GEFANGENE INSELN

eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de
Copyright © 2008 by Thorsten Oberbossel
__________

P R O L O G

Es geht weiterhin turbulent zu in der US-amerikanischen Politik. Erneut wurde ein Zaubereiminister ausgetauscht. Denn Milton Cartridge, der seit Ostern 1997 eingesetzte Amtsträger, legte es nicht sonderlich auf eine Wiederwahl an. Außerdem geschahen Dinge, die ihm nahelegten, ehrenvoll zurückzutreten, als sich schmachvoll abwählen zu lassen. Denn nicht nur, daß innerhalb weniger Wochen zwei namhafte Hexen aus derselben Familie aus der Weltöffentlichkeit verschwanden, nämlich Pandora und Patricia Straton. Von Cartridge und seinen Leuten unbemerkt und unaufhaltsam gewann die früher eher unauffällige Vampirin Nyx durch die Erbeutung des Mitternachtsdiamanten ein hundertfaches ihrer sonstigen Macht und erhebt sich zur Anführerin aller Vampire der Nordhalbkugel. Doch wo sie zunächst behutsam und wählerisch vorgehen will, wird sie vom Zaubereiministerium dazu getrieben, möglichst schnell neue Artgenossen zu erschaffen. Das führt zu einem kurzen aber blutigen Krieg zwischen Vampiren und Zaubererwelt, den die magischen Menschen scheinbar für sich entscheiden. Wesentlichen Beitrag zu Nyx vorübergehendem Rückzug nach verlustreichem Kampf tragen Anthelia und die doch nicht gestorbene Patricia Straton. Pandoras Tochter erinnerte sich an Hinterlassenschaften ihrer in Montenegro von Voldemort getöteten Mutter und will diese mit Anthelia bergen. Dabei kommen sich die Wiederkehrerin und Daianira, die Führerin der sogenannten entschlossenen Schwestern Nordamerikas, so stark in die Quere, daß Anthelia von Daianiras Talisman, dem Sonnenamulett der Inkas, aus dem Raum-Zeit-Gefüge geschleudert wird. Daianira triumphiert über die lästige Rivalin, verliert jedoch bei diesem Kampf das Bewußtsein, so daß Patricia Straton ihr das Amulett stehlen und die gesuchten Unterlagen an sich nehmen kann. Im Glauben, daß Anthelia wirklich verschwunden ist und bleiben wird, lernt sie mit Gedächtnistrankunterstützung alle geschriebenen Texte auswendig und nimmt ausgelagerte Erinnerungen ihrer Mutter in ihr eigenes Gedächtnis auf, bevor sie sämtliche geerbten Unterlagen vernichtet. Einen Tag später trifft sie die an ihren Wiederverkörperungsort zurückgeschleuderte Anthelia wieder, der sie durch die Aversion des Sonnenamuletts und des Seelenmedaillons nun ebenbürtig gegenübertritt. Zusammen schaffen sie es, Nyx zu vertreiben, bevor sie Cartridge zu einem Vampir machen kann. Doch Cartridge übergibt seinem Amtskonkurrenten Wishbone, einem ehemaligem Sicherheitsfachmann, das Ministeramt. Wishbone selbst hütet ein dunkles Geheimnis, daß ihm leicht das neue Amt und den Ruf kosten könnte: Er ist der Liebhaber seiner unverheirateten Tante. Diese zieht heimlich mit in das Ministerium ein. Dort erfahren sie, daß die düsteren Vorzeichen ihre furchtbare Bestätigung gefunden haben und der weithin gefürchtete Lord Voldemort das britische Zaubereiministerium in seine Gewalt gebracht haben muß.

__________

Valentina Pontecelli haßte diesen giftigen Dunst, der über der erhabenen, ewigen Stadt am Tiber lag. Der Tiber, einst selbst als Gott verehrt, glich einem unendlich langen, nach oben hin offenen Abwasserkanal, dessen schmutzigbraune Brühe träge dahinplätscherte. Drückende Hitze lag über diesem Ort. In der Ferne konnte Valentina einen kleinen Hubbel in der Mittagssonne sehen, die Kuppel des Petersdoms. Auch dieses protzige, auf heuchlerischen Aberglauben und Bevormundung fußende Gemäuer verabscheute sie. Sicher, die Kathedrale und ihre Würdenträger übten nicht mehr denselben übergroßen Einfluß aus wie noch vor zwei Jahrhunderten. Aber die in Schwarz herumlaufenden Prediger, die Liebe predigten und Verachtung aller Andersdenkenden und Frauen lebten, hatte immer noch zu viel Gewicht in dieser quirligen, von Bürgern und Touristen überquellenden Stadt Rom. Auch fühlte sich die kleine, schlanke Frau mit den schwarzen Ringellocken und den walnußbraunen Augen in der hier üblichen Kleidung nicht sonderlich wohl.

Tuuuut! Tuuut! Wieder einmal brummte einer dieser Motorwagen mit ständig dröhnendem Hupen an ihr vorbei. Es mochte stimmen, was ausländische Touristen oft behaupteten. In Italien besaßen die Automobile keine Vorrichtung, um die Hupe auszulösen, sondern nur Knöpfe, um sie kurzzeitig zu unterbrechen. Denn überall trötete, tutete und quäkte es, als wollten die Lenker dieser die Luft verpestenden Vehikel einen Wettstreit abhalten, wer die lauteste Hupe bediente.

"Wieso bin ich nur wieder hergekommen?" Knurrte Valentina und wedelte abwehrend mit der rechten Hand. Irgendeiner aus dem Ministerium hatte was erzählt, hier sei ein furchterregendes Ungeheuer gesehen worden, daß im Stil eines Werwolfs oder Vampirs über arglose Muggel hergefallen war. Sie war Expertin für bösartige Zauberwesen, hatte selbst schon zwanzig wilde Werwölfe und zehn vandalierende Vampire töten müssen und besaß als eine von wenigen einen Medusenspiegel, der den mörderischen Blick eines Basilisken mit voller Wucht auf dessen Urheber zurückschleudern konnte, ohne seiner Trägerin ein Leid zustoßen zu lassen. Valentina trat, wenn sie das nichtmagische Rom besuchte, gerne als Laura Rigatoni auf, eine Mitarbeiterin einer Zeitschrift für übernatürliche Erscheinungsformen. Ihre Mutter war eine Reporterin beim Abendkurier, während ihr Vater im Zauberwesenbüro des Magieministeriums arbeitete, das irgendwo tief unter dem Fundament des Kollosseums untergebracht war. Irgendwo hier in der Nähe der Engelsburg hatte dieses bisher nicht bekannte Ungeheuer zugeschlagen. Valentina konzentrierte sich auf einen silbernen Ring mit einem bezauberten Smaragd, den sie diebstahlsicher an der linken Hand trug. Dieses kleine Schmuckstück konnte sie vor bösartigen Zauberwesen warnen und hatte ihr schon mehrmals das Leben gerettet, wenn ein Dunkelmondvampir von oben her zuschlug oder ein Werwolf in seiner Vollmondform leise an sie herangepirscht war. Sie drückte die ebenfalls unklaubare Handtasche, die zehnmal mehr aufnehmen konnte als von außen zu sehen war, fest an ihre rechte Körperhälfte. Das war zwar so überflüssig, wie die Sonne zum Aufgehen zu wecken. Aber sie wollte den Muggeln hier nicht zu arglos erscheinen.

Die Straße wurde schmaler. weniger dieser stinkenden Wagen rollten an ihr vorbei. Einmal meinte sie, ein leichtes Erdbeben zu verspüren. Das war die Metro, die etliche Meter unter dem Asphalt dahinrauschte. Die Häuser standen bald so dicht beieinander, daß ihre Schatten die Gasse komplett ausfüllten und die direkte Sonnenstrahlung abhielten. Gleichzeitig war diese schmale Gasse aber auch sehr dämmerig und lud nicht zu längeren Spaziergängen ein. Hier mußte dieses Monstrum gewesen sein. Valentina überlegte, ob sie es erst beobachten oder gleich töten sollte. Hierzu hatte sie drei Möglichkeiten: Wenn sie nicht den Zauberstab ziehen wollte, um den Todesfluch zu wirken, konnte sie eine handliche Pistole aus der Tasche ziehen, die mit in Mondsteinöfen gegossenen Silberkugeln geladen war. Außerdem hatte sie gefrorene Feuerbälle mit, in kugelrund geschliffene Rubine eingelagerte Feuerkugelzauber, die sie durch bloßes Werfen freisetzen konnte. Normalerweise reichte das völlig aus, um einen Werwolf oder einen Vampir aus der Welt zu schaffen. Doch meistens nutzte sie den unfehlbaren Todesfluch, der gegen Mitmenschen absolut verboten war.

Valentina streifte so behutsam sie konnte durch die schmalen Gassen und ignorierte den in ihren Lungen brennenden Qualm von mehreren Millionen Autos. Gab es dieses Monstrum denn wirklich? Oder hatte sie jemand verulken wollen. Außerdem kam es auch immer wieder vor, daß Muggel sich als gefährliche Ungeheuer verkleideten, um Ihresgleichen zu erschrecken. sie hätte fast einmal einen blutrünstig tuenden Muggel in Vampirverkleidung mit einem gefrorenen Feuerball eingeäschert, wenn ihr ring bei Annäherung nicht ruhig geblieben wäre und der Typ eine unverkennbare Knoblauchfahne ausgeatmet hätte. Knoblauch und Vampire paßten nicht zusammen. So hatte sie den Schwindler der gewöhnlichen Polizei überlassen können. Ein weithallender Wortwechsel wehte aus einem Fenster mehrere Dutzend Meter vor Valentina durch die Gasse. Sie hörte, daß sich ein Ehepaar nur über die Tagesplanung unterhielt, keineswegs wütend, sondern ruhig. Valentina lauschte auf die Musik aus mehreren Radios oder Stereoanlagen und dachte einen Moment nicht daran, daß sie hier gerade auf einer gefährlichen Jagd war, wobei die Rollen von Jäger und Gejagtem sehr schnell wechseln konnten. Dies fiel ihr erst wieder ein, als das miteinander redende Paar schlagartig verstummte. Entweder gab es nichts mehr zu erzählen oder ... Ihr magischer Warnring zitterte leicht und ruckte nach vorne. Das tat er, um zu zeigen, daß eine Gefahrenquelle vor ihr lag. Dann drehte sich der Smaragd ein wenig nach rechts und verharrte nach rechts oben weisend. Also vor ihr und rechts oben gab es etwas, das magisch und bösartig war. Valentina überlegte, ob der unbekannte Widersacher auf einem der Dächer lauern oder in einem der Häuser versteckt sein mochte. Dann hörte sie die Schreckensschreie der Frau, die eben noch mit Hingabe von einem Kinobesuch am Abend gesprochen hatte. Valentina klappte ihre Tasche auf und fischte schnell den Zauberstab heraus. Für mehrere Meter große Feuerbälle war diese Gasse echt nicht gut geeignet, wenn sie nur einen Gegner erledigen wollte. Also doch der Todesfluch. Dann begann der Ring auf einmal, wild hin und herzurollen und dabei immer stärker zu zittern. Was sollte das denn bedeuten? Dann erkannte sie, daß sie wohl mehrere gefährliche Zaubergeschöpfe vor sich hatte. Doch alles was sie vor sich ausmachte waren fünf halbwüchsige Jungen und zwei nicht gerade mit Kamm und Bürste vertraute Mädchen, die gerade am anderen Ende der schmalen Gasse einbogen. Der Ring zitterte nun so heftig, daß Valentina meinte, ihr Finger würde unter den Vibrationen immer heißer oder fiele ihr gleich von der Hand. Wenn das da vorne keine normalen Menschen sondern Werwölfe waren ... durfte der Ring nicht so alarmiert reagieren. Denn bei Tag und ohne Vollmond waren die meisten Werwölfe harmlos. Vampire konnten selbst bei der abgeschotteten Sonneneinstrahlung hier nicht so unbekümmert herumlaufen, auch wenn Valentina erfahren hatte, daß eine amerikanische Vampirin etwas erbeutet hatte, um sich geraume Zeit der Sonnenstrahlung auszusetzen, ohne qualvoll zu verenden. Da passierte etwas, daß Valentina schlagartig alle Routine und Gedanken aus dem Hirn trieb. Eines der Mädchen rückte nahe an einen der Jungen heran. Dabei begannen beide anzuschwellen und in die Höhe zu wachsen. Valentina sah, wie die Hautfarbe dunkler wurde, und wie die verstruwelten Haare immer kürzer wurden. Diese Art von zauberstabloser Verwandlung kannte die junge Ministeriumsmitarbeiterin nicht. Sie blieb stehen und sah, wie die unheimliche Metamorphose voranschritt. Die übrigen Jugendlichen schienen davon nicht beeindruckt zu werden. Sie sahen ihren Altersgenossen ganz lässig zu, als würden die ihnen nur was vom letzten Fußballspiel erzählen. Dann begann auch das zweite Mädchen, sich ohne zu zucken oder zu keuchen zu verändern. Die ersten beiden wirkten mittlerweile wie aufrechtgehende Echsen mit schwarzen und grünen Schuppen. Die Kleidung platzte ihnen von den Körpern. das zuerst in die Umwandlung eingetretene Mädchen verlor dabei immer mehr ihrer weiblichen Formen, bis sie zu einem über zwei Meter aufragenden Ungeheuer wurde, das wie eine senkrecht aufgerichtete Schlange mit beweglichen Armen und Beinen aussah. Ihr Kopf war flach wie der einer gewöhnlichen Schlange und besaß ein Gesicht mit großen, bleichen, ausdruckslosen Augen, deren Pupillen katzenhaft geschlitzt waren. Valentinas Ring vibrierte nun so wild, daß er den von ihm umschlungenen Finger schmerzhaft auslenkte. Mittlerweile stand auch das zweite Mädchen völlig verändert da. An Stelle ihrer Brüste zierte ein massiver Schuppenpanzer ihren Oberkörper, eine natürlich gewachsene Rüstung, in der sich das Geschöpf jedoch völlig leicht und unbehindert bewegte. als wäre diese Verwandlung eine Reihe umfallender Dominosteine, traten nun alle anderen Jugendlichen in diese schreckliche Transformation ein. Es dauerte keine halbe Minute, da standen statt der sieben Teenager sieben abscheulich anmutende Kreaturen vor Valentina. Die beiden Mädchen waren zu blau-schwarz geschuppten Monstren geworden. Daneben erkannte die Ministeriumsmitarbeiterin einen rot-braunen, zwei rot-schwarze und zwei grün-schwarze Horrorwesen. Ihr war klar, daß sie gegen diese Ungetüme mit dem Zauberstab alleine keine Chance hatte. Doch im Moment schienen die sieben vorhin so gut getarnten Monstren nichts von ihr zu wollen. Besser, sie wirkten so, als könne ihnen niemand etwas anhaben, und jede von ihnen ausgesuchte Beute wäre ihnen sicher. Sollte sie sich zurückziehen und Verstärkung rufen? Das war wohl die vernünftigste Lösung. Denn in diesem Moment setzten sich die sieben Schreckgestalten in Bewegung, gemütlich aber gefährlich. Dabei fächerten sie ohne hörbares Kommando aus, bis sie eine V-Formation bildeten, deren Spitze eines der umgewandelten Mädchen bildete. Das Echsenwesen deutete auf Valentina, was für diese unmittelbar bedeutete, daß sie jetzt schleunigst handeln oder fliehen mußte. Da beschleunigte das V aus sieben Bestien auch schon. Valentina griff das Geschöpf am Ende der Formation an. "Stupor!" Rief sie. Laut krachend prallte ein roter Blitz auf das Wesen und prallte laut zischend ab, traf den flachen Schädel eines anderen Biestes und prallte schwächer leuchtend ab, bevor der Schocker an einer Hauswand mit dumpfem Knall in Funken zerstob. Valentina sah, wie die Ungeheuer keine zehn Meter mehr von ihr fort waren. Sie drehte sich auf der Stelle und verschwand. Die Schlangenwesen fauchten verärgert. Doch Valentina war nicht gleich geflohen, sondern hatte sich nur hundert Meter weiter von den Kreaturen entfernt. Denn ihr war klar, daß sie diese Monstren schnell erledigen mußte. "Avada Kedavra!" Rief sie ungeachtet dessen, daß diese Worte und was diesen folgte in dieser Gegend für Aufruhr sorgen mußte. Ein gleißender Blitz aus grünem Licht sirrte wie ein metallisches Geschoß durch die Luft und erwischte die Kreatur am äußeren linken Ende des in ihre Richtung offenen Vs. Die Kreatur strauchelte unter dem Aufschlag des Todesfluches und fiel hin. Doch kaum berührte sie mit ihrem Körper den Erdboden, schnellte sie wieder hoch und spurtete los. Wie konnte das angehen?! Valentina schätzte, daß der Angreifer keine fünf Sekunden brauchen würde, um sie zu erreichen. Sofort disapparierte sie wieder und gewann weitere hundert Meter Abstand. Noch einmal griff sie das ihr entgegenstürmende Monster an. Doch wieder warf der Fluch es nur um. Wenn es mit seinem ganzen Körper den Boden berührte, erwachte es wieder zum Leben. Mittlerweile löste sich die Formation auf und wechselte zu einem wütenden Haufen aus sechs Bestien. Dann konnte Valentina noch ein weiteres Ungeheuer sehen, das sich geschmeidig aus einem Fenster herausschlängelte und wie mit Fliegenbeinen an der Wand herablief, sich aus knapp einem Meter fallen ließ und die voranstürmende Front beaufsichtigte. Valentina Pontecelli erkannte, daß die beiden Eheleute, die heute Abend ins Kino gehen wollten, offenbar von dieser Kreatur getötet worden waren. Sie mußte diese Brut sofort auslöschen. Im Zweifelsfall mußte sie die ganze Straße in Brand stecken, wenn sie den acht Bestien damit den Garaus machen konnte. So ließ sie den Zauberstab in die andere Hand überwechseln und fingerte einen der kugelrunden Feuerrubine aus der Tasche. Sie holte aus und warf den glattgeschliffenen roten Stein von sich. Dabei fing dieser an zu glühen. Er traf das Ziel und explodierte in einem mehrere Meter durchmessenden, blau-goldenen Flammenball, der das angezielte Scheusal vollständig verschlang. Valentina hörte ein lautes Schnauben, vielleicht eine Schmerzreaktion. Ausläufer der Feuerkugel setzten Hauswände in Brand und ließen die ersten Leute "Feuer!" Rufen. Auch die nachfolgenden Schlangenmonster wurden von den freigesetzten Flammen ergriffen. Doch ihrem Schuppenpanzer geschah nichts. Auch das unmittelbar getroffene Geschöpf schälte sich nur schwach glühend aus dem nun wieder zusammenbrechenden Feuerball und suchte den Absender dieses Angriffs. Feuer und Rauch verhüllten immer mehr die Sicht. Valentina erkannte, daß die Monster auch gegen mächtiges Zauberfeuer immun waren. Sie rückten weiter vor. Noch einmal warf Valentina zwei Feuerkugeln nach den sicherlich höchstgefährlichen Geschöpfen. Doch diese Aktion diente eher dazu, ihren Rückzug abzusichern. Denn ihr war klar geworden, daß sie die kleine Pistole mit den Silberkugeln gar nicht erst zu ziehen brauchte, wenn die Schuppenhaut dieser Monster selbst dem Todesfluch widerstand. Zwei Feuerbälle donnerten los, als sie disapparierte, um im Ministerium Meldung zu machen. Die Gasse begann nun lichterloh zu brennen. Die acht Kreaturen liefen zunächst weiter. dann, auf das Kommando einer der beiden blau-schwarzen Exemplare, stoppten die Wesen und zogen sich zurück, während ringsum Feuer und Rauch über die eng beieinanderstehenden Häuser hereinbrachen.

Angstschreie und Wutgeschrei übertönte das Knistern, grollen und Knacken des entfachten Brandes noch. Die acht Schreckenswesen ließen sich davon nicht lange beeindrucken. Sie blickten sich mit ihren ausdruckslosen Augen um. Dann sprach der, der aus dem Haus herausgeklettert war in einer fauchenden, zischenden Art:

"Wir dürfen nicht zusammenbleiben. Sonst erkennt man uns andauernd. Verteilt euch im Schutz der Erde und verbreitet unsere Art behutsam über dieses Land!" Auf diesen Befehl hin zerstreuten sich die Monster, liefen unter den nach ihnen greifenden Flammenzungen hindurch und ignorierten den beißenden Qualm. Zehn Häuser standen nun in hellen Flammen. Aus der Ferne klangen bereits die Warnsignale heranpreschender Feuerwehrwagen. Niemand achtete auf die acht überlebensgroßen Gestalten, die behende zwischen den Brennenden Fassaden hindurchschlüpften und sich dabei weit voneinander entfernten. Doch erst als sie aus der Brandzone heraus waren, wechselten sie innerhalb weniger Sekunden in die Gestalten halbwüchsiger Stadtbewohner. Allerdings waren sie jetzt splitternackt und würden dabei noch mehr auffallen. Doch Sie schafften es, fast am Boden kriechend in der Deckung der Hauswände zu bleiben, bis sie fanden, was sie suchten, einen mit eisernem Deckel verschlossenen Kanalzugang, Als wenn der Deckel aus Papier wäre, wurde er von einem der nun wieder menschlich aussehenden Geschöpfe angehoben. Die Wesen schlüpften, nun etwas weniger behende, in die Tiefe des Schachtes. Der anführer, der seine Schlangengestalt noch nicht aufgegeben hatte, schloß hinter dem letzten den Deckel und zwengte sich zwischen zwei Hauswände, als aus allen Richtungen die Feuerwehr herbeieilte.

Valentina Pontecelli machte umgehend Meldung bei ihrem Vorgesetzten, Signore Giovanni Montebianco. Der ohnehin schon leicht erregbare kleine Zauberer mit dem Spitzbauch und dem grauen Haar, das ihm verwegen um die Schultern wehte, herrschte sie lautstark an, was ihr denn eingefallen sei, eine Muggelstraße anzuzünden. Sie hatte es schwer, zu erklären, was sie dort angetroffen und warum sie den Brand gelegt hatte, obwohl sie jetzt wußte, daß es völlig sinnlos gewesen war. Als sie es endlich schaffte, lauter zu keifen als Montebianco brüllte, konnte sie ihre Meldung vollenden und die Kreaturen beschreiben. Das ließ Montebianco vollkommen erbleichen und verstummen. Zitternd stand er vor Valentina.

"Das kann nicht sein, Valentina. Diese Wesen gibt es nicht. Sie müssen sich geirrt haben, Valentina."

"Ich würde mich auch freuen, wenn ich jetzt aufwachen und es als reinen Alptraum erkennen könnte. Aber diese Monstren gibt es. Hier, der Ring. befragen sie dessen Aurenspeicher. Wir haben es mit völlig unbekannten und offenbar mit herkömmlichen Mitteln nicht zu tötenden Geschöpfen zu tun. Selbst Avada Kedavra kann ihnen nichts anhaben."

"Geben Sie mir den Ring, Valentina!" Seufzte Montebianco. "Falls Sie diesen Wesen wirklich begegnet sind, stimmt es doch, daß es diese Kreaturen gibt, die wir bis vor wenigen Monaten nur als reinen Unsinn abgetan haben. Dann gnade uns jeder Gott, an den hier in Rom jemals geglaubt wurde."

"Was für Wesen meinen Sie, Giovanni?" Wollte Valentina wissen, während sie den Ring vom Finger streifte und in eine kleine silberne Kugelschale ähnlich einem Aschenbecher legte.

"Wie gesagt, war nur eine Geschichte, daß im alten Atlantis Wesen existiert haben, die eine Mischung zwischen Mensch und Schlange waren und gegen Zauber und Elementarkräfte gefeit waren. Sie galten als letzte Garde der bösen Herrscher dort und sollen größtenteils vernichtet worden sein. Aber es wurde erzählt, daß ihr Schöpfer und Meister einige von ihnen in Sicherheit gebracht hat, wo sie die Jahrtausende verschlafen konnten, bis jemand käme, um sie wieder aufzuwecken. Falls es wirklich diese Wesen sind ..."

"Wieso erfahre ich das jetzt erst, daß es diese Geschöpfe mal gegeben haben soll?" Erboste sich Valentina. "Ich wäre fast umgebracht worden! Mein Glück war, daß ich noch disapparieren konnte. Ich möchte nicht wissen, wie viele unschuldige Muggel jetzt wegen der Feuerkugeln ihre Häuser oder ihr Leben verlieren müssen. Wie hat man diese Ungeheuer denn bekämpfen können."

"Das weiß ich nicht, Valentina. Aber Ihre Informationen über die Kreaturen sollen Sie haben, wenn die Befragung des Aurenspeichers Ihres Warnrings bestätigt, daß wir es mit einer bisher nicht bezeichneten Art von Ungeheuern zu tun haben", sagte Montebianco und griff eine zweite silberne Halbkugel, die so groß war, daß sie die Schale mit dem Ring locker überdecken und einschließen konnte, als der Leiter des Büros zur Abwehr gefährlicher Geschöpfe sie über den Ring stülpte. Dann berührte er mit seinem Olivenholzzauberstab mit Drachenherzfaserkern den Scheitelpunkt und murmelte leise Wörter, worauf aus der umgestülpten Silberschale blauer Qualm ausdunstete, der immer dichter wurde und sich mehr als zwei Meter über dem Schreibtisch zu einer rotierenden Rauchsäule ausbildete. Dann konnten Montebianco und Valentina Pontecelli einzelne Konturen erkennen, die erst als flimmernder Schemen und dann als rauchartige Erscheinungsform sichtbar wurden. Es war die leicht bläulich glühende Nachbildung jener Geschöpfe, mit denen Valentina zusammengestoßen war. Für zehn Sekunden stand die dunstige Nachempfindung leicht wabernd und sich kräuselnd über dem Tisch. Dann nahm Montebianco mit einem sehr betrübten Seufzer den Zauberstab fort, und die Erscheinung zerfloß zu weißem Dunst. Dieser löste sich in nur drei Sekunden restlos auf.

"Wir haben es amtlich", stöhnte Montebianco nun total bestürzt. "Diese Ungeheuer gibt es. Und sie sind mitten unter uns."

"Sollen wir dem Minister Meldung machen? Wir müssen doch was finden, um diese Kreaturen zu bekämpfen", sagte Valentina.

"Der Minister muß es wissen, sowie alle Strafverfolgungs- und Seuchenbekämpfungsbeamten. Doch wie wir diese Kreaturen bekämpfen können weiß ich nicht."

"Ich hätte vielleicht doch erst auf sie schießen sollen", seufzte Valentina.

"Das hätte nichts gebracht. Sie sind gegen jegliche Metallwaffen immun, auch wenn sie mit magischen Kräften ausgestattet sind. Zumindest verraten das die Unterlagen, aus denen ich von diesen Bestien weiß", gab Montebianco trübselig zurück. Dann kehrte seine Entschlossenheit wieder zurück. "Wir müssen unsere Leute informieren und warnen. Wir sprechen umgehend mit dem Minister. Dann soll er eine Konferenz einberufen, um zu beraten, wie wir diesen Geschöpfen beikommen können."

"In Ordnung, Giovanni", erwiderte Valentina Pontecelli. Sie hoffte, daß sie zwischen dem Gespräch mit dem Minister und der Eilkonferenz noch eine halbe Stunde Zeit fand, um eine weitere Person zu informieren, die bereits vor mehreren Wochen darum gebeten hatte, nach ungewöhnlichen, ja unheimlichen Gestalten ausschau zu halten, ohne jedoch näheres dazu zu erwähnen.

__________

Der Lärm war erträglich, fand der Mann im schwarz-goldenen Umhang und strich sich sein langes, schwarzes Haar glatt. Seit zwei Tagen arbeiteten Baumagier im Atrium daran, ein würdiges, alles an Macht verkörperndes Denkmal zu vollenden. An Stelle des heuchlerischen Brunnens der magischen Geschwister würde schon in den nächsten Tagen ein alles überragendes Kunstwerk die Besucher und Mitarbeiter daran erinnern, daß hier das Zentrum aller Macht in England lag. Hatten sich seine Vorgänger Bagnold, Fudge und Scrimgeour bisher immer so übertolerant den Muggeln gegenüber verhalten, so würde sich das in dem Moment ändern, wenn die von diesen in die Zaubererwelt eingebrachten Unbilden unschädlich gemacht wären. Der magische Wandkalender zeigte einen dauernd das Maul zum Feuerspeien aufreißenden walisischen Grünling. Er stand für den Monat August. Sieben Striche zierten bereits die vollendeten Tage. Unter der 8 zeichnete sich bereits ein halber grüner Strich ab. Die neben dem Kalender hängende Wanduhr aus Gold und schwarzem Stein zeigte bereits fünf Minuten nach fünf Uhr. In einer Stunde würde Pius Thicknesse, der amtierende Zaubereiminister Großbritanniens, für heute Feierabend machen. Den Abend wollte er in seinen Privaträumen mit einem Buch verbringen. Er hoffte, daß er diese Nacht schlafen durfte. In der letzten Nacht war der dunkle Lord unangefochten in seinen Räumen aufgetaucht und hatte ihm weitere Vorschläge gemacht, wie er den sogenannten Muggelstämmigen beikommen könnte. Thicknesse hatte auch ohne den gegen ihn gewirkten Fluch genug davon, daß immer mehr reinblütige Zauberer und Hexen ausstarben und durch Leute mit fragwürdiger Abstammung ersetzt wurden. Dem mußte endlich einhalt geboten werden und er wußte jetzt auch wie. Er griff zu einer kleinen Dose neben seinem bauchigen Tintenfaß. Er entnahm ihr eine kleine, weiße Muschelschale aus einer roten Schatulle und rief hinein: "Dolores, bitte zu mir ins Büro!"

Eine Minute später klopfte es leicht metallisch klirrend an die Tür. Er rief herein. Für einen Moment klang das Rumpeln, Rufen und Hämmern aus dem Atrium lauter, als eine kleine, untersetzte Hexe mit krötenartigem Gesicht hereintrat und den Minister von unten her anlächelte. Die Tür fiel leise klappernd zu und dämpfte den Baulärm von Unten.

"Sie haben mich gerufen, Herr Minister?" Fragte die Hexe mit honigsüß klingender Kleinmädchenstimme.

"Setzen Sie sich bitte, Dolores!" Erwiderte der Minister und deutete auf einen freien Stuhl ihm gegenüber. Die Mitarbeiterin nickte und nahm Platz. "Nun, wenn wir das Ministerium wirklich von allen Muggelfreunden befreien wollen, die im Namen der Zaubereigeheimhaltung jede Initiative gegen die Arroganz der Muggel ablehnen, gilt es wohl, das Übel bei seinen Wurzeln zu packen und mit Stumpf und Stiel auszurupfen. Sie verstehen, was ich meine?"

"Selbstverständlich, Sir", erwiderte Dolores Jane Umbridge zuckersüß lächelnd. "Sie möchten endlich den Ballast loswerden, der uns daran hindert, die sogenannten Muggelstämmigen aus der Zaubererwelt auszuschließen und die bereits darin festgesetzten unschädlich zu machen. Ich habe mit Lethicus Parryl von der Mysteriumsabteilung gesprochen. Wenn wir den Leuten klarmachen können, daß Magie nicht angeboren werden kann, wenn beide Elternteile aus einer langen Linie von Magielosen stammen, können wir diesen Unrat strafrechtlich belangen. Denn Dieben und Räubern werden die Mitglieder der Zaubererwelt keine Tränen nachweinen."

"Sind Sie sich da vollkommen sicher?" Fragte der Minister. "Immerhin haben seit Slytherin hunderte sogenannte Muggelstämmige Hogwarts besucht und ihre Blutlinie in anständige Stammbäume eingekreuzt. Denen jetzt zu verdeutlichen, daß diese Leute gemeine Diebe und Räuber sind ist nicht einfach", erwiderte der Minister.

"Alles eine Frage der Auslegung", erwiderte Umbridge. "Immerhin konnte ich mit Ihrem Vorvorgänger Fudge glaubhafte Erklärungen in den Tagespropheten bringen, daß Dumbledore und Harry Potter die Zaubererwelt in Panik versetzen und dann für sich erobern wollten. Das hat bis zu dieser miesen Falle dieses Halbblut-Bastards Potter auch funktioniert. Konnte ich wissen, daß er, dessen Name nicht genannt werden darf, bereits daran arbeitete, die Zaubererwelt zu verbessern?"

"Nun, das betrifft Sie wohl jetzt auch nicht weiter, Dolores. Es sei denn, wir schaffen es, Potter und seine Anhänger, sowie den Phönix-Orden als unliebsamen Störfaktor auszuschalten. Wir müssen den Hexen und Zauberern klarmachen, daß sie vom Dunklen Lord nichts mehr zu befürchten haben, wenn alle Blutsverräter und Schlammblüter verschwunden oder unschädlich gemacht sind. Das wird sie spuren lassen, Dolores. Um eine geordnete Abhandlung dieses Problems zu gewährleisten schlage ich vor, daß Sie eine Kommission zusammenstellen, die nachforscht, wer alles magielose Eltern hat und diese dann vorlädt, um zu ergründen, woher sie dann ihre magischen Kräfte haben. Ich finde, bei Ihnen ist diese Amtsgruppe in den aller besten Händen, Dolores. Daher lasse ich Ihnen da weitestgehend freie Hand, wie Sie diese Kommission zusammenstellen und wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Falls Sie möchten, können wir sie im geheimen operieren lassen und die betreffenden Subjekte per Vorführung einbestellen. Ich denke mal, niemand würde großes Geschrei machen, wenn ein Nachbar mit fragwürdiger Herkunft auf nimmer Wiedersehen verschwindet."

"Solange die Nachbarn davon überzeugt sind, daß es besser ist, als wenn sie selbst verschwinden und daß Schweigen dafür sorgt, daß sie nicht auch verschwinden", vollendete Dolores Umbridge den Gedankengang des Ministers. Doch dann umspielte ein feistes Lächeln ihre wulstigen Lippen. "Bei allem Respekt, Minister. Ich finde, die Zauberergemeinschaft soll wissen, daß eine Kommission die Abkunft und den Magieerwerb fragwürdiger Zeitgenossen prüft. Wir haben keinen Grund, uns zu verstecken. Im Gegenteil, je deutlicher die Öffentlichkeit erkennt, welche Gefahr durch die Schlammblüter droht, desto eher wird sie uns helfen, diesen Unrat auszukehren. Wir müssen dann nur alle einbestellen, die solchen Kriterien entsprechen und zwischen den Zeilen klarstellen, daß jedes Fernbleiben ein Schuldeingeständnis ist. Wenn wir deren Namen dann noch in die Zeitung setzen, sind sie rechtlos. So können wir dieser Plage beikommen, ohne zusätzliches Personal für die Suche einzuspannen. Wer dann noch meint, gegen uns aufbegehren zu müssen, kann von den Strafverfolgungsleuten Yaxleys erledigt werden."

"Yaxley hat gefragt, ob wir nicht eine grundsätzliche Freigabe des Todesfluches bei fragwürdigen Personen machen sollen", sagte Thicknesse. "Aber damit würden wir jede Kunde, woher diese Subjekte ihre Zauberkraft haben auslöschen und die Hinterleute schützen. Hiermit ergeht der formelle Auftrag an Sie, Untersekretärin Dolores Jane Umbridge, eine Kommission zu bilden, die Personen registriert und erforscht, die angeblich durch die Geburt Zauberkräfte bekommen haben, obwohl ihre Eltern nicht einen Funken Magie im Leib hatten. Es gilt auch, möglichen Magieraub in ihren Ahnenlinien aufzudecken. Sonst kommen uns nachher noch eierköpfige Toleranzfetischisten mit diesen hahnebüchenen Theorien von Ruster und Simonowsky."

"Parryl sagt, daß wenn klar ist, daß Magie nur durch gewaltsame Aneignung erworben werden kann, diese Theorie blanker Unsinn ist. Gefährlicher, aber doch völlig haltloser Unsinn", erwiderte Dolores Umbridge eiskalt.

"Am besten machen Sie Cynthia Flowers klar, daß sie besser dabei fährt, wenn Sie Ihnen behilflich ist, diese Subjekte zu ermitteln. Gestern hat sie doch glatt versucht, mir einreden zu wollen, daß wir eine besondere Absicherung für Hogwarts und die Bahnstrecke bräuchten, weil der dunkle Lord es ja besonders auf Muggelstämmige abgesehen habe", lachte der Minister amüsiert. Dolores Umbridge fragte ihn lächelnd, was er ihr darauf geantwortet habe. "Daß sie ihren Mithexen und -zauberern einen großen Gefallen täte, wenn sie es einrichte, daß diese Bälger erst gar nicht nach Hogwarts losfahren würden. Sie meinte dann, daß das wohl ganz einfach ginge, indem sie den Eltern einredete, daß das alles nur ein Scherz gewesen sei."

"Bitte was?! Wenn diese Bälger von ihren Eltern Magie eingeflößt bekamen, die diese anderen gestohlen haben, würden wir die doch seelenruhig damit weitermurksen lassen. Nein, die müssen alle in den Zug nach Hogwarts rein, Herr Minister. Ich kläre es mit Flowers. Immerhin will deren kleine Schwester ja demnächst heiraten. Da wäre es wohl nicht sonderlich angenehm, wenn dem Ehemann eine Anzeige wegen unrechtmäßiger Zauberei oder schlimmeren blüht, nachdem Sie gestern die Unruhestifterverordnungen erlassen haben, Sir."

"Dann kriegen Sie diese aufmüpfige Person dazu, zu spuren", knurrte der Minister! Ich gebe Ihnen Carte Blanche für dieses Vorhaben."

"Bitte nehmen Sie einen anderen Ausdruck dafür, Sir. Freibrief oder Generalvollmacht", seufzte Umbridge leicht nervös. "Immerhin bezeichnet der französischeAusdruck eine unrechtmäßige Einmischung ausländischer Mächte, wie der Angriff der Normannen damals."

"Möchten Sie mir eine Vorlesung über Wortwahl und Wortherkunft halten, Dolores?" Fragte der Minister leicht ungehalten. Seine Untersekretärin schüttelte sehr entschlossen den Kopf. "Also dann gehen Sie bitte los und setzen die nötigen Prozesse in Gang, damit wir in diesem Jahr noch eine schlammblutfreie Zaubererwelt verkünden können!"

"Natürlich, Herr Minister. Ganz meiner Meinung", erwiderte Dolores Umbridge unterwürfig. Dann stand sie auf, nickte ihrem neuen Vorgesetzten noch einmal diensteifrig zu und verließ dessen Büro. Thicknesse blickte leicht amüsiert auf die Tür. Warum hatte seine eifrige Untersekretärin so allergisch auf einen einfachen Fachausdruck reagiert? Er hatte sie nicht legilimentiert. Zumal Umbridge eine gute Okklumentorin war. Sonst hätte er gewußt, was in der untersetzten, oftmals scheinheilig auftretenden Hexe vorgegangen war. Doch warum sollte es ihn auch betreffen, daß Dolores Umbridge sich sorgte, ob ausländische Personen die neue Kommission bekämpfen würden? Er wußte vom dunklen Lord, daß über alle britischen Inseln ein magisches Netz gespannt war, in dem jeder Eindringling, der nicht auf dem Boden dieses Landes geboren wurde, innerhalb weniger Sekunden qualvoll verenden und zu Staub zerfallen würde. Unter dem Imperius empfand Thicknesse eine große Hingabe an die Aktionen des dunklen Lords. Dieser hatte auch immer wieder beteuert, daß er keinem Zauberer ein Leid zufügen würde, der sich mit der zu schaffenden Weltordnung arrangierte.

__________

Anthelia straffte sich. Um sie herum knisterte und rauschte es. Zu sehen war jedoch nichts. ER hatte es schon wieder versucht, und er hatte es wieder nicht geschafft. Das war jetzt schon der vierte Fernfluch, den der Waisenknabe auf sie legen wollte. Es war schon beachtlich, daß er über die gewaltige Entfernung hinweg den Fluch der fernen Feindschaft schleudern konnte. Doch auch wenn er ihren wahren Namen viermal dabei wiederholte und womöglich jedesmal das Blut eines unschuldigen Menschen dabei als materiellen Fokus verwendete kam er nicht gegen Dairons Erbstücke und den Stab des dunklen Wächters an. Hinzukam, daß Anthelia ja genau wußte, wie der Waisenknabe mit vollem Namen hieß und daher seine Flüche niederkämpfen konnte, sobald sie fühlte, daß sie auf sie einstürmten.

"An mir wirst du dir deine verrotteten Zähne ausbeißen, Sohn einer liebeskranken Versagerin", schnaubte Anthelia, als auch die letzte Spur des ihr geltenden Fluches ausgelöscht war. "Deine Zeit ist knapp, Waisenknabe. Das habe ich dir kundgetan. So koste denn meine Macht!" Sie entspannte sich. Ihr ferner Feind würde mindestens fünf Minuten brauchen, um die Kraftanstrengung zu verdauen, die ihn der neue Fernfluch gekostet hatte. Auch wenn sie wußte, daß sie wohl nicht gegen seinen selbst verfluchten Körper ankommen würde sollte der doch wissen, daß auch sie ihre Magie über große Entfernungen schicken konnte, wenn sie es wollte. So konzentrierte sie sich. Vor ihrem Inneren Auge entstand das Bild des Feindes, umzingelt von ihn bedrängenden Schatten, die nach seinem Hals langten und ihm die flache Nase zuhalten wollten. Als sie dieses Szenario klar vor dem inneren Auge stehen und ihren Willen zur Zerstörung dieses Gegners auf den Höhepunkt getrieben hatte murmelte sie altdruidische Verwünschungen, mit denen ein um seinen Lohn und seine Anerkennung geprellter Druide früher ganze Ernten verderben und Kriegsheere straucheln lassen konnte. Dabei nannte sie immer wieder mit unheimlich tief klingender Stimme den vollen Namen des Feindes: Tom Vorlost Riddle und fügte sogar die Namen seiner Eltern an, die sie von Pandora erfahren hatte. Dann, mit einem letzten Wort und einer wilden Verkrampfung ihres Körpers, als wolle sie aus allen Körperöffnungen das Unheil hinauspressen, ließ sie ihren silbergrauen Zauberstab in die Richtung ausschwingen, in der ihr Gegner wohl zu finden war. Der Stab erstrahlte in kaltem, blauen Licht, das pulsierte und dann mit einem leisen Fauchen davonraste. Innerhalb weniger Momente fühlte Anthelia, wie ihr Gegenstoß das ausgesuchte Ziel erreichte und darauf einwirkte. Sie hielt den Zauberstab fest in der Hand und fühlte, wie ihr Gegner unter der plötzlichen Last wankte und dann mit gequält wirkendem Widerstandsgeist gegenhielt. Sie konzentrierte sich aufs äußerste, ihren Angriff nicht vorzeitig abklingen zu lassen. So hielt sie Voldemort, der ihrem Zauber nur mühevoll widerstand, eine ganze Minute im Klammergriff über die Distanz wirkender Behexung. Erst als sie fühlte, wie ihre eigenen Kräfte zu versiegen drohten, zog sie sich vorsichtig zurück, um nicht zum Opfer ihrer entfesselten Magie zu werden. Sie fühlte noch, wie Voldemort den ihn bedrängenden Zauber gerade so abschüttelte. Dann erlosch die Verbindung. "Ich kann dir zwar wegen deiner Seelenverstümmelung nicht beikommen, Waisenknabe. Aber das wird dich lehren, mich andauernd zu behelligen", knurrte Anthelia. Sie wartete noch fünf Minuten. Voldemort griff sie nicht noch einmal an. Offenbar hatte der dunkle Lord erkannt, daß er nur seine Zeit verschwendete, wenn er seine mächtigste Feindin dauernd mit wirkungslosen Angriffen eindeckte. Sie war weit weg von ihm und daher gegen direkte Angriffe sicher. Aber wie stand es mit ihm, wenn sie ihn direkt angreifen wollte. Seitdem er wußte, daß das Wissen von Bartemius Crouch Junior ihr eigen war, hatte er alle Treffpunkte aufgegeben, die der verblendete Muttersohn gekannt hatte. Dennoch wollte sie demnächst prüfen, ob sie in seine Heimat eindringen und mit ihren dortigen Schwestern sprechen konnte. Immerhin galt es, Lady Ursina zu kontakten. Denn sie würde gerne mehr über die Ereignisse des ersten August erfahren. andererseits gab es in den Staaten auch einiges neues. Seit nun acht Tagen residierte dieser Isolationist Wishbone im Ministerium. Und er hatte doch wahrhaftig die Frechheit begangen, alle weiblichen Abteilungsleiter durch alte Kameraden von ihm zu ersetzen. Donata Archstone war mit einer großzügigen Abfindung von viertausend Galleonen komplett aus dem Ministerium hinausgeworfen worden, angeblich weil sie seinen Vorgänger Cartridge nicht optimal vor Nyx' Angriff geschützt hatte. Anthelia wollte diesem Wichtigtuer nicht erklären, daß er selbst nichts gegen diese mit der Macht des Mitternachtsdiamanten geschwängerte Fledermaus hätte ausrichten können, wenn sie und Patricia Straton dieser Blutsaugerin nicht ihre Grenzen aufgezeigt hätten. Sicher, Nyx war entwischt und hatte sich wohl gut versteckt, um ihre Niederlage zu verdauen. Aber irgendwann mußte jede Maus wieder aus dem Loch kommen, in dem sie sich verkrochen hatte. Es stand auch zu befürchten, daß Nyx ähnlich wie Anthelia und ihr gemeinsamer Widersacher Voldemort ein Netz aus Getreuen in aller Welt zu knüpfen versuchte. Voldemorts Ambitionen hatte sie ja schon früh genug einen Riegel vorgeschoben. Er mochte zwar im Land der Briten gerade den süßen Geschmack absoluter Macht kosten. Doch Britannien war ein kleines Inselreich, umgeben von einem Meer aus Widerstand und unbeherrschbarer Zaubererwelt. Ohne Verbündete im Ausland war Voldemort dazu verdammt, sich auf sein kleines Inselreich zu beschränken. So mußte es bleiben, bis der Waisenknabe wieder mit seinen Eltern vereint werden konnte. Wenn sie wüßte, wo er die Anker seiner Unsterblichkeit verteilt hatte, wäre es kein Akt, ihm endlich das Lebenslicht auszublasen. Das wollte sie später auch in Angriff nehmen. Heute galt es noch, einen längst überfälligen Besuch zu machen. Sie wollte sehen, ob Cecil Wellington, der früher einmal Benjamin Calder geheißen hatte, wieder unter ihre Fernüberwachung gestellt werden konnte, nachdem Daianira sie mit ihrem widerlichen Sonnenmedaillon von ihrem Kundschafter getrennt hatte. Sie mußte klären, ob er diesen magischen Entbindungsschnitt überlebt hatte und ob er für ihr Medaillon doch noch zugänglich geblieben war. Gegen zwei Uhr nachmittags, so wußte die Oberste des Spinnenordens, würde sie den Jungen wohl im Haus dieses scheinheiligen Amtsträgers der nichtmagischen Welt in seinem Zimmer finden. Wenn sie direkt dort apparierte, fiel sie nicht auf.

Um zwölf Uhr erschien Donata Archstone, die nun nicht mehr so günstig platziert war. Das hieß aber nicht, daß sie keine wertvollen Informationen mehr beschaffen konnte.

"Höchste Schwester, der nette Mr. Wishbone hat gerade einen Fragebogen an alle Hexen in den Staaten losschicken lassen und sie zu einer Befragung vor die Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit zitiert. Er will mit diesen lächerlichen Mitteln herausfinden, mit welchen Leuten wir Hexen so Kontakt halten und ob wir vielleicht mit irgendwelchen nicht gern gesehenen Schwesternschaften in Verbindung stehen. Meine Quelle im Vorzimmer hat herausgelassen, daß er die Morde an den Schwestern Pandora und Patricia als Femetaten sieht."

"Tut er das?" Fragte Anthelia schnippisch. "Dann sollte er sich auch daran erinnern, wer ihm die immer gierigere Fledermaus sprichwörtlich vom Hals geschafft hat. Sogesehen hätte er nicht nur alle Hexen wie Nancy Gordon und dich in ihren Ämtern belassen, sondern uns auf Knien danken müssen, daß er wegen Nyx ins Amt gelangt ist und wir dieses Problem vorerst vertagt haben. Aber der Tag wird kommen, wo ich die Schulden eintreibe, die dieses Ministerium schon bei uns angehäuft hat."

"Es ist bedauerlich, daß ich nichts mehr ausrichten kann, als einen Informanten zu kultivieren und zu hoffen, daß wir wirklich genug erfahren, um uns wehren zu können."

"Die Frage ist nur, gegen wen", versetzte Anthelia. Sie verwand es doch nicht so leicht, daß ein übereifriger, überängstlicher Zauberer ihr eine wunderbare Helferin beinahe wertlos gemacht hatte. Sicher, Donata hatte noch viele Kontakte und konnte an Sachen heran, die nicht jedem zugänglich waren. Doch wenn etwas passierte, was die Spinnenschwestern unmittelbar betraf, konnte sie nicht das Ministerium dafür einsetzen, dieses Problem zu beseitigen. Dadurch war Anthelia gezwungen, einige Dinge selbst zu erledigen, wenn sie ihr lästig fielen oder gar gefährlich wurden. Doch dafür konnte Donata ja nichts, wußte die höchste Schwester ganz genau.

"So wie es im Moment aussieht hat der neue Zaubereiminister Großbritanniens alle von Scrimgeour getroffenen Vereinbarungen eingemottet, vielleicht sogar eingestampft, höchste Schwester. Wishbone kommt das natürlich gelegen. Zum einen hält ihm keiner vor, sich an bestehende Vereinbarungen zu halten. Zum anderen kann er jetzt vor der magischen Öffentlichkeit behaupten, daß die Nichteinmischung in europäische Angelegenheiten die richtige Politik sei."

"Und wie fühlt er sich sonst so?" Fragte Anthelia verhalten lächelnd.

"Er hat sich mehrmals mit seiner schwarz-goldenen Katze photographieren lassen und verbringt die freien Stunden wohl mit Lesen oder Malen in den Privaträumen, sagt meine Quelle. Ich soll dich übrigens schön von Nancy Gordon grüßen", erwiderte Donata. Anthelia stutzte. Nancy Gordon war vor Wishbones Amtsantritt die Leiterin des Muggelverbindungsbüros gewesen. Sie war keine von Anthelias Mitschwestern. Zumindest noch nicht!

"Sie grüßt mich?" Fragte Anthelia. "Sie kann unmöglich wissen, daß du und ich Schwestern im Geiste sind. Also was meinst du genau?"

"Sie hat meinem Informanten gesagt, daß sie ihren Rauswurf wohl "dieser neuen Hexe" zu verdanken habe, weil diese Wishbone so allergisch auf Hexen in Führungspositionen gemacht habe und daß sie ihr gerne ausrichten möchte, daß sie jedes nun wegfallende Monatsgehalt von ihr erstattet bekommen wolle."

"Nun, vielleicht sollte ich sie beim Wort nehmen", erwiderte Anthelia nun doch amüsiert grinsend. "Es kann nicht schaden, weitere Schwestern mit Kenntnissen der nichtmagischen Welt zu besitzen."

