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Daß der dunkle Lord Voldemort wieder aufgetaucht ist, will in der Zaubererwelt niemand so recht glauben, Daß beinahe zeitgleich die vor mehr als 200 Jahren zum ersten Mal gestorbene Hexenlady Anthelia wiederkehrte, weiß fast niemand. Anthelia gründet den Orden der Spinne, einen Hexenorden, der die Vorherrschaft der Hexen über alle Menschen anstrebt. Allerdings bedient sich Anthelia nicht der reinen Gewalt und Einschüchterung wie Voldemort und kann daher im Verborgenen handeln. Ihr Hauptquartier ist die Villa des Plantagenbesitzers Daggers im US-Bundesstaat Mississippi. Der Muggeljunge Benjamin Calder belauscht die Rückkehr Anthelias, wird von ihr gefangen, zu ihrem Kundschafter in der nichtmagischen Welt gemacht und nach verschiedenen Zwischenfällen mit Leib und Leben des Senatorensohnes Cecil Wellington versehen.
Nicht nur die Zaubereiministerien der Welt sowie die schwarzmagischen Bruderschaften sind Anthelias Feinde, sondern auch die von dem Wissenschaftler Richard Andrews aus langem Schlaf geweckte Tochter des dunklen Feuers, Hallitti, die sich in der Muggelwelt Loretta Hamilton nennt. Sie sucht Richard Andrews auf und macht ihn durch Magie und körperliche Liebe zu ihrem Abhängigen, auf den sie einen Teil ihrer übermächtigen Zauberkräfte übertragen kann. Er raubt für sie die Lebenskraft junger Frauen, die sich prostituieren. Dadurch stört er die Einkünfte von Verbrecherorganisationen, die ihn bald jagen. Spätestens als er auf Hallittis Befehl hin ein Bordell heimsucht und alle dort anschaffenden Frauen tötet und das verruchte Haus in Brand steckt, wird sein Tod beschlossen. Ein Kommando von Berufsmördern schafft es fast, ihn zu eliminieren. Doch Hallitti rettet ihn ganz knapp vor dem sicheren Tod und übt gnadenlose Rache an den Auftraggebern.
Außer Anthelias Spinnenschwestern wissen nur die Hexe Jane Porter, ihr Vorgesetzter Elysius Davidson und der bei der Bundespolizei FBI untergekommene Zauberer Zachary Marchand davon, in welcher Beziehung Richard Andrews zu der dunklen Kreatur steht. Der amerikanische Zaubereiminister Pole verfügt, daß niemand informiert werden darf, was wirklich geschieht.
Anthelia weiß von einem Auftrag, den Voldemort von einem ihm treuen Helfershelfer ausführen lassen will. Sie weiß jedoch nicht, worin dieser Auftrag besteht und was der dunkle Zauberer noch im Schilde führt. Doch sie hat ja einen von ihr präparierten Kundschafter in den Reihen der Todesser.
Die Stimmung war düster wie der Himmel. Regen prasselte wie eine Armee kalter Duschen vom total bewölkten Nachthimmel. Regen im Mai, was für Pflanzen und Naturliebhaber eine Wonne war, war eine nervtötende, nasskalte Sache für den Mann, der gerade mit einem im Geprassel kaum vernehmlichen Plopplaut aus dem Nichts heraus erschienen war. Er zog die Kapuze seines schwarzen Umhangs tief ins Gesicht. Wie ein fleischgewordener Schatten huschte der in Schwarz gekleidete Mann über den vom Regen aufgeweichten Boden. Patschend drückten seine feinen Drachenhautschuhe Fußabdruck um Fußabdruck in den leicht moderig riechenden Erdboden. Wie Grüße aus der Welt derer, die unter ihnen ruhten, hoben sich mannshohe Grabsteine, Steinkreuze und Marmorengel aus dem wässerigen Vorhang ab, wenn der Unbekannte sich ihnen näherte und seine Augen die Silhouetten der Gräber in der Dunkelheit erblickten. Er beeilte sich. Er wollte nicht länger als unbedingt nötig hier bleiben.
Eine sturmartige Windböe peitschte ihm einen Schwall kalten Wassers ins Gesicht, über das er, wie es zur Kleiderordnung seines Ordens gehörte, eine Maske gezogen hatte. Die Maske sog sich voll Wasser und klebte nun wie ein kalter, nasser Lappen an Nase und Wangen ihres Trägers. Innerlich diesen Ort und das Wetter verwünschend steuerte der Ankömmling einen hohen Grabstein an, den Treffpunkt. Die Einsamkeit und die Dunkelheit an diesem Ort versetzten diesen Mann, der es gewohnt war, im Glanz und Ruhm zu baden, immer wieder in eine demütige Stimmung, die ihm nicht gefiel. Doch genau das war ja die Absicht seines Meisters, dem zu dienen er einmal geschworen hatte und der ihn nach den vielen Jahren seiner Abwesenheit wie anderen Mitbrüdern gedroht hatte, sie für ihre Untreue zu strafen, wenn sie ihm nicht all die Dienste leisteten, die sie vierzehn Jahre lang nicht geleistet hatten. Deshalb überwand der Ankömmling seine Abscheu vor dem nassen Boden, der moderig riechenden Erde, als er sich ansatzlos auf die Knie fallen ließ und bis zum Fuß des steinernen Totenmals vorschob. Daß sein Umhang dabei völlig verdreckt wurde, war für den Mann völlig bedeutungslos. Denn in ihm herrschte die pure Angst, die Angst, ihm, den er nur als Herr anredete, ein weiteres Mal nicht von Diensten gewesen zu sein.
"Steh wieder auf, Lucius!" Schnitt eine eiskalte, Tod und Verderben tragende Stimme durch das Prasseln von Regen auf Erde und Stein. "Du machst dich ja noch ganz schmutzig, und ich denke, deine Frau wird das gar nicht gerne sehen, wo ihr doch keinen Hauselfen mehr habt." Der Ankömmling fühlte eine Flamme unbändiger Wut in sich auflodern, die jedoch von der kalten, alles umklammernden Angst sofort wieder gelöscht wurde. Er erhob sich wie ein aus dem Sumpf aufgetauchter Schatten seiner selbst.
"Herr, ich bin gekommen, wie Ihr befohlen habt", sprach der maskierte Mann und sah, wie eine große, hagere Gestalt in Schwarz hinter dem Grabstein auftauchte. Das bleiche, einem fleischlosen Schädel ähnelnde Gesicht mit den glutroten Augen blickte spöttisch auf ihn nieder.
"Das wäre dir ja auch nicht gut bekommen, wenn nicht", lachte die hagere Gestalt schrill wie eine Kreissäge. Dann streckte sie den rechten Arm vor und deutete mit dem bleichen, spinnenbeinartigen Zeigefinger auf den Ankömmling.
"Nimm deine Kapuze und deine Maske ab, Lucius! Wir sind unter uns", sagte das Schauder erregende Wesen, vor dem in der Welt der Hexen und Zauberer fast alle eine höllische Angst hatten.
Der Ankömmling zögerte eine Sekunde. Dann warf er die ohnehin durchnässte Kapuze zurück und zog die gleichfalls triefnasse Maske von seinem blassen, spitzen Gesicht. Das Haar des Mannes war in der Dunkelheit nur als grauer Schopf zu erkennen, bis die abstoßende Erscheinung am Grabstein einen Zauberstab hob und eine Fontäne aus licht in den Nachthimmel schoss, die sich in den Bäuchen der grauen Wolkenungetüme spiegelte. Für wenige Sekunden glänzte das regennasse Haar des einbestellten Besuchers dieses Totenackers silbrigblond. Dann erlosch die Lichtfontäne und überließ ihren Schöpfer und dessen herbefohlenen Besucher wieder der Dunkelheit.
"Ich habe dir doch vor den Weihnachtstagen gesagt, ich hätte einen Auftrag für dich und deinen Stammhalter, auf daß er mir zeigen soll, ob er wirklich das ist, was du von ihm immer erzählt hast. Jetzt, wo dieser elende Muggel- und Schlammblutfreund aus Hogwarts geflohen ist, ist der Weg frei, diesen Auftrag zu erfüllen, ohne daß irgendwer uns daran hindern kann. Tritt näher, Lucius!"
Der zur Unterwürfigkeit gezwungene Besucher folgte unverzüglich diesem Befehl und trat vor den Grabstein. Sein Herr und Meister stellte sich vor ihn hin und reichte ihm mit der linken Hand eine stumpfgraue Röhre. Der Herbeigerufene nahm sie entgegen.
"Ich habe in den alten Schriften gelesen, mußte dabei einige ausgefuchste Flüche abwenden und mich vor in den Texten enthaltenen Seelenfangzaubern schützen. Aber dafür haben mir die alten Schriften alles verraten, was ich wissen wollte. Ich habe gnädigerweise nur das niedergeschrieben, was du wissen mußt, Lucius. Lasse deinem Sohn diese Rolle zukommen und schärfe ihm ein, daß er damit einen Beweis seiner wahren Zaubererehre erbringen kann, wenn er tut, was auf diesen Pergamenten steht. Sage es keinem außer ihm, was zu tun ist! Die Welt soll es erst erfahren, wenn es nicht mehr aufgehalten werden kann."
"Jawohl, Herr", sagte Lucius unterwürfig.
"Kehre nach Hause zurück! Aber sprich zu niemandem davon, was du gerade von mir erhalten hast! Ich würde es nicht sonderlich schätzen, wenn meine Pläne den falschen Leuten bekannt würden."
"Jawohl, Herr!" Bestätigte Lucius. Er wartete, bis ihm sein Herr zunickte, er könne nun verschwinden. Dann disapparierte er mit einem vernehmlichen Plopp. Die hagere Gestalt in Schwarz grinste dämonisch. Das Erbe Slytherins, sein Erbe, würde nun, nachdem die Kammer des Schreckens für immer geschlossen worden war, grauenhafter und mächtiger erwachen als der von diesem Mischblutbastard Harry Potter getötete Basilisk. Bald schon, er schätzte vor Ende dieses Monats, würde er über ein Machtinstrument verfügen, hinter dem alle bisherigen Unternehmungen von ihm verblassen würden. Dann, so wußte er, könnte er auch auf die mit heimtückischen Geistesverwirrungsflüchen geschützte Prophezeiung verzichten. Denn dann würde er alles, was irgendwo in der Zaubererwelt gefährlich für ihn zu werden drohte früh genug erfahren, lange vor der akuten Gefahr. Noch einmal grinste er. Dann kehrte er in das Haus seiner toten Eltern zurück. Er hob den Parapluvius-Zauber auf, der ihn wie ein unsichtbarer, körperloser Regenmantel von Kopf bis Füßen umgeben hatte. Dann legte er sich zur Ruhe.
Lucius Malfoy schickte noch in derselben Nacht den Familienuhu mit zwei sorgfältig getarnten Pergamenten los, die der Postvogel einen Tag später, nicht zur üblichen Zeit vor dem Frühstück, zustellen sollte. Er schlüpfte leise in seine Nachtwäsche und schlich in das pompöse Schlafzimmer, wo seine Frau Narcissa tief und unbekümmert schlief. Er dachte daran, was sein Herr, der dunkle Lord, nun in die Wege leiten wollte. Er hatte die vier Pergamente gelesen, die in der Rolle gesteckt hatten und wußte, daß Salazar Slytherin, der größte unter den Zauberen dieses Jahrtausends, nicht nur die Kammer des Schreckens in Hogwarts versteckt hatte, sondern auch fünf von ihm selbst gemalte und bezauberte Bilder, die seine Macht über die Welt bezeichneten. Der dunkle Lord mußte davon Kenntnis erhalten haben, daß diese Galerie, die von Verehrern wie Feinden des großen Slytherin gleichermaßen "Galerie des Grauens" genannt wurde in Hogwarts versteckt war und hatte herausgefunden, wo. Draco, Lucius vielversprechender Sohn, sollte diese Bilder aus dem Versteck holen und im Schloß aushängen. Als Mitglied des von Dolores Umbridge eingesetzten Inquisitionskommandos war dies wohl kein Akt, dachte Lucius. Der Herr würde bald die alten Mächte Slytherins zu seiner Verfügung haben, die sich in Form sich rasch verteilender Willensunterdrücker erst über die Bilder von Hogwarts und dann über alle irgendwo hängenden Zaubererbilder der Welt ausdehnen würden. Außerdem würde der dunkle Lord das Geheimnis um die Schöpfung dieser praktischen Helfer erfahren und konnte diese dann auch in der natürlichen Welt hervorbringen. Der Gedanke daran ließ Lucius jedoch erschauern. Denn wenn der dunkle Lord dieses Geheimnis kannte, würde er keinen frei denkenden Zauberer mehr in der Welt herumlaufen lassen, egal, wie er zu ihm stand. Doch wenn Draco diese Bilder nicht enthüllte, würde Lucius grausam bestraft werden. Und das wollte er auch nicht.
Lady Ursina Underwood hatte seit Tagen nichts mehr von Anthelia gehört. Diese mächtige Hexe, die ihren eigenen Tod überstanden hatte und nun im zur Frau umgewandelten Körper des jungen Bartemius Crouch weiterlebte, hielt sich sehr weise aus allem heraus, was in der Zaubererwelt vor sich ging. Zumindest schien es so. Doch Lady Ursina, die Führerin der britischen Nachtfraktionärinnen, wußte es besser. Anthelia hatte Hexen anwerben können, die für sie spionierten, sich in die Zentren wichtiger Zaubererweltorganisationen eingeschlichen hatten und nun für sie arbeiteten, ohne aufzufallen. Nicht mal ihr, Lady Ursina, waren die in ihren Reihen lauernden Spiioninnen enthüllt worden. Sie hatte es versucht und hatte lernen müssen, daß Anthelia ihre Vertrauten wirkungsvoll gegen jeden Verrat gesichert hatte. Sicher, daß es eine mächtige Konkurrentin für sie gab, störte sie. Daß diese Konkurrentin jene war, die bereits vor über 370 Jahren die Herrschaft über die englische Sektion der Nachtfraktion erkämpft hatte, machte ihr Angst, ein Gefühl, daß keinem Mächtigen schmecken wollte. Denn Anthelia mußte eine Möglichkeit gefunden haben, ihren Tod zu überdauern, nicht in der üblichen Körperform, aber als Seele, die nicht in jenes Reich der Toten hinübergegangen war, von dem nicht nur Ursina überzeugt war, sondern das auch in der Mysteriumsabteilung erforscht wurde. Außerdem war da ja noch die Tochter des dunklen Feuers unterwegs. Denn was in den Staaten nordamerikas vorfiel sprach dafür. Anthelia hatte das ja auch bestätigt, als sich beide im April auf dem Gipfel des Pico del Teide getroffen hatten.
"Dana, was machen die Handlanger des Emporkömmlings?" Fragte Lady Ursina am Abend des siebzehnten Mais ihre im Zaubereiministerium arbeitende Mitschwester.
"Irgendwas ist im Gang, Lady Ursina. Es scheint, daß durch Dumbledores Flucht aus Hogwarts was begonnen werden kann, was in Dumbledores Anwesenheit nicht hätte gelingen können. Genaueres weiß ich jedoch nicht", erwiderte Dana Moore.
"Irgendwas in Hogwarts? Dann ist dieser Emporkömmling tatsächlich in die lichtlose Bibliothek eingedrungen. Lyra ließ sowas anklingen, das ein mächtiger Zauberer das Tor gefunden und wohl geöffnet haben muß", erwiderte Lady Ursina. Dann versteinerte ihr Gesicht.
"Natürlich, Slytherins zweites Erbe, von dem fast keiner was mitbekommen hat. Was war das noch einmal?"
"Bitte was, Mylady?" Fragte Dana Moore.
"Ich werde das nachprüfen", sagte Lady Ursina und schickte Dana unmißverständlich aus ihrem Salon. In ihrem Privatzimmer zog sie einen weinroten Vorhang vor einem goldgerahmten Gemälde bei Seite. In einem gemütlichen Kaminzimmer saß eine Hexe in rotem Kleid über einem Buch und schien ins Lesen vertieft zu sein.
"Ah, Ursina. Was verschafft mir die Ehre?" Fragte die gemalte Hexe.
"Es ist etwas im Gang, Medea. Der Emporkömmling plant etwas in Hogwarts. Ich vermute, es hat etwas mit einer Hinterlassenschaft Slytherins zu tun", sagte Ursina Underwood.
"Oh, hat dieser sogenannte Lord herausgefunden, was Slytherin noch in Hogwarts versteckt hat?" Gab Medea kalt lächelnd zurück.
"Weißt du, was es ist, Medea?"
"Sicher weiß ich das, und ich wage nicht mir vorzustellen, welches Ungemach gerade mir und den Meinen dadurch widerfahren mag. Danke für die Warnung, Ursina."
"Was ist es denn, daß Slytherin dort versteckt hat und dir Ungemach bereiten kann?" Wollte Ursina wissen. Medea lächelte überlegen. Sie genoss es, daß ihre natürliche Nachfolgerin doch nicht alles wußte.
"Nun, Slytherin war, wie viele düstere Zeitgenossen, ein begnadeter Kunstliebhaber, der selbst gemalt hat. Ich weiß davon, daß er eine Gruppe Bilder angefertigt hat, die die Feiler seiner Macht beinhalten. Doch sie werden erst mächtig, wenn sie offen aushängen. Slytherin hat, wie bei der Kammer des Schreckens, Sorgfalt walten lassen, daß nur jemand die Bilder finden kann, der Slytherins würdig ist. Ich werde mich umhören, ob einer der Slytherin-Schüler des heutigen Hogwarts etwas auffälliges unternimmt. Eine andere Frage, wie geht es Anthelia?"
"Seitdem ich dir von ihr erzählt habe habe ich nichts mehr von ihr gehört. Weißt du nicht, wen von uns sie bereits auf ihre Seite gezogen hat?"
"Anthelia war schon zur Zeit, als sie erstmalig in Erscheinung trat sehr gerissen, Ursina. Ich weiß noch genau, daß sie versucht hat, die portraitierten Schwestern früherer Zeiten zu unterjochen, um ihre Macht über die gemalte Welt zu erlangen. An mir ist sie zwar gescheitert, dafür hat sie es geschafft, Bilder, in denen mein Ich wirkt, einzufrieren, wenn sie in dessen Nähe ist. Mag sein, daß dieser Zauber noch hält. Jedenfalls habe ich bisher keine Kunde, welche lebenden Mitschwestern ihr schon zu diensten stehen."
"Das ist bedauerlich", sagte Lady Ursina, obwohl sie es nicht so recht glaubte, was Medea ihr sagte. Die altehrwürdige Hexenlady, deren Vollportrait in vielen Institutionen der Zaubererwelt zu finden war, wußte um die Macht des Wissens, das man für sich behielt. Doch Ursina wußte kein Mittel, Medea zu zwingen, ihr alles zu verraten, was sie wissen wollte. Von den Bildern Slytherins hatte sie bis zu dieser Stunde auch nichts gehört. Wahrscheinlich lag dieses Wissen in der Withers-Bibliothek und war zur Zeit unerreichbar, denn die einzige, die die alten Bücher hervorholen konnte, war tot.
"Nun, Medea, ich hoffe, du informierst mich, was mit dieser Hinterlassenschaft Slytherins geschieht. Es darf nicht geschehen, daß wir ahnungslos dem Werken dieses Emporkömmlings ausgeliefert sein sollen, wie die ordinäre Zaubererwelt."
"Ich werde dich wissen lassen, wenn Slytherins Galerie des Grauens ans Licht gebracht wurde", sagte Medea und verschwand ohne weiteres Abschiedswort aus ihrem Bild. Lady Ursina wollte schon den Reinitimaginus-Zauber anwenden, um sie zurückzuholen. Doch dann besann sie sich eines besseren. Medea konnte in Hogwarts wertvoller sein als ein lebender Kundschafter dort. Ursina wußte, daß die Hexenlady aus vergangenen Zeiten immer noch loyal zu den wahren Schwestern, der sogenannten Nachtfraktion war, wenngleich sie keine eigenen Machtinteressen mehr verfolgte.
Tatsächlich wechselte das in Ursinas Privatgemach vorhandene Bild-Ich Medeas innerhalb weniger Augenblicke nach Hogwarts über, wo es den Gesetzen der magischen Bilder folgend zu einem Schatten der dort vorhandenen Medea wurde, die sofort alles wußte, was die aus der Underwood-Villa herübergekommene Medea mitzuteilen hatte.
Die Sonne brannte gleißend gelb vom wolkenlosen Himmel herab. Rötlicher Staub umwehte die unter weißen Tüchern verborgenen Beine der vier Männer, die gerade von einem großen, buntgemusterten Teppich herabgeschritten waren. Einer von ihnen trug einen feuerroten Turban auf dem Kopf, während die drei anderen blütenweiße Turbane trugen. Alle trugen sie weiße, weite Gewänder. Wer sie sah mochte sie für Bilderbuchbeduinen aus den Märchen von tausendundeiner Nacht halten. Doch der Schein trog. Es waren keine Wüstennomaden, keine Touristenattraktion Arabiens und auch keine Ölscheichs. Sie gehörten der Bruderschaft des blauen Morgensterns an, einer von Marokko bis Islamabad, von Istanbul bis Srilanka wirkenden Bruderschaft von Magiern, die bereits zur Zeit des Propheten Muhammad bestanden hatte. Ihr Auftrag war es, den Tempel des unheiligen Lebens zu finden und dessen Armee auszuheben, zwanzig monströse Geschöpfe aus Stein und Erdreich, die dort seit Jahrhunderten schlummerten, auf den einen wartend, der die alten Formeln hersingen konnte, mit denen sie geweckt werden konnten. Der Anführer der kleinen Gruppe, der Träger des roten Turbans, Abdul Rashit, blickte sehr argwöhnisch umher. Seine beinahe schwarzen Augen nahmen jedes Detail dieses Wüstenabschnitts auf. Die vom heißen Boden aufsteigende Luft flirrte unheilvoll, während Rashit seine drei Mitbrüder, Yusuf Faruk, Erdogan Özdemir und Faisal Amun den Flugteppich verstauten, mit dem sie hierher angereist waren. Sie wären gerne auf dem Weg des magischen Sprunges an diesen Ort gereist. Doch sie kannten die alten Schriften, die von Flüchen kündeten, die jeden grausam quälten, der wagte, unvermittelt den Tempel zu betreten, von dem sie nicht genau wußten, wo unter dem ewigen Sand der Sahara er lag. Rashit hatte deshalb den Stein der Quellen mitgenommen, ein magisches Artefakt, das auf die Anwesenheit dunkler oder reinigender Zauberkräfte ansprach. Mit diesem kleinen, mattschwarzen Kristall, der nicht größer als die Faust eines Säuglings war, schritt Abdul weiter voran. Der Kristallkörper begann zu vibrieren und wurde dabei kälter. Die Kraft des Bösen, die hier vor Jahrtausenden eingelagert worden war, war ganz nahe.
"Mitbrüder, der Tempel der unheiligen Leben ist nun ganz nahe", flüsterte Rashit. Seine Mitbrüder nickten wortlos und folgten ihm weiter. Erdogan Özdemir zog seinen Zauberstab, der aus Sandelholz mit Drachenherzfasern bestand. Rashit konzentrierte sich derwweil auf die Reaktion des Quellensteins. So fand er heraus, daß sich das Zentrum der dunklen Kraft in nordöstlicher Richtung befinden mußte. Er schritt langsam dahin. Faisal Amun griff unter sein Gewand und holte ein Medaillon mit ineinander verschlungenen ägyptischen Zauberersymbolen hervor. Er hielt es in das Licht der Sonne und murmelte mit tiefer Stimme eine uralte Formel. Dabei begann das Kleinod von innen her rotgolden zu glühen. Dann sah es so aus, als verschmelze ein stück Sonnenlicht mit diesem magischen Schmuckstück. Die Gunst des Ra war Amun hold. Er als einer der lebenden Nachfahren aus der langen Linie der Söhne des in Ägypten als Sonnengott verehrten Urpharaos, der einst aus dem sagenumwobenen Reich der alten Zeiten gestammt hatte, war der einzige, dem das Sonnenkraftmedaillon seine magischen Kräfte zur Verfügung stellte.
"Glaubst du, böse Dschinnen werden uns überfallen?" Fragte Yusuf Faruk seinen Mitbruder Amun, der gerade erst mit seinem monotonen Sinsang aufgehört hatte.
"Ich bin lieber auf alles vorbereitet, Yusuf", sagte der in einem versteckten Winkel Ägyptens geborene Zauberer.
Plötzlich schrie Rashit vor Schreck auf und ließ den Quellstein fallen. Mit Irritation im Blick sahen Faisal und Yusuf, wie sich trotz der sengenden Hitze ein feiner und dann immer dickerer Eismantel um den mattschwarzen Kristall legte.
"Diese Kraft ist unbändig", stöhnte Yusuf. Erdogan ließ seinen Zauberstab einmal durch die Luft schwingen. Kleine blaue Blitze sprangen knisternd zwischen Boden und Zauberstab über. Özdemir sagte:
"Allah sei uns gnädig! Der Fluch des schwarzen Sandes. Wir dürfen nicht länger als bis zum Sonnenuntergang hier verharren."
"Das ist die Erklärung", meinte der immer noch von der heftigen Reaktion des Kristalls verwirrte Abdul. Mittlerweile war der Kristall zu einem männerkopfgroßen Eisklumpen angewachsen und nahm wider die unbarmherzige Wüstenhitze an Größe zu. Nach einer Minute lag im hell glänzenden Sand ein weißer Eisball von der Größe eines Neugeborenen. Immer noch wuchs der Eiskörper.
Mit einem heraufbeschworenen Feuerstrahl bestrich Erdogan den Eiskörper. Der schmolz zwar innerhalb von einer Sekunde auf die Ursprungsgröße zusammen. Doch kaum erlosch der Feuerstrahl, wuchs der Eiskörper wieder an.
Dort wo der Stein der Quellen liegt, ist der Tempel des unheiligen Lebens", erkannte Rashit, was seinen Mitbrüdern auch klar geworden war.
Die vier Brüder vom Orden des blauen Morgensterns verschenkten keine Zeit. Aus ihren mitgebrachten Ledertaschen holten sie magische Tinte, bezauberte Holzpflöcke mit vergoldeten oder versilberten Enden, sowie Edelsteine, die die Magie über die vier Elementarformen der Natur bündelten. Ohne sich mit mehr als einem Wort absprechen zu müssen legten sie die Steine in für alte Zauber genau vorbestimmte Figuren, zogen mit den bezauberten Pflöcken und der magischen Tinte Symbole, in denen sich die übergeordneten Kräfte spiegelten und über diese wirksam wurden. Dann sangen die vier Männer alte Zauberformeln, die älter waren als der Koran, ja alten Überlieferungen nach schon dem legendären König Sulaiman bekannt gewesen sein sollten, auf daß dieser Wesenheiten der Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft anlocken und in seine Dienste stellen konnte. Zwar glaubten die meisten Bewohner des Morgenlands nicht mehr so unvoreingenommen an auf Erden wandelnde Geister. Doch die Angehörigen der magischen Zirkel und Bruderschaften wußten, wie man Wesen aus Feuer oder Luft heraufbeschwören und lenken konnte. Doch hier ging es nicht darum, fremde Geister zu bannen, sondern einen alten Fluch und alles, was mit ihm zusammenfiel zu brechen. Die Kraft der Sonne sollte ihnen dabei von entscheidendem Nutzen sein. Denn Faisal Amun wirkte mit seinem Medaillon des Ra einige sehr beeindruckend anzuschauende Zaubereien, die den Boden erstrahlen oder gigantische Lichtfontänen von der Erde zum Himmel schießen ließen. Es verging eine Viertelstunde, da entlud sich die gegeneinander aufgebaute Magie des alten Tempels mit der der Bruderschaft in einem wuchtigen Erdbeben. Abdul und seine Leute mußten vor aus dem Boden herausgeschleuderten Felsbrocken, aufgewirbeltem Sand und plötzlich aufklaffenden Spalten ausweichen. Dann tauchte eine nachtschwarze Kuppel aus dem Sand der Wüste auf. Eine komplette Festungsanlage mit Mauern und Ecktürmchen schälte sich aus dem Boden, schüttelte den Sand von sich wie ein nasser Hund das Wasser und reckte sich in den Himmel.
"Macht euch zum Kampf bereit, Brüder!" Rief Rashit, als ein vielstimmiges Summen und lautes Getöse aus der nun frei und drohend dastehenden Anlage erklang, die das hellste Tageslicht verschluckte und mit ihren Wehranlagen eine wortlose Drohung ausstieß. Erdogan hob seinen Zauberstab und wartete, wie die anderen auch. Er sah die mächtigen Steintore, die mit besonderen Zugvorrichtungen geöffnet und geschlossen werden konnten. Er blickte zu den kantigen Zinnen auf den mitternachtsdunklen Mauern hinauf. Dann sah er ihn.
Ein Koloss von doppelter Menschengröße, stumpfgrau gleichsam hell auf der tiefschwarzen Mauer, trat zwischen den Zinnen heraus und hob eine große Tonschale mit etwas, das wie von Erdöl getränkter Sand aussah. Dann tauchte noch eine ungeheure Gestalt auf, einige Schritte weiter fort, die ein schneckenartig gewundenes Rohr trug. Die beiden Geschöpfe waren eindeutig nicht aus Fleisch und Blut. Sie wirkten wie zum leben angeregtes Gestein, wie lebendig gezauberte Statuen. Ja, und das waren sie in gewisser Weise ja auch. Die Kunst der alten Babylonier, aus Erde und Gestein unter Verwendung von Menschenblut und mächtigen Zaubern kampfstarke Diener zu machen, war nur wenigen überliefert worden. Doch es gab noch welche auf dieser Welt, die das alte Wissen erlernt und sich in der alten Kunst geübt hatten. Hier tauchten sie nun aus dem Sand der Vergangenheit wieder auf und griffen an, jene Wesen, die in der Welt als Golems bezeichnet wurden.
"Hütet euch vor dem schwarzen Sand!" Rief Abdul, als der erste Golem den mächtigen Krug umzustülpen ansetzte und der pechschwarze Inhalt herausrieselte.
"Ra, schenke uns die Macht deines Lichtes!" Rief Faisal und reckte sein Medaillon der Wolke aus schwarzem Sand entgegen. Ein fingerdicker Lichtstrahl bohrte sich aus dem Medaillon in die Wolke hinein und entfachte ein gleißendes Gewitter aus roten, blauen und weißen Blitzen. Gleichzeitig versuchte der zweite Golem, mit flüssigem Feuer aus seiner Wurfschnecke, die Angreifer zu treffen. Erdogan sah im schnellen Sprung zurück die einzige Möglichkeit, dem verheerenden Strahl aus sofort zündender Brennflüssigkeit zu entrinnen. Er sah, wie das Zeug vor ihm auf den Boden schlug und sofort eine meterhohe Feuerwand aufloderte, die ihm zu der Hitze der Sahara noch mehr Hitze entgegenatmete. Innerhalb von Sekunden griffen weitere Golems aus dem schwarzen Fort heraus an. Einige versuchten, mit verfluchten Substanzen oder bezauberten Flüssigkeiten zu kämpfen, andere der menschenförmigen Ungetüme polterten durch das steinerne Tor und versuchten, die Eindringlinge im Nahkampf zu erledigen. Doch die von der Bruderschaft waren darauf vorbereitet. Sie zerstörten die Ungetüme mit mehrfachen Flüchen. Dann, als Abdul ansetzte, den mächtigsten mitgeführten Zauber zu rufen, den Bann der steinernen Gewalt. riss Erdogan seinen Zauberstab hoch und rief den aramäischen Todesfluch aus. Abdul, voll konzentriert auf den durch die Anordnung der magischen Mitbringsel gestützten Zauber, wurde völlig überrascht von jenem grünen Blitz in den Rücken getroffen, der im Abendland als unverzeihlicher Fluch galt. Er konnte noch nicht einmal mehr erkennen, daß er gerade von einem Mitbruder ermordet wurde. Denn als der Fluch ihn traf versiegte all sein Denken.
"Erdogan, was ...?" Rief Yusuf und warf sich herum, um auf Erdogan zu zielen. Dieser hob seinen Zauberstab und rief etwas in einer Sprache, die Yusuf noch nie gesprochen gehört hatte. Selbst mit seiner tiefbraunen Haut wurde Yusuf kreidebleich. Er stand zitternd da, als die steinerne Pranke eines Golems ihn mit der gnadenlosen Gewalt einer Metallpresse den Hals wie einen spröden Strohhalm brach. Erdogan grinste. Dann rief er weitere uralte Wörter. Nur noch einer war übrig, der zwischen ihm und dem Tempel der Macht stand. Doch Faisal Amun, der den Mord an Abdul mitbekommen hatte, stand plötzlich in einem grellen Goldlichtmantel da. Einer der Golems versuchte, ihn zu fassen und prallte von innen her rot aufglühend zurück, fiel um und barst in Millionen Trümmer.
"Avada kedavra!" Rief Erdogan Özdemir. Doch in diesem Augenblick schien Faisal Amun in einer großen Lichtentladung zu explodieren. Die Golems, derer es mittlerweile an die dreißig waren, erstarrten. Dann traf sie die volle Wucht der Lichtentladung und warf sie wie vertrocknetes Holz durcheinander. Es krachte laut. Dann flog eine düstere Wolke aus dem Innenhof der Festung hoch und breitete sich über allen und jedem aus.
"Dein Sonnenzauber ist nun wirkungslos, Ägypter. Nimm dein Schicksal hin!" Rief Erdogan Özdemir. Doch Faisal Amun lächelte. Immer noch stand er im Schein eines überirdischen goldenen Lichtes.
"Die Magie des alten Königs ist mächtiger als die Armee der Vernichtung", sagte er. "Wirke deinen Zauber, Verräter und sieh, wie ich mächtiger werde als du es dir vorstellen magst. Das Himmelslicht gibt Leben. Das Himmelslicht gibt den Tod. Beides ist gleich unter der Sonne und der Kraft, die sie der Erde spendet."
"Du willst es nicht anders, Ägypter!" Rief Erdogan, der sich nicht vorstellen konnte, daß Ras Zauber unter der Lichtfeindwolke, wie der düstere Dunst genannt wurde, noch bestehen sollte. "Avada Kedavra!" Rief er mit auf Faisal deutendem Zauberstab. Sirrend schnellte der grüne Todesblitz aus dem Zauberstab und jagte auf Amun im goldenen Lichtmantel zu und traf ihn voll. Amun, der wohl gerade noch einen Zauber singen wollte, erstarrte in der Bewegung, kippte nach hinten und fiel. Doch er schlug nicht hin. Eine unbändige Kraft explodierte aus dem Medaillon, warf Özdemir zurück, schien ihn wie in kochendem Öl zu sieden und raubte ihm fast alle Sinne. Er konnte nicht hinsehen. Amun schien sich in gleißendes Licht aufgelöst zu haben, das mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel nach oben schoss. Dort, wo er gestanden hatte, war ein runder Krater, der wie innen verglast wirkte. Denn der an seinem Ort liegende Sand war durch einen übermächtigen Hitzeanstieg zu flüssigem Glas geschmolzen und kristallisierte nun wieder aus. Gleichzeitig rumorte es in der Festung. Die Lichtfeindwolke rotierte wie im Inneren eines Sandsturms. Dann zerfaserte sie und gab den Blick auf den strahlendblauen Himmel und die diesen beherrschende weißgelbe Feuerkugel frei. Erdogan sah noch einen winzigen Lichtpunkt, der genau auf diesen gleißenden Punkt des Himmels zuraste und damit zu verschmelzen schien. Dann gab es ein heftiges Getöse. Die Festung erzitterte und bröckelte an Mauern, Türmen und der Kuppel des inneren Gebäudes ab. Die Mauern wurden bleich und rissig, bis sie wie mit tausend Meißeln bearbeitet Sprünge und Löcher bekamen und in verwitterte Trümmer zerfielen, die ächzend und knirschend herausbrachen und beim Aufschlag auf dem Boden zu Staub zerfielen.
"Nein! Das kann nicht sein. Die alte Kraft ist vernichtet!" Rief Erdogan wütend. Er sah noch einen Golem, der aus der nun innerhalb von Sekunden zusammenfallenden Festung entkam. Erdogan rief das Ungeheuer in der fremden Sprache, die er vorhin schon einmal benutzt hatte. Das Ungetüm steuerte mit stampfenden Schritten auf ihn zu.
"Das Herz des Tempels", Frohlockte der Mörder Abduls und Faisals, als er die mannshohe Amphore mit den verschnörkelten Schriftsymbolen erkannte. Darin waren die mächtigen Schriftrollen der alten Meister verborgen. Erdogan freute sich, obwohl die Festung nun in Trümmer zerfiel. Was er hier wollte, hatte er gefunden: Das Vermächtnis der alten Golemmeister.
Er sah an sich hinunter und stellte fest, das er sich körperlich verändert hatte. Statt des schwarzhaarigen Mannes aus der Region von Izmir in der Türkei, stand nun dort ein leicht angegrauter, etwas untersetzter Mann mit wettergegerbter Haut. Dann erkannte er, was passiert war. Die Explosion, in der Amun sein Leben ausgehaucht hatte, mußte einen mächtigen Zauber gegen alle vortäuschenden und verhüllenden Magien gewesen sein. Denn der Mann, der nun da stand, wo vorhin noch Erdogan Özdemir gestanden hatte, war nicht Erdogan Özdemir. Diesen hatte er vor drei Monden schon gefangen und unter Opium und Fügsamkeitstränken ausgehorcht, wie er dessen Rolle spielen konnte, ohne von den mächtigeren Mitbrüdern erkannt zu werden. Jahre hatte er gebraucht, den Zauberer zu finden, der ihm Einlaß in die engeren Kreise der Bruderschaft ermöglichte. Und jetzt war er knapp vor dem Ziel seiner Träume und hätte es beinahe nicht mehr erreicht. Denn der Zauberer, der vorhin ohne Bedenken Abdul und Faisal getötet hatte, hieß in Wirklichkeit Ismael Alcara und war der Sohn eines syrischen Zauberers und einer tschechischen Hexe. Sein Ziel war es, die alte Ordnung der alten Hüter des reinen Blutes wieder herzustellen. Hierzu war er ausgezogen, um die Macht der orientalischen Magie zu erlernen und zu wirken. Jetzt, wo er fast eine schlagkräftige Truppe von Wächter- und Mördergolems unter seinen Befehl hätte stellen können, mußte ihm dieser Sonnenanbeter Amun unbedingt noch entgegentreten. Was hatte der gesagt? Er würde nach dem Todesfluch mächtiger sein als der falsche Özdemir es glauben konnte. Lächerlich!
Alcara, der sich über mehrere Monate immer in unmittelbarer Gefahr, erkannt zu werden, mit Hilfe des Fluches der Verstellung in Özdemirs Körperform unter den Morgenstern-Brüdern bewegt hatte, blickte den ihn ansteuernden letzten Golem an. Er sagte ihm etwas in der Sprache der Mächtigen, der Sprache, die dieses Ungeheuer als einziges verstand und als die Sprache des ihn befehligenden Herren anerkannte.
"Gib mir den Träger des Wissens, Diener!" Sagte Alcara. Der Golem streckte seine massiven Arme aus und legte dem Verräter an der Bruderschaft die große Amphore in die Arme. Alcara drohte, unter dem Gewicht des Behälters zusammenzubrechen. Dann sagte er: "Trag du ihn für mich! Folge mir!"
Der Golem folgte seinem neuen Herrn und Meister. Am Schauplatz des magischen Kampfes zeugten nur die Risse im Boden und der Krater, wo Amun niedergestürzt war von dieser Schlacht. Faruk und Rashit versanken bereits im Sand, der nun, wo der alte Tempel zerfallen war, tückisch und nachgiebig wie Treibsand geworden war. Der Sand der Zeit Begrub die Gefallenen der letzten Schlacht vom Tempel des unheiligen Lebens.
Guy Pike war wieder einmal in einer merkwürdigen Stimmung von seinem Wohnsitz disappariert und hatte den Treffpunkt aufgesucht, den er merkwürdigerweise immer sofort wieder vergaß, wenn er zurück in sein Haus apparierte, um ihn dann, wenn er gerufen wurde, wieder anzusteuern. Dort angekommen sprach er mit Dana Moore, der Mitschwester Anthelias, die seine Kontaktperson in England war. Er erzählte ihr völlig freiwillig, daß sein angeblich einziger Herr und Meister Voldemort etwas in Gang gesetzt hatte, wozu er sich wohl des aalglatten, mal herablässigen, mal heuchlerisch-kriecherisch auftretenden Lucius Malfoy bediente. Doch auf die bohrenden Nachfragen Danas, was genau der dunkle Lord vorhatte, konnte er keine Antworten geben.
"Der Herr hat wohl Gründe, uns anderen nichts zu verraten", sagte er abschließend. Dana grinste gehässig. Natürlich hatte dieser Emporkömmling seine Gründe, nichts zu verraten, wenn es noch sehr vage war und ein falsches Wort zur falschen Zeit den Plan umstoßen konnte. Dennoch befahl Dana Pike, sich für weitere Nachfragen bereitzuhalten. Pike wußte, daß er diese Fragen von der Hexe Anthelia selbst, deren Namen er jedoch nicht kannte, gestellt bekommen würde. Er kannte sie nur als seine wahre Auftraggeberin. Denn sollte es Voldemort wider aller guten Vorkehrungen gelingen, sein Gedächtnis auszuforschen, durfte er nichts darin finden, was ihn auf die Spur von Pikes Auftraggeberin bringen mochte.
Als Dana Moore zunächst Anthelia und dann, um nicht aufzufallen, ihren englischen Mitschwestern von der Nachtfraktion Bericht erstattete, wobei sie Lady Ursina gegenüber nicht verriet, daß sie einen der Todesser Voldemorts befragen konnte, kehrte sie in ihr wohnhaus bei Glocester zurück.
Jasper Pole freute sich, daß er eine ganze Nacht ohne schweren Traum hatte durchschlafen können. Als er endlich einmal wieder erholt neben seiner Frau Mabel erwachte, dachte er zunächst nicht an das große Geheimnis, daß er seit Monaten sehr krampfhaft unter allen Decken und Teppichen hielt, die seine Institution, das Ministerium für Magie in den vereinigten Staaten von Amerika, aufbieten konnte. Der baumlange Zauberer, der als amtierender Magieminister die Geschicke seiner übernatürlich begabten Mitmenschen verwaltete, dachte an das großzügige Frühstück, das im Conservatempus-Schrank bereitstand. Seine Frau genoss es nämlich, morgens zwei Stunden länger zu schlafen, sodaß der in Haushaltsdingen nicht so gut bewanderte Jasper Pole verhungert wäre, wenn sie ihm nicht am Abend zuvor schon Muffins, Croissants, Pfannekuchen, Ahornsirup, Toastbrot, Butter, verschiedene Marmeladensorten und so weiter bereitstellte.
Nach einer kurzen Dusche im geräumigen Marmorbad auf der Wohnetage des Zaubereiministeriums und der peinlich genauen Pflege seines Haares und einer gründlichen Rasur nahm er, noch im rotkarierten Bademantel, das Frühstück ein, zudem er sich eine Kanne Kaffee kochte. Wenigstens diese Fertigkeit beherrschte er.
Kaum daß er das Frühstück beendet hatte, klappte die Luke für die Frühmorgenpost auf, und die zwei bedeutenden Zaubererzeitungen der Staaten, Stimme des Westwinds und Kristallherold fielen aus den Schnäbeln zweier Eulen heraus, die sofort zurückflogen. Dann landeten noch vier Eulen mit privater Post für ihn und Mabel im geräumigen Esszimmer. Minister Pole nahm seine silberne Brille von der Nase und prüfte die Umschläge. Er grinste, als er las, daß der Club der Ehrenhexen wohl seine Frau zu einem ihrer angeblichen Informationsveranstaltungen einlud, was eigentlich nur ein Debattierclub für verheiratete Hexen war, der sich um die angesehenen Ehemänner und die allenorts auftretenden Familienprobleme drehte. Wie dumm war er doch gewesen, mal zu glauben, dieser Club sei eine Zweigstelle der schweigsamen Schwestern? Doch weil dort ja auch honorige Hexen wie Ernestine Wright, Maya Unittamo und Jane Porter Mitglied waren, hatte er diese paranoide Idee wieder verworfen. Als ihm Mabel auch dann erzählt hatte, was für Männerohren unschädlich oder belanglos genug war, hatte er über sich selbst lachen müssen.
