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Anthelia, die wiedergekehrte Nichte der einstigen Hexenführerin Sardonia, hat im ersten Jahr ihres zweiten Lebens bereits viele gefährliche Situationen überstehen müssen und nur mit besonderer Vorsicht und Verschlagenheit ihre Macht ausdehnen können. Ihr "Netz der Spinne", das aus ihr getreuen Hexen besteht, umspannt bereits einen Großteil der Zaubererwelt. Sie hat sich den nichtmagischen Jugendlichen Benny Calder als Kundschafter in der magielosen Welt gesichert und diesen, als er ihr in zu viele Schwierigkeiten geraten war, mit dem Körper und der Erinnerung des Senatorensohnes Cecil Wellington an einem guten Ort für die Spionage in der amerikanischen Muggelwelt untergebracht. Neben dem alle Zauberer und sogenannten Muggel gleichermaßen bedrohenden Dunkelmagier Voldemort bedroht auch eine aus jahrhundertelangem Schlaf erweckte Kreatur in Frauengestalt, Hallitti, die Tochter des Abgrunds die Welt. Diese unterwirft sich den englischen Wissenschaftler Richard Andrews und macht ihn zu einem gefährlichen und schier unverwüstlichen Massenmörder. Erst Unter Verwendung seines Sohnes Julius, der von Hallitti als Nachfolger Richards auserkoren war, erringt Anthelia den Sieg über dieses Geschöpf und vernichtet es. Um sich mehr Macht anzueignen versucht Anthelia, ein altes Erbe aus einem uralten Reich von Magiern zu erbeuten, den Stein der großen Erdmutter. Doch dieser liegt tief im Meer, sodaß sie eine gefährliche Zauberei benutzen muß, die sie und ihre junge Bündnisschwester Patricia Straton für einen halben Tag in Meerfrauen verwandelt. Sie kämpfen sich an tödlichen Ungeheuern und Zauberfallen vorbei, bis Anthelia alleine in das Labyrinth vorstoßen kann, in dem der Stein verwahrt liegt. Beinahe fällt sie der dem Stein innewohnenden Wächterseele der großen Erdmutter selbst zum Opfer, wenn nicht die in Anthelias dunklem Seelenmedaillon gefangene Sarah Redwood freigekommen und arglos mit dem Medaillon an den Stein gestoßen wäre. Sarah und die große Erdmutter verschmelzen zu einer Einheit und treiben Anthelia aus der Höhle, in der der Stein liegt. Knapp vor Ablauf der Zeit, um sich wieder in eine Frau zurückzuverwandeln erreicht Anthelia um ihren Erfolg geprällt das rettende Boot, wo Patricia Straton schon auf sie wartet. Als sie ihre ursprünglichen Körper zurückbekommen, kehren Anthelia und Patricia in ihr Hauptquartier, einer alten Plantagenbesitzer-Villa im US-Staat Mississippi zurück. Von dort aus plant Anthelia den nächsten Schritt, ein Bündnis mit den bisher alleinigen Vertretern der Nachtfraktion.
Mit Hilfe der doch nicht von Voldemort ermordeten Lady Ursina und ihren bereits abgeworbenen Mitschwestern bringt sie die Führerinnen der Nachtfraktionsschwesternschaft an einem Ort zusammen, an dem eine mächtige Magie wirkt, die von Anthelia dazu benutzt wird, sich vor möglichen Übergriffen zu schützen. Dort gibt sie sich den sonst so mächtigen Hexen zu erkennen und erntet keinesfalls große Zustimmung. Erst als zwei der einbestellten Hexenladies bei Fluchtversuchen und Angriffen auf Anthelia den Tod gefunden haben, lenken die Führerinnen der bestehenden Hexenschwesternschaft ein und geloben Anthelia, ihr zu folgen. Mit diesem still und leise errungenen Erfolg im Rücken fast Anthelia das nächste Ziel ins Auge.
Voldemort trifft derweil in Russland auf den skrupellosen Magier Igor Bokanowski. Beide können einander noch nicht unterwerfen. So schließen sie ein gegenseitigges Stillhalte- und Duldungsabkommen. Bokanowski, der mit teuflischem Vergnügen Experimente mit unschuldigen Menschen macht und auf magische Weise mehrere Doppelgänger von sich hergestellt hat, will sich jedoch nur solange an dieses Abkommen halten, bis er Armeen aus neuen Monstern aufgestellt hat, was jedoch durch einen herben Rückschlag in etwas weitere Ferne rückt. Auch Voldemort denkt nicht daran, sich länger an das Abkommen zu halten. Er trachtet nach einer uralten Waffe, mit der er eine unüberwindliche Macht in Händen halten kann.
Ihre Nüstern weiteten sich rhythmisch, und laut fauchend strömte die Luft in ihre breite Nase. Die violetten Augen rollten bedrohlich herum, suchten die Umgebung ab. Es war eine warme Helligkeit her, daß sie von einem streunenden Männchen gestört worden war, das in ihr weitläufiges Revier einflog und versuchte, ihre Brut zu vernichten, um sie bald möglich wieder in Paarungsstimmung zu bringen. Sie hatte sich mit dem etwas kleineren, aber sehr aggressiven Artgenossen einen wilden Kampf geliefert, wobei sie ihm ein Stück des linken Flügels abgerissen und ihm fast die Augen verbrannt hatte. Er hatte sich geschlagen davongemacht. Doch noch lange hatte sie sein schmerzvolles und wütendes Schnauben und Brüllen hören können. Dann war er außerhalb des ihr gehörenden Revieres, umgeben von kahlen Felsenbergen und Wäldern, in denen sie sich oft versteckte, wenn sie nicht einige kleine Bäume ausrupfte wie Gras und mit deren Holz ein Feuer in ihrem Nest in Gang hielt, um die zwanzig mattschwarzen Eier zu erwärmen. Bald würden daraus zwanzig Junge schlüpfen. Von denen würden es aber wohl nur vier schaffen, groß und stark wie sie selbst zu werden.
Ihr mächtiger, mit schwarzen Schuppen übersäter Leib wirkte wie eine Drohung an die umgebende Landschaft, bloß keinen Ärger zu machen. Der Kamm aus rasiermesserscharfen Zacken, der sich von ihrem Nacken bis zur Schwanzspitze über den Rücken zog, lag nun ruhig an, konnte aber jederzeit zum neuen Kampf aufgestellt werden. Aus der meterbreiten Schnauze mit den gefährlichen Zähnen glühte ab und an ein orangeroter Feuerhauch. Ansonsten hockte die schwarze Hebridin mit zusammengefalteten Flügeln über den zwanzig Eiern. Das sie der Stolz einer Gruppe männlicher Zweibeiner war, war ihr nicht bekannt und ohnehin so egal, wie es einem Vogel egal ist, ob ein Wurm ihn verehrt oder fürchtet. Oft versuchte sie, die ihr klein und zerbrechlich aussehenden Geschöpfe zu fangen oder mit ihren Feuerstrahlen zu erledigen. Doch sie konnten einfach verschwinden oder tauchten plötzlich zu siebt um sie herum auf und machten etwas, daß sie einfach umfiel und nichts machen konnte. Und jetzt, wo sie wieder Eier bebrütete, wagte sich keiner von denen an sie heran. Die wußten wohl, daß sie jetzt besonders aufpassen mußte und auch viel fressen mußte. Das sie nicht verhungerte lag daran, daß in ihrem Revier rosarote Vierbeiner mit runden Nasen herumliefen, die grunzten oder quiekten. Die waren leicht mit dem Feuerstrahl zu erledigen.
Ein für sie völlig ungewohntes Geräusch drang in ihre unter festen Schuppen liegenden Gehörgänge. Sie warf den Kopf herum und suchte mit den Augen nach dem, was diese Geräusche machte. Es war keiner der Zweibeiner und auch keiner ihrer Artgenossen. Dieses wummernde Geräusch war was ganz anderes, was, das sie wütend machte. Was war das für ein Etwas, das da genau auf sie zuhielt? Sie erblickte etwas wie einen langgezogenen Vogel mit Flügeln auf dem Rücken, die sich rasendschnell drehten. Das Etwas flog genau auf sie zu. Sie mußte es loswerden!
An Bord der USS Ulysses Grant herrschte die übliche disziplinierte Betriebsamkeit. Der gerade vor einem halben Jahr in Dienst gestellte, atomkraftgetriebene Flugzeugträger befuhr im Zuge einer Übung die Nordsee in der Nähe der Hebriden, um zusammen mit einer Staffel britischer Jagdflugzeuge ein Manöver zur besseren Zusammenarbeit innerhalb der NATo durchzuführen. Das Mutterschiff der vier Jäger, die HMS Lord Nelson, kreuzte 200 Kilometer westlich im Nordatlantik.
Captain Clayton Sutton, der Kommandant der Ulysses Grant, beobachtete voller Stolz die schnell aufeinander folgenden Starts von vier F-14 Tomcat. Viermal hintereinander schleuderte das Dampfdruckkatapult eines der Kampfflugzeuge in den von hellgrauen Wolken beherrschten Himmel über der schottischen See. Neben ihm stand der Kommandant der Lord Nelson, Captain Templeton Abrahams, der es sich nicht hatte nehmen lassen, mit einem der Harrier von der Nelson herüberzukommen. Für den früher ausschließlich als Piloten eingesetzten Offizier der Royal Navy war es wie eine Verjüngungskur gewesen, den Steuerknüppel eines Jägers zu bedienen und seinem amerikanischen Offizierskollegen Sutton die Platzsparenden Eigenschaften einer Harrier-Landung zu demonstrieren. Sein erster Offizier Bakersfield befehligte derweil die Nelson, die auf ihrer Warteposition verbleiben und die gemeinsamen Übungen der britischen und amerikanischen Staffeln beobachten sollte.
"Unser U-Jagd-Hubschrauber mit Admiral Taggert an Bord hat Eure Unterwasserdronen geortet, Templeton", sagte Sutton sehr zufrieden. "Wenn das neue Laserecholot sich bewährt können wir jedes getauchte U-Boot finden, ob es gerade auf Grund liegt oder mit AK voraus fährt."
"Ich fürchte, Clayton, euer Verfahren ist noch nicht ganz so ausgereift. Ich hörte sowas von wegen Wasserdichtedifferenzüberempfindlichkeiten und dergleichen", sagte Abrahams. Er mochte es sehr, seinen amerikanischen Waffenbruder auf den Boden zurückzuholen, wenn dieser die technische Überlegenheit der US Navy pries. Auch diesmal hatte er damit Erfolg.
"Spioniert euer MI6 jetzt auch die eigenen Verbündeten aus?" Fragte Sutton etwas verschnupft.
"Genau wie eure CIA", konterte Abrahams mit einem jungenhaften Lächeln und wertete diesen kurzen verbalen Schlagabtausch als Erfolg.
"Nun, zum Teil will der Admiral genau deshalb die Tests selbst beobachten, wo er ja promovierter Laserphysiker ist. Aber das sagst du bitte keinem deiner Untergebenen!" raunte Sutton Abrahams zu. Im gleichen Moment schallte die aufgeregte Stimme von Suttons ersten Offizier: "Captain bitte sofort auf die Brücke!"
"Hups, klingt nicht gerade ruhig, der Junge", sagte Abrahams. Sutton nickte und spurtete los, um so schnell wie möglich zu seinem Kommandostand zu gelangen. Templeton Abrahams folgte ihm und erkannte wieder, daß an seinem Freund ein Mittelstürmer verlorengegangen war, wenn dieser mit neunundvierzig noch so einen Antritt hatte.
Als Sutton die Kommandobrücke stürmte kam ihm sein erster Offizier, Commander Wilson schon entgegen und gab ihm einen Zettel.
"Nachricht vom Radar, Sir. Sie haben Probleme, den Helikopter zu beobachten. Auch die Funkzentrale bekommt mehr und mehr Störungen herein."
"Was?!" Bellte Sutton. "Wo ist die Maschine gerade?"
"Bei der letzten klaren Ortung war sie ... hier", sagte der erste Offizier und tippte mit seinem rechten Zeigefinger auf einen Punkt auf der elektronischen Seekarte.
"Sagen Sie Lieutenant Towers, ich will mit dem Piloten der Maschine sprechen!" Befahl Sutton.
"Aye, Sir!" Bestätigte Wilson den Befehl und gab ihn an die Funkbude der Ulysses Grant weiter. Keine drei Sekunden später kam die von Brummen, Piepen, Knacken und Rauschen durchsetzte Stimme eines Mannes aus dem Lautsprecher der Kommandobrücke.
"..ind ..ber ..ner Insel. GPS ...sgefallen. Kei... ...naue Position mehr. Kompasse alle ausgef..."
"Wir verlieren die Verbindung", mischte sich die Stimme des diensthabenden Funkers in die Symphonie der Störgeräusche hinein.
"Was denn für eine Insel, Commander Wilson?" Fuhr Sutton seinen ersten Offizier an. Dieser machte ein ratloses Gesicht und prüfte noch einmal die letzte sichere Ortsangabe des Hubschraubers.
"Dort liegt im Umkreis von zwanzig Seemeilen keine Insel. Die südlichen Inseln der Hebriden wären die einzigen, die da zu finden wären. Allerdings wäre der Helikopter dann sehr weit nach Norden abgedriftet. Das hätten die gemerkt und unser Radar hätte es auch nachgemessen."
"Wie sieht es mit dem Wind aus?" Fragte Sutton.
"Gerade bei zwanzig Knoten aus südwest, kein Problem für die Maschine."
Templeton Abrahams überkam bei der kurzen Unterhaltung ein Gefühl von Beklommenheit. Die Störgeräusche aus dem Funk und die angeblichen Schwierigkeiten, den ausgeschickten U-Jagd-Hubschrauber erfaßt zu halten gefielen ihm ebenso wenig wie die arg verstümmelte Durchsage des Piloten, er überfliege gerade eine Insel. Ganz dunkel erinnerte er sich an etwas, daß Tim ihm einmal erzählt hatte, als er in der letzten Klasse der sehr befremdlichen Schule gewesen war, wo man Sachen lernte, die für die allermeisten Menschen nicht existierten.
"Radar an Brücke! Habe gerade den Kontakt zu SMDH vier null Charlie verloren."
"Brücke an Radar! Wie ist das passiert?" Fragte Sutton.
"Captain?" Kam eine Gegenfrage zurück. Sutton bestätigte es. "Es sah so aus, als flackere der Helikopter und zerfiel dann in ein Muster aus Schlieren, die eine Sekunde später fort waren. Ich habe die Anlage auf Maximalleistung hochgefahren. Keine erneute Erfassung mehr."
"Sir, neuer Funkspruch vom Helikopter!" Meldete der Funker und schaltete erneut den von wilden Störgeräuschen überfluteten Kanal auf den Lautsprecher.
"Über Insel... ...terhin kein GPS. Was ... das? Unbekanntes ...ugobjekt auf ..fangkurs! ... aus wie ...rache! ...hole, un...tes Flugobjekt ... aus ... - ... Feuer!"
"Sir, Signal nun endgültig verloren", meldete der Funker vom Dienst, als nur noch lautes Rauschen und Krachen zu hören war.
Abrahams war unmittelbar sehr alarmiert, als stehe er unmittelbar vor einem Kampf mit einem übermächtigen Feind. Er wandte sich an Sutton:
"Clayton, ich fürchte, die Maschine ist verloren."
"Niemals!" Knurrte Sutton, dem die ungewöhnliche Beklommenheit seines Gastes nicht sonderlich beeindruckte.
"Welche Maschinen haben wir in der Nähe der letzten sicheren Position?" Erkundigte er sich. Als er erfuhr, daß die beiden Tomcats unter den Lieutenants Saunders, Rufname Bowman und Michelsen, Rufname Dragonhead, am nächsten an der letzten feststellbaren Position waren gab er Anweisung, die beiden umgehend hinzuschicken." Abrahams sah den Kommandanten der Ulysses Grant sehr verunsichert an und sprach auf ihn ein:
"Captain Sutton, lassen Sie die Maschinen nicht dort hinfliegen! Lassen Sie sie nicht dort hinfliegen, wenn Sie nicht noch mehr Leute verlieren wollen!"
"Captain Abrahams, bei allem Respekt, hier kommandiere immer noch ich", raunzte Sutton seinen Gast an, während die Piloten den erhaltenen Befehl bestätigten.
Erst als die neue Mission an die zuständigen Offiziere übergeben war, wandte sich Sutton zu Abrahams um und blaffte:
"Ich verlange umgehend eine Rechtfertigung für diese Einmischung, Captain Abrahams. Wir gehen in meinen Bereitschaftsraum. Wilson, Sie haben wieder die Brücke, bis Sie etwas neues haben."
"Sir, bei allem Respekt möchte ich darauf hinweisen, daß Sie im Moment besser auf dem Posten bleiben möchten, solange wir nicht wissen, was genau passiert ist", widersprach Wilson.
"Ich werte das als gerechtfertigten Einwand, Wilson und nehme ihn zur Kenntnis", erwiderte Sutton. Er deutete auf Abrahams und fuhr fort: "Aber ich muß mit diesem Gentleman hier klären, was ihn da eben geritten hat, in meine Befehlsausgabe hineinzureden. Beinahe hätten meine Piloten das Flugziel nicht richtig verstanden."
"In Ordnung, Sir, ich hoffe, die Unterredung wird nicht all zu lange dauern", sagte Wilson nickend.
"Dann folgen Sie mir umgehend in meinen Bereitschaftsraum, Captain Abrahams!" Kommandierte Sutton den britischen Marineoffizier hinter sich her.
Es war echt gespenstisch, fand Lieutenant Commander Terranova, der den mit der Lasersuchvorrichtung bestückten Langstreckenhubschrauber flog. Erst kamen nur noch Störgeräusche über Funk, dann begann auch noch das Radar verrückt zu spielen. Wild flackernde Schlierenmuster und aufblinkende Vielecke, die sich in verwirrende Bildpunktschwärme auflösten bevölkerten den bis dahin völlig leeren Monitor. Auch die Kompasse begannen immer wilder zu kreisen, und die Positionsanzeige des GPS-Empfängers sprang auf völlig sinnlose Werte um, bevor die Anzeige komplett erlosch. Die Bordelektronik schien ebenfalls von einer merkwürdigen Störung ergriffen zu sein. Denn die Maschine begann zu schlingern und zu bocken wie ein wildes Pferd. Nur mit Mühe hielt der Pilot die Maschine auf Kurs.
"Masssive Störungen aller Systeme", sagte Terranova über Funk durch. Doch auch die Funkanlage spielte verrückt. So wußte er nicht, ob die Durchsage an den Funker der Ulysses Grant durchkam oder nicht. Er rief immer wieder ins Mikrofon, daß sie gerade über einer karg bewachsenen Felseninsel dahinflogen. Dann tauchte etwas auf, mit dem er absolut nicht hatte rechnen können.
In der Ferne erschien ein schwarzer Punkt direkt voraus und hielt auf die Maschine zu, dabei erst zu einem undeutlichen Fleck werdend, um dann zu etwas zu werden, daß Terranova zuerst für einen Vogel hielt, bis er an seinen Augen zweifelte. Denn was da auf ihn zuhielt war eine riesige, mit schwarzen Schuppen bedeckte Echse mit großen, lederartigen Flügeln, die wild auf und ab schwangen. Solch ein Wesen konnte es doch nicht wirklich geben.
"Das kann es nicht geben!"hörte er seinen Copiloten rufen. Da wußte er, er war nicht der einzige, der einen großen, schwarzen drachen auf sich zufliegen sah.
"Terranova, was ...?" Herrschte Admiral Taggert den Piloten an. Doch als auch er das einem Märchenbuch entsprungene Monstrum sah, erstarb der letzte Rest des Satzes in der Kehle.
"Das ist ein Alptraum!" Schrie Terranovas Copilot, während Terranova selbst die von den Störungen arg gebeutelte Maschine aus der direkten Flugbahn des Ungeheuers zu reißen versuchte.
"Lieutenant, weichen Sie aus!" Befahl der Admiral harsch, weil die Maschine immer noch wild bockte und nicht richtig aus der Anflugrichtung des Drachens herauskam. Der Copilot hatte inzwischen das Mikrofon des Funkgerätes ergriffen und meldete andauernd das sich ihnen nähernde Flugobjekt, erwähnte, daß es wie ein großer Drache ausssehe und wollte gerade durchsagen, daß sie den Kurs änderten, als das geflügelte Ungetüm keine zehn Meter vor dem Hubschrauber sein mächtiges Maul aufriss und eine grelle Flammengarbe auf den Helikopter spie. Terranova warf den Steuerknüppel für die Rotorneigung nach vorne, so daß die Maschine mit einem Ruck zehn Meter an Höhe verlor. Die gleißende Flammenfontäne aus dem Maul der schuppigen Schreckenskreatur fauchte über die Rotorblätter hinweg. Doch die davon erhitzte Luft rüttelte an der sich rasend schnell drehenden Luftschraube und warf die Maschine beinahe auf die seite. Der Drache raste über den Militärhubschrauber hinweg und wendete, um dem Helikopter nachzusetzen, der nun nach links ausbrach und versuchte, trotz der heftigen Störungen in der Steuerelektronik eine kontrollierte Flugbahn einzunehmen.
"Das Monster jagt uns!" Rief Terranovas Copilot. Admiral Taggert, der mit zwei Lasertechnikern zusammen an der Steuerkonsole des U-Boot-Aufspürgerätes saß befahl ihm, sich zusammenzureißen.
"Sie sind Offizier der US Navy, verdammt noch mal! Verlieren sie nicht die Nerven. Das ist nichts als ein feindliches Luftfahrzeug", ergänzte Taggert dann noch.
"Sir, unsere Steuerungselektronik fällt immer mehr aus", sagte Terranova. "Wenn ich die Maschine nicht notlande stürzen wir ab."
"Schalten sie die Notfallsteuerung ein. Die ist nicht mit so überempfindlichen Systemen ausgestattet!" Befahl Taggert. Terranova bestätigte den Befehl und hantierte schnell an der entsprechenden Schaltung. Es knisterte. Doch dann ließ sich die Maschine wieder steuern. Ein reines elektrohydraulisches Servosystem für grobe Flugmanöver half dem Piloten nun, seine Maschine in der Luft zu halten.
"Die Treibstoffversorgungselektronik ist auch ausgefallen. Könnte sein, daß die Turbine ausfällt", wandte der Copilot ein, während Terranova ein schwerfällig anmutendes Ausweichmanöver flog, weil der Drache hinter ihnen wieder Feuer spuckte. Von der Geschwindigkeit her hielt das Untier locker mit der angeschlagen dahinfliegenden Militärmaschine mit.
"Wie kann so ein klobiges Biest so schnell fliegen?" Fragte sich Taggert. "Lieutenant Terranova, wie schnell sind wir?"
"Sir, kann die Geschwindigkeit leider nicht mehr ablesen, weil die digitalen Anzeigen ausgefallen sind. Schätze aber gerade an die hundert Stundenkilometer."
"Fliegen sie schneller! Das ist ein Befehl!" Stieß Taggert aus.
"Sir, ich bin schon am Anschlag. Die Treibstoffzufuhr muß durch die Systemausfälle auf niedrigem Wert eingerastet sein."
"Versuchen Sie, uns aus dieser Zone herauszubringen!" Befahl Taggert ruhig aber unmißverständlich.
"Zu Befehl, Sir!" Bestätigte Terranova und verfluchte diesen besserwisserischen Kerl da hinter sich. Als wenn er nicht genau das gerade versuchte. Doch ohne Kompasse und andere Navigationshilfen fühlte sich der Lieutenant wie ein kleines Kind im Nebel. Zwar hatte er irgendwann in seiner Flugausbildung mal gelernt, daß man früher auch ohne Kompas ausgekommen war. Doch die Sonne, die einzige natürliche Navigationshilfe, lag hinter tiefgrauen Wolken. Ihr Licht wurde so sehr gestreut, daß er sie nicht einmal erahnen konnte. Der Hubschrauber beschrieb eine Kurve und stürzte dabei auf ein Felsmassiv zu. Der Drache blies erneut einen Feuerstrahl aus, der keinen Meter am Heckrotor vorbeifauchte. Terranova wand die Maschine um. Da drückte sein Copilot einen Hebel hinunter, worauf das Bordgeschütz losbelferte und eine Garbe Sprenggeschosse in Richtung des Angreifers feuerte. Zehn der dreißig Geschosse trafen das Ungeheuer an der linken Flanke und gruben faustgroße Krater in die schwarze Panzerung. Doch das machte das Fabeltier nur wütender.
"Sie Idiot!" Schrie Terranova. Er riss die Maschine gerade noch herum, bevor das Monster mit seiner ganzen Körpermasse dagegenprallen konnte. Eine weit reichende Stichflamme unterquerte den Hubschrauber und warf ihn einen halben Meter nach oben.
"Wer hat Ihnen den Befehl zum feuern erteilt?" Fragte Taggert, als Terranova darum kämpfte, den Helikopter aus der Reichweite des nun sehr wütenden Drachens zu bringen. Es kam jedoch keine Antwort.
"Da vorne ist freie See!" Rief Terranova, als seine Maschine gerade wieder einem heißen Feuerstrahl auswich. Das geflügelte Alptraumgeschöpf hielt immer noch mit der Maschine mit. Es griff sporadisch an, versuchte, in den Heckrotor zu beißen oder mit weiteren Flammenstößen den Rotor selbst zu treffen, sich gegen die Militärmaschine zu werfen oder sie von oben wie ein herabstoßender Adler zu packen. Terranova stand das Entsetzen in den Augen, als er sah, daß der Drache mit dem auffälligen Rückenkamm genauso groß wie der Helikopter war. Die mächtigen Klauen hieben nach den Kufen und versuchten, sie zu halten.
"Achtung!" Rief Taggert, als der Drache mit geschlossenem Maul wie mit einem Rammsporn auf den Heckrotor zustieß. Terranova erstarrte vor Schreck, als er in die großen, violetten Augen starrte, die angriffslustig verengt standen. Dann traf die Schnauzenspitze den Heckrotor und warf die Maschine herum. Terranova versuchte sofort, die Kontrolle über das Fluggerät zurückzugewinnen, während sein Copilot wieder das Geschütz abfeuerte. Diesmal schlugen die Kugeln auf der rechten Seite in den Körper des Drachens ein, drangen dabei aber nicht viel weiter als bis zum Grund der Schuppenpanzerung vor. Doch das reichte dem Untier aus, noch wütender, noch gefährlicher gegen das Fluggerät zu stürmen.
"Nasse Füße!" Rief Terranova triumphierend, als sie wieder über dem Meer waren. Doch der Drache sezte ihnen nach, wollte das Ding, was ihm weh zu tun geschafft hatte unbedingt vom Himmel stoßen, zerbeißen, zerfetzen oder verbrennen.
"Die Sprenggeschosse haben das Biest nur noch wütender gemacht", stellte Taggert höchst ungestimmt fest. "Ich bringe Sie vor das Militärgericht, wenn wir diesen Wahnsinn überleben."
"Bei allem Respekt, Sir, ich wollte die Gefahr beseitigen", verteidigte sich Terranovas Copilot. Da krachte es erneut im Heckrotor, und diesmal sehr unangenehm. Ein Blick hinaus bestätigte dem Admiral, daß sie gerade alle Chancen verspielt hatten, lebend zu entkommen. Der Heckrotor war abgerissen. Ein Feuerstoß des Drachens setzte ihn in Brand. Die bloßgelegten Treibstoffleitungen, aus denen feine Kerosinstrahlen austraten, verwandelten sich in einen feurigen Schweif wie der eines Kometen.
"Treibstoffzufuhr aus!" Rief Terranova, als sein angeschlagener Hubschrauber zu kreiseln begann, weil der stabilisierende Heckrotor fehlte.
"Muß erst die Systeme neustarten", sagte sein Copilot.
Immerhin erwachten die Anzeigen wieder zum Leben. Ein vielstimmiges Konzert von Warnsignalen erfüllte die Kanzel der Maschine. Auf dem Radarschirm tauchten zwei Objekte auf. Die Entfernungsanzeige wies aus, daß sie gerade noch zehn Kilometer weit entfernt waren. Nach anderthalb Sekunden nur noch neun, dann acht. Sie näherten sich also mit mehr als der in der Luft geltenden Schallgeschwindigkeit. Hoffentlich waren es Jets von der Ulysses Grant, dachte Terranova, als ein schwarzes, tonnenschweres Bündel Angriffslust und Rachsucht von oben in die Rotorblätter krachte. Er hatte eine Sekunde zu lange auf den Radarschirm gestarrt. Das hatte der Drache sofort ausgenutzt und dem Hubschrauber den entscheidenden Schlag versetzt. Laut zerbrachen die Rotorblätter an der Bauchseite des Drachens, wobei sie ihm einige Zentimeter tief in die zähen Schuppen schnitten. Dann stürzte die Maschine in die Tiefe. Nur noch zweihundert Meter Luftpolster lagen zwischen ihr und der aufgewühlten See, die dunkelgrau unter ihnen lauerte, bereit, die ihr in den Schoß fallende Beute zu verschlingen. Doch auch der Drache gierte nach Beute. Er setzte dem wie ein Stein fallenden Hubschrauber nach und packte mit seinem gewaltigen Maul die von den Rotorblättern entblößte Schraubenwelle. Mit einem Ruck hörte der Absturz auf. Terranova warf es mit solcher Wucht in seinen Sitz zurück, daß er einen Moment benommen dasaß. Jede Sekunde erwartete er die Explosion der Maschine, weil der aus dem zerstörten Heckrotor austretende Treibstoff immer mehr brannte. Warum er es tat wußte er nicht. Aber er hieb auf die Kontrolle für die Treibstoffzufuhr und blockierte sie. Eine Sekunde lang dehnte sich noch der feurige Schweif aus, dann erlosch er und wurde zu weißem Qualm. Als der Pilot des Hubschraubers nach oben sah wußte er, daß sie dennoch verloren waren. Der Drache hielt die Maschine zwischen seinen mehrere Dutzend Zentimeter langen Fangzähnen und stieg rasch nach oben. Wahrscheinlich würde er die Maschine aus großer Höe hinunterstürzen lassen oder sie zurück zur unheimlichen Insel tragen, um sie dort zu zerstören. Da hörte Terranova zwei Dumpfe Knälle, denen zwei Sekunden später lautes Geheul folgte. Er sah die beiden Tomcats, wie sie gerade eine Weite Kurve flogen und von hinten her, aus Acht-Uhr-Richtung, angeflogen kamen. Der Drache wirbelte die Maschine herum wie einen Wurfhammer. Dabei brach die Rotorwelle durch, und das Monster verlor die Gewalt über seine Beute.
"Selbstzerstörungseinheit scharfmachen!" Befahl Taggert dem Offizier an der Steuerkonsole für das U-Boot-Suchsystem. Dieser nickte und betätigte einen Schalter und tippte mit fliegenden Fingern einen Code ein. Dann tippte sein Assistent auch eine Codezahl ein, worauf eine leise, weiblich modulierte Lautsprecherstimme sagte:
"Selbstzerstörungseinheit aktiviert. Noch sechzig Sekunden bis zur Selbstvernichtung."
"Wir sterben sowieso!" Rief Terranova über die Abgebrühtheit des Admirals hinweg.
"Trotzdem muß keiner unser neues Grün-Blau-Laserecholotsystem in die Hände kriegen", knurrte Taggert.
"Wir können noch raus", sagte Terranovas Copilot und griff unter sein Steuerpult, wo er an einer durchsichtigen Abdeckung riss und dann mit entschlossenem Ruck einen Roten Griff herauszog. Mit lautem Knall wurde der Rest des Rotorgestänges abgesprengt. Mit einem weiteren Knall schossen zwei zusammengefaltete Fallschirme aus dem Dach der Kabine und entfalteten sich innerhalb einer halben Sekunde zu zwei mehreren Dutzend Quadratmetern großen Rechtecken, die die Sturzbahn des schlingernden Hubschraubers in eine immer flacher werdende Flugbahn veränderten.
Terranova erinnerte sich, daß die neuen Langstreckenhubschrauber mit diesem neuen Notfallsystem ausgestattet worden waren, um dann, wenn die bei Hubschraubern übliche Autorotationslandung nicht mehr möglich war, das Überleben der Besatzung zu sichern. Doch die großen Gleitschirme boten auch dem Drachen ein neues Angriffsziel, wußte Terranova. Als jedoch zehn Sekunden vergangen waren, ohne daß der Drache erneut angriff, sah Terranova, warum der Drache sein Interesse an dem Hubschrauber verloren hatte.
"Sag mal, Templeton, bist du wahnsinnig geworden, mir auf der Brücke reinzureden?!" Brüllte Sutton seinen Gast an. Dieser, sich seines Ranges bewußt straffte sich und sagte sehr entschlossen:
"Clayton, du hast gerade vier zusätzliche Leute zum Tode verurteilt, sofern es dem Hubschrauber nicht gelingt, aus der Störzone wieder rauszukommen, ohne von dem, was ihn da angeflogen hat zerstört zu werden."
"Willst du mir jetzt erzählen, du wüßtest, was da passiert ist?!" Herrschte Sutton seinen Gast an. Dieser nickte und verfiel in eine merkwürdig angespannte Haltung, als hinge er zwischen zwei miteinander streitenden Impulsen fest. "Da das hier immer noch mein Schiff ist und ich daher auch trotz des gleichen Ranges auch dir Befehle erteilen kann will ich jetzt, daß du mir das erzählst, was deiner Meinung nach passiert ist."
Templeton Abrahams sank für einen Moment in sich zusammen. Dann straffte er sich wieder. "Das glaubst du mir wahrscheinlich nicht, Clay, aber dein Hubschrauber ist aus einem mir unbekannten Grund in eine mit Magie angereicherte Zone eingedrungen." Clayton Sutton rieb sich die Ohren, weil er meinte, sich verhört zu haben. Dann starrte er seinen Besucher an und fragte ihn, ob er das noch einmal wiederholen könne. Weil Abrahams das tat, brüllte Sutton:
"Du willst mir nicht etwa erzählen, das meine Leute eine unsichtbare Insel entdeckt hätten, auf der ein Zauberbann liegt, der jeden dort festhält, der sie findet, oder?"
"Das trifft es, Clay. Aber es kommt noch schlimmer", sagte Captain Abrahams, während sein Gegenüber ihn sichtlich erzürnt anstarrte.
"So, was denn?" Fauchte Sutton nun jede offiziersmäßige Haltung vergessend.
"Die letzten, sehr verstümmelten Funksignale weisen mich darauf hin, daß sie einem Geschöpf begegnet sind, das ich bis vor zwanzig Jahren genauso für eine Spinnerei gehalten habe wie du und die meisten anderen auch heute noch haltet. Erinnerst du dich, was der Pilot oder der Copilot durchgab? ...rache und Feuer."
"Habe ich auch gehört", schnaubte Sutton. Dann sprang er auf, weil ihn die Erkenntnis vom Sitz gerissen hatte. "Du willst mir jetzt noch einreden, dem Heli sei ein Drache über den Weg geflogen? Ein Feuer speiender Drache? - Ich glaube, ich lasse dich gleich vom Master at Arms in die Krankenstation bringen und von unserem Schiffsarzt auf deinen Geisteszustand untersuchen."