"Sie ist Muggelstämmige, höchste Schwester", wandte Donata Archstone ein.

"Genau wie Tyche Lennox oder Romina Hammton", schmetterte Anthelia das Gegenargument lässig ab. Donata Archstone nickte. Dagegen war nichts zu sagen.

"Apropos Schwestern, Donata. Wie hat die geschätzte Lady Daianira es hingenommen, daß du nicht mehr die Strafverfolgungsabteilung leiten darfst?"

"Sie hat gemeint, daß dies nach Wishbones Wahlkampfreden zu erwarten gewesen sei und Wishbone damit wohl auf einen Krieg mit den entschlossenen Schwestern ausgehe, nachdem er den Krieg gegen die Vampire um Nyx bestimmt verloren hätte, wenn ihr nicht jemand das Sonnenmedaillon gestohlen und sich dir angeschlossen hätte. Sie weiß natürlich, daß du nicht von ihr vernichtet wurdest, weil ja ihre eigenen Spione vermeldet haben, daß die eine der beiden Hexen ein Medaillon mit einem Rubin benutzt hat. Aber da erzähle ich dir wohl nichts neues. Sie tut natürlich gut daran, sich erst einmal schön fern von dir zu halten, nachdem ihr Trumpfas verlorengegangen ist."

"Sie geht davon aus, ich würde mich von ihr fernhalten, wenn es schon ihre hauseigenen Spatzen von den Dächern pfeifen, daß ich noch nicht in das Reich der Toten eingegangen bin? Nun, da werde ich die gute Daianira wohl bald mit einem neuen Freundschaftsbesuch beehren müssen, um ihr zu verkünden, daß weder sie noch ich bekommen haben, was wir in Pandoras Haus gesucht haben."

"Sage bitte unserer Mitschwester Patricia, daß sie sich hübsch versteckt halten soll, höchste Schwester! Daianira will herausfinden, wie sie das Sonnenmedaillon orten und der Diebin dann auf den Leib rücken kann. Womöglich denkt sie auch an einen Fernfluch."

"So, tut sie das?" Fragte Anthelia. "Es würde mich sehr amüsieren, wenn Daianira herausfindet, daß das Medaillon der Inkas sie als ehemalige Trägerin aus großer Entfernung anzeigt und jeden gegen seine neue Trägerin gewirkten Zauber aufhebt. Schwester Patricia wirkte sehr sicher, daß der Besitz des Medaillons ihr kein Ungemach bereiten kann. Und du weißt ja, daß sie wohl alle Geheimnisse ihrer Mutter gefunden und in ihr Gedächtnis aufgenommen hat. Würde sie eine Gefahr im Besitz des Medaillons sehen, hätte sie es schon längst beseitigt oder seiner früheren Eigentümerin zurückerstattet."

"Ich habe nur weitergegeben, was ich über Umwege von Lady Daianira erfahren habe."

"Von dem sie findet, daß ich das wissen darf", warf Anthelia ein. Immerhin ging Daianira ja davon aus, daß einige ihrer Mitschwestern bereits die Anführerin gewechselt hatten. So mußte sie jede von dieser gemachte Äußerung immer so sehen, daß Daianira davon ausging, daß Anthelia davon erfahren würde und damit bestimmte Sachen eher und andere Sachen weniger in Umlauf brachte. Vielleicht war die Warnung davor, das Sonnenmedaillon zu orten und dessen neue Trägerin zu bestrafen genau so eine Meldung, um Unruhe zu stiften, um der neuen Trägerin das gestohlene Schmuckstück zu verleiden. Immerhin handelte Anthelia nach ähnlichen Prinzipien. Das sparte unfeine Methoden oder gar stumpfsinnige Brutalität.

"Jedenfalls sieht Lady Daianira nach der Vertreibung von Nyx im Moment wohl keinen Grund, sich mit dir anzulegen, höchste Schwester", bemerkte Donata Archstone noch.

"Das lag und liegt mir fern, mich andauernd mit ihr zu streiten, Schwester Donata. Doch ich werde mir genau überlegen müssen, wie ich ihr diese Schmach in Schwester Pandoras Haus vergelten kann. Da ich davon ausgehe, daß sie genau davon ausgehen muß, habe ich keine Probleme damit, wenn sie es so behutsam es geht erfährt. Ich war und bin bereit, sie in ihrer Rangstellung unangetastet zu lassen, wenn sie dafür meine Rangstellung achtet und nicht danach trachtet, mich zu entmachten oder gar zu vernichten. Sollte sie weiterhin an diesem Wunsch festhalten, so gilt, was ich sie und die anderen Sprecherinnen hieß. Wer sich gegen mich stellt, fällt. Es liegt mir fern, Gewalt als Mittel meiner Pläne einzusetzen. Doch verachte ich sie nicht groß genug, um ihre Notwendigkeit zu leugnen, wenn diese gegeben ist." Donata nickte. Es war nichts wirklich neues, was Anthelia ihr sagte. Sie wollte gerade ansetzen, etwas beschwichtigendes zu erwidern, als es in der Empfangshalle der Daggers-Villa knallte. Jemand war appariert.

"Suora altissima?" Hörten sie eine leicht angerauhte Frauenstimme fragen. Anthelia flüsterte Donata zu: "Valentina Pontecelli. Offenbar möchte sie mir was ganz dringendes ... was längst zu befürchtendes ... mitteilen. Ich empfange sie im Salon. Kehre du zurück zu deinem Haus!" Donata nickte und verschwand. Fast zeitggleich disapparierte Anthelia, um fast im selben Moment neben einer kleinen, schwarzgelockten Hexe mit walnußbraunen Augen zu apparieren. In den folgenden Minuten ließ sich Anthelia von der in Italien angeworbenen Mitschwester aufgeregt berichten, daß sie vor sechs Stunden, wo es in den Staaten gerade Morgen war, mit acht abscheulichen Kreaturen zusammengestoßen sei, die gegen Todesflüche und Feuerbälle immun seien. Anthelia hörte sich diesen Bericht und auch den vom italienischen Zaubereiminister gefaßten Beschluß an, die unbekannten Ungeheuer zu suchen.

"Dann hat er diese Monster also über den ganzen Kontinent verstreut", schnaubte Anthelia auf italienisch. "Ich recherchiere noch, wie diesen Bestien beizukommen ist. Feststeht bisher, daß sie die Erde als magischen Verstärker benutzen. Das könnte bedeuten, daß sie auf Gewässern die tief genug sind oder im freien Flug angreifbar sind. Aber genaueres weiß ich wohl erst, wenn ich ein solches Geschöpf zu sehen bekomme. Wo genau hast du diese Kreaturen angetroffen?" Valentina Pontecelli berichtete es ihr. Anthelia beschloß, den Besuch bei Cecil Wellington auf morgen zu verschieben und sich die Gegend um die nun ausgebrannte Gasse in Rom genauer anzusehen. Sie wollte ihr Seelenmedaillon als Detektor für dunkle Kräfte einsetzen, wie es ihr geholfen hatte, Hallitti aufzuspüren oder den Ort, an dem die hundert Schlangenkrieger Sharanagots geschlafen hatten. So folgte sie Valentina Pontecelli mit mehreren Sprüngen über den Atlantik in das Land, daß während ihres ersten Lebens noch ein Gebilde aus mehreren Stadtstaaten und der Machtsphäre der Papisten gewesen war. Hätte sie geahnt, was in diesen Minuten an anderer Stelle passierte, hätte sie auf den Ausflug verzichtet.

__________

Cecil Wellington war froh, als der dritte Gang des Mittagessens abgeräumt war und er auf sein Zimmer geschickt wurde. Sein Vater wollte jetzt mit den zum Mittagessen geladenen Gästen über die ach so wichtige Politik der nächsten Jahre sprechen. Das sollte der dann auch besser alleine machen. Daß Cecil die Politik der republikanischen Partei nicht mochte war den fünf geladenen Parteikameraden ja auch so bekannt. Um nichts aus dem Salon mitbekommen zu müssen stellte Cecil die Stereoanlage an und legte die erste CD von Madonna ein. In acht Tagen würde seine Lieblingssängerin neunundvierzig Jahre alt. Er hatte mit einigen Schulfreunden beschlossen, diesen Tag zu feiern. Natürlich wollten sie dazu nicht auf dem Anwesen der Wellingtons zusammenkommen. Cecil fragte sich, wie er es anstellen konnte, daß er ohne Leibwächter zu seinen Freunden hingehen konnte. Damals bei der Halloweenparty hatte es ja geklappt. Aber das war vor seiner Entführung gewesen. Womöglich würde sein Vater jetzt die Leibgarde des Präsidenten mobilisieren, um ihn vor solchen Gemeinheiten zu schützen. Der konnte ja nicht wissen, daß er Leute kannte, die mal eben aus dem Nichts auftauchen und ihn innerhalb einer Sekunde mitnehmen konnten. Andererseits hatte er in den letzten Tagen nichts mehr von Anthelia und ihren Schwestern gehört. Seitdem er diesen beunruhigenden Anfall gehabt hatte, der ihn erst ein grelles Licht hatte sehen und dann heftige Kopfschmerzen bekommen lassen, war nichts und niemand aus Anthelias Umfeld zu ihm gekommen.

"Tanz und sing! Steh auf und mach dein Ding!" Trällerte Madonna, als Cecil gerade mit den letzten Hausaufgaben für die Ferien durch war. Jetzt konnte er wirklich Urlaub machen.

Plopp! Mit einem Schlag war alle Hoffnung verflogen, Anthelia und ihre Schwestern wären für ihn erledigt gewesen. Denn ohne Vorwarnung stand eine Frau wie aus dem Nichts gekommen vor ihm. Sie war schlank, hatte ein blasses Gesicht mit hohen Wangenknochen, tiefgrüne Augen mit einem leichten Graustich und über ihren halben Rücken herabwallendes, dunkelbraunes Haar. Er kannte diese Person zu gut, um sie vergessen zu können. Es war die Hexe Patricia Straton, die für Anthelia arbeitete und offenbar großes Vertrauen genoss. Sie hatte ihn damals, wo er noch Benny Calder gewesen war, auf seiner Flucht nach Süden abgefangen und in das Hauptquartier der Hexenschwestern gebracht. Sie hatten mehrere Tage zusammen in ihrem rassigen Maserati die Autobahn gebügelt und sich nach anfänglichen Verstimmtheiten über interessante Sachen wie Atlantis und Zauberwesen unterhalten. Was wollte diese Hexe jetzt von ihm? Warum hatte Anthelia sie nicht angekündigt? War diese Oberhexe vielleicht tot?

Patricia Straton ging wortlos an die Stereoanlage und drückte den Wiederholungsknopf an den Bedienungselementen des CD-Spielers. Jetzt würde Madonna nach dem flotten Disco-Lied wieder mit ihrem ersten Lied anfangen. Cecil wollte gerade was sagen, als ihm das merkwürdige Medaillon auffiel, daß vor Patricias Brustkorb baumelte. Es schien aus sich selbst golden zu leuchten und strahlte eine merkwürdig angenehme Wärme aus, die ihn durchdrang. Die Hexe stellte sich vor ihn hin und begutachtete ihn schweigend. Dann streckte sie ihm die linke Hand hin. Er kannte es und war zu gut darauf dressiert, als daß er noch einen Widerspruch wagte. Er ergriff die hingehaltene Hand und fühlte noch, wie die Hexe sich auf der Stelle drehte und ihn mit sich zog. Er fühlte einmal mehr einen Sturz durch einen Strudel aus Farben und unklaren Formen, der in einem fensterlosen Raum endete, der wie ein verlassener Keller aussah, in dem außer den noch gut erhaltenen Balken an der Decke nichts mehr auf menschliches Zutun hinwies. Jetzt sah er, daß das Medaillon wirklich aus sich selbst heraus leuchtete und wie eine kleine Sonne den sonst dunklen Raum erhellte.

"Ich habe gewartet, bis diese Leute im Salon zu sehr in ihre lächerlichen Phrasen verstrickt waren, daß meine Apparition nicht zu hören sein würde. Ich kann ziemlich leise apparieren, und diese technisch auf Sopran gestimmte Trällermaus hat laut genug gesungen", sprach Patricia. Cecil grummelte sie an, nicht nur weil sie seine Lieblingssängerin beleidigte, sondern auch, weil sie alle Hoffnung zerstört hatte, nichts mehr mit Anthelias Schwesternschaft zu tun zu kriegen. Patricia erfaßte das. Sie konnte worthafte Gedanken wie laut ausgesprochen hören. Sie lächelte.

"Hast du gehofft, unsere höchste Schwester sei getötet worden. Gut, ich hatte auch gedacht, sie sei vernichtet worden. Aber dem war nicht so. Allerdings könnte es sein, daß die höchste Schwester keine Verbindung mehr zu dir bekommen kann. Ich habe nämlich seit dieser zeit was, daß mit ihrem Medaillion verfeindet ist. Sie kann es mir nicht wegnehmen oder sich ihm nähern. Du siehst das hier?" Sie hielt ihm ihr leuchtendes Medaillon entgegen. Er fühlte unvermittelt eine wohlige Wärme in sich eindringen, als läge er von Kopf bis Fuß unter einer gut vorgeheizten Decke oder schwämme splitternackt in einer großen Wanne mit warmem Wasser. Sie zog das magische Leuchteding zurück und lächelte sehr zufrieden.

"Was ist das für ein Ding?" Fragte er. Sie sah ihn an und sagte, daß es ein magisches Medaillon sei, in dem die Kraft der Sonne gebündelt und bei Anrufung abgestrahlt werden könne. Dann verriet sie Cecil, daß es gegen Anthelias Medaillon sei, weil dieses mit einem Teil der Kraft eines Vampirs erschaffen worden sei. "Vampire und Sonnenlicht passen nicht zusammen", sagte Patricia Straton. Dann kam sie auf den Punkt, warum sie Cecil zu sich geholt hatte.

"Womöglich wird die höchste Schwester dich wieder aufsuchen, wenn sie Zeit hat, sich wieder um dich zu kümmern. Im Grunde haben wir beide noch Glück, daß sie im Moment mit wichtigeren Dingen beschäftigt ist. Ich biete dir an, dich von ihrer Abhängigkeit zu lösen, wenn du mir dafür als Kundschafter zur Verfügung bleibst."

"Damit würde ich sie gegen dich austauschen, Patricia", grummelte Cecil. Die angesprochene nickte. Dann sagte sie:

"Ich habe befunden, daß nicht alles, was die höchste Schwester vorhat richtig ist. Ich kann mich nur nicht so einfach von ihr lossagen, wie ich es gerne wollte. Nachdem meine Mutter von diesem bösen Zauberer getötet wurde, von dem sie dir schon mal erzählt hat ..."Cecil sah sie etwas verwirrt an. Pandora Straton war tot? Die Hexe, die sich locker in eine weiße Katze verwandeln konnte und ihn mehrmals für merkwürdige Aktionen eingespannt hatte gab es nicht mehr? "Ja, sie wurde getötet", sagte Patricia Straton. Ich habe ihr Erbe übernommen und dabei Sachen mitbekommen, die mir helfen können, Anthelias Pläne nicht so düster ausufern zu lassen. Womöglich wird sie etwas behutsamer vorgehen, wenn sie merkt, daß sie nicht mehr so leicht an Neuigkeiten aus eurer Welt kommen kann wie bisher. Außerdem hat sich in unserer Welt einiges getan, was ihre Aufmerksamkeit verlangt. Ich biete dir an, dich von ihrem Einfluß loszumachen, wenn du mir dafür zusagst, ausschließlich mir zur Verfügung zu stehen, jetzt wo meine Mutter nicht mehr lebt."

"Ich wiederhol mich da wohl, wenn ich sage, ich tausche ein Übel gegen ein anderes aus", knurrte Cecil. Patricia nickte verhalten und meinte dann amüsiert:

"Die Größe der Übel ist entscheidend. Wenn du stirbst, wenn Anthelia den Fluch erneuert, mit dem sie dich an sich gekettet hat, wird deine Seele in ihr Medaillon gezogen. Wenn ich dich unumkehrbar vor ihrem dunklen Artefakt schützen kann, kann deine Seele nach dem Tod dorthin gehen, wo du Frieden haben wirst, ohne für Anthelia oder jeder nach ihr, die ihr Medaillon erbt, als willenlos eingekerkerter Sklave zu dienen. Ich würde mir das überlegen. Außerdem biete ich dir an, Anthelias Geschenk zu behalten, ohne nach dem ersten von dir gezeugten Kind auf körperliche Liebe verzichten zu müssen." Dieser Satz wirkte bei Cecil wie eine frohe Botschaft. Patricia merkte das wohl. "Habe ich mir doch gedacht, daß die junge Signorina Carlotti dich schon gefragt hat, wie viele Kinder du mit ihr haben möchtest", ergänzte sie lächelnd. Cecil errötete an den Ohren. Es stimmte. Seine neue, feste Freundin Laura Carlotti hatte mit ihm einmal darüber gesprochen, daß sie beide nur eine Zukunft hätten, wenn er und sie mindestens zwei Kinder zusammen haben würden. Cecil hatte sich schwer getan, diesen Wunsch grundweg abzulehnen oder ihr zu erklären, daß in seinem Körper ein merkwürdiger Zauber wirkte, der ihn stark und jung halten würde, solange er kein eigenes Kind auf den Weg gebracht hatte. Würde er danach mehr als dreimal Sex haben, so würde der Junghaltezauber sich verdrehen und ihn innerhalb weniger Wochen steinalt machen. Das wußte Patricia natürlich auch.

"Was die höchste Schwester dir nicht verraten hat ist nämlich, daß dieses Elixier, das sie dir gab auch einer nichtmagischen Frau gegeben werden kann, mit der du eine Familie gründen willst. Dann würde die üble Bestrafung ausbleiben, wenn ihr beide das erste Kind hättet. Ihr dürftet dann nur nicht mehr mit anderen Partnern rummachen, wenn du verstehst." Cecil grummelte. Doch dann erkannte er, daß ihm da gerade eine Möglichkeit geboten wurde, Spaß an der Liebe zu haben und eine kleinere Familie hinzukriegen, ohne vorzeitig zu altern. Dann erkannte er noch etwas, was ihm etwas Sorgen bereitete. Patricia bot ihm das alles an. Sie hinterging ihre Herrin. Sie war also eine Verräterin. Solche Leute waren immer mit äußerster Vorsicht zu genießen. Das sagte er auch.

"Woher weiß ich, daß du mich nicht irgendwann so hintergehst wie deine höchste Schwester? Und woher willst du wissen, daß sie das nicht mitkriegt und uns beide dann ziemlich übel fertigmacht?"

"Sie kann sich meinem Medaillon nicht nähern, ohne gewisse Probleme zu kriegen, solange sie ihr kleines Schmuckstück nicht ablegt, Cecil. Und danach sieht es nicht aus. Mir kann man das Medaillon auch nicht mehr wegnehmen. Es hat mich als seine Hüterin anerkannt." Cecil grinste und machte eine schnelle Handbewegung, um Patricia das goldene Medaillon wegzunehmen. Doch als habe er einen Stromschlag abbekommen durchzuckte ihn eine Kraft, die ihm einen brennenden Schmerz versetzte und ihn zurückwarf. Patricia grinste mädchenhaft. Dann sagte sie: "Danke für die Bestätigung, Cecil. Jetzt weiß ich, daß das Sonnenmedaillon mich als seine Hüterin anerkannt hat." Cecil kam taumelnd wieder auf die Beine. Dann sagte er eingeschüchtert:

"Aber wenn Anthelia mich besucht und meine Gedanken durchwühlt kriegt die mit, was wir machen wollten."

"Daran habe ich gedacht. Wenn funktioniert, was ich vorhabe, dann werde ich dir was geben, womit du verbergen kannst, was wir getan haben." Cecil sah sie argwöhnisch an. Dann entschied er sich. Er wollte das größere gegen das kleinere Übel eintauschen. War ja eh egal, ob Anthelia ihn weiter kontrollierte oder er mit Patricia Straton verkoppelt war. Ändern konnte er daran eh nichts, wenn sie es schon beschlossen hatte, ihre Herrin zu hintergehen.

"Wenn klappt, was ich vorhabe, könnte Anthelia, wenn sie dich wirklich wieder unter ihre Kontrolle zwingen will erkennen, daß wohl bei ihrer Beinahe vernichtung etwas passiert ist, was dich mit einem winzigen Teil der Magie angereichert hat, die sie fast erledigt hätte. Dann wird sie wohl zu mir kommen, und ich werde locker sagen, daß es wohl so ist. Am besten legst du dich ruhig hin!" Cecil gehorchte. Patricia Straton kniete neben ihm und führte das goldene Medaillon vorsichtig an seinen Körper heran. Wieder meinte er, von einer warmen Decke umschlungen oder in warmes Wasser eingetaucht zu werden. Dabei sang sie in einer Sprache, die er nicht kannte. Dann berührte sie ihn mit dem Medaillon. Schlagartig meinte er, ein Feuerball würde mitten in seinen Eingeweiden explodieren und ihn von innen her einäschern. Er schrie laut auf, während sein Körper vollkommen im goldenen Glanz des Medaillions aufleuchtete und den Raum sonnenhell erleuchtete. Als er schrie, meinte er, seinen gepeinigten Körper unter sich zurückzulassen, sich selbst förmlich von ihm wegzubrüllen. Er hatte das Gefühl, völlig losgelöst von allen Dingen zu schweben, nach oben zu steigen und seinen nun wie das Medaillon leuchtenden Körper unter sich ausgestreckt zu sehen. Ihm fielen Berichte von Leuten ein, die behaupteten, kurz im Jenseits gewesen zu sein. Die hatten auch erwähnt, ihren Körper unter sich zu sehen und in ein helles Licht hineinzuschweben. Doch hier trieb er von dem hellen Licht fort, bis er fast gegen die mit Balken gesicherte Decke stieß. Er fühlte sich eins mit dem goldenen Licht werden, Dann schrie Patricia laut auf und erschien ebenso im goldenen Licht wie sein Körper. Der Raum, in dem sie waren, war nun ein einziger goldener Glanz, der hell und warm erstrahlte. Da fühlte er unvermittelt, das jemand neben ihm an der Decke schwebte und erfaßte, daß es die Hexe Patricia war. ER fühlte eine sachte Berührung und hörte ihre Gedankenstimme.

"Damit habe ich nicht gerechnet. Das Medaillon hat uns beide aus den Körpern hinausgetrieben. Jetzt müssen wir warten, bis der von mir aufgerufene Zauber verfliegt oder zusehen, wie wir uns von unseren Körpern entfernen."

"Will sagen, sterben", dachte Cecil und wunderte sich, daß seine Gedanken wie hörbare Worte klangen. Unter sich sah er seinen hell leuchtenden Körper, daneben den ebenso erstrahlenden Leib Patricias. Offenbar fühlten beide Körper keine Schmerzen.

"Ich weiß nicht, was die Magie des Medaillons gerade mit unseren Körpern tut", hörte er Patricias Stimme, als spräche sie in ihm selbst. Er fühlte, wie sie beide immer dichter zusammenstanden. Er fürchtete, gleich mit ihr auf irgendeine Weise zu einem körperlosen Etwas zu werden. Offenbar empfand Patricia eine ähnliche Furcht. Denn er fühlte, wie sie sich von ihm fernzuhalten suchte. Doch dieser Widerstand reichte nicht aus. Sie beide berührten einander wieder und fühlten, wie sie zu einem Sein zusammenflossen. Patricia dachte noch, daß das wohl die Gefahr dieses Zaubers gewesen sei. Dann erlosch das helle leuchten, und beide wurden mit einer sanften Gewalt auseinandergerissen und fanden sich übergangslos in ihren angestammten Körpern wieder. Dennoch hörte Cecil Patricias Gedankenstimme in sich. "Hat nicht mehr viel gefehlt."

"Hups! wieso höre ich was du denkst?" Dachte Cecil Wellington.

"Weil wir miteinander verknüpft wurden", vermutete Patricia, wobei sie jetzt wieder mit hörbarer Stimme sprach. Dann dachte sie noch: "Das könnte das zweite ersparen, was ich ursprünglich vorhatte. Warte hier!" Unvermittelt verschwand sie und ließ Cecil in einem stockdunklen Raum zurück. "Hallo, hörst du mich noch?" Erklang ihre Stimme in seinem Geist. Er dachte nur, daß er sie verstand. "Ich probier mal was aus", dachte Patricia. Unvermittelt meinte Cecil, an einen anderen Ort versetzt worden zu sein. Dabei erkannte er jedoch, daß er wohl seinen Körper getauscht hatte. Denn er fühlte langes Haar auf seinem Rücken und empfand ein merkwürgiges Gefühl im Brustkorb, als sei da was, was er sonst nicht fühlte. "Geht auch", hörte er Patricias Stimme in seinem Kopf. "Ich kann dich also zu mir reinholen."

"Wozu soll das gut sein?" Dachte Cecil.

"Kann man nie wissen. Vielleicht willst du ja mal fühlen, wie ein lebensfrohes Mädchen seinen Körper empfindet."

"Komisch zumindest", knurrte Cecil. "Muß ich jetzt die ganze Zeit in dir rumhängen?"

"Neh, mußt du nicht", erwiderte Patricias Gedankenstimme. Unvermittelt fand er sich in diesem Kellerraum wieder und betastete sich schnell. Er steckte wieder in seinem Körper. Dann fühlte er, wie etwas von irgendwo her in ihn eindrang und dann verebbte. "Toll, klappt ja besser als vorher", hörte er Patricias Stimme. "Sorum geht's also auch. Dann brauche ich das Blutbandritual nicht zu wirken." Cecil fühlte, wie etwas seinen Körper wieder verließ. Offenbar war Patricias Geist in ihn hineingefahren. Das war ja wirklich gruselig! Mit lautem Plopp tauchte die Hexe wieder auf. Ihr Medaillon erleuchtete wieder den Raum.

"Sind wir jetzt irgendwie zusammengezaubert? Nicht daß ich eines Tages in deinem Körper wach werde", grummelte Cecil.

"So unangenehm fühlt sich das nicht an, Cecil. Aber ich denke, du kannst nicht aus Versehen in meinen Körper rein, und wenn dann nur so, wie die Natur das eh vorgesehen hat, ganz ohne Magie."

"Wovon träumst du Nachts, Hexe?" Fragte Cecil.

"Das möchtest du nicht wirklich wissen, Cecil", lachte Patricia nun völlig erheitert. "Aber ich könnte dich so wie es aussieht in meinen Träumen mitspielen lassen, dich quasi reinholen."

"Ich habe meine eigenen Träume", grummelte Cecil verdrossen.

"Achso, ich muß ja noch dafür sorgen, daß Anthelia oder eine andere Mitschwester nicht erfährt, was ich gerade mit dir angestellt habe."

"Und wie soll das gehen, wo Anthelia Gedanken lesen kann?" Fragte Cecil mißmutig. Zur Antwort praktizierte Patricia Straton einen runden, flachen Bernstein aus ihrer Hosentasche und hielt ihn Cecil hin. "Das ist ein Bergestein. Wirkt auch bei Nichtmagiern, wenn auch langsamer", sagte sie. "Er verschließt alle Erinnerungen an bestimmte Sachen, wenn jemand sie mit mentalmagischen Methoden anzapfen will. Damit kannst du unsere nette Sitzung von eben wunderbar verstecken." Sie gab Cecil den Stein in die Hand. Er fragte sie, wie er ihn benutzen sollte. Sie bedeutete ihm, den Stein an seinen Kopf zu drücken und einfach abzuwarten. Er sah sie mißtrauisch an. Doch sie lächelte zuversichtlich, keineswegs hinterhältig. So drückte er sich den Stein an den Kopf.

"Berge wohl, alles was du mit Anthelia, Pandora und Patricia Straton erlebst und von ihnen erfahren hast! Berge wohl, alles was du mit Anthelia, Pandora und Patricia Straton erlebst und von ihnen erfahren hast!" Drang eine geheimnisvolle Stimme in ihn ein, wobei er meinte, sachte elektrische Ströme durch seinen Kopf fließen zu fühlen. Es dauerte wohl mehr als eine Minute, bis er plötzlich meinte, den Stein nicht mehr in der Hand und an seinem Kopf zu halten. Er sah Patricia an.

"Geht also doch", stellte sie fest. "Liegt vielleicht daran, daß in dir jetzt ein gewisses Quantum Magie steckt. Früher wurde behauptet, daß solche Dinger nur bei vollwertigen Hexen und Zauberern funktionieren."

"Diese Stimme hat gesagt, ich solle alles bergen, was ich mit euch dreien erlebt habe. Das kann also keiner aus mir rausholen?" Wollte Cecil wissen.

"Nur wenn du es von dir aus und ganz aus freien Stücken verrätst", dachte ihm Patricia zu. "Eigentlich hätten wir das schon längst machen müssen, seitdem dich dieser geldgierige Muggel Price in seine verrückte Festung geholt hat. Aber da hielt Anthelia es offenbar noch nicht für so wichtig. Na ja, jetzt kann dich keiner von unseren Artgenossen mehr wegen uns aushorchen oder gar erkennen, daß du mit uns zu tun hattest. Auch keine Wahrheitsmixtur kann das aus dir rausholen. Den Zauber können nicht viele. Ich habe ihn von einer Mitschwester, die in einer Firma gegen dunkle Wesen und Zaubereien arbeitete. Und jetzt bringe ich dich wieder nach Hause, bevor noch wer findet, nach dir suchen zu müssen", dachte ihm Patricia zu und ergriff Cecils rechte Hand. Wieder stürzte er durch einen Farbenwirbel. Dann stand er wieder in seinem Zimmer. Die auf Wiederholung geschaltete CD war bereits beim vierten Stück angekommen. So lange war er also weggeblieben. Patricia ließ Cecil los und verschwand. Er dachte einige Minuten über das erlebte nach. Hatte er jetzt wirklich Ruhe vor Anthelia? Und wie würde Patricia Straton die neue Verbindung zu ihm ausnutzen.

"Wenn du an mich denkst, merk ich das", erklang ihre Stimme in seinem Geist. "Hat also doch was gebracht. Schöne Ferientage noch!" Wie auf's Stichwort trällerte Madonna gerade ihren Welthit von fröhlichen Feiertagen.

__________

Beinahe wären die beiden Hexen mitten zwischen laufende Fernsehkameras geraten. Nur Anthelias Sorgfalt hatte das verhindert. So konnten sie und ihre einheimische Bundesschwester Valentina Pontecelli nicht in die kleine Gasse eindringen, wo die sieben Monster aufgetaucht waren.

"Diese Sensationsverramscher mit ihren Fernbildapparaten sind ein raus", knurrte Anthelia, als sie das Gedankenwirrwarr hektisch herumlaufender Reporter und Kameraleute verfolgte.

"Vor allem, wenn ich bedenke, daß ein Anführer dieser Plagegeister gerade die Muggel Italiens regiert", knurrte Valentina. "Aber warum wolltest du jetzt in diese Gasse, höchste Schwester?"

"Weil ich erkunden möchte, ob von diesen Ausgeburten noch welche versteckt sind oder Spuren hinterlassen haben", erwiderte Anthelia mißmutig. "Allein deine Beschreibung, daß sich diese Ausgeburten in normal aussehende Menschen zu wandeln vermögen ist sehr bestürzend."

"Wie Werwölfe, höchste Schwester", erwiderte Valentina Pontecelli. "Allerdings sind von denen die allermeisten friedlich."

"Was von jenen Kreaturen, deren Auftauchen mich in solch großer Eile herkommen ließ keinesfalls behauptet werden kann." Wir müssen irgendwie in diese Gasse. Vermagst du dich zu tarnen?" Valentina nickte und vollführte im Schutz der Lagerhalle, in der sie appariert waren den Desillusionierungszauber. Anthelia nickte verhalten. Das war zwar mehr als sichtbar herumlaufen aber vollkommene Unsichtbarkeit war da besser. Sie hätte den Tarnumhang mitnehmen sollen. Doch sie beherrschte einen brauchbaren Unsichtbarkeitszauber, den sie hier und jetzt aufrief. Danach liefen sie die dreihundert Meter bis zur kleinen Gasse, die nun, da viele ihrer Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt waren noch öder und düsterer wirkte. Der Gestank von Schwefel, Ruß und anderem verbrannten Zeug verpestete die Luft. Aus einigen Trümmerhaufen quoll immer noch schwarzer, fettiger Qualm. Die Fernsehleute fingen diese Zerstörungsorgie mit ihren Kameras ein. Reporter hielten arbeitenden Feuerwehrleuten und Polizisten Mikrofone unter die Nase, um sie zu Stehgreifinterviews zu drängen. Einige Neugierige gafften sensationslüstern und sogen den Hauch der Verheerung in ihre Nasen ein. Viele Touristen hielten mit ihren Fotoapparaten voll auf die Zeugnisse der Zerstörung.

"Die Faszination des Unheils", zischte Anthelia Valentina zu, deren Zauber sie beim Laufen mit den Häuserwänden verschmelzen ließ. Doch wer sehr genau hinsah, konnte die sich immer wieder geisterhaft hervorschälenden Konturen erkennen. Der Zauber war nicht das beste, was an Tarnmagie existierte.

"Signore Paulini, Sie haben die Polizei gerufen?" Hörte Anthelia einen der Reporter und erfaßte die Gedanken eines ziemlich betrübten Mannes, der vor den Trümmern eines Hauses stand. Es hatte einmal ihm und seiner Familie gehört. Sofort erkannte Anthelia auch, daß dieser betrübte Hausbesitzer die sieben Monster und die von Valentina gezauberten Feuerbälle beobachtet hatte, das aber der Polizei nicht erzählt hatte, weil er fürchtete, daß ihm niemand geglaubt hätte. So sagte er auch jetzt:

"Das da war mein Haus. Irgendwie ist viel Feuer durch die Straße gekommen. Könnte eine Gasexplosion gewesen sein."

"Ja, aber Sie haben die Polizei gerufen, weil sie merkwürdige Leute gesehen haben. Wie sahen die aus?" Fragte der Reporter, ein ziemlich kleiner, aber schlanker Mann mit pechschwarzem Haar, der eine randlose Sonnenbrille trug.

"Junge Burschen und zwei Mädchen. Straßengesocks", sagte Paulini sehr verunsichert. Sollte er dem Reporter jetzt auf die Nase binden, was er sich vor der Polizei nicht zu sagen getraut hatte?

"Dann haben die vielleicht das Feuer gelegt?" Fragte der Reporter, eine Sensation witternd. Anthelia näherte sich den Beiden und hob ihren silbergrauen Zauberstab, der gerade wie sie selbst vollständig unsichtbar war.

"Nein, Signore, das haben die nicht", erwiderte Paulini erschüttert. "Kam von woanders her." Anthelia wies mit dem Zauberstab auf den Reporter und betrachtete ihn. Die mitgeführte Ausrüstung war auf Aufzeichnung geschaltet. Offenbar wollten die Sensationsjäger ihre Beute für die Abendnachrichten sichern und nicht direkt über Millionen von Fernsehbildschirme flimmern lassen. Das gab Anthelia eine gewisse Möglichkeit. "Imperio!" Murmelte sie. Der Reporter setzte gerade an, eine neue Frage zu stellen. Da erfaßte ihn der mächtige Fluch, der seinen Willen unterwarf. Keine fünf Sekunden später fragte der Fernsehmensch: "Was trugen diese Jugendlichen für Verkleidungen? Wenn es eine Bande war, waren die doch verkleidet." Das brachte in Paulinis Geist alle möglichen Saiten zum schwingen, und Anthelia zupfte mit der Kunst der Legilimentik virtuos an allen, die sie schwingen fühlte. Auf diese Weise konnte sie die Minuten und Sekunden nachverfolgen, die Paulini als seine größte Tragödie in Erinnerung behalten würde. Sie sah die sieben Monster, wie sie sich im Schutz des Feuers zu einem Kanaldeckel stahlen. Der Mann hatte zu viel gesehen, erkannte Anthelia. Würden die vom Ministerium ihn finden, würden sie diesen Bestien folgen und womöglich in ihren Untergang rennen. Sofort überzog Anthelia den um seinen Besitz gebrachten Hausbewohner mit einem Gedächtniszauber, der in ihm die Erinnerung zurückließ, daß er die Jugendlichen, die in schwarzer und grüner Lederkluft herumliefen, nach ihren Spielchen mit hochbrennbaren Flüssigkeiten hatte weglaufen sehen können. Dann zwang sie den Reporter, die bereits aufgezeichneten Aussagen wieder zu löschen und gedächtnismodifizierte ihn, daß er meinte, jetzt erst den armen Hausbesitzer befragen zu wollen. Die Geschichte war aufregend genug, um in den Nachrichten gebracht zu werden, fand Anthelia. Dann zog sie sich zurück.

"Diese Bestien sind in den Kanälen verschwunden. Offenbar hat ihr Anführer geboten, daß sie dort einstweilen verbleiben sollen. Aber ich will sie sehen und untersuchen, um zu ergründen, ob ihnen mit anderen Mitteln beizukommen ist", knurrte Anthelia.

"Der nächste Gully liegt etwa hundert Meter von hier", zischte Valentina. Dann führte sie Anthelia mit leisen Stimmkommandos dort hin, während um sie herum die Reporter weiter nach den Fakten dieses Tages jagten.

Der Kanaldeckel lag sicher auf. Anthelia horchte telepathisch hinunter, erfaßte jedoch nichts. Auch ihr für dunkle Kräfte empfängliches Seelenmedaillon blieb ruhig. Wenn diese Schreckgestalten in diese nach Unrat stinkende Unterwelt hinuntergestiegen waren, so hatten sie natürlich schon einigen Vorsprung. Anthelia blickte sich um und überlegte, wie sie unbeobachtet in die Kanalisation eindringen konnte, wo im Moment zu viele Fernsehaugen in der Gegend waren. Sicher war sie im Moment unsichtbar. Doch einen unvermittelt aus seiner Ruhelage aufklappenden Kanaldeckel konnte keiner übersehen. Valentina betrachtete den Deckel.

"Den kriegen wir locker auf, höchste Schwester. Allerdings die Medienmuggel."

"Das ergründe ich auch gerade, wie wir diesen Neuigkeitsnachstellern entgehen können", erwiderte Anthelia. Dann fiel es ihr ein. Die Mauer der unberührtheit. Ihre Tante hatte diesen Illusionszauber erfunden, der eine magische Säule um ein zu manipulierendes Objekt errichtete, die allen aus der Ferne darauf blickenden Betrachtern vorgaukelte, das Objekt stehe oder liege unberührt da. Genau zwei Minuten würde die Illusion sie vor den Blicken der Betrachter Schützen. Anthelia erklärte es kurz ihrer Begleiterin. Diese kannte den zauber noch nicht. Anthelia suchte einen geeigneten Abstand vom Kanaldeckel, dem zu zeigenden Objekt und begann mit einer Litanei, bei der sie, den Zauberstab schnurgerade auf den Deckel deutend, seitwärts gegen den Uhrzeigersinn um diesen herumschritt, bis sie am Ausgangspunkt ankam. Um sie und Valentina flimmerte für einen winzigen Sekundenbruchteil die Luft. Dann trat Anthelia vor.

"Jetzt werden alle Augen, die lebenden und künstlichen, einen immer noch in seinem Rahmen ruhenden Deckel erblicken, auch wenn wir ihn öffnen, in die Tiefe steigen und ihn über uns wieder verschließen. eine Säule, zwanzigmal so hoch wie der Abstand zum Objekt ist, täuscht alle Augen." Sie senkte den Zauberstab. Ohne ihn auf den Kanaldeckel zu richten hob sie ihn spielerisch an. Ihre angeborene Telekinese war so stark, daß sie den mehrere Dutzend Kilogramm schweren Metalldeckel mühe- und geräuschlos aufklappte. "Wir enttarnen uns, Schwester Valentina. Mein Zauber verhüllt uns wie den offenen Schacht", flüsterte Anthelia. Mit Valentina hatte sie noch nicht oft genug zusammengearbeitet, um sie mentiloquistisch zu erreichen. Die italienische Mitschwester nickte und hob den Desillusionierungszauber auf. Aus einem leichten Flimmern heraus erschien auch Anthelia wieder. Sie entzündete ihre Zauberstablichter und kletterten in den dunklen Schacht hinab, aus dem ihnen unangenehmer Gestank entgegenwehte. Als beide Hexen weit genug in den Schacht eingestiegen waren, ließ Anthelia den Deckel über ihnen wieder zuklappen. Aus dem Kanal heraus würden sie disapparieren.

Leises Plätschern und Gluckern verriet ihnen, daß sie sich dem Abwasserstrom näherten. Der Gestank wurde immer unangenehmer. Valentina schlug vor, die Kopfblase zu benutzen. Anthelia pflichtete ihr bei. Als sie sich beide mit einer sich selbst aufrechterhaltenden Frischluftblase um die Köpfe ausgestattet hatten setzten sie ihren Abstieg in die Eingeweide Roms fort. Anthelia bedauerte es, sich für diesen Fall nicht mit praktischer Kleidung versehen zu haben. Sie könnte zwar immer noch den Schnellumkleidezauber wirken. Doch jetzt galt es erst, der Spur der Bestien zu folgen.

"Bloß nicht in diese Brühe hineinfallen", dachte Anthelia, als sie auf dem Wartungsgang für Kanalreiniger entlangbalancierten. Unter sich zog der Abwasserstrom als zähe, bäunliche Brühe dahin. Faulgasblasen blubberten aus dem flüssigen Unrat, und schmutzige, struppige Ratten huschten wie kleine Schatten durch das sich vor ihnen erstreckende Labyrinth der Abwasserkanäle. Anthelia schmunzelte, als sie vor sich dichte Spinnweben erblickte, die quer über den Laufgang gespannt waren. Offenbar harrten die achtbeinigen Weberinnen hier auf reiche Beute, wenn Schmeißfliegen und Schaben vom Duft der Fäkalien angelockt wurden, dachte sich die höchste Schwester des Ordens, der eine schwarze Spinne im silbernen Netz als Wappen benutzte. Doch jetzt mußte sie das filigrane Gewebe zerstören, um den Weg fortzusetzen. "Diffindo", flüsterte sie, und ohne Widerstand löste sich die gewebte Barriere vor ihr in Nichts auf. Dann fühlte sie das leise Zittern des Medaillons an ihrem Brustkorb. Es hüpfte kurz nach vorne. Also war eines dieser Unwesen in der Richtung zu finden, in der sie gerade liefen. Anthelia winkte Valentina zu sich und deutete nach vorne. Die Kopfblasen verhinderten einen leisen Wortwechsel. So machte Anthelia Zeichen, daß es vor ihnen gefährlich werden könnte.

Mit einem lauten Quiek verlangte ein großes Rattenmännchen nach freier Bahn. Anthelia ließ den Nager vorbeihuschen.

"Seit wann gibt's sowas?" Fragte Valentina, durch die beiden Kopfblasen wie durch ein ausgestopftes Rohr klingend.

"Verstehe ich auch nicht", erwiderte Anthelia. Sie blickte dem Rattenmännchen nach und tauchte in dessen Gedanken ein, die gar nicht tierhaft waren. Das war ein Zauberer, erkannte sie, als das Nagetier zielgenau auf die Stelle zulief, auf die das Medaillon gewiesen hatte. Offenbar hatte der Animagus die beiden Hexen für Kolleginnen gehalten, die sich nicht der hiesigen Umwelt anpassen konnten. Es war aber nicht Pettigrew, wie Anthelia erst gedacht hatte. Die Gedanken des Ratten-Animagus waren auf Italienisch. Antehlia verfolgte den Lauf des angeblichen Kollegen, bis sie fast keinen Gedanken mehr von ihm empfing. Dann gewahrte sie eine andere Präsenz, während ihr Medaillon stärker vibrierte und merklich nach vorne drängte. Die fremde Erscheinung dachte in Parsel, der Schlangensprache. "Komm zu mir, du fetter Happen", hörte Anthelia, während das Rattenmännchen gerade auf dem Punkt stehenblieb. Womöglich witterte der Animagus mit der feineren Nase des Nagers die Gefahr. Zumindest aber mochte der Animagus, dessen Namen Anthelia bis jetzt nicht aus den Gedankenströmen hatte filtern können, etwas hören. Ja, der italienische Zauberer hörte jemanden heranschleichen, so leise, daß Menschenohren ihn garantiert nicht gehört hätten. Offenbar wollte das Ungeheuer die Ratte als willkommene Speise ergattern, dachte Anthelia. Sollte sie dem Zauberer helfen. "Quiek quiek!" Vernahm sie von dem Rattenmännchen, das soeben den schnellen Rückzug angetreten hatte, während sein Jäger zum Angriff ansetzte. Von anderswoher quiekten alarmierte Ratten, die wohl ebenfalls auf der Flucht vor dem unheimlichen Mitbewohner waren. Sie erkannte, daß der Animagus gleich wohl erledigt sein würde, wenn sie ihm nicht half. Sie konzentrierte sich und packte mit ihrer besonderen Gabe zu. Keinen Moment später sauste der Ratten-Animagus im freien Flug auf sie zu, schneller als das sich gerade auf ihn werfende Wesen, das ins Leere stieß und auf dem rutschigen Gang ausglitt und mit lautem Platsch in den Abwasserfluß fiel.

"Uää! Nein!" Wehten Anthelia Gedanken auf Parsel zu. "Hilfe!" Zischte und fauchte der Unhold, während er gegen den doch sehr zügigen Strom flüssiger Exkremente ankämpfte, der hier wohl mehr als zwei Meter tief war. Anthelia ließ den Ratten-Animagus vor sich auf dem Boden landen. Dann konzentrierte sie sich auf das in die gesammelten Ausscheidungen geplumpste Geschöpf und versuchte, es wie die Ratte telekinetisch anzuheben. Doch ihre unsichtbaren Kräfte glitten ab. Sie fühlte ein unangenehmes Stechen im Kopf. Ihre Kräfte versagten an diesem Wesen. Dieses hatte es doch noch geschafft, das Ufer zu erreichen. Sie fühlte die Erleichterung dieses Unholds, als er festen Boden unter den Füßen hatte und sah ihn nun im Licht ihres Zauberstabes. Er war noch ein Mensch. Doch kaum stand er sicher, vollzog sich eine erschreckende Metamorphose. Die menschliche Erscheinung wuchs an, verlor immer mehr von der Gestalt eines normalen Menschen. Vor Anthelia entstand ein grausiges Geschöpf mit einer zweifarbigen Schuppenhaut und bleichen Augen, die im Licht des Zauberstabes merklich zu glühen begannen. Anthelia fühlte, daß dieses Wesen sie taxierte wie eine fangbereite Beute und darauf ausging, sie zu lähmen. Da erkannte sie, daß diese Wesen wesentlich gefährlicher waren, als sie bisher befürchtet hatte. Sofort senkte sie den Blick. Da erkannte sie, daß ihr leicht schwindelig geworden war. Der Ratten-Animagus hockte vor ihr, wohl noch mit der Situation hadernd. Valentina stand hinter Anthelia und blickte nach vorne. Sie hob ihren Zauberstab und erstarrte. Das Monstrum marschierte auf sie zu, wobei es sich nun an der Wand entlanghangelte. Aufgeschreckte Ratten rissen vor der Bestie aus. Dieser war wohl gerade nicht nach einem Abendessen zu Mute, wo sie zwei Hexen mit zauberstablichtern ausgemacht hatte. Natürlich betrachtete das Ungeheuer Menschen als Feinde, wohl auch als Futter oder Wirte für den Keim, der seine Artgenossen erschuf, vermutete Anthelia und dachte an das, was Valentina berichtet hatte. Das Seelenmedaillon reagierte immer deutlicher auf die Annäherung des gefährlichen Geschöpfes. Anthelia wußte, daß Flüche bis zu Avada Kedavra nichts ausrichteten. Diese Wesen waren gegen magische Angriffe immun. Aber der Hauch von Panik, den es ausgestrahlt hatte, als es in der Schmutzbrühe schwimmen mußte. "Imperio!" Rief Anthelia. Statt des Eindrucks einer aus ihrem Kopf durch den Zauberstabarm fließenden Kraft erhielt sie einen brennenden Schmerz, der aus dem Zauberstabarm direkt in ihren Kopf fuhr. Vor Schmerz und Schreck schrie sie kurz auf. Gerade soeben konnte sie den Stab des dunklen Wächters festhalten. Das Monstrum hatte Imperius abgeprellt. Womöglich war der es steuernde Wille des Schlangenfürsten und dessen Erben so stark konzentriert, daß fremde Willenskräfte es nicht mehr erreichen konnten. Die höchste Schwester des Spinnenordens hatte zwar damit gerechnet, daß der Unterwerfungsfluch ebenso fehlschlagen würde wie physische Angriffszauber. Doch sie mußte es ja ausprobieren, um nichts auszulassen. Das Ungetüm, dessen Erscheinung sie an die Illustrationen in Windgrases blau-schwarzem Buch erinnerte, versuchte erneut, Anthelia mit seinen bleichen, ausdruckslosen Augen anzublicken. Valentina stand hinter der Wiedergekehrten. Unvermittelt schwenkte sie ihren Zauberstab auf ihre Mitschwester ein. Anthelia fühlte fast körperlich, wie das Echsenwesen da vor ihr einen Gedankenbefehl an Valentina schleuderte. Also konnte es durch Augenkontakt ein freies Bewußtsein lähmen oder unterwerfen. Anthelia tauchte zur Seite weg, als Valentina "Avada Kedavra!" rief. Auch wenn der grüne Todesblitz ihr noch nichts antun konnte, mußte sie ihn nicht auf sich treffen lassen. Sirrend sauste der freigesetzte Todesfluch durch den Gang, ließ dessen Wände für einen Lidschlag in einem geisterhaften Grünton widerscheinen und traf den aufgeweckten Krieger der Vorzeit. Dieser kippte um, schlug auf den Boden hin. Anthelia erfaßte, daß das Scheusal für einen Moment zu denken aufhörte. Doch kaum lag es auf dem Boden, pulsierte ein mentaler Aufschrei durch den Gang, und das Monster stand wieder auf. Valentina erschrak. Offenbar hatte der fehlgegangene Todesfluch den Bann gebrochen, unter den sie das Ungeheuer gezwungen hatte. Doch wieder suchte das Geschöpf Blickkontakt mit seinen beiden Gegnern. Valentina mied nun auch den direkten Anblick. Die Augen des Unholds glommen nun in einem gespenstischen Blauton, als wolle er damit gleich einen verheerenden Blitz ausstoßen. Anthelia blieb in Deckung, blickte nur auf die muskulösen, aber sehr biegsamen Beine des Wesens, das nun seinen lauf beschleunigte. "Murus Instantius!" Rief Anthelia. Krachend schoss zwischen ihr und dem Angreifer eine Mauer wie aus Backsteinen empor und versperrte den Gang oberhalb der braunen Wasseroberfläche. Da krachte etwas gegen die hingezauberte Mauer, die sofort Risse bekam, die sich immer länger und breiter wie Schlangen über die sichtbare Struktur schlängelten, bis mit lautem Krachen das magische Mauerwerk zerbarst. Anthelia konnte gerade noch den Blick senken, als mit lautem Zischen das Echsenwesen durch die weggesprengte Absperrung schoss und nun im direkten Angriff auf Anthelia und Valentina zuhielt. Es waren nur noch dreißig Meter.

