Chaudchamp ihn dazu verdonnert hatte, an dieser Reise teilzunehmen.

Julius mentiloquierte um elf mit seiner Frau. Er verriet ihr aber noch nicht, dass sie in Millemerveilles zwischenhalten würden. Das sollte eine Überraschung werden. Er verriet ihr jedoch, dass er heute seinen Auftritt hatte und dass er sehr zuversichtlich war, dass die Osteuropäer selbst einen Friedensvertrag mit den Veelas abschließen wollten. "Dann geht es ja bald weiter nach Malta", gedankensprach Millie. Julius bejahte es. Dann wünschte er ihr noch eine erholsame Nacht, wo sie ja wieder für drei schlafen musste.

"Wenn du wiederkommst bin ich schon wieder zwei Wochen weiter und Trice auch. Aber wie läuft das mit Félix' Geburtstag?"

Er berichtete ihr von der Sondergenehmigung für junge Eltern, mit der er aber auch schon neidvolle Gesichter verursacht habe. "Wenn die Reise vorbei ist darf die nette Mademoiselle Ventvit dir gerne Urlaub geben", gedankenschnaubte Millie. Julius wollte ihr da weder zustimmen noch widersprechen.

__________

Der Abend des 25. März wurde zu einem großen Fest. Alle Arbeitsgruppen hatten ihre Besprechungen durch. Vor allem die für Handel und die für Zauberwesen konnte ein Bündel von Erfolgen nachweisen. Frankreich hatte ein Abkommen über den Handel mit skandinavischen Zauberkräutern und Zwergenerzeugnissenabgeschlossen. Die Russen und Bulgaren sprachen schon mit Sarja und Léto, was der Ältestenrat der Veela für Angebote erhalten mochte, und außer der verbindlichen Absichtserklärung, einen Friedensvertrag zu schließen hatte die Zauberwesengruppe noch ein Abkommen über Beamtenaustausch im Bereich Drachenpflege und erweiterte Zauberwesenstudien beschlossen. Das alles ließ sich sehr gut verkaufen.

Julius gönnte sich an diesem Abend auch einen Schluck schwedischen Mets und trank seinen direkten Kollegen zu und auch dem einen oder anderen Minister. "Und irgendwann finde ich raus, wie standhaft Sie sind", meinte Arcadi zu Julius. "Jedenfalls werden unsere Altvorderen es nicht mehr wagen, uns für lahme Enten zu halten, die man einfach so abschießen kann. Skål!"

Trotz des in Kräuterbutter gebratenen Elchsteaks von einem in seinen Wäldern bis zur letzten Sekunde glücklich lebenden Elches und den gewürzten Kartoffeln leicht berauscht fand Julius am späten Abend in das Bett seiner Luxuskabine. Er schaffte es noch, seiner Frau "Geschafft. Morgen fliegen wir ab" zu mentiloquieren. Dann merkte er, dass er zu müde war, um länger zu mentiloquieren.

__________

Am 26. März morgens fühlte sich Julius fit wie sonst. Offenbar wirkte das von Ursuline an ihm gewirkte Lebenskraftverstärkungsritual und die von Madame Maximes Blut erhaltene Konstitution immer noch ganz gut.

Alle trafen sich vor der Kutsche, um sich von der schwedischen Delegation zu verabschieden. Die würden gleich mit dem Allthing weitermachen, der Zusammenkunft skandinavischer Zaubereiministerien. So konnte Julius sich auch von Sarja und Léto verabschieden. Die meinte zu ihm: "Solltest du auf Malta Espinela oder einer ihrer Töchter begegnen sieh zu, die nicht zu nah an dich heranzulassen, Julius. Die könnten vergessen, dass ich dich für mich vorgemerkt habe", mentiloquierte Léto. Dann winkte sie ihm, als er mit den anderen in die Kutsche zurückstieg.

Nur zehn Minuten später tauchte die Sonnenkarosse wieder in die Wolken über Gotland ein. Mademoiselle Ventvit ließ aus der Küche eine Magnumflasche Champagner heraufkommen und feierte mit ihren Kolleginnen und Kollegen diesen sehr langen und sehr wichtigen Abschnitt der Rundreise. Julius erwähnte, wie seine Frau diese Reise genannt hatte. "Reise für den Frieden hat sie das genannt, was wir machen."

"Das passt doch", sagte Belenus Chevallier. Barbara Latierre sagte dazu: "Ja, da dürfen wir uns wirklich was drauf einbilden, Julius. Wenn die Slawen und die Veelas wirklich einen offiziellen Friedensvertrag hinbekommen kommen wir alle ins Geschichtsbuch der Zauberei."

