DER MITTERNACHTSDIAMANT

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2007 by Thorsten Oberbossel

P R O L O G

Nach ihrer Widerkehr im umgewandelten Körper von Bartemius Crouch Junior versucht Anthelia, die Nichte der einstigen dunklen Hexenführerin Sardonia, ihre damalige Macht wiederzuerlangen. Dabei muß sie sich mit uralten Zauberwesen wie den Töchtern des Abgrundes, sowie Feinden wie den dunklen Magier Voldemort oder Igor Bokanowski herumschlagen. Sie hat zwei Kundschafter in der sogenannten Muggelwelt der magielosen Menschen untergebracht. Doch die Vorhaben, an wirklich mächtige Gegenstände zu gelangen, scheitern. Dafür kann sie sich durch Tricks und Überzeugungskraft das im französischen Zaubererdorf Millemerveilles versteckte Erbe ihrer Tante sichern und sich anderen Hexen, die wie sie selbst eine Vorherrschaft der Hexen in der Welt erstreben, als respektable Anführerin offenbaren. Doch nach dem gewaltsamen Tod von Albus Dumbledore, einem unbestrittenen Großmeister der Magie, ist die Welt auch für Anthelia alles andere als ruhig.

__________

Es war zwölf Uhr Mitternacht. Die für sie tödliche Sonne war bereits seit Stunden unter dem Horizont verschwunden. Dennoch mußte sie hier in der von grellem Neonlicht gefluteten Innenstadt von Los Angeles eine stark getönte Sonnenbrille tragen. Das Licht, auch das aus flammenlosen Elektrolampen, war ihr natürlicher Feind. Ebenso setzten ihr die mehrere Meter unter ihr fließenden Abwasserkanäle zu. Doch sie nahm das alles in kauf. Denn heute war Vollmond. An und für sich war dieser Neonlichtunfug völlig unnötig, auch für die rotblütigen Tagmenschen, deren Lebenszeit zehnmal so schnell verrann wie ihre eigene.

CLUB MEPHISTO stand in friedhofsschwarzen Lettern auf einem blutroten Schild unter einer höllenfeuerrot Glimmenden Teufelsfratze. Die bleichgesichtige Frau im langen, mitternachtsblauen Seidenkleid huschte in eine für Menschenaugen dunkle Ecke. Sie hörte das laute Wummern der Bässe, das metallsägengleiche Geräusch elektrischer Gitarren und das auf unheimlich getrimmte Geklimper und Säuseln der Keyboards. Hier in diesem Laden würde sie nicht auffallen, wußte Lady Nyx. Sie holte zwei unauffällige Ohrenstöpsel aus der kleinen Handtasche und praktizierte sie in ihre Ohren. Jetzt konnte sie ohne Gefahr für ihr überempfindliches Gehör in den Club hinein. Ach ja, da war doch noch was! Sie griff erneut in die Handtasche und holte eine kleine Geldbörse heraus, der sie, sich absichernd umschauend, einige Bündel Banknoten entnahm, bevor sie den Geldbeutel wieder im tiefschwarzen Schlund der Tasche versenkte und ihr handliches Gepäckstück schloss. Sie dachte amüsiert lächelnd an den letzten Versuch zurück, wo ein Handtaschenräuber ihr das nette Täschchen wegreißen wollte und dabei etwas abbekommen hatte, daß der wohl für einen elektrischen Schlag gehalten haben mochte. Davon benommen war der dann hingefallen, und sie hatte sich an ihm schadlos gehalten und ihm mit ihrem durchdringenden Blick suggeriert, sie nicht getroffen zu haben. Doch heute war sie nicht wegen ihrer besonderen Vorlieben hier, sondern aus rein sozialen Gründen.

Wau, Mädel siehst ja richtig antik aus in dem Kleid", sagte der Türsteher, ein mindestens zwei Meter großer und ebenso breiter Muskelmann, dem Lady Nyx mit schwer unterdrücktem Verlangen auf den wuchtigen Hals blickte. Dieser starrte mit nicht so sehr verhohlener Begierde auf den gewagten Ausschnitt und bekam einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Lady Nyx sah durch die stark getönte Brille auf den Türhüter in seinem schwarz-roten Lederkostüm mit den Anhängseln, die menschlichen Knochen nachempfunden waren. Dann sagte sie in ihrer betörendsten Betonung:

"Ich hörte, heute abend seien die Kinder der Nacht hier zu hören. Komme ich noch rechtzeitig?"

"Die haben vor 'ner halben Stunde angefangen ... Wau! Geniale Beißerchen", erwiderte der Türhüter, als Nyx ihren dezent rot geschminkten Mund öffnete und dabei schneeweiße Fangzähne entblößte. "Ich kann so'n Gebiss nicht tragen. Kriege dann immer Krach beim sprechen. Aber es sind schon viele andere Vampire da."

"Oh, dann stehst du noch so aufrecht vor der Tür?" Scherzte Lady Nyx, bevor sie dezent mit einem Geldschein winkte. Der Türsteher grinste verrucht und bließ ihr eine widerlich stinkende Knoblauchfahne entgegen, die Nyx den Atem zu rauben drohte und ihr den Magen verkrampfte.

""Super einstudiert, Mädel. Okay, du willst da auch rein. Macht zehn Mäuse der Eintritt und noch mal zwanzig für die Show und alle Getränke." Nyx reichte den Geldschein hinüber. Der Türsteher grinste. gab ihr vier Fünf-Dollar-Noten zurück und versah die bleiche Hand mit den langen, biegsamen Fingernägeln mit einem Einlaßstempel, der im wesentlichen die auf dem Türschild abgebildete Teufelsfratze nachzeichnete. Nyx schwebte eher als sie ging an dem Muskelmann vorbei. Sie wußte ihren Ärger wohl zu verbergen, daß sich dieser Prachtbursche da für sie ungenießbar gemacht hatte. Aber vielleicht sollte sie sich für ihr Vorhaben doch einen etwas unauffälligeren Burschen ausgucken, der auch nicht vermißt wurde. Womöglich wartete dort drin im verräucherten Tanzsaal jemand auf sie.

Es war schön schummerig hier, fand die nächtliche Besucherin. Sie hatten eine blutigrote Beleuchtung eingeschaltet, die der ähnelte, die sie an ihrem eigenen Arbeitsplatz benutzte. Außerdem war der Raum mit pechschwarzen Vorhängen und Wandbehängen ausgestattet. Der Tanzboden war aus schwarzem und rotem Parkett, und die Tische an den Wänden waren mit karminroten Spitzendecken bezogen, und Tisch- und Stuhlbeine ähnelten blanken Bein- und Fußknochen menschlicher Skelette. Darüber hinaus war noch eine Bar aus Ebenholz aufgebaut und eine Bühne errichtet worden, auf der gerade sieben in dunklen Farben gekleidete Musiker ihre Instrumente erklingen ließen. Ab und an blinkten orarngerote Lichter auf, wenn die Lautstärke einen gewissen Pegel erreichte. Doch mehr Licht boten die Veranstalter hier nicht auf. Gerade verkündete Mr. Mephistopheles, der Hauseigene Unterhaltungschef, daß nun der Werwolfwalzer getanzt würde. Dann sah er mit den wohl durch Kontaktlinsen glutrot leuchtenden Augen auf die Ansammlung blaßgesichtiger Besucher in altertümlich anmutender Kleidung und meinte: "Tut mir Leid für die Damen und Herren Vampire. Aber bei diesem Tanz will ich nur Werwölfe sehen."

"Welcher Sohn der Nacht tanzt auch schon mit einem, der den Mond anheult?" Versetzte ein etwa dreißig Jahre alter Mann in rabenschwarzem Umhang mit rotem Innenfutter und entblößte weiße Eckzähne. Die als struppige schwarze Wolfsmenschen kostümierten Besucher knurrten verärgert. Nyx mußte sich schwer zusammenreißen, nicht loszulachen. Wie albern war doch dieses Getue. Doch nur hier in solch einem Spezialclub, wo sich Leute aufhielten, die von Dämonen und anderen Ungeheuern und Dunkelwesen fasziniert waren, als sei schon wieder Halloween, fiel Nyx nicht auf. Zumindest galt das für ihr Erscheinungsbild. Mit wimmernden Elektronikklängen begann der Werwolfwalzer, zu dem sich nur die Leute in der passenden Kostümierung drehten und wiegten. Dabei blickte sich die späte Besucherin sehr genau um, als wolle sie jeden Quadratzentimeter Wand, Boden oder Decke abtasten, als wolle sie mit ihren nun nicht mehr hinter Brillengläsern verborgenen, eingefallenen Augen alles und jeden in sich einsaugen. Dieser so verschlingende Blick erwischte auch einen etwa neunzehnjährigen Burschen, der in einem blutroten Umhang an einem Tisch vor einem silbernen Kelch saß und sich ebenso suchend umblickte. Als sein Blick den der Vampirlady in Mitternachtsblau traf huschte ein Ausdruck freudiger Überraschung über das fahle Gesicht. Nyx sog tief den aus seiner Richtung verströmten Geruch in die Nase ein, roch nicht nur den Hauch von Mottenkugeln aus dem Umhang und das Shampoo, mit dem sich dieser Möchtegernvampir wohl vor seinem Ausflug hierhin die Haare gewaschen hatte, sondern nahm auch diese appetitanregende Mischung aus Jünglingsschweiß und gesundem Blut wahr. hätte sie die Stöpsel nicht in die Ohren gesteckt, weil sie hier mit lauter Musik gerechnet hatte, hätte sie womöglich auch die hier schlagenden Herzen vernehmen können. Sie lächelte. Auch der von ihr nun genau betrachtete Bursche mit dem kurzen, dunklen Haar lächelte zurück. Nyx entschied, daß sie ihn mal etwas näher ansehen wollte. Vielleicht ... Aber sie wollte nicht gleich den ersten nehmen, der sich ihr anbot, wo hier so viele herumliefen, die durchaus in Frage kamen. So ging sie mit sacht ausgreifenden Schritten auf den alleine dasitzenden Jüngling zu, der sie nun sehr erfreut anstrahlte, als habe er nicht mehr damit gerechnet, für irgendwen interessant zu sein.

"Hallo, junger Sir, so einsam im Getümmel!" Grüßte Nyx den angesteuerten Gast, der ihr vampirisch lächelnd zuwinkte. Nyx riss sich zusammen, nicht über dieses alberne Kunststoffgebiß zu grinsen, das der junge Mann trug. Jetzt so aus der Nähe konnte sie ihn altersmäßig noch besser zuordnen, zwischen zwanzig und einundzwanzig Jahre mochte er alt sein.

"im Moment schon", sagte der Jüngling. Er erkundete die späte Besucherin nun genauso ausgiebig mit den Augen wie diese ihn und sog den Hauch des Parfüms in die Nase ein, mit dem Nyx sich dezent umkleidet hatte. Sowohl Aussehen wie Kleidung wie anregender Duft der schlank und doch wohlgeformten Vampirin behagten ihm. Sie wirkte erst auf den zweiten Blick attraktiv, würde in einer Menge anderer Vampire, wie sie hier versammelt waren, sicherlich unbemerkt bleiben, fand der junge Mann. Diese erspürte die wohlwollende Stimmung ihr gegenüber mit ihrem feinen Sinn für Gefühlsschwingungen, den sie wie ihre erweiterten Sinne als Hochzeits- und Wiedergeburtstagsgeschenk erhalten hatte. "Du hast wohl einen weiten Weg hinter dir, Schwester?" Fragte der junge Mann.

"Oja, das kann man so sagen, Bruder", erwiderte Nyx in gut eingeübt schnurrendem Tonfall. "Sacramento", fügte sie noch hinzu. Der Bursche vor ihr grinste. Offenbar war das für ihn keine echte Entfernung. Er konnte ja nicht wissen, daß Nyx die ganze letzte Nacht geflogen war, um früh genug ein sicheres Versteck zu finden, bevor dieser widerwärtige grelle Feuerball seine ersten Strahlen über den Horizont schicken konnte. Sie verabscheute den Sommer, weil die Nächte viel zu kurz waren.

"Darf ich mich eine Weile zu dir setzen?" Fragte Nyx, die persönliche Anrede weiterbenutzend. Der junge Mann nickte und winkte ihr freundlich zu. So setzte sich die nächtliche Besucherin. "Wie heißt du, Bruder?"

"Mike, ähm, ich meine Janosh", antwortete der junge Mann. Nyx mußte sich erneut beherrschen, nicht belustigt oder gar überlegen zu grinsen. Wieso meinten diese Möchtegernvampire, daß sie sich irgendwelche osteuropäischen Namen zulegen mußten? Dabei gab es ihre Lebensform doch auch in Asien und Afrika. Mit einem erfreut wirkenden Lächeln sagte sie:

"Ich bin Nyx." Der Jüngling vor ihr schien erst einmal zu überlegen, ob er den Namen schon mal gehört hatte, blickte dann verstehend und grinste amüsiert, wodurch seine künstlichen Fangzähne wieder in voller Länge sichtbar wurden.

"Eh, das war die altgriechische Nachtgöttin, die Mutter von Schlaf und Tod, nicht wahr?"

"Oh, du hast also die lange Zeit wohl genutzt, die alten Schriften zu studieren", erwiderte Nyx nun ehrlich beeindruckt, wenngleich sie das mit der langen Zeit nicht wirklich meinte. Der Junge da vor ihr war ein Rotblütler, für Dunkelmondler nur Jagdbeute, für ihre Art behutsam auszuschöpfende Nahrungsquelle. Der konnte nur zwanzig Jahre lang gelebt haben. Sie sagte dann immer noch beeindruckt: "Den Namen habe ich bei meiner Bluthochzeit erhalten. Du weißt ja wohl, daß ein neuer Bruder oder eine neue Schwester den Menschennamen ablegt, wenn er oder sie als Wesen der Nacht wiedergeboren wird. So hast du doch auch deinen Namen erhalten, oder?"

"Öhm, so ähnlich", erwiderte der Jüngling, der sich Janosh nannte, aber in Wirklichkeit Mike hieß. Inzwischen walzten die Werwölfe über die Tanzfläche, getrieben und getragen von der Musik der Kinder der Nacht, wohl auch eine Anspielung auf einen Satz aus jenem erheiternden Roman von Bram Stoker, dachte sich Nyx. Sie verwickelte in ihrer wohl eingeübten Art den Jungen in ein ihn fesselndes Gespräch über ihr und sein Vampirdasein und bemühte dabei ihr schauspielerisches Talent und ihre Erfahrung vor allem mit fremden Männern, die ihr mit einer Mischung aus freudiger Erwartung, Schuldgefühlen oder Neugier begegnet waren. Nyx' Erfahrung als Prostituierte in Sacramento half ihr, den Jungen soweit zu bringen, daß er sich bei ihr nicht nur gut aufgehoben, sondern angenehm und geborgen fühlte. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, da wußte sie, daß er schon als kleiner Junge für die Ungeheuer der Literatur geschwärmt hatte, bis er sich dann dazu entschlossen hatte, das Leben als Vampir zu führen, allerdings erst, als er von seinen Menscheneltern weggezogen war. Diese glaubten nun, ihr Sohn arbeite in einem Elektrobetrieb und müsse häufig Nachtschichten schieben. Tatsächlich aber hatte der Junge das für ihn zum Start ins Leben angesparte Geld in Aktien von Internet-Firmen angelegt, die in einem Jahr auf den doppelten Wert gestiegen waren. Zumindest behauptete er, daß er Glück damit gehabt habe. Sie fühlte jedoch, daß er in dieser Hinsicht was verheimlichte. Doch behutsam hielt sie ihn bei Laune und im Gespräch, erfuhr dabei, daß er früher als Mensch zur Baseballmannschaft seiner Schule gehört habe und als er sich entschlossen hatte, sein Menschendasein aufzugeben nach Rumänien und Ungarn gereist sei, um dort einen echten Vampir zu treffen, und sich ihm hinzugeben, damit er selbst in den Kreis der unsterblichen Wesen der Nacht eintreten könne. Nyx berichtete im Plauderton, wie sie dazu nicht weit hatte verreisen müssen, erwähnte sogar, daß sie vor dreihundert Jahren eine einfache Hexe gewesen war und dann irgendwann bei Vollmond mit einem Vampir namens Haemophilos die erhabene Bluthochzeit gehalten habe, aus der sie als Gemahlin des Vampirs hervorgegangen sei. Als sie durch den ihrem Dasein eigenen Blick und ihre Umschmeichelungskunst den Jungen fast in eine Art Trance versetzte und ihn nach seinen echten Wurzeln aushorchte. Zwischendurch führte sie ihn auf die Tanzfläche und genoss es, von ihm sowohl kraftvoll wie gewandt gehalten und geführt zu werden. Der Jüngling, der sich nun ihr gegenüber als ehemaliger Michael Prowler aus Barstow offenbart hatte, empfand durch den tief in ihn eindringenden Blick und die vollkommen authentisch rüberkommende Vorstellung von Nyx ein immer größeres Verlangen, mit ihr auf Vampirart zusammenzukommen. Was sie ihm über die Bluthochzeit erzählt hatte hatte sein trotz der Vampirmaskerade noch warm und wohlig in ihm pulsierendes Blut immer mehr zum Unterleib hin verlagert und das Herz zum schnelleren Schlag angetrieben. Das mußte der endgültige Sex sein, mit jemanden zusammenzusein und sich gegenseitig Blut abzusaugen, während sie es zeitgleich miteinander trieben. Irgendwie hatte er jedoch immer wieder den Eindruck gehabt, daß diese Frau da vor ihm nicht nur behauptete, dreihundert Jahre alt zu sein, sondern sich gelassen und zielstrebig verhielt, als habe sie schon so viel unter dem Mond gesehen, daß sie genau wußte, was sie wann und von wem wollte. Im Moment dachte er mit immer noch schnell schlagendem Herzen, daß sie ihn wollte, ja ihn gezielt aus allen anderen verkleideten Vampiren hier heraus ausgesucht hatte. Sicher, er wurde von den anderen Pseudovampiren hier für einen unausgegorenen, ja unwissenden Blödian gehalten, der meinte, mit ein paar Verkleidungstricks und scheinbaren Legenden seine Zweitidentität hinbiegen zu können. Die anderen hier hatten wohl einen Club gegründet, um sich gegenseitig hochzutreiben. Er erinnerte sich noch, wie er einmal fast sein Abendessen von sich gespien hatte, als ihm einer dieser angeblichen Profi-Vampire hier einen halben Liter Schweineblut in einem altertümlich wirkenden Krug hingestellt und ihn aufgefordert hatte, den Krug auf ex leerzutrinken. Er hatte es zwar getan, dabei aber wohl seinen Widerwillen nicht ganz verbergen können. Zumindest galt er für die anderen aus dem Club der Plastikzähne und Bleichschminker als Schwächling und Idiot. Sie nahmen ihn zur Kenntnis, aber nicht ernst. Dieses Wesen da, diese Nyx, war die erste, die ihn nicht für einen blöden Nachäffer angesehen hatte. Außerdem, das fühlte er, strahlte sie eine unbändige Kraft aus. Das hatte sich auch gezeigt, als einige der anderen hier versammelten Vampire sie kurz gemustert hatten, weil sie sich ihn, Mike Prowler, als Tanz- und Gesprächspartner ausgeguckt hatte. Ein kurzer Blick von ihr hatte gereicht, jeden anderen hier zurückzutreiben wie mit einer brennenden Fackel oder knallenden Peitsche. Sie wollte ihn. Das wußte er jetzt, Es machte ihm keine Angst, sondern regte ihn sehr angenehm an. Einmal kamen drei bullige Typen in Werwolfaufmachung herüber und knurrten bedrohlich, daß alle Vampire doch im Moder verrotten sollten, aus dem sie selbst einmal entstanden waren. Nyx hatte darüber nur gelacht und erwidert, daß die Werwölfe doch nur neidisch seien, weil ihr Leben lächerlich kurz sei und sie nicht fliegen könnten. Dann hatte sie die drei Knurrer mit einer sehr energischen Handbewegung und einem sehr strengen Blick verjagt. Danach war Ruhe gewesen. Will sagen, alle anderen blieben in respektvollem Abstand, während Nyx und ihr junger Gesprächspartner in Ruhe tanzen und sich unterhalten konnten. So gegen drei Uhr befand sie, daß sie langsam den Standort verlegen sollten. Er schlug vor, sie mit zu sich zu nehmen, weil er dort extradichte Rolläden hatte, die geschlossen keinen einzigen Sonnenstrahl durchlassen würden. Sie hingegen bestand darauf, daß sie, wenn er wirklich erleben wollte, wie sie lebte zu ihrem Unterschlupf reisen sollten. Sie wohne in einem alten Fabrikkeller, mehrere Dutzend Meter unter der Erde, mit schweren Stahltüren verschließbar. Sie zwinkerte ihm dabei so aufreizend zu, daß seine letzten Bedenken verflogen wie Rauch im Sturm. Er zahlte großzügig die während der Zeit getrunkenen alkoholfreien Cocktails. Er ignorierte die verächtlichen, teils auch neidvollen Blicke der übrigen Scheinvampire. Diese warteten, bis die beiden einander wohl sehr vertraut gewordenen den Club verlassen hatten. Dann winkte einer, der sich Dimitri nannte Mr. Mephistopheles, der in seiner höllischen Garderobe bei den Musikern des Abends gestanden hatte.

"Hey, Meph, was hältst'n du davon, das Lady Nyx jetzt diesen Weichling da abgeschleppt hat?" Fragte Dimitri verächtlich.

"Jungs, ihr feiert eure Feten hier. Ich hatte schon genug Krach mit den Cops, weil die dachten, ich würde euch echtes Blut zu trinken geben oder Menschenfleisch servieren oder sowas, abgesehen von denen und den Leuten von der DEA, die meinten, ich würde hier die heftigsten Drogen verticken lassen. Ich halte meine Hand über das, was hier drin abgeht. Wenn einer von euch meint, eine von euch abzuschleppen und zu vernaschen, meinetwegen auch zu beißen, hat der oder die den Krach mit den Cops, wenn dabei was illegales passiert, klar?"

"Mann, ich wollte doch von dir nur wissen, was diese Braut jetzt geritten hat, diesen Idioten aufzugabeln. Der hat doch keinen Dunst vom Vampirdasein", erwiderte Dimitri.

"Ach, du etwa?" Fragte Mephistopheles, der eigentlich Tim Norton hieß und seit zehn Jahren diese Dauer-Halloween-Disco betrieb.

"Na klar doch. Ich habe alles drüber gelesen und lebe es nach. Der Typ kann doch nicht mal Blut sehen, ohne daß ihm alles aus dem Gesicht fällt, geschweige denn trinken."

"Und diese Lady Nyx kann das?" Fragte Mephistopheles verächtlich.

"Aber erste Sahne", wandte nun noch ein verkleideter Besucher ein. "Wir hatten mal 'ne Party, wo die auch bei war. Die hat da kein Problem mit."

"Soso", sagte Mephistopheles nur und grinste in sich hinein. Diese Jungspunde spielten Dracula & Co., weil sie ihre Eltern ärgern und sich gegen die ganzen ach so spießigen Regeln der Welt auflehnten. Aber er konnte sich echt nicht vorstellen, daß eine von denen ohne Würgen frisches Blut trinken konnte. Bei den Jüngelchen hier konnte er sich das auf keinen Fall vorstellen. Aber diese Lady Nyx, die ihre Rolle mit einem ihm bis dahin unbekannten Ernst und einer besonderen Ausstrahlung spielte, steckte sie alle in die linke Rocktasche. Er hatte bis heute nicht herausbekommen, wer sie wirklich war und wo sie einmal im Monat herkam, immer wenn Vollmond war und hier auch die anderen Leute abhingen, die sich als Werwölfe verkleideten. Vielleicht sollte er doch mehr Interesse für seine Kundschaft aufbringen. Sowas ähnliches hatte ihm zumindest ein Polizeileutnant vor einem Jahr durch einen bunten Blumenstrauß gesagt. Wußte er denn wirklich, daß die Leute, die hierher kamen harmlose Spinner waren, die so taten, als wären sie Vampire oder Werwölfe, Dämonen oder Hexen? Er verdiente mit diesem Gruselzeugs eine schöne Menge Geld. Und solange sein Laden selbst sauber blieb, waren die Kunden für ihr Tun selbst verantwortlich. Immerhin ließ er niemanden unter achtzehn Jahren ein und hatte seine Türsteher genau eingestimmt, jeden möglichen Unruhestifter schon am Eingang abzuweisen oder ihn dann, wenn es wirklich zu knallen drohte, ohne großes Federlesen rauszuwerfen. So tat er das Getue seiner Kundschaft mit dem freundlichen Lächeln ab, daß einem Gastronomen irgendwann in Fleisch und Blut übergeht.

Während dessen fuhren Nyx und ihre Neuerwerbung mit Mikes schwarzem Ford durch die von den Neonlichtsonnen erleuchtete Stadt. Mike ließ sich die Richtungen sagen, die er fahren mußte. Es ging hinaus aus der Stadt. Nyx, die jetzt wieder ihre dunkle Brille trug, um ihre Augen vor dem grellen Kunstlicht zu schützen, flüsterte ihm mehr als daß sie es sagte die Richtungen zu. Zwischendurch warf sie einen Blick in den Rückspiegel. Auch ein Irrglaube der nicht mit Magie aufgewachsenen Rotblütler, daß ihre Art kein Spiegelbild hatte.

"Jetzt aus der Stadt hinaus, Janosh", hauchte sie ihrem Begleiter zu, der fast wie ein Roboter auf die Kursanweisungen ansprach und den Wagen in eine Ausfallstraße lenkte. Außerhalb der großen Stadt glitt der Wagen mehrere Dutzend Kilometer weit in südliche Richtung. Es wurde nun für Mike Prowler so dunkel wie es in einer Vollmondnacht zu sein hatte. Nyx konnte jedoch noch das von der Stadt abgestrahlte Streulicht vom Himmel herabschimmern sehen, nachdem sie ihre Brille und ihre Ohrenstöpsel fortgepackt hatte. Es ging weiter auf ein brachliegendes Gewerbegebiet hinaus, dessen moderne Ruinenbauten pechschwarze Löcher in den vom bleichen Mondlicht gezeichneten Horizont brachen, bis die beiden Nachtausflügler nahe genug heranwaren, daß Mike die hellen Lichtbalken der Scheinwerfer auf den stumpfgrauen Gebäuden tanzen sah. Nyx wies ihn leise an, zwischen zwei Bauten durchzufahren. Beim dritten Gebäude, einem vierstöckigen Quader, der wohl einmal was ganz dringend benötigtes hergestellt hatte, deutete Nyx auf das große Stahltor, dessen blauer Lack bereits abzusplittern begonnen hatte. Mike oder Janosh hielt wie angewiesen vor dem Tor, während Nyx ausstieg und mit fast zusammengekniffenen Augen durch die beiden Scheinwerferstrahlen huschte. Mike fragte sich, ob er jetzt noch ganz richtig tickte oder kurz davor war, die größte Dummheit seines Lebens zu begehen. Er hatte mit einer Frau, die er gerade einmal drei Stunden kannte, eine Verabredung zu einer außergewöhnlichen Liebesnacht getroffen. Das konnte auch eine Falle sein, ihn abzukochen, nicht das Blut, sondern das Geld auszusaugen, ihn womöglich echt umzubringen. Unruhig tippte er mit dem rechten Fuß auf das Gaspedal, was der im Leerlauf brummende Motor mit einem zornigen Aufbrüllen beantwortete. Wenn die hier wohnte, so Mike Prowler. Dann brauchte er sie jetzt nicht weiterzufahren. Er konnte umdrehen und in sein eigenes Vampirschloß im Herzen der Metropole zurückkehren und die Nacht als beendet abhaken, gefahr- wie ereignislos. Doch diese Lady Nyx - daß sie auch Lady Nyx hieß hatte sie ihm bei einem engen Tanz zugehaucht - hatte ihn derartig beeindruckt, ja auch regelrecht heißgemacht. Wenn er jetzt den Rückwärtsgang einlegte, umdrehte und dann einfach so abrauschte, hatten die anderen Vampircluberer recht. Dann war er ein Schwächling, der nichts echtes bringen konnte. Er überlegte nur, daß er gleich beim Aussteigen kein Geld mitnehmen würde. Auch seine Armbanduhr wollte er hierlassen. Er dachte jedoch daran, daß der Wagen ja dann immer noch von Nyx oder sonstwem geklaut werden könnte. Dennoch stopfte er seine Wertsachen zwischen den Papierwust im Handschuhfach. Ein vorerst letzter Blick auf die Leuchtanzeige seiner Digitaluhr verriet ihm, daß sie jetzt noch fünf Sekunden bis 03.45 Uhr hatten. Dann verbuddelte er die Uhr unter einigen Heften und Schmierzetteln und klappte das Handschuhfach zu. Als er wieder Augen für die Umgebung des Wagens hatte sah er Nyx gerade zu ihm zurückkehren, während sich das Tor wie von Geisterhand öffnete. Gab es noch Strom in dieser Fabrikruine? Er sah den schlanken Holzstab in der rechten Hand der bleichgesichtigen Lady. Hatte sie ihm nicht erzählt, sie habe in einer Hexenschule zu zaubern gelernt? Er fand es schon genial, wie gut sie die Rolle durchhielt und die Atmosphäre daran angepaßt hatte. Als seine Begleiterin die Beifahrertür wieder öffnete war die letzte Gelegenheit fort, noch davonzufahren.

"Da fährst du uns beide rein. Die Tür geht gleich hinter uns zu. Ich habe mir von einigen Freunden einen speziellen Toröffnungsapparat einbauen lassen, wenn ich in dieser Gegend bin", sagte Nyx. "Wir haben genau eine Minute Zeit, reinzufahren. Keiner wird uns hier überraschen."

"Keiner wird wissen, daß wir hier sind", fügte Mike in Gedanken hinzu. Doch anstatt beunruhigt darüber zu sein, daß ihn hier keiner suchen würde fühlte er sich merkwürdig beruhigt, daß ihm niemand hier die Tour verderben konnte. So trieb er den Wagen schneller als nötig war durch das geöffnete Tor und fuhr bis kurz vor die kahle Betonwand auf der anderen Seite einer riesigen, völlig leeren Halle. Dort stellte er erst den Motor und dann noch die Außenlichter ab. Totenstille erfüllte die Halle, nachdem das letzte Grummeln des Motors verhallt war. Mike dachte schon daran, hier im Auto mit Nyx ...

"Das hier ist nur die Abstellhalle. Das ist nicht der richtige Platz für unsere Zusammenkunft", sagte sie und öffnete die Tür, gerade als Mike nach ihrem Körper tasten wollte, um sie hier und jetzt in Stimmung zu bringen. Sie schlüpfte aus dem Wagen und winkte ihm zu. Noch konnte er sie im von draußen hereinschimmernden Mondlicht sehen. Sie stand da, schlank, biegsam, bleich und in ihrem langen Gewand erhaben wie eine Edelfrau. Sie lud ihn ein, sich ihr anzuvertrauen, mit ihr etwas ungeahntes zu erleben. Sein Herz pochte und trieb ihm das heiße Blut durch die Wangen, hinauf bis unter die Haarwurzeln. Gleichzeitig fühlte er, wie der Rest seines Körpers sich auf das Zusammensein mit einer Frau einstimmte. Er verließ den wagen, klappte die Türen zu und ließ per Fernbedienung die Verriegelung mit kurzem Quietschlaut zuschnappen. Dann folgte er Nyx, die sich förmlich im Mondlicht badend vor ihm herbewegte und auf eine Tür zuging, die schon gut von Rost befallen war. Diesmal strich sie mit den schlanken Fingern der linken Hand über das alte Türschloß, das leise knirschend und klickend aufsprang. Im selben Moment schwang hinter ihnen das große Eingangstor zu. Das hereindringende Mondlicht schmolz innerhalb von vier Sekunden zu völliger Dunkelheit zusammen. Nun hatte Mike alias Vampir Janosh nur noch den anregenden Hauch Parfüm in der Nase und hörte die beinahe geräuschlosen Schritte der hochhackigen Schuhe seiner Begleiterin. Wie ein hungriger Hund, der hinter einem Wurstverkäufer hertrottet schlich Mike hinter Nyx her, die ihn durch die schmale Tür zu einem Treppenabsatz führte, seine Hand mit ihrer lauhwarmen Hand ergriff und sicher auf das spröde Eisengeländer auflegte, bevor sie sich umwandte und mit den Worten: "Ich mach nur hinter uns zu", an ihm vorbeischlüpfte und die Tür wieder zuzog. Wieder hörte er das alte Schloß knirschen und klicken. Womöglich war ein moderner Handabdruckerkenner auf Infrarot- oder Laserbasis in die Tür eingebaut, dachte Mike, der immer noch keine Angst hatte. Als die Vampirlady an seine Seite zurückkehrte und ihm zärtlich den linken Arm um die Schulter legte wußte er, daß sie jetzt in völliger Dunkelheit die Treppe hinabsteigen mußten.

"Ist die denn noch ganz?" Fragte er vorsichtshalber.

"Das sind solide Betonstufen, Janosh", hauchte sie ihm zu und bugsierte ihn vorsichtig nach vorne, daß er nun die Treppe hinunterstieg. Immer weiter nach unten ging es. Es roch moderig und wie nach uraltem Gestein. Mike fröstelte es ein wenig, weil es in den unteren Etagen merklich kühler wurde. Durch das Treppenhaus ging es zwei Stockwerke hinunter. Dann öffnete Lady Nyx eine weitere Tür, durch die ein fast eisiger Hauch herausströmte. Mike roch jedoch keinen Moder oder Rost, sondern frisch gewaschene Wäsche und Holzpolitur. Ehe er sich dessen bewußt war, hatte ihn die Vampirlady durch die Tür geschoben und diese hinter sich und ihm verschlossen. Sie führte ihn in eine gut gedämpfte Kammer hinein, die durchaus einmal eine Abstellkammer für irgendwas gewesen sein konnte. Sehen konnte er immer noch nichts. Dann stutzte er. Irgendwie war ihm, als stünde da vor ihm noch jemand. Jemand, der die Geräusche seiner Schritte als schwaches Echo zurückwarf. Er sog Luft in seine Nase ein um in dieser Dunkelheit besser riechen zu können, was hier noch war und nahm dabei den Geruch von Wildleder wahr, der weder von ihm noch von der Vampirfrau an seiner Seite stammen konnte. Hier war noch jemand!

"Phil, ich bin wieder zurück, liebster!" Sagte Nyx, während sie im selben Moment mit übermenschlich festem Griff Mikes Nacken ergriff und ihn festhielt. Mike erkannte, daß er also doch in eine Falle gegangen war. Er hatte sich von dieser als Vampir verkleideten Hure da ...

"Ah, ich sehe und rieche, daß du einen würdigen Knaben gefunden hast, meine Schöne", säuselte ein fremder Mann mit sonorer Stimme. "Oh, er hat jetzt Angst, weil er sich in einer Falle fühlt. Hast du ihm denn nicht erzählt, was er hier erwarten darf?"

"Ich wollte ihn nicht mit zu viel kommen. Er ging davon aus, mit mir eine exotische Liebesnacht verbringen zu können, Liebster."

"Was wird das, wenn das fertig ist?" Fragte Mike nun doch etwas ungehalten. "Wollt ihr mich beklauen oder mit mir irgendein abgedrehtes Dreierspiel spielen? Ich stehe aber nicht auf Dreier mit zwei Männern, leute", fauchte er dann noch. Er war in die Enge getrieben. Womöglich mußte er gleich sogar um sein Leben kämpfen. Die beiden lachten jedoch amüsiert.

"Meine Gemahlin hat dir also nicht verraten, daß wir dich als unseren zweiten Sohn auserwählt haben. Wie heißt du eigentlich?" Fragte der Fremde im Dunkeln.

"Janosh!" Spie Mike verächtlich aus. Nyx lachte leise und wandte sich ihrem Komplizen zu.

"Liebster, ich denke schon, daß er gerne unser zweiter Sohn werden möchte. Allerdings ist er natürlich wie jedes Lebewesen verschreckt, weil er nicht das gefunden hat, was er hier finden wollte. Janosh oder Mike, wir werden dich nicht töten und auch nicht bestehlen. Im Gegenteil. Wir wollen dir das geben, was du doch eigentlich so gerne haben möchtest und es bisher nicht finden konntest, weil dieser ganze Mummenschanz, dem du dich auch unterworfen hast nicht das wahre Dasein ist." Sie sprach besänftigend, ja einschmeichelnd auf ihren Gast ein, der sich jetzt wie ein Gefangener fühlte. "Mein Gemahl Haemophilos, von dem ich dir doch erzählt habe, möchte mit mir zusammen einen zweiten Sohn haben, nachdem wir bereits einen Sohn und drei Töchter haben. Heute ist Vollmond, die Zeit, wo die klugen Kinder der Nacht gezeugt und geboren werden. Na, denk nicht mal daran, mich zu schlagen!" Mike wollte gerade ansetzen, der Betrügerin und was sie sonst noch sein mochte mit einem Rechtsausleger die Fangzähne aus dem Mund zu dreschen. Doch diese hatte blitzschnell seinen Nacken losgelassen und den ausschwingenden Arm gepackt und mit der Unnachgiebigkeit einer Betonwand abgeblockt. Mike überlegte nur eine Sekunde, ob er um Hilfe rufen sollte. Dann fiel ihm ein, daß ihn hier eh niemand hören konnte. Wie strohdumm, ja irre war er gewesen, sich in dieses abgewrackte Haus locken zu lassen?

"Er ist stark und unbändig, meine Holde", lachte der Fremde, der bisher im Dunkeln blieb und außer reden nichts anderes tat.

"Genau deshalb habe ich ihn auserwählt, mein Gatte", sagte Nyx. Mike staunte nicht über die altmodische Sprechweise. Nur daß die beiden nun in britischem Englisch miteinander sprachen kam für ihn unerwartet. Dann sagte Nyx wieder zu ihm:

"Du und diese anderen Toren in diesem Club für gruselige Maskerade haltet uns Vampire für Legenden, etwas, das man nachleben aber nicht in wirklichkeit antreffen kann. Ihr seht uns als unerreichbare Vorbilder an, die dem ganzen Wirrwar von moralischen, auf einen lieben Gott ausgerichteten Gesetzen und der Hektik des viel zu kurzen Lebens entgegentreten wollen, die es fasziniert, daß es Wesen geben könnte, die ewig leben, erhaben sind über alle menschlichen Schwächen und Gesetze und besondere Kräfte haben, mit denen sie allen Menschen überlegen sind. Dabei rennt ihr irgendwelchen Phantasien nach, die aus Halbwissen und Übertreibungen entstanden sind, von wegen, Vampire hätten weder Schatten noch Spiegelbild. Einiges von den Erwähnungen trifft zwar zu, aber nicht in der beschriebenen Form. So ist uns das Wort Gott genauso egal wie die Nähe christlicher Symbole oder in einem Christus oder anderen gutartigen Schöpfern und Heiligen geweihten Raum zu stehen. Das alles ist Unfug, dazu gedacht, Aberglauben und falsche Hoffnungen zu nähren. Denn für wahr gibt es unter Haemophilos' und meinen Artgenossen auch welche, die wie Raubtiere durch die Nacht streifen und Menschen wie dich als reine Beutetiere ansehen."

"Soso, ihr wollt also behaupten, richtige Vampire zu sein, die fliegen können und beim ersten Sonnenlicht zu Staub zerfallen, nicht in fließendes Wasser oder Feuer geraten zu dürfen und unsterblich zu sein, bis euch wer einen Eichenholzpflock oder eine Silberkugel durchs Herz jagt?" Stieß Mike aus, den die seinen Arm festklammernde Hand jedoch ziemlich imponierte. Mit dem Arm konnte er immer noch Homeruns schlagen.

"Nun, das mit den Silberkugeln ist der größte Unfug", lachte Nyx' Komplize im Dunkeln. "Erstens soll das nur für Werwölfe gelten, mit denen wir echten Vampire auf keinen Fall gleichgesetzt zu werden wünschen, junger Mann", schnarrte er nun nicht so wohlwollend. Doch dann sagte er in einem besänftigten Ton: "Zweitens ist das mit dem Fluch der Unsterblichkeit doch nur deshalb in die Welt gesetzt worden, weil wir durch unser Blut weniger schnell altern und weil wir uns nicht der Sonne aussetzen zehnmal langsamer alt werden als gewöhnliche Leute. Meine Gemahlin, die dir die Ehre erweisen möchte, deine Mutter zu werden, wurde von mir vor dreihundert Jahren geehlicht. Ich selbst zählte damals bereits einhundert Menschenjahre. Wie alt bist du, Jüngling? Zwanzig Jahre nach deiner Stimme und dem Duft deines jungen Körpers nach zu schließen. Du hast keinen Funken eigener Zauberkraft in dir?"

"Zauberkraft?! Ich kann nicht zaubern!" Rief Mike nun so laut, daß es ihm selbst in den Ohren schmerzte. Nyx verlor dabei fast den Halt um seine Hand, und der Fremde schien von der Lautstärke zurückgeworfen zu werden.

"Wirst du wohl leise sprechen!" Schnarrte Nyx nun etwas ungehalten. "Mein Gemahl hat dir eine Frage gestellt. Du wirst sie beantworten, bevor du mehr von uns erfährst und weißt, welche große Ehre dir bevorsteht."

"Wenn ihr echte Vampire wäret, hättet ihr mich gleich beim reinkommen umgerissen und ausgesaugt", knurrte Mike, den sein Plastikgebiß nun selbst lästig wurde. Mit der linken Hand pflückte er es aus dem Mund und warf es aufs Geratewohl in die Richtung, wo er den Komplizen dieser Lady Nyx vermutete. Von da kam nur ein kurzes Schaben von Schuhsohlen auf Teppichboden und ein belustigtes "Danke" zurück. Dann folgte ein häßliches Knacken und Krachen, als festes Plastik zerbrach.

"Manchmal bist du immer noch ein verspielter Nachtvogel", säuselte Nyx in Richtung ihres Komplizen oder Vampir-Ehemannes oder was er wirklich war.

"Die Menschen haben es immer noch nicht raus, unzerbrechliche Stoffe herzustellen, meine Nachtfee", erwiderte der Fremde. Dann wiederholte er seine Frage, ob Mike alias Ex-Vampir Janosh Zauberkräfte im Blut habe. Er fragte darauf biestig zurück, ob sie ihn dann nicht anrühren dürften und erklärte, daß er kein Zauberer sei.

"Dann, um deinen Wissensdurst von vorhin zu stillen, junger, unbändiger Mann, wirst du wohl als unser Sohn noch achthundert Jahre lang leben können, wenn wir dich ordentlich in unsere Lebensweise eingeführt haben." Das schlug bei Mike erst wie eine Bombe ein. Doch dann grinste er. Achthundert Jahre waren lang, aber nicht ewig. Nyx sagte ihm dann, daß sie eben nicht unsterblich waren und daher nicht um das sogenannte Böse auf Erden zu verbreiten sondern um ihre Art zu erhalten Nachkommen zeugen oder Menschen zu Ehegatten machen mußten. Dabei sprach sie in einer Weise auf Mike ein, als dringe ihre Stimme tief in seinen Körper ein und besänftige seinen lodernden Zorn, der aus der Gefangenschaft hier erwachsen war. Nun mehr trotzig als neugierig fragte er sie dann, wie diese Zeugung vor sich ginge. Sie erläuterte dann, daß er von ihr und Haemophilos so sanft es sich machen ließ geküßt, also gebissen würde, sie vorsichtig sein Blut in sich aufnahmen, während er mit seinen bisherigen Zähnen in ihr Fleisch beißen und von ihnen trinken solle. Denn daß Vampire kein eigenes Blut hätten sei auch "lachhafter Humbug". Irgendwann, wenn alle drei voneinander eine bestimmte Menge getrunken hätten, würde er nicht sterben, sondern tief schlafen, während sich der dann noch vorhandene Rest seines Blutes mit dem Vampirblut vermischte und in diesem aufgehen würde, womit sein Körper endgültig verwandelt würde. Irgendwie empfand er nun, wo Nyx vor ihm stand und seine Hände fest und sicher hielt keine Abscheu gegen eine derartige Zeremonie. Er fragte nur einmal, ob er mit ihnen beiden auch Sex haben müsse.

"Die übliche Fortpflanzung ist bei dieser Zeremonie nicht nötig", sagte Haemophilos. Doch Nyx sagte dazu:

"Wenn er findet, daß ein Sohn vor der Geburt mit dem Schoß seiner Mutter verbunden sein soll, Phil, warum nicht. Aber nötig ist es wirklich nicht."

"Sehe ich das richtig, daß ihr diesen Zauber mit mir anstellt, auch wenn ich nicht will?" Fragte Mike noch etwas verdrossen.

"Nun, so gesehen könnten Phil und ich uns an dir restlos satttrinken und dich an Blutarmut sterben lassen oder gerade genug von dir trinken, daß du in einem eurer Krankenhäuser wieder gesundgepflegt werden könntest. Nur weil ein Vampir einen Menschen beißt wird dieser nicht von selbst zum Vampir. Das ist auch noch eine der von Menschen herumgereichten Fehlinformationen. Aber wenn du bereit bist, als unser Sohn wiederzuerwachen und mit uns im Reich der großen Mutter Nacht unter ihrem sehenden wechselnden Licht leben möchtest, dann wäre Phil und mir das sehr viel lieber als einfach nur ein hilfloses Opfer zu haben."

"Also entweder bringt ihr mich um und raubt mich dann aus oder macht mich ohnmächtig und legt mich irgendwo ab", sagte Mike. "Jetzt mal so zum Spaß, wie lange würde ich denn schlafen, bis ich euer Sohn wäre, ihr beiden Verrückten?"

"Bis zur Wiederkehr des Mondes", sagte Haemophilos. Hier unten sind wir vor den Strahlen des Tagesgestirns sicher."

"Ach, dann stimmt zumindest die Kiste mit der Sonne?" Fragte Mike unangebracht grinsend.

"Zumindest in der Hinsicht, daß wir ihr nicht für mehr als eine Minute ausgesetzt sein sollten, weil sie unsere Körper wirklich verbrennt, je mehr Licht davon uns trifft um so stärker", antwortete Nyx.

"Aber du hast ein Spiegelbild, habe ich gesehen", knurrte Mike.

"Wie erwähnt ist das eine der Dummheiten, die die Menschen über Vampire in Umlauf gesetzt haben", erwiderte Nyx.

"Hach, wenn ich mich eh nicht wehren kann, bringen wir es hinter uns", knurrte Mike nun schicksalsergeben.

"Nicht so einfach, junger Mann", wandte Haemophilos ein. "Du mußt es wollen, uns deine neuen Eltern werden lassen."

"Sagte ich schon, daß ihr verrückt seid?" Fragte Mike.

"Ja, sagtest du", erwiderte Haemophilos. Dann fügte seine Gefährtin noch hinzu:

"Im Grunde ist alles im Wortsinn verrückt, was nicht innerhalb der gewohnten Ordnung steht. Daher müssen wir das wohl bejahen, daß wir deiner Weltanschauung nach verrückt sind. Aber sei froh, daß Phil und ich unter dem vollen Licht des Mondes unser neues Leben empfangen haben und nicht unter dem Ausbleiben des Mondes. denn solche würden dich nicht fragen. Sie würden dich nehmen und dich entweder zu einem der Ihren machen oder töten, wenn du dich verweigerst. Wir bieten dir die Möglichkeit, das neue Leben, nicht ewig aber doch länger als drei Menschenleben, mit offenen Armen zu umschließen und willkommen zu heißen. Also, wie entscheidest du dich?"

"Wie gesagt, ihr beiden seid total verrückt und ich war's auch, mich überhaupt von euch einkassieren zu lassen. Entweder bin ich in einigen Minuten tot oder unheilbar erledigt. Also möchte ich euer Vampirkind werden. Dann trete ich zumindest nicht wie irgendwer X-beliebiges ab."

"So sei es", sagte Haemophilos. "Wirf deine Kleidung ab!" Befahl er dann noch. Doch seine Frau flüsterte ihm gerade so noch hörbar zu:

"Ich helfe ihm."

Mike fügte sich in dieses von ihm mitverschuldete Schicksal, dachte daran, zumindest noch ein paar schöne Sekunden vor dem Abgang zu erleben, als ihm Nyx ganz ohne ihre Ausgehkleidung gegenüberstand und sich von ihm berühren ließ, ihn vorsichtig an sich zog, nicht mit brutaler Gewalt, sondern bedächtig, ja zärtlich. Er fragte sie, ob er sie nehmen dürfe. Phil knurrte zwar verbittert. Doch Nyx zog ihn an sich und brachte ihn mit sich zusammen. Dann, als ihn die absolute Lust übermannte, fühlte er das Bohren zweier spitzer Zähne an seinem Hals, schrie noch in Liebeswallung schmerzhaft auf und fühlte, wie Nyx erst sacht und dann immer gieriger an seinem Hals saugte. Dann fühlte er jemandes Atem auf seinem Gesicht, ein unangenehm süßlich riechender Atem, als habe derjenige etwas halbverwestes im Mund, bevor Nyx sich von ihm abwandt und er dort zubiß, wo sie vorhin war. Doch die Vampirin verließ Mike nicht, sie hielt ihm ihren Arm vor den Mund und forderte ihn auf, sie zu beißen. Da er keine echten Vampirzähne hatte war es natürlich keine tief eindringende Wunde. Doch er schmeckte die lauhwarme Flüssigkeit, die merkwürdig wie eine Mischung aus kaltem Fett und etwas verrosteten Nägeln schmeckte. Gleich würde er wohl übergangslos tot da liegen, dachte er, während er sich an der von ihm gebissenen Wunde festsaugte. Dann wechselten die Vampire sich ab. Sie bissen ihn nicht mehr, sondern sogen nur an der tiefen Wunde in der Halsschlagader. Schon fühlte er sich schwindelig, hörte das wilde Pochen seines Herzens, während er nun das behaarte Handgelenk von Haemophilos anknabberte, um auch von ihm was zu erwischen. Diese absonderliche Zeremonie dauerte an, bis Mike erst einen dunkelroten Schleier vor den Augen hatte, dann ein lautes Rauschen in den Ohren hörte und dann unter Nyx, die wieder einmal bei ihm war in eine bodenlose, lautlose Finsternis stürzte.

"Er war doch nicht so trotzig wie ich zuerst befürchtet habe, Nyx", sagte Haemophilos, als sie ihren Gast endlich in Ruhe ließen und Nyx die Wunde am Hals sorgfältig verband. Sie hatten ihm mindestens drei Liter Blut aus dem Leib gesaugt und er hatte je ein Viertelliter von ihnen erwischt. Das mochte reichen.

"Er wußte, daß er nichts mehr zu verlieren hatte", sagte Nyx. "Außerdem habe ich ihn mit dem Blick der Besänftigung ruhiggehalten. Oder wolltest du haben, daß er im Dunkeln nach uns schlägt, wie Erebus vor hundert Jahren?"

"Der hat aber auch noch fest daran geglaubt, daß es uns Vampire gibt", erwiderte Haemophilos amüsiert. "Die nichtmagischen Menschen haben uns doch nur noch zur reinen Unterhaltung in Erinnerung. Ich finde es übrigens widerlich, daß du sein Fleisch in dein Fleisch hast stoßen lassen, Nyx."

"Du weißt, daß ich das in Sacramento fast jede Nacht tue. Also rege dich jetzt nicht auf, nur weil du frisches Blut im Körper hast!" Erwiderte Nyx. "Ich befand, daß er das brauchte, um sich so sanft wie es ging aus seinem bisherigen Dasein zu verabschieden. Komm! Wir lassen ihn schlafen."

"Möchtest du mir Anweisungen erteilen, meine Holde?" Schnarrte Haemophilos. "Wir haben uns ja auch noch nicht darauf geeinigt, wie er nun heißen soll."

"Da unsere Tradition gebietet, unseren Kindern die Namen von Nacht und Blut zu geben, nennen wir ihn doch Morpheus."

"Der Bringer von Schlaf und Traum?" Fragte Haemophilos. "Warum nicht."

"Ich habe beim heruntersteigen hierher gesehen, daß Spitznase wieder zurückgekehrt ist. Hat sie was mitgebracht?" Fragte Nyx.

"Offenbar hat Dserschinski seine Frau dazu bekniet, das Versteck des Mitternachtsdiamanten aufzusuchen und ihm diesen zu übergeben", seufzte Haemophilos.

"Wo ist das Versteck denn?" Fragte Nyx.

"Das weiß nur sie. Aber wenn sie den erhabenen Stein da herausholt und ihn ihrem Gatten gibt wird dieser mächtiger als wir alle zusammen, Nyx. Zusammen mit dem Blutstein, den sein Großvater der Nacht dem Verräter Wlad abgenommen hat, wäre er dann in der Lage, uns alle aus sicherer Entfernung zu beherrschen. Ja, er könnte unsere Kraft in sich bündeln und damit gegen den dunklen Lord kämpfen. Willst du, daß wir und unsere Kinder nur noch die Sklaven eines Dunkelmondlers sind?" Fragte Nyx' Gatte.

"Natürlich nicht. Aber wenn wir nicht wissen, wo der erhabene Stein genau versteckt ist, können wir ihn nicht holen. Außerdem weißt du, welcher Fluch auf ihm liegt. Wenn zwei Kinder der Nacht sich um ihn streiten, saugt er ihnen beiden das Leben aus und ballt es in sich. Wir können den Stein nicht im Kampf erringen. Wir müssen vorher an ihn heran. Wenn Lunova ihn vor siebzig Jahren versteckt hat, nachdem Grindelwald ihn sich fast geholt hätte, dann dürfte er für jedes Kind der Nacht bereit sein, das zuerst Hand an ihn legt."

"Tja, und solange ist Lunova die Hüterin des Steins", feixte Haemophilos. "Aber wie sollen wir es anstellen, daß wir den Stein ergattern, gerade jetzt, wo wir Morpheus bekommen haben?"