Creato Undam!" Dachte Anthelia mit dem Stab auf den Abwasserstrom deutend. zwischen Anthelia und dem Monster wölbte sich laut rauschend eine Riesenwelle, die bis zur Decke reichte und mit lautem Tosen auf den Gegner zuraste. Mit laut hallendem Klatschen prallten die aufgepeitschten Wassermassen gegen den Schlangenmenschen und rissen ihn von den Beinen. Er versuchte, sich an der Wand festzuhalten. Doch die mörderische Welle riss ihn fort und warf ihn in den Abwasserstrom hinein. Sofort merkte Anthelia, wie die in Parsel klingenden Gedanken des Feindes weniger stark zu ihr wehten. Sie hörte Angst und Hilferufe heraus. Also war dieses Wesen auf dauerhaften Körperkontakt mit der Erde oder einer festen Wand abhängig. Triumph blitzte in ihrem Bewußtsein auf, daß sie eine Schwachstelle dieser Gegner entdeckt hatte. Doch wie diese Schwäche nutzen? Das Ungeheuer kämpfte gegen die nun abebbende Welle an, deren Kraft aus dem Schwung des Wassers kam, nachdem es magisch in Bewegung versetzt worden war. Noch einmal erzeugte Anthelia eine Welle, wobei sie deren Stärke höher ansetzte als die der ersten. Laut brausend tauchten die Wassermassen den Schlangenmenschen unter. Ekelhafter, schmieriger Schaum bildete sich über dem Geschöpf, das innerhalb von Sekunden seine Schreckensgestalt verlor und sich in einen jungen Mann zurückverwandelte. Valentina, die aus dem Bann der Bestie befreit war, wollte ihrer Meisterin beistehen und zog eine kleine Handfeuerwaffe aus ihrer Tasche. Anthelia erfaßte sofort, in welche Gefahr Valentina sie und sich selbst brachte.

"Lass das. Ein Funke mag reichen, die hier gefangenen Faulgase zu entzünden!" Rief sie. Valentina hatte ihren Finger schon am Abzug. Erschrocken ließ sie die Schußwaffe sinken. Daran hatte sie nicht gedacht, daß hier brennbare Gase waberten. "Incarcerus!" Rief Anthelia, nachdem sie sich wieder auf den von ihr bekämpften Gegner konzentrieren konnte, der fast schon wieder am sicheren Ufer ankam. Magische Seile und stricke flogen aus dem Zauberstab und banden den Angreifer, der gerade den rechten Arm ausstreckte, um den offenbar so überlebenswichtigen Bodenkontakt wieder herzustellen. Das Monstrum wurde gefesselt und trieb wieder in die Mitte des Stroms, der auf die beiden Hexen zufloß. Bei aller Aufmerksamkeit für das Ungeheuer hatten Anthelia und Valentina nicht mehr auf den Ratten-Animagus geachtet. Dieser war mit seinen fliehenden Gestaltgenossen davongehuscht und im Dunkeln des Kanals untergetaucht. Antheliakonzentrierte sich zu sehr auf den Kampf mit dem uralten Krieger. Dieser rang mit seinen Fesseln, versuchte, sie mit seiner Kraft zu zerreißen. Doch er trieb im Wasser. Ein Knebel steckte in seinem Mund und hinderte ihn daran, zu parseln. Anthelia vernahm leise Hilferufe, die an irgendwen gerichtet waren, der weit von ihr fort sein mußte. Doch die Gedanken des Wesens waren sehr kraftlos. Wo immer ein möglicher Empfänger wartete, die Rufe mochten ihn nicht erreichen. Doch Anthelia wollte nicht darauf hoffen. Wenn das mindestens zwei Meter tiefe Abwasser die nötige Verbindung störte, so mochte der Krieger der Vorzeit gegen den tödlichen Fluch nicht mehr gefeit sein. So rief sie ihn auf, mit aller Willenskraft den Tod dieses Wesens wünschend. Als der grüne Blitz sein Ziel traf, verstummten alle in Parsel klingenden Gedanken. Das nun in Menschengestalt treibende Ungeheuer regte sich nicht mehr. Der Abwasserstrom trug es wie ein großes Stück Holz träge dahin. Anthelia lauschte und bangte. Zehn Sekunden. Zwanzig Sekunden. Als das offenbar geschlagene Geschöpf auf Höhe der höchsten Schwester dahintrieb, hielt diese sich mit allen Fasern bereit, sofort zu disapparieren, wenn sich auch nur ein verräterischer Gedanke, eine angedeutete Bewegung oder Regung zeigte. Doch das Wesen war erledigt. Es trieb weiter und weiter und weiter, bis es in der Dunkelheit verschwand.

"Einer weniger", knurrte Anthelia. Ihre Kopfblase sog ihre Worte in sich auf, so daß Valentina nur ein hohles Grummeln hören konnte. Dann erschrak sie. Aus beiden richtungen wehten ihr die in Schlangensprache gedachten Gedanken mindestens zweier neuer Gegner zu. Also hatten die geistigen Hilferufe des getöteten Feindes doch noch seine Artgenossen erreicht. Offenbar hatten diese sich bereits weiträumig in den Kanälen verteilt. Ja, und da konnte sie noch zwei Quellen in Parsel gedachter Gedanken ausmachen. Vier Gegner zu gleich? Der eine war schon schwer zu besiegen gewesen. Und sie konnte keine Wellen in zwei Richtungen gleichzeitig losschicken.

"Wir müssen weg hier!" Rief Anthelia, als die vier Angreifer bereits im vollen Lauf auf sie zuhielten. Sie konnten weit und schnell ausschreiten. Sie mochten gerade noch hundert Meter entfernt sein. Valentina warf sich herum und sah zwei bläulich glühende Augenpaare. Anthelia erkannte gerade noch rechtzeitig, daß die neuen Gegner ihre ganze magische Kraft aufboten, um die Bezwinger ihres Kameraden niederzuringen. Valentina geriet sofort in den Bann der Schlangenkrieger und vergaß jeden Fluchtgedanken. Anthelia, die sich mit ganzer Geisteskraft gegen die ihr geltenden Blicke der Angreifer stemmte, ließ ihren Zauberstab von oben nach unten peitschen. Eigentlich hätte sie Valentina damit einschrumpfen müssen. Doch ein wildes Zittern ihres Zauberstabes und die unveränderte Körpergröße der italienischen Mitschwester verrieten, daß ihr Versuch mißlungen war. Da stürmten die beiden Angreifer auch schon auf sie zu. Anthelia warf sich mit geschlossenen Augen herum und erfaßte die Gedanken der Wesen aus der anderen Richtung. Sie waren noch zweihundert Schritte entfernt. Doch jede Sekunde brachte sie dreißig Schritte näher. Sie waren offenbar sehr gut zu fuß. Sie langte mit der freien Hand nach Valentina, gerade als ein biegsamer Arm diese umpfing wie das Bein einer Fangheuschrecke. Sofort ließ Anthelia von ihr ab und sprang zurück. Gleich würden die anderen Monster heran sein. Sie sah nur noch einen Ausweg, die Flucht ins Nichts. Mit lautem Knall disapparierte sie. Valentina stand ruhig da, als einer der sie anblickenden Schlangenkrieger sich zu ihr herabbeugte und ihr blitzschnell seine spitzen Zähne in die linke Schulter schlug. Unfähig zu einer Reaktion oder Gefühlsregung fühlte sie, wie etwas prickelndes in sie eindrang und sich langsam seinen Weg durch ihren Blutkreislauf bahnte.

__________

Sergio Scarletti hatte sein Glück nicht so recht fassen können. Er war dem unheimlichen Wesen entronnen, weil zwei Hexen ihn mit Fernlenkzaubern zu sich geholt hatten. Er hatte Valentina Pontecellis Parfüm und Körpergeruch wahrgenommen. Doch die zweite Hexe kannte er nicht. Als er jedoch den silbergrauen Zauberstab in der Hand der Unbekannten sah, fiel ihm schlagartig ein, daß er davon schon gehört hatte. Er war vom Regen in die Traufe geraten. Er mußte weg, solange sich die beiden Hexen auf den Gegner konzentrierten. Als die Hexe mit dem außergewöhnlichen Zauberstab mehrere Wellen aus dem stinkenden Fluß beschwor, wetzte er davon, immer darauf gefaßt, gleich im vollen Lauf niedergeflucht zu werden. Doch er entkam. Mehrere hundert Rattenllängen entfernt nahm er schnell seine menschliche Gestalt an, die ihn als kleinen, dicken Mann mit struweligen schwarzen Haaren zeigte und disapparierte unverzüglich. Er mußte seinem direkten Vorgesetzten, Zaubereiminister Romulo Bernadotti, sofort berichten, was passiert war.

"Angela, wo ist der Minister?" Keuchte er, als er nach der Apparition im altrömisch wirkenden Atrium des Zaubereiministeriums über die Notfalltreppen in die heiligen Hallen der italienischen Zaubereiverwaltung hinaufgewetzt war.

"Der Minister ist beim Regierungschef der Muggel. Offenbar will er dem klarmachen, daß seine Fernbild- und Rundrufleute nichts über den Brand in der kleinen Gasse rauslassen dürfen", sagte Angela Grimaldi, die erste Untersekretärin des Ministers.

"Die Muggel sollten sich langsam mal klarwerden, einen lange regierenden Ministerpräsidenten zu wählen", schnaufte Scarletti. Angela strich sich durch das kastanienbraune Haar und zwinkerte ihm mitleidsvoll zu. Dann rümpfte sie die Nase.

"Was bringen Sie denn für einen exotischen Geruch mit?" Fragte sie ironisch.

"Eine erlesene Mischung aus der unverdaulichen Essenz unserer Esskultur, Angela", knurrte Scarletti. "Ich kann froh sein, daß der Gestank das einzige ist, was ich mir eingehandelt habe. Ich muß dem Minister dringend mitteilen, daß diese Hexe, die in den Staaten aufgetaucht ist, mit Valentina Pontecelli gemeinsame Sache macht. Sie hätten mich wohl für dieses Wissen umgebracht, wenn sie nicht gerade gegen ein mir völlig fremdes, aber wohl ziemlich böses Wesen gekämpft hätten."

"Oh, klingt interessant", erwiderte die wohl sechzig Jahre alte Hexe. "Sie meinen, diese neue Schwesternschaft, die sich bei den Yankees gebildet hat, die eine dieser Abgrundstöchter vernichtet hat und auch den Russen Bokanowski ausgeschaltet haben soll?"

"Genau die und keine andere", knurrte Scarletti. "Ist der Minister echt bei diesem Berlusconi?"

"Warum sollte ich Sie anlügen, Sergio?" Entrüstete sich Angela Grimaldi.

"Hätte ja sein können, daß er Ihnen das zu sagen auftrug, weil er eigentlich was anderes vorhat."

"Der Minister weiß, was er an Ihnen hat, Sergio. Er ist wirklich bei Ministerpräsident Berlusconi. Sie haben also Zeit, den außergewöhnlichen Geruch irgendwie loszuwerden, wo immer Sie den her haben.""

"Sie wissen doch, wie mich Minister Bernadotti gerne nennt, Angela."

"Kanalarbeiter?" Fragte Sekretärin Grimaldi. Sergio nickte. "Das habe ich heute mal wirklich wörtlich genommen. Ich konnte diesen fremden Wesen in die Abwasserkanäle folgen. Aber irgendwie haben die mich aufgespürt und wollten mich wohl erledigen. Aber das kriegen Sie dann als vollständigen Bericht, wenn ich den Minister selbst gesprochen habe", sagte Scarletti. Angela Grimaldi nickte verhalten. Sie deutete auf die Tür zu den Waschräumen. Das war für Scarletti wohl eindeutig genug, daß sein Unterweltgestank hier nicht länger erwünscht war.

Nachdem er sich und seine Kleidung unter Verwendung starker Geruchsvertilger und Waschmittel wieder nasenfreundlich bekommen hatte, wartete er auf die Rückkehr des Ministers. Als nach einer Stunde Wartezeit ein hoch aufgeschossener, breitschultriger Mann mit glatt am Kopf anliegendem, schwarzen Haar und einem mindestens fünfzig Zentimeter weit ausgespannten Schnurrbart in das Vorzimmer eintrat grummelte dieser und warf Angela einen Stapel merkwürdiger flacher Plastikdinger mit je zwei Löchern an der Unterseite auf den Tisch.

"Dieser Wicht ist und bleibt ein Schurke. Offenbar bekommen die Muggel doch die Regierung, die sie verdient haben", schnaubte der Neuankömmling und zupfte seinen dunkelblauen Samtumhang mit den silbernen Verzierungen zurecht. "Der hat mich doch glatt zu erpressen versucht, weil ein sogenannter Amateurfilmer diese Monster aufgenommen und seinen Fernsehknechten verkauft hat. Der meinte, er würde mich nur in Ruhe machen lassen, wenn wir ihm dafür beistünden, alle achso böswilligen Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen. Ich hielt ihm entgegen, daß wir uns nicht in seine Politik einmischen wollten, es aber tun könnten, falls er meinte, uns wie Tanzpuppen an Stricken herumzuführen. Es hat mich einiges an Legilimentik und Überredungskunst gekostet, aus diesem Fuchs alles herauszuholen, wer die Aufnahmen hat und wie viele es gibt. Ich bin dann selber los, nachdem ich dem drohen mußte, seine Probleme noch schlimmer zu machen, wenn er sich nicht an das allgemeine Abkommen zwischen ihm und uns hielte. Sagen sie Emilio von der Muggelverbindung, er soll prüfen, ob man das als Täuschung verkaufen kann! - Ach, Sergio, Sie sind schon wieder da?"

"Schon wieder ist gut, Minister Bernadotti", erwiderte Sergio Scarletti. "Wir haben wohl mehr Probleme als einen aufsässigen Muggel der Regierung." Dann berichtete er seine Erlebnisse. Minister Bernadotti seufzte nur einmal. Dann wies er Angela an, sofort ein paar Sondertruppen in den Kanal zu schicken, um die fremden Hexen zu stellen. Doch von den Sondertruppen hörte er nichts mehr.

__________

Anthelia ärgerte sich. Sie hatte Valentina, eine der zwei einzigen Mitschwestern aus Italien, diesen Monstern überlassen müssen. Womöglich konnte die dann von Glück sprechen, wenn die Bestien sie auf der Stelle töteten. Doch sie mußte sichergehen. So apparierte sie nach ihrer Flucht in der Nähe des Kanals und verwandelte sich in weißen Nebel. In dieser Daseinsform zwengte sie sich durch die Luftlöcher im Kanaldeckel und schwebte hinunter in den Schacht. Sie konnte die geparselten Triumphschreie der vier Monster hören und vernahm das schmerzhafte Keuchen Valentinas. Die Bestien konnten sie im gasförmigen Zustand wohl nicht sehen oder anderweitig wahrnehmen. Ihre telepathischen Sinne alarmierten sie jedoch, daß mit Valentina etwas sehr beängstigendes vor sich ging. Sie kämpfte gegen etwas an, daß in sie eingedrungen war und sich nun ausbreitete. Offenbar war es ein Gift, daß diese Kreaturen ihren Opfern einspritzten. Doch dieses Gift war kein übliches, lähmendes und tödliches Toxin, wie Anthelia mit einer Mischung aus Unbehagen und Faszination erkannte. Es veränderte die Gedanken. Valentina fühlte zwar eine Lähmung, schien jedoch dabei auch fremdartige Gedanken zu erfassen. Und dann erfaßte Anthelia etwas, daß wie ein aus weiter Ferne kommender Geistesruf klang. Ein Geistesruf, der aus Valentina widerhallte, ohne von ihr beachtet zu werden. "Sei mir verbunden!" Lautete der geistige Befehl, der aus unergründlicher Ferne erklang. Die Schwingungen dieses Rufes vermittelten Kälte, Überlegenheit und gnadenlose Unterwerfung. Anthelia erkannte, was da vorging. Mit dem Gift, daß die Monster ihrer Mitschwester beigebracht hatten, war der Keim der Existenz dieser Wesen in sie eingedrungen und hatte sich festgesetzt. Wie lange brauchte er, um vollständig aufzugehen, die monströse Metamorphose von einer reinen Menschenfrau zu einem weiteren Exemplar dieser Kreaturen zu vollenden? Während sie vorsorglich genau in der Mitte des Fäkalienflusses dahinschwebte, überlegte Anthelia, ob der in Valentina injizierte Fluch alle ihre eigenen Flüche überlagern mochte. Wenn die Magie der uralten Krieger mächtiger war als der Treuefluch konnte es passieren, daß Valentina, wenn sie sich vollends in eines dieser Ungetüme verwandelt hatte, alle Geheimnisse über die Spinnenschwestern preisgeben konnte, falls diese gedankliche Verbindung in beide Richtungen verlief. Nur der Standort des Hauptquartiers würde dann wohl geheimbleiben, falls Fidelius nicht auch zu schwach für diese magieresistenten Geschöpfe war. Die Führerin des Spinnenordens erkannte mit großer Bestürzung, daß sie vielleicht keine Stunde Zeit mehr hatte, um Valentina daran zu hindern, zur Verräterin zu werden. Sie fragte sich allerdings, warum sie diesen fernen, in Parsel erklingenden Ruf "Sei mir Verbunden!" nicht schon früher vernommen hatte. Das konnte heißen, daß diese Kreaturen nicht in direkter Verbindung mit dem Hüter des Schlangenzepters standen. Vielleicht war dieser Ruf aber auch nur ein statischer Zauber, der ansprach, wenn ein neues Wesen auf diese Art gezeugt und in die Welt gesetzt wurde. Ja, sie konnte keine Abweichung in Schwingungsmuster und Wortlaut erkennen. Der Widerhall in Valentinas Geist war für diese wohl auch noch zu schwach, abgesehen davon, daß sie mit keiner Geistesregung verriet, daß sie verstand, was ihr aus weiter Ferne zugerufen wurde. Sie mochte ein unangenehmes, beinahe unhörbares Zischen vernehmen, das ihr nichts sagte. Der unablässig wiederholte Befehl erreichte sie noch nicht. Doch die Oberste des Spinnenordens wußte, daß das wohl nur eine Frage der Zeit war. Mit der gewissen Neugier der ausgebildeten Heilerin so wie der Faszination für die Macht der Magie dachte sie eine kurze Weile daran, ob die Zeit der Umwandlung von der Menge des eingebrachten Giftes abhängig war, und ob diese Zeit auch von der Körpergröße, dem Gewicht oder der mentalen Disziplin und zauberischen Begabung des Opfers abhängig sein mochte. Doch sie verwarf diese Überlegungen. Um das alles nachzuprüfen müßte sie Valentina die Umwandlung durchmachen lassen, und die Gefahr, daß ihre einstige Mitschwester dann zur Verräterin wurde war zu groß. Sie wußte, daß ein Mensch, der mehr als fünf Minuten den Keim der Lykanthropie in sich trug, unheilbar daran erkrankte. Ebenso wußte sie, daß ein Mensch, der mehr als zwei Drittel seines Blutes an mindestens einen Vampir verloren hatte, selbst zum fangzähnigen Blutsauger mutierte. Also gab es für sie und Valentina nur die eine Lösung, so traurig sie war. Anthelia bemerkte, wie die Monster sich wieder im Kanalsystem verteilten, nachdem sie wohl sicher waren, daß die von ihnen überwältigte Hexe bald eine der ihren sein würde. Sie ließen Valentina auf dem Gang zurück. Sie wand sich am Boden und stöhnte vor Schmerzen. Das tückische Gift kreiste in ihrer Blutbahn und erfüllte jede Faser ihres Körpers. Doch sie bäumte sich auf, griff ihren Zauberstab und konzentrierte sich auf ein Stadtviertel, in dem sie ungesehen apparieren konnte. Anthelia wartete, ob die ehemalige Mitschwester noch Willens- und Zauberkraft aufbringen konnte, diesen Ort in einem Stück zu verlassen. Als ein lauter Knall durch den Gang hallte, wußte Anthelia, daß ihre Mitschwester den Sprung durch das Nichts geschafft hatte. Der ferne Geistesruf war im gleichen Moment verstummt. Sie sicherte ab, daß in ihrer Reichweite keine dieser Monster mehr lauerten, schwebte an das Ufer des fließenden Unrates und nahm wieder feste Gestalt an. Keine Sekunde später folgte sie Valentina auf dieselbe Weise, auf die diese verschwunden war.

Im verlassenen Hinterhof einer stillgelegten Näherei trafen die beiden Hexenschwestern aufeinander. Valentina keuchte unter einer Schmerzenswelle, die ihren ganzen Körper durchpulste. Sie erkannte ihre oberste Führerin erst, als der Anfall abebbte, und sie außer einer immer stärker werdenden Schwächung ihrer Glieder nichts anderes fühlte.

"Höchste Schwester", preßte sie angestrengt hervor. "Haben die dich auch erwischt? Die haben mich gebissen. Das Gift ... ich weiß nicht, wie ich das loswerden kann. Da ist so'n komisches Fauchen in meinem Kopf, als wenn etwas einen kleinen Blasebalg zwischen meinen Ohren drückt."

"Ich konnte noch entrinngen", erwiderte Anthelia betrübt. "Ich wollte dich nicht zurücklassen. Aber die Übermacht zwang mich dazu. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür, Schwester Valentina."

"Warum haben mich diese Monster nicht getötet, höchste Schwester?" Rang sich Valentina eine Frage ab und atmete heftig, weil sich ein neuer Schmerzanfall ankündigte.

"Sie haben erreicht, was sie wollten", knurrte Anthelia. "Sie haben dich mit ihrem Fluch infiziert. Ich fürchte, ihr Gift ist ein Verwandlungselixier, daß die Eigenschaften ihrer Art überträgt."

"Wie ein Werwolf?" Erschrak Valentina. "Nein, das darf nicht sein, höchste Schwester. Das kann doch nicht sein. Bitte sag, daß es nicht so ist!" Flehte sie noch.

"Ich fürchte, ich habe recht, Schwester Valentina. Wo hast du den tückischen Biß erlitten?" Valentina deutete auf ihre Schulter, wo Fetzen des Umhangs herabbaumelten. Vier kreisrunde Wunden verunzierten ihr linkes Schulterblatt. Doch diese Wunden wurden von einer hauchdünnen, grün-schwarzen Schuppenhaut überwuchert, die die Einstiche fast schon verschlossen hatte. Die Stelle, wo die fremde Haut gewachsen war, überdeckte schon das ganze linke Schulterblatt. Und Anthelia konnte sehen, wie sie sich unter den neuen Schmerzen, die Valentina gerade übermannten, um einige Quadratzentimeter ausbreitete. Damit war klar, daß die Umwandlung bereits im Gange war. Gab es wirklich keine andere Möglichkeit? Valentina schrie auf, als der Anfall sie mit voller Wucht traf. Anthelia sah, wie die Hautveränderung dabei zunahm. In einem Moment hatte die Schuppenhaut die linke Hälfte von Valentinas Halspartie überzogen. Die Augen der Mitschwester flatterten hektisch. Als die Pein wieder abklang schrie Valentina hysterisch: "Die haben mich echt mit ihrem Fluch angesteckt! Ich soll eine von denen werden!" Sie hob ihre Arme, wollte wohl damit herumfuchteln. Doch sie brachte nur ein paar kraft- und hilflose Bewegungen zu Stande. Anthelia betrachtete Valentina mit großem Bedauern. Ihr lag nie etwas daran, eine Mitschwester zu verlieren. Wo es ging, half sie und wehrte die Gefahren ab, die einer ihrer Mitschwestern zum Verhängnis werden konnten. Andererseits besaß sie auch keine Skrupel, notwendige Opfer zu verlangen. Doch Valentinas Leben war sinnlos geopfert worden. Vielleicht aber auch nicht. Immerhin trug sie jetzt das heimtückische Gift in sich, das den Keim der Verwandlung enthielt. Jetzt hatte sie eine Möglichkeit, davon eine Probe zu bekommen, um es alchemistisch zu untersuchen. Mochte es sein, daß sie damit eine brauchbare Abwehr gegen diese Monster entdeckte. Doch für Valentina würde diese Hilfe wohl zu spät kommen, erkannte die Führerin des Spinnenordens.

"Ich weiß nicht, wie lange das infernalische Elixier wirken muß, um dich unumkehrbar zu verwandeln, Schwester Valentina. Ich möchte eine Probe deines Blutes mit diesem Gift mitnehmen, um zu ergründen, ob dagegen etwas auszurichten ist", sagte Anthelia. Doch Valentina hatte nun völlig die Beherrschung verloren. Sie zeterte, daß sie keine dieser Bestien werden wollte und begann, wie ein verängstigtes Kleinkind zu weinen. Dann setzte der nächste Schmerzensschauer ein und verwandelte ihre artikulierten Angstrufe in laute Schreie. Anthelia lauschte schnell telepathisch, ob irgendwer diese Schreie hörte. Jetzt von aufgeschreckten Muggeln behelligt zu werden würde die Lage noch verschlimmern. Doch der einzige Muggel in mehr als einhundert Metern umkreis, der die Schreie hörte, dachte an eine Geburtsszene im Fernsehen. Anthelia verzog das Gesicht, wenn sie dachte, daß der ahnungslose Mensch nicht einmal so verkehrt lag. Hier vollzog sich tatsächlich eine Form von Geburt. Ein Ungeheuer drängte danach, im Körper einer bisher loyalen Hexe neu zum Leben zu erwachen. Sie wischte die verdrießlichen Gedanken fort. Die Pflicht rief. Sie wollte die Giftprobe haben und dann, dann würde sie wohl tun müssen, was noch getan werden konnte, solange die Verwandlung nicht vollendet war. Keuchend erholte sich Valentina von der gerade überstandenen Schmerzattacke und starrte Anthelia flehend an, als sie bemerkte, daß die Schuppen sich weiter ausgebreitet hatten. Die Bißwunden waren nun vollkommen überdeckt, und ihr Hals war völlig mit grün-schwarzen Hautlappen übersät. Anthelia hörte den Geistesruf "Sei mir verbunden!" immer länger in Valentinas Geist nachhallen. Wie lange würde ihre Mitschwester noch leiden müssen? Sie sagte ihr:

"Vielleicht kann ich noch rechtzeitig ein Antidot finden, wenn ich genug von dem Gift erhalte, Schwester Valentina", sagte Anthelia. Die Mitschwester weinte hemmungslos. Anthelia beschwor einen großen Glaszylinder mit Schraubdeckel und ein sehr scharfes Messer aus dem Nichts. Mit einem Erstarrungszauber machte sie Valentina bewegungsunfähig. Dann schnitt sie durch die zähe Schuppenhaut tief in das Fleisch der Vergifteten. Es dauerte einige Sekunden, bis dunkelrotes Blut zäh wie Sirup aus der beigebrachten Schnittwunde quoll und sich pulsierend in den Glaszylinder ergoss, den Anthelia auffanggerecht hinhielt. Was immer das Gift für eine Zustandsform besessen hatte, es veränderte offenbar zunächst das Blut, in das es eingespritzt wurde. War dies einmal geschehen gab es wohl kein zurück mehr. Anthelia überdachte die Zeitspanne, die seit der überstürzten Flucht und der Rückkehr in Nebelgestalt vergangen war. Es mochten gerade zwanzig Minuten sein. Bei einem mit der Werwut infizierten Menschen war das bereits zu lange, um ernsthaft an Heilung glauben zu dürfen. War Valentina wirklich schon ...? Natürlich noch nicht. Denn dann hätte ihr Erstarrungsbann ihr nichts mehr anhaben können, und womöglich würde sie dann auch die in sie eindringenden Befehle verstehen. Wer ein solches Monstrum wurde, erhielt die Gabe der Schlangensprache. Nur wer diese verstand, verstand die Befehle. Anthelia konnte ja auch nur wieder Parsel, weil sie in einem vom Druiden Dairon übernommenen Ritual eine Klapperschlange benutzt hatte, um sich diese Gabe einzuverleiben. Sie wußte von Tom Riddle, daß er bereits als Parselmund geboren worden war, die Ausprägung von Slytherins Blutlinie. Das verseuchte Blut Valentinas quoll in dicken Tropfen aus der Schnittwunde, die sich mit einem weiteren Schmerzanfall wieder zu schließen begann. Also war das Selbstheilungsvermögen dieser Wesen beachtlich gut. Das mochte aber auch daran liegen, daß Valentina mit beiden Füßen auf festem Boden stand. Sie wußte von den Kobolden, daß sie durch gewisse Anrufungen neue Kraft aus der Erde in sich aufnehmen konnten. Wenn diese Schlangenungeheuer der Erde noch stärker verbunden waren wirkte dieser natürliche zauber wohl um so stärker. Anthelia mußte sich wieder zusammennehmen, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die sie zu erledigen hatte. Sie sammelte weiter das herausquillende Blut ein, bis mit einem heftigen Krampf Valentinas die tiefe Schnittwunde zuheilte. Anthelia brachte ihr nun einen Schnitt am rechten Arm bei, weil der linke Arm schon zu zwei Dritteln mit der grün-schwarzen Schuppenhaut bedeckt war. Dann wartete sie, bis auch dieser Schnitt zugeheilt war. Sie befand, daß ihr Sammelbehälter nun voll genug war. An den feinen Meßstrichen am Glaszylinder las sie ab, daß sie mehr als einen halben Liter Blut aufgefangen hatte. Das mochte genügen, um das verfluchte Elixier zu extrahieren und zu untersuchen. Sie verschraubte den Deckel wieder fest und ließ das Messer verschwinden. Sie trug den Glaszylinder in den Schatten der Hauswand und kehrte zu Valentina zurück. Sollte sie sie aus der Erstarrung freigeben? Wieder wurde sie von Krämpfen geschüttelt. Wieder dehnte sich die Schuppenhaut weiter aus. Sie bedeckte nun den ganzen Hals und die linke Wange. Auch der linke Arm war nun fast vollständig damit überzogen. "Ich muß sie fragen", dachte Anthelia. Sie wollte ihre Mitschwester nicht einfach so, völlig ohne Vorwarnung umbringen. Andererseits wußte sie nicht, wie viel der dunklen Wesenheit bereits in ihr wirkte. Sie wartete einige Sekunden und lauschte auf Valentinas Gedanken.

"Ich will nicht so ein Monstrum werden. Ich muß mich töten", dachte Valentina Pontecelli. Anthelia sah darin die Freigabe, diesen letzten, bedauerlichen Schritt zu tun. "Ich nehm dir diese Bürde ab, Schwester", sagte sie mit einer Stimme, die zuversichtlicher klang, als sie selbst sich fühlte. "Ich erspare dir diese Qualen, Schwester." Sie hob den zauberstab. Würde der Fluch wirken? "Avada Kedavra!" Stieß sie aus. Gleißendgrün und laut sirrend fand der tödliche Fluch sein Ziel. Valentinas letzte Regung war ein dankbares Lächeln, bevor ihre Augen ein letztes Mal zuckten und dann völlig leer in den Himmel starrten, während Valentina zu Boden stürzte. Anthelia horchte. Die befehlenden Geistesrufe waren mit einem gequälten Wimmern abgerissen. Valentina strahlte keinerlei Gedanken mehr aus. Für einen winzigen Moment meinte Anthelia, einen unhörbaren Freudenschrei zu vernehmen. Dann lag ihr Körper reglos am Boden. Dann geschah etwas, womit Anthelia nicht gerechnet hatte. Grüner Dunst quoll aus den bereits veränderten Körperstellen, und die Leiche trocknete förmlich aus. Blasen bildeten sich unter der Schuppenhaut und platzten mit unappetitlichem Schmatzen auf. Die davon aufgerissenen Hautpartien zerbröckelten wie welkes Herbstlaub. Der Prozeß ging weiter. Anthelia nahm sofort Abstand, als ihr der wie nach verkohltem Fleisch stinkende grrüne Qualm in die Nase stach. Als würde in Valentinas Körper ein Feuer brennen oder eine alles zersetzende Säure ihr Vernichtungswerk tun, zerfiel ihr Leichnam innerhalb weniger Sekunden immer schneller. Zurückblieb nur graue Asche, ihre Kleidung und eine dichte Wolke dieses grünen Höllenbrodems, der Anthelia immer weiter zurücktrieb. Die Qualmwolke blähte sich langsam und träge über den Boden aus und zerfaserte in einer unerträglichen Langsamkeit. Schwerer als die Luft, so wirkte das Dunstgebilde, als es sich mehr und mehr über den Boden verteilte und endlich weiter und weiter verdünnt wurde. Es dauerte eine Minute, bis das grüne Zeug, das sich immer mehr dem Boden genähert hatte, vom Wind auseinandergeweht worden war. Anthelia starrte auf die nun am Boden liegende Kleidung. Das war alles gewesen. Sie ließ die Kleidung vollständig verschwinden. Nur Valentinas Handtasche nahm sie an sich. Da hörte sie näherkommende Polizeisirenen. Offenbar hatte doch ein Muggel die Polizei gerufen, während Anthelia damit beschäftigt war, Valentinas Blut einzusammeln. Schnell ließ sie den Glasbehälter zu sich hinfliegen, klemmte ihn fest unter den linken Arm und disapparierte. Hier würde keine Polizei der Welt jetzt noch was finden.

__________

Melanie Leeland wachte wieder aus diesem Alptraum auf, der sie nun schon seit mehreren Tagen um den erholsamen Schlaf brachte. Immer wieder sah sie ihren toten Vater vor sich liegen und hörte das bösartige Lachen maskierter Männer mit Zauberstäben. Das erschreckende an diesem Traum war, daß es kein Traum, sondern eine andauernd wiederkehrende Erinnerung an schreckliche Stunden war. Sie fand sich in dem großen Himmelbett im Viererzimmer wieder, in dem sie seit jenen Stunden vom ersten August mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder wohnte. Sie hatten einen Kampf zwischen schwarzer und weißer Magie überlebt. Doch was war dieses Überleben wert? Neun Tage war das jetzt her. Julius Andrews, der sich als ein echter Zauberer entpuppt hatte, war von jener weisen Hexe, die bezeichnenderweise Sophia Whitesand hieß, zu seiner Mutter zurückgebracht worden. Doch für die Leelands gab es im Moment keine Zukunft außerhalb dieses schönen Tales, das unter wirksamen Schutz- und Tarnzaubern irgendwo in England lag. Sie, die Powders und Bill Huxley mit seiner Verlobten Lynn Borrows, sowie der irgendwo in diesem Haus im Dornröschenschlaf liegende Rodney Underhill, sollten solange hierbleiben, bis geklärt war, ob sie in ihre angestammte Welt zurückkehren konnten. Denn dort wurden sie für tot und verbrannt gehalten. Ihr Onkel Ryan hatte das Haus mit einer großen Menge Knallgas in die Luft fliegen lassen. Sie selbst war von dieser Genevra verhext worden, um besser transportiert werden zu können. Hinterher hatte sie erfahren, daß es Julius war, der zusammen mit diesem mißmutigen und bestimmerischen Adrian Moonriver diese Energieglocke gesprengt hatte, in die die bösen Zauberer das Haus eingeschlossen hatten.

"Mel, du bist auch wach?" Flüsterte Mike im Bett hinter ihrem. Sie beide lagen Kopfende an Kopfende.

"Dieser Alptraum, Mike", zischte Melanie. "Ich kriege den nicht weg."

"Schon 'ne brettharte Kiste, was uns da passiert ist", flüsterte ihr Bruder zur Antwort. "Ist wohl jetzt amtlich, daß wir die nette Lady Sophia noch länger als Gäste beehren dürfen. Hoffentlich wird das nicht so langweilig, daß ich anfange, die Penne und die Pauker zu vermissen. Muß jetzt echt grinsen, wenn ich denke, daß ich deine Fairmaid-Direktorin mal als alte Hexe bezeichnet habe, Mel."

"Alt ist sie immer noch", knurrte Melanie. "Und das wird sich auch nicht mehr ändern."

"Falls die Ladies nicht meinen, die in ein schreiendes Baby zurückverwandeln zu wollen", sagte Mike. Habe gerade geträumt, daß die das mit mir gemacht hätten und die braunhaarige Pam An mich dann genommen hat."

"Klar, da ist dir wohl einer abgegangen, was", zischte Melanie verbittert. Mike schwieg einige Sekunden. Dann flüsterte er: "Abgegangen ist mir keiner. Wahrscheinlich weil du mich da gerade wachgequängelt hast, als sie mich anlegen wollte."

"Jungs und ihre Hormone", knurrte Melanie. "Ich kriege andauernd diese fiesen Typen zu sehen und schiebe voll Panik, und du träumst von vollbusigen Ammenhexen. Aber vergiss dabei nicht, daß du als Wickelbaby keinen ..."

"Ist Ruhe jetzt, Melanie und Mike", schnarrte ihre und Mikes Mutter. "Ihr habt mich aufgeweckt."

"'tschuldigung, Mum, wollten wir nicht", knurrte Mike nun halblaut. "mel hat mich wachgemacht."

"Weil ich diesen Alptraum wieder hatte, wo mich einer dieser Maskenmänner fast mit einem bösen Zauber umgebracht hat", maulte Melanie. Ihre Mutter erwiderte darauf wesentlich freundlicher:

"Ich weiß, Kind. Ich habe euren Dad auch schon wieder im Traum gesehen. Allerdings habe ich von schöneren Erlebnissen mit ihm geträumt. Ich hoffe, das legt sich bei uns."

"Wir konnten ihn nicht einmal beerdigen", seufzte Melanie.

"Das stimmt", pflichtete ihr Mike bei. "Onkel Ryan war voll neben der Rolle, als der diese ganzen Sachen losgelassen hat."

"Er konnte da nichts für, Mike. Diese dunkle Magie hat ihn zum Haß getrieben", erwiderte seine Mutter. "Das hätte uns Ryan wirklich erzählen müssen, daß seine Verwandten zaubern können. Dann wären wir vier besser zu Hause geblieben."

"Du hast doch gehört, daß die das eben nicht rausposaunen dürfen, daß die hexen und zaubern können", begehrte Mike auf.

"Weiß ich mittlerweile, Mike", knurrte seine Mutter. "Wir können im Grunde froh sein, wenn wir in unserer angeborenen Gestalt noch einmal aus diesem netten Tal heraus dürfen. Das nur, weil es dich offenbar leidenschaftlich erregt, dir vorzustellen, daß sie dich in einen Säugling zurückverwandeln könnten. Aber dann ginge dir jede geschlechtliche Regung ab, bis du wieder alt genug für sowas wärest, mein Junge. Außerdem würden sie dir dann wohl alle Erinnerungen wegnehmen, wie sie es ja als Möglichkeit diskutiert haben."

"Mann, Mum, ich will kein Baby mehr sein. Ich träume halt immer von dieser Patience Moonriver, weil die erzählt hat, daß die fremden Kindern die Brust gibt und echt supergroße ..." Seine Mutter räusperte sich sehr entschieden. "Talente für sowas hat", beendete Mike den Satz, den er angefangen hatte. Seine Mutter hatte dafür ein "Lümmel" übrig, klang aber nicht so tadelnd, wie sie es wohl gerne gewollt hatte.

"Was die Schule angeht, Mike, da wirst du dich wohl nicht langweilen. Immerhin kriegen wir ja praktisch angewandte Biologie von einer Bio-Lehrerin zu sehen, wenn Mrs. Powder im Oktober ihr Baby kriegt. Die hat uns zumindest erzählt, daß wir zusehen dürften. Hat Dr. Powder zwar nicht so gepaßt. Aber der konnte nichts dagegen sagen. Der will uns Physik beibringen. Hoffentlich nicht nur Theorien der Laserphysik", sagte Melanie. "Tja, und dieses Mädel aus Kalifornien denkt wohl schon dran, wie es uns hier ohne Strom Englisch und Medienkunde eintrichtern kann. Überhaupt werden wir wohl nix mehr von der Außenwelt mitkriegen."

"Ist so nicht richtig, Schwesterchen", widersprach Mike. "Immerhin kriegen wir jeden Morgen vier verschiedene zeitungen auf den Frühstückstisch. Lady Sophia will ja nicht, daß wir hinterm Mond landen."

"Sie heißt Madam Whitesand", berichtigte seine Mutter ihn. "So viel ich weiß, ist sie nicht adelig."

"Wieso nicht?" Widersprach Mike unerschüttert. "Lady Sophia klingt wesentlich respektvoller als Madam Whitesand. Außerdem haben die uns erzählt, daß der Obergangster, dem wir unseren Urlaub von der Welt verdanken dürfen, sich als dunkler Lord bezeichnen läßt, also wie Lord Vader." Er immitierte die Atemgeräusche des dunklen Ritters mit dem Laserschwert.

"Dann sage ich jetzt mal, daß eine derartige Anrede dann wohl für böse Hexen gelten könnte", warf seine Mutter ein. "Du könntest damit in ein sehr tiefes Fettnäpfchen treten, wenn du sie offen als Lady bezeichnest."

"Ich frage sie irgendwann mal, wenn wir wieder mit ihr zusammen essen dürfen", blieb Mike beharrlich.

"Hast dich wohl in die alte Dame verguckt, was Mike", stichelte Melanie ihren Bruder. "Hat sich wohl auch gut gehalten für mehr als hundert Jahre."

"Die hat zwar Klasse, aber ist mir dann doch ein bißchen zu weit weg, altersmäßig. Als die geboren wurde saß Königin Viktoria ja noch auf dem Thron", grummelte Mike. "Wenn die deren Lebensanschauungen mit der Muttermilch eingesogen hat ist die nix für mich, zu bieder, zu reserviert."

"Schön, daß du es kapierst. Dann kriege ich die nicht als Schwägerin."

"Ihr seid beide sowas von kindisch", stöhnte Mrs. Leeland. "Wir hängen hier in diesem Tal fest und sind dem Wohlwollen von Leuten ausgeliefert, die uns mit einer Handbewegung in Würmer oder was schlimmeres verwandeln können, wenn sie nicht diesen Todeszauber machen, mit dem euer Vater ermordet wurde. Geht das vielleicht mal in eure hormonübersättigten Schädel hinein?"

"Wir wissen das, Mum. Deshalb muß Mike das endlich kapieren, daß wir hier nur geduldet sind und nicht willkommen", sagte Melanie, um ihre Mutter zu beschwichtigen. Mike lachte nur verächtlich.

"Wenn wir denen hier auf die Nerven gehen machen die diesen Dornröschen-Zauber, mit dem sie Mr. Underhill außer Gefecht gesetzt haben", erwiderte Mike schlagfertig.

"Oder zaubern uns in Windeln zurück", konterte seine Mutter. "Von deinem Benehmen her frage ich mich wirklich, ob du nicht zu schnell gewachsen bist und besser noch ein oder zwei Jahre im Kinderbett geschlafen hättest."

"Du wolltest mich ja nicht mehr mit dir rumschleppen, Mum. Sonst wäre ich ja gar nicht erst aus deiner kleinen Warmhaltebox rausgehüpft", hielt Mike aufsässig entgegen. Das brachte ihm von seiner Schwester einen energischen Kniff in die Nase und von seiner Mutter ein sehr ungehaltenes Schnauben ein. Dann meinte Mrs. Leeland:

"Bevor ihr noch mehr derartiger Unanständigkeiten absondert sollten wir versuchen, die nächsten vier Stunden zu schlafen. Es ist erst halb drei."

"Hast recht, Mum. Mit Määäääählanie zu zanken, bringt nix", drehte Mike es so, wie er es für brauchbar hielt.

"Blödmann!" Fauchte Melanie. Er hatte sie schon wieder mit diesem albernen Määählaut geärgert, wie er es machte, seitdem einer ihrer Schulkameraden sie damit mal aufgezogen hatte.

So schliefen die Leelands noch, bis eine aus dem Nichts einschwebende Musik sie weckte.

"Die könnten echt mal neuere Sachen in ihre magische Musikbox reintun", grummelte Mike, dem klassische Streicher und Flöten nicht sonderlich gefielen. Dann stand er auf, um das für die Männer und Jungen freigehaltene Badezimmer aufzusuchen. Melanie blieb noch einige Minuten liegen und dachte daran, daß sie wohl heute wieder den Tag mit einem Buch im blühenden Tal verbringen würde. Mike würde wohl wieder mit Chester und dessen Vater Fußball spielen. Er hatte zwar einmal gefragt, ob Prudence Whitesand, eine Urenkelin Sophias, ihn mal auf ihrem Hexenbesen mitnehmen könne. Doch sie hatte ihm was von Transportbeschränkungen erzählt und im Moment kein Notfall bestünde, ihn auf dem Besen mitzunehmen oder zu teleportieren.

Nach dem Frühstück zogen die männlichen Gäste Sophia Whitesands los, um auf der langestreckten Wiese zu spielen. Melanie sah ihrer Mutter nach, die mit Janine Powder über die letzten anstehenden Schwangerschaftsmonate sprach. Davon wollte Melanie im Moment nichts wissen. Sie dachte an ihre Schulfreundinnen in Fairmaid, die jetzt wohl alle erfahren hatten, daß sie bei einer gewaltigen Gasexplosion im Haus der Sterlings umgekommen war. Ihr ganzes bisheriges Leben war ausgelöscht, nur noch Erinnerung. Ihr Vater und Pinas Vater waren tot, ebenso ihre gemeinsame Tante Claudia. Sie lebten jetzt auf dem Besitz einer echten Hexe und konnten vorerst nicht in ein neues, magieloses Leben zurückkehren. Melanie fragte sich, ob sie das jetzt, wo sie die andere Welt kennengelernt hatte, überhaupt schaffen konnte, ohne daß man ihr alle Erinnerungen auslöschte. Doch dann hätten Sophia Whitesand und die anderen das doch längst machen können. Also war das nicht so einfach wie sie dachte. Was hatten sie erzählt? Es gab Gesetze in der magischen Welt. Das eine kannte sie ja schon, daß Hexen keine unmagischen Jungs auf dem Besen mitnehmen durften.

Als Melanie weit ab vom fröhlichen Lärm der Fußball spielenden Männer und Jungs durch das paradiesische Tal Whitesand Valley spazierte, um sich einen ruhigen Platz zum Lesen zu suchen, tauchte Patience Moonriver, eine gertenschlanke Hexe mit dunkelbraunen Haaren am Ausgang auf. Diesmal trug sie einen weiten, blattgrünen Umhang. Sie sah Melanie Leeland und winkte ihr zu.

"Na, wieder unterwegs, Ms. Leeland?" Fragte sie freundlich. Melanie nickte. "Oma Sophia hat zwar gemeint, daß wir nicht mehr so unangekündigt apparieren dürfen, aber ich wußte keinen anderen Weg, schnell herzukommen. Ist sie im Haupthaus?"

"Ja, sie ist da wohl. Sie tat heute morgen ganz geheimnisvoll, als stehe was wichtiges an. Mehr weiß ich nicht", sagte Melanie.

"Dann hätte sie es auch nicht geheimnisvoll gemacht", grinste Patience Moonriver mädchenhaft.

"Wenn Sie zu Ihrer Großmutter möchten, ohne zu teleportieren, wäre es besser, in der Nähe des Westhanges entlangzulaufen. Die Mannsbilder spielen Fußball, und mein Bruder hat schon geträumt, Ihr Baby zu sein", sagte Melanie, die diese Hexe wie eine Gleichalterige ansah, obwohl sie vielleicht schon doppelt so alt wie sie selbst sein mochte.

"Soso, dein Bruder möchte also gerne mein Baby sein", grinste Patience. "Das würde ihn aber spätestens nach drei Tagen langweilen. Andauernd schreien zu müssen, ständig volle Windeln zu haben und immer das selbe Zeug zum runterschlucken."

"Na ja, er fängt jetzt an, seine Männlichkeit zu entdecken, Madam Whitesand."

"Dann findet er irgendwann eine, die ihm dabei hilft und braucht keine Berufsamme", erwiderte Patience belustigt. Melanie fragte sich dann, wo er denn eine finden sollte, wenn sie bis auf unbestimmte Zeit in diesem Tal bleiben mußten. Obwohl, könnte es sein, daß er irgendwann auf eine der hier herumlaufenden Hexen abfuhr? Immerhin war ihre und seine Tante Hortensia ja auch eine Hexe.

"Gut, dann gehe ich eben am Westhang lang", erwiderte Patience Moonriver erheitert und zog davon. Melanie suchte sich einen sauberen Stein, wo sie ein kleines Kissen auflegte und sich dann mit einem dicken Buch niederließ. Stunden vergingen auf diese Weise, bis ihre Mutter sie fand und bat, ihr Gesellschaft zu leisten, da Janine mit ihrem Mann über den beabsichtigten Unterricht sprach. Als es Mittag war saßen sie alle draußen auf der Terrasse des Haupthauses. Die Hausherrin war nicht da. Prudences Mutter trug das Essen auf, das im wesentlichen aus Gemüse und Getreide bestand. Melanie sprach mit Prudence und Patience Moonriver über den Unterschied zwischen jungen Hexen und nichtmagischen Mädchen. Mike verwickelte seinen Vater und Bill Huxley in eine Unterhaltung über Australien, während Chester Powder gelangweilt dreinschaute. Bill fragte nur einmal, wo die Hausherrin sei.

"Sie wird wohl heute Nachmittag erst zurück sein", erwiderte Patience darauf. "Die Ereignisse im Ministerium beanspruchen sie im Moment ziemlich."

"Kann man diesen Putschisten nicht einfach so aus der Ferne todfluchen?" Wollte Gerry Powder wissen.

"Wenn das so einfach wäre würde er uns allen zuvorkommen", stellte Prudences Vater fest. "Außerdem scheint er gegen Tötungsarten immun zu sein."

"Wir sollten uns besser nicht da einmischen", schlug Melanies Mutter vor. Doch Gerry Powder widersprach.

"Ich habe bei meiner Arbeit die Erfahrung gewonnen, daß der Zweck einer Sache immer zu prüfen ist, bevor ich die Mittel herstelle. Und wenn wir schon wegen dieser Rebellion in diesem Tal festsitzen und vom Rest der Welt für tot gehalten werden, haben wir ein Recht darauf, auf dem laufenden zu bleiben."

"Sind sie doch", sagte Prudence belustigt. "Wir kriegen doch jeden Morgen die wichtigsten Zeitungen." Darauf konnte Gerry im Moment nichts anderes erwidern.

Gegen zwei Uhr erschien Sophia Whitesand, eine hochgewachsene Frau mit weißblonden Haaren, die eine goldene Brille mit halbmondförmigen Gläsern trug. Sie trug einen fliederfarbenen Umhang und wirkte sehr angespannt. Keiner wagte zu fragen, wo sie herkam und was sie gerade getan hatte. Sie nickte allen Anwesenden zu und verkündete dann:

"So wie es sich darstellt, ist das Ministerium für Zauberei nun fest in der Hand dessen, dessen Namen wir hier nicht erwähnen müssen. Es ist daher wirklich wichtig, daß wir alle hier so friedlich wie es geht zusammenleben können. Das gilt vor allem für Mr. Huxley und Mr. Powder senior." Sie bedachte die beiden erwähnten Männer mit einem ernsten Blick. "Es ist mir nicht entgangen, daß Sie beide aus aufkommender Frustration angefangen haben, gegen meinen Enkelsohn und seine Familie zu wettern. Ich verstehe zwar genau, warum Sie derartig betrübt sind, Gentlemen, aber falls Sie nicht wünschen, wie Mr. Underhill im magischen Tiefschlaf überdauern zu müssen oder ich Sie beide nicht wie angedacht im Zustand neugeborener Kinder irgendwem zur Wiederaufzucht anvertrauen soll, lernen Sie bitte mit der Ihnen eigenen Einsicht, gut mit uns auszukommen! Mehr möchte ich dazu nicht sagen." Die Anwesenden starrten einander an. Sophia Whitesand wirkte sonst sehr freundlich und über allem Ärger stehend. Daß sie auch anders konnte kannten nur ihre hier untergekommenen Verwandten. Bill und Gerry machten abbittende Gesichter, als die Hausherrin ihnen sehr tief in die Augen geblickt hatte. Dann entschuldigte sich Bill Huxley.