Für ihn selbst war ein Brief seiner Schwester gekommen, das sein jüngster Neffe Wilbur, der gerade das dritte Jahr in Thorntails zur Schule ging, wohl eine Freundin dort gefunden habe. Pole überflog den kurzen Bericht und die Frage, ob das Mädchen vielleicht nur wegen des mächtigen Onkels mit Wilbur zusammensein wollte. Er runzelte die Stirn und legte den Brief zurück. Warum meinten alle aus seiner Verwandtschaft, ihn mit familiären Belangen noch mehr aufladen zu müssen, wo sein Amt schon genug Stress bereitete? Er schrieb seiner Frau den üblichen, seit dreißig Jahren rituellen Morgengruß auf einen Zettel und stieg aus der Wohn- in die Amtsetage hinunter, wobei er mehrere magisch gesicherte Geheimgänge und Türen benutzte. In seinem Büro wartete Barney Davenport, sein Untersekretär, bereits auf ihn.
"Ich wünsche einen guten Morgen, Herr Minister!" Begrüßte Davenport seinen direkten Vorgesetzten. Dieser grüßte zurück und setzte sich in seinen gut gepolsterten, hochlehnigen, dunkelblauen Bürosessel mit den breiten Armlehnen.
"Heute wird es wohl ein ruhiger Tag", meinte der Minister und freute sich bereits auf das Wochenende, an dem er mit seiner Frau nach Stoney Island reisen würde, einer unortbaren Felseninsel, die von wohlhabenden und / oder hochrangigen Zauberern als Wochenendruheplatz genutzt wurde.
"Hmm, ich habe vor einer Stunde schon in den Eingangskorb gesehen, Herr Minister. Der Bürgermeister von Cloudy Canyon und der Gemeindesprecher von Viento del Sol haben sich zusammengetan, um mit uns über die Grundstücksbesteuerung zu reden. Sie möchten statt der zwei Sickel pro Quadratmeter und Quartal fünf Sickel von der Steuer behalten, da, so schreiben sie, die Aufrechterhaltung der Straßen und öffentlichen Gebäude sehr kostspielig sei."
"Also genau fünfzig Prozent der Steuereinkünfte", meinte der Minister. "Wieso schreiben die mich an und nicht die Abteilung von A. C. Dime?"
"Habe ich Ihnen, Ihr Einverständnis voraussetzend, auch zurückgeschrieben, Sir", erwiderte Daavenport. Pole schätzte ihn als guten Mitarbeiter, der tat, was richtig war, ob befohlen oder durch eigene Überlegungen ergründet. Deshalb nickte er nur und meinte:
"Wenn die noch mal was dergleichen wollen, sollen die in persona hier vorsprechen. Dann kann ich A. C. dazuholen und das ausdiskutieren, falls ich nichts wichtigeres zu tun habe."
"Hmm, dann ist da noch ein Brief gekommen, der in einer Geheimschrift verfaßt sein muß. Leider kann ich die nicht entziffern. Hier ist er", sagte Davenport und überreichte Pole einen blauen Umschlag.
"Ach, kenne ich. Ist ein Zaubercode, den ich mal gelernt habe. Soll wohl hohe priorität haben", sagte Pole, als er die merkwürdigen Striche und Kringel auf dem Umschlag sah. Er rang darum, seine Aufregung nicht nach außen dringen zu lasssen. Er sagte Davenport:
"Handeln Sie die gestern liegengebliebenen Sachen ab, Barney! So um neun Uhr ist ja das Gespräch mit Ms. Gordon von der Abteilung für Muggelkontakte. Schicken Sie Sie zu mir, wenn sie eintrifft!"
"Gewiß, Herr Minister", sagte Davenport diensteifrig und verschwand im Vorzimmer, das die einzige Tür zu den öffentlich zugänglichen Korridoren und Abteilungen in dem unterirdischen Komplex besaß. Pole schloß die Tür des Büros. ließ sich wieder in seinen Komfortsessel sinken, nahm seinen Zauberstab, tippte damit den ersten Strich auf dem Briefumschlag an, murmelte "Schneekatze!" und sah, wie sich die merkwürdigen Striche, Kringel und Figuren wie kleine Würmer wanden und zu klar lesbaren Schriftzeichen verformten. Minister Pole las nun deutlich: "Herr Minister, wir haben ein Problem!" Er Zog den Brief aus dem Umschlag, tippte eines der darauf wie hingekrakelt wirkenden Zeichen an und murmelte erneut "Schneekatze!" Sofort wurde der Text lesbar.
Sehr geehrter Herr Minister Pole,
Sie haben mir, meiner Mitarbeiterin Jane Porter und dem jungen Mr. Marchand strickte Weisung erteilt, über die den besessenen Muggel Richard Andrews betreffenden Vorkommnisse absolute Geheimhaltung zu bewahren. Ich stelle jedoch fest, daß meine Mitarbeiterin Jane Porter offenkundig in einen schweren Gewissenskonflikt geraten ist, da sie befindet, es sei angebracht, die Familie des bedauernswerten Muggels über Art und Umfang seiner heftigen Veränderung zu informieren. Im Moment ist sie wohl noch nicht an die Familie Andrews herangetreten, könnte dies jedoch jederzeit tun. Dies vermute ich, weil ich Kenntnis darüber habe, daß Madame Porter gute bis sehr gute Beziehungen zu der Familie Andrews unterhält und im Besonderen den jungen Zauberer Julius, den Sohn von Richard Andrews, wie einen Enkelsohn ansieht. Gespräche mit ihr, die ich in den letzten Monaten im privaten führte, sowie Hörensagen aus dem Institut brachten mich zu dieser Erkenntnis. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, daß bei einem neuerlichen Zwischenfall, in den Mr. Andrews, Richard involviert wird, das Schweigeabkommen zwischen Ihnen und ihr für sie nicht mehr so wichtig ist. Da es mir widerstrebt, sie durch magische Maßnahmen zur Einhaltung des Abkommens zu zwingen, möchte ich Sie fragen, ob wir uns bezüglich der Angelegenheit Andrews nicht anders besinnen und die Sache zumindest soweit klären, daß Madame Porter zumindest der Familie Andrews berichten darf, was sich zugetragen hat. Da dises auf dem Postwege zu lange dauert, möchte ich Sie persönlich sprechen und bitte daher um einen schnellstmöglichen Termin. Wenn Sie es möchten, können wir uns auch am Wochenende an einem Ort Ihrer Wahl treffen. Mir liegt lediglich daran, daß sowohl Madame Porter als auch Mr. Marchand nichts davon mitbekommen, daß wir uns noch einmal über die Angelegenheit unterhalten.
Hochachtungsvoll
Elysius Davidson
Pole legte den Brief nieder. Das hatte er befürchtet. Denn ihm war auch bekannt, daß Mrs. Jane Porter sehr gute Beziehungen zu Julius Andrews pflegte, von dem er im Zuge der Nachforschungen wußte, daß dieser ein Ruster-Simonowsky-Zauberer war, der zur Zeit die dritte Klasse der Beauxbatons-Akademie in Frankreich besuchte. Beauxbatons, das hieß auch, daß er dort bei Schulleiterin Maxime und ihrer Stellvertreterin Professeur Faucon lernte. Mit letzterer war Jane Porter sehr gut bekannt, wußte Pole ebenfalls. Faucon war Mitglied in der Liga zur Abwehr der dunklen Künste und daher sicherlich interessiert an den Vorfällen hier. Im Grunde konnte er es seiner raschen Nachrichtenunterdrückungsstrategie und dem Werk seiner Agenten in der Muggelwelt verdanken, daß in Europa noch niemand darauf aufmerksam geworden war, was gerade für eine Gefahr in den Staaten gährte. Ihm lag nichts daran, die eigenen Mitzauberer zu ängstigen oder ausländische Zaubererweltbehörden auf den Plan zu rufen. Er wollte das Problem möglichst alleine oder nur mit den dafür notwendigen Mitarbeitern bereinigen, ohne dies anderen bekannt werden zu lassen. Wenn Jane Porter jetzt meinte, ihr Gewissen sei wichtiger als ihre Loyalität, mußte er darauf gefaßt sein, daß seine Amtskollegen in anderen Ländern nachhakten, warum sein Ministerium der Lage nicht Herr werden konnte. Diese Blamage wollte er um alles in der Welt verhindern. Wer würde auch schon gerne zugeben, daß ein schier unbesiegbares Monster einfach durchs Land zog und ohne Vorwarnung Beute unter wehrlosen Menschen machte? Er war sehr stolz, das unter seiner Führung kein machthungriger Schwarzmagier vom Schlage des angeblich zurückgekehrten Lord Voldemort in Nordamerika aufsteigen konnte, und so sollte es auch bleiben. Würde herauskommen, daß er die Einschleppung einer mordgierigen Bestie nicht verhindert hatte, wäre dies seinem Ruf sehr abträglich. Er hatte zu lange gekämpft, getrickst, getreten und gebuckelt, um dieses Amt zu bekleiden und die nordamerikanische Zaubererwelt in seinem Sinne zu leiten. Niemand hielt ihn für einen machtgierigen Diktator, am wenigsten Jasper Pole selbst. Doch er wußte, daß es in bestimmten Situationen wichtig war, hart zu bleiben und unliebsame Nachrichten möglichst zu unterdrücken, um den Nimbus des starken, unerschütterlichen Ministers zu behalten. Wenn er jetzt hinging und Jane Porter durch magische Mittel daran hinderte, irgendwem etwas von Richard Andrews zu erzählen, müßte er zugeben, mit seiner Weisheit nicht weit gekommen zu sein. Es mußte also anders gehen, ohne daß Jane Porter dazu Anlaß bekam, diesem Jungen, den er selbst noch nie gesehen hatte, irgendwas zu erzählen. Sicher, er könnte Eulenpostkontrollen einrichten. Doch das würde auffallen, da er hierfür mehrere hundert Hexen und Zauberer von üblichen Aufgaben abziehen müßte. Es mußte also anders gehen.
Minister Pole rief in den Raum: "Termine!"
Eine kühle, sachlich betonende Frauenstimme erklang wie aus dem Nichts heraus und sagte: "Herrr Minister Pole, Sie haben um neun uhr eine Unterredung mit Ms. Nancy Gordon vom Büro für Kontakte zwischen magischer und nichtmagischer Welt. Um zehn Uhr ist der Tagesbericht von Sicherheitschef Spade angesetzt, danach ..."
"Das genügt!" Unterbrach der Minister und blickte auf das goldene Ziffernblatt der Wanduhr, rechts neben der Tür zum Vorzimmer. Es war jetzt noch eine Stunde bis zum ersten Termin. Pole nahm einen leeren Pergamentzettel aus dem Schreibtisch und schrieb schnell aber sorgfältig, daß der Sicherheitschef des Ministeriums seinen Bericht schriftlich zusenden sollte, da der Termin anderweitig vergeben werden müsse. Diesen Brief schickte er mit der hauseigenen Rohrpost fort und teilte Davenport mit, er müsse den Termin mit Nancy Gordon um eine Stunde nach hinten verlegen, da ihm noch etwas eingefallen sei, was vorher erledigt werden müsse. Davenport grinste in sich hinein. Machte der Minister wieder etwas geheimnisvolles, von dem nicht jeder was mitbekommen sollte? Doch Davenport, der gerne in jenem dunkelblauen Komfortsessel sitzen wollte, hatte gelernt, daß zu viele Fragen den Absturz von der Karriereleiter bringen konnten. Pole zog sich erst in sein Büro zurück und versperrte die Tür auf magische Weise, sodaß Davenport oder andere nicht mehr zu ihm vordringen konnten. Er entzündete ein Feuer im Kamin, warf eine Prise Flohpulver hinein und steckte den Kopf in die grüne Flammenwand, die daraufhin entstanden war. Er rief "Laveau-Institut, Büro Davidson!" Kurze Zeit später saß sein Kopf im Kamin Davidsons, der alleine im Raum saß und hocherfreut den Minister ansah.
"Ich möchte Sie direkt besuchen, Elysius. Stellen Sie sicher, daß uns niemand stören oder belauschen kann!" Sagte der Minister leise. Davidson nickte. Pole zog seinen Kopf aus dem Feuer zurück, schüttete nach einer Minute Wartezeit eine zweite Prise Pulver in die Flammen und trat, schmerzhaft zusammengekrümmt, in den Kamin hinein. Hoffentlich hatte Davidson die Kaminsperre für Ganzkörperdurchlaß entfernt! Er rief erneut "Laveau-Institut, Büro Davidson!" aus und verschwand mit lautem Fauchen.
Die beiden hochrangigen Zauberer sprachen im Schutze eines Klangkerkers und der wieder eingerichteten Kaminsperre über das, was Davidson geschrieben hatte.
"...Wenn noch so etwas wie das mit dem Freudenhaus passiert wird Jane das nicht länger für sich behalten wollen. Sie liegt mir schon seit Tagen in den Ohren, sowohl die Kollegen von anderen Sektionen der Liga gegen die dunklen Künste zu informieren, als auch die Familie Andrews zu informieren. Ich sage ihr immer, daß das keinen Sinn hätte, der Familie derartig Angst zu machen, zumal ja das Verhältnis zwischen Mrs. Andrews und ihrem Ex-Mann wegen der Zaubereiausbildung des gemeinsamen Sohnes gestört sei und es gewiß besser sei, sie nicht wissen zu lassen, daß Richard Andrews mittelbar deswegen in diese Lage geraten ist", sagte Davidson.
"Das stimmt, Elysius", pflichtete Pole wohlwollend lächelnd bei. "Was bringt es dem Jungen, mit einer derartig heftigen Nachricht konfrontiert zu werden? Die Mutter ist eine Muggelfrau und daher sowieso mit derartigen Dingen vertraut. In den Nachrichten der Muggelwelt ist das Thema ohnehin nicht mehr präsent. Allewelt glaubt an einen kriminellen Doppelgänger, und der Vorfall in der Nähe von Muddy Banks wurde im Zuge des darauf folgenden Bandenkrieges als einer von vielen erschreckenden Vorfällen behandelt. In Europa hat man davon, soweit ich orientiert wurde, keine Kenntnis erhalten, da unsere Nachrichtenverbreiter diesen Vorfall zu einer Randnotiz gemacht haben. Sicher, Reporter haben dieses niedergebrannte Haus belagert und wollten mehr wissen. Aber die mit dem Justizministerium ausgehandelte Geheimhaltungspraxis wirkt noch."
"Ja, aber nicht mehr lange, Herr Minister. Meine persönlichen Informanten in der Muggelwelt berichten mir, daß wohl irgendwo Informationen durchgesickert sind. Unterschätzen sie nicht die Macht der Medien in der Muggelwelt. Ein Zeitungsartikel kann dort über Aufstieg oder Fall eines Politikers entscheiden. Im Moment ist ja Präsidentschaftswahlkampf. Da kann sich der Amtsinhaber und alle, die von seinem Wohlwollen profitieren keine Anschuldigung leisten, einen Massenmörder ungeschoren Amok laufen zu lassen."
"Wollen Sie mir jetzt Unterricht in Muggelpolitik erteilen, Elysius?" Fragte Pole leicht genervt klingend. Davidson schüttelte den Kopf.
"Natürlich nicht, Sir. Ich weiß doch, daß Sie das alles wissen. Sie sollten halt nur wissen, daß die Muggelwelt sich nicht mehr so einfach zum Narren halten läßt wie früher. Insbesondere dann nicht, wenn ein Mensch daraus sehr verheerende Taten begeht. Jane meint, die Mutter dieses Jungen würde es früher oder später mitbekommen, daß nach dem ohnehin schon schlimmen Massaker in Detroit noch mehr passiert sei. Marchand weiß von der Ermittlung seines Kollegen Martinez, daß Mrs. Andrews bislang keine Fragen zu diesen Sachen beantworten konnte oder wollte. Es wird nicht mehr lange dauern, und Martinez verliert die Geduld."
"Wieso, Elysius? Es ist in der Muggelwelt etabliert, daß der angebliche Andrews eben Mitglied einer unbekannten Verbrecherorganisation sei und in deren Auftrag handele. - Hmm, Sie haben natürlich recht, Elysius, daß wir vermeiden müssen, daß der bedauernswerte Mann von den Muggelbehörden gefaßt werden kann."
"Marchand sagte mir, Herr Minister, daß Martinez in London war, um das frühere Wohnhaus von Andrews zu untersuchen."
"Weshalb dies?" Wollte der Minister wissen.
"Spuren Sichern, Herr Minister. Er wollte Haarproben und Fingerspuren von Richard Andrews sichern, um sie mit den wenigen Spuren an den verschiedenen Tatorten vergleichen zu können", sagte Elysius Davidson mit einem gewissen Unbehagen in der Stimme. Pole zuckte kurz zusammen. Dann wußten die Muggel bald, daß sie den richtigen Richard Andrews jagten. Denn von der Kriminaltechnik der Muggel hatte ihm Nancy Gordon aus der Muggelkontaktbehörde wundersames zu berichten gewußt. Er hatte es nur verdrängt, weil er mit derlei Dingen nicht viel zu tun hatte. Doch jetzt schien ihm das zum Verhängnis zu werden.
"Hat er solche Spuren sichern können?" Fragte Pole rasch.
"Das hätte ich Ihnen sofort mitgeteilt, Herr Minister. Nein, das Haus war bereits verkauft. Andrews muß das noch im letzten Jahr in die Wege geleitet haben. Jedenfalls waren in dem Haus bereits neue Bewohner, und verwertbare Spuren konnten nicht mehr gesichert werden, auch nicht in einem Kellerraum, der früher wohl eine Art Experimentierraum für nichtmagische Alchemie war. Zusammen mit Scotland Yard, der londoner Kriminalpolizei, konnte Martinez nicht ein Originalhaar von Andrews aufstöbern." Davidson grinste jungenhaft.
"Moment, Elysius. Wieso konnte dieser Bundesscherge keine Spuren finden? Wurden die alle so gründlich fortgeputzt?" Fragte der Minister. Davidson grinste noch breiter und nickte.
"Ich habe mir schon bei der Detroit-Sache gedacht, daß man die Doppelgänger-Version nachprüfen würde und habe daher einige Freunde in London in die Straße dieses Andrews gehen und sämtliche Räume mehrmals mit dem Ratzeputz-Zauber durchfegen und -scheuern lassen. Da sind jetzt garantiert keine verwertbaren Spuren mehr zu finden."
"Das hätten Sie mir ruhig sagen können", sagte der Minister mit tadelndem Unterton. Davidson nickte unterwürfig und meinte dann:
"Ich wollte Ihre Zeit nicht zu heftig strapazieren. Jedenfalls müssen die Polizisten weiterhin davon ausgehen, nicht den echten Andrews zu verfolgen."
"Trotzdem hätten Sie mir das ruhig mitteilen können", beharrte der Minister auf seinem Recht, über alles in dieser Sache geschehene informiert zu sein.
"Nun, diese Gefahr ist nun einstweilen behoben, Sir, und das ist doch wichtig."
"Ja, aber wenn sie diesen Burschen doch kriegen und der ihnen verrät ..."
"Glauben Sie, der wird je eine Chance erhalten, irgendwem zu erzählen, was mit ihm passiert ist. Diese Bestie wird ihn nicht am Leben lassen, wenn er sie zu verraten versucht. Wir wissen aus den Akten von vor vierhundert Jahren, daß die Abhängigen dieser Kreaturen entweder schon tot waren, als man sie fand oder unter den Augen der sie verhörenden starben, wenn sie wider Erwarten doch gefaßt wurden."
"Wenn Sie meinen, mir in Sachen Muggelweltpolitik noch etwas beibringen zu müssen, Elysius, werden Sie sicherlich auch wissen, daß dieser Andrews durch die letzte Aktion den Zorn verschiedener krimineller Gruppen auf sich gezogen hat. Ich fürchte, Massaker wie das letzte werden folgen." Elysius Davidson nickte. "Deshalb ist es von vitalem Interesse, daß niemand, wirklich niemand außerhalb unseres kleinen Kreises weiß, daß es der echte Richard Andrews ist. Es gibt Verbrecherbanden, die pflegen Traditionen wie Vergeltung für Niederlagen und Opfer. Wollen Sie, daß die Familie des Mannes für dessen unfreiwillige Gewalthandlungen bezahlen muß?"
"Natürlich nicht, Herr Minister. Und Jane will das auch nicht. Aber wie wollen wir es anstellen, daß sie zum einen nicht mit den Andrews' spricht und zum zweiten die Muggelwelt weiterhin von einem wahnwitzigen Massenmörder ausgeht?" Wollte Davidson wissen.
"Hmm, das müssen wir jetzt klären", sagte der Minister.
Als Pole nach einer langen Unterhaltung, die fast bis zehn Uhr dauerte in sein Ministerium zurückkehrte, war ihm sichtlich wohler zu Mute. Er war sich sicher, daß er wieder alles fest im Griff hatte. Als die leicht untersetzte Nancy Gordon, eine wasserstoffblonde Muggelstämmige bei ihm vorsprach, konnte er sich rasch auf die neuen Themen umstellen, wie den Präsidentschaftswahlkampf der Muggel, welche Zaubererfamilien mit Muggelverwandtschaft welche Anliegen hatten und noch dieses und jenes. Jedenfalls verlief für den Minister der Arbeitstag im üblichen Rahmen. Als er gegen sechs Uhr abends dieses 19. Mai sein Büro verließ und zu seiner Frau in die Privaträume hinaufstieg, ließ er sich von dieser erzählen, wie sie ihren Tag mit den für die Ministergattin obligatorischen Repräsentativaufgaben zugebracht hatte. Sie beschlossen, früh am Morgen noch nach Stoney Island zu fliegen. Seine Frau, die im Apparieren leider nicht so sicher war, machte es notwendig, auf Langstreckenbesen zu reisen. So würde der Flug quer über den Kontinent zur südkalifornischen Küste einige Stunden dauern. Deshalb gingen beide früh zu Bett.
Jane Porter wußte, daß sie nicht mehr lange verschweigen konnte, was mit Richard Andrews los war. Die sehr sympathisch wirkende, untersetzte Hexe mit den graublonden Locken, die sie meistens unter einem Strohhut verbarg, hatte nur deshalb solange stillgehalten, weil sie selbst nicht wußte, wie sie es Martha Andrews und vor allem Julius beibringen sollte, daß Richard wohl in den Bann einer Tochter des Abgrunds geraten sei. Doch irgendwann würde sie zumindest Kollegen in Europa und Asien erzählen, was genau vorfiel. Sie empfand ein gewisses Unbehagen, wenn sie daran dachte, wie ihre Brieffreundin Blanche Faucon reagierte, wenn diese erfuhr, was geschah. Letzten Weihnachten, wo sie bei den Andrews' zu Gast war, war es ihr klar geworden, daß die respektable Lehrerin von Beauxbatons mit ihr, Jane Porter, heimlich darum konkurrierte, den Jungen Julius so gut wie möglich in die Zaubererwelt hinüberzuführen und daß es Blanche Faucon sicherlich mißfallen würde, solange in Unkenntnis gehalten worden zu sein, daß der Vater des Jungen von einer dunklen Kreatur versklavt und zu blutigen Untaten getrieben worden war. Vor allem aber lastete der Druck auf ihrem Herzen, auch ihren engsten Freunden und Verwandten irgendwas zu erzählen. Sie kam sich wie eine Prophetin vor, die weiß, daß ein Unglück heraufzieht und in dem Moment losbricht, indem sie anderen davon erzählt. Andererseits war nichts schwerer zu halten als ein schreckliches Geheimnis. Es war wie eine Armee von Drachen, die schliefen, bis ihre knurrenden Mägen sie aufweckten. Je länger dieses Geheimnis gewahrt wurde, desto hungriger wurden diese Drachen. Sie hatte mit ihrem direkten Vorgesetzten Davidson noch einmal über die Angelegenheit Andrews gesprochen. - Welch kaltherzige Beschreibung eines sehr bedauernswerten Mannes. - Doch Davidson hatte ihr die Frage gestellt, ob ihre Loyalität der Liga gegenüber wichtiger sei als gegenüber ihren Mitbürgern. Sie hatte darauf geantwortet:
"Solange es nur ein amerikanisches Problem bleibt, Mr. Davidson, habe ich keine Probleme damit, Geheimnisse zu hüten. Aber ich fürchte, dieses Problem wird bald weltweit um sich greifen. Dann möchte ich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein, früh genug von der Gefahr gewußt, aber niemanden gewarnt zu haben. Sie fühlte, daß die Sache mit Richard Andrews einen Keil zwischen sie und Davidson trieb, wenn sie sich nicht bald entschied, ob sie weiterhin schweigen oder reden würde.
"Jane, geht es dir nicht gut?" Fragte ihr Mann Livius besorgt beim Abendessen, weil Jane sehr geistesabwesend und angegriffen wirkte.
"Es ist einiges los, Livius. Wir haben im Moment so viele Sachen um die Ohren, die gefährlich werden könnten. Du weißt doch, daß sie in England nicht wahrhaben wollen, daß dieser Dunkelmagier wieder aufgetaucht ist. Wir fürchten, er hat bereits Helfer hier in den Staaten. Hinzu kommen noch andere dunkle Vereinigungen, die uns in den letzten Monaten arg zu schaffen gemacht haben. Du weißt ja, daß ich dir nicht über alles Auskunft geben darf", sagte Jane Porter. Ihr warmherziges, großmütterliches Wesen schien im Moment irgendwo in einem unzugänglichen Winkel ihrer Seele eingesperrt zu sein oder nach hartem Kampf so sehr geschwächt, daß es seine Zeit brauchte, um wieder hervorzukommen.
"Ja, ich weiß, Honey. Dein Job ist die Hölle, sofern du diesen Vergleich zuläßt."
"Es ist eher, die Hölle auf Erden zu verhindern, Livius. Irgendwann stehst du dann vor einer Situation, in der du dich fragst, ob du nicht von Anfang an auf verlorenem Posten gestanden hast. Es ist jetzt noch nicht so weit, Livius. Aber ich fürchte, das könnte uns bald blühen, wenn wir nicht schnell und gründlich genug arbeiten. Deshalb wundere dich nicht, wenn ich zwischendurch etwas erschöpft oder in mich gekehrt aussehe." Sie rang sich ein Lächeln für ihren Mann ab, der ihr zunickte.
"Ich weiß, daß du ständig in Gefahr bist, Honey. Sicher wäre es mir lieb, wenn du sagst, ich mach Schluß mit dem Institut. Aber das war ja immer dein Leben, und ich will es dir nicht kaputtmachen", erwiderte Mr. Porter.
"Ich will genau wie du haben, daß Plinius, Geri und ihre Familien ruhig schlafen können. Das können sie aber nur, wenn Leute wie ich aufpassen, daß keine bösen Träume wahrwerden."
"Ja, ich weiß, Honey. Das bewundere ich ja auch an dir, daß du trotz der ganzen Sachen, die in den letzten Jahren passiert sind, immer noch dieselbe bist. Wenn dich der Job umzubringen droht, sage es mir bitte früh genug, damit wir zusammen rausfinden können, wie wir damit klarkommen! Mehr kann ich ja nicht sagen, weil ich ja von dir nichts zu hören kriegen darf, um mehr zu wissen."
"Danke, Livius. Ich weiß das zu schätzen."
"Hast du heute was von Glo gehört, Jane?" Brachte Livius das Gespräch auf ein etwas heitereres Thema.
"Die hat mich wie üblich kurz angerufen und mir erzählt, daß sie in Hogwarts gerade mit ihrer Klassenkameradin Pina und den Hollingsworth-Zwillingen heimliche Abwehrzauberübungen gemacht hat. Sie wirkte sehr bedrückt, weil diese sogenannte Fachlehrerin nichts besseres zu tun hat, als Schüler am Lernen zu hindern und ihnen durch Einschüchterungen und Drohungen das Leben schwer zu machen."
"Ja, und wie war das noch einmal mit diesen Chaotenbrüdern, die das Feuerwerk abgebrannt haben und dann getürmt sind?" Wollte Livius wissen. Jane erzählte ihm noch einmal die Geschichte von den Streichen der Weasley-Zwillinge und merkte, daß sie sichtlich entspannter und gelöster war. Sie plauderte mit Livius noch über die Nachbarschaft, Livius Arbeit als Sportredakteur beim Kristallherold, sowie die übrigen Nachrichten aus der Zaubererwelt.
Um Acht Uhr ploppte es im Kamin, in dem immer ein kleines Feuer am Brennen gehalten wurde. Die Porters sahen den Kopf eines jüngeren Zauberers zwischen den Flammen sitzen. Es war ein Reporter aus der Sportredaktion.
"Mr. Porter, Sir. Entschuldigung, daß ich Sie beim Abendessen störe. Aber wir haben das gerade erfahren, daß Foggerty von den Rossfield Ravens beim Spispo gemeldet hat, deren Manager hätte das Spiel von letztem Samstag mit dem Schiedsrichter ausgekungelt. Wenn das stimmt, heftig!" Sprudelte es aus dem im Feuer hockenden Kopf heraus.
"Also doch", gab Livius sichtlich erregt zur Antwort. "Ist Foggerty noch bei Conners?"
"Vor zwei Minuten war er da noch, Boss", sagte der Kopf in den Flammen.
"Okay, Jesse, mach Platz! Ich komm sofort zu euch rüber. Am Besten machst du dich stante pede in die Spispo rüber und versuchst, mit Foggerty und / oder Conners ein Interview zu kriegen."
"Laurie ist schon bei denen, Boss. Ich denke, wir kriegen die Sache gleich ofenwarm rübergereicht", sagte der körperlose Kopf.
"Eh, wer hat euch denn so auf Zack gebracht?" Grinste Livius. "Ich komme aber sofort rüber."
"Geht klar, Boss", sagte der Zauberer, der mit seinem Kopf im Kamin der Porters hing. Dann ploppte es, und im Kamin prasselte das kleine Feuer, als sei nichts besonderes vorgefallen. Livius Porter nickte seiner Frau zu, die zustimmend zurücknickte. Er umarmte und küßte sie, bevor er seinen Umhang zurechtzupfte und mit Flohpulver das Haus durch den Kamin verließ. Jane lächelte. Sportskandale waren etwas erfrischendes, schön belangloses, was die Sorgen um wirklich bedrückende Dinge zurückdrängen konnte. Sicher würde ihr Mann vor Mitternacht nicht mehr zurückkommen, weil jetzt geprüft werden mußte, was an diesem Vorwurf dran war. Schließlich war der Kristallherold eine der führenden Zeitungen der amerikanischen Zaubererwelt und mußte schon aufpassen, sich keine Verleumdungsklage einzuhandeln. Sie kannte die Rossfield Ravens aus Texas. Diese Quodpot-Mannschaft stand auf der Liste ihrer Enkeltochter Melanie ganz weit oben. Foggerty war einer der Eintopfer, also einer, der sich nicht vor harten Abwehrspielern zu fürchten hatte. Wenn der sich traute, seine Karriere zu riskieren, weil er den Manager der Schiedsrichterbestechung verdächtigte, war dies schon ein starkes Stück. Sie stand auf und räumte mit einem Zauber den Tisch ab. Sie ließ das Geschirr aus dem Raum hinausschweben, hinüber in die Küche, wo sie es in ein Messingspülbecken absenkte und dieses mit Wasser füllte. Sie gab zwei Tropfen von Mrs. Scours Kolossalem Geschirrreiniger hinzu und stubste einen Spülschwamm und das Geschirr mit dem Zauberstab an. Dann ging sie hinüber ins Wohnzimmer, um den Tisch mit einem Ratzeputz-Zauber zu reinigen. Ein leises Summen von der Kommode her ließ sie innehalten. Gloria hatte sie doch schon längst angerufen. Außerdem war es in England schon ein Uhr in der Nacht durch. Sie zog die Schublade auf und betrachtete die beiden Taschenspiegel, die sie nach ihrer Heimkehr dort abgelegt hatte. Der mit einem Mondsymbol vibrierte sehr wild. Sie nahm ihn auf und sah mit freundlichem Gesicht hinein. Das Gesicht eines Jungen von etwa vierzehn Jahren blickte sie sehr aufgeregt an. Sie konnte in den blauen Augen des Jungen eine Spur von Angst sehen, die nicht so leicht zu unterdrücken war.
"Mrs. Porter, es ist was ziemlich heftiges passiert in den Bildern von Hogwarts", klang die Stimme des Jungen aus dem Spiegel. Jane sagte, er solle erzählen.
"Aurora Dawns Bild-Ich hat mir gerade erzählt, daß gemalte Kameraden von ihr von grünen Würmern befallen wurden, schleimigen Tieren, wie sie sagt, die sich um die Hälse von anderen Zauberern und Hexen gewickelt haben. Die Zauberer laufen jetzt wie Marionetten oder Schlafwandler rum, sagt Aurora Dawns Bild-Ich." Jane Porter hörte weiter zu. Was der Junge, Julius Andrews, ihr da erzählte, klang zunächst wie eine Schauergeschichte. Doch ihr fielen schlagartig alte Gerüchte und Legenden ein, die genau von soetwas berichteten. Slytherin, der Mitgründer von Hogwarts, sollte damals dunkle Artefakte in Hogwarts versteckt haben, die auf den richtigen Moment lauerten, um seine Rache einzuläuten. Das erzählte sie auch Julius, wobei sie sich nicht so gewählt ausdrückte, wie es sonst ihre Art war. Sie fühlte eine unbändige Furcht in sich aufsteigen. Wenn es wirklich stimmte, was Julius ihr da erzählte, dann war Eile geboten. Julius wußte zu ihrem wohlwollenden Erstaunen recht gut über die Natur von versklavenden Wesen bescheid, aus Dichtungen der Muggelwelt, wie er ihr erzählte. Sie erzählte ihm davon, daß es in der Zauberwesenkunde einen dunklen Zweig gebe, der genau solche Wesen hervorbringen sollte. Sie riet ihm eindringlich, seiner Saalvorsteherin, Professeur Faucon zu melden, was er gerade erfahren und ihr gemeldet hatte. Sie tröstete ihn, daß sie ihn nicht wegen Verletzung der Schulregeln ohne ihn anzuhören verwandeln würde. Als er versichert hatte, sie zu informieren, beendete Jane Porter die Zweiwegspiegelverbindung und legte das nützliche Hilfsmittel in ihre Kommode zurück.
"Das muß ich sofort weitermelden", dachte Mrs. Porter und zog sich einen geblümten Wollumhang an, setzte ihren Strohhut auf und disapparierte, um direkt danach im Besenhangar des Laveau-Institutes zu reapparieren. Mit einem der dort gelagerten Harvey-Besen flog sie unsichtbar zum versteckten Eingang zum Laveau-Institut. Wenn es wirklich so war, daß eine Hinterlassenschaft Slytherins zum bösartigen Leben erwacht war, galt es, schnell zu handeln. Sie hatte es Julius verraten, daß es die ganze natürliche Zaubererwelt unterjochen konnte, wenn das Wissen um diese grünen Würmer, über die sie noch etwas mehr nachlesen mußte, in die Welt der lebenden Menschen hinübergelangte, möglicherweise in die Hände skrupelloser Hexenmeister wie Voldemort. Eile war geboten. Sie hoffte nur, daß Julius keinen blinden Alarm geschlagen hatte. Doch als sie im Institut ankam, überlegte sie, wie sie vorgehen sollte. Daß sie eine Zweiwegspiegelverbindung zu Julius Andrews errichten konnte wußte außer ihrem Mann niemand und mußte es auch nicht wissen. Also mußte sie sich etwas ausdenken, um den Alarm weiterzuleiten. Ja, das konnte gehen. Sie suchte Ardentia Truelane auf, eine Mitarbeiterin, die ihr schon häufig beigestanden hatte und erzählte ihr, ihre Enkeltochter Gloria hätte ihr einen Brief geschickt, wo sie von merkwürdigen Gerüchten aus Hogwarts berichtete, es sei dort etwas mit den Zauberbildern nicht in Ordnung. Ardentia, die eine Kopie eines Portraits ihrer Urgroßmutter Rosalie besaß, die vor einhundertzehn Jahren eine berühmte Heilhexe in England gewesen war und daher auch ein Bild in Hogwarts besaß, schickte das Bild-Ich ihrer Urgroßmutter los, nachzuprüfen, was in Hogwarts los sei. Eine halbe Stunde später kam die Bestätigung für Julius' Alarm. Ardentia erschrak, als sie erfuhr, was in Hogwarts passierte und erkannte die Ausmaße der Bedrohung. Sie wollten Davidson aufsuchen und ihn informieren. Doch Davidson war nicht aufzufinden. So gingen die beiden Hexen in die institutseigene Bibliothek, um sich über die schwarze Kunst der Zoonekromantik und die Züchtung den Willen unterdrückender Wesen zu befassen. So bekam Jane Porter nicht mit, daß vier Zauberer aus dem Institut zusammen mit Davidson die Spuren eines magischen Vorfalls vertuschen mußten, der in den Muggelnachrichten als "eine Schießerei zwischen rivalisierenden Banden" in Las Vegas erwähnt wurde.
Nachdem Anthelia vom möglichen Tod von Richard Andrews erfahren hatte, traf Ardentia Truelane noch bei ihr ein und berichtete ihr, was weit ab in Hogwarts geschehen war. Anthelia verzog das Gesicht.
"Slytherin hat ein Bild gemalt, daß Willenswickler erzeugt, die andere gemalte Personen zu seinen Marionetten machen? Das ist bedrohlicher als diese Kreatur des Abgrunds", sagte sie. "Weißt du auch, was diese Jane Porter dazu veranlaßt hat, dem nachzuforschen?"
"Angeblich hat ihr ihre Enkelin einen Brief geschickt, in dem sie von Merkwürdigen Sachen in den Bildern erzählt."
"Das ist gelogen", sagte Anthelia. "Schwester Dana und Schwester Sheila haben uns doch erzählt, daß in Hogwarts eine strickte Briefkontrolle eingeführt wurde, um mißliebige Kunde weder hinein- und sicherlich auch nicht hinausdringen zu lassen."
"Ehrlich?" Fragte Ardentia. "Aber woher kann sie das dann gewußt haben?"
"Schwester Ardentia, entweder unterhält deine geschätzte Mitarbeiterin eine andere, von dieser im Verfolgungswahn zu schlimmen Taten gedrängten Umbridge unaufspürbare Verbindung zu ihrer Enkeltochter oder hat ihr sogar schon die Kunst des Sprechens im Geiste anderer beigebracht, wenngleich ich auch weiß, daß Hogwarts gegen derlei Zauberwerk schwer versperrt ist. Außerdem denke ich nicht, daß eine halbwüchsige Maid, die diese Gloria Porter wohl ist, die nötige Kraft und Konzentration aufbringen kann, eine weit von ihr entfernte Empfängerin zu erreichen. Mag es angehen, daß sie in Hogwarts selbst einen bildhaften Vertrauten besitzt?"
"Davon hat sie mir nichts erzählt, höchste Schwester", beteuerte Ardentia, von nichts zu wissen.
"Wenn sie klug ist. So wie du sie mir beschrieben hast, hütet sie ihre guten Kontakte sicherlich sorgfältig, eben um vor Verrat sicher zu sein." Sie blickte Ardentia verschlagen an. Diese errötete.
"Ja, aber wie sie das auch rausbekommen hat, höchste Schwester, es stimmt. Ich war dabei, wie meine gemalte Urgroßmutter das nachgeprüft hat und die Geschichte mit den grünen Würmern erzählt hat, denen ihr Hogwarts-Bild-Ich gerade noch entkommen konnte. Das ist schon heftig."
"In der tat, dies ist heftig", erwiderte Anthelia, die einen winzigen Moment lang von einer unbändigen Furcht ergriffen war. Sie hatte schlagartig erkannt, was diese Invasion grüner Willenswickler nicht nur für die Bilder in Hogwarts bedeuten mußte. Doch sie wußte auch, daß sie ihren Mitschwestern gegenüber stark bleiben mußte. Sicher, sie hielt sich nicht für unfehlbar oder unbesiegbar. Aber sie wußte aus ihrer langjährigen Erfahrung als Anführerin, wie auch als Ausführende Gehilfin einer noch mächtigeren Anführerin, daß nach außen gezeigte Stärke der Schlüssel zum Erhalt von Respekt und Gefolgschaft war. Sie sagte daher: "Halte weiterhin Wache, Schwester Ardentia. Ich wünsche sofortige Kunde, wenn die Plage aus Hogwarts hinausgelangt oder gar zauberer oder Hexen sich in den Besitz der Kenntnis setzen, solches Geschmeiß in unserer natürlichen Welt nachzuzüchten. Nach Hogwarts daselbst können wir nicht, für wahr. Aber wir können auf der Hut bleiben, um sofort zu handeln, wenn irgendwo jemand mit diesem Ungeziefer seine Machenschaften treibt."
"Natürlich, höchste Schwester", sagte Ardentia.
Nachdem Anthelia ihre Schwestern über den möglichen Tod von Richard Andrews informiert hatte, nahm sie Kontakt zu ausländischen Mitschwestern auf und setzte sie auf die Wurmplage in den Bildern von Hogwarts an. Anthelia wußte, daß sie genau wie die anderen in der Zaubererwelt machtlos dieser Flut von Würmern gegenüberstand, deren Opfer sicher passable Späher oder Handlanger für natürliche Befehlshaber sein mochten. Was war da Hallitti, die jetzt erst einmal angeschlagen war und vorerst nicht mehr in Aktion treten würde?
Ardentia Truelane kehrte ins Laveau-Institut zurück, um bei Jane Porter zu bleiben, die wohl mehr wußte, als sie zugeben wollte.
Elysius Davidson überlegte schon, was er Jane Porter erzählen sollte, als er erfuhr, daß das nach einer Shießerei in Las Vegas niedergebrannte Haus auf das Konto von Richard Andrews und höchst dubiosen Leuten ging. War Richard Andrews nun im Feuer gestorben oder hatte er Dank der mächtigen Magie der Abgrundstochter überlebt, um weiterhin von ihr auf die Menschheit losgelassen zu werden? Er überlegte sehr heftig, wie er es Jane Porter beibringen sollte. Da erfuhr er von Mitarbeitern seines Institutes, daß Jane Porter herausgefunden hatte, was in Hogwarts vor sich ging. Wie sie dies geschafft hatte, würde er später noch nachprüfen. Für ihn kam diese Nachricht wie eine Drohung und Erlösung im gleichen Maße. Denn so mußte er Jane nicht gleich Rede und Antwort stehen, was mit Richard passiert war. Ja, von dem Feuer in Las Vegas mußte sie überhaupt nichts erfahren. Es würde ihr genügen, zu wissen, daß Richard Andrews vorerst wohl noch von seiner Gebieterin behütet wurde, jederzeit bereit, ihr zu Willen und zu Diensten zu sein. Doch die Meldung von den grünen Würmern in den Bildern von Hogwarts erschreckte ihn auch sehr. Er wußte zwar auch etwas von einer alten und angeblich vergessenen Kunst, bösartige Kreaturen zu erschaffen, benötigte jedoch seine Zeit in der Bibliothek, um über die verheerenden Eigenschaften dieser Geschöpfe genug zu erfahren, um zu erkennen, welche Gefahr der gesamten Zaubererwelt drohte. Er erstattete pflichtgemäß Meldung bei Pole, nachdem er erfahren hatte, daß auch die europäischen Kollegen und auch die in Australien sehr rasch informiert worden waren. Wie dies so schnell möglich war, wußte er nicht. Vielleicht hatten einige Bild-Ichs ihre anderswo aushängenden Kopien erreichen und deren natürliche Aufbewahrer warnen können. Doch was nützte es, vor einer Gefahr gewarnt zu werden, der man nicht entrinnen konnte. Es hieß zwar zu Recht, daß eine erkannte Gefahr nur noch halb so gefährlich sei, doch für unendlich große Gefahren spielte das wohl keine Rolle. Davidson erkannte, daß das Geplänkel um Richard Andrews und die Kriege der dunklen Bruderschaften, die im letzten Jahr die Staaten erschüttert hatten, bedeutungslos wurden, wenn es wem auch immer gelang, die Plage über die Grenzen von Hogwarts hinauswachsen zu lassen.
"Eine perfide Waffe, die da eingesetzt wird", dachte Davidson, als er seine Seniormitarbeiter, zu denen auch Jane Porter gehörte, zu einer Konferenz bat. Minister Pole, sowie die Strafverfolgungsabteilung der US-amerikanischen Zaubererwelt arbeiteten unter Einhaltung der höchsten Geheimstufe daran, nachzuforschen, ob bereits in Institutionen der Zaubererwelt auch nur ein grüner Wurm am Hals einer gemalten Person auftauchte.
"Jane, wollen Sie uns nicht erzählen, wann ihre Enkelin diesen Brief losgeschickt hat?" Fragte Davidson.