"Das ist dein Recht, Clay", sagte Abrahams resignierend. Wie sollte der Kommandant der Ulysses Grant auch kapieren, daß es eine Welt gab, die die meisten Leute heute nur noch aus Märchenbüchern kannten? Wie sollte Sutton das verstehen, daß es neben der technisch hochentwickelten Menschheit noch eine Zivilisation gab, in der Magie genauso alltäglich war wie elektrisches Licht und Flugzeuge? Daß es in dieser, sich extra vor den sogenannten Muggeln wie ihm, Templeton Abrahams, verbergenden Welt auch jene Fabelwesen gab, die aus Sagen und Mythen bekannt waren, würde Clayton Sutton nicht verstehen wollen. Für ihn gab es das alles nicht. Abrahams wußte das zu gut, wie stur sich die magielosen Menschen anstellten, wenn sie mit Sachen gegen alle Naturgesetze konfrontiert wurden. Denn er wußte das von sich selbst am besten, wie damals dieser Mr. Watergate vor seiner Haustür aufgetaucht war, nachdem sein Sohn Tim einen höchst abstrusen Brief bekommen hatte, er sei ein Zauberer und möge deshalb ab dem nächsten Schuljahr in ein Internat für andere Zauberer und Hexen gehen. Auch als dieser Mr. Watergate ihm, seiner Frau und Tim eine Probe seines Könnens gegeben hatte, in dem er den großen Wohnzimmertisch auf Streichholzschachtelgröße eingeschrumpft und erst eine Minute später wieder zurückvergrößert hatte, wollte er es nicht wahrhaben. Doch schließlich hatte er eingesehen, daß er gegen Sachen, die er nicht begreifen konnte, obwohl sie greifbar vor ihm abliefen, nichts machen konnte und hatte seinen Sohn in dieses abwegig erscheinende Internat namens Hogwarts geschickt und sich mit Watergate und seiner Frau eine glaubhafte Geschichte ausgedacht, um den wahren Aufenthaltsort seines Sohnes zu verheimlichen.
"Weißt du, was ich eher glaube, Templeton: Ihr Briten habt eine auf den Seekarten absichtlich nicht erwähnte Insel zur militärischen Versuchsanlage umgebaut und mit leistungsstarken Störsendern gegen Funk und Radar gespickt und einen Abfangjäger gebaut, der eindringende Luftfahrzeuge zur Landung zwingen oder abschießen soll. Erzähl mir also keine Märchen mehr, hörst du!"
"Ob du michnun für verrückt hältst oder meinst, ich wolle dir Sand in die Augen Streuen, Clay ist mir jetzt egal. Deine Leute sind so gut wie tot, weil du sie genau dahin geschickt hast, wo eben eine mit Magie aufgeladene Zone liegt. Magie stört jede form von Elektronik, und Drachen existieren, verdammt noch mal! Ich weiß das, weil Tim damals nicht nach Schloß Grauanger in der Schweiz gegangen ist, sondern auf eine Schule für angehende Zauberer ..."
"Jetzt reicht's mir!" Knurrte Sutton. Er griff blitzartig unter seinen Schreibtisch und zog eine 45er Automatik hervor, die er in einer fließenden Handbewegung entsicherte und auf Templeton Abrahams richtete. Dann sagte er:
"Captain Templeton Abrahams, Royal Navy, ich stelle Sie hiermit unter Arrest wegen fortgesetzter Irreführung des Kommandanten der USS Ulysses Grant im Angesicht einer unbeherrschbaren Situation. Ich fürchte, Templeton, sie werden dich einweisen müssen."
"Weißt du, daß mir das jetzt total egal ist, Clay. Ich weiß, was ich weiß, und du wirst lernen, daß ich recht habe, wenn deine beiden Jets auch noch verlorengehen."
"Ist gut, Templeton", sagte Sutton nun sehr verdrossen. Dann rief er seinen Sicherheitsoffizier, um Abrahams festnehmen zu lassen. Doch als dieser gerade eintrat, kam ein Anruf von der Brücke, die beiden Jets hätten den Hubschrauber gefunden und er würde angegriffen, von einem großen, schwarzen Drachen.
"Da haben Sie es, Captain Sutton", stöhnte Abrahams, bevor der Sicherheitsoffizier ihm Handschellen anlegte und ihn abführte.
"Feuerdrachen, im zwanzigsten Jahrhundert!" Schnaubte Sutton. Dann dachte er wieder daran, daß es sich bei dem angeblichen Drachen um einen als solchen verkleideten Hubschrauber oder ein anderes Flugzeug handelte, um mögliche Eindringlinge so zu verwirren, daß sie ohne Gegenwehr abgeschossen werden konnten. Er eilte auf die Brücke, um den Rest der höchst verrückten Geschichte mitzubekommen.
"Unser Radar weist Störungen auf", meldete Lieutenant Gordon, Michelsens Jägerleitoffizier.
"Ja, wir nähern uns der Zone, wo der Helikopter verschwunden ist", sagte Michelsen.
"Achtung, Dragonhead, habe gerade was in der Ortung", kam die Stimme von Frida Jones, der Jägerleitoffizierin seines Flügelmannes Saunders alias Bowman über seine Kopfhörer.
"Bestätige Stargazer", sagte Michelsens Jägerleitoffizier, den sie wegen seiner Zuverlässigkeit am Radar auch Hawkeye riefen. "Peilung null zwo neun, Abstand zwölf Kilometer auf Höhe einhundert Meter."
"Gefällt mir nicht, Dragonhead", gab Bowman durch. "Offenbar gibt's hier irgendwo massive Störquellen. Meine GPS-Anzeige spinnt. Ich fliege nach Sichtflugregeln weiter."
"Entfernung zum Ziel noch neun Kilometer", meldete Hawkeye.
"Sollen wir auf Mach 1,5 bleiben oder unter die Schallmauer?" Wollte Saunders wissen. Doch da näherten sie sich schon dem Ziel. Es war wirklich der Hubschrauber, oder zumindest war es früher mal einer. Der Heckrotor war ein feuriger Schweif, und die Rotorblätter fehlten ganz. An ihrer Stelle umklammerte etwas die Rotorwelle mit einem schuppigen Maul und zerrte an der Maschine. Michelsen traute seinen Augen nicht.
"Hawkeye, Videokameras einschalten. Das glaubt uns sonst keiner!"Befahl er.
"Das kann es doch nicht echt geben, oder?" Meinte Stargazer.
"Wir klären, ob das da vorne was echtes ist", sagte Michelsen, der einen Moment amüsiert daran dachte, daß er nie daran gedacht hätte, einmal einen echten Drachen zu sehen, wo sie ihm seinen Rufnamen nur gegeben hatten, weil er stur aber dafür auch sehr heftig auf seine Ziele losging und bei der Ausbildung immer dreimal so viel Munition verfeuert hatte wie nötig gewesen wäre. Daher hatte sein Ausbilder immer gesagt, er habe das Gemüt eines Feuer speienden Drachens, der ohne Rücksicht auf seine Resourcen draufhielt, bis alles eingeäschert sei.
"Vorbeiflug!" Rief Saunders, als die beiden Jets in Verfolgerformation an der linken Seite des fliegenden Ungeheuers vorbeirasten. Die explosionsartig verdrängte Luft der überschallschnellen Maschienen traf auf das schwarze Ungetüm und brachte es zum Schwanken. Es wirbelte die am Rotorgestänge gehaltene Maschine herum, wobei die Rotorwelle abbrach. Dann riss das Monster sein Maul auf und blies eine Meterlange Lohe in die leere Luft.
"Achtung, wir kriegen noch heftigere Störungen auf allen Systemen", warnte Hawkeye Dragonhead. Der mit einer Kurve, die sie in ihren Sitzen mit dem siebenfachen ihres Körpergewichtes niederdrückte um 180 Grad wenden ließ.
"Was immer das ist benimmt sich wirklich wie ein Drache, Dragonhead", meldete Saunders.
"Wir müssen der Maschine Feuerschutz geben, falls die Besatzung noch mit dem Notlandesystem ...", sagte Michelsen, als die verbliebene Rotorwelle wie ein Geschoss von dem Hubschrauberwrack fortgeschleudert und zwei rechteckige Gleitschirme entfaltet wurden. Der Drache oder was es immer war setzte bereits an, den niedergehenden Hubschrauber zu attackieren, als Michelsen nahe genug heran war und eine Salve Brandgeschosse aus seiner Bordkanone abfeuerte. Davon getroffen aber nicht sonderlich verletzt wirbelte das fremdartige Flugungetüm herum. Michelsen hatte derweil den Nachbrenner ausgeschaltet und ließ seine Maschine unter die Schallgrenze abfallen. Dasselbe tat Saunders.
"Das Ding schwenkt auf uns ein, Dragonhead. Sollen wir schießen?"
"Wir müssen, weil der Heli noch gefährdet ist", sagte Michelsen und ging mit gutem Beispiel voran. Doch die Brandgeschosse wirkten nicht. Sie prallten auf, verglühten wie kleine Feuerbälle und hinterließen keine sichtbaren Schäden. Statt dessen spie ihnen das geflügelte Monster eine Stichflamme entgegen, die knapp an der linken Flügelspitze von Saunders vorbeistrich. Dann waren sie jedoch schon hundert Meter von dem Drachen fort, der unentschlossen in der Luft herumzirkelte.
"Neuer Anflug, Bowman!"
"Dieser Feuerstrahl hätte mich fast erwischt. Beim nächsten Mal kriegt mich das Ding nicht so günstig", knurrte Bowman und folgte seinem Kameraden.
Es knisterte laut im Funk, und eine sehr weit klingende Stimme versuchte, sich gegen das Meer aus Störgeräuschen zu stemmen. Dragonhead erkannte nur, daß es wohl Captain Sutton sein mußte, der da sprach. Doch weil gerade der Drache mit einer elegant anmutenden Wende, die den Piloten an einen Immelmann erinnerte zum hinabgleitenden Hubschrauber hinabstoßen wollte, mußte er sich erst um die unmittelbare Gefahr kümmern. So stieß er wie ein zum Beutefang ansetzender Adler auf den Drachen zu und feuerte aus seiner Bordkanone. Doch die Brandgeschosse wirkten nicht.
"Mach, daß du weg kommst, Dragonhead. Mit Brandgeschossen ist dem Ding nicht beizukommen!" Rief Bowman.
"Ich wechsel das Magazin gegen Sprenggeschosse", sagte Michelsen.
"Neh, lass, ich feuere 'ne Sparrow auf das Ding ab."
"Negativ Bowman! Das Ding ist vom Radar nicht zu erfassen!" Rief Stargazer. Hawkeye bestätigte das.
"So'n Brummer und unsichtbar für Radarstrahlen?" Fragte Michelsen, die Funkdisziplin etwas vergessend.
"Störgeräte vielleicht", vermutete Bowman.
"Okay, dann kriegt das Biest jetzt neues Futter", erwiderte Dragonhead und betätigte eine Schaltung, die das Magazin für die Bordkanone von Brand- auf Sprengmunition umwechselte. Als er das Signal bekam, seine Waffe sei bereit, feuerte er unbarmherzig drauf los, erst in die Flugbahn des Monsters und dann genau auf es draufhaltend. Die Schuppenhaut bekam immer größere Löcher. Doch das Monster wurde dadurch nicht schwächer, sondern noch wütender. Mit einem Genau auf Dragonhead weisenden Feuerstrahl fegte es die nächste Garbe aus der Bahn und raste auf die Tomcat zu, deren Pilot reflexartig den Steuerknüppel zog und im 80-Grad-Winkel über das nun zum Feind gewordene Objekt stieg.
"Das gibt es nicht, daß dieses Ding immer noch fliegt", wunderte sich Bowman.
Alarmsignale schrillten los, und Dragonhead fühlte, wie ihm die Kontrolle über die Maschine entglitt. Er kämpfte dagegen an und drehte seinen jet einmal herum. Dann klangen die Warnsignale ab, und die Bordsysteme funktionierten wieder.
"Die Störungszone, Bowman. Es hätte mich fast vom Himmel gekegelt."
"Dieses Ding will uns in diese Strahlung oder was die Störungen auslöst reinlocken. Wir müssen es loswerden, bevor wir abschmieren!" Rief Bowman über einen Strom aus knackenden, knisternden und zirpenden Störgeräuschen hinweg. Michelsen flog schnell einige Hundert Meter, nicht zu weit vom Hubschrauber fort, der nun eine leichte Beute für das fremdartige Flugungetüm war. Der Drache nahm Bowman aufs Korn, der nun ebenfalls Sprenggeschosse abfeuerte.
"Das ist einfach nicht wahr!" Meinte Hawkeye. "Dieses Ding kann es doch nicht geben. Ich meine, wenn es eine Flugmaschine ist, hätten wir sie doch jetzt schon längst abschießen müssen."
"Hast du die Kamera an, Hawkeye."
"Die kannst du vergessen, Dragonhead. Nur Schnee auf dem Schirm. Diese verdammten Störungen haben auch das Videosystem erfaßt. Im Grunde können wir froh sein, daß die Sekundärkomponenten unserer Flugkontrollsysteme uns bisher vor dem Absturz bewahren. Aber garantieren will ich das nicht."
"Dragonhead, ich habe keine Munition mehr!" Hörte er Bowman rufen. Dragonheads Flügelmann hatte sein ganzes Magazin auf das nun von dicker, grüner Flüssigkeit besudelte Geschöpf abgefeuert, das nun auf Abfangkurs ging. Bowman wich jedoch schnell genug aus. Der Jet war diesem Geschöpf im Punkte Manövrierfähigkeit weit überlegen.
"Schießen wir die Raketen ab", sagte Dragonhead. Doch Hawkeye riet ihm davon ab. Die Radargelenkten Raketen würden entweder nur den jeweils anderen Jet ansteuern oder den gerade auf der Meeresoberfläche aufschlagenden Hubschrauber treffen.
"Infrarotortung für einen Hitzesucher?" Fragte Dragonhead.
"Ungenaue Werte. Offenbar strahlt dieses Ding nur wenig Wärme aus."
"Okay, Bowman, komm zu mir! Wir verlegen dem Biest den Weg zum Hubschrauber und feuern mehrere Raketen auf es ab. Zumindest wird es dann abgelenkt."
"Ich habe auch keinen Schuß mehr übrig, Bowman. Achtung, es fliegt wieder auf den Heli zu!"
"Dann müssen wir wohl!" Rief Bowman, zündete für zwei Sekunden die Nachbrenner und sprang somit zu Dragonhead hinüber. Dieser ließ sämtliche Raketen scharfschalten.
"Wir warten nicht auf den Ton, Hawkeye", sagte Dragonhead. Als Bowman neben ihm war sagte er nur:
"Roger. Ich habe alles klar was ich noch abfeuern kann.
"Es stürzt sich auf den Hubschrauber!" Rief Dragonhead und feuerte seine erste Rakete ab. Das Fernlenkgeschoss schwirrte, einen Flammenschweif hinter sich herziehend, genau auf den Drachen zu. Doch kurz davor explodierte es aus unersichtlichen Gründen.
"Nein, verdammt!" Brüllte Dragonhead. "Will mir jetzt noch wer einreden, daß das Biest einen Schutzschirm oder sowas hat?"
"Negativ, Dragonhead. Sonst hätten wir ja keinen Treffer gelandet", erkannte Bowwman.
"Das ist die Elektronik in den Raketen. Sobald sie abgefeuert sind kann dieses Ding sie genauso stören wie unsere Bordsysteme."
"Na dann alles weg, was uns selbst noch in die Luft jagen kann!" Rief Dragonhead und feuerte seinerseits Raketen ab. Doch alles was sie abfeuerten zerplatzte keine fünf Meter von dem Drachen entfernt. Wie war diesem Ungetüm beizukommen? Fragte sich Michelsen. Dann fiel ihm etwas auf. Er hatte bei seinen Angriffen auf den Drachen immer nur die Seiten erwischt. Den Kopf des Ungeheuers hatte er nicht getroffen. Diese violetten Augen. Sie lagen nicht unter einem schützenden Panzer. Vielleicht waren die nicht so feuerunempfindlich wie die Haut. Vielleicht waren sie die Schwachstelle des Drachens. Doch um sie genau anzuvisieren müßte er schnurgerade auf das Geschöpf zuhalten. Das konnte seinen Tod bedeuten, wenn er voll in einen dieser Flammenstrahlen hineinflog. Doch er mußte es tun.
"Hawkeye, was machen die vom Heli?" Fragte er unvermittelt, als er sah, wie der Drache erneut auf Bowman zuflog, der ihn vom Hubschrauber fortzulocken versuchte und dabei seine letzten Raketen verschoss.
"Sie sind aus der Maschine raus und haben die Rettungsinsel aufgeblasen. Die Kabine sinkt."
"Okay", sagte Dragonhead, der einen Entschluß gefaßt hatte. Mochte es sein, daß sein Rufname kein pilotentypischer Scherz war, sondern daß er sein Schicksal damit bezeichnete. Es konnte sein, daß er bei dieser Sache starb. Aber Hawkeye wollte er nicht mitnehmen. Ohne Vorwarnung betätigte er eine Schaltung, die Piloten nur im Notfall benutzten, wenn ihre Maschine nicht mehr zu retten war. Mit lautem Getöse flog die Haube über dem Cockpit davon, schrill heulte der Flugwind in den Ohren des Piloten, und Hawkeye schoss mit samt dem Rücksitz hinaus in den Himmel über der schottischen See.
"Ey, Dragonhead, was ist los! Hawkeye ist gerade ..." Dragonhead rief ins Mikrofon:
"Ich versuche noch was endgültiges. Wenn das nicht klappt sind wir alle erledigt. Grüße Sharon und die Jungs, und sage ihnen, ich wäre gerne zum Halloween bei euch vorbeigekommen!" Dann schaltete er die Funkanlage aus. Einen Moment dachte er an seinen Großvater, der als Matrose auf einer Fregatte bei einem japanischen Kamikaze-Angriff gefallen war. Genau das hatte er jetzt auch vor, der letzte Einsatz, die ultimative Waffe gegen einen übermächtig gewordenen Feind. Vielleicht gelang es ihm aber auch, das Monster empfindlich zu treffen und heil davonzukommen. Immerhin könnte er dann trotz der weggesprengten Cockpithaube noch den Rückflug zur Ulysses Grant antreten.
Dragonhead schwenkte auf den Drachen ein und schaltete den Magazinwechsler wieder auf Brrandgeschosse um. Jetzt hatte er das geflügelte Ungetüm genau vor sich, das nun, wo es den Angriff erkannte, anstatt auszuweichen genau auf seinen Angreifer zuflog. Er konnte sehen, daß die lederartigen Flügel von einigen Geschossen schon leicht zerfranst aussahen. Dann hatte er den mindestens zwei Meter großen Schädel genau vor sich. Er sah diese violetten Augen, die wild entschlossen zu ihm blickten, jedes so groß wie ein Basketball. Er zielte mit dem Bug auf das linke und feuerte. Die Geschosse zogen eine helle Leuchtspur von der Maschine zu dem Geschöpf aus einer anderen Welt. Sie trafen ihr Ziel und wirkten verheerend. Ein unirdischer Schrei entrang sich dem riesigen Geschöpf. Eiskalt und ohne Anflug von Gnade wählte Dragonhead sein zweites Ziel und feuerte. Doch diesmal verfehlte er sein Ziel, weil der Drache den Kopf hochriss und die Geschosse mit dem schuppigen Maul parierte. Der Abstand wurde von Sekunde zu Sekunde immer kleiner, nur noch zweihundert Meter, einhundert. Er feuerte wieder und traf diesmal dort, wo es dem Geschöpf tatsächlich weh tat. Doch er kam nicht mehr dazu, abzudrehen, um zu entkommen, denn in dem Moment fielen alle Bordsysteme aus. Ehe er darauf reagierte, prallte er mit dem Bug in das zum letzten Schrei weit geöffnete Maul. Die Maschine zerbrach. In einer Art Reflex quoll eine Wolke aus Feuer aus dem getroffenen Maul, entzündete den herauslaufenden Treibstoff und reagierte mit diesem zu einem mehrere Meter großen Feuerball, in dessen Mitte Michelsen hockte. Durch den Sauerstoff seiner Lebenserhaltungsanlage noch mehr angereichert. So konnte der völlig perplexe Bowman, der einen halben Kilometer vom Geschehen entfernt flog ein hellblaues Flackern innerhalb des Glutballs ausmachen. Der Drache wurde von dem Feuerball ebenso eingehüllt und stürzte ab.
"Systemversagen!" Rief Stargazers Stimme. In den Kopfhörern knackte es überlaut. Dann verstummte alles. Die Triebwerke fielen aus, alle elektronischen Anlagen stellten den Betrieb ein. Da die Tomcat noch genug Geschwindigkeit besaß, stürzte sie nicht wie ein Stein in die Tiefe, sondern geriet ins trudeln und sank in einer spiralförmigen Bahn immer rascher nach unten.
"Raus hier!" Rief Bowman. Er betätigte die Vorrichtung für die Schleudersitze, die mit voller Absicht ohne zu komplizierte Elektronik ausgestattet waren. Die Kabinenabdeckung wurde abgesprengt. Dann katapultierten die Treibsätze unter den Sitzen Pilot und Jägerleitoffizier nacheinander aus dem unrettbar auf das Meer zutrudelnden Jet.
Von Entsetzen und Erstaunen gelähmt betrachteten die gerade aus dem notgewasserten Hubschrauber ausgestigenen Offiziere den Drachenkampf und das selbstmörderische Ende eines der Jets, nachdem aus diesem einer herausgeschleudert worden war. Dann geriet die zweite Maschine in eine Abwärtsspirale. Admiral Taggert atmete auf, als er zwei runde Fallschirme sah, die sich über der hinabtrudelnden Maschine entfalteten. Dann sah er die immer noch riesige Feuerkugel, die wie ein Meteor auf die Meeresoberfläche zuraste und mit lautem Krach aufschlug. Ein Wall aus Wasserdampf schoss laut brodelnd um den im Meer versinkenden Feuerball auf. Als die See sich über dem Glutball schloß, kochte dort das Meer.
"Das glaubt uns kein Mensch", sagte Taggert. "Niemals hätte ich gedacht, daß es echte Drachen gibt."
"Vielleicht war das auch keiner, Sir", sagte Terranova. Dann deutete er auf die entfalteten Fallschirme.
"Wir müssen sehen, daß wir die drei zu uns holen", sagte er. Der Admiral wollte zwar schon sagen, daß er die Befehlsgewalt habe, doch er wußte, daß der Lieutenant ja recht hatte. Zwar besaß jeder Schleudersitz eine Notfallausrüstung, zu der auch eine aufblasbare Rettungsinsel gehörte. Aber wenn sie alle zusammen gerettet werden wollten, mußten sie die Besatzungen aus den beiden Jets zu sich holen.
Sehen Sie mal da hinten!" Rief Willcocks, Terranovas Copilot, dem sie alle es indirekt zu verdanken hatten, daß sie nun keinen Hubschrauber mehr hatten und ein Kampfpilot sich und seinen 40-Millionen-Dollar-Jet geopfert hatte. Taggert blickte in die Richtung, in die Willcocks' Arm deutete und konnte seinen Mund nicht mehr schließen. Denn das, was da auf sie zukam, schlug allen physikalischen Gesetzen ins Gesicht: Fünf Männer in rot-weiß-gelben Schottenröcken auf fliegenden Reisigbesen.
Kriegen Sie diese vermaledeiten Interferenzen aus dem Funk raus!" Polterte Sutton, der vor lauter Krachen, Knacken und Rauschen nicht mehr recht verstand, was die Besatzungen der Jets miteinander sprachen. Er hörte nur was von Drachen und Feuerstrahlen heraus, daß sie nichts anhaben konnten bishin, daß erst bei einem Jet und dann beim zweiten kein Signal mehr zu empfangen war.
"Radar, haben Sie sie noch erfast?" Verlangte der Kommandant der Ulysses Grant nach einer Antwort.
"Viele Störungen, Sir. Ich kann nicht genau sagen, wo wer ist."
"Wer auch immer diese Anlage betreibt kriegt demnächst einen Höllenärger!" Schnaubte Clayton Sutton. Dann ließ er sich die Nelson geben, um dort zu fragen, ob sie vielleicht was geortet hatten. Doch die Besatzung des am Einsatz beteiligten Flugzeugträgers konnte auch nichts feststellen.
Clayton mußte an die Worte Templeton Abrahams' denken. Er hatte ihn gewarnt, daß seine Leute sterben würden. Was auch immer sie dort angegriffen hatte, es hatte zwei der am besten ausgebildeten Kampfpiloten und ihre hochmanövrierfähigen und vernichtend bestückten Maschinen erledigt. Sowas konnten nur andre Kampfflugzeuge. Das Gerede von Feuerdrachen nahm er als Ausdruck für eine neue Art von Abfangjäger, der wohl wie eines jener Fabelwesen aussah, eben um eventuelle Gegner zu verwirren. Was die Störungen der Radar- und Funksignale anging, so war das mit ausreichender Energie und einer Phalanx elektronischer Geräte kein Problem, eine unsichtbare Strahlenmauer um ein zu verbergendes Gebiet zu legen. Das hatte überhaupt nichts mit Magie zu schaffen, wenn man mal den Ausspruch vergaß, daß fortgeschrittene Technologie wie Magie erschien. Ja, diese Störgeräte reichten schon, um einen mit Elektronik vollgestopften Jet vom Himmel zu holen, wenn es gelang, die Bordsysteme mit Hochleistungsimpulsen zu überlagern.
"Lagebesprechung in genau einer Stunde!" Befahl Sutton. Dann fragte er nach der Verbindung zum Flottenkommando.
"Habe gleich alle Zwischenstationen", sagte der Funker. "Dauert nur eine Minute."
Als Sutton seinem Flottenkommandanten berichtet hatte, daß zwei seiner Kampfjets und der Langstreckenhelikopter mit Admiral Taggert über einem nicht genau zu bestimmenden Punkt verlorengegangen seien, wurde er gefragt, was er unternommen habe. Er berichtete dann in der gebotenen Kürze, um die teure Satellitenverbindung nicht zu überreizen, was geschehen war, vermied aber die Inhaftierung Abrahams' und die verstümmelten Funksprüche, die von einem Feuer speienden Drachen handelten. Dann erhielt er den Befehl, alles dazu gesicherte Material zur späteren Analyse durch die Experten der Navy unter Verschluß zu nehmen. Man würde mit der britischen Regierung unterhandeln, ob die anstehende Rettungsmission von der königlichen oder der amerikanischen Kriegsmarine durchgeführt werden sollte. Er erhielt die Anweisung, bis auf eine Seemeile an die bezeichnete Zone heranzumanövrieren und alle in der Luft befindlichen Flugzeuge zurückzubeordern. Als Sutton die Verbindung beendete und tief durchatmete, stellte er sich bereits einen langwierigen Militärgerichtsprozess vor. Um sich auf diesen schon einmal vorzubereiten ließ er die seinem Schiff zugeteilte Rechtsexpertin, Lieutenant Meridith Schields in seinen Bereitschaftsraum kommen, um sich mit ihr zu beraten, wie man die anstehenden Ermittlungen möglichst rasch durchführen und im Falle eines Prozesses seine Verteidigungslinie festlegen würde. Die noch junge Anwältin lächelte nur einmal und sagte:
"Im Grunde haben Sie ein wasserdichtes Alibi, Sir. Sie waren nicht am Ort des Geschehens und haben, soweit ich das beurteilen kann, die korrekten Befehle ausgegeben, nämlich den Hubschrauber zu suchen und der Besatzung zu helfen. Wenn das eine Falle von jemandem war, kann und wird Ihnen niemand einen Vorwurf daraus machen können."
"Da bin ich ja beruhigt", sagte Sutton. Er wollte den weiblichen Lieutenant schon entlassen, als sie fragte:
"Was ist an dem Gerücht dran, Sie hätten Captain Abrahams von der Royal Navy unter Arrest gestellt, Sir?"
"Es ist kein Gerücht, Lieutenant Schields. Er hat versucht, meine Autorität vor meinen Senior- und Junioroffizieren zu unterminieren und mir als Rechtfertigung eine ziemlich hahnebüchene Geschichte aufgetischt, die mich veranlaßte, ihn entweder als Unruhestifter oder als für sich und andere gefährlichen Geisteskranken einzustufen."
"Ich fürchte, unsere britischen Waffenbrüder werden bei dieser Sache nicht ihren berühmten Humor behalten. Aber nur aus Neugier: Was hat er Ihnen denn so erzählt?"
Sutton räusperte sich, wiegte den Kopf. Dann erzählte er, was er von Abrahams gehört hatte. Er wollte gerade zum Schluß kommen, wie er ihn hatte festnehmen lassen, als Wilson durchrief:
"Kommandant bitte sofort auf die Brücke!"
"Oh, offenbar haben sich neue Fakten ergeben", vermutete Lieutenant Shields. Captain Sutton bat sie, ihn zu begleiten.
Auf der Brücke bot sich dem Kapitän der Ulysses Grant ein Bild, daß ihn erstaunte, belustigte, verärgerte und auch etwas ängstigte. Denn da stand ein hochgewachsener, wenngleich von einigen Dutzend Jahren schon leicht gebeugter Mann in einem rot-weiß-gelb gemusterten Schottenrock, trug scharlachrote Schnabelschuhe und ein Barett in denselben Farben wie der Rock auf dem Kopf. Struppiges, von einigen grauen Strähnen durchsetztes, ziegelrotes Haar und ein ebensolcher Vollbart zierten den Kopf des Fremden, der mit stahlblauen Augen die Einrichtungen der Brücke musterte wie ein kleiner Junge, der viele neue Sachen zu sehen bekommt. Am einprägsamsten waren an dem unerwarteten Brückenbesucher der lange Holzstab in der rechten Hand und das wuchtige Schwert, das in einer von schwarzem Schuppenleder umnähten Scheide quer an der linken Schulter nach rechts unten bis knapp auf den Boden herabhing. Sutton, dessen Vater mittelalterliche Waffen gesammelt hatte, erkannte das wuchtige Schwert als ein Claymore, einen in Schottland lange Zeit üblichen Zweihänder. Dann trug er noch einen Dolch an einem ebenfalls schwarzen Gürtel, der aus dem Leder einer großen Schlange oder eines Krokodils gemacht zu sein schien. Hätte dieser Mensch da noch einen Dudelsack bei sich gehabt, wäre die schottische Folkloreparade in Personalunion perfekt, dachte Sutton. Doch der in einer Ecke mit dicken Seilen gefesselte Sicherheitsoffizier, so wie die wie Statuen auf ihren Plätzen stehenden Rudergänger und Navigationsoffiziere sprachen eine keineswegs lustige Sprache. Sie wirkten so, als seien sie im Moment eines großen Schreckens eingefroren worden und starrten auf den Fremden, der seelenruhig an einem Geländer der Brücke lehnte.
"ah, da sind Sie ja, ging ja doch schnell. Diese Elektrosprechdinger sind ja doch was nützliches, wenn man nicht mentiloquieren oder kontaktfeuern kann", sprach ihn der Fremde an. Sein stark schottischer Akzent komplettierte sein Erscheinungsbild. Doch Sutton war jetzt nicht nach äußerlichen Betrachtungen.
"Zum ersten, wer Sind sie? Zum zweiten: Was haben Sie auf meinem Schiff zu suchen?" Sprach der Kommandant, wobei er seinen Körper bis zum Anschlag straffte und kampfbereit vor dem fremden Mann stand, der gerade diesen Holzstab fortsteckte, der nicht zu der ganzen kaledonischen Folklore passen mochte. Irgendwie war dem Captain beim Anblick dieses zerbrechlich wirkenden Steckens mulmig. Denn sein erster Gedanke war der, einen Zauberstab zu sehen. Doch das mochte ein Überbleibsel von Templetons Gerede sein, das sein Gehirn gerade eben noch einmal hervorgekramt hatte, um es vor Lieutenant Shields auszubreiten.
"Oh, Sir, kein Problem! Zum ersten: Ich bin Angus McFusty, Häuptling des Clans der McFustys. Öhm, und die zweite Frage: Einige Ihrer reitbaren Eisenvögel haben eines unserer ältesten Drachenweibchen umgebracht. Die Vögel selbst sind zwar auch nicht mehr da, aber die, die auf oder in denen gesessen haben konnten von meinen Söhnen und Neffen aus dem Meer gezogen werden, nachdem die Todeswelle der hingeschlachteten Drachenkuh uns alarmiert hat. Wie kamen Ihre Männer und die Frau dazu, unsere größte Dracheninsel anzugreifen."
"Wie sind Sie auf dieses Schiff gekommen?" Zischte Sutton, dem das, was der sogenannte Clanhäuptling gerade gesagt hatte nicht imponieren wollte.
"Öhm, ich bin appariert, nachdem ich erfuhr, wo ungefähr Ihr achso großartiges Schiff gerade kreuzt. Das macht mir so schnell keiner Nach", erwiderte der ungebetene Besucher. Offenbar mußte er lächeln, wenngleich das durch den Vollbart nur zu erahnen war.
"Bitte was sind Sie?" Fragte Sutton.
"Junger Mann, ich habe schon mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel und wohl nicht mehr alle Zeit, Ihnen Sachen zu erklären, die Sie sowieso nicht hören wollen. Deshalb frage ich noch einmal: Was sollte dieses Drehflügelding in Morrighans Revier?"
"Welche Morrighan?" Fragte Sutton.
"Achso, können Sie ja nicht wissen, natürlich. Morrighan ist das fünfhundert Jahre alte Drachenweibchen, das Ihre Luftkrieger hingeschlachtet haben. Es hätte völlig gereicht, aus ihrem Revier rauszufliegen und sie in Ruhe zu lassen. Aber erst mußte dieser Drehflügler mit Sprengkugeln auf sie feuern, dann noch diese Eisenvögel, bis einer von denen ihr die Augen weggeschossen und ihren Kopf zertrümmert hat."
"Bevor Sie mir jetzt die Geschichte eines wütenden Feuerdrachens weitererzählen will ich wissen, was mit meinen Leuten hier und denen an dieser angeblichen Insel geschehen ist. Also!"
"Nun, Ihr Stellvertreter rief die Wache, die mich gefangennehmen wollte. Ich mußte Ihren Wächter fesseln. Weil die anderen hier aber meinten, auf mich losgehen zu müssen, habe ich sie in der Bewegung erstarren lassen. Keine Sorge, sie sind bei bester Gesundheit und bekommen alles mit. Was die anderen angeht, so haben meine Kinder und Kindeskinder sich ihrer angenommen, bevor die anderen Drachen merken, daß Morrighan gestorben ist und um ihr Revier kämpfen. War schon sehr dumm, sie zu töten. Aber mir hat keiner gesagt, was die Leute von Ihnen da zu suchen hatten und wie sie es schafften, trotz der Unauffindbarkeit der Insel in Morrighans Brutrevier einzudringen."
"Sie wollen mir allen Ernstes weißmachen, daß Sie einhundert Jahre alt sind und trotzdem drei gut ausgebildete Offiziere eben mal kampfunfähig gemacht haben, Mr. McDusty."