"Ich habe Ihrem Enkel nur gesagt, daß wir hier wohl nur solange gefüttert würden, bis Ihnen eingefallen sei, wie Sie uns loswerden könnten. Darauf hat er gemeint, daß ich undankbar sei. Meine Verlobte und ich sind voll aus einem funktionierenden Leben herausgerissen worden. Das steckt man nicht so einfach weg, Madam."

"Das ist der Grund, warum Sie noch mit vollständig ausgebildetem Gebiß feste Nahrung kauen können, Mr. Huxley", sagte Sophia Whitesand. "Ich suche schon nach Auswegen, Ihnen ein eigenständiges Leben zurückzugeben. Doch das ist in der jetzigen Lage nicht so schnell zu bewerkstelligen."

"Ich wollte nicht undankbar rüberkommen, Madam", meinte Bill abbittend. "Aber wenn der Sommer um ist wird's hier vielleicht nicht mehr so beschaulich."

"Dann beherrschen Sie sich bitte!" Ermahnte Sophia Whitesand den früheren Schulfreund Ryan Sterlings. Dann fragte sie, wer Lust auf eine Schachpartie habe. Melanie meldete sich. Mike wollte lieber noch ein wenig Gitarre spielen. Zumindest konnte er damit seine Lieblingslieder irgendwie nachklingen lassen.

"Du machst dir Gedanken um deine Familie?" Fragte Sophia Whitesand, nachdem Melanie zum vierten Mal in Folge verloren hatte. Sie nickte bestätigend. "Deine Mutter und du kommt noch nicht darüber hinweg, was am ersten August passiert ist, nicht wahr?" Wieder nickte Melanie. "Ich werde jetzt einige Tage hierbleiben. Was zu erledigen war habe ich erledigt. Da stehe ich dir gerne als Ansprechpartnerin zur Verfügung, falls du dies möchtest. Aber wie ich es mitbekommen habe, kommst du mit Prudence gut klar, und Patience hat sich auch gut mit dir angefreundet, konnte ich mitbekommen."

"Ja, aber Prudence ist eine Hexe mit anderen Interessen als ich, und Patience macht meinen Bruder verrückt, weil die so gut ausgestattet, ähm, ich meine ... Ach, Sie wissen wohl, was ich meine."

"Natürlich weiß ich das. Und das macht dich eifersüchtig?" Fragte die Hexe und zwinkerte Melanie mit ihren stahlblauen Augen schelmisch zu. Sie errötete leicht. War sie eifersüchtig auf Patience Moonriver? Woher hatte die Hexenlady das?

"Ich habe als Mädchen auch oft mit anderen Mädchen gewetteifert, worin ich besser bin oder nicht", sagte Sophia Whitesand vergnügt. "Ist zwar schon einige Sonnenfleckenmaxima her. Ich kann mich aber noch sehr genau an jedes Erlebnis erinnern. Körperlich war ich eine Nachzüglerin, während ich meine Hexenbande schon mit ziemlichem Grips überflügelt habe. Manche meiner Freundinnen haben mir dann immer vorgehalten, daß ich ja keine richtige Frau würde, weil mich der Gruß des Blutes oder das Blühen der Rundungen noch nicht erreicht hätten. Insofern bist du für dein junges Alter schon sehr gut herangereift, Melanie. Dann, als wir mit Hogwarts, unserer Schule, durch waren, fingen die wilden Hexen meiner kleinen Truppe damit an, wer zuerst was kleines bekommen würde. Da war ich dann schneller und habe sie alle mit drei süßen Mädchen und zwei strammen Jungen überflügelt. Für eine Bücherlaus schon ein beachtliches Bekenntnis zum eigenen Körper. Und ich denke, du wirst diese herrlichen Zeiten auch erleben."

"Im Moment gehe ich nicht auf sowas aus, weil nichts entsprechendes hier verfügbar ist", sagte Melanie rasch. "Aber wo Sie die körperlichen Sachen erwähnen, Madam, ähm, wie machen das Hexen, wenn sie, ähm, dieses kleine Monatsproblem haben."

"Ich bin da schon zwanzig Jahre raus aus diesem Trott", sagte Sophia lässig. "Aber so weit ich weiß behelfen wir Hexen uns ähnlich wie ihr Frauen und Mädchen aus der nichtmagischen Welt. Da sprichst du besser mit Prudence und ihrer Mutter drüber, wenn du weißt, daß es bevorsteht!"

"Ist vielleicht auch besser", sagte Melanie. Sich mit einer älteren Hexe über Frauenhygiene zu unterhalten kam nicht sonderlich prickelnd rüber. Dann erwähnte sie ihre Alpträume und fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, sie loszuwerden.

"Darüber sprichst du besser mit Patience. Sie ist Heilerin. Vielleicht findet sie eine Möglichkeit, ohne Zaubertränke oder Zauber benutzen zu müssen. Wiederkehrende Alpträume können sehr unglücklich machen. Ich weiß das auch zu gut. Wie oft hast du das schon geträumt?"

"Fast jede Nacht, seit wir herkamen", antwortete Melanie.

"Verstehe, weil die plötzliche Veränderung und das schreckliche Ereignis nicht von dir verarbeitet werden konnten. Du müßtest deine Gedanken auslagern und frei von Anspannung betrachten."

"Ich kann sowas nicht. Geht bei Ihnen sowas?"

"Ja, bei uns geht sowas", sagte Sophia Whitesand. Dann schien sie zu überlegen und sagte: "Wenn du meiner Enkeltochter Patience nichts davon sagst, helfe ich dir, zumindest gut durch diesen Traum zu kommen. Ich verstehe es so, daß du immer zu früh aufwachst, nicht wahr?"

"Kann man so sagen. Ich erlebe immer wieder den Angriff und sehe noch meinen Vater tot auf dem Boden liegen. Dann hätte ich eigentlich mit Mike auf Julius treffen müssen, als der anfing, auch zu zaubern. Aber so weit komme ich nie."

"Gut, dann gehen wir zwei jetzt noch einmal ganz durch, bei vollem Bewußtsein. Das könnte dir helfen, den nötigen Überblick zurückzugewinnen", sagte Sophia Whitesand und winkte einer Stelle in der Wand zu, die leise knirschend aufklaffte und einen Geheimraum freigab. Aus diesem holte die ältere Hexe eine sehr große Steinschüssel, fast ein Bassin, aus dem heraus es silbernweiß leuchtete wie eingefangenes Mondlicht. Dann gebot sie Melanie, sich zu entspannen, während sie ihren zwölf Zoll langen Zauberstab zog und ihn Melanie behutsam an den Kopf hielt. In einem Moment glaubte das Mädchen, die schrecklichen Ereignisse vom ersten August wie einen viel zu schnellen Film vor ihrem geistigen Auge vorbeirasen zu sehen, während ein sachtes Vibrieren unter ihrer Schädeldecke wirkte. Dann meinte sie, etwas bewege sich aus ihren Kopf heraus, als Sophia etwas silbernes auf ihren Zauberstab wickelte und dann wie einen hauchdünnen Faden loslöste. Melanie meinte, etwas in ihrem Schädel zittern zu fühlen. Dann sah sie, wie Madam Whitesand das aufgewickelte Etwas von ihrem Zauberstab in das Bassin schüttelte, wo es sich mit der fremdartigen Substanz vermischte, die darin enthalten war.

"Ich habe die betreffende Erinnerung aus deinem Geist in dieses Gefäß übertragen. Wenn wir jetzt beide eintauchen, wirst du es noch einmal erleben, was passiert ist. Vielleicht hilft das dir, den Traum besser zu ertragen oder zu verscheuchen." Sie gebot Melanie, sich neben ihr hinzuknien und tauchte ihren Kopf selbst in die fremde Substanz. Melanie sah, daß der Hexe wohl nichts passierte und folgte dem Beispiel, worauf sie wie in der Zeit zurückgeschleudert die zerstörte Party bei den Sterlings nacherlebte, soweit sie sie mit allen Sinnen mitbekommen hatte. Ihr war es unheimlich, sich selbst wie ein Zuschauer von außen zu sehen. Nachdem die schlimmsten Momente ihres bisherigen Lebens vorbei waren hockte sie erst einmal vor dem magischen Gefäß und keuchte. Dann sagte sie, daß sie das jetzt noch einmal durchmachen wolle. Denn ihr war aufgegangen, was die Hexenlady beabsichtigte: Sättigung erzeugt Langeweile. So durchwanderte sie mindestens fünfmal die grauenhaften Ereignisse, dreimal davon ohne die beruhigende Begleitung Sophias. Dann meinte sie:

"Kennen Sie den Film "... und täglich grüßt das Murmeltier"? Da ist jemand, der muß andauernd den selben Tag erleben, weil er ein gemeiner Egoist und Lästerer ist, bis er lernt, freundlich und hilfsbereit zu sein. Aber was erzähle ich, Sie brauchen mit dem wie das da kein Kino mehr." Den letzten Satz hatte sie mit einem selbstironischen Lächeln ausgesprochen.

"Sag das mal nicht! Ich habe schon einige Filme in einem Kino gesehen. "Casa Blanca" zum Beispiel oder "Vom winde verweht"", erwiderte Sophia Whitesand großmütterlich lächelnd. Und ehe Melanie es aussprechen konnte fügte sie hinzu: "Das ist natürlich schon einige Jahrzehnte her. Die heutigen Kinos sollen ja noch imposanter sein, was Bild- und Klangqualität angeht. Prudence hat das mal erwähnt, daß sie in Muggelkunde, also dem Schulfach, wo eure Welt beschrieben wird, gelernt hat, was ein Kino ist."

"Ist das so streng geheim, was in Ihrer Welt abläuft?" Fragte Melanie, die jetzt neugierig war. Sophia Whitesand überlegte kurz und räumte ein, daß sie hier ja wohl jetzt erst einmal aus aller Geheimhaltung heraus seien. So fragte Melanie, was Sophia in der Schule so erlebt hatte. Die Hexe lächelte und rührte mit dem Zauberstab in der silbernen Substanz herum, die das Bassin mit den merkwürdigen Runen füllte. Dann deutete sie auf den sich beruhigenden Inhalt und sagte auffordernd: "Bis zum Abendessen sind es noch zwei Stunden. Gehen wir beide mal ein wenig in meiner Mädchenzeit spazieren, damit du erfährst, was junge Hexen von damals so alles für wilde Hühner waren!"

Melanie beeindruckte Hogwarts, das ein wahrhaft bezaubertes Schloß war. Sie konnte sogar die verschiedenen Geister sehen, die dort spukten. Sophia, die damals Dumbledore mit Nachnahmen geheißen hatte, besaß als junge Hexe dunkelbraunes, seidenweiches Haar und war, wie ihre gegenwärtige Erscheinungsform ja schon angedeutet hatte, mit sechzehn noch recht kindlich gebaut, während ihre drei Schulfreundinnen Phiona Bones, Arianrhod McFusty und Gwenda Dervent schon für erwachsene Frauen gelten konnten. Vor allem die feuerroten Haare von Arianrhod McFusty und die hochgewachsene Gestalt imponierten Melanie.

"Schottisches Bauernmädchen haben wir sie immer genannt", lachte Sophia, deren heutige Erscheinung sie begleitete. "Ihr Vater war damals der Häuptling des Clans und Hüter der Dracheninseln. Die hat später einen anderen schottischen Haudegen geheiratet", sagte Madam Whitesand. Melanie bekam mit, wie in Hogwarts unterrichtet wurde, das der damalige Schulleiter die betrübliche Mitteilung machte, daß Königin Viktoria nach über sechzig Regierungsjahren gestorben war und welche Besen es damals zum fliegen gab. Auf diese Weise konnte Melanie einmal hinter der jungen Sophia auf einem Besen sitzen, ohne daß diese das merkte. Auf diese Weise verflog die Zeit für Melanie, bis Prudences Mutter mit magisch verstärkter Stimme zum Abendessen rief.

"Ich gehe davon aus, daß ich keinem davon erzählen darf", sagte Melanie, nachdem sie sich für dieses außergewöhnliche Experiment bedankt hatte.

"Das bleibt besser unter uns Mädchen", sagte Sophia Whitesand freundlich klingend. Melanie wollte noch wissen, wie weit diese Erinnerungsschüssel, wie sie sie nannte, erlebte Sachen zurückschauen lassen konnte. Sie erfuhr, daß selbst die Eindrücke vor der Geburt erkundet werden konnten, wenngleich Sophia das langweilig fand, weil die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sei. "Bei Erinnerungen geborener Menschen ist es möglich, die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. In den Erinnerungen eines Ungeborenen gibt es eben nur den schützenden Mutterleib. Da kannst du als Rückbetrachterin nicht herausschlüpfen, weil die besuchte Erinnerung das eben nicht hergibt, während du dir selbst als Baby aus einem Abstand zwischen zwanzig Zentimetern und zehn Metern zusehen kannst. Aber jetzt ist Essenszeit. Du mußt noch wachsen, wenn du meine Patience einholen möchtest." Melanie meinte sich zu verhören. Diese altehrwürdige Hexe, die noch die legendäre Königin Viktoria miterlebt hatte, sprach mit ihr wie eine freundliche Großmutter oder Tante.

Wesentlich entspannter konnte Melanie an diesem Abend ins Bett gehen. Und der böse Traum, der eine nicht vollständig aufgearbeitete Erinnerung war, blieb diesmal aus.

__________

Sophia Whitesand war froh, zumindest der jungen Melanie einen Halt gegeben zu haben. Irgendwas an diesem Muggelkind schwang mit, das sie als exzellente Legilimentorin kitzelte. Mochte es sein, daß in diesem halbwüchsigen Mädchen eine schlummernde Magie wartete, in ihrem Nachwuchs entfaltet zu werden. Sie hatte es dreimal bei Muggeln erfaßt, daß sie einen winzigen, aber nicht zur vollen Kraft zu entfachenden Funken Magie in sich trugen. Als amtierende Sprecherin der britischen Sektion der schweigsamen Schwestern durfte sie derartige Potentiale nicht unbeachtet lassen. Denn eines der Ziele ihrer erhabenen Sororität war es ja, magische Menschen zu erhalten, die ungetrübt vom angestauten Ballast ständiger Inzucht entstanden und die Zaubererwelt bereicherten. Doch dieses Ziel, so hatte Sophia heute erneut feststellen müssen, drohte in sehr weiter Ferne zu verschwinden. Erst einmal hatte sie es mit einem gewissen Unbehagen zur Kenntnis genommen, daß sie nicht die einzige War, die für den Rest der Welt tot war. Denn Ursina Underwood, die Wortführerin der sich selbst als entschlossene Schwestern bezeichnende Untergruppe, war nicht von diesem Mordbuben Riddle getötet worden. Heute hatte sie sich getraut, sie in dem geheimen Versammlungsraum zu treffen um sie zur Rede zu stellen, wie die Schwesternschaft gegen die offen ausgebrochene Katastrophe vorgehen wolle. Darauf hatte sie alle ranghohen Mitglieder der Sororität zu sich zitiert, darunter auch Genevra und die gerade erst fünfzig Jahre alt gewordene Ceridwen Barley, die das feuerrote Haar ihrer Großmutter Arianrhod geerbt hatte, die vor drei Jahren nicht mehr schnell genug disapparieren konnte, als ein wütendes Hebridenweibchen sie als willkommene Jagdbeute ausgesucht hatte. Sie hatte damals Ceridwens Ehe mit dem Muggel Darrin Barley arrangiert, der fast als Zauberer geboren worden war und hatte die Schwesternschaft um drei Töchter bereichert und ihrem Mann zur Beruhigung noch einen Sohn geschenkt. Auch die Weltenbummlerin war dabei gewesen, sowie Ethel Tormentus und Norma Wiffle, deren Kinder nach Hogwarts heimlich geheiratet hatten, um den Skandal, den sie ihrem Cousin Albus fast bereitet hatten, nicht doch noch ruchbar werden zu lassen. Sie wußte, daß Ehtels Tochter und deren zwei Töchter Ursinas Weg gehen wollten, der schneller zum Ziel, der fürsorglichen Führung der Hexen, hinführen sollte. Doch neben den guten Absichten gab es auf diesem schnellen Weg nichts, keine Toleranz, kein Mitgefühl und keine Geduld. Das hatte den Disput des gerade vergangenen Tages so richtig angefacht. Sie dachte noch einmal daran, wie sich Ursina vor ihr aufgebaut hatte und hörte sie sagen: "Lady Sophia, es ist sehr beruhigend zu wissen, daß die Gerüchte nicht stimmen, ihr seid mit Schwester Genevra zusammen in jenem Muggelhaus gewesen, das der Emporkömmling hat stürmen lassen. Doch warum habt ihr euch so viel Zeit gelassen, uns die frohe Kunde zu überbringen, daß wir weiterhin auf Eure große Erfahrung und Besonnenheit vertrauen dürfen?"

"Nun, das lag zum einen daran, werte Mitschwester Ursina, daß ich meine Familie, zu der ja einige unserer guten Mitschwestern gehören, dem Zugriff Riddles und seiner Mörderbande entziehen mußte und die Gerüchte über meinen verfrühten Tod dafür gute Dienste leisteten, um die Schurken nicht zu überschnellen Taten zu verleiten. Denn wäre diesen bekannt gewesen, daß ich das Massaker an den Muggeln überlebt habe, so hätten sie in der ihnen eigenen Bosheit angegriffen. Denn dir ist bestimmt bewußt, werte Schwester Ursina, daß diese Muggel nur meinetwegen mit solcher Brutalität heimgesucht wurden. Ich bedauere es, ihnen nicht ausreichend Beistand geleistet zu haben. Aber was die Frage nach der so späten Offenbarung angeht, so könnte ich dich genauso fragen, Schwester Ursina, warum du jetzt erst preisgibst, daß der Emporkömmling dich nicht ermorden konnte. Und ich vermute sehr stark, daß du ähnliche Beweggründe anführen kannst, die ich gerade anführte", hatte Sophia darauf geantwortet. Der Kreis der zwanzig hochrangigen Schwestern hatte ihr zustimmend zugenickt. Darauf wußte Ursina nur einzuwenden, daß sie ihre Großnichte Lea schützen mußte, die "Die Brut der Todesser" in Hogwarts gewiß als Unterpfand genommen hätte, wäre Ursinas Überleben zu früh bekannt geworden. Jetzt, in den Sommerferien, und nachdem alle Würfel wohl gefallen seien, werde sie die entsprechenden Mittel ergreifen, um das Überleben ihrer Verwandten zu sichern. Dann hatte sie noch zu sagen gewagt: "Es sei denn, Ihr setzt das Einberufungsalter auf fünfzehn Jahre herab, Lady Sophia. So würde meine Großnichte Lea den Schutz der Sororität in Anspruch nehmen können."

"Ich bin optimistisch, daß wir beide es erleben dürfen, wenn Lea durch dich oder ihre Mutter um Aufnahme in unserer Schwesternschaft bittet, Schwester Ursina. Sofern du nicht planst, sie nach der neuerlichen Entwicklung nach Hogwarts zurückkehren zu lassen und sie besser in Rainbowlawn läßt, wo sie sicher ist."

"Ich achte Eure Fürsorge für meine Großnichte, Lady Sophia. Sie deckt sich mit meiner eigenen", hatte Ursina darauf am Rande der Heuchelei geantwortet. "Andererseits möchten ihre Eltern und sie, daß sie dort weiterlernt, sofern sie nicht darauf ausgehen, Kanallien wie die Huren Lestrange und Carrow als neue Lehrkräfte anzustellen oder den Mörder Eures Vetters in das Amt des Schulleiters zu berufen. Im Moment ist alles möglich, Lady Sophia."

"Dies ist mir leider bewußt, Schwester Ursina. Und daher bin ich sehr froh, daß meine Urenkelin Prudence noch rechtzeitig mit der Ausbildung fertig wurde, um sie als vollwertig ausgebildete Hexe in die Welt zu führen."

"Möchte sie auch zu uns stoßen?" Hatte Ceridwen mit ihrem stark walisischen Dialekt gefragt.

"Sie weiß, daß ihre Mutter nur die Hand ausstrecken muß, um ihr die Tür zu uns zu öffnen. Aber im Moment empfindet sie ihr Leben wohl als weniger belastend, wenn sie sich uns nicht anschließt", hatte Sophia darauf geantwortet. Die versammelten Hexen grinsten verhalten und nickten dann. Darauf hatte dann die Weltenbummlerin die Frage gestellt, was denn von den Gerüchten stimme, die um Sophias und Genevras gemeinsamen Tod entstanden seien. So hatte sie einen kurzen Bericht abgelegt, daß die Truppe des Emporkömmlings wohl die Schutzzauber durchbrochen habe, weil der Emporkömmling seinen ausgesuchten Namen mit einem lange schon nicht mehr benutzten Tabu belegt habe, das fast alle errichteten Schutzzauber zerstreute. Dabei war der Name Julius Latierre nicht gefallen. Sophia hatte ihren Geist sorgfältig genug verschlossen gehalten. Besonders Ethel Tormentus oder Ursina, die von ihren Nachläuferinnen anmaßenderweise mit Lady angesprochen wurde, sollten es besser nicht wissen, daß der Ruster-Simonowsky-Zauberer an diesem Ort gewesen und entscheidend zum glücklichen Ausgang beigetragen hatte. Sie schloß damit, daß es für die Zaubereröffentlichkeit besser sei, daß sie, Sophia Amanda Adelaide Freya Whitesand, bei dem Sturm der Todesser ebenfalls ums Leben gekommen sei. Sie wußte ja, daß jetzt, wo sie sich in der Versammlungshalle der Schwestern zurückgemeldet hatte, keine wagen durfte, sie zu ermorden, ohne die alte, ddurch den Eintritt in die Schwesternschaft angedrohte Strafe zu erleiden, die diejenige traf, die eine erwählte Führerin zu töten trachtete. Auch Ursina wußte das gut genug um zu begreifen, daß ihre phönixgleiche Auferstehung sie nicht zur Gesamtführerin machen konnte. So hatten sie lange und breit über die möglichen Maßnahmen diskutiert, die dreiste Machtergreifung des Emporkömmlings zu vergellen, ohne ihre eigenen Familien in mehr Gefahr zu bringen als bereits zu befürchten war. Ceridwen und die Weltenbummlerin schlugen vor, der zu befürchtenden Jagd auf Muggelstämmige die Beute zu entziehen und alle ausgewiesenen Muggelgeborenen rechtzeitig außer Landes zu schaffen. Diese Idee fand selbst bei den sogenanten Entschlossenen große Zustimmung. Allerdings war die Frage, wie sie so heimlich es ging, und vor allem, ohne den betreffenden Personen mit Gesicht und Namen bekannt zu werden, eine derartige Massenflucht organisierten. Ursina schlug vor, unsichtbar zu den Orten zu gehen, die Betreffenden ungesagt einzuschrumpfen oder in transportable Gegenstände zu verwandeln und dann zu disapparieren oder auf Besen fortzubringen. Doch Ceridwen warf ein, daß dies Menschenraub sei und sie hier ja wohl nicht kriminelle Methoden befürworten wollten, wobei der Blick ihrer blaugrünen Augen den Sophias gesucht hatte. Norma Wiffle, die sich in der Muggelwelt so gut auskannte wie die rothaarige Ceridwen, hatte dann den Vorschlag gemacht, die Muggelverkehrsmittel zu nutzen, wenn die schon mal da waren. Immerhin konnte mit einem großen Düsenflugzeug eine Doppelzenturie Menschen auf einmal über große Strecken befördert werden. Ursina hatte sie daraufhin verächtlich angesehen und bemerkt, daß diese Riesenvögel auch genug verpestete Luft absonderten und die ganze Menschheit wohl irgendwann in diesem Brodem ersticken müsse. Doch Lady Sophia hatte diesen Gedanken wohl sehr gut gefunden, auch wenn sie nicht wußte, wie ohne gegen die magischen Gesetze vor dem Umsturz zu verstoßen mehrere hundert Leute für die Muggel völlig nachvollziehbar außer Landes gebracht werden konnten. Doch sie hatte diese Idee nicht ganz verworfen, sondern nur gemeint, daß derlei Möglichkeiten vorher ganz sorgfältig zu prüfen seien. Die mit der Muggelwelt vertrauten Schwestern hatten genickt.

Und jetzt lag Sophia in ihrem Bett und sinnierte über den verstrichenen Tag und die Tage davor. War es jetzt nicht langsam Zeit, das Geschenk zu nutzen, dem sie beiläufig auch ihr Leben verdankte? Sie wollte noch die geplante Aktion abwarten, die Beschaffung der ministeriellen Liste sämtlicher Muggelstämmigen. Denn Shanon O'Daye, deren Mann in der Ausbildungsabteilung arbeitete und bisher noch nicht behelligt worden war, hatte davon gesprochen, daß niemand anderes als Dolores Umbridge beauftragt worden sei, eine Kommission zur Untersuchung der Muggelstämmigkeit zusammenzustellen. Sophia hatte vorsichtig vorgeschlagen, daß Shanons Mann dieser Kommission als rangniedriger Mitarbeiter beitrat, natürlich nicht aus ganz freien Stücken. Dann wäre es wohl möglich, an diese Liste zu gelangen. Was dann wie damit gemacht wurde, sollte danach erst genauer festgelegt werden.

__________

Anthelia hatte Valentinas Blut sorgfältig in ihrem geheimen Labor im Keller der Daggers-Villa auf mehrere Phiolen verteilt, um unabhängige Versuche damit machen zu können. Sie prüfte noch einmal, ob die Geisteraussperrzauber weiter vorhielten und verbrachte den Abend damit, die Erlebnisse in ein übersichtliches Gesamtbild einzupassen. Diese Schlangenmenschen waren der Erde verhaftet und erhielten aus dieser ihre Unverwüstlichkeit. Sobald sie mehr als zwei Meter in welcher Richtung auch von festem Grund entfernt waren, waren sie ziemlich hilflos. Dies mußte sie als die Information gut aufbewahren. Außerdem dachten sie in Parsel, was hieß, daß sie sich in dieser Sprache auch besprechen konnten, falls sie nicht eine Form des Mentiloquismus nutzten. Dann war da Valentinas begonnene Umwandlung. Ein Biß eines solchen Monsters hatte sie in Gang gesetzt. Neben der progressiven Körperveränderung war da noch diese immer gleiche Gedankenbotschaft, die unortbar auf Valentina eingeströmt war. Womöglich hatte sie dem Befehl "Sei mir verbunden!" nur nicht nachgeben können, weil sie noch kein Parsel verstanden hatte. In jedem Fall war es richtig gewesen, die unrettbar verseuchte Mitschwester zu töten, auch wenn Anthelia jetzt, weit genug von diesen Bestien entfernt, darüber nachdachte, den Verwandlungsvorgang vollständig ablaufen zu sehen. Denn immerhin sollte geklärt werden, wie lange der Vorgang benötigte, ob er von der Menge des Gifteintrags abhängig war und falls ja, ob auch andere Faktoren wie physische und mentale Kondition eine Rolle spielten, ob diese Gedankenbotschaft jeden im Prozeß der Umwandlung gefangenen auf gleiche Weise erreichte und ab welchem Stadium der Metamorphose der Befehl verstanden wurde. Nun, von dem Keim hatte sie ja jetzt was. Die Frage war da nur, ob er frisch aus dem Mund eines Kriegers Sharanagots in das Blut des Opfers injiziert werden mußte oder auch ausgelagert und rein mechanisch übertragen werden konnte. Vielleicht sollte sie an niederen Tieren testen, ob das erbeutete Toxin bei diesen auch eine Wirkung zeigte. Dann fiel ihr etwas anderes ein: Hatten ihre Quellen in England nicht berichtet, der Waisenknabe habe das Land mit einer Abwehr ausländischer Feinde geschützt? Ihr Körper war in jenem Land geboren worden. Allerdings hatten Pandora und die anderen vier Schwestern ihn umgewandelt, damit Anthelia sich keinen Männerkörper zumuten mußte. Außerdem wußte sie nicht, ob nur der Körper oder auch die Seele in Großbritannien zum Leben erwacht sein mußte. Daher beschloß sie, am übernächsten Tag in das britische Hoheitsgebiet einzudringen, um zu prüfen, ob ein solcher Bann vorherrschte und wie er auf sie wirkte. Morgen wollte sie erst Cecil Wellington aufsuchen, um sich von seiner weiteren Verwendbarkeit zu überzeugen. Falls sie den Fluch der Bindung erneuern konnte, hielt sie diesen Kundschafter weiterhin. Falls nicht, weil Daianiras Attacke mit dem Sonnenmedaillon die Verbindung getrennt hatte, mußte sie überlegen, ob sie ihn weiter dort leben ließ, ihn anderswo unterbrachte oder tötete, um jede Möglichkeit zu vereiteln, daß er sie verraten könne.

Nachdem sie die von ihrem magischen Gürtel geforderten acht Stunden Schlaf genommen hatte, apparierte sie in die Nähe des Wellington-Anwesens. Sie hielt sich außer Sicht der Bewohner und Diener und versuchte eine Exosenso-Verbindung mit Cecil Wellington, sofern er in dem herrschaftlichen Haus war. Doch als sie es versuchte, meinte sie, einen lauten Heulton zu hören, der durch ihren Kopf raste, sowie einen grellen Blitz vor sich aufleuchten zu sehen. Doch am heftigsten war, was ihr das Seelenmedaillon antat. Denn es stieß mit lautem Ratschen durch Unter und Oberkleidung der Hexe, schwang vor und prallte dann mit einer Wucht wie eine Große Faust auf Anthelias Brustkorb, so daß ihr für mehrere Sekunden die Luft wegblieb und der Gürtel der zwei Dutzend Leben heilende Ströme durch ihren Leib schickte, um eine Erstickung zu verhindern. Als sie wieder frei atmen und ihre Sinne wie vorhin wahrnehmen konnte verzog sie ihr Gesicht. Der Junge war auf eine äußerst effektive Weise gegen Exosenso-Zauber geschützt. Nein, besser, ihr Seelenmedaillon, mit dem sie trotz des lebendigen Körpers immer noch verbunden war, war von irgendwas zurückgeschlagen worden. Mochte es sein, daß sie, Anthelia, nur deshalb noch lebendig war, weil ein Teil der gegen sie geschleuderten Kraft des Sonnenmedaillons über die Verbindung zu Cecil Wellington auf diesen umgeleitet worden war, wobei die Verbindung selbst der übermächtigen Magie nicht standgehalten hatte? Wieder sah sie sich in dem Kellerraum der Stratons mit Daianira kämpfen. Sie erinnerte sich an den unerträglichen Schmerz, das blendende Licht und den Heulton und wie sie meinte, in eine Leere aus Dunkelheit geschleudert zu werden. Mochte es sein, daß die ihr entgegengeschleuderte Sonnenmagie wahrhaftig die Vernichtung ihres zweiten Körpers und vielleicht auch des Seelenmedaillons bedeutet hätte, wäre da nicht eine Verbindung zu einem anderen, weniger magischen Widerstand leistenden Körper gewesen? Dann mochte es sein, daß diese abgeleitete Magie jetzt in Cecil Wellington verblieben war und ihn somit vor Anthelias magischem Zugriff schützte. Die Frage war, wie weit reichte dieser Schutz? Konzentrierte er sich auf den Jungen alleine? Oder verströmte er eine Aura, die einen bestimmten Raum um den Jungen herum erfüllte? So eindeutig ablehnend der Versuch der Exosenso-Verbindung mit dem Jungen auch gewesen war, Anthelia mußte es herausbekommen. Sie dachte an Stella, das Hausmädchen der Wellingtons und versuchte eine neue Exosenso-Verbindung. Tatsächlich glitt sie mit gewissem Widerstand in die Wahrnehmung der Dienerin hinüber, meinte, sich in einem Raum mit verzerrt klingenden Geräuschen zu befinden, in dem alles flimmerte und flirrte wie eine Luftspiegelung in der Wüste. Sie konnte keinen Tastsinn und keine Gerüche empfinden. Die Verbindung war unvollständig. Das kannte sie aus den ersten Übungen mit diesem Zauber. Sie verstärkte ihre Anstrengungen und schaffte es für zwei Sekunden, eine vollendete Verbindung herzustellen. Doch dann verschwammen die Bilder wieder zu einem Flirren. Die Geräusche klangen verwaschen und zerhackt, und die übrigen Sinne entzogen sich ihr. Also war der Zauber, den der Junge unbeabsichtigt in sich aufgenommen hatte, nicht auf ihn allein konzentriert, sondern gestreut. Anthelia vermutete, daß ihr dies wohl am deutlichsten widerfuhr, weil sie das Medaillon Dairons trug. Sollte sie es ablegen oder besser noch weit von sich fort bringen? Nein, die Gefahr bestand, daß ihre damit verbundene Seele den besetzten Körper dann verlassen könnte, wenn sie eine erneute Verbindung mit Cecil herstellte. Dies könnte dazu führen, daß ihr Selbst dann wieder im Medaillon gefangen blieb. Es mochten dann wieder Jahrhunderte vergehen, bis jemand wagte, sie wiederzuverkörpern. Überhaupt würde Bartemius Crouches contrarigenisierter Körper dann wieder zu einer leeren, atmenden Hülle werden. Nein, sie mußte Medaillon und Körper in Verbindung halten! Dann blieb nur noch ein Test, um zu ermitteln, ob er nun für sie völlig unberührbar geworden war. Ihr graute davor, wenn sie daran dachte, wie schmerzhaft die letzte Begegnung mit einem voll entfalteten Sonnenmedaillon verlaufen war. Doch sie mußte es hier und jetzt wissen. Sie verdrängte ihre Angst. Sie verwandelte sich in eine große Krähe, ihre Animagus-Form. Als solche flog sie theatralisch krächzend auf und näherte sich dem Anwesen. Das in der Verwandlung unsichtbar und kleiner gewordene Medaillon begann zu vibrieren, doch erst sehr sanft. Dann erreichte Anthelia das herrschaftliche Haus und umflog es, bis sie sich dem Fenster näherte, hinter dem Cecil gerade an seinem Computer saß. Es war wie ein Flug in einen Moskitoschwarm, der immer dichter wurde, dachte die Führerin der Spinnenschwestern. Sie vermeinte ein ständig lauter werdendes, aus allen Richtungen zu gleich klingendes Summen und Sirren zu hören und dutzende von Stichen gleichzeitig auf der Haut zu fühlen. Ähnlich hatte sie bereits auf das Sonnenmedaillon reagiert, als Patricia Straton ihr damit entgegengetreten war. Die Empfindung wurde immer stärker und reizte bald alle Nerven in Anthelias Körper. Sie hatte Schwierigkeiten den Flügelschlagrhythmus zu halten. Bunte Funken wirbelten vor ihren Krähenaugen, und ihr Schnabel schien auf einer zitternden Unterlage zu liegen. Sie war jetzt nur noch zwei Meter von der Fensterbank entfernt, als das Medaillon wie ein zu schnell schwingendes Uhrenpendel gegen die Brust hämmerte und immer wilder vom Fenster fortdrängte. Dann erhaschte sie einen kurzen Blick auf den Jungen, der unvermittelt in einem sonnenhellen Strahlenkranz aufleuchtete, der in Anthelias Augen schmerzte. Sie verlor die Flughöhe und sackte durch. Sie fing sich gerade noch vor dem Aufprall und flatterte erst ungelenk, um neuen Auftrieb zu bekommen. Dann schaffte sie es, dem Einfluß der lästigen Aura zu entkommen. Mehr als zwanzig Menschenschritte vom Fenster entfernt ließ das Piesacken, Summen und Zittern endlich nach. Dreißig weitere Meter fort war es endlich verschwunden. Anthelia keuchte, während sie den Flug endlich wieder kontrollierte und Abstand nahm. Wütend krächzend stieg sie im 45-Grad-Winkel nach oben und schwirrte davon. Sie hatte erfahren, was sie erfahren wollte: Ihre Befürchtung, den Jungen nicht mehr an sich binden zu können, hatte sich mehr als bewahrheitet. Sie konnte nicht einmal mehr in seine Nähe kommen. Ja, und jetzt, wo sie der Bedrängnis entronnen war, erkannte sie mit gewissem Unbehagen und Widerwillen, daß sie keinen einzigen worthaften Gedanken vom Haus aus empfangen hatte. Die auf den Jungen übergesprungene Magie schirmte ihn und alle in ihrer Wirkungszone vor ihrer Telepathie ab. Damit war die Kontrolle über Cecil Wellington vergangen, perdu, wie sie als gebürtige Französin sagen würde. Ebenso erkannte sie, daß sie nicht nahe genug an den Jungen herankommen würde, um ihm den Todesfluch aufzuhalsen. Sie landete auf einem Ast und sammelte sich. Diese Magie wehrte sie ab, weil sie mit dem Seelenmedallon verbunden war. Es konnte sein, daß jemand anderes mühelos an den Jungen herankam, um ihn in ihrem Sinne zu bearbeiten. Sie ärgerte es jedoch, daß sie dafür auf andere angewiesen sein würde. Gerade Cecil Wellington hatte ihr eröffnet, wie mächtig sie sein konnte. Paradoxerweise offenbarte der Junge ihr jetzt auch, wie ohnmächtig sie sein konnte, wenn eine gegen sie bereits erprobte Magie ihn vor ihr schützte. Vor ihr! Mochte es sein, daß eine andere Schwester problemlos an Cecil herankam, ja ihn weiterhin aus sicherer Entfernung überwachen konnte? Womöglich gestattete der Zauber des Sonnenmedaillons es einer, die es trug, wesentlich besser auf den Jungen zuzugreifen, als ihr, Anthelia, bisher möglich war. Doch zunächst wollte sie prüfen, wie weit die neue Magie den Jungen umhüllte. Sie flog noch einmal los, langsamer, immer auf die Zeichen lauschend, die ihr verrieten, daß sie sich nicht weiter nähern sollte. Als sie erst wenige und dann immer mehr Stiche auf der Haut zu verspüren glaubte, landete sie und schätzte den Abstand. Es mochten wirklich an die fünfzig Meter sein. Sie trippelte auf ihren Vogelfüßen noch einige ihrer Schritte, bis das Gefühl des über sie hereinbrechenden Moskitoschwarms wieder da war. Schnell zog sie sich zurück und hob ab. Etwa hundert Meter entfernt landete sie und wechselte in ihre menschliche Erscheinungsform zurück. Keine Sekunde danach disapparierte sie mit leisem Plopp.

__________

Cecil Wellington spielte gerade an seinem Computer Raumschiffe abschießen, als er diesen kurzen Stoß in seinem Kopf fühlte, als habe jemand von innen mit einem kleinen Gummihammer gegen seine Schädeldecke geklopft. Damit hatte er wohl rechnen müssen. Anthelia wollte es nun wissen. Er ließ seinen Raumjäger ungesteuert über den Bildschirm flitzen und versuchte, sich möglichst ruhig zu verhalten, während die simulierte Kampfmaschine voll in eine Salve aus vier gegnerischen Laserkanonen reinkrachte und mit einer hochauflösenden Animation und einem patentierten Klangmuster explodierte. Auf dem Schirm erschien der Hinweis, daß er vom Punktestand noch zwei Bonusleben hatte. Doch im Moment war ihm das egal. Denn er fühlte, wie etwas von irgendwo da draußen herankam. Er hatte das Gefühl, es mit seinen Händen greifen zu können. dann schien es, als hülle ihn eine warme, goldgelbe Masse ein, die seinen Körper umschloß und ihn sicher geborgen hielt. Dieses Gefühl blieb vier Sekunden, dann verschwand es auch schon wieder. Er fühlte das, was gerade erst herangeschlichen war, in großer Hast davoneilen. Also hatte Anthelia nach dem Fernangriff befunden, ihn direkt anzusteuern und war wohl voll gegen die magische Wand geknallt, die Patricia und er gestern hochgezogen hatten. Sie hatte recht gehabt, was immer sie mit ihm angestellt hatte, Anthelia bekam es nicht.

"Du hast an mich gedacht", erklang Patricia Stratons amüsierte Gedankenstimme in ihm. Er erschrak erst. Doch dann dachte er zurück, daß sie wohl recht gehabt hatte und beschrieb das Gefühl, das er gehabt hatte.

"Oh, dann wird sie wohl bald bei mir auftauchen oder mich zu sich rufen", erwiderte seine neue Überwacherin belustigt. "Bleib du besser erst einmal zu Hause! Da finde ich dich dann, wenn sie meint, mich zu dir schicken zu müssen."

"Früher hätte ich gesagt, vergiss es. Aber vielleicht ist es besser, du überwachst mich als diese Gewitterhexe."

"Freut mich zu hören, Cecil", erklang ihre telepathische Antwort. Der Junge sah auf seinen Punktestand. Das Selbstmordmanöver hatte ihm zwanzigtausend erspielte Punkte abgezogen. Aber mit den dreihunderttausend verbliebenen konnte er gut leben. Er drückte die Leertaste und startete den auf dem Bildschirm wartenden Raumjäger, um noch ein paar böse Außerirdische ins virtuelle Jenseits zu lasern und mit Photonentorpedos in kleine Sonnen zu verwandeln.

__________

"Sieht ja stark aus. Da war ich auch mal drin", hörte Patricia Straton einen enthusiastischen Zehnjährigen aus der Praxis rufen.

"Wundern wir uns alle drüber, daß wir in so einen winzigen Raum mal reingepaßt haben", erwiderte Virginia Hencock, Patricias Heimstattgeberin. "Mrs. mellow, das Kleine ist munter und wohl auf. Dann sehen wir uns bei der nächsten Kontrolle wieder."

"Tim wollte nicht glauben, daß ich ihn da mal drin hatte", sagte eine leicht verlegene Frauenstimme. "Entschuldigen Sie bitte, daß ich ihn mitgebracht habe."

"Mrs. Mellow, unsere Kinder zeigen uns jeden Tag die Welt ganz neu. Und sie sollten schon wissen, wie sie zu uns gekommen sind. Ich fand es nett, den Jungen kennengelernt zu haben. Als Sie ihn bekamen habe ich hier ja noch nicht gewohnt."

"Ihre Vorgängerin war da etwas reservierter. Die wollte meinen Mann nicht zusehen lassen, geschweige denn einen Jungen", sagte Mrs. Mellow. Patricia langweilte das. Wenn sie wollte, konnte sie sich per Exosenso in jeden hier auflaufenden Baby-Warteraum einklinken und hatte das auch schon einigemale gemacht. Aber hier galt echt die Weißheit, daß wer einen gesehen hatte dann auch alle anderen kannte. Aber für einen Zehnjährigen mußte das wie ein Flug zum Mond sein, eine mit Ultraschall gemachte Echtzeitaufnahme seines Geschwisterchens zu erleben. Das mochte dem Bürschchen helfen, den bald laut herumschreienden Neuankömmling besser liebhaben zu können und nicht nur seine dicke Mutter und dann auf einmal ein Baby zu sehen zu kriegen.

"Schwester Patricia, wir müssen reden! Stell dich in unserem Versammlungsraum ein!" empfing sie die bereits erwartete Gedankenbotschaft Anthelias. Patricia schmunzelte. Hatte nur eine Viertelstunde gedauert, dachte sie. Sie wartete, bis Mrs. Mellow und ihre Brut die Praxis verlassen hatten und disapparierte. Virginia würde wohl gleich mit der alten Dame zu tun haben, die Probleme mit den Wechseljahren hatte. Das Elend mußte sie wirklich nicht mitverfolgen. Deshalb kam ihr Anthelias Ruf zum Raport sehr gelegen, wenn sie auch wußte, daß sie sich da auf hauchdünnes Eis begeben hatte. Doch solange sie das Medaillon des Inti trug war Anthelia für sie so harmlos oder gefärhlich wie ein Vampir, und von denen hatte sie schon einige mit ihrer Mutter zusammen in die ewigen Jagdgründe befördert.

Der Raum hinter dem Weinlager der Daggers-Villa war von mehreren Kerzen erhellt. Anthelia saß an der rechts von der Tür liegenden Schmalseite des langen Steintisches, auf dem sie damals ihren Körper erhalten hatte. Patricia Straton grüßte respektvoll und wartete, bis sie zum Hinsetzen aufgefordert wurde. Als sie Anthelia gegenübersaß kam diese auch gleich auf den Punkt.

"Offenbar hat mir die gute Daianira einen schlimmeren Streich gespielt, als sie selbst es ahnte oder gar beabsichtigte, Schwester Patricia. Ich habe gerade eben ausgekundschaftet, ob ich die magische Verbindung zu dem Knaben Cecil Wellington erhalten und fortführen konnte. Doch eine sehr ablehnende Magie trieb mich, Anthelia, aus seiner Nähe fort und verwehrte mir jede Fernbeobachtung. Ich fürchte, etwas von deinem neuen Schmuckstück widert mein Medaillon an oder wird von diesem angewidert. Was nun wie ist bleibt unwichtig, da es im Endeffekt auf das selbe hinausläuft. Mir ist der Zugriff auf den Knaben vergellt. Selbst in seine Umgebung hinein streut diese vertückte Magie, die mich abwies. Nach reiflicher Überlegung mutmaße ich, daß es nur an mir und dem Seelenmedaillon liegt, daß der Knabe unzugänglich und unberührbar ist. Ich erwog bereits, eine andere unserer Schwestern zu entsenden, den Knaben zu prüfen und vielleicht herzubringen. Doch wenn er nicht mehr in meiner unmittelbaren Nähe verbleiben kann wäre es töricht, ihn herzuschaffen. Ich verwarf die Möglichkeit, ihn zu töten, weil ich ihm im Falle meines Endes ein glückliches Leben zu den mit meinem Geschenk verknüpften Bedingungen lassen wollte. Sicher könnte er irgendwann befinden, sein Verhältnis zu mir auszuplaudern. Doch andererseits kennt er die Methoden jener Kurpfuscher, die mit Giften und Geplapper in die Seele eines Menschen hineinfuhrwerken wollen. Er wird sich also hüten, etwas zu verraten, was diese Zeitgenossen auf ihn aufmerksam macht. Außerdem könnte er uns weiterhin nützen, da wir beide ja jemanden kennen, die den Quell jener abstoßenden Zauberei mit sich führt und mich, wie ich es wieder verärgert feststellen muß, selbst aus der Entfernung einer Tischlänge piesackt."

"Ich fühle nichts, daß das Medaillon dir etwas tut, höchste Schwester", sagte Patricia ruhig. Anthelia nickte.

"Nun, ich erwarte von dir, daß du diesen Burschen aufsuchst und erkundest, ob er für deine fernbeobachtung empfänglich ist. Sollte es angehen, daß die Magie, die ihn mir vergellt hat ein Fragment der wider mich geworfenen Kraft ist, die Daianira glauben machte, mich besiegt zu haben, so könnte ihre Quelle vielleicht besser für uns wirken als mein Medaillon bisher." Patricia tat überlegend und nickte dann. Als Anthelia ihr den eindeutigen Befehl gab, den Jungen aufzusuchen, disapparierte die Tochter Pandora Stratons, um wenige Augenblicke später neben Cecil wieder aufzutauchen.

"Hui, das habe ich ja fast nicht gehört", erschrak Cecil, weil in dem Moment gerade fünf feindliche UFOs seinen schnittigen Raumjäger mit roten Laserstrahlen beharkten. Ihm war so, als umhülle ihn wieder diese warme, weiche Decke oder das angenehm warme Wasser.

"Wenn du diesen Blitzeblödsinn da auf deinem Bildschirm auch so laut aufdrehen mußt", knurrte Patricia. "Nur soviel, ich soll prüfen, ob ich mehr Zugang zu dir habe. Bleib sitzen, ich hol dich mal kurz zu mir rein." Cecil wollte schon grinsen, weil er das irgendwie unanständig fand, als er meinte, neben dem Schreibtischstuhl zu stehen und sich selbst darauf sitzen zu sehen, wie seine Hände leicht unbeholfene Bewegungen mit dem Steuerknüppel ausführten und das kleine Raumschiff knapp unter sieben Blitzen gleichzeitig wegmanövrierte. Im nächsten Augenblick meinte er, mit Urgewalt in eine viel zu enge Röhre aus Gummi hineingestopft und darin eingequetscht zu werden. Als dieser beunruhigende Vorgang vorbei war sah er sich auf einer grünen Wiese stehen, hörte Vögel singen, roch das Gras und fühlte es unter seinen Füßen. Seinen Füßen? Ohne es selbst zu wollen, drehte er den Kopf und fühlte langes Haar über seinen Rücken streichen. Sie hatte schon wieder diesen Körpertauschzauber mit ihm gemacht. Besser, sie hatte ihn quasi in ihre ganze Sinneswelt reingezogen. "Diese Art gefällt mir nicht so", dachte er verdrossen.

"Kann ich mir vorstellen", sagte Patricia laut. "Aber ich kann dich locker mitnehmen. Sonst reißt die Verbindung beim Apparieren nämlich ab. Hier brauchte ich nur auf dich zu gucken, den zauber aufzurufen und war danach völlig frei im Denken. Dann setze ich dich mal wieder in deinen Senatorensohnkörper rein, damit du diese runden Leuchtedinger mit ihren Sirrblitzen weiter jagen kannst."

"Die zerlegen meinen Jäger jetzt eh, wenn ich nicht mehr mitkriege, wo die sind", dachte Cecil. Patricia Straton, deren sensorischer Untermieter er gerade war, lachte. Dann meinte er, in einen Schacht zu stürzen und fand sich auf seinem Schreibtischstuhl wieder. Er war wieder er selbst und bei sich zu Hause.

Patricia Straton wartete noch zehn Minuten. Dann mentiloquierte sie Anthelia, daß sie zu Cecil Kontakt bekommen konnte, sowohl körperlichen als auch mentalmagischen. Sie wurde dann in das Hauptquartier der Spinnenschwestern zurückgerufen. Da Patricia nicht nur Cecil einen Bergestein gegeben, sondern für sich selbst auch einen hergestellt hatte, überstand sie das legilimentische Verhör ihrer Meisterin ohne Grund zur Panik. Anthelia war eben doch noch nicht über alles neue in der Zauberei informiert.

"Und du sagst, die Exosenso-Verbindung ist so vorzüglich, daß du dich nicht anstrengen mußt, sie aufrecht zu erhalten?"