"Der Stein duldet keinen Zank seiner Geschöpfe, uns Kindern der Nacht", sagte Nyx. Dann huschte ein überlegenes Lächeln über ihr bleiches, aber dennoch sehr ansehnliches Gesicht. "Dann müssen wir jemanden bitten, den Stein für uns zu erstreiten, der kein Kind der Nacht ist."

"Diese arrogante Rotblütlerin, mit der du meintest, ein friedliches Abkommen schließen zu können?" Fragte Haemophilos verdrossen.

"Sie hat die nötigen Verbindungen und Spione, kann auch unter dem widerwärtigen Sonnenlicht handeln und dürfte ein großes Interesse haben, weder Dserschinski noch den dunklen Lord stark werden zu lassen. Denn wenn wir schon erfahren, daß Igor seine Gattin dazu überreden konnte, ihren Besitz wieder an sich zu nehmen und ihn ihm zu übergeben, dann wird es wohl auch der dunkle Lord erfahren und seinerseits danach greifen, ohne Angst vor dem Fluch haben zu müssen. Dann könnte er uns alle beherrschen, wenn er herausbekommt, wie die alte Macht des erhabenen Steines für Rotblütler genutzt werden kann oder er zerstört ihn und besiegelt damit unser Ende."

"Ich glaube nicht daran, daß der Stein unser aller Leben bedeutet", sagte Phil. "Das ist ein Mythos, Nyx, genauso wie der, daß wir kein Spiegelbild haben."

"Möchtest du es darauf ankommen lassen, Phil?" Fragte Nyx sehr verärgert. "Ich für meinen Teil würde diesen Stein sehr gerne zu uns hierher holen. Meinetwegen kannst du ihn dann ja behalten. Aber er muß aus der Reichweite dieses Dunkelmondlers verschwinden."

"Dann mach du das mit deiner rotblütigen Freundin aus", schnarrte Haemophilos. "Aber was für eine Mutter willst du Morpheus sein, wenn du ihn sogar in deinem Leib hattest?"

"Oh, die alte Eifersucht, weil ich einen Weg gefunden habe, meine Ernährung unauffällig für die Menschen zu sichern, ja sogar williges Blut zu bekommen. Du weißt selbst, daß wir unter dem Vollmond geborenen besser leben, wenn wir nicht mit Kampf und Unterwerfung an unsere Nahrung gelangen."

"Ja, und die Dunkelmondler funktionieren genau andersherum, Nyx. Ich habe dir das selbst erklärt, als wir unsere erhabene Hochzeit gehalten haben", sagte Phil ungehalten. "Aber noch einmal zu Morpheus. Du hast den Jungen aufgetan und dazu gebracht, sich uns hinzugeben, damit er unser Sohn wird. Wenn wir uns jetzt vordringlich um den erhabenen Stein kümmern, wer hilft ihm dann, in sein Leben hineinzuwachsen?"

"Da du so verächtlich über Daianira gesprochen hast ist es an mir, sie für uns einzuspannen, geliebter Gatte. Also wirst du als sein Vater für Morpheus da sein und ihm unser herrliches Leben erklären und ihm zeigen, wo er seine Nahrung finden kann."

"Und du überläßt mir das? Noch einmal, was für eine Mutter willst du sein?"

"Ich werde ihm eine sehr fürsorgliche, aber auch strenge Mutter sein, wenn ich weiß, daß ihm weder die frühe Vernichtung noch die unabwendbare Unterwerfung droht, Phil. Also beraten wir, wie wir Daianira für uns gewinnen können, damit sie nicht denkt, für uns durch die Mittagssonne gehen zu müssen, sondern befindet, daß sie für ihre Sache eintritt."

"Du kannst ihr nicht alleine den Weg überlassen, Nyx. Wenn sie den Stein findet und seine Macht ergründet, treiben wir das Feuer mit dem Sonnenlicht aus."

"Keine Sorge, ich werde nicht zulassen, daß Daianira sich für stärker halten kann als ich es bin, Phil", schnurrte Nyx. "Vielleicht sollten wir überlegen, ob Morpheus nicht eine im leben bereits erfahrene Schwester bekommen sollte."

"Sie hat immer noch das Medaillon dieser südamerikanischen Sonnenanbeter. Du kannst sie nicht angreifen, solange sie es trägt."

"Erst der Stein, dann die weitere Familienplanung, Phil", erwiderte Nyx.

__________

"Es ist so ruhig hier", sagte Donata nach einer Minute, als sie gerade mit ihrer Anführerin Anthelia im Salon der Daggers-Villa bei Dropout, Mississippi saß. "Ist unsere jüngste Schwester Dido auf einem Ausflug?"

"Nein, sie ist zu erholsamen Wochen in meiner geliebten Heimat Frankreich", erwiderte die strohblonde Hexe mit den vielen Sommersprossen selig lächelnd. "Unsere Schwestern Pandora, Patricia, Tyche und auch ich befanden, daß sie die von uns erteilten Unterweisungen folgsam und fleißig verinnerlicht hat und somit wie andere Schulkinder auch einen Anspruch auf erquickliche Ferientage hat. Im Moment ist sie bei einer dort lebenden Mitschwester. Wo genau mußt du nicht wissen, Schwester Donata."

"Nach Millemerveilles kann sie ja nicht hinein", entschlüpfte es Donata Archstone etwas zu unbedacht. Das Gesicht ihrer Anführerin verzog sich und bekam eine wutrote Färbung. Anthelia zischte:

"Dieses Dorf ist meine Heimat, mein Geburtsrecht. Aber es verweigert sich mir, der Nichte Sardonias und allen anderen, die mit mir sind, als wollten wir so sein wie dieser Waisenknabe in England. Aber eines Tages werde ich dort wieder wohnen, Schwester Donata. Aber bis dahin sprich in meiner Gegenwart nie wieder von Millemerveilles!"

"Verzeihung, höchste Schwester", sagte Donata Archstone sehr reuevoll dreinschauend. "Sprechen wir dann besser von den Neuigkeiten aus dem Ministerium."

"Sind sie denn für uns sehr wichtig", schnaubte Anthelia, die den Wutanfall von eben noch nicht überwunden hatte.

"Ich fürchte, sehr wichtig, höchste Schwester. Ich habe eher durch Zufall als durch meine üblichen Arbeiten erfahren, daß Titus Greywater doch schon ein Testament gemacht hat. Er hat es auch in der Halle der geschützten Rechte verborgen, so daß es nach seinem Tod im Ministerium auftauchte. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, behauptet er darin, daß jemand aus der Muggelwelt von magischen Menschen überwacht werden könnte und daß im Falle seines verfrühten Todes jemand diese Menschen zur Rechenschaft ziehen soll. Wie genau das gehen soll weiß ich nicht. Ich bekam nur mit, daß Minister Cardridge sehr verschlossen wirkte, als die Angelegenheit Price und Greywater abgeschlossen war. Ich fürchte, er plant eine heimliche Aktion."

"Nur wenn er weiß, gegen wen, Schwester Donata. Dann müßte er wissen, wer dieser überwachte Unfähige ist und wer ihn überwacht. Oder weißt du da näheres?"

"Nein, leider nicht. Der gesamte Inhalt des Testamentes ist im diebstahlsicheren Schreibtisch des Ministers verschlossen. Sonst hätte ich sofort eine Kopie davon angefertigt", erwiderte Donata Archstone.

"Der Minister selbst kennt also den vollständigen Inhalt", erwiderte Anthelia.

"Ja, jedoch ist er ein sehr guter Okklumentor und hält sich überwiegend in seinen nun besonders gut geschützten Räumlichkeiten auf. Wer ihn wie auch immer angreift oder als sein Ebenbild seinen Platz einzunehmen trachtet löst einen Fangzauber und Alarm aus."

"Findet derzeit nicht dieser Beliebtheitswettbewerb statt, wer der neue Zaubereiminister werden soll?" Fragte Anthelia verächtlich.

"Natürlich. Dafür reist er auch durchs Land und redet vor interessierten Hexen und Zauberern. Aber er hat sich einen Legilimentik-Warner machen lassen, der laut aufheult, wenn sein Träger ausgeforscht werden soll. Allerdings kann ich als Strafverfolgungsleiterin an die Fertigungspläne und Abfolge der Zauber herankommen."

"Will sagen, wir müßten dieses Artefakt unterdrücken, um einen sehr gut disziplinierten Geist auszuforschen", knurrte Anthelia. "Ich gehe davon aus, daß dieses Gerät auch gegen jedwede Fernlenkungsmagie gefeit ist."

"Es hat wohl eine mehrfach verzahnte Contramotus-Bezauberung erhalten", erwiderte Donata Archstone.

"Dennoch will ich dieses Testament haben. Wie können wir ihn dazu bewegen, es herauszunehmen und damit an einen zunächst nicht so sicheren Ort zu wechseln?"

"Ich habe dir erklärt, daß das Ministerium bereits vor Bokanowskis Angriff gut gegen Eindringlinge und Störfälle abgesichert war. Sonst hätte ich ja auch nicht erkennen und verhindern können, daß Jasper Pole versuchte, seinen Niedergang zu verhindern. Feuer wird, sofern es in unbevölkerten Bereichen ausbricht, sofort bekämpft. Das selbe gilt für Wassereinbrüche oder außer Kontrolle geratene Luftzauber."

"Der Zauber, den wir bei Davenport anwandten verfängt auch nicht mehr? Wie können wir dann Einfluß auf den Minister gewinnen?"

"Als deine Bundesschwester fiele mir da nur eine Entführung des Ministers und / oder seiner Angehörigen ein. Doch dann müßte ich als Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung nach den Tätern suchen und, damit kein Verdacht aufkommt, auch welche präsentieren, um nicht wieder mein Amt zu verlieren, das dir, höchste Schwester, sehr viel bedeutet, wie ich weiß."

"Ich werde erst alles andere ausschöpfen, bevor ich mich auf das Niveau des Waisenknabens herablasse und der rohen Gewalt Raum gebe, Schwester Donata. Ich erteile dir den Auftrag, das Testament zu beschaffen. Moment, vielleicht gibt es einen Weg, ohne primitive Maßnahmen an den Wortlaut des letzten Willens von Titus Greywater zu gelangen", erwiderte Anthelia, deren Mund ein zufriedenes Lächeln umspielte.

__________

"Bella gattina", Schnurrte Laura Carlotti mit der schneeweißen Katze um die Wette, die gerade auf ihrem Schoß lag und sich sehr hingebungsvoll streicheln ließ. "Bellissima Gattina"."

"Ich könnte eifersüchtig werden", grummelte Lauras nun doch irgendwie fester Freund, Cecil Wellington, der auf einem Stuhl gegenübersaß. Doch in Wirklichkeit war es nicht Eifersucht, die ihn ungehalten machte, sondern Angst. Er hatte angst vor dieser selig schnurrenden, schneeweißen Kreatur da auf Lauras Schoß. Wenn die wüßte, wen sie da gerade liebevoll kraulte und mit italienischen Komplimenten bedachte hätte die streng katholisch erzogene Tochter eines angesehenen Bauunternehmers wohl schreiend das Fellbündel von ihren Knien geschleudert und in panischer Angst die Flucht ergriffen. Das gemeine an dieser Katze war ja eben, daß sie schneeweiß war und nicht kohlrabenschwarz, wie es sich für ein Hexentier oder eine in ein solches verwandelte Hexe selbst gehörte. Die tiefgrünen Augen der Katze blickten in die rehbraunen Augen des weiblichen Wesens, daß fast nicht mehr Mädchen und doch noch nicht Frau war. Reine Zufriedenheit konnte Cecil darin erkennen.

"Wohnt die hier irgendwo", fragte Cecil nach fünf Minuten, in denen Laura selbst sehr zufrieden dreinschauend die weiße Katze liebkoste.

"Die habe ich hier noch nicht gesehen. Muß neu hergezogen sein. Ist auf jeden Fall eine Hauskatze. Sehr gut genährt aber nicht überfüttert, hat keine Flöhe und keine Zecken."

"Sonst hättest du die sich wohl auch nicht auf deinen schönen blauen Rock hinlegen lassen", erwiderte Cecil. Die Katze wandte ihren Kopf und sah ihn etwas ungehalten an. Laura mochte denken, weil er die Streichelstunde einfach miesmachte. Doch Cecil Wellington erkannte den Vorwurf im Blick dieser Katze.

"Ist auf jeden Fall ein sehr liebes Tier", sagte Laura, die es sich nicht nehmen lassen wollte, einem anderen Wesen zärtliche Streicheleinheiten zu geben.

"Die könnte Tollwut haben", warf Cecil ein und amüsierte sich einen Moment lang, daß Laura ihre Hände zurückzog. Die Katze entrollte sich und stand auf. Mit erhobenem Schwanz drehte sie sich Cecil zu und sprang leicht federnd von Lauras Schoß herunter und landete punktgenau auf dem von Cecil. Dieser wollte das weiße Wesen gerade von seinen Knien abschütteln, als er die scharfen Krallen fühlte, sie sich durch seine Hosenbeine bohrten und dem Tier einen sicheren Halt gaben.

"Ey, lass das, du Zwergbestie, sonst wirst du sterilisiert!" Schnarrte Cecil. Die Katze fauchte ihn erst sehr warnend an, maunzte dann aber leise und zog die Krallen wieder ein. Cecil wartete, bis sich das Tier auf seinem Schoß behaglich hingelegt hatte und begann dann seinerseits mit einer Streichelstunde, von Laura Carlotti wohlwollend betrachtet, die die freien Hände nutzte, um ihr nachtschwarzes Haar zu ordnen.

"Sieh, die ist dir nicht böse, weil du sowas gemeines gesagt hast", meinte Laura. Cecil fragte sich hingegen, was diese Katze jetzt hier von ihnen wollte. Konnte dieses Hexenweib, daß sich in dieses Vieh verwandelt hatte nicht vor dem Haus warten oder anderswo herumschleichen? Er dachte die Frage stark genug an eine ihm unangenehme Adresse. Hoffentlich erhielt er keine Kopfschmerzen oder sonstige Unannehmlichkeiten zur Antwort.

"Sei froh, daß sie bei dir sein kann und auf dich aufpassen kann", kam ihm ein Gedanke, der nicht in seinem Hirn entstanden war. Cecil genügte diese Auskunft. Er ließ der ungebetenen Besucherin, die gerade ein weißes Fell besaß, die Zärtlichkeiten angedeihen, die er eigentlich Laura zukommen lassen wollte, abgesehen davon, daß er ihr nicht an die privateste Körperstelle ging, wie Laura es vorhatte, als dieses Tier da auf Cecils Schoß vor dem Fenster gehockt und gemaunzt hatte. Irgendwann empfand er es als beiläufig, dieses Wesen da auf seinen Knien zu streicheln und fand zu einer angenehmen Unterhaltung mit Laura zurück, wobei sie spaßeshalber französisch miteinander sprachen, dann sogar italienisch, wobei Cecil ein paar neue Redewendungen und Begriffe lernte. Die Katze kümmerte sich nicht darum. Sie blieb wo sie war. Als dann aber Lauras Bruder Paolo an die Tür klopfte und verkündete, daß "Der dicke Schlitten" vor dem Haus der Carlottis angekommen war, meinte Cecil:

"Unser Chauffeur darf mich mit dem Rolls abholen? Wie kommt das denn?"

"Ist wohl besser gesichert", sagte Laura. Cecil klopfte der Katze behutsam auf den Rücken. Sie räkelte sich, stand auf und sprang mit eingezogenen Krallen von seinem Schoß ab.

"Ich erkundige mich mal, wem die gehört", sagte Laura. "Ist so'ne schöne Ragazzina."

"Ragazzina? Ich dachte Frau heißt auf Italienisch Donna?" Warf Cecil ein. "Oder ist die noch so klein."

"Ey, Cecilio, deine Papa iste gekommen mit dicke Auto", klang es von jenseits der Tür. Paolo konnte, wenn er wollte oder mußte sehr gut Englisch. Aber manchmal mußte er doch den italienischen Einwanderersohn heraushängen lassen.

"Kannst meinen Vater ja fragen, ob der den Rolls verkaufen will, jetzt wo der von Cody keinen müden Cent zu sehen kriegt", lachte Cecil. Dann öffnete er die Tür. "Mach's gut, Laura. Wir sprechen uns dann noch mal ab wegen der Marslandung."

"Ciao Cecilio!" Grüßte Laura Carlotti lächelnd zurück. Die Katze trottete hinter Cecil her.

"Gehört die zu dir. Habe die ja nicht mit dir reinkommen gesehen", sagte Paolo mißtrauisch und holte mit dem rechten Fuß aus. Doch die Katze fauchte ihn an und wich dem Tritt aus. Laura sah es und kam aus dem Zimmer geschossen. Sofort entspann sich ein wilder und vor allem lauter Wortwechsel mit ihrem Bruder, der die Katze treten wollte. Cecil ging durch das ihm nun gut vertraute Haus, bedankte sich bei Mr. Carlotti für die Erlaubnis, seine Tochter zu besuchen. Dieser nickte nur und sagte, daß sein Vater wohl im Rolls Royce saß. Cecil nickte zur Bestätigung und verließ das einer altrömischen Villa nachempfundene Haus der Carlottis.

"Warst du anständig zu dieser Vatikanbürgerin oder hast du sie, dich und mich für alle Zeiten ruiniert?" Waren die ersten Worte, die Senator Wellington an seinen Sohn richtete.

"Hi, Dad. Wie war der Tag?" Grüßte Cecil unbekümmert.

"Das hat dich nicht zu betreffen", knurrte der Senator.

"Dieselbe Antwort kann ich dir dann ja auf deine Frage geben. Aber damit du ruhig schlafen kannst: Wenn Laura und ich dich zum Opa gemacht hätten, bevor irgendein Seelenfänger sein Amen gesagt hätte, hätten mich ihre Brüder schon längst in der Luft zerrissen oder klargemacht, daß ich ihre nun entehrte Schwester vorher heirate. Da das aber noch nicht passiert ist noch nichts passiert, Dad. Ich muß dir nicht alles nachmachen."

"Werden wir schon wieder frech, nachdem du die letzten Wochen nach dieser Entführung nicht wußtest, wo du dich verkriechen konntest? Du kannst gleich wieder aussteigen und zu Fuß nach Hause laufen."

"O, dann könntest du aber nicht so heldenhaft auf mich aufpassen, wie du es im Fernsehen erzählt hast. Daß ich von dieser blöden Insel runterkam liegt doch nicht an dir."

"Ja, weiß ich. Liegt daran, daß dieser Fettsack sich verkalkuliert hat und es auf seiner Robinsonfestung zu einem Störfall gekommen ist und der Privatjet von dem nicht voll genug getankt war."

"Gen-au", erwiderte Cecil.

"Du weißt ganz genau, und da bin ich mit diesem Mafioso einer Meinung, daß dieses Geturtel zwischen dir und seiner Tochter nichts ist. Die soll sich einen aus ihrer Heimat und Glaubensclique suchen. Aber warum ich jetzt höchst selbst gekommen bin, um dich nach Hause zu holen", er prüfte, ob die Panzerglasscheibe zwischen Fahrer und Fond auch wirklich hochgefahren war und die Gegensprechanlage abgestellt war und sprach dann weiter. "Also, mein Sohn, die von Hoovers Firma wollen dich noch einmal zu deinem Inselabenteuer befragen. Offenbar reicht das einigen Leuten nicht aus, was du denen aufgetischt hast. Ich habe versucht, dieses unsinnige Verhör abzuschmettern. Aber der Innenminister besteht darauf, daß deine Entführung lückenlos aufgeklärt wird."

"Ist sie doch", schnaubte Cecil. "Linus Price hat sich selbst mit seiner Lear im Pazifik versenkt. Platsch! Was wollen die denn da noch von mir wissen. Ich war total weggetreten, als ich da hingebracht wurde. Wollen die mich an einen Lügendetektor dranhängen oder was?"

"Könnte denen einfallen", schnarrte Senator Wellington. "Aber das werde ich mit meinen Anwälten abschmettern. Noch bist du nicht volljährig, und deine Mutter und ich haben zu befinden, wer dich welchen Befragungen und Tests unterzieht. Irgendwo hört der Spaß auch auf."

"Wenn's nach mir geht auf jeden Fall", knurrte Cecil.

"Frage ihn, ob er weiß, wann die Befragung stattfindet und wer ihr beiwohnt!" Hörte der Junge eine Stimme in seinem Kopf, die er am liebsten niemals im Leben gehört hätte. Doch er befolgte die Anweisung, da es ihn auch interessierte.

"Am vierten Juli, ausgerechnet am Unabhängigkeitstag um zehn Uhr", schnaubte der Senator. "Ich denke, das werden wir auf den fünften verschieben."

"Wäre sehr toll, weil ich da mit Laura die Pathfinder-Landung ansehen will. Das Ding soll doch so zwischen elf und ein Uhr auf dem Mars aufsetzen.", sagte Cecil.

"Das kannst du so oder so vergessen, mein Sohn. Wir und deine Mutter werden in der Stadt bei einer Wohltätigkeitsfeier erwartet. Dieser genitallastige Lügner im weißen Haus meint, er habe soziale Nähe gepachtet. Wir wollen ihm beweisen, daß wir die einzig wahre Familien- und Wohlstandspartei sind."

"Ach du großes Loch", stöhnte Cecil.

"Wirst du ihn jetzt fragen, ob er weiß, wer dich verhören soll!" Peitschte eine ungehaltene Gedankenstimme durch Cecils Bewußtsein. Er gab die Frage weiter.

"Ich habe in meiner Eigenschaft als Vater und Senator die Liste bekommen. Aber die zeige ich dir nicht, damit du nicht auf die Idee kommst, über die Leute irgendwelchen Unsinn nachzusuchen."

"Ist die Liste in deinem Computer?" Fragte Cecil scherzhaft.

"Ja, in dem in meinem Büro. Der hat jetzt eine eigene Absicherung. Da kommt jetzt keiner mehr dran, der nicht fünf Passwörter in einer Minute eingibt."

"Hui, ihr werdet ja richtig gründlich", feixte Cecil.

"Ich werde mir diese Liste beschaffen", hörte Cecil Anthelias Stimme in sich. Cecil schwante, daß sein Vater an diesem abend noch die fünf geheimen Passwörter ausplaudern oder zumindest andenken würde. Aber was interessierte die Oberhexe an der Teilnehmerliste? Die Antwort kam ihm ohne Anthelias Erklärung. Sie wollte die Leute manipulieren, damit endlich Ruhe war und er dieses von ihr verliehene Leben weiterführen konnte.

__________

"Dann glauben Sie, das zwischen dem entführten und auf wundersame Weise freigekommenen Jungen und dieser ominösen Passage hier eine Verbindung besteht?" Fragte Ira Waterford den amtierenden Zaubereiminister, der gerade auf einen großen Pergamentbogen blickte, der mit "Titus Greywater, mein persönliches Testament" betitelt war.

"Nun, die Ereignisse der letzten Monate, ach was, des gesamten letzten Jahres sprechen dafür, daß es nicht nur die Massenmörder und Reinblütigkeitsbesessenen des Ihnen und mir so wohlbekannten dunklen Magiers sind, die sich mehr Macht aneignen wollen, sondern auch andere Gruppierungen existieren, die unsere Weltordnung zerstören und nach ihrem Bild neu formen wollen. Ich könnte da die angeblich nichtexistenten Hexenschwestern der sogenannten Nachtfraktion als brauchbare Verdächtige benennen oder jene wohl von dieser abgesplitterte Gruppe, über die Ms. Knowles uns so sensationell berichtet hat. Natürlich kämen auch Leute in Frage, die aus den blutigen Scharmützeln von vor ungefähr zwei Jahren herausgekommen sind. Aber das Herumstochern im dunkeln bringt nichts, wenn wir nicht mehr haben als eine brisante Passage im Testament eines dubiosen Zauberers. Ich stelle nur fest, daß zwischen dessen Behauptung, jemand manipuliere mit einem jungen Muggel herum und dem Vorfall um diesen Senatorensohn eine gewisse Koinzidenz besteht. Sie sollen klären, ob dieser Vorfall ein reines Muggelproblem war oder wir es hier womöglich mit einer Verstrickung der Zaubererwelt zu tun haben, Mr. Waterford."

"Was ist mit Ronin Monkhouse? Soweit ich weiß ist der wieder einsetzbar."

"ich möchte ihn erst einsetzen, wenn ich mir sicher sein kann, daß er nicht mehr loyal zu Pole steht. Seine Fähigkeiten sind zu heikel, um ihn mit einer derartigen Recherche zu betrauen. Er könnte es zu Poles Gunsten ausnutzen. Naja, wie dem auch sei. Sie werden dieser Vernehmung in Ihrer Rolle als Angehöriger der bundesweiten Ermittlungsbehörde beiwohnen."

"Öhm, Sir, ich fürchte, Sie wurden von meinem direkten Vorgesetzten nicht richtig informiert. Mein Muggelwelt-Arbeitsplatz untersteht dem Nachrichtenbeschaffungs- und Spionageabwehrdienst CIA."

"Ja, aber im Gegensatz zu den beiden ordentlich positionierten Mitarbeitern, die dem FBI und dem NCIS sowie anderen Gesetzesüberwachungsbehörden des Landes angehören sind Sie ein exzellenter Legilimentor. Das ist wichtig. Außerdem haben sie, wie ich durchaus gut informiert wurde, einen Ausweis als Sonderagent des FBI, um gegebenenfalls Ermittlungsarbeit zu betreiben. Diesen Ausweis und die damit verknüpfte Legende werden Sie benutzen, um dem Verhör beizuwohnen. Sonst haben wir keine Möglichkeit mehr, unauffällig an diesen Jungen heranzukommen."

"Ich müßte einen offiziellen Amtshilfeauftrag oder Einsatzbefehl kriegen. Das könnte problematisch sein, da wir ja nicht mit unverzeihlichen Flüchen vorgehen dürfen."

"Sie können das. Sie machen das", sagte Minister Cardridge. "Wie meine Quelle mir ebenfalls vermitteln konnte sind Sie dahingehend instruiert, im Zweifelsfall Ermittlungskompetenzen zuerkannt zu bekommen. Halten Sie sich und mich also nicht mit derartigen Ausflüchten auf! Ich will wissen, ob dieser Schrieb hier nur eine Finte ist oder ob Greywater wirklich was aufgedeckt hat. Mein Amt im Besonderen und das Amt des Zaubereiministeriums im allgemeinen könnte daran zerschellen, wenn dieses Testament hier unüberprüft freigegeben wird. Die Hinterbliebenen haben schon angefragt, ob es einen letzten Willen gibt oder nicht. Nachher erwarte ich noch Ms. Knowles vom Westwind und Mr. Knighthorn vom Herold zu einer kleinen Pressekonferenz wegen meiner Wahlkampfrede von vorgestern. Wishbone sprüht giftgrüne Funken dagegen, daß ich alle kleineren Zauberschulen wie DragonBreath oder Broomswood schließen lassen möchte, um alle Schüler in Thorntails unterrichten zu lassen. Die Leiterin von Broomswood will nachher auch noch herkommen, um für die eingeschlechtliche Erziehung zu plädieren, weil Thorntails ihrer Ansicht nach zu liberal sei und den männlichen Schülern dort zu viele Gelegenheiten einräume, anständige Junghexen um den Verstand zu bringen."

"Wer selber keine Kinder hat, der macht auch die von and'ren platt", hat mein Vater dazu gesagt, als er dieser alten Jungfer ... Okay, ich werde unseriös, Sir. Entschuldigung. Ich arrangiere meine Teilnahme an dieser Vernehmung. Richten Sie Ihrer Frau meine besten Wünsche aus!"

"Werde ich tun, Mr. Waterford", sagte der Minister lächelnd und geleitete den Beamten, der eigentlich im Muggelkontaktbüro arbeitete aus seinem Büro hinaus.

"Dafür hätte Ms. Pabblenut ihm jetzt den Familienschmuck zerbröselt", dachte der Minister im Hinblick auf den gehässigen Spruch, den Waterford gerade zum besten gegeben hatte. Dabei wußte die genau, daß es nur der Initiative sittentreuer Hexen zu verdanken war, daß die Broomswood-Akademie für junge Hexen überhaupt noch existierte. Er erinnerte sich zu gut an die hitzigen Debatten zwischen Professor Wright von Thorntails und der damaligen Kräuterkundelehrerin Hemlock auf der einen Seite und Pabblenut und Blueridge auf der anderen Seite und er, als kleiner Thorntails-UTZler saß mit seiner zukünftigen Frau Godiva und deren Großmutter in der Halle der Worte, wo öffentliche Debatten stattfanden. Und obwohl seine Goddy in Broomswood gelernt hatte, war sie doch eine umgängliche, Männer nicht nur als lästiges Übel zur Arterhaltung ansehenden Hexe geworden. Doch die Sache mit diesem vermaledeiten Testament ... Besser war es, wenn er es erst einmal wieder fortpackte. So verstaute er den Pergamentbogen im diebstahlsicheren Schreibtisch und überlegte, was er dann noch machen wollte, wenn sich Greywaters Behauptung als richtig erweisen sollte.

__________

Wie, der will seiner Frau sagen, sie soll ihm den Diamanten übergeben?" Fragte Voldemort einen kreidebleichen Mann, der sich bemühte, nicht vom Licht der großen Kerze getroffen zu werden. "Rede keinen Unsinn, Blutsauger. Die Frau von Igor Dserschinski hat den Stein doch versteckt, damit Leute wie ich nicht drankommen. Der Verlierer Grindelwald hat es doch versucht, ihr den wegzunehmen, um euch blassgesichtige Blutschlürfer an langen Fäden tanzen zu lassen. - Oh, das würde ich nicht einmal denken, Nocturnus!" Der Vampir im zerschlissenen, blutbesudelten schwarzen Umhang war aufgesprungen und wollte sich auf Lord Voldemort stürzen. Dieser hob seinen Zauberstab, und die Kerzenflamme wuchs um einige Zoll in die Höhe. Die offene Flamme, ein Abkömmling des Sonnenlichtes, bereitete dem Vampir sichtliche Probleme. Stöhnend und sich die brennenden Augen zuhaltend taumelte er zurück. Voldemort ließ die Flamme wieder auf ihr übliches Maß zusammenschrumpfen. Die Kerze war jedoch in dieser kurzen Zeit um einen Zoll kürzer geworden.

"Auch deine letzte Nacht wird kommen, Voldemort."

"Lord Voldemort", zischte der Herr der Todesser bedrohlich. "Wenn du mir nicht den zustehenden Respekt zollst, wird dich das Feuer fressen, das ich aus dieser Flamme da auflodern lassen kann, wenn dich mein Sonnenquarzfeuer nicht langsam und qualvoll verbrennen soll. Also was ist mit diesem Diamanten. Weißt du, wo diese bleiche Nachteule ihn versteckt hat?"

"Nein, weiß ich nicht", stieß Nocturnus aus.

"Weiß ich nicht, mein Herr", korrigierte Voldemort den Vampir sehr nachdrücklich.

"Nein, weiß ich nicht ... mein Herr", quetschte der Vampir die unterwürfige Antwort zwischen seinen Fangzähnen hindurch.

"Dann wirst du ein ganz lieber Nachtsohn sein und ihr die rechte Hand zum Gruß darbieten."

"Was bringt Euch das?" Fragte der Vampir, der zitternd zwischen wohltuender Dunkelheit und quälendem Kerzenschein hing.

"Deswegen", sagte der dunkle Lord, richtete seinen Zauberstab auf den Vampir und rief: "Anuntiato Filiam Noctis!" Aus dem Stab des dunklen Lords zischte eine giftgrüne Stichflamme, die den Vampir voll an der Brust erwischte und ihn für eine volle Sekunde im giftgrünen Licht erstrahlen ließ, während der Blutsauger unter einer ihm bis dahin unbekannten Qual schrie. Es war ihm nicht wie brennendes Feuer, sondern wie von innen gegen seine Eingeweide pressende Gewalt, seine Adern aufblähendes Pulsieren und seine Zähne aus den Kiefern schiebender Druck. Dann war die Tortur vorbei. Der Vampir krümmte sich noch einmal und stand dann da, keuchte als trüge er gerade eine Zentnerlast am Leib.

"Ja, den Zauber habe ich aus einem alten Buch von Grindelwald, Nocturnus. Er ermöglicht mir, einen damit markierten Blutsauger in mehr als hundert Meilen Abstand zu orten, ohne daß er es mitbekommt."

"Bei der Mitternacht, was habt ihr mir angetan. Ich fühle mich so, als legen mir schwere Steine im Bauch und kullerten herum", stöhnte der Vampir.

"Oh, habe ich vergessen zu erwähnen. Man sollte bei der Zauberformel das richtige Geschlecht mit einfließen lassen. Und deswegen solltest du Lunova zumindest die rechte Hand geben, damit du den nicht richtig auf dich abgestimmten Aufspürzauber an sie weitergeben kannst, weil sie eben eine Filia der Nacht ist und kein Filius wie du. Ich denke, wenn du sie nicht in der nächsten Nacht besuchst, werden die Steine in deinem Bauch immer größer und Schwerer, deine Arme immer schwerfälliger und deine Beine steifer, bis der Zauber mit Urgewalt aus dir herausplatzt und dich gleich in alle Winde verstreut. Deswegen solltest du ein braver Vampir sein. Sieh zu, daß du sie erwischst, bevor es dich erwischt!"

"Wie gesagt, deine letzte Nacht kommt auch noch!" Stieß der Vampir aus und rannte fort wie ein angestochener Kater.

"Bis dahin bist du vielleicht schon nicht mehr da, Nocturnus", zischte Voldemort. "Das Schicksal der Verräter. Hättest du mich nicht drauf gebracht, daß Igor sich mir entziehen will, könntest du in Ruhe darauf warten, wer von uns beiden am Ende übrig ist."

Voldemort war wütend. Dieser Besucher, der ihn in diese verfallene Burgruine bestellt hatte, brachte seine ganze Planung durcheinander. Er wollte noch vor Ende des Monats die absolute Verfügungsgewalt über das Zaubereiministerium erlangen, nachdem seine Todesser sich im Freudentaumel über den Tod dieses Möchtegernmenschenfreundes Dumbledore an Muggeln und ihren zerbrechlichen Apparaturen ausgetobt hatten. Er wollte endlich Slytherins Werk vollenden und eine vom Unrat und fauligen Verwachsungen gereinigte Zaubererwelt schaffen. Ja, und Hogwarts, seine Schule, würde dann endlich seine Lehren verbreiten, auf daß die dort lernenden Kinder reinblütiger Zauberer und Hexen ihn als Befreier ihrer Welt und Wächter der wahren Zaubererschaft anerkannten und ehrten, länger als ein Jahrhundert. Er würde die Muggel, die nur wegen ihrer Überzahl vermocht hatten, die Zauberer in den Untergrund zu treiben, in den Staub treten und wenn sie sich mucksten wie Kakerlaken unter seinen Schuhsohlen zerquetschen. Sie sollten die Rolle annehmen, die ihnen von der Natur her auferlegt war. Doch um hier in England die Keimzelle für diese erhabene Weltordnung legen zu können, mußte er den Rücken frei haben. Hierzu wollte er das benutzen, was er den Wertigern entrissen hatte. Womöglich suchten die schon nach ihm. Doch ohne Duftspuren von ihm war das in diesem großen Dschungel ziemlich aussichtslos.

Ein Uhu segelte durch die Dunkelheit heran und landete bei der immer noch brennenden Kerze. Der majestätische Eulenvogel trug einen Brief am rechten Bein. Voldemort nahm ihn an sich und streichelte den Vogel. ""Ah, er hat meine Nachricht erhalten. Danke, Morfin."

Der dunkle Lord las den Brief von seinem in der Gunst weit emporgekletterten Helfer Severus Snape und grinste. Sie hatten die Jagd nach ihm beendet und suchten ihn nur noch als möglichen Zeugen. Dann hatte dieser Schrieb von RitaKimmkorn ja doch was bewirkt. Er freute sich schon auf das ganze Buch. Es würde ihm sehr heitere Stunden verschaffen, dachte er. sich vorzustellen, wie töricht Dumbledore von Grindelwald an der Nase herumgeführt worden war ... Doch vielleicht meinte diese aufdringliche Reporterhexe es auch anders. Zunächst wollte er sich auf die Sache mit dem Diamanten konzentrieren. Dann kam, was er eigentlich vorhatte. War das alles erledigt, konnte er immer noch über Sinn und Unsinn dieser Biographie nachgrübeln, die Rita Kimmkorn da in die Welt setzen wollte.

__________

"Na, da gratuliere ich Euch doch sehr herzlich, Lady Nyx", sagte die Hexe mit dem haselnußfarbenen Haar und winkte mit ihrem an der Spitze leuchtenden Zauberstab. Nyx' fahles Gesicht zeigte ein Lächeln, dessen Freundlichkeit nur durch die nun herauslugenden Vampirzähne gestört wurde. "Wie heißt er? Morpheus?" Fragte die Hexe und blickte mit ihren hellgrauen Augen in die eingefallenen Augen der Vampirin.

"Ja, so haben Phil und ich ihn genannt. Er ist vor einer Stunde erwacht. Hat nicht einmal gequängelt, als er seine neuen Zähne bekam, Lady Daianira. Doch leider ist das, was ich euch schrieb zu wichtig, um es mit Geplauder über unseren neuen Sohn zu vertun, Mylady. Ich schrieb Euch ja, daß die Dserschinskis wohl daran denken, den vor siebzig Jahren versteckten Mitternachtsdiamanten hervorzuholen, um ihn im Kampf gegen den dunklen Lord zu verwenden. Weder Euch noch uns kann daran gelegen sein, daß dieser Kampf stattfindet. Denn wer immer ihn gewinnt wird sowohl uns als auch Euch und Euresgleichen peinigen wie es ihm beliebt."

"Ach, inwiefern denn?" Fragte Daianira Hemlock überheblich lächelnd.

"Wenn Dserschinski ihn nimmt, wächst die macht der Nacht in ihm. Er kann dann über große Entfernung Wesen wie mich befehligen wie er will. Es ist wohl nicht schwer zu erraten, daß er dann eine ganze Armee von Kindern der Nacht erschaffen wird, die ihm unterworfen ist. Selbes gilt, wenn der dunkle Lord den erhabenen Stein in seine Gewalt bekommt. Nur er würde dann nicht nur über uns gebieten, sondern uns wider euch in den Kampf schicken und damit seine eigene Macht auf der Welt ins unumkehrbare steigern. Habt Ihr nicht immer gesprochen, daß es das große Ziel sei, diesen dunklen Meister von der Erde verschwinden zu lassen? Seid Ihr nicht die am ehesten gefährdeten, wenn er uns als seine Streitmacht wider euch aufbieten kann?"

"Wie Ihr zu bekämpfen seid ist mir wohl vertraut", erwiderte Daianira. Nyx funkelte sie böse an. "Also überlegt es Euch sehr gut, ob Ihr mich bekämpfen wollt!"

"Wir werden uns das nicht überlegen können, wenn der Mitternachtsdiamant in den Händen Dserschinskis oder des dunklen Lords liegt", schnarrte die Vampirin.

"Und was, wenn dieser nette Edelstein vernichtet würde?" Fragte Daianira herausfordernd. Nyx funkelte sie noch wütender an und machte Anstalten, auf die Besucherin loszustürmen. Da blinkte es golden unter Daianiras Brustkorb auf. Wie von einem Krampf geschüttelt zuckte Nyx zusammen und wich zurück. Dann holte sie tief Luft und stieß aus:

"Dann würden wir zu wilden Bestien und alles und jeden töten wie diese Mondheuler. Dann würden wir nur noch wilde Tiere sein."

"Oh, dann sind meine Informationen bezüglich des Mitternachtsdiamanten doch falsch", erwiderte Daianira amüsiert grinsend, obwohl es an und für sich keinen Grund dafür gab.

"Das ist eben so", schnarrte Nyx. Dann stieß sie noch aus:

"Ich werde es nicht zulassen, daß der erhabene Stein in falschen Händen landet oder zerstört wird, Lady Daianira. Wenn Ihr mir nicht helfen wollt, weil Ihr euch zu fein dafür seid, uns Blutsaugern ein ehrwürdiges Dasein zu bewahren, dann tragt Ihr die Schuld daran, wenn der dunkle Lord oder Dserschinski Eure Welt ins Chaos einer endlosen Sturmnacht stürzen. Dann werde ich eben mit jener Hexe sprechen, die uns von der verdammenswürdigen Tochter des dunklen Feuers befreit hat."

Daianira lachte lauthals los. Doch dann erkannte sie, daß sie diese Drohung besser ernstnehmen sollte. Doch ...

"Erstmal wißt Ihr doch gar nicht, wo sich diese Hexe aufhält. Und zweitens könnt Ihr Euch überhaupt nicht sicher sein, daß sie auf Vampire besser zu sprechen ist als auf die Abgrundstöchter. Ja, sie könnte befinden, daß der Mitternachtsdiamant ihr selbst gehören sollte. Schon daran gedacht?"

"Er gehorcht nur uns Kindern der Nacht oder männlichen Rotblütlern", schnarrte Nyx. Da tat sich quietschend die Metalltür hinter der Vampirin auf, und ein junger Mann in moderner Muggelbekleidung stürmte herein. Laut zischend sog er Luft in seine Nasenflügel und leckte sich die bleichen Lippen, zwischen denen zwei dolchartige, schneeweiße Fangzähne hervorlugten. Mit einem Ausdruck großen Hungers in den Augen blickte er auf Daianira und sog wieder Luft in seine Nase ein.

"Morpheus, die nicht!" Rief Nyx. Doch da sprang der junge Vampir vom übermächtigen Blutdurst getrieben nach vorne auf Daianira zu. Da leuchtete es wieder unter ihrem Brustkorb, hell und golden. Dann explodierte ein gleißendgelber Blitz in den Raum und traf den jungen Vampir, der laut aufschreiend zurückgeworfen wurde und die Hände vor die Augen schlug. Heulend vor Schmerz und Wut stampfte der junge Vampir mit jedem Fuß einmal auf und wandte sich dann der Vampirin zu:

"Wer ist diese Alte, Nyx? Sie hat mich mit grellem Licht angegriffen. Wie kann die das?"

"Geh wieder zu deinem Vater, Morpheus!" Schnarrte Nyx sehr ungehalten. Der junge Vampir wagte noch einen haßerfüllten Blick auf Daianira. Der Blutdurst ließ ihn noch einmal nach vorne zucken. Doch das sachte goldene Blinken unter den immer noch straffen Brüsten der Hexenlady stach ihm wie mit einer brennenden Nadel ins Gesicht. Er warf sich herum und war schneller als ein Lidschlag durch die Tür. Nyx drückte sie wieder zu.

"Ihr seht, ich trage es immer noch bei mir, wenn ich Euresgleichen treffe", sagte Daianira. "Es hilft mir, mir überhungrige Blutjünglinge wortwörtlich vom Hals zu halten. Er kann froh sein, daß ich es unter der Kleidung trage und sein Licht dadurch geschwächt bleibt, sonst wäre er jetzt wohl schwer verletzt oder gar tot, so kurz wie er gerade noch lebt."

"Euer Leben ist auch nicht viel länger", schnarrte Nyx. "Ich war schon da, als Eure Großmutter noch ungeboren war und werde noch da sein, wenn Eure Urenkel zu Staub zerfallen sind."

"Falls Dserschinski oder der Emporkömmling, der sich unberechtigt dunkler Lord oder gar Voldemort nennen läßt den Mitternachtsdiamanten nicht bekommt", stocherte Daianira in der seelischen Wunde, die der Angriff auf Morpheus bei Nyx geschlagen hatte.

"Ich bitte Euch, Lady Daianira, wenn Ihr den erhabenen Stein nicht in Sicherheit bringt oder von Dserschinski oder seiner Gattin erstreitet, wird Euer Leben früher enden als Ihr meint."

"Ich werde mir deine Bitte durch den Kopf gehen lassen und dich meine Antwort wissen lassen, wenn ich mich mit meinen Schwestern beraten habe. Da im Moment der neue Zaubereiminister gewählt wird ist es schwierig, alle zur selben Zeit zu versammeln."

"Das könnten die letzten Worte gewesen sein, die Ihr in dieser Rangstellung noch sprechen konntet, Lady Daianira", grummelte Nyx.

"Wird sich zeigen. - Öhm, vergeßt diese andere Hexe! Sie duldet keine übermächtigen Kreaturen in der Welt, die sie nicht kontrollieren kann. Wenn Ihr ihr von dem Diamanten erzählt, sofern sie es noch nicht weiß, daß es ihn gibt, würde sie ihn entweder für sich erstreiten oder ihn vernichten, damit ihn niemand anderes bekommen kann. Eine Angenehme Tagesruhe!""

"Spätestens morgen werdet Ihr mich anflehen, Euch zu zeigen, wo der Stein liegt", knurrte Nyx. Doch da war Daianira mit leisem Plopp disappariert.

"Er wußte noch nicht, daß es außer uns Vampiren noch andere Träger der Magie gibt", schnaubte Haemophilos, als seine Frau zu ihm und dem immer noch vom Lichtschock gebeutelten Morpheus trat.

"Diese arrogante Rotblütlerin. Ich werde die andere Hexe finden, die dieses Unweib Hallitti vom Erdboden getilgt hat. Wollen doch mal sehen, ob die auch so überheblich ist."

"Dafür haben wir keine Zeit, Nyx. Oder willst du im Ernst alle Hexen fragen ob sie wissen, wo diese ominöse Hexe sich versteckt hält?"

"Ich weiß, daß sie diese grüne Waldkreatur beschützt und wo ich die finde. Wenn ich sie in Gefahr bringe ..."

"Kommt sie und jagt dir Feuer oder Sonnenzauber auf den Hals, Nyx. Beruhige und besinne dich! Wir können uns jetzt nicht noch auf die Suche nach dieser Hexe machen, nur um dann zu erfahren, daß sie uns genauso feindselig gegenübersteht wie diesen verdammten Abgrundsweibern."

"Wir müssen den erhabenen Stein bekommen", knurrte Nyx. "Dann kann ich diese arrogante Rotblütlerin für ihre Unverschämtheiten bestrafen."

"Zuerst einmal müssen wir unseren Sohn wieder aufrichten", schnarrte Haemophilos. "Du hast ihn zu uns geführt, also sorge dich um ihn, wie es einer Mutter ansteht!"

"Ich habe Durst. Verdammt, mir tut alles weh!" Quängelte der junge Vampir.

"Das war für dich wohl ein herber Schlag", meinte Nyx zu ihrem neuen Sohn. Haemophilos schnarrte nur, daß der Junge jetzt wohl wisse, daß er nicht unbesiegbar stark sei. Dann beschlossen die beiden älteren Vampire, ihrem Sprössling in dieser Nacht bei der Suche nach Nahrung zu helfen. Dann legten sie sich in den fensterlosen Räumen nieder, um den über ihnen erwachenden Tag zu verschlafen.

__________

Der Senator saß mißmutig in seinem Arbeitszimmer, hatte die Tür von innen verriegelt und die stählernen Jalousien herunterfahren lassen. Gerade fuhr sein Rechner hoch. Das Kühlgebläse säuselte und summte eifrig, während auf dem Bildschirm die üblichen Anzeigen aufleuchteten und wieder erloschen, bis die Aufforderung: "Benutzer anmelden" erschien. Der Senator tippte sein Zugangspasswort ein. Dann erscholl das Signal, daß der Startvorgang nun korrekt beendet werden konnte und Senator Wellington ordentlich angemeldet war. Da ploppte es, als sei neben Wellington eine große Luftblase zerplatzt. Er fuhr herum und sah eine fremde Frau in rosaroter Kleidung, die einen länglichen, silbergrau schimmernden Gegenstand auf ihn richtete. Er riss den Mund auf, um um Hilfe zu rufen.

"Silencio!" Zischte die Fremde. Der Senator schrie. Doch kein einziger Laut drang aus seiner Kehle. Dann wollte er die ungebetene Besucherin anspringen. Doch eine Kraft wie von einer unsichtbaren Riesenhand warf ihn in seinen bequemen, mattschwarzen Bürosessel zurück, der vom Schwung einige Dutzend Zentimeter nach hinten rollte. Dann packte die unsichtbare Gewalt noch einmal zu und zog den Sessel so, daß der Senator, der immer noch in dem Sessel festhing, mit den Händen bequem an die Computertastatur herankam.

"Imperio!" Zischte die Fremde mit auf den Senator ausgerichtetem Zauberstab. Der Politiker, dem es im Moment sprichwörtlich die Sprache verschlagen hatte kämpfte zwar gegen den ersten Befehl an, sich in den Rechner seines Stadtbüros einzuwählen. Doch der zweite Befehl vernichtete den Rest von Widerstand. Mit schnellen, keineswegs mechanischen Bewegungen, tippte der Senator auf der Tastatur, ließ sein Modem zirpen, rauschen und sirren, bis er die Aufforderung bekam, das erste von fünf Passwörtern einzutippen. Die Fremde nickte, sah ihm zu, wie er alle Passwörter eintippte und dann die Erfolgsmeldung hervorbrachte, daß er, Senator Wellington, nun auf sein gesondertes Zugangskonto gelangt war. Dann sollte er die Liste aufrufen, von der er weniger als eine halbe Stunde zuvor noch Cecil Wellington erzählt hatte. Er ließ sie ausdrucken und meldete sich dann ab. Danach gab er die Liste an die Besucherin ab, die ihm dafür noch einen Gedächtniszauber verabreichte, demnach er noch einmal die Protokolle der letzten Bürositzung studiert habe und deswegen die fünf Passwörter benutzt hatte. Als der Senator weltentrückt auf den Rechner starrte murmelte die Fremde:

"Retardo Sonoliberatus!" Dann verschwand sie mit leisem Plopp. Senator Wellington erwachte dreißig Sekunden später aus dem merkwürdigen Zustand, in dem ihn die Fremde zurückgelassen hatte. Er dachte an das, was er gerade noch gemacht hatte und befand, jetzt doch besser noch am Text seiner Rede zum Unabhängigkeitstag zu arbeiten.

__________

"Ah, den Herrn hier kennen wir", sagte Pandora Straton und deutete auf ein kleines Foto über einem Namen. "Wilson Peaks nennt der sich also da. In Wirklichkeit heißt der nette Herr Ira Waterford und ist halbmuggelstämmiger Thorntails-Abschlußjahrgang 1978. Er arbeitet seit gut zehn Jahren für das Muggelverbindungsbüro als sogenannter Abdichter. So heißen die muggelkundlich hervorragend ausgebildeten Zauberer und Hexen, die in wichtigen Ordnungsbehörden der Muggelwelt arbeiten. Aber das der sich hier als FBI-Agent ausgibt ist schon dreist. Ich hörte vor zwei Monaten noch, der arbeite bei der CIA. Das ist ..."

"Ein nicht mehr ganz so geheimer Kundschafterdienst dieser Staaten, dessen Wirkungskreis die Spionage und Abwehr von Spionage aus sogenannten Volksrepubliken ist und der angeblich im besten Willen der Bürger der vereinigten Staaten geheime Missionen durchführt, um unliebsame Regierungen zu destabilisieren oder den Staaten genehme, aber von der eigenen Bevölkerung verhaßte Regime zu schützen", sagte Anthelia. "Ich habe mich über unseren Schützling sehr ausführlich über diese und andere Nachrichtenbeschaffungsbehörden erkundigt", sagte Anthelia. "Wird wichtig sein, diese Bande zu kontrollieren, wenn wir die natürliche Ordnung in der Welt wiedererrichten wollen", fügte sie noch hinzu.

"Entschuldige bitte, ich wollte nicht übergescheit wirken", sagte Pandora.

"Also dieser Wicht da arbeitet also für das Zaubereiministerium? Es ist sehr erbaulich, daß mir Schwester Donata diese Neuigkeit nicht mitgeteilt hat", grummelte Anthelia.

"Womöglich hat der Minister diesen Waterford höchstpersönlich instruiert, höchste Schwester. Ich würde ihr jetzt keinen Vorwurf machen. Dienstweg null heißt das, wenn der Minister irgendeinen niedrigrangigen Beamten persönlich beauftragt. Die direkten Vorgesetzten oder gar Abteilungsleiter bekommen erst nach Abbschluß des Sonderauftrages schriftlichen Bescheid."

"Du hast recht, von dieser Unannehmlichkeit hat Schwester Donata mir in der Tat schon berichtet", grummelte Antehlia, wirkte nun aber sehr entspannt. "Dann soll dieser Zeitgenosse da also herausfinden, ob Cecil Wellington mit uns in Verbindung steht. Offenkundig liegt dem amtierenden Minister viel daran, die Angelegenheit so geheim wie möglich zu halten. "

"Was heißt, es ist ihm sehr unangenehm, was in diesem Testament steht, höchste Schwester."

"Deshalb will ich es ja auch zur Kenntnis nehmen", erwiderte Anthelia kampfeslustig. "Was zeichnet diesen Waterford oder Peaks aus?"

"Er ist ein überragender Verwandlungskünstler und Legilimentor und Okklumentor, sagt Schwester Romina."

"Oha, das ergibt doch für mich eine treffliche Möglichkeit, mich mal wieder mit einem gut geübten Gegner in mentalem Tauziehen zu messen. Seit der Waisenknabe mich vor einem Jahr in den Sümpfen Floridas beehrte habe ich meine eigenen Fähigkeiten nicht erneut prüfen können."

"Höchste Schwester, der wird Cecil als von irgendwem beeinflußt erkennen", warnte Pandora.

"Deshalb werde ich ihm zuvorkommen und seinen Platz bei dem Verhör einnehmen. Anschließend wird der Minister einen Bericht erhalten, daß mit Cecil Wellington nichts ungewöhnliches passiert ist und ..."

Mit lautem Knall apparierte Patricia Straton im Weinkeller der Daggers-Villa. Sie sah Anthelia abbittend an und wartete, bis diese ihr das Wort erteilte.