"McFusty", korrigierte der Fremde. "Ja, und ich bin wahrlich einhundertundsiebzehn Jahre alt, und habe trotzdem einen noch sehr wachen Geist und gute Reflexe in Armen und Beinen. Aber so wie ich das mitkriege wissen Sie offenbar auch nicht, wie ihr Drehflügler unsere Unauffindbarkeit überwinden konnte."
"Ich höre daraus nur, daß Sie meine Leute aus dem Wasser gefischt haben und nun als Kriegsgefangene oder sowas halten. Das verbitte ich mir. Sie sind Bürger der vereinigten Staaten Amerikas und waren auf einer Rettungsmission. Warum der Hubschrauber, den Sie wohl mit Drehflügler bezeichnen eine Insel gefunden hat, die angeblich unauffindbar ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, Sie sind hier auf amerikanischem Boden und haben einen Gewaltakt gegen Angehörige der US Navy begangen, also einen kriegerischen Akt. Daher nehme ich Sie jetzt fest."
"Ach, nicht noch einmal!" Stöhnte der Fremde, der sich Angus McFusty nannte. Meridith Shields, die den merkwürdigen Besucher eingehend beobachtet hatte sah ihn an und fragte:
"Auf welche Weise haben Sie die drei Männer kampfunfähig gemacht?"
"Öhm, ein einfacher Erstarrungszauber bei den Leuten am Steuerrad und einen Fesselungszauber bei diesem Herrn, der mit diesen Handfesselringen angelaufen kam um mich festzunehmen", sagte McFusty. Da hielt der Kommandant der Ulysses Grantseine Pistole in der Hand.
"Hiermit erkläre ich Sie für verhaftet", sagte Sutton sehr bedrohlich. "Leisten Sie keinen Widerstand, lassen sie die Hände wo Sie sind und gehen Sie vor mir her zu unserer Arrestzelle."
"Der Jugend ihren Spaß, sage ich immer. Aber ich habe jetzt keine Lust auf solche Spielchen", sagte der Fremde und ließ seine rechte Hand zu dem im Gürtel steckenden Holzstab gleiten. Sutton hatte damit gerechnet, daß der Fremde den Dolch oder das wuchtige Schwert ziehen würde. Dennoch feuerte er, als McFusty den Stab freigezogen hatte und auf ihn einschwänkte. Die Kugel prallte jedoch einen halben Meter vor dem Fremden von einem unsichtbaren Hindernis ab und sirrte als Querschläger gefährlich nahe an Suttons linkem Ohr vorbei, krachte gegen die Panzerglasscheibe der Brücke und sauste wimmernd als etwas verlangsamter Querschläger knapp an Shields Kopf vorbei, die zurücksprang. McFusty ließ seinen Stab durch die Luft peitschen, worauf die Kugel im Flug verglühte. Sutton erschreckte das mehr als der unsichtbare Schutzschild, den der Unbekannte besitzen mochte, damit eine Pistolenkugel ihn nicht traf. Als ihm dann noch seine Waffe von einem roten Blitz aus dem Stab weggefegt wurde stand er genauso starr da wie der Rudergänger und der Navigator.
"Nur damit Sie sich und anderen nicht doch noch Schaden zufügen, Sir", sagte McFusty großväterlich. "Ich hoffe, wir beide können nun zivilisierter miteinander reden."
"Sie haben mich mit einem Energiestrahl entwaffnet", stieß Sutton kreidebleich heraus. Shields, die die Situation akzeptierte wie sie war sagte ruhig:
"Mein Name ist Lieutenant Meridith Shields, und ich bin an Bord dieses Schiffes für die Rechtsfragen zuständig. Habe ich es eben richtig erkannt, daß Sie übernatürliche Begabungen oder besondere Waffen haben."
"Nun, ich bin, so platt und einfach das klingt, ein alter Zauberer, Hogwartsabschlußjahrgang 1897."
"Lieutenant, ich erteilte Ihnen keine Sprecherlaubnis", knurrte Sutton. "Halten Sie sich gefälligst zurück! Das ist ein Befehl."
"Dann bitte ich um die Erlaubnis, die Brücke verlassen zu dürfen", entgegnete Shields kühl. Sie erkannte, daß Sutton gerade nicht mehr der Herr der Situation war. Außerdem hatte sie gerade die Bestätigung erhalten, daß Abrahams offenbar nicht geisteskrank oder von feindseligen Motiven getrieben war.
"Wenn Sie das davon abhält, sich diesem Menschen anzubiedern, Erlaubnis erteilt."
Meridith salutierte korrekt und sagte "Aye aye, Sir." Dann verließ sie die Brücke, um den inhaftierten Templeton Abrahams aufzusuchen, auch wenn sie dazu keinen eindeutigen Befehl erhalten hatte.
"Ich glaube nicht an Hexerei, auch wenn Ihre Vorstellung gerade einiges geboten hat", sagte Sutton. Sein Stolz und sein Ringen um die Kontrolle der jetzigen Lage trieben ihn, diesem Mann da nichts abzukaufen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen. "Mal abgesehen davon sind Drachen doch meistens ganz böse Tiere, die man doch umbringen soll, wenn es geht, oder?"
"Zum einen genießen auch Drachen das Recht auf ein größtenteils natürliches Leben, wenn sie weit genug von jeder Menschensiedlung leben und zum anderen weiß ich, daß Sie jetzt wissen, daß meine Zauberei echt ist. Normalerweise zeigen wir uns Leuten wie Ihnen überhaupt nicht. Aber zum einen sind Ihre Leute in unser Hoheitsgebiet eingedrungen, was bisher nicht möglich war. Zum anderen haben sie ein brütendes Weibchen aufgescheucht und qualvoll niedergemetzelt, was einen Revierkampf unter den anderen Drachen unseres Bestandes auslösen und eventuelle weitere Verluste nach sich ziehen wird. Nach der Vereinbarung von Loch Lommond 1820 haben wir McFustys das verbriefte Recht, von jenen, die einen Drachen in unserem Hoheitsgebiet erlegen Schadensersatz einzufordern. Nun, wir haben dieses Recht dreimal in Anspruch genommen, weil einige Heißsporne es doch gewagt haben, Drachen aus unserem Bestand anzugreifen und zu töten. Laut diesem Recht gebürt uns dafür ein Gerstenkorngewicht Bronze pro Pfund Körpergewicht mal Lebensalter in Jahrzehnten. Das heißt ..."
"Sie wollen mir ernsthaft erzählen, jemand hätte Ihnen ein Recht zugestanden, Leute auszunehmen, weil sie einen Drachen umbringen? Entweder sind Sie verrückt oder ich bin es, daß ich diesen Wahnsinn gerade erlebe. Simmons, Bradley, bleiben Sie da nicht so blöd stehen und bewegen sich gefälligst wieder!"
"Ich fürchte, die beiden Herren werden diesem Befehl nicht gehorchen können, solange mein Erstarrungszauber sie bewegungsunfähig hält", sagte Angus McFusty. Dann sagte er: "Morrighan wog beim letzten Mal vor einem Jahr zwölftausend Pfund und wurde 50 Jahrzehnte alt und hätte durchaus das dreifache an Lebenszeit erreichen können, weil sie für andere Drachen schon zu groß und zu stark war. Also sind das zwölftausend mal fünfzig Gerstenkorngewichte in Bronze. Sie können auch den siebzehnten Teil dieser Menge in Silber oder den siebzehn mal neunundzwanzigsten Teil der Bronzemenge in Gold entrichten. Sind Sie im Besitz dieser Menge?"
"Sie verlangen was? Erst einmal will ich wissen, wie es meinen Leuten geht, besser, ich verlange ihre sofortige Übergabe in die Obhut meiner Offiziere. Abgesehen davon zahlen weder die Regierung der vereinigten Staaten, deren Repräsentanten wir hier sind noch ich persönlich irgendeinem alten Kauz, der ein paar Tricks drauf hat etliche Tonnen in Bronze oder Gold für ein Tier, das es in der modernen Zoologie überhaupt nicht gibt und auch nie gegeben hat. Fertig aus. Zauberer!"
"Nun, was Ihre Leute angeht, so werde ich sie wohl erst dem Zaubereiministerium übergeben, um zu klären, wie sie sich an was erinnern mögen. Was das mit der Bezahlung angeht, so habe ich befürchtet, daß Sie sich stur stellen werden. Daher beschlagnahme ich dieses Schiff bis zur Auszahlung der uns rechtmäßig zustehenden Entschädigungssumme und belege es mit dem Bann der McFustys, auf das es nur von uns gefunden oder bewegt werden kann."
"Ach, Sie wollen einen Fluch auf mein Schiff legen, wenn wir Ihren toten Drachen nicht bezahlen, der dann ja wohl zwei F-14 Tomcats im gesamtwert von 70 Millionen Dollar und einen 10 Millionen Dollar teuren Aufklärungshubschrauber zerstört hat, was zusammen 80 Millionen Dollar sind, die uns Ihr sogenanntes Drachenweibchen bereits gekostet hat. Seien Sie mal lieber froh, wenn meine Regierung Sie nicht als existent betrachtet und nur mir die Hölle heiß macht und keine Atombomben auf ihre unsichtbare Insel abwirft!" Sutton echauffierte sich derartig, daß er nicht bemerkte, wie Angus McFusty die Deckplatten mit seinem Zauberstab berührte, dabei ein merkwürdiges Wort sprach und dann einmal links und rechts ans Geländer ging. Wilson wollte ihm zwar den Weg verstellen, doch der Mann im Schottenkostüm drückte ihn einfach bei Seite und berührte eine weitere Wand. Dann berührte er eine Verstrebung oberhalb des Steuerrads und sagte noch was. In dem Moment glühte ein blaues Licht auf, und unmittelbar darauf setzten die Maschinengeräusche aus.
Im Hauptmaschinenraum erschrak der Chefingenieur, als zunächst ein bläuliches, geisterhaftes Leuchten für eine Sekunde alle Wände, die Dece und den Boden erleuchtete und dann die Steuerstäbe des Atomreaktors surrend in die Brennelementekammer einfuhren und die Kettenreaktion bis zum Stillstand verzögerten. Wer hatte da denn die Notabschaltung ausgelöst? Wieso hatte es keinen Alarm gegeben?
"Maschinenraum an Brücke! Reaktor wurde gerade per Notabschaltung deaktiviert!" Rief Commander Ludwigs über die Sprechanlage. Doch nun gingen auch noch alle Lichter aus und aus der Sprechanlage kam ein letztes leises Knacken, bevor die Lautsprecher komplett verstummten.
Überall auf dem mehr als zwei Fußballfelder großen Schiff fielen die für die Führung und Kommunikation nötigen Systeme aus. So trieb die Ulysses Grant nach nur einer Minute völlig antriebslos auf dem Meer.
"Das gibt es doch nicht", erschrak Wilson, als der Mann im Schottenrock ihn einfach wegstieß und seinen Zauber mit der Wand und der Decke machte. Danach fiel alles aus, was dieses Schiff einsatzfähig hielt.
"Junger Mann, wenn Sie einen Sport betreiben, geben Sie ihn auf und üben sich in der Kunst des Baumstammwerfens wie ich", sagte McFusty. Auch das Jonglieren mit unfruchtbaren Dracheneiern hält die Muskeln stramm und geschmeidig."
"Was haben Sie mit meinem Schiff gemacht?" Fragte der Kapitän.
"Ich habe mein Schiff lediglich unter den Bann der McFustys gestellt, oder auch verflucht, wie Sie es nennen möchten. Ich werde meinen Söhnen den Auftrag geben, Ihre Männer zu Ihnen zurückzubringen, da im Moment nur das Blut der McFustys diese schwimmende Festung erreichen kann und dann in Verhandlungen mit Ihrer Regierung treten. Ich denke, diese schwimmende Festung hat mehr als den Wert, den wir für die unerlaubte Abschlachtung Morrighans beanspruchen. Wünsche noch einen angenehmen Tag, die Herren! Oh, das habe ich vergessen. Retardo removete! Retardo Removete! Retardo Descarcerus!" Bei jedem seiner fremdartigen Sätze deutete er auf einen der irgendwie bewegungsunfähigen. Dann drehte er sich blitzschnell um die eigene Achse und verschwand mit einem Knall. Eine halbe Minute später konnten sich alle wieder bewegen, die der alte schottische Zauberer außer gefecht gesetzt hatte.
"Verdammt noch eins!" Schimpfte Petty Officer Bradley, der Rudergänger.
"Ich habe das mal überhört", sagte Sutton grimmig. Ihm war auch nach Fluchen gewesen. Aber das würde die Ulysses Grant nicht wieder flott machen.
Templeton abrahams hockte in einer Arrestzelle, das fünfte Mal in seinem Leben als Marineoffizier, von denen die ersten vier Male in seiner Zeit als Seaman, also dem untersten Matrosenrang passiert waren, wo er noch sehr undiszipliniert und rauflustig gewesen war. Ihm war es gleich, wielange er hier warten mußte. Irgendwann mußte sein bis dahin bester Freund Clayton einsehen, daß das mit der Zaubererwelt und echten Drachen keine Spinnerei gewesen war. Als dann Meridith Shields vor der Zelle auftauchte und ihn zu einem Mann namens McFusty befragte mußte er schadenfroh grinsen. Von diesen Leuten hatte sein Sohn ihm erzählt. Das paßte zusammen. Diese Zaubererfamilie hütete irgendwo auf für andere unsichtbaren Inseln eine Sorte Drachen. Dann fügte sich also alles zusammen. Wenn jetzt noch einer dieser McFustys, der eigenen Aussage nach das Oberhaupt selbst, auf das Schiff gekommen war, dann stand dem guten Clay noch ein sehr abwechslungsreicher Tag bevor. Denn Tim hatte ihm auch erzählt, daß sie nicht gerade Spaß verstanden, wenn jemand sie oder ihre Drachen belästigte. Das sagte er auch Meridith Shields, die nicht den Eindruck machte, ihn für verrückt zu halten.
"Sie behaupten, Ihr Sohn sei auch ein Zauberer. Wie kommt es dann, daß Sie das nicht können?"
"Das soll alle paar hundert Familien vorkommen, daß Kinder aus völlig magielosen Sippen übernatürlich begabt sind und dann von erwachsenen Zauberern angeboten bekommen, in extra dafür gebauten Schulen zu lernen."
"Aber wieso wissen wir dann nicht alle was davon? Haben die das zur Geheimsache erklärt? Wollen Sie womöglich nur für sich leben?" Fragte die Militäranwältin. Abrahams bejahte diese Fragen. Dann sagte er, daß nur die Familien der als Zauberer oder Hexen erkannten Kinder in die Sachen eingeweiht werden durften, die sie lernten.
"Dann wissen Sie vielleicht, was mit dem Begriff "Appariert" bezeichnet wird. Dieser McFusty behauptet, so zu uns gekommen zu sein. Da ihn offenbar keiner unterwegs gesehen und aufgehalten hat könnte man ihn direkt auf das Schiff gebeamt haben."
"Na, das hat er dann schon selbst gemacht, Lieutenant", warf Abrahams ein. "Apparieren ist die Zauberei, innerhalb eines Augenblicks zwischen zwei beliebig weiten Standorten zu wechseln. Ich weiß noch, daß mein Sohn Tim zwei Prüfungen machen mußte, bevoor er das machen durfte. Er hat es meiner Frau und mir einmal vorgeführt, aber schön weit weg von unserer Wohngegend, damit sie ihm nicht Gefährdung der Geheimhaltung nachweisen konnten."
"Dann verstehe ich, warum diese Leute nicht wollen, daß wir davon wissen", sagte Meridith Shields und erbleichte. Es mochte sogar sein, daß man sie alle jagte, wenn rauskam, wer diesen McFusty gesehen oder gesprochen hatte. Denn nach dem kurzen Gespräch mit Abrahams hatte sie mit dem untrüglichen Gehör für versteckte Details und ihrem Gefühl für die Wahrheitsnähe einer Aussage erkannt, daß diese Zaubererwelt gut durchorganisiert war, mit Gesetzen und Gesetzeshütern. Wenn die Geheimhaltung eines dieser Gesetze, ja das oberste überhaupt war, würde man ihnen nicht gestatten, das Geheimnis der Zaubererwelt weiterzuerzählen. Deshalb fragte sie:
"Wissen Sie was denen passiert, die absichtlich oder unabsichtlich hinter das Geheimnis kommen?"
"In der Regel werden ihre Gedächtnisse umgemodelt, Lieutenant. Danach erinnern Sie sich an alles mögliche, nur nicht daß sie mit Magie oder Zauberern oder Zauberwesen zu tun hatten. Nur Familienangehörige von Zauberern sind davon ausgenommen, um die Familie nicht zu zerstreuen."
"Oha! Wer leitet das ein, daß solche Manipulationen vorgenommen werden?"
"Die Magieüberwachung und das Zaubereiunfallumkehrkommando, wenn irgendwo in einer sogenannten Muggelsiedlung gezaubert oder ein Drache gesichtet wurde."
Ohne Vorwarnung ging das Licht im Arresttrakt aus und die Maschinengeräusche erstarben.
"Was ist denn jetzt los?" Fragte Meridith Shields und erkannte, daß diese Frage für ihr analytisches Niveau zu dumm war, überhaupt gestellt zu werden. Natürlich hatte dieser Zauberer was angestellt, um den Kommandanten zu beeindrucken. Wie konnte man einen Kapitän am besten beeindrucken? Indem man sein Schiff lahmlegte.
"Ich hoffe mal, Captain Sutton wird mich jetzt nicht mehr für einen gefährlichen Irren halten", sagte Abrahams. "Wahrscheinlich hat dieser McFusty alles an Bord lahmgelegt, von den Maschinen bis zum Funk. Wie lange er das macht, weiß ich nicht."
"Ich kläre das", sagte die Militäranwältin und tastete sich aus dem nun düsteren Trakt durch ebenso düstere Gänge zurück auf das oberste Deck. Unterwegs begegneten ihr Männer und Frauen mit Taschenlampen. Denn selbst die automatische Notbeleuchtung wollte nicht anspringen.
"Alle direkt mit dem Schiff verbundenen Systeme sind ausgefallen und lassen sich nicht mehr starten", sagte einer der Ingenieure, als er nach einer halben Stunde dem Captain Meldung machte.
Abrahams war inzwischen wieder freigelassen worden, weil Lieutenant Shields dem Kommandanten nahelegen konnte, sich von ihm mehr über die Zaubererwelt anzuhören. Doch Sutton war zunächst mit anderen Dingen beschäftigt. Sie konnten zwar mit Walkie-Talkies an Bord funken. Doch über die Schiffsgrenzen hinaus drang nichts hinaus. Es waren jedoch noch vier Flugzeuge in der Luft, die nun Probleme hatten, wieder zu landen, wenn keine Landehilfe und keine Fangseile bereitstanden.
"Dieser Hexenmeister hat meine Leute auf dem Gewissen", knurrte Sutton, als er in der Ferne eine Tomcat sah, die auf den Träger zuflog, ihn mit fünfhundert Stundenkilometern überflog und weiter davonraste.
"Die können uns nicht orten und auch nicht sehen", sagte Abrahams. Wenn dieser McFusty meint, wir seien nun unauffindbar, dann sind wir das auch."
"Wie diese Insel?" Fragte Sutton barsch.
"Das ist ja das, was die noch klären müssen", sagte Abrahams. Dann fiel ihm was ein.
"Captain Sutton, Sie können zwar keinen Katapultstart machen lassen und kriegen damit keine Flugzeuge mehr in die Luft. Aber Hubschrauber und Senkrechtstarter könnten die Ulysses Grant verlassen und zur Nelson übersetzen. Diese müßte ja dann, wenn wir unortbar geworden sind, unser Radarsignal verloren haben."
"Sie haben recht, Captain. Ich schicke ein paar Hubschrauber als Kuriere für die noch fliegenden Tomcats raus, die ihnen helfen, zur Nelson zu kommen. Allerdings weiß ich nicht, wie weit wir bereits gedriftet sind", sagte Captain Sutton.
"Ich fliege mit einer meiner Maschinen los", sagte Abrahams.
Jedoch stellte sich nach mehreren Versuchen heraus, daß keine Maschine mehr als die doppelte Entfernung zum Träger zurücklegen konnte. Jeder Hubschrauber und auch Abrahams Senkrechtstarter gerieten in eine sehr enge Umlaufbahn wie um einen masserreichen Himmelskörper und konnten nur im Kreis fliegen.
"Ich habe diese Magie unterschätzt", knurrte Abrahams, als er wieder gelandet war.
Im englischen Zaubereiministerium war die Hölle los, als die Aufspürabteilung starke Zauberkräfte in der Nähe der Hebriden ausmachte. Als dann noch herauskam, daß ein ganzer amerikanischer Flugzeugträger unter einen Unortbarkeitszauber gestellt wurde, erfuhr Tim Abrahams davon und entsann sich, daß sein Vater mit seinem amerikanischen Kollegen Sutton an einer Zweiländerübung teilnehmen wollte. Er bat darum, der Kommission zugeteilt zu werden, die in der Sache ermittelte. Minister Scrimgeour gestattete das. So suchte er zusammen mit Amos Diggory aus der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe den Stammsitz der McFustys auf einer der von Muggeln nicht besiedelten Hebriden auf und stellte den Clanchef zur Rede. Als er erfuhr, daß es um unerwartet eingedrungene Muggel und einen von diesen erlegten Drachen ging und die McFustys ihr verbrieftes Recht auf Schadensersatz wieder durchsetzen wollten sagte Tim Abrahams:
"Abgesehen davon, daß es taktisch sehr unklug ist, ein Kriegsschiff zu beschlagnahmen, wenn in der Nähe noch eines herumschwimmt das mit Spürgeräten feststellt, wenn es verschwindet und damit die Geheimhaltung total gefährdet wird steht in dieser Berechtigung nur eindeutig drin, daß solche Leute, welche Zutritt zu den Drachenrevieren erlangen und einen oder mehrere Drachen lebensbedrohlich verletztzen oder töten, ohne daß ihnen dazu Auftrag oder Erlaubnis erteilt wurde, Schadensersatz zu entrichten haben. Muggel können nicht auf die Inseln und sind daher von Schadensersatzforderungen nicht betroffen."
"Junger Bursche, diese Muggel sind in Morrighans Revier eingedrungen. Sonst hätte ich bestimmt nicht gewußt, wen ich dafür zur Rechenschaft ziehen muß."
"Sie haben alle, die Sie gefunden haben auf das Schiff zurückgebracht?" Fragte Tim Abrahams sehr energisch.
"Ja, haben wir. Da werden sie bleiben, bis wir unsere Entschädigung haben. Die ersten Männchen haben schon angefangen, das Revier abzustecken. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie übereinander herfallen, um Morrighans Revier neu zu verteilen. Die beiden sind sehr stark und kämpfen wie Sie wissen dürften solange, bis einer aufgibt oder sich beide gegenseitig so schwer verletzt haben, daß sie sterben."
"Was ist denn zuerst bei Morrighan angekommen. Der Drehflügler oder die Flügelmaschinen?" Fragte Tim.
"Die Drehflügelmaschine. Die Leute davon taten geheimnisvoll und wollten nicht verraten, weshalb sie unterwegs waren."
"Woher wissen Sie das mit der Drehflügelmaschine?" wollte Tim wissen.
"Nach dem Todesschock Morrighans, der Sie ja zu mir geführt hat, junger Mann, haben wir mit einem Rückschauzauber die letzte Stunde in Bildern nachvollzogen", sagte McFusty sehr verbittert, weil man ihn in die Enge zu treiben gewagt hatte. Vielleicht fiel ihm jetzt auch auf, daß es besser gewesen wäre, die Angelegenheit gleich dem Zaubereiministerium zu übergeben. Aber sein Stolz und sein Ehrgefühl verlangten von ihm, auf der zugesicherten Entschädigung zu bestehen. Tim, der in dieser Hinsicht nicht so ein Sturkopf war wie McFusty, bot ihm an, das Eindringen des Hubschraubers zu klären und beim Zaubereiministerium um die Entschädigung zu bitten, die dann, wenn das Schiff wieder freigegeben und alle Besatzungsmitglieder gedächtnismodifiziert worden waren, beim amerikanischen Zaubereiministerium um die Rückzahlung der Entschädigung zu ersuchen."
"Falls ihr von dem Gold was wiederseht, bitte", sagte mcFusty.
Zwei Stunden später waren zwei Hundertschaften von Vergissmichs damit beschäftigt, die Besatzung der Ulysses Grant darauf einzustimmen, daß der Verlust zweier Flugzeuge und des Hubschraubers auf Vogelschlag und einen Kurzschluß im neuen U-Boot-Suchgerät beruhten. Dann fuhr das schiff wieder weiter. McFusty, der den Bann seiner Familie zunächst hatte aufheben müssen, um die Vergissmichs an Bord zu lassen, sagte noch zu Tim Abrahams, der seinen Vater gefunden hatte:
"Kriegen Sie raus, wie diese Leute unsere Inseln anfliegen konnten!"
"Ich glaube, das habe ich schon", sagte Tim. "Der Vergissmich, der den Admiral modifiziert hat, konnte herausfinden, daß ein Gerät zur Suche nach unter Wasser fahrenden Schiffen an Bord des Hubschraubers war. Dieses Gerät schickt sehr stark gebündelte Lichtstrahlen aus, die in ihrer Form nicht natürlich vorkommen. Womöglich haben diese starken Lichtbündel ein Loch in den Unauffindbarkeitszauber gerissen. Wir finden raus, ob sowas möglich ist und kriegen dann raus, wie es zu verhindern ist, weil derartige Geräte heute sehr häufig in der Muggelwelt vorkommen."
"Dann hängt euch aber rein!" Forderte McFusty. Tim hielt es für geboten, ihm einen Dämpfer zu verpassen.
"Ihnen ist doch wohl klar, Angus, daß wir den ganzen Aufwand an Vergissmichs hier und auf der Nelson berechnen und Ihnen von der beanspruchten Entschädigung abziehen werden. Könnte also glatt passieren, daß Sie nur eine Handvoll Galleonen kriegen. Also würde ich an Ihrer Stelle nicht so vorlaut sein, auch wenn Sie schon 117 Jahre alt sind."
"Das ich dir nicht gleich die Nase langziehe, Bürschchen", knurrte Angus McFusty sehr verärgert. Doch Tim federte das nur durch ein Schulterzucken ab.
"Wir haben Sie nicht darauf gedrängt, eine ganze Flugzeugträgerbesatzung unter den Bann der McFustys zu stellen, Angus. Insofern können Sie froh sein, wenn Sie am Ende etwas Geld und keine Zelle in Askaban krigen. Angenehmen Tag noch!"
Angus McFustys knurrte nur, als Tim disapparierte. Dann verschwand auch er. Ob er die Entschädigung für Morrighan wirklich bekam bezweifelte er nun. Doch das, so mußte der schottische Drachenhüter bald erkennen, sollte seine geringste Sorge sein.
Seine bleichen, spinnenbeinartigen Finger strichen über den glatten, pechschwarzen Ledereinband mit den blutroten Runen für Feuer und Herrscher, den einzigen Kennzeichen dieses uralten Buches. Er war froh, daß seine über Jahre angelegte Bibliothek niemandem in die Hände gefallen war, als diese Schlammblüterin Lily Potter es gewagt hatte, durch ihren Tod ihren Bastard Harry zu schützen und sein eigener Todesfluch ihn fast aus der Welt gestoßen hatte. Das alte Buch aus der Haut des linken Flügels eines ungarischen Hornschwanzes, geschriben mit einer Mischung aus Drachen- und Menschenblut, war das große Vermächtnis von Ignigenus Phlegethon, dem bis heute unerreichten Großmeister aller Feuerzauber aus dem 13. Jahrhundert. Selbst ein Sohn einer Nachfahrin Gryffindors und eines abtrünnigen Nachfahren Slytherins, hatte Phlegethon im Laufe seines einhundertfünfzig Jahre währenden Lebens alle Zauberein und Rituale studiert und gemeistert, die das alchemistische Element Feuer betrafen. Er hatte es verstanden, einen Schild gegen das zerstörerischste Drachenfeuer zu erschaffen, vermochte es, das Feuer der Sonne in einen Stein einzuschließen, den er als dauernde Wärmequelle oder bei seiner Zerstörung als ganze Landstriche verwüstenden Glutball benutzen konnte. Auch hatte Phlegethon es hinbekommen, wie man einen Vulkan nach belieben ausbrechen oder einschlafen lassen konnte und wie man sich zeitweilig zum Herren über Drachen machen konnte. Seine einzige erwähnte Feindin war Hallitti, die Tochter des dunklen Feuers gewesen, gegen die er mit einem Trupp anderer Zauberer gekämpft und sie schließlich für Jahrhunderte in tiefen Schlaf gebannt hatte. Voldemort hatte versucht, während seiner ersten Zeit die mächtigen Feuerzauber zu erlernen, die in dem Buch erwähnt wurden. Doch er mußte einsehen, daß er dafür offenbar nicht die richtigen Utensilien hatte. Denn Phlegethon hatte damals einen Zauberstab aus Rotbuche mit den Fasern aus dem Herzen eines schwedischen Kurzschnäuzlers besessen. Außerdem wurde ihm nachgesagt, daß das Blut Gryffindors ihm die hellen und wärmenden Eigenschaften des Feuers verlieh, während der andere Teil seines Erbes ihm die verzehrenden und ausufernden Eigenschaften dieses Elements verliehen hatte. Er war ein Parselmund, das untrüglichste Merkmal eines Erben Slytherins. Das alles wußte Voldemort und hatte versucht, die meisten in diesem dicken Buch niedergeschriebenen Formeln und Rezepturen für die mächtigen Feuerzauber nachzuvollziehen. Doch es war ihm nicht gelungen, bis er nach der gescheiterten Ermordung Harry Potters und der Wiedererstehung etwas von Harrys Blut in sich trug. Dennoch gelangen ihm die wirklich mächtigen Feuerzauber nicht. Wütend, weil ihm die Macht Phlegethons versagt blieb, wollte er das Buch bereits in die hinterste Ecke seiner geheimen Bibliothek verbannen, als er las, daß nur ein eingeborener Erbe des mutigen Gryffindor und des listenreichen Slytherin alle Meistergrade erringen würde, die Phlegeton errungen hatte. Dann war da noch etwas in diesem Buch, woran Voldemort denken mußte: das durch einen Zauber ermöglichte, aus weiter Ferne in dieses Buch eingefügte Reisetagebuch Phlegethons, das mit den Worten begann: "De Arma Armarum Yanxotharis, magistri veri omnium ignium". Voldemort hatte diese selbst über tausende Kilometer hinweg immer weiter vervollständigte Tagebuch in lateinischer Sprache verschlungen. "Über die Waffe der Waffen Yanxothars, des wahren Meisters aller Feuer" Phlegethon hatte die aus dem römischen Weltreich stammenden Unterlagen über die kugelgestaltige Erde benutzt und uralte Legenden zusammengetragen, die von einer Waffe in Richtung des Sonnenuntergangs kündeten, welche aus sich selbst ein alles zerstörendes Feuer erschuf und alle magischen und natürlichen Feuerquellen beherrschen und sämtliche dem Feuer verbundenen magischen Geschöpfe unterwerfen konnte. Doch leider, so konnte Voldemort nachlesen, war selbst der Großmeister aller Feuermagie an einem unüberwindlichen Hindernis gescheitert, dem Zugang zum Versteck des Artefaktes, das er als ein magisches Schwert oder eine ähnliche Klingenwaffe beschrieb. Phlegethon starb bei dem Versuch, in das Versteck einzudringen, womit das in sein großes Buch eingefügte Tagebuch unvollendet geblieben war. Doch was Voldemort lesen konnte würde reichen, daß er, der unsterbliche Lord Voldemort, an diese Waffe herankam. Denn wenn er richtig gelesen hatte, konnte jeder, der mit Schlangen sprechen konnte, durch Berührung der Waffe jeden Drachen zu seinem Dienst zwingen und damit eine unglaubliche Zerstörungskraft bändigen, wenn er oder sie eine ganze Armee aus diesen Feuer speienden Kreaturen zusammenbringen konnte.
"Die Welt wird bereuen, mich derartig lange mißachtet zu haben", wisperte Voldemort, als er sich die wichtigsten Stichwörter aus dem Tagebuch notiert hatte. Er würde sie Finden, die Klinge Yanxotahrs, die Waffe aller Waffen, die dem sagenumwobenen Meister des Feuers gehört haben sollte, einem der mächtigsten Magier jenes alten Reiches, von dem selbst in der Zaubererwelt viele glaubten, es habe nie existiert oder sei lediglich eine Legende aus einer Zeit, wo mächtige Zauberer wie Götter unter den Menschen gelebt hatten, bis deren Hochmut ihr Reich in der Tiefe des Meeres hatte verschwinden lassen. Doch wenn Ignigenus Phlegethon auf der Suche nach dieser Waffe sein Leben hatte lassen müssen bewies das doch, daß die Waffe existierte. Ja, und er würde sie finden. Sicher, als er wiedergekehrt war hätte er sofort nach ihr suchen sollen. Doch zum einen galt es damals, die Prophezeiung zu bergen, die über sein Schicksal Auskunft gab. Zum anderen wollte er nicht zu früh aus seinem Versteck herauskommen. Da die Prophezeiung unwiederbringlich verlorengegangen war, wollte er jedes für ihn erreichbare Machtmittel in die Hände bekommen, um endgültig unbesiegbar zu werden. Er überlegte schon, wen er auf die von Phlegethon beschriebene Reise mitnehmen würde. Dann fiel ihm ein, was der alte Feuermagier als Warnung in das aus der Ferne fortgesetzte Tagebuch geschrieben hatte: Die Waffe könne nur nach der Frühlingstagundnachtgleiche geborgen werden, da sonst kein Weg zu ihr zu finden sei, denn sie lagere an einem Orte, an dem zu einer bestimmten Zeit das Sonnenlicht ein Tor entriegelte, das nur einen Mondzyklus lang erreichbar und zu öffnen sei. Käme niemand, um es zu öffnen, würde es wieder verschwinden und bis zur nächsten Frühlingstagundnachtgleiche nicht zu finden sein. In diesem Fall, so wußte Voldemort aus den Aufzeichnungen, galt hier nicht die Frühlingstagundnachtgleiche der nördlichen, sondern die der südlichen Erdhalbkugel. Denn das Versteck des mächtigen Artefaktes lag in einem Land südlich des Äquators. Wen kannte er dort? Er war einmal mit vier peruanischen Zauberern, die einen schwarzmagischen Zirkel begründet hatten, in den Anden herumgestreift, um nach unbefruchteten Eiern peruanischer Vipernzähne zu suchen, bei denen er neue magische Eigenschaften herausfinden wollte. Gab es diese vier noch oder hatten sie sich mittlerweile wieder getrennt oder waren gar gestorben? Dies mußte er zunächst klären, bevor er selbst den Spuren Phlegethons folgen und Yanxothars Waffe suchen würde. Denn die südliche Frühlingstagundnachtgleiche hatte bereits vor einer Woche stattgefunden. So blieben ihm also nur noch an die drei Wochen, um das Tor zu Yanxotahrs Versteck zu öffnen und sich der überragenden Waffe zu bemächtigen.