"Er kam gestern abend noch an, Sir", sagte Jane Porter. "Gloria hat kein Datum hingeschrieben. Der Brief war sehr eilig abgefaßt. Sie schrieb nur was von sich merkwürdig verhaltenden Leuten in den Zaubererbildern. Offenbar sollte verhindert werden, daß der Brief überhaupt abgeschickt wurde", sagte Jane und legte nach: "Derzeit wird in Hogwarts eine unverhältnismäßig strenge Briefkontrolle betrieben. Der Brief war mit dem Mimicrius-Zauber getarnt, um den Kontrolleuren harmlos genug zu erscheinen. Ein Stichwort, daß nur mir was sagte, brachte mich überhaupt darauf, den Brief mit einem zwischen Gloria und mir verabredeten Losungswort zu enttarnen."
"Gut, das glaube ich Ihnen", sagte Mr. Davidson. Er fragte danach, wo der Brief nun sei. Jane Porter machte ein verlegenes Gesicht. "Ich wollte ihn Ihnen geben. Aber er muß mir auf dem Flug ins Institut aus der Rocktasche gerutscht sein. Ich denke, der Sumpf hat ihn verschlungen."
"Jane, das kann doch wohl nicht sein", empörte sich Davidson. "Diese Nachlässigkeit beim Transport von Beweismitteln kenne ich von Ihnen doch gar nicht."
"Die Eile, Sir", sagte Jane schuldbewußt dreinschauend. Davidson nickte und sagte:
"Gut, für Sie war wichtig, das nachzuprüfen, und das ging nur, wo Gemälde von auch in England wichtigen Vertretern der Zaubererwelt aushängen. Immerhin gut, daß wir das erfahren haben."
"Die Frage ist nur, was wir dagegen tun können", meinte Constantin Crossley, ein altgedienter Vampirjäger und Fachmann für im Freiland lebende Zauberwesen mit dunklen Eigenschaften.
"Eigentlich alle Bilder abnehmen, auf denen befallene Personen zu sehen sind, die Bilder in dunklen Räumen verschließen und hoffen, daß man damit den Spuk beendet", meinte ein anderer Zauberer. Davidson nickte verhalten. Dann meinte er:
"Ich fürchte, dagegen hat wer immer diesen "Spuk" in Gang gesetzt hat Vorkehrungen getroffen. Denn die Würmer entstanden gewiß nicht auf einem der üblichen Bilder. Also wird das Ursprungsbild, der Ausgangspunkt dieser Invasion, bestimmt an einem nur dem Aufbewahrer bekannten und / oder zugänglichen Ort aushängen. Diese Maßnahme wäre eine Quarantäne ohne Aussicht auf Ausrottung der Seuche und zeitliche Begrenzung. Es war schon schwierig genug, den Zaubereiminister zu erreichen. Wie der es dem englischen Zaubereiminister erklären wird, ist seine Sache."
"Wissen wir wirklich, daß Dumbledore straffällig geworden ist?" Fragte Crossley.
"Das ist eine dumme Frage, Con", warf Jane Porter mißmutig ein. "Dumbledore hat nichts böses getan, und die Schüler, die er angeblich gegen Minister Fudge ausbilden wollte, haben sich nur ein einziges Mal getroffen, wie herausgefunden werden konnte. Fudge jagd im Moment allen Phantomen nach, nur nicht denen, die real sind."
"Abgesehen davon, Jane, daß Sie genauso wenig wissen, was in Hogwarts wirklich vorgegangen ist, ist es nicht an uns, die Politik eines anderen Zaubereiministers zu bewerten", versuchte Davidson, die Mitarbeiterin zu disziplinieren. Doch das ging nach hinten los, weil nun auch alle anderen Seniormitarbeiter abstritten, daß Dumbledore wirklich eine Armee aus Schülern gegen die Fudge treuen Zauberer ausbilden wollte. Außerdem sei es schon wichtig, was ein Zaubereiminister wo auch immer tat, wenn ihm erzählt wurde, ein gefürchteter Feind sei aufgetaucht. Um die eigene Autorität zu erhalten sagte Davidson:
"Wichtig ist, daß wir hier uns zusammenreißen und nicht gegen honorige Hexen und Zauberer ankämpfen, weil uns das sicher nicht weiterhilft. Minister Pole ist verständigt, wenngleich es schwierig war, ihn zu finden. Er war mit seiner Frau auf Besen unterwegs. Immerhin weiß er nun bescheid.
"Ja, und was machen wir hier nun?" Fragte Crossley.
"Recherchieren und Gegenmaßnahmen ergründen", sagte Davidson. "Sicher ist nur, daß wir die Flut dieser Würmer nicht stoppen können, solange wir nicht wissen, wo genau das Bild hängt, auf dem sie entstanden sind oder noch entstehen. Deshalb liegt es im Wesentlichen bei den Kollegen in Großbritannien, darauf zu reagieren. Wir können und müssen hier wachen, ob gemalte Persönlichkeiten mit Ausgaben von sich in Hogwarts befallen werden. Dann gilt zumindest, die betroffenen Bilder abzuhängen und bis auf weiteres fortzulegen. Gelingt es den Kollegen in England, die Quelle zu finden und zu vernichten, hört das, was Sie, Constantin "Den Spuk" nannten von selbst auf. Denn nach meiner Recherche ergibt sich für mich, daß diese Würmer von einer Königin, ihrer Brutmutter, geistig abhängig sind, die wiederum durch Versklavungszauber wie Imperius von einem böswilligen Zauberkundigen geführt wird, um befallene Menschen zu lenken. Gelingt es, die Brutmutter zu vernichten, sterben die grünen Würmer kurze Zeit später ab. Ich gehe davon aus, Minister Fudge und seine Mitarbeiter wissen dies."
"Hoffentlich", sagte Jane Porter, die diese Sitzung hier überhaupt nötig gemacht hatte.
Die Versammlung löste sich auf, als Davidson alle beauftragt hatte, alle ihnen bekannten Portraits von auch in England wichtigen Leuten zu überwachen. Er selbst wußte, daß das nur die Symptome bekämpfen würde, aber nicht die Epidemie aufhalten konnte, wenn sie einmal offen ausbrechen würde.
Zaubereiminister Fudge erfuhr erst am Mittag des Tages von der Wurmplage in den Bildern von Hogwarts. Doch er hielt dies für eine durchschaubare Panikmache der Leute um Potter und seinen Freunden. Dies verkündete er auch vor dem Leiter des Aurorenkorps. Da aus Hogwarts selbst niemand von diesen Würmern oder was es immer sein sollte berichtete, verfügte Fudge, diesen Gerüchten ausländischer Panikmacher, die wohl von Leuten um Dumbledore und Harry Potter verbreitet wurden, keinen Glauben zu schenken. Dies wäre ihm und der englischen Zaubererwelt beinahe zum Verhängnis geworden.
Lady Ursina erfuhr zwar recht früh von der Wurmplage, weil die gemalte Lady Medea ihr am Morgen erzählte, daß sie bereits befallene Bild-Ichs getroffen und sich und ihre drei Schutzbefohlenen selbst durch magische Ketten vor dem Befall geschützt hatte. Doch auch Lady Ursina konnte nichts andres tun, als ihre Mitschwestern zur Wachsamkeit aufzufordern. Sie ärgerte sich darüber, daß Fudge ganz bewußt verdrängte, welche Gefahr sich anbahnte. Am liebsten hätte sie ihn mit dem Imperius-Fluch zum Handeln gezwungen. Doch was hätte er tun sollen, was eine Haft in Askaban wert gewesen wäre? Weil sie es auch nicht wußte, war sie zur Tatenlosigkeit verdammt. Mit ihrer Nichte Proserpina sprach sie darüber, ob sie Lea Drake darauf ansetzen konnten, herauszufinden, wo die Würmer herkamen. Danach wurde die gemalte Ausgabe von Lady Medea, die bei Ursina von Underwood hing, gefragt, ob Lea nicht nach dem Ursprungsbild suchen könne. Doch die gemalte Ausgabe der früheren Hexenmatriarchin lächelte bitter und meinte:
"Dies ist nicht möglich. Denn wahrlich hat Salazar Slytherin selbst gerade dieses Bild an einem Ort hängen lassen, wo kein uneingeweihter hingelangt. Wollt ihr beide, daß Lea in Gefahr gerät, von ihren mißliebigen Saalgenossen gestellt und der Schule verwiesen zu werden?"
"Natürlich nicht", sagte Proserpina Drake rasch.
"So bleibt uns keine Möglichkeit, die Gefahr zu beseitigen?" Fragte Ursina sehr gereizt.
"Slytherin hat seine Bilder, von denen es fünf an der Zahl sind, mit Alterslinien versehen, die kundige Hexen und Zauberer zurückhalten. Keiner in den Bilderwelten von Hogwarts ist jünger als sechzehn Jahre. Die Alterslinie läßt nur durch, wer unter fünfzehn Jahre zählt. Solch eine Person wäre wohl kaum in der Lage, in die Galerie des Grauens vorzustoßen, um den mit ihr erwachten Fluch Slytherins zu tilgen."
"Wahrlich, ein genialer Racheplan", mußte Lady Ursina anerkennen, was Salazar Slytherin in Hogwarts hinterlassen hatte. Es war allen hier auch sonnenklar, daß die ganze Bilderwelt nur der Anfang sein sollte und daß jener Emporkömmling, der sich selbst Voldemort nannte, dahinterstecken mußte.
"Mir ist jedoch gewahr geworden, wer diese Bilder gefunden und zu neuem Leben erweckt hat. Adora, eine meiner Adeptinnnen, erlauschte eine Unterhaltung zwischen jenem Jungen, dessen Vater gut bekannt mit dem amtierenden Zaubereiminister ist und dessen tumben Nachläufern. Dieser Prahlhans tönte, es sei nur eine Frage von Stunden, bis "Die Sache mit den Bildern" richtig groß herauskommen würde und machte dabei ein siegessicheres Gesicht, als habe er diese fragwürdige Heldentat vollbracht und harre seiner Lorbeeren."
"Malfoy", knurrte Proserpina Drake. "Hat dieser Schleimbeutel Lucius seinen einzigen Sohn dazu angestachelt, diese Bildergalerie Slytherins zu suchen und zu finden. Sicherlich hat er die nötigen Informationen dafür von seinem wahren Herrn und Meister."
"Füge es sich, daß wir diesem Werk Slytherins unversehrt entgehen, sodaß wir diese Sippe züchtigen können", schnaubte Lady Ursina. Sie kannte die Malfoys, wie ihre Vorfahren sie auch schon gekannt hatten. Sie hängten ihren Umhang immer nach dem Winde, der ihnen Ruhm und Reichtum eintrug und hatten damit ein ungeheures Vermögen angehäuft, welches ihrem Machttrieb weitere Befriedigung bereitete.
"Gut, Medea. Ich bitte dich, deinem Bild-Ich in Hogwarts auszurichten, es möge darauf lauschen, ob dieser Bengel Malfoy herausrutschen läßt, wo er die Bilder Slytherins ausgehangen hat. Wissen wir dies, werden wir ein Mittel finden, die Rache Salazars zu vereiteln, bevor sie den Emporkömmling zu Gute kommen kann."
"Werde ich tun, Ursina", sagte die gemalte Lady Medea und verschwand aus dem goldgerahmten Bild.
"Glaubst du, wir könnten Lea genauso veranlassen, für uns zu handeln wie dieser Malfoy seinen Sohn angestiftet hat?" Fragte Lady Ursina ihre Nichte.
"Ich hoffe es, daß wir auf sie zählen können. Du weißt, wegen ihres Vaters gilt sie in Slytherin als beliebtes Objekt für Spott und Hänselei. Aber sie ist in der Inquisitionstruppe dieser Umbridge und hat daher einige Privilegien, zumindest im Umgang mit Andershäusigen", erwiderte Proserpina Drake.
"Nun, wir müssen nun warten, bis Lady Medea uns erzählt, wo die Bilder hängen. Weiß dein Mann, daß du bei mir bist?"
"Ich habe ihm nur erzählt, es ginge um etwas wichtiges in meinem Beruf und ich wüßte nicht, wann ich zurückkäme", erwiderte Lady Ursinas Nichte. So konnte sie eine Einladung ihrer Tante annehmen, über Nacht bei ihr zu bleiben.
Am Frühen Morgen des 21. Mai rief Lady Medeas gemaltes Ich:
"Frohe Kunde! Die Gefahr von Slytherins Galerie des Grauens ist ein für allemal gebannt. Ihr glaubt nicht, wie!"
Lady Ursina und ihre Nichte Proserpina eilten in Nachthemden und Morgenröcken in das Budoir der Herrin von Haus Underwood. Dort erzählte die gemalte Medea ihnen, was in der letzten Nacht geschehen war und daß man es gewagt hatte, den halbwüchsigen Zauberschüler Julius Andrews mit einem Intrakulum auszustatten, ihm Zaubermittel an die Hand zu geben, die ihn körperlich und geistig unangreifbar machten und ihm obendrein einen Kniesel mitgaben, dessen Stimme er in der Gemalten Welt, in die er hinübergekommen war, wie die eigene Sprache verstehen konnte. Beinahe, so berichtete Lady Medea, sei dieser Junge von Salazar Slytherins mit eigenem Blut gemaltem Portrait-Ich getötet worden. Nur eine aus der Verzweiflung geborene Gegenhandlung des Jungen hatte ihn vor dem unvermeidbar scheinenden Ende bewahrt, dabei jedoch ein apokalyptisches Inferno ausgelöst, in dem Slytherins Galerie verging und beinahe auch Lady Medeas Bild-Ich vergangen wäre.
"Dieser Junge ist ein Ruster-Simonowsky. Das war der Schlüssel", frohlockte Proserpina. "Der Knabe konnte so gut zaubern wie ein mindestens dreimal so alter Zauberer. Womöglich hat diese Faucon in Beauxbatons ihm noch fortgeschrittene Flüche beigebracht."
"In der Tat, dies hat sie. Ich erlebte mit, wie er einen auf mich gehetzten Golem zerfluchte, was nicht einmal Absolventen des UTZ-Jahres beigebracht wird. Außerdem trug er Darxandrias Haube, von der es zu recht heißt, daß sie den Geist ihres Trägers beschirmt. Ich konnte selbst ergründen, daß mit dem Mittel des Geistforschens nicht an sein Gedächtnis zu rühren war, und Slytherin muß ihn wohl mit dem Unterwerfungsfluch angegriffen und gleichermaßen versagt haben."
"Darxandrias Haube?" Fragte Proserpina Drake.
"Ein für nichtexistent angesehenes Artefakt, das angeblich aus dem versunkenen Reich stammte und der letzten dort regierenden Kaiserin gehört haben soll", sagte Lady Ursina. "Ich las von diesem und ähnlichen Hinterlassenschaften des untergegangenen Reiches. Aber was daran Wahrheit und was Dichtung war, entzog sich mir leider."
"Höchst interessant", sagte Proserpina. "Wir sind also jetzt außer gefahr, weil ein junger Bursche, der zufällig zwei mit unweckbaren Zauberkräften versehene Eltern hat stark genug war, diese Brutmutter zu erledigen. Lady Medea, teilt meiner Tochter bitte mit, daß die Bedrohung beseitigt ist und wer sie ausgelöst hat!" Sagte Proserpina Drake. Lady Ursina nickte.
"Aber bitte sage ihr nicht, wer die Bedrohung beseitigt hat! Sie muß nicht alles wissen, nur genug, um einen Vorsprung vor ihren achso erhabenen Hauskameraden zu halten."
"Ich werde es ihr künden, wenn ich sie alleine antreffen kann", sagte die gemalte Ausgabe von Lady Medea mit überlegenem Lächeln. Sicher fand sie eine Gelegenheit, Lea zu informieren. Denn nun, wo alle von den Würmern befallenen Bild-Ichs wieder frei waren und dort in der gemalten Welt alle wußten, wer sie gerettet hatte, würden alle ihr helfen, alles zu erfahren, was sie wissen wollte. Als das rotgekleidete Bild-Ich Lady Medeas erneut aus ihrem Gemälde verschwunden war, atmeten Tante und Nichte auf. Die Gefahr war tatsächlich gebannt worden. Die in Frankreich hatten sofort und vor allem gut vorbereitet gehandelt.
"Es ist bedauerlich, daß dieser Junge nicht mehr in Hogwarts ist", sagte Lady Ursina. "Ich hätte es ihm durchaus gegönnt, daß er dort jemanden findet, der mit ihm ein langes, erfolgreiches Leben teilen kann." Dabei sah sie Proserpina vielsagend an. Diese errötete leicht und meinte:
"Ich denke, man hätte ihm das nicht gestattet, Tante Ursina. Aber in spätestens fünf Jahren ist er aus Beauxbatons heraus. Man weiß nie."
"Ja, man weiß nie", wiederholte Lady Ursina.
"Jedenfalls hat dieser Emporkömmling eine herbe Niederlage hinnehmen müssen. Wird er überhaupt erfahren, daß sein Plan überhaupt ausprobiert wurde?"
"Das hängt davon ab, ob es ihm jemand erzählt oder nicht. Jedenfalls ist dieser Fudge noch einmal mit dem Schrecken davongekommen."
"Der wird sich nicht erschreckt haben, Proserpina. Sonst hätte er selbst etwas in die Wege geleitet. Peinlich könnte es nur für ihn werden, wenn er erfährt, daß sein französischer Amtskollege und ein muggelstämmiger Junge mit einem sehr gewagten Trick und einem legendären Artefakt, sowie mit einer gehörigen Portion Glück eine unabsehbar große Bedrohung behoben haben. Ich denke jedoch, der französische Zaubereiminister wird das als geheime Verschlußsache behandeln und Julius Andrews wird auch keinem uneingeweihten was darüber erzählen."
"Nun, das denke ich auch", erwiderte Proserpina Drake.
Anthelia erfuhr von Ardentia Truelane drei Tage später, daß die Gefahr aus der Bilderwelt beseitigt worden war. Zwar erfuhr sie nicht genau, wie dies geschehen war. Doch sie ahnte, daß es mit dem geheimen Zauber des Intrakulums zu tun haben mußte, von dem sie aus der Erinnerung Sarah Redwoods erfahren hatte. Man hatte also jemanden in die Bilderwelt hinüberwechseln lassen, der oder die dann von außerhalb Hogwarts in die Galerie im Schulgebäude gewechselt war. Hierzu mußte diese Person mit einem anderen Portrait von irgendwem körperlichen Kontakt aufnehmen. Dies herauszufinden interessierte die wiedergekehrte Nichte Sardonias. Doch andre Ereignisse, mit denen sie nicht gerechnet hatte, nahmen bald ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch.
Eine ganze Woche war verstrichen, ohne das er etwas gehört hatte. Das Zauberergemälde Salazar Slytherins, daß Tom Vorlost Riddle alias Lord Voldemort drei Jahre vor seinem Machtverlust beschafft hatte, war wie eh und je. Zwischenzeitlich stieß der in schwarzen Gewändern abgebildete Gründervater von Hogwarts wüste Beschimpfungen gegen Voldemort aus, daß er endlich tun solle, was nötig war, um die Zaubererwelt von "den dreckigen Schlammblütern" zu säubern. Voldemort hatte dieser Kopie Slytherins niemals erzählt, daß er selbst einen Muggelvater gehabt hatte. Denn selbst wenn Salazars Ich nur noch in gemalten Darstellungen von ihm existierte, wollte er nicht riskieren, seine Stellung in der den dunklen Künsten gewogenen Zaubererwelt zu verspielen. Sicher, er konnte mit Angst und Gewalt regieren. Doch er wußte, daß Überzeugung immer noch die stärkste Anerkennung mit sich brachte.
"Warum kommt Slytherins Urbild nicht herüber und sucht nach Darstellungen seines Ichs?" Fragte sich Voldemort immer wieder. Lucius Malfoy hatte ihm doch am 19. Mai verkündet, sein Sohn habe den Brief mit dem Auftrag erhalten. Hatte dieser Bengel etwa nicht nach der Galerie gesucht? War er womöglich zu feige, das zu tun? Der durch unzählige Zaubereien zur Schreckensgestalt veränderte Schwarzmagier war drauf und dran, erst den Vater und in den Ferien den Sohn grausam zu strafen, sollte er herausfinden, daß dieser Bengel den Auftrag nicht ausgeführt hatte. Was hatte Lucius immer wieder beteuert? "Mein Sohn verehrt euch, Herr. Er würde sehr gerne etwas für euch tun, Herr." Pah! Das war wohl nicht so.
"Wurmschwanz!" Schrillte seine kalte Stimme durch das Riddle-Haus. Eine dicke, graue Ratte huschte durch einen Spalt zwischen Gebälk und Mauerwerk aus der Wand im Kaminzimmer. Die große Schlange, die bis dahin zusammengerollt neben dem Kamin gelegen hatte, hob ihren flachen Kopf und staarte mit ihren starren Augen das Nagetier an. Die gespaltene Zunge schob sich aus dem Maul und schwang kurz hin und her. Die Ratte lief zu Voldemort, der mit feistem Grinsen die bleiche, rechte Forderpfote des Tieres anstarrte. Dann machte die Ratte Männchen und wuchs, wobei sich ihre Gestalt rasch änderte. Aus der dicken Ratte wurde ein dicklicher, kleiner Mann mit schütterem, mausgrauen Haar. Die bleiche Vorderpfote begann zu glitzern und wurde zu einer silbrigen Hand, die nahtlos mit dem Arm verbunden war. Der Mann warf sich nieder und küßte den Saum von Voldemorts Umhang. Der dunkle Lord gebot ihm, sich hinzustellen, während die Schlange ihren Kopf wieder senkte.
"Wurmschwanz, wo kommst du gerade her?" Wollte Voldemort wissen, und seine Stimme klang wie unheilvolles Windgeheul.
"Herr, ich wollte gerade nach Hogsmeade, um zu hören, was dort geschieht."
"Das habe ich dir nicht befohlen, Wurmschwanz", fauchte der dunkle Lord. "Außerdem werden die da nichts für mich wichtiges wissen. Ich will Lucius Malfoy hier haben." Er zerrte den linken Ärmel von Wurmschwanz hoch und legte seinen bleichen Zeigefinger auf das eingebrannte Mal am Unterarm des Dieners. Dabei sagte er laut:
"Lucius Malfoy, komm sofort zu mir!" Wurmschwanz wimmerte, weil ihm die Berührung des eingebrannten Males wehtat. Doch er mußte es sich gefallen lassen, daß sein Herr und Meister ihm dies antat. Voldemort ließ von Wurmschwanz ab und disapparierte. Als er auf dem verlassenen Friedhof erschien, wartete ein sichtlich beklommen wirkender Lucius Malfoy auf ihn. Dieser machte Anstalten, sich unterwürfig auf den Boden zu werfen. Doch Voldemort winkte ab.
"Keine Zeit verschwenden, Lucius!" Zischte der grausame Hexenmeister. "Ich will wissen, ob dein Sohn meinen Auftrag ausgeführt hat oder sich feige davor gedrückt hat."
"Herr, der Auftrag ist gescheitert", jammerte Malfoy, der wußte, daß diese Worte seinen Tod, mindestens aber große Qualen bedeuten konnten.
"Was?! Der Auftrag kann nicht gescheitert sein, Lucius! Wenn die Bilder hängen, sind sie unbezwingbar, wenn nicht irgendein Ausbund an Feigheit sie wieder abnimmt und in die Truhe zurücklegt. Was hat dein Bengel angestellt?"
"Herr, er hat die Bilder aufgehangen, wie Ihr es befohlen habt. Es ist auch zunächst alles so geschehen, wie Ihr es erwartet habt. Slytherins gemalte Willenswickler haben die portraitierten Leute in Hogwarts befallen. Doch einen Tag nach dem Hinhängen sind sie aus sich selbst heraus verbrannt. Der geheime Kerker wurde unbetretbar. Mein Sohn, bitte straft ihn nicht dafür, hat den Portraits von Narcissa und mir erzählt, er habe selbst beobachtet, wie der Kerker erst von innen erglühte und dann eiskalt geworden war. Bilder der Galerie Slytherins seien aus sich selbst heraus in Flammen aufgegangen. Irgendwas hat Slytherins Urgemälde zerstört."
"Das ist unmöglich! Das Gemälde hing im Kerker. Den Kerker konnte nur ein wahrer Gefolgsmann Slytherins betreten. Also wer soll dieses Bild wohl zerstört haben, Lucius?" Voldemort fixierte den Todesser mit seinen glutroten Augen. Malfoy empfand es so, als würde aus diesen Augen ein unbändiges Feuer herausbrechen, das ihn treffen und verbrennen wollte.
"Herr, irgendwie wurden die Bilder von innen heraus zerstört, nicht von außen", wimmerte Lucius, der wieder einmal zwischen wilder Furcht und Verachtung eingeklemmt war, weil er diese Unterlegenheit verabscheute, in der Voldemort ihn und die anderen hielt.
"Von innen heraus?! - Diese Hure Medea! Sie hat die Galerie ... Halt! Das konnte sie nicht. Die Alterslinie, von der es in den Schriften heißt. Sie konnte unmöglich zu ihm, ohne einem verderblichen Fluch anheimzufallen. Sie kann ihn nicht bezwungen haben, weil sein Bild viel mächtiger als ein gewöhnliches Zaubererbild ist."
"Herr, ich weiß es nicht. Portraitierte Spiler aus den Reihen der Slytherin-Mannschaften haben merkwürdige Erinnerungslücken, als wenn jemand sie mit einem Gedächtniszauber behandelt hätte. Auch die Portraits von Narcissa und mir können sich nicht erinnern. Doch es deutet darauf hin, daß Dumbledore ..."
"Was hat Dumbledore, Lucius? Willst du dich und deinen Sohn jetzt damit herauswinden, daß Dumbledore, der Hogwarts wie ein davongejagter Hund verlassen hat, die Galerie Slytherins zerstören konnte. Das war ihm auch unmöglich. Dein Sohn hat wohl gedacht, die Bildergalerie sei zu mächtig für ihn und hat sie zerstört, um mir eins auszuwischen. Ich werde ihn züchtigen müssen, wenn er aus den Mauern von Hogwarts zurückkehrt", sagte Voldemort.
"Nein, Herr! Bitte schont ihn! Bitte straft mich dafür, daß Euer Plan nicht aufging!" Flehte Lucius Malfoy um Gnade für seinen Sohn. Voldemort lachte.
"Hör dich an, Lucius, du großer, reicher Sohn einer achso mächtigen Sippe! Du bettelst um das Leben eines Schwächlings, der meint, in meinem Schatten groß werden zu können", lachte Voldemort gehässig. "Er wird mir sagen, wie er die Galerie an ihrer vollen Entfaltung gehindert hat, nachdem er sie gefunden hat. Er wird lernen, daß man mich nicht ungestraft betrügt."
"Nein, Herr!" Flehte Malfoy. "Er hat Euch nicht betrogen! Er hat getan, was Ihr ihm aufgetragen hat. Ich werde herausfinden, was passiert ist, Herr. Bitte verschont meinen Sohn!"
"Malfoy, kehr zurück zu deinem Weib und finde heraus, was geschehen ist! Morgen kommst du mit den anderen wieder her. Ich muß wissen, was geschehen ist", schrillte Voldemort. Malfoy verbeugte sich unterwürfigst und disapparierte.
Voldemort zitterte vor Wut. Was war geschehen? Wer hatte seinen genialen Plan, erst die gemalte Welt und dann die natürliche Welt zu erobern so heftig zunichte gemacht? Besser, wer hatte seine Pläne durchkreuzt? Es konnte nur wer gewesen sein, der oder die eine Kopie eines in Hogwarts aushängenden Portraits besaß, die ihm oder ihr mitgeteilt hatte, was dort vor sich ging. Tatsächlich konnten es die Anhängerinnen dieser vermaledeiten Schwesternschaft sein, die ihn in seiner ersten Herrschaftszeit bereits häufig zu schaffen gemacht hatten. Oder war es ein Portrait, das mit Dumbledore in Verbindung stand. Ja, Dumbledore mußte das getan haben. Ihm war es zuzutrauen. Aber wie konnten die Bilder von innen heraus zerstört worden sein? Das wäre nur gegangen, wenn eine gemalte Person mit großer Zaubermacht Slytherins Bild-Ich getötet hätte. Doch dann wäre auch diese Person gestorben und damit ihr abgebildetes Universum vergangen. Also konnte dies auch nicht geschehen sein. So fielen dem grausamen Magier nur noch zwei Möglichkeiten ein, die seinen Plan im Ansatz vereitelt hatten: Slytherins Bild-Ich mußte sich selbst vernichtet haben. Oder jemand mußte eine gemalte Person mit dem Ziel, sich selbst zu opfern, zu Slytherin geschickt haben, um dessen Bild-Ich zu töten. In jedem Fall hatte ihm jemand die Hoffnung genommen, ohne ans Licht der Öffentlichkeit zurückkehren zu müssen die Macht übernehmen zu können. Also mußte er diese Prophezeiung haben, um zu wissen, woran er selbst vor 15 Jahren gescheitert war.
Am nächsten Tag trafen sich alle Todesser in Umhang und Maske auf dem Friedhof. Voldemort sagte ihnen, er wolle wissen, was die ihn und Harry Potter betreffende Prophezeiung verkündete und suchte sich Freiwillige aus, die ihm dabei helfen sollten. Lucius Malfoy, in großer Angst, wegen der gescheiterten Mission mit Slytherins bösartigen Bildern, meldete sich sofort freiwillig. Ebenso tat es seine Schwägerin Bellatrix Lestrange, sowie einige weitere Askaban-Flüchtlinge und der Tierhenker McNair.
"Wie wollt ihr diesen Potter-Bengel aus Hogwarts locken, Herr?" Fragte Crabbe, ein klobig wirkender Gefolgsmann des machtversessenen Hexenmeisters.
"Die Frage habe ich mir sehr häufig gestellt", sagte Voldemort und grinste feist, was seinem bleichen Gesicht noch mehr die Erscheinung einer Horrormaske verlieh. "Mir ist da was aufgefallen, und ich habe nachgedacht, ob das stimmen kann. Tja, und es stimmt wohl. Ich kann Potter jederzeit aus Hogwarts herausrufen, ohne daß er es ahnt. Allerdings muß ich dazu einige Vorkehrungen treffen, daß der Bengel dann auch anrückt und ihr ihm die Prophezeiung abnehmen könnt."
"Wie stellt Ihr es an, Herr?" Fragte Bellatrix Lestrange neugierig. Voldemort lächelte dämonisch.
"Seine närrische Mutter, die sich mir in den Weg geworfen hat, um ihn zu schützen, hat durch ihr Opfer etwas geschaffen, was sie wohl nicht beabsichtigt hat. Das erkannte ich aber erst, als ich dich und die anderen aus Askaban herausbekommen habe, Bella. Aber ich werde weder dir noch euch anderen verraten, was es ist. Nur soviel: Wenn Potter glaubt, ich würde einen seiner engsten Freunde außerhalb von Hogwarts quälen oder gar töten wollen, wird er genau dahingehen, wohin ich ihn haben will. Dieser Bursche meint, er sei mir ebenbürtig. Mir!"
"Herr, ihr könnt ihn in Gedanken rufen?" Fragte McNair voreilig. Voldemort funkelte ihn für einen winzigen Moment sehr gefährlich an. Der Henker sah es so, daß er besser schwieg.
"Ich kann Potter zukommen lassen, daß jemand von ihm geliebtes leidet, unter mir leidet und wo ich zu finden sein werde, wenn ich die Zeit für gekommen halte. Mehr müßt ihr nicht wissen", fauchte der dunkle Lord.
"Ich werde alle, die mir freiwillig helfen wollen frühzeitig informieren, wann ich losschlagen will. Nur soviel noch. Lucius, wenn dieser senile Hauself der Blacks sich noch mal bei euch blicken läßt, richtet ihm bitte etwas von mir aus!"
"Natürlich, Herr", sagte Malfoy, der im Moment froh war, nicht bestraft oder gar getötet zu werden.
Voldemort erläuterte Malfoy, was er vorzubereiten hatte und entließ dann alle Todesser wieder. Als alle fort waren, grinste er. Potter würde ihm die Prophezeiung holen und seinen Dienern geben. Dann könnte er ihn töten und dann hören, was diese Traumtänzerin Trelawney angeblich so weltbewegendes geweissagt hatte. Feststand für ihn nur, daß sie wohl recht behalten hatte und er unbedingt wissen mußte, was sie alles gesagt hatte. Doch im Moment mußte er sich erst einmal darauf besinnen, wie er den Potter-Jungen in seine Gewalt bringen konnte. Er wußte, daß die ZAG-Prüfungen anstanden. Ihn noch davor aus Hogwarts herauszulocken mußte auffallen. So wollte er sich die zweite Juniwoche vornehmen, seinen Plan zu verwirklichen. Er hoffte nur, daß dieses Mal alles glattlief.
Jane Porter atmete auf, als sie am Morgen des 21. Mais über ihre geheimen Kundschafter in der Gemalten Welt erfuhr, daß die Bedrohung in Hogwarts beseitigt worden war. Doch als sie erfuhr, auf welche Weise das passiert war, erbleichte sie. Wie konnten sie den Jungen dazu anstacheln, in die gemalte Welt zu gehen und dort eine sehr gefährliche Mission auszuführen. Allein der Wechsel zwischen den Wirklichkeiten war schon riskant. Sie überlegte, ob sie sich mit Julius Andrews über die Zweiwegspiegelverbindung unterhalten sollte. Doch dann fiel ihr ein, daß sie den Jungen damit heftig in Bedrängnis bringen mußte. Denn ganz sicher würde sein Abenteuer zur obersten Geheimsache erklärt werden. Sie selbst dachte daran, was für ein Geheimnis sie mit sich herumschleppte, das immer schwerer wurde, je länger sie es in ihrem Kopf behütete. Sie war immer drauf und Dran, dem Jungen zu erzählen, was mit seinem Vater wirklich geschehen war. Doch immer wieder fiel ihr ein, daß es Julius in seiner jetzigen Situation nicht weiterhelfen konnte, ihn eher in Zweifel oder Schuldgefühle hineintrieb. Das wollte sie nicht, gerade deshalb nicht, weil er gerade in einer Umgewöhnungsphase war. Tja, und dieses Ding mit den Bildern in Hogwarts brachte sie dazu, dieses Geheimnis noch einige Wochen länger hüten zu wollen. Denn was Julius jetzt bestimmt nicht brauchen konnte war eine Geschichte von einer dunklen Kreatur, die seinen Vater versklavt und zum Mörder gemacht hatte. Sie wußte jedoch auch, daß sie irgendwann dieses Geheimnis würde verraten müssen, egal wie die Befehle Poles lauteten und auch egal, wie Julius eine solche Nachricht vertragen würde. Doch vorerst wollte sie weiterhin schweigen, nicht einmal ihrer geschätzten Fachkollegin Blanche Faucon etwas erzählen. Sie bewunderte Poles Nachrichtendienst, der die unliebsamen Neuigkeiten über Richard Andrews nicht nach außen hatte dringen lassen. Außer der Muggelwelt, die durch die elektronischen Nachrichtenverbreitungsmittel informiert waren, daß jemand, der angeblich Richard Andrews war, sein brutales Unwesen trieb, wurde in der Zaubererwelt nichts weiterhin erwähnt.
"Jane, es gibt ärger in Baton Rouge. Unser lange vermißter Freund François Noir ist wieder aktiv geworden", meldete Ardentia Truelane Jane Porter, sobald diese im Laveau-Institut angekommen war.
"Ach, der Geisterbeschwörer? Er hat es immer noch nicht aufgegeben", knurrte Jane Porter. Sie fragte Ardentia, wo man von diesem Hexenmeister, der die alten Kenntnisse der indianischen Medizinleute perfekt mit modernen Zaubern verbunden hatte gesichtet hatte. Ardentia gab Jane eine Karte, auf der ein rot leuchtender Punkt den vermuteten Aufenthaltsort bezeichnete. Jane traf sich mit Davidson und ließ sich zusammen mit Ardentia und ihrer derzeitigen Auszubildenden Beryl Corner beauftragen, Noir zu jagen und nach Möglichkeit lebend zu fangen. Denn die offiziellen Strafverfolger hatten von der animistischen Magie keine Ahnung und wären diesem Zauberer hilflos ausgeliefert. Als Davidson die drei Hexen in den Einsatz geschickt hatte, stekcte er seinen Kopf in den mit Flohpulver vorbehandelten Kamin und ließ ihn im Feuer in Minister Poles Büro auftauchen.
"Jane Porter muß für einige Zeit weg. Ich denke, es wird mindestens einen Tag dauern, bis sie wieder zurück ist", sagte Davidson.
"Das ist eine gute Nachricht, Elysius. Das hilft uns sehr gut weiter", sagte der Zaubereiminister, der seine Erleichterung mit berufsmäßiger Selbstbeherrschung verbarg.
"Sie wollten etwas unternehmen, was ihren Drang, den Andrews alles zu erzählen den Boden entzieht", erinnerte Davidson den Minister an das, was sie besprochen hatten. Pole nickte zustimmend.
"Es ist bereits vorbereitet. Ich werde gleich persönlich alles anleiten, um möglichst keine weiteren Eingeweihten zu benötigen", sagte Minister Pole. Er verabschiedete sich von Davidson, der seinen Kopf rasch wieder zurückzog und froh war, ihn nach einer wilden Wirbelei im Floh-Netz wieder fest auf dem eigenen Hals vorzufinden.
"Hoffentlich müssen wir das nicht doch irgendwann bereuen", dachte der Leiter des Laveau-Institutes.
Ismael Alcara lauschte dem Gebetsruf des Mohezins von Kairo, während er ständig hustete, weil der Brodem der abertausend Muggelfahrzeuge seine empfindlichen Atemwege piesackte. Er freute sich innerlich auf den Tag, an dem seine Armee, die er aufstellen würde, diese üblen Blechkutschen ohne Pferde hinwegfegen und niedertrampeln würde. Dann, so dachte Alcara, würde Ägypten, ja jedes andere Land der alten erhabenen Kulturen wieder frei aufatmen können.
Alcara wartete bis zum Abend des 22. Mais, bevor er sein Versteck in der ägyptischen Metropole verließ und auf dem erbeuteten Flugteppich der Morgensternbruderschaft den Nil entlang zu einer geheimen Grabanlage flog, wo der Golem, der als einziger die Zerstörung der schwarzen Festung überstanden hatte, wie zu einer harmlosen Statue erstarrt auf die Rückkehr seines Meisters wartete.
"Erwache, treuer Diener und folge mir!" Weckte Alcara seinen steinernen Sklaven. Dieser hörte ihm zu, was zu erledigen war.
Daniel und Mary Straker waren bester Laune. Marys Eltern hatten dem frisch verheirateten Paar aus einer erzkatholischen Gemeinde bei Houston in Texas eine wahrlich märchenhafte Hochzeitsreise spendiert. Flitterwochen unter Ägyptens Sternen, romantische Nächte an den Ufern des Nils, das gefiel ihnen. Nun, wo sie ordentlich verheiratet waren und kein religiöser oder gesellschaftlicher Zwang sie zügelte, lebten sie die füreinander empfundene Begierde hemmungslos aus. Einmal hatte ein deutscher Mitreisender am Morgen gefragt, ob denn wirklich alle Welt hören mußte, wie verliebt die beiden ineinander seien. Daniel hatte dazu nur gesagt, daß sie sich lieben durften, wann und wo sie wollten. Immerhin seien sie ja ordentliche Eheleute und hätten allen Grund, ihr Glück zu genießen. Doch weil nicht nur die Mitreisenden, sondern auch einheimische Leute ihnen zwischenzeitlich sehr vorwurfsvoll nachsahen, hatten die Flitterwöchner beschlossen, ihre Wonnen abseits verständnisloser, unromantischer Zeitgenossen auszuleben. So hatte Daniel in einem Kamelverleih zwei stattliche Tiere gemietet und war mit seiner gerade zwei Wochen angetrauten Frau am Nil entlang geritten. Nach vier Stunden waren sie die Schaukelei auf den höckerigen Wüstenschiffen leid und hielten etwa zweihundert Meter vom westlichen Nilufer.
"Hui, die Biester schaukeln wie besoffene Proleten auf dem Heimweg", stöhnte Daniel. Sicher, er war schwindelfrei und hatte in den letzten Tagen Übungen gemacht, die seinen Körper weitaus mehr beanspruchten als das Reiten auf Kamelen. Doch das war doch was anderes.
"Wonnemonat Mai unter den warmen Strahlen des Ra und an den Gestaden von Vater Nil, wie zu Kleopatras Zeiten", schwärmte Daniel, als er mit seinem Feldstecher die Umgebung nach möglichen Störenfrieden abgesucht und nichts entdeckt hatte.
"Das ist nett, daß du mich mit Kleopatra vergleichst", grinste Mary verzückt. "Nur schade, daß deren Liebe nie den richtigen Mann gefunden hat. Cäsar war doch zu machtgierig und Marcus Antonius hatte wohl auch andres im Sinn als nur mit einer ihn liebenden Frau zusammen zu sein."
"Im Moment sind wir besser dran als die Leute damals", sagte Daniel. Dann blickte er zum Himmel. Die Sonne brannte nun unbarmherzig im Zenit. Daniel fühlte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren Brach, obwohl sie sich mit blütenweißen Leinentüchern umhüllt hatten, wie es angeblich die Einheimischen auch taten. Der einzige Unterschied war, daß Mary keinen Schleier trug.
"Soll ich unsere neuerwerbung schon aufbauen und das Klimawunder einschalten?" Fragte Daniel. Mary nickte rasch. Daniel saß von seinem Kamel ab, nahm den armdicken Pflock, den der Verleiher ihm zusammen mit einem langen Lederriemen mitgegeben hatte und pflöckte das Kamel so gut es ging an. Er war stolz darauf, echtes Cowboyblut in den Adern zu haben, wo sein Urgroßvater mehrere Quadratkilometer Weideland bewirtschaftet hatte. Mit großen Tieren kannte er sich rein instinktiv aus, auch wenn er nie so lange auf dem Land geblieben war, um als Bauernbursche oder Cowboy aufzuwachsen. Er half Mary von ihrem Kamel, das kurz aufbrüllte, um dann ruhig stehenzubleiben, bis auch dieses Tier ordentlich am Lederband und tief in den Sand der Sahara gerammten Holzpflock befestigt war. Dann baute Daniel ein doppelwandiges Zweimannzelt auf und packte die mobile Klimanlage aus, die ihren Strom aus Solarzellen bekam und installierte sie mit dem Sachverstand des gerade vom MIT abgegangenen Elektroingenieurs. Als das mobile Klimawunder leise surrend und rauschend in Betrieb ging, winkte Daniel Mary, die einen kurzen Ausflug ans Nilufer machte, um dem uralten Strom beim Dahinfließen zuzusehen. Mary schien keinen Blick mehr für Daniel und das Lager zu haben. Das mit sonnenlichtabweisender Folie versehene Zelt glitzerte wie Metall unter Ras feurigem Auge. Daniel Straker konnte nicht lange hinsehen, ohne geblendet zu werden, trotz verspiegelter Sonnenbrille.
"Mary, Süße! Wir können uns abkühlen! Oder willst du echt im Nil baden. So reinigend wie früher ist der heute nicht mehr, Darling!" Rief Daniel. Mary jedoch hörte ihn wohl nicht. Sie ging wie an Fäden gezogen am Ufer entlang und hielt dabei ihren Kopf gesenkt, als sei der ihr zu schwer geworden oder etwas hochinteressantes auf dem Boden, dem sie nachgehen mußte. Doch dann bekam Mary wohl mit, daß jemand sehr wichtiges nach ihr gerufen hatte und wandte sich um. Sie winkte Daniel sehr heftig und deutete immer wieder auf den Boden. Daniel Straker fragte sich zwar, was sie wohl entdeckt hatte, nickte ihr aber zu und lief los.
"Was gibt's da denn, Zuckerschnäuzchen? Hast du 'ne Mumie gefunden oder Kleopatras Schmuck?"
"Daniel, ich weiß nicht, was das hier ist. Ich dachte erst, das seien Elefantenspuren. Aber hier gibt's die doch nicht, oder?"
"Elefantenspuren? Eigentlich nur, wenn die Rüsselnasen jetzt auch schon Ägyptenreisen buchen können", grinste Daniel und eilte zu seiner Frau. Sie hatte ihren Sommerhut abgenommen und das kastanienbraune Haar der Länge nach freigeschüttelt. Jetzt umspielte es wogend und dunkel das weiße Übertuch, daß sie trug. Daniel fühlte bereits wieder eine anregende Bewegung im Unterleib. Wenn Mary ihr langes Haar ausschüttelte und sich elfengleich bewegte, brannte sein ganzer Körper im unsichtbaren Feuer, das ihm so gut tat. Doch jetzt wollte sie nicht das Feuer in Gang halten. Nein, sie deutete auf einen Fleck Wüstensand vor sich und hob wie zur Warnung den Arm, als Daniel beinahe Achtlos herankam.