"Höchste Schwester, entschuldige bitte, daß ich so bei euch hereingekracht komme. Aber Lady Daianira hat für genau ein Uhr Nachmittags eine Vollversammlung der entschlossenen Schwestern angeordnet. Sie benutzte den Ruf in der Versammlungshöhle."

"So, und wieso habe ich das nicht mitbekommen?" Fragte Pandora Straton.

"Öhm, weiß ich nicht", sagte Patricia.

"Dieser Ruf erreicht euch nur, wenn ihr außerhalb eines vom Fidelius geschützten Ortes seid", sagte Anthelia ruhig. "Er kann nur offenbarte Orte erreichen, nicht auf Personen gerichtet werden."

"Woher weißt du das ..."

"In meinem ersten Leben habe ich die Erfinderin des lautlosen Rufes getroffen und ihre Aufzeichnungen studiert, Schwester Patricia. Nun, es sind nur noch zwei Minuten bis zur verkündeten Zeit. Dann sputet euch! Wir wollen ja schließlich nicht, daß die gute Daianira euch noch für abtrünnige Schwestern hält."

"Natürlich wollen wir das nicht", sagte Pandora. Dann verschwanden sie und Patricia.

"Eine derartig spontane Vollversammlung? Hat sich der Waisenknabe etwas herausgenommen?" Dachte Anthelia. Dann überlegte sie, wie sie Ira Waterford am unauffälligsten überwältigen und ausforschen konnte. Als sie den Plan auf alle Fehler und Ausweichmöglichkeiten hin abgeklopft hatte, lehnte sie sich auf dem hohen Stuhl zurück. Es war herrlich, diese Ruhe zu genießen. Doch zu ruhig wollte sie es auch nicht haben. Sie schlüpfte per Schnellankleidezauber in sommerliche Ausgehkleidung und disapparierte mit dem Ziel Viento del Sol. Womöglich brauchte sie Linda Knowles nicht mehr auf den Minister anzusetzen. Aber zumindest wollte sie sich von dieser anhören, was die Pressekonferenz gebracht hatte.

__________

"Mein Sohn hat bereits eine Verabredung und wird diese einhalten, Mr. Gardner. Die Angelegenheit ist eh schon zu ausgiebig bemüht worden. Mein Sohn wurde von Linus Price entführt, auf dessen Privatinsel verschleppt und dort für einige Stunden ... Nein, die Aussage steht und ändert sich auch nicht, wenn Sie sie einhundertzwanzigmal von ihm verlangen, Mr. Gardner. Der Junge ist noch minderjährig und daher nicht anzutasten, wenn seine Mutter und ich dies nicht ausdrücklich genehmigen. Ich bin gerne bereit Ihnen eine halbe Stunde mit meinem Sohn in meinem Beisein ... Das war mir klar, daß sie jetzt dieses Argument ... Freut mich, daß es Ihnen klar war, daß mir das klar war. ... Übermorgen oder gar nicht, Mr. ... meinetwegen auch sonderagent Gardner. ... Auch wenn ich nichts von ihm halte gehe ich doch stark davon aus, daß es dem Präsidenten wie mir sehr unangenehm wäre, zuzugeben, daß irgendwelche obskuren Geschäftsleute die Kinder angesehener Familien entführen. Also rufen Sie diesen Trickser ... Ja, Sie können ihm das so sagen, wenn er darauf besteht. Ich bin Senator und Mitglied der republikanischen Partei der vereinigten Staaten von Amerika und daher berechtigt, eine abwertende Meinung über ihn zu verlautbaren. ... Ich habe auch sehr gute Freunde. Soll ich mal welche anrufen und fragen, ob Sie Ihr Gehalt noch wert sind? ... Das werden Sie merken, wenn diese Frage mit einem klaren Nein beantwortet wird. ... Natürlich ist das eine Drohung. Was erwarten Sie von einem besorgten Vater, der fürchtet, daß sein einziger Sohn in unzulässiger Weise strapatziert wird? Die Entführung als solche war schon schlimm genug, insbesondere weil sich herausstellte, daß der Drahtzieher einen Helfershelfer in meinem Privatpersonal ... Nein, wir sind uns jetzt sicher, daß keiner mehr ... ganz einfach weil dieser illoyale Mann statt einer Belohnung eine Ladung Sprengstoff unter den Allerwertesten bekommen hat. ... Mein Angebot steht wie meine Ankündigung, über Ihre Gehaltsstufe zu diskutieren, Sir. ... Heute? bei uns? ... kommt nicht in Frage, wir alle möchten uns für den morgigen Tag erholen. ... Ja, dann rufen Sie diesen Schwindler im weißen Haus an und jammern Sie ihm die Ohren voll! Wenn der befindet, sein Amt könne noch einen Skandal mehr vertragen kann er morgen am Unabhängigkeitstag ja den Medien erklären, wie seine Regierung derartige Sachen zulassen konnte und daß die Opfer wie Täter von einem Verhör ins nächste getrieben werden, nachdem der Schlamassel längst schon angerichtet ist. Ich bin zuversichtlich, daß dieser mann erkennt, daß er sich diesen Ansehensverlust nicht leisten kann. ... Ich weiß, er ist ja noch für drei Jahre gewählt. ... Oh, da werden Sie mit Sicherheit den Kürzeren ziehen, wenn Sie jetzt mit mir in eine politische Grundsatzdiskussion eintreten möchten, Mr. Gardner. Also übermorgen oder gar nicht. Unabhängig davon was Sie von Clinton ... Gut, Präsident Clinton zu hören kriegen werden behalte ich mir den erwähnten Anruf bei meinen Freunden vor, damit Sie wissen, wie schnell ich Ihnen Feuer unter dem dünnen Eis machen kann, auf das Sie sich da gerade hinauswagen. ... Ich sehe dem sehr gelassen entgegen, Sir. Bis dann!"

Cecil hörte, wie der Telefonhörer wieder aufgelegt wurde. Sein neuer Vater, der keinen blassen Schimmer davon hatte, daß er einen verhexten Jungen in seinem Haus beherbergte und gerade für dessen achso wichtige Ruhe in den Ring gestiegen war, wartete einige Sekunden. Dann nahm er den Hörer wieder ab und wählte eine andere Nummer. Cecil drückte sich wieder an die Tür

"Ja, Mitch hier Reg. ... Ja uns geht's gut und der Sohnemann hat sein Abenteuer auch schon längst verdaut. ... Angeber! Der eine reicht uns völlig aus, um genug um die Ohren zu haben. Deshalb rufe ich dich an. Was weißt du von einem FBI-Vicedirektor namens Eugene Gardner? ... Neh, der sitzt in Washington. ... Aja ... Aja ... Verstehe ... Mmhmm ... Warum ich frage, Mitch, der feine Herr kommt mir gerade ziemlich quer, weil er meint, für die letzte Sprosse auf der Leiter noch den Superermittlungserfolg einfahren zu können, indem er herausbringt, von wem genau mein Sohn entführt wurde. ... Okay, das ist nicht durch die Medien gegangen und soll es auch nicht, damit ... Habe ich dem gerade auch gesagt, daß der Lügner im ovalen Büro das auch nicht an die große Glocke ... Was ich wissen wollte, Mitch: Wieso kann mir dieser Typ so widerwärtig penetrant vorhalten, was ich, ein gewählter Senator, zu tun und zu lassen habe? ... Vorstellbar aber für mich nicht als Antwort zu gebrauchen, Mitch. Werd mal etwas seriöser in deinen Vermutungen ... Wie, daß machen nicht nur Frauen so? ... Ich hatte das jedenfalls nicht nötig, meine Karriere ... Lassen wir das ... Das du das nicht nötig hast bei sieben Kindern ist klar. Maggy hat ja schon einen eigenen Briefkasten beim Klapperstorch. ... Du meinst das ernst, daß dieser FBI-Popanz wegen dieser Beziehung ... Gibt es da was schriftliches oder Fotos? ... Fax die mir zu! ... Für den letzten Auftrag deiner Sicherheitsfirma sollte das die gerechte Entlohnung sein. ... Ich geb dir gleich Bananenrepublikaner! Kannst ja gerne zusehen, wer dir den nächsten Auftrag zuschustert. Also wie steht's mit den Beweisfotos? ... Ja, gut in zwei Stunden, damit es nicht so auffällig ist. Ich denke erst dann wird mich dieser Gardner wieder behelligen, wenn der wirklich die Chuzpe hat, bei dem Lügner anzurufen. ... Im Moment sitzt unser Filius oben in seinem Zimmer und hört sich dieses blonde Flittchen an. ... Und das läßt du Liss durchgehen, so wie die rumzulaufen! ... Achtzehn Jahre alt! Als Vater hast du immer was mitzureden ... Ja, ich habe keine Töchter und bin auch verdammt froh darüber. ... Wenn du meinst, Mitch. ... Dann in einer Stunde. Wie kommt's? ... Verstehe, der alte Hubertusjünger ist im Lande. Dann wünsch dem mal ein herzliches Waidmanns Heil von mir, wenn der seine Fäden gezogen und dir das Material zugeschoben hat. Aber wehe es ist getürkt! Was ich am allerwenigsten brauchen kann ist eine Lachnummer und eine Klage. ... Na dann! Danke dir altes Schlachtross!"

"Soso, der saubere Herr Senator schickt sich an, jemanden zu erpressen", dachte Cecil Wellington. "Offenbar kennt der die alte Weisheit von der gegrabenen Grube nicht." Cecil überlegte, ob es nicht ein genialer Streich war, das FBI über sein Mobiltelefon anzurufen und zu behaupten, jemand wolle Vicedirektor Eugene Gardner am Zeug flicken. Andererseits wußte er nicht, was Anthelia von diesem Streich halten würde. Immerhin wollte sie ja, daß ihr Kundschafter einem amtierenden Senator wichtige Geheimnisse abjagen konnte.

Der Senator wählte wohl noch weitere "gute Freunde" an, um mit denen abzuklären, ob er die geplante Vernehmung doch noch abwehren konnte oder nicht. Cecil befand nach dem dritten Gespräch, bei dem er nur seinen Vater sprechen hören konnte, daß weder für ihn noch für seine meistens heimliche Überwacherin Anthelia nichts neues herumkommen würde. Er tat, was der Senator einmal erwähnt hatte und hörte seiner Lieblingssängerin zu. Nach ungefähr einer CD hörte er unten das Telefon läuten. Er dachte, daß dieser Gardner jetzt anrufen würde und bezog wieder seinen Horchposten an der Tür.

"Ja?" Meldete sich der Senator und sprach dann nach einigen Sekunden weiter. "... Hat er gesagt. ... Soso! ... Tja, den Anruf hätten Sie sich also sparen können, Mr. Gardner. ... Nein, das ändert an meiner Meinung überhaupt nichts, weder was Sie angeht noch meine gerechtfertigten Vorbehalte gegen den Präsidenten. ... Wie erwähnt liegt dem nichts daran, die Angelegenheit weiter auszuwalzen. Der Medienrummel um meinen Sohn hat ja schon gereicht. Er ist glücklich zurückgekehrt, die Schuldigen sind bei einer überstürzten Flucht gestorben, Ende und aus. ... Jetzt noch einmal die große Preisfrage: Welchen Sinn sollte es machen, daß mein Sohn in seinen Aussagen irgendetwas verheimlicht hätte? ... Stockholm-Syndrom?! Mit Verlaub, jetzt gehen Ihnen aber sämtliche Pferde durch, Mr. Gardner. Bekanntnlich wirkt sich dieses psychologische Phänomen bei mehrtägiger Geiselhaft aus und ... Ich wollte ihnen nur zeigen, daß mir die Definition dieses Begriffes geläufig ist und Sie mich daher nicht unnötig belehren müssen. Wie erwähnt sind die Geiselnehmer tot. Mein Sohn hat wie er Ihrer Behörde schon schilderte ausführlich ausgesagt, daß er den Großteil der Verschleppung bewußtlos war und auf der Insel selbst nur mittels künstlicher Sprachausgabe angesprochen wurde, so daß er die Stimme des Täters unmöglich erkennen konnte. Da konnte es unmöglich zu Ihrem Stockholm-Syndrom kommen. ... Ja, es ist schon richtig, daß ich ihm untersagt habe, seinen Schulfreunden davon zu berichten, was ihm passiert ist. Soll das etwa heißen, daß Sie diese mittlerweile auch vernommen haben? Die können doch nur widergeben, was mein Sohn denen erzählt hat. Also vergessen Sie die Vernehmung! ... Sie haben alle Mittel ausgereizt. Denken Sie nicht, ich hätte hier gewartet bis Sie mich anrufen!"

"Cecil, begebe dich in die Mitte des dir zugewiesenen Zimmers und warte dort!" Durchbrauste Cecil ein sehr eindringlicher Gedanke. Unverzüglich eilte Cecil in die Mitte des Zimmers und lauschte angestrengt. Doch das übliche Knallen oder Ploppen, mit dem sich die ihn an der kilometerlangen Leine führenden Hexen in seinem Zimmer zu materialisieren pflegten blieb aus. Statt dessen wehte weißer Nebel durch die Luftschlitze der im Moment auf kleiner Stärke laufenden Klimaanlage, zog sich über dem Boden zusammen und bekam dann nach einem kurzen Flimmern Anthelias feste Gestalt.

"Wau, wie bei einem Vampir", dachte Cecil.

"Na, ich muß doch schon sehr bitten", schnaubte Anthelia leise. Dann sah sie die Musikanlage an. Diese ging aus. Dann hob Anthelia ihren Zauberstab und beschwor dieses ockergelbe Leuchten auf alle Innenflächen des Zimmers.

"In diesen Sachen siehst du besser aus als in dem rosaroten Umhang", sagte Cecil, nachdem er den heftigen Eindruck überstanden hatte, den die hereinnebelnde Hexe verursacht hatte.

"Da wo ich gerade herkomme ist derlei Kleidung für Hexen meines körperlichen Alters unauffällig genug. Aber zu dir. Da unten schachert dein Vater gerade mit einem Vertreter eurer Bundesermittlungsbehörde herum, ob sie dich einem neuerlichen Verhör unterziehen sollten oder nicht. Mir gereicht diese Farse langsam zum lästigen Ärgernis. Doch warum ich hier und in eigener Person vor dir stehe: Da es im Moment nicht möglich ist, andere Mitschwestern von mir in deiner Nähe zu halten, werde ich die Überwachung solange übernehmen, bis meine Mitschwestern wieder verfügbar sind. Schwester Pandora bekundete übrigens, du habest sie sehr liebevoll gestreichelt."

"Wahrscheinlich weil ich da an meine Freundin gedacht habe", sagte Cecil trotzig, obwohl er nun unmittelbar der Wut Anthelias ausgeliefert war und niemand ihn würde schreien hören können.

"Du sitzt jetzt hier herum und würdest gerne auf den Tisch hauen und sagen, daß die ganze Fragerei dir über die Hutschnur geht, nicht wahr?"

"Ich könnte denen ja wohl schlecht erzählen, was wirklich passiert ist", erwiderte Cecil.

"In der Tat, da wäre ich sehr ungehalten, wenn du dir derlei herausnehmen würdest", erwiderte Anthelia.

"Ist wie nach dem Brand von Dropout", seufzte Cecil, der sich mal wieder daran erinnerte, daß er früher Benjamin Calder gewesen war.

"Nur mit dem Unterschied, daß dieser verbitterte, in seinen antiquierten und heuchlerischen Vorstellungen gefangene Mann dein Schicksal jetzt zu seinem erklärt hat. Aha, er beendet das Gespräch. Er strahlt große Siegesfreude aus, weil er es geschafft hat, den Vertreter der Strafverfolgungsbehörde auf den übernächsten Tag zu vertrösten. Oho, er kommt jetzt herauf. Ich entschwinde derweil, verharre jedoch in deiner Nähe." Mit leisem Plopp verschwand Anthelia. Cecil öffnete für einen Moment das Fenster. Mittlerweile wußte er ja, daß das magische Leuchten verschwand, wenn ein Fenster oder eine Tür geöffnet wurde. Es klopfte an seiner Tür.

"Ja, bitte!" Rief Cecil Wellington.

"Ich habe es geschafft. Dieser Gardner wird dich erst übermorgen um zehn Uhr verhören. Auch den Lügenbaron im weißen Haus hat er angerufen. Hat aber nichts genützt. Der hat ihm gesagt, daß er mich nicht dazu zwingen kann, meine repräsentativen Pflichten zu vernachlässigen, falls es nicht um eine wirklich brisante Frage der Nationalen Sicherheit ginge. Immerhin - da hat dieser Bursche wohl zum ersten und einzigen Mal die Wahrheit gesagt -, sei ich ja kein Parteifreund von ihm und könnte von ihm zu irgendwas gedrängt werden, ohne mir einen entsprechenden Befehl zu erteilen. Also findet morgen die Wohltätigkeitsfeier statt und übermorgen dieses letzte Verhör. Es wird das letzte sein, da bin ich mir sicher."

"Wieso, hast du rausgekriegt, wie teuer ein FBI-Funktionär ist? Das wissen doch sonst nur Mafia-Gangster", erwiderte Cecil darauf. Sein Vater schnaubte kurz wie ein angriffslustiger Hengst. Dann sagte er:

"Der Tag wird kommen, mein Sohn, an dem du mir für all das danken wirst, was ich für dich, deine Mutter und unser ganzes Land getan habe. Vorerst sollte es dir genügen, daß ich gegen diese unsägliche Verhörpraxis eine amtliche Beschwerde angestrebt habe. Dieser Gardner wird sich wünschen, mich nicht so herablassend angesprochen zu haben."

"Ich hoffe, nach diesem Tag übermorgen ist Ruhe, sagte Cecil dazu nur. Diesmal war sein Vater mit ihm einer Meinung.

__________

"So will Lady Nyx, die einige von euch ja schon einmal gesehen haben, daß wir für sie und ihren Clan diesen Mitternachtsdiamanten beschaffen", sprach Lady Daianira zu der spontan einberufenen Vollversammlung der nordamerikanischen Gruppe entschlossener Schwestern. "Mit anderen Worten, wir sollen Aushilfstrupp für ohnmächtig dasitzende Vampire werden, ihnen sozusagen die Kastanien aus dem Feuer holen, damit sie sich damit über andere ihrer Art erheben können. Schwester Pandora, du hattest doch einmal einen Vortrag über diesen sagenumwobenen Miterrnachtsdiamanten gehalten. Vermagst du dich noch an die wichtigsten Einzelheiten zu erinnern?"

"Die wichtigste Einzelheit schlechthin, geehrte Lady Daianira, liebe Mitschwestern, ist die Fokussierung der Macht, über die Vampire verfügen, auf den, der den Stein gerade am Körper trägt. Normalerweise können Vampire, egal in welcher Mondphase sie als solche in Erscheinung traten, nur eine Minute im Licht der Sonne überleben. Sie verbrennen qualvoll, je mehr von ihnen von der Sonne beschienen wird, desto schmerzvoller. Wer den Mitternachtsdiamanten trägt, ist von einer nachtschwarzen Aura wie eine transportable Rußwolke umhüllt und vermag so die hundertfache Zeit im Sonnenlicht zu überstehen, muß aber, wie alle anderen Vampire auch, lange regenerieren, um die dabei doch hingenommenen Verbrennungen auszukurieren. Er vermag, fließende Gewässer ohne Körperkraftverlust zu überqueren. Vor allem aber kann der Träger des Mitternachtsdiamanten andere Vampire nach seinem Willen lenken, unabhängig wie weit sie entfernt sind. Er muß sie nur beim Namen kennen und an sie denken. Deshalb war es für mich und diverse Vampirforscher ein Rätsel, warum die letzte erwiesene Trägerin des Diamanten diesen irgendwo versteckt hat. Vor siebzig Jahren, wo sich ein gewisser Gellert Grindelwald zum bis dahin mächtigsten Dunkelmagier aller Zeiten aufgeschwungen hat, gab es eine Zeit lang ein Gerangel um mächtige Verbündete oder Gegner. Grindelwald wollte offenbar den Mitternachtsdiamanten besitzen, um alle ihm bekannten Vampire zu beherrschen. Denn männliche Zauberkundige, sofern sie stark genug sind, können ebenfalls Macht über die sogenannten Kinder der Nacht erringen. Also wäre es auch eine mächtige Waffe für den Emporkömmling, sehr geehrte Lady Daianira, liebe Mitschwestern", beendete Pandora diesen Abschnitt ihres aus der Erinnerung geschöpften Vortrages. Die Schwestern in der großen Versammlungshöhle raunten aufgeregt, manche auch erschüttert.

"Was passiert, wenn dieser Diamant einer Hexe in die Hände fällt?" Fragte eine der anwesenden Mitschwestern.

"Außer daß diese Hexe dann von allen Vampiren als lohnende Jagdbeute betrachtet wird nichts", erläuterte Pandora trocken. Dann fügte sie noch hinzu: "Es sei denn, der Diamant wird im fließenden Wasser versenkt. Dann würde er weder geortet noch erreicht werden können."

"Damit kommen wir zu der Frage, die mich jetzt beschäftigt, liebe Mitschwestern", ergriff Lady Daianira für kurze Zeit wieder das Wort. "Was geschieht mit den existierenden Vampiren, wenn der Stein nicht einfach versteckt, sondern unwiederbringlich vernichtet würde?"

"Nun, was genau passiert kann natürlich keiner wissen, weil der Mitternachtsdiamant in seiner Art einmalig ist, Mylady. Aber was die meisten Vampire vermuten ist, daß ihre gesamte Kraft von diesem Stein in der Waage gehalten wird. Wird er zerstört, könnte alle bekannte Kraft von den Vampiren abfließen oder sich bei einzelnen Exemplaren verdichten. Am mondphasenbedingten Verhalten dürfte das nichts ändern."

"Weil mir gesagt wurde, Vampire verlören dann jede Selbstbeherrschung und würden zu reißenden Bestien wie Werwölfe", wandte Daianira ein.

"Nun, klar daß ein Vampir eine derartige Auskunft gibt, wenn er oder sie nach den Folgen gefragt wird, wenn der Stein zerstört wird. Hexen und Zauberern wird ja auch nachgesagt, daß sie für die Hinwendung zur Magie in der Hölle landen würden", erwiderte Pandora. Amüsiertes Gelächter war die Antwort darauf. Lady Daianira fragte, woher Pandora das alles wisse. Diese zitierte ein paar alte und seltene Bücher. Lady Daianira bedankte sich für diesen Kurzvortrag. Dann wollte sie noch wissen, ob jemand wisse, wo der Stein sich jetzt befände. Doch darauf konnte keine etwas antworten. Auch Pandora, die als die Expertin für Zaubereigeschichte in diesem erlauchten Kreis galt, konnte darauf keine Antwort geben. Dann fragte Daianira, ob sie Nyx helfen sollten, diesen Stein zu erobern. Die meisten hatten Bedenken und waren eher dafür, den Stein zu zerstören, wenn sie ihn fanden oder ihn wie Pandora sagte im fließenden Wasser zu versenken.

"Gut, dann werde ich zum Schein darauf eingehen, mit dieser Vampirin diesen Stein zu suchen", sagte Lady Daianira. "Allerdings ist die Vorstellung, einem hundertmal stärkeren Vampir zu begegnen sehr unheimlich. Man mag sich nicht ausdenken, was ein solcher Machtträger anstellen kann."

"Sollen wir losen, wer dich begleitet?" Fragte Donata Archstone, die ebenfalls dem erlauchtem Kreis beiwohnte.

"Ich werde nur mit einer diesen Stein suchen: Schwester Pandora", sagte Daianira. Totale Stille erfüllte den Raum. "Wir brechen gleich morgen Früh auf, wenn wir in meiner Bibliothek die möglichen Verstecke für diesen Stein nachgeschlagen haben." Pandora Straton erkannte, daß sie sich diese Suppe selbst eingebrockt hatte. Nicht immer war es gut, für etwas die Expertin zu sein.

"Was machst du, wenn der Emporkömmling selbst nach dem Stein sucht?" Fragte Donata Archstone.

"Dazu müßte er wissen, daß Dserschinski ihn aus seinem Versteck holen lassen will", sagte Daianira. "Gut, setzen wir mal das schlimmste voraus und unterstellen ihm, daß er das weiß. Dann wird er sicherlich mit einer gewissen Rückendeckung anrücken. Es wäre selbstmörderisch, im großen Tross zu reisen, Schwestern. Denn zum einen wissen wir ja nicht, wo genau dieser Stein zu finden ist. Zum anderen ist es wenig sinnvoll, so viele auf einmal von uns einer unmittelbaren Gefahr auszusetzen. Daher werden Schwester Pandora und ich als einzige Reisen, um im Zweifelsfall auch schnell wegzukommen. Wir sind uns einig, daß die Zerstörung des Steines das oberste Ziel ist, da wir ihn nicht benutzen können." Alle Anwesenden nickten zustimmend. "Dann sei es. Schwester Pandora, begleite mich nach dieser Versammlung in mein Landhaus! Dort werden wir befinden, wie und wo wir den Stein suchen."

"Was werdet ihr Lady Nyx sagen?" Fragte Patricia Straton.

"Das ich mir ihr Angebot überlegt habe und es lieber sehe, daß der Stein nicht einem Dunkelmondler in die Hände fällt. Womöglich kann sie mich dann führen. Allerdings müßten wir dann lichtdicht abschließbare Transportmöglichkeiten ersinnen, um die Vampirin zu transportieren."

"Nehmen wir doch einen Sarg", warf eine der Mitschwestern nicht ganz so ernst gemeint ein, erntete dafür nur ein leises Kichern.

"Die Muggel haben Metalltanks, an die Luftflaschen angeschlossen werden können. Wenn sie schon nicht apparieren kann, könnten wir sie damit transportieren", schlug Patricia Straton vor.

"Wenn du es schaffst, einen solchen Tank zu beschaffen, ohne Muggel oder Strafverfolgungszauberer auf uns aufmerksam zu machen, dann bitte, Schwester Patricia!"

"Wenn du heute noch aufbrechen willst, kann ich dir in drei Stunden so einen Metalltank besorgen. Am besten kleben wir den noch mehrfach mit schwarzer Folie zu, um wirklich alles Sonnenlicht auszusperren. Ich glaube nur nicht, daß ihre Ladyschaft Nyx damit sonderlich einverstanden sein wird."

"Das soll nicht deine Sorge sein, Schwester Patricia. Nun denn. Beschließen wir die Unterredung!" Sagte Lady Daianira.

Als alle sich zum Abschied ansahen, mentiloquierte Patricia: "Pass ja auf dich auf, Mom!"

"Informiere Anthelia!" Schickte Pandora zurück. Dann folgte sie Lady Daianira, hielt sich an ihrem Arm fest und disapparierte mit ihr. Patricia war plötzlich alleine in der dunklen Versammlungshöhle. Innerhalb von nur einer halben Stunde hatte ihre Welt einen Hüpfer getan, als wolle sie aus ihrer bisherigen Bahn ausbrechen. Ihre Mutter sollte Daianira und diese wahrlich lichtscheue Lady Nyx auf einen Einsatz begleiten, bei dem jeder jede hintergehen mochte. Denn nachdem, was ihre Mutter über den Kraftzuwachs des Diamanten erzählt hatte, konnte sich Patricia sehr gut vorstellen, daß Nyx diese Informationen ebenfalls hatte und darauf spekulierte, Daianira sofort zu hintergehen, wenn sie den Stein hatte. Doch die Führerin der entschlossenen Schwestern war nicht dumm. Sie rechnete wohl damit, daß der Stein in Nyx' Händen zur gefährlichen Waffe gegen sie selbst werden mochte. Andererseits mußten sie etwas tun. Sie konnten schließlich nicht zulassen, daß entweder der mordlüsterne Hexenmeister aus England oder ein um seine Macht geprällter Vampirfürst Macht über mehrere Dutzend oder Hundert Vampire erhalten würde. sie blieb noch einige Minuten in der leeren Höhle zurück. Nur das ab und an vernehmliche Auftreffen von Wassertropfen auf Kalksteinboden durchbrach diese Stille wie nach dem Ende aller Tage. Dann krachte es laut, und auch Patricia Straton war fort. Die Höhle war nun völlig leer, still und dunkel.

__________

"Mann, Loli, womit habe ich so'ne Superbraut wie dich verdient", keuchte der schweißgebadete junge Mann, der wieder einmal einen Ausflug ins Paradies erlebt hatte. Zumindest nannte er das so, wenn er mit seiner heimlichen Geliebten zusammen war und dann all die Wünsche erfüllt bekam, die er von seiner angetrauten Frau nicht erfüllt bekommen würde, nachdem er seine genetische Pflicht als Arterhaltungshelfer zweimal erfüllt hatte.

"Mit recht vielleicht", erwiderte die Frau neben ihm und streichelte ihren Liebhaber zärtlich. Die wohligen Anstrengungen der letzten halben Stunde schienen ihr mehr Kraft gegeben zu haben als sie kosteten. Mit leicht geröteten Wangen auf dem ansonsten milchkaffeehellbraunem Gesicht kuschelte sie sich an ihn und schnurrte ihm ins Ohr, daß er immer noch sehr viel Ausdauer hätte.

"Ich muß mehr Sport machen", keuchte Lolis Liebhaber. "Wenn ich so kaputt nach Hause komme merkt Pepa doch noch was. In meinem Job kann ich nicht so heftig ausgepumpt werden wie bei dir hier."

"Och, aber trotzdem kommst du immer wieder zu mir oder hast nichts dagegen, daß ich mit dir wohin gehe?" Schnurrte Loli und umfing ihren heimlichen Liebhaber mit ihrem linken Arm.

"Das weißt du doch, daß du die beste bist", sagte der Mann und erwiderte die Liebkosungen seiner Geliebten. Dann fanden sie noch einmal zusammen, erst behutsam, dann immer wilder.

"So ausgelaugt kannst du nicht gewesen sein", säuselte Loli, als sie sich wieder voneinander lösten.

"Ich kann eben nicht genug von dir kriegen", sagte der nun total erschöpfte Mann.

"Ich auch nicht von dir, Sergio. Aber ich denke, hier sollten wir erst einmal aufhören", erwiderte Loli sanft. "Wann wirst du zu Hause zurückerwartet, Sergio?"

"In vier Stunden", schnaufte Sergio.

"Oh, dann schlaf dich besser aus!" Entgegnete seine Traumgeliebte. "Hier stört uns ja keiner."

"Hast recht", erwiderte Sergio, gähnte und fiel fast übergangslos in einen wohltuenden Schlaf.

"Oha, ich sollte doch vorsichtiger bei ihm sein", dachte das Wesen, daß sich unter den gewöhnlichen Menschen Loli nannte. Für sie waren die zwei hintereinander folgenden Liebesakte die vorrangige Ernährungsweise. Doch dabei galt es, diejenigen, von denen sie sich ernährte, nicht bis zum Tode oder der völligen geistigen Umnachtung auszuzehren. Doch im Moment störte sie etwas hier am abgelegenen Waldrand von San Sebastian. Sie hatte das Gefühl verspürt, als wenn sie beobachtet würde. So blickte sie sich um, bevor sie mit ihren übernatürlichen Spürsinnen die pulsierende Lebenskraftaura eines Mannes erkennen konnte, der keine hundert Meter entfernt hinter einem Busch hockte. Sie erhob sich von der Daunendecke, die sie zu ihren heimlichen Treffen mit Sergio mitnahm und ging völlig unbekleidet in die Richtung, wo der Fremde saß, der nun, wo sich die makellos schöne Frau mit der hellbraunen Haut und dem nun etwas zerzausten, nachtschwarzen Haar auf ihn zubewegte, wie versteinert dastand. Dann verschwand sie völlig Geräuschlos im Nichts.

Marco Ramirez arbeitete schon seit zwanzig Jahren als Privatdetektiv. Eifersüchtige Ehepartner, mißtrauische Versicherungsgesellschaften und in Beweisnot geratene Rechtsanwälte waren eine immer sprudelnde Einnahmequelle. Auch jetzt war er im Auftrag einer argwöhnisch gewordenen Ehefrau unterwegs, die den Verdacht hatte, ihr Mann Sergio ginge fremd. Er lobte die Eifersucht, die seinen Job so nötig und einträglich machte, dachte dabei nicht an die Folgen seiner Untersuchungsergebnisse. Tja, und jetzt, wo er gerade mit schwer unterdrückter Begierde hatte zusehen und auf Video aufzeichnen können, wie der Mann seiner derzeitigen Klientin sich mit dieser bildschönen und rassigen Frau nach allen Regeln der Liebeskunst austobte, dachte er nicht daran, was diesem Mann blühen mochte, wenn er ihn seiner Frau auslieferte oder wer diese überragende Geliebte war. Er kannte sich mit Callgirls und anderen Prostituierten aus, wußte auch um die oft zitierten Affären zwischen leitenden Angestellten und ihren Sekretärinnen. Doch diese Frau da paßte nicht in eine dieser Schubladen. Sie mochte wohl mal als Hure angeschafft haben, vielleicht vor zehn Jahren oder soetwas. Aber was sie jetzt war ... Sollte er das noch rauskriegen, um den Sack endgültig zuzuschnüren?

Ihm blieb die Luft weg, als die von ihm heimlich ausgespähte Frau sich von der Decke erhob und so nackt und unbekümmert wie ein neugeborenes Kind im schwindenden Sonnenlicht badete, bevor sie auf ihn zukam. Sie kam auf ihn zu? - Marco Ramirez stutzte. Dann befand er, daß er besser nicht hinter dem Busch hocken bleiben sollte und raffte seine Spionageausrüstung zusammen. Da erschrak er. Dieses Superweib hatte sich von einem Moment zum nächsten in Luft aufgelöst. Sie war ganz einfach verschwunden.

"Hat es dich angewidert oder erregt, Fremder?" Fragte eine amüsierte Frauenstimme direkt hinter Marco. Der dunkelbraunhaarige Detektiv wirbelte herum und sah ... sie! Immer noch völlig unbekleidet, das leicht zerzauste Haar lässig über ihre Schultern geworfen stand sie lächelnd vor ihm. Er öffnete den Mund, um was zu sagen, als sein Blick von dem der wasserblauen Augen eingefangen wurde. Er meinte, in zwei tiefe Seen zugleich einzutauchen und dabei völlig schwerelos und unbekümmert zu werden. "Oja, es hat dich schon angeregt", schnurrte die Fremde. Doch Ramirez hörte es wie in einem Traum. "Wie mißtrauisch doch diese Welt ist. Da meint diese Kurzlebige doch, ihren Mann vor dem Rest der Welt verstecken zu können, ohne ihm was dafür bieten zu können und schickt einen Späher wie dich aus. Nicht aufregen! Bleib ganz entspannt. Ich bringe dich nicht um. Da hätten Sergio und ich doch nichts von. Zeig mir mal dieses Video, was du von mir und Sergio gemacht hast, Süßer!" Marco Ramirez befolgte diese Anweisung wie unter Hypnose. Er bedachte nicht einmal, daß er gerade aufgeflogen war. Die unbekümmert dastehende Erscheinung besah sich die Aufnahme, auf der nur Sergio zu sehen war, und dieser zwischendurch auch sehr verschwommen.

"Oh, die Qualität ist aber sehr schlecht. Abgesehen davon würde Sergios Frau dir nicht glauben daß ihr Mann eine Geliebte hat", säuselte Loli amüsiert. "Das machen wir anders." Sie gab Marco das Aufnahmegerät zurück, der es wort- und willenlos in der Tragetasche verstaute. Dann brachte sie ihn dazu, seine spärlichen Kleidungsstücke abzulegen. Als sie ihm dann gab, wovon sie Sergio gegeben hatte und dabei nahm, was sie von diesem genommen hatte sprach sie wortlos in die Gedanken des wie in einem heftigen Rausch dahintreibenden Mann ein:

"Du bringst Señora Marquez bitte folgende Botschaft: Du hast ihren Mann erst um zehn Uhr abends aus seinem Büro kommen sehen können, und zwar alleine. Die anderen Mitarbeiter waren da schon lange weg. Es sei dir nicht wichtig gewesen, das aufzunehmen. Wenn du das ganz brav weitergibst, kannst du jederzeit zu mir kommen, um deine geheimen Wünsche auszuleben, Marquito."

"Wer bist du?" Fragte Marco wie in Trance.

"Für dich Teresa", sagte die unheimlich schöne wie übernatürliche Erscheinung, bevor sie Marco Ramirez aus ihrer übersinnlichen Gewalt freigab und einfach verschwand. Marco Ramirez löschte wie auf Autopilot geschaltet die Videoaufzeichnung und nahm eine Stunde lang den auf das Objektiv gesetzten Kameraverschluß auf, was im ganzen eine Stunde beinahe völliger Dunkelheit ergab. Dann, immer noch wie auf Autopilot gestellt, verließ er die verschwiegene Waldlichtung und kehrte zu seinem knapp fünfhundert Meter entfernten blauen Kleinwagen zurück, der in den Straßen unauffällig und wendig war, aber durch eine Verstärkung der Motorleistung einem schnittigen Sportcoupé folgen konnte, wenn er mußte. Das Marco Ramirez von nun an nicht mehr über sein Leben bestimmte kam ihm nicht in den Sinn. Er hatte seinen Auftrag erledigt, und das mußte halt reichen.

__________

Das Wesen, daß sich für Sergio Loli und für Marco Ramirez Teresa nannte war zufrieden. Nicht nur, daß sie ihren Abhängigen nicht verloren hatte, sondern sie hatte auch einen weiteren Hingebungsvollen Spender für körperlich-seelische Energie erschlossen, dessen Beruf ihr sicherlich noch gute Dienste leisten konnte. Als sie von Sergio in die Stadt zurückgebracht worden war gab sie ihm durch einen langen Abschiedskuß ein wenig von der in sich aufgenommenen Essenz zurück, so daß er nun doch wesentlich erholter zu seiner Angetrauten und seiner fleischlichen Brut zurückkehren konnte. Sie selbst verschwand, als sie um eine Hausecke gebogen war, laut- und übergangslos in leerer Luft. In einer künstlich erschaffenen Höhle unter der Erde tauchte sie wieder auf und ließ die Ereignisse der letzten Tage vor ihrem geistigen Auge vorbeihuschen. Sie mußte sich eingestehen daß es schon etwas langweiliger geworden war, seitdem sie gegen Hirudazo und Espinado gekämpft hatte und dabei diese unverschämt gut beschützte Frau, Maria Montes, getroffen hatte. Nachdem sie aus dem ihr aufgezwungenen Schlaf wiedererwacht war, hatte sie nach dieser Frau gesucht. Denn nun war ihr klar, daß sie das siebte Kind Ashtarias gefunden hatte. Ihre wache Schwester hatte immer behauptet, von Ashtarias verfluchter Blutlinie habe es nur sechs Zweige gegeben. Doch sie hatte immer wieder daran gedacht, daß Ashtaria sieben Kinder geboren hatte, fünf Söhne und zwei Töchter, die alle in geschlechtsgleicher Nachfolge das Erbe dieser überbehütsamen, viel zu umsorgenden Übermutter erhalten hatten. Besonders verhaßt war ihr und allen ihren Schwestern der Umstand, daß Ashtaria die ältere Schwester von Lahilliota, ihrer Leiblichen Mutter war, also eine Tante jenes Wesens, das sich unter den Menschen Maria Teresa Dolores Herrero, Loli oder Teresa nannte. Nachdem dann noch ihre ausgehungerte und machtgierige Schwester Hallitti mit ihrem weltweiten Todesschrei für einen kurzen Aufruhr gesorgt hatte, weil die beiden noch wachen Schwestern vermutet hatten, sie würde sich in einer von ihnen als ungeborenes Kind wiederfinden, es aber bis zu diesem Tag nicht dazu gekommen war, hatte sie, Itoluhila, die Tochter des schwarzen Wassers, wieder zu ihrem unauffälligem Dasein zurückgefunden. Zwischendurch hatte sie mal einen von Hirudazos verbliebenen Anhängern aus Sevilla verjagen müssen, weil der Vampir wohl meinte, in den Menschenstädten sorglos auf Beute ausgehen zu können. Die Forderung ihrer noch wachen Schwester, die Vernichtung Hallittis zu rächen, hatte sie mit dem Satz abgeschmettert: "Sie hat es darauf angelegt, Schwester." Danach hatte sie von ihrer wie sie noch wach umherwandelnden Schwester kein Wort mehr gehört. Bis zu dieser Nacht, die Nacht vom dritten auf den vierten Juli.

Irgendwie hatte sie dieses Gefühl ein wenig vermißt, erkannte Itoluhila, als ein sanftes Tasten ihren Geist erreichte, und sie darin ihren Namen flüstern hörte. Dann vernahm sie die gedankliche Nähe ihrer Schwester.

"Ah, lange nichts mehr von dir gehört, Ilithula", grüßte Itoluhila ihre Schwester.

"Glaube nicht, daß ich dein unschwesterliches Gebahren vergessen hätte", hörte sie die aus weiter Ferne zu ihr dringende Geistesstimme. "Wir hätten den oder diejenigen bestrafen müssen, die Hallitti aus dieser Welt geschleudert haben."

"Sei lieber froh, daß du sie nicht in Mütterlicher Fürsorge neu in diese Welt zurückzwengen mußtest. Also hast du einen Grund, warum du dein Schweigen brichst, nehme ich an."

"Deine Unverschämtheiten muß ich diesmal wohl ertragen", hörte sie ein verdrossenes Seufzen zurück. "Ja, ich habe einen Grund. Du erinnerst dich doch ganz bestimmt noch daran, wie sich die blassen Blutegel um den Sklavenstein des Mitternächtigen geschlagen haben."

"Der Sklavenstein? Der schwarze Diamant, der von diesen Blutsaugern wie das Herz der Welt verehrt wird?" Wollte Itoluhila wissen.

"Eben jener, Schwester", schnarrte die Gedankenstimme. "Es ist bekannt, daß der Sklavenstein, wenn er von einem der ihm entrungenen Diener in Besitz genommen wird, dessen Kraft vervielfacht und ihn zum Herrn der Blutsauger macht. Dann würde sich dieses Gewürm noch weiter ausbreiten und uns die Nahrung streitig machen."

"Diesen Stein gibt's doch schon länger als uns, Schwester. Doch wir können heute noch wunderbar leben", erwiderte Itoluhila. "Außerdem hat Lunova Dserschinski ihn damals verstecken müssen, weil sich zu viele Artgenossen um dieses Schmuckstück geschlagen haben."

"Wohl wahr. Und wir konnten nicht ergründen, wo es liegt. Es wäre doch wirklich schön, wenn wir es zerstören könnten."

"Mit vereinten Kräften bestimmt", schickte Itoluhila eine Antwort zurück. "Der Mitternächtige hat die Magie der völligen Dunkelheit darin gebündelt. Eine alleine kann diesen Stein wohl nicht zerstören."

"Natürlich kann eine von uns alleine diesen Stein zerstören oder seine Kraft für die Blutsauger ungreifbar machen. Und jetzt ergibt sich die Gelegenheit dazu. Ich habe vor drei Nächten einen meiner Hörigen, der Verbindungen zu dieser lästigen Bande des blauen Morgendsterns hat, gründlich ausgehorcht. Offenbar fürchten die fangzähnigen Bleichfratzen bei uns, daß einer von ihnen demnächst den Sklavenstein, den sie den erhabenen Stein nennen, aus dem Versteck holen und benutzen könnte. Ich habe dann einen dieser Blutegel aus seinem Loch hervorgezerrt und unter Androhung von Sonnenlicht verhört. Er hat mir verraten, wo ungefähr Lunova diesen Stein hingelegt hat. Leider kann ich hier im Moment nicht fort, weil diese Morgensternbande meine Hörigen jagt, um sie mir zu entwinden. Das kann ich nicht zulassen. Deshalb bitte ich dich, Schwester, daß du um unser Weiterbestehen willen an diesen Ort reist und den Stein aus seinem Versteck holst und versuchst, ihn zu zerstören oder dort aufbewahrst, wo kein Blutegel an ihn herankommen kann."

"Wer sagt dir, daß ich nicht auf meine Hörigen aufpassen muß, Schwester. Erst gestern mußte ich einen Späher der Kurzlebigen davon abhalten, der einem meiner Hörigen zugesprochenen Gefährtin mitzuteilen, daß er mit mir zusammen ist. Das kann sich jederzeit wiederholen. - Aber ich seh's ein, daß wir diesen nachtschwärmenden Blutsaugern endlich den Garaus machen sollten. Nachher bildet sich einer von denen noch ein, uns angreifen zu können. So sei es, Ilithula, Schwester des düsteren Windes. Ich werde den Sklavenstein holen. Wo liegt er?"

Er ruht in einem von starken Abwehrzaubern beschützten Verlies unter dem Zla Kotala, dem höchsten der schwarzen Berge, deren italienische Bezeichnung dem Land den weltweit bekannten Namen Montenegro eingetragen haben. Von der Ostflanke her ist er zu erreichen. Doch sei auf der Hut. Soweit ich weiß herrschte dort vor tausend Jahren ein Dunkelmagier, der sein Versteck mit mehreren Verhüll- und Verteidigungszaubern umkleidet hat. Sie stellen wohl kein Problem für uns dar, sollten aber trotzdem behutsam angegangen werden. Der Stein strahlt bestimmt große Kraft aus."

"Nun, so werde ich den Stein holen und nach möglichkeit vernichten, wenn mir nichts einfällt, ihn gegen die Blutegel selbst einzusetzen."

"Geh davon aus, daß andere Blutegel und ihnen gefällige Kurzlebige ihn ebenfalls suchen!" Schickte Ilithula zurück.

"Solange sie meine Schlafstätte nicht kennen werde ich damit fertig", erwiderte das Wesen, das sich bei den Menschen Loli nannte.

"Nun, jetzt wissen wir ja, daß Mutters Verheißung, daß wir einander neu gebären müssen, wenn der angeborene Körper vernichtet wird, nicht zutrifft. Falls es jedoch nur an der Entfernung zu Hallitti lag und du bei diesem Einsatz deinen Körper verlierst ..."

"Werde ich dir, sobald ich es kann, kräftig in den Leib treten und dir heftigstes Leiden bereiten, bevor ich in diese Welt zurückkehre", schnaubte Itoluhila.

"Glaube nicht, daß ich dich dann wie ein beliebiges Kind lieben oder fürsorglich behandeln werde", schnarrte Itoluhilas Schwester. Dann verabschiedete sie sich und entfernte sich aus Itoluhilas Geist.

"Nun, dann werde ich mir morgen diesen Stein holen. Womöglich kann ich damit alle Blutegel auf einmal ins Meer treiben oder zum langen Sonnenbad kommandieren", dachte Itoluhila. Dann legte sie sich auf ihre Strohmatte nahe bei einem golden strahlenden Krug, der groß genug war, einen ausgewachsenen Menschen in sich aufzunehmen.

__________

"Aha, dieser Stein existiert noch", bemerkte Anthelia amüsiert. patricia Straton hatte ihr umgehend von der kurzfristig einberufenen Versammlung der entschlossenen Schwestern berichtet und auch eingestanden, daß sie sich Sorgen um ihre Mutter machte. Anthelia schien diese Neuigkeit eher zu erheitern als zu beunruhigen. Sie saß ruhig da, lächelte und sagte dann noch: "Ich ging davon aus, daß irgendwer, der die Gewalt über Vampire erringen wollte sich dieses nette Kleinod vor Jahrhunderten schon verschafft hätte. Meine Tante hat jedoch herausbekommen, daß dieser Stein nur von männlichen Magiern oder eben einem Vampir ohne Ansehen des Geschlechtes benutzt werden kann und daher ihr Interesse daran verloren. Insofern ist es schon ein Ziel, ihn zu vernichten. Aber ich erfuhr auch, daß der, der diesen Stein erschuf, gewaltige Mengen dunkler Magie darin vereinigt hat. Diese verstärkt sich, je mehr Vampire auf der Welt herumlaufen. Ihn zu vernichten könnte also ähnliche Verheerungen anrichten wie die Vernichtung von Hallittis Lebenskrug. Vielleicht sollte ich mit Daianira reden, daß sie diesen Stein besser nur an einem unzugänglichen Ort versteckt."

"Dann wüßte sie, daß von ihrer Geheimsitzung was verraten wurde", sagte Patricia erschrocken.

"Sie weiß doch, daß bereits welche von euch für mich genauso tätig sind wie für sie. Sie wüßte dann immer noch nicht, wer sie auskundschaftet und verrät. Aber du hast recht. Ihr zu offenbaren, daß ich nun im Bilde bin könnte die Angelegenheit unnötig erschweren. Allerdings werde ich deshalb nicht hier herumsitzen und abwarten, wer das nun ausgerufene Wettrennen um dieses uralte Artefakt gewinnt, weil ich mit keinem Sieger wirklich glücklich sein kann. Wenn der Waisenknabe Hand an den Mitternachtsdiamanten legt könnte er die absolute Macht über alle Vampire erringen und sie wie seine lebenden Toten und die Golems in die Schlacht wider seine Feinde schicken, zu denen zu gehören wir uns wohl schmeicheln müssen. Erringt dieser Dserschinski diesen Stein, ist er der kaiser aller Vampire und verfügt über gleichstarke Kraft wie jene verfemten Abgrundstöchter ... Mercredi! Auch diese dürften, sofern sie davon erfahren, daß jemand ihn nicht nur besitzen sondern auch benutzen will darauf ausgehen, ihn zu stehlen, und sei es, um ihn allen Vampiren zu entziehen, die sie ja wie eine Rattenplage ansehen. Dann will diese Lady Nyx, die sich um ihren Blutdurst zu stillen als einfache Dirne verdingt hat den Stein haben, entweder weil sie ihn dem Dunkelmondler Dserschinski nicht gönnt, nicht seine oder eines anderen willige Sklavin zu werden wünscht oder selbst die Herrin aller Vampire zu werden beabsichtigt. Ist der guten Daianira bewußt, daß sie dieser Vampirin den Weg freiräumen soll, um dann aus Dankbarkeit von ihr ausgesaugt oder zu einer ihr fügsamen Artgenossin gemacht zu werden?"

"Sie hat ein goldenes Amulett, daß den Herrschern des Inka-Reiches gehört haben soll und alle Macht der Sonne in sich bündelt, also insofern ein genaues Gegenmittel zu dem Mitternachtsdiamanten", sagte Patricia. "Es wehrt alle Kreaturen der Nacht sicher ab."

"Ja, auch dieses Artefakt kenne ich. Es wurde bei der Conquista, also der gewaltsamen Unterwerfung Mittel- und Südamerikas von Atahualpa an einen seiner treuen Vasallen weitergegeben, damit die weißen Eroberer es ihm nicht wegnehmen konnten. Allerdings wirkt es nicht mit ganzer Kraft, wenn es von einem anderen als einem wahren Sohn der Sonne getragen wird. Die Magier unter den Priestern dieses Volkes wirkten treffliche Schutzzauber darin ein, der es vor Mißbrauch schützt. Könnte also sein, daß Daianira, wie auch immer sie an dieses hochpotente Artefakt gelangt ist, damit nichts gegen eine durch die Macht des Mitternachtsdiamanten vielfach gestärkte Vampirin ausrichten kann, weil sie eben kein Sohn der Sonne ist."

"Das wußte ich nicht, höchste Schwester", antwortete Patricia. "Meine Mutter sagte mir nur darüber, daß es die Inkas gemacht und bezaubert haben und es die Kraft ihres Hauptgottes Inti in sich vereint."

"Kann sein, daß Daianira das nicht weiß, wie schwach dieses Schmuckstück in ihren Händen ist. Kann auch sein, daß sie nicht alles darüber erzählt, was sie weiß."

"Meine Mutter hat das selbst in langen Forschungen recherchiert", sagte Patricia.

"Und ihr Wissen an Lady Daianira weitergegeben?" Erkundigte sich Anthelia in einer Weise, daß sie wohl ein Ja als Antwort erwartete.

"Natürlich", bestätigte Patricia Anthelias vermutung.

"Nun, dann hat sie wohl ein Problem", sagte Anthelia etwas verdrossen. "Noch ein Grund mehr, hier nicht untätig herumzusitzen. Du, Schwester Patricia, wirst die Bewachung von Cecil Wellington übernehmen. ... Nein, sieh mich nicht so vorwurfsvoll an! Ich kann und werde für diese Aufgabe nur mit den Schwestern zusammenarbeiten, die ausreichende Erfahrung im magischen Duell sowie Kenntnisse über Vampire besitzen."

"Aber meine Mutter soll mit Lady Daianira dort hinreisen. Sie ist doch bestimmt in großer Gefahr", wandte Patricia ein. Anthelia sah sie nun sehr streng an und sagte laut und unerbittlich:

"Genau deshalb bleibst du in der Nähe von Cecil Wellington, weil ich will, daß eure Blutlinie weiterbestehen kann, sollte deiner Mutter etwas zustoßen, was nicht in meinem Interesse ist und auch nicht in dem Daianiras. Aber ich werde euch nach der Vernichtung Hallittis nicht noch einmal beide zugleich einer solch großen Gefahr aussetzen. Bleibe also bei dem Jungen! Wirst du diese Anweisung ausführen oder muß ich dich zur Einhaltung meiner Anweisung zwingen?""

"Ich werde hierbleiben und auf den Jungen aufpassen", seufzte Patricia.

"Ich habe gehofft, daß du vernünftig genug bist, Schwester Patricia", erwiderte Anthelia darauf. "Dann geh und löse Schwester Tyche ab! Sie Hält außerhalb der Grundstücksgrenze wache."

"Natürlich, höchste Schwester", seufzte Patricia und disapparierte. Anthelia überlegte, wie sie Daianira folgen konnte. Da fiel ihr ein, wie sie damals den pferdelosen Wagen dieser Mörderbande überwacht hatten. Patricia hatte gesagt, einen solchen Metalltank zu besorgen, der luftdicht und vor allem Lichtdicht sein sollte. Sie hatte nach der Sitzung jemanden von einer Firma, die solche Geräte herstellte per Imperius-Fluch angewiesen, einen zwei Meter großen Tank mit Gasanschlußventilen beiseite zu schaffen. Sie wußte wo dieser Metallbehälter auf Lady Daianira wartete und disapparierte keine zwei Minuten nachdem Patricia sie verlassen hatte.