Anthelia legte das Buch des Pacidenyus wieder fort. Seitdem sie den Stein der großen Erdmutter gesucht hatte ließ sie der Gedanke an das zweite darin erwähnte Artefakt nicht mehr los. Jetzt, wo sie das Bündnis mit den sogenannten Nachtfraktionsschwestern besiegeln konnte, hatte sie endlich den Rücken frei, um sich auf die Suche nach weiteren Machtmitteln zu machen. Sie wußte, daß dieser Emporkömmling Voldemort sowie der russische Schwarzmagier Bokanowski angefangen hatten, ihre Interessenssphären abzustecken und ihre Macht zu vergrößern. Wollte sie nicht zulassen, daß die beiden unbesiegbar wurden, mußte sie weitere starke Zauber und Zaubergegenstände ansammeln, um für eine neue Auseinandersetzung mit diesem zerstörungssüchtigen Burschen gewappnet zu sein. Denn das bisher einzige Duell mit Voldemort hätte sie beinahe das leben gekostet. Doch auch die Suche nach dem Stein der großen Erdmutter hatte ihr gezeigt, daß sie sich vorsehen mußte. Beinahe wäre sie von gefährlichen Tiefseemonstern getötet worden, wäre ihre Seele im Stein selbst eingekerkert worden oder hätte sie den Rest ihres Lebens als magisch sehr schwache Meerfrau zubringen müssen, unfähig zu mächtigen Zaubern und damit endgültig gescheitert. Wollte sie nun nach dem zweiten Gegenstand greifen, so mußte sie vorher noch einiges mehr an Informationen einholen als das, was in dem Buch stand. Sie wußte, daß das Schwert des sogenannten Vaters Himmelsfeuers in einem verborgenen Tal 20.000 Männerschritte nordwestlich von Machupichu, der alten Inkastadt, zu finden sein sollte. Sie wußte auch, daß dort Wächter und Wehrzauber das Schwert absicherten. Doch worum es sich bei den Wächtern und den Zaubern handelte wußte sie nicht genau. Nun, da sie auch in einigen Ländern Südamerikas ihr allein folgende Bundesschwestern gewinnen konnte, wollte sie diese neuen Kontakte nutzen, mehr über das Versteck und dessen Schutz zu erfahren. Denn sicherlich war in anderen Aufzeichnungen mehr darüber erzählt worden. Doch bevor sie nach Peru aufbrechen wollte, galt es noch, etwas verlorengegangenes zurückzugewinnen.
Sie las in den Berichten Dairons, die sie gesammelt hatte, was sie tun konnte, um die mit dem Verlust von Sarah Redwoods Seele abhanden gekommene Begabung zurückzugewinnen. Ursprünglich hatte sie geglaubt, eine X-beliebige Schlange zu töten und das Seelenfangritual zu vollziehen reiche aus. Doch Dairon erwähnte, daß das Medaillon keine Macht über Tiere habe, ja daß die Seele eines Tieres ganz anderen Gesetzen unterworfen war als die intelligenter, mit Bewußtsein ausgestatteter Wesen. So dachte sie schon daran, in Sarah Redwoods Haus einzudringen, den dort im alles verlangsamenden Zauberschlaf gefangenen Chuck Redwood zu erwecken, zu töten und dessen geerbtes Talent durch das Seelenfangritual zu übernehmen. Doch zum einen wollte sie nicht nur wegen einer einzigen Gabe einen halbwüchsigen Zauberer umbringen, wo sie Sarah Redwood schon nicht hatte töten wollen. Zum anderen hatte Dairon eine Methode erfunden, einige Tiersprachen dauerhaft sprechen zu lernen, sofern der eigene Charakter dem des zu verstehenden Tieres ähnelte. So ähnlich, vermutete sie, mochten die ersten Parselmünder ihre Fähigkeit erhalten haben, mit Schlangen zu sprechen. Doch wie sie es angestellt hatten, daß sie diese Gabe über Generationen weitergeben konnten, erschloss sich ihr nicht daraus. Dairon erwähnte lediglich, daß man sich ein Tier aussuchen konnte, dessen Sprache man dauerhaft sprechen wollte und je nach Nähe der eigenen Charaktereigenschaften eine Minute bis einen halben Tag damit zaubern mußte, um die betreffende Sprache dauerhaft zu können. So beauftragte sie ihre Bundesschwestern Pandora und Patricia Straton, sowie Romina Hamton mit der weiteren Ausbildung der gerade erst vierzehn Jahre alt gewordenen Hexe Dido Pane, während sie Dairons Zauber benutzen wollte, um zumindest Sarahs Parselbegabung zurückzugewinnen. Denn sie wußte, daß sie dem Emporkömmling Voldemort nur gewachsen sein würde, wenn sie wie er mit Schlangen aller Art sprechen konnte. Außerdem, so hatte sie im Buch des Pacidenyus gelesen, würde Parsel ihr auch sehr nützen, wenn sie die von ihm erwähnte Waffe finden konnte.
Anthelia Begab sich am ersten Oktober in die Wüste von Texas, um dort nach einer Klapperschlange zu suchen. Die sengende Hitze machte ihr nichts aus. Denn auf den Vorschlag Patricia Stratons hin hatte sie alle ihre Umhänge so bezaubert, daß sie ihre Trägerin sowohl vor glühender Hitze als auch vor klirrender Kälte schützten. So war es ihr egal, ob der unwirtliche Boden unter ihren Füßen backofenheiß war und ob die Sonne ihr ganzes Feuer auf ihren Kopf hinabschickte.
Nach zwei Stunden Wanderung durch die lebensfeindliche Landschaft fand sie endlich, wonach sie suchte. Die aufgestöberte Klapperschlange nahm sofort ihre Drohhaltung ein und klapperte wild mit ihrer Hornrassel am Schwanzende. Zweimal stieß das aufgescheuchte Reptil vor und grub Anthelia seine Giftzähne in das rechte Bein. Doch Anthelia kümmerte sich nicht darum. Ihr Gürtel wehrte alle natürlichen Gifte sofort ab, bevor sie Schaden anrichten konnten. Sie fühlte es nur, daß ihr Gürtel immer erzitterte, wenn die Schlange zubiss und biss die Zähne zusammen, um die wie feine Nadelstiche wirkenden Schmerzen in den Beinen zu überstehen. Dann hatte sie die Schlange beim dünnen Hals gepackt und vom Boden gerissen. Wild schlug der gliederlose Körper des Tieres hin und her, versuchte, Anthelia wie eine Peitschenschnur zu treffen, sich um ihren Arm oder ein Bein zu wickeln. Dann nahm Anthelia ein silbernes Messer aus einer kleinen Scheide aus Drachenhaut und ritzte der Schlange den Bauch an. Das herausquellende Blut fing sie in einem silbernen Kelch auf, den sie gemäß Dairons Vorgaben mit geheimnisvollen Schriftzügen aus eigenem Blut bemalt und in der Sprache Dairons mit Beschwörungsformeln besprochen hatte. Als der Kelch fast bis zum Rand mit dem Schlangenblut gefüllt war setzte sie den Kelch telekinetisch auf den Boden außerhalb der Reichweite der immer noch umsich schlagenden und nervtötend laut klappernden Schlange. Sie packte mit der linken Hand hinter den Kopf der gefangenen Klapperschlange und hielt sie so davon ab, weiter um sich zu beißen oder zu flüchten. Dann zog sie ihren Zauberstab und schockte das Reptil. Danach entkleidete sie sich, was für sie wie ein Sprung in einne mit sehr heißem Wasser gefüllten Badewanne gleichkam. Doch nur so konnte sie den Zauber korrekt durchführen. Auch den Gürtel und das Seelenmedaillon legte sie ab, wobei sie beides vorsorglich im heißen Sand vergrub, so daß sie alleine die Sachen wiederfinden konnte. Anschließend heilte sie die Schnittwunde und richtete den Stab erst auf sich, dann auf die Schlange und dann auf den Kelch mit dem aufgefangenen Blut. In Dairons alter Sprache sang sie eindringlich:
"Deine Laute seien mein!
Sollen mir verständlich sein!
Durch dein Blut gelangt zu mir
was du an Lauten gibst von dir.
Immer fort soll es so sein,
deine Laute seien Mein!"
Diese zauberformel sang sie ein Dutzend mal, wobei sie immer wieder den Zauberstab zwischen sich, der Schlange und dem Kelch auspendeln ließ. Beim zwölften Mal erglühte der Kelch, und zwischen ihm, der Schlange und Anthelia spannte sich für zwei Sekunden ein silbrig-blauer Lichtbogen. Als dieser Erloschen war schnitt sich Anthelia mit dem Messer in den linken Finger und ließ genau vier Tropfen Blut in den Kelch fallen. Dann nahm sie ihn und stürzte dessen Inhalt mit leicht verzogenem Gesicht hinunter. Sie scheuchte die Gedanken fort, daß sie diesen Vorgang womöglich vierundzwanzigmal wiederholen mußte, jede halbe Stunde einmal. Dairon hatte geschrieben, daß jener, der das Ritual durchführte die endgültige Gewißheit hatte, die Sprache dauerhaft zu können, wenn er nach dem Trinken des Blutgemischs für eine Minute die Gestalt des betreffenden Tieres bekam. Blieb diese vorübergehende Verwandlung ohne Zauberstab aus, mußte der Vorgang wiederholt werden. So wartete Anthelia, ob die Bezauberung wirklich eintrat. Doch es geschah nichts, außer daß sie sich anstrengen mußte, daß ihr Magen nicht revoltierte und das wild entschlossen hineingestürzte Blutgemisch wieder loswerden wollte. Nach genau einer halben Stunde ohne weitere Auswirkungen wiederholte sie den Blutzauber mit den wieder zwölf wiederholten Zauberformeln. Als sie wieder vier Tropfen Blut in den Kelch gegeben und den Inhalt nun mit etwas weniger Widerwillen in sich hineingeschüttet hatte, wartete sie darauf, ob sie nun die bestätigende Verwandlung überkommen würde oder nicht. Als wieder eine halbe Stunde verstrichen war, ohne daß die Bezauberung wirksam wurde, wiederholte Anthelia das Ritual erneut. Sie hoffte, die Schlange nicht vor der endgültigen Wirkung des Zaubers völlig ausbluten lassen zu müssen. Wieder blieb das aus, was Dairon angemerkt hatte. So mußte sie ein viertes Mal Schlangenblut in dem Kelch aufffangen, die Zauberformel zwölfmal hersingen und eigenes Blut in den Kelch einfüllen, bevor sie das erhaltene und bezauberte Gemisch in sich hineinschüttete. Wieder verging eine halbe Stunde ohne weitere Auswirkungen, und Anthelia fürchtete wirklich, sich eine neue Schlange suchen zu müssen. Doch sie führte das Ritual erneut durch und kippte den Inhalt des erneut gefüllten Kelches in sich hinein. Da fühlte sie ein Brennen und Kneten, als würden mehrere glühende Rührstäbe ihren ganzen Körper durchwalken. Mit zusammengebissenen Zähnen überstand sie die erste Welle der heftigen Schmerzen, die in ihrem Körper tobten. Doch als ihre Arme und Beine wie von einer Presse zusammengedrückt schmerzten und sie meinte, auf einer erbarmungslos in die Länge gezogenen Streckbank zu liegen, konnte sie nicht mehr anders. Ein langgezogener Schrei entfuhr ihrem weit offenen Mund und verflüchtigte sich in der Weite der sie umgebenden Wüste. Sie fiel nach vorne, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Kaum lag sie auf dem Bauch, fühlte sie, wie die schmerzhafte Streckung ihres Körpers mit einem letzten Ruck ihre Sinne zu betäuben drohte und wie sie alles Gefühl in Armen und Beinen verlor. Mit brennenden Augen lag sie flach auf dem Boden, sichtlich erschöpft von der Tortur. Als sie dann jedoch sah, wie sich die Welt um sie verändert hatte und keinen Laut mehr hören konnte wußte sie, die von Dairon angekündigte Verwandlung hatte sie endlich getroffen. Eine Minute lang, so hatte Dairon es geschrieben, sollte sie vorhalten. Anthelia versuchte, ihren nun in die Länge gezogenen, jedoch sehr geschmeidigen Körper zu bewegen, fühlte, wie er auf ihre Gedanken reagierte und sich wand, streckte und zusammenzog. Sie fühlte, daß dort, wo vorher noch ihre Beine gewesen waren, ein merkwürdiges Ende hing, an dem etwas frei bewegliches zusammenstieß, sobald sie diesen ungewohnten Körperteil bewegte. Zu hören war jedoch kein Laut. Sie öffnete den in die breite gezogenen Mund und streckte eine gespaltene Zunge heraus, über die sie sofort hunderte von Eindrücken aus der Luft empfing, die zum teil sehr appetitanregend waren. Anthelia dachte daran, ob sie nicht zu viel riskiert hatte und nun ihr restliches Leben in dieser Gestalt zubringen mußte. Sie wand sich und schaffte es, einige Meter kriechend zurückzulegen. Sie hoffte, die Rückverwandlung käme bald. Denn sie fühlte auch, daß ihr Verstand von immer stärkeren Bedürfnissen tierischer Art durchsetzt wurde. Hatte sie zu hoch gepokert? War diese Fähigkeit, mit Schlangen sprechen zu können, einen solchen Preis wert?
Anthelia bewegte sich weiter. Sie sah die von ihr gefangene und betäubte Klapperschlange, die nun so dick wie ihr eigener Körper neben ihr lag. Sie streckte ihre Zunge heraus und witterte, was von dem schuppigen Körper zu ihr hinströmte. Irgendwie regte das in ihr eine gewisse Abwehrhaltung an, aber auch eine unbestreitbare Lust. Dieses Tier war ein Männchen. Aber es lag in ihrem Revier, und sie war noch nicht bereit für ein Männchen. Sie mußte es vertreiben. Aber es war betäubt und würde es bleiben. Dann mußte sie es töten. Es war doch eh schon zu schwach für einen Revierkampf. Nein, sie wollte dieses Männchen nicht töten. Das war doch völlig unnötig. Sie würde sich gleich wieder zurückverwandeln ... Hunger! In der Nähe war eine Wüstenmaus. Der von dieser strömende Geschmack kitzelte sie verheißungsvoll an der gespaltenen Zunge. Sie wandte sich von dem betäubten Klapperschlangenmännchen ab und begann, auf die Quelle dieses leckeren Geschmacks, den die Luft ihr zutrug, zuzukriechen. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie wollte sich nicht dagegen wehren. Sie würde sich anschleichen, das Nagetier mit einem blitzschnellen Vorstoß beißen und warten, bis ihr Gift ....
Ohne Vorwarnung traf sie eine Welle aus Schmerzen wie eine Folge in sie einschlagender Blitze, die ihren Körper verbrannten, ihn zusammenschmelzen ließen und dann, am Rande der Ohnmacht, herumwarfen. Japsend lag Anthelia auf dem Rücken. Sie hörte das Keuchen ihrer Lungen, das wilde Pochen ihres Herzens und roch den Staub der Wüste. Dann fühlte sie, daß sie wieder Arme und Beine besaß, Leicht benommen stemmte sich Anthelia wieder hoch. Die kurzfristige Verwandlung war von ihr gewichen. Doch war damit auch alles andere eingetreten, was sie über den von ihr bewirkten Zauber gelesen hatte?
Sie ging auf ihren noch etwas wackeligen Beinen zurück zu der betäubten Schlange und den ihr entfallenen Silberkelch und Messer. Zunächst bekleidete sie sich wieder, was für sie war, als trete sie aus einem warmen Haus in eine kühle Herbstlandschaft hinaus. Dann holte sie ihre abgelegten Zaubergegenstände aus dem Boden. Das Medaillon war so heiß, daß sie sich fast daran verbrannte. Mit leicht schmerzenden Fingern bugsierte sie es unter ihren Umhang. Der Gürtel pulsierte, als er unter ihrer Kleidung mit ihrem Körper neu verbunden war und sich sofort wieder auf ihn einstellte. Als sie ihren Zauberstab hob und die Schlange vom Schockzauber befreite, wich sie zwei Schritte zurück. Sofort begann das Reptil mit seiner Rassel zu lärmen. Dabei hörte Anthelia wie es wütend rief:
"Du böses Ding. Ich beiße dich! Hau ab! Ich beiße dich!"
"Hast du schon so oft gemacht und nichts damit erreicht!" Rief Anthelia. Doch ihre Worte klangen wie wütendes Fauchen und Zischen aus ihrem Mund. Das Klapperschlangenmännchen hielt inne und sah sie mit seinen geschlitzten Pupillen an.
"Was willst du von mir, Weibchen?"
"Was ich gerade von dir bekommen habe", sagte Anthelia siegestrunken. Sie hatte es geschafft! "Verschwinde von hier und such dir was zu fressen! In der Nähe ist eine Maus im Boden."
"Du hast mich angegriffen. Ich beiße dich und mach dich tot!" Schnaubte das Schlangenmännchen und stieß vor. Doch Anthelia stieß aus:
"Lass mich in ruhe!" Da zog sich die Klapperschlange zurück. Die Wirkung des ihr erteilten Befehls trieb sie dazu, Anthelia alleine zu lassen. Die Oberste der Spinnenschwestern lächelte triumphierend. Sie hatte sich die Gabe zurückgeholt, die der Emporkömmling und die Erben Slytherins bereits bei ihrer Geburt erhalten hatten. Nun konnte sie die Sprache der Schlangen verstehen und wieder sprechen. Doch eines war merkwürdig. Als sie selbst für eine Minute eine Schlange gewesen war hatte sie keinen Ton hören können. Doch Parsel funktionierte wie eine Lautsprache. Mochte es sein, daß es eher eine Form magischer Gedankenübertragung war, wenn sie die Laute einer Schlange immitierte und die Laute einer Schlange hörte? So und nicht anders mußte es sich verhalten. Anthelia sah der davonkriechenden Klapperschlange nach, die wie befohlen auf die in der Nähe gewitterte Wüstenmaus zupirschte. Das genügte der Hexenmatriarchin. Sie blickte sich um, ob jemand in der Nähe war und disapparierte.
Zurück in der Daggers-Villa bekam sie mit, wie pandora Straton sich mit Dido über ihre Verwandten unterhielt. Das dürre Mädchen mit der kastanienbraunen Mähne erzählte gerade von seinem Ururgroßonkel Brutus. Vor bald einem Jahr war Dido noch als Ornatus Pane herumgelaufen, als Lehrling des dunklen Magiers Lohangio Nitts. Doch daß Dido einmal ein Junge gewesen war wußte sie jetzt schon lange nicht mehr. Sie war immer schon Dido gewesen, ganz einfach. Das war eine der stärksten Wirkungen des Contrarigenus-Fluches.
"Und dein Ururgroßonkel hat damals mit diesem Arcturus Black zusammen ein ganzes Dorf von Muggeln eingeäschert?" Fragte Pandora Straton gerade.
"Ja, hat er", erwiderte Dido. "Ich weiß nicht genau, wieso er das gemacht hat. Aber villeicht nur, weil's eben Muggel waren, die ihm irgendwie blöd gekommen sind."
"Dein zerstörungssüchtiger Ururgroßonkel hat mit Arcturus Black gewettet, wer eine Muggelansiedlung am schnellsten dem Erdboden gleichzumachen vermag", mischte sich nun Anthelia ein. Dido schrak zusammen und blickte die höchste Schwester eingeschüchtert an. "Es war für die beiden ein Spiel, wer mehr vernichtende Gewalt heraufbeschwören konnte", fügte Anthelia verächtlich hinzu. "Ähnlich wie die Sache mit den unsichtbaren Golems, die der Emporkömmling gegen diese Ansiedlungen der Muggel im südwestlichen England geschickt hat. Nur Brutus Pane, soweit mir bekannt wurde, hielt einen trupp ihm höriger Riesen, während Arcturus Black von diesen Kreaturen nichts wissen wollte, weil sie ihm zu unbeherrscht waren. Damit war es keine Kunst, mal eben ein Dorf vom Angesicht der Erde zu tilgen."
"Woher weißt du das, höchste Schwester?" Fragte Dido verhalten.
"Weil ich diesen Arcturus Black ergriffen und peinlich befragt habe, nachdem jene Verheerung über Little Meadows gekommen war", sagte Anthelia. Tatsächlich hatte sie im Jahre 1702 Arcturus Black in einem magischen Duell besiegt und zu ihm und seinem Kumpanen Brutus Pane befragt. Als sie Pane selbst zur Rechenschaft ziehen wollte, hatte sie erfahren, daß er vom Anführer der Riesen umgebracht worden war, weil er diesem seinen Söldnerlohn schuldig geblieben war. Das, so erinnerte sich Anthelia sehr gut, war der Auftakt der verheerenden Riesenkriege in Europa gewesen, weil nun alle Riesen einander massakrierten, um Panes magische Gegenstände, die sein Mörder an sich genommen hatte, zu erobern. Anthelia, die wollte, daß die Riesen nie wieder für Zauberer arbeiten konnten und besser sterben als ihre Kraft irgendwelchen Mordbuben zur Verfügung stellen sollten, half heimlich verschiedenen Gruppen der Riesen mit verzauberten Waffen wie unzerstörbaren Lanzen, die beim Vorstoß Feuer oder Eispfeile verschleudern konnten. Als auf den britischen Inseln kein Riese mehr übrig gewesen war, hatte sie sich wieder ihren eigentlichen Zielen zugewandt. Doch davon erzählte sie Dido natürlich nichts.
Als Didos Unterricht beendet war und das Hexenmädchen auf sein Zimmer geschickt worden war, trafen sich Anthelia, Pandora und Patricia im Weinkeller, der nur durch Apparieren erreicht werden konnte.
"Schwestern, ich halte die Zeit für gekommen, daß wir eine wirksame Waffe gegen den Emporkömmling in unsere Hände bekommen", sagte Anthelia. Patricia, der schwante, daß Anthelia offenbar wieder nach einem uralten und mächtigen Gegenstand suchen wollte, verzog etwas das Gesicht. Pandora fragte, was für eine Waffe Anthelia meine.
"Ihr wißt, daß mir ein Buch in die Hände fiel, in dem ein gewisser Pacidenyus seine größten Erfolge und Geheimnisse niederschrieb. Mir gelang es, einige dieser Geheimnisse zu entreißen und zu erkunden, daß es in der Nähe einer alten Festung namens Machupichu einen wohl gehüteten Ort gibt, an dem selbst ein Artefakt aus dem alten Reich verborgen liegt, das jenem, der sich seiner mächtig genug erweist Macht über die Kräfte und Wesen des Feuers verleiht. Da ich davon ausgehen muß, daß auch andere nach diesem Gegenstand trachten, ist es mein Wille, jenen anderen zuvorzukommen."
"Was für ein Ding ist es, höchste Schwester?" Fragte Patricia Straton.
"Pacidenyus beschreibt es als ein Schwert aus Gold und Orichalk, dessen Griff aus einem Vulkanstein gefertigt und mit dieser Metalllegierung umfasset wurde. In ihm seien die zauber gebündelt, welche sich über alle Feuer und der aus ihnen geborenen oder von ihnen durchdrungenen Wesen erheben", antwortete Anthelia ruhig. Sie wußte, daß Patricia wohl nicht sonderlich gut gestimmt war, daß erneut ein mächtiger Gegenstand gesucht werden sollte. Deshalb fügte sie noch hinzu: "Ich weiß, es mutet größenwahnsinnig oder habgierig an. Doch ich muß befürchten, daß nun, wo jener Emporkömmling wieder an der Macht ist und nicht länger in seinem Unterschlupf ausharren will, von jener Waffe Kunde erhält und seinerseits die Hand danach ausstrecken wird. Denn wahrlich, nur die wahrhaftig mächtigen Magier vermögen, zu ihr zu gelangen und sie zu ergreifen und ihre Macht in ihren Dienst zu stellen."
"Höchste Schwester, ich wußte bis jetzt überhaupt nichts von dieser Waffe", warf Pandora Straton ein. Sie war Expertin für Zaubereigeschichte, insbesondere im Zusammenhang mit dunklen Magiern und möglichen Hinterlassenschaften.
"Ich erfuhr auch erst vor wenigen Monaten von der Existenz jener Waffe. Da ich davon ausgehen muß, daß Pacidenyus seinem Erben, für den er sein Buch verfaßte, keine Lügenmärchen auftischen wollte, ging es ihm doch darum, sein Werk auf Erden doch noch erfült zu wissen, bin ich mir sicher, daß es diese Waffe gibt. Wo ungefähr sie zu finden ist schreibt er in seinem Buch genauso wie in einem etwas weiter hinten versteckten Kapitel, wann man das Tor dorthin öffnen kann. Er beruft sich auf einen Magier namens Ignigenus Phlegethon aus dem 13. Jahrhundert."
"Dem bis heute allen Zaubereigeschichtlern als Großmeister des Feuers bekannt", sagte Pandora Straton und nickte Anthelia zu. "Hat sich dieser Pacidenyus geäußert, was Phlegethon genau erwähnt hat?"
"Nur daß die Waffe dem wirklich mächtigsten Feuermeister gehört haben soll, der wohl ein mächtiger Magus des alten Reiches war und da selbst Meister des Himmelsfeuers genannt wurde und Begründer einer Dynastie von Zauberkundigen war, die nach dem Untergang des Reiches über alle Lande verstreut wurden.
"Hast du mir nicht mal von dem erzählt, Mutter und Schwester?" Fragte Patricia. "Soll dieser Phlegethon nicht ein Buch geschrieben haben, das als erstes seiner Art einen Fernvervollständigungszauber besessen hat, so daß er in ein entsprechendes Tagebuch etwas eintragen mochte, was dann im Hauptbuch wortgetreu niedergeschrieben wurde?" Fragte Patricia.
"Genau, Tochter und Schwester", sagte Pandora Straton. "Es hieß vor fünfzig Jahren noch, ein gewisser Malfato Gaunt habe es besessen. Von dem wurde behauptet, er sei ein Erbe Slytherins gewesen und habe das Buch seinem ältesten Sohn Vorlost überlassen, als er seinen Grundbesitz verkaufen mußte. Falls du möchtest, höchste Schwester, bemühe ich meine Kontakte zum Londoner zaubereiarchiv."
"Wie hieß der Sohn dieses Gaunt?" Fragte Anthelia leicht erregt. Pandora erwiderte ruhig:
"Vorlost Gaunt, höchste Schwester. Von dem weiß ich nur noch, daß er zusammen mit seinem Sohn Morfin nach Askaban kam. Was nach seiner Entlassung passierte weiß ich nicht, nur daß sein zweieinhalb Jahre später entlassener Sohn eine Muggelfamilie getötet habe und deshalb lebenslänglich in Askaban verbracht hat. Damals hatten sie statt der Dementoren mächtige Trübsalzauber installiert, die Gefangene am Ausbruch hindern sollten."
"Wie hießen die Muggel, die dieser Morfin getötet hat?" Fragte Anthelia.
"Riddle, höchste Schwester und ... Ui", erwiderte Pandora. Anthelia nickte und sagte:
"Was ist aus den Sachen dieses Vorlost Gaunt geworden? Hat man dieses Buch gefunden, von dem Pacidenyus schreibt?"
"Nein, hat man nicht. Daher wurde ja vermutet, Gaunt habe es nicht wirklich besessen", sagte Pandora. Dann verzog sie das Gesicht, als sei ihr gerade etwas siedendheiß eingefallen, das ihnen allen noch bitterböses ungemach bereiten mochte. Auch Anthelia schien diesen Gedanken zu verfolgen. Sie sagte ruhig aber mit einer sichtlich ernsten Miene:
"Schwestern, wir dürfen uns glücklich schätzen, wenn der Emporkömmling diese Waffe noch nicht gefunden und an sich gebracht hat. Die Tatsache, daß er damit wohl auch Drachen hätte bändigen können zeigt, daß er sie wohl noch nicht gefunden hat. Aber ich muß davon ausgehen, daß er im Besitz des ursprünglichen Werkes ist, aus dem Pacidenyus zitierte. So dürfen wir nun, wo die Zeit es zuläßt, keinen Tag verschenken und uns aufmachen, das Schwert des Feuermeisters, den Pacidenyus in jener kurzen Erwähnung Yanxothar genannt hat, in unseren Besitz zu bringen, bevor dem Emporkömmling einfällt, seine Macht durch jenes Artefakt zu vergrößern."
"Hat dieser Pacidenyus geschrieben, wie wir an dieses Schwert herankommen, höchste Schwester?" Fragte Patricia und dachte daran, wie sie beide beinahe im Meer hätten bleiben müssen oder von gefährlichen Monstern und tödlichen Zauberfallen umgebracht worden wären.
Anthelia sah Pandora an und sagte entschlossen: "Du hast mir Alicia Montesalvaje vorgestellt, die die Magien der amerikanischen Ureinwohner erforscht und sich mit den Zaubern vorkolumbianischer Kulturen auskennt. Ich werde sie mit dir zusammen aufsuchen und vorsichtig nachforschen, ob sie diese Waffe kennt und wie möglicherweise daran zu rühren ist."
"Möchtest du, daß ich mitkomme?" Fragte Patricia Straton.
"Nein, Schwester Patricia. Diese Hexe ist jungen Leuten gegenüber sehr verschwiegen", sagte Anthelia. Ich werde mit deiner Mutter und Mitschwester zu ihr gehen und mit ihr ergründen, wie wir die Waffe Yanxothars in unsere Gewalt bringen mögen. Verbleibe du einstweilen in diesem Hause, bis ich dir geistige Botschaft sende, ob du zu uns stoßen oder anderes für mich anschaffen möchtest", sagte die höchste Schwester sehr entschieden. Patricia nickte. Innerlich war sie froh, daß sie nicht wieder mit der höchsten Schwester auf eine gefährliche Expedition gehen mußte. Andererseits machte sie sich nun Sorgen um ihre Mutter. Sie wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, als sei das mit dem Schwert weitaus gefährlicher als die Tauchexpedition zum Stein der großen Erdmutter, den Anthelia letztendlich nicht erobern konnte.
"Morgen früh brechen wir auf", sagte Anthelia. Schaffe bitte vorher alle Dinge an, die deine eigene Sorgfalt verlangen, Schwester Pandora!"
"Natürlich, höchste Schwester."
Patricia und Pandora disapparierten, nachdem Anthelia ihnen beiden den Befehl erteilt hatte, sie allein zu lassen. Dann kehrte sie in ihr eigenes Gemach zurück, wo sie vor dem benötigten Schlaf noch einmal daran dachte, daß sie möglicherweise bereits zu spät kommen mochte und ihr gegenwärtiger Hauptfeind, der sich selbst als dunkler Lord bezeichnete, bereits zu jener Waffe unterwegs war, die Pacidenyus erwähnt und als sehr gefährlich bezeichnet hatte. Wenn dieser Waisenknabe, mit dem sie sich in den Sümpfen Floridas das bisher einzige Duell geliefert hatte, die Waffe haben wollte, so konnte er den Spinnenschwestern gefährlicher werden als ohnehin schon. Für einen winzigen Moment verwünschte sie es, diesen Bastard nicht getötet zu haben, als sie die Gelegenheit dazu hatte. Denn eine zweite Gelegenheit dazu würde er ihr nicht mehr geben, wenn er erst einmal im Besitz des Schwertes war.
Wie lange war es schon her, daß er in dieser Gegend gewesen war? Zwanzig Jahre mochte es mindestens her sein. Als Lord Voldemort nach zwei Apparitionen in dieser Landschaft auftauchte, machte ihm die kalte, dünne Bergluft sichtlich zu schaffen. Er hätte vielleicht doch besser in kleineren Sprüngen hier heraufkommen sollen oder einen Besen benutzen sollen. Doch er hatte es eilig. Er sah sich kurz um. Majestätische Gipfel ragten von Eis und Schnee bedeckt in den opalfarbenen Himmel und spiegelten den weißgoldenen Schein der Sonne wieder, die gerade auf halber Höhe zwischen den Bergen stand. Hier in der Gegend mußte sich das Versteck Diego Vientofrios befinden, falls dieser Zauberer überhaupt noch am Leben war. Voldemort legte seinen Zauberstab auf seine rechte Handfläche und murmelte: "Weise mir die Richtung!" Gehorsam vollführte der Zauberstab eine Vierteldrehung und deutete dann nach links vorne. Die Sonne stand rechts von Voldemort. Dort war also Osten, und es war wohl so um neun Uhr Vormittag. Wer brauchte da also eine Uhr, wie Lucius Malfoy sie ihm einmal gezeigt hatte. Diesen Schnickschnack mit der Weltzeituhr hatte ein wahrlich mächtiger Zauberer doch nicht nötig. Doch wo stand dieser Berg, dessen Gipfel so markant aussah, daß er von den Leuten hier Gigante Viejo genannt wurde? Voldemort sah ihn nicht. Auch die anderen Berge kamen ihm nicht mehr so bekannt vor wie er sie vor zwanzig Jahren hatte betrachten können. Das war doch nicht die Region, in der Diego Vientofrio lebte. Wieso war er in dieser Gegend angekommen, wo er sich sein Ziel doch so deutlich vorgestellt hatte? Das wäre das erste Mal seit seiner Schulzeit, daß er ein gewünschtes Ziel derartig verfehlt hatte. Immerhin hatte er die Apparierprüfung im ersten Ansatz und mit Auszeichnung bestanden und diese Kunst danach immer weiter vervollkommnet, daß er selbst an einen Ort reisen konnte, den er nur vom Hörensagen kannte. Also mußte er hier doch irgendwo diesen verfluchten Berg finden. Dann fiel ihm ein, daß dieser Vientofrio sein Versteck unter einem Tarnzauber verborgen haben mußte, um nicht von jedem X-beliebigen Störenfried heimgesucht werden zu können. Doch mit Tarnzaubern kannte sich Voldemort ebenfalls sehr gut aus. Er überlegte, mit welchem Enthüllungszauber er die Tarnung durchdringen mochte. Wenn es einen ganzen Berg umfassen sollte, mußte Vientofrio mehrere Punkte des Berges in den Zauber einbezogen haben. Er überlegte also, wie er einen solchen Tarnzauber aufspüren konnte. In der Ferne hörte er einen leisen, tierhaften Schrei, nicht von einem Vogel, sondern eher von einem großen Raubtier, das noch sehr weit entfernt sein mußte. Doch wenn er es hören konnte, dann müßte er es doch auch sehen können. Er sah sich um, konnte aber nicht erkennen, was da geschrien hatte. Er hoffte nur, daß es kein Drache war. Denn die hier heimischen Viperzähne galten als die gefährlichsten Drachen der Welt, da sie schnell und gewandt fliegen konnten und bevorzugt auf Menschen Jagd machten. Doch vorerst galt es, diese Tarnung auszuhebeln. Er dachte kurz nach, welchen allgemeinen Durchdringungszauber er benutzen konnte und tippte sich dann mit dem Zauberstab an die Stirn.