"Vorsicht, Danny, zertrampel diesen Abdruck nicht!" Sagte Mary. "Was hältst du davon?"
"Höhm, muß ich mir ansehen", sagte Daniel und blickte nun auch nach unten. Da sah er den Abdruck, der oval und tief eingedrückt war aber irgendwie eher an den Fuß eines Menschen als an den Fuß eines Tieres erinnerte. Daniel starrte auf den Abdruck. Dann folgte er der Spur, die aus solchen Abdrücken stammte, bis seine Frau rief, er solle sie nicht alleine zurücklassen. Er winkte ihr zu, sie möge ihm folgen, was sie nach kurzem Zögern auch tat.
"Was sind das für Spuren, Danny?" Wollte Mary wissen.
"Die sind nicht von einem Kamel oder irgendwas, das hier herumläuft, Mary. Die sehen aus wie von einem Mann, der Schuhgröße 60 hat. Ich sehe aber nicht das Muster eines Absatzes. Der Typ muß in Auflaufformen herumlaufen. Jedenfalls sind das nur Zweibeinspuren."
"Bist du dir sicher, daß das kein Tier ist?" Fragte Mary, die eigentlich nicht die Fährtenleserkenntnisse ihres Mannes anzweifeln mochte.
"Nöh, Mary. Das war kein Tier. Irgendein Mann mit ganz großen Tretern ist hier langgelaufen. Das sind keine Hufabdrücke von Kamelen. Zumal du ja mitbekommen hast, wie ein Kamel seine Füße bewegt. Elefantenfüße sehen auch anders aus. Irgendwie ist hier wer langgelaufen, der große Füße hat", sagte Daniel Straker.
"Schuhgröße 60 gibt es nicht. Nicht einmal in der Großwüchsigenabteilung", meinte Mary.
"Ich habe auch nur geschätzt", sagte Daniel abwehrend. "Ich wollte nur sagen, daß hier wer großes und schweres herumgelaufen ist. Mehr war nicht."
"Und das ist normal?" Fragte Mary, die sich keinen Ägypter mit übergroßen Schuhen vorstellen mochte.
"Für den ja", meinte Daniel grinsend. "Für uns nicht. Selbst Onkel Alois macht nicht solche Abdrücke im Boden, und der ist ja drei Zentner schwer und über zwei Meter groß."
"Ich denke, es war doch ein Tier. Gibt es nicht Krokodile hier?"
"Mary, Schätzchen, die machen nicht diese Spuren. Außerdem haben selbst die heiligen Krokodile der Pharaonen vier Beine gehabt und sind nicht auf zwei Beinen herumgelaufen. Glaube es mir bitte, Darling, daß hier ein Zweibeiner langgegangen ist, ein Zweibeiner mindestens zwei Meter noch was groß und mehr als drei Zentner schwer. Kuck mal, wie ich die Spur hinterlasse!" Daniel stampfte kurz auf. Mary besah sich den Fußabdruck, der ein Negativbild vom geriffelten Profil der teuren Turnschuhe nachzeichnete.
"Aber wer macht solche Spuren?" Fragte Mary und fischte nach ihrem Handy. Als sie es zog, stellte sie fest, daß ihr Funktelefon zu leicht geworden war.
"Danny, hast du die Batterie aus dem Ding genommen?" Fragte sie Daniel etwas ungehalten.
"Genau, Schätzchen. Ich wollte verhindern, daß irgendwer meint, uns selbst in der Wüste noch anrufen zu können. Deshalb habe ich die Batterie rausgenommen. Ich habe die aber in der zweiten Satteltasche meines reitbaren Untersatzes, falls du deine Freundinnen aus dem Weiberclub von Broken Branche anrufen müßtest."
"Eh, ich bin da doch nicht mehr mitglied, seitdem die nur Junggesellen oder Witwentröster suchen", knurrte Mary. "Ich wollte die Polizei anrufen, damit die sich das mal ansieht", sagte Mary.
"Ich denke nicht, daß die Ortspolizisten was von Spuren verstehen. Wir sind vier Reitstunden von Kairo weg", sagte Daniel. "Nur wegen merkwürdiger Fußabdrücke machen die sich nicht auf den Weg."
"Das ist auch nett von diesen Herrschaften", kam unvermittelt eine Männerstimme knapp hinter Mary. Dann flimmerte die Luft, und ein Mann stand da, der einen lockigen schwarzen Bart besaß und feist aus dunklen Augen strahlte.
"Ihr seid zu nahe an meinem Lager dran, weiße Schmeißfliegen", knurrte der Mann, wobei er fließend Englisch sprach, wie es in Großbritannien gepflegt wurde.
"Wer sind Sie?" Fragte Daniel Straker leicht verwirrt, während seine junge Frau erschrocken auf den Fremden starrte, der feist grinste und langsam die rechte Hand hob. Er sah aus wie ein Einheimischer, der jedoch eher alten Kleidungstraditionen verbunden war als den Segnungen westlicher Produkte. Mary sah den Holzstab, den der Fremde wie einen Dirigentenstock in der Hand hielt und mußte sofort an einen Zauberer aus einem Märchenbuch denken.
"Wer ich bin hat euch dumme Westweltler nicht zu kümmern. Ihr Geschmeiß meint eh schon, viel zu viel zu wissen. Wichtig für euch ist nur, daß ich nicht zulassen kann, daß ihr wem erzählt, was ihr hier gerade mit euren bleichen Nasen beschnüffelt habt."
"Wer sind Sie?" Fragte Daniel unbeeindruckt von den Beschimpfungen des Mannes, der wie ein Oxford-Professor klang und wie ein Beduinenhäuptling aussah.
"Das sagte ich doch, daß dich das nichts angeht, amerikanischer Rattensohn."
"Mary", sagte Daniel und machte eine schnelle Geste. Mary verstand. Sie hatten schon vor dem Flug nach Ägypten abgesprochen, was sie tun würden, wenn sie in eine Falle von Terroristen gerieten, die besonders amerikanische Touristen bedrohten. Dies mußte ein solcher Fall sein. Mary Straker wirbelte zur seite und lief los. Daniel rannte in die andere Richtung davon. Die Taktik ging wohl auf, weil der Fremde, der sie hier überrascht hatte perplex stehenblieb und nicht wußte, wen von beiden er nachlaufen oder auf wen er wohl schießen sollte. Es dauerte eine Viertelminute, bis er seine Entscheidung getroffen hatte. Er jagte der Frau nach, der vermeintlich leichteren Beute. Mary Straker jedoch war erprobte Langstreckenläuferin, die eigentlich für die Sommerspiele in Atlanta kandidieren wollte, aber durch die Heirat mit Daniel von diesem kraftzehrenden Vorhaben zurückgetreten war. Sie lief leichtfüßig und ruhig atmend über den heißen Sand dahin. Sie schwitzte zwar aus allen Poren, behielt jedoch einen effektiven Laufrhythmus bei. So konnte der sie jagende Fremde nicht näher als 50 Meter an sie heran. Er ärgerte sich, daß er aus dieser Entfernung heraus den tödlichen Fluch nicht wirken konnte. Er mußte sie durch Apparieren überholen. Er bremste ab und konzentrierte sich. Mit lautem Knall verschwand er. Keinen Moment später tauchte er mit ähnlichem Knall wieder auf, fünfzig Meter vor Mary Straker, die beide Knälle gehört hatte und fast vorne über gefallen wäre. Sie riss den Kopf hoch und sah den Feind vor ihr. Sie sah, wie er seinen Holzstab hob und auf sie zielte wie mit einem Speer.
"Avada Kedavra!" Brüllte der Mann. Mary wußte nicht, wieso sie zur Seite hechtete. Jedenfalls flog ihr graziler Körper nach links aus der Laufbahn, als ein grüner Lichtblitz von dem Fremden her auf sie zuraste. Der Unbekannte, der jetzt vierzig Meter vor Mary stand, knirschte mit den Zähnen, als er sah, wie der gleißende Blitz keinen meter an Mary Straker vorbei in einen Sandhaufen hineinfuhr und den Sand wie von einer Pulverladung hinwegblies. Dann kam plötzlich ein aufgeregtes Kamel angejagt, wild brüllend. Was sollte das?
"Avada Kedavra!" Brüllte der schwarzbärtige Fremde. Knapp zehn Schritte vor ihm brach das wie von Sinnen galoppierende Kamel zusammen und rührte sich nicht mehr. Wo war die amerikanische Frau? Er sah sich um und erkannte, daß sie gerade wieder aus der sicheren Reichweite für den Fluch geraten war. Er wollte gerade disapparieren, als die Fremde ein Ding aus ihrem Sommerkleid zog, daß wie ein Rohr mit Griff aussah.
Mary wußte, die Leuchtpistole sollte nur im Notfall helfen, jemandem zu zeigen, wo sie gerade waren. Doch hier und jetzt konnte sie ihr vielleicht als Waffe dienen. Sie richtete die Signalpistole auf den Fremden, der seinen irgendwie gefährlichen Stab auf sie einschwenkte und drückte ab. Laut zischend schwirrte ein flammendes Leuchtgeschoss aus dem Lauf und zog eine feurige Spur. Der Fremde schien auf diesen Angriff nicht gefaßt gewesen zu sein. Beinahe traf ihn das Leuchtgeschoss. Nur einem schnellen Reflex hatte er es zu verdanken, daß er noch hinten überfiel und das Geschoss wirkungslos über ihn wegzischte. Mary hatte noch zwei Schuss rote Leuchtmunition geladen und wartete, ob der Fremde ein neues Ziel bot. Dieser warf sich herum und kroch auf allen Vieren zu ihr hin. Sie überlegte, ob sie erneut loslaufen sollte, als er übergangslos verschwand. Nur ein Wirbel aus Sand rotierte über der Stelle, wo er eben noch gewesen war. Mary erschrak und ließ fast die Pistole fallen. Dieser Fremde war ein echter Hexenmeister.
Daniel wußte, daß seine Frau gut zu Fuß war. Er war als Abwehrspiler seiner Football-Mannschaft nicht gerade unsportlich, aber eben kein Marathon-Champion. So rannte er, nachdem er sicher war, daß der Fremde ihn nicht beobachtete, zu den Kamelen zurück und trieb eines davon mit einem lauten Spektakel an, loszurennen. Dann nahm er das zweite Kamel, saß auf und wollte losreiten, seiner Frau zu helfen, als er vier unförmige graue Gestalten sah, die mit weit ausgreifenden Schritten auf ihn zurannten. Sie schienen aus dem Boden gewachsen zu sein. Daniel glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können, als er die klobigen Kreaturen näherkommen sah. Sie wirkten wie lebendige Tonfiguren ohne Glasur. Doch sie liefen nicht steif wie Stein daher, sondern geschmeidig wie austrainierte Profi-Spieler. Als sie heranrückten, erkannte Daniel, daß sie ihn einkreisen würden, wenn er nicht sofort handelte. Er trieb das Kamel an, um dem sich bildenden Ring zu entgehen, solange der noch zu weit war. Gleichzeitig fischte er nach seiner Leuchtpistole und feuerte ein Signalgeschoss auf den ihm nächsten Koloss aus lebendigem Gestein. Laut krachend bohrte sich das feurige Geschoss in den Bauch des Ungetüms. Dieses verharrte in der Bewegung und kippte um. Doch es rappelte sich sofort wieder auf. Im Bauch klaffte ein kopfgroßer Krater. Doch es lief wieder wie ein geölter Blitz los, schneller als das Kamel. Daniel, der sein Reittier anspornte, noch schneller zu laufen, konnte bei den ausladenden Bewegungen des Tieres nicht mehr genau zielen und feuerte hilflos drauf los. Wie durch ein Wunder erwischte er das rechte Bein seines unirdischen Verfolgers. Dieses brach ab. Der Verfolger verlor den Halt und krachte zu Boden.
"Was sind das für Dinger?" Fragte sich Daniel und griff in die Satteltasche. Dort hatte er sein Handy, aus dem er nicht die Batterie entfernt hatte wie bei dem seiner Frau. Er drückte rasch eine Taste, die von ihm als "Notfallruf" belegt worden war. Das Mobiltelefon suchte sich ein Netz. Wenngleich hier im Land der Mumien und Pyramiden das Mobiltelefonieren noch ein Lotteriespiel war, da ein dichtes Sendernetz noch in weiter Ferne lag, hoffte Daniel, doch einen Anschluß zu erreichen. Er ritt weiter und hielt das Funktelefon hoch. Dann rief er außer Atem:
"Zu Hilfe! Meine Frau und ich sind vier Kamelreitstunden südlich von Kairo westliches Nilufer. Wir werden von einer Bande von merkwürdigen Leuten überfallen!" Er rief es immer und immer wieder in den kleinen Apparat, ohne zu wissen, ob jemand ihn hörte. Erst als er ein aufgeregtes Quäken aus dem winzigen Lautsprecher vernahm, hielt er das Handy korrekt an seinen kopf und sagte, was er zu sagen hatte. Doch als er noch mal angeben wollte, wo er war, erreichten ihn zwei der grauen Riesen wie aus Stein und pflückten ihn wie beiläufig vom Kamel. Ein Aufschrei aus Schmerz und Schrecken war die letzte Lautäußerung Daniel Strakers, bevor gnadenlose Pranken ihm Brustkorb und Halswirbel zerbrachen. Das Handy entfiel dem brutal ermordeten Flitterwöchner. Eine rasche Bewegung brachte es in die rechte Pranke des einen der beiden steinernen Mordgesellen. Krachend zerbrachen Plastik und Metall des Funktelefons. Ein Funkenstoß entfuhr dem zerstörten Handy, bevor auch dieses seinen Lebensgeist aushauchte.
Mary Straker bangte, wo der sie bedrängende Schwarzkünstler wieder auftauchen würde. Als sie es erkannte, war es jedoch schon zu spät. Ein Feuerball flog auf sie zu und explodierte keinen Meter vor ihr auf dem Boden. Eine höllische Flammenwolke hüllte sie ein. Der Schmerz des Verbrennens überkam sie nur für zwei Sekunden. Dann erlöste sie ein schneller Tod von weiteren Qualen.
Ismael Alcara schäumte zwar vor Wut, daß er diese verfluchten Unfähigen nicht im ersten Ansatz hatte erledigen können. Doch die Macht seiner Magie hatte ihm doch noch diese Störenfriede vom Hals geschafft. Er sah sich um. Vier seiner Wächtergolems, die aus dem unterirdischen Versteck geschnellt waren, als er die Frau gejagt hatte, standen um ein Kamel herum, dessen Reiter in seinem eigenen Blut am Boden lag. Das zerquetschte Plastikgehäuse nahm er erst nicht zur Kenntnis, bis ihm wieder einfiel, daß die beiden von einem Apparat gesprochen hatten, mit dem man Polizei herbeirufen könnte. Hatte der Sohn einer arroganten Volksgruppe aus dem Westen es tatsächlich geschafft, Hilfe zu rufen? Er sah einen seiner Wächtergolems mit klaffendem Bauch und abgetrennten Bein am Boden. Offenbar hatte der Amerikaner ihm mit seiner Feuerwaffe so zugesetzt. Dieser Wächter war wertlos geworden. Ismael zielte auf ihn und sprach eine altbabylonische Formel, nach der der angeschossene Diener in einer silbernen Lichtentladung zu einer Wolke aus Dampf und Ruß explodierte. Alcara ärgerte sich. Es war schwierig, gute Wächtergolems zu schaffen. Nach seiner Flucht aus dem Gebiet der alten Festung hatte er gerade fünf solcher Diener nach den Aufzeichnungen der Festung aus fruchtbarem Erdreich, seinem eigenen Blut und dem unschuldiger Kinder, sowie in Vergessenheit geglaubten Zauberformeln geschaffen. Einen sechsten Wächter wollte er noch an diesem Tag schaffen, als diese vergnügungssüchtigen Westweltler die Spur seines Patrouillengolems gefunden hatten. Es war ein Fehler gewesen, sich in dieser Gegend unbeobachtet zu fühlen, erkannte Alcara nun. Zukünftig würde er seine Golems besser Ausschau halten lassen und mögliche Neugierige sofort massakrieren lassen, bevor sie erkannten, was sie da entdeckt hatten. Doch das konnte er nur, wenn er das bisherige Versteck aufgab. Denn ihm war in diesem Moment schon klar, daß es nicht lange dauern mochte, bis die Ordnungshüter der Zaubereiunfähigen hier auftauchen würden. Er befahl seine drei verbliebenen Wächter zu sich und kehrte mit diesen in das unterirdische Versteck zurück, um eine geordnete Flucht vorzubereiten.
Mustafa Sharif, Führer eines Antiterrorkommandos der ägyptischen Armee erfuhr am Abend des 20. Mais vom Verschwinden zweier amerikanischer Touristen. Ein verzerrter Hilferuf war von diesen wohl noch eingegangen. Sharif verwünschte zwar das lückenhafte Mobilfunknetz, war auf der anderen Seite aber auch nicht gerade ein Freund zu fortschrittlicher Technik, die den Zauber seiner Heimat fressen würde und Ägypten eines Tages doch noch zu einem Touristenpark à la Disney World abwerten würden. Nach einigen Schwierigkeiten war es gelungen, die Relaisstation zu lokalisieren, die den Hilferuf übermittelt hatte. Sharif war von der Staatspolizei um Amtshilfe gebeten worden, weil es doch schon zu häufig passiert war, daß gerade US-Amerikaner zur Zielscheibe antiwestlicher Terrororganisationen und mit diesen gut auskommender Räuberbanden geworden waren. Daß bisher nicht mehr passiert war lag an der abschreckenden Präsenz der schnellen Eingreiftruppe der Armee. Sharif war stolz darauf, einige Bedrohungen rasch behoben zu haben.
An Bord eines betagten Gazelle-Hubschraubers kreuzte Sharif über der Stelle, die als Ausgangspunkt der Mobilfunksignale ermittelt worden war. Nach einer halben Stunde war die Leiche eines jungen Mannes gefunden worden, die so aussah, als habe jemand sie mit dem Oberkörper in eine Schrottpresse gesteckt. Ein flacher Krater, an dessen Grund der Sand zu Glas geworden war, deutete auf eine heftige Hitzeentladung hin, eine Brandbombe mit großer Wirkung. Von der Frau, die der Beschreibung der Polizei nach zu dem hier gesuchten Touristenpaar gehörte, fehlte jede sichtbare Spur.
"Lassen Sie den Sand im Umkreis von zweihundert Metern sieben und sammeln!" Befahl Sharif seinen Leuten. "Vielleicht ist die Amerikanerin in die Brandentladung geraten."
"Leutnant Sharif, was sollen wir sonst hier tun?" Fragte ein Unteroffizier, der gerade seine Mannschaft hatte ausschwärmen lassen.
"Schaffen Sie Echolote her und untersuchen Sie den Boden auf Holhräume oder sowas!" Wies Sharif seinen Untergebenen an.
"Echolote? Herr Leutnant, ich fürchte, sowas haben wir nicht."
"Sie meinen noch nicht, Unteroffizier Faruk. Besorgen Sie sich die Geräte und Techniker bei den Pionieren, falls nötig auch bei den Archäologen, die im Tal der Könige herumwühlen!" Bekräftigte Sharif seinen Befehl. Da kamen zwei einfache Soldaten mit etwas angelaufen, daß wie das abgerissene Bein einer Statue aussah. Sharif besah sich das Etwas und veranlasste, es im Hubschrauber gleich zur weiteren Untersuchung nach Kairo fliegen zu lassen.Den bedauernswerten Gast unseres Landes lassen Sie ins Zentralkrankenhaus bringen. Wenn seine Identität bestätigt ist, wird man ihn von dort wohl ausfliegen lassen", sagte Sharif. Dann bestieg er seinen Kommandohelikopter wieder und kehrte ins Hauptquartier zurück.
Das Büro von Gringotts Ägypten war karg möbliert und enthielt neben einem mottenzerfressenen Teppich und einem niedrigen Sperrholztisch einen Hocker und zwei staubige Öllampen. Ein Fenster schmal wie ein Handtuch bot einen beschränkten Blick nach draußen und einen sehr spährlichen Einlaß für Sonnenlicht. Der junge mann mit dem struweligen, flammenrotem Haarschopf räumte gelangweilt dreinschauend die Pergamentrollen fort, die er gerade mit Berichten und Skizzen ausgefüllt hatte. Sollte Carnack, der hiesige Verwaltungskobold doch damit anstellen was er wollte! Der Mann zupfte seinen wie zerknüllt wirkenden Umhang zurecht und verließ sein kleines Büro. Hinter ihm fiel die Steintür zu, die nahtlos mit der Wand abschloß und leise knirschend verriegelt wurde. Nur ein Losungswort und der Abdruck der rechten Hand würden ihm wieder Einlaß geben.
Bill Weasley, so hieß der junge Mann, passierte weitere Steintore, die das weitläufige Stollensystem unterhalb Kairos beherrschten. Man hätte in den Katakomben alte Gräber oder heilige Hallen der Pharaonenzeit vermuten können. In Wirklichkeit waren sie jedoch nicht mehr als dreihundert Jahre alt, in die Erde getrieben, als sich europäische und arabische Zauberer darauf verständigen konnten, ihre Wertsachen an einem gut bewachten Ort zu beherbergen. Bill Weasley verließ die knapp unter der Erdoberfläche angelegten Verwaltungshöhlen und suchte einen halbmondförmigen Innenhof auf, wo ein kunstvoll gebautes Gefährt aus Gold und Elfenbein auf ihn wartete, die Himmelsbarke. Sie wirkte wie ein Schiff mit breiten Adlerflügeln, das auf zwei schlanken Säulenbeinen mit dreizehigen Füßen stand. Bill Weasley winkte mit seinem Zauberstab, worauf eine geknüpfte Strickleiter herabfiel. Er kletterte ins Innere des geflügelten Schiffchens. Teppiche und gepolsterte Sitzbänke hießen den Fahrgast willkommen. Ein schmächtiger Kobold in einer himmelblauen Seidenuniform nickte Bill Weasley zu.
"Wir kriegen noch zwei Mitfahrer", schnarrte der Kobold auf Englisch.
"Geht klar, ich hab Zeit", bestätigte Bill und holte aus seinem Aktenkoffer Schreibzeug und Pergament. Er schrieb an seine Eltern im Fuchsbau, daß er für eine Woche frei hatte und gerne bei ihnen wohnen würde, falls sie ihn überhaupt noch beherbergen wollten. Er vermied es von Dumbledore oder Harry Potter zu schreiben, obwohl es ihn brennend interessierte, wie sich die Sache in Hogwarts weiterentwickelt hatte.
Ein beleibter Zauberer mit dunkelbraunem Vollbart schnaufte heran und quälte sich die Strickleiter hoch. Bill, der gerade den Brief an seine Eltern beendet hatte, nickte ihm zu und meinte:
"Hi, Max. Auch Urlaub?"
"Nötig höchstens. Neh, Bill, ich muß für Carnack nach Toledo, weil da altes Aztekengold untern Hammer kommt, von dem's heißt, es sei verflucht. Ich muß das nachprüfen. Die letzte Goldladung aus Amerika hatte wirklich so'n Fluch an sich, der jeden austrocknen ließ, der es wagte, etwas von dem Gold wegzunehmen. Die alten Azteken hatten schon geniale Zauberer", schnaufte der neue Fahrgast, Maximilian Crowne, Experte für verfluchte Edelmetalle und vorchristliche Bannzauber.
"Ich werde zu meinen Eltern fahren, ein paar Tage die Beine hochlegen und über die Verwandtschaft quatschen. Vielleicht treffe ich ja in London noch 'n paar Kollegen zum Quatschen. Aus der alten Heimat kommt ja seit einiger Zeit nix brauchbares mehr rüber.
"Fudge ist total kirre, weil Dumbledore ihm durch die Finger geschlüpft ist wie'n Stück Seife", erwiderte Max und grinste dabei über sein bärtiges Mondgesicht. "Ist diese bezaubernde Mademoiselle noch in London, die letztes Jahr beim Trimagischen mitgemacht hat?" Fügte Max noch hinzu und blickte Bill verschlagen an.
"Ich gehe davon aus", erwiderte Bill und erkannte zu spät, daß er die Erwartung nicht hatte verbergen können, die ihn wie ein Strom heißen Wassers durchpulste, wenn er an die französische Hexe mit dem langen, silberblonden Haar und den strahlendblauen Augen dachte, die mit ihrer Anmut nicht nur ihn um den Verstand bringen konnte, wenn sie wollte.
"Konkurrenz ist groß, häh", feixte Max jungenhaft. Bill errötete fast so heftig, daß sein Gesicht kaum anders getönt war als sein wildes Haar. Max mußte darüber lachen. Doch er machte eine abbittende Geste, daß er nicht über Bill lachte, sondern sich nur amüsierte, daß der älteste Spross der Weasleys offenbar Feuer gefangen hhatte, dieses aber nicht zu offen zeigen wollte.
"Ich werde sehen, was ich so erleben werde", meinte Bill verlegen.
Max wollte noch was sagen, als drei wild schwatzende Kobolde angelaufen kamen und wieselflink die Strickleiter hinaufturnten. Sie trugen eine Kiste bei sich, auf der das Symbol für Hochsicherheitsverwahrung prangte. Bill und Max starrten gleichermaßen neugierig auf die Palmenholzkiste mit den Goldblechbeschlägen. Der Anführer der drei Kistenträger, erkennbar an den goldenen Knöpfen seiner kupferfarbenen Uniform, warf den beiden Zauberern einen sehr mißbilligenden Blick zu und knurrte nur: "Nicht Ihre Sache"
"Pterops, erst zu Ibrahim Barak!" Befahl der Goldknopfträger. Der Kobold in der Himmelsbarke nickte. Dann hantierte er an mehreren glitzernden Hebel und griff dann in die Speichen eines vergoldeten Steuerrades. Knarrend spannte das Schiff seine Flügel aus, schwang sie durch und stieß sich ab. Leicht schwankend erhob es sich in die Luft, wobei es die schlanken Beine nach hinten klappte und fest unter dem Rumpf anlegte.
"Na dann erst zum alten Scheich", spöttelte Max, der Ibrahim Barak, den ägyptischen Zaubereiminister gerne für einen Scheich ansah, wegen seiner nicht minder fülligen Statur, den mondhellen Kamelhaargewändern und dem goldbestickten Turban, den er meistens trug.
"Wollte Barak Efendi wieder was geheimes aus seinem Schatzkästlein haben?" Flüsterte Bill und ließ versonnen seine rechte Hand in den zerknitterten Umhang gleiten. Einer der drei zugestiegenen Kobolde knurrte ihn warnend an.
"Sie lassen den Stab bloß weg oder fressen morgen Würmer aus dem Sand."
"Ist ja gut, ich tu der Kiste nichts", erwiderte Bill völlig gelassen. Sicher hatte es ihn gejuckt, mal mit dem Zauberfinder oder Flucherkenner auf die Kiste zu klopfen, um zu sehen, wie gut sie gesichert war. Doch sein Job hier war zu lokrativ und kurzweilig um ihn durch Indiskretionen zu verspielen. So wurde über die geheimnisvolle Kiste kein weiteres Wort verloren, bis die drei Träger mit ihr auf dem Felsplateau waren, das ein großes Felsentor zum Ministerium für Magie beherbergte. Wo das Tor genau war hatte noch keiner wirklich herausfinden können, weil die, die es öffneten wie im Felsen verschluckt aussahen, egal wo sie auf dem Plateau gestanden hatten. So verschwanden auch die Kobolde mit ihrer Kiste. Pterops, der Lenker des fligenden Schiffchens ließ die Himmelsbarke wieder aufsteigen, die Beine einziehen und dann mit sehr hoher Geschwindigkeit dahinfliegen, unsichtbar für Muggelaugen, bis sie in der Nähe des Mittelmeeres auf einem von hohen Felsen umfassten Strandabschnitt niederging und mit schnellen trippelnden Schritten seiner Beine den rest Fahrt ausglich und dann ganz ruhig mit dem Bug dem Meer zugewandt stillstand.
"Ab hier müssen wir zu Fuß nach Europa, Max", meinte Bill und warf die Strickleiter aus, um hinunterzuklettern.
"Ich peile schon, wie oft ich apparieren muß, um nach Toledo zu kommen. Wie oft brauchst du?"
"Nur zwei Sprünge. Einer nach Callais und dann locker nach Hause", sagte Bill. Er verabschiedete sich von Max und verschwand mit leisem Plopp.
Bill apparierte nicht sofort in seinem Elternhaus. Er warf erst in der londoner Winkelgasse den Brief ein, den er geschrieben hatte und bezog beim alten Tom im tropfenden Kessel Quartier. Dort traf er einen blondhaarigen Zauberer, der mit seiner Frau, einer blondgelockten Hexe mit graugrünen Augen, einen Einkaufsbummel machen wollte.
"Hi, Bill. Haben dich die Krokodile Ägyptens immer noch nicht gefressen?" Flachste der blonde Zauberer, der einen sehr feinen blauen Umhang trug.
"Solange du nicht in irgendwelchen alten Bergwerksstollen verschüttet wirst, Plinius", konterte Bill und schüttelte dem etwas älteren Mann die Hand, einem Kollegen, der wie er in Gringotts' Namen durch die Welt reiste und den Kobolden neue Schätze beschaffte.
"Hi, Dione. Mal wieder Zeit zum Bummeln?" Fragte Bill, nachdem er der Hexe im smaragdgrünen Seidenumhang die Hand gereicht hatte.
"Im Moment schon. Es ist zwar etwas bedrückender hier als sonst, aber wenn ich im Juni die Verwandtschaft aus Übersee kriege und unsere Tochter Ferien kriegt, will ich das Haus nicht wie verwohnt aussehen haben. Außerdem haben wir in Millemerveilles noch ein paar Haushaltszaubereien bestellt, um dem guten Nifty die Arbeit etwas erträglicher zu machen. Der wird ja leider auch nicht jünger."
"Millemerveilles? Ich dachte, ihr kauft bei Prazap", wunderte sich Bill.
"Wir haben über einen Schulkameraden von Gloria gute Kontakte nach Millemerveilles gekriegt, wo wir kostengünstig bessere und innovativere Zauberkunstsachen kriegen", sagte Plinius. "Aber sag das Denison nicht, wenn du ihn mal treffen solltest!"
"Wenn der das nicht schon wüßte", grinste Bill. "Immerhin hat die kleine Priestley ja doch was auf die Beine gestellt."
"Gut, aber die kommt zumindest aus England", meinte Plinius. Seine Frau Dione erwiderte darauf nur:
"Na, und? Die Welt ist groß und voller Angebote. Was gefällt kann kommen woher es will."
So plauderten Bill und Plinius über das, was man sich außerhalb der eigenen vier Wände ruhig erzählen konnte. Dann zogen Plinius und seine Frau weiter und suchten nach Kleidung und Hausrat.
Bill beobachtete die Besucher des Pubs. Sie schienen wie er damit zu rechnen, daß irgendwer mithörte, was sie so sprachen. Das war also die Ruhe und der Frieden von Minister Fudge, der meinte, der Unnennbare sei nicht wiedergekommen und wehe dem, der anderes behauptete. Zwei Stunden saß er so da, als ein Mann im zerschlissenen Umhang durch die Tür kam, der Bill so ähnlich sah, daß keiner von beiden die Verwandtschaft hätte leugnen können. Der Zauberer mit Brille trat auf Bill zu und klopfte ihm sehr vergnügt auf die Schultern.
"Deine Mutter meint, du seist doch wohl verrückt, nicht zu glauben, daß wir dich bei uns wohnen lassen", sagte der ältere Zauberer. "Ich soll dich abholen", sagt sie."
"Hi, Dad! Wie geht's dir? Wieso habt ihr denn den Brief schon gekriegt?" Erwiderte Bill.
"Blendend. Von diesem Unfall ist nichts mehr zurückgeblieben. Die Eule, die deinen Brief mitgenommen hat, ist wohl ziemlich flott gewesen. Sie ist zumindest vor fünf Minuten bei uns angekommen. Deine Mum meinte, ich solle dich abholen", meinte der ältere Zauberer.
"Okay, dann ab nach Hause", meinte Bill und winkte Tom, dem Wirt, um ihm die fälligen Sickel und Knuts für drei Humpen Butterbier und das Schweinesteak zu geben. Dann verließen sie den Pub durch die Hintertür, stellten sich nebeneinander hin und disapparierten beinahe gleichzeitig.
Zu Hause bei den Weasleys wurde der in die weite Welt hinausgewanderte Stammhalter von seiner untersetzten Mutter überschwenglich begrüßt. Auch Charlie, sein ältester Bruder, war da. Dann saßen da noch seine Brüder Fred und George, die Charlie eine Sprühdose vorführten, die Verschwindeschaum enthalten sollte, so die rote Aufschrift über den beiden rosigen Grinsegesichtern auf dem Schriftzug W. Z. Z.
"Ach, die Herren Schulabbrecher sind auch im Haus", grüßte Bill seine jüngeren Brüder. Diese grinsten ihn überlegen an. Mrs. Weasley rümpfte zwar die Nase, mußte dann aber lächeln. Offenbar war die mütterliche Hexe nicht so klar darüber, ob sie den beiden Tunichtguten jetzt nur noch grollen oder sie für ihre Courage bewundern sollte.
"Moin, Bill. Mal aus den Pyramiden raus. Hoffentlich hast du uns was neues von diesen Fluchbandagen zu erzählen, in denen die geächteten Könige eingewickelt waren. Wir brauchen nämlich noch Ideen für unsere Tricktextilien", meinte George.
"Als wenn ich Bälgern wie ich auf die Nase binde, wie diese vermaledeiten Binden verflucht werden müssen", lachte Bill.
"Kriegen wir auch so raus, Bruderherz", meinte Fred und sprühte Bill wie nebenbei einen silbrigen Schaum auf die Schuhe. Keine Sekunde später hatte Bill keine Schuhe und Strümpfe mehr an.
"Eh, lasst ihr das wohl!" Schimpfte er, mußte jedoch unwillkürlich grinsen. "Wozu soll das denn gut sein?"
"Verschwindeschaum, ganz großer Bruder", gab Fred erfreut zur Antwort. "Damit kannst du tote Dinge komplett wegsprühen. Die landen dann irgendwo, wo du nicht drauf kommst. Wir haben Hetty Woodworth mal alle Klamotten aus dem Schrank gesprüht. Die hat vielleicht geschrien." Beide Zwillingsbrüder lachten. Mrs. Weasley räusperte sich sehr bedrohlich.
"Dafür habt ihr auch zehn Galleonen Schadensersatz zahlen müssen und die Androhung gekriegt, euren Laden zu verlieren und noch dazu wegen magischem Unfug vor Gericht zu kommen. Ihr solltet euren Schabernack besser zügeln. Aber wie oft sage ich euch das am Tag?"
"Zehnmal?" Vermutete Fred. Mrs. Weasley warf ihm einen sehr warnenden Blick zu.
"Hast du das mit diesem abgehauenen Bein gehört, daß in Ägypten gefunden wurde, Bill?" Fragte Charlie.
"Was für'n abgehauenes Bein?" Wollte Bill wissen.
"Das von diesem Golem, der angeblich beim Nil herumgelaufen ist. 'n Typ aus Hastings hat das doch erzählt, als Dad ihn zum Essen mitbrachte", erwiderte Fred. Mr. Weasley zuckte die Achseln, während seine Frau sehr tadelnd dreinschaute.
"Habe ich euch nicht gebeten, daß nicht rumzuerzählen?" Fragte Mr. Weasley.
"Mann, Bill wohnt da doch. Der hat doch da bestimmt von gehört", protestierte Fred und erhielt Zustimmendes Nicken von seinen übrigen Brüdern.
"Eh, Golems in Ägypten? Da hat mir keiner was von erzählt. Aber ich war in den letzten Tagen ja in diesem Königsgrab in der Wüste und hatte mehr um die Ohren als mir lieb war. Wann soll das gewesen sein?"
"So um den zwanzigsten rum, also vor drei Tagen", sagte Fred. "Die wissen nicht, ob's wirklich 'n Golembein war. Die wollen das noch nachprüfen, hat Daddys Gast erzählt."
"Dann müßten die die alten Schriften rausholen und durchackern ... Hmm, wenn sie sie irgendwo zusammengelegt haben", meinte Bill, dem siedendheiß einfiel, was in der Kiste gewesen sein mußte, die die Kobolde aus Gringotts herausgeholt hatten. Er hatte von den Hinterlassenschaften aus der magischen Abteilung der verschollenen Bibliothek von Alexandria gehört. Die Sachen, die sich mit den dunklen Künsten befaßten, waren angeblich auf ministerielle Anweisung hin in einem von Feuerdschinnen bewachten und mit dreifach verfluchten Zugängen gesicherten Verlies untergebracht worden, da die Schriften und Artefakte eine ziemlich gefährliche Macht besitzen sollten.
"Ich dachte, du hättest davon was gehört", meinte Charlie leicht verlegen. "Sonst hätten wir's nicht erwähnt."
"Ich gehe davon aus, daß der Tagesprophet damit noch nicht rausgekommen ist", meinte Bill und erhielt einstimmiges Kopfnicken. Wenn soetwas wie das Wiederauftauchen eines Golems wirklich passiert war, würde das zur Geheimsache erklärt werden.
"Ich denke auch, Fudge hat das noch nicht mitgekriegt. Seitdem der so abgedreht drauf ist sagt dem doch eh keiner aus dem Ausland was. Deine Angebetete, die auch mal hier war um nach dir zu fragen, hat gemeint, die in Frankreich hätten schon Notfallpläne auf dem Tisch liegen, wenn Du-weißt-schon-wer sich wieder meldet. Irgendwie hätten die wohl nicht gefressen, daß Dumbledore Potter und unserem Ronny-Spätzchen gesagt hat, Abwehrzauber zu üben, wo die Giftkröte uns keinen Dunst davon beigebracht hat", sagte George.
"George, nicht so laut!" Zischte Mr. Weasley. "Wissen wir mit Sicherheit, daß unsere Wände keine Ohren bekommen haben?"
"Wir haben Fudge und seiner Schweinebande keine verkauft", meinte Fred gelassen. "Die müßten zwei Tonnen Gold für ein Paar rausrücken. Das passiert dann wohl nur am 30. Februar."
"Na, und? Die können auch Prazap-Mithörmuscheln ...", wandte Mr. Weasley ein.
"Nicht mehr bei uns, Dad", grinste Fred. "Denkst du, wir wollen unsere Sachen im Laden liegen haben, wenn's anderswo was besseres geben soll? Unser Schrillstaub ist genial geeignet, um alle Fernhörsachen auszutricksen."
"Ach, deshalb macht ihr das Haus immer dreckig, wenn ihr nach Hause kommt", knurrte Mrs. Weasley. "Ich habe mich schon gefragt, was dieser grüne Staub soll."
"Oh, hast du den immer sofort wieder weggeputzt, Mum?" Fragte George, der das doch wissenmußte.
"Natürlich", zischte Mrs. Weasley.
"Macht nix, Brüderchen. Es reicht, wenn eine gewisse Menge davon in fünfzig Schritten Umkreis zusammenkommt", sagte George und grinste.
"Ihr meint also, die würden uns hier nicht belauschen können", griff Bill den Faden auf. "Dann möchte ich jetzt doch gerne wissen, was dieser nette Zauberer dir erzählt hat, Dad."
Mr. Weasley erzählte seinem ältesten Sohn, was sein Gast über den angeblichen Golembeinfund erzählt hatte. Bill mußte nicken. Das konnte passen. Wer sonst sollte ein Bein aus Ton und anderer Erde irgendwo rumliegen lassen?
Nach dem Abendessen schwatzten die Zwillinge mit dem ältesten Bruder über ihre Flucht aus Hogwarts, die sie als "sorgfältig erwogene Entscheidung" bezeichneten und daß die da wohl immer noch einen Sumpf im fünften Stockwerk hätten. Bill mußte darüber lachen. Seine Eltern waren da zwar nicht sonderlich begeistert, sagten aber auch nichts böses. Mrs. Weasley meinte nur einmal:
"Hoffentlich kriegt Ron nicht alles ab, was die beiden angestellt haben."
"Dann hätte die Umbridge den schon rausgeschmissen, und Hermine Granger und Harry Potter gleich hinterher, Mum", sagte Bill zuversichtlich. "Die sollte sich schon klar sein, wer was anstellt und wer nicht, wenn die an dem von Dumbledore so brav freigelassenen Stuhl hängt. Irgendwann ist auch für Fudge Schluß, wenn die alte völlig aus dem Tritt kommt. Plinius Porter, den ich beim alten Tom getroffen habe, hat mir was erzählt, daß seine Tochter da auch nicht gerade frei atmen kann. Offenbar weiß die Umbridge nicht mehr, wo sie überall Feinde und Rebellen suchen soll. Nachher ist die so durch den Wind wie Moody, nur daß Moody mehr drauf hat als die Giftkröte."
"Sagst du, Bill. Wissen wir, ob Madame Umbridge nicht deshalb in Hogwarts ist, weil sie sich in allen Sachen am besten auskennt?" Fragte Mrs. Weasley.
"Klar, Mum. Die Unverzeihlichen hat die bestimmt knallhart drauf und andere Nickligkeiten. Aber wir haben der immer ein Ei nach dem anderen gelegt. In Zauberkunst ist die echt gut. Die hat genau gewußt, daß man unser Feuerwerk ruhig rummachen lassen muß, damit es von alleine aufhört. Tja, und unser kleiner Sumpf liegt bestimmt noch in Hogwarts, weil die Frau genau weiß, wie der weggemacht werden muß, ohne Flitwick und McGonagall zu fragen", feixte George. "Ich denke, die ist so'ne Schreibtischhexe, die lange nicht mehr unter normalen Leuten war und meint, deshalb so stark zu sein. Die bleibt bestimmt nicht lange in Hogwarts, wenn außer Schniefnase Filch keiner mit ihr zusammenarbeitet."
"Vergesst bitte nicht, daß Ron Vertrauensschüler ist und das alles ausbaden muß, was die von euch angestifteten Mitschüler anrichten!" Mahnte Mrs. Weasley.
"So'n Golembausatz für Einsteiger wäre doch genial", meinte Fred unbeeindruckt von den Worten seiner Mutter. "Das würde der Kröte glatt die letzten Nerven kosten, wenn so'n Steinoschi durch Hogwarts stampft und die Leute gruselt."
"Fred, da hört bei mir der Jux auf", knurrte Bill. "Diese Dinger waren damals schon gefährlich und sind es dann immer noch, wenn jemand die herstellen und steuern lernt. Ich dachte, ihr hättet bei Lupin und Moody davon gehört, was die damals für heftige Untaten begangen haben."
"Na klar, ganz großer Bruder", sagte George nicht sonderlich ernst klingend. "Weil die nur von Mördern und anderen Verbrechern zusammengebraut wurden, um die Mitmenschen zu quälen. Nur so'n Zauberer, der in Prag auch als Kohlrabi oder sowas gearbeitet hat, hat angeblich nur gutes mit seinem Golem tun wollen."
"Du meinst den Rabbiner Juda Löw, George", korrigierte Bill seinen Bruder. "Daran kannst du sehen, daß gutes wollen und gutes Tun oft weit auseinander liegen. Dieser Magus, der als jüdischer Geistlicher gewirkt hat, wollte einen Beschützer für seine Gemeinde erschaffen und hat aus Versehen einen immer unberechenbareren Kämpfer erzeugt. Sollte man sich merken, daß künstliches Leben leicht aus der Bahn gerät."
"Das ist völlig richtig, Bill. Aber das beantwortet ja nicht unsere Frage, ob da bei euch am Nil so ein Sklave aus Lehm oder Ton erschaffen wurde und von wem und wozu. Ich fürchte, wenn es wahr ist, können wir nicht daran denken, daß es für uns was gutes bringt", sagte Mr. Weasley.
"Wollt ihr wirklich jetzt den ganzen Abend über dieses Geschöpf reden, ohne zu wissen, was dran ist? Verderbt euch bitte nicht die Stimmung! Sie ist doch eh schon ziemlich ramponiert", sagte Mrs. Weasley. Ihre Söhne gehorchten zwar. Doch an den Mienen der Männer und Jungen war abzulesen, woran sie dachten. Fred und George spielten mit dem Gedanken, eigene Golems zu produzieren, vielleicht zum Zeitvertreib. Charlie grübelte darüber, ob an der Sache in Ägypten was dran sei und Bill ärgerte sich darüber, in seinen alten Pyramiden und Grabmälern die wirklich wichtigen Sachen nicht mitzubekommen. Um Zehn Uhr Abends gingen die Weasleys zu Bett. Fred und George streuten heimlich den Schrillstaub aus, um das Haus weiterhin für magische Fernbelauschung undurchdringlich zu halten.