__________

Jeff Parker wirkte äußerlich unverändert. Der dreiundvierzigjährige Lagerverwalter der Enduring-Hardware-Kompanie in der Nähe von Chicago begutachtete die hier auf Halde liegenden Produkte, die das Stahlwerk vor einem Tag verlassen hatten. Die Begegnung mit einer jungen Frau mit dunkelbraunen Haaren und grünen Augen, die vor fünf Minuten mitten in seinem Büro wie aus dem Nichts getreten war hatte außer ihm keiner mitbekommen. Jetzt suchte er auf Grund einer in ihn direkt hineingewirkten Anweisung dieser jungen Frau einen etwa zwei Meter langen und einen Meter hohen Gastank aus, um diesen dann als angeblich fehlproduziert zu erklären. Als er einen entsprechenden Behälter gefunden hatte holte er persönlich einen der elektrisch betriebenen Gabelstapler und bugsierte den Metalltank in die Lagerhalle, wo eigentlich nur der Ausschuss der Produktion gelagert wurde, um bei nächster Gelegenheit eingeschmolzen und wiederverwertet zu werden. Als er seine Last zwischen einen leicht verbogenen Stahlträger und einen rissig aussehenden Kleincontainer abgesetzt hatte, fühlte er sich irgendwie erleichtert. Er hatte den Auftrag ausgeführt. Nicht einen Moment lang kam ihm der Gedanke, sich zu fragen, warum er diesen doch perfekt ausgefallenen Gastank beiseite schaffen sollte. Er kehrte in sein Büro zurück und notierte die Auslagerung des Behälters, so daß bei einer Inventur kein Verdacht aufkommen würde.

Als Parker fort war flimmerte die Luft in der Nähe des ausrangierten Tanks, und eine andere fremde Frau mit strohblonden Haaren in einem roten Sommerkleid erschien. Sie griff mit der linken Hand nach ihrem Haarschopf, fingerte sich eine einzelne Strähne zurecht und zupfte sie aus. Dabei verzog sich für einen Sekundenbruchteil ihr helles, sommersprossiges Gesicht. Dann legte sie die ausgerupfte Haarsträhne auf den Metalltank, griff in ihr Kleid und zog einen silbergrauen Stab heraus, mit dessen Spitze sie das aufgelegte Haar berührte und leise fremdartige Wörter sprach. Das Haar erglühte in einem grünen Licht. Es verdampfte restlos. Darauf erglühte nun der ganze Tank in diesem grünen Schimmer, zehn Sekunden lang. Dann erlosch das Licht wieder. Anthelia, die ungebetene Besucherin dieser Lagerhalle, blickte noch einmal auf ihr Werk. Nun konnte sie den Tank über große Entfernungen hinweg aufspüren und verfolgen. Vampire, so wußte sie, besaßen zwar einen Spürsinn für Magie in Lebewesen, aber nicht für bezauberte tote Materie, sofern der Zauber nicht auch mit normalen Sinnen erfaßt werden konnte. Nur wenn Daianira oder Pandora Straton die Idee haben sollte, den Tank mit dem Localisatus-Inanimatus-Zauber zu belegen könnte ihre Zauberei ruchbar werden. Denn bereits damit bezauberte Gegenstände konnten nicht ein zweites Mal bezaubert werden, bevor der erste Zauber nicht durch einen Reversus-Incantato-Zauber aufgehoben wurde. Sie disapparierte so leise sie konnte. Keine Überwachungsanlage hatte sie registriert. Die Überwachungskameras beobachteten nur die großen Eingangspforten.

__________

Nocturnus fühlte sich hundeelend. Dieser verflixte Zauber, den ihm der dunkle Lord aufgehalst hatte, rumorte in ihm wie eine ganze Bande ungeborener Kinder. Was hatte der dunkle Lord gesagt? Er müsse nur Lunova Dserschinskis Hand nehmen, um diesen Zauber wieder loszuwerden. Sonst würde dieser ihn nach einer Nacht immer schweerfälliger machen und dann mit Urgewalt aus ihm herausplatzen und ihn dabei töten. Er hatte Angst vor diesem Lord, den selbst ein Geschöpf wie er nicht freiwillig beim Namen nannte. Und weil er Angst vor diesem Kerl hatte, haßte er ihn abgrundtief. Doch er wollte auch nicht, daß Igor Dserschinski der Herr über den Mitternachtsdiamanten wurde. So verließ er seinen Unterschlupf in einer versteckten Grotte in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze und verwandelte sich im Licht des Mondes in eine menschengroße Fledermaus. Schwerfällig hob er vom Boden ab und erklomm mehrere hundert Meter Höhe, bevor er nach vorne flog, Fahrt aufnahm und dabei noch weiter stieg. Er fühlte wie er sich der Oder Näherte, sah mit seinen lichtempfindlichen Augen die von einem weiten Hof umgebene Lichtinsel der Grenzstadt Görlitz und mußte sich noch mehr anstrengen als sonst, in ausreichender Entfernung zu dem fließenden Gewässer unter ihm weiterzufliegen, dessen Kraft ihm seine eigene Körperkraft und Ausdauer entzog. Der ihm aufgebürdete Zauber rumpelte nun wie ein übergroßes Herz pulsierend in seinen Eingeweiden, verlieh ihm das Gefühl, einen gewaltigen Felsbrocken im Bauch zu haben, der ihn hinunterzog, hin zu diesem verfluchten Fluß. Doch dann war er über ihn hinweg und flog weiter. Er wußte, wo die Dserschinskis ihr Versteck hatten. Per Postfledermaus hatte er sie um ein Treffen gebeten, weil er mit ihnen das weitere Vorgehen gegen die noch immer umherfliegenden weißen Fledermäuse Bokanowskis besprechen wollte. Er benötigte zwei Stunden, bis er den neuen Unterschlupf der Dserschinskis unter sich wähnte und die nun doch sehr angestrengten Flughäute einfaltete, um einen Großteil der neunhundert Meter höhe innerhalb von einer halben Minute zu verlieren. Dann fing er den Sturzflug ab und sank fast ohne weitere Flügelbewegung hinunter, bis er gelandet war. Hier stimmte er sich auf seine Rückverwandlung ein. Als diese abgeschlossen war, schlich er für Menschenohren unhörbar auf den niedrigen Busch zu, hinter dem der Einstieg zu einem alten Bunkersystem aus dem letzten großen Krieg der Menschen lag. Hierhin hatten sich die beiden Vampire Igor und Lunova zurückgezogen.

"Fürst Igor, Fürstin Lunova", wisperte er, als er den Einstieg erreicht hatte. Von unten ertönte ein schabendes Geräusch. Dann schob sich die mit Rost überzogene Stahlluke nach oben, klappte knirschend zur Seite. Das bleiche Gesicht eines anderen Vampirs tauchte aus dem dunklen Schlund des Einstiegs auf. Igor persönlich entstieg dem Schacht.

"Ist Eure Frau nicht daheim?" Fragte Nocturnus sofort.

"Erst einmal solltest du mich anständig begrüßen, Nocturnus. Du siehst nicht gerade erholt aus. Hat man dich verjagt, als du dir Blut holen wolltest?"

"Die Reise über diesen verfluchten Fluß zehrt mich immer aus", schnaufte Nocturnus. Igor sah ihn mitleidsvoll an und feixte:

"Solltest höher drüber wegfliegen. Also, was sagt ein guter Diener zu seinem Herrn?"

"Ich grüße Euch, Fürst Igor", sagte Nocturnus und verbeugte sich tief.

"So ist es recht", erwiderte Igor. "Und nun zu Deiner Frage. Meine Frau will wissen, was du neues über diese Fledermäuse herausgefunden hast und ... Irgendwas ist da an dir." Igor sog Luft in seine Nase ein und starrte Nocturnus sehr mißtrauisch an, so daß dieser einen Schritt zurückwich. Igor rückte nach und berührte den Besucher mit seinen dünnen, bleichen Fingern am Bauch. Leicht irritiert zog er seine Hand wieder zurück, während Nocturnus das Gefühl hatte, etwas wolle gleich durch seine Bauchdecke hindurchbrechen, aber dann wie angewidert zurückschrecken.

"Wo kommst du jetzt genau her?" Fragte Igor nun sehr alarmiert klingend.

"Aus Brandenburg, wo ich wohne, Fürst Igor. Wieso?"

"Da ist was in dir, das gefällt mir nicht. Also erzähl mir, wo du dich in den letzten Nächten herumgetrieben hast!"

"In meinem üblichen Revier, Fürst", brachte Nocturnus hervor. Dann sah er, wie sich eine schlanke Frauengestalt aus dem Einstieg herausschwang und neben Igor hintrat.

"Was hat er, Igor?" Fragte Lunova, eine bestimmt einen Meter und siebzig große Vampirin mit schlanken Armen und Beinen und einem schwarzen Lockenkopf.

"Irgendwer hat ihn mit irgendwas beladen, das in ihm drin steckt", knurrte Igor. "Ich werde mir das jetzt genauer vornehmen. Könnte sein, daß er sich mit jemandem getroffen hat, der ihn gegen uns ausspielen will, nicht wahr, Nocturnus?"

"Wer sollte mich gegen Euch ausspielen?" Fragte Nocturnus und blickte auf Lunova. Sie stand noch nicht nahe genug für eine schnelle Berührung. Igor schob sich sogar zwischen ihn und sie.

"Klingt so, als sei ich verflucht worden", brachte Nocturnus mit künstlichem Spott heraus. "Wer sollte das wagen und dann noch leben?"

"Es gibt da nur einen, der sowas wagen und schaffen würde. Also was hast du dem dunklen Lord erzählt, Nocturnus?"

"Der dunkle Lord? Was soll ich mit ihm zu schaffen haben? Er arbeitet doch nur mit Euch zusammen und ..." Sprudelte es aus Nocturnus Mund. Er wußte, daß er gerade enttarnt worden war. Er wollte fliehen. Doch vorher mußte er das Gastgeschenk des dunklen Lords weitergeben. Igor kam auf ihn zu, streckte seine bleichen Hände nach dem Besucher aus. Dieser warf sich zur Seite und schoss nach vorne, traf mit seiner rechten Hand auf Lunovas wange und fühlte, wie etwas aus seinem Bauch durch seinen Arm schnellte und wie ein Strom heißes Wasser durch seine Finger schoss und in Lunovas Körper hinüber. Er fühlte, daß seine Hand nun an ihrem Gesicht festklebte wie Eisen an einem Magneten. Er sah für eine Sekunde jenes grüne Leuchten, das ihn umspielt hatte, als Voldemort ihn mit diesem Zauber belegt hatte. Da packten ihn Igors Hände am Hals und versuchten, ihn niederzuwerfen. Da erlosch das Licht. Nocturnus bekam seine Hände wieder frei und kämpfte nun gegen Igor, während Lunova laut aufschrie, weil das, was Nocturnus auf sie übertragen hatte in ihrem Körper wirkte, sich ausbreitete und dann mit heftigem Schmerz in allen Fasern festhakte.

"Du erbärmlicher Verräter!" Schrillte Igor, dessen Kraft der von Nocturnus ebenbürtig war. "Du widerlicher Rattenbeißer unter dem Mond! Du hast dem dunklen Lord verraten, was ich vorhabe, nicht wahr?"

"Igor, er hat mir was angetan", schrillte Lunova.

"Du hättest dich zurückzihen sollen", keuchte Igor. Nocturnus war nicht leicht zu überwältigen. Er rammte Igor die linke Faust in den Magen und warf ihn dadurch zurück. Er bekam wieder Luft und warf sich herum. Doch Igor und seine Frau stürmten ihm nach.

"Du elender Verräter wolltest meine Frau mit einem Fluch belegen, wie?" Keuchte Dserschinski. "Was für ein gemeiner Zauber ist das? Rede!"

"Niemals", schrie Nocturnus zurück und sprang nach vorne, um sich aus Igors Reichweite zu bringen. Dieser disapparierte einfach und landete keine fünf Meter vor Nocturnus.

"Hast du nicht gedacht, daß ich das noch kann, wie?" Schnarrte Igor, als er mit einem schnellen Sprung Nocturnus erreichte und ihn zu Boden gerissen hatte. "Also erzähl, was das ist!"

"Niemals", röchelte Nocturnus im Würgegriff des Vampirfürsten.

"Ich will das wissen, was du mir angetan hast", schnarrte Lunova, die angelaufen kam. Dann waren beide über dem Verräter, der nun keine Möglichkeit mehr hatte, sich zu befreien. Da passierte etwas, was keiner erwartet hatte. Nocturnus' Körper wurde steif und bretthart. Der überwältigte Vampir erstarrte innerhalb von wenigen Sekunden zu Stein. Er selbst fühlte nur noch, wie ihn eine Eiseskälte durchströmte und stürzte dann in absolute Dunkelheit und Stille. Sein versteinerter Körper wurde immer kälter. Lunova und Igor ließen von ihm ab und starrten mit angstgeweiteten Augen auf den verwandelten Verräter.

"Er ist tot", knurrte Igor. "Was immer er dir noch angehängt hat, Lunova, offenbar sollte er danach sterben."

"Der dunkle Lord hat ihn und mich verhext", wimmerte Lunova. "Er weiß, daß wir uns den erhabenen Stein aus seinem Versteck holen wollen."

"Dann hat er dich töten sollen", knurrte Igor. "Nur du weißt, wo der Stein ist. Das heißt, wir müssen damit rechnen, daß dir auch noch etwas übles passiert."

"Dann muß ich dir sagen, wo der Stein liegt, falls ich sterben sollte", sagte Lunova erschüttert. In ihrem mehr als dreihundertjährigen Leben als Vampirin hatte ihr nichts eine derartige Todesangst einjagen können. Was mit Nocturnus passiert war und wie sie diesen auf sie übertragenen Fluch gespürt hatte war selbst für sie, eine Tochter der Nacht, erschreckend.

"Wir holen uns den Stein zusammen, Lunova. Erzähl mir, wo er ist! Dann werden wir zusammen hinapparieren", sagte Igor.

"Das ist so weit weg. In Montenegro liegt der Stein. Unter der Ruine des dunklen Bergfürsten Goran."

"Da bist du reingekommen?" Fragte Igor. "die Ruine ist doch mit mehreren bösen Zaubern verflucht."

"Es gibt Dinge, die ich dir bis heute nicht erzählt habe, Igor. Eines davon ist, daß ich bevor ich dich zu meinem Gemahl nahm mit einer Nachfahrin Gorans paktiert habe, die das Erbe ihres Urahnen in ihrem Blut trug. Als sie mich hintergehen und töten wollte, habe ich ihr sämtliches Blut aus dem Leib gesogen und damit Gorans Vermächtnis in mich aufgenommen. Da du bei unserer Hochzeit von meinem Blut genossen hast, bist du auch gegen die Magie Gorans gefeit. Aber sollte der Tod mich heimsuchen und nicht so schlagartig eintreten wie bei dem Verräter da, mußt du mir den letzten Kuß geben und damit alle in mir enthaltene Kraft Gorans in dich einfließen lassen."

"Und was, wenn dieser dunkle Lord dich mit einem Fluch verhext hat, der dich für die Zauberei der alten Festung wieder angreifbar gemacht hat? Dann könnte er frohlocken, wenn du unmittelbar getötet wirst, sobald du den erhabenen Stein an dich bringst", widersprach Igor.

"Es ist unsere einzige Möglichkeit. Wenn ich den Stein in Händen halte, kann ich damit jeden von außen wirkenden Zauber abwehren oder aus mir hinaustreiben. Aber dann sollten wir uns gleich in dieser Nacht auf den Weg machen."

"Es ist wohl besser, wenn du hierbleibst und ich den Stein beschaffe, Lunova. Wenn der dunkle Lord erhofft, daß du stirbst, sobald du das Versteck aufsuchst, soll er sich zu früh gefreut haben", entgegnete Lunovas Gatte.

"Klingt irgendwie vernünftig, Igor. Doch ich allein weiß, wo der Stein genau verborgen ist. Deshalb will ich in die unmittelbare Nähe davon, um dir die letzten Anweisungen geben zu können", erwiderte Lunova.

"Nun, was immer dir dieser rotblütige Tyrann angehängt hat, offenbar sollte es dich nicht sofort töten", sagte Igor und betrachtete seine Frau sehr genau. Irgendwie fühlte er den ihr aufgehalsten Zauber in ihr pulsieren. Es kam ihm vor wie eine sich ständig ausdehnende und wieder zusammenziehende nichtstoffliche Wolke, eine Aura dunkler Kraft, die von Lunovas Körper gespeist wurde wie ein ihr anhängender Schmarotzer. .

"Vielleicht kann ich dich mit dem Blutstein reinigen", sagte Igor. "Er duldet nur die Magie der Kinder der Nacht."

"Denkst du, dieser rotblütige Tyrann hätte nicht daran gedacht? Ich fürchte, er hat genau geplant, wie ich mit diesem Fluch zu belegen bin. Er hat Nocturnus mit einem mir geltendem Fluch verhext, der mich dann überkommen sollte, wenn er mich berührt. Ich weiß nicht, ob die Macht des Blutsteins ausreicht, diesen Fluch zu tilgen."

"Wir versuchen es jetzt, bevor wir beide zu unserer kleinen Expedition aufbrechen", beharrte Igor darauf, gegen Voldemorts bösen Zauber vorgehen zu können und disapparierte. Wenige Minuten später kehrte er mit einem faustgroßen Rubin und einer Silberschale zurück. Dann flog er in der Gestalt einer riesenhaften Fledermaus auf und kehrte eine Stunde später mit einem bewußtlosen Kind zurück, dessen Blut in einem Stärkungsritual die entscheidende Kraftquelle sein sollte.

__________

"Es ist kein guter Zeitpunkt, jetzt an zwei Fronten zugleich agieren zu müssen", dachte Anthelia, als sie in ihrem gegen Geisteranwesenheit geschütztem Schlafzimmer saß. Im Haus war es fast still, bis auf das leise Gemurmel der hier zum ewigen Umgehen verdammten Nordstaatensoldaten und Stanley Daggers, dem letzten Besitzer dieses protzigen Plantagenbesitzerhauses. "Eigentlich wollte ich das Kapitel "enthülltes Geheimnis um Cecil Wellington" beenden. Doch jetzt verlangt diese Vampirbrut nach meiner Aufmerksamkeit. Oder soll ich es Daianira überlassen, diesen Stein zu erbeuten? Nein, sie könnte weiterhin mit dieser Nyx paktieren und sich dadurch einen Vorteil mir gegenüber verschaffen und dann noch vorwitziger werden als ohnehin schon. Ich habe keine andere Wahl, als jemanden mit Waterford alleine zu lassen und mich zum Ort zu begeben, an den der Metallbehälter mit dieser lichtscheuen Dame geschafft wird." Dann rief sie mentiloquistisch nach Tyche Lennox, einer muggelstämmigen Mitschwester. Keine zwei Minuten später erschien diese bei Anthelia im Weinkeller.

"Ich werde dir gleich ein paar besondere Gegenstände übergeben und deren Handhabung und Wirkungsweise erläutern, Schwester Tyche. Da wir davon ausgehen müssen, daß Waterford in einem gegen ungebetene Besucher und eindeutige Feinde gesichertem Haus lebt, können wir ihn nicht direkt angehen. Seit den Aktivitäten Bokanowskis leben jetzt viele wichtige Angehörige in solchen Schutzzonen. Diese sind zwar niederzureißen, würden aber die Aufmerksamkeit des Ministeriums nach sich ziehen. Daher werden wir diesen freundlichen Zeitgenossen abfangenwenn er zu seinem Einsatzort reist. Schwester Patricia verbleibt auf meine Anweisung hin in der Nähe des Jungen. Sie wird dir helfen, Waterford unauffällig zu überwältigen und seinen Platz einzunehmen."

"Ich soll mich in diesen ... mit Vielsaft-Trank, höchste Schwester?" Fragte Tyche leicht angewidert.

"Nein, etwas wirkungsvolleres, was länger vorhält und dir obendrein alle nötigen Kenntnisse vermittelt, die dich als ihn ausweisen können", sagte Anthelia. Dann holte sie zwei Metallringe hervor und erläuterte Tyche, daß sie damit einen vorübergehenden Körpertausch vornehmen konnte, allerdings genau darauf achten müsse, daß Waterford zuerst den Ring angelegt bekam. Sie erklärte ihr alle auftretenden Wirkungen und Nebenwirkungen und drängte darauf, daß Tyche sich innerhalb von zwei Tagen wieder zurückverwandelte. Dann sagte sie noch:

"Denke jedoch nicht daran, die beiden Ringe zu behalten. Ich habe sie in einem sehr schmerzhaften und geistig belastenden Ritual für mich gewonnen und kann und werde sie ohne Probleme auffinden, wenn sie mir abhanden kommen sollten. Der, dem ich sie verdanke, traf nämlich Vorkehrungen, daß sein Vermächtnis nicht mir nichts dir nichts den Besitzer wechseln kann."

"Ich werde froh sein, wenn alles so klappt, wie du es mir gerade gesagt hast, höchste Schwester", grummelte Tyche, die in der Tat mit dem Gedanken gespielt hatte, diese mächtigen Halsringe für sich zu behalten. Doch die Angst vor Bestrafung und vor einem möglichen Fluch innerhalb der Ringe war dann doch zu groß. Eine halbe Stunde später entließ Anthelia ihre muggelstämmige Mitschwester und bereitete sich darauf vor, sich am Wettlauf um den Mitternachtsdiamanten zu beteiligen. Sie bereitete einen Wachhaltezaubertrank zu, überlegte, welchen von den vielen Heiltränken, zu denen auch ein Bluterneuerungstrank gehörte, sie mitnehmen und mit dem Wachhaltetrank kombinieren konnte. Dabei verfolgte sie ohne dessen Wissen mit, was Cecil Wellington an diesem Tag durchstehen mußte, bevor sie die für ihre beinahe Unverwüstlichkeit so wichtigen acht Stunden Schlaf nahm.

__________

Es war wie er befürchtet hatte. Diese Veranstaltung, die Cecil mit seinen Eltern zu absolvieren hatte war die reinste Langeweilerschau. Viel Trara, noch mehr Blabla und jede Menge ach so tolle Bekundungen, wie sehr doch gerade am vierten Juli, dem Unabhängigkeitstag, der Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft gelebt werden müsse.

"Und so sage ich Ihnen aus voller Überzeugung, meine Damen und Herren Mitbürger, daß wir, die Bürgerinnen und Bürger der vereinigten Staaten von Amerika, durch unsere Familienwerte, durch unseren tiefen Glauben an Gott den Vater, seinen Sohn Jesus Christus und ihre uns Menschen gegebenen Gebote, allen künftigen Herausforderungen und Anfeindungen widerstehen werden, wenn wir selbst immer und überall an diesen Werten festhalten, sie atmen und in unserem Blut pulsieren lassen", sprach Senator Wellington kurz vor dem Schluß seiner langen Rede über die Gefährdung der sittlichen Ordnung. "Wir alle müssen stark bleiben gegen alle Versuchungen, die unsere glorreiche Nation schwächen wollen, gegen die Verwässerung unserer Moralprinzipien und der Aufwiegelung unserer Jugend mit scheinheiligen Bekundungen, daß wir nicht in einem freien Land leben, sondern nur so täten, als würden wir das." Ein sehr herausforderndes "Ach neh" aus dem Publikum schnitt in die Rede hinein. Wellington, der in vollkommen aufrechter und strammer Körperhaltung dagestanden hatte, schien für einen moment um drei Zentimeter einzuschrumpfen. Doch dann straffte er sich noch mehr und beendete seine Rede noch inbrünstiger. "Denn wir alle sehen, wo derlei falsche Lehren hingeführt haben, hinführen und hinführen werden. Ungeborene, unschuldige Kinder, werden von ihren selbstsüchtigen Müttern und Komplizen aus der eigentlich über alle Unehre erhabenen Ärzteschaft ermordet. Junge Menschen suchen in renitenter Rapmusik und kriminellem Verhalten Zuflucht und vergiften sich mit Drogen, die sie langsam zu Tode bringen. Männer vernachlässigen im Gedanken an absolute Unabhängigkeit ihre väterlichen Pflichten oder verzichten völlig auf die Teilnahme am Erhalt der Gesellschaft."

"Heuchlerisches Arschloch!" Rief ein junger Bursche aus dem Publikum. Mehrere Dutzend tadelnde Augenpaare richteten sich auf den jungen Mann, der in Jeans und schwarzer Lederjacke nicht ganz so festtagsmäßig gekleidet war. Cecil sah den Typen an und kämpfte sehr heftig darum, ihm nicht beipflichtend zunicken oder belustigt grinsen zu müssen. Der Senator verlor jetzt doch die krampfhaft aufrechterhaltene Beherrschung und fuhr den rüden Störenfried zornig an, was ihm denn einfalle.

"Hätten Sie die Frau, mit der Sie jetzt verheiratet sind nicht schon vor dem Glockengebimmel geschwängert, hätten Sie die ja nicht geheiratet! oder, Herr Senator?" Entgegnete der Mann in Jeans und Lederjacke. Die Sicherheitsleute zuckten bereits nervös mit ihren oberarmmuskeln.

"Sie sind das beste Beispiel dafür, daß ich recht habe", schnaubte Wellington. "Sie haben weder vor mir noch vor den Werten Respekt, die dieses Land zur größten Nation dieser Erde gemacht haben."

"Zu einem Land der Heuchler, Diebe und Auftragskiller", erwiderte der junge Mann unerschüttert. "Weltsheriffs und Diktatorenschützer, die Gott rufen und Geld anbeten. Sie sind genau so ein antiquierter Inquisitor wie McKarthy. Kriechen Sie zurück in die Neandertalhöhle, aus der Sie ihre Wertepredigt ausgebuddelt haben!" Jetzt mußten doch einige Leute im Publikum lachen, nicht nur junge Männer und Frauen, sondern auch einige, die wie Cecil darauf gehofft, ja womöglich gebetet hatten, diese Tirade gegen den Verfall der Sitten möge doch bald vorbei sein, damit sie zum gemütlichen Teil übergehen konnten. Wellington bedeutete einem der städtischen Sicherheitsleute, den Störenfried vom Platz zu entfernen, als er noch eine Person erblickte, auf die er nicht besonders gut zu sprechen war, eine Frau, auch noch ziemlich jung, die einen apfelgrünen Hosenanzug trug und ihr dunkelbraunes Haar mit einem unauffälligen Band auf Nackenhöhe zusammengebunden hatte. Doch gegen diese Frau konnte er nichts ausrichten, wußte er. Sie hatte einen Presseausweis und war daher gleichbedeutend mit der Öffentlichkeit. Auch Cecil erkannte die Frau im Publikum. Er hatte sie gerade gestern abend erst gesehen und gesprochen, um zu erfahren, daß sie bis auf weiteres auf ihn aufpassen würde.

Der Störenfried rief noch aus, daß sich an seinem Rausschmiss verdeutlichen würde, wie scheinheilig das Geplapper über Freiheit sei, wenn doch nicht jede Meinung anerkannt würde. Dann ließ er sich ohne weiteren Widerstand von den Sicherheitsmännern abführen. Der Senator beendete nach einer weiteren Minute seine Rede und erntete nicht nur Applaus, sondern auch Pfiffe aus dem Publikum. Offenbar war der Bursche in der Lederjacke nicht ohne gute Freunde hier aufgelaufen, dachte Cecil. Nach der Rede wurden die Wellingtons in ein gut abgeschirmtes Haus mit anderen Senatorenfamilien aus den Nordstaaten gebracht. Bei dem überdiszipliniert eingenommenen Mittagessen verstrickte sich Senator Wellington in einer leisen aber doch sehr heftigen Debatte über die von ihm beschworenen Werte und ihre Gefährdung. Cecil fand dabei Gelegenheit, sich mit Albert M. Thornhill, dem gerade erst in die Oberschule aufgestigenen Sohn eines demokratischen Senators aus Kalifornien über die Veranstaltung zu unterhalten. Zwischendurch blickte er immer wieder zu den sorgsam unauffällig im Saal aufgestellten Personenschützern.

"Und du denkst echt, daß wenn die Partei deines Daddys wieder ans Ruder kommt, daß wir dann bald wieder gegen irgendwen Krieg führen?" Fragte Albert. "Mein alter Herr fände es genial, wenn ich zur Marine ginge. Aber bis dahin wären es ja dann noch 'n paar Jährchen."

"Och, in der Marine kannst du die sieben Meere befahren", erwiderte Cecil ironisch.

"Jaja, und tauchen lernen und eine Tomcat fliegen", knurrte Albert. "Ich kenne den alten Disco-Schlager von den Village People auch noch, obwohl ich da noch nicht mal angedacht war. Aber echt, du denkst, irgendwann könnte es knallen, falls von deinem Dad wer ins weiße Haus einziehen kann?"

"War doch immer so", erwiderte Cecil und zählte alle militärischen Auseinandersetzungen nach dem zweiten Weltkrieg auf, die in Verbindung mit republikanischen Präsidenten standen. Insgeheim dachte er jedoch daran, daß alles Getue der Republikaner und Demokraten wohl völliger Unsinn war, falls Anthelia irgendwann genug Macht hätte, die ganze Welt umzukrempeln und jeden mal eben aus dem Weg zu hexen, der ihr dabei in die Quere kam. Er war ja deshalb nur noch am Leben, weil er für sie auskundschaften sollte, wie seine Leute so lebten und dachten, um an den richtigen Stellen einhaken zu können, wenn sie ernstmachte. Dann dachte er noch über die heute vorgesehene Landung einer Raumsonde auf dem Mars nach. Bisher kam er nicht an Nachrichten heran, ob das geklappt hatte oder nicht.

"Dann überlege ich mir das mit der Marine besser noch mal, bevor ich mit der Penne fertig bin", sagte Albert noch.

"Ich gehe auf jeden Fall nicht zum Militär, egal wer drankommt", sagte Cecil sehr entschlossen.

"Ist wohl auch nur was für Leute, die's anderswo nicht bringen", meinte James, der Sohn eines Senators aus Virginia dazu. Cecil nickte. Zwar wußte er, daß die Streitkräfte mit hohen Besoldungen sehr gute Wissenschaftler beschäftigten, aber auch daß diese nicht so mitteilsam sein durften wie zivile Forscher, die auch nicht schlecht verdienten. Aber bei allem mitzumachen, was ein Präsident befahl, egal wie er hieß und welcher Partei er angehörte, daß mißfiel Cecil absolut.

"Freuen wir uns, wenn uns in den nächsten vier Jahren keiner angreift oder unser Präsident meint, wen angreifen lassen zu müssen", sagte Albert dazu noch. Seine Zuhörer stimmten ihm unhörbar zu.

Am späten Nachmittag kehrten die Wellingtons mit einem von zwanzig kleineren Flugzeugen zurück nach Pennsylvania. So erfuhr Cecil um sieben Uhr abends, daß die Raumsonde wenige Minuten vor ein Uhr Ostküstenstandardzeit im vorgesehenen Landegebiet aufgesetzt hatte. Damit hatte die irdische Menschheit einen weiteren Botschafter zu jenem öden, roten Planeten geschickt, um mehr über ihn zu erfahren.

________

Sie hatten ihr ein paar Daunendecken hineingelegt. Dennoch war es ein sehr ungemütlicher Ort für die Vampirin Lady Nyx, als sie in den späten Abendstunden des vierten Juli in den für sie beschafften Metalltank hineinkroch. Als dann noch der massive Deckel mit Gummidichtung vor ihren Füßten aufgesetzt und fest verschraubt wurde, empfand sie die sonst so wohltuende Dunkelheit um sich herum eher wie eine Falle. Sie hatte sich dieser Daianira und ihren Hexen ausgeliefert, indem sie sich in die luft- und lichtdichte Metallhülle geschoben hatte. Nun hörte sie das leise Zischen der angeschlossenen Sauerstoffflasche. Aus einem anderen Ventil würde in gewissen Abständen die von ihr selbst erzeugte Abluft abgesogen werden. Doch sie konnte sich in einen scheintodartigen Zustand versenken, der ihre Körperfunktionen auf ein Zwanzigstel des Wachzustandes verlangsamte, so daß sie mit der ihr gnädigerweise zugeführten Frischluft über Tage auskommen konnte. Außerdem bekam sie dann nichts von der Reise mit. Sie hörte noch, wie Daianira und ihre Gehilfin Pandora den Tank mit einem vollkommen lichtabweisenden Stoff überspannten und zuklebten. Nun würde kein einziger Funke Licht sie treffen, wußte sie. Sie hatte mit Daianira ausgemacht, erst bei der Ankunft in Osteuropa geweckt zu werden, wenn es dort dunkle Nacht war. Da es hier in Kalifornien zehn Stunden früher war als dort, wo sie ihren Informationen nach hinreisen sollten, würde sie wohl einen vollen Tag verschlafen müssen.

"Schon unheimlich", mentiloquierte Pandora Straton Lady Daianira, als sie die schwarze Kunststofffolie über den gesamten Tank gespannt und verklebt hatten. Nun waren nur noch die Ventile für die Sauerstoffflasche und den Abluftreinigungsbehälter frei. Patricia Straton hatte ihrer Mutter geraten, trotz der Totstellfähigkeit eines Vampirs ein Abluftfiltergerät mit anzuhängen.

"Ich stimme dir zu, daß es unheimlich ist", erwiderte Daianira auf unhörbarem Weg. "Wollen wir nur hoffen, daß wir uns damit nicht selbst ein Bein stellen."

"Ich hoffe es auch", erwiderte Pandora auf Gedankenweg. Dann hoben sie den verschlossenen Tank mit einem Schwebezauber an und bugsierten ihn per Fernlenkzauber zu einem Tragegestell, in das sie ihn hineinsenkten. Lady Daianira umspannte den Tank mit drei breiten Riemen und hakte deren je drei Schließen in dafür vorgesehene Ösen ein. Dann schirrten sie das Tragegestell zwischen zwei Bronco-Besen des Typs Millennium an und prüften die dicken Warmwollemäntel mit zubindbaren Kapuzen, die sie aus geräumigen Rucksäcken entnahmen.

"Seid Ihr Euch sicher, daß es über den Nordpol die bessere Route ist, Mylady?" Fragte Pandora.

"Besser als über dem Atlantik oder dem Pazifik nach Rastplätzen ausschau halten zu müssen", erwiderte Daianira entschlossen. Dann legte sie den himmelblauen Warmwollemantel in den Rucksack zurück und holte etwas wie eine dicke Daunenhose mit Warmwolleüberzug hervor, die in flauschigen Füßlingen wie angenähten Wollsocken ausliefen. Auch diese für tiefe Temperaturen gedachten Beinkleider besaßen himmelblaue Färbung.

"Ich habe Warmhaltetrank für eine Wirkungsdauer von einem vollen Tag gebraut", sagte die Führerin der nordamerikanischen Nachtfraktions-Schwestern noch, als sie den Tank noch einmal überprüfte, ob die eingestellte Sauerstoffzufuhr kältesicher war. Dann saßen die beiden Hexen auf und flogen mit ihrer zusätzlichen Last davon, erst gemächlich, um das gemeinsame Fliegen richtig einzuüben, um dann mit nordwestlichem Kurs Höhe und Fahrt aufzunehmen. Mehr als zehn Stunden konnten sie nun mit durchschnittlich vierhundert Stundenkilometern dahinbrausen, bevor sie irgendwo zwischenlanden und eine Stunde rasten mußten. Ihr Abflug wurde von zwei blutunterlaufenen Augenpaaren verfolgt. Haemophilos und Morpheus hockten gut versteckt hinter einem achtzig Zentimeter hohen Busch und verfolgten die Abreise ihrer Gefährtin.

"Warum haben sie sie nicht teleportiert?" Fragte Morpheus, der die haselnußhaarige Hexe auf dem linken Besen abgrundtief hasste.

"Weil der Weg zu weit ist und dieses Metallding, wo sie deine Mutter hineingesteckt haben zu viel wiegt", knurrte Haemophilos. "Sie werden wohl das ganze Sonnenlicht lang fliegen, um rechtzeitig bei der Rückkehr der Nacht am Ziel anzukommen."

"Ja, aber diese verdammte Hexe hat doch nicht rausgelassen, wo das genau sein soll", knurrte der Jungvampir.

"Nyx kann den erhabenen Stein erspüren, wenn sie in seine Nähe kommt. Sie hat das vor einhundert Jahren schon mal gemacht. Pech nur, daß dieses Dunkelmondweib Lunova zu gut aufgepaßt hat und sich mit dem Stein anderswo verkrochen hat und irgendwie verborgen hat. Womöglich hat sie ihn in ein geschlossenes Geffäß aus purem Gold gelegt."

"Das blockiert seine Kraft?" Fragte Morpheus ungläubig.

"Gold ist das Metall der verdammten Feuerkugel, die unser Feind ist, Morpheus. Es ist die verfestigte Sonnenkraft. Was für die pelzigen Mondheuler das Silber ist für uns Nachtkinder das Gold, ein übles Zeug."

"Mondheuler. Du meinst Werw'mmmmpf", sagte Morpheus, konnte das letzte Wort jedoch nicht zu Ende sprechen, weil sein Vampirvater ihm die bleiche, kalte Hand auf den Mund presste.

"Keiner von uns nennt diese Mißgestalten bei ihrem Daseinsnamen. Das würde sie uns gegenüber zu sehr aufwerten", schnarrte Haemophilos.

"Konnte ich echt nich' wissen", grummelte Morpheus angenervt. Immerhin hatte er vor wenigen Tagen noch Leute in Werwolfkostümen herumlaufen gesehen, in einem anderen Leben, aus dem er schmerzhaft aber auch lustvoll herausgelöst worden war, um in dieses neue, wohl noch sehr aufregende Leben hinübergetragen zu werden.

"Wir kehren zurück zu unserem Haus", bestimmte Haemophilos. "Wir müssen noch die transformative Trance üben, damit du nicht mehr lange von mir herumgetragen werden mußt."

__________

Zwischen Lunova und Igor lag ein bewußtloser, vierjähriger Junge, den Igor in einem Dorf bei Krakau aus seinem Kinderzimmer entführt hatte. Das Kind würde diese Nacht wohl nicht überleben. Doch das war den beiden Dunkelmondvampiren egal, solange der Junge ihnen genug Blut gespendet hatte, um den nun hellrot leuchtenden Blutstein mit aller Kraft aufzuladen. Der Stein hatte das aus mehreren Schnittwunden herausgeströmte Blut wie ein trockener Schwamm eingesogen und war dabei um ein Zehntel angeschwollen, hatte zu pulsieren und zu blinken begonnen. Dann hatte Igor den Stein genommen, ihn seiner Frau an den Hals gedrückt und ein unter Vampiren sehr wirksames Heilmantra gemurmelt:

"Blut im Stein löscht die Pein. Blut aus Stein macht dich rein. Stein und Blut so warm und rot lösen dich aus Schmerz und Not. Blut im Stein löscht die Pein. Blut aus Stein macht dich rein. Blut und Stein so warm und rot lösen dich aus Schmerz und Not. ..."

Um Lunova entstand eine rubinrote Aura, die sich immer stärker ausdehnte und wieder zusammenzog. Dabei fühlte Lunova Wellen aus wohliger Wärme sich mit eiskalten Schauern abwechseln. Der ihr aufgehalste Zauber Voldemorts kämpfte gegen die alle Nachtkinder von aäußeren Flüchen reinigende Magie an, die durch das Blut eines Kindes verstärkt worden war. Die Wärmeschauer wurden zu Hitzewallungen, während die Kälteschauer zu über den ganzen Körper hinweglaufenden Schmerzwellen wurden. Lunova stöhnte auf, konnte gerade noch so den Drang zum schreien unterdrücken. Doch nach einer Minute dieser Heilbehandlung konnte sie nicht an sich halten, schrie und keuchte wie eine Menschenfrau in den Geburtswehen. Doch die sie immer wieder umfließende rote Aura blieb. Erst als Lunova am Rande der Ohnmacht einen langgezogenen Schrei ausstieß, meinte sie, etwas in ihr würde sich zurückziehen, in ihren Eingeweiden zusammenschrumpfen und dann keinen Mucks mehr von sich geben. In diesem Moment erstrahlte ein feuerroter Strahlenkranz um Lunovas Leib, umspielte als heller Hauch jeden Finger und jeden Zeh und blieb für fünfzehn Sekunden stabil, bis der an Lunovas Hals gedrückte Stein nicht mehr glühte. Dann erlosch auch das magische Leuchten um die Vampirin.

"Beruhige dich, meine Holde. Wir haben es ausgetrieben. Es war ein teillebendiger Fluch, nicht wahr? Wie der Geist eines gefräßigen Tieres, das nicht denken, sondern nur fressen kann", sprach Igor Dserschinski, der durch das Ritual ebenfalls viel Kraft hatte lassen müssen. Der Stein kühlte schlagartig ab und schrumpfte auf seine Ausgangsgröße zurück.

"Es war wie ein unbändiges wildes Geschöpf, daß in mir gehaust hat", keuchte Lunova. "Doch jetzt fühle ich es nicht mehr. Wir haben es wirklich ausgetrieben. Was immer es war, es hat mich angewidert, als würde ich wie eine Rotblütlerin die eigene Brut in mir tragen."

"Jetzt ist es weg. Der Blutstein ist eben doch stärker als der Zauber des dunklen Lords. Das ist ein gutes Zeichen. Wir Kinder der Nacht werden am Ende stärker sein als alle Hexen und Zauberer."

"Ja, dafür hat sich diese Folter gelohnt, Igor", sagte Lunova erleichtert.

"Wir sollten unsere Kräfte auffrischen und dann in die Nähe unseres Zieles apparieren, um dort die nächste Nacht abzuwarten", befand Igor.

"Tun wir das. Was passiert mit ihm hier?" Sie deutete auf den so gut wie toten Jungen am Boden.

"Ich vergrabe ihn im Wald. Sollen die Würmer und Maden ihn für uns beseitigen", sagte Igor ohne jedes Mitgefühl und klaubte den erschlafften und bereits merklich ausgekühlten Kinderkörper auf, um mit ihm davonzugehen.

Einige Stunden später, nach mehreren unheimlichen Besuchen in abgelegenen Dörfern oder schummerig beleuchteten Stadtvierteln, wo sie sich mehrere Opfer holten, die sie mit ihrem unterwerfenden Blick gefügig gemacht hatten und sie anschließend zwischen Leben und Tod zurückließen, brachte Igor seine Frau mit einer großen Kraftanstrengung nach Montenegro. Lunova kannte einige Dutzend Kilometer von ihrem eigentlichen Ziel einen nicht mehr benutzten Friedhof. Anders als die nichtmagischen Menschen es sich gerne ausmalten schreckten sie die verwaisten Grabkreuze nicht ab, als sie für Menschenohren unhörbar über die kalte, feuchte Erde schlichen, bis sie eine Gruft erreichten, die vor über hundert Jahren errichtet worden war. Für das Vampir-Ehepaar war es kein Akt, die mehrere Zentner schweren Marmorplatten von zwei Gräbern zu heben, die bereits vor Jahren zerfallenen Gerippe der hier bestatteten Toten herauszunehmen und sich an ihrer Stelle in die Grabkammern zu legen und dann, als sie sich noch eine gute Tagesruhe gewünscht hatten, mit den übermenschlichen Kräften ihrer Art die schweren Platten über sich zu verschließen und in jene totengleiche Starre zu verfallen, die den Menschen den Eindruck von wandelnden Leichen vermittelt hatte.

Das in ihrer Heimat gerade dutzende von Vampirismus-Spezialisten des polnischen Zaubereiministeriums dabei waren, die von den Dserschinskis heimgesuchten Menschen zu behandeln, wußten sie nicht. Es interessierte sie auch nicht sonderlich.

__________

"Nein, ich werde Voixdelalune Sangazon nicht fragen, Monsieur Chevallier", schnaubte die weißblonde, schon mehr als hundert Jahre alte Hexe verdrossen. Ihr Gegenüber, Belenus Chevallier, leitete die Strafverfolgungsabteilung des französischen Zaubereiministeriums. Er war zwar kein junger Spund mehr, doch irgendwo tief in ihm war noch immer dieser eingebläute Respekt vor seiner ehemaligen Schullehrerin. Er sah Austère Tourrecandide mit seinen dunkelblauen Augen abbittend an und sagte vorsichtig:

"Nun, ich weiß, Madame daß Sie ein sehr getrübtes Verhältnis zu allen Vampiren im allgemeinen und Ihrer ..." Austère Tourrecandide schüttelte sehr heftig den Kopf und bedachte Monsieur Chevallier mit einem warnenden Blick. "... Öhm, Madame Sangazon im besonderen haben, meine ich natürlich", verbesserte sich der Leiter der magischen Strafverfolgungsbehörde.

"Getrübt ist wohl nicht ganz verkehrt, Belenus. Sagen wir es so, daß es schon einen sehr ernsten Grund geben müßte, der mich dazu veranlassen würde, mit dieser Vampirin Kontakt aufzunehmen."

"Den gibt es wohl, Austère. Jaroslaf Dumanski, mein Kollege aus Polen, hat mir eine Eule geschickt. Sein Brief besagt, daß ein sogenannter Dunkelmondler namens Dserschinski - Ich sehe, Sie haben von ihm gehört - offenbar versucht, die Herrschaft über alle in Mittel- und Osteuropa lebenden Vampire zu gewinnen." Professeur Tourrecandide war bei Nennung des Namens merklich erschüttert worden. "Wenn wir hier in Frankreich schon die Möglichkeit haben, zu ergründen, was innerhalb der Vampirpopulationen vorgeht ..."

"Ich kann Ihnen sehr gerne die Adresse geben, wo Sie Ihre Eule hinschicken können, um die Sangazons zu kontaktieren. Nicht daß ich nicht den Mut oder das Können besäße, diesen Kontakt zu ermöglichen, Belenus. Allerdings hege ich nicht den Wunsch, als Bittstellerin vor diese Person zu treten."

"Das sollen Sie auch nicht. Drohen Sie ihr und den anderen an, daß wir als präemptive Maßnahme sämtliche Vampire in Frankreich zur Jagd freigeben. Mein Nachtruhebataillon ist bereits in Alarmbereitschaft", sagte Chevallier nun wieder so entschlossen, wie es einem hohen Beamten anstand. "Davon könnten wir absehen, wenn wir erführen, wie weit dieser Dserschinski bereits tätig geworden ist und ob es einen Grund gibt, ausschließlich gegen ihn vorzugehen."

"Wenn es nach mir ginge, Belenus könnten Sie ihr Nachtruhebataillon sofort in Marsch setzen um diese verdorbene Brut auszumerzen. Ich habe Ihnen ja schon vor etlichen Jahren bekundet, daß ich der Rücksichtnahme auf nichtmenschliche magische Wesen im Bezug auf alle Vampire sehr ablehnend gegenüberstehe, ja auch auf Grund der Ihnen wohlbekannten Erfahrung, die ich mit dieser Art Kreatur machen mußte. Deshalb sage ich Ihnen folgendes: Wenn ich mit Ihrer Erlaubnis und auf Ihre Anweisung hin drohen soll, daß die ministeriellen Vampirjäger eine uneingeschränkte Ausrottungserlaubnis erhalten, wird sie sich entweder sturstellen oder ihrerseits damit drohen, alle bei diesen Wesen geltenden fragwürdigen Gepflogenheiten fahren zu lassen und die Ausbreitung ihrer Art zu forcieren, um der Dezimierung durch das Bataillon entgegenzuwirken. Wenn Sie wirklich fürchten, daß uns von den Vampiren noch mehr Gefahr droht als ohnehin schon, dann geben Sie dem Führer des Bataillons den Befehl, diese Brut anzugehen, ohne daß sie vorgewarnt wird!"

Belenus Chevallier seufzte. Wie hatte er so beschränkt sein können? Natürlich durfte er keine Vernichtungsdrohung aussprechen. Er überlegte unter dem gestrengen Blick Professeur Tourrecandides einige Sekunden lang. Dann sagte er: "Dann richten Sie ihr bitte einen schönen Gruß aus, daß Igor Dserschinski sie und die anderen Hellmondler versklaven will und dann für Voldemort in die Schlacht werfen will. Vorausgesetzt, sie liebt ihre Freiheit und ihre Existenz, dürfte sie nicht abgeneigt sein, Erkundigungen über Igor Dserschinskis Aktivitäten einzuholen."

"Wie erwähnt könnten Sie ihr das selbst in einem amtlichen Brief unterbreiten", erwiderte Austère Tourrecandide.

"Ja, aber ich setze darauf, daß Voixdelalune Sangazon immer noch etwas für Sie empfindet und Ihrem Wort mehr Gehör schenkt als meinem Brief Aufmerksamkeit", beharrte Chevallier auf der Erfüllung seiner Bitte.

"Sie wissen wohl, daß diese Unterredung einer tiefen Demütigung für mich gleichkommt, Belenus", schnarrte Austère Tourrecandide. "Am besten sollten wir eine dieser ominösen weißen Fledermäuse fangen und untersuchen, nach Möglichkeit mehrere Paare davon zusammenbekommen, um sie erfolgreich nachzuzüchten. Immerhin ist es das einzige, was dieser Verbrecher Bokanowski als annehmbares Erbe hinterlassen hat."

"Da ich weiß, daß Sie das nicht ehrlich meinen, die Hinterlassenschaft eines gefährlichen schwarzen Magiers zu kultivieren ... Nun, ich könnte Ihnen die ministerielle Anweisung erteilen, Professeur Tourrecandide."

"Nun, ich weiß, daß Sie wissen, daß Sie das eben nicht können", erwiderte die frühere Lehrerin von Beauxbatons. "Denn ich arbeite nicht für das Ministerium. Seine und meine Interessen sind nur kongenial, so daß ich mit dem Ministerium zusammenarbeite. Das bedeutet jedoch keinerlei Weisungsbefugnis oder gar Befehlsgewalt über meine Person von Ihrer oder des Ministers Seite her. Wählen Sie Honigkuchen oder Reisigrute im Umgang mit den Sangazons und ihren Artgenossen! Ich kann Ihnen die Adresse geben, wo sie sie erreichen können. Aber das ist im Moment alles, was ich in dieser Lage zu tun gewillt bin."

"Es ist eine Notlage, verdammt noch mal! Wenn wir nicht wissen, wie sich diese Blutsauger verhalten werden und was einer ihrer mächtigeren Artgenossen gerade treibt stehen wir morgen bis zum Hals im Wasser", knurrte Chevallier. Professeur Tourrecandide sah ihn sehr vorwurfsvoll an und räusperte sich. Dann sagte sie:

"Ich rate Ihnen im Guten, Belenus, meine Würde nicht als Ausgleich Ihrer Ängste aufs Spiel zu setzen. Ich habe damals mit jener Person, die heute als Voixdelalune Sangazon ihr Dasein fristet abgeschlossen. Für mich ist diese Kreatur ein verachtenswertes Geschöpf. Was Madame Maxime dazu trieb, sie und den, der ihr Dasein verschuldet hat nach Beauxbatons einzuladen ist für mich immer noch sehr schwer zu verstehen."

"Nun, ich sehe es ein, daß ich Ihre Zeit nicht länger beanspruchen darf, Professeur Tourrecandide. Womöglich finden Sie eine Lösung, die mit Ihrer Würde vereinbar ist oder gewöhnen sich gut daran, daß wir demnächst vielleicht mehrere kampflustige Vampire im Land haben", seufzte Monsieur Chevallier.

"Ich denke eher, Sie haben die Auswahl, wie Sie das von Ihnen skizzierte Problem lösen können", sagte die ehemalige Schullehrerin unerbittlich. Dann verabschiedete sie sich höflich und verließ das Büro Chevalliers. Dieser überlegte einige Minuten lang, ob und wie er in dieser Angelegenheit weiter vorgehen konnte. Dann durchzuckte ihn die Erinnerung an den Satz, den Professeur Tourrecandide gesagt hatte: "Was Madame Maxime dazu trieb, sie und den, der ihr Dasein verschuldet hat nach Beauxbatons einzuladen ist für mich immer noch sehr schwer zu verstehen." Seine Augen leuchteten. Natürlich! Madame Maxime hatte das Vampir-Ehepaar Sangazon im Rahmen eines Freizeitseminars intelligente Zauberwesen nach Beauxbatons eingeladen. Das hatte die Schulleiterin von Beauxbatons ihm selbst einmal geschrieben. Also hatte sie Kontakt zu den Sangazons. Er blickte auf seine Uhr. Es war jetzt zwölf Uhr Mittags. Er fragte sich, ob Madame Maxime an diesem Tag, dem fünften Juli, in Beauxbatons anzutreffen sei oder wo sie sein mochte. Er setzte darauf, daß er seine ehemalige, wenn auch vier Jahre jüngere Mitschülerin aus dem roten Saal an ihrem ehrwürdigen Arbeitsplatz antreffen konnte und entzündete seinen kleinen Kamin. Nachdem er Flohpulver in die Flammen geworfen und seinen Kopf in die smaragdgrüne Feuerwand gesteckt hatte rief er: "Direction de Beauxbatons" aus und schloß die Augen. Als sein Kopf nach Ausruf des Ziels wild im Flohnetz herumgewirbelt worden war und er die Augen wieder öffnete, sah er die Einrichtung jenes sechseckigen Empfangszimmers, das er als ehemaliger Schüler einige Male und als Ministeriumsmitarbeiter gerade zweimal betreten hatte. Er überlegte, ob Madame Maxime in Hörweite sein mochte und rief "Madame Maxime, sind Sie in Ihren Räumen?!" Zunächst erfolgte keine Antwort. Er wollte schon den Kopf zurückziehen, als er ein lautes Brausen wie einen plötzlich zu Tal stürzenden Wasserfall hörte. Da begriff er, daß die übermenschlich große Schulleiterin ganz private Angelegenheiten zu erledigen gehabt hatte und sie daher wohl nicht gewillt war, ihm zu antworten. Er wartete noch eine Minute, bis Madame Maxime in sein Blickfeld trat.