"Oha, dann kriegen unsere Kinder und Enkel das irgendwann im Unterricht, dass wir auf Gotland waren? Alter Schwede!" Britta lachte, weil sie diesen Ausdruck schon mal gehört hatte. Die anderen mussten erst nachfragen und lachten dann auch. Dann prosteten sie sich allen noch einmal zu, wobei sie aber jetzt das in Frankreich gebräuchliche "A vótre Santé" benutzten. Julius fragte Britta, ob sie ihm und seiner Frau irgendwann mal Rezepte von den ganzen Köstlichkeiten beschaffen konnte, die sie auf Gotland genossen hatten. "Ich frage meine Mama, ob sie euch das große Kochbuch für schwedische Hexen und Zauberer auf Französisch besorgen kann. Die hat all das schon hundertmal nachgekochuspokust, was wir bekommen haben. Nur die Elchsteaks von gestern abend, die werdet ihr so schnell wohl nicht kriegen."

"Du weißt ja, dass wir eine Veganerin in der Bekanntschaft haben. Die würde uns nicht mehr mit dem Hinterteil ansehen, wenn wir der was von Elchsteaks, Räucherschinken und diese Hackfleischbällchen vorschwärmen, die es gegeben hat."

"Köttbullar heißen die, Julius." Er nickte und sagte, dass er sich wohl viele neue Namen merken müsse. Das brachte Barbara Latierre darauf, ihm zu sagen, dass Anna Varescu sehr begeistert von seiner Entschlossenheit war und dass sie zu Hause wohl nachprüfen würde, ob die sogenannten hohen sechs Paare noch frei waren oder schon dieser Göttin anhingen. Falls letzteres der Fall war, so Barbara, hätte sie auch keine Skrupel mehr, mit den in Rumänien lebenden Veelas einen Friedensvertrag zu schließen. Julius wusste nicht, was ihm lieber sein sollte.

___________

Es war der Abend des 27. März, als Millie auf dem für Feste und große Zusammenkünfte angelegten Platz stand und zusammen mit Bruno Chevallier die Ankunft einer mehr als hausgroßen Kutsche mit vielen vorgespannten Abraxanerpferden heranfliegen sah. "Und da taucht sie auf, die legendäre, altehrwürdige vom magischen Rat der Franken vor fünfhundert Jahren bestellte und erbaute Sonnenkarosse von Apollonius Arculaureus Eauvive", kommentierte Bruno. Millie machte schnell mehrere Fotos. "Wir haben erst vor drei Stunden erfahren, dass jenes majestätische Gefährt bei uns in Millemerveilles einen Zwischenhalt einlegen will, um sich und die ihr vorgespannten Vollblutabraxanerpferde von der bisherigen langen Reise ausruhen zu lassen. Ja, da schwingen die, öhm ganz vielen Pferde ihre Flügel, um die Sinkfahrt der Sonnenkarosse zu bremsen. Was für ein überwältigender Anblick. Leute, ich habe bisher nur davon gelesen, dass es dieses Fuhrwerk gab. Aber es selbst zu sehen ist wirklich bedeutsam. Hunderte von Bewohnerinnen und Bewohnern, allen voran der ganze Dorfrat, erwarten das Eintreffen der französischen Hochrangdelegation. Neben mir steht meine wagemutige und wortgewandte Kollegin von der Temps de Libertée, Madame Mildrid Latierre. Millie, was sagst du zu diesem Anblick?"

"Ja, Kollege Bruno, ich habe es auch erst nicht für möglich gehalten, dieses großartige Gefährt noch zu sehen zu bekommen, bevor es zu seinem weiteren Reiseziel auf der Insel Malta weiterfliegen wird, um seine Europareise für den Frieden zwischen uns magischen Leuten und den vernunftbegabten Zauberwesen zu vollenden. Es sind übrigens sechsunddreißig ausdauernde Abraxanerpferde. Das kann man deutlich an den Deichseln sehen. Jetzt gerade schwenkt die Karosse nach links herum und fängt wohl den Restschwung ab. Der Mond spiegelt sich in den Rädern und Beschlägen. Du siehst auch diesen durchsichtigen Kuppelaufbau auf dem Dach?" Bruno bestätigte das. "Das ist die Sonnenkuppel, eine Aussichtskuppel, von der aus ein unverstellter Blick auf die Landschaft unter der Karosse genossen werden kann, Messieursdames. Ja, und jetzt landet die Kutsche. Mal bitte leise sein!" flüsterte sie. Da schlugen die ersten Hufe der elefantengroßen Zugpferde auf, dann die nächsten und dann, mit einem lauten Rumpeln und leisem nachquietschen trafen die Räder der Karosse den Boden. Fast auf dem Punkt kam das Gespann zum Stillstand. "Sie ist gelandet. als ich damals die Beauxbatonsreisekutsche vom trimagischen Turnier in Hogwarts zurückkommen sah habe ich nicht gedacht, dass so ein großes Fuhrwerk so schnell abgebremst werden kann, Bruno."