"Realitatem revelio!" Murmelte er mit geschlossenen Augen, wobei er sich etwas vorstellen mußte, daß kein sichtbares Bild besaß. So ließ er einen vielstimmigen Lärm in seinem Bewußtsein erklingen, der alle anderen Gedanken verdrängte. Er murmelte ein zweites Mal "Realitatem revelio!" Dann noch ein drittes mal. Da war ihm, als klatsche ihm jemand einen mit eiskaltem Wasser getränkten Lappen ins Gesicht. Das schreckte ihn aus seiner Konzentration auf. Doch er war nicht erbost darüber, denn das war genau das, was jemand fühlte, der den Zauber erfolgreich aufrief. Er öffnete seine scharlachroten Augen und blickte sich um. Die ganze Gegend war auf einmal verändert. Die Berge sahen nun ganz anders aus. Außerdem erkannte er nun, daß er in einem goldenen Kreis aus fremdartigen Symbolen stand. Er schnaubte verächtlich. Er war in einem Locattractus-Zauber gefangen, umgeben von einer einzigen, aber die ganze Gegend verfremdenden Illusion, die er nun durchblicken konnte.
"Du falscher Hund hast dir ja was ganz nettes ausgedacht", grummelte der Meister der Todesser. Dann sah er den halbrunden Berg, dessen verschneiter Gipfel wie eine Mähne weißen Haares wirkte. Die beiden hervorspringenden Felsen und das auf halber Höhe beinahe waagerecht eingeschnittene Tal gaben dem Berg das Aussehen eines riesenhaften Gesichtes, das Gesicht eines uralten Riesens. Das war er also, Gigante Viejo, der alte Riese, der Berg, auf dem Diego Vientofrio wohnte. Dann sah Voldemort etwas, das selbst ihm, dem Meister des Terrors, eine gehörige Angst einjagte. Aus allen vier Himmelsrichtungen flogen noch ferne aber schon gut zu erkennende Geschöpfe an, die im Licht der Sonne schimmerten wie poliertes Kupfer. Er hörte wieder einen langgezogenen Schrei aus der Ferne. Doch so weit war das nicht mehr fort. Immer näher rückten die vier fliegenden Geschöpfe. Voldemort erkannte sie nun eindeutig als Exemplare des peruanischen Viperzahns, der hier vorkommenden Drachenart, die eben wegen ihrer Gewandtheit und Vorliebe für Menschenfleisch so gefährlich war. Er fragte sich jedoch, seit wann vier dieser Drachen auf so engem Raum zusammenlebten. Die meisten Drachen waren ausgesprochene Einzelgänger und tolerierten keinen Artgenossen oder einen anderen Drachen in ihrem Revier. Nur zur Paarung fanden sich kleinere Gruppen aus Männchen und Weibchen zusammen, aber dann nur, wenn es um die Fortpflanzung ging. Waren die Weibchen erfolgreich begattet worden, vertrieben sie die etwas kleineren Männchen sofort oder brachten sie sogar um, wenn sie nicht verschwinden wollten. Mochte es sein, daß er hier eine Gruppe paarungswilliger Drachen antraf, die nun ihn als lohnende Beute ausersehen hatte? Er wußte, daß er diese Drachen nicht gesehen hätte, wenn er den Illusionsdurchdringungszauber nicht benutzt hätte. Doch auch so hatte er nicht mehr viel Zeit. Wenn er diesem Locattractus-Zauber nicht entkommen konnte, würden ihn die Drachen gleich erreichen. Auch er konnte nicht gegen vier Drachen zugleich kämpfen. Vientofrio hatte ihn in eine tödliche Falle rennen lassen. Die Wut darüber vertrieb die Angst. Er würde sich nicht einfach so von diesen Drachen töten und fressen lassen. Dafür hatte er zu lange in körperloser Form ausgeharrt und es nur mit Mühe geschafft, seinen Leib zurückzubekommen und seine alte Macht zurückzugewinnen. Hier und jetzt von peruanischen Viperzähnen gefressen zu werden erschien ihm als der unsinnigste Ausgang seiner ganzen Pläne. Doch einen Versuch wollte er riskieren. Er blickte den Gigante Viejo an, richtete seine Aufmerksamkeit auf den Gipfel aus und warf sich in die Disapparition hinein. Er bangte schon, gleich mit Wucht an diesen Ort zurückgezogen zu werden. Doch als er aus dem dunklen, viel zu engen Schlauch herauskam, der die Verbindung durch das Nichts bildete, fand er sich auf dem schneebedeckten Gipfel eines Berges wieder. Leicht keuchend blickte er sich um. Er stand tatsächlich auf dem Scheitel des alten Riesens und konnte in der Ferne vier Punkte ausmachen, die gerade auf einen anvisierten Treffpunkt zuhielten. Er hatte es geschafft, dem Locattractus-Zauber zu entfliehen. Wahrscheinlich gelang dies nur denen, die den Berg als Ziel ausmachen konnten.
Fünf Sekunden später hörte er das wütende Brüllen von vier Ungeheuern, die um ihre sichere Beute betrogen worden waren. Voldemort wußte, daß sie einen Menschen aus mehreren Kilometern entfernung wittern konnten, besonders wenn sie lange keinen mehr zu sehen bekommen hatten. Sie würden ihn also bald wieder aufspüren und erneut anfliegen. Hinter sich hörte er einen weiteren, langgezogenen Ruf eines großen Tieres. Verdammt! Da kam noch einer von diesen Viperzähnen!
"Wo hat dieser Kerl seine Hütte hingestellt?" Knurrte Voldemort. Andererseits mochte Diego Vientofrio schon längst nicht mehr hier leben, mit solch gefräßigen Nachbarn. Entweder hatten die Drachen ihn schon erledigt, oder er hatte sich an einem anderen Ort einen Unterschlupf suchen müssen. Voldemort wußte jedoch, daß er nun nicht mehr entkommen würde. Denn nur der Berg, so erschien es ihm, bildete die Ausnahme von dem Locattractus-Zauber, der sonst jeden Apparator an einem bestimmten Ort auftauchen ließ. Er dachte mit Wut an Lady Ursina zurück, die er zwar hatte töten können, deren verborgene Schätze er jedoch nicht hatte an sich reißen können, weil sie ihr ganzes Haus zu einer Feuerfalle gemacht hatte und ihr großes Bett mit dem Locattractus-Zauber belegt worden war, den er in aller letzter Sekunde hatte abwehren können. Würde er das auch hier wieder machen müssen? Unvermittelt war Voldemort, als klatsche ihm jemand einen mit heißem Wasser getränkten Lappen ins Gesicht. Weiße, grüne und rote Blitze tanzten für eine Sekunde vor seinen Augen. Dann konnte er wieder klar sehen. Der Illusionsdurchdringungszauber war verschwunden, weil keine stationäre Illusion mehr in der Nähe war. Das hätte Voldemort bedenken sollen.
"Ich finde diese Hütte", knurrte der dunkle Lord und richtete seinen Zauberstab auf seinen Brustkorb. "Evoco Distaumentatum!" Rief er. Diesmal fühlte es sich für ihn an, als explodiere eine Ladung heißer Gase in seinem Leib und bräche daraus heraus, wirbele einen Moment um ihn herum und verflüchtige sich sofort. Nun sah Voldemort seine Umgebung wieder völlig anders. Alles, worauf er den Blick seiner scharlachroten Augen ausrichtete, schien unmittelbar vor ihm zu stehen, groß und in allen Einzelheiten erkennbar. Diese Wirkung beruhte auf dem Distaumentatus-Zauber, der ferne Dinge optisch vergrößerte. Das galt aber auch für den Anwender des Zaubers. Er sah nun aus der Ferne riesenhaft aus, weil er wie direkt vor jemandem stehend im Vergleich zum winzig erscheinenden Hintergrund wirkte. Doch wenn hier keiner war außer den Drachen, die ihn ohnehin schon wieder ausgemacht hatten ... Er erstarrte, als er gleich zwei von diesen Monstern im Tal sah. Vorhin, wo er noch nicht mit dem Zauber gearbeitet hatte, waren sie wohl wie winzige rote Flöhe erschienen und nun wie vier bis fünf Meter große, schuppige Ungetüme mit kupferroter Haut und merkwürdigen schwarzen Zeichnungen auf dem Rücken. Sie lagen im Tal als ob sie schliefen. Doch als eine der Bestien den Schädel mit den kurzen Hörnern hob und mit ihren fahlgelben Augen zum Gipfel hinaufblickte, wußte Voldemort, daß er entdeckt worden war. Wenn diese Ungeheuer aufflogen hatte er wohl nur noch eine knappe Minute, bis sie ihn erreichten. Wie gebannt sah er auf die beiden Drachen, die gerade ihre Flügel ausspannten und sich abstießen.
"Gleich haben Sie Euch, Don Voldemort", krächzte eine helle Stimme von oben her in spanischer Sprache. Voldemort warf seinen schlangenhaften Schädel in den Nacken und starrte nach oben, wo ein großer, schwarzer Vogel in etwa zwanzig Metern Höhe kreiste. Es war ein Kondor. Als der Vogel bemerkte, daß er gesehen wurde, landete er erhaben neben Voldemort. Aus der Ferne erklangen wieder die Brüllaute der anfliegenden Drachen. Kaum war der Kondor gelandet, verwandelte er sich in einen kleinen, gedrungenen Mann mit hellgrauem, zerzaustem Haar und Vollbart. Gelbe Raubvogelaugen und eine geierschnabelartige Nase verliehen seinem Gesicht einen Ausdruck großer Wildheit. Voldemort erkannte den Mann, der einen blutroten Umhang mit ihm fremden blauen und schwarzen Mustern trug. Das war Diego Vientofrio. Er tippte sich mit dem Zauberstab wieder an die Brust und rief: "Apparentia naturalis!" Damit hob er den Distaumentatus-zauber wieder auf. "Wie kommt es, daß du noch hier lebst?" Fragte der dunkle Lord. Zur Antwort holte Diego Vientofrio ein vergoldetes Horn aus seinem Umhang und blies hinein. Ein tiefer, die Eingeweide durchrüttelnder Ton erklang. Voldemort dachte an die Rufsignale auf Tigelinus' Drachenturm, den er beinahe erobert hatte, als er auf der Höhe seiner Macht war und nur von Dumbledore und von diesem herbeigerufenen Riesenvögeln besiegt wurde. Als er sah, daß die anfliegenden Viperzähne wie gegen eine Mauer geprallt in der Luft stehen blieben und dann in wilder Hast davonbrausten erkannte er, daß dieser Ton nicht zum Rufen sondern zur Abschreckung diente.
"Dieser Drachenschrecker ist einfach nur schön", sagte Vientofrio. "Allerdings bewirkt er, daß sich alle Drachen im Umkreis von fünf Kilometern zusammenrotten und immer wieder vorrücken, sobald sie den Schrecken überwunden haben."
"Ein schönes Spielzeug", dachte Voldemort und überlegte schon, ob er es dem kleinen Zauberer nicht einfach wegnehmen sollte. Doch dieser schien das zu ahnen und packte das Horn wieder fort.
"Es ist aus dem Horn eines getöteten Viperzahns und wirkt nur in der Hand dessen, der seinen Träger getötet hat. Trachtet also bitte nicht danach, es mir wegnehmen und dann benutzen zu können!"
"Ich bin nicht hier, um dir ein einfaches Blashorn wegzunehmen. Ich bin wegen was wichtigerem hier", sagte Voldemort schroff. "Wo hast du deine Hütte?"
"Hier", sagte Vientofrio und holte aus einer anderen Tasche seines Umhangs eine Schachtel heraus, die gut und gern zwölf mal zwölf mal vier Zentimeter groß sein mochte. Nein, es war keine Schachtel, sondern ein Modellhaus aus dünnen Holzstangen wie Zahnstochern. Vientofrio setzte das kleine Häuschen auf den Boden und winkte mit einem knorrigen Zauberstab. Sofort blähte sich das Modellhaus auf, wurde größer und größer. Die beiden Zauberer mußten zurückweichen, bis vor ihnen ein wuchtiges Blockhaus mit rotem Strohdach und einem schlanken, silbernen Rohrende dastand. Voldemort sah sich die halbrunden Fenster mit den nach außen geklappten, schneeweißen Läden an und begutachtete die massive Eichenholztür, in die mehrere verknüpfte Zauberzeichen eingeritzt waren.
"Ich habe es mir angewöhnt, meine bescheidene Behausung transportfertig zu zaubern und sie immer dabei zu haben. So trage ich alles was mein ist stets bei mir und kann heute hier und morgen am anderen Ende der Welt wohnen", sagte Diego lächelnd. Dann tippte er die Tür mit seinem Zauberstab an und ließ mehrere Ketten und Riegel von der Innenseite aufspringen. Als die Tür sich öffnete, schlug Voldemort sehr warme Luft entgegen, die nach Gewürzen und Tee roch. "Treten Sie nun bitte in mein bescheidenes Zuhause ein, Don Voldemort!" Forderte Diego seinen Gast auf und deutete in das Innere der Hütte.
Das Blockhaus besaß drei Räume. Der, in den sie eintraten, diente als Wohnraum. Ein Runder Tisch mit fünf Stühlen aus Rattan bildete das Zentrum des Raumes, auf dessen Boden größere Strohmatten lagen. Zwei große Schränke und ein Eisenofen beherrschten die Wände rechts und links der Eingangstür. Die beiden niedrigen Türen in den anderen Wänden führten wohl in das Schlafzimmer und die Küche des Einsiedlers.
"Ich habe guten Elfenwein, Jahrgang 1892 da", sagte Diego Vientofrio. Voldemort überlegte kurz und nickte dann. Warum sollten sie nicht miteinander trinken? Er stellte sich jedoch vor, daß Vientofrio ihn vergiften könnte. Falls er das wagen sollte, würde er ihn töten und dann ein Antidot einnehmen, daß er seit seiner Rückkehr immer mitführte.
"Ich bin zwar nicht hergekommen, um mit dir zu trinken, Diego", sagte Voldemort, dem die spanische Sprache nun wieder besser über die Lippen ging. "Ich wollte wissen, ob du und deine Verbündeten noch lebt und dich zu etwas ganz bestimmten befragen, von dem ich denke, daß du schon einmal davon gehört hast."
"Habe ich mir schon gedacht, daß Ihr, wo Ihr so beschäftigt seid, nicht einfach so zu mir kommen woltet", sagte Vientofrio sehr gelassen. Mit einer Gemütsruhe, die Voldemort beinahe zur Weißglut reizte, holte er zwei goldene Trinkpokale und eine angestaubte Flasche aus einem der Schränke und stellte sie auf den Tisch. Dann entzündete er mit einem Stubser des Zauberstabes die Kohlen im Ofen, dessen gedrungenes Rohr durch das von starken Balken getragene Dach nach draußen stieß. Langsam und bedächtig schenkte er die beiden Pokale bis zum Rand mit dem so kostbaren Nass voll und gebot Voldemort, sich doch hinzusetzen. Ihm gegenüber nahm er dann Platz und fragte ganz ungezwungen: "Wie stehen denn die Dinge in England? Konntet Ihr Eure alten Getreuen wieder zusammentreiben?"
"Genug, um sie alle zahlen zu lassen, die in der Zeit, die ich nicht selber wirken konnte meinten, alles zu ihren Gunsten umbiegen zu können. Aber ich bin nicht wegen meiner Leute hier, Diego."
"Och, und ich dachte schon, es sei Euch wichtig, mir zu sagen, wie Mächtig Ihr immer noch seid", sagte Diego Vientofrio. Voldemort gefiel das nicht, daß dieser Zauberer ihm gegenüber so unbekümmert auftrat. Sollte er ihm denn wirklich zeigen, wie grausam er sein konnte, wenn ihm jemand nicht den gebührenden Respekt zollte? Er sah Vientofrio in die Augen und versuchte, dessen Geist zu ergründen. Doch der peruanische Zauberer beherrschte die Okklumentik und hielt seinen Geist wohl verschlossen. Ungerührt davon sprach er nun:
"Nun, drei meiner Freunde hat es im Lauf der letzten Jahre erwischt. Unser gemeinsames Vorhaben ist an einigen dieser verfluchten Nachtfraktions-Hexen gescheitert, die meinten, dem zaubereiministerium helfen zu müssen, um uns loszuwerden. Ich war der einzige, der entkommen ist. Seitdem bin ich häufiger hier in dieser Gegend, weil die von mir immer mal wieder zurückgescheuchten Viperzähne als gute Wachhunde und Schmutzbeseitigungsbrigade herhalten."
"Und deine Hütte?" Fragte Voldemort verächtlich.
"Ach, die ist so bezaubert, daß die Drachen sie und was drin ist nicht aufspüren können. Ich sagte Euch ja, ich hatte einen Viperzahn getötet und mir von einem seiner Hörner dieses nette Abschreckinstrument gebaut. Mit seinem Blut und seiner Haut habe ich dann die Hütte für andere seiner Artgenossen unfindbar gemacht. Ihr seid also hier so sicher wie in einem Verlies von Gringotts."
"Freut mich", knurrte Voldemort. Er wollte diese Plauderei nun endlich beenden und zum Kern der Sache kommen. "Wie gesagt bin ich nicht hier, weil ich mit dir über unsere bisherigen Erfolge plaudern wollte, sondern weil ich etwas suche, von dem ich denke, daß du schon davon gehört haben magst."
"hmm, suchen wir nicht alle nach etwas?" Fragte Vientofrio. Offenbar schien ihm die Eile, die Voldemort an den Tag legte nicht sonderlich zu stören oder zu betreffen. Dann fragte er ruhig: "Ist es etwas, daß hier in der Gegend sein soll?"
"Genau", knurrte Voldemort. "Ich hörte von einem Tempel, in dem uralte Zaubereiaufzeichnungen über die Magie des Feuers enthalten sind", sagte der dunkle Lord. Er wollte nicht mit der vollen Wahrheit herausrücken, daß er eine mächtige Waffe suchte. Womöglich weckte er damit die Habgier des Peruaners.
"Einen Tempel des Feuers? Maya, Inka oder Azteken?" Fragte Diego belustigt. Voldemort verstand zwar nicht, was daran komisch sein sollte, sagte aber sofort:
"Der gehörte wohl den Inkas, also dem Volk, was hier in deiner Gegend gewohnt hat."
"Die waren nicht die einzigen, die hier gelebt haben", sagte Diego Vientofrio. Dann nahm er einen großen Schluck aus seinem Trinkpokal und sagte genüßlich: "Hah, sehr guter Stoff, wie alles, was 1892 auf die Welt gebracht wurde."
"Du wolltest mir erzählen, was du über einen solchen Tempel weißt", schnaubte Voldemort, der seine Ungeduld nicht mehr länger unterdrücken konnte. Denn jede Sekunde konnte wertvoll sein.
"Tja, das war früher echt schwierig für die Stämme aus den übrigen Regionen. Die Inkas hatten ein besseres Gespür für mächtige Ritualzauber. Damit konnten sie einige Kriege gewinnen. Pech nur für sie, daß ihre Zaubereien so zeitaufwändig waren und nur von ihren Hohepriestern beherrscht wurden und gegen Waffen aus Metall nicht halfen. Deshalb konnten die Conquistadores, meine edlen Vorfahren, nach einigen Jahrzehnten auch das ganze Imperium niederringen. Ich hörte zwar irgendwann mal was von einem letzten Rächer, einem besonders gut mit Magie begabten Priester, der eine unüberwindliche Vergeltungswaffe hervorholen und gegen die Eindringlinge benutzen wollte, aber irgendwelche Kolaborateure haben ihn verraten. Einige Soldaten in voller metallrüstung drangen in sein Haus ein und töteten ihn, als er versuchte, einen letzten Zauber gegen sie anzuwenden, den Tanz der tausend Flammen. Wie gesagt waren die Inka-Zauber sehr zeitaufwändig. Sie kannten keine Zauberstäbe und brauchten daher Minuten, um einen für uns ganz einfachen Zauber aufzurufen. Deshalb konnten die spanischen Soldaten ihn beinahe mühelos erschlagen. Sie durchsuchten dann sein Haus und nahmen mit, was sie für wertvoll hielten. angeblich hinterließ der Priester fünf Kinder, die in geheimen Festungen und Tempeln Unterschlupf gefunden haben."
"Woher willst du das so genau wissen?" Fragte Voldemort mißtrauisch.
"Oh, weil es davon Aufzeichnungen gibt, die im Zaubereiarchiv von Lima verborgen sind. Einige Sachen konnte ich selbst nachlesen. Andere Sachen hat die dortige Abteilung für ganz geheime Zaubereien beschlagnahmt."
"Was für eine Waffe soll denn das gewesen sein, die der Priester noch hervorbringen wollte?" Fragte der dunkle Lord leicht ungehalten, weil er sich nicht sicher war, auf der richtigen Spur zu sein.
"Irgendwas mit der Macht über das Feuer", sagte Diego. "Allerdings gingen die Zeitgenossen und Nachfahren dieses Mannes davon aus, daß diese Waffe nur eine Legende sei, um die Leute im Widerstand bei Laune zu halten. Denn als sie sahen, daß sie gegen die gepanzerten Soldaten keine Zauber anbringen konnten und es nur den Kriegern überlassen blieb, die Eindringlinge zurückzudrängen, verloren viele den Glauben an die Macht des Reiches. Tja, und wie die Geschichte der Muggel und der Zauberer lehrt ist das Reich der Inka auch untergegangen. Welches Mißgeschick!"
"Von einer Waffe wußte ich ja nichts", log Voldemort. "Ich hörte nur was von einem alten Tempel, in dem alte Feuerzauber aufbewahrt werden. Ich wollte wissen, wie mächtig sie sind und ob ich sie erlernen und benutzen kann. Womöglich ist das wirklich eine Legende mit dieser Waffe. Aber den Tempel würde ich mir gerne ansehen."
"Den findet Ihr nicht. Er ist durch mehrere Sonnenrituale den Blicken aller Suchenden entzogen worden, heißt es in allen überlieferten Erwähnungen dieses Ortes. Der einzige, der noch was darüber wissen könnte, ist José Garmapack, der behauptet, der letzte Nachfahre dieses Priesters zu sein."
"Ach, und du hast den nicht befragt?" Erwiderte Voldemort Heimtückisch dreinschauend.
"Um ein paar träge Zauber zu lernen und nach einer Waffe zu jagen, die es wohl nicht gibt?" Erwiderte Diego Vientofrio. Dann sagte er ruhig: "Falls Ihr hergekommen seid, weil Ihr das Gerücht gehört habt, es gäbe eine mächtige Waffe in diesem Tempel, so fürchte ich, habt Ihr Euren Weg umsonst gemacht, Don Voldemort."
"Du hattest die Chance, ein uraltes Geheimnis zu lüften und hast sie einfach so verschenkt?" Wunderte sich der dunkle Lord. "Wer soll dir das glauben, Diego Vientofrio? Du lügst", schnarrte Voldemort und stand kerzengerade von seinem Stuhl auf, die Hand bereits am Zauberstab. "Ich glaube eher, du hast dir die ganzen Sachen bereits angeeignet. Also rück damit raus, was du weißt oder hast!"
"Oh, nicht in diesem Ton, Don Voldemort! Oder sollte ich Señor Riddle sagen?"
"Woher ...?" Voldemort zitterte vor kaum zu bändigender Wut. Woher kannte dieser kleine grauhaarige Kerl mit dem Geiergesicht seinen wahren Namen? Er hatte ihn niemals erwähnt.
"Ihr seid hier in meinem Haus, Don Voldemort. Denkt Ihr, ich ließe jemanden eintreten, über dessen Herkunft und Begabungen ich nicht genauestens im Bilde bin? Aber Ihr habt recht. Ich habe das Geheimnis des letzten Hüters an mich gebracht, bevor meine Frau und ich ihn getötet haben." Ein merkwürdiger, schwefliger Dunst ging von Diego aus, etwas widerliches, wie faule Eier auf feuchter Erde, empfand Voldemort. Irgendwoher kannte er diesen Gestank, der immer penetranter wurde. Mochte es eine leise Blähung sein, die Diego entfahren war? Nein, das war was anderes. Ja, und die letzte Bemerkung des peruanischen Zauberers gab ihm auch zu denken. Woher wußte er, wie Voldemort tatsächlich hieß? Wer war seine Frau? Er hatte ihn immer als strickten Junggesellen in Erinnerung gehabt.
"Du wirst rausrücken, woher du meinen widerlichen Geburtsnamen kennst und was du von diesem Nachfahren erfahren hast!" Schrillte Voldemort. "Imperio!"
Unvermittelt flogen beide Schranktüren auf. Voldemort fühlte, wie sein Wille in den Geist Diegos eindrang. Da meinte er, ein kupferfarbenes Ungetüm würde sich zwischen ihn und Diego werfen. Gleichzeitig flog die massive Haustür auf, und ein übermächtiger Sog wie von einer Windhose packte Voldemort und zerrte ihn aus der Hütte. Gleichzeitig verstärkte sich der schwefelartige Gestank, den Diego verströmte. Voldemort landete unsanft vor der Hütte. Diego eilte heraus. Noch einmal wollte der dunkle Lord den Imperius-Fluch aufrufen, als er sah, wie Diego zu wachsen begann. Wie in einer Mischung aus Schmerz und Lust schreiend wurde der kleine Zauberer immer größer. Sein Haar schien in seinen Kopf hineingezogen zu werden, ebenso sein Bart. Der rote Umhang begann zu glitzern und legte sich immer enger an den Körper des Peruaners, der bereits mehr als zwei Meter groß war. Sein Gesicht bekam immer mehr die Züge eines Reptils. Voldemort, der in seinem Leben schon die unheimlichsten Verwandlungen beobachtet hatte, stand für eine Sekunde wie eine Salzsäule da. Das kannte er noch nicht. Wie konnte das angehen? Diego Vientofrio wurde einem Drachen immer ähnlicher. Diese Art von Verwandlung konnte es nicht geben. Er, Voldemort, hatte selbst hunderte von Experimenten mit gefangenen Zauberern gemacht, um zu ergründen, ob die Fähigkeiten magischer Tiere auf Menschen übertragbar waren. Selbstverwandlungen in ein magisches Tier, besonders einen Drachen, waren unmöglich.
"Das ist ein ganz passabler Trick, den du da gerade vorführst, Bürschchen", knurrte Voldemort und richtete seinen Zauberstab wieder auf Diego, der nun doppelt so groß wie vorher war. Offenbar nahm er dabei auch an Gewicht zu und sackte nach vorne.
"Denkst du, ich ließe mich auf jemanden wie dich ein, wenn ich nicht etwas könnte, dem du nicht gewachsen bist", schnaubte Diego, der nun nichts menschliches mehr an sich hatte. Das, was Voldemort für einen Umhang gehalten hatte, lag nun als zentimeterdickes Schuppenkleid um den Körper des noch anwachsenden Drachens an. Voldemort zielte auf die Augen des heranwachsenden Ungeheuers. Doch dieses hielt sich sofort die immer gefährlicher wirkenden Pranken davor. Voldemort spielte mit dem Gedanken, die Bestie mit dem Todesfluch niederzustrecken. Doch wenn es stimmte, daß dieser Mistkerl die Geheimnisse des letzten Nachfahren in sich trug, dann mußte er ihn dazu zwingen, sie preiszugeben. Doch Diego lachte nur rauh, als Voldemort erneut mit dem Imperius-Fluch angriff und nun erst recht glaubte, von einem in seinem Verstand heranpreschenden Drachen zurückgeworfen zu werden.
"Für wahr", schnarrte Diego zwischen weiteren Schreien aus Lust und Qual, "diese Begabung ist einmalig. Ich hätte auch nicht gedacht, daß ich einmal mächtiger sein würde als alle anderen Hexen und Zauberer, du eingeschlossen, Tom Riddle. Bevor ich meine Söhne und Töchter herrufe, damit sie das bißchen, was an dir dran ist fressen können, sollst du ruhig wissen, wie ich das hinbekommen haaaaabe!" Ein heftiger Ruck war durch den beinahe vollendeten Drachen gegangen, und wie von einem mächtigen Druck aufgeblasen wuchs die Kreatur auf die übliche Länge eines peruanischen Viperzahns an. Dann sprach das Monstrum mit tiefer, rauher Stimme weiter, wobei es sich vorsorglich die Augen zuhielt. "Als ich hier hergezogen war, gab es nur einen dieser netten Nachbarn hier. Da ich hier in Frieden leben wollte habe ich beschlossen, ihn aus dem Weg zu schaffen. Weil ich wußte, daß diese Geschöpfe für die meisten Zauber unverwundbar sind und ich nicht eine Horde Drachenjäger in meine neue Wohngegend lassen wollte, überlegte ich mir, wie ich alleine damit fertig werden konnte. Dann fiel mir ein, daß dieser José Garmapack noch lebte und suchte ihn auf. Er erzählte mir unter gewissen Zuwendungen doch so einiges, das ich sorgfältig in meine Erinnerungen übernahm. So erfuhr ich auch vom Bündnis mit den Feuerträgern, wie sie die Drachen hier nannten, das jemand mit ihnen einen Pakt eingehen könne. Da ich nicht wollte, daß das alle anderen wußten, setzte ich ihn hier gefangen und versuchte mein Glück. Leider erwies sich mein Feuer speiender Nachbar als unzugänglich für diese Magie, womit ich ja hätte rechnen sollen, verdammte Inka-Rituale. Er packte mich und brachte mich um. Womöglich hat er mich sogar gefressen. Doch weil ich nicht sterben wollte und wußte, wie ich ein Geist werden konnte, versuchte ich zumindest dem Totenreich zu entrinnen. Was ich nicht wußte war, daß mein Ritual wohl irgendwie gewirkt haben muß. Denn anstatt zu einem Geist zu werden, fühlte ich den Körper des Drachens wie meinen eigenen. Ja, ich schaffte es sogar, das Bewußtsein des Drachens zu unterwerfen, es in mir aufgehen zu lassen. Das war vor fünfzehn Jahren. Erst war ich beträchtlich erschüttert. Dann erkannte ich, daß ich damit zu einer mächtigen Kreatur geworden war. Ja, es gelang mir sogar, meinen angestammten Körper zurückzubekommen, zeitweilig zumindest. Ähnlich wie bei Werwölfen kann ich ein Mensch unter Menschen sein, bis bestimmte Sachen passieren, die mich in meiner neuen, herrlichen Gestalt erstehen lassen. Was ich auch nicht wußte war, daß Viperzähne keineswegs ständige Einzelgänger sind. Ich war in gewisserweise verheiratet. Als meine Frau erkannte, daß ich nun noch mächtiger geworden war, kämpften wir zusammen, bis ich sie unterwarf. Meine Magie und die des Drachens potenzierten die Kräfte. Wir befanden, daß wir José Garmapack nicht leben lassen durften. Denn dann hätte er ja auch anderen dieses herrliche Geheimnis verraten. Tja, so brachten wir ihn um. Jetzt habe ich zwei Söhne und zwei Töchter, die immer noch in meiner Gegend wohnen und irgendwie schneller ihre Endgröße erreicht haben. Liegt wohl an meiner menschlichen Wachstumsrate. Ich konnte sogar meine Animagusgestalt behalten, wenn ich wollte. Ich errichtete den Locattractus-Zauber, um die Narren zu fangen, die meinten, uns ausrotten zu müssen. Nur ich kann ihn unterbrechen. Oder bildetest du dir ein, du wärest ihm entkommen?"
"Ich kann jedem Locattractus-Zauber entgehen", schnaubte Voldemort, der zwischen Angewidertheit und Faszination gefangen war. War es möglich, daß ein mächtiger Zauberer sich mit einem Drachen verschmelzen konnte? Das mußte er jetzt herausfinden. Doch ihm schwante, daß ihn Diego nicht die Gelegenheit geben würde, lange genug darüber nachzudenken. Er faßte einen Entschluß. Was immer Diego erfahren hatte, Voldemort wollte dafür nicht sein Leben opfern. Der Drache Diego brüllte los, und aus der Ferne ertönte eine vielstimmige antwort. Voldemort richtete den Zauberstab auf den schuppigen Leib und rief: "Avada Kedavra!" Der grüne Blitz sirrte los und traf mit großer Wucht die Brust des Drachens. Dieser zuckte zusammen und knurrte böse. Da, wo der Fluch getroffen hatte, bildeten sich vier faustgroße weiße Ausstülpungen aus dem Schuppenpanzer. Doch sonst geschah nichts.
"Damit kannst du mich nicht beeindrucken, Tom Riddle. Aber ich kann dich gerne für meine Kinder vorgaren!" Weit öffnete Diego sein Maul. Voldemort zielte hinein, um noch einen Todesfluch anzubringen, als er aus unmittelbarer Nähe lautes Gebrüll hörte. Sofort drehte er sich auf der Stelle und disapparierte. Eigentlich wollte er in die Nähe von Lima zurückkehren. Doch wie er befürchtet hatte fing ihn der Locattractus-Zauber südlich des Berges ein und ließ ihn keine zwei Kilometer vom Berg Gigante Viejo Gestalt annehmen.
"Niemand legt mich ungestraft rein!" Schrillte Voldemort in Richtung des nun wieder ordentlich getarnten Berges. "Niemand droht Lord Voldemort und überlebt das!!!"
"Außer mir!!!" Brüllte es gehässig vom Berg her zurück. Voldemort wußte, er würde gleich wieder von diesen Drachen angegriffen werden. Er wunderte sich, daß sie nicht schon auf ihn gewartet hatten und erkannte, daß sie alle wohl zur Hütte geflogen waren, um ihn dort zu erwischen.