"Da haben Sie aber glück, Belenus, daß ich gerade noch in meinen Räumen weilte", sagte sie unbeeindruckt, daß Chevallier sie hier und jetzt behelligte.

"Guten Tag, Madame Maxime", sagte Monsieur Chevallier respektvoll. "Ich hätte Sie gewiss nicht behelligt, wenn ich keinen triftigen Grund gehabt hätte. Nun, ich möchte Sie fragen, Ob Sie bei den Vampir-Eheleuten Sangazon Erkundigungen über Aktivitäten ihrer dunkelmondlerischen Artgenossen in Mittel- und Osteuropa einholen könnten. Ich erhielt einen Brief des Chefsekretärs des Büros zur Eindämmung dunkler Magie und Vollstreckung magischer Gesetze des polnischen Zaubereiministeriums. Er zeigte sich alarmiert über zunehmende Übergriffe der in seinem Zuständigkeitsbereich existierenden Vampire und verwies mich darauf, daß einer der mächtigsten davon, ein gewisser Igor Dserschinski, darauf ausgehen könnte, seine Anhängerschaft also Artgenossen zu vermehren, um vielleicht in seinem oder eines anderen Namen über alle Menschen herzufallen. Es könnte sein, daß er hierzu auch andere Blutsauger in seine Pläne einbeziehen möchte. Und genau das wollen wir in Erfahrung bringen."

"Oh, ich würde Ihnen gerne dabei helfen. Doch ich erwarte ein wichtiges Kontaktfeuergespräch, dessen Anlaß eine interne Sache der Akademie ist. Aber sollte es sich ergeben, daß diese Angelegenheit in den nächsten Stunden geklärt werden kann ... Nun gut, stellen Sie mir den von Ihnen erwähnten Brief bitte zu! Ich werde mich dann, wenn ich Zeit und Bewegungsfreiheit genug habe damit befassen."

"Ich habe Ihre vormalige Kollegin Tourrecandide bereits gefragt", knurrte Chevallier. "Sie schützte Ihr eigenes Ehrgefühl vor. Und jetzt kommen Sie mir mit einer beauxbatonsinternen Angelegenheit?"

Madame Maxime sah ihn sehr ungehalten aus ihren übermenschlich großen, tiefschwarzen Augen an und schnarrte mit bedrohlich tiefer Stimme:

"Sie haben Austère Tourrecandide damit behelligt, die Sangazons zu kontaktieren, obwohl Sie genau wissen, daß dies ihr in der Tat als Selbstentwürdigung erscheinen mag? Dann wagen Sie es noch, mich der Lüge zu bezichtigen, daß die Angelegenheit, die ich hier und heute zu klären habe nur vorgeschützt sei? Unabhängig von Ihrer und meiner Position ist es schon ein starkes Stück, mir sowas ins Gesicht zu sagen, Monsieur Chevallier. Wenn Sie wirklich meine Hilfe in Anspruch nehmen möchten, entschuldigen Sie sich für Ihren Ausrutscher oder ziehen Ihren Kopf aus meinem Kamin zurück!"

"So, welche Angelegenheit wäre denn so wichtig, daß die allgemeine Sicherheit der französischen Zaubererwelt dagegen zweitrangig erscheint?" Konterte Chevallier ebenfalls verärgert dreinschauend. Es war wie damals in der Schule, wo sie beide im roten Saal gewohnt hatten und dieses damals schon unnatürlich große Mädchen ihn, den Saalsprecher, für einen Schwächling gehalten hatte, weil er es nicht schaffte, sich gegen seine Saalsprecherkollegin zu behaupten. Das war dann in einem Zaubererduell ausgeartet. Chevallier hatte sich damals schon gewundert, wieso seine Körperveränderungs- und Schockzauber ihr nichts hatten antun können, bis sie ihm mit einer schnellen Bewegung den Zauberstab aus der Hand gehext und ihn dann mit einer simplen Ohrfeige quer durch den roten Saal gefeuert hatte. Zwar hatte das Duell ihm zweihundert Strafpunkte und zwei Wochen Nachsitzen bei Tourrecandide eingehandelt, aber Olympe Maxime hatte vier Wochen am Stück Putzdienst leisten müssen und war mit vierhundert Strafpunkten rumsbums die Hälfte ihrer gesammelten Bonuspunkte losgeworden. Wenn er an sie dachte, fühlte er immer noch den Schmerz in der rechten Gesichtshälfte und schmeckte das Blut, weil ihm vier Backenzähne ausgeschlagen worden waren. Ja, gegenüber Olympe Maxime war er körperlich ein Schwächling geblieben, und geistig hatte sie sich nach diesem Vorfall und einem anderen, über den er nur aus Gerüchten erfahren hatte, sehr stark entwickelt und war zu dieser disziplinierten, gestrengen Lehrerin geworden, die hier und heute die altehrwürdige Beauxbatons-Akademie leitete.

"Sie wissen, daß das Ministerium mir und meinen Kollegen deshalb freie Hand in der Bewältigung unserer Interna läßt, weil alle vorherigen Minister und auch der jetzige Amtsinhaber wissen, daß die Akademie immer loyal zur französischen Zauberergesellschaft steht und nichts tut, was ihre Sicherheit gefährdet. Aber ich will mal nicht so sein. Ich erwarte einen Bericht von Professeur Faucon zu ihren Bemühungen in der Liga gegen die dunklen Künste. Es könnte sein, daß sie unter Umständen einen Großteil des kommenden Schuljahres keinen Unterricht erteilen kann. Nur darum geht es im Moment. Also, ich höre, Monsieur Chevallier", erwiderte Madame Maxime grimmig.

"Ich entschuldige mich dafür, daß ich Ihnen unterstellt habe, mich im Bezug auf meine Bitte um Mithilfe mit einer Schutzbehauptung abzuweisen. Ich werde Ihnen den Brief per Express-Eule zukommen lassen und hoffe, daß die von Ihnen gerade zu betreuende Schulangelegenheit Ihnen bald die Möglichkeit zurückgibt, sich frei zu bewegen und Ihre kostbare Zeit für die erbetene Mithilfe aufzuwenden, Madame Maxime", gab Chevallier dann doch klein bei. Was brachte es ihm, wenn er hier und jetzt alle Amtsautorität aufbot, um dann später von Madame Maxime beim Minister persönlich angeschwärzt zu werden? Er verabschiedete sich und zog den Kopf zurück in seinen eigenen Kamin und damit ordentlich auf seinen Körper.

__________

Tyche Lennox verwünschte die beiden Ringe. Gerade eben hatte sie mit ihrer Hilfe ihren mit Waterfords Körper vertauscht, als dieser gerade zu einer Ortsbesichtigung auf Grund eines angeblichen Massenangriffs auf wehrlose Muggel ausgerückt war. Was nützte jeder Schutzzauber um das eigene Haus, wenn man doch immer wieder hinausgehen mußte? Die unheimliche Doppelverwandlung, die für Tyche wie ein Bad in eiskaltem Wasser gewesen war, hatte sie in der Daggers-Villa durchgeführt, die zur Zeit von keiner ihrer Mitschwestern bewohnt wurde. Anthelia war bereits hinter dem mit dem Localisatus Inanimatus bezauberten Transportbehälter für Lady Nyx her. Sie mußte sich einige Sekunden lang in dem ihr völlig fremden Körper zurechtfinden. Sie beneidete Waterford, der jetzt in ihrem Körper ohnmächtig auf dem großen Marmortisch im Weinkeller lag und nichts mehr von seiner Umgebung mitbekam. Dann fühlte sie, wie seine Erinnerungen in ihr Bewußtsein einströmten und kämpfte gegen eine Flut vergangener Ereignisse an, die Freude, Angst und Ärger in sich trugen. Anthelia hatte sie auch auf diese Wirkung der beiden Ringe hingewiesen. So rang sie mit der eigenen Willenskraft darum, nur die für sie wichtigen Kenntnisse in ihrem Bewußtsein vorherrschen zu lassen. Dann, als sie sich sicher war, die Rolle Ira Waterfords ohne Fehler spielen zu können, überließ sie den bewußtlosen Muggelkontaktbüroangestellten seinem Schicksal und verließ die Daggers-Villa in Waterfords Kleidung.

"Hoffentlich kriege ich mich wieder ein, wenn ich diesen blöden Ring loswerden kann", dachte Tyche, als sie am nächsten Morgen kurz vor neun Uhr mit dem entwendeten FBI-Ausweis Waterfords die Sicherheitskontrolle im J.-Edgar-Hoover-Gebäude passierte. Tyche beherrschte die Legilimentik gerade einmal gut genug, um zu erfassen, wie sich die Leute in ihrer unmittelbaren Umgebung ihr gegenüber fühlten und verhalten würden. Warum hatte die höchste Schwester nicht Patricia Straton hingeschickt? Nun gut, sie sollte ja auch nur sicherstellen, daß die Ermittlungen gegen Cecil Wellington für unnötig erklärt wurden. Vielleicht hätte sie einfach nur den Imperius-Fluch auf Waterford legen müssen, um ihn zu zwingen, die entsprechenden Berichte zu verfassen. So oder so lief es doch genau darauf hinaus.

"Ah, da sind sie ja, Mr. Peaks", begrüßte ein schnieke angezogener Mann die umgewandelte Hexe, die ihn auf Grund der gekaperten Erinnerungen als Vicedirektor Eugene Gardner erkannte, dem gegenüber sie sich schön brav unterwürfig zeigen mußte, wenn sie nicht auffallen wollte.

"Herr Vicedirektor, ich bin erfreut, daß Sie mich persönlich empfangen wollten", erwiderte Tyche und verdrängte das komische Gefühl, mit einer Männerstimme zu sprechen.

"Nun, es gibt da noch einige Punkte zu klären, bevor das Verhör des Jungen beginnt", sagte Gardner und führte den angeblichen Mitarbeiter durch die Korridore, fuhr mit ihm im Aufzug bis zu einer Etage hinauf, wo kleinere Konferenzräume lagen, die von Lauschabwehrspezialisten frei von Abhörgeräten gehalten wurden und über Abhörstörgeräte verfügten, wie ständig sanft vibrierende Fensterscheiben, oder HochfrequenzLeitungen in den Wänden, die Elektronische Impulse jeder Art überlagerten. Waterford war schon einige Male hier gewesen. Daher wußte Tyche genug über die Anti-Abhöreinrichtungen, um sich zu überlegen, ob magische Mithörgegenstände in solchen Räumen funktionierten oder nicht.

"Also, der Senator hat durchgedrückt, daß sein Filius erst heute zu unserer Verfügung steht. Das heißt, der fühlt sich jetzt groß und stark", sagte Eugene Gardner, als er die schalldichte Tür zum Konferenzraum von innen geschlossen hatte. "Zweitens bringt er seinen Anwalt mit, einen alten Studienkameraden namens Dr. Henry Bockleman, der uns immer dann auf die Finger hauen soll, wenn wir was interessantes zu fassen bekommen sollten. Drittens ist der Junge bereits mehrmals von unseren Leuten vernommen worden. Er hat immer ausgesagt, von seinem Leibwächter betäubt worden zu sein und erst in einer Gummizelle wieder aufgewacht zu sein. Wie er da letztendlich herauskam und was das mit dem verstorbenen Multimillionär Linus Price zu tun haben soll entzieht sich mir noch etwas. Deshalb werden wir ihn ins Kreuzverhör nehmen. Was spielen Sie, guter oder böser Cop?"

"Sie haben mehr zu verlieren als ich, Sir. Daher spiele ich den bösen Cop", erwiderte Tyche Lennox. "Allerdings wird sein Vater ihn auf ein solches Szenario vorbereiten, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist, Sir."

"Natürlich wird er das. Genau deshalb machen wir das ja. Wenn wir anders vorgehen würde er argwöhnisch und unser Verhör komplett torpedieren. So verläuft es nach seinen Erwartungen, und sein Anwalt wird nur da einhaken, wo er meint, einhaken zu müssen. Wir klären noch mal, was wir eigentlich wissen wollen", sagte der Vicedirektor. Als Tyche die Marschroute des bevorstehenden Verhörs mit einem Nicken bestätigt hatte, bat Gardner per Knopfdruck die Wellingtons und deren Anwalt herein. Dr. Bockleman wirkte auf Tyche wie ein Basketball-Profi. Er war bestimmt zwei Meter und zehn groß, besaß eine athletische Figur und weizenblondes Haar, das auf der Höhe der Schläfen bereits lichter wurde. Als die Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht waren und alle saßen erklärte der Anwalt mit sonorer Baßstimme:

"Wie bereits von meinem Mandanten, Senator Wellington, der die rechtlichen Belange seines Minderjährigen Sohnes Cecil Reginald vertritt, im Vorfeld erörtert läuft dieses Verhör auf rein freiwilliger Basis ab und wurde von Ihnen Herr Vicedirektor, als letztes noch ausstehendes Verhör bestätigt. Ich wurde von meinem Mandanten gebeten, alle die Ehre und die Würde seines Sohnes verletzenden Fragen zu unterbinden, da die Lage für den jungen Mr. Wellington bereits erschwerend genug ist. Außerdem hat Senator Wellington mir freie Hand gewährt, das Verhör jederzeit für beendet anzusehen, wenn sich herausstellt, daß sein Sohn gegen dessen Willen zur Änderung seiner bisherigen Aussagen gedrängt werden sollte. Er ist das Opfer, Gentlemen. Also behandeln Sie ihn nicht wie einen Verbrecher."

"Natürlich liegt es uns fern, die Kinder angesehener Mitbürger unnötigen Verhören zu unterziehen oder sie willkührlich zu belästigen, Dr. Bockleman", warf Vicedirektor Gardner ein, als noch zwei weitere Beamte des FBI eintraten, sich für die Verspätung entschuldigten und dann hinsetzten. Tyche erkannte sie als Psychologen der Ermittlungsbehörde und befand, ihnen gegenüber auf der Hut zu bleiben. Der echte Waterford hätte jetzt wohl schon den Geist des Jungen ausgeforscht, der sich in einer gewissen Bedrängnis befand. Gardner stellte die beiden Spätankömmlinge noch vor. Dann begann das Verhör.

Zunächst einmal wurde Cecil zu seiner Entführung befragt. Er sollte schildern, wie der getötete Leibwächter Buck ihn überwältigen konnte. Dann sollte er über seinen Aufenthalt in der sogenannten Gummizelle berichten. Hier begann das von Gardner mit Peaks alias Tyche Lennox abgesprochene Rollenspiel:

"Mr. Wellington, Sie möchten natürlich alles vergessen, was Sie während dieser Entführung erlebt haben", sagte Gardner. "Es ist nur so, daß alle Ermittlungen, die wir nach Ihrer glücklichen Befreiung anstrebten immer zu einem Punkt führten, wo die Zeugen höchst obskure Aussagen zu machten. Deshalb bitten wir Sie darum, uns noch einmal genau zu schildern, was genau Sie mitbekommen konnten."

"Ich habe es Ihnen doch schon einige Male erzählt, Sir, daß ich von so'nem Quakding von Sprachsynthesizer angesprochen wurde, einem Gerät, das Computertext in Sprache verwandelt. Daher wußte ich nicht, wer am anderen Ende der Leitung hing", erwiderte Cecil.

"Ja, die Sache kennen wir schon", grummelte Tyche Lennox. "Kommen wir zu dem Punkt wo Sie aus dieser Gummizelle rausgekommen sind. Wer hat Ihnen die Tür geöffnet?"

"Ein angeblicher Arzt. Der sollte mich wohl mit einer Wahrheitsdroge oder sowas vollpumpen", knurrte Cecil.

"Wieso das denn? Was hätten Sie denn Ihren Entführern erzählen können?" Knurrte Tyche. Wie zu erwarten war räusperte sich der Rechtsanwalt, schritt jedoch nicht gleich ein.

"Besser, warum denken Sie, daß Ihnen jemand eine Wahrheitsdroge verabreichen wollte?" Fragte Gardner ruhig und freundlich.

"Vielleicht wollten die wissen, ob die an irgendwas von meinem Vater rankommen können", erwiderte Cecil Wellington und strahlte dabei eine gewisse Unruhe aus. Tyche sah ihm tief in die Augen und erkannte das Gefühl der Alarmiertheit. Der Junge konnte natürlich nicht verraten, daß die Entführer nur ihn und nichts von seinem Vater haben wollten. Um die Rolle weiterzuspielen sagte Lennox:

"Dann müßten Sie ja geheime Informationen über Ihren Vater haben. Haben Sie denn sowas?"

"Mr. Peaks, diese Frage ist unangemessen", warf der Anwalt ein. "Natürlich wird Mr. Wellington Junior einige Details aus dem Privatleben seines Vaters mitbekommen haben, die von Kriminellen zu gezielten Manövern wie Erpressung oder Nötigung benutzt werden konnten. Um diese Interna zu schützen rate ich dringend, die Antwort auf diese Frage zu verweigern."

"Das bringt doch überhaupt nichts, Dr. Bockleman, wenn wir nicht rausfinden, ob die Entführung an sich ein Erpressungsversuch darstellt oder es um etwas anderes ging", warf Tyche keck ein. Doch Gardner sah sie warnend an. Cecil verweigerte wie empfohlen die Antwort auf die gestellte Frage. Gardner fragte ihn dann, wie er es geschafft habe, diesen angeblichen Arzt zu überwältigen. Cecil täuschte dann im Zeitlupentempo einen Tritt in den Unterleib und einen heftigen Schlag aufs Nasenbein an. Tyche alias Wilson Peaks grinste verächtlich und warf "wie im Film" ein. Dann stieß die verwandelte Spinnenschwester nach. "Und der war ganz allein und hat Ihnen damit die Möglichkeit gegeben oder was?"

"Die Typen waren sich ihrer Sache sicher", sagte Cecil. "Aber die Frage habe ich auch schon mal beantwortet.

So zog sich die Befragung dahin. Bei einigen Fragen unterband der Anwalt die Beantwortung. Bei anderen Fragen brachte Tyche den Jungen an den Rand des Zusammenbruchs seines Lügengebäudes, weil sie fragte, wie es sein konnte, daß er durch ein so immens abgesichertes Gebäude flüchten konte, warum die dort beschäftigten Leute ihn nicht ihrerseits überwältigt hatten und wie er, ohne ihn gesehen zu haben, so klar davon ausgehen konnte, daß Linus Price, ein genauso angesehener US-Bürger wie der Senator, das alles initiert habe. Cecil beantwortete die Fragen. Immer wieder erschien es nicht nur der schwachen Legilimentorin Tyche Lennox, sondern auch den Psychologen so, daß Cecil in sich hineinhorchte, als würde er die Antworten auf die Fragen von irgendwo her in den Kopf gepflanzt bekommen. Doch er sagte immer etwas, was in einem Protokoll als glaubhaft erscheinen würde. Dann feuerte Tyche noch etwas ab, mit dem nicht einmal Gardner gerechnet hatte:

"Sie sagten aus, daß Sie mit anderen zusammen fliehen konnten, weil ein auf der Insel arbeitendes Mini-Atomkraftwerk außer Kontrolle zu geraten drohte. Könnte es sein, daß jemand von außen dir geholfen hat und diesen Störfall als günstige Ablenkung inszeniert hat?"

"Vor Gericht würde ich jetzt "Einspruch" rufen", knurrte Bockleman. "Sie wollen den Sohn meines Mandanten zu Spekulationen verleiten."

"Gut, formuliere ich anders: Wer hat Ihnen geholfen, zu fliehen?"

"Also konkret zwei Techniker, die da gearbeitet haben und mich nicht auf dieser Insel zurücklassen wollten, als ich aus dieser Gummizelle rausgekommen war", sagte Cecil.

"Wie Superman oder der 6-Millionen-Dollar-Mann? Sie haben die elektrisch geladenen Gitterstäbe auseinandergebogen und sind dann mal eben in den untersten Stock gesprungen? Die Ebene, wo diese Gummizelle gewesen war war vergittert und besaß nur einen Aufzugsschacht und ansonsten Stahltüren", warf Tyche ein. Sie wußte, daß sie sich hier auf dünnes Eis wagte. Doch Anthelia hatte ihr etwas mehr Freiraum gelassen.

"Eine von diesen Stahltüren war gerade offen, weil der Atomalarm losgegangen war. Ich hatte halt tierisches Glück, Sir", knurrte Cecil.

"Das Stimmt, zwei Türen waren offen", sagte Gardner. "Immerhin haben wir die Insel ja gründlich durchsucht, als die ganze Bande abgerückt war."

"Na also", schnaubte Cecil. Sein Vater sah ihn zur Ruhe gemahnend an und fuhr dann seinerseits die Person an, die er für den FBI-Mann Wilson Peaks halten mußte.

"Sie wollen meinem Sohn unterstellen, er paktiere mit kriminellen, die ihrem Rädelsführer eins auswischen wollten oder habe sich gar zu einem von ihnen hingezogen gefühlt. Das verbitte ich mir!" Dann funkelte er seinen Anwalt an, weil der nicht rechtzeitig dagegen vorgegangen war. Bockleman nickte verhalten und sagte dann:

"Offenkundig haben Sie zwei Hypothesen, meine Herren. Entweder unterstellen Sie dem Sohn meines Mandanten, zum Nachteil von Mr. Linus Price die Unwahrheit zu behaupten, weil er angeblich wisse, wer wirklich hinter der Entführung stecke. Oder Sie unterstellen ihm, er habe sich im Zuge des gerne bei solchen Anlässen als psychologisches Phänomen zitierten Stockholm-Syndroms zu einem der Geiselnehmer hingezogen gefühlt, was seine geschlechtliche Ausrichtung berührt, die hier nicht thematisiert werden darf, da er noch minderjährig ist."

"Unsere Ermittlungen haben ergeben, daß der Sohn Ihres Mandanten seit geraumer Zeit eine feste Freundin hat, die nicht als Alibi oder Maskerade für homosexuelle Tendenzen zu sehen ist", sagte Gardner. "Insofern gehen wir nicht von einer geschlechtlich basierenden Sympathie aus."

"Es sei denn, der junge Mann hier will uns gleich noch was von der bösen Hexe des Westens erzählen, die ihn in ihren Bann ziehen wollte, um seinen Vater zu ermorden", warf Tyche überaus gewagt ein. Cecil verzog für einen winzigen Moment das Gesicht und verfiel wieder in diese innere Lauschhaltung. Alle Anwesenden starrten Tyche total verwirrt an. Damit hatte jetzt auch Gardner nicht mehr rechnen können. Der Anwalt jedoch grinste. Tyche hatte ihm gerade einen genialen Grund geliefert, dieses Verhör zu beenden.

"Ich erkenne, Gentlemen, daß Sie durch diese Art der Befragung und durch die damit zusammenhängenden Hypothesen keinen Schritt weiterkommen. Der überaus lächerliche Einwurf Mr. Peaks' beweist klar, daß Sie hier keinerlei brauchbare Spuren haben, um den bisher nur in Ihrer Vorstellung existierenden Drahtzieher der Entführung zu ermitteln. Der offensichtliche erscheint Ihnen, da er tot ist und vorher reich und anerkannt war als eine Art Bauernopfer. aber, Herr Vicedirektor Gardner, meine Herren Sonderagenten, nicht immer ist, was offensichtlich ist nur die Oberfläche eines Falles, sondern kann eben weil es angeblich nicht plausibel ist die Wahrheit sein. Ich brauche nicht auf die hunderte von Kriminalfällen zu verweisen, in denen die Täter vortäuschten, jemand anderes hätte sich ihrer Namen und Gesichter bedient, um ihnen ein Verbrechen in die Schuhe zu schieben. Allein schon dieser hahnebüchene Unfug von der bösen Hexe des Westens beweist, daß dieses Verhör lächerlich ist. Da der Sohn meines Mandanten alle bisher gemachten Aussagen bestätigt hat und Sie finden, einen achso braven Bürger wie Linus Price nicht als Schuldigen sehen zu wollen, erachte ich dieses und jedes weitere Verhör als unzulässigen Eingriff in das junge Leben von Mr. Cecil Reginald Wellington. Cecil, beantworten Sie ab nun keine weiteren Fragen mehr und verweigern sie erneute Befragungen dieser Art!"

"Moment, Herr Anwalt", warf Gardner ein. "Sie wissen genau, daß das, was Sonderagent Peaks da gesagt hat dazu gedacht war, zu klären, ob der Sohn Ihres Mandanten bei seiner Version bleibt oder davon abrückt. Um zu ermitteln, ob er jetzt wahrheitsgemäß antwortet oder ab jetzt unwahr aussagt ..."

"Das Verhör ist hiermit beendet", knurrte Bockleman. Der Senator nickte dem Anwalt zu und warf Peaks alias Tyche einen verächtlichen Blick zu, in dem die pure Überheblichkeit glomm. Doch Tyche steckte das weg. Sie hatte ihre Mission erfolgreich erfüllt. Das Zaubereiministerium würde nicht mitbekommen, daß Cecil von Anthelia geführt wurde, und die Muggel waren mit Wucht gegen eine meterdicke Stahlbetonwand gefahren. Jedenfalls würden sie Cecil nicht mehr befragen können. Denn soeben sagte Bockleman, nachdem er dem Senator einen fragenden Blick zugeworfen hatte:

"Im Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit, für die mein Mandant arbeitet, werde ich stante Pede eine gerichtliche Verfügung erwirken, die es Ihnen und jedem anderen Mitarbeiter der Bundesermittlungsbehörde untersagt, weiterführende Befragungen von Mr. Cecil Wellington oder Angehörigen seiner Schule, seiner Familie, zukünftiger Mitstudenten oder Arbeitskollegen und Freundinnen und Freunde durchzuführen. Mr. Wellington Junior ist ab heute genauso unberührbar wie ein katholisches Mädchen vor der Hochzeitsnacht, zumindest für Sie von der Bundesermittlungsbehörde."

"Solange wir ihn keines Verbrechens verdächtigen müssen", knurrte Gardner. Er wußte, daß jede weitere Ermittlung gegen Cecil seine Karriere beenden würde. Es war ja jetzt schon fraglich, ob er diesen Tag als Vicedirektor überstehen oder in den Außendienst zurückversetzt würde. Doch der Anwalt hatte noch eine Bombe im Ärmel, die er jetzt platzen ließ.

"Außerdem wird das oberste Bundesgericht, dem ich die Protokolle dieser und aller vorangegangenen Vernehmungen des Sohnes meines Mandanten vorlegen werde fragen, was ein CIA-Agent davon hat, sich als FBI-Agent auszugeben." Er blickte sehr herausfordernd Tyche Lennox an, die eine steinerne Maske zur Schau trug. "Ja, ich habe mich gründlich erkundigt, bevor ich meinem Mandanten zustimmte, an diesem Verhör teilzunehmen. Im Moment reagiert die Bevölkerung sehr empfindlich auf den Verdacht, ausspioniert zu werden. Insofern gehört das wohl nicht zu den Obliegenheiten des Auslandsgeheimdienstes, die inneren Angelegenheiten der USA zu überwachen und noch dazu unter Vortäuschung falscher Tatsachen. Das Verhör ist beendet und wird nicht mehr fortgesetzt."

"Dies zu befinden verbleibt dem Direktor oder einem Bundesrichter", knurrte Gardner, der sich nun heftig getäuscht fühlte. Tyche grinste in sich hinein. Damit war Waterford als FBI-Agent nun auch demontiert.

"Sie sind von der Chaotischen Idioten-Agentur", feixte Cecil Peaks an. "Dann hat Price wohl mit den Russen oder Chinesen gekungelt, wie?"

"Cecil, kein Wort mehr!" Zischte der Senator seinem Sohn zu.

"Nun, es ist wohl ein verzweifelter Versuch, die schwierige Situation, in der Sie sich befinden durch eine gezielte Verwirrung zu Ihren Gunsten zu wenden", grummelte Gardner. Doch der Anwalt schüttelte den Kopf und zog zur Antwort einen Umschlag mit Fotos aus seiner Aktentasche. Er zeigte die Bilder und deutete auf das von Ira Waterford.

"Der Senator besitzt einflußreiche Freunde in Langley und ermöglichte mir, dieses Material zu erwerben, Herr Vicedirektor Gardner. Dieser Mann hier heißt ebenfalls Wilson Peaks und arbeitet in der Sektion Osteuropa und befaßt sich dort vor allem mit der Erkundung parapsychologischer Versuche, Telepathie, Hellsehen und dergleichen. Ihm wird nachgesagt, daß er selbst ein Medium sei, was ihm den Zutritt zu gewissen Kreisen in der Psi-Forschung ermöglicht. Mit anderen Worten, Mr. Peaks, falls dies Ihr richtiger Name ist", wobei der Anwalt Tyche überlegen ansah, "Sie haben von den Virginia-Farmern einen lebenden Lügendetektor angefordert. Ich hoffe doch schwer, daß Sie nicht beabsichtigten, die von ihm auf übersinnliche Weise erfahrenen Informationen gerichtlich zu verwerten. Bei uns in den Staaten wird zwar auch an diesem Hokuspokus geforscht. Doch dabei kam bisher nur heraus, mit welchen Mitteln sogenannte Gedankenleser arbeiten oder wie Hellsicht durch die Wunder moderner Mikroelektronik bewerkstelligt wird. Daß Sie einen Mitarbeiter des Auslandsnachrichtendienstes gewinnen konnten, Ihnen bei Ihren nun absolut ungebührlichen Verhören zu assistieren beweist mir, daß Sie nach einem Strohhalm gegriffen haben und jetzt doch im Sumpf ertrinken. Herr Senator Wellington, Mr. Wellington, ich denke, wir sind hier nicht mehr von Nöten."

"Moment, diese absolut hahnebüchene Geschichte von dem angeblichen Geheimagenten haben Sie doch nur zusammengepuzzlet, um unsere Ermittlungsarbeit zu torpedieren", empörte sich Gardner. Die beiden FBI-Psychologen saßen immer noch ganz entspannt da. Offenbar empfanden sie die Wendung der Dinge als äußerst interessant. Tyche blickte den einen und dann den anderen an und erstarrte beinahe. Beide beherrschten die Okklumentik. Offenbar hatten sie bisher genau wie sie darauf geschaut, was mit dem Jungen geschah. Doch jetzt, wo Tyche sie mit ihrer schwach ausgebildeten Legilimentik ausforschte schotteten sie sich ab. In Tyche klingelten die Alarmglocken. Die beiden waren auch Zauberer!

"Ich glaube nicht, Herr Vicedirektor Gardner, daß ich es nötig habe, gefälschte Unterlagen zu präsentieren", sagte Bockleman. "Ich habe diese Fotos von einem guten Freund des Senators, der in Langley sitzt. Den Namen werde ich natürlich nicht preisgeben, da dies meiner anwaltlichen Schweigepflicht unterliegt. Ich besitze jedoch genug Kopien davon. Wenn Ihr Labor diese Unterlagen auf ihre Echtheit überprüfen möchte, bitte sehr." Bockleman händigte Gardner die Fotos und weitere Unterlagen aus. Dann sagte der Senator eiskalt und überlegen:

"Haben Sie im Ernst gedacht, mich so einfach vorführen und in meine Familienangelegenheiten hineinfuhrwerken zu können, Her Noch-Vicedirektor Gardner? Lassen Sie sich diesen Ausgang des letzten Verhörs meines Sohnes eine ernsthafte Warnung sein, mich nie wieder derartig zu verärgern! Bis hierher und nicht weiter! Komm, Cecil, wir gehen!"

"Glauben Sie, die CIA findet es lustig, wenn derartige Gerüchte oder Geheimnisse in Umlauf gebracht werden, Herr Senator. Sie mögen mich für eine Weile los sein. Aber in dem Moment, wo Sie Ihre Immunität als Senator verlieren oder wenn Ihr Sohn einen Schokoriegel aus einem Supermarktregal klaut, werde ich da sein und Sie oder ihn festnehmen, wegen Behinderung wichtiger Ermittlungen, Konspiration mit kriminellen Gruppen und Strafvereitelung", drohte Gardner.

"Ich fürchte, Sie persönlich werden weder mich noch meinen Sohn festnehmen. Diese Drohung war der letzte Fehler, den Sie als Mitarbeiter dieser Behörde begangen haben", konterte der Senator. "Komm, Cecil, wir gehen!"

"Yep, Dad", erwiderte Cecil nur und folgte dem Senator. Vater und Sohn verließen ohne weitere Anfechtung das abhörsichere Konferenzzimmer. Die beiden FBI-Psychologen sahen sich an. Tyche war sich sicher, daß sie bereits mentiloquierten. Doch was konnte sie dagegen machen.

"Hilfe, habe Probleme! Zwei Okklumentoren, womöglich andre Zauberer beim Verhör!" Mentiloquierte sie ihrerseits an Patricia Stratons Adresse.

"Hab' die beiden bemerkt", kam die Antwort. Komme, wenn du Hilfe brauchst."

Zunächst geschah jedoch nichts magisches in diesem Raum. Die drei echten Männer und der falsche, die angeblich alle für das FBI arbeiteten, unterhielten sich über das gerade abgebrochene Verhör. Peaks alias Tyche Lennox wurde mit Fragen bestürmt. Doch die verwandelte Hexe wehrte alle Anschuldigungen mit den bereits vor Monaten durchentwickelten Ausreden des echten Ira Waterford ab. Schließlich fauchte Gardner ihn an:

"Mit Ihrem überaus dummen Spruch von angeblichen Hexen haben Sie diesem Rechtsverdreher noch Munition gegeben. Jetzt kann sich der Hintermann getrost in Miami oder Malibu an den Strand legen und sonnen. Abgesehen davon hat mir dieser Anwalt ziemlich zugesetzt. Für wen arbeiten Sie jetzt wirklich?"

"Für das amerikanische Volk, Sir. Mehr müssen Sie nicht wissen", erwiderte Tyche und war dabei auf der Hut vor legilimentischen Ausforschungen. Sie wußte, daß keiner der beiden angeblichen Psychologen etwas anstellen würde, solange Gardner noch im Raum war. So hielt sie die hitzige Diskussion über Peaks' alias Waterford alias Tyche Lennox weiter in Gang. Als jedoch Gardner erkannte, daß er nur hingehalten werden sollte sagte er nur:

"Sie begleiten mich nach unten, Mr. Peaks. Sie beiden schreiben den Bericht für die Abteilung, damit wir wissen, woran wir sind!"

"Natürlich, Herr Vicedirektor", sagte einer der bisher so schweigsamen Psychologen. Dabei vernachlässigte er jedoch die Abschottung seines Geistes, und Tyche erfaßte pure Aufregung. Wieso hatte sie die beiden nicht schon beim Betreten des Raumes überprüft? Auch das wäre ein Fehler gewesen, fiel es ihr ein. Sie war einfach zu schwach.

"Wollen Sie mich jetzt festnehmen?" Fragte Tyche herausfordernd. Gardner funkelte sie wütend an.

"Nennen Sie mir einen Grund, weshalb ich es nicht tun sollte!"

"Ihr Job, Sir", entgegnete Tyche. "Falls ich der bin, als den Sie mich kennen, würden Sie sich lächerlich machen und den Hut nehmen müssen. Falls ich der bin, den Doktor Bockleman in mir sieht, könnten Sie Ärger mit einer anderen Behörde bekommen. Wer sagt Ihnen, daß der Direktor persönlich nicht von meiner Arbeit hier weiß. Also überlegen Sie es sich schnell! Ich möchte nach Hause."

"Ich glaube nicht, daß Sie heute noch nach Saltlake Citykommen", warf einer der angeblichen Psychologen ein.

"Da sind sie falsch informiert. Ich wohne nicht in Utah, sondern in New Mexico", erwiderte Tyche sofort und ohne sich ertappt zu fühlen. Dann machte Gardner Anstalten, die Tür zu öffnen. Unvermittelt hielt der kleine dünne Mann einen Eichenholzzauberstab in der rechten Hand und deutete auf den Vicedirektor. "Stupor!" Rief er. Gardner wirbelte herum, konnte aber gerade noch den roten Lichtblitz sehen, der ihn krachend von den Beinen holte und bewußtlos auf den dicken Teppich hinschlagen ließ.

"So, und jetzt zu uns, Ira", knurrte der Zauberer, der den Vicedirektor entwaffnet hatte. "Der Raum ist komplett schalldicht und abhörsicher." Der zweite Zauberer hatte gerade seinen Zauberstab gezogen und hielt damit Tyche in Schach, die wohl nicht an ihr rechtes Hosenbein kommen würde, um ihren Zauberstab zu ziehen.

"Imperio!" Tyche fühlte eine befreiende Woge von Sorglosigkeit und Gedankenleere im Kopf. Gleich würde sie einen Befehl bekommen, den sie ausführen mußte.

__________

Patricia Straton hockte draußen vor dem Hoover-Gebäude und lauschte mit ihren angeborenen telepathischen Fähigkeiten in das Hauptquartier der Bundesermittlungsbehörde hinein und fokussierte ihre übersinnliche Wahrnehmung auf das für Muggel abhörsichere Büro. Ja, bis jetzt war alles nach Plan gelaufen. Sie hatte die Wellingtons in ihrem weißen, mit diversen Zaubereien gespickten Maserati verfolgt und zugesehen, wie sie mit einem langen Kerl zusammen in das Gebäude eingelassen worden waren. Dann hatte sie sich auf das Verhör konzentrieren wollen. Doch als zwei Männer unvermittelt auf derselben Etage aufgetaucht waren, und zwar in einem geschlossenen Aufzug, erkannte die junge aber talentierte Hexe, daß der ganze Plan gefährlich ins Rutschen geraten würde. Sie konnte noch die Namen Woodley und Maggot erhaschen, bevor die beiden sich okklumentisch fast unabhörbar machten. Offenbar wußten die beiden, daß mindestens ein Legilimentor im Gebäude war, ja wußten auch, wer das sein sollte. Patricia schickte eine Anfrage an Donata Archstone: "Wer sind Woodley und Maggot?"

"Leute aus Wishbones Truppe", mentiloquierte Donata nach einer Minute. "Wo sind die jetzt?" Fragte sie dann noch.

"Im J.-Edgar-Hoover-Gebäude, der Zentrale der Muggel-Bundespolizei."

"Da soll doch auch Waterford hinkommen", schickte Donata Archstone zurück. Patricia bestätigte das. Sie fügte jedoch hinzu, daß sie die Sache soweit im Griff hätten, was Waterford anginge.

"Gut, wenn Wishbone seine Legilimentik-Fachleute da hingeschickt hat ist Ärger im Anmarsch", erfuhr Patricia etwas, das ihr auch so schon längst klar war. Und etwas anderes war ihr auch klar: Wenn Wishbones Leute dasselbe taten was Waterford tun sollte, dann war das ganze Verdunkelungsmanöver soeben im Hui in den tiefsten Abgrund gestürzt. Doch sie blieb innerlich ruhig. Womöglich konnte sie von hier aus eingreifen. So verfolgte sie das Verhör, wobei die beiden zusätzlichen Fachleute Cecil ausforschten. Patricia seufzte. Damit hatten die beiden Zauberer sich gerade zum Tode verurteilt. Heute war offenbar der Tag gekommen, an dem sie selbst den tödlichen Fluch auf einen Menschen werfen sollte. Sie hatte ihre Mutter immer gefragt, wie es sich anfühlte, ein Leben von einem Augenblick zum nächsten auszulöschen. Ihre Mutter hatte meistens darauf geantwortet, daß sie hoffe, daß sie, Patricia, niemals in die Lage kommen würde, das selbst herauszufinden. Sie hatte die bisherigen Gegner mit schnellen Verwandlungszaubern ausgekontert, weil sie sich einreden konnte, daß sie ja nicht wirklich starben, wenn sie sie verwandelte. Auch hatte sie, wenn sie wirklich töten mußte, immer mit sekundären Todesarten gearbeitet wie Feuer oder Giftstoffen. Mochte es sein, daß sie heute den gnadenlosesten Fluch der Zaubererwelt aussprechen mußte? Einmal hatte ihre Mutter sie angelächelt und gesagt, daß das Nehmen von Leben so ähnlich sei wie die körperliche Liebe. Wenn das erste Mal überstanden sei, seien die Male danach weniger heftig. Ob sie nun für Anthelia oder Lady Daianira gearbeitet hatte. Bisher hatte sie Avada Kedavra nicht benutzen müssen. Vielleicht konnte sie auch heute darum herumkommen. Außerdem wurde ihr noch etwas glasklar. Wenn die beiden hinter Tyches Maskerade kamen und sie zum Reden zwingen wollten, würde sie sterben und alle in unmittelbarer Hörweite mit in den Tod reißen. Sogesehen würde der vermummte Knochenmann mit der Sense auf jeden Fall Ernte halten, dachte sie in einem Anflug von Endzeitpoesie. Doch dann riss sie sich wieder zusammen. Sie war Patricia Straton, die Thorntails-Absolventin mit fünf Ohne-Gleichen-UTZs, davon einen in Verwandlung, den anderen in der Abwehr dunkler Künste und einen in Zauberkunst. Mit dem in Kräuterkunde und dem in Pflege magischer Geschöpfe würde sie hier und heute nichts anfangen können, fiel es ihr ein und amüsierte sie irgendwie unangebracht. Sie horchte weiter auf das Verhör, wobei sie eine Exosenso-Verbindung mit Cecil Wellington herstellte. Als dann Tyche alias Wilson Peaks fragte, ob Cecil gleich was von einer bösen Hexe des Westens erzählen würde, fühlte sie, wie die Hitze in ihm anstieg. Doch er blieb ruhig. Denn sein Vater und der lange Kerl von Rechtsanwalt hatten die Situation jetzt voll im Griff und brachen das Verhör ab. Als Cecil mit seinem Vater und dem Anwalt das Büro verließ mentiloquierte Tyche, daß sie zwei Okklumentoren aufgespürt habe. Patricia schickte ihr zurück, daß sie zu ihr kommen würde, wenn sie Hilfe brauche. Sie blieb exosensorisch bei Cecil, bis dieser den Fahrstuhl auf der Höhe des Erdgeschosses verließ. Als sie durch seine Ohren hörte, wie die beiden Türhälften hinter ihm zuglitten erkannte sie eine Chance, löste sich aus der Fernüberwachung und disapparierte, um so leise wie sie konnte im nun leeren Aufzug aufzutauchen. Sie hoffte, daß hier keine Überwachungsanlage installiert war, horchte einige Sekunden, ob irgendwo irgendwer in Alarmstimmung verfiel, atmete auf, als sie nur übliches Flüstern vieler denkender Wesen erlauschte und drückte den Knopf für die Etage, in der das Konferenzzimmer lag, daß als Verhörraum gedient hatte. Leise brummend stieg die Fahrstuhlkabine nach oben. Mit leisem Knacklaut wurde jedes Stockwerk erklommen. Dann fühlte sie die unmittelbare Gefahrenlage Tyches. Sie kannte dieses Gefühl, wenn jemand dem Imperius-Fluch unterworfen wurde. Gardner war bereits bewußtlos. Maggot stand dabei, während Woodley Tyche unter den Unterwerfungsfluch zu zwingen versuchte. Dann hörte sie in Tyches Kopf den Befehl nachhallen: "Verrate, wer du bist! Sprich die Wahrheit! Verrate wer du wirklich bist!"

Knapp vor dem Haltepunkt des Aufzugs disapparierte Patricia um genau dort aufzutauchen, wo Cecil vorhin gesessen hatte. Sie hatte auf die richtige Karte gesetzt. Denn die beiden Zauberer und Tyche standen so, daß keiner sie unmittelbar sehen konnte. Mit einem ungesagten Schockzauber erwischte Patricia Woodley. Doch Maggot reagierte sehr schnell. Er warf sich herum und rief:

"Stupor!" Patricia tauchte hinter den Stuhl, auf dem Cecil gesessen hatte, warf sich dabei aber noch nach rechts. Der Schocker schleuderte das Sitzmöbel gegen die Wand. Maggot verlor jedoch keinen Sekundenbruchteil damit, sich über den Fehlschlag zu ärgern. Er schickte den Mondlichthammer gegen Patricia, ungesagt. Diese sah das silberne Licht beinahe zu spät, konnte sich gerade noch flach auf den Bauch drücken. Doch sie fühlte etwas wie eine eiskalte Keule über ihren Rücken hinwegschlagen und blieb einen Moment benommen liegen. Maggot vermutete wohl, daß die plötzlich aufgetauchte Gegnerin dem heftigen Kampfzauber zum Opfer gefallen war und schloß mit einer schnellen Zauberstabbewegung die Tür. Dann erstarrte er.

"Mein wahrer Name ist ...", sagte Tyche gerade, als Patricia sie mit dem Schockzauber erwischte. Das wiederum brachte den kleinen, dünnen Maggot auf die richtige Idee, daß die unerwartete Gegnerin noch nicht außer Gefecht war. Er schwenkkte auf sie ein. Patricia sah, wie er stutzte, den Zauberstab für einen Moment senkte und dann die ungläubige Miene eines überraschten Mannes zeigte. Dann hob er den Zauberstab blitzschnell an. Doch zu spät. Patricias Schockzauber war bereits wortlos aufgerufen und brach aus ihrem Zauberstab hervor, brauste durch die Luft und erwischte die Zauberstabhand des kleinen, dünnen Zauberers. Das genügte völlig, um diesen kampfunfähig zu machen. Erst sank der Arm, dann taumelte Maggot und stürzte nieder.

"Mann, das war aber knapper als ein Quod vor dem Platzen", dachte Patricia Straton und atmete durch. Sie würde womöglich doch nicht den Todesfluch anbringen müssen. Zumindest hatte sie Tyche daran gehindert, unter dem Imperius auszuplaudern, wer sie wirklich war und für wen sie arbeitete. Denn das hätte sie alle getötet. Ein Problem war jedoch noch zu lösen. Die beiden Zauberer waren von jemandem hergeschickt worden und würden wohl gesucht. Aber mit den Informationen aus Cecils Kopf durften sie unmöglich zu ihrem Auftraggeber zurückkehren. Also doch töten? Nein! Genau das würde den Auftraggeber erst recht stutzig machen. Blieb also nur eine Gedächtnisveränderung. Doch dazu mußten sie genügend Ruhe haben. Doch wie viel Zeit hatten sie noch? Wurden die beiden unmittelbar nach dem Verhör zurückerwartet? Das einzige, was Patricia mit sicherheit wußte war, daß die beiden nicht mentiloquiert hatten. Sie mußte rasch eine Lösung finden. Ihre Mutter war nicht da. Anthelia war auch nicht mehr im Hauptquartier. Also konnte sie nur mit Tyches Hilfe ... Cecil war unbewacht! Womöglich könnten draußen schon welche wie sie selbst auf der Lauer gelegen haben, die den Jungen überwachten. Das mußte sie unbedingt klären. So weckte sie erst Tyche, die erschrak, weil ihr klar wurde, daß sie fast ihr Geheimnis ausgeplaudert hatte.

"Pass auf die beiden hier auf und weck sie erst auf, wenn ich sicher bin, daß dem Jungen keiner draußen auflauert!" Befahl Patricia.

"Seit wann gibst du mir Befehle, Schwester Patricia?" Schnarrte Tyche.

"Seitdem die höchste Schwester befunden hat, daß ich den Jungen bewachen soll, was auch mit dieser Panne hier zu tun hat. Also mach schon!"

"Das kläre ich noch mit der höchsten Schwester", grummelte Tyche Lennox, die sich von der einige Jahre jüngeren Mitschwester nicht gerne herumkommandieren lassen wollte.

"Das steht dir frei", knurrte Patricia und disapparierte aus dem Gebäude, um zielgenau in ihrem Auto zu landen. Sie lauschte umher. Die Wellingtons fuhren bereits mit einer Polizeieskorte Richtung Flughafen. Sie konnte ihn mit ihren telepathischen Sinnen schon nicht mehr belauschen. Womöglich waren Woodley und Maggot darauf angesetzt, ihn zu melden und dann weitere Instruktionen einzuholen. So konnte sie zunächst nichts anderes tun als in das abhörsichere Konferenzzimmer zurückzukehren.

Tyche hatte inzwischen die leichten Schäden, die das kurze Zaubererduell angerichtet hatte beseitigt. Als Patricia zu ihr zurückkehrte fragte sie diese, ob das Hauptquartier nicht sicherer sei.

"Dieser Raum ist für Ohren absolut unabhörbar. Ich baue einen Fernbeobachtungsabwehrzauber auf. Dann durchsuche ich sie nach bezauberten Gegenständen. Wishbone ist ein schlauer Fuchs. Wenn er nur die beiden hier losgeschickt hat, weil er damit rechnete, daß sie etwas herausfinden, hat er sicher damit gerechnet, daß sie mal eben den Standort wechseln müssen oder in einen Hinterhalt geraten, bevor sie etwas ausplaudern konnten. Ich habe eine gewisse Übung in Gedächtniszaubern, womöglich können wir den beiden vorgaukeln, daß sie bei dem Verhör nichts aufgeschnappt haben."

"Glaubst du nicht, daß es ihnen merkwürdig vorkommt, wenn sie sich gegenseitig überprüfen!"

"Gleich, wenn ich den Fernbeobachtungsabwehrzauber gewirkt habe", sagte Patricia und beeilte sich. Als sie aufatmend den Zauberstab senkte sagte sie zu Tyche:

"Außerdem interessiert es mich, für wen die beiden eigentlich genau spionieren wollten. Ich hörte von Schwester Donata, daß es Leute von Wishbone seien."

"Mir, also Ira Waterford, sind sie nicht bekannt."

"Er muß längst nicht alle Ministeriumsmitarbeiter kennen", wandte Patricia ein und weckte Woodley, nachdem sie ihn gefesselt und ihm die Augen verbunden hatte. Tyche sollte ihn fragen, weil die Stimme Waterfords ihm unverdächtig sein würde.

"Wer bist du verdammt?" Knurrte Woodley. "Und wo ist diese Hexe mit den dunklen Haren, die ich noch zu sehen gemeint habe?"

"Welche Hexe? Du wolltest mich mit dem Imperius-Fluch angreifen. Da habe ich mich gewehrt. Kann sein, daß der Verlust der geistigen Balance dir was vorgegaukelt hat", sagte Tyche mit Ira Waterfords Stimme.

"Du lügst, Waterford. Da war noch wer. Schaffst du also für diese Nachtfraktionsleute oder für diese andere Schwesternschaft, die es geben soll?"

"Ey, die Frage wollte ich dir gerade stellen. Was pfuschst du mir in meine vom Minister persönlich zugeteilte Mission rein und für wen?"

"Erst du, ich habe zuerst gefragt", grummelte Woodley. "Abgesehen davon, was ist mit meinem Kollegen?"

"Maggot liegt genauso verschnürt hier wie du", erwiderte Tyche. "Also jetzt rück die Antwort raus, für wen du das machst, oder soll ich meine Sondervollmacht nutzen und dir den Imperius-Fluch aufladen, mit dem du mir kommen wolltest. Mensch, du hättest doch wissen müssen, daß ich mich gut dagegen wehren kann, wenn du schon weißt wer ich bin."

"Du siehst so aus wie Waterford und klingst so. Aber irgendwie hast du den Bengel dilletantisch legilimentiert. Also kannst du nicht Waterford sein. Irgendwann hast du keinen Vielsaft-Trank mehr. Dann bist du wieder der oder die, was du früher warst", knurrte Woodley.

"Nun, du willst es nicht anders. Imperio!"

Woodley konnte sich nicht wegducken, weil er nicht sah, woher der Fluch genau kam. Als er dann zehn Sekunden lang dagegen ankämpfte, seinen Auftraggeber zu nennen, fürchtete Tyche schon, auch dafür zu schwach zu sein. Dann sagte Woodley:

"Wishbone hat einen Tipp bekommen, daß der Junge wohl von jemandem geführt wird. Er hat Mag und mich losgeschickt, um ihm persönlich zu berichten, ob da was dran ist. Wir sollten den Jungen dann aus seinem Zimmer holen, wenn er allein wäre, natürlich erst betäuben und dann an einen unortbaren Platz bringen, wo wir ihn eingehender und nicht so kläglich wie die Muggel verhören könnten", sprach er beinahe ohne Unterschied zu vorher. Weil der Imperius seinen freien Willen unterdrückte konnte er nicht okklumentieren, so daß Patricia ihn heimlich auskundschaften konntte. Sie nickte Tyche zu.

"Du kannst froh sein, daß ich heute meinen netten Tag habe", grummelte Tyche, bevor sie Woodley wieder schockte.

Patricia behandelte schnell den ohnmächtigen Vicedirektor, dem sie ins Gedächtnis einschmuggelte, daß er sich von Peaks eine Sondervollmacht der CIA hatte zeigen lassen die ihm befahl, Stillschweigen über den Auftrag des eingeschmuggelten Geheimagenten zu bewahren. Dann durchsuchte sie die beiden Zauberer nach Gegenständen, die mit Ortungszaubern wie Localisatus Inanimatus oder dem Zauber der Findmichs belegt waren. Doch sie fand keine entsprechenden Gegenstände. So entriegelte sie die Tür, schrumpfte die beiden überwältigten Zauberer auf Handgröße zusammen und weckte Gardner, wonach sie und Tyche zeitgleich disapparierten.

Im Hauptquartier der Spinnenschwestern nahm sich Patricia mehrere Stunden zeit, um die Gedächtnisinhalte von Woodley und Maggot zu verändern, daß sie den Jungen überprüft aber nichts festgestellt hatten, außer das er ziemlich genervt von dem Verhör war und nur nicht verraten wollte, daß er während seiner Zeit auf Prices Insel eine rothaarige Frau getroffen hatte, die ihn betreut habe und wohl auf Anraten von Price Cecils erste Sexpartnerin geworden sei. Sowas mußte ein Teenager, der unter einer strengmoralischen Knute gehalten wurde natürlich verschweigen. Tyche wartete, bis Patricia die falsche Erinnerung so klar und lückenlos eingefügt hatte, daß die beiden Legilimentik-Experten keinen Fehler daran erkennen würden. Patricia, die ja schon einige Erfahrung in der körperlichen Liebe besaß, hatte alle delikaten Details in die Erinnerungen der beiden übertragen. Dann durfte Tyche endlich wieder sie selbst werden. Sie entfernte die beiden dünnen Halsringe so wie die oberste Spinnenschwester es ihr erklärt hatte. Als sie sich dann in ihrer angeborenen Körperform wiederfand meinte sie zu Patricia:

"Also so einen Körper will ich nicht noch mal haben. Diese vielen Haare an den Beinen und Armen und dieses unangenehme Gewicht im Schritt."