Maria Montes, Sonderagentin des FBI in Jackson, Mississippi, las den druckschriftlich zugestellten Brief der Zentrale in Washington, der ihr vor einer Minute per behördeneigenem Kurier zugestellt worden war. Darin forderte der stellvertretende Leiter der Koordinationsabteilung, Clark Montano, alle in die Vorkommnisse um den Massenmörder mit der Identität Richard Andrews' zu einer Konferenz. Die Kollegen in Las Vegas, Nevada, hatten einhellig versichert, der gesuchte Massenmörder sei offenbar von gegnerischen Verbrecherbanden getötet worden und in einem angemieteten Haus verbrannt. Am 30. Mai, also in zwei Tagen, sollte die Konferenz stattfinden. Maria dachte an ihren früheren Partner Moses Greenthal und wie sie als einzige Christin der jüdischen Beerdigung beigewohnt hatte und sich danach lange mit Moses' Brüdern, Cousins, Nichten und Neffen unterhalten hatte. Mit Rabbi Goldstein hatte sie eine lange und interessante Diskussion über die Gemeinsamkeiten der jüdischen und römisch-katholischen Werteordnung geführt. Zwei Tage hatte sie sich freinehmen können, um sich an der insgesamt auf dreißig Tagen angesetzten Trauerzeit beteiligen zu können, wie es die Tradition verlangte. Doch Maria Montes dachte zu oft nur an ihre Arbeit und fühlte sich in einer anderen Glaubensgemeinschaft wie ein Fremdkörper, der nur akzeptiert wird, weil er mit einer gewissen Erinnerung an einen Geliebten Menschen verbunden ist. Zwar hatte sie mit Goldstein auch über die Macht heiliger Symbole gesprochen, es aber tunlichst vermieden, ihr silbernes Kreuz zu erwähnen, von dem sie wußte, daß es ein echtes Artefakt der weißen Magie war, das Flüche von ihr fernhalten und bestimmt auch bösartige Zauberwesen zurücktreiben konnte. Als der Arbeitstrott sie wieder in seinen eisernen Schoß zurückgeholt hatte, wo sie wußte, wer sie war und was sie sollte, solange sie den Vorschriften folgte, dachte sie daran, herauszukriegen, wer diesen Amokläufer und Hurenmörder auf die Menschheit losgelassen hatte. Es mußte doch herauszufinden sein, wer hinter diesen Massakern stand, die in Detroit begonnen hatten und wohl in Las Vegas den brutalen Abschluß gefunden hatten.
"Kommst du auch zur Konferenz?" Fragte Maria Montes ihren Kollegen Zachary Marchand in New Orleans.
"Laroche hat sich etwas beruhigt, nachdem er seine Gegner ziemlich heftig gerupft hat, Maria. Ich habe diese Einladung auch gekriegt und komme hin. Wir sehen uns also im Allerheiligsten."
"Häh?" Erwiderte Maria.
"'Tschuldigung, natürlich im Zentralgebäude. Als gläubige Katholikin ist der Begriff ja schon anderweitig besetzt", sagte Marchand am anderen Ende der Telefonleitung.
"Ich kritisiere nicht, was du bist, Zachary. Also halte mir bitte nicht vor, was ich glaube und ehre!" Gab maria etwas verstimmt zur Antwort. Das kam wohl an.
"Sehe ich ein, Maria. Ich bin dann also auch da."
"Bestell mrs. P. noch einen schönen Gruß, wenn du sie triffst. Es hat sich wohl doch erledigt, was sie meinte."
"Nur wenn ich sie vor der Konferenz noch zu sehen kriege", sagte Marchand. Dann verabschiedeten sich die beiden.
maria Purificación Montes legte den Hörer auf und prüfte ihr Äußeres im Spiegel über einem Waschbecken der Damentoilette. Ihr schwarzes Haar verlangte nach Glättung, und ihr leicht gebräunter Teint konnte etwas Feuchtigkeitscreme vertragen. Maria Montes sang ein altes Volkslied aus ihrem Heimatdorf Los Alamitos. Tessa Wells, eine Kollegin aus der Abteilung für organisiertes Verbrechen, trat aus einer der Kabinen und meinte:
"Ihnen geht es offenbar wieder gut, Maria."
"Sie kennen das doch, Tessa. Wenn man sich schlecht fühlt, braucht man Musik oder ein Lied, das einem die schönen Zeiten zurückbringt."
"Wie Sie meinen", erwiderte Tessa Wells und verließ den Waschraum.
Für die angesetzte Konferenz brauchte Maria mehrere Unterlagen, unter anderem den Bericht über den Vorfall in Muddy Banks und die Videos über das Purpurhaus, wo sie viele gute Kollegen verloren hatte und als einzige Überlebende davongekommen war. Sicher würde Mr. Clark Montano sie fragen, ob sie wußte, wieso sie überlebt hatte. Immer wieder hatte sie sich die Frage vorgelegt. Wieso hatte man sie nach dem heimtückischen Gasangriff auf die Einsatztruppen nicht gefunden und zu den übrigen verschleppt, die dann im Haus verbrannten? Sie konnte das nicht erklären, wo doch wohl alle Zeugen beseitigt werden mußten, die den vermeintlichen Richard Andrews gestellt und gestört hatten.
Als sie am Morgen des 30. Mai im Flugzeug saß dachte sie erneut an den Anruf von Mrs. Jane Porter, einer echten Hexe, den sie vor dem Einsatz in Muddy Banks bekommen hatte. Sie hatte sie gewarnt, der Mann sei gefährlich. Aber hatte nicht erzählt, wieso. Mochte es sein, daß dieser Doppelgänger mit den Mächten der schwarzen Magie verbündet war? Warum sollte die Hexe, die der eigenen Aussage nach in einem Institut zur Bekämpfung böser Zauberei arbeitete auf einen gefährlichen Menschen hinweisen, wenn dieser ein ganz gewöhnlicher Verbrecher war? Immerhin würde die Begründung, Andrews oder wie immer er wirklich hieß sei mit dämonischen Mächten verbündet ihr Überleben erklären. Doch laut würde sie das nicht sagen können, da ihre Kollegen vernünftigerweise nicht an übernatürliche Sachen glaubten. Daß sie es nun besser wußte war auch einem Jahrtausendzufall zu verdanken, den sie im Nachhinein jedoch gerne aus dem Leben gestrichen hätte. Sie hatte leibhaftige Geschöpfe der Finsternis getroffen, die sie fast getötet hätten und war nur entkommen, weil sie eben ein echtes magisches Artefakt besaß, in das gutartige Zauber eingewirkt worden waren. Doch auch davon durfte sie keinm erzählen. Zachary Marchand, der aus Louisiana herüberkommen würde, war der einzige, der von ihrem Geheimnis wußte. Dafür wußte sie, daß er ein echter Zauberer war, dem Magie im Blut lag und der in der Welt der Unbegabten darüber wachte, daß die nicht an Magie glaubenden Menschen von derartigen Vorfällen verschont blieben oder dann zumindest nichts mehr darüber wußten. - Mochte es sein, daß sie nur deshalb nichts wußte, weil jemand ihre Erinnerung ausgelöscht hatte? War da was, daß selbst sie als nun unfreiwillig eingeweihte nicht wissen durfte? Falls ja, so würde es sich bestimmt nicht lohnen, Zachary Marchand darüber auszufragen. Denn wenn er nichts davon wußte, konnte er nichts sagen. Und wenn er was wußte, würde er schweigen, weil er nichts sagen durfte und möglicherweise sogar veranlassen, daß sie von den Hexen und Zauberern aus dem Verkehr gezogen wurde. Sie mußte also auf der Hut sein, ob ihr doch noch was einfiel.
Im Zentralgebäude des FBI wurden die 30 Männer und Frauen von dienstbeflissenen Kollegen der unteren Dienstränge begrüßt und in den abhörsicheren Konferenzraum geführt, der keine Fenster besaß und dessen Türen aus dicken Stahlplatten bestanden, die beinahe unauffällig mit gemasertem Holz verschalt waren. Der Bunker, wie dieser Raum hieß, stellte einen passablen Schutzraum dar, in dem durch eine eigene Luftumwälzung und -erneuerung sogar Gasangriffe abgehalten werden konnten. Störsender und dezente Geräuschquellen in den Wänden verhinderten die Belauschung mittels Wanzen. Und weil der Raum kein Fenster besaß, würde auch ein Laserrichtmikrofon nicht funktionieren. Fehlte eigentlich nur noch eine an der Decke baumelnde Rose, dachte Maria immer, wenn sie diesen Raum betrat.
Zachary Marchand trat auf sie zu. Der dynamisch wirkende Agent mit dem flachen Kopf, auf dem blondes Haar bürstenartig abstand, schüttelte ihr erfreut die Hand. Maria ließ ihre Augen über seinen korrekt sitzenden schwarzen Anzug gleiten. Wo mochte Zachary seinen Zauberstab versteckt haben? Ihr fiel keine Ausbeulung auf, die einen schlanken Stab verraten mochte.
"Hast du Mrs. Porter noch einmal gesprochen?" Fragte Maria leise im Raunen der übrigen Konferenzteilnehmer.
"Die ist im Moment nicht da", sagte Zachary Marchand. "Mußte irgendwo hin, wo's gerade brennt. Ich denke aber, sie wird noch mal mit dir plaudern, wenn die Konferenz vorbei ist."
"Du wirst ihr wohl nicht erzählen dürfen, was hier besprochen wird. Oder spionierst du doch für euren Laden?" Fragte Maria etwas voreilig.
"Du kennst meine Aufgaben, Maria. Dazu sage ich also nichts mehr", lehnte Zachary eine genaue Antwort ab. maria wertete das jedoch als Ja und ärgerte sich über ihre Unvorsicht. Einen Spion offen zu fragen, was er nun weitermelden würde war nicht nur taktisch unklug, sondern unter Umständen auch tödlich. Mochte es sein, daß sie meinte, weil sie Zach Marchand schon Jahre kannte vergessen zu haben, was seine wahre Natur war. Zumindest ging sie davon aus, daß die Gespräche in diesem Raum wohl ihren Weg zu Leuten aus der Zaubererwelt finden würden, wenn Zach meinte, etwas wichtiges weitergeben zu müssen.
Montano war ein vierschrötiger Veteran, der noch unter dem legendären Direktor John Edgar Hoover gedient hatte. Er brauchte kein lautes Wort fallen zu lassen, um die Anwesenden zum Schweigen zu veranlassen. Dann erläuterte er noch mal, daß diese Konferenz zusammentragen sollte, was über die Vorkommnisse um den angeblichen Richard Andrews aktenkundig geworden war. Jeder hatte einen Laptop-Computer vor sich auf dem Tisch stehen. Fast jeder hatte eine CD-ROM mitgebracht, die die in der eigenen Zweigstelle angesammelten Fakten enthielt. Maria Montes hatte ebenfalls eine Daten-CD mitgebracht, die sie aus dem sicher verschlossenen Metallkoffer nahm und in den für sie bereitgestellten Computer steckte, der dann die Menge an Bildern und Berichten einsaugte wie ein Schwamm. Dabei flogen die Bilder der beim Purpurhaus-Massaker umgekommenen Kollegen über den Bildschirm wie ein Zug dahinrasender Geister. Maria mußte sich sehr anstrengen, nicht in Trauer auszubrechen. Sie sah die Aufnahmen des brennenden Freudenhauses und die medizinischen Berichte zum Tod der am Einsatz beteiligten. Dabei fragte sie sich wieder, wieso kein Gerichtsmediziner Spuren eines Gases nachgewiesen hatte. Ja, auch sie, die das Zeug eingeatmet hatte, schien keinen Hinweis auf die Substanz selbst preisgegeben zu haben. Was war da mit ihr und den anderen wirklich passiert? Was war wirklich passiert? Interessant, daß sie sich diese Frage stellte, als würde sie nicht mehr glauben, daß es so passiert war, wie sie selbst sich doch noch erinnern konnte.
Nachdem alle Computer die mitgebrachten Informationen geschluckt hatten und über eine rasch installierte Netzwerkverbindung jeder mit jedem Daten austauschen konnte, sprachen sie über die Vorfälle. Ruben Martinez, der für Detroit zuständig war, berichtete über den Massenmord bei Degenhart und die Schießerei an einem der großen Seen. Er spielte eine Tonaufzeichnung eines Gespräches mit der Ex-Ehefrau des Wissenschaftlers vor, der anfangs verdächtigt wurde, diese Bluttaten begangen zu haben.
"Mrs. Andrews wollte mich jedoch nicht zu sich lassen, um mit ihr im Vier-Augen-Gespräch zu klären, was zu dieser bedauerlichen Entwicklung führte. Sicher, sie hat nun das Problem, mit ihrem einzigen Sohn Julius in einem für sie noch fremden Land zu leben, da sie nicht davon ausging, daß sie in England weiterhin ein friedliches Leben führt. Der Junge ist in einem Internat, einer Privatschule. Ihn zu befragen halte ich nach anfänglichen Ideen doch für unnötig, da sich ja doch herauskristallisiert hat, daß wir hier nicht einem in den Wahnsinn abgerutschten Akademiker haben, sondern einen hervorragenden Schauspiler, der gleichermaßen Spion und Killer ist. Allerdings würde ich das Umfeld des echten Richard Andrews weiterhin beleuchten, für den Fall, daß der Doppelgänger seine ursprüngliche Rolle wieder spielen will."
"Sie meinen, daß der Gesuchte auf die Familie des echten Andrews zugehen wird?" Wollte Montano wissen.
"Ich fürchte eher, er wird sie als Druckmittel benutzen, sollte sich der echte Richard Andrews wider aller Wahrscheinlichkeiten noch am Leben und in der Gewalt von Entführern befinden", erwiderte Martinez. "Ich finde es sehr unklug von Mrs. Andrews, nicht mit uns zusammenzuarbeiten. Offenkundig hofft sie darauf, daß die Nachrichten von hier in ihrer Nachbarschaft nicht ankommen werden. Sicher, es wurde eine Nachrichtensperre verhängt und fast nichts mehr von den Vorfällen weitergemeldet. Aber gerade das könnte die Gefahr erhöhen, daß der Verbrecher die Familie von Richard Andrews heimsucht."
"Sie meinen, wir sollten die Andrews herholen und in Schutzhaft nehmen?" Fragte Zachary Marchand belustigt.
"Das nicht, aber zumindest darüber orientieren, daß Richard Andrews womöglich nicht mehr lebt, sollte er an seine Exfrau oder seinen Sohn oder andere Verwandte herantreten", sagte Ruben Martinez. Maria Montes wartete, bis sich das Gespräch um das Purpurhaus drehte und erzählte dann, was sie genau erlebt hatte. Ihr Kollege Marchand schien sehr gespannt zu lauschen, wie auch der Kollege Martinez. Da sie die Agentin war, die den letzten dokumentierten Vorfall schilderte, beschloss Montano nach ihrem Vortrag die Runde der Zusammenfassung und diskutierte die Gemeinsamkeiten aller Fälle. Zum Schluß war man sich darüber einig, daß der angebliche Andrews wohl seinen Zweck erfüllt hatte, indem er die verbrecherischen Organisationen empfindlich gestört und gegeneinander aufgehetzt hatte. Leider vermochte der Computer keine Analyse über den Hintergrund zu liefern, wer wann wie in die Sache involviert gewesen war. Letztendlich hatten sie es jetzt nur noch klar dokumentiert, daß dieser Mann ein Phantom war, das auftauchte, zuschlug und wieder verschwand, ohne Spuren seiner Bewegungen zu hinterlassen. Er hatte kein Flugzeug benutzt, keinen Zug und auch keinen Überlandbus. Der Computer erwog lediglich die Möglichkeit, daß mehr als ein Doppelgänger existierten, die unabhängig voneinander arbeiteten und somit den Anschein eines blitzschnellen Ortswechsels erweckten.
"Ich glaube nicht, daß dieser Mensch sich beamen lassen kann", meinte Martinez, als er die Auswertung betrachtete. "Dann wäre er ja ein Außerirdischer."
"Oder ein Mutant", meinte der New Yorker Kollege.
"Oder ein Hexenmeister", warf Marchand spöttisch ein. Alle lachten, außer Maria, der dieser Witz gerade von Marchand alles andere als spaßig vorkam. Mochte es angehen, daß Andrews oder wie er hieß nicht doch mit düsteren Mächten zusammenarbeitete. Doch nur weil sie selbst hatte lernen müssen, daß nicht alles reine Erfindung war, was über Magie und Zauberwesen erzählt wurde, durfte sie nicht gleich in einen Verfolgungswahn verfallen. Immerhin kannte sie dutzende von Möglichkeiten, Geisterspuk und übernatürliche Vorkommnisse vorzutäuschen, gerade um leichtgläubige Zeitgenossen einzuschüchtern oder für bestimmte Anliegen gefügig zu machen.
"Ich denke, ich kann Ihnen versichern, daß wir von diesem Herren nichts mehr hören werden. Denn die Sache in Las Vegas, bei der einige aktenkundige Auftragsmörder starben, läßt darauf schließen, daß es zu einer endgültigen Auseinandersetzung zwischen den Leuten hinter dem vermeintlichen Andrews und seinen Widersachern kam. Was wir heute hier machen ist eher eine Fehleranalyse, was wir falsch gemacht haben und wo unsere Ermittlungen gescheitert sind", knallte Montano seinen Kollegen und Kolleginnen hemmungslos auf den Tisch. "Jedoch muß ich zugeben, daß die bisherige Auswertung aller Vorkommnisse keine Lücke in unseren Ermittlungsmethoden aufzeigt, wenngleich wir noch einmal nachprüfen müssen, ob nicht private Flugzeuge und geheime Unterkünfte übersehen wurden. Damit möchte sich dann aber die Generalauswertungsabteilung beschäftigen, die nur die Daten sichten und zusammenfassen muß. Ich danke Ihnen für Ihre Mithilfe."
"Soll das heißen, wir sind hier auf Onkel Sams Kosten angeritten, um Ihnen zu zeigen, ob wir was verbockt haben?" Fragte Martinez leicht ungehalten. Montano nickte vorsichtig. Martinez wollte gerade was entgegnen, als ein Summton erklang. Jemand von außen wollte mit jemandem hier drinnen sprechen. Montano stand auf und entriegelte die schwere Tür. Ein Bote kam mit mehreren Bögen Papier in der Hand herein und legte sie Montano auf den Tisch.
"Wir haben den echten Andrews!" Verkündete Montano erregt, als er den obersten Papierbogen las. Alle im Raum wurden hellhörig, besonders Maria Montes und, obwohl er sich sehr gut beherrschte, Zachary Marchand, für den diese Nachricht alles andere als erwartet kam.
Die Alarmsirenen schrillten schmerzhaft in seinen Ohren. Er sah sich um. Im Moment war noch keiner hinter ihm her. Doch er kannte die Sicherheitstruppe gut genug, um zu wissen, daß er keine Minute auf Besuch zu warten brauchte. Hatte er genug Zeit, sich ohne Tricks zu verkrümeln oder ...?
"Kingsley, bleiben Sie, wo sie sind. Alles andere wäre Selbstmord!" Rief Buster Tanner über Lautsprecher. Der mann, dem diese Warnung galt grinste und legte schnell einen Finger an seine blaue Brille. Für ihn schien die Umgebung plötzlich aus Glas und Rauch zu sein, weil er in Wände hineinsehen und elektrische Leitungen rötlich flimmern sehen konnte. So entdeckte er auch die elektronischen Augen, die hinter einseitig durchsichtigen Wandtäfelungen versteckt waren. Damit hatten sie ihn also erwischt. Abgesehen davon, daß er wohl beim zurücklegen der vor einigen Tagen ausgeborgten CD-ROM einen Sensor gekitzelt hatte. Über diese Nachlässigkeit ärgerte er sich jetzt. Warum hatte er den Durchblicker nicht schon beim Betreten des Allerheiligsten benutzt. Klare Antwort: Weil er keine nackten Leute sehen wollte. Irgendwie war er schon immer ein Prüderich gewesen, und selbst seine Arbeit hatte das nicht beseitigen können.
"Nun dann müssen wir doch tricksen", dachte der in die Enge getriebene. Vorsichtig fischte er nach seinem Regenschirm, den er wie den kleinen runden Hut auch, als Markenzeichen seiner britischen Herkunft mitzuführen pflegte. Er richtete die Spitze des Schirmes unter dem Tisch nach vorn und flüsterte: "Creato Nebulam!"
Unvermittelt wallte dicker, weißer Nebel auf, der den ganzen Raum ausfüllte wie Dampf aus einem geplatzten Heizungsrohr. Es dauerte keine Sekunde, da konnten die Kameras nicht mehr zwischen Möbeln und Menschen unterscheiden. Dann gab es ein leises Plopp, das vom Alarmgeheul so stark überlagert wurde, daß die in den Wänden versteckten Mikrofone es als unbedeutendes Geräusch übertrugen. Als die Sicherheitsleute dann die schwere Panzertür des stählernen Computerraumes öffneten, konnten sie vor lauter Nebel erst nichts erkennen.
"Scheiße, der Kerl hat 'ne Rauchbombe gezündet. Türen bloß gut besetzt halten!" Bellte Willows, der Truppführer. Doch dieser Nebel roch nicht nach Rauch. er roch wie gewöhnlicher Herbstnebel, und das Ende Mai.
"Kingsley, was soll das. Sie kommen so doch nicht raus!" Rief Willows. Sicher, sie konnten nicht schießen, weil hier einige empfindliche Geräte standen, die ihre vielen Millionen Dollar wert waren und noch dazu unbezahlbare Daten beherbergten. Doch der ertappte Spion würde trotzdem nicht ungeschoren herauskommen.
"Kann einer diesen Nebel absaugen?" Fragte Willows, nachdem seine Leute sich eher blind als zielsicher durch den Nebel arbeiteten und mal gegen den einen oder den anderen Tisch stießen.
"Geht nicht. Der Computerraum hat ein eigenes Klimasystem. Das müßte diesen Dunst aber gleich ausgefiltert haben", kam eine Antwort. Solange blieben die Männer an der Tür, bereit, jeden Fluchtversuch aus dem Nebel heraus zu vereiteln. Doch es wollte keiner fliehen. Warum auch immer Kingsley das gemacht hatte, er versuchte nicht, zu entwischen. Als der Nebel nach einer merkwürdig langen Zeit von zwei Minuten endlich verschwunden war, wußten sie auch, wieso Kingsley keinen Fluchtversuch gemacht hatte. Er war nicht mehr hier.
"Was?! Das gibt's nicht! Der konnte unmöglich da raus. Sobald der Alarm kam, blieben alle Türen geschlossen und konnten nur von den autorisierten Personen des Werkschutzes geöffnet werden. Wie will denn der da rausgekommen sein?"
"Weiß ich doch nicht", erwiderte Jennings, ein weiterer Sicherheitsmann.
Als dann wie aus dem Nichts dreißig Männer mit qualmenden Kesseln auftauchten, dauerte es keine zehn Sekunden, bis alle Zeugen dieses Vorfalls in tiefer Betäubung lagen. Die Eindringlinge beseitigten rasch alle Videoaufzeichnungen und Computeraufzeichnungen, stellten sie gar so um, daß es im Computerraum einen Brand gegeben hatte und zündeten tatsächlich ein Feuer an und verschwanden übergangslos aus dem Computerraum, während die durch die aufschießenden Flammen ausgelösten Halongas-Löscher einen weiteren Nebel in die betroffene Zone bliesen, der das Feuer rasch ersterben ließ. Als die betäubten Agenten und Sicherheitsleute wieder erwachten, wußten sie, daß es durch einen Kurzschluß im Computerraum zu einem Brand gekommen war. Das Victor Kingsley heute in dieser geheiligten Zentraldatensammelstelle der CIA gewesen war, wußte keiner mehr, und es stand auch in keinem elektronischen oder niedergeschriebenen Protokoll.
Der Mann, der sich Victor Kingsley nannte, tauchte im Büro seines Vorgesetzten Egon Hawkins auf, dem Leiter der Untersektion Geheimdienstüberwachung der Abteilung für Desinformation und muggeltaugliche Entschuldigungen. Hawkins war nicht gerade begeistert, als der gerade so noch entwischte Kingsley als reuiger Sünder vor ihm saß und auf die Strafpredigt wartete, die er sich eingehandelt hatte.
"Monkhouse, wie oft noch? Ich habe jetzt zum vierten Mal das große Vertuschungsgeschwader losschicken müssen, um den von Ihnen verzapften Bockmist zu bereinigen. Wollen Sie wirklich ins Zentaurenverbindungsbüro oder gar in die Werwolfsuchbrigade versetzt werden? Einige Plätze sind durchaus zu haben."
"Sir, ich wußte nicht, daß die einen Annäherungssensor genau unter der CD-Ablage montiert haben. Hätte ich die Durchblickbrille benutzt, wäre mir das vielleicht klargeworden, bevor ..."
"Und hätte der Drache nicht scheißen müssen, hätte er den Ochsen noch gekriegt", schnitt Hawkins dem schuldbewußten Untergebenen das Wort ab. "Ich habe immer gedacht, Ihre besonderen Fähigkeiten wären für uns ideal. Aber offenbar ist Begabung lange noch kein Können."
"Entschuldigung, Sir, aber ich habe mich nicht darum gerissen, Spion in den Spionagezentralen zu spielen. Das habe ich nur getan, weil Minister Pole meinte ..."
"Was Pole meint, ist hier völlig unwichtig, um nicht zu sagen, es geht mir sowas von quer am ..."
"Oh, vorsichtig mit solchen Äußerungen, Egon! Sie möchten doch nicht wegen Illoyalen Äußerungen vor den inneren Ausschuß zitiert werden", klang unvermittelt eine leicht amüsierte Stimme von der Tür her. Jetzt erst trat der baumlange Zauberer ein, der wie so häufig im marineblauen Umhang mit silbernen Knöpfen auftrat. Unter dem linken Arm war ein marineblauer Spitzhut mit einer Pfauenfeder geklemmt. Das ovale, sonnenverwöhnte Gesicht des älteren Zauberers wirkte angespannt, aber auch vergnügt, als müsse sich sein Besitzer fragen, ob er über einen ihm gespielten Streich lachen oder darüber schimpfen sollte. Durch die silbergeränderte Brille mit dicken, kreisrunden Gläsern blickte Zaubereiminister Jasper Pole persönlich in den Raum hinein und sah erst dem angeblichen Victor Kingsley und dann seinem Vorgesetzten in die Augen.
"Oh, Minister Pole", bemerkte Hawkins und errötete schlagartig. Kingsley grinste unangebracht amüsiert.
"Lassen Sie mich bitte mit Ihrem Helden alleine sprechen. Ich denke, wir können die Sache zur allgemeinen Zufriedenheit klären, ohne ihn zur Werwolf-Suchbrigade abzukommandieren", erwiderte der Minister mit kaltem Lächeln. Hawkins, der nun selbst ein schuldbewußtes Gesicht zeigte, nickte heftig und verließ das Büro.
Pole schloß die Tür auf magische Weise und errichtete aus ockergelbem Zauberlicht einen Klangkerker, der alle Geräusche am Hinausdringen hinderte.
"So, Ronin. Jetzt sind wir unter uns. Würdest du bitte dein angeborenes Aussehen zeigen?"
Klar, Minister Pole", lachte der Mann, der sich bis jetzt als Victor Kingsley, einen Laufburschen der hohen Geheimhaltungsstufen der CIA ausgegeben hatte. Ohne irgendwelche Gesten oder Lichteffekte verlor das gescheitelte, pechschwarze Haar des Mannes erst die Frisur, und wurde dann rotbraun, bis es zu einem Lockenschopf von fuchsartiger Färbung verwandelt war. Gleichzeitig zog sich das rundliche Gesicht des Mannes etwas in die Länge, die angedeuteten Altersfältchen verschwanden völlig, während die vorher noch braunen Augen graugrün wurden und eine Winzigkeit auseinanderrutschten, während die Nase sich von einer breiten zu einer spitzen Gesichtszierde verformte. Alles das ging ohne Zauberstab und teilweise Auflösung des Körpers vor sich und dauerte keine zwei Sekunden. Victor Kingsley gab es nun nicht mehr. und ob man ihn noch einmal auferstehen lassen wollte, lag in Poles alleiniger Entscheidung.
"Schön, daß du wieder du selbst bist, Ronin. Manchmal träume ich schon davon, daß du oder die vier anderen Registrierten hier im Ministerium herumlaufen und meine Arbeit machen. Aber Im Größenwachstum liegen ja eure Grenzen, wie ich weiß, und euer Geschlecht könnt ihr auch nicht ohne weiteres ändern."
"Ich wollte mich für das Chaos von eben entschuldigen. Aber Hawkins war wie ein Kessel kurz vorm Überkochen."
"Ich weiß, Ronin. Deshalb kam ich ja so schnell es ging her. Ich wollte erst hören, was er dir zu sagen hat. Aber außer wütendem Gebrüll hat er nichts von sich gegeben. Deshalb wollte ich dem Spuk ein Ende machen. Ich brauche dich nämlich für eine spezielle Mission, von der unsere Geheimhaltung mehr abhängt als von dieser Wissensscheibengeschichte, die du fast vereitelt hast. In diesem Fall mußt du nicht in geheime Einrichtungen hinein und dir das Vertrauen von Berufsparanoikern erschleichen. Dein Auftrag ist relativ einfach, solange du dich an alle Vorgaben hältst."
"Ist das was, was mit diesen Vorfällen in detroit und anderswo zusammenhängt, Sir?" Fragte der nun in seiner angeborenen Erscheinung dasitzende Mann, der als Ronin Monkhouse als Sohn von Lavinia und Gerald Monkhouse zur welt gekommen war. Da Gerald der Sohn eines Cousins von Minister Pole war, hatte dieser die Patenschaft für den Jungen übernommen, allerdings war das nur seinen Eltern und ihm bekannt, und Ronin hatte schwören müssen, keinem davon zu erzählen, um keine Vorteile daraus zu schlagen. Ronin war ein sogenannter Metamorphmagus, einer der seltenen Zauberer, die ohne Zauberstab und komplizierte Verwandlungsvorgänge ihr Aussehen total verändern konnten, zumindest in gewissen Grenzen. Mit dieser besonderen Gabe hatte er für das Ministerium in der Muggelwelt spioniert, arrangiert und desinformiert. Doch jetzt schien es damit vorbei zu sein.
"Also, Ronin, hör mir bitte genau zu und stell nicht noch mal so freche Fragen! Es ist schon schlimm genug, daß du überhaupt was davon mitgekriegt hast, daß etwas in Detroit und Anderswo passiert ist, was uns betrifft. Andere Hexen und Zauberer wissen davon gar nichts, und das ist auch gut so", erwiderte Minister Pole.
"Okay, ich höre", sagte Monkhouse ehrerbietig.
"Die Muggel werden langsam zu einfallsreich mit ihren Gerätschaften und Methoden. Früher oder später werden sie die Wahrscheinlichkeit außerwissenschaftlicher Möglichkeiten nicht mehr von sich weisen und dann gezielter nachforschen, was passiert ist und vielleicht noch passieren wird. Es ist jetzt schon zu viel Leid und Tod in die Welt gebracht worden."
"Ich höre weiter", dachte Monkhouse, sagte es aber nicht laut.
"Folgendes ..." Setzte der Minister an und erzählte kurz, was es mit Richard Andrews auf sich hatte, wenngleich er verschwieg, welche Kreatur den bis vor zwei Monaten unbescholtenen Mann zum Monster gemacht hatte. Er behauptete, Richard Andrews habe einem dunklen Magier gedient, der ihn unter dem Imperius und einem Zauber, der Menschen sterben lassen könne, in die Welt geschickt habe, um Angst und Gewalt zu schüren. Er sei jedoch am 19. Mai getötet worden. Da er noch versucht habe, auf magische Weise zu fliehen, habe das Ministerium davon wind bekommen und seinen Leichnam sichergestellt, nachdem der dunkle Magier in einem Kampf besiegt werden konnte.
"Ich werde dir weder den Namen noch die weiteren Motive und Gefolgsleute dieses Zauberers verraten, Ronin, da wir da noch längst nicht alles geklärt haben. Das Problem ist, daß Richard Andrews' Körper durch einen verheerenden Fluch derartig verstümmelt ist, daß die Muggelärzte ins Grübeln geraten müssen, wenn sie ihn in die Hände bekämen. Wir müssen davon ausgehen, daß man weiterhin nach dem Mann sucht, der durch unsere gezielten Ablenkungsmanöver für das Opfer einer Austauschaktion gehalten wird und bis heute nicht gefunden werden konnte. Der Schaden in der Muggelwelt ist so groß, daß die Muggel förmlich nach Aufklärung gieren. Sie haben zwar Eile, den Fall zu klären, aber auch eine unbändige Ausdauer, nötigenfalls Jahre damit zuzubringen. Hierbei spreche ich nicht nur von den Ordnungskräften, sondern auch von kriminellen Banden, die sich in ihrem Treiben gestört fühlen. Um beide Interessengruppen zu befriedigen muß Andrews auftauchen, und zwar so, daß alle bisherigen Vermutungen bestätigt werden können."
"Oh, Moment, Sir", unterbrach Ronin Monkhouse den obersten Vorgesetzten und Patenonkel. "Sie möchten Mich als dieser Richard Andrews auftreten lassen, damit die Muggel Ruhe geben und wissen, daß der, der wirklich diese Schweinereien begangen hat, nicht der gute Mr. Andrews aus London ist?"
"Dazu wäre ich gleich gekommen", knurrte Pole. Doch dann nickte er. Warum sollte er lange herumreden. Wenn er Ronin gewinnen wollte, mußte er ihm zumindest das sagen, was er zur ordentlichen Ausführung des Auftrages wissen und können mußte. Die Zeit lief, wußte Pole. Sie lief gegen ihn persönlich. Er war sich zwar sicher, daß der Abhängige der Abgrundstochter tot sein mußte, trotz der überirdischen Macht, mit der ihn seine Gebieterin gelenkt und beschützt hatte. Doch wenn man ihn nicht fand, weder tot noch lebendig, oder wenn es doch irgendwelche verwertbaren Spuren von ihm gab, die mit denen des britischen Chemikers übereinstimmten, dann würden die Stimmen laut werden, die böses Zauberwerk wieder als reale Bedrohung ansahen, und in der magischen Welt würde die Frage erklingen, was der hochangesehene Minister Jasper Laurentius Pole dagegen getan hatte oder besser, warum er nichts dagegen hatte tun können. Also wollte er erst die Muggel und dann seine eigenen Leute beruhigen, um das schreckliche Geheimnis im Zaum zu halten, das immer stärker gegen seine Gefangenschaft aufbegehrte. Außer Elysius Davidson und Jane Porter vom Laveau-Institut wußte nur noch der muggelstämmige Zachary Marchand von der wahren Geschichte. An und für sich waren das schon drei zu viel. Ja, und Tilia Verdant, die Heilerin, wußte es auch. Doch sie durfte es auch nicht verraten.
"Du hast recht, Ronin. Du sollst den wiederaufgetauchten Richard Andrews spielen. Alles was du dafür brauchst, das Wissen um seine Herkunft, Familie, Bekannte und Interessen, wirst du in den nächsten zwei Tagen lernen. Ich habe im Rahmen der Ermittlungen alle Informationen zusammentragen lassen, einschließlich der Stimmproben. Ich hoffe, du kannst deine Stimmbänder genauso flexibel formen wie Gesicht und Statur."
"Ich könnte sogar die komplette Anatomie nachmachen, wenn ich eine Karte davon hätte, Sir. Sogar die Fingerabdrücke kann ich ..."
"In diesem Fall auf keinen Fall, Ronin. Gerade die Fingerabdrücke sollen nicht übereinstimmen, damit wir den Muggeln einen unschuldigen Richard Andrews präsentieren können. Ich weiß, daß an seinem früheren Wohnort und Arbeitsplatz keine Spuren mehr von ihm gefunden werden können. Aber an den Tatorten hat er welche hinterlassen, und deshalb mußt du andere Spuren hinterlassen."
"Haben Sie die Fingerabdruckpflicht für Zuwanderer noch nicht eingeführt?" Fragte Ronin Monkhouse Belustigt.
"Das müßtest du ja dann wissen", meinte Pole.
"In zwei Tagen soll ich ein ganzes Leben auswendig lernen. Der Mann hat Frau und Kind. Wenn man mich findet und die mit mir wieder zusammenleben wollen ..."
"Da hat uns der echte Mr. Andrews einen großen Gefallen erwiesen, weil er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, da er eine massive Abneigung gegen die Zauberei hat und sein Sohn nun einmal ein Zauberer ist, der seine Fähigkeiten zu nutzen lernen muß."
"Der muß ja ein toller Bursche sein", feixte Monkhouse.
"Nachdem was ich weiß in allem überdurchschnittlich", sagte Pole zähneknirschend. Monkhouse wußte nicht, ob das Ärger über seine Frechheit war oder Neid, weil Poles eigene Kinder gerade mit Hängen und Würgen die Zaubereiausbildung geschafft hatten und alles waren nur nicht überdurchschnittlich gut in allem.
"Also wie soll das dann gehen?" Fragte Monkhouse vorsichtig.
"Es ist den Muggeln so verdeutlicht worden, daß Andrews entführt wurde, um jemandem an seiner Stelle Zugang zu wichtigen Einrichtungen zu verschaffen. Also wird er gesucht, von gefährlichen Verbrechern, die ihn töten wollen, sobald er bei der Polizei auftaucht. Es gibt ja genug Fälle, wo derartige Zeugen versteckt und unter anderer Identität gehalten wurden, um solchen Kriminellen das Handwerk zu legen. Somit wird dieses Verfahren, das als Zeugenschutzprogramm bekannt ist, auch dich einbinden, sobald du erzählt hast, was dich in solche Gefahr bringt. Alles andere findet sich dann ohne jede Zauberei."
"Und wenn mich wirklich Verbrecher ermorden wollen? Gilt dann die Ausnahmeklausel 7, Sir?"
"Öhm, wohl ja, solange sichergestellt wird, daß die Muggel danach nichts mehr davon wissen."
"Nichts ist umsonst, Minister. Was fällt für mich bei diesem ungewissen Auftrag ab?" Fragte Ronin, der es innerlich liebte, wenn der Minister auf einen bestimmten Lohn festgenagelt werden konnte.
"Zum einen, daß du nicht vor den inneren Ausschuß zitiert werden wirst, Ronin. Zum anderen liegt auf der kleinen Insel, die du vor drei Jahren gekauft hast, immer noch eine gewisse Schuldenlast. Die werde ich dir abnehmen, auf dem kleinsten Dienstweg, indem ich dich pro Forma zum Verwalter des Feenreservats ernenne, das dort begründet wurde. Aber wer weiß, wie lange du die Rolle des bedrohten Opfers spielen mußt. Wie gesagt wirst du alles notwendige lernen, was der echte Andrews vorweisen muß."
"In Ordnung", sagte Ronin und schlug ein.
Am 29. Mai 1996 traf es sich, daß in einem verlassenen Bauernhof in Montana, der früher einer fanatischen Sekte gehört hatte, die vor zwei Jahren ausgehoben worden war, ein heruntergekommen wirkender Mann mit blonder Halbglatze gefunden wurde, der in einem moderigen Kellerraum gefesselt an der Wand gelehnt hatte. Ein anonymer Hinweis hatte erst den Sheriff des Bezirks und kurz danach das FBI auf den Plan gerufen. Am Morgen des 30. mai war es in der Bundesbehörde herum, daß man den echten Richard Andrews gefunden hatte.
Anthelia wußte, daß irgendwas im Gange war. Eine Mitschwester aus Kairo hatte ihr berichtet, daß man das Bein eines Golems gefunden hatte, eines wirklichen Golems. Anthelia rief sich die Erinnerungen von Sarah Redwood ins Bewußtsein, die lange über die künstlichen Diener geforscht hatte. Ja, die alte Kunst war nicht ganz vergessen worden, erkannte die Führerin der Spinnenschwestern. Sie hatte selbst in ihrem ersten Leben von jenem Rabbi Löw aus Prag gehört, der seine Gemeinde mit einem Golem vor Übergriffen geschützt hatte, bis der angeblich so treue Diener zur Gefahr für seine Schöpfer wurde. Anthelia lächelte, wenn sie daran dachte, was sie von Cecil Wellington und den muggelstämmigen Schwestern über die Angst vor künstlichen Kreaturen in der Muggelwelt erfahren hatte. Ob sie nun Androiden, kybernetische Organismen oder Roboter genannt wurden, immer gab es Geschichten von rebellischen Exemplaren, die sich ihrer eigenen Überlegenheit bewußt wurden und ihre Schöpfer unterjochten oder töteten, von diesem Frankenstein-Ungeheuer bis zu jenem Mordinstrument, daß als Terminator bekannt geworden war, herrschte die unterschwellige Angst in den Köpfen der Muggel. Tja, und diese Angst war berechtigt, wußte Anthelia. Denn in der magischen Welt hatte es derartige Übergriffe schon häufig genug gegeben. Ihre Tante Sardonia hatte viel Mühe darauf verwenden müssen, jene monströsen Entomanthropen, die sie gezüchtet hatte, immer unter Kontrolle zu halten. Die gerade erst auf wundersame Weise überstandene Bedrohung in der gemalten Welt war auch ein Beispiel dafür, wie leicht sich künstliches Leben gegen seine Schöpfer richten würde. Deshalb nahm sie den Bericht ihrer Mitschwester sehr ernst.
"Ich fürchte, wir haben in der orientalischen Zaubererwelt einen neuen Feind", sagte sie am Abend des 29. Mais, als sie den letzten Bericht aus Ägypten gehört hatte, der auch vom Verschwinden eines jungen Ehepaares kündete.
"Wie meinst du das, höchste Schwester?" Fragte Pandora Straton, die zusammen mit Romina Hamton, Delila Pokes und Patricia Straton im Weinkeller der Daggers-Villa saß.
"Ich habe mich an alte Schriften und Geschichten erinnert. In Ägypten soll es vor mehreren Millennia eine Festung der dunklen Macht gegeben haben, wo Zauberer des Gegenpharaos Apophis, der später selbst für einen Gott des Bösen gehalten wurde, das Ostreich erobern wollten. Sie haben die Schlacht zwar verloren, weil die Nachfahren der alten Familien mächtige Wehrzauber aufgerufen haben, doch ihre Festung, der man nachsagte, sie sei aus versteinerter Mitternacht errichtet worden, sei dabei im Sand verschwunden und nicht mehr aufgefunden worden."
"Hmm, von dieser Festung habe ich gehört", sagte Pandora Straton. "Hieß es nicht sogar, sie sei der Palast der dunklen Götter gewesen?"
"So wurde sie in manchen Texten aus Babylon genannt", bestätigte Anthelia. "Meine ehrwürdige Tante Sardonia hat einst viel Zeit darauf verwandt, näheres über diese Festung zu erfahren. Was sie erfuhr, brachte sie davon ab, sie auszugraben. Denn dort sollten mehrere Mördergolems verschüttet sein, die keinen Herrn, keinen Dienst kennen und nur nach dem Blut echter Lebewesen gieren sollten. Wer die Sprache nicht kennt, in der sie reden, wird ihr Opfer. Meine ehrwürdige Tante hat zwar viele Sprachen alter Zaubermeister gelernt, eben um alte Diener zu wecken und zu führen, doch dies Unterfangen war ihr doch zu gewagt." Anthelia dachte daran, daß Sarah Redwood selbst steinerne Wächter in ihrem Haus beherbergte. Doch das waren keine eigentlichen Golems, sondern Animaten, Statuen, die mit einem Fragment der eigenen Geisteskraft belebt und dadurch untrennbar auf ihre Herrin geprägt worden waren. Sarah hatte diese Wächter jedoch eben nur als Wächter einsetzen können, da ihre Vernichtung einen Teil ihrer eigenen Seele gekostet hätte. Ein echter Golem war mächtiger, aber auch entbehrlich.
"Du glaubst, jemand hat die alte Festung gefunden, höchste Schwester?" Fragte Patricia Straton vorsichtig.
"Falls ja, so müßten wir das wissen. Denn dann wäre eine Quelle ungeahnter Magie erwacht, die den Zauberern Ägyptens nicht lange verborgen sein kann. Wer auch immer die Burg des Apophis gefunden hat, muß entweder sehr wahnsinnig oder bedrängt sein."
"Könnten uns die Brüder des blauen Morgensterns nicht verraten, natürlich ohne es zu wissen, was dort vorgefallen ist, höchste Schwester?" Fragte Pandora Straton. Anthelia verzog das Gesicht.