"Ich komme zurück!" Knurrte Voldemort leise. Da hörte er bereits das Flügelschlagen eines einzigen Drachens. Also hatte doch einer auf ihn gelauert. Er mußte schnell machen. "Inverto Locattractum Locorefusum!" Rief der dunkle Lord und warf sich in eine weitere Disapparition. Wieder einmal schaffte er es, einem vermeintlich unentrinnbaren Zauber zu entkommen. Ja, nicht jeder wußte, wie man die Apparatorenfalle zu einer Apparatorenabsprungschanze machen konnte. So landete er einen halben Kilometer außerhalb des Kreises und sah noch einen winzigen Punkt über der Stelle herabstoßen, an der er eben noch gestanden hatte. Dann disapparierte er erneut und schaffte es endlich, nach Lima zurückzukehren. In einer sicheren Zuflucht außerhalb der peruanischen Hauptstadt zog er Bilanz. Er hatte zwar Diego Vientofrio gefunden, aber dabei nichts neues erfahren. Die Waffe Yanxothars schien nun in sehr weite Ferne gerückt zu sein. Doch der dunkle Lord wollte nicht aufgeben. Er, der große, der allgefürchtete Lord Voldemort, der Schrecken der heutigen Zaubererschaft, würde einen anderen Weg finden, an die Geheimnisse des Schwertes zu gelangen. Hatte er zuerst vorgehabt, Diego von einer Dracheneindämmungsbrigade unter Führung eines im Bann des Imperius-Fluches versklavten Jägerhauptmanns erledigen zu lassen, empfand Voldemort eine immer größere Vorfreude, wenn er daran dachte, daß er ja auch die gefährlichsten Drachen beherrschen konnte, wenn er das Schwert Yanxothars in Händen hielt. Diego Vientofrio und seine verkommene Sippschaft zu zähmen und zu dressieren würde ihm eine größere Befriedigung bereiten als der Tod dieses Zauberers, der etwas geschafft hatte, an das selbst er nicht hatte denken mögen. Dieses Geheimnis, mit einem Drachen durch den eigenen Tod zu verschmelzen, wollte Voldemort jedoch nicht benutzen. Er wußte, daß es längst nicht sicher war, daß es jedem Zauberer gelang. Doch wie sollte er nun an die Geheimnisse von Yanxothars Tempel gelangen? Er kam zum einzigen Schluß, der ihm noch eine gewisse Hoffnung machte: Dieser José Garmapack war nicht der allerletzte Hüter dieses Geheimnisses gewesen. Woher hatte der auch lernen können, was sein Vorfahre hinterlassen hatte? Sicherlich gab es Aufzeichnungen, an die Diego Vientofrio nicht gedacht hatte. Womöglich deshalb, weil sie so unauffällig beschaffen waren, daß nur jemand der danach suchte sie finden konnte. Ja, so ähnlich mußte dieser Garmapack sein Wissen angesammelt haben. Womöglich gab es noch genug Leute in der peruanischen Zaubererwelt, die den Inhalt kannten, aber von Diego nicht gefunden worden waren. Vielleicht hatte er auch nicht nach ihnen gesucht. Voldemort verwünschte diesen Idioten, der ihn Zeit gekostet hatte und ihn fast noch zu Drachenfutter verarbeitet hatte. Aber der würde sein Fett schon wegkriegen, wenn Voldemort die angeblich nicht existierende Zauberwaffe in den Händen hielt. Er mußte jemanden von der hiesigen Mysteriumsabteilung in die Finger bekommen, um ihn auszuhorchen. Hier in Peru rechnete doch keiner damit, daß ein auf den britischen Inseln herumlaufender Zauberer zuschlagen würde, der keine Verbündeten hatte. Ja, das stimmte schon, daß er hier keinen wirklichen Verbündeten mehr hatte, falls Diegos Geschichte nicht von vorn bis hinten gelogen war. Doch er hatte schon zu seiner ersten Zeit, ganz am Anfang seiner Laufbahn, viele Sachen alleine geregelt, bis er so stark geworden war, daß sich ihm andere anschlossen und er es begrüßt hatte, eine so treue Bruderschaft anzuführen. Nun, mit der Treue bis in den Tod hielten es wohl einige von denen nicht sonderlich. Sonst hätte dieser aalglatte Kerl Lucius Malfoy nicht so schuldbewußt vor ihm gehockt und so streng nach Angst und Schuld gestunken. tja, der saß nun in Askaban, und sein verzärteltes Söhnchen sollte nun versuchen, diesen Muggelfreund Dumbledore zu töten. Das würde natürlich nicht gelingen,und er, Lord Voldemort, würde Lucius den Kopf seines Sohnes zu Füßen legen, um ihn ein für allemal für seine Untreue zu bestrafen. Doch nun war er hier und hatte noch nicht gefunden, was er suchte außer einem Kerl, der eine Art Werdrache geworden war. Er mußte so schnell es ging mehr erfahren, um innerhalb der nächsten drei Wochen an das Schwert zu gelangen oder noch ein ganzes Jahr warten müssen. Warten war etwas, das er mittlerweile verabscheute. Er hatte auf seine treuen Todesser gewartet, daß sie ihn suchten und wiederverkörperten. Das war vierzehn Jahre nicht geschehen. Er hatte ein ganzes Jahr mit immer unerträglicher werdender Ungeduld darauf hingearbeitet, die Prophezeiung zu bekommen, die sein und Harry Potters Schicksal beinhaltete. Auch das war ihm mißlungen. Jetzt noch einmal auf etwas zu warten, das er am Ende vielleicht auch nicht bekommen mochte wollte er nicht. Aber diese Waffe war es wert, nach ihr zu suchen. Phlegethon war ihr auf der Spur gewesen. Dieser Magier war nicht dafür berühmt gewesen, haltlosen Hirngespinsten nachzujagen und seine Zeit damit zu vertun, nicht existierende Dinge zu suchen. Also gab es dieses Schwert, und Voldemort würde es kriegen, noch in diesem Jahr. Ja, und in diesem Ansturm der Zuversicht fiel ihm auch ein, wen er aufsuchen und aushorchen konnte. Er hatte vor seinem unfreiwilligen Verschwinden etwas von einem Don Pedro de las Bosques gehört, der sich mit der Zauberei der Inkas, Mayas und Azteken befaßte und in Bolivien lebte. Ihn würde er aufsuchen und befragen, nicht als Lord Voldemort. Denn falls er es schaffte, so unauffällig wie möglich an diesen Zauberer heranzukommen und ihn auszufragen konnte er vielleicht noch weitere wertvolle Informationsquellen auftun. So kehrte er zunächst in sein Versteck in England zurück, um sich für den neuen Vorstoß vorzubereiten. Es mußte gelingen, und wenn ja, dann konnte er die ganze Welt nach seiner Pfeife tanzen lassen wie dieser Rattenfänger aus den Muggelsagen. Diese Geschichte hatte ihn als Kind am meisten fasziniert. Jemand, der Macht über andere Menschen und Tiere hatte, ohne daß diese das begriffen. Mochte es sein, daß seine Gedanken die Wirklichkeit formten oder nur der Umstand, daß er wieder in seinem Versteck war, das eine dicke, graue Ratte mit einer bleichen rechten Vorderpfote durch das Oberlicht des Salons hereinsprang und mit ihrem langen, nackten Schwanz den Flug in einen der Sessel ausbalancierte.
"Wurmschwanz, raus aus dem Sessel!" Schrillte Voldemort und machte eine drohende Bewegung in Richtung Sessel. Die Ratte sprang sogleich herunter und warf sich vor Voldemort zu Füßen. "Soll ich dich jetzt tottrampeln, Wurmschwanz?" Fragte der dunkle Lord und hob den rechten Fuß. Die Ratte zitterte und bebte vor Angst, traute sich aber nicht zu fliehen. "Nein, das lassen wir heute besser sein", lachte Voldemort, als er die total verängstigte Kreatur einige Sekunden lang angestarrt hatte. "Hast du was von Mrs. Malfoy gehört?" Er grinste dämonisch und zog seinen Fuß wieder zurück. Die Ratte zitterte immer noch. Dann richtete sie sich auf und verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in einen kleinen, dicklichen Mann mit schütterem, mausgrauen Haar und wässerigen Augen. Er hob den rechten Arm mit der silbernen Hand und viepte:
"Meister, Narcissa Malfoy ist nicht mehr nach Spinner's End gekommen, seitdem sie und Mrs. Lestrange dort mit Severus zusammengetroffen sind."
"Ach, der gute Severus. Der hat dich doch davon abgehalten, ihm zuzuhören. Wieso hat der eigentlich keinen Klangkerker gebaut?"
"Das ganze Haus ist von irgendwelchen Zaubern durchsetzt, die jede Heimlichkeit vereiteln. Deshalb konnte ich nachdem ich erwischt wurde nicht mehr näher an die Tür ran, Meister."
"Das ist mir doch bekannt", knurrte Voldemort. "Aber wenn Bella und ihre achso vornehme Schwester noch nichts neues wissen, müssen wir noch etwas warten", schnarrte Voldemort. "Hätte mich auch gewundert, wenn ihr verhätscheltes Söhnchen hingegangen wäre und dem alten Tatterich die zwei letzten Worte gesagt hätte. Das traut der sich doch nie! Niemals traut der sich das!!" Darüber mußte er lachen. Er hatte Draco Malfoy schon abgehakt. Entweder würde er Dumbledore töten und ein für alle Mal ihm, Voldemort unterworfen sein, oder er würde, was sehr sicher war, versagen. Dann hatte Voldemort keine Hemmungen, den Bengel umzubringen. Damit würde er Lucius Malfoy endgültig fertigmachen und seine Borniertheit kurieren. Mit diesem herrlichen Gefühl entließ er Wurmschwanz, der sich wieder in eine Ratte verwandelte und aus dem Salon davonhuschte.
"Und wenn Dumbledore fällt habe ich auch Harry Potter. Was diese Prophezeiung auch immer bedeutete, dann werde ich unüberwindlich sein, und niemand wird mich dann noch zu stürzen wagen." Dabei mußte er jedoch wieder an jenes Duell in den Everglades denken. Zwar vermutete er nun, daß er es entweder mit Sardonia zu tun bekommen hatte oder mit ihrer nicht minder machtversessenen Nichte, die es irgendwie geschafft haben mochte, wie er den körperlichen Tod zu überstehen und sich in Barty Crouches Körper einzunisten. Doch wenn es Sardonia war, wollte er bestimmt nicht einfach so auf sie losgehen, bevor er nicht alle Trümpfe in Händen hielt, darunter auch das Schwert Yanxothars. Daß sie seine Todesser in Schach zu halten verstanden hatte gab ihm zu denken, bereitete ihm aber eher Wut als Angst. Doch wenn er ehrlich zu sich war, mußte er erkennen, daß er doch ein wenig Angst vor dieser Hexe hatte. Sie war zumindest so mächtig wie Bokanowski, den er im Moment auch nicht offen angreifen wollte. Doch wenn er das Schwert hatte, dann konnte er beide gleichzeitig angreifen, ohne daß sie sich dagegen wehren konnten.
Die Jahrmillionen alte und doch jedes Jahr neu aufgeführte Musik des Regenwaldes drang in ihre Ohren. Frösche, von winzigklein bis zur Größe von Ochsenfröschen quiekten, quakten und blökten. Winzige Affen zwitscherten mit den Vögeln um die Wette. Größere Affen kreischten und schrillten in den höheren Regionen der mehrere Jahrtausende alten Urwaldriesen. Irgendwo krächzte sogar ein Papagei.
"Ich hoffe, dieses Antimalariagebräu hilft wirklich", flüsterte Pandora Straton, die in einem wasserabweisenden grünen Umhang mit Kapuze neben der ebenso blattgrün gewandeten Anthelia stand.
"Die Kenntnis dieser Elixiere ist mir so vertraut wie das Innere meiner Taschen, Schwester Pandora", wisperte Anthelia. Sie lauschte den Lauten außerhalb der Lichtung, auf der sie gerade standen. Einmal hörte Anthelia sogar die gezischten Worte: "Hunger" und "Hab ich dich!" aus den undurchdringlich wirkenden Büschen und den majestätisch aufragenden Bäumen. Das waren Schlangen auf der Jagd, erkannte sie. Sie wußte nicht, wie lange die nach Dairons Rezept zurückgewonnene Schlangensprache ihr erhalten bleiben würde. Zumindest aber würde sie vorerst keine Probleme haben, die hier wohnenden Reptilien zurückzuscheuchen. Schwärme von Mücken und Fliegen surrten und sirrten um sie herum, lästiges Gefleuch, daß tödliche Krankheiten verbreiten mochte. Doch sie hatten aus Anthelias vorsorglich angelegter Hexenapotheke einen wirksamen Trank gegen alle Blutkrankheiten und -parasiten eingenommen, der von Pia Dujardin im 16. Jahrhundert erfunden und von Dilys Dervent im 18. Jahrhundert geschmacklich verbessert worden war. Somit kamen ihnen die heimtückischen Gabelmücken nicht einmal zu nahe. Und falls doch, würden die von ihnen übertragenen Blutparasiten sofort absterben, sobald sie in ihren Blutkreislauf eingedrungen waren.
"Die Hütte von Alicia Montesalvaje liegt fünfhundert Schritte von hier in südlicher Richtung", flüsterte Anthelia. Pandora nickte. Mit dem Vier-Punkte-Zauber stellten sie fest, in welche Richtung sie gehen mußten, denn außer einem dämmerigen Grün war über ihnen nichts zu sehen. Ab und an rieselten Wassertropfen von den Bäumen herab. Möglicherweise würde der jeden Tag übliche Regen bald wieder einsetzen und den Wald in ein undurchdringliches Gefüge aus Wasser, Dunst und Schlamm verwandeln. So beeilten sich die beiden Hexen und dankten ihrer Voraussicht, ihre Umhänge nicht nur wasserabweisend, sondern gleichwarm bezaubert zu haben, so daß sie nur beim Atmen unter der feuchten, langsam immer heißer werdenden Luft zu leiden hatten.
"Vivideo!" Rief Anthelia und hielt ihren zauberstab nach vorne ausgestreckt. Sie wollten bestimmt nicht in irgendein auf Beute ausgehendes Raubtier hineinstolpern. Die Schlangen konnte sie hören, mal weit entfernt, mal fast über ihnen. Doch was hier sonst noch herumlief wußte sie nicht.
"Da vorne hinter den zusammengewachsenen Bäumen", murmelte Pandora. Anthelia nickte und bestrich den Weg vor sich mit dem grünen Licht aus ihrem Zauberstab. Doch nur die Lebensauren von Pflanzen und Insekten waren auf dem Boden zu sehen. Anthelia richtete den Stab nach oben und erwischte damit vier Papageien, die gerade laut plärrend zwischen zwei Bäumen dahinflogen. Dann sahen sie die drei zusammengewachsenen Baumriesen. Nur ein winziger Spalt zwischen den mächtigen Stämmen erlaubte ein Durchkommen.
"Wie damals auch schon", knurrte Anthelia und ging in den Vierfüßlerstand. So schlüpfte sie durch den Spalt hindurch, während Pandora Straton ruhig stehen blieb, sich konzentrierte und einschrumpfte, wobei ihr Umhang unter einem weißen, seidigen Fellkleid verschwand und aus ihrem Steißbein ein kerzengerader Katzenschwanz herauswuchs. Geschmeidig huschte Pandora in ihrer Animagus-Gestalt durch den Spalt und überholte Anthelia, die gerade wieder in Aufrechtstellung zurückkehrte.
"Das soll jetzt einfacher gewesen sein, Schwester?" Fragte Anthelia. Die weiße Katze, an der nur die tiefgrünen Augen an Pandora Straton erinnerten, nickte menschlich und machte Männchen. Dabei wuchs sie wieder und bekam ihre menschliche Gestalt zurück.
"Es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, höchste Schwester. Das ist ja etwas, um das Patricia mich beneidet, weil sie keine so hübsche und unaufdringliche Tiergestalt annehmen kann, ohne sich übermäßig anstrengen zu müssen."
"Mit Zauberstab kann sie doch alles werden", wunderte sich Anthelia.
"Ja, aber ein Animagus ist schon wesentlich behänder in der Hin- und Rückverwandlung", wandte Pandora ein. Anthelia verzichtete darauf, nachzufragen, was Patricias innere Tiergestalt war. Eine Katze konnte sie sich zwar vorstellen, aber es mochte auch etwas anderes sein. Zumindest standen sie nun vor der Waldhütte aus Mahagonibrettern. pandora ergriff den Türklopfer, der wie der Kopf eines Frosches mit halb ausgestreckter Zunge aussah. Als sie den Klopfer in die Hand nahm, quakte es aus ihm:
"La Doña no esta aqui."
"Was soll dieser Unfug", knurrte Anthelia und lauschte in die Hütte. Tatsächlich empfing sie mit ihrem telepathischen Sinn keine menschlichen Gedanken. Nur das leise Zischen "Hunger! Will endlich mein Futter haben!" drang durch die Bretter.
"Donde esta Doña Alicia?" Fragte Anthelia sehr energisch.
"No aqui!" Quakte der froschförmige Türklopfer.
"Sie ist tatsächlich nicht da", knurrte Anthelia. "Ich hätte ihr doch besser eine Eule senden sollen."
"Dann sollen wir hier warten?" Fragte Pandora.
"Das sie sich bequemt, zurückzukehren", schnaubte Anthelia. Sie mochte es nicht, wenn sie vor einer verschlossenen Tür stehengelassen wurde. Sicher, sie könnte versuchen, die Tür zu öffnen und in die Hütte eindringen. Doch mit wichtigen Bundesschwestern, die sich nichts zu Schulden hatten kommen lassen wollte sie nicht sowas anstellen.
"Hinterlassen wir eine Nachricht!" Sagte Anthelia und holte eine Adlerfeder aus ihrem Umhang.
"Wir wissen doch nicht, wann sie zurückkommen wird", sagte Pandora Straton.
"Dann soll sie zu uns kommen", erwiderte Anthelia und setzte schon an, sich die Spitze der Feder in einen Finger zu stechen, um ihr Blut als Tinte zu benutzen. Da schwirrte ein großer, bunter Vogel von Süden her an und segelte gekonnt durch den Rauchauslaß der Hütte.
"Ah, sie ist zurück", sagte Anthelia und packte die Feder wieder fort. Pandora zog an dem Klopfer und ließ ihn wuchtig gegen die Tür poltern. Fast im selben Moment sprangen von innen mehrere Verriegelungen auf und die Tür schwang nach außen auf. Dahinter stand eine kleine Hexe mit hellgrauen Haaren in einer bunten Schürze. Sie wirkte drahtig und blickte mit ihren weißblauen Augen sehr genau auf die beiden Besucherinnen. Sie erkannte Pandora und Anthelia und verneigte sich:
"Ah, Hermana altisima", sagte sie. Anthelia nickte und grüßte zurück. Dann wechselten die beiden einige Sätze mehr in der hier üblichen Landessprache. Danach wurden Anthelia und Pandora gebeten in die Hütte einzutreten. Pandora wunderte sich längst schon nicht mehr, welches Sprachtalent Anthelia besaß, daß sie die schnelle Unterhaltung auf Spanisch akzentfrei führte. Pandora selbst hatte die Sprache zwar auch gelernt, verstand aber nichts mehr, wenn sie ein bestimmtes Tempo überschritt. Daher überließ sie es Anthelia, mit Alicia zu sprechen.
"Ihr sucht also nach dem Vermächtnis des Inti, der anderswo Yanxothar geheißen hat?" Fragte Alicia Montesalvaje, wobei sie nun etwas langsamer sprach.
"Wir erfuhren, daß jemand aus Europa bereits mehr weiß als uns recht ist, um an diese Waffe heranzukommen, Alicia", sagte Anthelia. "Weißt du mehr darüber?"
"Genug um die Finger davon zu lassen, höchste Schwester", erwiderte Alicia bedächtig sprechend, so daß Pandora sie gut verstehen konnte. "Die Klinge gibt es, und sie wird gut bewacht von echten Feuergeistern, die aus Zauberfeuer und den entkörperten Seelen gedungener Krieger entstanden sind. Man sagt, der Sonnengott Inti habe sie als Leibgarde vom Himmel geschickt, als er seinen ersten Sohn zur Erde schickte, um hier ein weltweites Reich zu gründen. Darüber hinaus brennen im Tempel auch Feuer aller Zauberarten, die nicht unbedingt den Körper, sondern auch den Verstand verbrennen und weder Mensch noch Geist verschonen. Wer es dann immer noch schafft, an das Schwert heranzukommen, der wird mit dessen darin schlafendem Wächter zu kämpfen haben. Wenn er verliert, verbrennt sein Körper zu Asche, und die Seele verbleibt als Teil des Wächters in der Waffe."
"Du weißt viel darüber", wunderte sich Pandora. "Woher weißt du das, Schwester Alicia?"
"Ich kenne genug Leute im Archiv für präkolumbianische Zaubereigeschichte und habe mal ein Jahr mit einem Experten für das alte Reich zusammengelebt. Dabei habe ich einiges erfahren können."
"Du sagtest auch, daß das Tor nur einen Mond nach der Frühlingstagundnachtgleiche offensteht, also von nun an noch drei Wochen", sagte Anthelia.
"So ist es, höchste Schwester. Einige aus der Mysteriumsabteilung wollten den Tempel betreten und die Waffe sicherstellen. Aber nur einer kam zurück, ohne das Schwert. Er berichtete im Geheimen, was seinen Kollegen passiert war. Zwei von ihnen seien von diesen Feuerdämonen getötet worden, ein dritter sei in eine plötzlich aufschießende Feuersäule geraten und der Vierte habe das Schwert gefunden, es für genau eine Minute starr dastehend in Händen gehalten und sei dann von einem aus ihm explodierenden Feuerball vernichtet worden. Das Schwert sei dann wieder auf den Altar gefallen, auf dem es von den ganzen Feuerzaubern und -wesen umgeben ruht", sagte Alicia. Ich kenne noch das Wort, mit dem das Schwert dazu entzündet werden kann. Aber ich weiß nicht, wie man es schreibt."
"Sprich es mir vor!" Befahl Anthelia. Alicia sah die höchste Schwester sehr eingeschüchtert an.
"Hallo, ich will mein Futter!" Zischte es von der im Halbdunkeln liegenden Seite der Hütte her. Anthelia wußte, wer da sein Essen forderte. Nichts kleineres als eine ausgewachsene Anakonda, die Alicia sich zum Zeitvertreib hielt. Alicia verstand offenbar auch die Schlangensprache. Denn sie deutete nach hinten und sagte:
"Ich muß PaQuito füttern, bevor er wieder versucht, aus seinem Terrarium zu entwischen."
"Gut, aber dann will ich von dir das Schlüsselwort hören", knurrte Anthelia ungehalten.
Pandora wandte sich ab, als sie das vielstimmige Angstquieken von mehreren Meerschweinchen hörte, die Alicia in einem kleinen Raum der Hütte kultivierte, um sie ihrer Hausschlange lebendig zum Fraß vor zu werfen. Anthelia blieb dabei völlig ungerührt. Als Alicia ihre gewöhnungsbedürftige Fütterung beendet hatte und zurückkehrte sagte sie:
"Höchste Schwester, nur Narren wagen sich an diese Waffe heran, und ich denke, du bist keine Närrin."
"Diese Waffe wartet darauf, von einem Würdigen gefunden und in Besitz genommen zu werden. Ich gehe davon aus, daß dieser Emporkömmling sie auch sucht, wenn er in diesem Buch über den Feuermagier Phlegethon über sie nachlesen kann. Wann war der letzte Versuch, sie zu erbeuten?"
"Vor drei Jahren", sagte Alicia noch einmal. Anthelia nickte. Zumindest war der Emporkömmling damals noch nicht auf die Idee gekommen, sich diese Waffe zu beschaffen. Dann hatte sie noch die besten Chancen.
"Das Wort!" Verlangte sie erneut. Alicia nickte schwerfällig und antwortete:
"Faianshaitargesh. Das soll Feuer des Himmels und der Erde heißen, wenn ich das von meinem Altreichexperten richtig übersetzt bekommen habe."
"Damit wird also eine Brücke zwischen den Feuern aus der Erde, die aus vulkanischen Schloten herausbrechen und jenen Feuern des Weltenraums geschlagen, wie es sich in der Sonne äußert", vermutete Anthelia. Alicia stutzte und nickte dann. Dann sagte die höchste Schwester etwas, daß Pandora und Alicia die Blässe in die Gesichter trieb:
"Wir drei werden morgen mittag an die bezeichnete Stelle gehen und danach trachten, die Klinge des Yanxothar zu bergen. Ich möchte nicht mehr Schwestern mitnehmen als unbedingt nötig. Auch will ich vermeiden, daß du, Schwester Alicia, in die Gewalt anderer gerätst, die nach dieser Waffe trachten."
"Und was ist, wenn ich nicht mitgehen will?" Fragte Alicia. Anthelia deutete nach hinten, wo immer noch angsterfülltes Quieken zu hören war, immer weniger, aber doch noch ausreichend genug. "Dann werde ich dich gerne zu deinen Futtertieren gesellen", sagte Anthelia unerbittlich. Pandora wußte, daß Anthelia tat, was sie androhte, wenn man nicht tat, was sie wollte. Deshalb wagte sie auch keinen Widerspruch.
"Du weißt doch jetzt genug, um dich selbst auf die Suche zu machen, wenn du unbedingt meinst, diese Waffe erobern zu müssen", begehrte Alicia auf.
"Ich kann und werde nicht zulassen, daß jemand anderes dich um dieses Wissen bringt, Schwester Alicia. Aber wenn du unbedingt lieber einen nützlichen Tod sterben möchtest", erwiderte Anthelia. Alicia wog nun beide Ängste gegeneinander ab und befand, daß sie weder als Meerschweinchen im Magen ihrer Anakonda landen noch von einem skrupellosen Zauberer wie Voldemort zum Verrat gezwungen werden wollte. In all ihren einhundertdreißig Jahren hatte sie schon vielen Zauberern und Hexen getrotzt. Doch Anthelia hatte ihr bei ihrem Werbebesuch deutlich gezeigt, daß sie mächtiger war als Alicia. Doch wenn Anthelia sie hier zurücklassen würde, dann könnte sie ..."
"Am besten bleiben wir zwei diesen Tag und die nächste Nacht hier bei dir, um dich zu beschützen", sagte Anthelia ruhig. Alicia verstand. Diese Hexe wollte nichts dem Zufall überlassen. Sie nickte. Dann sagte sie, daß sie nicht genug zu Essen für so viele Gäste im Haus habe. Anthelia nickte und sagte zu Pandora:
"Besorge uns bitte ausreichend zu Essen, bestenfalls für drei volle Tage! Ich gehe davon aus, daß wir uns zu Fuß an jenen Tempel heranarbeiten müssen. Immerhin konnten die Schergen der Mysteriumsabteilung auch nicht auf dem schnellsten Weg dorthin vordringen."
"Das Tor läßt sich nur finden, wenn jemand offen und auf eigenen Beinen daherkommt", wimmerte Alicia. Pandora nickte und verließ die Hütte, um draußen zu disapparieren.
Zunächst kehrte sie in zwei Sprüngen in die Daggers-Villa zurück, wo Patricia Straton, ihre Tochter, bereits auf sie wartete.
"Das wird ein Himmelfahrtskommando, Patricia", mentiloquierte sie ihrer Tochter. "Nachdem was Alicia uns erzählt hat werden wir morgen in ein Inferno hineinmarschieren."
"Die höchste Schwester ist wohl besessen davon", erwiderte Patricia auf dem unhörbaren Weg.
"Offenbar meint sie, dieses Ding kriegen zu können und dadurch wesentlich mächtiger zu werden als sie sowieso schon ist. Aber ich muß bei diesem Irrsinn dabei sein, sonst ist mein Leben auch so nichts mehr wert", mentiloquierte Pandora Straton. patricia erwiderte auf gleichem Weg:
"Mutter, pass auf dich auf und halte dich nach Möglichkeit zurück! Ich weiß, ich kann dir keine Ratschläge geben, aber den bitte ich dich anzunehmen."
"ich werde sehen, daß ich nicht gerade an vorderster Front stehe", versuchte Pandora ihre Tochter zu beruhigen.
"Mir wäre es lieber, wenn du überhaupt nicht in die nähe dieses Ortes kämst", seufzte Patricia, diesmal mit körperlicher Stimme.
"Lieber gehe ich mit ihr als du oder wer von den anderen jüngeren Hexen. Schon schlimm genug, das es Lobelia, Charity, Dana, Lucretia und Delila erwischt hat, als wir gegen Hallitti gekämpft haben. Vielleicht hätten wir das auch anders regeln sollen."
"Das ging leider nicht anders, Mutter", erwiderte Patricia. "Aber dieses verfluchte Schwert soll doch bleiben wo es ist. Wenn der Weg dahin so gefährlich ist kommt auch der Emporkömmling nicht dran."
"Eben das wissen wir nicht", widersprach Pandora seufzend. "Wenn er bessere Kontakte hat als wir und sich ähnliche Quellen erschließt könnte er genauso versessen sein, das Schwert zu kriegen. Und wenn er es hat, sind wir alle verloren. Deshalb sehe ich es ein, daß die höchste Schwester zumindest den Versuch macht, es vor ihm zu bekommen. Sie ist doch ein wenig rücksichtsvoller."
"Woran machst du das fest, Mutter?" Fragte Patricia nun leicht aufsässig.
"Sie hätte bestimmt nicht den Burschen am Leben gelassen, der uns bei ihrer Wiederverkörperung belauscht hat. Sie hätte ganz sicher auch diesen Chuck Redwood getötet, den du einmal vertreten hast. Ja, und sie hätte weder den Sklaven Hallittis noch seinen Sohn entkommen lassen, wenn sie so rücksichtslos wäre."
"Mutter, dieser Benny Calder oder Cecil Wellington ist unser bester Kundschafter bei den Muggeln. Chuck Redwood bewacht Sarah Redwoods Haus, auch wenn er im magischen Tiefschlaf liegt und was Julius Andrews und seinen Vater angeht, so denke ich, daß sie den Jungen nicht umbringen wollte, weil er irgendwann noch einmal wichtig werden könnte. Und der Vater ist nun keinem mehr gefährlich. Ich weiß sogar, wo er gelandet ist, wenn die höchste Schwester das wissen möchte."
"Ich denke, ihr wird es nun egal sein, wo Richard Andrews aufwächst."
"Der heißt jetzt nicht mehr Richard Andrews, Mutter."
"Stimmt natürlich, Patricia. Aber er geht uns nichts mehr an", sagte Pandora endgültig. Ihre Tochter nickte verhalten. Innerlich bezweifelte sie es, daß sie das Schicksal des mannes, den sie selbst in ein Baby zurückverwandelt hatte nichts mehr anging. Sicher, den Chinesen, der damals bei der Niederbrennung Dropouts mitgeholfen hatte, hatte sie achtlos in einer für Babys zuständigen Klinik abgegeben. Aber was den Vater des Jungzauberers Julius Andrews anging, fühlte sie sich doch etwas verantwortlicher. Außerdem wollte sie wissen, wo er nun wie neu aufwuchs, ja ob er nicht doch seine Erinnerungen zurückbekommen würde. Falls ja, so ging es sie unbedingt etwas an, was aus ihm wurde. Doch wenn ihre Mutter das nicht sah, warum sollte sie ihr das erklären?
"Für den hoffentlich nicht eintretenden Fall, daß ich von dieser Mission nicht mehr wiederkomme, Kind", setzte Pandora Straton mit belegter Stimme an: "Lass dich nicht auf einen Krach mit der höchsten Schwester ein! Denn du bist dann neben deinem Bruder mein lebendes Vermächtnis. Falls es dir möglich ist, suche dir einen Zauberer und verlängere unsere Linie! Falls die höchste Schwester auch nicht wiederkommen sollte, vertraue dich bitte Lady Daianira an und hoffe auf ihre Gnade!"
"Gnade von der? Wenn sie hört, daß die höchste Schwester nicht mehr da ist wird sie grausam aufräumen, Mutter. Ich hoffe sehr, daß ihr beide wiederkommt. Sonst muß ich sehr schnell sehr unsichtbar werden und im Zweifelsfall unter Muggeln leben, ganz weit weg von hier. Du weißt doch, was sie mit Thalias Anhängerinnen gemacht hat."
"Nicht alle von denen sind tot, Kind", sagte Pandora nicht ganz so sicher. "Ich denke aber, daß das von Anthelia geschmiedete Bündnis zumindest hält, weil der Emporkömmling noch da ist. Deshalb denke ich auch, daß Lady Daianira gnädig zu euch ist, allein schon um mehr über die höchste Schwester zu erfahren."
"Wie gesagt, Mutter und Schwester: Kommt am besten beide wieder!" Sagte Patricia. In ihren tiefgrünen Augen mit leichtem Graustich glitzerten Tränen, als ihre Mutter sie umarmte und dann einfach disapparierte.
Das vielstimmige Geschnatter von Muggeln störte Voldemort. Beinahe hätte er seine Unsichtbarkeit verloren, weil er sich zu sehr auf den Redefluß zweier junger Frauen konzentrierte. Eigentlich hätte er einen Tarnumhang benutzen sollen, dachte er und mußte dabei grinsen. Tarnumhänge waren lästig, weil man immer aufpassen mußte, richtig darunter zu bleiben. Außerdem brauchte ein wirklich mächtiger Zauberer solchen Schnickschnack nicht. Er rümpfte die ohnehin fast im Schädel verschwindende Nase, weil ihn die Abgase der Autos sehr störten. Wenn er erst einmal alle Macht über die Zaubererwelt hatte, würde er diese stinkenden Muggel dazu zwingen, ihre Mistmaschinen zu verschrotten und nur mit ihren kümmerlichen Körperkräften zu arbeiten, wie es sich für Sklaven gehörte. Was fiel denen ein, immer mehr die Luft verpestende Geräte zu bauen, nur um ihre Schwäche zu überspielen?
Beinahe wäre er in einen übel riechenden Kothaufen vor einer Tür hineingetreten. Was immer diese Hinterlassenschaft auf die Straße geworfen hatte mochte entweder ziemlich groß oder gefräßig sein, dachte der dunkle Lord verärgert. Warum mußte der, den sie den Hüter nannten, ausgerechnet in einer Vorstadt Limas unter Muggeln, diesen nichtswürdigen Schwächlingen, sein Zuhause haben. Bildete der sich etwa ein, die Zaubererwelt würde ihn hier nicht finden? Er, Lord Voldemort, würde ihn hier nicht aufspüren können? Lächerlich! Immerhin hatte er nach dem Fehlschlag in den Anden rasch herausgefunden, daß dieser Garmapack noch einen Bruder hatte, der sich unter den Muggeln in Lima versteckt hatte, um nicht vom Zaubereiministerium oder irgendwelchen freien Orden behelligt zu werden. Doch Voldemort hatte mit mehr oder weniger sanftem Nachdruck herausgekitzelt, wo Antonio Juarez, besagter Bruder Garmapacks, seinen Unterschlupf hatte. Tja, es war doch schön, wenn ein Zaubereiministerium die für es wichtigen Personen im Auge behielt. Da brauchte er keine eigenen Spione einzusetzen.