"Ich weiß. Habe das auch mal getestet", erwiderte Patricia und behandelte Ira Waterford, der natürlich dieselbe Erinnerung Cecils legilimentiert haben mußte. Dann brachten sie die unter Schockzauber gehaltenen Ministeriumsmitarbeiter an die Orte, an denen sie laut Gedächtniskorrektur gerade sein sollten.

"Die Gefahr ist gebannt, höchste Schwester. Unregelmäßigkeiten durch Quertreiber von Wishbone. Konnten aber noch rechtzeitig behoben werden", mentiloquierte Patricia an Anthelias Adresse.

"Sehr schön, höchste Schwester! Ich bin stolz auf dich. Verfolge weiterhin Daianira. Sie mußte unbedingt über dem Nordpol dahinfliegen. Melde mich entweder in zwanzig Stunden oder bin dann nicht mehr da. Falls zweites, und Daianira kehrt zurück, tu so, als würdest du ihr weiterfolgen und lass den Jungen das von mir geschenkte Leben weiterleben!"

Anthelias Gedankenstimme wurde immer leiser. Sie war wohl sehr weit fort, erkannte Patricia. Womöglich hatte sie gerade ihre letzte gedankliche Botschaft empfangen. Ein merkwürdiges Gefühl des Unbehagens ergriff sie. Anthelia war nun in der Nähe von Patricias Mutter. Sie hoffte inständig, daß zumindest diese lebend zurückkehren würde.

__________

Die Besen kamen nur schwerfällig voran. Das lag zum einen daran, daß zwischen ihnen der mindestens vierhundert Pfund schwere Metalltank mit der ungefähr wohl an die hundertzwanzig Pfund schweren Vampirin hing. Zum anderen wirkte die zunehmende Kälte in der gerade beflogenen Höhe auf die beiden Bronco Millennium ein. Daianira verwünschte den Umstand, daß die schnellen Besen nur bei üblichen Wintertemperaturen getestet worden waren. Doch je weiter sie nach Norden flogen desto eisiger wurde die Luft. Zwischendurch mußten sie Landen, um die kälteabweisenden Kleidungsstücke anzulegen und eine ausreichende Portion vom Warmhaltetrank einzunehmen. Doch die Besen konnten sie nicht in Warmwolle einwickeln. Als sie bereits innerhalb des Polarkreises unterwegs waren und weit unter sich eine blendendhelle Eisfläche im schein der hier über Wochen lang nicht untergehenden Sonne sahen, wurde es Daianira doch etwas merkwürdig. Da unten gab es so gut wie keinen Menschen. Die Inuit, die in kleineren oder größeren Clans dort unten lebten, verschwanden in dieser ewig wirkenden Eiswüste.

"Wir müssen den Pol überquert haben und weit bis nach Sibirien eingeflogen sein, bevor der Trank nachläßt, Pandora!" Rief Daianira gegen den klirrendkalten Flugwind an, während ihr Besen immer mehr zitterte und nicht mehr so recht das Tempo halten wollte.

"Verstehe, Mylady!" Rief Pandora zurück, die ebenfalls mit ihrem immer bockiger werdenden Besen zu kämpfen hatte. Sie hoffte nur, daß das magische Fluggerät nicht unter der Traglast und der polaren Kälte den Dienst versagen und abstürzen würde. Um die von ihnen transportierte Vampirin, die in ihrem Metallgefäß nur durch ein paar Decken einen gewissen Schutz vor der Kälte hatte machte sie sich keine großen Sorgen. Nyx war vor Stunden schon in dieser scheintodartigen Starre versunken, die sie gegen natürliche Widrigkeiten außer Feuer und fließendem Wasser so gut wie unempfindlich machte. Sie blickte auf den mit schwarzer Folie überklebten Tank, warf einen kurzen Blick auf das angeschlossene Sauerstoff- und Abluftregulierungspaket, das sie bei ihrer Zwischenlandung mit einem Gleichwärmezauber belegt hatten. Sie würden wohl noch zwölf bis fünfzehn Stunden brauchen, um den Polarkreis über dem russischen Staatsgebiet wieder zu verlassen.

"Da unten!" Rief Daianira. "Da ist der Nordpol!"

"Woher wißt Ihr das, Lady Daianira?" Fragte Pandora. Denn die beiden auf die Besenspitze aufgepflanzten Kompasse wurden durch den Lageunterschied zwischen geografischem und magnetischem Pol unzuverlässig.

"Die Luxusbesen haben ein Gradnetzanzeigesystem, ähnlich dem Naviskop. Lege deine Hand auf die Besenspitze und denke "Monstrato Locationem!" Erwiderte Daianira. Pandora nickte und befolgte die Anweisung. Tatsächlich floß durch den Besenstiel eine leicht pulsierende Kraft in ihre Hand ein, und wie durch eine unsichtbare Brille konnte Pandora einen Roten Kreis erkennen, in dem eine goldene Neunzig aufflammte. Als sie die Hand kurz löste, verschwand diese Vision auch schon wieder.

"Damit haben sich die Erbauer von Navigationsartefakten unabhängig gemacht", erklärte Daianira und glich eine Wackelbewegung des Besens aus.

"Ich fürchte, unsere Besen halten das nicht lange durch, Lady Daianira", unkte Pandora.

"Solange wir im Sonnenlicht fliegen wird's schon gehen, Schwester Pandora", beruhigte sie Daianira. Sie wäre bestimmt nicht so zuversichtlich gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß keine zehn Kilometer hinter ihnen ein weiterer Langstreckenbesen flog, dessen Reiterin genau in Richtung eines dunkelgrünen Punktes auf einem Zifferblatt mit 360 Einteilungen dahinflog.

__________

Anthelia bewunderte die Fertigungskunst der Bronco-Besenbauer. Der neue Parsec war in der Tat ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Flugbesen. Über Verschlungene Pfade und großzügige Geldspenden aus der Schwesternschaft hatte sie den Wunderbesen im Eulenversanddienst erworben. Nicht nur, daß der Besen sehr tiefen Temperaturen mühelos standhielt, er konnte auch im Bedarfsfall fünf Kilometer mit einem Sprung überwinden. Doch dieses Extra brauchte Anthelia im Moment nicht. Sie flog in halber Reichweite des Aufspürzaubers, den sie zwischen dem Tank und einem nadellosen Kompas errichtet hatte. Der dunkelgrüne Punkt, der genau auf der mit einer Null markierten Zwölf-Uhr-Position des Zifferblattes lag verriet ihr, daß sie noch nahe genug an dem vor ihr dahinfliegenden Gespann flog. Die rauminhaltsvergrößerte Packtasche, die hinter ihr am Besen festgeschnallt war barg diverse Tränke, wie einen Wachhaltetrank und einen Bluterneuerungstrank. Außerdem trug sie den beim Besenkauf mitgelieferten Spezialanzug, der wie ein dickgepolsterter Strampelanzug mit Kapuze und eingearbeiteter Windel direkt am Körper getragen wurde und sich den Abmessungen seines Trägers oder seiner Trägerin wie eine zweite, dicke Haut anpaßte. Zudem kam noch ein für zwanzig Stunden ununterbrochen vorhaltender Kopfblasenzauber, der aus einem nachladbaren Stein in der Kapuze gespeist wurde. Er ermöglichte das freie Atmen in einer lungenfeindlichen Umgebung. Anthelia wußte von Cecil, daß die Unfähigen ebenfalls Schutzanzüge erfunden hatten, die ganz ohne Magie die in ihnen steckenden Personen gegen unwirtliche Umweltbedingungen schützten, ja ihnen sogar die Möglichkeit gaben, im luftleeren, extrem kalten Weltenraum eine gewisse Zeit zu überleben. Anthelias Anzug hielt sie gerade warm genug, daß sie nicht schwitzen mußte. Denn Besen und Anzug waren ja gerade für Flüge in eisigen Höhen gemacht worden. Während Anthelia so hinter Daianira dahinbrauste horchte sie immer wieder in sich hinein. Dabei empfing sie irgendwann Patricia Stratons Botschaft, daß das Vertuschungsmanöver mit Cecil Wellington zwar geklappt hatte, es aber beinahe schiefgelaufen wäre, weil ein anderer Ministeriumszauberer Wind von irgendwas bekommen und zwei seiner Leute ausgeschickt hatte. Jetzt hatte sie den Rücken frei für ihre Aktion. Sie wollte nicht darauf hoffen, daß Daianira den Mitternachtsdiamanten an sich bringen und zerstören konnte. Wenn sie in der Nähe des Ortes waren, zu dem Nyx die beiden hinführen würde, würde Anthelia in die Nähe springen und zusehen, was geschah. Sie spielte auch mit dem Gedanken, mindestens zehn Entomanthropen herbeizurufen. Doch diese würden wohl Tage brauchen, um an den Bestimmungsort zu fliegen und zur Errichtung des Massentransportzaubers blieb dann wohl auch keine Zeit mehr. Es ärgerte sie zwar ein wenig, so ganz unvorbereitet und auf sich allein gestellt zu agieren, war jedoch nicht mehr zu ändern.

Als sie ebenfalls über den Nordpol hinwegflog, immer darauf achtend, nicht auf Sichtweite des vor ihr fliegenden Besens heranzukommen, wußte sie, daß sie wohl gerade erst die Hälfte des Weges geschafft hatte. Sie blickte sich um, bestaunte den blaßblauen Himmel über sich, der wie eine makellose Kuppel mit dem weiß und blau glitzernden Horizont abschloss. Die Sonne leuchtete hell und beinahe weiß herab. An diesem Punkt der Welt würde es für mehrere Monate keine Nacht geben. Unter ihr glitten die bei der Frühlingsschmelze hartnäckig verbliebenen Packeisflächen dahin. Vermutlich waren dort unten die majestätischen Eisbären gerade unterwegs, um Fische oder Robben zu jagen. Womöglich wurden die Bären gar selbst von dem dort unten lebenden Naturvolk der Inuit gejagt, von deren mit wirklicher Magie begabten Schamanen sie erstaunliche Dinge erfahren hatte. Doch um diese großen Zaubereien zu wirken, benötigten die Schamanen Zeit und die Mithilfe ihrer Stammesmitglieder. Zwar beherrschten sie auch ungesagte Zauber, um kleinere Naturveränderungen zu bewirken und tiere ganz und Menschen teilweise zu beeinflussen. Aber im direkten Duell würde ein Inuit-Schamane gegen sie wohl schwerfällig und kraftlos erscheinen. Der Kampf mit dieser afrikanischstämmigen Halbhexe, die sich durch den Fluch der Daggers-Villa mehr eigene Macht verschaffen wollte, hatte ihr gezeigt, daß Ritualmagie für sie eher lästig als wirklich gefährlich werden würde. Es sei denn, der Magier vermochte, mehrere sich auf ihn konzentrierende Gehilfen beizubringen, deren Kraft er dann in seinem Geist bündeln und seine Magie damit vervielfachen konnte.

Der blaßblaue Himmel bekam für einen Moment einen roten Riss knapp über dem Horizont, der zu einem kaum merklichen violetten Wabern wurde, das dann vom hellen Glanz der Himmelskuppel aufgesogen wurde. Anthelia hatte schon mehrmals die über dem nächtlichen Polarhimmel geisternden Lichter sehen können. Doch daß eines dieser Lichter auch am polaren Tag zu sehen war erstaunte und beeindruckte sie doch sehr. Also gab es dieses Polarlicht auch am Tage, war eben nur wegen der überstrahlenden Sonne und des von ihr aufgehellten Himmels weitestgehend unsichtbar.

"Es gibt wahrlich schöne und erhabene Gefilde auf unserer großen Erde", dachte Anthelia versonnen. Doch dann besann sie sich wieder auf die vor ihr liegende Aufgabe. Sie blickte auf den grünen Punkt, der um einen Teilstrich nach links verrückt war. Anthelia korrigierte die Flugrichtung entsprechend und blieb weiterhin hinter dem Besen Daianiras.

__________

Jeder Vampir besaß einen inneren Spürsinn für den Einbruch der Dunkelheit. So erwachten Lunova und Igor Dserschinski in ihren Verstecken, kaum daß der letzte Dämmerschein erloschen war. Diese Nacht sollte ihre Nacht werden.

Igor hob die schwere Marmorplatte über seinem Körper an und drückte sie zur Seite. Nebenan schabte gerade Stein auf Stein. Seine Frau entstieg dem geplünderten Grab.

"Wie viel Zeit bleibt uns, um an den Ort zu fliegen, Lunova?" Fragte Igor.

"Von hier aus können wir sogar deinen schnellen Weg gehen, Igor", säuselte Lunova.

"Dann wollen wir mal", sagte Igor und legte die Marmorplatte wieder ordentlich auf die Grabkammer.

"Geht es dir gut, Lunova?" Fragte Igor besorgt.

"Eigentlich schon, Igor. Ich habe nur ein komisches Gefühl, nachdem wir den verdammten Fluch des dunklen Lords ausgetrieben haben. Aber genau deshalb sollten wir jetzt los, um den Stein zu holen", sagte Lunova. Igor nickte und reichte ihr die Hand. Dann verschwanden sie, um fast im selben Augenblick mehrere hundert Kilometer entfernt östlich eines hohen, dunklen Berges zu erscheinen, dessen Gipfel die tief hängenden Wolken berührte.

"Auf halber Höhe dieses Berges, Igor", sagte Lunova. Wir können dort nicht durch dieses enge Tor im Raum heraustreten, durch das wir gerade hergekommen sind. Goran hat sein Versteck weitläufig mit Wehrzaubern überdeckt. Doch wenn wir fliegen kommen wir unangefochten hin, wirst sehen."

"Nun dann, fliegen wir!" Trieb Igor sie beide zur Eile an und konzentrierte sich auf die transformative Trance, um sich in eine menschengroße Fledermaus zu verwandeln. Seine Frau tat dasselbe. Die Wandlung vollzog sich nicht in einem Augenblick, sondern benötigte mehrere Sekunden. In den Gesichtern der Vampire spross graues Fell, die Haare selbst wurden kürzer und gingen in grauen Pelz über. Die Ohren vergrößerten sich und wurden trichterförmig, während sich zwischen Handgelenken und Rippen lederartige Flughäute herausbildeten. Die Finger bekamen lange, scharfe Krallen. Ebenso veränderten sich die Füße. Die Kleidung schien sich im Fell aufzulösen. Tatsächlich aber wurde sie wie der sie tragende Körper in die Umwandlung einbezogen. Nach zehn Sekunden hockten zwei gigantische Fledermäuse mit spitzen Mäulern, aus denen weiß und dolchartig die beiden furchterregenden Fangzähne hervorlugten. Auf eine für Menschenohren nicht mehr hörbare Weise rief Igor seiner Frau zu, sie möge ihn führen. Dann stießen sie sich vom Boden ab und flogen flatternd nach oben und dann die Ostflanke des Zla Kotala entlang. Doch sie waren kaum unterwegs, als Lunova im ultrahohen Tonfall schrie: "Verdammt, Igor, es ist noch in mir! Der Fluch des dunklen Lords ist noch in mir!"

__________

Itoluhila hatte den Tag damit zugebracht, wie die Straßenmädchen, deren heimliche Beschützerin sie war, die Gelüste zahlungswilliger Männer und auch einiger Frauen zu befriedigen. Dabei hatte sie behutsam aber mehr als ausreichend Lebensenergie in sich aufgesogen und war nun bereit, sich den von allen Vampiren hochverehrten Stein zu holen, um ihn entweder dazu zu benutzen, alle Vampire zu vernichten oder deren Kraft in sich einzusaugen, oder den Stein zu zerstören. Sie verließ ihre magische Zuflucht ohne jede Kleidung am Leib. Da wo sie hinwollte brauchte sie eh keine Rücksicht auf lästige Anstandsregeln zu nehmen.

Die Ostflanke des Berges sollte es sein, hatte ihre noch wache Schwester ihr verraten. Ja, da war auch etwas, etwas abweisendes, gewalttätiges. Sie konnte es mit ihrer Nase aus der Luft saugen, leise in ihren Ohren hallen hören und fühlte es auf der Haut wie herumwuselnde Ameisen. Nicht weit von ihr entfernt begann die düstere Magie, die der alte Goran vor einem Jahrtausend in mehreren Ritualen aufgebaut hatte, bei denen gewiß mehr als hundert Menschenleben geopfert worden waren. Die Tochter des schwarzen Wassers weinte diesen Kurzlebigen keine Träne nach. Sie war etwas ungehalten, daß dieses Geflecht von dunklen Kräften so stark war. Sie hatte gehofft, nur mit wenigen Abwehrzaubern ringen zu müssen. Doch jetzt erschien es ihr nicht mehr so ganz einfach. Dann jedoch entschloß sie sich, der abweisenden Magie zu trotzen und kletterte behände den felsigen Hang hinauf. Die von ihr gesammelte Lebenskraft hielt sie wach und kraftvoll. Sie turnte wie eine Bergziege über spitze Kalksteine hinweg, zog sich an einer fast senkrechten Bergwand hinauf und schlängelte sich durch hervortretende Felsenformationen. Sie hätte auch fliegen oder als weißer Bodennebel diesen Weg zurücklegen können. Doch sie wollte die Abgrenzung zwischen der freien und der verfluchten Umgebung haargenau treffen, nicht aufs Geratwohl in Gorans Schutzzone eindringen. Bei jedem weiteren Dutzend Meter näher an jener Quelle dunkler Magie fühlte sie die Drohung, die davon ausging. Es war, als säßen dort hungrige Raubtiere und knurrten Angriffslustig. Doch Itoluhila war fest entschlossen, ihre überragende Magie gegen dieses starre Gebilde aus Flüchen und Abwehrzaubern zu richten. Doch was war das? Da kam etwas magisches aus gewisser Entfernung. Sie fühlte etwas pulsierendes, das plötzlich an der Ostflanke, keine fünfhundert Meter unter und einen Kilometer hinter ihn erschienen war und nun auf sie zukam, schnell, durch die Luft. Ja, und da war noch etwas. Noch eine magische Ausstrahlung, die jedoch nicht pulsierte sondern wie ein unhörbarer Ton gleichmäßig ihren Spürsinn anklingen ließ. Sie krallte sich an einer Felsnase fest und blickte sich um. Das Pulsieren kam nun von unten herauf. Sie horchte und erspürte die Lebensauren zweier Wesen, die sie abgrundtief verabscheute. Ja, da kamen zwei Blutegel angeflattert. Doch wieso ging von dem vorderen dieses kraftvolle Pulsieren aus, das seine Lebensaura ausdehnte und zusammenzog wie ein schlagendes Herz? Sie hätte vielleicht doch bei Tag herkommen sollen, dachte Itoluhila. Doch nun war es wohl nicht zu vermeiden, daß sie sich mit diesen zwei Blutsaugern, wohl den Dserschinskis, einen wilden Kampf liefern sollte. Doch dann fiel ihr die andere magische Kraftquelle ein, die mit hoher Geschwindigkeit heranflog und dann kurz vor dem Berg verhielt. Sie vermutete, daß jemand weiteres den Mitternachtsdiamanten erbeuten wollte. Dann brauchte sie, Itoluhila, doch nur zu beobachten, wer den Stein zuerst erreichte. Allerdings mußte sie dann wohl mit aller Kraft vorgehen, falls einer der Vampire ihn berühren und an sich nehmen würde. Unvermittelt zerfloß Itoluhila zu einer Nebelwolke, die sich in dieser fast vollkommenen Dunkelheit schwachgrau gegen das dunkle Bergmassiv abhob. Lautlos glitt die nun gasförmige Kreatur nach Norden vom direkten Kletterpfad zu Gorans Burg weg. Sie wollte den Vampiren, die sie wohl spüren würden, wenn sie blieb, möglichst lange verborgen bleiben.

__________

"Wir sind nahe!" Tönte es metallisch aus dem verschlossenen Tank. "Lasst mich jetzt heraus!"

"Sollen wir sie wirklich herauslassen?" Fragte Pandora Daianira mentiloquistisch.

"Wenn wir das nicht täten würden wir nicht erfahren, wo der verfluchte Stein ist, Schwester Pandora", erwiderte Daianira auf dieselbe unhörbare Art. So landeten sie keine fünf Kilometer von der westlichen Wand des Zla Kotala. Pandora, die sich von Patricia die Handhabung hatte zeigen lassen, entfernte die Lichtabweisungsfolie, stöpselte die Luftversorgung aus und schraubte den luft- und druckdichten Deckel ab. Mit einer Bewegung, die fast ein Blinzeln lang dauerte, schossen Nyx' lange Beine aus dem Tank, hakten sich am Rand der Öffnung ein und krümmten sich kraftvoll. Immer noch in Decken eingewickelt schnellte Nyx' Körper aus der metallischen Behausung heraus. Keine Sekunde später stand die Vampirin im Freien und sog die Kühle der Nacht ein. Sofort pulsierte es golden unter Daianiras Brustkorb. Das goldene Amulett der Inkas war bereit, die Vampirin sofort zurückzudrängen. Doch diese reckte und streckte sich erst einmal. Dann sagte sie:

"Ich weiß, die Versuchung war groß, mich irgendwo eingesperrt liegen zu lassen oder im Meer zu versenken, nicht wahr? Aber ohne mich werdet ihr nicht an den Stein kommen. Die gute Voixdelalune hat mir allein verraten, wo Lunova Dserschinski ihn versteckt hat. Also folgt mir!" Sie lief ungeachtet, daß sie die letzten zwanzig Stunden in diesem Metalltank gelegen hatte nach vorne. Dann hockte sie sich hin. Ihr dünnes, schwarzes Seidenkleid berührte dabei den Boden. Es sah aus, als säße dort eine große, schwarze Glucke über ihrem Gelege. Dann wuchsen der Vampirin die Fledermausflügel. Ihre Gestalt wandelte sich geringfügig. Das schwarze Kleid verschwand unter einem hellgrauen Fell.

"Tank ausschirren!" Befahl Daianira. Mit schnellen, ungesagten Zaubern ließen die beiden Hexen das Tragegeschirr mit dem noch offenen Metalltank von ihren Besen abrutschen. Dann sprangen beide auf ihre Fluggeräte und hoben ab, gerade als Nyx als eine schlanke Fledermaus mit weit ausladenden Flügeln vom Boden abhob und mit schnellen, flatternden Bewegungen auf den Berg zuhielt. In nur zwei Dutzend Metern Entfernung folgten Daianira und Pandora. Mühelos folgten sie dem ansteigenden Berghang, überquerten Felsvorsprünge und -spalten, passierten kleinere Plateaus und Einkerbungen, umstrichen berührungslos einen Buckel aus massivem Kalkstein und folgten der menschengroßen Fledermaus. Diese schien zu riechen, wo sie hinfliegen mußte, stieg auf die Höhe des Gipfels hinauf und stürzte sich jenseits der größten Erhebung Montenegros hinab, um mit zunehmender Geschwindigkeit auf das Ziel loszufliegen, wie die Motte zum Licht. Doch knapp fünfhundert meter weiter unten fing sie mit weit ausgebreiteten Flügeln den Sturzflug ab, bremste so stark, daß nur der Bremszauber der ihr folgenden Besen die Hexen davon abhielt, in die Vampirin hineinzukrachen. Dann landete Nyx und verwandelte sich in ihre menschliche Erscheinungsform zurück.

"Sind wir am Ziel?" Fragte Daianira.

"So gut wie", zischte Nyx. Doch da vor uns beginnt die Gefahrenzone. Gorans Burg."

"Goran? Der Fürst der schwarzen Berge? Der urahn der Schwarzbergbrüder?" Fragte Pandora erschrocken.

"Eben der, der hier vor einem Jahrtausend das Volk in Angst und schrecken gehalten hat. Voixdelalune hat mir verraten, daß eine von Lunovas Töchtern das Geheimnis um das Versteck erlauscht hat, jedoch vor lauter Angst vor ihr nicht selbst dorthin wollte. Außerdem wehrt sich der Ort. Die Leben viler Opfer haben hier ein unsichtbares Bollwerk des Schreckens und der Vernichtung geschaffen. Ich fürchte, meine verbliebene Zauberkraft reicht nicht aus, es zu durchbrechen."

"Deshalb habt Ihr uns ja auch gebeten, euch zu helfen", erwiderte Daianira leicht belustigt. "Wißt Ihr denn zumindest, welcher Art die Abwehr ist?"

"Solcher Art, daß mehrere Menschenleben dafür geopfert wurden", sagte Nyx dazu nur. Daianira und Pandora überlegten, was ihnen also bevorstand. Dabei mentiloquierte Pandora heimlich mit Anthelia, die bereits in der Nähe war. Diese schickte ihr eine Antwort zurück, die Pandora nicht sonderlich gefiel.

"Das Heer der hundert Tode", sagte sie dann zu Daianira. Diese blickte sie merkwürdig an. Doch dann begriff sie. Der alte Goran hatte seine Burg mit einer Heerschar unsichtbarer Wächter abgesichert, willenlose Geisterwesen, aber auch zum unechten Leben erweckbare Leichen, Inferi, Wiedergänger, Zombies.

"Diese Wesen können auch elementare Verheerungen anrichten", sagte die Führerin der Nachtfraktionsschwestern. "Nun denn, wir müssen die Mauer dieser Schrecken durchbrechen. Du kennst den Bann der unerwünschten Geister?" Fragte sie Pandora noch. Diese nickte. Daianira nickte auch und bestieg dann wieder ihren Besen. Sie stieg einige Meter auf und sah zu, wie Pandora ebenfalls aufstieg und neben ihr herflog. Dabei fragte sie sich, wie und wo Lunova den Mitternachtsdiamanten hier versteckt haben konnte.

__________

Anthelia erkannte, daß der behexte Tank nicht weiterflog. Sie landete eine Minute später, relativ nahe bei Daianira und Pandora. Dann empfing sie Pandoras Gedankenbotschaft:

"Höchste Schwester, konntest du folgen?"

"Ja, bin in eurer Nähe", antwortete sie.

"Nyx warnt uns gerade vor dunklen Zaubern, die durch die Opferung von mehr als hundert Menschen ermöglicht wurde. Kennst du sowas?"

"Natürlich, das Heer der hundert Tode, Schwester Pandora. Wappnet euch für eine unsichtbare Streitmacht!"

"Verstanden", erwiderte Pandora eingeschüchtert. Dann blieb es einige Augenblicke Still. Dann schickte Pandora zurück:

"Sind an der Ostflanke des Zla Kotala, fünfhundert Meter unter dem Gipfel."

"Verstanden!" Schickte Anthelia zurück und entnahm der Tasche am Besenstiel einen weiten, lederartigen Mantel mit neun Knöpfen. Sie hatte dieses hochpotente Zauberkleidungsstück bis heute nicht einmal getragen, nachdem sie es wie den Entomolithen aus der behexten Truhe ihrer Tante Sardonia geholt hatte. jetzt war es wohl an der Zeit. Sie entnahm der Tragetasche noch ein silbernes Messer, mit dem sie sich die linke Hand anritzte. Dann presste sie die Wunde an die Innenseite des schwer wirkenden Mantels und fühlte, wie etwas in dem Gemisch verschiedener Stoffe das aus der Wunde sickernde Blut aufsog, bis der Mantel in Anthelias Händen sich von selbst zu regen begann und federleicht wurde. Anthelia fühlte, wie der bezauberte Stoff noch etwas Blut aus ihrer Hand zog. Dann streckten sich die leeren Ärmel des Mantels weit und hoben sich, während der ganze Mantel sich straffte, als erwache gerade ein Mensch aus tiefem Schlaf. Da wußte Anthelia, daß sie den Mantel nun gefahrlos und vor allem mit allen ihm innewohnenden Eigenschaften überstreifen konnte. Schnell warf sie sich das von Sardonia geerbte Kleidungsstück über, verschloß es sorgfältig und stieg dann wieder auf ihren Besen auf. Sie fühlte den warmen, nicht mehr ganz so schweren Mantel auf ihrem Körper liegen, jedoch nicht eng und bedrückend, sondern bergend und luftig. Anthelia stieß sich vom Boden ab und flog einige hundert Meter, um genug Geschwindigkeit für den Kurzstreckensprung zu erreichen. Dann legte sie den Zeigefinger der linken Hand Zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, hielt sich so gut sie konnte am Besenstiel fest und dachte "Bronco, Spring!" Unvermittelt machte der Besen einen Satz nach vorne, wobei Anthelia in der Dunkelheit vorbeihuschende Leuchterscheinungen aus rotem, grünem und blauem Licht zu sehen meinte. Dann erkannte sie, daß sie tatsächlich im Bruchteil einer Sekunde mehrere Kilometer Weg übersprungen hatte und bereits in der Nähe des Gipfels flog. Sie stieg beinahe senkrecht nach oben, überflog den Gipfel und flog dann behutsam nach unten. Da sah sie auch schon das Feuerwerk.

__________

"Haben die echt gedacht, mich abschütteln zu können", dachte Voldemort. Er hatte sich bereits in Dserschinskis Nähe versteckt und seinen Zauber überwacht, den er auf Lunova gelegt hatte. Erst sah es so aus, als würde dieser nicht ansprechen. Dann, langsam und bedächtig, konnte er ihn doch fühlen, schwächer als ursprünglich erwartet, aber doch noch wirksam. Offenbar hatten sie versucht, den doch irgendwie erkannten Fluch auszulöschen. Doch Grindelwald hatte ihn sehr gekonnt erprobt und darüber geschrieben. Selbst wenn ein Vampir, der ein besonders gutes Gespür für fremde Flüche hatte, diesen Zauber bei einem Artgenossen wahrnehmen konnte, so hatte Grindelwald geschrieben, würde er ihn nicht brechen können, und sei es mit der Macht des Blutsteins. Schwächen ließ er sich zwar. Aber innerhalb von zwanzig Stunden blühte er dann wieder auf. Voldemort mußte bis dahin nur in der Nähe der beiden bleiben. So flog er ihnen wie ein ferner Schatten hinterher, als sie zu jenem Friedhof eilten, um dort auf die nächste Nacht zu warten. Doch dann als die Nacht hereingebrochen war disapparierten die beiden einfach, ohne daß der Ortbarkeitszauber seine volle Stärke zurückgewonnen hatte. Voldemort hatte zunächst sehr wütend einen Feuerball in die verlassene Gruft hineingeschossen. Doch weil das erstens nichts brachte und zweitens eh keinen mehr interessierte, was mit dem längst aufgegebenen Friedhof geschah, der ihn an Little Hangleton erinnerte, beschloß der dunkle Lord, den zweiten Zauber zu wirken, um den auf Lunova übertragenen Auffindbarkeitszauber zu orten. Er versank für eine Minute in totale Konzentration, um seinen Geist von allen störenden Gedanken freizumachen. Dann ließ er einen Schwall von Zauberworten aus seinem Mund hervorsprudeln, die jedes für sich mit Ort und Auffinden zu tun hatten. Weil er auch noch Lunovas Namen einfließen ließ geschah es, daß er, kaum daß er die Zauberformel zu Ende gerufen hatte, vor seinem inneren Auge zwei Gestalten wie im Nebel sah. Er schloß die Augen und meinte für einen Moment, über einer Berglandschaft dahinzufliegen, bis er unvermittelt über Lunova hing, als flöge er selbst genau über ihr mit. Er konzentrierte sich und erfaßte intuitiv, daß sie sich von seiner jetzigen Stelle aus dreihundert Kilometer in nordöstlicher Richtung aufhielten. Er überwand den größten Teil dieser Strecke durch Apparieren. Etwa zehn Kilometer vom erspürten Aufenthaltsort der Vampire entfernt stieß er sich nach einer ihm vertrauten ungesagten Zauberformel vom Boden ab und flog auf, ohne Besen und ohne fliegendes Zaubertier. Der Anzeigezauber in lunova war jetzt wieder mit voller Stärke erwacht und zeigte dem dunklen Lord, der sich immer wieder darauf einstimmte, wo sein Ziel lag. Dann erkannte er, worauf sie da zuflogen.

"Diese Blutsaugerin hat den Stein doch nicht bei Gorans Burg versteckt", dachte er leicht beklommen. Doch dann grinste er. "Wenn die Vampirin ein sicheres Versteck gefunden hatte, dann das. Womöglich würden die beiden nun irgendwie durch die dort vermuteten Abwehrzauber hindurch müssen. Aber wenn Lunova es einmal geschafft hatte, warum nicht ein zweites Mal? Er landete und konzentrierte sich noch einmal. Lunova war langsam unterwegs, bedächtig und auf der Hut. Wenn er sich jetzt nicht beeilte würde sie wohl in den Schutzbereich hineingelangen, vielleicht sogar mit ihrem verfluchten Ehegatten zusammen. Er disapparierte, um knapp fünfzig Meter vor Lunova zu erscheinen, die gerade auf einen schmalen Durchlaß in der Wand zuflog, Igor dicht hinter sich.

"Ist ja nett, daß ihr beiden blöden Blutsauger mich hierhergeführt habt!" Rief er triumphierend aus und hob den Zauberstab. "Per Solem benedico!" Rief er, und ein gleißendgelber Lichtblitz erstrahlte aus seinem Zauberstab und fuhr geräuschlos zwischen die beiden Vampire.

Igor Dserschinski stieß einen wütenden Schrei aus und stürzte sich aus großer Höhe auf Voldemort, während seine Frau weiterflog. Voldemort mußte sich wehren. Er wendete erneut den gelben Blitz an, um Igor zurückzuwerfen. Doch das wirkte nur einen Moment lang. Als Voldemort erneut auffliegen wollte, um Lunova zu folgen brauste der Vampirfürst wieder heran. Warum hatte der Segen der Sonne ihn nicht geschwächt oder vertrieben?

"Denkst du, ich lasse mich jetzt noch von dir aufhalten, Voldemort?" Schnarrte Dserschinski und fletschte seine Vampirzähne.

"Wie kannst du so stark sein?" Fauchte Voldemort zurück und stieß den Zauberstab vor. Unvermittelt stand Igor Dserschinski lichterloh in Flammen. Doch was war das? Kaum das der Vampir von feuer eingehüllt wurde, erlosch dieses auch schon wieder. Da begriff Voldemort, daß Dserschinski etwas bei sich trug, daß ihn widerstandsfähiger gegen die Kräfte von Feuer und Licht machte als ein Vampir sonst war. Da dies nur der Blutstein sein konnte lachte Voldemort überlegen und deutete auf den Vampir.

"Sanguis captivus expulso!" Igor schrie auf, als in Höhe seines Bauches eine große Beule entstand, wuchs und mit häßlichem Spritzgeräusch aufplatzte, worauf sich rotes Blut, das gefangene Blut vieler Opfer, ungehindert auf den Boden ergoss. Der Vampirfürst schrie weiter, stürzte dabei fast ab, während Voldemort laut lachte und noch einmal den Segen der Sonne gegen den Vampir losschickte, der diesmal mit voller Wucht traf und Igor zurückprällte, der geblendet vom grellen Licht, angesengt von der gebündelten Kraft der Sonne und geschwächt vom Aufsprengen des bei der Fledermausverwandlung mit ihm verschmolzenen Blutsteins zu Boden sank und sich windend liegen blieb.

"Habt ihr euch dennn ernsthaft eingebildet, Lord Voldemort hintergehen und einfach so überwältigen zu können?" Lachte der dunkle Lord. Winsele um Gnade, du erbärmlicher Verräter!!"

"Niemals!" Brüllte Igor aus purer Verzweiflung. "Ich werde dich bis auf den letzten Blutstropfen aussaugen."

"Du bist eine lästige Mücke, die ich gleich an dieser Bergwand da zerquetschen werde", schnaubte Voldemort. "Aber vorher hole ich mir euren hochheiligen Mitternachtsdiamanten."

"Gorans Burg wird dich nicht reinlassen, du widerliches Geschmeiß!" Schnarrte Igor.

"Wenn deine Alte dort reinkam kann ich das schon längst", prahlte Voldemort. "Wirst gleich erleben, wie dein Traum von deiner weltweiten Vampirelite zerschmilzt wie Eis in der Sonne."

"Dein Traum von der reinen Zauberergesellschaft wir zu Staub zerfallen", röchelte Igor in letzter Wut. Er versuchte, sich aufzurichten. Doch die immer noch rot ausblutende Wunde auf seinem Bauch schmerzte ihm so sehr, daß er nicht die Kraft aufbrachte, wieder aufzustehen. Voldemort sah ihn mit gespieltem Bedauern an, lachte noch einmal sein kaltes, hohes Lachen und drehte ihm einfach den Rücken zu, als drohe ihm von Igor keine Gefahr mehr. Der dunkle Lord flog auf und verfolgte Lunova, als Igor zwei Sachen gleichzeitig sah, von denen die eine ihn mit einer letzten Schadenfreude erfüllte, die andere aber an den Rand der endgültigen Selbstaufgabe trieb.

Als Voldemort ohne Flügel und Fluggerät hinter Lunova herflog, tauchten links und rechts von ihm nebelhafte Schemen auf, die schlagartig zu brennenden Ungeheuern wurden. Auch von vorne tauchte eine solche Dämonengestalt aus der Dunkelheit auf. Das würde dem selbstherrlichen, sich für unbesiegbar haltenden Hexenmeister den Garaus machen, dachte der Vampir, als er eine weitere Nebelerscheinung sah, die von rechts her auf ihn zuglitt und eine Aura unbändiger Macht ausstrahlte, einer Macht, vor der er, ein altgedienter Sohn der Nacht, sich zu fürchten gelernt hatte. Er erkannte die grenzenlose Überlegenheit, die die in diesen Nebel verwandelte Kreatur ihm gegenüber ausstrahlte. Als sich die Nebelwolke dann auch noch in eine nackte, makellos schöne Frau mit langem, schwarzen Haar verwandelte, wußte der Vampir, daß er einen Todfeind gegen einen anderen ausgetauscht hatte. Und er war schwer angeschlagen, leichte Beute für Wesen wie sie, die da nun überlegen lächelnd auf ihn zukam.

"Och, hat der schlangenschädelige böse Zauberer dich fast totgemacht?" Fragte sie spöttisch, wobei sie ein akzentfreies Polnisch sprach.

"Du auch noch, Itoluhila, Menschenhure", stöhnte Igor und versuchte noch einmal, sich zu erheben, zumindest aufrecht seinem Schicksal entgegenzusehen. Er hörte lautes Zischen und prasseln, krachen und Heulen. Doch ihm war es jetzt gleich, ob Voldemort von den Phantomen getötet wurde, die aus Gorans schlummerndem Abwehrzauber geboren worden waren. Sein Schicksal stand vor ihm und schnalzte mißbilligend mit der Zunge.

"Nur keinen Neid, weil dein Wolfsgebiß keine anständige Frau mehr hinterm Ofen hervorlocken würde, Blutschlürfer. Meinst wohl, ich müßte dich mal eben hier und jetzt zertreten wie eine Wanze, wie? Aber den Gefallen tu ich dir nicht. Ich will mir euren Lieblingsstein holen und dann, dann werde ich euch Geschmeiß sehr gerne von dieser schönen Erde putzen. Vielleicht ist dir ja jemand so gnädig und läßt dich vorher krepieren, Blutschlürfer."

"Du kannst da nicht rein. Geh doch und versuch's! Der dunkle Lord wurde schon erledigt", fauchte Igor und zuckte unter einem neuen Schmerzanfall zusammen.

"Nein, das wurde er nicht. Er weiß sich zu wehren, wie ich feststellen kann. Das ist also der dunkle Lord Voldemort, der meinte, meine Schwester Hallitti und mich zu seinen niederen Mägden machen zu können? Danke für diese Information! Gehab dich wohl, Igor Dserschinski!"

"Auf daß dich das alles fressende Feuer holt!" Rief Igor. Er fühlte, wie die körperliche Verbindung mit dem Blutstein ihm nun immer mehr Kraft entzog, je mehr darin gebanntes Menschenblut herausquoll und im Boden versickerte. Dann sah er, wie sich die Abgrundstochter in eine dichte Wolke aus schwarzem Nebel einhüllte und unverdrossen weiterging, ohne ihn noch einmal eines Blickes zu würdigen. Sie war hinter dem erhabenen Stein her. Woher wußte diese Kreatur wo er lag? Igor fühlte Wut, Enttäuschung und Verzweiflung bei dem Gedanken, daß ihn alle Welt verraten hatte. Die letzten Gedanken, bevor der Kraftverlust ihm die Besinnung raubte, galten seiner Frau Lunova. Hoffentlich würde sein Tod ihr helfen, mit dem Stein zu entkommen. Dann würde er gerächt, und seine Feinde würden zu Staub zerfallen.

__________

Anthelia machte einen weiteren Sprung mit dem Besen und landete knapp vor einer auflodernden Feuerwand. Das Seelenmedaillon unter ihrem magischen Schutzanzug pulsierte wild und drängte nach vorne, hin zu einer aufspürbaren Quelle dunkler Kräfte. Anthelia sah noch, wie Daianira und Pandora zwischen den Flammen dahinschritten, umtobt von glühenden Geisterwesen, die halb Feuer, halb Rauch auf sie zuhielten. Doch Daianira bekämpfte Feuer mit Feuer, wie Anthelia sofort sah, als flammende Harpyien, Drachen und Chimären gegen die Phantome ankämpften. Pandora hielt sich derweil in eine Sphäre aus goldenen Flammen eingehüllt, schickte zwischendurch wohl den Geisterbann aus, wie sie ihn wohl schon vor der Begegnung mit Anthelia erlernt hatte. Abseits davon, außerhalb der tödlichen Begrenzung, kauerte eine dritte Gestalt in der Dunkelheit und hielt sich die Augen zu. Offenbar blendete sie das schwarzmagische Dämonsfeuer Daianiras und das ebenfalls dem heißen Element entschlüpfte Heer der hundert Tode.

"Nun denn", dachte Anthelia. "Werde ich zunächst warten, was geschieht.

__________

Daianira fühlte die Gegenwart schwarzmagischer Gewalten. Sie rief die Enthüllung des Unsichtbaren auf. Ja, und da waren sie auch schon, schemenhafte Kreaturen wie aus modelliertem Dunst, die genau in ihre Richtung flogen. Sie wirkte den Geisterbann und schaffte es damit, eines der Dunstgebilde zu zerstreuen. Auch Pandora scheuchte eine Nebelgestalt fort. Doch die anderen bekamen plötzlich ein feuriges Leuchten und wuchsen zu flammenden Phantomen an, die nun vereint auf Lady Daianira zuhielten.

"Ignivivens Infernalium", dachte sie konzentriert, wobei sie sich vorstellte, selbst in hellen Flammen zu stehen, die sie mit aller ihr innewohnenden Zerstörungswut von sich fortschleuderte. Tatsächlich züngelte jedoch nur eine kleine Flamme aus dem Zauberstab der Hexenlady, tanzte unschädlich darauf und sprang dann wie ein Frosch nach vorne, tippte auf dem Boden auf und zerteilte sich in zwei kleinere Flammen, die jedoch in gleichen Augenblick zu Ungeheuern aus purem Feuer wurden, die sich erneut teilten und zu weiteren flammenden Schreckgestalten wurden.

"Mylady, das ist doch viel zu gefährlich!" Rief Pandora, bevor einer der gezauberten Feuerdämonen sich umwand und auf sie zuhielt.

"Aura Sanignis!" Rief Pandora. Laut fauchend platzte ein goldener Feuerball aus ihrem Zauberstab heraus und hüllte sie ein, blieb jedoch als golden flammende Sphäre um sie herum. Die Feuerkreaturen prallten dagegen und wurden laut knisternd zurückgeschleudert. Zwar verloren die Flammenungeheuer weder Kraft noch Größe. Doch Sie ließen von Pandora ab. Lady Daianira, die das Spektakel heraufbeschworen hatte, scheuchte mit dem Zauberstab und dem gedachten Zauberwort "Retro", die Flammengestalten zurück, die sich nun mit den Phantomen befaßten, die zwar nicht brennbar waren, aber dennoch beim direkten Kontakt mit den Kreaturen Daianiras flackerten und sich zurückzogen, um stärkeren Artgenossen Platz zu machen. Doch das von Daianira entfachte und mangels brennbarer Materialien klein bleibende Dämonsfeuer hielt dem Ansturm ab und drängte die Phantome zurück und zur Seite. Noch einmal rief Daianira eine Gruppe dieser Geschöpfe hervor. Sie wußte, daß es sehr gefährlich war, die Kontrolle über diesen Zauber zu verlieren. Denn dann würde das flammende Inferno nicht mehr zwischen Freund und Feind, Schöpfer und Gegner unterscheiden, wußte nicht nur sie. Und je mehr Dämonsfeuer sie entfachte, desto schwerer würde es sein, es wieder verschwinden zu lassen. Denn weder Wasserstrahlen noch Brandlöschzauber konnten ihm etwas anhaben.

"Vorwärts!" Rief sie Pandora laut zu und trat vor. Die willenlosen Geisterwesen, die mit einem Feuerzauber verstärkt worden waren, kamen nicht an Daianira heran. Denn da die Dämonsfeuerwesen noch keine natürlichen Brennstoffquellen gefunden hatten, konnte sie sie mit ihrem Willen lenken. Zwischendurch brachten sie und Pandora auch den Geisterbann an, um besonders große Angreifer auf Abstand zu halten. Das waren verstümmelte Seelen getöteter Menschen, die durch einen Fluch dazu verdammt waren, jeden Eindringling, in dem nicht das Blut Gorans von den Schwarzen Bergen floß zu töten und damit zu einem der ihren zu machen. Wie viele tausend bedauernswerte Artgenossen mochten die nun anstürmenden Kreaturen auf diese Weise schon gezeugt haben? Das war eine Frage, die gerade jetzt unwichtig war. Denn selbst wenn es nur hundert dieser Wächtergeister gab waren sie Daianira und Pandora fünfzig zu eins überlegen. Nur der Einsatz mächtiger Kampf- und Abwehrzauber wog das Verhältnis etwas auf. Doch wie lange noch?

"Die Burg muß geöffnet und mit einem wirksamen Gegenfluch belegt werden", dachte Pandora, die in ihrer goldenen Flammensphäre mehr Ruhe bewahren konnte. Doch welcher Gegenfluch konnte eine derartige Ansammlung schwarzmagischer Kräfte überlagern? Dann kam ihr etwas in den Sinn, das Anthelia ihr einmal erklärt hatte, als sie sie noch in dem Seelenmedaillon bei sich trug. "Geister nichtmagischer Menschen, die nicht von sich aus in der materiellen Welt verbleiben wollten oder dort noch etwas zu erledigen hatten, sind wie die Motten, die in der Dunkelheit umherfliegen. Entzündest du eine helle Flamme des essentiellen Lebens, werden sie davon angezogen und vereinigen sich damit, wodurch sie jedoch den letzten Halt in der Materiellen Welt verlieren. Die dabei freiwerdende Bindungskraft erweitert die Flamme und lockt alle umherirrenden Geister nichtmagischer Menschen an. Erst wenn nach einer Stunde kein weiterer umherirrender Geist mehr erschienen ist, fällt die Flamme in sich zusammen. Wer sie wirken will muß bereits Leben gezeugt oder geboren haben. Sollten euch also die Geister in dieser alten Residenz doch irgendwann lästig fallen, kannst du sie immer noch damit erlösen. Allerdings vergeht dann auch der Fluch, der sie gefangenhielt, und wird sich wohl in einer tödlichen elementaren Gewalt entladen. Sieh dann also zu, daß du außer Reichweite bist, wenn der Fluch sich derartig zerstreut!"

"Mylady, wir müssen uns zurückziehen! Ich weiß jetzt, wie ich Gorans Geisterarmee bekämpfen muß!" Rief Pandora, als zwei von Gorans glühenden Nebelgeistern ihre goldene Flammensphäre berührten und zum flackern brachten. Die Kreaturen Gorans waren also gegen die goldenen Flammen gefeit.

"Wir kommen doch gut voran!" Rief Daianira. "Wir schaffen es."

"Tempestates Tartari!" Schnarrte aus einer Entfernung von nicht einmal hundert Metern eine kalte, hohe Stimme. Pandora kannte diese Stimme zu gut.

"Mylady, der Emporkömmling", mentiloquierte sie ihr rasch.

"Ich habe ihn gehört", kam Daianiras Antwort zurück. Dabei verlor sie die Gewalt über die Feuerdämonen, die sie selbst gerufen hatte. Diese drängten nicht mehr von Daianira fort sondern zu ihr zurück. Sie erkannte, daß sie wohl doch zu viel gewagt hatte und sprang zurück. Pandora, der die Dämonsfeuerwesen nichts anhaben konnten, parierte einen Angriff einer Spinne aus Feuer, die abprallte und in zwei heranzischende Geisterwesen Gorans krachte. Pandora Straton warf sich herum und sprang zwischen Daianira und die ihr nun nachsetzenden Flammenungeheuer, die von ihr davongeschleudert wurden und ineinander oder andere Angreifer krachten. Dabei zerstoben zwei Dämonsfeuerwesen beinahe. Doch die Reste von ihnen züngelten zu neuen Höllenfeuergeschöpfen hoch. Die beiden Hexen rannten die wenigen dutzend Meter zurück, die sie geschafft hatten. Die Feuerwesen fielen zurück, weil eine große Anzahl neuer Feinde sie bestürmte.

"Oh, da haben wir aber noch einmal Glück gehabt", keuchte Daianira, als sie mit Pandora außerhalb der Todeszone auf den Besen aufsaß und aufflog. "Das waren doch glatt an die zweihundert Kreaturen auf einmal."

"Ich weiß, wie wir sie alle besiegen können, Mylady. Aber ich fürchte, damit würden wir dem Emporkömmling Tür und Tor öffnen", sprach Pandora.

"Er hat den Wind der Verdammnis gerufen. Damit wird er viele der Geisterwesen auf sich ziehen und vielleicht daran zu Grunde gehen", keuchte Daianira. Sie sah, wie die Feuerwesen nun von den Verteidigern dieses Ortes hoffnungslos überflügelt wurden. Doch sie wanden sich und wirbelten herum. Dabei fand eines einen halb vermoderten Holzstumpf, wohl den Rest eines Feilers der alten Gebäude. Genüßlich daran fressend verbreiterte sich das Dämonsfeuer und gebar weitere schauderhafte Abkömmlinge, die immer weiter gegen die Geisterwesen kämpften, auf der puren Jagd nach Leben und Brennmaterial. Aus der Ferne hörten sie ein urwelthaftes Tosen, als würde ein gewaltiger Sturmwind durch die Felsen brausen. Daianira blickte sich um. In der Ferne vermeinte sie eine hohe, sich mit rasender Geschwindigkeit drehende Säule zu sehen. Das war die zweite schwarzmagische Elementarbeschwörung, die nur mächtige Zauberer aufrufen konnten.

"Damit kann er Geistern nur etwas anhaben, die dem Element Luft oder der Erde unterworfen sind", bemerkte Daianira. Dann sah sie, wie die wirbelnde Säule immer weiter auf sie zurückte.

"Ist er dahinter?" Fragte Pandora.

"Nein, er ist das Auge dieses Wirbelsturms. Wenn der Sturm auf keinen Widerstand trifft greift er immer weiter um sich, bis sein Beschwörer entweder entkräftet ist, stirbt oder den Gegenzauber ausruft, der um so stärker ausfallen muß, je weiter der Sturm um sich gegriffen hat. Ich gehe davon aus, daß der Emporkömmling die Reichweite jedoch begrenzt hält um gerade genug Aufruhr zu erzeugen, um voranzukommen."

"Ja, doch wenn die Geisterwesen dem Feuer verhaftet sind ...", warf Pandora ein. "Wind kann Feuer anfachen, wenn es nicht kleiner als eine Fackel ist."

"Das hätte er bedenken sollen", knurrte Daianira. Doch offenbar hatte der Emporkömmling das wohl bedacht. Denn je weiter der Wind, der dunkle Staubwolken aufwühlte, um sich griff, desto mehr Geisterwesen drängten zurück.

"Offenbar hat er den Zauber mit einem Geisterbann kombiniert", vermutete Pandora etwas bekümmert, weil der verhaßte wie gefürchtete Schwarzmagier eine wirksame Beschwörung gegen seine Angreifer gefunden hatte.

"Wußte nicht, daß sowas geht, und ich bin schon lange genug auf der Welt, um sowas gut genug studiert zu haben", knurrte Daianira.

"Was weißt du über den Wind der Verdammnis, höchste Schwester?" Mentiloquierte Pandora, wobei sie sich hütete, Daianira anzusehen.

"Er zehrt sehr schnell aus. Würde ich nicht empfehlen. Kann aber mit einem invertierten Geisterfesselungszauber verknüpft werden und so jedes immaterielle Wesen bewegen. Wieso?" Kam die Antwort.

"Ich bin euch allen doch überlegen!" Schrillte Voldemorts Stimme nun magisch verstärkt.

"Ich betrachte die Frage als beantwortet", kam Anthelias Gedankenbotschaft bei Pandora an.

"Er ist in der Tat ein größenwahnsinniger Wüterich", knurrte Daianira. "Er verschwendet seine Kräfte auf unnötige Zauber wie Sonorus. Nicht nur daß er den Geistern damit nicht imponieren wird. Nein, er verrät auch den Dserschinskis und uns, daß er da ist."

"Wenn er die Geisterwesen von sich fernhalten kann ist es ihm möglich, vor uns an den Stein zu kommen. Der Wirbelsturm um ihn herum würde eh jeden Feind zurückwerfen", sagte Pandora.