"Du weißt genau, Schwester Pandora, daß diese Bande selbstgefällig edelmütiger Zauberer ausgesprochen misogyn eingestellt ist. Mir wäre nicht bewußt, daß sie ihre Einstellung zu Hexen derartig geändert hätten."
"Miso- was?" Fragte Romina Hamton, die das Wort nicht einordnen konnte.
"Frauenfeindlich, Schwester Romina", erläuterte Anthelia immer noch verknirscht dreinschauend. "Also unseren Zielen absolut entgegengesetzt."
"Ich hörte davon, daß diese Bruderschaft immer noch existiert", sagte Delila Pokes. "Lady Nimoe hatte einmal Krach mit einem solchen Wohltäter und konnte ihn dazu bringen, die Sachen zu erzählen, die er ohne zu sterben preisgeben konnte."
"Was hat diese Bruderschaft bei euch da unten gemacht?" Wunderte sich Patricia Straton, die nicht so recht einsah, was eine im arabisch-persischen Kulturkreis tätige Zaubererbruderschaft in Australien zu schaffen hatte.
"Es ging wohl um einen Zauberer, der mit seiner Familie Syrien erobern wollte und gerade noch vor den Brüdern floh und meinte, sich in Australien verstecken zu können, wo wir ja auch so schöne Wüsten und sogar einige Kamele haben", erwiderte die Hexe mit der blonden Löwenmähne, die zu den fünf Erweckerinnen Anthelias gehörte und damit zum innersten Kreis des Spinnennetzes, das mittlerweile große Teile der Zaubererwelt durchzog, ohne bisher entdeckt zu werden.
"Wie dem auch damals war, von diesen Herrenmännchen werden wir keine brauchbare Kunde erheischen, ohne ihren Argwohn zu erwecken", schloß Anthelia. Dann lächelte sie jedoch. "Allerdings spricht nichts dagegen, die mit diesen Leuten verbundenen Hexen auszuhorchen. Jedes Kind hat eine Mutter, die es auf die Welt brachte. Zum Glück erwiesen sich gerade in Tunesien und Algerien viele Schwestern als unseren Ideen sehr zugetan, sodaß wir bestimmt neue Fäden auswerfen können."
"Das hoffe ich sehr", sagte Pandora. Als Kundige alter Schriften und Geheimnisse brannte sie darauf, auch die mächtigen Zauberwerke aus dem Orient kennenzulernen, von denen es hieß, sie seien der westlichen Zaubererwelt überlegen, weil sie ihre Geheimnisse besser bergen und länger erhalten konnten. Die Sache mit dem Golem bewies das. Würde jemand einen Golem schaffen, wie es Slytherin wohl auch schon gekonnt hatte, so könnte er eine ganze Armee aufstellen, die gegen die meisten natürlichen Waffen immun war. Nur Feuer und Eis konnten einem Golem körperlichen Schaden zufügen, ihn aber nicht sofort vernichten. Kugeln aus Metall oder Stein würden von ihnen abprallen, ebenso Pfeile, sofern sie nicht mit brennendem Pech behaftet waren. Wer eine solche Armee aufbot, konnte die Welt erobern. Diese Gewissheit machte Pandora Angst. Denn wenn sie und ihre Schwestern es nicht waren, die eine solche Armee befehligten, dann würde es ein hexenfeindlicher Zauberer wie der irrsinnige Emporkömmling aus England tun.
"Schwestern, nicht jeder kennt die Zauberei, einen Golem zu vernichten. Soviel ich weiß, war Sarah Redwood eine von ihnen, und Lady Medea von Rainbowlawn. Jetzt hat Schwester Dana erzählt, das Abbild von Julius Andrews, sofern es ein Abbild war, habe Lady Medea bei der Niederschlagung eines Golemangriffs geholfen. Daraus ist zu schließen, daß auch die Lehrmeisterin Faucon diesen Zauber kennt."
"Madame Maxime aus Beauxbatons kennt ihn auch, weil Professeur Tourrecandide ihn als Pflichtübung in ihrem Unterricht benutzt hat", sagte Romina Hamton, nachdem sie durch eine fragende Mine von Anthelia das Wort erbeten hatte.
"Wir dürfen davon ausgehen, daß dieser Dumbledore ihn auch beherrscht, den Zauber zur Tilgung eines Golems. Da er mir selbst ja auch vertraut ist, werde ich ihn euch lehren, Schwestern, auf daß wir gewappnet sind, wenn jemand eine Streitmacht solcher Ungetüme wider uns ins Feld führt", sagte Anthelia vollmundig. Dann schickte sie ihre Mitschwestern zur Nachtruhe.
"Darf ich morgen mit Schwester Morgana nach Viento del Sol, höchste Schwester?" Fragte Dido Pane, als anthelia in der protzigen Eingangshalle der Villa apparierte.
"Schwester Patricia hat mir erzählt, daß du heute sehr ordentliche Verwandlungsarbeiten vorzuweisen hattest, Schwester Dido. Ja, ich gestatte dir den Ausflug", sagte die oberste Hexe im Spinnenorden mit warmem, mütterlichen Lächeln. Dido Pane sprang in die Luft und eilte jauchzend nach oben, wo ihre Dachkammer lag.
"Manchmal ist es recht erhebend, mit welchen Einfachheiten man einem jungen Menschen Freude bereiten kann", dachte Anthelia. Sie stieg zu ihrem eigenen Gemach hinauf. Hinter ihr im Flur versammelten sich die Geister der in diesem Haus gestorbenen Nordstaatensoldaten und der beleibte, bärtige Villenbesitzer Stanley Daggers, den ein afrikanischer Fluch eines von ihm zu Tode gepeinigten Sklaven zur ewigen Gefangenschaft in diesem Haus verurteilt hatte, wie auch die Seelen aller, die hier in diesen Mauern starben.
"Was sollen wir tun. Dieses Weib quält uns alle immer und immer wieder", flüsterte ein Geist, der als lebender Mensch ein Korporal gewesen war.
"Wir können nichts dagegen tun. Sie kann alle unsere Geisterkräfte auf uns selbst zurückwerfen", klagte Daggers. "Diese Brut, die sie hier immer wieder hinholt, wie auch dieses unnatürliche Mädchen, wenn wir uns mucksen, kriegen wir sofort eins drauf. Und ich sage euch, ihr Yankees, daß ich in all den Jahren, die ich schon in diesem vermaledeiten Kasten festhänge nicht so gelitten habe wie in den letzten vier Monaten."
"Warum erzählst du uns sowas. Immerhin sind wir deinetwegen ja hier. Ich würde was drum geben, wenn der Teufel kommt und mich in die Hölle mitnimmt, nur um aus diesem blöden Haus herauszukommen", sagte der Geist eines einfachen Soldaten, der genauso zum Opfer seiner Neugier geworden war wie seine Leidensgenossen.
Romina Hamton verfolgte die Nachrichten sowohl in Radio und Fernsehen, wie auch im Internet. Als der 30. Mai zur Hälfte um war, kam eine Nachricht auf dem Nachrichtensender, den sie in ihrem Küchenradio eingestellt hatte.
"Eine brandaktuelle Nachricht ist hier gerade hereingekommen, Damen und Herren", verkündete der Nachrichtensprecher, nach dem das Kennzeichen für dringende Meldungen verklungen war. "Wie wir gerade eben aus dem Pressezentrum des FBI erfahren konnten ist es gelungen, den Aufenthaltsort von Richard Andrews zu finden, dem echten Richard Andrews. Ob er noch lebt oder bereits tot ist wollte uns keiner erzählen. Der Pressesprecher des Bundesbüros hat nur erwähnt, daß die Aufklärung der Vorkommnisse im März nun kurz bevorsteht."
"Hmm, den Aufenthaltsort von Richard Andrews? Das können die unmöglich geschafft haben und dann noch leben. Oder hat diese Hallitti seine Leiche irgendwo hingeworfen, bevor sie in ihren Winterschlaf versunken ist?" Fragte sich Romina und schaltete das Radio aus. Sie versuchte, aus dem Internet mehr Informationen herauszuholen. Doch dort hieß es aus den unabhängigen Quellen die sie ausschöpfte nur, daß das FBI offenbar das Versteck der Organisation gefunden hatte, wo der angeblich echte Richard Andrews festgehalten wurde und daß dieses Versteck in Montana sein sollte. Ein anonymer Internetnutzer wollte den Stadtpolizeifunk mitgehört haben und wissen, daß man wohl das Versteck gefunden habe. Doch als es spannend wurde habe man die Funkerei mit Verschlüsselungsgeräten fortgesetzt. Für Romina hieß das eher, daß wen sie immer gefunden hatten, wohl noch lebte und sie ihn nun schnell in Sicherheit bringen mußten, weil sie ja dachten, er sei das Opfer einer gefährlichen Organisation. Mit einem kurzen Ruf im Geiste teilte sie Anthelia die neuigkeiten mit. Anthelia zitierte sie nicht zu sich, sondern apparierte gleich bei Romina, um sich aus den vorhandenen Quellen zu informieren.
"Wir müssen jemanden zum FBI schicken, der das für uns herausfindet", sagte sie.
"Kennen wir wen im FBI?" Fragte Romina.
"Nein, kennen wir nicht. Aber ich denke, unser diebischer Helfer kann ruhig zeigen, daß er mit Muggelbauten besser zurechtkommt als mit dem Zaubereiministerium."
"Wo ist der im Moment?" Fragte Romina überneugierig. Anthelia schüttelte den Kopf und warf ihr einen warnenden Blick zu. Romina erbleichte.
"Du brauchst nur zu wissen, daß ich weiß, wo er ist", sagte Anthelia und disapparierte ohne Abschiedswort.
Das Flugzeug setzte auf. Laut heulend gaben die zwei Düsen des Inlands-Expressfliegers vollen Gegenschub. Die Reifen qualmten auf dem grauen Beton der Landebahn, als der Pilot die Maschine abbremste, um mit manierlicher Geschwindigkeit von der Landebahn auf das Rollfeld abzubiegen.
"Das übliche Spiel, Buck. Sorgen Sie dafür, daß mein Sohn rasch aus dem Gebäude gelangt und in die Limousine verfrachtet wird. Mir lungern hier zuviele Presseleute herum", grummelte Senator Wellington, der aus sicherer Entfernung mit einem Fernglas die Landung der Maschine beobachtet hatte, mit der sein Sohn Cecil von der Klassenfahrt nach Washington zurückkehrte. Diese Fahrt war einer der Gründe, weshalb Senator Wellington überhaupt darauf bestanden hatte, Cecil könne rasch wieder zur Schule. Denn dieser Ausflug würde so schnell nicht wiederholt werden. Buck, ein Leibwächter der Wellingtons, nickte und telefonierte mit Kollegen, die man ausschließlich für diesen Anlaß engagiert hatte.
Es dauerte zwanzig Minuten, bis Cecil, beschirmt von zwei Schatten aus Fleisch und Blut, den Chrysler des Senators fand und in den Fond sprang, nachdem Buck ihm die blaue Reisetasche abgenommen hatte. Cecil setzte sich zu seinem Vater und sagte nur:
"Hi, Dad!"
Die Tasche wurde innerhalb von zehn Sekunden im Kofferraum verstaut. Buck sprang schnell in den Wagen zurück und schloß die Tür.
"Heute kein Hubschrauber, Dad?" Fragte Cecil frech. Senator Wellington verzog das Gesicht und schnaubte:
"Am besten noch mit großem Aufgebot. Das Wunder der Wellingtons wird von seinem Vater mit dem Hubschrauber abgeholt. Das hast du dir bis jetzt nicht verdient, mein Sohn."
"Immerhin bist du mit dem Chrysler gekommen und nicht mit dem Golf", grinste Cecil. Der Senator schluckte einen Tadel hinunter. Renitenz, so wußte er von Psychologen wie von seiner eigenen Kindheit, gehörte für einen sechzehnjährigen zur natürlichen Entwicklung, sofern sie nicht übermäßig auftrat.
"Auf jeden Fall eine tolle Stadt, Washington. Nur ein wenig zu teuer zum wohnen. Selbst ein Hamburger kostet da das anderthalbfache vom üblichen", sagte Cecil. Sicher, Geld spielte fast keine Rolle, da er die Junior-Klassik-Karte von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte, mit der er pro Monat 500 Dollar ausgeben durfte. Allerdings konnten die Eltern Widerspruch gegen jede Bezahlung einlegen, wenn der Sohn des Hauses sich etwas erlaubte, was ihm nicht erlaubt war. Doch bisher hatte Cecil damit keinen Unfug angestellt.
"Was meinst du, wieso ich am Wochenende gerne zu Hause bin, Cecil. Hauptstadtbonus. Aber du hast ja hoffentlich nicht nur diese Schnellklopse im Plastikmehlbrötchen gegessen, oder?"
"Nöh, ich hatte auch Pommes, Eiscreme, Schokokuchen und Marshmellows", gab Cecil zurück, der wußte, daß sein wichtiger Vater der schnöden Schnellküche abgeschworen hatte. Kunststück, wo er noch nicht einmal ein Frühstücksbrot schmieren mußte.
"Und sonst, war der Lügner für euch zu sprechen?"
"Welcher, Dole?" Fragte Cecil, der wußte, daß sein Vater den amerikanischen Präsidenten meinte.
"Nein, du weißt schon wen ich meine."
"Achso, Gerald Bowfield von der Washington Post", erwiderte Cecil grinsend und sagte: "Neh, der interviewt gerade euren Chef wegen der anstehenden Wahl. Aber ich habe die Clintons getroffen. Chelsey ist ein patentes Mädel, kommt voll auf ihre Mutter raus, und in der Birne hat sie auch was."
"Ihr habt also mit diesem Lumpenhund und seiner Sippe reden dürfen? Alle Achtung!"
"Er ist ganz zuversichtlich daß er die zweite Amtszeit auch noch hinkriegt, Dad. Würde mich auch nicht wundern", sagte Cecil.
"Sei froh, daß du noch nicht wählen darfst", sagte sein Vater. "Ich denke nämlich nicht, daß du dann noch so lässig über diesen Kerl reden würdest."
"Du hast recht, Dad. Wer immer auch dran ist ist im Moment nicht auf meinem Mist gewachsen. Aber ansonsten war's noch nett in Washington. Jimmy Gardener aus meiner Klasse hat nur 'n Anruf gekriegt, daß seine Tante Mary in Ägypten verschwunden ist. Deren Dad, also Jimmys Großonkel hängt doch mit dem Ausschuß für Entwicklungshilfe zusammen. Weißt du da was von?"
"Ich habe von dem Fall gehört, Cecil. Mary Straker und ihr Mann Daniel sind am westlichen Nilufer ermordet worden. Marys Leiche konnte jedoch nicht gefunden werden, und Daniel Straker muß übel zugerichtet gewesen sein. Straker hat vorher wohl noch einen Hilferuf abgesetzt.Dumme Sache das."
"Geheim wahrscheinlich auch", meinte Cecil.
"So geheim nicht, weil das Fernsehen das schon breitgewalzt hat. Ich kenne Senator Straker. Der hat gute Kontakte in den mittleren Osten. Wenn die die finden, die seine Tochter umgebracht haben, kann auch deren Allah ihnen nicht mehr helfen.""
"Klar, Dad", sagte Cecil.
Auf der langen Fahrt nach Harrisburg wurde über den Ausflug gesprochen. Senator Wellington interessierte sich sehr für das, was der amtierende Präsident so erzählt hatte. Immerhin galt es, seine Meinung zu kennen und dagegen angehen zu können. Doch was ergiebiges kam dabei nicht herum. Cecil erzählte auch, wie er das FBI-Gebäude besucht hatte und die öffentlich zugänglichen Bereiche erkundet hatte. Sein Vater murmelte etwas von "guten, alten Zeiten", wo John Edgar Hoover die Behörde geführt hatte. Cecil, dem in diesem Zusammenhang die Hexenjagd McKartheys einfiel, grinste nur. Apropos Hexenjagd. Seitdem er für diese Hexe Anthelia nach einem Experten für magische Wesen gesucht hatte, hatte sie ihn in Ruhe gelassen. Hoffentlich blieb das so. Denn immer dann, wenn sie ihn telepathisch rief oder gleich bei ihm materialisierte wurde er in schwere Gewissenskonflikte verwickelt.
Sie kamen auf dem erhabenen Anwesen der Wellingtons an. Cecil wollte seine Reisetasche selbst auf sein Zimmer bringen, doch Butler Jefferson ließ sich nicht davon abbringen, ihm diese Arbeit abzunehmen. Nachdem sich Cecil einer kurzen Dusche unterzogen und umgezogen hatte, gab es Abendessen. Mitten im Hauptgang des heute asiatischen Menüs flüsterte es sehr laut in Cecils Kopf, das er fast meinte, es mit den Ohren zu hören:
"Cecil Wellington. Befrage deinen Rechenapparat nach jenem Geschehnis in Ägypten!"
"Heh, was ist los mit dir, Cecil?" Fragte der Senator. Cecil meinte:
"Ich mußte nur daran denken, daß ich am Montag schon die Notizen zur Reise in Reinform abzuschreiben habe. Der Erlebnisbericht soll in die Englisch- und Geschichtsbenotung einfließen, und ich habe bisher nur Stichpunkte gemacht."
"Du hast jetzt zwei Tage Zeit, um alles zu vollenden", sagte Senator Wellington leicht ungehalten. Cecils Mutter meinte nur:
"Können diese Lehrer nicht einmal eine Klassenfahrt veranstalten, wo es nur wichtig ist, daß die Schüler etwas erleben anstatt gleich Romane darüber schreiben zu müssen?"
"Henriette, du weißt genau, daß diese Fahrten nicht zum Vergnügen gemacht werden. Klassenfahrt heißt Schule vor Ort, und das heißt Lernen und Zusammenfassen. Zumindest ist das in der Schule so, die unser Sohn besuchen darf."
"Darf ist gut", grummelte Cecil in sich hinein. Sein Vater sah ihn warnend an, verkniff sich aber einen Kommentar dazu.
Nach dem Essen ging Cecil an seinen Computer und befolgte die neue Anweisung Anthelias. Dieser Auftrag war zumindest nichts riskantes wie das Auskundschaften des Rechners seines Vaters oder das Herumspringen in den Staaten. Er bekam aus den allgemeinen Quellen heraus, daß die Strakers auf einen romantischen Kamelritt gegangen waren und bei Einbruch der Dunkelheit nicht zurückgekehrt waren. Die ägyptische Polizei und Armee suchte nach dem jungen Paar. Als ungefähren Ort des Verschwindens kam das westliche Nilufer gut 60 Kilometer südlich von Kairo in Frage. Er las die Daten und dachte, daß Anthelia seine Gedanken wie die Funksignale einer Raumsonde abhören würde. Ja, sie konnte sogar ohne sein Wissen in seinem Gedächtnis stöbern, wenn ihr danach war. Das Leben als menschlicher Fernlenkroboter störte Cecil nicht mehr so wie früher. Denn wenn Anthelia ihn mehrere Tage in Ruhe ließ, gab er sich der Illusion hin, es sei nichts passiert.
Um zehn Uhr abends schaltete er den Rechner aus und legte sich ins Bett.
Weit von Cecil Wellington entfernt verfolgte Anthelia das, was er herausfand. Dabei notierte sie sich die Ortsangaben und schickte diese mit einer Eule nach Ägypten, wo eine neue Bundesschwester nachprüfen sollte, ob in der Gegend etwas böses war. Danach ging auch sie zu Bett. Sie dachte daran, daß sie morgen wissen würde, was mit dem angeblich gefundenen Richard Andrews los war.
Ismael Alcara hatte sein Versteck diesmal besser gewählt. Es lag in den Bergen des Sudans, weit ab jeder Touristenroute. Das einzig lästige waren die ab und an vorüberziehenden Truppen der Regierung oder irgendwelcher Rebellen, die sich mit der Regierung schon seit Jahren einen furchtbaren Bürgerkrieg lieferten. Doch wenn er weitere Golems geschaffen hatte, konnten diese Toren mit ganzen Armeen anrücken und würden mit Stumpf und Stiel in den Boden gerammt.
Ismael schritt in der Höhle umher, die er ausgekundschaftet hatte und nickte. Hier würde er die größte Armee der Geschichte erschaffen. Er würde die Welt damit in seinen Dienst zwingen. Doch in der Welt liefen auch Zauberer herum, die wie er die reinblütigkeit der magischen Menschen erkämpfen wollten. Wenn er zehn Golems fertig hatte wollte er mit ihnen kontakt aufnehmen, mit Grendel Shadelake in Australien oder jenen, die einst dem in England so gefürchteten Lord Voldemort gefolgt waren. Zwar hatte er als Spion in den Reihen der Morgenstern-Bruderschaft davon gehört, daß jener achso mächtige Hexenmeister zurückgekehrt sein sollte. Doch er hatte auch genügend Leute dagegen argumentieren gehört. Wenn dieser Voldemort wirklich wieder aufgetaucht sein sollte, wie dieser Potter-Junge gefaselt hatte, dann hätte der doch sicherlich schon nach Verbündeten gesucht. Es hieß von Voldemort, er habe sich einst mit den Geschöpfen der kalten Finsternis verbündet, die heute ein Zauberergefängnis bewachten. Aber mit Golems oder gar Nachfahren der uralten Kriegerrassen des versunkenen Reiches habe dieser Zauberer wohl keinen Kontakt geknüpft. Ismael war sich sicher, daß er mit diesem sehr gut dreinschlagenden Hexenmeister gut auskommen würde. Denn er wußte alles über die Herstellung und Lenkung von Golems, während Dunkelmagier wie Voldemort alles über Zauberkreaturen und die Manipulation von Menschen wußten.
Die Nacht zum 31. Mai war eine sternenklare Nacht. Ismael flog lautlos mit dem fliegenden Teppich der getöteten Morgenstern-Brüder übers Land und hielt ausschau nach einem Dorf, dessen Bewohner nicht so rasch auf Hilfe hoffen konnten. Seine beiden ersten Golems saßen wie Statuen auf dem Teppich, bereit, seine Anweisungen auszuführen. Er brauchte Material für seine Geschöpfe. Zwar hatte er Sand und etwas Erdboden finden können und die ersten Rohformen schon fertig. Doch um wahrhaft kampftüchtige Golems zu erwecken mußte er das Blut von unschuldigen Menschen als Verstärker seiner Zauberei herbeischaffen. Wollte er eine Armee von künstlichen Kriegern haben, so mußte er seine Opfer an abgelegenen Stellen suchen, wie ein Vampir, der nicht erkannt werden will.
Der Teppich senkte sich in der Nähe eines Gartens. Alles schlief wohl. Doch da kläffte ein Hund und löste eine ganze Kette von Gebell aus. Alcara unterdrückte einen Fluch und ging auf das erste Haus zu. Alles war still. Er stubste mit seinem Zauberstab ein Fenster an, das aufklappte und ihm Einlaß gab. Etwas hölzern zog er sich an der Fensterbank hoch und schwang sich ins Haus hinein. Die beiden Golems blieben, wo sie waren. Er hatte ihnen den Befehl erteilt, nur dann herbeizukommen, wenn Alcara auf Widerstand treffen sollte.
Als er mit einer beinahe lautlosen Zauberformel seine Augen auf das Sehen im Dunkeln eingestimmt hatte, schlich er wie eine jagende Schlange durch die Zimmer, bis er ein Kinderzimmer mit drei schlafenden Jungen erreichte. Etwas überrascht starrte er auf das altertümliche Gewehr, das neben dem Bett des größten der Jungen lag. Hier war man offenbar auf böse Feinde gefaßt, die das Haus überfallen mochten. Er hob seinen Zauberstab und fing an, eine einlullende Melodie zu singen, während sein Zauberstab aufglühte und einen bläulichen Schimmer im Zimmer verströmte. Der älteste der drei Jungen schrak zwar noch aus dem Schlaf und wollte nach dem Gewehr langen, doch Ismaels magischer Gesang versenkte ihn sofort wieder in tiefen Schlaf. Als sich der Herr der Golems sicher war, daß die Jungen alle im magischen Schlaf gefangen waren, holte er einen silbernen Dolch aus seinem Gewand und förderte eine silberne Kanne zu tage. Dann ritzte er dem Jungen den linken Arm auf und fing das daraus pulsierende Blut auf. Er freute sich, daß er gleich solches Glück gehabt hatte. Er sah mit steigender Begeisterung auf die ständig mehr werdende Flüssigkeit in der Kanne und überlegte schon, ob ein Blutopfer für drei Golems reichen würde. Da klappte die Tür auf und mit lautem Klicken wurde ein Gewehr entsichert.
"Wer bist du und was tust du da? Fallen lassen und Hände hoch!" Rief eine sehr zornige Männerstimme. Alcara schrak zusammen. Dabei schwappte etwas von dem aufgefangenen Blut aus der Kanne. Er wandte den Kopf um und sah einen bärtigen Mann, der in wollenem Nachtzeug in der Tür stand und ein dickläufiges Gewehr in den Händen hielt. Da er nun im Dunkeln sehen konnte und der Andere wohl nur seinen Schattenriß sah, wähnte sich Alcara im Vorteil. Doch dann flammte das elektrische Licht auf und blendete den Golemmeister. Er schrie auf und ließ die Kanne fallen. Heller als die Sonne stach für ihn das Licht in die Augen und lähmte ihn. Er mußte die Augen schließen, um nicht zu erblinden.
"Wer bist du und ... Nein! Was hast du mit Abdala gemacht?! Sohn einer Hündin!"
"Zur Hölle mit dir!" Knurrte Alcara, riss den Zauberstab hoch. Ein Schuß peitschte los. Er fühlte, wie die Kugel ihm in die linke Schulter schlug. Schon legte der Herr dieses Hauses auf ihn an, um ihn zu töten, da rief Ismael in der alten Sprache:
"Kommt eurem Herrn zur Hilfe!"
"Du Dunghaufen eines Schweines hast meinen Sohn verletzt!" Schrie der Mann mit dem Gewehr. Das hätte er besser nicht tun sollen. Denn so konnte der immer noch krampfhaft die Augen geschlossen haltende Zauberer gut genug hören, wo er stand und den Zauberstab auf ihn richten.
"Avada Kedavra!" Rief er den aramäischen Todesbann aus. Gleißend grün fegte ein Blitz aus dem Stab. Der Schuß aus dem Gewehr krachte einen Sekundenbruchteil zu spät los. Die Kugel pfiff um Haaresbreite an Alcaras linkem Ohr vorbei und durchschlug die Wand aus Lehmziegel wie Pappe. Dann fiel der Schütze zu Boden, schon tod, bevor er aufschlug. Der Todesfluch hatte jedoch den magischen Schlaf aufgehoben, den der Golemmeister über seine drei Opfer ausgebreitet hatte. Der älteste Junge schrak auf, schrie im ersten Ansatz, weil ihm der Arm weh tat. Doch dann fischte er nach dem Gewehr.
Ismael Alcara rammte sich fast den Zauberstab in die Augen, als er den Nachtsichtzauber von ihnen nahm. Erst als er sicher war, daß ihm das künstliche Licht nichts mehr anhaben würde, schlug er seine Augen wieder auf. Da hatte der Junge bereits das Gewehr auf ihn gerichtet und den Sicherungshebel zurückgezogen.
Das laute Stampfen zweier paar gigantischer Füße ließ die Fensterscheiben erzittern. Der Junge hob die Waffe, um den Eindringling ohne Vorwarnung zu erschießen. Da krachte es in der Wand. Staub und Splitter explodierten in den Raum hinein, als eine monströse Erscheinung aus stumpfgrauem Gestein und Erdreich ins Zimmer einbrach. Der Junge riss den Waffenlauf nach rechts und feuerte. Doch die Kugel klatschte laut vom Körper des Ungetüms ab und sirrte ins Schlafzimmer zurück, wo sie in den Strohsack des zweiten Bettes hineinfuhr.
"Jungchen, du hast keine Chance", lachte Alcara. Er wollte den Jungen lebendig haben. Als der Erwachte erneut auf den Golem feuern wollte, war dieser schon bei ihm und pflückte ihm wie beiläufig das Gewehr aus der Hand. Ein Lleichter Ruck der klobigen Pranken, und der Gewehrlauf bog sich um wie eine gekochte Spaghetti. Das magische Monstrum packte den Jungen erbarmungslos bei den Schultern und riss ihn vom Bett hoch wie ein leichtes Federkissen.
"Nicht töten. Ich will ihn lebend!" Rief Alcara in der alten Sprache, die ihm die Gewalt über dieses Geschöpf gab. Der Junge schrie hemmungslos um Hilfe, während seine beiden Brüder kreischend aus dem Zimmer zu fliehen versuchten. Dabei stolperte einer über die Leiche des Vaters und schlug mit dem Kopf so heftig gegen die Wand, daß er benommen zu Boden ging. Mit einem Fesselzauber machte Alcara ihn bewegungsunfähig. Der zweite Bruder entwischte aus dem Schlafzimmer. Mittlerweile war durch den Lärm die halbe Nachbarschaft alarmiert. Alcara hörte erregte Rufe und Geschrei aus allen Richtungen.
"Nimm den zweiten Knaben auch mit! Wir müssen fliehen", befahl Ismael Alcara seinem Sklaven. Dieser gehorchte und griff mit einer freien Hand den am Boden ligenden Jungen. Der ältere Junge kämpfte zwar mit Armen und Beinen gegen den übermenschlichen Griff des Golems an, hatte aber keine Möglichkeit, sich auch nur um einen Millimeter daraus zu befreien. Wie ein Insekt im Schnabel eines Vogels zappelnd mußte der Junge zusehen, wie Alcara aus dem Fenster sprang, wo ein zweites Ungeheuer gerade mit auf das Haus zustürmenden Männern kämpfte. Er sah, wie die Väter seiner Freunde unter gnadenlos eindreschenden Riesenfäusten fielen wie Hirse unter der Sense und ebenso bewegungslos liegen blieben. Abdala wußte, daß er verloren war. Er flehte Allah um Gnade an, die Diener des Höllenfürsten mögen ihn und seinen Bruder freigeben. Er betete sogar Suren aus dem Koran herunter, die ihm als Bannzauber gegen böse Wesen einfielen. Doch diese heiligen Worte wirkten nicht auf den lebendig gewordenen Steinmenschen. Ohne jede Regung sprang der Golem mit seinen Gefangenen aus dem Haus und jagte auf einen bunten Teppich zu.
Von irgendwoher krachten Schüsse und klatschten laut wie Hammerschläge von den künstlichen Kreaturen ab wie von Panzerblech. Abdala betete zu Allah, er möge ihm die Gnade einer verirrten Kugel erweisen, damit seine Seele dem Höllenfürsten entkommen konnte. Dasselbe wünschte er sich für seinen Bruder Tarik. Doch die nun immer heftiger herbeischwirrenden Kugeln trafen ihn nicht. Der steinerne Unmensch hatte ihn und Tarik so vor sich eingezwengt, daß er mit seinen Schultern und dem Kopf jeden Schuß abfing, der einen der Beiden hätte schaden können. Mit rasender Geschwindigkeit eilte er auf den Teppich zu. Da flog ein ölgetränkter Lappen brennend durch die Luft und landete auf dem Kopf des Unirdischen. Abdala hörte es zischen und knirschen. Sein Gegner erzitterte. Der Lappen brannte hell und drang in jeder Sekunde tiefer in den Schädel des Monstrums ein.
Alcara hörte, wie die Menge Johlte und weiterfeuerte. Sein zweiter Diener schirmte ihn vor den Kugeln ab. Doch als er einen weiteren brennenden Gegenstand sah, der von einem wuchtigen Arm geworfen wurde ahnte er, daß er rasch handeln mußte. Er schwang seinen Zauberstab und entließ eine orangerote Flammenfontäne daraus, die wie eine feurige Klinge alles niedermähte, was ihr in die Flugbahn geriet. Der geworfene Putzlappen klatschte zwei Schritte neben dem zweiten Golem zu Boden.
"Verdamme euch der Sheitan, den ihr so fürchtet!" Rief Alcara und schickte einen Feuerball aus, der krachend zwischen den Verfolgern explodierte und mehrere von ihnen mit einem Schlag zu Asche verwandelte.
Auf den Teppich und weg hier!" Rief Alcara, nachdem er mit einem Brandlöschzauber den brennenden Lappen auf dem Kopf des ersten Golems gelöscht hatte. Dieser warf seinem Artgenossen die beiden Kinder zu. Er fing sie auf und sezte sich auf den Teppich.
"Mach sie nieder, wer mir nachwill!" Brüllte Alcara und sah zu, wie der erste Golem nun mit klaffendem Schädel auf die noch herumlaufenden Leute einstürmte und auf sie einschlug und trat. Er saß auf dem Teppich auf und rief ihm zu, loszufliegen. Dann schickte er noch einen Todesfluch gegen einen aufrecht stehenden Mann mit einem Maschinengewehr, der gerade auf den flüchtenden Zauberer losfeuern wollte. Als der grüne Todesblitz sein Opfer traf, sauste der Teppich senkrecht nach oben, in einer Sekunde zwanzig Meter steigend. Als sie über zweihundert Meter über dem Dorf waren griff Alcara in eine Seitentasche seines Umhanges, tippte die hervorgeholte Tonflasche mit seinem Zauberstab an und kippte den schwarzen Inhalt in die Tiefe. Abdala konnte noch ein schwaches Glimmen sehen, als die merkwürdige Flüssigkeit in der Tiefe verschwand.
"Tränen des Todes, Bursche. Das überlebt niemand von denen da unten", ergötzte sich Alcara daran, dem Jungen zu verdeutlichen, daß seine Freunde und deren Verwandte den Besuch des unheimlichen Zauberers und seiner steinernen Diener nicht überleben würden. Er hatte mal etwas vom Tau des Teufels gehört, wie Leute aus der Stadt gefährliche Giftgase nannten, von denen niemand wußte, ob die Regierung oder die Rebellen nicht schon längst welches besaßen. So konnte er sich ausmalen, was die Tränen des Todes anrichten würden, und so weinte er über alle, die er je geliebt hatte, und die nun sterben würden.
Alcara warf die leere Tonflasche fort, als er deren Inhalt über dem Dorf verschüttet hatte. Dann ließ er den Teppich mit höchster Beschleunigung davonschießen. Abdala spürte jedoch keinen Ruck, keine Kraft, die ihn umwarf, als der magische Teppich an Fahrt gewann.
Eine Stunde später hatte Alcara die beiden Jungen in seinem Höhlenversteck an die Wand schmieden lassen und ihnen erneut Blut abgenommen. Abdala, schwach vom Blutverlust und vor Verzweiflung, sah zu, wie sein Peiniger klumpen aus Ton oder Erde damit tränkte und bösartig klingende Zauberworte darüber sprach. Er sah, wie die unförmigen Lehmhaufen Arme, Beine und Köpfe bekamen, immer größer wurden und sich dann reckten und streckten, wie aus tiefem Schlaf erwacht. Sechs dieser Ungetüme wurden auf diese Weise belebt. Abdala sah noch, wie der Meister dieser Bestien mit zweien davonflog, um womöglich noch ein unschuldiges Dorf heimzusuchen, weitere Opfer zu finden. Dann fiel er in Ohnmacht. Sein steinerner Wächter fing weiter Blut aus Abdalas Beinen in großen Bottichen auf. Auch Tarik stand in solchen Bottischen und verlor sein Blut, damit der Meister der Golems damit noch mehr willige Mordgeschöpfe schaffen konnte.
Der 30. Mai war fast verstrichen, als Picklock, der diebische Kobold, vor der großen Tür des FBI-Hauptgebäudes ankam. Anthelia selbst hatte ihn hier abgeladen und eingeschärft, sich nicht erwischen zu lassen. Sie würde ihn aus der Ferne überwachen.
"Die beste Polizei der Welt" grinste Picklock und überspielte damit seinen Frust, wieder als Handlanger für diese böse Hexe herumlaufen zu müssen. "Ich finde bei denen bestimmt was schönes."
Zunächst einmal schlich er unsichtbar um das Gebäude herum, bis er ein Fenster im zweiten Stock sah, das zwar vergittert war aber offenstand. Wie eine Fliege mit Handflächen und Fußsohlen an der glatten Stahlbetonwand haftend sauste Picklock nach oben, bis zum Gitter. Er verfluchte das Schmiedeeisen, aus dem es bestand. Es gehörte wie Kunststoff aus Erdölverbindungen zu jenen Materialien, die seinen Koboldkräften widerstanden, ihn sogar gefangenhalten konnten, wie er zu gut wußte. Das Gitter aufzubiegen war ihm also nicht möglich. Das für ihn unangenehm prickelnde Metall schwächte sogar seine Finger, wenn er es berührte. Also mußte er durch die Wand. Er glitt seitwärts zu einem freien Wandstück, hieb mit seinen Händen dagegen, wobei er die Finger in einer bestimmten Stellung hielt und wurde wie durch eine Schwingtür in den hinter der Wand liegenden Raum geworfen. Kein Alarm ging los. Wieso auch? Durch die Wand konnte ja keiner gehen.
Picklock schloß die Augen. Dadurch wurden seine ohren zwanzigmal so empfindlich wie sonst. Augenblicklich prasselte das Stimmengewirr aus allen Stockwerken und Zimmern auf ihn ein, das Schnarren und Summen von Druckern und Telefaxapparaten, das Klackern von Fingern auf Computertastaturen und Schreibmaschienen, sowie das vielstimmige Konzert klingelnder und summender Telefone. Hier wurde heftig gearbeitet, erkannte der Eindringling. Dann öffnete er die Augen und blendete damit den Umgebungslärm schlagartig aus. Er sah sich um, wo er gelandet war. Das hier war ein Büro. Hier standen ein paar dieser drehbaren Stühle herum, ein großer Computer rauschte vor sich hin, und über dem Bildschirm tanzten gerade bunte Bälle, die ständig ihre Farbe wechselten, wenn sie an die Ecken des Bildschirms stießen. Picklock ließ telekinetisch zwei schreibtischschubladen herausfahren. Die dritte war verschlossen. Wieder einmal hatte jemand den Zweck einer Tür oder Schublade verachtet, weil er ein Schloß davor gemacht hatte. Aber wenn da was wertvolles drin war, dann würde er ...
"Denk nicht daran, Picklock Loluck Habbarzak!" Stach ihm ein Gedanke von auswärts schmerzhaft ins Gehirn. Diese Anthelia wußte also wirklich, was er tat und dachte. Zähneknirschend ließ der Kobold die Schubladen wieder zugleiten und beäugte die Sachen auf dem Schreibtisch. Hier war nichts, weshalb er hier reingekommen war. Anthelia wollte was über einen Richard Andrews wissen, den die vom FBI gefunden haben wollten. Er schloß wieder die Augen und versuchte, aus dem Geschnatter, gesumme, Geklacker und Geklingel was rauszuhören, was ihn weiterbrachte. Irgendwer sagte was von einer Konferenz im Geheimraum. Hmm, wo war der bloß?
Die Bürotür war kaputt. Sie ließ sich nicht einfach aufmachen, wie es sich gehörte. Picklock reparierte sie mit einem magischen Dietrich, der diese lästige Mechanik entkeilte, mit der man eine Tür leicht unpassierbar machte. Lernten die es denn nie, daß man keine türen brauchte, wenn da eh niemand durchgehen sollte? Er lauschte. Manchmal waren an solchen Türen böse Alarmdinger dran, die mit lauten Tönen petzten, wenn wer die Tür aufgekriegt hatte. Doch hier war das wohl nicht nötig. Picklock tat dem Banausen, der die Tür unpassierbar gemacht hatte den Gefallen und schloß die Tür wieder richtig ab. Was sollte es schon. Wenn es den Neddelwocks so gefiel. Ihn hinderte es ja nicht, irgendwo rein- und rauszugehen. Er ging vorsichtig den Stimmen nach, auf die er hörte. Konnte ihm diese Anthelia nicht sagen, wo er eigentlich hingehen sollte? Aber vielleicht verriet ihm wer von denen hier, wo der Raum lag. Er lief auf leisen Sohlen durch die Korridore, an anderen Büros vorbei, fuhr mit zwei Typen in schnieken Anzügen im Aufzug mit, wobei er sich wieder über das blöde Plastik Ärgerte, mit dem diese praktischen Kabinen ausgekleidet waren, mischte sich unter eine Gruppe von anderen schnieken Leuten, auch einige Frauen, die irgendwie wichtig taten und erfuhr durch einige nette Schilder, daß der Konferenzraum 0 irgendwo auf der dritten Etage lag. Na wunderbar! Was wollte er mehr. Immerhin konnte er das Hauptquartier der amerikanischen Neddelwockpolizei in Ruhe besichtigen und sogar dahin, wo irgendwelche Neugierige nicht hinkamen. Sicher, er mußte einige dicke Türen reparieren, damit er durchgehen konnte. Denn einfach durch die Wände zu gehen mußte nicht immer dahinführen, wo's interessant war. Er erinnerte sich noch zu gut, daß er einmal in einem großen Laden durch eine Wand gegangen war und mit beiden Füßen in eine bis zum Rand mit Urin gefüllte Rinne getappt war. Fast hätte ihn noch so'n Neddelwock angestrullt, der erschrocken zusammengezuckt war, weil die Wand schräg vor ihm auf- und zugeklappt war. Nein, wenn es irgendwo benutzbare Türen gab ...
"Und die haben den wirklich gefunden?" Hörte er eine aufgeregte Stimme, die eines jungen Mannes. Schnell drückte sich der unsichtbare Eindringling an die Wand und lauschte. Der Bursche kam gerade mit einem Kollgen um die Ecke.
"So ist es, Jigg", sagte der Kollege, wohl ein alter Hase im Polizeidienst. "Gut, daß wir gerade alle hierhaben, die mit dem Fall zu tun haben."
"Ich dachte, die gehen gleich los und suchen den Typen auf", meinte der Junge, der wohl Jigg genannt wurde. Könnte ein etwas rangniedriger Koboldname sein, vermutete Picklock.
"Die warten auf die Maschine, um hinzufliegen. Der Chef hat's gerade genehmigt, damit wir klarkriegen, ob wir ab morgen wieder normalen Dienst machen können."
"Hoffentlich", sagte Jigg.
Picklock kribbelte es in den Fingern, dem Jungen das etwas aus der feinen Hose herausragende Mobiltelefon zu stiebitzen. Doch wenn Anthelia ...
"Gehst du wohl sofort zu dem Geheimraum und horchst, was da passiert!" Peitschte ein sehr eindringlicher Gedanke durch das durchtriebene Gehirn des Koboldes, der von seinesgleichen händeringend gesucht wurde, weil er Neddelwocksachen sammelte, die keiner von denen zu brauchen schien oder immer wieder neu kriegen konnte.
Picklock eilte weiter, bis er vor einer dicken Stahltür stand. Immerhin, dieser Stahl war nicht zwischen Hammer und Amboss geformt sondern als glühende Masse in Form gebracht worden. Aber die dicke Tür jetzt aufzumachen wäre dumm gewesen. Denn er spürte das Kribbeln elektrischer Ströme in der Tür und darum herum. Da war wohl jemand sehr gemein gewesen und hatte diese Verpetzapparaturen eingebaut. Mußte er halt warten. Er war ja unsichtbar, und solange ihn keiner länger als eine Sekunde berührte fiel die bequeme Aura auch nicht von ihm ab.
Es wurde abend. Irgendwo bimmelte eine Uhr, daß es jetzt Viertel vor zehn war. Leider hatte er die Rollex nicht mitnehmen dürfen, die er sich von einem gutgefütterten Geschäftstypen gepflückt hatte. Anthelia hatte seine Beute eingesammelt. Jetzt mußte er irgendwelche Allerweltsuhren angucken oder drauf hören, wie spät es war. Außerdem war er jetzt ja unsichtbar.
Er legte sein Ohr an die dicke Tür und schloß die Augen. Ein nervtötendes Summen drang ihm ins Ohr. Doch er konnte trotzdem Leute reden hören.
"Wann kommt die Maschine?" Fragte ein Mann sehr genervt klingend.
"Wir werden hier um 22.15 Uhr mit einem Hubschrauber ausgeflogen, direkt zum Inlandsflughafen gebracht. In drei Stunden sind wir wohl da", sagte eine andere Stimme, die befehlsgewohnt klang. Dieses blöde Summen war lauter als eine andre Stimme, die gerade fragte, ob es denn wirklich nötig sei, daß dreißig Beamte gleichzeitig hinflogen. Abgesehen davon könnte man das ja doch auch auf dem Dienstweg regeln.
"Sonderagent Perkins, der Chef hat beschlossen, daß alle, die mit diesem Andrews-Fall zu tun haben klären, ob es wirklich der echte Andrews ist."
"Darf ich vorher noch einmal austreten?" Fragte eine Frau, die einen merkwürdigen Akzent hatte, den Picklock nicht kannte.