"Es ist für mich so, als schlüpfe ich in seinen Körper hinein wie in ein Kleid. Es ist wohl so, daß Daianiras Angriff auf dich bei ihm eine magische Resistenz gegen dein Medaillon erzeugt hat, die eine Afinität zu meinem Medaillon ist. Falls du ihn weiter als Kundschafter für uns halten möchtest, werde ich seine Betreuung übernehmen. Im moment kann ich ja eh nichts anderes tun. Ist auf jeden Fall interessanter und wichtiger, als mir Gespräche zwischen Virginia und ihren Kundinnen anzuhören", bot Patricia haarscharf an der Heuchelei entlangschrammend an. Anthelia dachte kurz nach, Patricia konnte nicht mitbekommen, was die höchste Schwester überlegte. Doch sie mochte sich ausmalen, daß Anthelia sich fragte, ob Patricia die neue Situation mit großer Begeisterung annahm und sich damit einen weiteren Vorteil verschafft hatte. Nach einer Minute sagte Anthelia:

"Du trittst ab sofort dafür ein, daß Cecil Wellington zu keiner Zeit zu einer Gefahr für unsere Sache wird, Schwester Patricia! Behalte ihn so oft du kannst unter magischer Fernüberwachung! Schreite ein, wenn er sich anschickt, wider uns zu arbeiten! Warne mich rechtzeitig, wenn ihm Ungemach droht oder er in unmittelbarer Gefahr schwebt! Ich stelle dich bis auf weiteres ausdrücklich dafür ab." Patricia Straton bestätigte den Erhalt dieser Anweisungen. Dann durfte sie zu Virginia Hencock zurückkehren, so daß der Fidelius-Zauber sie weiterhin vor Nachstellungen Daianiras und anderer schützte.

__________

Dolores Umbridge genoß es, die eingeschüchterten Ministeriumskollegen zusammenzutrommeln und mit dem Gespür der darin geübten die charakterschwächsten von ihnen einzuteilen, die neue Registrierungskommission für Muggelstämmige zusammenzustellen. Währenddessen erreichten sie Nachrichten, daß es zu kleineren Scharmützeln zwischen Leuten des Phönixordens und den Ministeriumstruppen gekommen war. Der Tagesprophet war vollständig in das neue Büro für magische Medien eingegliedert worden. Zwar hatte es einige Reporter gegeben, die sich geweigert hatten, nur noch auf ministerielle Anweisung zu arbeiten. Doch die meisten von denen hatten liebe Verwandte und würden es nicht riskieren, diesen was zustoßen zu lassen. Doch das gehörte nicht zu den Obliegenheiten von Dolores Jane Umbridge. Die krötengesichtige Hexe machte ihren neuen Mitarbeitern deutlich, daß sie kein Versagen oder irgendwelche Skrupel hinnehmen würde. "Wer schlampig arbeitet oder meint, diesen Schlammblütern gegenüber Mitleid äußern zu müssen sollte sich auf einen unbefristeten Aufenthalt in Askaban einrichten", hatte sie bei der ersten Lagebesprechung am fünfzehnten August verkündet. Auch Cynthia Flowers saß unter den angeworbenen Mitgliedern. Auf diese mußte sie besonders achtgeben. Die könnte noch aus der Spur laufen. Doch falls das passierte, würde sie sie halt unter den Imperius-Fluch nehmen. Im Moment reichte es Cynthia, daß ihrem zukünftigen Schwager ein Verfahren wegen magischer Tätlichkeit gegen einen wichtigen Ministerialbeamten drohte und ihre Schwester Petronella vom Ministerium zu Sonderarbeiten in den Innendienst berufen worden war, was hieß, daß sie in der Obhut Thicknesse treu ergebener Mitarbeiter war. Cynthia lauschte der Tirade und den ersten Dienstanweisungen mit sichtlicher Resignation im Gesicht. Doch was würde passieren, wenn die Resignation nachließ und der Mut der Verzweiflung erwachte? Umbridge wußte, daß sie um jeden Preis auf der Hut sein mußte, diesen Augenblick nicht zu verpassen. Alle hier im Ministerium wußten schließlich, welch kräftiger, neuer Wind jetzt wehte. Alle wußten, daß ihre Lebenszeit vom Wert ihrer Arbeit abhing oder mußten fürchten, daß ihre Angehörigen für ihr Versagen bestraft würden. Als Yaxley und Runcorn, zwei eifrige Verfechter der neuen Linie, einen verwegenen Zauberer präsentierten, der gewagt hatte, die Strafverfolgungstruppen anzugreifen und er vor allen Augen von einem Dementor geküßt worden war, hatte dies jeden Widerstandsgeist ausgelöscht. Thicknesse hatte gesagt, daß diese Strafe jeden treffen würde, der offen gegen das Ministerium aufbegehre. Askaban sei für andere Insassen vorgesehen.

An diesem Morgen hatte Umbridge die ihr zugegangenen Unterlagen über mögliche Abkömmlinge von Muggeln geprüft. Dabei kam ihr immer wieder die Akte Andrews unter die Augen. Sie las eine Liste geäußerter Zauber ohne Zauberstab, eine Beurteilung von Lorna Oaktree, der bisherigen Chefsekretärin für die Einschulung sogenannter Muggelstämmiger in Hogwarts und verzog immer wieder das Gesicht, wenn sie las, daß die Zauberkräfte dieses Burschen überdurchschnittlich stark ausgeprägt waren. Mit Widerwillen nahm sie zur Kenntnis, was die Lehrer in Hogwarts für die Ausbildungsabteilung verfaßt hatten, las auch die abstrusen Theorien von Ruster und Simonowsky und studierte mit großer Verachtung die in Auftrag gegebenen Recherchen. Eine gewisse Belustigung befiel sie, als sie las, daß dieser viel zu begabte Zauberer, den Snape als viel zu altklug und rechthaberisch dokumentiert hatte, über mehrere Generationen hinweg mit Professor McGonagall verwandt war. Sie hatte es ja selbst mitbekommen, daß dieser Bengel von neunmalklugen Leuten aus dem französischen Zaubereiministerium, die meinten, sich in englische Angelegenheiten einmischen zu müssen, eingeladen und von der trimagischen Delegation aus Beauxbatons nach Frankreich gebracht worden war. Dann hatten sie ihn aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen in Beauxbatons einschulen lassen. Offenbar hatten diese Besserwisser befunden, daß er in seiner Heimat nicht mehr willkommen sein mochte. Der hatte dann auch noch angefangen, die Panikmache Potters mitzumachen und das Ministerium damit sehr mißmutig gestimmt. Sie, Dolores Umbridge, hatte diesem überheblichen Bengel daraufhin eine Warnung zukommen lassen. Die hatte wohl gewirkt. Doch das änderte nichts daran, daß dieser ungeratene Junge sich dem britischen Zaubereiministerium entzogen hatte. Nach dem Zusammenstoß mit diesen pferdehufigen Biestern im Wald von Hogwarts hatte sie erst einmal wieder zu sich finden müssen. Im Sommer hatte sie dann lesen müssen, daß dieser Bengel angeblich mit einer dieser Kreaturen zusammengerasselt war, die als Töchter des Abgrunds bezeichnet wurden. Sie hofierten dieses Schlammblut, dessen Einfluß auf magische Jugendliche offenbar immer größer wurde. Wie konnte der an so viel Zauberkraft kommen. Diese Verwandtschaftsbeziehung alleine konnte es doch nicht sein. Zumindest durfte sie es in der Kommission nicht als Argument gelten lassen. Dann hatte wohl jemand einige Generationen zuvor Zauberkraft unrechtmäßig an sich gebracht. Die Mysteriumsabteilung arbeitete daran, eine glaubwürdige Beschreibung dieses Vorgangs zu präsentieren. Beziehungsweise, sie arbeitete daran, zu bestätigen, daß es ein solches Verfahren gebe, aber nicht verraten dürfe, wie es funktionierte, um keine Nachahmer zu ermuntern.

"Und damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, erkläre ich die Registrierungskommission für Muggelstämmige für eingerichtet", beendete Dolores Umbridge ihre allererste Lagebesprechung. "Möge mit unserer Hilfe eine neue, eine bessere Zaubererwelt ohne Angst und Neid, ohne Unordnung und falscher Rücksichtnahme entstehen!" Sie blickte alle Mitglieder sehr auffordernd an. Einige lächelten. Andere machten steinerne Gesichter, wie Ronin O'Daye, der bisher in der Ausbildungsabteilung arbeitete.

"Cynthia Flowers gab sich alle Mühe, nicht all zu betrübt dreinzuschauen. Aber ein Lächeln wollte sie sich nicht abringen. Auch wenn Umbridge sie mit ihrem breiten Krötenmund überfreundlich anlächelte erkannte sie darin nur Scheinheiligkeit. Die wohl jetzt als ehemalige Sekretärin für die Einschuulung von Muggelstämmigen in Hogwarts wußte ganz genau, daß sie ab heute um das Leben ihrer Schwester willen dazu mißbraucht würde, unschuldige Kinder, in denen Magie erwacht war, diesen wahnsinnigen Rassisten und ihren opportunistischen Kettenhunden auszuliefern. Hatte sie es bisher immer als Glück vermittelt, wenn ein Kind magische Kräfte besaß, so mußte sie jetzt verbittert erkennen, daß es auch ein großes Unglück sein konnte, im Imperium der Todesser als magisch begabtes Kind ohne magisch begabte Eltern erkannt zu werden. Da kam sie auch schon auf sie zu, diese kleine, fette, heuchlerische Sabberhexe und sprach mit ihrer honigsüßen Kleinmädchenstimme: "Ms. Flowers, ich bitte Sie darum, mir bis morgen die Liste der Kinder zu geben, die demnächst nach Hogwarts eingeschult werden sollen. Wir müssen prüfen, ob diese Kinder tatsächlich ohne fremde Hilfe an Magie gelangt sind. Dazu benötigen wir Ihre Fachkompetenz."

"Die Ausbildungsabteilung hat die Liste, Madam Umbridge", erwiderte Cynthia Flowers völlig gefühllos. "Die letzten Neuanmeldungen sind gestern dokumentiert worden."

"Ich erbitte die Liste von Ihnen persönlich", sagte Umbridge, nun nicht mehr so zuckersüß klingend. Cynthia verstand. Solange sie die Drecksarbeit nicht machte, konnte sie sich als unschuldig herausreden. Mußte sie aber selbst mithelfen, das neue Regime am laufen zu halten, machte sie sich bei allen Verbrechen mitschuldig und lieferte sich den Mördern und Unterdrückern noch mehr aus. Doch sie wußte nicht, wo Nelly war. Ihre Eltern hatten bis heute auch noch keine Eule geschickt, ob sie gut aus dem Schottlandurlaub zurückgekehrt waren. Gab sie jetzt die Liste nicht raus, würde Nelly morgen vielleicht schon tot sein. Doch was passierte mit den Kindern, die sie selbst im Juli noch besucht und mit deren Eltern sie die Einschulung besprochen hatte? Würde sie das Leben ihrer Schwester mit zwanzig unschuldigen Kinderseelen bezahlen? Wollte Nelly das? Welche Hoffnung gab es für die Mitarbeiterin dieser neuen Kommission denn noch, sich und ihre Familie aus dem gierigen Sumpf herauszuziehen? "Ich warte auf Ihre Antwort, Cynthia", säuselte Dolores Umbridge. Für Cynthia klang es wie das Gebrüll eines hungrigen Drachens.

"Ich möchte mit meiner Schwester sprechen", sagte Cynthia in einem letzten Versuch, gegen das ihr aufgeladene Joch aufzubegehren."

"Warum?" Fragte diese Giftkröte da vor ihr erstaunt dreinschauend.

"Ich möchte sicherstellen, daß sie gut aufgehoben ist und ich mir keine Sorgen um sie machen muß", warf Cynthia ein. Offenbar alarmierte das Dolores Umbridge. Sie schien überlegen zu müssen, ob sie jetzt eine glaubhafte Erwiderung, einen harschen Befehl oder eine Drohung ausstoßen sollte.

"Ihre Schwester befindet sich in guter Obhut, Ms. Flowers. Glauben Sie etwa nicht, daß Minister Thicknesse seine Mitarbeiter gut betreut?"

"Glauben heißt nicht wissen, Madam Umbridge. Oder denken Sie, daß die Eltern der Kinder, die Magie äußern mir ohne Beweise abgekauft haben, daß ihre Kinder Magie anwenden." Dolores Umbridge schien plötzlich nachzudenken. Cynthia erkannte eine winzige Chance, sich und Nelly aus dem Sumpf herauszuziehen. "Diese Kinder können auf Kommando keinen Zauber wirken, schon gar nicht ohne Zauberstäbe. Da muß ich den Eltern zeigen, daß es echte Magie gibt, die nicht durch Täuschungen und mechanische Tricks erklärt werden kann." Sie dachte jetzt, daß Umbridge nun glaubte, daß die Ausbildungsleute damals bis heute muggelstämmige Schüler künstlich aufgebaut hatten, bis diese Zauberstäbe bekamen, was nach Umbridges gerade geäußerter These ja der einzige Weg war, Magie zu erwerben. Doch Umbridge schluckte den ausgeworfenen Köder nicht. Sie lächelte so breit ihr Krötengesicht es möglich machte und sagte in ihrer zuckersüßen Art:

"Warum haben Sie nicht vorhin, wo ich Sie alle gefragt habe, ob Sie etwas zu den Erkenntnissen des Ministeriums beizutragen haben erwähnt, daß Sie im Auftrag des Ministeriums und Dumbledores Kinder überreden sollen, an Sachen zu rühren, die ihnen nicht zustehen? Weil es nicht so ist, Cynthia. Das Ministerium hat eindeutige Beweise für stümperhaft und unkontrolliert freigesetzte Magie, und unsere Aufgabe ist es, zu prüfen, wie Kinder, die keine Zauberereltern haben, an derartige Kräfte gekommen sind. Natürlich müssen sie den Eltern erzählen, daß das normal sei und sie ihre Kinder ruhig nach Hogwarts schicken können. Und genau die Liste derer, die dieses Schuljahr neu sind, erbitte ich von Ihnen. Dann kann ich Minister Thicknesse ohne Bedenken darum bitten, Sie mit Ihrer Schwester Petronella sprechen zu lassen. Quid pro quo, Ms. Flowers."

"Es geht mir nur darum, sicherzustellen, daß meine Schwester wirklich diese Arbeitsstelle angenommen hat und das sie dies aus eigenem Ermessen getan hat. Handschriften können gefälscht werden. Es könnte also jemand aus dem Ministerium finden, mich und andere arglistig zu täuschen, damit wir denken, wir handelten zum Wohl des Ministeriums, obwohl wir das in wirklichkeit nicht tun. Liegt Ihnen wirklich was daran, daß dieser Eindruck entsteht, Madam Umbridge?" Versuchte Cynthia etwas anderes.

"Ich habe das jetzt nicht gehört, Ms. Flowers. Und wenn Sie sicher sein möchten, daß Ihre Schwester nicht Ihretwegen ihre Anstellung verliert, sollten Sie Ihre Insubordination sehr schnell vergessen", zischte Umbridge. "Ich meine es gut mit Ihnen. Ich gestehe Ihnen zu, daß sie bisher nur Befehle ausgeführt haben. Wenn Sie sich bisher so gut damit arrangieren konnten, rate ich Ihnen, es dabei zu belassen. Sie helfen uns allen, wichtige und längst überfällige Grundsatzänderungen zu verwirklichen. Erst wenn die Unsicherheit beseitigt ist, daß unsere Welt von Zauberkrafträubern und Hochstaplern gereinigt wurde, werden wir Frieden haben. Sie haben hier und jetzt eine sehr große Chance erhalten, in die Reihe derer aufgenommen zu werden, die eine friedliche, wohl geordnete Zaubererwelt zu erschaffen. Sie und ich werden in die Reihe der Mütter einer friedlichen Zaubererwelt aufgenommen, Cynthia, wenn Sie erkennen, daß unsere freie Existenz nur funktioniert, wenn wir die uns drohenden Gefahren kennen und beherrschen." Cynthia hätte dieser Kröte da für diesen Spruch eine Ohrfeige verpassen sollen. Doch der Gedanke daran, daß diese kleine, gemeine Kreatur in ihrem kitschigen rosaroten Tüllkleid mit einem Satz das Leben ihrer Schwester und ihrer Eltern auslöschen konnte hielt sie ab. Sie sollte zu den Müttern dieser neuen Zaubererordnung gehören? Glaubte dieses Weib da vor ihr etwa was es sagte? Stand Umbridge vielleicht unter dem Imperius-Fluch? Die letzte Frage erschreckte sie. Denn Cynthia merkte, wie gefährlich nahe sie an der Verabreichung dieses Zaubers entlangbalancierte. Wenn die Umbridge den Eindruck hatte, daß sie, Cynthia, potentiell gefährlich für diese ach so friedliche Zaubererweltordnung im Sinne des Unnennbaren war, könnte sie sie als Exempel für die Anderen unter dem Imperius-Fluch schreckliche Dinge tun lassen, auch zum Mord an ihrer eigenen Familie treiben. Sollte sie es wirklich riskieren, endgültig zur Marionette zu werden? Was mußte sie denn schon tun? Sie mußte eine bestimmte Personenliste an Umbridge abliefern und vielleicht noch über die darauf aufgeführten Leute sprechen. Dann war ihr Job schon erledigt. Vielleicht konnte sie dann aus dieser rassistischen Unterabteilung austreten, ohne negative Folgen zu befürchten. Sie straffte sich und sagte: "Morgen haben Sie die Liste auf ihrem Schreibtisch, Madam Umbridge." Während sie das sagte meinte sie, es nicht selbst zu sagen, sondern einem künstlichen Menschen, einem Humunkulus in ihrer Erscheinungsform, zuzuhören. Umbridge entspannte sich. Die Leiterin der Registrierungskommission für Muggelstämmige lächelte zufrieden. Dieses überlegene, scheinheilige Lächeln, würde Cynthia wohl nicht mehr vergessen, solange sie lebte. Und das mochte im Imperium der Todesser eine sehr kurze Zeit sein.

__________

Tim Abrahams hatte es schon am zweiten August gewußt, wie der Hase lief, als der neue Zaubereiminister Thicknesse allen Mitarbeitern im Atrium seinen Amtsantritt und die Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit angekündigt hatte. Er hatte von einer längst überfälligen Neuordnung der magischen Gemeinschaft gesprochen und dabei zwischen den Zeilen anklingen lassen, daß bisher tolerierte Unrechtmäßigkeiten nun nicht mehr hingenommen würden. Für Tim Abrahams, der im Amt für Desinformation arbeitete hieß das ganz klar, daß Thicknesse auf die dunkle Seite gezogen worden war. Denn als der ehemalige Leiter der Strafverfolgungsabteilung seinen Nachfolger Yaxley präsentierte, sowie ankündigte, daß weitere Personaländerungen anstünden, wußte Tim, daß die Todesser ab nun das Sagen hatten. Denn Yaxley war bereits nach dem machtverlust des Unnennbaren als möglicher Handlanger in Verdacht geraten, jedoch einem Prozeß und einer möglichen Haftstrafe in Askaban entronnen.

Einen Tag später hatte sich ein gewisser Orcus Burke im Desinformationsamt gemeldet. Es war ein zwei Meter hoher und ebenso breiter Muskelprotz mit abstehenden Kohlblattohren und fast ins Schwarz übergehenden, dunkelbraunen Haaren über einer weit vorspringenden Stirn, unter der die erdbraunen Glubschaugen regelrecht versunken wirkten. Tim erinnerte sich daran, das einer seiner Mitschüler in Hogwarts ähnlich ausgesehen hatte, und der hatte in Slytherin gewohnt. Wenn das der Vater dieses ruppigen, intelligenzmäßig jedoch total unterbelichteten Bengels Acheron Burke war, dann war es nun amtlich, daß eine alte, gut versteckte Garde des Unnennbaren an die Schaltstellen der Ministerialmacht beordert wurde. Was das für Tim, einen von wohl siebzig Muggelstämmigen Ministeriumsmitarbeitern hieß, war damit sonnenklar, auch wenn ab jetzt wohl keine sonnigen Zeiten mehr zu erwarten waren. Ja, und dieser Quadratmensch mit den Kohlblattohren hatte ihn auch gleich so abschätzig angeglubscht wie ein lästiges Insekt oder jemanden, mit dem er demnächst Streit suchen würde. Tim mußte kein Gedankenleser sein, um an den Gesten und Blicken des neuen Kollegen zu erkennen, daß seine Tage in diesem Amt gezählt waren. Als Burke dann Mortimer Brocklehurst den von Minister Thicknesse verfertigten Bescheid unter die Nase hielt, daß er, Orcus Burke, ab heute den Vorsitz führte, wußte Tim, daß er bald klären mußte, ob er freiwillig untertauchen oder unfreiwillig verschwinden sollte. Doch zunächst hatte sich Brocklehurst der Anweisung gefügt, auch wenn dem alten Zauberer mit dem silbergrauen Scheitel nicht so ganz wohl bei der Sache sein mochte. Sie hatten über die Vorkommnisse der letzten fünf Tage gesprochen. Vor allem das verhaltensgestörte Einhorn, daß in einem londoner Vorstadtgarten Tulpen und Lilien geplündert hatte, war immer noch eines der amüsantesten Gesprächsthemen. Zwar hatten die Leute aus der Tierwesenbehörde den fünfjährigen Hengst in einem großen Netz einfangen können und die Einwohner gedächtnismodifiziert. Aber das Desinformationsamt hatte daraufhin eine Erklärung herausgeben müssen, daß streunende Zirkuspferde sich an Gartenpflanzen vergriffen hätten. Sie wußten ja nicht, wo das Einhorn sonst noch alles gewesen war. Das Tier war in einem weitläufigen Wald in Wales freigelassen worden. Tim hoffte, daß es nicht auf den Geschmack gekommen war, Gartenblumen zu fressen. Doch diese Hoffnung war jetzt zweit- oder gar drittrangig.

Bis zum fünfzehnten August hatte der muggelstämmige Ministeriumsmitarbeiter Dank seiner anerzogenen Disziplin und Gefaßtheit jeden ihm angebotenen Streit vermieden, auch wenn Burke ihn unverhohlen spüren ließ, daß er ihn nicht für voll nahm oder ihn als Abschaum ansah. Dann, am Nachmittag dieses Tages, hatte der neue Vorgesetzte seine Mitarbeiter vom Innen- und Außendienst zum Appell zitiert. Er stellte sich in seinem kobaltblauen Samtumhang vor die dreißig Hexen und Zauberer und sagte mit seiner wie Blöken klingenden Stimme:

"Werte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Minister Thicknesse hat mich wie alle anderen Büro- und Abteilungsleiter ersucht, folgendes mitzuteilen: Ab heute hat eine neue Amtsgruppe ihre Arbeit aufgenommen, die überprüft, ob der Status als Hexe oder Zauberer, den Sie alle für sich geltend machen, im Hinblick auf neue Erkenntnisse gerechtfertigt ist oder geändert werden muß. Damit will der Minister klären, ob wir alle unseren Job und unsere Zugehörigkeit zur Zaubererwelt echt verdient haben. Wenn die neue Kommission rauskriegt, daß es Leute gibt, die sich wie auch immer einen nicht zustehenden Zaubererstatus besorgt haben, werden die betreffenden ihre Anstellung hier verlieren. Die Kommission hat bereits mit den Ermittlungen angefangen, und Minister Thicknesse erwartet von mir und von Ihnen, daß wir ihr helfen, so rasch und reibungslos wie möglich ihren Job zu erledigen, um das Ministerium zu erstarken, um die Zaubererwelt von kriminellen Leuten zu befreien und vor allem dauerhaften Frieden zu sichern. Wenn also wer von der Kommission Bescheid kriegt, sich zu einer Anhörung einzufinden, sollte der oder die das ohne Widerspruch hinnehmen. Wer kein schlechtes Gewissen haben muß, braucht auch keine Angst zu haben." Bei diesen Worten sah er wohl sehr bewußt auf Tim Abrahams. Tim glaubte einen Moment, in einem schlechten Film zu sein, weil viele verhalten grinsten und ihn ansahen, als ginge es ihm bald an den Kragen, und er würde endlich seinen Platz für wen besseres freimachen. Doch er wetterte diese Regung der Anderen ab. Er war ja schon bei Yaxleys Vorstellung auf Alarmstufe Rot gegangen. Auch die exemplarische Bestrafung eines ministeriumsfeindlichen Zauberers vor drei Tagen hatte ihm nur bestätigt, daß sein Arbeitsplatz von Verbrechern übernommen worden war. Was wollte er hier eigentlich noch? Er schwebte in Gefahr. Doch vielleicht konnte er diesem Thicknesse und den ihm zur Seite gestellten Fehlkonstruktionen im Dienste Voldemorts in die Suppe spucken, wenn er genug Mut und Geduld aufbrachte, so lange zu warten, bis er eindeutig wußte, was sie wollten und wie sie es durchziehen würden. Sein Vater war Marineoffizier, darin geschult, sein Leben zu riskieren, seinen Feind zu studieren und dessen Absichten zu durchkreuzen. Tim wollte nun, wo er wußte, daß er bald von dieser ominösen Kommission zu hören bekäme, diesen Grundsätzen folgen, mit denen er als Muggel wohl in seines Vaters Fußstapfen getreten wäre. Was wäre er heute, wenn er eine Karriere in der Royal Navy begonnen hätte? Womöglich hätte er es schon zum Lieutenant Commander gebracht, falls nicht bessere Leute an ihm vorbeibefördert worden wären. Jetzt war er Mitarbeiter einer Dienststelle, die im Namen der Geheimmhaltung erzählen sollte, daß augenfällige Zauberei in Wirklichkeit auf ganz banale Ursachen zurückgeführt werden konnte. Wie ernst mochte das in den nächsten Wochen und Monaten werden, wenn die nun vom Ministerium unbehelligten Todesser wüten und morden konnten. Mochte es dann sein, daß dieses Büro Amt für notwendige Absicherungen genannt würde? Immerhin hatten sie jetzt eine Abteilung für magische Medien, in der der Tagesprophet und der Magische Rundfunk unter einer Führung zusammengelegt worden waren. Er hatte Dokumentarfilme im Fernsehen gesehen, wie die Nazis und Kommunisten ihre Völker unwissend und ängstlich gehalten hatten. Das hatte damals funktioniert. Das würde auch heute funktionieren. Er machte sich keine falschen Hoffnungen, daß er als Muggelstämmiger bald irgendeiner an langen Haaren herbeigezogenen Untat beschuldigt und abgeurteilt werden würde, wenn er nicht den richtigen Zeitpunkt erwischte, um diesen Irren von der Schippe zu springen. Er wunderte sich, daß noch keiner bei ihm Imperius angesetzt hatte. Doch er wollte keinen großen Drachen rufen und verdrängte diesen Gedanken sofort wieder. So nahm er die kurze Ansprache und das abschätzige Grinsen und glotzen seiner Kollegen als zu erwartendes Übel hin. Bis er eine offizielle Aufforderung dieser dubiosen Kommission hatte, konnte er vielleicht noch in Ruhe arbeiten. Er dachte jedoch daran, was seine Kollegen über ihn wußten, um ihn um seine antrainierte und vor allem nach seinem turbulenten Ausklang in Hogwarts eingebläuten Denktechniken zu bringen. Doch die meisten hier wußten nichts von seiner unrühmlichen und von ihm heute mehr denn je verabscheuten Affäre mit der grünen Waldfrau Morpuora. Doch in seiner Personalakte war es enthalten, daß er wegen dieser verdammten Sache drei Wochen im St. Mungo behandelt worden war. Wenn Kohlblattohr Burke diese Akten las, hatte er was gegen ihn in der Hand. Darauf mußte er gefaßt sein. Doch Burke kostete seinen stillen Triumph noch nicht aus. Er blickte nur alle an, versuchte wohl, Tim zu einer unbedachten Äußerung zu verleiten. Doch dieser beherrschte sich. Wenn dieser Klotz mit den Kohlblattohren wußte, was in Tims Akten stand, sollte der auch wissen, daß er der Sohn eines erprobten Navy-Captains war und das Blut eines edlen Kriegers durch seine Adern strömte. Dieses inzestuöse Individuum da vor ihm, daß von der Gnade eines Psychopathen her zu einem Ministeriumsmitarbeiter gemacht worden war, hatte schon bei seiner Wortwahl verraten, daß es nicht gerade mit Intelligenz gesegnet war. Sollte sich Tim von einem Wesen auf dem Niveau eines Steinzeitmenschen ärgern lassen? Doch andererseits galt für ihn die Ehre auch etwas. Wenn er stolz auf seine Arbeit sein und sein Leben als anständig weiterführen wollte, mußte er höllisch aufpassen, wo die Grenze verlief und ab welchem Punkt er nicht mehr nur einstecken durfte, sondern entweder zurückschlagen oder den ehrenvollen Rückzug antreten mußte.

"Abrahams, erzählen Sie uns noch mal von dieser Fee, die in einem Blumenladen aufgetaucht ist!" Verlangte Burke. Tim konnte sich an einen solchen Vorgang nicht erinnern. Das mochte also eine Falle sein. Wenn er jetzt sagte, daß er davon nichts wußte, würde er gleich als Stümper und Hohlkopf hingestellt. Wenn er eine Geschichte erzählte, die nicht stimmte, würden sie ihm Flunkerei unterstellen, vielleicht sogar böswillige Irreführung. Also sagte er ganz ruhig: "Ich gehe davon aus, wer Ihnen geraten hat, sich von mir die Geschichte erzählen zu lassen wußte da noch nicht, daß ich diesen Vorgang noch nicht zur Bearbeitung vorliegen hatte. Bitte lassen Sie mich erst Recherchieren, bevor ich Ihnen sehr gerne die erwünschte Antwort gebe." Alle anderen sahen ihn perplex an. Sicher, sie wußten ja auch, daß so ein Fall nicht gemeldet worden war. Doch gegen die Antwort konnten sie wohl nichts machen. Burke sah Abrahams an und fragte herausfordernd: "Sie meinen also, daß jemand mir gesagt hätte, Sie würden einen derartigen Vorgang bearbeiten, Abrahams? Wem haben Sie denn erzählt, Sie würden auf diesen Vorgang warten?"

"Ich habe es keinem erzählt", erwiderte Tim ruhig. Noch konnte er die Lage überblicken. "Ich vermutete nur, daß Sie die Empfehlung von jemanden hätten, mich zu dieser Angelegenheit befragen zu können. Doch wie erwähnt muß ich erst einmal ergründen, ob ich dafür zuständig bin und falls ja, was genau passiert ist."

"Sie glauben wohl schlauer zu sein als ich, wie?" Fragte Burke und verriet, daß er sich mit Abrahams auseinandersetzen wollte.

"nein, das glaube ich nicht, Sir", erwiderte Tim ruhig und fügte in Gedanken hinzu, daß er es ja wußte, daß der andere dümmer als er war. "Ich möchte Ihnen nur helfen, ein mögliches Mißverständnis auf Grund voreiliger Ankündigungen auszuräumen. Beschaffen Sie mir bitte die entsprechenden Berichte, und ich präsentiere Ihnen so schnell es geht die gewünschten Ergebnisse!"

"Möchten Sie mir Anweisungen erteilen, Abrahams?" Fragte Burke, den die Gelassenheit des muggelstämmigen Angestellten nicht gefiel.

"Das war keine Anweisung, Sir. Aber damit wir beide nicht unnötig aneinandergeraten müssen formuliere ich um: Ich schlage vor, daß wenn Sie das möchten, die Unterlagen zu jenem Vorfall zu meinen Händen gelangen lassen, damit ich sie bearbeiten und auswerten darf. Mehr ist von meiner Seite her nicht zu sagen."

"So, mehr ist von Ihrer Seite her nicht zu sagen", knurrte Burke und glotzte Tim feindselig an. "Dann sollte ich vielleicht überprüfen, ob Sie hier überhaupt recht am Platz sind, Abrahams. Uneffiziente Mitarbeiter schätze ich nicht, vor allem, wenn sie allen Grund haben, sich möglichst unauffällig zu verhalten, um nicht den Verdacht zu erregen, mit ihnen sei etwas nicht in Ordnung." Wie dumm war dieser Todesser doch, Tim derartig offen zu warnen. Jetzt hatte er es sprichwörtlich amtlich, daß Burke und seine Gönner ihn wegen seiner Muggelstämmigkeit auf der Abschußliste hatten. Aber, daß hatte er von seinem Vater gelernt, der als Kampfpilot Karriere gemacht hatte, ein Ziel auf dem Radar zu haben hieß nicht, es besiegt zu haben. Es war nur ein taktischer Vorteil, und den hatte Burke Verspielt, als er Tim warnte. So sagte Tim ruhig:

"Prüfen Sie ruhig meine bisherigen Leistungen, Sir. Ich weiß mich im Sinne der Zaubereigesetze frei von irgendwelchen belastenden Dingen."

"Das wird sich zeigen", knurrte Burke. Der offene Streit mit Abrahams war nicht ausgebrochen. Offenbar erkannte Burke das jetzt, wie verkehrt es gewesen war, Tim zum Verdächtigen zu erklären. Denn er wandte sich ohne weiter auf dieser Fee im Blumenladen einzugehen an Tessa McMillan und wollte von ihr wissen, wie die von einem walisischen Grünling verursachten Schäden an einer Vorstadtsiedlung von Cardiff muggelglaubhaft geregelt worden waren. Diesen Fall hatte es vor fünf Wochen gegeben, wußte Tim, und Tessa benannte auch entsprechende Aktenzeichen. Dann meinte Burke: "So muß das laufen, Abrahams. Merken Sie sich das, sofern Sie hier weiterarbeiten wollen." Tim bestätigte den Erhalt dieser Belehrung und hoffte darauf, nicht gleich wieder unter verbales Feuer genommen zu werden. Doch das Wortscharmützel mit dem neuen Büroleiter hatte diesem wohl erst einmal genügt. So verstrichen die letzten Stunden des Arbeitstages ohne weiteres Geplänkel. Doch tim war gewarnt. Womöglich mußte er in ziemlich kurzer Zeit sehr weit verreisen, wenn er nicht von den Todessern auf die letzte und längste aller Reisen geschickt werden oder wie der arme Tropf von vor einigen Tagen von Dementoren geküßt werden wollte. Wer immer meinte, Burke als Büroleiter einsetzen zu müssen, hatte den Bock zum Gärtner gemacht oder fand keine Abteilung, in der er noch weniger Schaden anrichten konnte.

"Achtung an alle Mitarbeiter", klang die allgegenwärtige weibliche Stimme, die sonst in den Aufzügen zu hören war durch alle Ministeriumsräume. "Auf Grund möglicher Angriffsversuche von außen gilt ab heute sechs Uhr abends eine totale Flohnetz und Disapparitionssperre in allen Abteilungen des Ministeriums. Alle Mitarbeiter sind gehalten, sich nach ihrer Schicht zum Besucherkontrollpunkt im Atrium zu begeben, um die neuen Zutrittsberechtigungsmünzen entgegenzunehmen. Bitte alle Mitarbeiter nach Ende ihrer Arbeitsschicht beim Besucherkontrollpult im Atrium melden, um die neuen Zutrittsberechtigungsmünzen entgegenzunehmen!"

"Hups, was ist denn jetzt los?" Fragte Tessa McMillan. Burke blickte sie alle an und sagte:

"Eine Maßnahme der Strafverfolgungs- und Personenverkehrsabteilung. Gestern haben zwei Aufrührer versucht, Drachengallengas im Atrium zu deponieren, daß heute morgen freigesetzt werden sollte. Die feigen Angreifer konnten vom Wachtrupp der inneren Abteilung festgenommen werden. Während Sie alle im Gebäude waren, wurden die neuen Zugangsbeschränkungen installiert. Näheres erfahren Sie beim Besucherkontrollpult."

"Nichts für ungut, Sir", warf Gilbert Farrow, ein drahtiger kleiner Zauberer mit braunem Haar ein. "Aber warum haben die beiden Abteilungen das dann nicht gleich so geregelt, daß die Abteilungs- und Büroleiter diese Zugangsberechtigungsmünzen verteilen. Da gibt's doch nur einen meilenlangen Stau vor dem Pult."

"Ich habe die Regeln nicht gemacht", knurrte Burke. Tim verstand. Sie schotteten das Ministerium ab. Womöglich gab es keinen Drachengallengasangriffsversuch. Man wollte einfach verhindern, daß jeder Hinz und Kunz der Zaubererwelt ins Ministerium reinkam oder es ungehindert wieder verlassen konnte. Aber das mit der Berechtigungsmarkenausgabe stimmte. Das hätten sie anders lösen müssen.

Als tatsächlich alle Ministeriumsmitarbeiter vom Minister und seinen obersten Mitarbeitern abgesehen im Atrium zusammenkamen, herrschte Schweigen. Das bis heute Morgen noch verhüllte Baugerüst war verschwunden. Statt dessen thronten zwei überlebensgroße Abbildungen über auf einem Knäuel von ihnen zu Füßen liegenden Menschen, die ängstlich nach oben starrten. Auf dem Sockel des mehrere Meter hohen Gebildes prangte die Losung "Magie ist Macht". Keiner, der diese übergroße Skulptur sah, wagte etwas dazu zu sagen. Tim stand wie viele andere nur da und überlegte, was diese Darstellung besagen sollte. Es war natürlich nicht schwer, zu erraten, was dieses gigantomanische Gebilde da sollte: Die beiden riesenhaften Wesen waren eine Hexe und ein Zauberer. Denn für reinrassige Riesen wirkten ihre Körper zu wohlgeformt und makellos. Außerdem trugen sie spitze Hüte und Zauberstäbe, wie ihre Vorgänger am goldenen Brunnen der magischen Geschwister. Der riesige Trhon aus zusammengepferchten Menschenleibern stellte die Muggelwelt da, über die die beiden magischen Vertreter triumphierten, ja irgendwann wie Götter aus den alten Sagen uneingeschränkt herrschen würden. Noch nie war die neue Politik des Zaubereiministeriums so sicht- und greifbar gewesen wie jetzt. Die neuen Machthaber fühlten sich offenbar nun völlig sicher. Sie hatten alle Schaltstellen der Macht übernommen, alle ihnen genehmen Hexen und Zauberer für sich eingespannt und alle störenden Mitarbeiter aus dem Weg gestoßen oder unterjocht. Hier und jetzt verriet das Ministerium, daß es nicht weniger als die Herrschaft über alle Menschen, Magisch und nichtmagisch anstrebte. Tim dachte an seine Zaubereigeschichtsstunden. War da nicht im 16. und 17. Jahrhundert ein solches Imperium entstanden, in dem eine Clique dunkler Hexen alle Menschen unterdrückt hielt? Offenbar hatte die Ministeriumsmarionette Thicknesse den gleichen Auftrag, und alle ihm treu ergebenen oder versklavten Mitarbeiter halfen ihm dabei. Den Rest würde bald die Propaganda und die Furcht vor willkürlichen Verhaftungen erledigen, dachte Tim. Jetzt fühlte er sich doch sehr beklommen. Es stimmte wohl, daß etwas zu wissen und etwas mit den eigenen Sinnen zu erleben zwei Welten für sich waren. Er wußte schon, daß Voldemort das Ministerium unterjochen wollte. Er hatte die Zeichen gedeutet, die auf Sturm standen, hatte die Brutalität der neuen Machthaber als Vorboten einer dunklen Zeit erkannt. Und jetzt hatten sie ihre Monumente errichtet, wie die Kommunisten in der Sowjetunion. Hier sollten die Besucher und Mitarbeiter Furcht und Ehrfurcht zu gleich empfinden. Dann kam da noch diese Zutrittsbeschränkung. Das Zaubereiministerium wurde zu einem Bunker der Mächtigen umgebaut, zur Zentrale des Terrors und der Unterdrückung. Als er zehn Jahre alt gewesen war, hatten seine Eltern ihm erzählt, wie sein Großvater, der auch bei der Royal Navy gedient hatte, gegen Hitler-Deutschland und seine Vasallen gekämpft hatte. Er war damals Kommandant eines Truppentransporters, der die alliierten Streitkräfte an die Küste der Normandie gebracht hatte. Er war sichtlich verstört aus dem Krieg zurückgekehrt. Jedes quietschende oder sirrende Geräusch, jede Fehlzündung eines Autos und sogar das Zuschlagen von Türen hatten ihn fast in Panik versetzt. Es hatte mehrere Monate gedauert, bis er sich von diesem Frontstress erholt hatte. Er hatte gegen eine menschenfeindliche Diktatur gekämpft. Sein Sohn, bei Kriegsende gerade vierzehn Jahre alt, war genau deshalb in die Kriegsmarine eingetreten, um gegen den neuen feind, den kommunistischen Ostblock, im kalten Krieg zu kämpfen, jederzeit darauf gefaßt, einen heißen Krieg auszufechten. Sein Großvater und sein Vater hatten für das Ende mörderischer Regimes gekämpft, damit diese nicht in Großbritannien Fuß fassen konnten. Wofür? Fragte sich Tim. Denn hier im Ministerium stand sie nun fest, die Diktatur auf britischem Boden. Mochte es sein, daß die Muggelwelt nichts von ihr erfuhr. Es konnte aber auch passieren, daß bald schon Truppen des Unnennbaren Angst und Schrecken in die überquellenden Städte und die beschaulichen Dörfer trugen, um den Muggeln klarzumachen, daß sie nur noch als bedeutungsloses Getier geduldet würden, falls man sich ihrer nicht bedienen wollte. Tim fühlte, wie der Grimm und die Verzweiflung ihn zu übermannen trachteten. Er war Zeuge einer dunklen Zeit, und er wußte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. All die Warnungen Dumbledores waren auf taube Ohren getroffen. Minister Fudge hatte sehenden Auges das Unheil groß werden lassen. Minister Scrimgeour hatte einen übereifrigen Verfolgungswahn in die magische Welt getragen, der die echten Feinde nicht zurückgedrängt hatte. Im Gegenteil, die hatten sich im Gewirr des letzten Jahres zusammengerottet und genau geplant, wann sie wie zuschlagen mußten. Wenn es nicht so ernst gewesen wäre hätte er jetzt amüsiert gegrinst, als ihm die Star-Wars-Geschichten einfielen. Hatte jener böse Imperator da nicht genau das gemacht, die Angst vor Feinden genutzt, um Macht zu gewinnen, um dann eine ganze Galaxis zu unterdrücken? Der Vergleich mit diesem düsteren Imperium mochte passen. Voldemort war jetzt auf dem Zenit seiner Macht. Sein Verschwinden und der Ruhm Harry Potters, seinen Todesfluch überlebt zu haben, galten nichts mehr. Lebte Potter überhaupt noch?

"Hey, Tim, träumen Sie?" Sprach ihn eine leicht ungehaltene Frauenstimme von hinten an. Er sah, daß die Schlange einige Meter nach vorne gerückt war. Er wandte sich um und sah Galatea Barley, eine kleine Hexe mit feuerroten Haaren und grünblauen Augen, die einen türkisfarbenen Umhang trug. Er sah sie entschuldigend an und rückte rasch nach, um den zum Besucherkontrollpult verlaufenden Menschenstrom nicht zu stören.

"Setzt Ihnen das Dings da so zu?" Fragte Galatea ihn und deutete auf das neue Machtsymbol des Ministeriums. Tim mußte sich zusammennehmen, nicht frei heraus zuzustimmen. Zum einen liefen hier mindestens zehn Gestalten rum, die aus Voldemorts Bande stammen mochten. Zum anderen mußte er Galatea nicht auf die Nase binden, was er fühlte. Sie war fünf Jahre älter als er und hatte in Gryffindor gewohnt. Da war sie Vertrauensschülerin gewesen und hatte ihn im Zug mit Alessandro Boulder in ein Abteil gesetzt, mit dem er dann in Ravenclaw eingezogen war. Er hatte sie eine Zeit lang als jungenhafte Traumgeliebte gehabt, bis er ... Nein, an dieses grüne Flittchen wollte er nicht mehr denken. Als er dann im Ministerium angefangen hatte, war er Galatea häufig im Aufzug begegnet. Sie arbeitete in der Zauberwesenabteilung. Er hatte auch gehört, daß sie Halbmuggelstämmige war und von der begabten Hexe Ceridwen Barley geborene McTavish als jüngste von drei Töchtern zur Welt gebracht worden war. Ihre Mutter hatte McFusty-Blut in den Adern und war sowohl mit Zaubertieren als auch Verwandlungszaubern meisterlich vertraut. Sie hatte mehrere Artikel in "Verwandlung Heute", "Zeitgenössische Zusammenstellungen von Zaubertieren" und "Angewandte Zaubertrankkunde" geschrieben. Außerdem hatte er Gerüchte gehört, daß Galateas Mutter internationale Kontakte besaß, die manchen Zaubereiminister vor Neid erblassen ließen. Sein Trauma nach Morpuora hatte ihn jedoch jede Nähe zu Hexen und Muggelfrauen madig gemacht. So sagte er nach zehn Sekunden Bedenkzeit:

"Sie hätten sich an mir vorbeimogeln können, Ms. Barley. Ich mußte nur dran denken, daß wir nur deshalb so umständlich aus dem Ministerium rauskommen, weil jemand es unter Gas setzen wollte."

"Ach, hat Ihr Büroleiter das erzählt?" Fragte Galatea nun etwas freundlicher. "Unser hat auch sowas angedeutet, daß jemand alle hier auf einen Schlag umbringen wollte. Glauben Sie das auch?"

"Ich stehe in der Rangliste nicht so weit oben, daß ich mir ein Urteil über die Maßnahmen des Ministeriums bilden darf, solange es nicht von mir verlangt wird", antwortete Tim wie ein loyaler Offizier. Sein Vater hatte ihm diese Standardausrede beigebracht, die er benutzte, wenn er zur Regierungspolitik befragt wurde. Damit hatte er das zu viel sagende "Kein Kommentar" genauso vermieden wie den Fehler, unautorisierte Meinungsäußerungen zu verbreiten. Galatea gefiel diese Antwort wohl. Sie grinste. Dieses Grinsen, das hatte ihn schon als Zwölfjährigen in seinen Bann gezogen. Wußte Galatea das womöglich, daß er mal davon geträumt hatte, mit ihr ... Nein, nein, nein! Diese Gefühle wollte er nicht haben. Er hatte nach der Sache mit Morpuora jede Lust und Freude an weiblicher Bekanntschaft verloren. Sein Vater wußte, daß er nur deshalb nicht verheiratet war, weil er dieses Trauma mit sich herumschleppte.

"Und wieder halt", kommentierte Galatea den Stop der Menschenschlange, die sich in sechs langen Reihen wand. Wie in einem Vergnügungspark hatten Zaubereizentralverwaltungsleute Laufgitter aufgebaut, um den Strom der Mitarbeiter zu kontrollieren.

"Ist Ihr Vater immer noch im persischen Golf?" Fragte Galatea, der wohl nach Konversation war. Tim überlegte, ob er darauf eingehen sollte. Dann empfand er es als netten Zeitvertreib, wo diese Völkerwanderung wohl noch eine Stunde dauern mochte, bis er am ersehnten Ziel war.

"Gut, es ist kein Geheimnis, daß die Nelson gerade im Golf liegt. Mein Vater ist in seinem Element. Ich habe Ihnen ja mal erzählt, daß er Flieger ist und kein Seefahrer. Zwischendurch darf sein Ausführender Offizier das Schiff kommandieren, damit er bei Patrouillenflügen mitmachen kann. Hat ihm zwar mal ein Admiral blöd für angemacht, aber er meinte, daß er nicht einrosten dürfe, vor allem, wo der Käse mit Saddam noch lange nicht gegessen sei. Meine Mutter ist bei Verwandten in den Staaten." Er wollte seiner Gesprächspartnerin nicht verraten, daß er seiner Mutter den dringenden Rat gegeben hatte, bis auf weiteres bei seiner Tante Marcy in Chicago zu wohnen, nachdem das Ministerium von Thicknesse übernommen worden war. Sein Vater würde noch bis Weihnachten Saddam Husseins Luftstreitkräfte ärgern.

"Oh, wie halten die denn dann Kontakt mit Ihnen?" Fragte Galatea neugierig. Tim antwortete, daß sie einige Sachen hatten, um in Verbindung zu bleiben. Welche genau das waren verriet er jedoch nicht. Es konnte ja durchaus sein, daß Galatea eine Spitzelin war, die Mitarbeiter aushorchte, vor allem die Muggelstämmigen. Doch sie bohrte nicht nach, sondern sagte nur:

"Mein Bruder ist jetzt bei den Tornados. Jetzt kann er meine Cousine Moira ärgern, die bei den Harpies ist."

"Oh, dann wird's bestimmt spannend, wenn Sie sich alle zu Hause treffen", erwiderte Tim und rückte weiter voran.

"Mum hat gesagt, daß die Liga Tischverbot hat. Wenn sie sich zanken wollen, wer besser ist, sollen die das in einem ihrer Zimmer tun. - Auch schon von der neuen Kommission gehört? Madam Umbridge hat sie eingerichtet." Tim stockte im langsamen Vorwärtsgang. Dolores Umbridge hatte diese obskure Kommission eingerichtet? Diese opportunistische Giftspritze sollte also entscheiden, was mit angeblich unanständigen Leuten passierte? Stimmte das? Er tat so, als erschüttere ihn diese Nachricht nicht.

"Kein Wunder, daß die so auf Katzen abfährt. Die landet immer wieder auf den Füßen und springt dann noch höher als vorher", sagte er verächtlich. Galatea nickte ihm verhalten zu. Dann ging es weiter.

"Am besten warten wir ab, was diese Kommission macht", schlug Tim vor. Galatea sah ihn fragend an und wisperte dann:

"Muggelstämmige aussortieren." War das jetzt ein Köder? Sollte er jetzt ausplaudern, daß er das auch fürchtete? Oder war das eine Meinungsäußerung, die nicht zutreffen mußte? Er sah Galatea an und sagte:

"Ich will nicht behaupten, daß alle Muggelstämmigen Engel sind. Aber ich wüßte auch nicht, wozu man da eine eigene Sonderkommission für einrichten müßte."

"Ich denke, daß werden wir bald erfahren", erwiderte Galatea. Dann ging es weiter. Tim sah einen breitschultrigen Zauberer, der aus einem der Aufzüge auftauchte und ohne Rücksicht auf den gebotenen Anstand durch die Schlange preschte, bis er bei Tim und Galatea ankam.

"Aus dem Weg da!" Blaffte er. Jetzt erkannte Tim ihn. Es war Albert Runcorn, der erst nach Thicknesses Amtsantritt aufgetaucht war und als Mitarbeiter zur besonderen Verwendung vorgestellt worden war. Keiner hatte daran zweifeln können, daß Runcorn zu den Todessern gehörte. Und so verwunderte es Tim nicht, daß der ihn fast um einen Kopf überragende Kerl ihn sehr verächtlich von oben herab anglubschte, ähnlich wie sein Kumpan Burke es schon ein paarmal getan hatte. "Nicht so Langsam, Abrahams. Oder meinen Sie, alle Zeit der Welt zu haben?"

"Kein Kommentar, Mr. Runcorn", erwiderte Tim kalt. Runcorn blickte ihn wieder verächtlich an. Doch Tim wich kein Zoll vor ihm aus. "Weg frei oder Ärger, Abrahams", knurrte Runcorn und drängte Tim roh gegen das Laufgitter. Er lief weiter und schubste alle vor ihnen stehenden aus dem Weg, wenn sie nicht freiwillig auswichen.