Mit viel zu lautem Getöse knatterten vier Motorräder an dem unsichtbaren Herrn der Todesser vorbei. Darauf saßen zusammen sechs junge Leute, vier Männer und zwei Frauen, die noch als Mädchen durchgehen mochten. Sie johlten und riefen Parolen auf irgendwen, der wohl was mit Sport zu tun haben sollte. Er blickte den Muggeln nach und übersah dabei fast den Jungen, der genau in dem Moment einen schwarz-weiß gescheckten Ball mit dem Fuß auf den Weg hinausfeuerte. Der Ball prallte mit großer Wucht an Voldemorts Brustkorb und ließ den bösen Zauberer schmerzhaft zusammenfahren. Dabei verlor er die Balance über seine Unsichtbarkeit und erschien wie ein Dämon im dunklen Gewand mitten auf dem Weg. Der Junge, der den Ball getreten hatte schrie auf. Passanten drehten sich in die Richtung und sahen den hageren Mann mit dem entsetzlich aussehenden, bleichen Schädel und den scharlachroten Augen. Sofort setzte ein wildes, angsterfülltes Geschrei ein. Voldemort fauchte wie ein auf den Schwanz getretener Kater, wirbelte nach links herum und richtete den Zauberstab auf den Jungen, der mit entsetzt aufgerissenen braunen Augen den aus dem Nichts entstandenen Fremden ansah. "Avada Kedavra!" Schrillte die eiskalte Stimme des dunklen Magiers. Sirrend schlug ein gleißender, grüner Blitz aus der Zauberstabspitze auf den Jungen über, der wie von einem unsichtbaren Stoß getroffen umfiel, ohne auch nur eine weitere Regung zu zeigen. Das er aufschlug spürte er schon nicht mehr. Ein vereinter Aufschrei der Augenzeugen quittierte den schlagartigen Tod eines einfachen Jungen, der nur einmal sehen wollte, wie weit er seinen neuen Fußball kicken konnte. Voldemort verfluchte diese aufgescheuchten Muggel. Alle gleichzeitig konnte er nicht mit dem Todesfluch erledigen. Aber er kannte einen mächtigen Fluch, der sie alle in unüberwindlicher Todesangst erstarren lassen konnte. So riss er den Stab hoch und rief befehlend: "Nebula Horrifica!" Ein lautes Zischen wie aus einem Hochdruckkessel entweichender Dampf begleitete das Erscheinen einr giftgrünen Wolke, die aus dem Zauberstab quoll und sich explosionsartig in alle Richtungen ausdehnte. Wer davon berührt wurde schrie auf, erstarrte aber unvermittelt wie eine Salzsäule. Nun konnte Voldemort einen nach dem anderen erledigen. Denn er wollte keine Zeugen hinterlassen. Wahrscheinlich würden die vom Zaubereiministerium sowieso schon losmarschieren, weil in dieser Muggelkolonie der Todesfluch aufgerufen worden war. Dieser verdammte Bengel mit seinem Drecksball! Doch anstatt alle mit dem Todesfluch niederzustrecken beschwor er sieben schwarze Schlangen hintereinander herauf, die er mit einem geparselten Befehl auf die erstarrt dastehenden Muggel hetzte. Jede Schlange besaß tödliche Giftzähne, deren Biss schneller wirkte als der von drei Königskobras. So überließ er es seinen gliederlosen Henkern, die unliebsamen Zeugen niederzumachen. Er sah den von seiner Brust abgeprallten Ball vor einer Einfahrt liegen. In einem letzten Anflug seiner ohnehin schon großen Zerstörungswut deutete er mit seinem Zauberstab darauf und rief: "Reducto!" Mit einem lauten Knall zerplatzte die schwarz-weiße Kugel und löste sich in Nebel auf. Die giftgrüne Zauberwolke dehnte sich derweil weiter aus, wurde dabei aber bereits merklich dünner. Dennoch fand sie weitere Opfer unter den Passanten. Den Rest würden die sieben Schlangen erledigen. Voldemort konzentrierte sich und stellte seine Unsichtbarkeit wieder her. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Schwaden des von ihm gehexten Nebels, die ihm, ihrem Erzeuger, nichts anhatten. Er bog in eine Seitengasse ein, in die der giftgrüne Brodem noch hineinquoll und arglos herumlaufende Muggel überfiel. Seine Schlangen sollten alle töten, die still auf der Stelle standen, weil die Angst sie lähmte, sie nicht einmal zur Flucht trieb. Dann hatte er endlich sein Ziel erreicht, eine morsch wirkende Holzhütte, die sich an die verwitterte, graue Mauer eines abbruchreifen Hauses schmiegte. Hier wohnte er also, Antonio Juarez, der Schlüssel zu Yanxotahrs Schwert. Voldemort fühlte, wie die Wut über die Frechheit mit dem Ball einer immer stärker werdenden Siegesfreude wich. Gleich würde er den Kerl in die Finger bekommen, der die Geheimnisse des verborgenen Inka-Tempels kannte. Ob er zaubern konnte oder nicht würde diesem Juarez nichts nützen.
Die Tür der Hütte war natürlich verschlossen. Voldemort beschloss, wo er eh schon genug gezaubert hatte, nicht darauf zu warten, daß der Bewohner dieses schäbigen Schuppens sie freiwillig öffnen würde. Er richtete seinen Zauberstab auf die Tür und dachte: "Alohomora!" Doch anstatt sich aufzutun, wie so viele andere Türen, spie sie ohne Vorwarnung eine Flammengarbe nach ihm. Voldemort schaffte es gerade noch, sich nach hinten überfallen zu lassen und fühlte die sengende Hitze der über ihn wegfauchenden Feuerzungen.
"Das bringt dir auch nicht mehr!" Brüllte er und deutete mit dem Zauberstab auf die Wand neben der Tür. "Reducto!" Doch der Fluch, der sonst feste Hindernisse zu Staub zerblasen konnte, prallte mit lautem Pochen von der Wand ab und sirrte wie ein querschlagendes Geschoss rechts an Voldemort vorbei. Auch gegen diesen Zauber hatte dieser Mistkerl sich also abgesichert. Aber das würde ihm nichts helfen. Er wollte gerade ansetzen, die Hütte einfach in Brand zu stecken, als eines der Fenster aufflog und acht Schlangenköpfe herausschossen, der Größe nach Anakondas, dem Aussehen nach jedoch schwarze Mambas, ähnlich denen, die voldemort gerade erst beschworen hatte.
"Knäuelt euch zusammen!" Parselte Voldemort, als die auf ihn losgelassenen Kriechtiere auf halber Körperlänge durch das Fenster herausgeschlüpft waren. Die Schlangen erstarrten erst, dann wanden sie sich ineinander, knoteten sich aneinander fest. Der in ihrer Sprache gerufene Befehl war wie ein Zwang, dem sich auch ihre Instinkte nicht widersetzen konnten. Als die übergroßen Giftschlangen sich zu einem unauflösbaren Knäuel zusammengewickelt und verstrickt hatten sah Voldemort das entsetzte Gesicht eines bärtigen Mannes, der hinter dem Fenster stand und den Ausfall seiner Schlangentruppe wohl beobachtet hatte. Voldemort sah ihn triumphierend an. Er hatte seine Unsichtbarkeit erneut verloren.
"Ich denke mal, du weißt wer ich bin, Antonio Juarez!" Schrillte voldemort ungeniert. "Dann weißt du auch, daß jeder Widerstand sinnlos ist."
"Du bist der, den sie drüben in Europa den Unnennbaren nennen", entrang sich ein von unbändiger Furcht gefärbter Satz den Lippen des Hüttenbewohners.
"Genau der bin ich: Lord-Vol-de-mort!" Stieß der Herr der Todesser in unerschütterlicher Überlegenheit aus.
"Auch wenn du den düsteren Göttern nacheiferst wirst du mich nicht lebend kriegen", sagte der Mann hinter dem Fenster. Doch Voldemort stürmte bereits auf das offene Fenster zu und warf sich mit nach vorne vorstoßendem Zauberstab hindurch. Der Mann in der Hütte riss eine vergoldete Scheibe von einer Wand, die wie eine Sonne mit einem Gesicht darin aussah und hielt sie Voldemort wie einen Schild entgegen. Dabei rief er etwas, aus dem Voldemort nur den Namen Inti heraushörte, den Namen des alten Sonnengottes und mythischen Gründervaters der Inka-Kultur. Die Sonnenscheibe begann, aus sich selbst heraus zu leuchten und immer heller zu erstrahlen. Das Licht traf den dunklen Lord wie eine Welle von brennenden Stichen am ganzen Körper. Er schrak zurück und fühlte, daß er die immer heftigeren Schmerzen nicht mehr lange stumm ertragen konnte. Dieser Bastard besaß mit dieser Sonnenscheibe ein mächtiges Artefakt gegen ihn. Doch noch konnte er klar denken. Er warf sich nieder, um den auf ihn einwirkenden Zauberkräften aus der gleißenden Sonnenscheibe auszuweichen, richtete seinen Zauberstab dorthin, wo er Norden vermutete und rief mit großer Anstrengung: "Manus Medianoctis!" Mit einer infernalischen Urgewalt krachte etwas großes, undurchdringlich schwarzes durch das Hüttendach, das in tausende Splitter zerfiel, eine riesige Hand, die sich gerade öffnete und wenige Zentimeter über Juarez verharrte. Dieser riss die Sonnenscheibe hoch und hielt sie der düsteren Erscheinung entgegen, die förmlich zurückprallte und etwas von ihrer Größe einbüßte. Dieses Ding wirkte der Hand also sichtlich entgegen. Sie glitt langsam zurück. Voldemort knurrte verärgert. Doch dann sah er, daß sein Gegner durch die Abwehr der neuen, gefährlicheren Bedrohung nicht mehr auf ihn zielen konnte. Seine Beine waren nun ungeschützt. So zielte der dunkle Lord keuchend auf die in dunklen Hosenbeinen steckenden Beine Juarezes und dachte konzentriert: "Locomotor Mortis!" Wie von einer unsichtbaren Zange zusammengedrückt sprangen die Beine Jurarez' zusammen. Er verlor den Halt und fiel hin. Dabei entfiel ihm die Sonnenscheibe, die noch einmal aufblitzte und dann scheppernd neben ihm auf den Boden schlug. Die schwarze Hand aus verstofflichter Mitternacht verhielt über dem Körper des niedergeworfenen Mannes. Voldemort richtete seinen Zauberstab darauf und befahl in Gedanken: "Greif ihn dir!" wie das Fallbeil einer Guillotine sauste die beschworene Hand herab und umschloss Kopf und Brustkorb des überwältigten Gegners. Nun würde sie ihm seine Seele und alles Wissen entreißen, und Voldemort konnte ...
"Stupor!" Erscholl es vielstimmig von draußen. Voldemort drückte sich ganz flach auf den Boden, während ein Schockzauber durch das offene Fenster hereinfauchte und dumpf in die Holzwand einschlug und ein am Rand verkohltes Loch hinterließ. Die anderen Schocker schienen ihren Weg in die Hütte nicht zu finden. Er hörte dumpfe Knälle und das schrille Peitschen querschlagender Zauber. Innerlich grinste der dunkle Lord. Hatten sich diese übereifrigen Idioten vielleicht selbst damit ausgeschaltet? Das war ihm jetzt egal, weil die beschworene Hand aus düsterer Zauberkraft ihr Opfer regelrecht zerdrückte. Von der Berührung mit der Hand von absoluter Kälte getroffen zersprang Antonios Körper wie ein von einem schweren Hammer zertrümmerter Eisblock. Voldemort wartete nicht erst, bis ein weiterer Schocker auf ihn losgelassen würde. Er warf sich herum und schickte einen blau-grünen Feuerball durch das offene Fenster. Dann wandte er sich der immer noch übergroßen Hand zu und rief "Victima mea!" Darauf sprang die zur Faust geballte Hand von dem getöteten Antonio fort und sauste heulend auf Voldemort zu, traf die Zauberstabspitze und wurde kleiner. Dabei war es Voldemort, als ströme eine Flut kühlen Wassers in seinen Arm und durch diesen in seinen Körper hinüber. Als die beschworene Hand gänzlich im Zauberstab verschwunden war, fühlte der dunkle Lord, wie eine Fülle von Worten und Bildern sein Bewußtsein durchflutete. Doch er konnte sich nicht dieser überwältigenden Empfindung hingeben, weil von draußen wieder mehrere Zauber gerufen wurden, darunter auch "Incendio!" Man wollte ihn also nicht lebendig ergreifen. Schon begann die Hütte zu glühen, dann brannte sie. Weil ihr Dach zertrümmert war und die zu feinem Staub zerriebenen Holzbalken wie Zunder wirkten, hüllte den dunklen Lord keine zwei Sekunden später eine Wand aus gefräßigen Flammen und immer wilder schwirrenden Funken ein. Die unerträgliche Hitze drohte sein Bewußtsein zu rauben, als er im allerletzten Moment an ein Ziel dachte und sich mit all seiner Willenskraft vorstellte, seinen Körper an dieses Ziel zu bringen und mit Wucht in eine Disapparition warf, gerade als das ihn umgebende Inferno ihn zu erfassen drohte. Als er apparierte fühlte er, daß sein Umhang bereits in Flammen stand und richtete seinen Zauberstab auf sich: "Aguamenti!" Er sah, wie ein Wasserstrahl aus dem leicht qualmenden, aber trotzdem immer noch unversehrten Stab schoss und die an seinem Umhang leckenden Flammen erstickte. Er fühlte bereits die Schmerzen auf der Haut, wo das Feuer sie verbrannt hatte. Doch er schaffte es, sich völlig vom Feuer zu befreien. Dann kühlte er mit dem weiter strömenden Wasserstrahl die Verbrennungen, bis er meinte, in einen Eisblock eingeschlossen zu sein. Er war seiner zweiten körperlichen Vernichtung um Haaresbreite entgangen. Als er meinte, sich selbst genug mit kaltem Wasser bespritzt zu haben und den Zauber versiegen ließ, fand er neue Ruhe, um nachzudenken. Er stand am Strand eines Ozeans, dem Atlantik. Seine verzweifelte Flucht hatte ihn nach Panama befördert, außerhalb der Reichweite des peruanischen Zaubereiministeriums. Da Voldemort wußte, daß die Apparitionsspürzauber der südamerikanischen Länder nicht so gut ausgebaut waren wie die in den vereinigten Staaten würde niemand wissen, daß er dem Feuer entronnen war. Vielleicht glaubten diese verdammten Hescher auch, er sei in den Flammen umgekommen. Sie mußten mit einer Hundertschaft angegriffen haben. Anders konnte er sich nicht vorstellen, wieso die nach hinten losgegangenen Schocker und seine Feuerkugel genug Gegner übriggelassen hatten. Er fühlte jedoch, daß die starken Zauber der letzten Minuten seinen Geist und Körper sichtlich ausgezehrt hatten. Er, Lord Voldemort, hatte zum ersten Mal nach jener höchst unangenehmen Begegnung in den Sümpfen Floridas seine Belastungsgrenzen überschritten. Daß er nicht in der lodernden Feuerhölle verbrannt war und erneut zu einem Dasein weniger als ein Geist verurteilt worden war, verdankte er wohl dem Rest von Magie, die er noch mobilisieren und disapparieren konnte. Doch nun, wo er vom beruhigenden Kommen und Gehen der Brandungswellen eingelullt wurde, spürte er, daß er keinen weiteren Zauber wirken konnte, ohne ohnmächtig zu werden. So mußte er, wenn er wieder seine gewohnte Kraft zurückbekommen wollte, einige Stunden tief schlafen. Doch am Strand ging das nicht. Die Sonne würde ihm erbarmungslos die Haut verbrennen. So erhob er sich und stapfte auf wackeligen Beinen vom Strand weg und suchte nach einer dauerhaft schattigen Stelle. Doch erst nach zwanzig Minuten immer anstrengender werdenden Marschierens fand er einen Felsen, in dessen Schatten er sich hinlegen konnte. Kaum daß er seinen ramponierten Umhang zu einem provisorischen Kissen zusammengeknüllt und unter seinen Kopf gelegt hatte, fiel er auch schon in einen tiefen, schier endlosen Schlaf.
Die Hütte brannte lichterloh. Die um sie gruppierten Zauberer sahen auf das Feuer, das die Hütte von Antonio Juarez endgültig vertilgte.
"War das wirklich nötig?" Fragte ein in Marineblau gekleideter Zauberer einen anderen, der einen sonnengelben Umhang mit goldenen Schulterstücken trug. Dieser, Orfeo Celestes, nickte schwerfällig. Der Truppführer der Guardia del Sol, der Elite-Eingreiftruppe des peruanischen Zaubereiministeriums, blickte auf die zehn erstarrten Körper von Kollegen, die ebenfalls die sonnengelben Umhänge aber ohne goldene Schulterstücke trugen und deutete auf fünf Aschenhaufen, die in gerader Linie vom Fenster aus den Boden bedeckten.
"Dieser Kerl hat gnadenlos den Feuerball gezaubert, ohne Rücksicht auf Verluste. Er hat eine Gruppe unschuldiger Leute angegriffen und beschworene Giftschlangen auf sie gehetzt, die wir gerade erst restlos vernichten konnten. Die Gebissenen werden gerade von unseren Heilern versorgt. Aber es sind jetzt schon mehr als zwölf Menschen tot, einer davon ein kleiner Junge, den wohl der grüne Blitz getötet hat. Wer immer das war kannte keine Gnade. Er wollte Juarez wohl gefangennehmen. Aber da dieser ein Geheimnisträger der obersten Ordnung ist und wir ihn nicht mehr befreien konnten, weil seine Hütte konventionellen Zutrittszaubern entgegenwirkt, mußten wir beide opfern, um diesem Angreifer nicht die alte Macht der Inka-Magier zu überlassen. Bedauerlich zwar aber nicht zu ändern."
"Das dürfen Sie dem Minister gerne selbst alles berichten", erwiderte der Zauberer in Marineblau. "Immerhin sollen Ihre Leute nach Möglichkeit nicht selbst töten."
"Sie möchten mir erzählen, wie ich die Sicherheit unseres Landes erhalten möchte, Señor Navaro?" Fragte Celestes seinen Gesprächspartner. Dieser zuckte mit den Schultern und sagte:
"Als Hüter der Unversehrtheit nichtmagischer Menschen und Beauftragter des Ministeriums zur Einhaltung der Schutzmaßnahmen für nichtmagische Menschen würde ich Ihnen zu gerne zustimmen, was die Anwendung ultimativer Gewalt gegen einen hemmungslos brutalen Verbrecher angeht. Aber als Sekretär des Ausschusses zur Bewahrung alter Kenntnisse empfinde ich es als höchst fragwürdig, einen der größten Kenner präkolumbianischer Zauberkunst so einfach zu opfern, auch wenn die Gefahr bestand, daß sein Angreifer ihn bereits überwältigt hat. Sie sollen Geiseln befreien und nicht mit den Geiselnehmern zusammen hinrichten, Señor Celestes. Widrigenfalls sind Sie und Ihre Leute nicht besser als die dunklen Magier, die Sie bekämpfen sollen."
"Sehen Sie sich das alles hier an!" Schnarrte Celestes, als zwei Hexen in fliederfarbenen Umhängen auf die Gruppe in sonnengelben Umhängen zueilten, die bereits dabei waren, die von der mittlerweile restlos verwehten Angstwolke betroffenen Menschen zu bezaubern. "Wer das getan hat war ein sehr mächtiger schwarzer Magier. Seitdem wir wissen, daß die Gerüchte aus England doch keine Gerüchte waren müssen wir damit rechnen, daß jener, den sie dort drüben nicht beim Namen nennen wollen, Verbündete in anderen Ländern sucht. Womöglich haben wir ihn selbst gestellt."
"Dann ist er nun tot?" Fragte Navaro, und in sein zerknirscht dreinschauendes Gesicht schlich sich so etwas wie Erleichterung ein.
"Das Knäuel übergroßer Schlangen hier beweist, daß wir es mit einem Schlangensprecher zu tun hatten. Er kann das wohl. Wenn er da drin war, ist er wohl tot, wenn er nicht in letzter Sekunde disappariert ist. Immerhin kann es sein, daß durch den Brand alle Sperrzauber zusammengebrochen sind, die den schnellen Ortswechsel behindern."
"Dann hätten Sie mit diesem Feuerzauber hier nicht nur den letzten Kenner der wirklich mächtigen Magien der Inkas getötet, sondern diesem Verbrecher, der sich anderswo dunkler Lord nennen läßt den Fluchtweg geöffnet", knurrte Navaro nun wütend aussehend. "Ich bin gespannt, wie seine Exzellenz das finden wird."
"Wir hatten nur Sekunden Zeit, Señor Navaro", blaffte Celestes seinen Gesprächspartner genauso wütend an. "Wenn wir nicht mit aller Gewalt zugeschlagen hätten, wären wir alle getötet worden."
"Señor Celestes, ich habe kurz nach dem Entflammen der Hütte einen leisen Knall gehört, der nicht auf im Feuer zerbrechendes Holz beruhen mag", sagte einer der Sonnengardisten. "Womöglich hat sich der Eindringling noch absetzen können."
"Da haben Sie's", schleuderte Navaro dem Leiter des Trupps entgegen. "Er konnte fliehen. Und wenn es der Unnennbare war, wird er uns das nicht vergessen. Sie wissen, daß er vor zwanzig Jahren schon einmal versucht hat, eine ihm genehme Gruppe von Schwarzmagiern gegen unsere Ordnung aufzuhetzen. Falls er Juarez in seine Gewalt gebracht hat und mit ihm entkommen konnte, wird er grausam zurückschlagen."
"Das werden wir sehen, ob er ihn ergriffen hat", fauchte Celestes, der zu seinem großen Ärger nicht abstreiten konnte, daß Navaro recht hatte. Juarez besaß Kenntnisse, die in den Händen des gefürchteten Hexenmeisters zu einer tödlichen Waffe werden mochten, auch wenn die Zauberkunst der Inkas im Vergleich zur hermetischen Zauberei der alten Welt träge und mühselig war, dafür jedoch mit einer Unbändigkeit wirken konnte, gegen die so mancher eurasischer Zauber versagte. Celestes wußte auch, daß einiges der alten Magie der Inkas und Azteken auf überlieferte Kenntnisse beruhte, die die sogenannten Götter selbst vermittelt hatten, von denen es hieß, es seien die Überlebenden des Untergangs des alten Reiches, das vielen Zauberern und auch Nichtmagiern unter dem Namen Atlantis bekannt war, aber von nicht wenigen Zauberern und Muggeln als uraltes Märchen angesehen wurde.
"In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken, Orfeo", raunte Navaro. "Womöglich haben Sie diesem gefährlichen Massenmörder den Schlüssel zu einer unabwendbaren Waffe in die Hand gegeben, weil Sie die Hütte angezündet haben anstatt einen Weg in sie zu finden und ihn zu fassen."
"Und dabei noch mehr Leute verlieren sollen?" Knurrte Celestes. Navaro sah auf den Trupp in Sonnengelb, der sich um die verhexten und bereits gebissenen Muggel kümmerte. "Die werden wohl sowieso sterben, falls dieser Irre wirklich der war, der uns das hier eingebrockt hat und entkommen konnte, schlimmstenfalls mit Juarez und dem was er weiß.
"Das Dach der Hütte war bereits eingedrückt als hätte ein riesiger Hammer es eingeschlagen", erinnerte sich Celestes daran, was sie eben noch gesehen hatten. "Welch ein Fluch vermag das?"
"Señor Celestes, diese Frau hier hat etwas gesehen", sagte eine der Hexen in fliederfarbenem Umhang, eine Heilerin, die gerade eine junge Frau betreute. Celestes eilte zu ihr hin und hörte sich an, was sie zu sagen hatte. Als sie von einer riesigen Hand sprach, die direkt aus dem Himmel herabgestoßen war, erbleichte Celestes. Er kannte diesen Zauber. Damit konnte man einen Gegner körperlich vernichten und dessen Geist und Gedächtnis erbeuten, um sich das darin gelagerte Wissen anzueignen. Falls das gelungen war, kannte der Angreifer nun alle Geheimnisse von Juarez. Celestes hoffte inständig, daß der skrupellose Zauberer nicht entkommen war und es sich bei dem gehörten Knall um etwas in der Hütte gehandelt hatte, das im Feuer zersprungen war. Denn wenn der Angreifer wirklich diesen mächtigen Zauber benutzt hatte, dann hatte er womöglich alles Wissen Antonios übernommen und würde die zerstörerischen Möglichkeiten davon nutzen. Ja, da hatte Celestes wohl im Übereifer und aus großer Sorge um seine Leute zu unbesonnen gehandelt. Wenn der Feind wirklich entkommen war, so würden sie sehr bald erfahren, wie grausam er wirklich war. Dann hatte er, Orfeo Celestes, hier und heute gerade den Anfang der Katastrophe miterlebt, die über sein Land hereinbrechen würde und nicht nur über sein Land, über die ganze zivilisierte Welt. Der Gedanke, zum unfreiwilligen Erfüllungsgehilfen dieses dunklen Lords geworden zu sein bereitete ihm Ärger und Selbstvorwürfe. Angst fühlte er nicht. Noch nicht.
"Du willst allen Ernstes mit uns beiden alleine in den Tempel eindringen, höchste Schwester?" Fragte Alicia Montesalvaje verängstigt, als Pandora Straton mit Lebensmitteln und Bettzeug zurückkehrte. "Wenn diese Fallen existieren werden wir alle sterben, bevor wir in den innersten Bereich hineingelangen."
"Ich habe mich entschieden, nicht zuletzt darauf bauend, was du mir an Kunde geben konntest, Schwester Alicia. Wir werden es vollbringen, in die frühere Verehrungsstätte vorzudringen und die Klinge des Yanxothar zu erlangen. Außerdem wäre es völlig gleich, ob wir drei, die nun genug Kenntnis erhalten haben oder mehrere Dutzend unkundiger Mitschwestern mein Vorhaben unterstützen. Denn die Unkundigen könnten schneller den Tod finden als wir, die wir um die Fallen und Wachen wissen."
"Höchste Schwester, vertraut bitte nicht all zu sehr auf mein Wissen!" Drang Alicia in Anthelia ein. Doch diese schüttelte den Kopf und sagte:
"Ich werde nicht mehr als euch und mich dieser Gefahr aussetzen. Dixi!"
"Dann werde ich nicht mitkommen", sagte Alicia. Sie hatte sich entschieden, lieber wegen Ungehorsams getötet zu werden als in der Tempelanlage selbst einen grausameren Tod zu erleiden.
"Du verweigerst dich mir?" Fragte Anthelia ungehalten. "Hoffst du darauf, ich würde dich deshalb mit dem tödlichen Fluch aus dieser Welt stoßen? Ich kann und werde nicht darauf verzichten, deine Kenntnisse in Rufweite zu haben, wenn ich mit Schwester Pandora auf Yanxothars Waffe ausgehe. Deshalb werde ich dir weder den Tod geben noch auf deine Teilnahme verzichten", sagte Anthelia. Alicia sah sie verwirrt an.
"Du wirst mich nicht zwingen können, mit dir zu gehen, Höchste Schwester. Ich habe gelernt, dem Imperius zu widerstehen."
"Wahrlich?" Fragte Anthelia. "Nun, ich muß es glauben, weil du vor zwanzig Jahren bereits diesem Diego Vientofrio widerstehen konntest, der deine Kenntnisse für sich nutzen wollte. Dennoch werde ich dich bei mir haben, um von deinem Wissen zu profitieren", knurrte Anthelia und zückte ihren Zauberstab. Pandora Straton erstarrte. Alicia zog rasch ihren Zauberstab, bereit für ein Duell. Doch Anthelia setzte zu keinem Fluch an, sondern ließ den Stab aus dem Handgelenk schnell kreisen und dann vorstoßen, worauf ein violetter Blitz herausschlug und Alicia traf, die gerade einen Fluch gegen Anthelia selbst aussprechen wollte. Da wo sie eben noch stand, lag nun ein hölzernes Tellerchen, das Anthelia ohne Worte zu sich hinfliegen und in ihren Umhang gleiten ließ. "Dich werde ich lehren, mir ungehorsam zu werden", schnarrte sie sehr verärgert. Pandora Straton, die dem nur zwei Sekunden dauernden Hexenstück zugesehen hatte, fragte vorsichtig:
"wäre es nicht damit getan gewesen, sie in Zauberschlaf zu versenken und hierzulassen, höchste Schwester? Wenn sie Angst hat, nützt sie dir nichts."
"ich habe beschlossen, sie als Kundige des Tempels dabei zu haben und lasse mich nicht von ihr davon abbringen. Jetzt weiß sie, daß ich sehr unerbittlich und rasch durchgreife und wird, da bin ich mir sicher, keinerlei Widerborstigkeiten mehr an den Tag legen, sobald ich ihr die angeborene Gestalt zurückgebe. Oder trachtest du gleichfalls danach, dich mir zu widersetzen, Schwester Pandora?"
"Nein, tue ich nicht. Sonst wäre ich bestimmt nicht zurückgekehrt", sagte Pandora Straton. Anthelia hatte dafür ein müdes Lächeln übrig. Laut sagte sie:
"Spätestens in zwei Stunden nach deiner Abreise hätte ich nach dir gesucht und gewußt, wie ich dich, sofern du wahrlich gegen meinen Wunsch gehandelt hättest, von deiner Aufsässigkeit hätte kurieren können. Immerhin liegt dir sehr viel am Wohl deiner Familie. Doch da du vernünftig warst und den mir geleisteten Treueid nicht gebrochen hast, ist eine derartige Strafmaßnahme nicht mehr nötig." Pandora zwang sich, nicht davon betroffen zu wirken. Denn sie selbst hatte genau das befürchtet, falls sie es sich überlegen und die Teilnahme an der Suche nach jenem mächtigen Schwert verweigern würde. Doch um Patricias Wohl durfte sie nicht mehr von diesem Weg zurücktreten. Für sie war es wie ein Alptraum von einem düsteren Weg, den sie immer weiter gehen mußte, obwohl sie von vorne unheilvolle Geräusche hörte, aber nicht mehr zurückkehren konnte, weil hinter ihr ein unendliches, schwarzes Nichts den bereits beschrittenen Weg verschlungen hatte und auch sie verschlingen würde, wenn sie zu lange stehen blieb. So mußte sie auf den Höhepunkt dieses Alptraums zuwandern, weil jede Umkehr ihren Tod und den ihrer geliebten Angehörigen bedeuten würde. Vielleicht, so dachte sie, würde sich der Alptraum in den größten Triumph der neuen Schwesternschaft verwandeln und mit der Eroberung des mächtigen Schwertes des sagenumwobenen Großmeisters des Feuers könne der Grundstein für den Sieg über Voldemort und die notwendige Umgestaltung der menschlichen Gesellschaft errungen werden. Falls es dann auch ihr Verdienst war, so lohnte es sich schon, etwas dafür zu riskieren, im Zweifelsfall ihr eigenes Leben. Denn wenn dadurch das Schwert Yanxothars in die Hände der Spinnenschwestern fiel, würden ihre Kinder und deren Kinder einer wesentlich sichereren Zukunft entgegensehen können. So warf sie die unbestimmbare Furcht vor der auf sie zukommenden Gefahr von sich ab und sagte ruhig zu Anthelia:
"Ich weiß, daß du sehr entschlossen bist, höchste Schwester. Daher vertraue ich darauf, daß deine Entschlossenheit uns zum Erfolg verhilft. du hast auch recht, daß es besser ist, wenn wir dieses Schwert haben als wenn es dem Emporkömmling in die Hände fällt."
"Sicherlich wird er nun, wo er seine Stellung in England wieder gefestigt hat, nach Dingen wie dem Schwert suchen. Denn daß er außerhalb der britischen Inseln Macht erlangen will steht außer Zweifel", sagte Anthelia ruhig. "Wenn ihm die Waffe auch eine unvorstellbare Macht über allem dem Feuer verbundenen Kräfte und Wesen verleiht, wird Yanxothars Waffe ihn anziehen wie der Honig den diebischen Bären."
"Vielleicht wird Alicia es einsehen, daß wir sie brauchen, höchste Schwester", sagte Pandora und deutete auf Anthelias Umhang.
"Ich bedaure, Schwester Pandora, aber ich werde die vollzogene Handlung nicht widerrufen, bis wir am Ort selbst sind, an dem wir Yanxothars Vermächtnis finden mögen", erwiderte Anthelia unerbittlich. Die in einem großen Glaskasten gefangene Anakonda Alicias zischte, sie wolle etwas zu fressen haben. Anthelia verstand es und sagte zu Pandora: "Schwester Alicias Haustier begehrt Nahrung." Dann fütterte sie die Schlange, die nun, wo sie zehn Meerschweinchen hintereinander verschlungen hatte, erst einmal gesättigt war. Anthelia bedeckte das Terrarium mit einem gleichwarm bleibenden Tuch und blickte aus der Hütte hinaus. Der tägliche Regen prasselte gerade auf das Dach und gegen die Fensterscheiben und Wände. Die Urwaltdlaute waren bis auf das Geschrei der Papageien und das Gezeter einiger Affen im Rauschen der von oben herabfallenden Wassermassen verstummt.
"Das erinnert mich an eine Expedition zu einem geheimen Versammlungsplatz in Indien", sagte Anthelia, die die beinahe undurchsichtigen Vorhänge aus Wasser betrachtete. "Du weißt, das war nach meinem Sieg über Sycorax Montague. Sie hat in ihrem Haus ein Buch über Rituale des Hofzauberers eines Maharadschas besessen. Ich suchte danach. Doch ich fand nur einen uralten Altar, der aus einer Zeit stammen mochte, die vor der Begründung des Hinduismus liegen mochte. An dem Altar war jedoch nichts magisches, und unterirdische Gänge gab es dort auch nicht. Offenbar war der Schreiber des Buches einem alten Schwindel aufgesessen."
"Nun, was für einen Zweck soll dieser Altar erfüllt haben?" Fragte Pandora Straton.
"Mag sein, daß er einem Urwaldvolk gehört hat, das zu bestimmten Zeiten im Jahr dort seine Gottheiten für gute Jagden und viel Nahrung verehrt hat", sagte Anthelia. "Ich selbst prüfte alles um den Altar, Bäume, Steine und die gerade dort herumkreuchenden Tiere. Doch dort war nichts, was in irgendeiner Form magisch angereichert war."
"Ich hörte von Urwaldvölkern, die spüren können, wenn ein Ort durch bestimmte Umgebungsfaktoren für kurze Zeit zu einem magischen Ort wird und dort hingehen, um Heilung, Schutz oder eine Form von Beistand zu erwarten. Die alten Ägypter verehrten ähnliche Orte. Wenn ich das so sehe, werden wir wohl morgen dieses Tor auch an einem Platz finden, an dem über das restliche Jahr keinerlei Magie wirkt. Stand in dem Buch denn nichts drin, ob es ein solches zeitweiliges Erwachen von ortsgebundener Zauberkraft gibt?"
"Ich hätte dann bestimmt zur angegebenen Zeit den Ort aufgesucht", grummelte Anthelia, die sich wie in einer unnötigen Unterrichtsstunde vorkam. Natürlich wußte sie, daß Naturvölker sowie die ersten Hochkulturen der Menschheit Orte und Gegebenheiten nutzten, bei denen zu ganz bestimmten Zeiten ein ausreichendes Magiepotential aufkam. doch in jenem Buch hatte davon nichts gestanden. Im Gegenteil. Es wurde ausdrücklich erwähnt, daß der Hofzauberer des Maharadschas zu jeder Zeit diesen Ort bereisen würde, um befohlene Rituale durchzuführen oder sich mit etwas von der dort wirksamen Zauberkraft zu versehen. Denn anders als die westlich geprägten Magier mußten sich die afrikanischen und fernöstlichen Zauberkundigen auf magische Kraftquellen verlassen, die ihnen für bestimmte Zeit mehr eigene Magie verliehen. Denn ohne einen Zauberstab war es einem magischen Menschen so gut wie unmöglich, gerichtete Zauberei zu betreiben. Aber was den Ort im indischen Urwald anging, so hatte sie genau das bedacht, daß dort ein Fokus magischer Kräfte liegen mußte. Aber wenn der erwähnte Zauberer jederzeit dorthin reiste, so mußte diese Kraft auch jederzeit nachweisbar sein. Gerade das hatte sie ja damals enttäuscht. Deshalb hatte sie das, was in dem Buch stand verworfen und sich lieber auf Zentren der Magie in ihrer Nähe verlassen, wodurch sie den Richtbaum und Dairons Erbschaft gefunden hatte. So sagte sie noch zu Pandora:
"Schwester Pandora, vielleicht werde ich nach heutigen Informationen suchen, die über diesen Ort künden und womöglich enthüllen, ob er tatsächlich ein nur zu bestimmten Zeiten Wirksamer Quell Zauberkraft ist oder es sich dabei um eine bewußte Täuschung handelte, um den wahren Ort für die Rituale des besagten Zauberers zu verhüllen. Falls zweites zutrifft, kann ich nicht verhehlen, daß sie diese Täuschung sehr gekonnt ins Werk setzten. Doch was unsere Aufgabe am nächsten Tag angeht, so werden wir wohl keiner Täuschung aufsitzen, denn Phlegethon war keiner, der sich von anderen nasführen ließ." Pandora nickte. Genau das befürchtete sie ja, daß Phlegethon etwas wirklich mächtiges gefunden und die Begegnung damit nicht überlebt hatte.