"Möchtest du resignieren und zusehen, wie dieser Emporkömmling und Totflucher den Mitternachtsdiamanten erbeutet und -?" Mißverstand Daianira Pandoras Bemerkung. Doch sie konnte erst einmal nicht weitersprechen. Denn unvermittelt erstarb das Sturmgeheul. Sie hörten einen wütenden Aufschrei Voldemorts. Dann erstarb auch diese Lautäußerung ohne jeden sichtbaren Grund.

"Irgendwas oder irgendwer hat ihn doch aus der Balance geworfen", stellte Daianira zwischen Beunruhigung und Schadenfreude fest.

"Von den Geistern kann es keiner gewesen sein", sagte Pandora.

"Dann wird ihm wohl klar geworden sein, wie die Dserschinskis hier eindringen wollen und seinen Windspuk beendet haben, um den wirksamen Gegenzauber zu schaffen", vermutete Daianira. "Wir müssen ihm zuvorkommen, Pandora. Kapitulieren kommt nicht in Frage."

"Ich wollte auch nicht dazu auffordern, uns zu ergeben oder zurückzuziehen, Mylady. Mir ist nur eingefallen, daß die meisten dieser Geisterwesen wohl Muggel sind, die nicht durch eigene Magie zu Geistern werden können. wir können sie aus dieser Welt befreien und ihren Seelen Frieden geben, wenn wir die Flamme des essentiellen Lebens entzünden. Ich habe gelesen, wie sie entzündet wird."

Aus der Ferne drang mehrmals das gefürchtete Brausen eines ausgeschickten Todesfluches zu ihnen. Dann ertönte der schmerzvolle Aufschrei einer Frauenstimme.

"Was war denn das?" Fragte Daianira.

"Besser ist wohl: Wer war das?" Berichtigte Pandora. Sie dachte an Anthelia. Doch deren Stimme war es nicht gewesen. Dann mußte es wohl Lunova Dserschinskis Stimme gewesen sein. Dann kam sie wieder auf die Abwehr der Geister.

"Natürlich", entfuhr es Daianira in einer Mischung aus Verärgerung und Erkenntnis. "Insofern gut, daß ich dich mitnahm. Ich selbst blieb ja mein Leben lang kinderlos. Nun, schreiten wir zur Tat!"

__________

Voldemort konnte mit einem Enthüllungszauber eine Zone vor sich schaffen, in der alles durch magie unsichtbare sichtbar wurde. Ja, da kamen schon merkwürdige Wesen wie Nebelgestalten, die unvermittelt aufloderten.

"Repulso Spiritum!" Fauchte er, und einer der Angreifer flog laut heulend davon. Weitere bekämpfte er mit Flüchen, die einem Geist selbst schweren Schaden zufügen konnten. Es prasselte, fauchte und heulte um ihn herum, während er sich wie wild drehte und seinen Zauberstab wie ein Dirigent, der ein einstündiges Konzert in fünf Minuten spielen lassen wollte tanzen und peitschen ließ. Doch es wurden immer mehr ihn anfliegende Gegner, auch wenn er sich bis dahin eine gute Bresche schlagen und weiter vorrücken konnte. Dann fiel ihm ein wirksamerer Zauber gegen diesen heftigen Spuk ein. Er streckte sich so lang wie möglich aus, hielt den Zauberstab kerzengerade nach oben über seiner Kopfmitte und rief: "Tempestates Tartari!" Sofort geriet die Luft um ihn herum in Bewegung, begann um ihn zu kreisen, bis eine rotierende Säule aus Staub und Luft emporwuchs. beinahe ohrenbetäubendes Brausen und Heulen klang aus der Säule, die langsam immer breiter wurde. Doch Voldemort war noch nicht fertig. "Aggregato Aires mobilexclausato Larvam!" Er fühlte, daß die in den letzten Minuten freigesetzte Magie ihm doch etwas zu schaffen machte, und jetzt noch der magische Luftwirbel. Er mußte weitergehen. Den Zauberstab so gut es ging über dem Kopf balancierend schritt er voran und sah, wie die ihn nun bestürmenden Geisterwesen wie Schneeflocken im Sturm umhergewirbelt und davongeblasen wurden. Er wußte, daß er für fünf Sekunden den Zauberstab herunternehmen konnte, bevor der Wirbelsturm außer Kontrolle geriet und sich zu einer von ihm wegbewegenden Windböe wurde. Er tippte sich mit dem Stab an den Kehlkopf und murmelte "Sonorus!" Dann rief er seinen Hohn über alle hier versammelten Gegner aus, vor allem Lunova Dserschinski: "Ich bin unbesiegbar!"

"Hey, du windmacher, schrei hier nicht so rum!" Rief ihn jemand durch das Tosen des Sturms von hinten an. Voldemort zuckte überrascht mit den Schultern, drehte sich um und sah ... sie. Da stand eine völlig nackte Frau mit langen Haaren, die von einem wabernden Dunsthauch umflossen wurde, der die wirbelnden Luftmassen offenbar von ihr abhielt. Der dunkle Lord fühlte sofort, daß diese Frau gefährlich war und mied den Blick in ihre im Dunkeln leicht bläulich schimmernden Augen. Doch er vergaß, die magische Ausrichtung seines Körpers wiederherzustellen. Mit einem wütenden Laut, der wegen des Stimmverstärkungszaubers noch weit hallte, deutete er mit dem Zauberstab auf die Unbekannte, aus deren Körper weiterer Dunst herausquoll, als stehe sie in unsichtbaren Flammen und scheide diesen Dunst als Rauch ab. Der Wirbelsturm erstarb. Doch er explodierte nicht in einer einzigen Windböe, sondern pfiff senkrecht nach oben davon.

"Gut, daß du zumindest einen Begrenzungszauber gewirkt hast, damit die Luft nicht alles hier umwirft", schnarrte die Fremde. Voldemort tippte sich schnell mit dem Zauberstab an die Kehle und dachte "Quietus!" um im nächsten Moment den Stab bereit zum Angriff gegen die Fremde vorzustrecken.

"Nicht doch, Tom Riddle", schnarrte die Fremde, als sie sehr schnell und biegsam zwei schnellen Flüchen ausgewichen war. "Tut man sowas bei unbewaffneten Damen?" Daß die Fremde akzentfreies britisches Englisch sprach schien Voldemort nicht so zu beeindrucken wie die Anrede mit seinem verhaßten Geburtsnamen.

"Niemand nennt mich so", schnarrte er. "Niemand der nicht tot umfallen will."

"Och, ich kann das aber, ohne tot umzufallen, Tom Vorlost Riddle. - Du stehst mir im Weg!"

"Wer bist du?" Zischte Voldemort. Doch die Antwort fiel ihm ein, noch ehe die Fremde ihn anlächelte und sie ihm halblaut sagte:

"Ich bin eine Tochter Lahilliotas. Soweit ich weiß hast du mal versucht, meine Schwester Hallitti für dich einzuspannen, und das Ding mit Espinado war ja wohl auch auf deinem Mist gewachsen, Tom Riddle."

"Niemand nennt mich bei diesem Namen, du Höllenhure!" Blaffte Voldemort. "Avada Kedavra!" Ein gleißender grüner Blitz durchschnitt die Dunkelheit und traf laut sirrend sein Ziel. Doch außer einem phosphorgrünen Schauer, der die Unbekannte umglühte geschah nichts weiteres. Sie stand immer noch da und lächelte. Sie suchte den Blick des dunklen Lords. Dieser wandte Okklumentik an, um der tief in den Geist eines Menschen eindringenden Kraft zu entgehen und mied den Blickkontakt.

"Soso, ist wohl das erste Mal, daß du dich davor hütest, einem anderen in die Augen zu sehen, was, Tom Riddle?"

"Avada Kedavra! Avada Kedavra!" Fauchte Voldemort zweimal in Folge. Zweimal sirrte der Todesfluch gegen die unbekleidete, dämonische Schönheit.

"Jetzt langt es mir, du Raufbold!" Schnarrte diese nun sichtlich verärgert und sprang vorwärts. Voldemort wollte gerade noch einen weiteren Fluch ansetzen, als sich zwei Schlanke Hände um seinen Hals zusammenzogen und ...

"Aaarrg!" Stieß die Fremde einen Schmerzensschrei aus. Voldemort fühlte gleichzeitig etwas wie Feuer auf seiner Haut brennen. Doch dann war ihm klar, was passierte. Der von Harry Potter gewaltsam geraubte Schutzzauber seiner Mutter bewahrte ihn vor dieser Kreatur da. Er lachte, als die Fremde ihre leicht angesengten Hände betrachtete.

"Kannst mich nicht anfassen, wie. In dir stekct was drin, was auf mich allergisch reagiert wie?"

"Das wird dich nicht dauerhaft schützen, Riddle. Geraubter Schutz verläßt den Räuber irgendwann auf die eine oder die andere Weise."

"Woher willst du wissen, woher ich gegen deine Zudringlichkeiten immun bin, du Schlampe?" Lachte Voldemort.

"Weil ich die Essenz dieser verdammten Abwehrkraft kenne und nicht erst seit gestern auf der Welt bin. Ich glaube nicht, daß jemand dir diesen hochwirksamen Schutz übereignet hat, nicht bewußt und schon gar nicht freiwillig. Aber wie gesagt, du stehst mir im Weg!" Sie führte ihre Hände zu einem Trichter zusammen, aus dem ein Strahl Wasser herausspritzte und Voldemort voll an der Brust traf. Schlagartig meinte er, in eiskaltes Wasser geworfen worden zu sein und keuchte. Das aus dem Nichts geholte Wasser rann ihm wie mit eiskalten Klingen einschneidend über den Bauch, umspülte seine Schultern. Voldemort fühlte, wie etwas in ihm gegen die immer stärker wirkende Vereisung ankämpfte. Doch die Gewalt des mehr als eiskalten Wassers sog bereits alle Wärme aus seinem Körper.

"Ich kann dich nicht anrühren. Aber unschädlich machen!" Schnarrte die Fremde und ließ einen weiteren Strahl aus Wasser auf Voldemort zuschießen, der ihn genau zwischen die roten Augen traf. Laut schreiend taumelte er nach hinten. Da kamen die Geisterwesen und griffen zu. Dabei geschahen zwei Dinge zugleich. Zum einen gefroren die Hände der Geisterwesen, als sie Voldemort ergreifen wollten. Zum anderen prallten sie von etwas hart getroffen zurück, wobei ihre nichtstofflichen Greifwerkzeuge abrissen und sich sofort in schwarzen Dunst auflösten. Doch Voldemort merkte davon fast nichts mehr. Er kämpfte um seine Besinnung. Sein lippenloser Mund war unter dem kalten Wasserschwall beinahe zugefroren. Er versuchte noch, einen ungesagten Enteisungszauber auf sich zu legen. Doch da tanzten bereits die ersten roten Kreise vor seinen Augen. Die fremde rammte ihn einen aus ihrer Hand gewachsenen Eisball in den Magen, der sofort zu jenem kalten Wasser wurde. Normalerweise hätte die in diesem Eis gebündelte Gefriermagie jedes damit berührte Objekt sofort zu einem kompakten Eisklumpen erstarren lassen. Doch Voldemorts geraubter Schutz verhinderte das. Der Anteil von Harry Potters Blut in den Adern seines Todfeindes bewahrte diesen vor der sonst so unabwendbaren Kraft der Abgrundstochter. Doch er selbst verlor dabei das Bewußtsein und fiel nieder.

"Ich kann dich nicht töten und mir einverleiben auch nicht", schnaubte Itoluhila, als sie den ohnmächtigen Schwarzmagier vor sich sah. "Dann sollen dich die Geister hier zerreißen." Sie blickte sich um. Doch sie sah keines der Phantom-Wesen mehr. Sie lauschte mit ihren Spürsinnen und entdeckte, daß die angriffslustigen Gespensterwesen alle auf einen nicht all zu fernen Punkt zuflogen. Sie sah sich genauer um und entdeckte in etwa einhundert Metern Entfernung eine silberne Lichtsäule, die wie eine hundertfach vergrößerte Kerzenflamme flackerte. Dann fühlte sie die Kraft, die von diesem Licht ausging. Es war jene Form reiner Lebensenergie, die sie selbst in ihrem Lebenskrug aufbewahrte. Doch hier war es eine hellere, irgendwie ungebundenere Kraft, die nicht aus Fragmenten mehrerer Einzelleben entfacht worden war. Wie hypnotisiert starrte die Abgrundstochter in die langsam immer höher wachsende Flamme und stand untätig da. Doch mehr wirkte nicht auf sie ein. Stattdessen verfolgte sie mit allen Sinnen, wie die Geister wie berauscht auf das Licht zuflogen, damit in Berührung kamen und einen moment lang erleichtert aufschrien. Doch von diesen Geisterwesen wurden es immer weniger. Da begriff Itoluhila, daß dort in der Ferne noch jemand war, der einen endgültig wirksamen Zauber gegen den Spuk der gefangenen Wächtergeister aufgerufen hatte. Doch wenn die Geister aus ihrem Bann und damit wohl auch aus der stofflichen Welt befreit wurden konnte das die Magie, die sie hier gefangen gehalten hatte zu einem unkontrollierten Ausbruch bringen. Sie erschrak und riß sich vom Anblick des weit entfernten Lichts los. Sie wirbelte herum und rannte davon, hinaus aus der Wirkungszone des Fluches.

_________

Lunova Dserschinski fühlte, wie unsichtbare Finger über sie hinwegstrichen, als sie über der alten Burgruine war. Sie ging in einen Sturzflug über. Voldemort, der Dunkle Lord, hatte sie irgendwie verfolgt. Irgendwie? Das war bestimmt dieser Zauber, den Nocturnus auf sie übertragen hatte. Womöglich sollte er dem Schwarzmagier zeigen, wo sie genau steckte. Doch warum Nocturnus sterben mußte wußte sie nicht. Sie dachte einen Moment an Igor, ihren Gatten, der sich zwischen sie und Voldemort geworfen hatte, um den dunklen Lord zurückzuhalten. Falls er dabei starb durfte sein Tod nicht umsonst sein. Sie suchte und fand den schmalen Felsenspalt, unter dem die weitläufigen Kellerräume gerade noch zu erreichen waren. Mit schlangenhafter Gewandheit schlüpfte sie, nun wieder in menschlicher Gestalt, durch den schmalen Spalt. Ihre Vampiraugen durchbrachen die hier unten vollkommene Finsternis. Sie sah die Skelette an den Wänden, die mit scharfen Schwertern, Sensen und Äxten bewaffnet waren. Das waren die einstigen Körper der draußen umherirrenden Geisterwesen, die sie als Trägerin von Gorans Blut erkannt und unbehelligt gelassen hatten. Auch die Gerippe der einstigen Opfer Gorans würden sie nicht behelligen. Sie mußte nur über die verfluchten Steine hinweg, die jeden, der auf sie trat zur Granitstatue erstarren ließen, um an den Diamanten zu kommen. Sie fühlte seine Nähe, spürte die in sie einströmende Kraft, die sie anzog und erfrischte. Diese Kraft machte einen ihrer Art regelrecht süchtig, wußte sie. Nur wer den Stein hielt, konnte dem Sog widerstehen, ja ihn stattdessen auf andere Artgenossen richten, um die eigenen Kräfte zu vervielfachen. Da war die Falltür im Boden. Sie sah fünfzig unterschiedlich große Statuen von Männern, deren Kleidung mit ihnen zusammen versteinert worden war. Doch wenn einer Gefangen worden war, dann würde der Fluch auf einen anderen der vielen hundert Steine übergehen. Lunova wußte, daß sie nur fliegend über die gefährlichen Zauberfallen hinwegkommen konnte. So verwandelte sie sich wieder in eine menschengroße Fledermaus und flatterte los, zwischen den stummen Zeugen magischer Hinterhalte hindurch. Ihr Orientierungssinn zeigte ihr, wohin sie fliegen mußte, um den hufeisenförmigen Saal mit dem leeren Sockel zu finden, der in Wirklichkeit der Öffnungsmechanismus für eine Falltüre war. Weitere versteinerte Männer, und sogar einige Frauen, standen reglos an der Stelle des Bodens verwachsen, an der sie der Versteinerungsfluch ereilt hatte. Hier würde außer einem Vampir niemand hindurchkommen. Denn sie wußte auch aus eigener Erfahrung, daß Feuer und Licht hier unten unwiderbringlich erloschen. Somit würde keiner der Rotblütler hindurchkommen. Sie stutzte, als ihre feinen Ohren fremde Stimmen hörten. Das Geplänkel mit Voldemort hatte sie noch mitbekommen. doch da waren noch andere Stimmen, Frauenstimmen. Dann hörte sie es zischen und Prasseln, fühlte schmerzhaft, wie wildes Geheul und Tosen aufkam und wußte, daß über ihr unbefugte gegen die Wächtergeister kämpften. Was waren das für Dummköpfe! Doch dann erstarrte sie mitten in der Flugbewegung und konnte sich gerade noch an einer der Statuen festkrallen. Die Standbilder übertrugen den Fluch nicht mehr, wenn ihre Versteinerung vollendet war, wußte sie. Doch die Geräusche hinter ihr, das Scheppern von Metall und das Klappern auf dem Boden und Knacken von irgendwas, das gegen etwas aus demselben Material stieß oder daran rieb ... Sie wandte ihren Fledermauskopf um und sah, daß die vorhin noch wahrhaftig tot aufgereihten Skelette sich in Bewegung gesetzt hatten. Offenbar wollten sie ihren entrissenen Seelen im Kampf beistehen, dachte Lunova. Doch da dachte sie falsch. Denn die bewaffneten Knochengerüste marschierten klappernd auf sie zu und erhoben dabei ihre Klingen. Wollten die sie wirklich angreifen? Sie wandte sich so gut um wie es ging und rief ihnen zu, daß sie eine Erbin Gorans von den schwarzen Bergen sei. Doch die wandlnden Totenskelette hörten nicht auf sie. Eines schwang einen bereits schartig gehauenen Zweihänder gegen die Statue, an der sich Lunova festgekrallt hatte. Krachend prallte die Spitze des wuchtigen Schwertes auf Granit, fuhr laut schabend daran entlang, bevor das Skelett die Waffe wieder zurückzog und zu einem neuen Streich ausholte. Lunova begriff es nun, daß sie das Angriffsziel war und stieß sich von der Statue ab und flog drauf los, hoch genug, daß die ihr geltenden Hiebe sie nicht erreichen konnten. Doch ewig konnte das nicht weitergehen. Offenbar, so erkannte die Vampirin nun vollmondklar, waren die toten Wächter durch die Schlacht über ihnen darauf verfallen, jeden lebenden in ihren Kerkern und Korridoren anzugreifen und zu töten, womit er oder sie zu einem weiteren Mitglied ihrer leblosen Wachmannschaft wurde. Gorans Garde war gnadenlos darauf aus, Lunova zu rekrutieren. Doch diese sah in der Mitgliedschaft bei dieser Truppe toter Wächter keinen Sinn und versuchte, die ihr nachklappernde Kompanie abzuschütteln. Doch trotz der immer näher kommenden Ströme aus dem Stein fühlte sie, daß sie dieses Wettrennen nicht länger würde durchhalten können. Entweder landete sie und riskierte dabei in eine Versteinerungsfalle zu tappen, hielt sich an einer Statue fest und wartete, bis die Skelette mit den großen Äxten und den Zweihandschwertern diese in Stücke hieben oder heftete sich auf unbestimmbare Zeit an eine der Wände, gerade hoch genug, um nicht von einem Schwert oder einer Sense getroffen zu werden. Sie könnte sich auch an einem Felsvorsprung kopfüber von der Decke herabhängen lassen. Doch im Moment reichten ihre Kräfte noch. Sie mußten einfach reichen, weil die Falltür mit dem Raum, wo der Mitternachtsdiamant lag nicht mehr weit weg war.

Dann endlich erreichte sie den hufeisenförmigen Saal ... und wäre vor Schreck fast aus der Luft gefallen.

_________

Licht und leben wart gegeben in die Welt, das es sie im Gange hält!" Deklamierte Pandora eine sich ständig wiederholende Zauberformel wie ein indisches Mantra. Dabei träufelte sie etwas von ihrem Blut, das sie aus einem kleinen Schnitt aus ihrer linken Hand auf den Boden fallen ließ und es sich langsam zu einem etwa einen Meter durchmessenden Kreis formierte. Dann, als der Kreis geschlossen war, richtete Pandora ihren Zauberstab genau auf den Mittelpunkt dieses Kreises und rief aus: "In Nocte Mortis Lux Vitae!" Ohne Geräusch züngelte eine silberne Flamme aus dem Kreis und richtete sich so hoch auf, das sie den Rand des Blutkreises berührt hätte, wäre sie parallel zum Boden entlanggezüngelt. Dann stand die Flamme beinahe still da, flackerte nur an der Spitze. Dann sah Pandora den ersten Geist, keines der Dämonsfeuergeschöpfe, die weiter hinten auf dem Hof noch ihr Unwesen treiben mochten oder von der Überzahl doch noch ausgelöscht worden waren. Der Geisterwächter taumelte auf das Licht zu, das ihn wortwörtlich magisch anzog. Dann berührte er die Flammenspitze. Daianira und Pandora vermeinten einen erleichterten Jubel zu hören, als das Geisterwesen eins mit der Flamme wurde, die sogleich einige Zentimeter breiter und höher flackerte. Zwei Geister zugleich trieben heran und tauchten in die silberne Flamme ein, die dadurch noch höher und breiter wurde. Je stärker die entzündete Zauberflamme wurde desto schneller und zahlreicher erschienen die gefangenen Geisterwesen und stürzten sich in die Flamme wie Lemminge, die ins offene Meer hinabspringen.

"Bei diesem Zauber ist die Einteilung in gut- und bösartige Magie wohl problematisch", flüsterte Pandora mit Daianira.

"Für die armen Seelen ist es die unverhoffte Erlösung von ihrem Dasein, Schwester Pandora", sagte die Führerin der Nachtfraktionshexen Nordamerikas. Dann bedachten sie, was passieren mochte, wenn alle Geister diese Welt verlassen hatten. Sie zogen sich einige Dutzend Meter zurück, wo sie auf Nyx trafen, die Daianira anfauchte, was ihr denn eingefallen sei, Feuerspukwesen zu erschaffen. Von denen liefen oder krochen noch genug auf dem Hof herum. Außerdem habe sie eine Artgenossin gewittert, womöglich Lunova.

"Wir kümmern uns darum, wenn die Phantome nicht mehr da sind", schnaubte Daianira verärgert zurück und fingerte an der Kette, an der ihr Sonnenmedaillon hing, das wieder zu glühen begonnen hatte. Sie sahen in die immer noch anwachsende Flamme, bis Pandora meinte: "Es erscheint mir ratsamer, wenn wir nicht auf den Platz blicken, wenn der letzte Geist in die Flamme eingegangen ist." Daianira nickte zustimmend. So wandten sie sich alle ab, vor allem die Vampirin, die beim Anblick der silbernen Flamme brennende Augen bekommen und eine plötzliche Schwermut empfunden hatte. Sie warteten etwa zehn weitere Minuten. Dann geschah es.

Mit lautem Getöse, als schlüge jemand mit einem hundert Meter großen Hammer von unten gegen die Erde, erbebte der Grund. Die beiden Hexen und die Vampirin verloren den Halt und stürzten nieder. Um sie herum klafften Risse im Felsengrund. Dann fühlten sie, wie das Gestein von ihnen weg rutschte, Richtung Gorans Burghof. Daianira fühlte, wie der Boden unter dem mächtigen Erdstoß nachfederte, sog aufgewirbelten Staub in die Nase und mußte mehrmals niesen. Dann war der Aufruhr auch schon vorbei. Daianira drehte sich um und blickte in den finsteren Schlund eines gewaltigen Kraters. Über diesem hing immer noch die entzündete Flamme des essentiellen Lebens. Doch der Kreis, in dem sie gehalten worden war fehlte ganz. Dann erkannten die beiden Hexen die sich wie ausbrechende Ameisen aus den Gesteinstrümmern herauswühlenden Knochenarme, Schädel und Schultern.

"Der Fluch ist nur zu dem Teil verflogen, der die Geister auf dieser Daseinsebene festgehalten hat. Die Knochen der Toten sind noch mit dunkler Magie belebt", röchelte Lady Daianira.

"Nun, denen können wir nun beikommen", meinte Pandora und wollte ihren Zauberstab zücken, als sie einen Luftzug hinter ihrem Kopf fühlte und dann mit einem lauten Knall das ganze Universum um sie herum explodierte und sie in einem tiefschwarzen, lautlosen Nichts zurückließ.

__________

Antehlia hatte alles aus sicherer Entfernung mitverfolgt. Der Waisenknabe war aufgetaucht, und dann noch eine fremde Hexe, eine Vampirin oder ... eine der Abgrundstöchter, die sich den dicken Happen, die Vampire zu bezwingen nicht entgehen lassen wollte. Dann hatte Pandora die Lebensflamme entzündet, mit der alle unfreiwillig auf dieser Welt festgehaltenen Geister angelockt und dann darin vernichtet wurden, obwohl die armen Seelen dies eher als eine Geburt in eine bessere Welt empfinden mochten. Sie hatte sich nicht abgewandt, als der letzte Geist die Flamme berührte und darin verging. So konnte sie ohne Gefährdung der Augen sehen, wie mit einem Schlag ein Großteil des Hofes pulverisiert wurde und in Form einer gigantischen Staubwolke senkrecht in den Himmel geblasen wurde. Dann rutschte alles Gestein nach, das keinen Halt mehr fand und schuf einen mehr als fünfzig Meter durchmessenden Krater. Auch sie verspürte den gewaltigen Erdstoß, nach dem der Grund mehrmals nachfederte. Auch sie sah die sich aus dem Krater hervorwühlenden Gerippe, denen der Einsturz wohl nichts hatte anhaben können. Sie sah mit einem gewissen Schrecken, wie die Vampirin Lady Nyx Pandora mit einem Fausthieb auf den Hinterkopf niederstreckte und beschloß, sich sofort um die Sache zu kümmern. Sie schulterte ihren Besen und eilte auf den Kraterrand zu, von dem aus immer noch bedrohliches Knirschen und Ächzen erklang. Noch war nicht alles lose Gestein nachgerutscht.

__________

"Was zur Hölle sollte das jetzt, Nyx?!" Herrschte Daianira die Vampirin an.

"Lady Nyx, wenn ich bitten darf, Lady Daianira", fauchte die bleichgesichtige Tochter der Nacht zurück. "Ich kann nur eine von euch beiden zum Stein tragen, und Ihr seid, mit verlaub, die erfahrenere von euch beiden."

"Wir haben Besen mit und können in den Krater hinunterfliegen und ..."

"Ich weiß wo der Stein ist und sage daher, wer wie von mir dort hingeführt wird", schnarrte die Vampirin. Lady Daianira zog das Sonnenmedaillon rasch heraus, das nun noch heller glühte. Da hörte sie ein rhythmisches Klappern hinter sich und wandte für einen Moment den Oberkörper um, um fünf heranmarschierende Gerippe im Licht des Medaillons zu sehen. Daianira hob den Zauberstab und rief: "Mortuus Mortuorum!" Schlagartig stürzten drei der fünf Gerippe zu boden. Die beiden weiter außen marschierenden Toten blieben jedoch auf ihrem Kurs. Als die hingestürzten Skelette in ihre Einzelknochen auseinanderfielen packte Nyx mit der Gewandheit einer Raubkatze nach der goldenen Kette, an der das Medaillon hing und zerrte sie Daianira vom Hals. Diese von der plötzlichen Entwaffnung und damit Veränderung des Machtverhältnisses überrascht stand eine Sekunde zu lange starr. Da flog das Medaillon, nun grell aufleuchtend, davon. Nyx schrie auf, weil ein Teil seiner Kraft sie noch peinigen konnte. Dann war das erste der noch wandelnden Skelette heran. Nyx trat ihm wuchtig vor den blanken Schienbeinknochen und brachte es damit zum taumeln. Es verriß den Schlag mit der Streitaxt und traf nur den rissigen Felsboden.

"Mortuus Mortuorum!" Rief Daianira noch einmal. Das Skelett zerfiel noch im Fallen in seine einzelnen Knochen. Mit einer schnellen Zauberstabbewegung gegen das letzte auf sie zumarschierende Skelett löschte sie auch dessen scheinbares Leben aus. In dieser Zeit verwandelte sich Nyx in eine Fledermaus. Die Nähe des noch nicht von einem bestimmten Vampir berührten Mitternachtsdiamanten ermöglichte ihr bereits eine schnellere Verwandlung. Als Daianira den Zauberstab hob, um das ihr entwundende Medaillon zurückzuholen, ergriff Nyx sie mit ihren Krallenhänden und hob sie federleicht vom Boden. Daianira versuchte noch, den Zauberstab nach hinten zu richten, um der nun offen gegen sie aufbegehrenden Vampirin einen Mondfriedenszauber aufzuhalsen, erkannte dabei jedoch, daß sie bereits zu hoch über dem Erdboden flogen, genau über dem Krater. Von der Anderen Seite her näherte sich noch ein fliegendes Wesen ohne Besen. Daianira fühlte, wie Nyx zu Zittern begann.

"Nein, eine von denen ist hier", hörte die Hexenlady die Vampirin seufzen.

__________

Anthelia wartete, bis Nyx mit Daianira davonflog und eilte dann zu Pandora hinüber, die immer noch bewußstlos am Boden lag. Sie hatte sie fast erreicht, als aus der Dunkelheit drei Skelette heraneilten, diesmal nicht bedächtig auf ein sicheres Ziel zu sondern im Sturmschritt. Anthelia riß den Zauberstab hoch und rief: "Mortuus Mortuorum!" Wie von einer unsichtbaren Riesenfaust getroffen flogen die drei Skelette zugleich auseinander. Dann war Anthelia bei Pandora. Sie prüfte rasch mit schnellen Diagnosezaubern, ob sie in Lebensgefahr schwebte und atmete auf. Pandora Straton war nur Ohnmächtig. Der Faustschlag von Nyx hatte ihr womöglich eine Gehirnerschütterung eingetragen. Nun stritten drei gleichstarke Beweggründe in ihr. Zum einen wollte sie die so wichtige Mitschwester unbedingt in Sicherheit bringen. Zum anderen wollte sie aber auch hinter Nyx und Daianira herfliegen, um den Mitternachtsdiamanten doch noch zu erwischen. Zum dritten wäre es nicht unpraktisch, das Sonnenmedaillon wiederzufinden. Gut, letzteres war wohl kein Problem. Sie hob den Zauberstab und rief: "Accio Sonnenmedaillon!" Tatsächlich flog das goldene Medaillon genau auf Anthelia zu. Doch kurz bevor es die Führerin des Spinnenordens erreichte, prallte es auf ein unsichtbares Hindernis. Ihr Seelenmedaillon drückte unvermittelt gegen ihren Brustkorb, und das Medaillon zitterte in der Luft. Anthelia versuchte, es mit ihrer Telekinese einzufangen. Dabei bekam sie einen stechenden Schmerz im Kopf ab und drohte, die Besinnung zu verlieren. Sie versuchte, das Medaillon mit bloßer Hand aus der Luft zu pflücken. Doch dabei bohrte sich ein nadelfeiner Strahl aus dem goldenen Kleinod in ihre freie Hand und ließ sie vor Schmerz aufschreien. Sie trat mit Tränen in den Augen zurück. Das Medaillon fiel zu Boden.

"Ich kann es nicht anrühren", dachte Anthelia völlig konfus. "Mein Medaillon weist es ab, und es weigert sich, von mir berührt zu werden."

Anthelia sah durch die immer noch tränenüberströmten Augen, wie ein weiteres Skelett angelaufen kam, und dann noch eins und noch eins. Sie mußte sich zurückziehen, zusammen mit Pandora. So ergriff sie diese telekinetisch, wobei sie sie so ausbalancierte, daß ihr Kopf möglichst nicht wackelte und lief, sie neben sich herschweben lassend einige Dutzend Meter. Die Skelette blieben zurück, offenbar konnten oder durften sie nicht weit über die Grenze hinaus, die ihr Versteck umgab. Sie legte sie auf eine dünne Warmwolldecke und sprach einen Tarnungszauber über sie. Dann saß sie auf ihrem Besen auf und flog über alle nun bis zum Kraterrand vormarschierenden Skelette hinweg. flog rasch über den Krater. Wo war Nyx abgeblieben? Ihr Seelenmedaillon pulsierte nun wieder so, daß es zu einer Quelle dunkler Kraft hindrängte. Anthelia überließ es dem Medaillon, sie zu jener stärksten Kraftquelle zu führen. Doch dort ging es schon heiß her.

__________

Mehrere hundert dieser Skelette bevölkerten den hufeisenförmigen Raum, standen an den Wänden, verteilten sich in der Halle und umstanden sogar den leeren Sockel. Auf dem Sockel stand ein Gerippe mit einer riesigen Streitaxt. Lunova erkannte, daß sie hier keinen Meter weit käme, wenn sie landete. Und wenn sie direkt über dem Sockel herunterginge, würde sie der Knochenmann mit der Axt sofort in Stücke hauen. Aus! Dachte sie. Die Jagd nach dem Mitternachtsdiamanten hatte sie in eine tödliche Falle geführt. Irgendwie hatten die skelettierten Wächter wohl vorausgeahnt, daß der Eindringling den Raum mit der Falltür aufsuchen wollte und sich in Verteidigungsformation aufgestellt. Wer bis hier her gekommen war kam jetzt nicht mehr weiter. Ob es ein Zurück gab war auch fraglich. Lunova verwünschte die fremden Eindringlinge, die ihr diese schmachvolle Niederlage beigebracht hatten. Denn hier konnte sie nichts mehr ausrichten. So hoffte sie, unanfechtbar zurück zum Ausgang zu fliegen. Da sah sie, wie die versammelten Skelette sich vor der Zugangstür zusammendrängten und dann laut klappernd auf die Schulterblattknochen und Schlüsselbeine ihrer Kameraden stiegen, bis ein Wall aus drei übereinander gestapelten Knochengerüsten die Tür gänzlich unpassierbar machte. Sie saß nun in der Falle, endgültig.

Sie überlegte noch, ob ein schneller Durchbruch gelingen konnte. Doch als sie mit ihren Vampiraugen hinter die erste Reihe der gestapelten Skelette blickte sah sie noch zwei weitere Reihen ähnlich aufgestellter Knochenmänner. An eine Flucht war also absolut nicht zu denken. Sie bereute es sehr, von Igor nicht die Kunst des schnellen Ortswechsels erlernt zu haben. Doch dann fiel ihr ein, daß diese ihr hier nichts bringen würde, weil Goran seine Zuflucht und Festung dagegen abgesichert hatte.

So flog sie eine Weile durch den Raum, während sich weitere Knochenwälle formierten, um die große Fledermaus doch noch einfangen zu können. Doch diese wollte nicht so einfach aufgeben. Das Skelett auf dem Sockel war das eigentliche Hindernis. Konnte sie dieses beseitigen und die Falltür auslösen, wäre sie im Handumdrehen bei dem Diamanten und würde diesen dazu verwenden, die Decke über sich einreißen zu können. Sie suchte sich an den Wänden festzukrallen. Doch immer wieder machten die Gerippe unter ihr Anstalten, übereinander zu klettern und zu ihr hochzureichen. So ging das mehr als zehn Minuten immer wieder quer durch den Raum. Dann gab es einen mörderischen Donnerschlag, der die überempfindlichen Ohren der Vampirin laut zum klingeln brachte und sie selbst in einen Gesteinsregen hineinstürzen ließ, der sie und einige der Skelette beinahe verschüttete.

Selbst mit ihren vereinten Vampirkräften, die von der unmittelbaren Nähe des Mitternachtsdiamanten noch angereichert wurden, schaffte sie es nicht, sich zwischen den verkeilten Trümmern herauszuarbeiten. Nun steckte sie endgültig fest. Und was ihr mit erschreckender Deutlichkeit klarwurde, über ihr war nur noch freier Himmel. In weniger als fünf Stunden würde die Sonne aufgehen, und ihre Strahlen würden sie treffen und von Sekunde zu Sekunde schneller verbrennen. Sie wußte, daß diese heftige Reaktion auf das Himmelsfeuer sehr qualvoll ablief. Eine Minute den Sonnenstrahlen ausgesetzt zu sein bedeutete den Tod. Vor allem für eine Dunkelmondlerin, die in einer der dunkelsten Nächte überhaupt ihr Vampirleben begonnen hatte, war jeder Kontakt mit den Strahlen des verhaßten Feuerballs zu vermeiden. Doch nun steckte sie hier zwischen zentnerschweren Felstrümmern fest, und sie kam weder vor noch zurück.

__________

Voldemort erwachte, als ein mörderischer Stoß ihn nach oben warf und dann auf einem Haufen rutschender Steine niederfallen ließ. Der dunkle Lord fror. Er fühlte sich ausgezehrt und müde. Doch er erkannte, daß er in großer Gefahr schwebte, unter den nachrutschenden Gesteinsbrocken begraben und dabei zerquetscht zu werden. Er wuchtete seinen Oberkörper hoch, hob den Zauberstab, der wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war und dachte die kurze aber mächtige Formel, die ihn wie einen Vogel ohne Flügel vom Boden hob. Knapp entging er dabei einem tonnenschweren Felsen, der laut krachend und schabend in den sich gerade auftuenden Krater hineinpolterte. Dann gewann er eine sichere Flughöhe und überblickte die Verheerung. Irgendwer oder irgendwas hatte den Boden förmlich in die Luft gesprengt. Er bemerkte den dicken Staub, der auf seinem Körper lastete und putzte ihn mit einer entschlossenen Zauberstabbeweegung von sich ab. Über sich sah er eine tiefschwarze Säule, wie aufgewirbelter Staub oder Rauch. Die Säule wuchs gewiß mehrere Kilometer in die Höhe, bevor sich die Säule weiter oben auseinanderzog und wie der Hut eines himmelhohen Pilzes geformt wurde. Der dunkle Lord sah sich um. Wo war diese verfluchte Ausgeburt Lahilliotas? daß diese Kreaturen sich unsichtbar machen konnten wußte er. Also konnte sie in seiner unmittelbaren Nähe sein. Dann sah er den dunklen Schatten, der über den Kraterrand hinweghuschte. Das mochte, ja das mußte sie sein. Sie war wie er hinter dem Stein her. Sie durfte ihn nicht kriegen. Aber wo war dieser Stein? Er fühlte, wie der magische Flug ohne Hilfsmittel ihm die letzten Reserven zu entziehen drohte. Er mußte landen und sich eine Dosis Wachhaltetrank verabreichen. So segelte Lord Voldemort zurück über den Kraterrand. Er rechnete jederzeit damit, daß ihn dieses Biest aus Lahilliotas Leib ihn von hinten angreifen mochte. Doch er hatte keine andere Wahl. Er überflog die Stelle, wo er Igor Dserschinski überwältigt hatte. Der Vampirfürst lag immer noch da, wie er ihn zurückgelassen hatte. Hatte diese nackte Bestie ihn nicht umgebracht? Womöglich wollte sie ihn leiden lassen. Das war etwas, mit dem auch er, Lord Voldemort, bestens vertraut war. Er landete etwas abseits des Kraters und holte aus seinem Umhang eine festverkorkte Glasflasche hervor, aus der er einen großen Schluck trank. Sofort fühlte er, wie seine Körperkräfte wiederkehrten, wie die letzten Schleier der Bewußtlosigkeit verschwanden und er neue Kraft in seinen Adern pulsieren fühlte. Er flog wieder auf und raste so schnell wie auf einem Rennbesen zum Krater zurück. Er wandte den Zauber an, um Lunova zu finden und erkannte, daß sie einen Meter vom Grund des Kraters entfernt sein mochte. Doch da war bereits dieses Scheusal, diese Abgrundstochter, die in einer monströsen Erscheinungsform auf die Vampirin herabstieß wie ein angreifender Raubvogel.

"Der Stein gehört mir!" Rief Voldemort der Abgrundstochter zu. Diese wandte sich um und funkelte den Störenfried mit großen, fischartigen Augen an. Ihr Sturzflug kam zum Stillstand, und sie flog mit großen, schuppigen Flügeln, die wie die Großen Flossen eines Rochens wirkten auf, um sich dem unerwarteten Gegner zu stellen.

"Bollidius!" Rief Voldemort und richtete den Zauberstab auf die Kreatur, aus deren Leib unvermittelt dichter Dunst herausquoll. Ein blau-grüner Feuerball fauchte auf die ungeheuerliche Erscheinung zu und zerbarst mit dumpfem Knall an der Dunstwolke, die sich immer weiter ausdehnte. Rot-goldene Flammen hüllten die Kreatur für mehrere Sekunden ein, erstarben dann aber schlagartig, als seien sie in eiskaltes Wasser geraten. Und so mochte es auch sein, erkannte Voldemort, als er den nun schwach glühenden Nebel um die Abgrundstochter sah, der ansonsten nichts geschehen war. Dies war also Itoluhila, die Tochter des schwarzen Wassers, Beherrscherin aller dem Wasser verbundenen Zauberkräfte, darunter das alles gefrierende Eis und den schwarzen Dunst des Erlöschens aller Flammen. Letzterer hatte sie soeben vor der Vernichtung bewahrt.

"Du störst, Tom Riddle!" Schnaubte das wie eine Mischung aus Fisch und Riesenaffen gestaltete Monstrum. Voldemort versuchte noch einmal den tödlichen Fluch. Als dieser erneut wirkungslos blieb schickte er den Sonnenspeer aus, eine schlagkräftige Elementarwaffe, die von Itoluhila jedoch mit einem Wink ihrer großen Flügel abgeprällt wurde. Immer noch umfloß sie der schwarze Nebel, der nun nicht mehr glühte, sondern einen Mantel wie aus Rauch um Itoluhila bildete. Die Abgrundstochter konterte den Angriff mit einem aus ihrer rechten Schuppenhand wachsenden Eispfeil, den sie zielgenau in Voldemorts Richtung davonschießen ließ. Dieser parierte den Angriff mit einem weiteren Feuerball, in dem das Geschoß verpuffte. Der dunkle Lord beschwor in freier Luft eine haushohe Feuerwand herauf. Doch diese war für die umnebelte Kreatur kein Hindernis. Laut zischend durchbrach sie die Barriere aus blauen Flammen und näherte sich Voldemort, der sich rasch zurückfallen ließ, um das Monster nicht mit voller wucht auf ihn prallen zu lassen. Er teilte mit einem Feuerwerk aus verschiedenen Fang- und Verunstaltungsflüchen mehrere Schläge aus. Doch Itoluhila wich allen Angriffen aus oder steckte sie unbeeindruckt weg. Voldemort fiel fast zu spät ein, daß die Abgrundstochter ja bereits heftig verflucht war, und mittelstarke Flüche ihr deshalb gar nichts anhaben konnten. Ihm blieb nur eine Chance, wenn er sie derartig auszehrte, daß sie gezwungen war, in ihr Versteck zurückzukehren und ... Mit lautem Zischen explodierte die schwarze Nebelwolke von Itoluhila fort und traf auf Voldemort. Der in seinen Adern strömende Schutz verhinderte zwar, daß er augenblicklich erstarrte und zu Eis gefror. Doch ihm wurde schwarz vor augen, und seine Glieder erlahmten. Er fühlte, daß er die Balance seines Flugzaubers nicht mehr aufrechthalten konnte und stürzte. Im letzten Moment, bevor er wie ein Stein auf den Grund des Kraters niedersausen konnte, versuchte er zu disapparieren. Doch noch wirkte Gorans Abwehr, und so landete er nicht dort, wo er hinwollte, sondern tauchte in einem tiefen Kellerraum auf, der keine Türen und Fenster besaß. Da er kein Vampir war dauerte es ein wenig, bis er in der Dunkelheit sich bewegende Schemen sah und das Klappern und Knacken wandelnder Skelette vernahm.

"Mich von Gerippen umbringen lassen? Nix da!" Dachte der dunkle Lord und rief laut und entschlossen: "Mortuus Mortuorum!" Laut klappernd zerfielen an die zehn skelettierte Wächter Gorans in ihre einzelnen Knochen. "Flammas Luminosas", dachte Voldemort und tippte dabei die linke Hand mit der Zauberstabspitze an. Knisternd wuchsen mehrere Flammen aus der Hand, die davon jedoch nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mit diesem wesentlich stärkeren Lichtzauber hatte er nun auch noch den Zauberstab frei für Erkundungs- und Sprengzauber. Er suchte zunächst nach einer Geheimtür. Tatsächlich verriet ihm der dafür benutzte Zauber, daß er in einem Meter Höhe eine Luke benutzen konnte. Diese lies sich jedoch nicht mit Alohomora öffnen. Stattdessen erhielt er nur ein höhnisches, hohlklingendes Lachen zur Antwort. Das konnte Gorans Stimme sein, die er in seine Schutzzauber und Fallen hatte einfließen lassen, um vergebliche Ausbruchsversuche auch nach seinem Tod verhöhnen zu können.

"Gleich lachst du nicht mehr. Reducto Amplifico!" Rief Voldemort und wandte seine Augen ab, um keinen Staub dort hineinzubekommen. Krachend prallte der Sprengfluch auf die geortete Luke. Doch wieder erscholl nur das höhnische Gelächter dessen, der vor langer Zeit diesen Keller gebaut hatte. Dann versuchte es Voldemort mit dem Steinzersetzungszauber, der einen flirrenden, grünen Lichtkegel aus seinem Zauberstabhervorbrachte, der alles Gestein in seiner Ausrichtung zu feinem Staub zersetzte und restlos auflöste, langsam aber dafür gründlich und genau. Dieser Zauber wirkte. Die unsichtbare Luke löste sich auf. Das spöttische Lachen brach mit einem wie Würgen klingendem Geräusch ab. Dann hatte der dunkle Lord sich den Ausweg freigemacht und lachte nun seinerseits.

"Der Zauber wurde vierhundert Jahre nach dir altem Knochensack erfunden, Goran. Den konntest du also nicht abwehren. Niemand sperrt Lord Voldemort ein! Merk dir das!"

Mit den immer noch hell leuchtenden Zauberflammen auf seiner linken Hand zwengte sich der große, hagere Herr der Todesser durch die freigebrannte Öffnung und landete auf der anderen Seite auf glattem Marmor. Da sah er in nicht einmal fünf Metern Entfernung die Statue eines untersetzten Mannes im kunstvoll herausgearbeiteten Umhang, mit einem versteinerten Zylinder auf dem Kopf. Noch ein paar Meter weiter vorne standen gleich zwei Standbilder, die einen Mann mit erschrockener Miene und einen etwas jüngeren Burschen darstellten, der alle Muskeln angespannt hatte und den Älteren mit den Händen um die Hüften hielt, als wolle er ihn von irgendwo fortreißen. Das alarmierte den Meister so vieler dunkler Zauber aufs Höchste. Er kannte einen Fluch, bei dem ein Stein so verhext wurde, daß jedes fleischliche Wesen, das ihn berührte innerhalb von Sekunden damit verwuchs und zu einem detailgetreuen Abbild seiner Selbst versteinerte. Wenn dieser Goran diese heimtückische Falle auch noch so bezaubert hatte, daß der Fluch nach Vollendung auf einen benachbarten Stein überging konnten so viele arglose Eindringlinge erledigt werden, ohne einen weiteren Zauber wirken zu müssen. So flog Voldemort wieder auf wie aufsteigender Rauch und glitt, sich tunlichst von der Decke fernhaltend durch eine ganze Kolonie gescheiterter Eindringlinge, die als ewiges Mahnmal hier unten zurückblieben. Offenbar hatte Goran mehrere Etagen seiner Kerker angelegt. Denn der unter ihm weggesprengte Boden mochte eine ähnliche Flucht aus Steingängen und fensterlosen Kammern und Gewölben beherbergt haben. Dann hörte er das hönische Lachen einer Frauenstimme, die er vorhin schon gehört hatte. Diese sagte dann noch was in einer slavischen Sprache, die Voldemort gerade so als Polnisch zu erkennen meinte. Die Stimme kam von weiter oben.

"Sie hat Lunova aufgestöbert", dachte Voldemort. "Wenn sie sie tötet erfahre ich nicht, wo der Mitternachtsdiamant liegt." Doch dann fiel ihm mit großer Genugtuung ein, daß er keinen Vampir dafür brauchte, um den Stein zu finden. Er rief: "Manus Medianoctis!" Doch der Zauber gelang nicht. Zum ersten Mal, seitdem er ihn eingeübt hatte, mißlang ihm dieser mächtige Zauber. Doch das ärgerte ihn nicht. Im Gegenteil. Jetzt wußte er, daß er in unmittelbarer Nähe des Steines war, der sämtliche dunkle Kraft der tiefsten Nachtstunden anzog und bündelte. So wirkte Voldemort den Zauberfinder und erhielt unverzüglich eine klare Anzeige eines mächtigen Gegenstandes hinter einer dicken Wand rechts voraus. Noch immer fliegend näherte er sich dieser Wand und rief erneut den Steinzersetzungszauber auf, um sich einen Durchgang zu verschaffen. Dann erreichte er den runden Raum. Unvermittelt blies ein heftiger Windstoß die auf seiner freien Hand tanzenden Flammen aus.

"Lumos Amplifico!" Murmelte Voldemort, als dann auch noch das Licht des Zauberfinders mit einem Knacklaut erlosch. Doch auch das gewohnte Zauberstablicht blieb aus. Dieser Raum war stockfinster und kalt und duldete kein magisches Licht. Dann krachte die Decke über ihm. Gesteinssplitter regneten herab. Voldemort zog sich rasch in die durchstoßene Wand zurück. Weitere Gesteinssplitter prasselten von oben herab. Dann knirschte und knarrte es, und laut krachend stürzten ganze Felsbrocken von oben herab. Es wurde um eine Winzigkeit heller. Offenbar bestand nun eine direkte Sicht auf den Nachthimmel. Ein verärgertes Brüllen aus unortbarer Quelle erscholl. Es war Gorans Stimme. Doch diese verebbte, als eine andere Frauenstimme "Repello Incantatem!" Rief und für einige sekunden hellgrünes Licht den Raum erfüllte.

"Danke Lady Daianira!" Rief eine weitere Unbekannte. Dann konnte Voldemort die beiden erkennen, eine Hexe und eine Vampirin in Fledermausgestalt. Die Hexe saß auf dem Rücken der riesigen Fledermaus und machte gerade eine Schwenkbewegung, wobei ein grünliches Leuchten an der Zauberstabspitze glomm. Voldemort fühlte, wie der Lebensquellfinder ihn berührte und in einer gleichgrünen Aura erscheinen ließ.

"Da ist noch wer", warnte die Hexe, die auf der riesigen Fledermaus ritt. Diese landete auf einem Holztisch. Dann richtete die Fremde ihren Zauberstab auf das Wandstück, wo Voldemort hockte. Dieser überlegte nicht lange und richtete seinen Zauberstab auf die Unbekannte, um sie mit dem Todesfluch zu belegen. Doch die Andere war wohl darauf gefaßt und schickte einen ungesagten Feuerstrahl auf Voldemort zu, bevor dieser "Avada" rufen konnte. Mit einem ungesagten Wasserstrahl drängte er den Feuerstoß zurück, der beinahe seinen Zauberstab erreicht hatte. Also war es der Zauberquellbrenner, ein weiterer, jedoch nur von mächtigen Hexen und Zauberern aufrufbarer Entwaffnungszauber, der den gegnerischen Zauberstab zielsicher treffen und zu Asche verbrennen konnte. Wo Wasser und Feuer sich trafen entstand laut fauchend eine Nebelwolke, die sich zu einem undurchsichtigen Dunst auswuchs. Die beiden Kontrahenten konnten nicht eher einen anderen Zauber wirken, bis das magische Feuer entweder sein Ziel erreicht hatte oder von beschworenem Wasser gelöscht wurde. Die Vampirin regte sich derweil nicht. Offenbar erkannte sie, daß sie den Eindringling ihrer Reiterin überlassen mußte, wollte sie selbst an den Stein gelangen. Wie hatte die Vampirin sie genannt? Lady Daianira? Dann war es eine würdige Gegnerin für ihn, Lord Voldemort.

"Die Gartenhexe aus Yankeeland!" Rief Voldemort, als sein Wasserstrahl das ihm geltende Feuer bezwungen hatte. "Welche Ehre, dich hier zu treffen. So ganz alleine ohne deine anderen Nachtfraktionshuren?"

"Ach, da ist er ja, der Emporkömmling!" Rief Daianira nicht ganz so erschrocken, wie Voldemort es sich erhofft hatte. "Ich sehe, die Gerüchte über deine Gerissenheit entsprechen der Wahrheit. Irgendwie hast du es geschafft, durch zwei dicke Decken zu kommen, ohne sie aufbrechen zu müssen. Ich bin nicht alleine wie du siehst, und einige meiner Schwestern sorgen dafür, daß ich mich ungefährdet zurückziehen kann."

"Wenn die da dich läßt, Daianira Hemlock. Du siehst, ich weiß alles über dich", schnarrte Voldemort.

"Das ist nur fair, weil ich ja auch alles über dich weiß, Tom Vorlost Riddle, sohn einer liebeskranken Hexe und eines ignoranten Muggels."

"Dafür stirbst du", knurrte Voldemort und wollte schon den Fluch aufrufen, als ihn etwas heißes, unsichtbares am Körper traf und er kein Wort mehr herausbringen konnte.

"Du hast deine Chance verpasst, Emporkömmling!" Rief Daianira und vollführte einen schlenker gegen die Wand. "Lapicrescendo!" Rief sie. Der Durchbruch in der Wand verengte sich knarrend. Das Gestein wuchs wie frisches Holz, nur wesentlich schneller und begann die Wunde, die Voldemort ihm beigebracht hatte zu verschließen. Dieser zwengte sich noch durch die zuwachsende Öffnung in den Raum mit dem Mitternachtsdiamanten und wirkte ungesagt den Flugzauber, um nicht auf dem mit vielen Steintrümmern übersäten Boden zu treten. Wer wußte schon, ob nicht einige verfluchte Steine darunter waren?