"Die sind sich ihrer Sache ziemlich sicher", knurrte Galatea. Tim sah jetzt, daß Runcorn sie wohl auch gegen das Gitter gedrängt hatte. Sie wirkte empört und wie ein brodelnder Kessel vor dem Überlaufen. Das mußte das Blut der alten Drachenhüter sein, das zu einem Achtel in ihren Adern floß.

"Der hätte nur ein Schild "Eilauftrag vom Minister" oder so hochhalten müssen", meinte Tim. "Zu viel Kraftverschwendung."

"Die können nur so, Tim", bemerkte Galatea dazu. Sie sahen wie Runcorn wie ein Bulldozer durch die Schlange pflügte und beim Besucherkontrollpult eintraf, wo gerade jemand einen kleinen Beutel mit Münzen entgegennahm. Der Durchmarsch des Kraftprotzes hatte die geordnete Schlange in Aufruhr versetzt. So dauerte es noch länger, bis Tim selbst am verheißungsvollen Pult stand.

"Name, Abteilung und Vorgesetzter", sagte ein Diensthabender zauberer zu Tim. Dieser lächelte und antwortete militärisch kurz und präzise:

"Abrahams, Tim, Büro für Desinformation, Burke, Sir." Der Zauberer schlug in einem großen Listenbuch nach, fand ihn und warf ihm einen Pergamentzettel zu. Darauf stand das heutige Datum, der fünfzehnte August und die Bestätigung, daß er zwanzig Zutrittsmünzen für den Anfang erhalten habe. Dazu wurde ihm noch ein Zettel mit Instruktionen ausgehändigt. Er unterschrieb den Zettel, gab ihn zurück, bekam den angekündigten Beutel mit zwanzig Münzen und mußte abrücken.

Die Kamine funktionierten scheinbar noch. Jedenfalls verschwanden Mitarbeiter darin. Yaxley von der Strafverfolgung spielte den Aufpasser und ging zu allen, die nicht sicher schinen, wie sie jetzt rauskamen. Als er Tim sah, wie er die Instruktionen las meinte er:

"Zu hoch für dich, Schlammblut?"

"Erstens heißt das "zu hoch für Sie", zweitens Sir oder Mister, Mr. Yaxley", sagte Tim ruhig. "Oder ist "Schlammblut" eine Ehrenbezeugung. Dann nehme ich sie ggerne als solche an."

"Meinst wohl, keine Angst haben zu müssen. Aber pass auf, daß du nicht ganz fies auf dein freches Maul fällst", schnaubte Yaxley. Tim mußte sich anstrengen, seine Wut zu unterdrücken. Jetzt warfen diese Inzucht-Zombies schon ganz beiläufig mit diesem Schimpfwort um sich. Doch im Moment erkannte er, daß er in einer sehr schlechten Position stand, um ihm das heimzuzahlen. Da war seine Antwort schon intelligenter. Er las die Instruktionen zu ende und grinste abfällig. Die Kamine waren an bezauberte Toiletten angeschlossen, aus denen sie herauskamen, wenn sie sich in die Kamine stellten. Um ins Ministerium hineinzukommen mußten sie eine der erhaltenen Münzen in den Geldschlitz der Kabine werfen, sich in die Schüssel reinstellen und abziehen. Wusch! Praktisch aber auch abartig. Sei es! Er stellte sich vor einen der Kamine. Galatea stellte sich neben ihn und wartete, bis er in die Feuerwand trat und unvermittelt nach oben schoss und aus einer leicht angelaufenen Toilettenschüssel herausfuhr wie der Teufel aus der Büchse. Obwohl er im Wasser zu stehen schien hatte er keine nassen Füße. Eine reine Illusion, erkannte er. Das wirkliche war nur der toilettenförmige Einstieg. Die bauchige Zisterne über der Schüssel mit ihrer leicht rostigen Zugkette bot also den Weg ins Ministerium, dachte Tim und drückte die Türklinke. Leise klickend sprang die Kabinentür auf. Auf der anderen Seite war nur ein Einwurfschlitz. Tim schmunzelte. Sie hielten Muggel für niedere Tiere, Muggelstämmige für Schädlinge und benutzten doch deren Einrichtungen als Vorbild für einen neuen Zugang. Paradox. Aber was wollte er von Wahnsinnigen und Trittbrettfahrern verlangen? Es rauschte in der Kabine neben ihm. Er ließ die Tür los, die klickend ins Schloß zurückfiel. Jetzt würde er sie nur mit einer dieser goldenen Münzen mit der Prägung ZM wieder aufbekommen, da das Schloß bestimmt wie ein Clavunicus-Schloß behandelt war. Die Kabinentür schwang auf, und Galatea trat heraus.

"Hat dich Yaxley dumm angemacht?" Fragte sie, jetzt die förmliche Anrede weglassend. Tim verzog kurz das Gesicht. Sie klang jetzt irgendwie fürsorglich wie eine große Schwester oder mitfühlende ... Ehefrau? Er schluckte und meinte nur: "Raufbold bleibt Raufbold, Ms. Barley."

"Galatea", korrigierte ihn die rothaarige Hexe. "Ich seh dich immer noch als strammstehenden Erstklässler vor Professor McGonagall, als sie deinen Namen aufruft. Alle anderen waren eingeschüchtert und unsicher. Aber du hast dich hingestellt, als wolltest du sofort loslegen und keine Zeit mit dem Einsortieren verschwenden."

Tim meinte, sich verhört zu haben. Diese Hexe da sagte ihm hier, in einer leicht schmuddelig und vernachlässigt wirkenden Bedürfnisanstalt mit schwarzweißen Kacheln, daß sie sich noch an ihn als Hogwarts-Frischling vor der Zuteilung erinnerte? weitere Pseudoklospülungen rauschten. Galatea nickte ihm zu und meinte: "Bis morgen dann, Tim." Dann disapparierte sie mit einem sachten Plopp. Tim bewunderte es immer wieder, daß Hexen diesen Ortsversetzungszauber so behutsam hinbekommen konnten und nicht mit einem lauten Peng irgendwo auftauchen mußten. Er beschloß, nicht hier über ihre letzten Worte vor dem Abschied nachzugrübeln und verschwand ebenfalls. Als er vor seinem Haus in der Nähe von Norwich herauskam, fand er Zeit, sich auf alles zu besinnen, was er heute erlebt und überstanden hatte. Er fühlte, daß seine Ohren erwärmt waren. Diese Regung auf die Worte einer Frau, die nicht seine Mutter war, hatte er schon lange nicht mehr empfunden. Schnell schloß er die Tür auf und betrat das Haus. An der Innenseite der Tür hing ein Korb für Briefe, die durch den Türschlitz gesteckt werden konnten. Ganz oben lag ein amtlich wirkendes Schreiben. "Laßt mich doch erst mal zu Hause ankommen!" Grummelte Tim und legte seinen dunkelgrünen Spitzhut auf die Ablage über der Garderobenstange. Er schlüpfte in seine Hausschuhe und suchte sein Badezimmer mit einem richtigen Klo auf. Dann holte er aus einer kleinen Nische in der Wohnzimmerwand ein Mobiltelefon. Er war glücklich, daß die Anti-Apparier-Bezauberung und die Clavunicus-Schlösser, sowie der ans Flohnetz angeschlossene Kamin noch eine Mobilverbindung zuließen. Ein Zauber mehr würde sie wohl stören. Er prüfte den Batterieladestand und rief seine Nachrichtensammelbox an. Seine Mutter hatte ihm eine Mitteilung hinterlassen, daß sie mit seiner Tante für zwei Tage nach San Francisco wollte. Hauptsache Großstadt, dachte Tim. Da würde sie von keinen Zauberwesen behelligt. Manchmal dachte er an Morpuora, daß er dieser Sabberhexe und ihhrer Brut widerwillig geholfen hatte, sie vor Voldemort in Sicherheit zu bringen. Die mochte jetzt irgendwo in den unberührten Wäldern Amerikas herumspuken, schön weit von ihm weg. Übergangslos dachte er wieder an Galatea. Warum hatte die ihm unter die Nase gerieben, daß sie sich noch gut an seine Einschulung erinnerte. Er hatte den A-Fluch, noch dazu, weil der zweite Buchstabe seines Nachnamens ein b war und hatte so als allererster diesen alten Stoffdeckel von Hut aufsetzen sollen. Aber sein Vater hatte ihn richtig eingestellt. "Wenn die finden, du seist denen wichtig und erwünscht, geh da aufrecht hin und mach deinem Vater alle Ehre!" hatte der Marineoffizier gesagt. Offenbar hatte das Galatea imponiert. Warum hatte er sich damals heimlich in sie verliebt? So überragend sah sie nicht aus. Dann fiel es ihm ein, ihre erhabene Art gepaart mit dem roten Haar war es. Sie war wie eine Königin, die jedoch wie eine Bürgerliche zu leben gewohnt war und beides gut kannte. So hatte er es damals in sein Logbuch eingetragen, daß er seit seinem ersten Schuljahr geführt hatte. Irgendwo hatte er das noch, erinnerte er sich. Würde er wohl heute abend noch ein wenig drin lesen, jetzt, wo er fast eine halbe Stunde lang mit seiner Traumfrau in Flüsterweite zusammengestanden hatte. Diese blöde Sabberhexe hatte ihm sein Liebesleben versaut. Nur weil er nach Galateas Weggang Probleme hatte, seinen aufkommenden Hormonstau zu unterdrücken. Da hatte er seinem Vater absolut keine Ehre gemacht. Doch der hatte seine Männlichkeit in einem Bordell ausprobiert, wußte Tim und verzog das Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. Eins zu eins. Seine Mutter wußte das natürlich nicht, wie so vieles, was der loyale Offizier der Royal Navy so erlebt und getrieben hatte. Sie hatte ihn auch nie gefragt, ob er auf den Falkland-Inseln einen Argentinier getötet hatte. Tim hatte es einmal versucht. Doch sein Vater hatte nur geantwortet, daß Krieg ein Dschungel war, wo es nur ums Überleben oder Sterben ging. Mehr hatte er seinem Sohn nicht verraten. Als er dann beim Wüstensturm mit den Yankees in Kuweit mitgemischt hatte, hatte er auch nicht immer in der OPZ seines Trägers gesessen, und wenn, dann hatte er von da aus Raketenangriffe auf irakische Stellungen kommandiert, bei denen ganz bestimmt mehr unschuldige als schuldige Leute getötet worden waren. Und wegen Morpuora trug auch er einen unaussprechlichen Ballast in seiner Seele, genau wie sein Vater. Wenn der wüßte, daß heute die magische Diktatur ausgerufen worden war. Er würde sich fragen, wozu die Kämpfe, wozu alle Toten bei Freund und Feind? Tim dachte kurz, ob er ihn anrufen sollte. Doch für Zivilisten war es schwierig, auf im Einsatz stehenden Schiffen anzurufen. Eher konnte er ihm eine E-Mail schicken, wenn er am Wochenende ins Internetcafé ging, wo er den heißen Draht zur Muggelwelt glühen ließ. Er brauchte diesen letzten Halm in die Welt seiner Kindheit. Er hatte oft mit seinem Vater diskutiert, wo die Vorzüge und Nachteile lagen. Er beschloß, sich von der Grübelei abzulenken und den Brief zu lesen, den er bekommen hatte. Doch dessen Inhalt konnte ihn nicht aufmuntern.

Mr. Abrahams,

hiermit ergeht an sie die dringende Aufforderung, sich am 30. August 1997 vor der Registrierungskommission für Muggelstämmige, die ab dem 15. August besteht, zu einer wichtigen Befragung einzufinden. Erörtert werden soll Ihre Kontaktaufnahme zur magischen Welt, die Erlangung und Verwendung ihrer Zauberkräfte und ob es in den Stammbäumen Ihrer Eltern bereits magisch tätige Personen gab und wenn ja wann und wen. Diese Aufforderung ist verbindlich. Eine Ablehnung der erwähnten Befragung ist gemäß Zusatzprotokoll zur Sicherung magischer Verwandtschaftsbeziehungen und Artikel 9a der Familienstandsgesetze und Artikel 1b allgemeines Zaubereigesetz unzulässig. Ein Fernbleiben von besagter Befragung ohne Heilerzertifikat erfüllt den Straftatbestand der offenen Ablehnung der magischen Gesetze und in Ihrem Fall auch den Straftatbestand des offenen Ungehorsams im Dienste des Zaubereiministeriums und kann weitere Strafverfahren nach sich ziehen. Sie sind hiermit belehrt und gewarnt! Dem beigefügten Pergament können die obigen Gesetzesabschnitte entnommen werden, die die Grundlage dieser Aufforderung bilden.

In erwartung Ihrer bedingungslosen Kooperation verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

I. A. Dolores Jane Umbridge, Untersekretärin Zaubereiminister

"Na wunderbar, der A-Fluch hat mich schon wieder erwischt", knurrte Tim und schnippte die Aufforderung über seinen Schreibtisch. Dann las er das erwähnte Begleitschreiben. Die hatten sich doch tatsächlich schon neue Gesetze ausgedacht, die beispielsweise eine magische Familie als solche bezeichneten, wo alle Mitglieder ausdrücklich mit Zauberkräften geboren waren. Sollte ein Elternteil kein magischer Mensch sein, so galt der Status der Halbblütigkeit. Waren beide Eltern ohne Magie, so mußte geprüft werden, ob die Zauberkraft durch Geburt vererbt oder nach der Geburt angeeignet worden war. Der Anhang zum allgemeinen Zaubereigesetz schränkte die Feststellung, wann ein Mensch Hexe oder zauberer war nun dahin ein, daß das Verwenden von Magie durchaus auch durch Aneignung fremder Zauberkräfte erklärt werden könne, was auf amtlichem Wege zu prüfen und gegebenenfalls als strafbare Handlung zu erkennen und zu ahnden sei

"Für wie blöd halten die uns sogenannten Schlammblüter", zischte Tim. Denn dieser Brief und die nach dem Umsturz hinzugeschusterten Gesetze waren eine klare Ansage: Tod allen Schlammblütern! Und wenn man sie nicht gleich alle umbringen wollte, dann zumindest wegsperren. Na ja, Askaban war ja wieder frei, nachdem dort fast alle Gefangenen die Biege gemacht hatten. Wie viele hunderte oder tausende von Muggelstämmigen sollte denn da der Prozeß gemacht werden? Das konte dann nur in Fließbandprozessen laufen, ohne Verteidiger natürlich, weil das ja Zeit kosten würde. Wer also vor diese Registrierungskommission zitiert wurde, war schon so gut wie weg vom Fenster. Jetzt stieg doch eine gehörige Wut in Tim Abrahams auf. Die Besonnenheit, die ihn nach Ravenclaw gebracht hatte, wich nun einer ohnmächtigen Verachtung, einer in Ärger umschlagenden Hilflosigkeit. Voldemort ließ echt nichts anbrennen, um seinen kranken Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Heute gehörte ihm das Ministerium. Morgen könnte er das ganze Land beherrschen. Tja, und wenn ihm am Tag nach Übermorgen die Welt noch nicht genug war, würden sie auf seinen Irrsinnigen Plan hin weltraumtüchtige Flugbesen bauen, um Mond, Mars und alle anderen Himmelskörper zu unterwerfen. Tim dachte daran, wie er als Kind gerne in die Rolle von Luke Skywalker geschlüpft war, um gegen das böse Imperium zu kämpfen. Und jetzt lebte er in einem genau solchen Imperium. Das hatte sich doch mit einer Zauberschlacht angekündigt. Scrimgeour hatte das damals als Manöver verklärt. Er hätte es besser wissen sollen, dieser Idiot!

"Wenn ich hingehe, buchten die mich ein oder lassen mich von Dementoren knutschen. Gehe ich nicht hin, knutschen mich die Dementoren gleich hier", grummelte er. Wollte er dann lieber weglaufen? Wenn er jetzt floh würde keiner seiner Verwandten verschont. Gut, seine Mutter blieb in den Staaten. Sein Vater hatte die Chance, ehrenvoll von einem irakischen Kampfpiloten abgeschossen zu werden, wenn die sich nicht mehr an die Flugverbotszone halten wollten. Aber was, wenn er wieder zurückkehrte. Gegen den Todesfluch half keine kugelsichere Weste. Aber gegen MGs aus mehreren hundert Metern Entfernung halfen keine Schildzauber. Und Drachenhautpanzer waren auch nicht so häufig wie Handfeuerwaffen. Das war es. Er brauchte eine Schußwaffe, um bei einem Kampf mit Todessern besser dazustehen. Aber die Dementoren! Die waren unverwundbar. Waren sie das? Hatte das mal wer ausprobiert, ob man die nicht aus sicherer Entfernung mit Spreng- oder Brandgeschossen killen konnte? Er wußte davon nichts. Aber er war ja nur in der Desinformationsabteilung. Zumindest sollte er seinen Patronus üben, den er erst zwei Jahre nach Hogwarts wieder gescheit hinbekommen hatte. Den könnte er durchaus benutzen. Dann hatte er zwei Jahre auf einen Feuerblitz gespart. Der war auch schön schnell. Er wußte zumindest, daß er nicht in Panik verfallen durfte. So fies es war, er mußte zumindest noch einige Tage den arglosen Ministeriumsmitarbeiter mimen, bis er sich sicher war, den rettenden Absprung zu schaffen.

__________

Sie tanzten eng umschlungen, Cecil Wellington und Laura Carlotti. Die rassige Italoamerikanerin genoss es richtig, sich von dem starken Jungen führen zu lassen. Oftmals stießen sie sogar frontal zusammen. Doch beide regte das eher an als es ihnen peinlich war. Die neun anderen Paare, die sich zu Titeln der Jubilarin des Tages auf der Tanzfläche tummelten, empfanden ebenfalls Freude am ausgelassenen und innigen Tanzen. Cecil hatte es geschafft, seiner Mutter klarzumachen, daß er langsam sehen mußte, außerhalb des schützenden Anwesens klarzukommen. Sein Vater durfte natürlich nicht wissen, wo er war. Er hatte sogar gegen die getroffenen Sicherheitsregeln sein GPS-Handy zu Hause gelassen. Der Senator hockte eh an seinem Arbeitsplatz und mußte sich einen Filibuster anhören, mit dem die Republikaner einen Gesetzesentwurf der Regierungspartei hinauszögern wollten. Er dankte insgeheim den Vätern der amerikanischen Verfassung dafür, daß sie keine Redezeitbeschränkungen eingeführt hatten. In anderen freiheitlichen Bruderländern durften Redner unter Umständen nur zehn oder fünfzehn Minuten sprechen. In den Staaten konnte eine Rede über Stunden gehen, wenn es galt, unliebsame Gesetzesvorhaben hinauszuzögern.

"Tauch ein, wo das Leben beginnt", sang Madonna gerade zwischen frivoler Hingabe und Gutenachtlied. Cecil merkte, wie es seinen Testosteronanteil im Blut merklich ankurbelte. Doch auch Laura empfand wohl bei diesem Lied gewisse Bedürfnisse, die sie als streng katholisches Mädchen eigentlich nicht einmal denken durfte. Aber die da sang war auch mit römisch-katholischem Weihwasser benetzt worden und hatte das nicht als Hinderungsgrund gesehen, ein wildes Leben zu führen und Lieder wie das gerade laufende zu singen. Außerdem war Rom weit weg und damit der Hüter aller katholisch erzogenen Mädchen. Cecil genoss es, wie seine Freundin ihn im Rhythmus des langsamen Liedes streichelte, während sie im schummerigen Licht der gemieteten Tanzhalle ihre Figuren abschritten. Cecil fühlte sich wie auf warmen Wolken dahinschweben. Er merkte, wie er immer leidenschaftlicher auf Lauras Berührungen reagierte. Als sie wieder einmal zusammenstießen verzog er das Gesicht, weil ihn dieser Anprall etwas weh getan hatte. Laura kicherte mädchenhaft als sie bemerkte, daß Cecil für mehr als einen lauschigen Tanz in Stimmung war. Dann lächelte sie ihn an und strich sich gekonnt durch ihr langes schwarzes Haar. bevor sie ihren Tanzpartner wieder in die Arme schloß und sich an ihn schmiegte. Cecil flüsterte einmal, sie sollten besser aufpassen, das ihnen nichts durch die Klamotten passierte. Sie meinte dann:

"Sollte mir dabei ein Baby von dir reinrutschen könnte il Papa in den Ruhestand gehen, weil ich dann bewiesen hätte, daß die unbefleckte Empfängnis nichts überirdisches ist, Amore mio."

"Ich möchte dich nicht entehren, Madonnina", hauchte Cecil ihr ins Ohr. Hatte er sie jetzt "Kleine Madonna" genannt? Das konnte er jetzt nicht mehr zurücknehmen.

"Du hast Angst, meine Eltern und Brüder könnten dich zu Sugo Bolognese verarbeiten."

"Ich wäre ein Idiot wenn nicht", flüsterte Cecil.

"Ich werde in zehn Tagen achtzehn, du in einem Monat und elf Tagen. Was wünschst du dir von mir?"

"Das wir, egal was wir bis dahin und danach machen wollen und machen müssen, gut zusammenleben können", sagte Cecil. Er vermied es gerade so, Laura zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Er fand es noch ein wenig zu früh, auch wenn sie ihn gerade anschmachtete, obwohl er kein italienischer Liebhabertyp war. Doch sie fühlte es, daß er sie wollte, meinte Cecil.

"Sie will dich haben, Cecil. Aber ich würde dir empfehlen, nicht heute darauf einzugehen, wo sie von ihrer Familie überwacht wird", wisperte Patricias Stimme in seinem Kopf. Hatte diese Hexe sich etwa in Lauras Gedankengänge eingeklinkt? "Ja, sie hat", kam die Antwort. "Immerhin haben wir vereinbart, daß ich jetzt auf dich aufpasse. Keine Sorge, wenn du es mit deiner Madonnina tun willst, werde ich dich nicht zurückhalten, solange du dich dabei nicht gefährdest. Ihre Brüder sind Bluthunde, wenn sie ihre kleine Schwester beschützen wollen."

"Habe ich gemerkt", knurrte Cecil in Gedanken. Laura erkannte, daß die leidenschaftliche Stimmung verflogen war und fragte ihn besorgt, was er habe:

"Ich habe mir nur vorgestellt, wie ich dich nach Hause bringe, mit dir noch ein Glas trinke und wir es uns ganz ganz gemütlich machten, bis deine beiden Brüder ins Zimmer stürmen und mir 'ne Ladung Schrot in den Arsch schießen. Das hat mich wohl kuriert", erwiderte Cecil.

"Muß das jetzt sein, Amore mio? Meine Eltern haben schon angedroht, genau nachzusehen, ob ich auch artig geblieben bin", knurrte Laura und nahm etwas Abstand. "Ich weiß, daß du mich jetzt gerne lieben würdest. Und ich will dich auch haben, auch wenn sich das nicht gehört, sowas zu sagen. Aber dein Vater ist ein Spießer, und meine Familie ist zu überbehütsam, als wenn ich nicht wüßte, was ich machen muß, um nicht zu früh ein Kind zu kriegen. Und du hast mir noch nicht gesagt, wie viele Bambini wir beide haben können. Eins alleine will ich nicht."

"Kinder kosten Geld, und das muß ich erst mal klarmachen, Laura. Deshalb lege ich mich da nicht fest, bis ich das weiß, wie viel ich investieren kann. Außerdem wollen wir beide wohl noch mehr hinkriegen als den Oberschulabschluß, oder?"

"Meine Mama hat Paolo schon mit neunzehn Jahren getragen", knurrte Laura, die sich offenbar um diese prickelnde Stimmung betrogen fühlte. Cecil vermied es gerade so, ihr entgegenzuhalten, daß ihre Mutter ja auch immer als Hausfrau gelebt hatte. Da konnte ein junges Mädchen früh heiraten und Kinder in die Welt setzen, solange der Erzeuger die nötigen Finanzen beschaffte. Er hielt sich nicht für den Typ Ehemann, der alleine schaffen ging, um seiner treusorgenden Frau ein angenehmes Leben zu bieten, damit sie ihm jeden Tag ein nettes Abendessen machte und nebenbei noch seine Nachkommenschaft versorgte. Und von Laura hatte er bis heute auch gedacht, daß sie aus dieser traditionellen Familienschiene raus wollte und nicht als brave Familienmami Kinder Küche und Kirche zu betreuen hatte. Doch womöglich wollte Laura auch nur bald den ersten Sex haben und schob die Kinderfrage vor, um eine Rechtfertigung dafür zu finden. Anstatt sie einfach sagte, "Komm, mir ist danach, dir ist danach", mußte sie ausgerechnet hier dieses thema Ehe und Familie anschneiden und nannte seinen Vater dann einen Spießer

"Laura, ich wollte bestimmt nicht die Stimmung versauen", sagte er leicht ungehalten. "Ich sollte vielleicht lernen, blöde Gedanken nicht von meinem Gesicht ablesen zu lassen. Muß mit meinen Verwandten wohl öfter pokern, um das zu lernen."

"Das ist doch wohl nicht wahr", knurrte Laura. Cecil merkte jetzt, daß er wohl wieder was ganz verkehrtes gesagt hatte. "Wenn wir beide zusammenbleiben wollen, dann will ich auch wissen, was dich runterzieht. Sonst kannst du ja gleich zur CIA, aber dann ohne mich."

"Zur Firma?" Fragte Cecil leicht verdutzt. "Das fehlte meinem Alten noch, daß ich für die Gaunerbande schaffe. Aber lassen wir das!"

"Das ist noch nicht fertig", fauchte Laura. "Aber ich kapier es, daß du heute nicht mehr weiter drüber reden willst."

"Hups, was ist denn mit euch los. Eben saht ihr aus wie Amerikas glücklichstes Liebespaar, und jetzt faucht ihr euch an wie vierzig Jahre verheiratet", meinte Randy, einer von Cecils Schulfreunden, der mit seiner Freundin Joy in der Nähe getanzt hatte.

"Wir üben halt", konterte Cecil. Laura trat ihm dafür spürbar auf den großen Zeh. Doch sagen wollte sie nichts. Um die Stimmung wieder aufzulockern legte Harold, der DJ, eine schnellere Nummer der gefeierten Künstlerin auf. Laura schien schnell umzuschalten. War sie eben noch verärgert, wurde sie wieder fröhlich. Cecil fand, daß er ebenfalls wieder lachen und mitsingen sollte. Gegen halb zwölf kamen Lauras Brüder, um ihre kleine Schwester nach Hause zu holen. Cecil verabschiedete sich anständig von ihr und verließ ebenfalls die Party. Fairbanks, der Chauffeuer der Wellingtons, holte ihn mit dem Gold ab, mit dem seine Mutter zum Einkaufen fuhr.

"Wird Zeit, junger Sir. Ich hörte, daß die Kollegen Ihres Vaters ihr Pulver gerade verschossen haben und Clintons Leute jetzt ihre Abstimmung kriegen können. Was die Republikaner in der Zeit, wo ihre Leute geredet haben zusammenkriegen wollten klappte wohl nicht. Ich werde Ihren Vater wohl gegen eins wieder vom Hubschrauberlandeplatz abholen. Bis dahin sollten sie im Bett sein."

"Im Zimmer, Fairbanks. Ich muß nicht mehr zugedeckt werden, wenn Daddy heimkommt", begehrte Cecil auf. "Dann fahren Sie mal los, was die Schüssel hergibt!"

"Ich weiß, Sie würden gerne selbst ein Auto haben. Aber Ihr Vater hat befunden, daß Sie erst alleine fahren sollen, wenn Sie auf die Universität gehen."

"Neh ist klar, weil ihm die Vorstellung nicht paßt, ich könnte mit 'ner heißen Braut in einem seiner Autos die Stoßdämpfer testen", schickte Cecil eine Frechheit zurück.

"Ich denke, die junge Signorina Carlotti ist kein Mädchen für den Rücksitz", versuchte Fairbanks, ohne unstatthaft anmaßend zu werden zu korrigieren.

"Kommt auf's Auto an", sagte Cecil schnippisch. "In 'nem Ferrari ging sie bestimmt gut ab."

"Da steht mir keine Beurteilung zu", erwiderte Fairbanks und lenkte den Wagen Richtung Wellington-Anwesen, wo Cecils Mutter und Butler Jefferson auf ihn warteten. Henriette Wellington schnupperte. Cecil sagte, daß die Halle leicht verqualmt war. Dann meinte er noch: "Jetzt bloß keine Diskussionen über die Party, Mom! Ich bin noch in zu guter Stimmung, als mich jetzt mit dir drüber zu unterhalten. Nacht!"

"Pardon, mon Cher?!" Entgegnete seine Mutter verstimmt.

"Wie gesagt, ich möchte jetzt gerne unter die Brause, damit ich den Qualm aus meinen Haaren rauskriege und dann noch Mails checken, Mom. Danke, daß du auf mich gewartet hast."

"Wir bleiben dabei, daß dein Vater nicht wissen muß, daß du mit deinen Freunden Madonnas Geburtstag gefeiert hast", sagte Henriette Wellington.

"Mir ist das klar, Mom. Aber ob Jefferson und Fairbanks das für sich behalten?" Er sah den Butler herausfordernd an.

"Sie können froh sein, junger Master Cecil, daß ich selbst einmal jung und ungestüm war. Andererseits verpflichtet mich meine Loyalität, bei Nachfrage Auskunft über die Aktivitäten innerhalb und außerhalb dieses Hauses zu erteilen", sagte der Butler ruhig.

"Dann vermeiden Sie bitte Nachfragen, auf die Sie Auskunft erteilen müßten!" Wies ihn Mrs. Wellington an. Jefferson nickte dienstbeflissen. Cecil winkte Fairbanks lässig zu und verschwand dann im Gästebadezimmer der Wellingtons, für den Fall, daß sein Vater auch noch mal duschen wolte und dann nicht merken sollte, daß noch wer am Abend Ganzkörperreinigung betrieben hatte.

Als er in seinem Bett lag dachte er wieder an Laura. Die war heiß auf ihn. Sonst wäre die nicht fast wie ein Vulkan losgegangen. Aber sie klemmte in altbackenen Familientraditionen fest, und er war der Sohn eines brunzkonservativen Politikers, der mehr als einmal getönt hatte, daß alles was seine Familie anstellte auf ihn zurückfallen könnte und daher Anstandswauwau spielte. Cecil hörte noch, wie Fairbanks mit dem Rolls Royce davonfuhr, um den Herrn des Hauses von seiner anstrengenden Arbeit abzuholen. Er dachte daran, wie schön es hätte werden können, wenn Patricia Straton ihm nicht ins Hirn reingefunkt hätte. Dann hätte er die katholische Jungfrau wohl doch noch zu einer schnellen Nummer überreden können, und sie hätten zu Madonnas Liedern irgendwo schön außerhalb der Halle ihre Liedtexte in die Wirklichkeit umsetzen können. Er stellte sich vor, wie er sie immer mehr angeheizt und dann den Bodentanz eingeleitet hätte. Er dachte daran, daß Patricia Straton keinen Dunst davon haben konnte, wie schön sowas sein mochte. Er dachte daran, daß sie als Hexe niemals richtig abgehen würde. Das hätte er besser nicht denken sollen. Denn im Nächsten Moment meinte er, von irgendwas ergriffen und einmal herumgewirbelt zu werden. Dann lag er wieder auf dem Rücken, und bekam mit, wie seine Hände sich ohne seinen Willen bewegten und ... O Nein, sie hatte ihn schon wieder mit diesem Körpertauschzauber erwischt. Doch sie beherrschte ihren Körper wohl noch. Er war nur direkt einbezogener Gast, der jetzt mitbekam, wie die Hexe anfing, ohne Partner in Fahrt zu kommen. Er fühlte alles, was ihre Finger berührten, spürte die ständig steigende Erregung und Wallung und meinte, sich selbst anzustrengen, als sie von der aufkommenden Lust immer mehr angestrengt keuchte, bis sie das Ziel erreichte und er meinte, sein Unterleib würde von mehreren heißen Explosionen erschüttert und sich mit ihrer Stimme die Wonne hinausschreien hörte. Er war zu tiefst beeindruckt, wie heftig sich das angefühlt hatte. Minutenlang hing er in Patricias fünf Sinnen fest, bis sie wohl wieder weit genug heruntergekühlt war. Sie griff nach ihrem Zauberstab und entließ ihn zurück in seinen eigenen Körper, wo Cecil erkannte, daß dieser simultan mit Patricia in herrliche Wallung geraten sein mußte.

"Denk das nie wieder von mir, daß ich nicht weiß, wie schön das sein kann!" Pflanzte Patricia ihm ins Hirn. "Lass mich bloß aus deinen Phantasien raus! Sonst lasse ich dich meine Wirklichkeit miterleben, und das muß nicht so schön sein wie das gerade."

"Ui, ich wußte nicht ..." Dachte Cecil nur. "Wollte ich nicht", fügte er noch hinzu. Dann befand er, besser nicht weiter darüber nachzudenken. Dieses Weib hatte ihn total beeindruckt.

__________

Anthelia flog auf ihrem Harvey-Besen über den Kanal. Sie hatte ihren ursprünglichen Plan verworfen, direkt auf britischem Boden zu apparieren. Falls dort tatsächlich ein mörderischer Fluch wirkte, konnte sie sich vielleicht nicht mehr konzentrieren, um zu disapparieren. Als sie die Kreidefelsen von Dover sichtete, verlangsamte sie den schnellen Flug. Sie fühlte, wie das Seelenmedaillon viibrierte. Da war tatsächlich etwas dunkles vor ihr. Sie verzögerte weiter und klammerte sich fest an den Besenstiel. sollte sie Schmerzen empfinden, mußte sie augenblicklich umkehren. Dann hörte sie wie ihr Medaillon sang. Es war ein schöner, mittelhoher Dreiklangton. Gleichzeitig meinte sie, es fröhlich zwischen ihren Brüsten tanzen zu fühlen. Ebenso fühlte sie etwas wie eine immer dichter um sie liegene Decke, die anfing zu prickeln, einige Sekunden so blieb und dann leichter wurde. Anthelia flog weiter. Sonst passierte nichts außer dem fröhlich tanzenden Medaillon, das sie unangebracht stimulierte. Dieses Kleinod badete offenbar in einem Meer dunkler Magie, genau wie seine Besitzerin. Diese landete, als sie die Küste unter sich sah. Das Gefühl, in eine leichte Decke eingehüllt zu sein, die ihre Bewegungen etwas einschränkte, blieb auch, als sie aufsetzte. Offenbar tat ihr der hier aufgerufene Zauber nicht mehr an. Wenn es stimmte, daß er alle im Ausland geborenen Feinde des Waisenknaben ergriff, so akzeptierte er offenbar ihren Körper. Doch das tat er nicht vollständig. Weil ihr Körper zwar in diesem Land geboren worden war, aber nicht als Mädchenkörper, hing dieser Zauber nun an ihr, drang aber nicht in sie ein oder verbrannte sie. Er verdichtete sich bis zu einem gewissen Punkt und blieb dann so. Das eröffnete ihr zumindest die Möglichkeiten, ihre hiesigen Mitschwestern aufzusuchen und den Widerstand gegen den Waisenknaben zu beaufsichtigen. Aber dieses wild tanzende Medaillon störte sie ein wenig. Sein Dreiklangsummen war zwar nicht weit zu hören, aber wie es ihre Rundungen anstieß und aufreizend wippen ließ gefiel ihr nicht. Doch wo sollte sie es hintun, wenn es im Wirkungsbereich dieses Zaubers so ausgelassen tanzte. Sollte sie Nyx' Methode nachahmen? Nein, die Aussicht, ihr wertvolles Medaillon könnte ihren ganzen Körper zum klingen und schwingen bringen gefiel ihr auch nicht. Abgesehen davon, daß sie ihre geschlechtlichen Wünsche uneingeschränkt erfüllen wollte, wenn ihr wie damals nach dem Tauchgang zum Stein der großen Erdmutter nach lustvoller Zweisamkeit war. Sie entschied sich, sich von Patricia moderne Unterbekleidung der Muggel zu besorgen und das Medaillon so gut es ging darin einzuzwängen. Das mochte dann zwar gewisse Druckstellen geben. Aber besser, als mit überschwenglich ruckelnder Oberweite herumzulaufen. Sie probierte aus, ob ihre Zauberkräfte im Wirkungsfeld dieses Fluches noch vollständig waren und wirkte einige blinde Abwehr- und Bewegungszauber. Hier, an den Kreidefelsen von Dover, würden sie wohl keine Spürsteine aufgestellt haben. Soweit sie es beurteilen konnte waren ihre magischen Kräfte noch unbeschränkt. Da hörte sie das vielfältige ploppen und krachen apparierender Zauberer. Offenbar waren die magischen Spürmittel an der Küste doch nicht so dünn gesät. Sie konnte fünf vermummte Gestalten ausmachen, von denen zwei Hexen waren. Das waren Verräterinnen oder einfältige Hexen, die noch nicht die Erleuchtung erlangt hatten, daß sie über den patriarchialischen Vorstellungen Voldemorts standen.

"Wen haben wir denn da?" Blaffte der Truppführer, ein drahtiger Kerl mit schwarzem Umhang. "Ach, du meine Güte", entfuhr es ihn erst ängstlich. Dann lachte er. "Leute, macht die platt. Das ist die, die Bartys Körper geklaut hat!"

"Und deinen gleich mit, Buchanan", knurrte Anthelia und drehte sich einmal im Kreis. Sardonias Flammenwelle, die sie vor kurzem erst erlernt hatte, sollte diese fünf Wegelagerer das Fürchten lehren. Laut fauchend schossen blaue und Rote Flammengarben aus ihrem Körper, als würde er selbst verbrennen. Die Flammenwelle dehnte sich blitzschnell aus wie die Druckwelle einer Sprengstoffexplosion. So ähnlich hatte Hallitti Dana und Delila mit einem Schlag erwischt, wußte Anthelia, die fühlte, daß dieser mächtige Feuerzauber ihr einiges an Kraft raubte. Auf diesen spontanen Flächenangriff waren die fünf Angreifer tatsächlich nicht gefaßt. Der Truppführer, der gerade den Todesfluch rufen wollte, wurde von der Feuerwelle erfaßt und loderte wie eine Fackel auf, während die Wucht der Flammenausdehnung ihn wie einen Spielball davonschleuderte. Seine nächsten Kumpanen fielen unter dem Flammenausbruch nieder, wurden jedoch erbarmungslos geröstet. Ihre Kleidung und jedes Haar verbrannte wie Zunder. Und als die Hitze groß genug war, und Risse in der Haut entstanden, begann auch jedes Gramm Körperfett zu brennen. Die beiden Hexen hatten sich beim Ausbruch der Flammenexplosion kreischend zurückgeflüchtet. Dennoch gerieten sie in die Ausläufer der an die zehn Meter weit geschossenen Flammenstöße. Ihre Umhänge entzündeten sich. Anthelia keuchte. Dieser heftige Zauber hatte sie doch arg beansprucht. Dennoch triumphierte sie, als sie sah, wie die drei Todesser wie helle Fackeln loderten. Die Gnade der Bewußtlosigkeit hatte sie nicht lange leiden lassen. Der Anführer zerfiel gerade als Schattenriß eines Menschen aus zusammengeklumpter Asche.

"À mon côté ou sous mes pieds, soeurs !" Schleuderte Anthelia den beiden Hexen Sardonias Schlachtruf gegen Hexen entgegen. Die beiden Angreiferinnen verstanden ihn offenbar nicht. Sie rissen sich die brennenden Umhänge vom Körper. Denn ihre Zauberstäbe brannten wie Fackeln und würden wohl keinen geeigneten Brandlöschzauber mehr hervorbringen. "An meiner Seite oder unter meinen Füßen, Schwestern!" Übersetzte Anthelia sehr verärgert, was sie gerade gerufen hatte. Die beiden Hexen standen angesengt und halbnackt vor Anthelia. Jetzt konnte sie ihnen in die Augen sehen. "Aha, du bist Buchanans kleine Schwester Morgane, und du bist Agonia Mallot. Ich wußte es doch, daß ihr diesem Emporkömmling nachjachert. Ich überlasse euch beiden dem Gericht der entschlossenen Schwestern. Vielleicht bringt das euch von eurem Irrweg ab, hinter diesem Schlangenkopf herzukriechen wie zahnlose Nattern."

"Du bist die, von der es heißt, sie sei Sardonia oder Anthelia", stammelte die, die Agonia Mallot hieß. Ihr vorher wohl seidenweiches, schwarzes Haar war stark angesengt. Anthelia nickte. "Ihr habt gesehen, daß es sehr unklug ist, mich offen anzugreifen. Nur euer Geschlecht hat euch bewahrt, wie die drei da zu Staub zerblasen zu werden", fauchte Anthelia und deutete auf die qualmenden Aschehaufen, wo vorher noch drei Todesser sicher waren, leichte Beute zu machen.

"Er wird dich kriegen, du Hure. Der dunkle Lord wird dich töten, wie du meinen Bruder getötet hast", schnaubte Morgane Buchanan. "Der dunkle Lord ist mächtiger als du. Ihm gehört ..." Offenbar fiel der wütenden Todesserin jetzt erst auf, daß die Fremde nicht von dem Zerstörungsfluch betroffen war. Dann griff sie mit bloßen Händen an und flog von Anthelias Telekinese gepackt ein Dutzend Meter zurück. Wieder ploptte es. Da kam die Verstärkung. Anthelia wußte, daß sie die Flammenwelle nicht noch einmal freisetzen konnte, wenn sie sie nicht gut genug eingeübt hatte, um ohne großen Kraftaufwand zu zaubern. Diesmal waren es acht Zauberer, davon einige aus dem Ministerium. "Sensofugato!" Rief Anthelia, die sich vom plötzlichen Auftauchen der neuen Angreifer nicht hatte abschrecken lassen. Mit lautem Knall explodierte ein greller Lichtblitz aus ihrem senkrecht nach oben stoßenden Zauberstab. Das warf alle stehenden zu Boden. Sicher würden gleich neue Gegner auftauchen. Doch die zwei Fehlgeleiteten wollte sie mitnehmen. So schrumpfte sie die beiden halbnackten Hexen ein und disapparierte, bevor der Kurzzeit-Flächenschocker abklang.

"Hier, Ursina, die beiden gehören dir. Sie haben mich am Strand empfangen und meinten, ihren Verwandten einen Gefallen tun zu müssen. Sei gnädiger zu Morgane. Ich habe im Kampf ihren großen Bruder töten müssen!" Sprach Anthelia zu Ursina Underwood, die erstaunt war, daß Anthelia unversehrt auf britischem Boden wandeln und wohl auch heftige Zauber austeilen konnte.

"Lady Anthelia, die beiden gehörten nie zu uns. Offenbar hatten sie zu viel Angst vor dem Emporkömmling", erwiderte Ursina. "Also bin ich genausowenig für die beiden zuständig wie die Sprecherin der Zögerlichen."

"Dann soll ich sie richten?" Fragte Anthelia entschlossen.

"Wenn euch danach ist", erwiderte Ursina schnippisch. Anthelia überlegte. Dann fiel ihr etwas ein. Sie könnte die Forschungen an dem Schlangenmenschengift beschleunigen, wenn sie mindestens eine Versuchsperson hatte, die keiner mehr vermissen würde. Seit nun neun Tagen arbeitete sie daran, dem gesammelten Gift seine tödlichen Geheimnisse zu entreißen. Es direkt auf einen Menschen zu übertragen hatte sie bisher nicht gewagt, weil die Aussicht, daß sie zu stark werden könnten, ein zu hohes Risiko barg. Andererseits wußte sie jetzt doch, daß die Schlangenmenschen mehr als zwei Meter vom sicheren Kontakt mit Erde und Gestein entfernt so schwach wie normale Menschen waren. Sie mußte also eine bedingung schaffen, unter der die Magie der Schlangenkrieger nicht voll entfaltet werden konnte.

"Ich werde den beiden eine große Ehre angedeihen lassen, nämlich mir dabei zu helfen, ein Mittel gegen die stärkste Waffe des Emporkömmlings zu finden", sagte Anthelia. Ursina fragte, was sie damit meinte. Antheliasah keinen Grund, ihr zu verheimlichen, daß Voldemort eine ganze Hundertschaft uralter Bestien aus Atlantis wiedererweckt hatte. Ursina erbleichte. Das hatte ihr bisher keiner erzählt. Doch dann nickte sie. "Dann war das das schuppige Phantom, das beinahe eine meiner Mitschwestern erwischt hätte. Erzählt mir bitte, was ihr darüber wißt!" Anthelia nickte und schilderte ihrer Bundesgenossin ihre Suche nach dem Schlafplatz und den Kampf mit den Bestien in den stinkenden Eingeweiden Roms. Ursina hörte sehr aufmerksam zu. Dann schnaubte sie:

"Ich entsinne mich, daß Lucretia Withers einmal von diesen Dämonen berichtet hat. Ihre Geschichte steht in einem Buch, das "Zerstörerisches Erbe" heißt. Ihr hättet sie nicht sterben lassen dürfen, wenn Sie schon meinte, mir von der Seite zu weichen."

"Ihren Tod habe ich weder gewollt noch verursacht, Lady Ursina. Wenn es Euch ein Trost ist, die Schuldige an Lucretias Tod existiert nicht mehr."

"Ja, aber ihr Zugang zur Bibliothek war zu wertvoll, um sie in derartige Gefahr zu bringen", schnaubte die Sprecherin der sogenannten entschlossenen Schwestern. Anthelia zuckte nur mit den Schultern und meinte dann: "Sie hat uns allen geholfen, eine tödliche Bedrohung zu beseitigen, Lady Ursina. Und was die Bibliothek angeht, so wird es wohl bald schon eine neue geben, die sie betreten kann."

"Lucretia hat keine weiblichen Verwandten mehr. Aus der männlichen Verwandtschaft kenne ich niemanden, der bald Nachwuchs begrüßen darf."

"Es gibt noch mehr Bibliotheken in der magischen Welt", wiegelte Anthelia ab. "Meine ehrwürdige Schule, sowie Eure ehrwürdige Schule besitzen wahre Schätze des Wissens. Sie müssen nur gehoben werden."

"Nur daß ich durch den dreisten Streich des Emporkömmlings wohl keine Möglichkeit besitze, jemanden in Hogwarts suchen zu lassen", knurrte Ursina. Anthelia nickte und sprach ihr ehrliches Bedauern aus. Denn auch ihr stand was Beauxbatons anging im Moment niemand zur Verfügung. Warum mußten ihre französischen Mitschwestern so unkooperativ ohne schulpflichtige Tochter sein? Doch wichtigeres galt es nun zu tun. Einerseits wollte sie jetzt, wo sie zwei Probanden hatte, die Wirkung des erbeuteten Giftes erproben. andererseits hatte ihr kurzer Kampf mit dem Empfangskommitee des hiesigen Machthabers gezeigt, daß sie Sardonias große Zauber besser noch häufiger üben mußte, um in einer Schlacht mehr als einen davon aufrufen zu können. Sie verabschiedete sich von Ursina Underwood und verließ ihr Anwesen und auch das Hoheitsgebiet Voldemorts, die Inseln, die nun seinen verderbten Ideen ausgeliefert waren.

Um die beiden Gefangenen für ihren Versuch auf Lager zu halten, verwandelte Anthelia sie vorübergehend in Mäuse und ließ sie in einem unzerbrechlichen Glaskäfig herumlaufen. Dann überlegte sie, wie sie ohne großes Risiko die beiden Gefangenen dem tückischen Gift aussetzen wollte. Sie mußte sie irgendwo hinbringen, wo sie zunächst Kontakt mit der Erde haben konnten, aber im Bedarfsfall sofort davon getrennt werden mußten. Da fiel ihr die Lösung ein, sie auf einem vor mindestens einem Anker liegenden Schiff mitten im Meer der Giftprobe zu unterziehen, sofern das Toxin wirklich auch nach der Extraktion noch seinen tödlichen Dienst versah. Sie mußte eine Muggelstämmige hinzuziehen, die ihr ein Schiff oder ein Boot vermitteln konnte, das eine ausreichend lange Ankerkette besaß, um es mitten im Meer zu halten. Im Bedarfsfall würde sie einfach die Ankerkette lösen. Ja, und dann konnte sie die beiden vielleicht töten. Wenn nicht, mochte es ausreichen, das Boot oder Schiff zu versenken, und damit die beiden einem qualvollen, aber wohl nicht zu ändernden Tod durch Ertrinken preiszugeben. sie entschied sich dafür, das Experiment im Pazifik durchzuführen. Sie, Romina Hamton und Donata Archstone. Patricia Straton wollte sie jetzt, wo diese das Sonnenmedaillon trug, nicht mehr in unmittelbarer Nähe haben, wenn sie ihre Kenntnisse nicht dringend brauchte. Außerdem war sie als Überwacherin Cecil Wellingtons gut beschäftigt.

Nachdem sie die beiden auserwählten Schwestern über das Experiment informiert hatte, beschlossen sie, es am zwanzigsten August, also in drei Tagen, stattfinden zu lassen.

__________

Die nächsten Tage im Ministerium waren wie der Warteraum zur Hölle, fand Tim Abrahams. Seitdem diese überlebensgroßen Figuren auf ihren Thronen über einem Berg unterworfener Muggel im Atrium wachten, spielten sich die offenkundigen Todesser immer mehr als Herren auf. Da war Yaxley, der neue Leiter der Strafverfolgungsabteilung, der wie ein Gefängniswächter herumging und argwöhnisch jede sich bildende Gruppe beäugte. Da war Albert Runcorn, der keinen Hehl daraus gemacht hatte, der neuen Kommission anzugehören und vor allem für Ahnenforschung zuständig war, was für Cecil hieß, daß er die Familien auf reinblütige oder Muggelstämmige abklopfte. Die Muggelstämmigen, die im Ministerium arbeiteten, wirkten angespannt wie Pferde vor einem Gewitter. Doch überall lauerten Zuträger des Ministers, die weitermeldeten, wenn Kandidaten der ersten Anhörungen weniger als zehn Meter voneinander entfernt standen. Da war noch Dolores Umbridge, die mit einer selbstherrlichkeit wie die einer Königin durch das Ministerium schritt und für jeden ein unergründliches Lächeln übrig hatte. Tim hatte komischerweise seit der Ausgabe der goldenen Zutrittsmarken jeden Tag eine kurze Begegnung mit Galatea Barley, wobei die Kollegin es immer hinbekam, nicht von den wie Gefängniswärtern patrouillierenden Todessern behelligt zu werden. Er hatte ihr nicht erzählt, daß er vor diese obskure Kommission zitiert worden war und sich in nun zehn Tagen dieser vorhersehbar verlaufenden Anhörung stellen mußte. Je weniger Leute das wußten, welchen Verdacht er hatte und daß er an einem wasserdichten Fluchtplan arbeitete, desto sicherer würde er den Absprung schaffen. Noch verhielt er sich loyal und arbeitssam, fiel nicht unangenehm auf und versah seine Arbeit, auch wenn die Kollegen, wohl von Burke angestachelt, abfällig zu ihm herübersahen und sogar angefangen hatten, seine Unterlagen verschwinden zu lassen oder ihn schlicht schnitten, als sei er nicht anwesend. Vielleicht dachten sie auch schon daran, daß er sie eh bald auf Nimmerwidersehen verlassen würde und wollten bloß nicht mit in den Sog hineingeraten, in dem ihm die Todesser verschwinden lassen wollten.