"Ja, Millie, ich weiß genau was du meinst. Auf jeden Fall ist sie jetzt wieder auf französischem Boden. Ich sehe, wie die Türe aufgeht und die Treppe mit dem bei Tag sonnengelben Läufer ausgefahren wird." Millie machte schon Fotos. "Da steigt Ministerin Ventvit aus der Karosse heraus, dicht gefolgt von Monsieur Dupont aus der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Monsieur Belenus Chevallier, einem Herren, der nicht ganz zufällig meinen Namen trägt. Oh, und da sind Barbara Latierre und der bereits mit 24 Lebensjahren soweit herumkommende Julius Latierre, die wie ein altvertrautes Ehepaar neben... Autsch!" "Alles hat seine Grenzen", lachte Millie und übernahm Brunos Kommentar. "Monsieur Julius Latierre, der überhauppt nicht zufällig meinen Namen trägt verlässt nun die Sonnenkarosse und betritt den Boden von Millemerveilles, begleitet vom Begrüßungsbeifall unseres hochrangigen Empfangskomitees." Bruno ignorierte den Schmerz in seinem linken großen Zeh, auf den ein halbhoher Absatz niedergefahren war und kommentierte das Aussteigen aller weiteren Reisegäste, die sich erst einmal mehrere Meter weit von der Kutsche entfernten und dann in einer wohl gut eingeübten Formation aufstellten, um das Begrüßungskomitee zu erwarten. Als die Ratssprecherin Delamontagne der Ministerin die Hand schüttelte knipste Millie davon drei Bilder und sprach in Brunos Schallsammeltrichter: "Die beiden hohen Damen begrüßen sich und tauschen wohl schon erste Worte über die Reise aus. Laut Pressestelle des Zaubereiministeriums ist gleich hier vor Ort eine Pressekonferenz geplant. Der Kollege vom Miroir ist auch schon auf Position. Auch Der mitgebrachte Rundfunkkolege winkt einem Schallsammeltrichterträger, zu ihm hinzukommen. Also wird dieses Ereignis auch gleich von zwei Stationen übertragen. Wir rücken nun auf die festgelegte Position vor, um den Bericht der Ministerin und ihrer ranghohen Mitreisenden zu erlauschen. Bleiben Sie dran oder warten sie bis morgen früh, wenn die neue Ausgabe der Temps zu Ihnen kommt. Sie haben die Wahl."

"Wer will denn morgen noch Zeitung lesen, wenn er heute schon alles von uns direkt in den Radiokasten serviert bekommt?" fragte Bruno. "Jene Hexen, die die Fotos von der Kutsche und der Reisemode unserer Hochrangdelegation bewundern möchten und Schwarz auf Weiß nachlesen möchten, was gleich an hoffentlich historischen Einzelheiten berichtet wird."

"Nur dass ich diese Historischen Einzelheiten ungestellt und ohne schreiberisches Drumherum berichten darf", frotzelte Bruno seine Verwandte und Kollegin. "Immerhin kann ich schreiben", flüsterte Millie ihm ins Ohr und hob den rechten Fuß, um falls nötig einen zweiten blauen Zeh zu verursachen. "Ich soll dich nicht wütend machen, hat deine Tante gesagt", flüsterte Bruno, während er den Schallsammeltrichter zuhielt. Dann gingen beide hinüber zu dem für die Berichterstatter vorgesehenen Platz.

Eine Stunde später, das Tageslicht war nun völlig erloschen, freute sich eine nicht mehr so kleine wuselige Hexe darauf, dass ihr Papa wieder zu Hause war. Aurore war nicht allein. Ihre Schwestern und der auf seinen kurzen Beinen hinterherhüpfende kleine Bruder waren auch da. Béatrice, die die Rasselbande beaufsichtigt hatte, lächelte Julius an und meinte: "Gut gegessen hast du auf jeden Fall unterwegs, und offenbar die Ertüchtigungseinrichtungen der Kutsche genutzt."

"Ja, alles das", sagte Julius erleichtert, dass er einige Tage in seinem geliebten Apfelhaus schlafen durfte. Am Morgen des ersten Aprils sollte es dann nach Malta gehen.

"Die Ministerin bedankt sich übrigens bei dir für den tollen Titel, Millie. Wenn die Tour ganz beendet ist lädt sie noch einmal zu einer Pressekonferenz nach Paris ein."

"O das ist nett", sagte Millie. Dann umklammerte sie ihren Mann und küsste ihn leidenschaftlich. "Sieh zu, dass du nach dieser Rundreise ein paar Urlaubstage von Nathalie raushandeln kannst. Die kleinen haben ja schon fast vergessen, wie du aussiehst."

"Welche kleinen, die Wuselwichtel oder die zwei Erbsenprinzessinnen in der warmen Kemenate." "Frechdachs", knurrte Millie und kniff ihrem Mann noch einmal in die Nase. "Die kleinen Prinzessinnen sind aber schon ein bisschen größer als Erbsen. Wir lassen dich morgen ffrüh mit dem Einblickspiegel nachsehen, damit du uns das auch glaubst." Julius freute sich schon darauf. Er war froh, dass diese Reise für den Frieden für ihn zum Erfolg geworden war. Ob es sein größter beruflicher Erfolg sein würde wusste er noch nicht. Aber schön war es doch immer, nach Hause zurückzukommen.

ENDE

Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite Seit ihrem Start am 1. April 2025 besuchten 78 Internetnutzer diese Seite.