"Hat es dir die Sprache verschlagen?" Fragte Daianira. Voldemort konnte nicht mehr hören, wo ihre Stimme herkam. Der Nebel war immer noch so dicht, und es war immer noch so gut wie dunkel. Er löste den aufgehalsten Sprechbann. Doch er sagte zunächst kein Wort. Er mußte genau zielen können, um den Todesfluch anzubringen. Sonst hatte sie Zeit zum Gegenstoß. Da lichtete sich der Nebel unvermittelt, und Voldemort konnte sein Ziel erkennen. Er konnte es erkennen? Vor ihm stand eine hohe, durchsichtige Wand, hinter der fünf Vampire mit fünf Hexen zu sehen waren. Auch wirkte der Raum nun wesentlich größer als vorher. Fünf Stimmen gleichzeitig sagten nun:

"Was ist mit dir, Emporkömmling? Weißt du nicht, auf wen du zielen sollst? Warum dümpelst du wie ein Luftballon in der Luft herum? Ist dir der Boden zu kalt? Dem kann abgeholfen werden!"

"Nein, nicht noch mal!" Riefen die Vampirinnen. Doch da hüpften bereits fünf kleine Flammen von den Zauberstäben und landeten vor Voldemort auf dem Boden. Als alle fünf Flammen zugleich auf dem Boden auftippten und zu Monstern aus purem Feuer aufloderten hoben die fünf Fledermauswesen mit ihren Reiterinnen ab und flogen durch den in die Decke gesprengten Durchlaß hinaus. Voldemort sah, wie unter ihm das Zerstörungswerk des Dämonsfeuers seinen Lauf nahm und es ihm immer heißer wurde. Doch als die fünf Vampirinnen durch die Decke gestiegen waren, verflog die Illusion, der Raum sei größer geworden. Voldemort sah, wie ein Rest der Nebelwolke, die Daianira als Ausgangsquelle für ihren Plurimirroris-Zauber verwendet hatte im Wüten der Feuerdämonen verpuffte. Die Kreaturen fraßen innerhalb von Sekunden den Holztisch auf und teilten sich dabei in weitere Ungetüme. Wenn sie auch noch den Mitternachtsdiamanten zerstörten war alles vergeblich gewesen. Doch er mußte hier heraus, bevor die Hitze ihm den Atem nehmen würde und er seinen Flug nicht mehr kontrollieren konnte. Er floh auf dieselbe Weise wie die Vampirin, nur um draußen auf dem Grund des Kraters zu sehen, wie Daianira gerade gegen die Abgrundstochter kämpfte. Diese parierte einige der Flüche, bis sie zweimal von dem Todesfluch getroffen wurde. Voldemort fand, daß dies eine gute Idee sei, um Daianira endgültig aus dem Weg zu räumen und zielte auf die Hexenlady. Doch gerade als er die verbotenen Worte gerufen hatte, sprang ihm Itoluhila in den Weg und bekam den Fluch ab. Diese warf sich herum und schleuderte mit beiden Händen einen großen Eisball nach Voldemort.Daianira dachte, nun den endgültigen Erschöpfungsschlag landen zu können und zielte auf die Abgrundstochter. Doch diese tauchte nach unten weg und flog, von dunklem Nebel umflossen in die Tiefe. Als Daianira Avada Kedavra rief, prallte der Eisball auf Voldemort und schloß ihn ein. Das mochte das Ende sein. Doch da krachte der Todesfluch auf die magische Umhüllung und sprengte sie auf. Die Vampirin flog mit ihrer Reiterin in wilder Panik wie es schien davon. Voldemort schickte ihr ein triumphierendes Lachen nach.

"Ich bin unbesiegbar!" Rief er.

"Solange du nicht an mir vorbeikommst bestimmt nicht, Waisenknabe!" Rief eine andere, ihm all zu vertraute Stimme zur Antwort. Da sah er sie, wie sie auf einem schnittigen Besen heranbrauste, eingehüllt in einen Kapuzenmantel, der ihr bis zu den Fußgelenken herabreichte. Im Schein des Dämonsfeuers leuchtete der Mantel blutigrot und an einigen Stellen silbern. So sah er also aus, Sardonias Mantel der Panzerung.

"Accio Mantel!" Rief Voldemort, der die Berichte kannte, demnach der Mantel Sardonias nicht einmal den Todesfluch durchließ. Außerdem wollte er ihn haben. Doch der Mantel gehorchte dem Zauber nicht. Stattdessen prällte ihm eine unsichtbare Macht beinahe den Zauberstab aus der Hand. Er verlor die Flugkontrolle und stürzte in die Tiefe. Doch schnell schloß er sich in eine goldene Flammensphäre ein, so daß das immer noch wütende Dämonsfeuer ihm nichts anhaben konnte. Gleichzeitig schaffte er es noch, seinen Fall zu bremsen. So landete er weich auf dem nun kahlen Fußboden und erschrak. Dann atmete er auf. Er war nicht auf einen mit dem Versteinerungsfluch belegten Stück Stein gelandet. Um sich herum tobten die Flammenungetüme. Sie umkreisten eine dichte, schwarze Nebelwolke, die knapp vor einem Felsbrocken an der Wand waberte und flackerte.

"Das hältst du nicht mehr durch, Abgrundstochter!" Spottete Voldemort. "So viele Menschenleben hast du nicht mehr drin."

"Genug um mein Ziel zu erreichen, Tom Riddle", keuchte Itoluhila. Dann sah Voldemort Anthelia über sich auftauchen. Sie hatte sich nicht in eine goldene Flammensphäre eingehüllt. Glaubte sie, daß der Mantel ihr Schutz bot?

"Zu heiß für dich, Wiederkehrerin?" Schnarrte Voldemort gehässig. "Ich kann mich nicht beklagen."

"Feuer das ich nicht gelegt habe widert mich an", schnarrte die Erbin Sardonias zurück und nahm Höhe, als ein Raubvogel aus Feuer nach oben stieß, um den leicht brennbaren Besen zu erwischen.

"Sie kann nicht ohne Besen fliegen, kann nicht im Dämonsfeuer herumlaufen und mich nicht töten", spottete Voldemort. Da hörte er zwei Worte, die ihm trotz der ihn umtanzenden Feuersbrunst einen eiskalten Angstschauer über den Körper jagten: "Evoco Devorundam!"

"nein!" Schrie Voldemort, der wieder einen der wenigen und dafür besonders verhaßten Momente großer Angst erlebte. Er murmelte schnell die Flugzauberformel und stieß sich vom Boden ab, als er bereits das Brausen gewaltiger Wassermassen hörte, die auf diesen Ort zueilten.

__________

Anthelia sah das unter ihr tobende Feuer, erkannte an den flammenden Gestalten, daß es das tückische Dämonsfeuer war, daß wohl Daianira beschworen hatte und wußte, daß sie auch innerhalb einer schützenden Sphäre aus goldenem Feuer der Hitze nicht lange standhalten würde. Denn der Schutzanzug unter ihrem Mantel, sowie der Mantel selbst waren nicht für extreme Hitze gemacht worden. Doch sie hatte etwas in Petto, womit sie dem Dämonsfeuer beikommen konnte. Sie flog wieder nach oben, hörte sich unbeeindruckt Voldemorts Spott an, daß sie doch nicht alles könne, was er vorführte.

"Wirst gleich dein längst überfälliges Bad nehmen, Waisenknabe", dachte sie überlegen lächelnd und orientierte sich. Sie durfte Pandora nicht gefährden. Also mußte sie den Zauberstab in die ihr entgegenliegende Richtung halten. Dann konzentrierte sie sich und sah in Gedanken hunderte von Bächen, Flüssen und Wasserfällen, die alle auf sie zuflossen und stellte sich vor, wie diese Gewässer alles niederwalzten und auflösten, was ihnen im Weg lag. Dann rief sie: "Evoco Devorundam!" Keine fünf Sekunden nach dem Ausruf hörte sie das Brausen und Grollen der aus allen fließenden Gewässern der Umgebung erzeugten Flutwelle, der sogenannten Schlingflut, die alle Kräfte des Wassers nicht nur durch ihre Menge, sondern auch durch zerstörerische Magie verzwanzigfachte, so daß alles im Wasser lösliche zwanzigmal schneller verging, alles zersetzbare Gestein sich in einem Zwanzigstel der üblichen Zeit auflöste und alles zerbrechliche bei der bloßen Berührung mit dem heraufbeschworenen Wasser in Millionen Stücke zerbarst. Sie fühlte, wie der Wachhaltetrank die bei dieser mächtigen Elementarbeschwörung über sie hereinbrechende Erschöpfung verdrängte und wußte, daß sie diesen Zauber gewiß nicht mehr ohne Wachhaltetrank vollbringen würde. Sardonia hatte sie und ihre Mutter eindringlich gewarnt, diesen Zauber nicht zu bemühen, wenn es keine ausweglose Situation oder bereits zu weit verbreitetes Dämonsfeuer zu bewältigen gab. Dann kam sie, die Schlingflut. Laut polternd brachen die Wassermassen durch den bereits angeschlagenen Kratergrund. Dennoch bildete sich für eine Weile ein pechschwarzer See im Kraterinneren. Womöglich würde auch der Mitternachtsdiamant bei dieser Flut zerstört werden. Krachend brachen Felsen entzwei. Gurgelnd stürzte das Wasser in die Kammer hinunter, in der Daianiras Dämonsfeuer gewütet hatte. Laut knallend und fauchend hauchten die Feuerungeheuer ihr glutheißes Dasein aus und entließen als letzten Gruß an diese Welt weiße Dampffontänen. Antehlia genoß dieses Vernichtungswerk jedoch nur einige Sekunden. Dann sah sie, wie zwanzig Dämonsfeuerwesen vor der ansteigenden Schlingflut flüchteten und über den Kraterrand hinweghuschten. Einige der Kreaturen ereilte zwar noch das Ende im schwarzen Wasser, doch zwei von ihnen, die die Körper von Raubvögeln besaßen, entkamen der Vernichtungsflut. Sie hetzten genau in die Richtung, wo Anthelia Pandora zurückgelassen hatte. Sofort wendete Anthelia ihren Besen und brauste los. Sie wußte, daß sie keine neue Schlingflut erzeugen durfte, um Pandora zu schützen. Doch die bereits beschworene ließ sich kanalisieren, wußte sie und raste auf die beiden Feuerkreaturen los. Sie beachtete nicht, wie das laute Tosen der herbeigerufenen dunklen Wassermassen immer leiser wurde. Sie jagte die Feuerwesen. Sie sah sogar noch zwei Skelette, die versuchten, dem ansteigenden Wasserspiegel zu entkommen. Doch die wandelnden Gerippe erreichten den Kraterrand, prallten zurück und fieln in die brodelnden Wassermassen hinab, die nun den gesamten Krater ausfüllten. Dann sah sie Pandora Straton, die gerade wieder zu sich kam und rief ihr zu, sich zu schützen. Doch Pandora war wohl von dem Schlag noch zu benommen. Anthelia überholte die beiden Feuerwesen, wobei sie "Rectifico Devorunda!" Rief und mit ihrem Zauberstab auf die beiden Kreaturen zielte. Eines verging in einer pechschwarzen Wasserfontäne aus Anthelias Zauberstab zu grauen Rauch. Das zweite Wesen jagte immer noch auf Pandora Straton zu, die jedoch gerade aufgestanden war und die Gefahr bemerkte. Anthelias Wasserstrahl traf das Feuerwesen voll. Pandora Straton verwandelte sich in ihre Animagus-Gestalt und lief noch leicht wackelig aber doch geschwind weiter. Die nicht mit dem Feuerwesen verpufften Wassertropfen fraßen faustgroße Löcher in den Kalkbelag des Bodens, als sei es pure Säure statt Wasser. Anthelia stoppte den Strahl aus schwarzem Wasser und flog zu Pandora hinunter.

"Huh, das war knapp!" Maunzte Pandora, deren Katzenkopf eine große Beule aufwies.

"Ich habe dich schon versorgt, Schwester Pandora. In meiner Tasche sind diverse Tränke. Ich gebe dir gleich noch etwas gegen Gehirnerschütterungen."

"Wer bist du und wo bin ich hier überhaupt?" Fragte Pandora Straton.

"Ich bin es, Anthelia, deine höchste Bundesschwester", sagte Anthelia und kraulte die Katze.

"Anthelia? Kann nicht sein! Anthelia ist vor über zweihundert Jahren gestorben", sagte Pandora. Dann fragte sie, was mit ihrer kleinen Tochter sei. Patricia sei doch gerade erst ein Jahr alt. Da begriff Anthelia, daß Nyx' gemeiner Schlag ihrer Bundesschwester heftiger zugesetzt hatte als zu erwarten war.

"Patricia geht's gut. Sie wartet auf dich. Komm, verwandel dich zurück und trink das hier!" Befahl Anthelia mit einer ruhigen, Vertrauen einflößenden Stimme und holte aus ihrer Tragetasche jenen Trank gegen Gehirnerschütterungen heraus. Pandora verwandelte sich in ihre menschliche Erscheinungsform zurück. Als sie den Trank in die Hand nahm und ansetzte, erscholl kalt und hoch klingend eine Stimme, die Anthelia eigentlich nicht mehr zu hören gewähnt hatte. "Avada Kedavra!"

__________

Sie fühlte, wie ihr Schutz immer schwächer wurde. Sie spürte die immer größer werdende Hitze. Doch sie konnte sich nicht rühren. Denn so wie sie jetzt dastand konnte sie ihre wirksame Waffe gegen Dämonsfeuer am besten einsetzen. Doch je mehr dunklen Nebel sie aus ihrem gesamten Körper entströmen fühlte, desto schwächer wurde sie. Wenn sie nicht das letzte Mittel ausschöpfen wollte, um sich zu retten, würde sie ihren Körper verlieren und wohl wie Hallitti vergehen. Doch da fühlte sie eine unbändige Kraft, die auf sie zukam. Sie hörte ein lauter werdendes Brausen und fühlte, wie sie von einem Moment zum anderen an Stärke zunahm. Da kam etwas ihrem Wesen zuträgliches heran. Sie wagte es, sich zu bewegen und nach oben zu sehen. Da brach es auch schon mit Urgewalt über sie und die Feuerphantome herein, schwarzes Wasser, ihr angeborenes Element. Itoluhila breitete die Arme aus und empfing die unverhoffte Gabe, ließ sich auf den Rücken fallen und fühlte für einen Moment eine merkwürdige Starre, die ihren ganzen Körper zu ergreifen begann. Doch dann bröckelte etwas unter ihr auseinander, und mit einem Schlag war sie wieder frei und sog das für ihre Lungen unschädliche Naß Atemzug für Atemzug in sich ein, trieb darin wie ein Fisch, der endlich wieder in seinem Element ist. Sie fühlte, wie die von außen in sie einströmenden Kräfte des schwarzen Wassers sie in ihre andre Körperform hinüberwechseln ließen. Sie genoß die dunkle, aber für sie selbst pures Leben bedeutende Kraft und hielt sich über dem Boden, sah wie mehrere andere Steine einfach zerbarsten und entdeckte hinter dem sich langsam lösenden und herabkullernden Felsblock eine Nische, in der ein absolut lichtschluckendes, hühnereigroßes Objekt auf einem sich wie in Säure getränkt zersetzendem Kissen ruhte. Mit ihrem feinen Spürsinn für Magie erkannte sie eine ebenfalls dunkle Aura, die das Objekt umhüllte und die nun den ganzen Raum ausfüllenden Wassermassen einen Zentimeter von dem schwarzen Stein abhielten. Das war er also: Der Mitternachtsdiamant. Der erhabene Stein aller Vampire.

"Jetzt gehörst du mir", dachte Itoluhila und griff nach dem magischen Stein. Er fühlte sich kalt an, vibrierte wild und zitterte dann wie eine Pappel im Wind. Doch Itoluhila umschloß ihre Beute mit eisernem Griff. Der Diamant pulsierte nun wild. Eine tiefe Männerstimme in ihrem Kopf schimpfte:

"Für dich bin ich nicht! Lass mich sofort wieder los!"

"Du bist schon für mich, kleiner Klunker", dachte Itoluhila. Der Stein versuchte sich weiter gegen den eisernen Griff zu stemmen, mit dem Itoluhila ihn festhielt. Doch es gelang ihm nicht. Immer wieder protestierte die ihm innewohnende Seele gegen die unbefugte, die ihn hielt. Doch Itoluhila hielt stand und sog weiterhin das schwarze Wasser in sich ein. Dann irgendwann fühlte sie, wie die Wassermassen sich genug Durchlässe gebrochen hatten und nun im Gestein versanken. Überall knackte, knisterte und knirschte es, wo das poröse Gestein zwischen den festen Felsformationen rissig wurde und nachgab. Itoluhila wußte, daß sie hier herausmußte. Sie hielt den Stein immer noch sicher und fest, während sie mit ihren Flossenflügeln, die unter Wasser genauso nützliche Fortbewegungsorgane waren wie in leerer Luft, nach oben stieg und die wohltuende Tiefe verließ. Sie durchstieß die Wasseroberfläche, federte sich mit einem kräftigen Stoß davon ab und stieß in den immer noch von einer gigantischen Staubwolke verhüllten Himmel hinauf. Eigentlich könnte sie jetzt schon in ihr Versteck zurückkehren, dachte sie. Doch zum einen wußte sie nicht, ob sie den entführten Diamanten dort gefahrlos aufbewahren oder gar zerstören konnte. Zum anderen wollte sie sehen, ob jemand es mitbekam, wenn sie sich mit dem Stein davonmachte. Sie flog über den dunklen Kratersee, der bereits wieder auszutrocknen begann. Dann glitt sie zur Westflanke und überflog diese. Von dort waren die Wassermassen gekommen, stellte sie fest. Viele Felsen waren blank wie von Jahrhunderten in einem reißenden Fluß. Sie überflog den Gipfel erneut, flog der Spur der dunklen Fluten nach, überquerte erneut den Kratersee und sah in der Ferne einen grünen Blitz aufleuchten. Sie flog schneller und hörte, was in der Ferne gerade passiert war.

__________

Nyx war in Panik geflohen, als das Feuer aufloderte. Daianiras Gewicht auf ihrem Rücken fiel ihr lästig. Doch die Führerin der Nachtfraktion klammerte sich zu gut fest. Sie flog über die Ostflanke weiter nach unten, sah dabei den immer noch halbohnnmächtigen Igor. Dann fühlte sie eine gewaltige auszehrung. Von irgendwoher kam fließendes Wasser. Sie überlegte nicht lange, sondern landete mit ihrer Reiterin, die sofort von ihr absprang, verwandelte sich so schnell sie konnte zurück und disapparierte, als sie wieder ihre menschliche Erscheinungsform besaß. Knapp fünf Kilometer entfernt tauchte sie wieder auf. Doch sie fühlte, daß die Wassermassen sie auch hier immer noch beeinträchtigten, nicht schlimm aber unangenehm. Was hatte dieser Unhold da angerichtet? Nein, sie hatte doch noch die Stimme einer anderen Frau hören können. Das war nicht die Abgrundstochter, die ihr bereits wilde Panik bereitet hatte. Das war eine andere Hexe gewesen. Was hatte sie gerufen? "Evoco Devorundam!" Sie kannte diesen Zauber und fürchtete ihn. Damit konnten Wassermassen behext werden, um ein vielfaches zerstörerischer zu wirken als üblich. Und diese hinterhältige Rotblütlerin hatte diesen Fluch aufgerufen. Das hieß, daß sie so mächtig war wie dieser dunkle Lord. Dann war das die geheimnisvolle Hexe, welche die Abgrundstochter des dunklen Feuers vernichtet hatte. Nyx fühlte sich unbehaglich. Sie waren verraten worden. Oder hatte Daianira diese Hexe über ihr Vorhaben benachrichtigt? Dann war sie allein verraten worden. Ja, und jetzt konnten sich diese Hexe oder die Abgrundstochter den erhabenen Stein holen, und sie konnte nichts dagegen tun. Das ärgerte sie maßlos. Sie wollte am liebsten so weit sie konnte apparieren und dann in einen X-beliebigen Unterschlupf hinein, um die nächste Nacht abzuwarten, um dann in mehreren Etappen nach Amerika zurückkehren. Doch dabei müßte sie über fließendes Wasser hinweg, und soweit apparieren konnte sie schon lange nicht mehr. Allein für diesen Ortswechsel gerade hatte sie ihre ganze Kraft aufgeboten, die sie noch hatte. Gut, viel davon war bereits durch die beschworene Flutwelle aus ihr abgesaugt worden. Doch auch so machte das nicht gerade viel Hoffnung. Sie war auf Hexen oder Zauberer angewiesen, die ihr halfen. Sie überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, Daianira zu bitten, sie mitzunehmen, sie mit ihrem suggestiven Blick gefügig zu machen, jetzt, wo sie das vertückte Sonnenmedaillon nicht mehr trug. Sollte sie sich dieser anderen mächtigen Hexe als Dienerin anbiten? Oder sollte sie sich dem dunklen Lord ausliefern? Weder das eine, noch das andere behagte ihr. Denn eines war ihr nun auch klar. Der dunkle Lord hatte seine treuen Anhänger unter den Vampiren verloren. Nur wenn er sich den Mitternachtsdiamanten aneignete - Allein diese Vorstellung trieb ihr das blanke Entsetzen ein - würde er sie und alle anderen sowieso kontrollieren. Doch sie wollte nicht aufgeben. Vielleicht war der Stein noch dort, wo Daianira und sie ihn aufgespürt hatten. Er wiederstand den meisten Elementen. Also wartete sie eine Weile, bis sie fühlte, daß der Sog des fließenden Wassers immer mehr nachließ. Sie brauchte frisches Blut, um sich wieder vollständig zu regenerieren oder eben den Mitternachtsdiamanten, der sie bereits aus der Nähe mit heilsamen Kräften durchpulst hatte. Sie wartete noch eine halbe Minute. Dann disapparierte sie in Richtung Kraterrand.

__________

"Ich muß mein Amulett wiederhaben", dachte Daianira, als Nyx sie einfach hier zurückgelassen hatte und mit einem merkwürdig hohlen Knall disappariert war. Sie blickte die gerade im Flug überquerte Ostflanke hinauf und lauschte auf das ferne Brausen gewaltiger Wassermassen. Anthelia war zweifelsohne mächtig, erkannte sie. Die Schlingflut zu rufen wäre ihr, Daianira, niemals eingefallen. Doch zunächst galt es, ihr Amulett wiederzukriegen. Sie hob ihren Zauberstab und rief "Accio Intis Beistand!" Wie eine knapp über dem Horizont aufleuchtende Sternschnuppe glühte es in der Ausrichtung des Zauberstabs auf. Leise sirrend schoss ein leuchtendes Etwas heran wie ein Splitter aus Sonnenlicht. Dann landete das von goldenem Schein umflossene Amulett in Daianiras freier Hand. Sie hängte es sich schleunigst wieder um den Hals. Falls Nyx wieder zurückkam, wollte sie ihr nicht wehrlos ausgeliefert sein. Sie wußte, daß nur die Macht der schwarzen Flut die Vampirin davon abgehalten hatte, ihre bisherige Zweckverbündete mit ihren eigenen Körper- und Zauberkräften zu überwältigen. Daianira legte keinen Wert darauf, als völlig blutleere Leiche zu enden oder noch schlimmer als Nyx' Artgenossin, möglicherweise Tochter, mit viel zu langen Eckzähnen die Sonne zu fliehen und nie wieder in einem abgelegenen Bergbach baden zu können. Jetzt lauschte die Führerin der Nachtfraktion auf weitere Geräusche. Das Tosen ebbte gerade ab. Da sah sie in Richtung des Kraters einen hellgrünen Lichtblitz wie ein Funken Polarlicht durch die ansonsten dunkle Nacht zucken und wußte, daß dies der Todesfluch war. Doch wer hatte da wen angegriffen? Ihr fiel ein, daß Pandora Straton noch bewußtlos in der Nähe von Gorans nun total verwüsteter Zauberburg lag. Sie überlegte nicht lange und disapparierte, nachdem sie sich sicher war, ihren Geist bei der Ankunft gut genug verschließen zu können.

In knapp fünfzig Metern vom Kraterrand entfernt apparierte sie und wurde Zeugin einer hitzigen Unterhaltung zwischen Anthelia und Voldemort. Worum es ging erschreckte und betrübte sie.

________

Der grüne Todesblitz sirrte durch die Nacht. Anthelia war zu erschrocken, um sich noch in die Flugbahn zu werfen. Der Blitz traf Pandora Straton auf Hüfthöhe. Wie ein Gefällter Baum fiel sie um, die Augen, die bei tag in einem dunklen Grün schimmerten, würden nun nie wieder etwas wahrnehmen. Und das bedauerlichste an der ganzen Sache war, sie starb ohne Erinnerung daran, daß sie eine talentierte Hexe großgezogen und Anthelia den Rückweg in die Welt geöffnet hatte.

"Ist ja schön, daß ich endlich weiß, wie du heißt, Anthelia!" triumphierte Voldemort und trat aus der Dunkelheit hervor. "Pech nur für diese andere Schlampe, daß sie nicht mehr wußte, wie sie hierhergekommen ist."

"Wie lange hast du dort schon gewartet, Waisenknabe?" Knurrte Anthelia, die ihre Wut unterdrücken mußte, um nicht loszuschreien oder gar ihre geistige Balance zu verlieren.

"Mir war klar, daß dieses Miststück da irgendwann aufwachen würde. Dann hätte ich erfahren, wer sie ist und sie in aller Ruhe verhören können. Aber deine Wasserspiele haben ja diese Feuerdämonen auf sie zugetrieben. Danke, daß du sie für mich erledigt hast!"

"Du meinst, alle täten alles nur für dich, Waisenknabe?" Fragte Anthelia verächtlich. Der Tod ihrer treuesten Mitschwester hatte ihr Herz in einen Glutofen verwandelt, der nun mit wildem Pochen heißes Blut durch ihre Adern pumpte.

"Wenn ich das will tun sie alles für mich, sogar sterben, wie du gerade gesehen hast", erwiderte Voldemort immer noch siegestrunken. "Und jetzt will ich, daß du mir Sardonias Mantel gibst. Du bist seiner nicht würdig, du feige Ratte. Du hast dich ja vor ihr geflüchtet, weil sie dir zu stark war."

"Ich bin nicht vor ihr geflüchtet", zischte Anthelia. "Ich habe die alten Inseln für sie geführt, um sie vor Schmeißfliegen wie dir zu bewahren. Solange ich mein erstes Leben führte war ich ihr immer treu ergeben und habe ihre Weisungen befolgt. Aber das interessiert dich doch überhaupt nicht. Du proklamierst die von allen Mischblütern bereinigte Zaubererwelt und bist selbst nur ein halbblütiger Waisenjunge, der niemals jemanden im Leben hatte, der ihn liebte. Die Hexe, die du da gerade einfach so, nur weil du es konntest, ermordet hast, wußte und konnte mehr als du. Deshalb konntest du sie nur feige ermorden. Also wer ist hier die feige Ratte?"

"Die wollte es doch nicht anders, diese Dirne. Sie hat nach ihrem Baby gefragt, wie rührend. Ich werde es wohl auch bald finden und töten, aus einem Akt der Gnade, weil Mamchen nicht mehr da ist."

"Das du dich da mal nicht vertust, Waisenknabe. Denn der Weg zu ihr führt nur über meine Leiche, und daß du mich nicht töten kannst hast du bereits erfahren", keifte Anthelia.

"Du kannst mich auch nicht töten. Diese Gartenhexe Daianira konnte ja auch nur vor mir davonfliegen."

"Sie hatte keine Wahl, wo sie auf einer panisch flüchtenden Vampirin reiten mußte. Sie wäre vielleicht das kleinere Übel für dich gewesen", feixte Anthelia. Dann legte sie nach. "Sonn dich nicht zu lange in der trügerischen Hoffnung, daß keine Hexe und kein Zauberer dich töten kann. Der Schutz, den du dir angeeignet hast wird dem, den du teilweise beraubt hast befähigen, dich zu töten. Du hast dir angemaßt, den Opfertod einer liebenden Mutter zu deinem Schutz zu machen. Ihr Erbe wird dein armseliges Dasein beenden. Denn die Liebe einer Mutter läßt sich nicht stehlen. Sie muß als geschenk empfangen werden. Aber davon hast du natürlich keine blasse Vorstellung, wo du einer solchen Gnade versagt geblieben bist, Tom Riddle, sohn der Merope Gaunt. Ja, auch daß hat diese Hexe", wobei sie auf die Leiche Pandoras deutete, "für mich herausgefunden. Du siehst also, mein Wissen ist mächtig genug, deine Macht aus ihren Angeln zu heben. Und der Sohn der Hexe, die sich für ihn opferte, um dich zu besiegen, lebt noch und wartet nur darauf, dich zu vernichten. Du wirst niemals eine erhabene Weltordnung errichten, wie sie meine ehrwürdige Tante errichtet hat. Eine Ordnung, die auch weit über ihren Tod hinaus erhalten blieb."

"Ich werde diesen Potter-Bastard töten und dann endgültig unangreifbar sein, Anthelia, nichtsnutzige Nichte einer versponnenen alten Sabberhexe. Denn dieser Balg kann nicht einmal ein viertel so viel wie du, und ich bin dir noch überlegen. Sonst hätte ich dir das Schwert Yanxotahrs nicht vor der Nase fortschnappen können. Sonst hätte ich dieses Luder da vor meinen Füßen nicht wie eine schwache Kerze auspusten können." Voldemort hob den Fuß und trat in Richtung Pandoras Kopf. Doch eine unsichtbare Gewalt riss ihm den Fuß herum und warf Voldemort brutal zu Boden. Er versuchte sich aufzurappeln, doch wie eine Zentnerlast hielt ihn etwas am Boden.

"Ich werde dich lehren, einer meiner Mitschwestern derartig respektlos zu begegnen, Tom Riddle! Crucio!" Voldemort fühlte die Pein des Folterfluches und schrie. Eine Minute lang hielt Anthelia den Dunklen Lord unter diesem Fluch. Dann lachte jemand hinter ihr amüsiert auf. Anthelia hob den Zauberstab und fuhr herum. Voldemort feuerte wütend mehrere Flüche auf Anthelia ab. Doch der Mantel Sardonias ließ sie alle verpuffen. Dann sah auch er in Itoluhilas Gesicht.

"Ihr zankt euch herum und habt mich in aller seelenruhe dieses nette Ding hier mitnehmen lassen", sagte Itoluhila amüsiert, während Anthelia und Voldemort ihren Geist so gut es ging verschlossen hielten. Beide sahen auf den alles Licht verschluckenden Stein, der rund wie ein Flußkiesel und so groß wie ein Hühnerei war. Beide dunklen Magier, die Erbin Sardonias und der Erbe Slytherins fühlten die mächtige Aura vibrieren, die den Stein umgab. Das war also der Mitternachtsdiamant, und Itoluhila hatte ihn erbeutet.

"Ich dachte, das Dämonsfeuer hätte dich gefressen, Beischlafvampirin", knurrte Voldemort. "Der Stein gehört in die Hände eines männlichen Magiers. Her damit!"

"He-he-her da-ha-hamit! Wie-hie-hie köhöstlich!" Lachte Itoluhila. "Der Stein gehört jetzt mir, Tom Riddle. Ich nehme ihn als Entschädigung dafür, daß ich deinen ungenießbaren körper und deine selbst angesplitterte Seele nicht bekommen kann. Und dir, Schwester Anthelia, danke ich, daß du mir die Kraft gegeben hast, mich aus dem Versteck des Diamanten zu befreien und meine ausgezehrten Kräfte wieder aufgefüllt hast. Ich kann mir zwar denken, daß du die warst, die meine Schwester Hallitti vernichtet hat, aber der heutige Tag hat mich dir gegenüber jeden Rachedurst vergessen lassen. Ich bin nicht deine Feindin. Wenn du abläßt, mir und meinen anderen Schwestern nachzustellen, werde ich es auch nicht werden. Sei froh, daß du mir begegnet bist und nicht meiner anderen wachen Schwester. Diese hätte dich unverzüglich aus dieser Welt geschafft, aus reiner Blutrache. Leb wohl, Anthelia, Nichte der törichten Sardonia!"

"Her mit dem Stein!" Schrie Voldemort, während Anthelia bereits versuchte, den locker auf der Hand herumtanzenden Diamanten telekinetisch zu packen, aber ihn nicht zu fassen bekam. "Accio Mitternachtsdiamant!" Doch der Stein flog nicht zu Voldemort hinüber.

"Du müßtest ihn mir aus der Hand reißen, Tommy", säuselte Itoluhila. Voldemort griff darauf mit avada Kedavra an. Doch Itoluhila stand ruhig da. Dann rief Voldemort "Expelliarmus!" Ein scharlachroter Blitz fegte auf die ausgestreckte Hand zu. Itoluhila packte zwar noch zu, doch der Entwaffnungszauber traf den Diamanten, der unvermittelt wie ein Sektkorken aus der Umklammerung hüpfte und wie ein Tennisball auftippend davonsprang. Voldemort triumphierte und sprang wie Anthelia und der Succubus hinter dem entwendeten Stein her. Da schoß einer zuschlagenden Eule gleich eine riesige Fledermaus vom Himmel und klemmte den dahinhüpfenden Stein mit dolchartigen Fangzähnen fest. Sofort umglühte die Vampirgestalt eine tiefschwarze Aura. Itoluhila sprang vor, um die dreiste Vampirin zu packen. Doch diese schnellte senkrecht wie eine Rakete nach oben, mit wild wirbelnden Flügeln. Federnd kam Itoluhila auf ihren Nackten Füßen auf und zielte mit der nun leeren Hand auf die davonrasende Vampirin. Doch der losschwirrende Eispfeil zerbarst an der dunklen Aura um die fliehende Fledermaus.

"Dafür kriege ich deine armselige Seele, Tom Riddle", spie Itoluhila aus und griff Voldemort frontal mit von ihren Händen austretendem schwarzen Dunst an. Voldemort legte es nicht darauf an, den wütenden Ansturm zu parieren. Er disapparierte einfach. Mit magisch verstärkter Stimme rief er aus einiger Entfernung:

"Meine Seele gehört nur mir, Höllenhure! Wir sehen uns wieder, Anthelia! Dann werde ich dich in den Staub treten und verscharren!""

"Dein Übermaß an Mordgier und Zerstörungssucht sind die Nägel zu deinem Sarg, Tom Riddle!" Rief Anthelia mit ebenfalls magisch verstärkter Stimme zurück. " Wenn sich überhaupt jemand erbarmt, dir einen zu zimmern. Ich gebe dir noch ein oder zwei Jahre. Dann wirst du Geschichte sein."

"Ich bin unsterblich, Anthelia. Ich bin unbesiegbar!"

"Dann hättest du dich nicht feige davongestohlen", rief Anthelia noch. Sie sah sich um und gewahrte, daß Itoluhila verschwunden war. Aus einer gewissen Entfernung hörte sie Voldemorts aufschrei. Doch dann konnte sie das verärgerte Brüllen einer urwelthaften Bestie vernehmen. Itoluhila hatte ihn wieder nicht erwischt.

"Ich bringe dich nach Hause, damit deine Familie sich in allen Ehren von dir verabschieden kann", sprach Anthelia, nachdem sie ihre Stimme wieder normalisiert hatte, zu der nun völlig teilnahmslos bleibenden Pandora Straton. Sie ärgerte sich über den Ausgang dieser Expedition. Sie hatte auf ganzer Linie versagt. Sie hatte ihre Bundesschwester Pandora nicht beschützen können, hatte zusehen müssen wie der Mitternachtsdiamant in Nyx' Hände gefallen war und dies alles weil dieser irrsinnige Waisenknabe Voldemort nichts anderes als blanke Zerstörungswut und Mordgier äußern konnte. Was würde Patricia sagen, wenn sie erfuhr, daß Anthelia ihre Mutter gerade so vor Feuerdämonen gerettet hatte, um dann von Voldemort überrascht zu werden. Hinzu kam, daß Nyx nun den Mitternachtsdiamanten besaß und damit sogar gegen eine der Abgrundstöchter bestehen konnte. Insofern hatte auch Voldemort sein Ziel verfehlt, wenn er den Diamanten für sich hatte erobern wollen. Nicht einmal die Abgrundstochter, wohl Itoluhila, konnte sich als siegerin empfinden. Denn Nyx hatte ihr den Stein vor der Nase weggeschnappt und konnte damit ihre eigenen verkümmerten Zauberkräfte regenerieren, was ihr half, den zurückgelegten Weg apparierend zu überwinden. Anthelia fühlte Tränen in ihre Augen steigen. Tränen der Wut, aber auch der Trauer. Sie hatte Pandora sehr gemocht und geschätzt. Ihr hatte sie ihr zweites Leben zu verdanken. Also war Pandora wie eine zweite Mutter für sie gewesen, auch wenn sie sich ohne Widerspruch untergeordnet hatte, als Anthelia ihren Körper wiedererhalten hatte.

"Ich habe es die ganze Zeit geahnt, daß sie dich als neue Führerin angenommen hat", schnarrte die verärgerte Stimme Daianiras. Anthelia wirbelte herum und hob den Zauberstab. "Nicht doch, Schwester! Du wirst doch diesem Emporkömmling nicht die Freude machen, dich mit mir zu duellieren", knurrte Daianira und trat mit entzündetem Zauberstablicht auf sie zu. "Ist Pandoras Tochter auch schon eine von deinen Schwestern?" Fauchte sie noch, und Anthelia konnte die unverhohlene Wut sehen, die Daianiras Gesicht beherrschte.

"Was tut das jetzt noch zur Sache", knurrte Anthelia zurück.

"Soviel, daß sie mir untreu geworden wäre, Anthelia. Dafür müßte ich sie den Gesetzen der Schwesternschaft nach bestrafen. Immerhin hast du ja selbst diese Gesetze durchgesetzt, wenn ich mich recht erinnere."

"Ich habe sie nicht dazu angestiftet, dich zu ermorden oder dir etwas wegzunehmen", erwiderte Anthelia gereizt.

"Außer dem Mitternachtsdiamanten, Anthelia? Pandora hat dich doch deshalb hierher bestellt, damit du ihn dir holen kannst, nicht wahr?" Schnaubte Daianira.

"Ich wußte wie du, daß mir der Stein nicht dienen würde und hegte daher denselben Wunsch wie du, ihn zu vernichten, um ihn Dserschinski oder Riddle zu entziehen. Oder war es dein Wunsch, daß Nyx diesen Stein jetzt besitzt? Dann hast du doch obsiegt, Schwester."

"Natürlich hast du alle Details unserer an sich geheimen Unterredung erfahren", fauchte Daianira. "Doch was soll es nun? Wir haben beide verloren. Oder meinst du ernsthaft, ich hätte es darauf angelegt, daß Nyx diesen Stein kriegt. Sie ist und bleibt eine Blutsaugerin, ihrer Art eher verbunden als unserer. Im Grunde muß ich, so arg es mich auch erzürnt, noch dafür Danke sagen, daß du die Schlingflut beschworen hast und sie damit verjagt hast, bevor sie meinte, mich wie Pandora da zusammenschlagen oder gleich an Ort und Stelle unter ihren zwingenden Blick zu nehmen."

"Das kann sie jetzt immer noch", knurrte Anthelia. "Denn ohne dein Medaillon bist du ihr noch mehr ausgeliefert als sowieso schon."

"Meinst du das hier?" Fragte Daianira und holte einen golden glitzernden Anhänger an einer Kette unter ihrer Kleidung hervor. Anthelia nickte anerkennend. "Dieser Disput zwischen dir und dem Emporkömmling hat dich gut abgelenkt. Und nur wer den wahren Namen des Amulettes kennt kann es über eine große Entfernung herbeirufen. Und du hast leider auch recht, daß wir uns nun mit Nyx auseinandersetzen oder arrangieren müssen."

"Zunächst einmal sollten wir unsere gemeinsame Schwester nach Hause bringen, Schwester Daianira."

"Lady Daianira", knurrte die Führerin der nordamerikanischen Nachtfraktions-Hexen. "Die anderen magst du eingeschüchtert haben, und in meinen Reihen magst du außer den Stratons noch weitere Handlangerinnen gewonnen haben. Aber glaube nicht, daß ich mich dir so mir nichts dir nichts unterwerfe, Anthelia! Wenn du nicht willst, daß wir uns streiten - womit du dem Emporkömmling sicherlich eine große Freude machen würdest - solltest du mich als gleichberechtigt respektieren, auch wenn du diesen Mantel da trägst und noch so dieses oder jenes angestellt hast, um so schnell nicht getötet werden zu können. Aber was Pandora angeht, so hast du recht. Doch nicht du wirst sie nach Hause bringen, sondern nur ich. Ihr Tod wird Patricia eine wertvolle Lehre sein, mich nicht zu hintergehen."

"Du kannst mich nicht daran hindern, Pandora auf ihre Heimreise zu begleiten, Lady Daianira", erwiderte Anthelia trotzig. Und wenn du der Ansicht bist, daß ihre Tochter sich bereits zu mir bekannt hat, so kann sie ruhig wissen, daß du das weißt oder wird erfahren, daß es außer dir noch jemanden gibt, der ihr in ihrer Trauer beistehen kann, wenn sie sich noch nicht zu mir bekannt hat. Du sagtest es selbst, daß jeder Streit zwischen uns beiden nur diesem Waisenknaben Tom Riddle nützt. Somit wiederhole ich sehr gerne das, was ich euch Sprecherinnen der Entschlossenen bereits sagte: Ihr könnt eure Angelegenheiten eigenständig regeln, solange nichts geschieht, was die gesamte Welt betrifft. Und glaube mir, daß es genug Sprecherinnen gibt, die mich sofort zur gemeinsamen Anführerin ausrufen wollen, wenn der Waisenknabe sein dunkles Reich errichtet hat."

"Wenn wir ihn lassen", knurrte Daianira und verzog das gesicht, weil sie "wir" gesagt hatte, womit sie Anthelia recht gab und zugleich betonte, daß sie erkannte, daß sie nun nicht mehr um die wiedergekehrte Nichte Sardonias herumkam. Natürlich wußte sie, daß sie ihre hohe Rangstellung nur noch so lange behaupten würde, wie sie Anthelia keinen Grund lieferte, sie ihr streitig zu machen. So nickte sie schwerfällig und hüllte Pandora in ein schwarzes Tuch, daß sie aus einem herumliegenden Kiesel gezaubert hatte. Anthelia telekinierte die drei Besen herbei. Pandoras Leichnam wurde noch in eine Warmwolldecke eingeschlagen und zwischen den beiden Bronco Millennium angeschirrt. Anthelias Parsec-Besen wurde mit zwei Leinen davorgespannt. Anthelia saß auf und übernahm die Führung, während Daianira auf dem rechten Besen aufsaß und das Gespann im Gleichgewicht hielt. So flogen die beiden so machtbewußten Hexen in mehr oder weniger erzwungener Eintracht mit ihrer traurigen Fracht davon.

"Wir haben den Tank zurückgelassen", knurrte Daianira.

"Hier wird so schnell niemand mehr herkommen. Soll er doch verrotten", knurrte Anthelia. Doch Daianira bestand darauf, den Muggel-Behälter zu vernichten und zielte mit ihrem Zauberstab in die Richtung, wo er liegen mußte: "Aggregato Bollidiferrugo!" Rief sie. Ein violetter Feuerball entfuhr ihrem Zauberstab und sauste wie eine Kanonenkugel pfeifend davon. Es krachte einige Sekunden später, und eine rot-violette Flammenfontäne schoss in den Himmel. Der abgeänderte Feuerball hatte zielgenau die größte Ansammlung von Metall angeflogen, die sich im Umkreis von einhundert Metern befand. Unerträgliche Hitze und beschleunigtes Rosten würden den Tank wie pulverisiertes Eisen verbrennen lassen.

"Interessante Vorführung", lobte Anthelia den Elementarzauber.

"Du siehst, Anthelia, daß in den Jahrhunderten deiner Abwesenheit viele nützliche Entdeckungen gemacht wurden", frohlockte Daianira. "Die Flammenkugel kann mit einem weiteren Zerstörungszauber gekoppelt und damit auf die doppelte Reichweite verstärkt werden, solange es kein Wasserzauber ist. Aber das hat dir die untreue Patricia oder ihre Mutter gewiß schon erläutert."

"Hierzu enthalte ich mich jeder Bemerkung", erwiderte Anthelia ruhig.

__________

Voldemort kochte vor Wut und zitterte vor überstandenem Schrecken. Diese Höllenkreatur Itoluhila hätte ihn fast noch aus der Luft gepflückt, wenn er sich nicht schnell durch disapparieren geflüchtet hätte. Und wütend war er, weil ihm der Mitternachtsdiamant durch die Lappen gegangen war. Ja, nun existierte auf dieser Welt sogar eine Vampirin, deren Namen er noch nicht einmal gehört hatte, die alle anderen Vampire nach ihrer Pfeife tanzen lassen konnte. Hinzu kam, daß diese Blutsaugerin nun mindestens so stark war wie Itoluhila und das hieß, stärker als er, Lord Voldemort. Genau das, einem Vampir den Mitternachtsdiamanten zu überlassen, war der größte Fehlschlag, den er sich hatte leisten können. Doch andererseits wußte er nun, wie die unbekannte Hexe hieß, die ihm schon öfter zugesetzt hatte, und das war doch schon was. Verfluchen konnte er sie nicht, das stimmte leider. Denn sie hauste in einem verfluchten Körper, den ein dunkles Geschöpf die Seele entrissen hatte, um ihrer, wohl in einer Art Horkrux geborgenen Seele, eine neue Hülle zu geben. Doch auch sie konnte ihn nicht aus der Ferne verfluchen. Der schutz der Schlammblüterin Lily Potter, sowie seine eigenen dunklen Zauber, um wiederzuerstehen, schützten ihn gleichfalls vor Fernflüchen. Doch was sie ihm an den Kopf geworfen hatte wühlte ihn auf. Sie glaubte allen Ernstes, daß Harry Potter ihn töten würde. Sie ging davon aus, daß er, Lord Voldemort, zu schwach war, um eine neue Weltordnung zu schaffen und er in frühestens einem Jahr, spätestens aber zwei Jahren keine Bedeutung mehr haben sollte? Sie würde erleben, was es hieß, ihn, Lord Voldemort, so unverfroren zu verhöhnen. Bald schon würde er eine Streitmacht aufbieten, die heimlich oder offen agieren konnte und die die Welt, wie Sardonia sie sich vorgestellt hatte und Anthelia wohl noch immer erträumte, absolut unmöglich machen würde. Doch zunächst galt es, diese Streitmacht zu suchen und in seinen Dienst zu stellen. Dann, wenn er es geschafft hatte, würde er diesen Potter-Balg erledigen, wenn dieser aus dem vermaledeiten Schutzzauber herausgelöst wurde, den der arme Tropf Dumbledore errichtet hatte. Dann würde keiner mehr seine hirnrissigen Hoffnungen in einen mickrig aussehenden Bengel setzen, der nur mehr Glück als Zaubertalent besessen hatte.

__________

Patricia Straton war in Tränen aufgelöst, als sie einen Tag später ihre tote, bleiche Mutter auf einer dunkelblauen Samtdecke liegen sah. Anthelia und Daianira hatten sie in der heruntergekommenen Kirche der Geisterstadt Dusty Corner in Kalifornien aufbahren lassen. Die beiden wohl oder übel miteinander zusammengehenden Hexenladies hatten die Eingänge mit einem Zauber verschlossen, der nur Hexen aus der einen oder anderen Schwesternschaft einließ. Morgen war es genau zwei Jahre her, daß Anthelia mit Pandora, Patricia und vielen anderen, von denen ebenfalls schon welche nicht mehr atmen konnten, die Schwesternschaft der schwarzen Spinne begründet hatte. Anthelia saß nun ruhig neben Patricia, die sich hemmungslos ausweinte. Sie fühlte, daß Patricia auch auf sie wütend sein mochte. Aber andererseits hatte sie ihr die Wahrheit nicht verschweigen wollen. Eine Stunde lang strömten aus diesen dunkelgrünen Augen mit dem leichten Graustich die Tränen. Dann sagte Patricia tief betrübt:

"Ich glaube dir, daß du sie nicht sterben lassen wolltest, höchste Schwester. Sie wußte wohl auch, daß sie eines Tages für mich ihr Leben lassen würde. Aber doch nicht so. Nicht durch einen feigen Mord." Wieder überkam sie ein Weinkrampf.

"Wir werden den Mörder nicht unangefochten so weitermachen lassen. Deine Mutter ist dafür eingetreten, daß ihm und allen die wie er sind das Handwerk gelegt wird, Patricia", sagte Anthelia ruhig und sanft. Und daß sie die Verbundenheitsanrede Schwester wegließ, rückte sie von der hohen Warte der Anführerin in die Nähe der trauernden Tochter.

"Warum mußte Daianira sie mitnehmen?" Heulte Patricia hemmungslos. "Warum konnte sie nicht eine der kinderlosen Schwestern mitnehmen?"

"Wohl weil sie deiner Mutter und ihren Kenntnissen am meisten vertraut hat", versuchte Anthelia, ein paar tröstende Worte anzubringen. Zumindest war sie froh, daß sie Pandora nicht mit auf diese Expedition mitgenommen hatte. Sonst hätte sie Patricias aus der Trauer geborene Wut und Ablehnung mehr als verdient.

"Wie verkauft ihr beiden das der Zaubererwelt, du und Lady Daianira?" Wollte Patricia wissen.

"Donata. Schwester Donata wird es verkünden, daß die sterblichen Überreste deiner Muttr zurückgebracht wurden. Sie weiß ja, wo sie hinwollte."

"Was weiß Lady Daianira über uns beide?" Fragte Patricia verängstigt.

"Sie hat mir ihr Wort gegeben, keiner enthüllten Schwester meines Ordens nachzustellen, allein schon, weil das diesen Auswurf einer schwächlichen Hexe mehr Macht geben würde", sagte Anthelia beruhigend. "Doch würde ich mich vorsehen, nichts zu sagen oder zu tun, was sie spontan erzürnen könnte. Viele von ihren Feindinnen und Feinden sind spurlos verschwunden."

"Das ist genau das, was ich befürchte", sagte Patricia.

"Deine Mutter konnte ich nicht beschützen, leider wahr. Aber deshalb werde ich dich und alle, die mit mir sind noch besser beschützen, Patricia. Ich habe Daianira auf Pandoras Leichnam schwören lassen, niemanden zu behelligen, der wie sie auch meinem Ruf gefolgt ist. Vergreift sie sich an dir oder andren, wird sie selbst qualvoll dahinsiechen. Aber wie erwähnt sieh dich vor, sie nicht in größerer Wut als Angst gegen dich aufzubringen!"

"Das werde ich, wenn du mir keine anderslautenden Anweisungen erteilst, höchste Schwester", sagte Patricia unterwürfig.

"Nun, dann möchte ich dich jetzt alleine lassen. Schwester Donata wird nachher kommen, um die sterbliche Hülle deiner Mutter abzuholen."

"Dann werde ich jetzt darauf warten, bis Schwester Donata uns erzählt, was mit Mom passiert ist", wimmerte Patricia und kämpfte gegen eine weitere Tränenflut. Anthelia nickte ihr mitfühlend zu und verließ die verlassene Kirche. Patricia blieb alleine zurück und überließ sich ihren Gedanken an Pandora Straton, die Frau und Hexe, zu der sie Mutter sagen durfte.

__________

Itoluhila war nach dem vergeblichen Angriff auf Voldemort in ihre Zuflucht zurückgekehrt, wo sie sich gleich in ihrem Lebenskrug mit neuer Kraft anreichern wollte. Sollte sie ihrer Schwester Ilithula verraten, daß sie die Mörderin Hallittis getroffen und verschont hatte? Nein, das mußte sie nicht unbedingt herauslassen. Ein wenig ärgerte es sie, daß sie sich den Mitternachtsdiamanten hatte entwinden lassen. Doch andererseits wußte sie ja doch nicht, wie und wo sie ihn gefahrlos zerstören konnte. Den ausstehenden Disput mit ihrer Schwester würde sie wohl überstehen. Die hätte ihn ja auch selber suchen gehen können. Doch dabei wäre sie wohl im Dämonsfeuer verbrannt, erkannte Itoluhila amüsiert. Oder sie wäre in den dunklen Wassermassen ertrunken. o nein, dann hätte sie sie vielleicht als ihre eigene Tochter neu zur Welt bringen müssen! Nein, so war es schon besser gewesen, dachte die Tochter des schwarzen Wassers und begab sich für eine gewisse Weile zur Ruhe.

__________

Nyx kehrte kraftstrotzend in das Haus zurück, in dem sie und ihre Familie lebten. Morpheus konnte mittlerweile die transformative Trance innerhalb weniger Sekunden erreichen und sich verwandeln. Seine letzten Hemmungen vor der neuen Ernährungsweise waren auch verflogen.

"Jetzt brauchen wir vor niemandem mehr Angst zu haben", sagte Nyx. "Daianira hat ihr Medaillon nicht mehr und könnte mir damit auch nichts mehr anhaben. und sowohl der dunkle Lord als auch die verfemten Abgrundstöchter können uns nichts mehr anhaben. Und ich habe meine Hexenkräfte vollständig zurückbekommen."

"Willst du den Diamanten wirklich die Ganze zeit tragen, Nyx?" Fragte Haemophilos.

"Er bedrückt mich nicht, dort wo ich ihn hingetan habe, Phil. Im Gegenteil. Ich fühle mich dadurch, daß ich ihn fühle richtig jung und kraftvoll."

"Ihr Weibchen könnt das halt", knurrte Phil. Morpheus fragte sie, wo seine Vampirmutter den sagenhaften Stein versteckt hielt, den er auch spürte, aber nicht sehen konnte.

"Wo alles Menschenleben seinen Anfang nimmt, mein Sohn. Genau da", erwiderte Nyx und streichelte über ihren Körper.

ENDE

Nächste Story |

Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 1. Dezember 2007 besuchten 4898 Internetnutzer diese Seite.