"Ihr wißt es nicht. Aber ihr seid die Toten. Nicht ich", dachte er immer wieder, wenn ihm die Schiekanen der Kollegen doch um seine Selbstbeherrschung zu bringen drohten. Sein Vater hatte ihm einmal erzählt, wie er als einfacher Seemann von bösartigen Kameraden getrietzt worden war. Sie hatten einmal einen in Butterbrotpapier eingewickelten Kothaufen in seinen Spind gelegt, wohl um ihm zu zeigen, daß sie ihn beschissen fanden. Er hatte da nur gesagt, daß die Navy vor die Hunde ginge, wenn die Mannschaftsgrade nicht mehr zwischen einem Spind und einer Latrine unterscheiden könnten und hatte das halbe Pfund Verdauungsrückstände lässig über die Reling seines ersten Dienstschiffes geworfen und seinen Kameraden danach die Hände zum Gruß hingestreckt. Dabei hatte er sehen können, wer ihm dieses Ei ins Nest gelegt hatte und etwas appetitlichere, wenn auch in der Wirkung gleichwertige Vergeltungsaktionen gefahren. Tim rechnete also mit ähnlichen Sachen. Einmal hörte er seine Kameraden ablästern, daß Tim ja wohl nie 'ne anständige Frau abkriegen würde, weil er doch auf "grüne Weiber" gepolt war. Er mußte heftig schlucken. Doch nach zwei tiefen Atemzügen hatte er diese Unverschämtheit gut genug weggesteckt, um nicht zeigen zu müssen, wie heftig die ihn getroffen hatte. Burke hatte einmal gemeint, er solle ihm erklären, wie so ein Muggelcomputer ginge. Doch als Tim ihm sagte, daß er davon wenig ahnung habe, hatte der neue Boss geblökt, daß er dann ja nichts als Desinformationszauberer tauge, wenn er "diese Muggeldinger" nicht begriffen hätte, wo er es doch mit der Muttermilch eingesogen haben mußte. Tim hatte nur geantwortet, daß er zumindest genug verstünde, um verräterische Aufzeichnungen frisieren zu können und Burke gerne beibringen wolle, wie das ginge, sofern er Zeit dazu bekam. Burke hatte ihn nur von oben herab angeglotzt und gemeint, daß diese Dinger ihn nicht interessierten. Er meinte dann: "Ohne diesen ganzen Elektrokrempel sind die Muggel doch nix wert. Die müssen ja schon scharf nachdenken, um sich die Hose zuzumachen."

"Das will ich weder bestätigen noch verneinen, Sir. Ich weiß nicht, was einem Muggel durch den Kopf geht, wenn er sich die Hose anzieht", hatte Tim darauf so ruhig es ging erwidert.

"Werden Sie renitent, Abrahams?" Fragte Burke lauernd. Tim schüttelte den Kopf und erwiderte ruhig:

"Ich stelle nur fest, daß ich nicht weiß, was ein Muggel denkt, wenn er sich die Hose anzieht. Das ist die Wahrheit, Mr. Burke. Ich bin ja genausowenig ein Muggel wie Sie."

"Was Sie nicht sagen, Abrahams", fauchte Burke verächtlich. "Wird sich vielleicht noch erweisen, ob Sie sich da nicht irren." Tim witterte die Falle und sagte ruhig: "Das zu bewerten überlasse ich den zuständigen Leuten, Sir. Burke sah ihn abschätzig an und kehrte ihm dann den Rücken zu.

"So, das Schulpflichtsergänzungsgesetz ist durch, Leute", sagte Greystone aus der Ausbildungsabteilung, als sie in der Ministeriumskantine für kleinere Angestellte saßen. "Alle müssen jetzt nach Hogwarts, wenn die auf der Schülerliste stehen. Muß nur noch geklärt werden, wer die Schule leitet. Morgen treffen sich die Schulräte mit den Lehrern."

"Wieso soll das geklärt werden?" Fragte Wesley Cale aus der Personenverkehrsabteilung. "McGonagall kann doch weitermachen, wenn die fehlenden Lehrstellen besetzt sind."

"Ich hörte sowas, daß 'n paar Schulräte verlangt haben, die Vorwürfe gegen Snape zu prüfen. Außer Potter will keiner wissen, daß der mit Dumbledores Tod was zu tun hat. Und Potter hat es bisher nicht für nötig gehalten, sich für eine Befragung der Strafverfolgung hier einzufinden."

"Der wäre ja auch schön blöd", grummelte Cale. Greystone nickte ihm behutsam zu. Tim wußte, daß der nun von der Abteilung für magische Medien herausgebrachte Tagesprophet dazu aufrief, Harry Potter zu suchen, um zu klären, was am Tag von Dumbledores Tod wirklich geschehen sei. Zwischen den Zeilen konnte Tim lesen, daß der Junge, der Voldemorts Todesfluch überlebt hatte, als Mordverdächtiger aufgebaut werden sollte. So wäre es möglich, den Jungen, den die Zeitung ein Jahr vorher noch als "den auserwählten" gepriesen hatte, wie ein Schwerverbrecher jagen und im Bedarfsfall beim Zugriff töten konnten.Es mochte in der Zaubererwelt Leute geben, die auf diese Propaganda hereinfielen und völlig freiwillig hinter dem Jungen herjagten, von dem seit der Rückfahrt aus Hogwarts angeblich niemand mehr wußte, wo er war. Dann würden sie auch Potters Freunde zu Mittätern ausrufen, womöglich Dumbledores geheimnisvollen Phönixorden als Verbrecherbande hinstellen und keine Probleme mehr haben, alle Mitglieder auszulöschen. So ging das halt in einer Diktatur zu, ob in Deutschland, Russland oder einer südamerikanischen Bananenrepublik. Als sein Vater damals gegen Galtieris Armee in den Falklandkrieg gezogen war, hatte sich Tim näher mit Putschregierungen und so genannten Befreiern beschäftigt. Angst und Verdummung waren die Instrumente, mit denen solche Verbrecher arbeiteten. Er wußte, daß er bald keinem mehr über den Weg trauen durfte. Ja, und sein Countdown lief. In zehn Tagen würde er wohl vom Brett genommen, wenn er keinen Plan hatte, um sich unauffindbar zu machen. Er wußte, daß magische Verfolger nicht so leicht abgeschüttelt werden konnten. Also sollte er mindestens ein oder zwei Ablenkungsmanöver einbauen und dann möglichst weit verreisen, ohne daß seine Nachbarn mitbekamen, daß er abgereist war. Er dachte daran, in der Muggelwelt unterzutauchen. Dazu brauchte er aber eine neue Identität.

"Der Minister will Potter zur Fahndung ausschreiben, wenn er sich nicht freiwillig stellt", sagte Greystone. "Ab da wird der Bengel kein ruhiges Leben mehr haben."

"Denkst du, der wüßte das nicht", fragte Wesley Cale. "Ich denke mal, der fährt nicht mehr nach Hogwarts."

"Deshalb wird Minister Thicknesse wohl warten, ob er in den Zug einsteigt, wenn das verschärfte Schulpflichtgesetz bekannt ist. Abgesehen davon, wo will der denn sonst bleiben, wenn er nicht nach Hogwarts geht? Jeder, der ihn kennt macht sich dann strafbar, wenn er Potter aufnimmt."

"Erzähl mir was neues", knurrte Cale. "Hast du das mit der Hollingsworth gehört. Die wollte unerlaubt ins Ausland, nachdem sie von ihrem Boss zurückbeordert worden war. Der haben sie angedroht, sie nach Askaban zu schicken, wegen Verrat am Ministerium. Die hat 'ne Familie."

"Ich habe die Kiste gehört", grummelte Greystone. Dann legte er rasch die Finger auf die Lippen und deutete auf Runcorn, der gerade durch die Tür hereinkam und einen Tisch mit Leuten ansteuerte. "Quatschen wir besser nicht weiter drüber", zischte er noch.

Nach dem Arbeitstag traf Tim Galatea wieder an den Zugangskabinen und tauschte mit ihr ein paar belanglose Tageserlebnisse aus. Als er der rothaarigen Kollegin und heimlichen Wunschgeliebten aus seiner Zeit vor Morpuora nachsah, fragte er sich, warum die es seit dem ersten längeren Treffen im Atrium darauf anlegte, zumindest ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Irgendwie hatte er den Eindruck, daß sie jetzt mehr über ihn wissen wollte. Doch sie konnte auch eine Zuträgerin von Thicknesse sein, eine Untermarionette des Unnennbaren. Doch irgendwas wisperte ihm immer wieder zu, daß diese Hexe mit dem Unnennbaren noch weniger am Hut hatte als er. Vielleicht wußte sie auch, daß alle Muggelstämmigen in alphabetischer Reihenfolge vorgeladen würden. Er fragte sich allerdings, warum diese Anhörung nicht gleich am nächsten Tag stattgefunden hatte. War die Organisation noch nicht wasserdicht? Oder galt es, die zu befragenden in Gruppen zusammenzubringen, damit sich der Aufwand lohnte? Das würde dann aber heißen, daß sie am Fließband abgefertigt wurden. Das stank nach Schauprozessen, in denen die Machthaber ihren Untertanen überlegen präsentieren konnten, welche verabscheuenswürdigen Kreaturen die Angeklagten waren. Von einem Prozeß stand da zwar nichts. Das hieß aber nur, daß dann auch nicht die üblichen Prozeßregeln galten, denen nach die Angeklagten Rechte besaßen. Eine Anhörung war da schon was anderes.

"Geht es dir nicht gut, Tim?" Hörte er unvermittelt Galateas Stimme, aber nicht mit den Ohren, sondern direkt in seinem Kopf. Sie mentiloquierte mit ihm.

"bis zum nächsten Mal", sagte Tim hörbar und disapparierte einfach, ohne Galateas Antwort zu hören.

"Ey, so nicht", klang ihre Stimme in ihm tadelnd. "Ich weiß genau, daß du was schweres ausbrütest. Sind's die Kollegen?" Tim tat so, als habe er die Frage nicht empfangen. Er betrat schnell sein Haus und verschloß die Tür, bevor noch wer meinte, davor apparieren zu müssen. Tatsächlich kam keine weitere Gedankenbotschaft bei ihm an. Wie kam die darauf, ihn anzumentiloquieren? Er wunderte sich nun doch. Die Hexe, die er als ältere Hogwarts-Schülerin miterlebt hatte, interessierte sich mehr für ihn, als er gedacht hatte. Er erinnerte sich, daß er sie nie mit einem Jungen zusammen gesehen hatte. Das hatte ihn wohl auch bestärkt, von ihr zu träumen, weil kein Konkurrent da war, der ihn in seine Schranken verweisen konnte. Wußte sie, was ihm mit Morpuora passiert war? Hatte sie davon gehört, daß er beinahe drei Jahre heimlich mit dieser Sabberhexe verbunden gewesen war? Doch wenn seine Bürokollegen es wußten, warum nicht auch Leute aus anderen Abteilungen? Das paßte ihm nicht. Aber wenn es stimmte, war es nicht zu ändern. tim überlegte nun, wie er sich bestenfalls zwei Tage vor dem Anhörungstermin absetzen konnte. um zehn Uhr Abends wollte er ins Internetcafé gehen, um sich Flug- und Zugfahrpläne zu beschaffen, um die schnellste Möglichkeit zu nutzen. Außerdem wollte er morgen in das Haus seiner Eltern hineinapparieren, um dort die Kriegskasse zu plündern, wie sein Vater die Besitzurkunden für Ölvorräte und Grundstücke nannte, die im hauseigenen Safe aufbewahrt wurden. Einmal hatte er seinen hochrangigen Vater dabei belauscht, wie er die Kombination eingestellt hatte, wobei er den Geburtstag seines Urgroßvaters benutzt hatte. Er würde also ohne weitere Magie an einige Dokumente rankommen, die er locker zu Geld machen konnte, um sich ein Einfachticket nach Übersee und genügend Kapital für die ersten Monate zu sichern.

Als es Neun Uhr abends war, vollführte er an sich einige brauchbare Verwandlungen, daß selbst seine Mutter ihn nicht mehr erkennen konnte und verließ das Haus. Er blickte sich um und lauschte. Dann disapparierte er, um in einer öffentlichen Toilette bei marble Arch herauszukommen. Er verließ die Toilettenkabine und war froh, keinen anderen Menschen hier anzutreffen. Diese Bedürfnisanstalt wurde nicht von einer ständig im Eingangsbereich hockenden Klofrau überwacht, wußte Tim. Aber so sah dieser gastliche Ort auch aus. Das kam dem zauberer jedoch ganz gelegen. Denn hierher verirrten sich nicht all zu viele. Er benutzte die U-Bahn und suchte das noch bis halb zwölf geöffnete Internetcafé auf, wo er zielsicher und zügig die möglichen Reisewege auskundschaftete. Buchen wollte er nicht, da er hierzu eine Muggelweltadresse hätte angeben müssen. Er fragte sich jedoch, ob er mit dem Flugzeug von den Inseln runterkommen konnte, falls dort Ministeriumszauberer standen. Ähnliches mochte aber auch für die Bahn gelten. Aber wenn er sich nicht anmeldete und mit verändertem Aussehen reiste ... Oder er tauchte im London der Muggel unter, wobei er sich wohl auch mit einem neuen Äußeren anfreunden mußte. Doch sicherer erschien es ihm, irgendwo im Ausland zu leben, wo die Macht der Todesser noch nicht hinreichte. Je weiter er von Voldemort entfernt war, desto sicherer mochte er sich fühlen.

Als er einen Stapel Fahr- und Flugpläne ausgedruckt hatte war es bereits viertel vor zwölf abends. Er verließ das Internetcafé und stieg bei der nächsten U-Bahn-Station in den Untergrund. Mehrere Dutzend Halbwüchsige tummelten sich auf den Ebenen. Er suchte jedoch nicht den Bahnsteig der Linie auf, mit der er hergekommen war, sondern betrat die durch eine Gebührenschranke gesicherte Herrentoilette, wo er, noch einmal etwas Geld opfernd, eine Kabine betrat und verschloß, um zu disapparieren.

Als er vor seinem Haus ankam erschrak er fast. Vor der Tür, bereits innerhalb der Apparitionsabwehr, saßen vier Gestalten auf schmalen Stühlen wie Katzen vor dem Mauseloch. Zwei kannte er als Kollegen, McNair und Usher. Der dritte war Rowle, einer, der schon immer im Verdacht gestanden hatte, ein Todesser zu sein. Aber die vierte Person ließ ihn fast in ohnmächtiger Wut entbrennen. Es war eine kleine, dicke Hexe mit aschgrauen Haaren, deren Gesicht dem einer fetten Kröte ähnelte. Sie trug ein übertrieben mit Spitzen verziertes, rosarotes Seidenkleid und hatte eine aufgeklappte Aktentasche vor sich auf den wabbeligen Knien liegen.

"Oh, das ist eine Überraschung, daß Mr. Abrahams um die zeit noch besuch erwartet", säuselte die Hexe, während die drei anderen verächtlich grinsten. Tim bemühte sich, Haltung zu bewahren und sich nicht anmerken zu lassen, daß man ihn eiskalt erwischt hatte. "Stimmt, mit Ihnen hat er nicht gerechnet, Madam Umbridge. Sie tun gut daran, um diese Tageszeit mit Eskorte auszugehen. Die Zeiten sind sehr unsicher geworden", erwiderte Tim gelassen. Seine Stimme hatte er ja auch leicht verändert, so daß Umbridge nicht hören konnte, daß es der Hausbewohner persönlich war. Die krötengesichtige Hexe schmunzelte. Mit ihrer Unschuld heuchelnden Kleinmädchenstimme antwortete sie:

"Nun, Mr. Abrahams, legen wir die Karten auf den Tisch. Sie sind überführt. Und dieser Ausflug war Ihr dümmster Fehler. Mir war schon bei der Ausfertigung der Vorladungen klar, daß Sie, wo Ihre Eltern gerade im Ausland sind, keine Bedenken haben würden, sich der Vorladung zu entziehen und darauf ausgehen könnten, in der Muggelwelt unterzutauchen, aus der Sie wohl besser gar nicht erst in unsere Welt eingedrungen wären. Deshalb habe ich in einem der Nachbarhäuser Posten bezogen und jeden Ihrer Schritte überwacht. Ihr Verwandlungskunststück hätten Sie sich sparen können. Ich habe einen Meldezauber vor Ihrem Haus installiert, der speziell auf Sie abgestimmt ist und Ihre Annäherung und Entfernung an mich weitergab. Sie hätten Ihr Haus nicht verlassen dürfen, nach dem es dunkel wurde. Mir war jedoch klar, daß Sie nicht dauerhaft ausbleiben würden, weil Sie keinen Koffer gepackt haben. Übrigens haben wir auch Ihr Elternhaus unter Beobachtung, und einer meiner Mitarbeiter hat dort Posten bezogen, um gegebenenfalls Alarm zu schlagen, falls sie es wagen sollten, dort aufzukreuzen. Ihr ganzes Getue sollte wohl eine Flucht vorbereiten. Flucht ist ein Geständnis, Mr. Abrahams. Morgen Früh werden sie vor dem Gamot stehen, da ich jetzt davon ausgehen darf, daß Sie sich unrechtmäßig in den Besitz eines Zauberstabes gebracht haben. - Ach ja, den händigen Sie mir besser gleich aus."

"So, Sie haben Tim Abrahams beobachtet, was er in seinem Haus tat. Wie denn? Haben Sie magische Augen? Ich sehe in ihrem holden Angesicht keins", erwiderte Tim, der kurz davor war, die Kontrolle zu verlieren. Umbridge lächelte kalt und fingerte etwas wie ein Fernrohr aus ihrer Aktentasche. Am Ende, wo das Objektiv saß, rotierte ein strahlendblaues Etwas in einer Halterung. Tim erkannte ein frei drehbares Kunstauge und wußte auch, von wem es ursprünglich stammte. Denn er hatte seinen rechtmäßigen Besitzer schon häufig im Ministerium gesehen, als der noch ein aktiver Auror gewesen war. Ihn hatten die Eigenschaften dieses Auges imponiert, wo er als Muggelstämmiger mit Radar und Röntgengeräten vertraut war und Kameras mit Infrarot- und Teleobjektiv als Erweiterung der menschlichen Sehkraft kannte. Doch daß dieses künstliche Organ auch außerhalb von Moodys Kopf funktionierte war ihm neu. Umbridge erriet, was in Tim vorgehen mußte und sagte:

"Minister Thicknesse hat befunden, daß ich das dem bei einem Besenunfall gestorbenen Moody entfallene Auge benutzen dürfe, da ich sein großes Vertrauen besitze." McNair und Rowle grinsten verächtlich. "So war es mir ein leichtes, Sie sprichwörtlich im Auge zu behalten, Abrahams. Und jetzt Ihren Zauberstab!" Schnarrte Umbridge, nun nicht zuckersüß, sondern herrisch.

"Da es auf dasselbe hinausläuft, ob ich ihn Ihnen und ihren netten Wasserträgern da gebe oder nicht behalte ich ihn", sagte Tim, der den Entschluß gefaßt hatte, lieber kämpfend unterzugehen, als lebendig in Askaban begraben oder von Dementoren geküßt zu werden. Die strategische Absetzbewegung war gescheitert. Der Feind hatte ihn ausspioniert und überwacht und würde ihn jetzt nicht mehr frei atmen lassen. Er hob den zauberstab. Die Todesser lachten amüsiert. Dieser Muggel wollte sich mit vier zugleich anlegen? Lächerlich! Doch Tim war entschlossen, lieber in einem Gefecht zu sterben, als in Gefangenschaft zu gehen.

"Crucio!" Rief Dolores Umbridge wild entschlossen. Tim steppte zur Seite und zielte auf Rowle. Im ungesagten Zaubern war er gut ausgebildet und verpaßte ihm einen Bewegungsbann. McNair zielte mit seinem Zauberstab auf den gestellten Muggelstämmigen, als etwas von oben in das Haus hineinkrachte und mit dumpfem Knall und grellem Licht explodierte. Unvermittelt stand das Haus in lodernden Flammen. Die Todesser zuckten zusammen und wandten sich um. Nicht so Umbridge. Diese versuchte, Tim erneut einen Fluch aufzuhalsen. Doch dieser rief bereits "Protego!" Krachend zerplatzte Umbridges Fluch an einem unsichtbaren Schild.

"Accio magisches Auge!" Hörte Tim eine tiefe Frauenstimme von hinter sich oben rufen. Dolores Umbridge reagierte ungewöhnlich schnell. Sie schlug die Aktentasche zu und preßte sie an sich, während das Fernrohr darin wohl wild tobte, um zu der Aufruferin hinzufliegen. McNair riß den Zauberstab hoch, um auf die Unbekannte zu zielen, die irgendwo in der Luft sein mochte. Damit gab er jedoch seine Deckung auf. "Stupor!" Rief Tim. der Henker gefährlicher Geschöpfe erkannte zu spät seinen Fehler, keinen Schild gezaubert zu haben. Der rote Blitz streckte ihn nieder. Blieb noch der dritte und Umbridge. Doch diese hielt immer noch die Aktentasche fest, um ihr nützliches Hilfsmittel nicht zu verlieren. Tim machte nicht den Fehler, sich umzuschauen, wer das Auge zu sich gerufen hatte. Er zielte auf den dritten Todesser, der gerade "Avada Kedavra!" Rief. Mit von seinem Vater eingebläuten Reflexen ließ Tim sich fallen. Laut sirrend fegte der grüne Todesblitz über ihn hinweg. Umbridge rief in diesem Moment: "Trupp sieben herbei!" Schlagartig wurde es dunkel und eiskalt.

__________

"Seebrise", hieß der ausgediente Fischkutter, den Anthelia und Romina im Hafen von Rocky Ridge, einem Fischerdorf in Kalifornien, gefunden hatten. Mit Reparaturzaubern und Rominas Kenntnissen in einfacher Motorreparatur hatten sie das zwanzig meter lange Boot wieder seetüchtig bekommen, nachdem Anthelia seinen Besitzern die Erinnerung verabreicht hatte, dieses Boot einem Schrotthändler verkauft zu haben. Donata Archstone hatte sich schön im Hintergrund gehalten, bis alle Vorbereitungen getroffen waren. Sie hatten Injektionsspritzen der Muggelärzte organisiert und zwei verschiedene Dosen des ausgefilterten Giftes abgemessen: ein Kubikzentimeter und zehn. Denn anthelia wollte wissen, ob die Umwandlungszeit von der Dosis abhängig war und ob es eine Wirksamkeitsuntergrenze gab. Dann, um zwölf Uhr Mittags Ortszeit, hatte sie den Glaskäfig mit den beiden Mäusen an Bord gebracht und zusammen mit Donata und Romina abgelegt. Tuckernd fuhr das Boot hinaus aufs meer. Außer Sicht aller möglichen Landbewohner halfen die Hexen dem betagten Motor mit Magischer Vortriebskraft nach und ließen das Boot über das Wasser dahingleiten. Eine Stunde Lang flog die "Seebrise" wie eine solche über die graublauen Wellen des stillen Ozeans dahin. Dann gebot Anthelia ihren Mitschwestern, das Gefährt anzuhalten. Sie warf die magisch verlängerte Ankerkette aus. Dann paßte sie einen vier mal fünf meter großen Steinblock so an, das er ohne zu wackeln über der Ankerwinde zu liegen kam. Anthelia wirkte einen Anti-Disapparierzauber, falls die beiden Gefangenen Hexen auch ohne Zauberstab verschwinden konnten, wenn sie ihre menschliche Gestalt erhielten. Dann baute sie einen von Romina organisierten Käfig auf, der den Steinblock umfaßte. Schließlich betäubte sie die beiden in Panik im Käfig herumflitzenden Mäuse und setzte sie in den Käfig, wo sie sie mit dem Reverso-Mutatus-Zauber in Menschen zurückverwandelte. Weil bei einer Verwandlung jeder Sinnestrübungszauber erlosch, wachten die beiden sofort aus der Betäubung auf. Doch bevor sie gewahrten, was jetzt passierte, stieß Anthelia jeder von ihnen eine gefüllte Spritze in den Hals. Telekinetisch hielt sie die Beiden auf dem Stein, der direkt mit der Ankerkette und damit mit dem Meeresgrund verbunden war. Sie sprang aus dem Käfig zurück und warf die Tür zu. "Colloportus!" rief Donata noch. Knirschend wurde die Tür fest mit dem Rahmen verbunden.

"Freut euch, verirrte Schwestern! Ihr werdet mir nun helfen, ein von eurem Herrn und Gebieter beschworenes Übel zu erforschen, auf daß ich Mittel finde, es zu tilgen, bevor es wie eine Pest unsere schöne Mutter Erde überzieht!" Rief Anthelia aus, während sich Agonia, der sie die zehn Kubikzentimeter Gift gespritzt hatte, in ersten Krämpfen wand und zu ersticken schien. Morgane Buchanan schien von dem eingebrachten Gift noch nichts zu fühlen. Sie warf sich wild zeternd gegen die verrammelte Käfigtür und stieß ihre Hände zwischen den Gittern hindurch, um ihre Peinigerinnen zu erwischen, die jedoch sicheren Abstand hielten. Agonia überstand die erste Schmerzwelle. Sofort ging auch sie dazu über, ihre Angreiferinnen zu beschimpfen und laut zu schreien.

"Offenbar ist ein Kubikzentimeter zu wenig", meinte Donata nach einer Viertelstunde, während Agonia bereits die sechste Schmerzwelle erfuhr und bereits blau-schwarze Schuppen am Hals bekommen hatte. Doch dann übermannte auch Morgane eine heftige Schmerzenswoge.

"Du siehst, Schwester, wie heimtückisch dieses Gift ist. Es kann also ausgefiltert und in kleinsten Dosen apliziert werden, solange es direkt in den Blutkreislauf eingebracht wird. Womöglich wirkt es auf das Blut, verändert dieses oder wandelt es gar in eine steigende Menge seiner selbst um. Es gibt progressive Gifte, die sich wie Bazillen vermehren, wenn sie ein Opfer gefunden haben. Die Verzögerung besagt also nur, daß die kleine Dosis brauchte, um den für die Wandlung nötigen Anteil zu erreichen."

"Da, an Morganes Hals bilden sich rot-schwarze Schuppen", bemerkte Romina mit gewisser Angewidertheit. Anthelia nickte. Offenbar wandelte das selbe Gift zwei verschiedene Opfer nicht in derselben Weise um. Sie notierte es sich neben den bisherigen Beobachtungen, um mehr Erkenntnisse zu sammeln. Eine weitere Viertelstunde später überzogen die Schuppen schon Agonias Halspartie und beganngen, ihren Brustkorb zu überwuchern. Auch Morgane zeigte deutliche Anzeichen der foranschreitenden Verwandlung. Da hörte Anthelia diese parselnde Gedankenstimme aus unortbarer Quelle. "Sei mir Verbunden! Sei mir verbunden!"

"Schwestern, wir dürfen also konstatieren, daß das verfluchte Toxin auch ausgelagert werden kann, um dieselben verheerenden Symptome auszulösen, die eine direkte Einspritzung seines Produzenten hervorruft.

Anthelia begleitete die foranschreitende Verwandlung mit Taschenuhr und Notizblock. Nach einer Stunde sahen die beiden unfreiwilligen Probanden gleichstark verändert aus. Die Gedankenstimme, die sie zur Verbundenheit mit sich aufforderte, wurde immer deutlicher. Anthelia erfaßte, daß die beiden Hexen, die nun nicht mehr gegen den Käfig und ihre Bezwingerinnen ankämpften, immer deutlicher verstehen konnten, was sie sagten. Anthelia hörte sogar ein paar gezischte Worte, die sie Dank ihrer Parselkenntnisse als "Hör hin!" und "Was ist das?" verstehen konnte. Eine Stunde später überzog bereits ein Schuppenkleid vom Kopf bis zum Bauch die beiden Gefangenen. Dann schien sich die Verwandlung zu verlangsamen. Denn es dauerte zwei weitere Stunden, bis auch die Oberschenkel unter Schuppen lagen. Anthelia beobachtete jede Veränderung. Die beiden gefangenen Hexen verstanden nun die Botschaft und antworteten, daß sie verbunden seien. Ihre Augen waren mittlerweile zu bleichen Reptilienaugen verändert worden. Immer wieder überkamen Schmerzwellen die beiden. Doch sie freuten sich nach jedem überstandenen Anfall, bald mit ihrem Herren sprechen zu können. Der Prozeß beschleunigte sich, als die fünfte Stunde überstanden war. Mit jedem Befehl, verbunden zu sein, veränderten sich die beiden immer weiter, bis sie nach genau sechs Stunden in jener Schreckensgestalt dastanden, in der Anthelia sie in Rom gesehen hatte. Sie fauchten wütend und entschlossen. Sie stemmten sich nun gegen die Käfiggitter, die beängstigend knarrten und sich bogen. Anthelia erkannte, daß sie wohl nicht mehr viel Zeit hatten, um die beiden zu studieren. Sie schleuderte den Todesfluch auf Agonia. Doch sie fiel nur hin und stand keine Sekunde später wieder auf. Anthelia erfaßte es deutlich, wie ihr durch den Kontakt mit festem Grund neue Lebenskraft zufloß. Auch andere Zauber prallten ab oder wirkten gar nicht. Morgane bog die Gitter immer weiter auseinander. Es mochten nur noch sekunden sein, bis sie durchbrachen.

"Auf die Besen, Schwestern und hinfort!" Rief Anthelia ihren beiden Mitschwestern zu. Diese hatten ihre Besen bereits Aufstiegsbereit unter den Händen. Antehlia saß ebenfalls auf ihrem Besen auf und startete durch. Da krachte und klirrte es, als drei Gitterstäbe aus dem Rahmen brachen. Wild Zischend sprangen die beiden neuen Schlangenfrauen heraus und versuchten, die davonfliegenden Hexen mit einem federnden Hochsprung zu erwischen. Sie flogen bis zu acht Metern nach oben. Doch die drei Spinnenschwestern zogen geschickt zur Seite weg, und die wild nach ihnen auslangenden Arme schlugen ins Leere. Dann fielen die beiden Verwandelten zurück ins Boot, aber nicht auf die Steinplattform, sondern auf die Planken. Als sie landeten, verwandelten sie sich unter starken Krämpfen in Menschenfrauen zurück. Anthelia flog in zehn Metern über ihnen und versuchte, sie telekinetisch zu beeinflussen. Doch es gelang nur schwerfällig. Noch hielt die Ankerkette eine ausreichende Verbindung zum Meeresgrund. Diese konnte sie jedoch mühelos verändern. Mit einem entschlossenen Gedanken brach sie die Halterung der Kette und ließ diese über die Bordwand ins Wasser klatschen. Jetzt schwamm das Boot frei auf den Wellen. Sie merkte sofort, daß das den beiden Verwandelten sichtlich zusetzte. Sie schienen Kraft zu verlieren und hörte telepathische Hilferufe. Doch es erfolgte nur die Antwort: "Sei mir verbunden!" Und die Hilferufe wurden leiser. Also stimmte es. Wenn die Schlangenwesen länger als drei Sekunden keinen Kontakt zu festem Grund hatten, schwächte es sie. Das erfreute die höchste Schwester. Doch als die beiden Gefangenen das Boot wenden wollten, um sicheres Land zu suchen, erklärte sie das Experiment für beendet. Sie gebot den anderen, davonzufliegen. In fünfzig Metern entfernung schleuderte Anthelia einen Feuerball auf das Boot, das sofort hell aufloderte und zerbrach. Sie wartete einige Minuten, ob die beiden das Inferno vielleicht überstanden hatten. Als sie die beiden leblos und kohlrabenschwarz auf dem Wasser sah, richtete sie noch den tödlichen Fluch auf jede. Die Wirkung war grauenhaft. Die verrußten Körper zerplatzten unter den grünen Blitzen und lösten sich dann im Meerwasser auf. Zumindest war die heraufbeschworene Gefahr gebannt, dachte Anthelia und folgte ihren Mitschwestern zurück ans Land.

"Halten wir fest, liebe Schwestern, daß dieses Toxin Menschen zu Artgenossen dieser Ungeheuer machen kann. Daher werde ich die Menge, die ich gesammelt habe, gut verstecken, um niemanden in Versuchung zu führen, weitere Exemplare dieser Kreaturen zu erschaffen", sagte Anthelia nach der sicheren Rückkehr in die Daggers-Villa. "Haltet bitte weiter die Augen auf, ob irgendwo bei uns derartige Geschöpfe auftauchen. Denn wenn eines auftaucht, kann es bald hunderte davon geben. So bleibt wachsam!" Dann entließ sie ihre Helferinnen wieder und zog sich für die nötige Nachtruhe zurück.

__________

Er hörte ihr rasselndes Atmen, als würden sie mehrere Dutzend Liter Luft in sich einsaugen. Eiseskälte und Finsternis umgaben ihn. Er sah Dolores Umbridge, die triumphierend auf ihrem Stuhl saß. Dann erahnte er zwei von diesen Kreaturen, die sich ihm näherten. Die anderen waren offenbar in die Höhe gestiegen, um die fremde Hexe zu jagen, die Tim beistehen wollte. Er hörte wie durch dicken Stoff gefiltert, daß sie nach ihrem Patronus rief. Dann sah er vor sich Morpuoras lüstern grinsendes Gesicht, wie sie ihn das aller erste Mal mit sich zusammenbrachte. Es war die schlimmste und doch zugleich sinnlichste Erinnerung, die er hatte. "Ja, so richtig, mein Süßer, rosaroter bursche!" Hörte er sie anregend stöhnen, während er meinte, wieder mit ihr zusammen zu sein, in allernächster Nähe. Er mußte seinen Patronus rufen. Er mußte dieses Scheusal da aus seinem Kopf kriegen!

"Küßt ihn!" Hörte er aus Morpuroas Lustgestöhn Umbridges entschlossenen Befehl. Gleichzeitig bot ihm Morpuora den grünen Mund zum innigen Kuß dar. Er fühlte ihre knorrigen Arme. Nein, es waren kalte, klamme Hände. Er roch die Ausdünstungen der Sabberhexe, oder war es nur der faulige Verwesungsgestank eines Dementors? Da stieß etwas großes, leuchtendes mit wütendem Gegacker von oben herab und prellte ihn zur Seite. Er sah gerade noch einen großen Schnabel, der in einen Schatten mit Umhang hineinstieß. Da verschwand der Schatten. Tim fühlte, wie er fiel und auf dem Boden landete. Sofort drückte ihn etwas nieder, etwas großes, warmes, weiches. Er fühlte ein Prickeln wie tausend Ameisen auf der Haut und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Denn über ihm hockte, die Flügel sicher über ihn gelegt, ein silberner Riesenvogel wie aus Mondlicht. Er lag genau zwischen den dreizehigen Füßen des magischen Wesens, das scheinbar weitere Dementoren zurückstieß. Umbridge zeterte wütend. Wieder hörte Tim den Aufrufezauber, der ihr Moodys Auge wegnehmen sollte.

"Bleib liegen! Mums Patronus beschützt dich!" drang eine Gedankenstimme in ihn ein. Es war Galateas Gedankenstimme. "Avada Kedavra!" Ertönte eine wütende Männerstimme. Darauf klang ein entschlossenes "Stupor!"

"Verdammt, fangt sie ein!" Keifte Umbridge. Doch wen immer sie, wohl die Dementoren, einfangen sollten, sie erwischten sie wohl nicht. Stattdessen hörte Tim, der immer noch unter Bauch und Schwingen des Riesenvogel-Patronus lag, wie Umbridge von ihrem Stuhl aufsprang und loslief.

"Stehenbleiben, Dreckskröte!" Ertönte diese tiefe Stimme, die ihr vorhin das magische Auge wegrufen wollte. Doch da hörte Tim bereits einen scharfen Knall. Umbridge war disappariert.

"Sie wird Verstärkung holen", dachte Tim erschrocken. Da stemmte sich der Patronus über ihm hoch und lief davon. Es waren keine Dementoren mehr zu sehen. Jetzt konnte Tim erkennen, daß ein menschengroßes Huhn ihn beschirmt hatte. Er hätte fast losgelacht. Wer hatte denn so einen Patronus beschworen? Außerdem kannte er es von den Patroni, daß sie nur die Normalgröße der Tiere annahmen, die sie als Vorbilder hatten. Da verschwand das Riesenhuhn wie ausgeknipstes Licht. Er fand keine Zeit, weiter über seine unverhoffte Rettung nachzudenken. Denn ein Besen schwirrte heran, auf dem eine Gestalt in dunkelblauen Gewändern saß. Ehe er sich's versah, gabelte ihn die besenspitze auf und hob ihn an. Keinen Moment später stürzte der Boden unter ihn weg. Er rutschte auf die ihm gegenübersitzende Gestalt zu und prallte sanft auf.

"Sorum ist etwas komisch. Aber es geht", hörte er Galatea sprechen. Sie war es, die ihn aufgelesen hatte.

"Mein Haus!" Rief Tim, als er unter sich das lichterloh brennende Dach als flackernden Punkt im Dunkeln ausmachte.

"Brauchst du nicht mehr. Besser dein Haus ist futsch als deine Seele", sagte Galatea ruhig. Tim meinte, zu träumen, als die Hexe ihn sicher umklammert hielt und rasch an Höhe und Geschwindigkeit zulegte.

"Sie, ähm, ich meine du und deine Mutter habt mich da weggeholt. Das war Rettung in letzter Sekunde."

"Wir wußten, daß Umbridge dich schon auf dem Kiekger hatte, Tim. Du hast keine Familie hier und bist nicht blöd, daß du nicht gemerkt hättest, daß diese Kommission nur dazu da ist, Muggelstämmige zu jagen und außer Gefecht zu setzen. Deshalb habe ich bei unserem Treffen gestern einen Ortungszauber auf dich gelegt. Konntest du nicht merken. Meine Mum hat den erst vor einem Jahr perfektioniert. Da weiß sonst keiner was von."

Tim konnte es nicht fassen. Er sah Galatea an und erkannte noch einen Patronus in Form eines Falken, der gerade einen Dementor vertrieb. Dann sah er noch drei Besen mit Reiterinnen in blauen Kapuzenumhängen.

"Gleich landen und disapparieren!" Hörte er die Stimme einer Hexe. Galatea gehorchte, wobei sie so landete, daß der Besenschweif fast zuerst den Boden berührte.

"Du kommst mit zu uns", stellte Galatea entschieden klar. Tim war so perplex, daß er keinen Widerstand leistete, als sie den Besen zwischen seinen Beinen wegzog, diesen schulterte und Tim beim Arm ergriff. Da hörten sie laut und vielfältig das Krachen apparierender Zauberer. Doch im nächsten Moment fühlte Tim bereits die Drehbewegung seiner Retterin. Als die Apparition vorbei war fand er sich auf einem Hof wieder, auf dem drei Häuser Standen, von denen das eine ein Steinhaus, das zweite ein Fachwerkhaus und das dritte, kleinste ein gewöhnlicher Hühnerstall war.

"So, hier rein kommen die nicht. Wir haben wirksame Schutzzauber, die das Ministerium und die Todesser nicht knacken können", sagte Galatea und klappte ihre Kapuze zurück.

"Brigid, Megan und Galatea, bringt ihn bitte in die Bibliothek!" Hörte er diese tiefe, kommandoerfahrene Stimme. Dann sah er im Licht einer magisch aufflammenden Laterne die drei anderen Hexen, die sich alle ähnelten. Sie hatten alle feuerrotes Haar, wie es im Mittelalter als für alle Hexen typisch gesehen worden war. Sie alle besaßen blaue oder grüne Augen. Im Licht der Gaslaterne konnte Tim das nicht genau sagen. Die älteste von ihnen kannte er. Das war Ceridwen Barley, Galateas Mutter. Offenbar hatte sie alle ihre Töchter dazu angetrieben, ihn als Rettungskommando aus der Gewalt von Umbridge und ihrem Greifkommando zu befreien. Die Frage war. warum sie das getan hatte.

"Du brauchst keine Angst zu haben. Mum will dich nicht fressen", scherzte Galatea, als sie Tim an der Hand zu dem Fachwerkhaus führte. "Füße abwischen!" Schrillte es von der Tür her, als Tim Anstalten machte, die breite Fußmatte ungenutzt zu überqueren. Er streifte die Sohlen seiner weißen Turnschuhe so lange, bis die Tür "Das reicht", quiekte und sich auftat. Galatea führte ihn in einen Raum, der groß wie ein Festsaal war. Dicke, helle Teppiche lagen auf dem Boden und dämpften jedes Schrittgeräusch. Meterhohe und breite Vorhänge schmückten die Wände. begehbare Garderobenluden zum Ablegen von Übermänteln, Taschen und Hüten ein, und von der Decke hing ein zwölfarmiger Kronleuchter.

"Arm wohnt ihr nicht", stellte Tim beeindruckt fest. Er hatte es dem Haus nicht angesehen, daß gleich der erste Raum so gigantisch war.

"Das haben meine Urururururgroßeltern mütterlicherseits gebaut", sagte Galatea stolz. "Mum hat dieses Haus geerbt, weil ein magisches Vermächtnis es nur für weibliche Abkömmlinge mit dem Blut der McFustys zugänglich machte, wie es auch in Brigid, Megan und mir strömt. Fergus, mein kleiner Bruder, ist gerade bei meinen Großeltern auf der Dracheninsel."

"Hat der dieses Jahr nicht seine UTZs gemacht?" Fragte Tim.

"Ja, hat er, besonders in Verwandlung, Muggelkunde und magische Geschöpfe. Zaubertränke lagen ihm nicht so gut, ebenso wie Verteidigung gegen die dunklen Künste. Ich bin froh, daß er jetzt aber fertig ist, wenn die in Hogwarts bald auch so rabenschwarze Zeiten erleben wie der Rest der Welt."

"Töchterchen, ich weiß, du bist froh, daß wir ihn noch rechtzeitig von dieser Giftkröte wegholen konnten, aber kau ihm bitte kein Ohr ab!" Herrschte sie ihre Mutter an. Tim hörte den Unterton einer keine Widerrede duldenden Befehlshaberin heraus. Er sah sie an und fragte sich, was die ganze Aktion zu bedeuten hatte. Wozu hatten die vier Hexen ihn gerettet? Was brachte ihm das? Denn ab jetzt war er zum Abschuß freigegeben und jeder, der ihm half gleich mit.

"Brigid hat das Gästezimmer vorbereitet. Aber bevor Sie schlafen gehen dürfen möchte ich Ihnen gerne alle Fragen beantworten, die Ihnen ganz sicher gerade durch den Kopf schwirren, junger Mann", sagte sie. Galatea nickte ihm aufmunternd zu und führte ihn aus der Empfangshalle über eine Treppe in einen großen Raum voller Bücherregale und massiver Schränke. Dort stellte die Hausherrin Tim einen kleinen Mann mit schwarzen Haaren und bgraublauen Augen vor, der gerade eine Zeitung mit unbeweglichen Schwarz-Wweiß-Fotos las. Er stand auf und grüßte erfreut. "Hi, Ceridwen, schon zurück von eurem Supersondergeheimeinsatz? Oh, du hast Besuch mitgebracht." Tim wartete artig, bis er und Darrin Barley einander vorgestellt worden waren und wollte gerade mit dem Hausherren darüber reden, was ihm passiert war, als Ceridwen ihren Mann ansah und sagte:

"Darrin, Süßer, der junge Mann hier hat gerade was ganz turbulentes hinter sich und möchte gerne wissen, was genau ihm da passiert ist. Ich möchte ihm das gerne unter vier Augen erklären."

"Ist das echt so geheim?" Fragte Darrin Barley etwas mißgestimmt. "Ich meine, ich habe es mit dir geklärt, daß du Sachen machst, von denen ich nichts mitbekommen muß. Aber wenn du diesen Burschen da mitten aus einer von meinem Volk überlaufenden Stadt rausgepickt hast könnte er ziemlich durch den Wind sein."

"Mr. Abrahams, zeigen Sie meinem Mann bitte Ihren Zauberstab!" Forderte Ceridwen Tim auf. Dieser nickte und präsentierte den schlanken Holzstab. "Ich bin ordentlich ausgebildeter Zauberer, Sir. bis Heute zumindest Mitarbeiter im Zaubereiministerium, Hogwarts-Abschlußjahrgang 1982, Sir."

"Ui, Haben Sie einen Armeeoffizier in der Verwandtschaft, daß Sie so zackig auftreten?" Stellte Darrin belustigt fest.

"Nein, habe ich nicht, Sir. Mein Vater ist bei der Royal Navy", erwiderte Tim bereitwillig. Darrin Barley schmunzelte und entschuldigte sich für diesen Irrtum. Dann verließ er die Bibliothek.

"So, jetzt sind wir unter uns", sagte Ceridwen, als sie die Tür von innen verschlossen hatte. "Sie möchten Sicherlich wissen, wieso ich mein Leben und das meiner Töchter riskiert habe, um Sie zu retten." Tim nickte. "Der schlichte und ergreifende Umstand, daß meine Tochter seit ihrer Schulzeit von Ihnen fasziniert ist, auch wenn sie es nicht erkennen ließ. Des weiteren gilt es, den Wahnsinn einzudämmen, der sich gerade vom zaubereiministerium her ausbreitet, nämlich eine Zaubererwelt voller inzestuöser Cretins zu erschaffen, die mehr auf rohe Gewalt und Hinterhältigkeit als auf Überzeugung setzen. Auch wenn es Slytherin und seine selbsternannten Jünger nicht einsehen und mit aller Gewalt verhindern wollen: Ohne Kinder aus nichtmagischen Elternhäusern wird die Zaubererwelt gnadenlos untergehen. als meine jüngste Tochter erfuhr, daß eine neue Kommission gegründet wurde, die nichts anderes zu tun hat, als Muggelstämmige zusammenzutreiben und ihnen Freiheit und Leben streitig zu machen, erfuhr ich durch vertrauliche Quellen, daß Sie als einer der ersten von dieser Bande befragt werden sollen. Da Galatea Ihren Werdegang verfolgt hat, weiß sie und damit auch ich, daß Sie nicht dumm und auch nicht leicht einzuschüchtern sind und deshalb erkennen, in was für einen Sumpf sie da geleitet werden sollten. Im Moment befindet sich Ihre Mutter in den Staaten, in Chicago, um genau zu sein, während Ihr Vater an Bord der Lord Nelson eine militärische Überwachungsmission gegen den Diktator von Mesopotamien, was in der Muggelwelt Irak heißt, erfüllt. Damit sind Sie derzeitig frei in Ihren Handlungen. Das wußten natürlich auch Umbridge und ihre Zuträger. Daß sie selbst mit dem von Moody gestohlenen Auge in Ihr Haus hineinspähte, habe ich nicht erwartet. Ihr ist damit eine gefährliche Waffe in die Hände gefallen. Leider konnte ich es ihr nicht wegnehmen, weil ihre Aktentasche den Aufrufezauber blockiert. Womöglich wird sie es jetzt nicht mehr so offen mitführen, falls Sie nicht bereit ist, eines ihrer Augen herzugeben, um es in ihrem Gesicht zu tragen. Und damit kommen wir schon zu dem Grund für mein Eingreifen: Meine Tochter Galatea hat mich inständig gebeten, Sie zu retten, weil sie möchte, daß Sie in England bleiben, ohne von den Todessern und ihrem Herren und Meister behelligt zu werden. Falls Sie jetzt anführen, daß ich nichts davon hätte, sage ich ihnen, daß wir, also meine Familie und ich, darauf bedacht sind, keine Inzucht zu treiben, was auch heißt, daß wir häufig mögliche Interessenten aus Muggelfamilien oder Muggelstämmige suchen." Tim verzog das Gesicht. Er kapierte. Die Hexen hier hatten ihn von Umbridge weggeholt, weil sie frisches Erbgut wollten. "Gucken Sie mich jetzt bloß nicht so verbittert an, als sei das was ekelhaftes oder unanständiges! Sicher weiß ich, daß Sie in der Vergangenheit eine sehr schwere Zeit erlebt haben. Und normalerweise mische ich mich nicht in Privatangelegenheiten von Leuten ein, die nicht zu meiner Familie gehören. Aber ich habe Sie überprüft und befunden, daß Sie unser angebot überdenken sollten. Sie können sich nicht immer auf diese Affäre mit Morpuora berufen und Ihr Leben in Verbitterung und Einsamkeit fristen, Timothy."

"Wenn Sie meine DNS haben wollen geben Sie mir eine Phiole und Fünf Minuten in einem stillen Raum", knurrte Tim. Ceridwen Barley lachte darüber.

"Wenn es mir nur darum ginge, meinen unverheirateten Töchtern Ihre Saat in den Schoß einzuflößen würden wir beide jetzt nicht so angeregt miteinander sprechen. Dann würde ich sie längst im Zauberschlaf in einen Aufbewahrungsraum legen und mich bedienen, wenn ich das für richtig hielte. Also vergessen wir die Phiolen!" Sie sah Tim tief in die Augen. Er erkannte erst, daß sie ihn legilimentierte, als er sich schon nicht mehr wehren konnte und unvermittelt seine Wunschgeliebte, sowie Morpuora durch sein Bewußtsein wanderten. Als sie endlich von ihm abließ lächelte sie. "Meine Tochter hat einen untrüglichen Instinkt für Zauberer, die sie anhimmeln. Sie waren einer von nur dreien. Und die beiden anderen waren Slytherins aus achso hochanständig reinblütigen Sippen. Zum einen sind wir McFusty-Erben Gryffindors und schätzen Gryffindors Werte höher als die Slytherins. Zum anderen habe ich Ihnen ja erzählt, daß wir sehr gerne unverklumptes Blut in unsere Linie einbringen möchten. Überlegen Sie sich das also, junger Mann, ob Sie die Chance, die sie damals nicht nutzen wollten und konnten, so brüsk zurückweisen können!"

"Das klingt für mich nicht gerade menschlich, Madam. Sie suchen sich potentielle und auch potente Kandidaten aus und stellen die vor eine Wahl, die an Nötigung grenzt, Mrs. Barley. Auch, daß Sie mich gerade legilimentiert haben spricht eher dagegen, Sie als Schwiegermutter haben zu wollen", versetzte Tim. Doch Seine Gastgeberin nahm es unerschüttert hin und antwortete:

"Das mußte ich tun, um Ihnen selbst klarzumachen, daß Sie immer noch eine offene Tür vor sich haben. Was immer Ihnen angetan wurde hat diese Tür nicht geschlossen. Oder sagen wir es konkret: Galatea hat sich entschieden, "Ja" zu Ihnen zu sagen, wenn sie sie fragen. Ich werde Sie nicht dazu zwingen, meine Tochter als Ehefrau anzunehmen, Timothy. Aber ich könnte Ihnen eine bessere Zukunft in der Zaubererwelt bieten, als Sie jetzt vor sich hätten. Ich habe meiner Tochter gesagt, Sie nicht zu bedrängen. Ich bin jedoch auf ihren Wunsch eingegangen, Sie mindestens drei Tage auf dem Hof Hühnergrund zu beherbergen. hier hin kann nur apparieren, in dessen Adern das Blut der Toftys fließt, wie in den Adern meiner Ururgroßmutter Mütterlicherseits."