"Sie dürfen, Sonderagentin Montes", sagte der, der wohl das Sagen hatte.
Picklock wich rasch zurück, keine Sekunde zu früh. Es surrte und klackerte kurz, dann ging die Tür auf, und eine schwarzhaarige Frau in einem hellgrünen Kleid verließ den Raum. Hinter ihr kam ein Mann mit flachem Kopf und davon abstehenden blonden Haaren heraus. Picklock überlegte, ob er schnell in den Raum hineinschlüpfen und da warten sollte, bis alle hinausgingen oder ...
"Auuuua!"
Anthelia hielt den grünen Weihestein Picklocks in einer Hand. In der anderen ruhte ihr Seelenmedaillon, Dairons mächtiges Schmuckstück, das neben dem Gürtel der zweiundzwanzig Leben Anthelias Macht verstärkte. Sie hatte diesen diebischen Kobold aus dem Versteck geholt, ihn mit ihrem Harvey-Besen unerkannt vor dem FBI-Gebäude in Washington abgesetzt und war dann an einen ruhigen Ort geflogen, von wo aus sie disappariert war. Nun konnte sie Picklock mit dessen Stein und dem Medaillon aus der Ferne überwachen. Der Exosenso-Zauber verband die beiden Artefakte, Anthelia und den Kobold, sodaß sie jeden seiner Gedanken und alles was er erlebte mitbekam. Sie hoffte nur, daß er noch vor der elften Stunde herausbekam, wo der vermeintliche Andrews gefunden worden war und ob er lebte. Denn das sie nicht den wirklichen Richard Andrews hatten, wußte niemand besser als sie selbst. Sie ging jeden Schritt mit Picklock, hielt ihn zweimal davon ab, seinen diebischen Neigungen nachzugeben und gelangte mit ihm vor die Tür des Geheimraums. Dort belauschte sie durch Picklocks Ohren das Gespräch. Das enervierende Summen in der Tür war auch ihr lästig. Aber sie wußte, daß die Unfähigen dieser Tage einen Raum vor kleinen Ohren schützten, die sie Wanzen nannten und über unsichtbare Wellen das was sie hörten weitergaben, wenn man sie nicht überlagerte oder den Strom der Wellen überdeckte. Mithörmuscheln waren da schon praktischer. Außerdem hatte sie vor einer Woche von Dana Moore Langziehohren geschenkt bekommen, die zwei Juxbolde in Hogwarts erfunden hatten, die jetzt jedoch ohne Schulabschluß ein Geschäft für Schabernack aller Art betrieben.
Jemand wollte aus dem Raum. Anthelia fühlte etwas merkwürdiges, als stiege ein Nebel auf, der langsam alles verschleierte. Dann ging die Tür auf.
Anthelia wußte nicht, wie ihr geschah. Ein schriller Ton, der ihr dolchartig in den Kopf drang, ein greller Lichtblitz und das Gefühl, gegen eine dicke Betonmauer zu prallen, warfen sie mehrere tausend Kilometer von Washington entfernt nach hinten über. Ihr Kopf schien zu explodieren, und durch ihre Arme schoss ein brennender Schmerz, sodaß sie Stein und Medaillon losließ. Sie sah noch, daß sie auf dem Boden ihres Gemaches Lag, bevor sich alles vor ihren Augen zu drehen begann. Keuchend kämpfte Anthelia gegen die drohende Ohnmacht. Sie griff nach dem Medaillon, fühlte, daß es merkwürdig heiß geworden war und konzentrierte sich auf eine Formel, die ihr neue Energie zuführte. Um sie herum leuchtete es für drei Sekunden grünlich-blau. Energieströme aus dem kosmischen Gefüge bündelten sich und flossen in sie über. Langsam kehrten ihre Sinne und ihre Körperkräfte zurück. Wie gut, daß sie auch die mächtigen Zauber der Heilkunst gelernt hatte, nachdem sie fünf Jahre lang Pflegehelferin in Beauxbatons gewesen war. Dann war sie wieder vollkommen Herrin ihrer Sinne.
"Höchste Schwester, ist was passiert?" Rief Dido Pane besorgt. Anthelia ließ ihre geistigen Fühler hinauswandern und fühlte die besorgnis an der Oberfläche von Didos Geist. Das Mädchen, daß längst nicht mehr wußte, daß es über elf Jahre lang ein Junge gewesen war, machte sich echte Sorgen um die Gebieterin.
"Nein, Schwester Dido, es geht mir wieder gut. Ich habe nur etwas versucht, das ich lange nicht mehr versucht habe. Ich muß es wieder üben", log anthelia. Sie wollte nicht zugeben, daß ihr gerade etwas unerwartetes passiert war. Irgendwas hatte ihre durch Medallion und Stein vervielfachte Verbindung zu Picklock massiv unterbrochen. Das durfte in einem Muggelgebäude nicht passieren. Wie genau war das passiert? Anthelia versuchte, sich zu erinnern, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte. Picklock hatte an der Tür gelauscht. Dann wollte wohl jemand den Raum verlassen. Anthelia hatte eine Frau mit leicht spanischem Akzent gehört, die wohl die Toilette besuchen wollte. Dann war dieser heftige Schlag gegen ihre Sinne erfolgt und hatte den Zauber brutal gebrochen, mit dem sie Verbindung zu Picklock gehalten hatte. Das durfte den Muggeln nicht möglich sein. In einem Zaubereiinstitut, dem Ministerium, einer Schule wie Beauxbatons oder einem Quartier selbstherrlich selbstlos tuender Bruderschaften war das immer zu erwarten oder garantiert, aber nicht im Gebäude von Muggeln.
Anthelia fühlte etwas merkwürdiges, das ihr nicht gefiel: Irgendwer hatte sie einfach zurückgestoßen, niedergekämpft, ohne groß anzukündigen, daß er es jetzt tat. Sie überlegte, ob sie selbst in das Gebäude apparieren und das ganze aufklären sollte. Dann fiel ihr ein, daß ihr Tarnumhang bei Patricia Straton war, die für sie einen Besuch in Thorntails machen sollte, um zu prüfen, ob an den Gerüchten etwas dran war, daß Nirvana Purplecloud eigene Wege beschritt. Sicher konnte sie sich selbst unsichtbar machen. Doch konnte sie nicht apparieren, ohne ihre Unsichtbarkeit zu verlieren, weil der Ortsversetzungszauber den Unsichtbarkeitszauber aufhob. In dem Gebäude waren bestimmt diese künstlichen Fernsehaugen und Fernhörohren verbaut. Sichtbar im Bereich solcher Spähinstrumente zu apparieren war zu riskant, solange es nicht absolut notwendig war. Sie versuchte, erneut mit Picklock Verbindung aufzunehmen. Doch erneut prallte sie gegen eine magische Mauer aus Licht und Lärm. Irgendwas wehrte ihren Exosenso-Zauber ab, den sie erst einmal auf die einfache Weise wirken wollte, um nur die Sinneswelt des Koboldes zu empfinden. Doch schon das gelang nicht. also hatte jemand den Kobold in einen Klangkerker oder andersartigen Hüllzauber getaucht. Anthelia ahnte, daß sie den Kobold in eine Falle geschickt hatte, die auch ihr zum Verhängnis werden konnte. Doch wenn sie nicht wußte, wo der Kobold war und wie es ihm erging, konnte sie nicht eingreifen. Vielleicht war er noch unsichtbar und konnte entrinnen. Doch als sie nach zwei weiteren Versuchen wieder am Rande einer Ohnmacht balancierte, ließ sie es bleiben. Sie fühlte, wie der Gürtel um ihre Hüften pulsierte und sie ermüden ließ. Sie hatte zu viel Kraft aufgewendet, und der Gürtel verlangte nun nach den acht Stunden Schlaf, um ihr weiterhin zu dienen. Anthelia verwünschte den Kobold, zog ihr Nachtzeug an und ging schlafen. Morgen wollte sie selbst nach Washington, um zu sehen, was passiert war.
Als der Krach im Dorf losging war Jorge Esteban gerade auf dem Rückweg. Der Mitarbeiter der Menschenrechtsgruppe Mundus Humanus hatte hier seit zwei Jahren einen guten Unterschlupf. Er war hier, um die Opfer des anhaltenden Bürgerkrieges zu versorgen und die durch Gefechte gefährdete Trinkwasserversorgung zu sichern. Zwei Wasseraufbereitungsanlagen, die den Bewohnern das trübe Flußwasser trinkbar machten, wurden von ihm gewartet. Der Ingenieur aus Cordoba, Spanien hatte in diesem Dorf in den Bergen sogar eine Familie gegründet. Layla, seine Frau, sowie sein gerade ein Jahr alter Sohn Mauro wohnten in einem kleinen Haus nahe dem Kadi, was ein Ehrenplatz war. Der Wasseranlagenspezialist galt hier sogar als eine Art guter Zauberer, den Allah gesandt hatte, um seine Kinder vor den Folgen des Krieges zu schützen.>
Layla kam ihm angstvoll entgegen. Mauro lag wimmernd in ihren Armen.
Jorge, wir müssen fliehen. Ein böser Zauberer mit zwei Golems ist in das Dorf gekommen. Wir haben zwar versucht, ihn abzuwehren, doch es gelang nicht. Wir müssen fliehen."
"Ein was?" Fragte Jorge, der meinte, sich verhört zu haben. Das Wort Golem kannte er aus der Sagenwelt, aber nicht im Bezug auf den Sudan. Dann sah er in der Ferne das graue Ungetüm, mehr als zwei Meter groß, das sich den Weg durch aufgeregte Menschen kämpfte wie eine Dreschmaschine durch ein Weizenfeld. Jorge warf einen Blick zum Haus von Mustafa, dem Schmied. Es brannte. Dann sah er etwas rechteckiges, das etwa zweihundert meter vor ihm nach oben stieg und hörte verzweifelte Schreie. Es war kein Flugzeug, soviel erkannte der Ingenieur.
"Das gibt es doch nicht", sagte er laut. Dann hörte er aus weiter Ferne "Avada Kedavra!" Ein grüner Blitz zuckte auf. Dann war das rechteckige Ding weit nach oben geschnellt und flog nun wie ein angriffslustiger Raubvogel über dem Dorf herum.
"Du hast recht, wir müssen hier weg", sagte Jorge, als der graue Gigant aus lebendigem Erdreich durch die Häuser brach und auf sie zuwalzte. Seine Frau nickte. Dann griff sie unvermittelt seine rechte Hand. Sie sah noch nach oben und erkannte, wie etwas violett schimmerndes wie brennender Regen herabfiel. Sie erschrak. Doch dann passierte etwas, das dem Ingenieur noch nie zuvor widerfahren war. Schlagartig löste sich die Umgebung auf. Er meinte, in einen rasenden Wirbel aus Farben zu stürzen, eingehüllt von unfassbaren Geräuschen. Dann war es auch schon wieder vorbei. Doch was war das. Sie standen nicht mehr am Rande des Dorfes, sondern mitten im Gebirge. im Osten konnte er einen Lichtfleck ausmachen, die Nachtbeleuchtung einer Stadt. Das war unmöglich! Wie kam diese Stadt auf einmal dort hin. Wieso standen sie nicht mehr bei dem Dorf. Ein wahnwitziger Gedanke kam ihm. Nicht die Stadt war zu ihnen gekommen, sondern sie waren in die Nähe der Stadt gekommen, einfach so, ohne einen Schritt getan zu haben. Das war absolut unmöglich. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse schlossen das aus. Der Raum war kein Medium, aus dem man heraustreten und andernorts wieder eintreten konnte. Denn genau das hätten sie tun müssen, um innerhalb einer kurzen Zeit mehrere Dutzend Kilometer zu überspringen, weil die nächste Stadt 50 Kilometer entfernt lag. Doch das ging nicht. Das, was utopische Geschichtenerzähler Teleportation nannten, war absolut unmöglich!
"Was ist mit uns passiert?" Fragte er perplex. Er sah seinen Sohn, der immer noch wimmernd in den Armen seiner Mutter lag, den immer noch verhältnismäßig großen Kopf an die linke Brust seiner Mutter gelehnt.
"Ich mußte eine goldene Regel brechen, Jorge. Dieser böse Zauberer hat den Regen Sheitans, die Tränen des Todes versprüht, einen Trank, der durch ein Zauberwort angeregt wird, im Fallen alles Leben in zwei Schritt umkreis eines Tropfens zu töten. Hätte uns einer der Tropfen noch getroffen wären wir alle drei sofort bei lebendigem Leibe verwest und eine Minute später zu Staub zerfallen. Ein grausamer Fluch."
"Fluch? Zauberer? Jesus Cristo, was redest du da? Und wie sind wir auf einmal hier bei einer großen Stadt?"
"Ich mußte mit dir und mauro den schnellen Weg gehen. Dies ist die hohe Kunst, jeden Ort innerhalb einer winzigen Zeit zu erreichen. Ich wollte und durfte es dir nie sagen, weil ich selbst erforschen wollte, wie es sich zwischen Leuten lebt, die nicht unsere Gaben erfahren haben und nicht an die Macht der Magie glauben können. Aber der böse Magier hat mich gezwungen, dich, mich und Mauro zu retten. Denn unser Leben ist mir mehr wert als ein Geheimnis."
"Zauberei? Das kannst du nicht ernsthaft gemeint haben, Layla", sagte Jorge. "Alle Wissenschaftlichen Erkenntnisse ..."
"können mit Magie nichts anfangen und lassen sie daher nicht existieren", sagte Layla nun sehr entschlossen wirkend.
Es knallte und ploppte um die Familie herum. Männer in mondhellen Gewändern standen da, hielten schlanke Stäbe in ihren Händen. Layla machte eine weitläufige Geste und rief:
"Ich mußte fliehen. Das ist mein Mann, der Vater meines Kindes. Unser Dorf wurde von einem Gebieter über Golems überfallen."
"Du bist Layla, die Tochter von Hassan, dem Meister des Wüstenwindes?" Fragte einer der plötzlich aufgetauchten Männer.
"Ja, das stimmt, Davud Ben Sadek. Ihr könnt mich auf den Stuhl der Wahrheit setzen, und er wird zeigen, daß ich euch nicht anlüge", sagte Layla. Jorge meinte immer noch, in einem falschen Film oder einem verrückten Traum zu sein. Dann ergriffen ihn zwei der Ankömmlinge, nicht gewaltsam, aber bestimmt und führten ihn zusammen mit Layla und Mauro zu einer Stelle, die von der Stadt aus nicht zu überblicken war. Wieder stürzte Jorge aus dem Normalraum durch ein Farbenspiel und Schwerelosigkeit. Dann standen sie in einem Saal, der mit Teppichen und Statuen ausgeschmückt war.
Jorge erfuhr, daß seine Frau vor Jahren Gefallen an der nichtmagischen Welt gefunden hatte, obwohl ihr Vater gewünscht hatte, sie möge einen Zauberer heiraten. Doch ihre Großmutter hatte ihr wahrgesagt, daß sie erst im Verzicht auf ihre Kräfte ihre wahre Bestimmung finden würde. So hatte sie sich in das Bergdorf zurückgezogen, um dort einstweilen ohne Zauberei auszukommen. Dann habe sie Jorge getroffen und sich erst amüsiert, weil man ihn für einen Zauberer hielt. Aus dem Vergnügen war Freundschaft, dann Zuneigung und schließlich ehrliche Liebe geworden. Sie hatte Jorge geheiratet, ihm die Sprache ihrer Väter beigebracht und mit ihm den Jungen Mauro bekommen. Ob dieser Knabe einmal zaubern konnte mußte eine Prüfung zeigen, die erst in vier Jahren, an seinem fünften Geburtstag fällig geworden wäre. Bis dahin hätte sie Jorge vorsichtig über sich aufgeklärt. Doch nun, wo dieser Golemführer aufgetaucht war, hatte sie ihr Geheimnis schlagartig preisgeben müssen. Jorge verstand, daß es in der Welt wahre Zauberer gab, gute, neutrale und böse, wie es bei Menschen eben so ist. Mit den Händen auf einer mit merkwürdigen Symbolen beschriebenen Goldplatte hatte er schwören müssen, niemanden aus der nichtmagischen Welt von dem zu erzählen, was er gerade miterlebt hatte und noch miterleben würde. Als er "Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist" gesagt hatte, hatte die Platte kurz aufgeleuchtet. Irgendwie meinte er, ein schwerer Panzer sei ihm auf den Körper gelegt worden. Doch das Gefühl verflog. Davud ben Sadek sagte ihm noch:
"Du wirst diesen Schwur halten. Versuchst du ihn zu brechen, wirst du mit einem Schlag alles vergessen, von der Stunde deiner Geburt bis zum Augenblick des Eidbruchs. Also hüte dich, wenn du dein Leben weiterführen willst!"
Mit Layla war Jorge auf nichtmagische Weise in die Hauptstadt gefahren, wo er die Regierung von einem Rebellenüberfall unterrichtete. Von den Golems und ihrem Meister durfte er ja nichts erzählen. Als einen Tag später ein Offizier der regierungstreuen Armee ihn verhörte, was genau passiert sei, ahnte Jorge, daß mit dem Dorf wirklich etwas schreckliches passiert sein mußte. Später erfuhr er, daß sich dort niemand länger als eine Minute ungefährdet hätte aufhalten können. Sie konnten nicht sagen, was es war, doch es durchdrang selbst die Schutzanzüge, die gegen Strahlung, Nervengas und aggressive Krankheitserreger schützen sollten. Auf diese Weise hatten dreißig Soldaten ihr Leben verloren, die auf dem Boden des völlig menschen- und tierleeren Dorfes herumgelaufen waren.
Die Sache wurde von der sudanesischen Regierung zur Geheimsache erklärt. Denn ein Kampfstoff, der sogar ABC-Schutzausrüstungen durchdrang, war zu schrecklich, um allgemein erwähnt zu werden. Niemand glaubte an einen Fluch, der von einem bösartigen Gebräu übertragen worden war.
Layla jedoch erzählte das mit den Golems einer Cousine, die Freundinnen in Algerien, Ägypten, Spanien und Frankreich hatte. So fing sich die Nachricht auch im Netz von Anthelias Spinnenorden.
Picklock hatte dieser Frau nur für eine Sekunde in die Augen gesehen, als es über ihn hereinbrach. Es war, als würde jemand ihm mit einem Ruck alle Haut vom Scheitel bis hinab zu den Fußsohlen vom Körper reißen. Um ihn herum knisterte und knatterte die Luft in einem silber-blauen Funkenregen. Auch schien irgendwas ihm aus dem Kopf gerissen zu werden. Er schrie vor Schmerz auf.
Maria Montes hatte die Stahltür passiert und blickte sich um. Zachary Marchand war hinter ihr. Er wollte auch zur Toilette. Oder wollte er vielleicht jemanden informieren, was hier gerade passierte? Sie wußte es nicht genau. Doch als sie ein kurzes Vibrieren unter ihrer linken Brust fühlte und eine Wolke winzigster elektrischer Entladungen vor sich aufleuchten sah, waren diese Gedanken völlig nebensächlich. Eine schrille Stimme zwischen Jungen und Mann schrie "Auuua!!" Dann sah sie den kleinwüchsigen Burschen mit der dunklen Haut und den Spitzen Ohren vor sich stehen. Das war eindeutig kein Mensch, und der hatte eben, als sie herauskamen auch noch nicht dort gestanden.
"Geh zur Seite, Maria!" Zischte Zachary Marchand. Doch Maria stand perplex da und sah den kleinen Kerl in der blattgrünen, maßgeschneiderten Jacke mit den Goldknöpfen und der kirschroten Pluderhose an, der sie aus dunklen Augen gepeinigt anblickte. Sie starrten sich an, als wären sie Gespenster füreinander. Dann schnaubte das kleine Kerlchen:
"Horlnuck! Tat das weh!" Es warf sich herum und lief los. Maria stand immer noch starr da. Ein Stoß in den Rücken warf sie nach vorne über.
"Bleibst du wohl stehen, Garagaglunk!"
"Du Haufen Horlnuck nennst mich nicht ..." Fauchte der winzige Mann, der sich noch einmal umgedreht hatte, weil jemand hinter ihm ihn als Sohn einer Zwergin bezeichnet hatte.
"Stupor!" stieß Marchand aus. Aus seinem Jacketärmel lugte die Spitze eines Zauberstabes, aus dem ein roter Blitz fuhr, über Marias am Boden liegenden Körper fegte, wie gegen eine Mauer prallte und pfeifend quer zur Flugbahn davonprallte, um mit dumpfem Knall gegen die Wand zu schlagen, wo er einen dunklen Brandfleck hinterließ. Der Kobold, der gerade noch wütend auf den Mann losgehen wollte, der ihn als Zwergensohn bezeichnet hatte, erkannte, daß er fast in eine Falle gegangen wäre, grinste plötzlich hämisch und rannte dann davon. Marchand fluchte wie ein New Yorker Taxifahrer, dem die Vorfahrt genommen wird und hechtete an Maria vorbei, die jetzt erst kapierte, warum marchand sie umgestoßen hatte und daß der FBI-Mann, der als verdeckter Agent der Zaubererwelt arbeitete, den kleinen Kerl mit einem Bann belegen wollte, der jedoch die Aura ihres Kreuzes getroffen und von dieser abgewiesen worden war. Ihr kleines Silberkreuz, das sie nie ernsthaft für ein magisches Artefakt gehalten hätte, war tatsächlich ein Schmuckstück mit einer für sie unbegreiflichen Wirkung. Es hatte sie vor echten Dämonen gerettet und konnte schädliche Zauber von ihr fernhalten. Deshalb hatte sie es auch gerade wieder gespürt. Dieser Kerl, was auch immer er war, hatte unsichtbar vor ihr gestanden. Ihr Kruzifix hatte diese Unsichtbarkeit, wohl auch ein Kraftfeld um den Fremden, zerstreut, was diesem wohl höllisch wehgetan hatte. Was wollte dieser Kerl hier? Galt dieser Vorfall ihr oder Zachary Marchand?
Picklock erkannte, daß er gerade noch einmal Glück gehabt hatte. Was immer es war, es hatte den ihm geltenden Schockzauber abgelenkt. Jetzt mußte er machen, daß er wegkam. Er begriff, daß er seine kostbare Unsichtbarkeitsaura verloren hatte. Irgendwas hatte sie ihm mit ganz fieser Gewalt vom Leib gerissen und zerbröselt wie Steinstaub. Er brauchte drei Sekunden, um eine neue Aura der Unsichtbarkeit aus sich herausströmen zu lassen. Doch diese drei Sekunden hatte er im Moment nicht, weil der Zauberer hinter ihm herlief. Es würde nicht lange dauern, bis er ihm noch mal diesen roten Schocker überbraten würde. Außerdem konnten ihn jetzt die Kameras sehen. Was war also zu tun? Es blieb nur der Weg durch die Erde. Aber diese Böden hier waren mit dünnen PVC-Schichten bedeckt, verwünschenswertem Plastik, durch das er nicht einsinken konnte. Er rannte also herum, versuchte, durch Türen zu gelangen, bis er endlich eine Wand fand, die er als Durchlass benutzen wollte und ...
Ein stechender Schmerz fuhr in sein Bein. Außerdem rüttelte ein Knall an seinen Trommelfellen. Jemand hatte ihm eine Bleikugel ins Bein geschossen. Picklock humpelte nun mehr als er lief. Ein Mann in Uniform sprang ihm in den Weg und packte ihn. Mit eisernem Griff wurden ihm beide Arme auf den Rücken gedreht. Er schrie erschrocken auf. Da schlossen sich zwei Metallringe um seine Handgelenke. Doch sie schlossen nicht zu eng. Wenn er wollte, konnte er seine Hände da wieder rausziehen. Außerdem waren die Dinger bestimmt leicht zu öffnen, wenn er einen Augenblick zeit hatte ...
"Ah, O'Grady. Schön, daß Sie den erwischt haben", keuchte der blonde Zauberer.
"Was war denn da eben los?" Fragte der Mann, der Picklock gerade festgenommen hatte.
"Irgendwie ist der unter allen Kameras durch und wollte wohl unsere Konferenz belauschen. Ich weiß nicht, wo der herkommt."
"Du lügst, du Haufen Horlnuck!" Fauchte Picklock. Wenn er denen jetzt auftischte, daß der Blonde ein Zauberer war, konnte er sicher genug Verwirrung stiften, um abzuhauen.
"Das wird sich finden. Mußte dem Typen ins Bein schießen. Der hat nicht auf meinen Anruf gehört", sagte O'Grady. Sollen wir den ins Gefängniskrankenhaus bringen?"
"Glaub dem Typen kein Wort. Der is'n Zauberer, der jeden ganz böse in einen Regenwurm verwandeln kann!" Rief Picklock. Doch der Blonde lachte anstatt erschrocken dreinzuschauen.
"Klar, 'n Zauberer wie Gandalf oder Merlin oder was?" Erwiderte O'Grady. Der blonde Zauberer lachte immer noch. Inzwischen war auch die Frau mit den schwarzen Haaren wieder aufgetaucht. Picklock fühlte ein Prickeln auf der Haut, das Nachließ, als er sich entspannte. Im Griff dieses Neddelwocks konnte er sowieso nicht unsichtbar werden. Er mußte also versuchen, dem Kerl zu entwischen. Diese Bleikugel tat ihm zwar höllisch weh, aber er würde sie bei nächster Gelegenheit aus dem Bein herausholen. Heilen mußte ihn dann aber eine Koboldpflegerin, und das konnte bitter enden, wenn die amerikanischen Kollegen von denen aus England gehört hatten, daß er ihnen entwischt war und nun hier sein Wesen trieb. Hinzu kam noch Anthelia. Ja, er mußte sie rufen. Wenn sie was von ihm wollte, sollte sie mal was dafür tun.
"Hilfe, Anthelia!" Rief Picklock in Gedanken. Laut durfte er sie nicht rufen, weil das ihm höllische Schmerzen bereiten würde. Dafür hatte diese Hexe gesorgt. Doch keine Antwort kam. Eben war sie doch noch in seinem Kopf gewesen, hatte ihn getadelt, nur weil er ein neues Handy haben wollte. Jetzt war sie nicht zu hören.
"Bring den Typen in den Verhörraum. Ich denke, ich sollte mich mit ihm unterhalten", sagte der Blonde. Der Mann mit den dunkelbraunen Haaren, der Picklock festhielt nickte. Er schob den Kobold voran.
"Das ist doch kein menschliches Wesen, Zach", fauchte Maria. "Was passiert wenn der auch zaubern kann", flüsterte sie noch und hoffte, daß die vielleicht hier verborgenen Mikrofone das nicht mitkriegen würden.
"Psst, Maria. Ich weiß nicht, ob die Wände hier keine Ohren haben. Warum bist du nicht zur seite gegangen, mindestens zwei Schritte?" Grummelte Marchand.
"Ich dachte, du dürftest hier nicht rumhexen", fauchte Maria.
"Darf ich mal fragen was genau passiert ist?" Wollte Mr. Montano wissen, der über den Radau im Korridor informiert worden war. Maria überließ es Marchand, ihm was zu erzählen, da sie davon ausging, daß der Zauberer im Polizeidienst bestimmt Übung in sowas hatte. Tatsächlich erzählte Marchand ihm von einem kleinwüchsigen Spion, der sich wohl unter allen Kameras hindurchgeschlichen und wohl an der Tür zu lauschen versucht hatte. Man sei dann wohl über ihn gestolpert. Montano fragte, ob man den Spion denn erwischt habe. Marchand nickte und bestätigte, das Sicherheitsmann Sean O'Grady den Spion hätte festnehmen können. Montano lief los, um sich zu erkundigen, wohin der Spion gebracht würde."Bueno, Zachary. Jetzt ist das Chaos komplett", fauchte Maria, die sich ungefragt als Mitverschwörerin in einem Komplott fühlte.
"Wenn O'Grady den ins Verhörzimmer bringt, kann ich ihn da ausquetschen und vorher noch die Leute vom K-Büro herholen, die ihn dann abführen. So oder so muß dieser Wicht aus dem Gebäude raus."
"Was ist denn das für einer gewesen?" Fragte Maria. "War das ein Troll oder ein Kobold oder Leprechan."
"Ein hundsordinärer Kobold, allerdings wohl einer, der mit seinen Artgenossen wohl nicht gerade gut klarkommt. Der stand unsichtbar vor der Tür und hat wohl mit seinen überfeinen Öhrchen an der Tür gelauscht", flüsterte Marchand. "Kobolde können nämlich zwanzigmal so gut wie Menschen hören, sobald sie in totaler Finsternis herumlaufen oder die Augen fest schließen."
"Ja, und wer schickt uns so einen?" Zischte Maria so leise, daß sie hoffen konnte, daß die Mikrofone, falls hier welche waren, über den Lärm, den die Festnahme eines Spions bereitet hatte, nichts auffangen würden. Dann meinte sie:
"Ich muß jetzt aber doch mal wohin, Zach. Wir sehen uns dann gleich im Konferenzraum wieder."
"Geht klar", sagte Zach Marchand laut. Dann eilte er in eine andere Richtung davon. Er suchte sich ein leeres Treppenhaus, lief darin bis ganz nach oben und disapparierte dann so sachte es ging, um nicht mit lautem Knall noch mehr Pferde scheu zu machen. Keine Minute später wußte das amerikanische Zaubereiministerium von dem Eindringling. Zwei neutral gekleidete Unfallumkehrzauberer apparierten vor dem FBI-Gebäude, zeigten Zutrittsberechtigungsausweise vor und suchten die Muggel auf, die Marchand für nicht eingeweiht erklärt hatte. Dazu gehörte auch O'Grady, der gerade mit schmerzverzerrtem Gesicht um eine Ecke kam und einen blutigen Arm hochhielt.
Picklock hatte nämlich nicht vor, sich von Neddelwocks blöd ausfragen zu lassen. Wenn dieser Zauberer ihn irgendwo alleine hatte, könnte der auf Ideen kommen, die ihm bestimmt nicht gefielen. Deshalb hieß es jetzt, einen schnellen Abgang hinzulegen. Blitzartig zog der Kobold die schmalen Arme und Hände aus den Handschelllen. O'Grady war zwar für eine Sekunde verwirrt. Doch dann sprang er dem gerade losspurtenden Kerlchen nach, bekam ihn am Kragen zu fassen und fühlte plötzlich reißnägelspitze Zähne in seinen rechten Arm eindringen. Er ließ los, während der kleine Mann davonrannte, auf die Wand zuraste, seine Hände vorschnellen ließ und dann wie durch eine Schwingtür in der Wand verschwand. O'Grady sah, wie Blut durch den Ärmel seiner Uniform sickerte. Er begriff, daß ihn dieser Kerl ausgetrickst hatte. Er hatte ihn gebissen und war dann auf irgendeine Weise durch die Wand geschlüpft. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen.
Picklock jagte durch das Gebäude. Er suchte und fand einen Boden, der nicht mit Plastikfolie überzogen war und verschwand auf schnellstem Wege.
Die Zauberer der Unfallumkehrtruppe versorgten O'Grady mit einem Trank und einer Heilbehandlung gegen Koboldfieber, modifizierten die Gedächtnisse der Beteiligten, von Maria Montes abgesehen, die glaubte, der Kobold sei einfach geflüchtet. Die FBI-Agenten wurden wie geplant mit dem Hubschrauber abgeholt. Marchand blickte dabei merkwürdig drein. Als er nämlich seinen Leuten nicht nur von dem Kobold erzählt hatte, sondern auch, daß man den echten Richard andrews gefunden hatte, hieß es nur, das war zu erwarten, da Richard Andrews bestimmt nichts mit der Zaubererwelt zu tun gehabt haben konnte und daher von Muggelverbrechern entführt worden sein mußte.
Als die Agenten des FBI dann einem Mann vorgestellt wurden, der vom Aussehen und der Stimme her zu den Unterlagen über Richard Andrews paßte, fragten sie ihn bis sieben Uhr morgens über seine Gefangenschaft in der Gruppe der sogenannten Bonamoristen aus, die zum ziel hatte, alle verlogene und käufliche Liebe der Welt auszurotten. Natürlich konnte der Mann, der sich Richard Andrews nannte, nicht alles darüber erfahren haben. Doch er erwähnte, daß er einige der Leute gesehen hatte, die ihn gefangengenommen hatten. Über das Motiv, warum ausgerechnet er gefangengenommen worden sei, ließ sich der Mann, der sich Richard Andrews nannte, nicht weiter aus. Er sagte, er wisse das auch nicht. Vielleicht habe man einen Wissenschaftler gebraucht, um an irgendwas ranzukommen und habe wohl einen Umweg eingeschlagen. Er sei zu seiner Familie ausgefragt worden, teilweise mit Wahrheitsdrogen oder Folter. Er konnte sogar kleine Narben vorweisen, die seine Geschichte stützten. Es wurde beschlossen, mehr über diese Gruppe herauszufinden und Richard Andrews solange ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Einen Wunsch sollte man ihm aber noch erfüllen. Er wollte mit seiner Exfrau sprechen.
Marchand ärgerte sich, daß er keine Gelegenheit bekommen hatte, mit dem Mann alleine zu sprechen. Doch der Laroche-Fall in New Orleans forderte seine Rückkehr am frühen Morgen, wo noch alle beim Verhör waren. Es lag also an ihm, herauszufinden, wo sie ihn hinbringen würden. Doch er wußte, daß zu schützende Tatzeugen von einem möglichst kleinen Kreis betreut wurden und längst nicht jedem Polizisten oder FBI-Agenten gestattet wurde, Aufenthalt und neue Identität des Zeugen zu erfahren. Zu gerne hätte er ihn gefragt, was sein Sohn gerade in Beauxbatons lernte, ob er immer noch Probleme mit Hexen und Zauberern hätte und all die Fragen, die nur der echte Andrews hätte beantworten können. Denn Marchand wußte, daß der Mann, den sie da verhört hatten, nicht der echte Richard Andrews sein konnte. Er nahm sich vor, Minister Pole selbst dazu zu befragen.
Machmud Fayet fluchte, weil der Motor seines alten, klapperigen Lastwagens mal wieder kurz davorstand, seinen ohnehin schon schwachen Geist aufzugeben. Tuckernd und Stotternd quälte sich der vom Rost übersähte 40-Tonner aus den 50er-Jahren über die staubige, schotterige Landstraße. Machmud fühlte, wie die Kräfte des betagten Motors immer wieder nachließen und dann ruckartig wieder zugriffen.
"Zum Sheitan mit dieser Karre!" Knurrte Fayet. Dann krachte es unüberhörbar, dann knirschte es laut und unheilvoll, und der geschundene Motor schwieg endgültig. DA Fayet gerade einen Hügel hinabfuhr, glitt der alte Laster antriebslos weiter, bis er in der Senke ankam und an der nächsten Steigung ausrollte. Machmud betätigte die Pressluftbremsen mit voller Kraft. Zischend wurden die Bremsbacken gegen die -scheiben gedrückt. Dann krachte es metallisch, und der Wagen begann, rückwärts zu rollen.
Nein!" Rief Machmud und trat erneut auf die Bremse. Doch der alte Lastwagen wollte nicht mehr bremsen. Machmud betete, daß er in der Senke zwischen den Hügeln stoppen würde und hielt das Steuer so fest, als wolle er es nie wieder loslassen. Tatsächlich rollte der Laster erneut aus, stand für einen Moment still und rollte einige Meter nach vorne, bis endlich jede schlummernde Bewegungsenergie verbraucht war. Zwischen zwei Hügeln stand der LKW nun fahruntüchtig da. Machmud hieb mit der verschwitzten rechten Faust auf das Armaturenbrett, als wolle er seinen rostbefallenen Laster bestrafen, weil der einfach schlappgemacht hatte und nebenbei noch die Bremsen eingebüßt hatte.
"Soll die Hölle diese Karre fressen!" Fluchte Machmud und griff sich seinen Lederrucksack, in dem neben zwei Thermosflaschen, eine für Tee und eine für hochprozentiges, noch ein Fladenbrot, Ziegenkäse und ein hochmodernes Satellitentelefon und ein GPS-Gerät verstaut waren. Mit dem Positionsfinder stellte er die ungefähren Koordinaten fest, verglich sie mit der Karte und erkannte, daß er dreißig Kilometer nordöstlich von Kartum festhing. Dann prüfte er das Satellitentelefon, hielt dessen Parabolantenne zum Fenster hinaus und wählte die Nummer seines persönlichen Mechanikers.
"Ist mir klar, daß du vor morgen nicht hier bist, Bango. Aber komm bitte her. Ich habe 'ne Ladung Bauholz für die Hauptstadt und wolte die heute noch abliefern. Wird schon teuer genug, denen die Konventionalstrafe hinzublättern."
"Nachdem, was du mir erzählt hast brauche ich nicht zu kommen. Dein Wagen ist nun endgültig schrottreif. Am Besten schicke ich dir 'n Taxi aus der Hauptstadt. Kommt dich billiger, und blechen mußt du ja eh."
"Du hast sie wohl nicht mehr alle. Ich muß die Ladung abliefern. Sonst kriegen die von dem Forstladen mich auch noch wegen Ladungsverlustes am Arsch", protestierte Machmud. Dann horchte er. Ein merkwürdiges Geräusch war von draußen hereingeweht worden. Es klang wie weit entferntes Donnern oder Stampfen.
"Dann ruf den Abschleppdienst an, Machmud. Das ist der Preis der Freiheit", lachte Bango.
"Ich gebe dir gleich Preis der Freiheit!" Blaffte Machmud und lauschte wieder auf diese Geräusche, die lauter wurden, als käme etwas näher, das laute stampfende Schritte machte, schritte wie eine Armee marschierender Riesen, dachte Machmud und fröstelte trotz der hohen Temperaturen.
"Allah, sei mir gnädig!" Betete Machmud halblaut. Bango, der nicht so gottesfürchtig war wie der selbständige Lastwagenfahrer lachte und meinte:
"Kann sein, daß nur Allah deine Schulden bezahlen kann, die du dann hast." Normalerweise hätte Fayet ihn dafür anfahren müssen, wie unverschämt und frevelhaft er sprach. Doch seine Aufmerksamkeit wurde von der Staubwolke gefangengenommen, die anzeigte, daß etwas von hinten auf ihn zurückte. Dazu klang das schnelle, rhytmische Stampfen immer bedrohlicher. Dann schrak er zusammen, als etwas von oben herniederstieß wie ein Adler. Machmud zweifelte an seinem Verstand, als er eine menschliche Gestalt in einem himmelblauen Umhang erkannte, die rittlings auf einem Besen saß und mit einem eleganten Schwung die hohe Fluggeschwindigkeit abbremste und punktgenau neben dem Vorderrad an der Fahrerseite des Lastwagens landete. Machmud traute seinen Augen nicht. Er meinte:
"Das gibt es nicht. 'ne Frau auf einem Besenstiel", sagte er laut. Bango hörte wohl noch mit.
"Heh, Sie! Von hinten rückt eine Armee von Steinmonstern an. Kommen Sie raus und zu mir!" Klang die Stimme der unheimlichen Frau, die keinen Schleier trug und wohl in Europa geboren worden war, der hellen Haut und des sonnenhellen Harres wegen.
"Das gibt es nicht!" Dachte Machmud. Aus dem Hörer des Satellitentelefons kam Bangos Stimme verzerrt und dünn zurück:
"Wo kommt denn die Frau jetzt her, Machmud. Ich dachte, du wärest schon mit drei Frauen glücklich verheiratet."
"Mann, Unfähiger, komm aus dem Blechwagen da raus! Da kommt ein Trupp steinerner Monster."
"Sie sind eine Dirne des Sheitans, eine Hexe!" Brüllte Machmud und fischte nach einem Medaillon unter dem durchgeschwitzten Hawaiihemd, auf dem neben einem Edelstein zur Abwehr des bösen Blicks noch eine Schutzanrufung aus dem Koran in spiralförmiger Schrift von innen Nach außen eingraviert war. Dieses Schutzmedaillon hielt er der Frau draußen entgegen und sprach halblaut eine Zeile der eingravierten Formeln.
"Probier jetzt nicht was aus, was die Natur dir nicht mitgegeben hat, Muggel. Steig aus, oder willst du sterben?"
"Verdammt, verschwinde zur Hölle, wo du hingehörst!" Brüllte Machmud und warf der Frau das Medaillon an den Kopf. Sie zuckte zusammen, verschwand aber nicht. Stattdessen flog wie von Geisterhand die Fahrertür auf. Machmud sah noch, wie die Fremde einen Stab auf ihn richtete und merkwürdige Bewegungen machte. Er ahnte, daß jetzt böse Magie gegen ihn gewirkt wurde, doch welcher art sie war, konnte er nicht erkennen. Erst als die Welt um ihn herum wie ein mit Pressluft aufgeblasener Ballon anschwoll und er fühlte, wie er fiel und die Luft um ihn immer dichter wurde, wurde ihm klar, was passierte. Er schrie vor Angst. Seine Stimme wurde höher und dünner. Dann flog er auf die nun zur Riesin angewachsene Frau mit dem für ihn baumdicken Stab zu, die ihn mit ihrer Hand, viermal so groß wie sein Lastwagen, einfing und hielt, ohne ihn zu zerquetschen.
"Daß ihr es nie lernt, daß Bibelsprüche und Koransuren auf irgendwelchen Schmuckstücken alleine keine Abwehrzauberei sind", schnaubte die Hexe, als sie den auf ein Zwanzigstel seiner Ursprungsgröße eingeschrumpften Lastwagenfahrer in einer mit einem Knopf verschließbaren Seitentasche ihres Umhangs verbarg. Mit mäuseartiger Stimme um Hilfe Piepsend strampelte der verkleinerte Machmud in seinem Leinentuchgefängnis. Doch die Hexe kümmerte sich nicht darum. Sie schwang sich auf ihren besen.
Ein Blitzstrahl schoss aus der Staubwolke heran und hätte sie fast getroffen, wenn sie nicht in einem flachen Winkel, relativ nahe am Boden davongeflogen wäre. Wieder krachte ein gleißender, weiß-blauer Blitzstrahl aus der Staubwolke heran. Doch die Besenreiterin raste bereits im Schutze eines Hügelkammes dahin.
Marga Eisenhut liebte die Berge Afrikas, über denen sie gerne ihre Besenflugübungen machte, wenn sie nicht gerade wieder für Gringotts Westdeutschland nach den Schätzen früherer Magier auf dem afrikanischen Kontinent suchen sollte. Eher zufällig hatte sie dabei mitbekommen, wie in einem Berg ein magisches Felsentor aufgesprungen war und drei Reihen von großen, steinernen Gestalten herausgestürmt waren, wie eine Armee auf dem Kriegszug. Gerade wohl rechtzeitig hatte sie sich absetzen und einen ausreichenden Abstand erreichen können. Als sie dann den liegengebliebenen Lastwagen sah, überlegte sie, ob noch jemand darin war. Denn die steinerne Armee würde genau darauf zuhalten. Sie flog erst einige Runden und benutzte eines dieser praktischen Langziehohren, von denen ihre Nichte Arnica ihr zu Walpurgis welche geschenkt hatte, um besser in einen alten Stollen hineinhorchen zu können. So konnte die Gringotts-Hexe hören, wie im Lastwagen jemand wohl einen Fernsprechapparat benutzte. Sie sah sich noch einmal um und erkannte, daß die Horde der Steinernen nur noch einen Kilometer entfernt war. Wider alle Gesetze hatte sie beschlossen, zu landen und den Mann aus dem Wagen zu holen. Sie hielt nicht viel von der Geheimhaltung der zauberei. Irgendwann mußten die Leute aus ihrer Welt doch wieder hervortreten und den Muggeln zeigen, wie man die Welt wieder wohnlich machen konnte. So hatte sie Machmud Fayet gegen dessen Widerstand aus dem Lastwagen geholt, verkleinert und mit sich genommen. Da fühlte sie böse Gedanken hinter sich. Von den Steinernen hatte sie keine empfunden. Das mochte daran liegen, daß sie eine sehr schwache Gedankenhörerin war, die selbst in nächster Nähe zu einem denkenden Wesen dessen an der Oberfläche treibenden Empfindungen verspüren konnte. Das konnte aber auch bedeuten, daß die Steinernen keine Wesen mit eigenem Geist waren und jetzt ein Anführer auftauchte, der sie in allem überragte. Sie floh in flachem Steigungswinkel und rettete sich und Machmud dadurch vor einem hellen Blitz, der in einem Winkel von 45 Grad nach oben zuckte. Dann erfolgte ein zweiter Angriff. Diesmal fauchte die gleißende Lichtentladung nur einen Meter an ihr vorbei und schlug krachend in den Hügelkamm ein. Dampf und verbranntes Erdreich sprühten trichterförmig nach außen weg.