"Huch, Sie sind mit Professor Tofty verwandt?" Fragte Tim. Ceridwen nickte. "Mein Großonkel", bestätigte sie es. "Jedenfalls möchten wir, also meine töchter und ich, daß Sie zunächst drei Tage bei uns wohnen. Wir haben genug passende Kleidung im Haus, und um Kost und Logie brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Falls Sie dann befinden, Daß wir Sie doch zu sehr in eine bestimmte Richtung drängen wollen, Ermögliche ich Ihnen eine heimliche Passage in die Staaten oder wo immer Sie hin möchten, um dort eigenständig ein neues Leben zu beginnen. Aber das Trauma werden Sie so nicht los."

"Morpuora ist in den Staaten", knurrte Tim. "Da müßte ich schon nach Australien oder nach Südamerika auswandern, falls Europa bald von diesem Drecksack überlaufen wird. Ich hörte was, daß der einen Fluch aufgerufen hat, der seinen Namen als Auslöser hat."

"Das ist wohl wahr", sagte Ceridwen Barley. "Wie erwähnt haben Sie jetzt die einmalige Chance, nicht weiterhin allein durchs Leben gehen zu müssen."

"Und Ihnen ein paar rotschopfige Enkelkinder zu bescheren", knurrte Tim. Doch in ihm war bereits das alte Feuer wieder erwacht, das ihn als Zwölfjährigen gepackt und bis zu Galateas Abschied aus Hogwarts nicht mehr losgelassen hatte. Sollte es echt so einfach sein, verlorene Chancen zurückzuholen und zu nutzen?

"Mein Mann kam mit meiner Art am Anfang auch nicht gleich zurecht. Aber heute ist er froh, daß er sich für mich entschieden hat", sagte die Hexe mit den roten Haaren. "Und was die Enkelkinder angeht, so denke ich, wird Fergus mir wohl bald die passende Mutter vorstellen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Außerdem kann Brigid nun als niedergelassene Heilerin auch ohne den Rat fragen zu müssen heiraten, wenn sie will. Also da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, daß ich sie aus Umbridges Klauen befreit habe, um sie mit Galatea, Megan oder Brigid zusammenzustellen, bis Sie ihr wen Kleines in den Schoß legen. Ich bin in dem Sinne erzogen worden, daß Überzeugung immer die bessere Beraterin als die Verpflichtung ist. Abgesehen davon wäre mir das natürlich möglich, Sie mit Liebestränken für eine meiner Töchter empfänglich zu machen oder sie mit einer magischen Leine an eine zu fesseln, bis sie von Ihnen schwanger ist. Aber ich tu es nicht, weil ich weiß, daß sowas nur unglück bringt. Der schlagendste Beweis gegen eine erzwungene oder magisch erschlichene Verbindung ist jener Emporkömmling, der für sich beansprucht, Slytherins Erbe zu sein und in dessen Sinne walten zu müssen."

"Woher wissen Sie denn sowas?" Fragte Timothy. Ceridwen deutete auf die Bücherschränke. "Ich habe hier einiges, was nicht in Hogwarts zum Nachlesen auslag", sagte sie ruhig. "Außerdem habe ich Beziehungen." Da fiel bei Tim der Penny. Ceridwen gehörte zu den Schweigsamen, einer nicht gerade auf Bekanntheit ausgehenden Hexenbande, die überwiegend ehrbare Mitglieder besaß und, soweit er die spärlichen Informationen deuten durfte, gerne nichtmagisches oder Muggelstämmigenblut in ihre Ahnenlinie einkreuzte, wobei einige nicht so rücksichtsvoll waren, die Kandidaten vor die Wahl zu stellen. Und falls Ceridwen wirklich zu diesen Hexen gehörte, hatte sie Beziehungen. Die Frage war nur, ob ihre Töchter auch schon eingeschworen waren. Doch wenn er jetzt fragte, würde er wohl keine Antwort kriegen. So fragte er nur:

"Wenn ich jetzt nach drei Tagen sage, daß ich lieber als Muggel oder Fremder unter Fremden leben will, würden Sie dann sehr wütend?"

"Wie gesagt, es ist Ihre Chance. Wie Sie sie nutzen liegt bei Ihnen. Aber Sie sind mutig, Klug und aufrecht, der geborene Schwiegersohn. Ob sie meiner werden oder der einer anderen Hexe, ist Ihre freie Entscheidung. Ich biete Ihnen nur die Möglichkeit, meine jüngste Tochter näher kennenzulernen, auf gesellschaftlich akzeptierter Ebene versteht sich. Falls sie sagen, Dazu können Drei Tage zu wenig sein, dann steht es Ihnen frei, Ihren Aufenthalt hier zu verlängern. Hier kann ihnen nichts böses widerfahren. Unsere Kamine sind derzeitig nur für Kontaktfeuer offen, und ich habe zusetzlich mehrere Feinderkennungs- und -bekämpfungszauber eingerichtet. Für Umbridge oder ihren Leinenführer Thicknesse und dessen Leinenführer, der sich wohlweißlich im Hintergrund verbirgt wie die Spinne im Netz, sind Sie ein toter Mann, sobald Sie deren Schergen gewahr werden. Umbridge und ihre Rotte wissen nicht, wer Sie gerettet hat. Natürlich werden sie davon ausgehen, daß Sie jetzt in Sicherheit gebracht werden. Man wird versuchen, Ihre Verwandten als Druckmittel oder Vergeltungsziele zu erreichen. Doch Sie haben ja Ihre Mutter schon weit genug fortgeschickt. Womöglich müssen wir etwas tun, um Ihren Vater länger im Ausland zu halten. Hier kommt uns der Umstand gelegen, daß der neue Machthaber Britanniens keine Beziehungen zur Muggelwelt wünscht und daher nicht darauf ausgeht, in militärische Unternehmungen hineinzufuhrwerken, nur um einen Offizier in die Hand zu bekommen, der einen Zauberer gezeugt hat."

"Bevor ich mal drüber schlafe und hoffentlich kein verfluchtes Bett kriege möchte ich gerne noch wissen, wie Sie einen Patronus erschaffen haben, der größer ist als das ursprüngliche Tier."

"Das hat Sie fasziniert, wie?" Fragte Ceridwen amüsiert vergnügt. "Ich habe mich mit dem Patronus-Zauber sehr intensiv beschäftigt und dabei festgestellt, daß er von geübten Zauberern und Hexen, die bereits Jahre lang mit ihm vertraut sind, modifiziert werden kann, daß er die Dementoren immer größenmäßig aufwiegt, falls sein Rufer oder seine Ruferin jemanden beschirmen möchte, der oder die von ihm oder einem direkten Abkömmling gemocht oder geliebt wird. Somit ist der Wunsch meiner Tochter, Sie zu schützen, in meinen Patronus mit eingeflossen und hat ihn anwachsen lassen, um Sie zu beschützen. Wenn Sie mich jetzt fragen, warum ausgerechnet eine Henne meine Patrona ist, dann liegt das wohl daran, daß ich ein geselliges Muttertier bin, wenn Ihnen das nicht zu platt erscheint."

"Das war schon abgedreht, als mich diese silberne Glucke zugedeckt hat. Fühlte sich an wie ein lebendes Wesen, nur mit ein paar Volt Strom durch den Körper, falls Sie verstehen, wie ich das meine", sagte Tim.

"Ich kenne den elektrischen Strom und habe auch schon schmerzhaft erfahren, daß er nicht durch lebendes Gewebe geleitet werden sollte. Mein Mann ist wie Sie von einer nichtmagischen Mutter getragen, geboren und gestillt worden. Manchmal möchte er gerne elektrische Sachen hier haben. Aber ich habe ihm ohne grob werden zu müssen zeigen können, daß wir nicht rückständig leben, nur weil wir keine Edison-Lampen oder Fernsehkästen haben. Er bekommt jeden Morgen Zeitungen aus der Muggelwelt und jede Woche den Muggelsportkurier, um sich über nichtmagische Sportarten auf dem Laufenden zu halten."

"Ich kenne das. Ich hatte zwei Klassen unter meiner zwei Hausbewohner, die waren die totalen Fußball-Fans."

"Dann verstehen Sie das ja. - Gut, dann sollte es das für heute abend gewesen sein. Es sei denn, Sie möchten noch was essen, bevor Sie schlafen gehen."

"Dann kann ich nicht schlafen", sagte Tim. Damit verriet er, daß er müde war. So geleitete ihn Ceridwen in ein gemütliches Gästezimmer. Als Tim im geliehenen Schlafanzug in einem gemütlichen Himmelbett lag, dachte er daran, was heute passiert war und ob er wirklich auf das Angebot eingehen sollte, Galatea näher kennenzulernen.

__________

Sie hatten maßlose Angst, Rowle, McNair und Usher. Sie hatten sich von vier Gestalten auf Besen fertigmachen lassen. Als Umbridge mit Verstärkung zurückgekehrt war hatten sie deshalb gelogen und von einem Großangriff des Phönixordens gesprochen. Offenbar, so stellte es Umbridge nun dar, hatte der Orden Tim Abrahams wohl auch überwacht, um todesser auszuschalten, falls diese ihn, das Schlammblut, festnehmen wollten. Dann wäre Abrahams nur ein geschickt ausgelegter Köder gewesen. Dann blieb ihnen nur, ihn als Unerwünschten zu benennen und zur Fahndung auszuschreiben. Doch Umbridge ging davon aus, daß Abrahams in der Muggelwelt untertauchen würde, wenn ihn die magische Welt als Abschaum der er war nicht mehr haben wollte. Immerhin kam er aus diesen stinkenden, lauten Städten, in denen nachts viel zu helle Lichter den Sternenhimmel verblassen ließen. Wenn er wirklich schlau war, blieb er jetzt dort. Doch diesen Patzer durften sie nicht einfach so abtun. Wenn sie die Zaubererwelt von den Schlammblütern reinigen wollten, mußten sie wohl bald härter durchgreifen. Die Registrierungskommission für Muggelstämmige hatte eine erste Niederlage eingesteckt. Das durfte nicht bekannt werden. So ließ sie es unter den Tisch fallen, daß sie Tim Abrahams überwacht hatte und konzentrierte sich auf die Muggelstämmigen mit Familien. Die würden ihr nicht so leicht entgehen. Doch auf der Liste der angeblich ohne magische Eltern mit Magie geborenen stand als einer der nächsten Namen "Andrews, Julius". Wenn sie ihn aus seiner so scheinbar sicheren Zuflucht herauslocken konnte, wäre die Flucht von Abrahams keine Rede mehr wert.

So führte sie die Vorbereitungen für die ersten Vernehmungen fort.

__________

Alle sahen ihn verächtlich an, bis auf die Schulräte, die früher in Slytherin gewohnt hatten. Nachdem am fünfundzwanzigsten August durch den Tagespropheten lautstark verkündet worden war, es gebe überhaupt keinen glaubhaften Anhaltspunkt, ihn des Mordes an Dumbledore zu beschuldigen, hatte er offiziell beim Ministerium angefragt, ob er seine Anstellung in Hogwarts wiederbekommen dürfte. Jetzt saß er vor den Lehrern und Schulräten von Hogwarts. Auch Minister Thicknesse und Dolores Umbridge waren anwesend. Professor McGonagall beherrschte sich sehr mühsam, nicht empört auf ihn loszugehen. Severus Snape blickte alle mit einem Ausdruck des unschuldig verdächtigten an und lauschte wie alle dem Bericht des neuen Ausbildungsleiters. Dieser führte aus, daß im Zuge der allgemeinen Reformen Hogwarts nicht außen vorbleiben dürfe, um die Möglichkeit auf eine friedliche Zaubererwelt nicht zu unterminieren. Außerdem seien zwei Lehrerstellen vakant, und es hätten sich kompetente Bewerber gemeldet, die heute noch von den Schulräten geprüft werden sollten, da die Stelle des Schulleiters ebenso ungeklärt sei. Abbot, einer der Schulräte, wandte ein, daß man doch Professor McGonagall als ordentliche Schulleiterin bestätigen könne. Umbridge sah die Leiterin von Gryffindor provozierend an. Doch diese blieb ruhig.

"Nun, das Problem ist, daß zwei Ämter in Personalunion dazu führen können, daß die sie ausübende Person unter der doppelten Last zusammenbrechen kann oder die beiden Aufgabenbereiche nicht in dem Maße bewältigen kann, die nötig sind. Das Fach Verwandlung ist ein Pflichtfach bis zur fünften Klasse. Außerdem wissen wir aus den Schülerlisten, daß die beiden UTZ-Klassen des beginnenden Schuljahres von Schülern besucht werden, die Professor McGonagalls Richtwert für die Zulassung zu ihrem Unterricht erfüllt haben und wohl auch Verwandlung für fortgeschrittene belegen möchten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollte sie sich dieser Aufgabe ohne zusätzlichen Ballast widmen", sagte Boots, der neue Ausbildungsleiter. Die meisten Schulräte stimmten ihm durch Nicken zu, vor allem Lucius Malfoy, dessen Wiedereinsetzung als Entschädigung für die fälschlich gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und die ungerechtigterweise verbrachte Haftzeit in Askaban erklärt wurde.

"Mr. Snape hat darum gebeten, seine Anstellung als Lehrer in Hogwarts zurückzuerhalten", sagte Boots. "Wie ich sehen kann unterrichtete er Zaubertränke und Verteidigung gegen die dunklen Künste. Stellt sich die Frage, welches Fach er nun unterrichten will, nachdem Professor Slughorn bekräftigt hat, in Dumbledores Angedenken in Hogwarts zu verbleiben. Damit würde auch die Frage der Hausleitung von Slytherin fällig. Hinzu kommt, daß Mr. Amycus Carrow, der sich um das Amt des Verteidigungslehrers beworben hat, durchaus gute Referenzen vorweisen konnte und sich früher gemeldet hat."

"Wie Sie wissen galt ich bis vor zwei Tagen noch als feiger Mörder Dumbledores", zischte Snape. "Da wäre ich wirklich sehr einfältig gewesen, mich offen um meine Wiederanstellung in Hogwarts zu bewerben." McGonagall, Flitwick, Sprout und Slughorn sahen ihn reserviert an. Snape unterdrückte den Impuls, zu legilimentieren. Die vier wußten doch überhaupt nicht, daß das hier schon längst gelaufen war. Das war keine Diskussion, sondern nur eine Bekanntmachung.

"Wer soll Dumbledore denn Ihrer Meinung nach umgebracht haben?" wagte es Godwin, der Vater eines Hufflepuff-Sechstklässlers. Genau auf die Frage hatte Snape so gespannt gewartet. Doch er überließ es Boots, die Antwort zu geben:

"Alle Verdachtsmomente sprechen für Harry Potter. Offenbar meinte dieser Junge, seine Aversion gegen Snape zu rechtfertigen, indem er Dumbledore tötete und Snape zum Sündenbock stempelte. Aber hat nicht funktioniert. Potter ist allen Aufforderungen, seine Anschuldigungen vor Zeugen zu begründen, nicht nachgekommen. Somit ist er nach allen vorliegenden Fakten der Hauptverdächtige. Minister Thicknesse möchte warten, ob er sich traut, nach Hogwarts zurückzukehren. Sollte er dies nicht tun, wird er zur Fahndung ausgeschrieben, als Mörder, Aufwiegler und Verräter an der magischen Welt." Minister Thicknesse nickte zustimmend. Die anwesenden Lehrer wagten nicht, Einspruch zu erheben. Denn vorhin hatten sie mit anhören müssen, daß die Sicherheit der Schüler in Hogwarts nur garantiert werden könne, wenn die Lehrer allen ministeriellen Anweisungen widerspruchslos zustimmten. Denn nach der Verschärfung der Schulpflicht bliebe nach einer möglichen Schließung von Hogwarts nur die Verwahrung aller Schulpflichtigen in einer vom Ministerium geführten Bildungseinrichtung. Diese Warnung war unmißverständlich. Wenn die Lehrer wollten, daß die ihnen anvertrauten Schüler nicht vom Ministerium ausgebildet wurden, mußten sie auf der Hut sein. Abbot überlegte wohl, ob er widersprechen sollte. Dann sagte er nur:

"Nun, sagen wir so, daß Aussage gegen Aussage steht. Wenn Harry Potter nach Hogwarts zurückkehrt, beweist das, daß er ein reines Gewissen hat." Snape mußte sich anstrengen, nicht verächtlich zu grinsen. Wie naiv war dieser Hufflepuff? Und dann fragte der auch noch, was denn mit den ganzen Muggelstämmigen sei, wo gerade diese Kommission gegründet worden sei.

"Vordringlich geht es uns darum, die bereits ausgebildeten Zauberer daraufhin zu überprüfen, ob sie wahrhaftig durch Geburt in den Besitz ihrer magischen Kräfte gekommen sind. Außerdem schreibt die Dienstanweisung für die Registrierungskommission für Muggelstämmige vor, daß ausschließlich volljährige Hexen und Zauberer sich dort zur Befragung einfinden müssen."

"ja, und was ist mit den Kindern?" Fragte Bowman, ein anderer Schulrat. Thicnesse ergriff das Wort.

"Sehr geehrte Damen und Herren des Schulrates, sowie geschätzte Mitglieder des Lehrkörpers von Hogwarts, die weiterführende Schulpflicht für alle, bei denen der Ansatz zu magischen Talenten erkannt wurde, gebietet doch eindeutig, daß alle Kinder und Jugendlichen bis siebzehn Jahren zum Besuch von Hogwarts verpflichtet sind. Eine Vorladung vor die Kommission würde sie daran hindern, dieser Pflicht nachzugehen. Und ich garantiere jedem in diesem Raum, daß ich, der Zaubereiminister, sowie meine engsten Mitarbeiter dafür bürgen, daß alle Schüler von Hogwarts sicher mit dem Hogwarts-Express von Kings Cross aufbrechen werden. Allerdings sollten wir dazu endgültig die vakanten Stellen besetzen, um die Schule handlungsfähig zu machen. Falls Professor Slughorn als kompetenter Zaubertranklehrer weiterunterrichten möchte, schlage ich vor, ihn in diesem Fach zu belassen, da ich selbst bei und von ihm sehr umfangreiches Zaubertrankwissen erworben habe und er noch lange keine Zeichen von Altersschwäche oder geistiger Umnachtung zeigt." Slughorn sah den Minister zufrieden an. "Ebenso ist unbestreitbar, daß Snape, sagen wir jetzt schon Professor Snape, ebenso seine Qualitäten bewiesen hat. Der selige Professor Dumbledore hat ihn immer in hohen Tönen gelobt und ihn gegen jede Anfeindung verteidigt. Es wäre daher wohl in Dumbledores Sinne, wenn sein Schützling die Chance erhält, das ihm entgegengebrachte Vertrauen zu rechtfertigen und die vakante Stelle des Schulleiters ausfüllt. Dann wäre auch die Prüfung von Amycus Carrow hinfällig. Seine Referenzen sollten ausreichen." Alle starrten den Minister, dann Snape und dann Boots an. Umbridge saß auf ihrem Stuhl und blickte erwartungsvoll in die Runde. Einigen Schulräten war deutlich anzusehen, daß dieser Vorschlag wie ein Schlag ins Gesicht war. Snape wußte, daß die Tage des mitbestimmenden Schulrates gezählt waren. Wer sich hier und heute so weit vorwagte wie Abbot könnte vielleicht demnächst großen Ärger kriegen. So tat er bescheiden und wartete geduldig, bis das vom dunklen Lord vorhergeplante Szenario seinen Lauf nahm. Professor McGonagall hatte ihren Blick gesenkt. Sie wußte, daß sie ihr Leben und das Wohl der Schüler riskierte, wenn sie jetzt gegen das Ministerium aufbegehrte. Zumindest war sich Snape dessen sicher. Außerdem gehörte sie dem Phönixorden an. Begehrte sie gegen die Entscheidung auf, würde er, Snape, ihre Entlassung aus dem Schulbetrieb erwirken. Dann brauchten seine Kameraden nur noch zuzugreifen. Doch Snape wollte McGonagall nicht ausliefern, wenn die intelligent genug war, die Chance zu nutzen, ihren Wert als Lehrerin zu wahren. Sie war so intelligent. Denn sie sagte kein Wort. So kam es, daß nach einer halben Minute nachdenklichen Schweigens Minister Thicknesse abstimmen ließ, ob Snape als Schulleiter nach Hogwarts zurückkehren sollte oder nicht. Bis auf zwei Enthaltungen stimmten alle Schulräte zu. Dann sagte Thicknesse wie im Vorfeld geklärt:

"Nun, es mag unter den Eltern immer noch Leute geben, die nicht fassen wollen, daß der angeblich so heldenhafte Harry Potter Professor Dumbledores Mörder sein könnte. Wenn wir jetzt schon verkünden, daß Professor Snape sein ordentlicher Nachfolger wird, könnte es zu Unruhen kommen. Daher schlage ich vor, daß wir diesen Beschluß erst am ersten September öffentlich verkünden. Bis dahin bitte ich Sie alle, über diese Zusammenkunft zu schweigen." Alle sahen den Minister betreten an. Snape bedankte sich artig für die Berufung und drückte den Lehrern gegenüber seine Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit aus. So war es auch nur eine Formalie, die Geschwister Carrow als Lehrer einzustellen. Snape, nun zum Schulleiter berufen, legte ein gutes Wort für Alecto Carrow ein, daß diese für das Schulfach Muggelstudien die geeigneten Kenntnisse mitbringe. Er fragte in diesem Zusammenhang noch einmal, ob Muggelkunde wirklich als neues Pflichtfach ab der ersten Klasse unterrichtet werden solle. Boots bejahte es und wies darauf hin, daß durch die Unkenntnis der Muggelwelt schon zu viele Mißverständnisse und Fehlentscheidungen im Bezug auf die nichtmagische Welt verursacht worden seien, besonders wo die Muggel nun immer komplexere Kommunikationsmittel besaßen und sehr genau darauf geachtet werden müsse, daß die Geheimhaltung gewahrt bleibe. Damit war die inszenierte Beratung vorbei. Die Lehrer trollten sich, die Schulräte, die nicht freiwillig für Snape gestimmt hatten, sahen den neuen Schulleiter mit einem Ausdruck großer Unsicherheit an. Snape tat so, als habe er das nicht gesehen. Der dunkle Lord würde zufrieden sein, wenn er ihm mitteilte, daß Hogwarts nun in seinem Sinne geführt würde.

__________

Soso, Medea. Da haben diese Schulräte sich doch glatt im Ministerium getroffen und den Mördergolem zum neuen Schulleiter ausgerufen", knurrte Ursina Underwood. Vor ihr stand die in einem roten Kleid gemalte Ausgabe Lady Medeas von Rainbowlawn. Sie hatte gerade die "frohe Kunde" von einem ihr ergebenen Zauberer erhalten, der ein Portrait im Ministerium besaß. Diese Trottel nutzten die Bilder zur Kommunikation, dachten dabei aber nicht, daß auch andere über Bilder kommunizierten.

"Snape hätte wohl tot umfallen müssen, um nicht zum Schulleiter ernannt zu werden", erwiderte Medea. "Ich habe diese Botschaft auch schon meinen lebenden Nachfahren mitgeteilt."

"Dann werde ich wohl mit Proserpina sprechen müssen, ob wir Lea wirklich noch nach Hogwarts zurückkehren lassen dürfen. Soweit ich weiß, wird diese zögerliche Genevra Hidewoods ihren Enkelsohn wohl auch nicht hinlassen."

"ich kann euch weiterhin als Kundschafterin von Nutzen sein, Lady Ursina. Aber ich kann nicht in alle Räume, und ich kann außerhalb meiner Welt nichts bewirken, wenn mir niemand dort behilflich ist."

"Das kläre ich mit Proserpina", knurrte Ursina Underwood. "Andere Frage, ihr sagtet, die nette Larissa Swann, die meinte, als ihre eigene Enkelin wiedergeboren werden zu müssen, habe den Jungen Julius Andrews vorgeschlagen, mit ihr und damit mit uns zusammenzuarbeiten. Er meinte ja, die ausgestreckte Hand von sich weisen zu müssen. Hält er immer noch Kontakt über das Bildnis Aurora Dawns?"

"Das wird er wohl nicht aufgeben, Lady Ursina", erwiderte Medea.

"Damit haben wir auch eine Verbindung nach Beauxbatons. Könnte immerhin sein, daß Anthelia meint, ihre alte Heimat beehren und von dort aus gegen den Emporkömmling kämpfen zu müssen."

"Ich denke, daß Lady Daianira sie immer noch gut beschäftigt", sagte Medea. "Allerdings habe ich Anthelias erste Herrschaft in England miterlebt und weiß, daß sie es nicht dulden wird, daß dieser Waisenknabe Britannien und auch Frankreich bedroht. Könnte ihr also einfallen, sich in Europa zurückzumelden."

"Unser Pakt gilt ja noch. Solange sie mich und die anderen ehrenwerten Sprecherinnen gewähren läßt, mag sie ihre Nachläuferinnen gegen den Emporkömmling werfen wie Schneebälle. Nur sollte sie dabei nicht mehr Schwestern von uns anwerben."

"Ihr müßtet sie töten, um sie daran zu hindern", feixte Medea. "Ihr habt es ja eben gesagt: Sie soll euch gewähren lassen. Also seid Ihr auf ihr Wohlwollen angewiesen."

"Der Tag wird kommen, wo sich erweisen wird, ob Anthelia wirklich recht getan hat, sich noch einmal auf einen lebendigen Körper einzulassen, Lady Medea. Wenn wir unser Ziel erreichen wollen, ist Beharrlichkeit wichtig, aber auch die feste Überzeugung, den Muggeln unsere Führung als einzig Richtig zu empfehlen. Sardonia ist daran gescheitert, Leute zu unterdrücken. Ihre Nichte hat zwar in England lange geherrscht, aber auch nicht mehr erreicht als einen heimlichen Krieg."

"Die Zeit läuft gegen uns, Lady Ursina. Die Muggel erfinden immer neue Geräte und Maschinen, die unsere Welt verheeren können. Vielleicht brauchen wir wirklich einen radikalen Wechsel, um ihnen die Zerstörung unserer Welt auszutreiben."

"Dann sollten es aber Schwestern sein, die wissen, wie Muggel denken und leben. Anthelia behauptet zwar, darüber im Bilde zu sein. Doch über die Neuerungen weiß sie wohl erschreckend wenig. Deshalb ist der Weg der Todesser ja auch so falsch. Wenn sie alle Muggelstämmigen auslöschen und damit alle Verbindungen in die Muggelwelt zerstören, wird die Zaubererwelt untergehen. In diesem Puntk bin ich mit unserer zu menschenfreundlichen Hauptsprecherin vollkommen einig. Wir brauchen die Muggelstämmigen, um das magische Blut frisch und unverklumpt zu halten. Wie haben sich diesbezüglich eigentlich die Schulräte verhalten?"

"Thicknesse und Boots haben ihnen glaubhaft versichert, daß alle von Hogwarts aufgenommenen Schüler wohlbehalten dorthin aufbrechen können."

"Soso, aufbrechen", grummelte Ursina. "Hätte er gesagt, dorthin gelangen können", hätte ich mich gewundert. So ist klar, daß der Irrsinn des Emporkömmlings die ganzen magisch begabten Kinder aus Muggelfamilien einholt, sobald diese den Bahnhof von Kings Cross hinter sich gelassen haben werden. Wie gesagt, ich halte Rücksprache mit Proserpina."

"Ich werde mich in Rainbowlawn einstellen, um einen Vorschlag zu machen, der nicht verbindlich sein soll", sagte Lady medea. "Sagt Eurer Nichte bitte, sie möge mich durch Adora informieren. Ich werde derweil mein gemaltes Selbst in Viento del Sol beehren, um sicherzustellen, daß auch die dortigen Schwestern Kunde erhalten, was auf den gefangenen Inseln vor sich geht."

"Gefangene Inseln. Ich würde lachen, wenn es nicht verdammt ernst wäre", knurrte Ursina.

"So ist es aber", erwiderte Medea. Ursina nickte nur. Dann zog sie den Vorhang vor das große, goldgerahmte Bild und kehrte in ihre Bibliothek zurück. Kaum war sie da, läutete eine kleine Glocke ohne Klöppel, die von der Decke herabhing. Das war das Signal, daß alle ranghohen Schwestern beider Fraktionen im Versammlungsraum des Berges zusammenkommen sollten. Offenbar hatte Sophia Whitesand etwas wichtiges zu verkünden. Ob die schon wußte, daß Snape Schulleiter von Hogwarts wurde?

Sie verließ ihr Haus zu Fuß und apparierte dann in den geheimen Versammlungsraum hinein, wo bereits mehrere Hexen warteten. Die magischen Fenster schienen alle auf einen Wald hinauszublicken. Lady Sophia saß vor Kopf des langen Konferenztisches und begrüßte die Ankömmlinge.

"Drei Punkte, werte Mitschwestern", begann Sophia. "Erstens, wir müssen unbedingt verhindern, daß alle Muggelstämmigen Britanniens von Umbridges Kommission abgefertigt und für immer weggeschlossen werden. Denn wie ihr alle unabhängig von euren sonstigen Absichten mit mir übereinstimmt wird die Zaubererwelt verdorren, wenn sie sich frischem Blut aus der nichtmagischen Welt verschließt. Ja, sie wird in Überheblichkeit den Muggeln gegenüber in offene Fallen der Muggel hineinlaufen. Damit bin ich schon beim zweiten Punkt, wir müssen unbedingt alle Reserviertheiten, die Mitschwestern gegen andere haben, zurückstellen. Wie immer wir unsere Ziele anzugehen wünschen, muß dieses zunächst hinter den Kampf gegen den Irrsinn des Emporkömmlings zurückgestellt werden. Daher schlage ich vor, daß wir alle an dem einen Ziel arbeiten, die Willkürherrschaft des Emporkömmlings so behutsam es geht zu dämpfen. Denn euch dürfte klar sein, daß jede offene Kampfhandlung nicht nur die daran beteiligten Schwestern gefährdet, sondern auch deren Familien. Allerdings gibt es genug Mittel, den Wahnsinnigen an der unbeschränkten Entfaltung seines Willens zu hindern. Neuigkeiten sind eine Methode. Heimliche Unterstützung gewaltloser Gegenaktionen eine andere. Ich denke hier vor allem daran, alle bedrohten Muggelstämmigen und ihre Familien außer Landes zu schaffen, sobald wir sie auch unter Verwendung von Muggelmitteln fortbringen können. Tom Riddle wird nicht ewig herrschen. Es gilt, den bis dahin möglichen Schaden so klein wie möglich zu halten. Ich habe einen Kontakt ins Ausland, der mit mir darüber einstimmt, daß wir alle magischen und nichtmagischen Mittel ausschöpfen müssen, um das Massaker an den Muggelstämmigen zu unterbinden. Drittens möchte uns Schwester Ceridwen eine Mitteilung machen, die für uns wohl in diesem Punkt wichtig sein kann."

"Ceridwen? Hat eine ihrer Töchter einen aus dem Ministerium angelacht?" Fragte Proserpina Drake. Die erwähnte Mitschwester lächelte mild und bat ums Wort. Dann sagte sie:

"Ich habe, Euer aller Zustimmung vorausgesetzt, bereits damit begonnen, bedrohte Muggelstämmige in Sicherheit zu bringen. Dadurch habe ich die Möglichkeit erhalten, einiges mehr über die nichtmagische Welt zu erfahren, was uns in den von Lady Sophia angesprochenen Punkten eins und zwei von großem Wert sein kann. Oder kennt eine von euch das Internet, Mobiltelefone oder elektronischen Postverkehr?" Die meisten schüttelten die Köpfe, bis auf Proserpina. "Schwester Proserpina, du hast ja die Gunst genutzt, jemanden zu heiraten, der mit derlei groß geworden ist, genau wie ich. Nur, daß mein werter Gatte, nachdem ich ihn in mein Gemach führen durfte, nicht mehr so recht auf dem laufenden bleiben konnte, zumindest nicht, was die praktischen Dinge angeht. Ich habe jedoch jemanden aufgenommen, der mit diesen Sachen gut genug vertraut ist, um uns zu beraten. Da ich ihn kaum zu den Versammlungen mitbringen kann, zumal ich nicht weiß, ob er bei uns bleiben wird oder nach Übersee wechseln möchte, bitte ich, daß diese Quelle nur von mir ausgeschöpft wird."

"So, du und deine drei ledigen Lieblingstöchter haben den jungen Tim Abrahams also verschwinden lassen", grinste Ethel Tormentus. "Gut, daß das eine von uns war. Wäre schade um den knackigen Burschen. Aber ich fürchte, Schwester, dem steckt trotz aller Heilbehandlung immer noch die grüne Waldkönigin im Schädel. Somit werden deine drei Rosen bis auf weiteres ungepflückt bleiben."

"Nur kein Neid, Schwester Ethel. Immerhin hat deine Tochter ja früh genug den Zauberer für's leben gefunden", erwiderte Ceridwen.

"Ja, und ich bin stolz, die Großmutter von drei prächtigen Enkeln mit frischem Blut aus der Muggelwelt zu sein, genau wie Norma."

"Da darfst du von ausgehen, Schwester Ethel", bestätigte Norma Wiffle. "Und ich stimme dir zu, Schwester Ceridwen, daß du gut daran getan hast, den jungen Abrahams in deine Obhut zu nehmen. Vielleicht erweist er dir doch die Ehre und pflückt eine deiner drei Rosen."

"Schwestern, wir sind uns also einig, daß wir die Möglichkeiten nutzen sollten, allen zu helfen, die dem Wahnsinnigen in den Kessel spucken. So laßt uns alles Wissen zusammentragen, was wir von unseren Verwandten aus der nichtmagischen Welt erwerben konnten und noch erwerben können. Unseren eigentlichen Zielen wird dies zweifelsohne auch zu Gute kommen. Denn wenn wir wirklich die fürsorgliche Führung durch uns Hexen etablieren wollen, ohne daß Angst und Mißtrauen die Triebfeder sind, ist umfangreiches Wissen der beste Ansatz", sagte Sophia Whitesand. "Ich werde also, wenn wir wissen, welche Verbindungswege das Ministerium uns gelassen hat, eine Vollversammlung aller britischen Schwestern einberufen. Bis dahin tragt euer Wissen zusammen und laßt euch nicht zu unbeherrschten Aktionen verleiten!"

Die Führenden der schweigsamen Schwestern stimmten zu und gingen. Sophia hielt jedoch Ursina, Proserpina und Ceridwen zurück.

"Ich gehe stark davon aus, daß euch auch schon die Kunde erreicht hat, daß Severus Snape Dumbledores Nachfolger wird. Vorgesetztenmord ist also schon hoffähig." Ursina blickte Sophia perplex an. Die hatte doch keinen Kontakt mit Medea.

"Schwester Patience hat es von Billings, einem der Schulräte, dem alleinerziehenden Vater."

"Dessen Sohn Eure Enkelin über das erste Jahr gebracht hat, Lady Sophia", knurrte Proserpina. "Aber was machen wir jetzt mit dieser Information."

"Wir werden wohl nicht wissen, wie sie die Muggelstämmigen Erstklässler behandeln. Ich habe im Moment nur die Liste der Erwachsenen, die befragt werden sollen. Wenn ihr Schüler kennt, dann sagt es jetzt bitte!"

"Wir müßten an Cynthia Flowers oder Lorna Oaktree herankommen. Die haben die Listen."

"Gute Idee, Schwester Proserpina", knurrte Ceridwen. "Pech nur, daß Lornas Neffe Jake seit drei Wochen spurlos verschwunden ist, nachdem er angeblich irgendwelche Enthüllungen über Scrimgeours Rücktritt veröffentlichen wollte, und Cynthia Flowers' Schwester zu einem Ausbildungsjahr im Ministerium "eingeladen" wurde. Was das heißt ist euch ganz sicher klar."

"Das wir nicht an die Listen kommen werden, bevor der Hogwarts-Express losfährt", stellte Ursina fest. Sophia Whitesand nickte. Proserpina meldete sich dann zu Wort:

"Schwester Ceridwen, ich brauche deinen Rat und womöglich deine Hilfe. Kennst du den Trank der Verborgenheit?"

"Ja, kenne ich", sagte Ceridwen ruhig. "Den würde ich jedoch nicht empfehlen, wenn Tarnzauber und Tarnumhänge es auch tun. Der hat so eine gemeine Nebenwirkung."

"Die ist mir bekannt, und ich habe es auch schon zur Sprache gebracht", knurrte Proserpina. Dann sah sie ihre Tante Ursina an und danach Sophia. "Ich möchte die Schwesternschaft um Mithilfe bitten, um herauszubekommen, was nun, wo Snape in Hogwarts mit den Carrows Riddles Ideen umsetzen will, mit den Schülern, vor allem den Muggelstämmigen passiert." Dann erklärte sie ihr Vorhaben. Sophia sah sie entgeistert an, während Ceridwen immer wieder nachdenklich und dann wieder verdrossen dreinschaute. Doch Proserpina blieb unerschüttert. Dann meinte Ursina:

"Schwestern, es kann uns nur daran gelegen sein, weiterhin über alles informiert zu bleiben. Medeas Bild kann nicht alles überwachen. Ich bürge dafür, daß wir unser bestes tun, um kein unnötiges Risiko einzugehen."

"Ich verstehe dich trotzdem nicht, Schwester Proserpina. Ich würde es nicht tun, egal um was es geht. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel", wandte Ceridwen ein und erhielt von Sophia Whitesand zustimmendes Nicken.

"Dann werden wir wohl ohne euch zurechtkommen müssen", sagte Ursina. Ceridwen sah sie trotzig an, während Sophia überlegte. Wenn die beiden ungeduldigen Schwestern ihren Plan durchziehen wollten, würden sie es tun. Allerdings würden die geduldigen Schwestern dann nichts davon mitbekommen. Sie wog es ab und befand, daß das Risiko geringer war, wenn die gesamte Schwesternschaft daran beteiligt war. Allerdings wollte sie Proserpina und Ursina nicht bedingungslos helfen.

"Kennst du dich mit dem Trank der Verborgenheit aus?" Fragte Sophia Proserpina.

"Ich könnte ihn brauen, allerdings nicht in der nötigen Menge bis Monatsende. Ich hoffte eigentlich auf Schwester Ceridwens Erfindung, den Expansionstrank, der die Wirkung schwer zu brauender Zaubertränke in sich aufnimmt, so daß kleine Dosen des Auslösers zu einer Menge des gleichwirksamen Elixiers führen", sagte Proserpina. Sophia Whitesand und Ceridwen nickten. Dann sagte die Gesamtführerin der Hexenschwestern:

"Nun, ich erlaube es Schwester Ceridwen, dir zu helfen. Allerdings erwarte ich von dir zwei Gegenleistungen. Erstens werden wir über alles informiert, was dabei in Erfahrung gebracht wird. Zweitens wirst du mit deinem Mann darauf hinarbeiten, eine zweite Tochter zur Welt zu bringen oder auch zwei zur gleichen Zeit. Ich sehe nicht ein, warum deine Blutlinie und damit unser Fortbestehen derartig leichtfertig auf's Spiel gesetzt werden sollte."

"Ich soll mich ... soll noch mal ...", stammelte Proserpina, während Ursina Sophia verdutzt ansah. Ceridwen grinste für einen Moment.

"Du wirst mir den Unbrechbaren Schwur leisten, daß du beide Gegenleistungen erbringen wirst, ab dem Zeitpunkt, ab dem der Schwur gilt. sonst spreche ich hier in der geweihten Halle ein stricktes Verbot aus, diesen Plan umzusetzen. Und was das heißt weißt du, Schwester Proserpina."

"Ich kann den Einsatz auch bringen, Lady Sophia", knurrte Ursina.

"So wie du das gerade sagst würde es dir mehr Unmut als Freude bereiten, Schwester Ursina. Außerdem will ich nicht, daß du einen arglosen Mann dazu zwingen mußt. Deine Nichte will diesen Plan umsetzen, also verlange ich von ihr die erwähnten Gegenleistungen. Sie ist verheiratet und kann so in Liebe und Freude ausführen, was ich gerade verlangt habe. Außerdem halte ich sehr viel davon, wenn Kinder von beiden Elternteilen aufgezogen werden. Nein, entweder Proserpina wird diesen Einsatz erbringen oder der Plan wird von mir untersagt. Dixi!"

"Ich kann doch nicht gezielt auf eine Tochter hin... öhm, die Chancen sind halb und halb, meine ich", sagte Proserpina nun errötend. Ceridwen zuckte nur mit den Schultern und erwiderte:

"Es gibt eine Salbe, die bewirkt, daß nur die für die Zeugung eines Mädchens fähige Saat überlebt, sobald sie in deinen Schoß gelangt ist, Schwester Proserpina. Was meinst du, wie ich drei rote Rosen hervorgebracht habe, bevor ich meinem langsam verzweifelnden Mann den Gefallen tat, ihm auch einen strammen Jungen auszubrüten." Sophia sah Ceridwen leicht ungehalten an. In die Zeugung von Kindern hineinzufuhrwerken gehörte eigentlich nicht zu den guten Gepflogenheiten der Schwesternschaft. Doch weil auch die Verhütung von ungewollten Kindern hingenommen wurde, mußte sie es wohl auch erlauben, das Geschlecht des künftigen Kindes festzulegen, zumal Ceridwen ja auch einen Jungen geboren hatte, der wohl eine andere Mitschwester heiraten könnte. So nickte sie nur und bestand auf die Annahme der beiden Bedingungen. Ceridwen vollzog dann mit Sophia und Proserpina den Zauber des unbrechbaren Schwurs.

"Wirst du mir unverzüglich und vollständig berichten, was du aus Hogwarts erfährst?" Proserpina zögerte einen Moment. Dann sagte sie: "Ja, ich will." Von Ceridwens Zauberstab aus wand sich eine Feuerschlange um die Hände Sophias und Proserpinas. "Wirst du alles daran setzen, mit dem Ehemann innerhalb der nächsten zwei Jahre mindestens einer gesunden Tochter das Leben zu schenken?" Proserpina atmete durch und beschwor auch dieses. Eine weitere Feuerschlange legte sich um ihre und Sophias Hände. "Und wirst du unverzüglich weitergeben, was ich dir ausrichte, sei es eine Frage oder ein Befehl?" "Ja, ich werde es tun", seufzte Proserpina. So wanden sich die Feuerschlangen fest um die Hände, bis sie nach einigen Sekunden in einen Funkenregen auseinanderflogen, der Proserpina einhüllte und verging. Damit wurde der unbrechbare Schwur wirksam. Ursina sah die drei Mitschwestern mit versteinerter Miene an. Doch sie sagte nichts. Jetzt war ihre Nichte magisch gebunden und mußte tun, was sie zu tun geschworen hatte. Brachte sie also in den nächsten zwei Jahren keine Tochter zur Welt, würde sie sterben. Eigentlich hätte Ursina Sophia deswegen sehr böse sein müssen. Doch sie erkannte, daß sie in dieser Lage nicht anders gehandelt hätte. Die beiden mit einander verwandten Hexen verabschiedeten sich ergeben und disapparierten.

"An dieser Last wird sie Schwerer tragen als an jeder Schwangerschaft", kicherte Ceridwen. "Das war eine geniale Idee, Lady Sophia."

"Offenbar braucht sie wieder Nachhilfe in mütterlicher Fürsorge, wenn sie derartig skrupellos ist", knurrte Sophia. "Aber das mit der Hexensalbe, die gezielt nur Töchter entstehen läßt, ist nicht ganz im Sinne unserer Naturauffassung, Schwester Ceridwen."

"Ist es doch, wenn unsere Ziele darin bestehen, den Hexen eine fürsorgliche Führungsrolle zu geben. Es ist schwerer, einen Sohn in die richtige Obhut zu geben als einer Tochter durch die Einberufung zu helfen, eine gute Partie zu finden. Habt ihr selbst häufig gesagt, Lady Sophia."

"Ich entsinne mich. Das ist auch der Grund, warum ich dir nicht grollen kann, Schwester Ceridwen. Doch erzähl mir bitte noch, ob der junge Mann Tim Abrahams ohne Zwang bei dir verbleibt oder von uns außer Landes geschafft werden will."

"so wie es aussieht, ist das Feuer, daß einmal in ihm loderte, langsam aber sicher wieder entflammt. Aber ich bin jederzeit bereit, ihn aus meiner Obhut freizugeben."

"Das glaube ich dir. Zwang führt nur zur Ablehnung. Das haben Ursina und Proserpina leider vergessen."

"Ich habe es Ursina angesehen, daß sie Euch sehr gerne daran gehindert hätte, den irrwitzigen Plan zu verbieten. Aber ich muß jetzt wieder fort, um den geforderten Expansionstrank zu brauen. Hoffentlich kommt sie mit den Nebenwirkungen zurecht. Ich würde den Trank nicht andauernd trinken."

"Proserpina wird es wohl erwähnt haben. Falls nicht, ist das ihre Schuld."

"Ich werde es noch mal erwähnen, wenn ich den Trank rüberbringe", sagte Ceridwen. Sophia nickte. "Bis dann, Lady Sophia. Semper Sorores!"

"Semper Sorores, Schwester Ceridwen", erwiderte Sophia korrekt.

Mit einem leisen Plopp disapparierte die rothaarige Enkeltochter Arianrhod McFustys. Sophia Whitesand kehrte in ihr verstecktes Gut in Whitesand Valley zurück, wo sie fast einen kräftig getretenen Ball an den Kopf bekam.

"Na, so begrüßt man aber seine Gastgeberin nicht", lachte sie Mike Leeland an, der den Ball getreten hatte.

"'tschuldigung, wußte nicht, daß Sie sich genau da materialisieren wollten, Mrs. Whitesand", sagte er mit roten Ohren. Sophia lächelte ihn jedoch verzeihend an und sagte.

"Ich muß mich wieder dran gewöhnen, das lebhafte Jungen in diesem Tal wohnen. Noch viel Spaß, Mike!"

"Danke, Madam", sagte Mike und suchte Chester Powder, der zusammen mit seinem Vater am anderen Ende der Spielwiese stand.

"Hättest die nette Hexenlady fast erwischt, Mike. Aber das hat mich auch erschreckt, wie plötzlich die sich hingebeamt hat!" Rief Chester.

"Die müßten ein Magnetfeld über dieses Tal spannen, das illegales Beamen verhindert", meinte Mike noch. Mr. Powder meinte dazu:

"Rein physikalische Methoden brächten es wohl nicht, wo diese Dame Einsteins Relativitätstheorie mit einem Hüftschwung aushebelt. Abgesehen davon handelt es sich bei diesem Vorgang wohl um einen begrenzten und temporären Trans-Warp-Kanal durch ein extraphysikalisches Gefüge. Sie knäuelt sozusagen ihren Ausgangspunkt und den Zielort für einen winzigen Zeitabschnitt zusammen. Ich fürchte nur, daß ich nie die Gelegenheit haben werde, Kollegen zu erläutern, daß die Teleportation von Materie doch möglich ist."

"Die würden Sie für Irre oder einen von vielen Science-Fiction-Erzählern halten, Sir", sagte Mike und schlug vor, weiterzuspielen, als Janine Powder mit einem großen Stapel Büchern heranwatschelte.

"Janine, muß das jetzt sein?" Knurrte Gerry Powder.

"Ist mir noch nicht zu schwer, Gerry. Außerdem gleicht es mich aus, wenn ich oben noch ein paar Pfund drauflege, wo unten schon zwanzig Kilo liegen", ächzte sie und winkte Mike.

"Eure Schulbücher. Deine Schwester sitzt bei den anderen Mädchen. Pina hat sich mit ihren Eltern jetzt auch hier angemietet, hat Prudence gesagt. Dann ist da noch so eine blondgelockte junge Dame, die Lady Hidewoods mitgebracht hat."

"Die habe ich gesehen. Gloria heißt die. Sieht hübsch aus. Macht aber irgendwie den Eindruck, 'ne Streberin oder schon zwanzig zu sein", sagte Mike. "Soll die sich ruhig mit Mel unterhalten. - Ich nehm die Ihnen ab."

"Sollten wir nicht langsam befinden, du zueinander zu sagen", meinte Gerry Powder. Seine nun im sechsten Monat schwangere Frau nickte, während sie Mike die Bücher gab. "Immerhin sind wir ja jetzt wohl sowas wie eine Familie mit Onkeln und Cousins."

"Nur wenn Ihre Frau mir gleich fünf Biobücher auf einmal auflädt und mir da was draus beibringen will weiß ich nicht, ob ich zu ihr "Du" sagen kann. In Eton duze ich meine Lehrer ja auch nicht."

"Schon gemerkt, daß Eton für dich Geschichte ist?" Fragte Chester Powder. Mike nickte. So verabredeten sie die persönliche Anrede.

Mittags saßen sie dann noch zusammen mit Gloria, die heilfroh war, daß Pina und Olivia noch lebten. Sie sagte jedoch, daß sie nach Hogwarts fahren wolle, allein schon wegen Betty und Jenna. Deren Mutter war jetzt im Innendienst.

Dann werden wir wohl die nächsten Wochen zusammen lesen und lernen", sagte Pina. "Tante Genevra hat befunden, daß ich mit Olivia genauso gut hier lernen kann. Außerdem kann ich dann mit Tante Gerty, Mel und Mike reden, ohne durch ein Feuer springen zu müssen."

"Ja, und du kannst dir ansehen, wie eine Frau ein Kind zur Welt bringt", meinte Melanie. Pina sagte dazu nur: "Julius hat schon bei einer Geburt geholfen und bei einer zugesehen. So eklig kann das nicht sein."

"Das sagst du aber nur, solange du selbst kein Kind bekommen hast", lachte Janine Powder. Mike grinste. Darauf meinte Sophia Whitesand, daß sie fünf Kindern das Leben geschenkt habe und daß man sich mit der Zeit daran gewöhnen könne.

"Sie sind auch eine echte Hexe. Da ist das wohl leichter durchzuhalten", sagte Janine Powder. Sophia schüttelte behutsam den Kopf und verwickelte die werdende Mutter in eine lebhafte Unterhaltung über ihre Kinder, Enkel und Urenkel, von denen Prudence gerade anwesend war.

__________

Anthelia hatte die Tage bis zum einunddreißigsten August damit zugebracht, niedere Wirbeltiere mit dem Gift zu traktieren. Doch dabei waren diese qualvoll verendet und teilweise in kleinen Feuerbällen oder wie in Säure geworfen zerfallen. Für die gelernte Heilerin waren das jedoch Indizien, daß sie die Natur des Giftes vielleicht irgendwann entschlüsseln konnte. Sie hatte sich auch immer wieder in Rom umgehört, ob die verbliebenen Schlangenwesen wieder aufgetaucht waren. Doch das hieß für die Führerin der Spinnenschwestern nur, daß sie aus dem Kampf im Kanalsystem die Lehre gezogen hatten, nicht aufzufallen, solange sie nicht offen zur Schlacht aufgefordert wurden. Anthelia wußte, daß von Voldemort auf seinen unterworfenen Inseln irgendwann der entsprechende Befehl ausgehen würde. Und sein Echo würde die Welt erschüttern. Sie hatte jedoch auch etwas in Händen, um seine Giftwürmer zu bekämpfen. Sie hoffte nur, daß ihre Streitmacht bis dahin groß genug war, um es mit den uralten Kriegern der Vorzeit aufzunehmen.

ENDE

Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 31. Oktober 2008besuchten 4747 Internetnutzer diese Seite.