"Hilfe!" Quiekte es aus Margas Umhangstasche. Doch die Hexe nahm keine Rücksicht darauf. Sie schlug einen schnellen Haken und brachte sich so in den Schutz des Hügelkammes. Erneut fauchte ein Blitz durch die Luft.
"Was für ein Zauber mag das sein?" Fragte sich Marga. Sie kannte alle Elementarzauber, sowie die meisten Flüche, ja beherrschte sogar die drei Unverzeihlichen. Doch Avada Kedavra sah anders aus.
Sie hörte, wie der vierte Blitz offenbar durch Metall schlug und vernahm dann das Poltern von Eisenteilen auf dem Boden. Die Monster, die mit einer sehr hohen Laufgeschwindigkeit von gut 100 Stundenkilometern dahinstampften, hatten den Lastwagen erreicht. An und für sich hätte sich Marga gerne angesehen, was die Kolosse da taten. Doch die ihr zugedachten Blitze mahnten sie, besser zu flüchten, solange man sie noch ließ. So raste sie davon, noch schneller als die steinernen Monster.
"Ich kriege dich doch, du blödes Weib!" Schrillte es hinter ihr aus weiter Ferne. Marga Eisenhut warf einen raschen Blick zurück und erkannte ein rechteckiges Ding, das ihr nachflog, einen arabischen Flugteppich, wie sie ihn schon häufiger gesehen hatte. Sie wußte, daß es von dieser Sorte welche gab, die einen Flugbesen locker einholen konnten. Doch nicht jeder Teppich war dafür geeignet. Gegen ihren Donnerkeil 5 mußte sich dieser Teppich jedoch wohl heftig anstrengen. Der Zauberer, der auf dem Teppich saß, hantierte gerade mit einem Zauberstab und etwas glitzerndem. Marga wollte nicht genau sehen, was es war. Sie griff in die rechte Seitentasche des Umhangs, holte etwas wie einen Zuckerwürfel heraus und schleuderte ihn mit den Worten "Quelle auf!" Nach hinten. Zischend zerfiel der Würfel und breitete eine zwölf dutzend Meter durchmessende Wolke aus grauem Dunst aus, in die der Teppich und sein Reiter gerade hineinsausten. Marga sah die Wolke rötlich aufleuchten und hörte das Prasseln und den kurzen Knall wie einen abbrennenden Feuerwerkskörper. Doch sie wagte nicht, sich umzusehen. Ihr Nebeldunstwürfel würde ihre Flucht verbergen. Sie bremste ihren Besen ab, landete unter einer Felsnase und saß ab. Den Besen unter den rechten Arm geklemmt disapparierte sie. Die kugelförmige Wolke blieb unbeeindruckt am Himmel stehen.
Ismael Alcara blickte stolz auf die großen Bottiche, in denen er das Blut Verschleppter Menschen mit eigenem Blut und Speichel vermischt hatte. Von diesen Vorräten nahm er alle zwei Stunden etwas und benetzte unter Singen von Zauberformeln klobige Klumpen aus Stein und Erdreich, die dann, als er die wichtigsten Zaubersprüche gesprochen hatte, zu weiteren Dienern seiner Golemarmee erwachten. Bei manchen mußte er zu den Blutgaben noch Tropfen verschiedener Pflanzen geben, jenachdem, ob er Sklaven, Wächter oder Vollstrecker erschaffen wollte. Unter Aufbietung seiner Konzentration und Körperkräfte Gelang es ihm so, an die dreißig Golems zu erschaffen, die er alle in seinem neuen Versteck etwa dreißig Kilometer nordöstlich von Kartum versammelte. Als er genug Golems geschaffen hatte und einen halben Tag lang geschlafen hatte, fertigte er aus dem Gestein eines verfluchten Vulkans, den er erst vor drei Tagen besucht hatte, kleine, glitzernde Hütchen, die er auf den Zauberstab stecken konnte, um damit weitreichende, sonnenheiße Lichtblitze zu schleudern. Er ärgerte sich, daß er erst aus den geborgenen Schriften der schwarzen Festung erfahren mußte, daß man den Zorn der Götter heraufbeschwören konnte, wenn man kleine Geschosse aus der Ehe von Feuer und Erde erzeugte und sie mit einer entsprechenden Zauberformel losschickte. Denn dann hätte er nicht den kraftzehrenden Feuerball schleudern müssen, um diese Muggel in Ägypten zu töten.
Als Alcara seine finstere Arbeit soweit beendet hatte, um einstweilen unangreifbar zu sein, wollte er die Schlagkraft seiner Truppe an lebenden Objekten ausprobieren. So schickte er seine Golems aus und folgte ihnen in gebührendem Abstand auf dem Flugteppich.
Als die vorderen Reihen ihm auf für Menschenohren unhörbare Weise meldeten, das ein sehr großes Gefährt auf ihrem Weg stand, befahl Alcara einen schnellen Vorstoß und Angriff. Als er dann noch hörte, daß eine Besenreiterin dem Lenker des Fuhrwerks half, wurde er wütend und preschte auf dem Teppich voran. Er verbrauchte vier der Vulkangesteinhütchen, die er auf die Zauberstabspitze steckte, ohne die Hexe zu treffen. Sie warf ihm im Gegenzug etwas zu, das zu einer kugelförmigen Wolke aufquoll, in die er unabbremsbar hineinraste und meinte, in kaltes Wasser gefallen zu sein. Bibbernd beschwor er noch einen gleißenden Blitz herauf, der jedoch direkt nach Verlassen des Zauberstabs in orangerotes Flackern zerfiel, daß ihn wild krachend und prasselnd umfloss, bevor mit lautem Knall der Feuerspuk vorbeiwar. Alcara hatte für die zwei Sekunden, die das Feuer- und Lichtspektakel angedauert hatte ein Gefühl von auf der Haut brennenden Flammen verspürt. Dann umfing ihn wieder diese Eiseskälte. Er flog blindlings nach vorne und oben weiter, bis er aus dem Dunstglobus herausstieß, zurück in das helle Licht der heißen Sonne. Er ließ den Teppich hinuntersacken und suchte die Hexe. Doch diese war nicht mehr da. Er holte ein Weitblickfernrohr aus einem magischen Tragesack und suchte die ganze Gegend ab. Doch nirgendwo war eine auf dem Besen reitende Hexe zu sehen.
"Unsichtbar kann sie nicht sein, weil das Fernblickglas auch magisch verhülltes zeigt", dachte Alcara. So blieb wohl nur die Flucht auf zeitlosem Weg, die er, Alcara nicht so gut zu beherrschen verstand wie er es gerne hätte. Die Hexe war also entkommen. Wütend flog er zurück zu dem Lastwagenwrack, das von den Golems so gründlich in hunderte von Einzelteilen zerfetzt worden war, wie es eine Schrottpresse nicht besser hätte schaffen können.
"Meister, kein Mensch war dort drin", grummelte einer der Golems in der alten Sprache, die Alcara mit ihnen verband.
"Das kann nicht sein. Dieses Weib kann den nicht mitgenommen haben. Es war allein auf dem ..."
"Eh, was geht denn bei dir ab. Soll ich die Polizei rufen?!" Krächzte es unter dem zertrümmerten Führerhaus. Alcara bückte sich und nahm die eingedellte Parabolantenne des Satellitentelefons. Dann fand er auch das entsprechende Gerät dazu. Die Pranke eines Golems zerquetschte das nützliche Mobiltelefon zu Staub.
"Zurück zur Höhle!" Befahl Alcara und saß auf seinem Teppich auf. Da krachte es dutzendfach. Männer in wallenden, sandfarbenen Gewändern erschienen aus dem Nichts heraus. Alcara wußte, was dies bedeutete. Die hier stattgefundenen Zauber hatten wohl irgendwo Wächter alarmiert, die um die Geheimhaltung besorgt waren. Rasch stieg er mit seinem Teppich auf. Als einer der Zauberer ihm noch nachrief, sofort zu landen, lachte er nur. Seine Golems griffen an. Unglücklicherweise waren die Zauberer, die aufgetaucht waren, nicht auf diese Gegner eingestellt. Sie versuchten zwar, die steinernen Monster mit Flüchen niederzuwerfen, benutzten sogar Feuerstrahlen und Eisgeschosse, womit sie zehn Golems schwer beschädigten, doch gegen die Übermacht hätte sie nur die schnelle Flucht retten können. Doch sie flohen nicht und wurden so die ersten menschlichen Opfer der neuen Armee des Schreckens, die Ismael Alcara aufgestellt hatte, und die, wenn es nach ihm ging, nur ein kleiner Anfang von einer wahrhaften Streitmacht sein sollte. Nur ein Zauberer schaffte es, einen gedanklichen Ruf zu seinem Sohn zu schicken, der gerade im Audienzzimmer des sudanesischen Zaubereiministers saß. Erschreckt über den in letzter Todesangst ausgeschickten Ruf brach der junge Zauberer zusammen. Erst fünf Minuten später konnte er aussagen, was er empfangen hatte. Dann verbreitete sich die Nachricht rasch, erst im Sudan, dann in Algerien, Ägypten, Tunesien und Marokko. Der ägyptische Zaubereiminister unterbrach eine Sitzung, in der über das gefundene Bein diskutiert wurde und sagte:
"Efendis, jetzt ist es erwiesen. Jemand hat eine Armee von Golems erschaffen. Möge Allah uns und unseren Familien gnädig sein!"
Marga Eisenhut erschien zunächst in jenem Zelt, das sie auf einer kargen Bergwiese hundert Kilometer weiter fort aufgebaut hatte. Immer noch quiekte und strampelte der eingeschrumpfte Lastwagenfahrer in ihrem Umhang wie eine gefangene Maus. Sie überlegte, wofür sie ihn gerettet hatte. Dann fiel ihr ein, ihn am Stadtrand von Kartum freizulassen. So disapparierte sie und tauchte knapp eine Meile nordöstlich von der Hauptstadt des Sudans auf, wo sie Machmud Fayet in seiner gewohnten Größe freiließ. Er fauchte sie zwar an, daß Allah sie dafür strafen würde. Doch Marga meinte:
"Danke deinem Allah lieber dafür, daß er mich noch rechtzeitig zu dir geschickt hat, Muggel. Du wärest sonst von diesen Ungetümen getötet worden, und von ihrem Meister, der bestimmt sehr wenig für unbegabte Leute wie dich übrighat. Mach's gut!" Es knallte laut, und Marga Eisenhut war weg. Machmud stand wie zur Salzsäule erstarrt da. Erst ein neugieriger Junge, der unbändig um die nächste Straßenecke gelaufen kam, löste ihn aus der Erstarrung.
"Heh, du? Wo kommst du denn her?" Fragte der Junge, der gerade erst sechs Jahre alt sein mochte.
"Weiß ich nicht so genau", sagte Fayet.
"Und du hast diesen Unfähigen ohne Gedächtniszauber zurückgelassen, Schwester Marga?" Fragte Anthelia die weizenblonde Hexe, die ehrerbietig vor der Wiedergekehrten stand.
"Ich kann damit nicht umgehen, höchste Schwester", sagte Marga Eisenhut. Beide Hexen benutzten die deutsche Sprache.
"Nun, glauben wird man ihm wohl nicht", sagte Anthelia kalt lächelnd. "Er wird also rasch in eines dieser Irrenhäuser geraten oder klug genug sein, niemandem zu erzählen, was er erlebt hat. Aber es war sehr aufmerksam von dir, unsere Mitschwestern in Algier und Tanga zu informieren."
"Ich dachte, jemand aus dem Orden würde mich zu dir bringen, höchste Schwester. Aber daß du selbst zu mir kommst ..." Sagte Marga.
"Zeigt nur, wie wichtig mir die Angelegenheit ist, Schwester Marga. Führe mich an den Ort, wo du die Golems aus dem Berge hast hervortreten sehen können!"
"Aber, höchste Schwester. Die sind in der Überzahl", wandte Marga ein.
"Ich will erst sehen, wo sie sind, bevor ich mit ihnen kämpfen will", schnaubte Anthelia. Marga wußte, daß man der Wiedergekehrten keine allzuheftigen Widerworte geben durfte. So nahm sie die mächtige Hexe bei der Hand und disapparierte mit ihr.
Es tat höllisch weh, wie sie wie gegen eine harte, glühendheiße Mauer geprallt, in einer Woge aus Licht und Lärm zurückgeworfen wurden. Laut schreiend apparierten Anthelia und Marga etwa fünfzig Meter vom Zelt entfernt. Nach dem Schock des Rückpralls begutachteten sie sich. Zumindest waren sie nicht verunstaltet worden oder im Transit zwischen den Orten zusammengewachsen, wie es einige Male bei Apparitionsunfällen geschehen war.
"Wie konnte ich so närrisch sein und wähnen, dieser Meister der Golems habe seine Zuflucht nicht mit wirksamen Zaubern ummantelt?" Schnaubte Anthelia. "Oder bist du an einen anderen Ort appariert, Schwester Marga?"
"Nein, höchste Schwester. Ich habe den Ort genauso zu erreichen versucht, wie ich mich an ihn erinnern konnte. Mit dem Besen konnte ich darüber hinwegfliegen."
"Dann bleibt uns keine andere Möglichkeit", sagte Anthelia.
So flogen sie bei Einbruch der Nacht los, näherten sich dem Berg, aus dem die Golems hervorgekommen waren. Anthelia fühlte, wie ihr Seelenmedaillon zu vibrieren begann. Es zeigte ihr die Nähe schwarzmagischer Kräfte oder Wesen. Als das Vibrieren am stärksten war, horchte sie in die Richtung, wo der große Berg stand. Doch ihr telepathischer Sinn ließ sie im Stich. Sie konnte keinen Gedanken erhaschen. Entweder war dort kein denkendes Wesen, oder ...
Unvermittelt klaffte ein Spalt im Berg auf, und eine dunkle Erscheinung schoss heraus in die Luft.
"Das ist der Flugteppich!" Rief Marga. Anthelia nickte. Jetzt empfing sie auch Gedanken vom Berg her. Sie erkannte, daß der Zauberer, der mit glühendem Hass auf die beiden Hexen losstürmen wollte, einen Elementarangriffszauber aufrufen wollte. Anthelia umklammerte Marga und rief eine Zauberformel aus, die sie und ihre Mitschwester innerhalb einer Sekunde in eine rosarote Lichtsphäre einschloss. Anthelia wußte zwar, daß der tödliche Fluch Avada Kedavra diese Umhüllung durchdringen konnte. Doch der Fremde wußte nicht, daß Anthelia noch fünf solche Flüche ohne körperliche Folgeschäden überstehen konnte, wenn er es darauf anlegte. Doch zunächst schoss eine sonnenhelle und wohl ebenso heiße Entladung heran, die laut krachend in die Sphäre einschlug und sie wummend nachschwingen ließ. Doch sie hielt, auch wenn Anthelia fühlte, daß es sie kraft kostete.
"Ich kriege euch doch!" Rief der Fremde und flog auf seinem Teppich heran. Dabei ließ er einen blaugrünen Feuerball aus seinem Zauberstab fahren, der mit dumpfem Schlag auf der hauchdünn wirkenden Lichtsphäre explodierte und sie in goldroten Flammen zu zerfressen schien. Anthelia stöhnte. Der Angriff hatte sie bis ins Marg erschüttert. Doch sie hielt stand. Der Amniosphaera-Zauber, den sie mit Margas Unterstützung aufrechterhielt, fing alle elementaren Flüche ab.
"Dann eben so!" Rief der Gegner auf Arabisch. Er schwang seinen Zauberstab durch und vor und zurück und vor und zurück, wobei er kehlige Laute von sich gab. Anthelia erkannte sie zuerst nicht richtig. Doch als es um sie herum dunkler wurde und ein verwirrendes Flimmern erschien, erkannte sie den Zauber, mit dem sie angegriffen wurde. Es war der Fluch der Verkehrung. Somit würde ihre Zaubersphäre gleich zu einer tödlichen Falle werden, wenn sich außerhalb von ihr genug Zauberkraft angesammelt hatte, um sie wie eine sich ballende Faust um die beiden Hexen zusammenzuziehen. Außerdem würde jeder andere Angriff in ein für den Angreifer schädliches Gegenteil umgewandelt. Anthelia ließ die Lichtblase sofort zerstreuen. Diese Kraft konnte sie noch aufbieten.
"Ihr entwischt mir nicht!" Rief der Fremde. Er richtete seinen Zauberstab auf den Berg und rief einige Wörter, die Anthelia nicht kannte. Doch als eine unnachgiebige Gewalt anfing, an ihr und Marga zu zerren wie ein Magnet an Eisennägeln, ahnte sie, daß sie rasch handeln mußte. Sie entsann sich, daß es einen Fluch gab, der "Geisel des Gesteins" hieß und alle mit magie begabten und durchtränkten Lebewesen ins Zentrum einer damit bezauberten Gesteinsmasse zog und dort mit leib und Seele einschloss, bis der Zauberkundige den Fluch wieder löste. Sie hatten wohl nur noch zehn Sekunden, bis sie unrettbar verschwunden sein würden. Anthelia überlegte fieberhaft, welchen Gegenzauber es dagegen gab. Die Lichtsphäre konnte immer noch zu ihrem Verhängnis werden, weil das Flimmern noch um sie herum glomm. Ja, das War es. Sie mußte die beiden wirkenden Zauber gegeneinander verschieben. So rief sie rasch Worte aus Dairons und Sardonias geheimen Zaubern zur Verschmelzung zweier unabhängig gewirkter Flüche. Ein gleißendes Licht tobte um sie herum. Dann rief sie noch einen Zauber auf, der die beiden feindlichen Magien aneinander reiben ließ. Es krachte laut und bedrohlich, als der Berg mit Urgetöse im Erdboden versank. Anthelia indes fühlte, wie ihre Kräfte zu schwinden drohten. Die mächtigen Zauber gegeneinander zu verschieben hatte sie beinahe alle Ausdauer gekostet.
Der Mann auf dem Flugteppich sah mit entsetzt weit aufgerissenen Augen, wie sein Versteck im Berg mit diesem im Boden versank und dabei zusammengequetscht wurde. Er versuchte noch, den Zauber zu widerrufen. Doch weil Anthelia ihn bereits mit dem Verkehrungszauber zusammengekettet hatte und die beiden Magien sich aneinander rieben, wirkte sein Widerruf nicht mehr so, wie es sollte. Mit Getöse zerbarst der Berg und schleuderte rotglühende Steine nach oben. Alcara fühlte, wie eine unsichtbare Gewalt ihn zu zerreißen schien. Er sah nur noch eine Möglichkeit, dem angerichteten Zerstörungswerk zu widerstehen: Die schnelle Flucht.
"Fliehe das Unheil!" Rief Alcara dem Teppich zu. Dieser Befehl brachte die meisten Flugteppiche dazu, für eine volle Minute mit der zehnfachen Höchstgeschwindigkeit davonzufliegen. So geschah es. Alcara ließ sich flach auf den Teppich fallen, der in wildem Heulen davonschoss wie eine Rakete.
"Verdammt, wir können ihn nicht verfolgen!" Rief Marga. Anthelia meinte dazu nur:
"Er will nur fliehen. Er weiß, daß sein Werk hier vernichtet wird. Fliehen wir auch, Schwester Marga."
Gerade als die beiden Hexen auf ihrem Donnerkeil-Besen mit höchster Geschwindigkeit davonpreschten, krachte es noch einmal mächtig im Berg. Durch das Zusammenquetschen glutheiß und zerrieben flog das Gestein nach oben, wie bei einem Vulkanausbruch. Doch es war nicht die Folge einer Explosion, sondern einer Implosion. Denn der Berg wurde von außen nach innen zusammengedrückt. Über dreißig Golems, die noch im Berg gesteckt hatten, wurden im Berg eingeschlossen, und weil sie nicht gegen Feuer gefeit waren, verglühten sie im immer heißer werdenden Gestein, das zum großen Abschluß in einer rotglühenden Lavafontäne aufstieg, und zu einem Regen glutheißer Asche auseinanderstob.
Alle Erdbebenmessstationen rund um die Welt verzeichneten die Erschütterungen und konnten sogar eine mächtige Oberflächenspannungszunahme der Erdkruste bestimmen. In der Hauptstadt des Sudan erzitterten für knapp fünf Sekunden die Häuser und Straßen. Dann war von dem Aufruhr in der Erde nichts mehr zu spüren. Als ein Team von Vulkanologen und Seismologen an den errechneten Erdbebenherd flogen, fanden sie nur einen in sich zusammengestürzten Berg vor. Feiner Staub, fast wie Vulkanasche, lag über Dutzende von Kilometern verstreut herum. Unter den Wissenschaftlern waren sogar Zauberer, die darauf achten sollten, daß nichts auf Magie hindeutendes bekanntgemacht wurde. Diese erkannten, daß hier mächtige dunkle Elementarzauber zusammengeprallt sein mußten, wenn sie auch nicht wußten, wer dafür verantwortlich war. Doch sie mußten die Gedächtnisse der Wissenschaftler modifizieren, damit diese in ihren Berichten und sonstigen Aufzeichnungen von einem gewöhnlichen Erdbeben sprachen. Daß dabei ein ganzer Berg in sich zusammengefallen war, sollten sie damit begründen, daß wohl große Hohlräume darunter gelegen hatten.
Alcara schäumte vor Wut. Sein Versteck war abermals entdeckt worden, und er hatte eine mächtige Gegnerin zu spüren bekommen, die seine eigenen Zauber gegen ihn verwendet hatte. Wenn er seine Armee der Golems jemals über die Welt marschieren lassen wollte, so mußte er nicht nur ein Versteck finden, das nicht mehr so leicht entdeckt wurde, sondern auch Verbündete, die ihm gegen solche Übergriffe helfen konnten. Er war nur froh, daß er die wichtigsten Schriften zur Golem-Herstellung in seinem magischen Tragesack aufbewahrte, der niemals seine Hände verließ. Er mußte Kontakt mit dem sogenannten dunklen Lord aufnehmen, jenem Hexenmeister, der in England gerade wieder an die Macht zurückkehren wollte. Mit ihm zusammen, so wußte Alcara, konnte er sein Ziel erreichen, die Alleinherrschaft der reinblütigen Zauberer.
Er reiste mit dem Flugteppich zur Straße von Gibraltar, wo er mit dem Imperius-Fluch einen Schmuggler dazu zwang, ihn nach Spanien überzusetzen, von wo aus er über die Sierra Nevada, die Pyrenäen und die Bretagne hinwegflog, um am Morgen des achten Junis englischen Boden zu erreichen. Er ärgerte sich, daß er weder einen Tarnumhang besaß noch ein guter Apparator war. Außerdem kannte er sich in Großbritannien nicht gut genug aus, um auf gut Glück da anzukommen, wo er hinwollte. Zudem wußte er nicht, wen er fragen sollte, wo man bitte den gefürchteten Lord Voldemort finden konnte. Doch er kannte eine Straße in London, die ein Freund von ihm einmal besucht hatte, die Nokturngasse. Dort würde er sicher wen fragen können, ob es in England jemanden gab, der sich für Golems und ihre Herstellung interessierte.
Am Nachmittag hatte er die finstere Seitenstraße der Winkelgasse erreicht. Der Weg dorthin war etwas riskant gewesen, weil er durch diesen Pub, den tropfenden Kessel, hatte gehen müssen. Dort hatte ihn ein grauhaariger Zauberer so merkwürdig angesehen, als habe er noch nie einen Mann aus Arabien gesehen.
In einem Laden namens Bourgein & Burkes, in dem allerlei verfluchtes und verhextes Zeug verkauft wurde, tat er so, als suche er nach dem Gift einer Königskobra. Als der schleimig wirkende Ladenbesitzer ihn fragte, was er denn damit vorhabe sagte Alcara:
"Ich möchte einen Schutzbann gegen Feuer in meinen Golem einwirken und suche unter anderem Kobragift und Wurzeln eines Galgenbaumes.
"Interessantes Studium, die Golemkunde", grinste der Ladenbesitzer, der sich wunderte, wie offen sein Kunde die Karten auf den Tisch legte. Oder wollte er ihn etwa verschaukeln?
"Ich hörte, daß hier irgendwo in England jemand lebt, der die alte Kunde genauso gut beherrscht wie ich", sagte Alcara, der ganz bewußt raushängen ließ, was er konnte. Bourgein lachte. Dann meinte er, er sei ja wohl verrückt. Hier in der Nokturngasse könne er bestimmt nichts finden, was annähernd zur Herstellung eines Golems mit besonderen Eigenschaften taugen würde. Alcara tat so, als sei er nicht sonderlich begeistert, das zu hören und meinte, dann würde er eben nach Spanien reisen, um sich dort mit Alfonso Espinado zu treffen, der ihm bereits angedeutet habe, seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Wenn diese Erwähnung bei dem schmierigen Ladenbesitzer wirkte, dann zeigte der dies nicht. Alcara verließ den Laden und kehrte in den tropfenden Kessel zurück, wo er sich vorsorglich ein Zimmer genommen hatte. Er wollte genau zwei Nächte hier zubringen, bevor er London wieder verlassen würde. Espinado, so wußte er, war ein in den letzten Jahren stark gewordener Hexenmeister in Nordspanien, der ganz gewiss keine Probleme damit hätte, mehr Macht als dieser Voldemort anzuhäufen, wenn sie ihm zu Füßen gelegt wurde.
Der kahlköpfige Wirt versuchte, Alcara in Gespräche zu verwickeln. Doch Alcara wimmelte die Neugier des Wirtes mit einer Geschichte ab, er wolle in England die hier wachsenden Zauberpflanzen studieren. Er stellte sich als ein Zauberkräuterkundler aus Arabien vor und verwickelte den Wirt in ein Gespräch über seine angebliche heimat. Am Abend bezog er sein Zimmer.
Mitten in der Nacht schrak er aus dem Schlaf. Sein Instinkt für Gefahren hatte ihn geweckt. Alcara sah sich im Zimmer um. Niemand schien dort zu stehen. Dann traf ihn ein Schockzauber unvermittelt in den Bauch und betäubte ihn. Als er wieder aufwachte, war er mit allen Gliedmaßen an eine Steinwand oder einen Felsen gebunden. Auch sein Kopf war mit einem festen Strick angebunden, und seine Augen waren verbunden.
"Soso, ein Golemkundiger soll das sein", klang eine kalte, gehässige Stimme an seine Ohren. Nimm ihm die Augenbinde ab, Mulciber!"
Alcara schmunzelte. Offenbar hatte er es doch geschafft, jemanden zu treffen, der sich für seine Sache interessierte. Jemand nahm ihm die Augenbinde ab und trat rasch zur Seite.
"Sieh mich an, du Held!" Schrillte die kalte Stimme. Eine Gestalt trat aus dem Schatten eines mächtigen Marmorengels, dessen linker Flügel in der Mitte abgebrochen war. Alcara erschauderte, als er die aschfahle Fratze mit den glutroten Augen sah. Das grauenhafte Gesicht, das Ähnlichkeiten mit dem einer Schlange hatte, näherte sich ihm bis auf einen Schritt. Der hagere Mann, dem diese Schreckensfratze gehörte, war in einen wadenlangen, nachtschwarzen Umhang gekleidet und hielt einen Zauberstab in der bleichen, spinnenartig befingerten Hand.
"Das ist Voldemort", erkannte Alcara. Das war der dunkle Lord aus England, der einst zum mächtigsten Zauberer seiner Region geworden war, bis ein kleiner Junge ihn irgendwie entkräftet hatte.
"Na, den gefunden, den du gesucht hast, Morgenländer?" Kicherte der Schreckenszauberer. Alcara wollte nicken, konnte aber den Kopf nicht mehr bewegen. Er sah dem Scheusal vor sich in die roten Augen und fühlte, wie in seinem Kopf ein wilder Wind wirbelte, der seine Gedanken durcheinanderwehte. Er hatte einmal von der Kunst des Geistforschens gehört, sie aber leider nie erlernen können, da er nicht das passende Geld dafür beschaffen konnte.
"Sieh mal an, der faule Apfel vom Stamm der Alcaras ist mir ins Nest gefallen", lachte die Kreatur im schwarzen Umhang. Alcara sah Bilder seiner Familie, seines Lebens und die Golems, die er bereits geschaffen hatte, ja auch den Kampf gegen eine Hexe in Weiß. Dort schien irgendwas den Strom der Erinnerungen brutal abzureißen. Denn unvermittelt stach etwas in seinen Kopf, und er sah nur noch den dunklen Lord, dessen abstoßendes Gesicht in einer merkwürdigen Erregung zurückschnellte. Dann sagte Voldemort:
"Du wolltest zu Espinado, diesem Wurm? Er wird nicht mehr lange so frei herumwerkeln können wie in den letzten vierzehn Jahren. Wenn ich diese Insel beherrsche, wird er mir den Saum des Umhangs küssen, wie alle anderen, will er nicht von mir im Staub zertreten werden. Aber ich danke dir, Ismael Alcara, daß du dich erst an mich wenden wolltest. Aber das tust du doch nur, weil du dich selbst zu schwach fühlst." Für Alcara unsichtbare Zuhörer lachten laut. Darunter war auch eine Frau. Alcara schluckte seinen Zorn hinunter. Was hatten Hexen in solchen Orden verloren?
"Beleidige ja nicht meine Freundin Bellatrix!" Knurrte Voldemort wie ein wütender Kater. "Sie hat die Ehre, mir zur Seite zu stehen, hart erkämpft und war mir treu, auch in Askaban. Würdest du soetwas auf dich laden, Golemmeister?"
Alcara wußte, daß er darauf nicht uneingeschränkt mit Ja antworten konnte, und Voldemort wußte das auch. Denn er grinste überlegen. Dann sagte der dunkle Lord:
"Ich nehme dein Angebot an, mir zu dienen, Alcara. Allerdings wirst du mir bis Anfang Juli einhundert Golems fertigen und sie irgendwie über den Atlantik herüberschaffen. Wie, das ist dein Problem. Such dir am Besten ein Versteck, wo dich keine bösen Hexen finden können!" Wieder lachten alle Zuhörer, die Alcara nicht sehen konnte, weil sie so standen, daß seine Augen sie nicht einfangen konnten. Nur die Frau lachte nicht. Nahm sie das etwa persönlich?
"Ich werde tun, was Ihr wünscht, Lord Voldemort", sagte Alcara mit schwer aufzubringender Unterwürfigkeit. Er wußte, er würde nicht am Leben bleiben, würde er auch nur in Gedanken gegen diesen abstoßenden Dämon in Menschengestalt aufbegehren. Voldemort schien seine Ehrlichkeit mit seinen Nasenschlitzen einzusaugen. Er sog kurz Luft ein und sagte dann mit gefährlich schnarrender Stimme:
"Du hast auch keine andere Wahl. Damit du weißt, wem du verbunden bist, werde ich dich im erlauchten Kreise meiner treuen Todesser als Ehrenmitglied willkommen heißen", gab Voldemort mit einem verschlagenen Lächeln noch von sich. Er ließ den Zauberstab kurz wippen, worauf Alcaras linker Arm von den Fesseln befreit wurde. Er fragte sich bereits, was das sollte, als sein nun freier Arm von unsichtbarer Kraft hochgehoben und langgezogen wurde. Er fühlte beinahe körperlich, daß eine erwartungsvolle Spannung entstand, die von den Zuschauern dieses Zusammentreffens auf ihn übergriff. Dann trat der dunkle Lord zu ihm, zerrte mit den Spinnenbeinfingern der linken Hand den Ärmel hoch, setzte den Zauberstab genau zwischen die Pulsadern des linken Armes und bohrte ihn fast in die Haut. Alcara schwante, daß ihm gleich Schmerzen zugefügt werden sollten und biss die Zähne zusammen. Er wollte weder dem englischen Dunkelmagier, noch seinen Gefolgsleuten ein Zeichen von Wehleidigkeit bieten.
"Morsmordre Inuro!"
Der Schmerz war heftig. Wie ein glühendes Eisen auf der Haut brannte etwas im magisch festgehaltenen Arm. Alcaras Augen flatterten, seine Gesichtsmuskeln zuckten heftig. Sein ganzer Leib wurde erschüttert. Dann sah er, wie etwas weißglühendes auf seinem Handgelenk aufleuchtete, das Ähnlichkeit mit einem Totenschädel hatte, aus dessen Mund eine Schlange hervorlugte, die sich rhytmisch bewegte. Von Voldemorts Zauberstab sprangen Funken auf die Erscheinung über und verstärkten den brennenden Schmerz. Alcara biss sich weiterhin auf die Zähne, doch konnte ein gepeinigtes Wimmern nicht völlig unterdrücken. Er fürchtete schon, der Schmerz würde so stark werden, daß er ihn doch in die Nacht hinausschreien mußte. So kam es auch. Es vergingen keine zehn Sekunden, und Alcara konnte nicht mehr an sich halten und schrie in unerträglicher Qual auf. Tränen schossen über seine Wangen wie kleine Wasserfälle. Seine Augen brannten. Doch kaum hatte er seinen unerträglichen Schmerz hinausgeschrien, ebbte dieser ab. Das glühende Mal auf seiner Haut wurde dunkler, erst gelb, dann orange, dann blutrot, um dann in ein tiefschwarzes Brandzeichen überzugehen.
"Per Caloram advocabilis!" Schnarrte Voldemort überlegen lächelnd und setzte die Zauberstabspitze genau ins Zentrum des Brandmals. Noch einmal schien ein glühendes Eisen auf Alcaras Haut niederzudrücken. Doch diesmal war der Schmerz nur einen Lidschlag lang spürbar. Ein dumpfes Pochen im linken Handgelenk und das nun langsam etwas heller werdende Mal blieben von der Zauberei zurück. Jemand applaudierte, erst zögerlich, dann lautstark. Alle, die hier standen, applaudierten. Voldemort sagte mit einem widerlich amüsierten Tonfall:
"Willkommen im erlauchten Kreis der Todesser, Ismael Alcara. Du hast die Ehre, das erste neue Mitglied meines Ordens zu sein, noch dazu eines, das eine lange Reise machen mußte, um an dieses hohe Ziel zu gelangen. Man wird dich nun zurückbringen, wo man dich hergeholt hat. Doch vergiss nicht, bis zum Julianfang einhundert kampfstarke Golems für mich anzubringen! Schaffst du es nicht, werde ich dich finden und strafen."
Alcara wollte noch etwas sagen. Doch ein Schockzauber traf ihn von irgendwo her und tauchte ihn in ein schwarzes, lautloses Nichts. Als er wieder erwachte, lag er in dem Bett im Zimmer des tropfenden Kessels, als sei nichts geschehen. Zunächst glaubte der Golemmeister, er habe nur einen verrückten Alptraum hinter sich. Doch dann fühlte er das sachte Pochen im linken Handgelenk. Er machte mit seinem Zauberstab Licht und erkannte das rötliche Mal, einen Totenschädel, aus dessen Mund eine Schlange hervorlugte. Er hatte nicht geträumt. Ihm war klar, daß er sich diesem Voldemort völlig ohnmächtig ausgeliefert hatte. Er wollte bestimmt nicht Handlanger, sondern Partner des Unheimlichen sein. Doch Voldemort hatte seine Schwäche genutzt und ihm klargemacht, daß er, Ismael Alcara, für den dunklen Hexenmeister nur als Untergebener seiner Beachtung wert war. Der Auftrag war klar. Er mußte bis zum Ende dieses Monats einhundert Golems erschaffen und diese irgendwie über den Atlantik herüberbringen und dann, er wußte nicht wie, mit diesem dunklen Magus Kontakt aufnehmen. Was hatte dieser ihm gedroht? Er würde ihn finden und strafen, wenn er sich nicht an den Auftrag hielt. Voldemort würde ihn finden. Das war beruhigend und erschreckend zugleich.
Wie er es dem Wirt angekündigt hatte blieb Alcara noch einen Tag und eine Nacht, reiste sogar durch England und besah sich abgelegene Wälder. Dann kehrte er zum Versteck seines Flugteppiches zurück, wo er einen Brief und einen Käfig mit einem Wüstenuhu fand. In dem Brief stand, daß man ihm eine gute Reise und gute Verrichtung wünsche und er die Eule benutzen könne, wenn er seine Arbeit erledigt habe. Leicht erschaudernd bestieg er den Teppich und flog davon, zurück nach Afrika, wo er sich in der algerischen Sahara ein neues Versteck auswählte und dort die Vorbereitungen für den Auftrag traf, den ihm dieser grausam verunstaltete Zauberer erteilt hatte.
Anthelia, die nach dem mörderischen Kampf gegen den Meister der Golems zunächst zu Margas Zelt mitgeflogen war holte sich mit dem Transfusio-Validitatis-Zauber für vier Stunden Ausdauer von Marga Eisenhut, die danach total müde schlafen ging. Anthelia schrieb ihr eine Nachricht, daß sie in ihren Befehlsstand zurückkehren und von dort aus die Suche nach dem Golemmeister veranlassen würde. Sie verwünschte es, daß sie wegen der zu bekämpfenden Magie nicht darauf hatte achten können, was der flüchtige Zauberer vorhatte. Sie konnte sich jedoch denken, daß er beim nächsten Mal ein sichereres Versteck wählen und sich der Hilfe starker Freunde versichern würde. Er war ihr entkommen. Gut, sie war ihm dafür entkommen. Doch froh sein konnte sie nicht. Nachdem, was Marga Eisenhut ihr erzählt hatte waren dreißig Golems unterwegs gewesen. Waren diese jetzt alle zerstört? Immerhin hatte der Gegner innerhalb weniger Tage so viele künstliche Diener erschaffen können, daß klar war, daß er dies andernorts wieder vollbringen konnte. Sie bedauerte es, daß sie dem fliegenden Teppich nicht hatten nachsetzen können. Doch der Donnerkeil-Besen konnte nur so schnell wie der schnellste Sturmwind fliegen, und der Teppich war mindestens fünfmal so schnell davongeschossen.
"Schwestern, wir müssen uns darauf einrichten, daß der Emporkömmling bald von diesem Zauberer aufgesucht wird, um seine Kräfte mit diesem zu vereinigen", sagte Anthelia bei einer Versammlung von dreißig Mitschwestern am dritten Tag nach dem Kampf gegen Alcara. In der westlichen Welt schrieb man nun den siebten Juni.
"Wir wissen mittlerweile, wer es ist", sagte Marga Eisenhut, die ebenfalls bei diesem Treffen dabei war. "Es ist Ismael Alcara."
"Woher weißt du das?" Fragte Anthelia.
"Weil eine freundin von mir mit einer gewissen Layla Esteban bekannt ist, die den Überfall eines Zauberers und zweier Golems beobachtet hatte. Layla wurde in magischem Tiefschlaf legilimentisch ausgeforscht. Meine gute Bekannte kennt sich mit sowas aus. Sie hat einen Erinnerungspinsel, der im Gedächtnis abgelegte Bilder auf eine Leinwand oder Papier malen kann. Das Bild entspricht Ismael Alcara, einem Syrer, der vor Jahren mit einer Hexe aus dem Riesengebirge in Böhmen die Ehe geschlossen hat. Die Ehe hielt nur solange, bis der daraus hervorgegangene Sohn sieben Jahre alt war. Der Vater nahm ihn mit sich zurück, um ihm fern angeblicher Verwässerungen echter Mannesehren zu einem stolzen Zauberer auszubilden. Die Mutter hat erst wieder was von ihm gehört, als er erwachsen und ausgebildet war. Das ist also unser Golemmeister."
"Sieh an, wie rasch wir doch unser Wissen erweitern können", schmunzelte Anthelia. "Doch was können wir nun damit anfangen?"
"Wir werden die Todesser weiterbeobachten. Es ist anzunehmen, daß der Emporkömmling sich mit Alcara treffen wird", schlug Dana Moore vor.
"Gewährt", sagte Anthelia. Dann fragte Patricia Straton noch:
"Was machen wir mit diesem falschen Richard Andrews, höchste Schwester?"
"Soll Pole doch damit glücklich werden", grinste Anthelia. "Wenn wir doch noch das Versteck der Tochter des dunklen Feuers finden, kann es doch egal sein, wen die Unfähigen für den echten Andrews halten."
"Wie du meinst, höchste Schwester", sagte Patricia Straton unterwürfig.
"Halten wir fest, daß wir nun aufpassen müssen, wo dieser Ismael Alcara wieder auftaucht. Ich bin zwar nicht gerade eine Verfechterin von Hinrichtungen, wenn es genug andere Wege gibt, einen Feind zu besiegen oder auf die eigene Seite zu ziehen. Jedoch habe ich frühzeitig schon erleben müssen, daß ein Feind zu mächtig werden kann, wenn er lebt. Daher hat jede Schwester unseres Ordens die Erlaubnis, Ismael Alcara bei Sichtung sofort und ohne Vorwarnung zu töten. Eine Armee von Golems ist ein zu ernster Gefahrenherd, um ihn kontrolliert vor sich hinköcheln zu lassen."
"Wie du befiehlst, höchste Schwester", stimmten alle Mitschwestern zu.
Jane Porter, die nach einer harten Woche, in der sie gegen den Geisterbeschwörer Noir gekämpft hatte, zurückgekehrt war, staunte nicht schlecht, als sie von Marchand erfuhr, daß man einen Mann mit dem Aussehen von Richard Andrews gefunden hatte.
"Du glaubst doch wohl nicht daran, daß Lügenmärchen wahr werden, Zachary. Was hat Minister Pole getan, um den Muggeln diesen Andrews vorstellen zu können?" Fragte sie den FBI-Agenten, als dieser sie in ihrem Haus im Weißrosenweg besuchte.
"Hmm, ich tippe auf Vielsafttrank oder jemanden wie Madame Unittamo", sagte Zachary.
"Das Äußere ist eine Sache. Das innere, also das Wissen eine andere. Was haben die Muggel mit diesem Mann vor?"
"Nun, er hat, wenn ich das von meinen Kollegen in Montana mitbekommen habe, mit seiner früheren Frau gesprochen. Das Telefongespräch wurde aufgezeichnet. Er hat sich nach seinem Sohn Julius erkundigt und ob er sich gut an das Internat gewöhnt hat. Der Mann hat wohl damit gerechnet, von den Muggeln abgehört zu werden. Deshalb hat er kein Wort über Beauxbatons oder Zauberei verloren. Mrs. Andrews meinte, sie sei froh, daß er nicht dieser Wahnsinnige sei, der im März Leute umgebracht haben soll. Darauf hat der falsche Andrews gesagt, er würde sich gleich noch mit seinem Bruder Claude und den anderen Verwandten unterhalten. Auf die Frage, warum er nicht auch mit seinem Sohn sprechen wolle hat er ganz gut geantwortet, daß sein Sohn im dem Internat nur schriftlich zu erreichen sei, da es eine Schule mit strengen Regeln sei, und nur die Lehrer und Betreuer Zugang zu einem Telefon hätten. Ja, es seien sogar Mobiltelefone verboten. Was soll man dazu noch sagen. Dieser getürkte Andrews meinte dann noch, mehr wisse er nicht, und seine Ex-Frau solle ja Grüße von ihm weitergeben."
"Tja, Minister Pole mag die Muggelwelt beruhigt haben. Aber damit hat er das eigentliche Problem unter den Teppich gekehrt. Die Tochter des Abgrunds ist noch da, Zachary. Ob sie schläft oder nicht. Sie ist immer noch da."
"Natürlich, Mrs. Porter. Aber wir mußten doch irgendwas machen, um die Muggelwelt ..."
"Die Rechtfertigungsarie wird mir Minister Pole noch zu gegebener Zeit vorsingen, Zachary. Geh du besser davon aus, daß wir noch einen harten Weg vor uns haben. Außerdem denke ich an den Jungen, Julius. Jetzt, wo ein echter Doppelgänger aufgetaucht ist, wird seine Mutter ihm was erzählen können, was angeblich passiert ist. Aber wenn der echte Andrews eines Tages doch noch einmal auftauchen sollte ..."
"Er wird nicht wieder auftauchen, Mrs. Porter. Sie wissen doch, daß es am 19. Mai in Las Vegas zu einem Brand gekommen ist. Dabei sollen starke Zauberkräfte im Spiel gewesen sein. Ich hörte von meinen Zaubererweltvorgesetzten, daß Richard Andrews dabei getötet worden sei. Die Gangsterbanden haben sich gerächt."
Jane Porter wurde bleich. Sicher hatte sie damit rechnen müssen, von Richard Andrews' Tod zu hören. Aber daß er so klammheimlich passiert war, wo sie gerade mit den Bildern in Hogwarts beschäftigt gewesen war, irritierte sie doch. Doch dann fiel ihr ein, daß es für Richard Andrews wohl besser so sei. Beide wußten ja nicht, wie mächtig Hallitti, die Tochter des dunklen Feuers, wirklich war.
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