Er trieb durch ein Labyrinth aus steinernen Gängen, gesäumt mit Ornamenten aus Gold und Silber, die Symbole von Sonne und Mond zeigten. Einmal schoss ohne Vorwarnung eine Wand aus blauen Flammen vor ihm auf und blockierte seinen Weg. Er hielt inne und rief mit lange nachhallendem Echo in einer für ihn bis dahin unbekannten Sprache: "Feuer aus dem Blau der Himmelskuppel, gib den Weg frei für den Boten Intis, dem Vater aller Väter." Tatsächlich erlosch die Flammenwand. Er schwebte weiter, vorbei an aus Seitengängen auf ihn zustürmenden Feuerdämonen, die wie Spinnen und Fledermäuse aus grünen, roten oder violetten Flammen aussahen, bis er einen zylinderförmigen Raum erreichte und fast in einen Ring aus unsichtbarem Feuer verbrannt wäre. Doch eine innere Stimme hatte ihn gewarnt, nicht näher heranzufliegen. Er sah lediglich die vibrierende Luft und hörte das leise Brausen des unsichtbaren Flammenrings. In diesem Raum lag also das Schwert. jetzt brauchte er nur noch den entscheidenden Satz zu sagen, um hineinzugelangen und es ... Da zerriss ein unnatürlich lauter Ton, tief und alles erschütternd die Luft, rüttelte an den Wänden und zerrte an der steinernen Decke. Mit einem gellenden Schrei stürzte er in die sich auftuende Erde ... und erwachte vor Schreck zusammenzuckend auf dem nach Brand und Salzwasser riechenden Bündel aus schwarzer Baumwolle. Da klang wieder der tiefe Ton, doch nun nicht nahe und zerstörerisch, sondern aus weiter Ferne: Tuuuuut!
Voldemort knurrte wütend. Fast wäre er an das Schwert herangekommen. Er hatte ja noch sehen können, daß in dem von einer unsichtbaren Feuermauer eingeschlossenen Raum eine Art Steintruhe stand, ein primitiver Schrein, der zweifelsohne Yanxothars Waffe enthielt. Doch weil er das nur geträumt hatte, verflog seine Wut über das in der Ferne tutende Schiff, dessen Rauchfahne er nun, wo er sich aufgesetzt hatte, knapp über dem pulsierenden Silberstreifen des an- und fortbrandenden Meeres sehen konnte. Er blickte zum Himmel hinauf. Dämmerblau im Osten zeigte ihm, daß bereits der nächste Morgen war. Er hatte also mehr als vierzehn Stunden geschlafen, ohne daß ihn hier jemand gefunden hatte. Einerseits war er darüber zufrieden. Andererseits ärgerte er sich ein wenig, daß seine Erschöpfung ihn derartig lange aufgehalten hatte. Er hätte diesem Bengel und seinem auf ihn geschossenen Ball keine Beachtung schenken dürfen. Doch es war nicht anders gegangen, weil er ja seine Unsichtbarkeit verloren hatte. Doch nun hatte er auch so sein Ziel erreicht. Er hatte sich Antonio Juarez' gesammeltes Wissen angeeignet. Denn anders konnte er es nicht sehen, daß er im Traum durch eine Unzahl von Gängen gewandelt war und mehrere Fallen und Wächter überwunden hatte, bis er vor dem zylindrischen Raum angekommen war. Er hätte auch gerne die Vollendung seines Wunschtraums erlebt, das Schwert in den Händen zu halten und seine Macht zu rufen. Doch er wußte durch das einverleibte Wissen Juarez' auch, daß mit der Berührung des Schwertes die größte aller Schwierigkeiten bevorstand, weil die Waffe eine mächtige Seele enthielt, die jeden, der die Klinge führen und ihre Macht gebrauchen wollte zu einem Kampf stellte, von dem Voldemort nicht wußte, wie er geführt und vor allem gewonnen werden mußte. Dieses, so wußte der dunkle Lord, war das einzige, was ihn nun von Yanxothars Waffe trennte und womöglich über sein weiteres Leben entscheiden mochte. Doch immerhin kannte er nun, wo er diesen Traum noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen ließ, alle nötigen Parolen und Anrufungen, um unanfechtbar und unangefochten zur Kammer mit dem Schrein vorzustoßen. War er erst einmal durch die letzte Barriere aus unsichtbaren Flammen, so würde er der Seele des Schwertes entgegentreten und sie niederringen, wie er bereits so viele Zauberer und Hexen niedergerungen hatte. Die Waffe erwartete einen, der ihrer Macht würdig war. Das konnte und würde nur er sein, Lord Voldemort. Nun, wo die Morgendämmerung den neuen Tag ankündigte, mußte er wieder zurück nach Peru, in die Nähe der alten Inka-Festung Machupichu, von wo aus er zwanzigtausend Männerschritte nordwestwärts den nur einmal im Jahr vorfindbaren Eingang erreichen und ihn öffnen konnte. Vorher, so erkannte er jedoch, sollte er was essen und trinken. So holte er mit seinem Zauberstab ein komplettes, englisches Frühstück aus dem Nichts und verbrachte eine weitere Stunde, um es restlos zu verzehren. Dann blickte er erneut nach Osten, wo ein orangerot glühender Halbkreis über dem Horizont stand, der von rosiggoldenem Licht umflossen wurde. In diesen Breiten ging die Sonne rasch auf und unter, wußte der dunkle Lord. Also war es jetzt höchste Zeit, seiner Bestimmung zu folgen und Phlegethons Erbe anzutreten. Wenn der große Feuerball des Himmels wieder untergehen würde, so würde er, Lord Voldemort, dessen Macht in seinen Händen halten und damit schneller als bisher gedacht an sein Ziel gelangen. Was kümmerte ihn dann noch Dumbledore, die aussichtslose Mission dieses verzärtelten Bengels Draco Malfoy oder dieser Halbblutbastard Harry Potter? Mit dem Schwert Yanxothars konnte er größere Gegner als diesen alten Zausel und den unverschämterweise immer noch lebenden Bengel besiegen. Womöglich war Dumbledores Ende und das von Harry Potter durch das Schwert dann nur noch eine Frage von Stunden. Ja, mit dieser Waffe konnte er sogar das zusätzlich abgesicherte Hogwarts direkt angreifen und seine neue, unüberwindliche Macht demonstrieren. Womöglich würde er dann kein Problem haben, die Schule zu übernehmen und damit das heimliche Ziel seines Lebens erreichen, der Herr der von ihm so verehrten Schule zu sein, zu bestimmen, wer dort lehrte und lernte, was dort gelehrt und wie dort gelernt wurde. Dieser Gedanke ließ ihn in einer Flut aus Traumbildern dahintreiben, in denen er in jenem runden Zimmer saß, in dem damals Dipped und nach ihm Dumbledore als Schulleiter saß. Doch zunächst wollte er das Schwert haben. Also mußte er nun los. Er vergewisserte sich, nichts an seinem Schlafplatz zurückgelassen zu haben und disapparierte.
Er tauchte an einem Ort auf, der einen knappen Kilometer von Machupichu entfernt lag. Der grausame Zauberer dachte daran, daß der Tempel sicherlich vor jeder Art Magischen Zutritts geschützt war. Wie weit mochte er noch apparieren können, bevor er das gesuchte Tor zu Fuß aufsuchen mußte?
Den Angaben Ignigenus Phlegethons folgend versetzte sich Voldemort noch etwa fünfzehntausend Männerschritte nordwestwärts der alten Inka-Festung. Mitten in den Bergen Perus genoss er für eine halbe Minute die grandiose Aussicht. Dann versuchte er, die letzten verbliebenen fünftausend Männerschritte mit einem Appariermanöver zu überwinden. Doch dabei prallte er auf etwas, das er für eine Wand aus brennendem Gummi halten mochte. Es flammte vor und unter ihm hellgelb auf und schleuderte ihn mit Schwung zurück ins enge schwarze Nichts des Übergangs. Als er mit Schmerzen in allen Fasern knapp einhundert Meter vor seinem Ausgangsort zu sich kam beschloss er, die letzten verbleibenden Kilometer zu Fuß zu überwinden. So ging er los, es bereuend, keinen Besen mitgenommen zu haben. Aber so gesehen wäre ihm auf einem fliegenden Besen wohl das Tor entgangen, das den einzigen Zugang bilden sollte. So verwünschte er die Erbauer des alten Heiligtums und marschierte stramm und zielstrebig auf das Ziel zu, von dem er durch das einverleibte Wissen Juarez' wußte, wie er dort zurechtkommen würde. Diese unumstößliche Zuversicht trieb ihn an, munterte ihn auf und beflügelte seine Schritte. Bald, sehr bald würde er, der große und gefürchtete Lord Voldemort, das flammende Schwert Yanxothars in seinen Händen halten und dann die ihm feindlich gesinnten Auswüchse der Zaubererwelt hinwegfegen.
Nachdem er nun etwas ermüdet den Punkt erreicht hatte, der seiner Berechnung nach das Ziel markierte, setzte er sich zunächst hin und überlegte, wo das gesuchte Tor sein mußte. Dann holte er seinen Zauberstab hervor und sprach die Worte: "Yanxothars Tor, beim Feuer des Himmels und der Erden, erscheine mir!"
Es war noch nicht einmal dämmerig, als Anthelia, Pandora und die immer noch verwandelte Alicia die im Moment verlassen daliegende Inka-Festung Machupichu erreichten. Anthelia hielt für eine Minute inne um die in den Bergen gut verborgene, jedoch vom Lauf der Zeit angegriffene Befestigungsanlage zu betrachten. Seit mehr als einem halben Jahrtausend gab es diese Festungsanlage schon, und sie hatte das Imperium, das sie hervorgebracht hatte, weit überdauert. Mochte es sein, daß sie heute Zeugin der Grundsteinlegung für ein neues, diesmal die wirkliche ganze Welt umfassendes Reich wurde? Anthelia hoffte es sehr, daß sie mit Yanxothars Waffe in Händen ihr Ziel einer unbestrittenen Vorherrschaft der Hexen um etliche Meilen näherkam. Sie nickte der schweigenden Festungsanlage zu und trieb Pandora zum weitergehen an.
"Können wir wirklich nicht näher heranapparieren?" Fragte Pandora nach zehn beschwerlichen Kilometern.
"Ich befürchte, der Gründer der Anlage hat Vorkehrungen getroffen, jeden Zutrittszauber zu ersticken. Auch wird sein Tor sich nicht offenbaren, wenn wir im Fluge an seinen Standort reisen. Womöglich ist es auch eine Probe des Willens und der körperlichen Belastbarkeit, wenn die Suchenden nicht die bequemeren Mittel benutzen können. Pacidenyus schreibt, daß selbst die Inka wußten, daß Magie den Raum überwinden kann und einen Zauber wirkten, der den Ort des Tempels davor schützt, daß mittendrin jemand in den natürlichen Raum eintritt, ohne offen von außen und durch das Tor hereingekommen zu sein. Deshalb müssen wir wohl marschieren", sagte Anthelia. Sie wollte um keinen Preis den genauen Zielpunkt verpassen, an dem das magische Tor erscheinen würde, das den Weg in das Tempellabyrinth Yanxothars ebnete. Doch als Pandora darauf bestand, zumindest fünf Kilometer zu überspringen, stimmte Anthelia zu. Tatsächlich erreichten sie einen näher am gewünschten Ort gelegenen Platz. Von hier aus ging es im Geschwindschritt weiter. pandora, die doch sichtlich mit der Höhenluft zu kämpfen hatte, bekam von Anthelia die Erlaubnis, sich in ihrer Animagus-Gestalt von ihr hintragen zu lassen. Anthelia selbst machte die Höhe nicht zu schaffen. Sie zeigte eine Energie, die Pandora neidisch machte. Als sie schließlich an einem kleinen Plateau ankamen, hüpfte Pandora von Anthelias Schulter und nahm wieder ihre übliche Gestalt an.
"Ich hoffe, unsere Zauberkräfte sind in dieser Höhe noch stark genug", sagte Pandora leise.
"dies ist wohl anzunehmen, Schwester Pandora. Doch nun sind wir am Ziel. Ich prüfe den Ort erst einmal auf magische Ausstrahlung." Sie nahm ihren Zauberstab und rief den Zauberfinder auf. Dieser zeigte, das vom Boden bis in den Himmel mehrere verschlungene Säulen aus reiner Magie wuchsen. Diese Säulen wanden sich, als wollten sie dem Suchkegel des Zauberfinders ausweichen. Als Anthelia diesen erlöschen ließ sagte sie erfreut:
"Es stimmt, was über Yanxotahrs Vermächtnis gesagt wird. Er war wahrhaftig ein Meister des irdischen und des himmlischen Feuers. Hast du die Bahn dieser Säulen gesehen, Schwester Pandora?"
"Sie schienen aus der Tiefe der Erde zu kommen und bogen sich in die Richtung am Himmel wo die Sonne gerade steht. Meinst du, wir können das Tor öffnen?"
"Alicia hat gesagt, wir müssen den Namen Yanxothars anrufen und die Mächte des Himmels- und des Erdfeuers rufen. Ich finde, hier ist die rechte Stelle, unsere widerspenstige Mitschwester auf ihre Beine kommen zu lassen." Sie holte den hölzernen Unterteller aus ihrem Umhang, legte ihn auf den Boden und vollführte eine selbst für Pandora rasche und anmutige Geste mit dem Zauberstab. Wieder krachte es, und Alicia stand sichtlich erschüttert dreinschauend da. Kaum daß sie stand schien ein Ausbruch von Bewegungswut sie hochzuschleudern. Sie schlackerte mit ihren Armen und warf sich herum. Dann, als sie endlich erkannt hatte, daß sie wieder sie selbst war sagte sie ziemlich verbittert:
"Hast du mich wirklich an diesen Ort geschleppt, Anthelia? Was willst du jetzt, daß wir uns für dich ins Feuer werfen?"
"Ich kann dir gerne eine weitaus unangenehmere Daseinsform zuweisen, Schwester Alicia", knurrte Anthelia gefährlich wie eine hungrige Raubkatze. "Wir sehen die magischen Verbindungslinien zwischen Erde und Himmel. Wie können wir damit das Tor auftun?"
"Sage einfach: "Yanxothars Tor, beim Feuer des Himmels und der Erden, erscheine mir!" Dann sollte dieses vermaledeite Tor sichtbar werden. Nach meinem Wissen genügt eine wie das herunterdrücken aussehende Kippbewegung des Zauberstabes, das Tor zu öffnen. Doch hinein werde ich euch nicht begleiten, egal in was du mich verwandelst."
"Schwester Alicia, ich bin deiner Aufsässigkeit wahrlich überdrüssig. Mir wäre es sehr recht, dich hier deines Weges ziehen zu lassen", schnarrte Anthelia. "Andererseits sagte ich, ich würde deiner Kenntnisse bedürfen. Also wirst du uns begleiten, falls du Wert darauf legst, noch einige Jahre lang zu leben. Also gib dein Widerstreben auf und füge dich! Denn es wird dein Schaden nicht sein, wenn wir durch dich Erfolg haben."
"Woher willst du wissen, ob ich dir auch die korrekten Antworten sage?" Fragte Alicia. Zur Antwort blickte Anthelia ihr in die Augen und fand sofort Zugang zu ihrem Bewußtsein und ihren Erinnerungen. Für Alicia überdeutlich zog sie mühelos die glücklichsten Momente und die größte bisher erlittene Angst aus dem Gedächtnis der Hexenschwester. Diese erstarrte. Sie hatte zwar davon gehört, daß die Zauberer aus Europa in den Geist anderer Menschen vordringen konnten, es aber hier und jetzt am eigenen Leib mitzubekommen versetzte ihrem Widerstandsdrang den entscheidenden Schlag.
"ich erkenne, daß du nicht dazu fähig bist, mir irgendetwas aus den Tiefen deines Seins vorzuenthalten, wenn mich danach verlangt, deine Wahrheitsliebe zu prüfen. Also werde ich nun das Tor auftun, und dann werden wir drei den geheimen Ort betreten, wo da selbst wir das Schwert holen und uns dann rasch wieder entfernen." Sie wartete eine halbe Minute. Doch weder Alicia noch Pandora gaben auch nur einen Laut von sich. Alicia blickte von Anthelia zu Pandora, die ihr ein bedauerndes Gesicht zeigte. Dann nickte sie nur.
"Yanxothars Tor, beim Feuer des Himmels und der Erde, erscheine mir!" Rief die höchste Schwester des Spinnenordens.
Die Erde begann zu beben, und die Sonne, die gerade zur Gänze über den Horizont gestiegen war schien sich aufzublähen und wieder zusammenzuziehen. Geschah dies wirklich oder war dies nur ein Trugbild? Jedenfalls wirkte die Anrufung irgendwie. Funken stoben zischend und schwirrend durch die Luft, schlugen aus dem Boden himmelhoch und vom Himmel direkt in die Erde, wurden zu mehreren, gegeneinander laufenden Strömen aus Lichtpunkten aller Regenbogenfarben. Die sonnenwärts gebogenen Säulen wurden nun auch ohne Zauberfinder deutlich sichtbar. Der Funkenstrom in den aufwärts weisenden Gebilden wurde immer dichter, bis sechs flimmernde Säulen aus violettem, blauem, grünen, gelben, orangen und rotem Licht aufragten, zwischen denen mehr als fünf Meter hohe Vorhänge aus goldenen Flammen hin und herzüngelten. Zu hören war nun aber nichts mehr. Anthelia sah, wie über den Säulen ein Spitzbogen aus weißem Licht aufragte, der durch einen haarfeinen Lichtstrahl direkt mit der Sonne verbunden zu sein schien. Das magische Tor stand nun da. Es wartete darauf, geöffnet und durchschritten zu werden. Anthelia richtete ihren Zauberstab auf einen der mittleren Feuervorhänge und ließ ihn so nach vorne absinken, daß es aussah, als drücke sie damit eine schwere Türklinke herunter. Da knisterte und knackte es im heraufbeschworenen Tor, und die mittlere Tür flimmerte. Die Feuerwand klappte nach außen und schien dabei wie eine Pergamentrolle eingerollt zu werden und sich um die Torsäule zu wickeln. Nun gähnte zwischen den mittleren zwei Säulen ein dunkelgraues Loch, wie der Eingang zu einer tiefen Höhle. Anthelia nickte. Das Tor hatte sich tatsächlich aufgetan. Seit Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden, mochte es Staunen und Gewalt verursacht haben. Jetzt wollten Anthelia, Alicia Montesalvaje und Pandora Straton diesem Geheimnis auf den Grund gehen. "So folgt mir nun!" Kommandierte Anthelia.
Sie traten langsam zwischen die grüne und die gelbe Lichtsäule, hinein in das gähnende Grau. Dabei meinten sie, durch einen hauchdünnen Vorhang aus heißer Luft zu schreiten, um dann übergangslos in eine enge Kammer zu treten, in der es klirrend kalt wie in einer Eisgrotte war. Als sie in der von grünlich-gelbem Licht durchfluteten Kammer standen, hörten sie ein lautes Rauschen und ein Geräusch wie einen fernen Donnerschlag. Der Boden wankte wie das Deck eines Schiffes in leichtem Seegang. Es wurde stockdunkel.
"Lumos!" Riefen die drei Hexen mit gezückten Zauberstäben. Antehlia war auf der Hut, Alicia nicht hinter sich stehen zu lassen. Die Zauberstabspitzen leuchteten auf wie die Glühbirnen elektrischer Handlampen und tauchten den engen Raum in ein mattes Licht, das jedoch genug enthüllte. Sie standen in einer Felsenkammer, die keinen sichtbaren Ausgang zu besitzen schien. Die Kammer besaß die Form eines senkrecht aufragenden Quaders und war an die vier Meter hoch, jedoch nur zwei mal zwei Meter in der Fläche. Anthelia leuchtete nach oben und untersuchte die Decke des Eingangsraumes. Dort war jedoch nichts, was auf den ersten Blick auf eine Tür oder einen weiteren Gang hinwies. Es schien so, als seien die drei Hexen in dieser Kammer gefangen.
"Alicia, wie geht es weiter?" Fragte Anthelia und sah die einheimische Bundesschwester genau an, die versuchte, dem Blick der höchsten Spinnenschwester auszuweichen.
"Der Empfangsraum, höchste Schwester. Hier hatte der Priester Intis die Novizen mit den ersten Regeln des Tempels vertraut gemacht", sagte Alicia. "Wenn du dem Vater Sonne dienen willst, so wisse immer, wo er sich aufhält und rufe seinen wahren Namen, Yanxothar Aimofaian."
"Weise mir die Richtung!" Befahl Anthelia ihrem Zauberstab, nachdem sie ihn auf ihre flache Hand gelegt hatte. Sofort drehte dieser sich und wies mit der leuchtenden Spitze in eine Ecke der Kammer. Da war also Norden. Da sie am Morgen in diese Kammer eingetreten waren und die Sonne wohl noch im Osten stand, Wandte sich Anthelia in die entsprechende Richtung und rief mit erhobenem Stab: "Yanxothar Aimofaian." Kaum war ihre Anrufung in der hohen Kammer verhallt, erglühte es an der Stelle, auf die Anthelias Zauberstab wies. Es war ein leuchtender Kreis aus orangerotem Licht, der immer größer wurde und erst zu wachsen aufhörte, als sein Rand die beiden anderen Wände berührte. Dann tat sich im Zentrum des Kreises ein dunkles Loch auf, das von innen nach außen das orangerote Licht verschluckte, bis es gerade einen Meter durchmaß.
"Dahinter werden die ersten Wächter lauern", dachte Alicia. Anthelia hörte dies und fragte sie, ob sie wisse, welche Wächter es genau seien. Doch Alicia Montesalvaje wußte nichts darüber. Möglicherweise waren es magische Kreaturen, die einem gewöhnlichen Menschen überlegen waren. Antehlia wollte niemanden in diese wahrscheinliche Falle schicken. Doch irgendwer mußte zuerst durch das Loch kriechen. Pandora sagte ohne dazu gezwungen zu sein, daß sie hinübergehen würde. Anthelia überlegte, ob sie ihrer treuesten Bundesschwester diese Bürde aufladen sollte. Doch andererseits kamen sie nicht weiter, wenn sie vor jedem neuen Raum zögerten, weil dort Fallen oder Wächter lauerten. So erlaubte sie es. Pandora atmete tief durch und wechselte im Handumdrehen von ihrer menschlichen zu ihrer Animagus-Gestalt. So hüpfte eine weiße Katze mit tiefgrünen Augen in die von orangerotem Licht umfasste Öffnung hinein und schlich unhörbar durch den Schacht, der sich auftat.
"Erst wenn der, der die Tür geöffnet hat hindurch ist schließt sie sich", dachte Alicia und fragte, ob Anthelia nun hindurchgehen wolle. Diese sah Alicia an und sagte, sie wolle erst warten, was Pandora herausfinden würde. Als sie nach nur einer Viertelminute ein erschrecktes Miauen und dann einen merkwürdig hellen Ruf hörten, daß hinter dem Schacht mehrere Spinnen aus giftgrünem Feuer lauerten, sagte Anthelia: "Du zuerst, damit wir alle in den Raum hinübergehen!" Alicias heimliche Hoffnung, daß Anthelia zuerst durch die Tür schlüpfen und diese dann hinter ihr wieder zufallen würde, damit sie unverzüglich den Ausgang aus dem unterirdischen Tempel öffnen konnte, erstarb damit. Alicia versuchte zwar noch, dem Befehl zu widerstreben. Doch Anthelia deutete mit ihrem Zauberstab auf sie und sagte sehr drohend: "In einer Sekunde bist du durch diese Öffnung, oder ich jage dir einen Fluch an den Hals, den du dein Leben lang nicht mehr vergessen wirst."
"Gegen magische Flammenspinnen kann man nicht mit Flüchen kämpfen", wimmerte Alicia. Doch sie dachte: "Wenn Anthelia mich verflucht, wird sie nicht rauskriegen, daß diese Biester durch komplementäres Feuer zu schwächen sind."
Wie du willst!" Knurrte Anthelia. Sie zielte genauer auf Alicia und sprach sehr rasch eine Folge bedrohlicher zauberworte. Alicia erkannte in dem Moment, daß die höchste Schwester keine leeren Drohungen ausstieß. Doch da traf sie schon ein goldenes Licht, in dem ihr körper mit einem lauten Knall zu einem gerade einen halben Meter großen Menschenwesen mit großem, runden Kopf wurde. Anthelia hatte die widerspenstige mit dem Infanticorpore-Fluch belegt. Das neugeborene Mädchen, in das Alicia zurückverwandelt worden war, öffnete den Mund. Doch mit einem konzentriert gedachten "Silencio!" und wie ein zustechender Dolch vorstoßendem Zauberstab ließ Anthelia ihre derartig bestrafte Mitschwester verstummen. Zwar riss Alicia ihren kleinen, zahnlosen Mund weit auf. Doch es kam nicht der leiseste Laut heraus. "Damit du weißt, daß ich mir derartige Unarten nicht bieten lasse", knurrte Anthelia. Mit flinken Zauberstabbewegungen verwandelte sie Alicias Kleidung in Stoffwindeln und einen rosaroten Strampelanzug und zog Alicia mit dem Schnellankleidezauber innerhalb einer Sekunde fertig an. Dann beschwor sie noch eine Stofftasche mit Trageriemen aus dem Nichts, in die sie die verhexte Mitschwester hineinzwengte. Mit ihrer Telekinese band sie ohne ihre Hände zu gebrauchen den Trageriemen um ihre Schulter zu und trug Alicia nun auf dem Rücken wie eine junge Mutter, die auf Wanderschaft ist und keinen Kinderwagen besitzt. Danach wollte sie durch die orangerot umringte Öffnung. Da sprang Pandora heraus. Ihr weißer Schweif war am Ende leicht angesengt. Offenbar war sie auch als Katze nicht schnell genug für die lauernden Spinnen gewesen.
"Was hast du mit Schwester Alicia gemacht?" Fragte Pandora mit ihrer leicht miauend klingenden Stimme. Anthelia sagte:
"Sie benahm sich wie ein ungezogenes Balg. Da habe ich ihrem Geist den passenden Körper zugewiesen. Ich habe sie lediglich mit dem Schweigezauber belegen müssen, um uns ihr Geschrei zu ersparen. Sie weiß genug, um uns durch die Unbilden dieser unterirdischen Stätte zu führen, will jedoch nichts preisgeben. Nun, jetzt wird sie mir halt so helfen, und ich werde nicht immer hinter ihr lauern müssen."
"Wir wissen nicht, wie alt sie ist und wann genau sie zur Welt kam, höchste Schwester", wandte Pandora ein, ohne sich zurückzuverwandeln.
"Daran hätte sie denken sollen, bevor sie sich erdreistete, mir zu widerstreben", fauchte Anthelia unerbittlich. Dann fragte sie, wie viele dieser Spinnenwesen auf der anderen Seite lauerten. Pandora sagte, sie habe drei gesehen. Es könnten aber auch mehr sein.
"Alicia hat in ihren Gedanken komplementäres Feuer erwähnt. Ich vermag zwar die dunklen Flammen zu beschwören, vermute jedoch, daß diese nicht ausreichen."
"Sie sind smaragdgrün wie das Flohpulver-Feuer", sagte Pandora. Anthelia überlegte. Sie konnte diverse Feuerwände beschwören, die unterschiedlich auf sie berührende Objekte oder Wesen wirkten. Blaues Feuer wirkte ähnlich dem schwwarzen, dunklen Feuer kalt, zersetzte jedoch nur Bestandteile von Tieren oder Pflanzen, keine Metalle. Grünes Feuer war lauwarm, jedoch löste es jede Art von Gestein und kristall auf, weshalb es in der Magie auch gerne als Stollenbohrzauber oder sanfter Mauernbrecher benutzt wurde, weil der Reducto-Fluch eine zu heftige Erschütterung bewirkte. Blutrotes Feuer ließ alles trockene unversehrt, brachte jedoch Wasser in dingen und Lebewesen innerhalb einer Sekunde zum Kochen, ja pflanzte sich durch Wasser sogar fort, bis alles Wasser in Dampf verwandelt war. Dann beherrschte sie noch das ockergelbe Feuer, das ohne Wärme oder Kälte zu verströmen alles, was es berührte schmelzen ließ, ohne es dabei zu erhitzen. Das purpurne Feuer vernichtete jedes lebende Wesen, das mit ihm in Berührung kam. Daneben konnte sie die allen Zauberschülern ab der dritten Klasse zugänglichen orangeroten Feuerwände und den grün-blauen Feuerball beschwören und das dem gewöhnlichen Feuer gänzlich entgegengesetzte dunkle Feuer, das Element Hallittis, leider jedoch nicht so meisterhaft wie die von ihr vernichtete Abgrundstochter. Dann fiel ihr etwas ein: Womöglich mußte sie das der Flammenfarbe der Feuerwesen farblich entgegenwirkende Feuer beschwören. Ja, das war die Lösung.
"Setze dich zu deiner ungehorsamen Schwester auf meine Schulter, Schwester Pandora. Ich werde uns in eine Aura aus dem Feuer umkleiden, das die lauernden Wächter schwächen wird", sagte Anthelia. Pandora zögerte keinen Moment und sprang geschmeidig auf Anthelias linke Schulter, direkt neben dem runden Kopf der infanticorporisierten Alicia. Anthelia hob den Zauberstab und murmelte einige Worte, wobei sie sich ein Meer aus purpurnen Flammen vorstellte. Es flimmerte um ihren Körper. Erst war es nur ein sachter Schimmer, dann ein Wirbel aus purpurroten Funken. Dann umschloss sie ein flackernder, gerade zwei Zentimeter Abstand von ihrem Körper und denen ihrer Mitschwestern haltender Mantel aus Feuer, der alles bedeckte, vom Kopf bis zu den Finger- und Zehenspitzen. Anthelia hechtete in die immer noch gähnende Öffnung hinein. Erst als sie durch den schwarzen Schacht war, rumpelte es, und der Schacht verschwand in einer massiven Felswand. Da sah sie es, das Funken sprühende Netz aus glühenden Fäden, das keinen Meter vor der Wand, durch die sie hereingekommen waren durch den Raum gespannt war. Die Spinnen hatten offenbar sehr schnell reagiert und sich auf ungebetene Besucher eingestellt.
"Als ich gerade noch hier drin war gab es das noch nicht", wisperte Pandora. Anthelia nickte und überlegte, ob die Feuerumkleidung sie vor dem Netz schützen würde. Dann befand sie, daß sie es nicht darauf anlegen wollte und schickte mit drei wohl gewählten Worten eine Fontäne aus Purpurfeuer in das Netz. Laut prasselnd fraßen die Flammen das Gewebe und ließen es unter grünen Lichtblitzen zerfallen. Doch als dies geschah stürzten bereits vier smaragdgrün flammende Untiere mit acht langen Beinen aus den Ecken des Raumes herbei. Eines davon schnappte mit seinen Beißwerkzeugen nach anthelia, wobei es die purpurne Feueraura berührte und wie von einem Schlag getroffen zurückprallte. Die zuschnappenden Beißzangen waren am Ende abgefressen. Die zweite Spinne von der Größe eines Schäferhundes warf sich gegen Anthelia. Es gab einen lauten Knall, als grünes und purpurnes Feuer aufeinanderprallten. Ein wie gepeinigt klingendes Zischen und Pfeifen entfuhr der flammenden Kreatur, die durch den Anprall beinahe erloschen wäre und dabei die Hälfte ihrer Körpergröße eingebüßt hatte. Noch einmal rannte das Geschöpf gegen Anthelia an und verlor erneut die Hälfte seiner Körpergröße. Das reichte dem Feuerwesen. Es huschte wie eine Wolke aus eng zusammenfliegenden Leuchtkäfern davon, während die zwei unversehrten und die eine bereits leicht angekratzte Spinne zum gemeinsamen Angriff übergingen. Doch Anthelia hatte bereits einen weiteren Strahl aus purpurnem Feuer heraufbeschworen, mit dem sie wie mit einem Fächer vor sich wedelte und dabei beide Spinnen traf, die sofort zurückprallten und bis auf drei Viertel ihrer Körpergröße einschrumpften. Die dritte Spinne bekam den Feuerstrahl zwischen die Tastorgane und schrumpfte wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. Anthelia fühlte, daß sie diese Art der Abwehr nicht lange aufrechterhalten konnte. So schuf sie eine halbhohe Feuermauer aus jenen purpurroten Flammen. Die Spinnen schraken davor zurück. Dann passierte etwas, womit Anthelia nicht gerechnet hatte. Sie liefen alle aufeinander zu, berührten sich und wurden zu einem Feuerball. Doch dieser flog nicht etwa auf sie zu, sondern zerfiel mit leisem Plopp in vier ovale Leuchtkörper, die auf den Boden trafen und sich darin hineinfraßen, bis sie ganz im Boden verschwunden waren. Dann schloss sich der Felsenboden über den grün flammenden Körpern.
"Huch, was war das denn jetzt?" Fragte Pandora, die nicht darauf gefaßt war.
"Sie müssen sich regenerieren, Schwester Pandora. Ich weiß nicht, wie lange sie dafür benötigen. Sie reinkarnieren womöglich bald und werden auf uns lauern, wenn wir zurückkehren werden", sagte Anthelia. "Die Fusion hat wohl den Regenerationsvorgang ausgelöst."
"Dann sollten wir machen, daß wir weiterkommen", maunzte Pandora ungeduldig.
"Selbstverständlich", bestätigte Anthelia. "Alicia, wie geht es weiter?"
"Erst wenn du mich wieder normal machst", dachte Alicia. "Vorher helfe ich dir nicht."
"Wie geht es weiter?" Knurrte Anthelia. Alicia stieß einen wortlosen Gedanken aus, daß sie ganz bestimmt nicht herausbekäme, daß sie in dem Moment, wo sie die Spinnen besiegt hatte, nur die Mittagswand durchschreiten mußte, die solange durchlässig war, solange die Spinnen zu schwach oder gar erledigt waren. Anthelia betrachtete die vier Wände der würfelförmigen Kammer, in der sie gerade standen und wollte schon auf die Südwand zu. Da dachte Alicia schadenfroh: "Nordhalbkugelbalg!"
"Das Balg bist du", knurrte Anthelia an Alicias Adresse. "Sei froh, wenn wir hier heraus sind und ich dir eine fürsorgliche Amme finden kann, damit du dein Leben neu beginnen kannst." Dann wandte sie sich der Nordwand zu und ging los. Sie war nur noch einen Zentimeter davon entfernt, als die Erde leicht bebte. Wieso geschah das?
"Höchste Schwester, ich höre jemanden weit fort von uns, einen Mann. Er muß gerade in die Eingangskammer getreten sein", wisperte Pandora. Mit ihren Katzenohren war sie Anthelia weit überlegen. Diese horchte telepathisch, ob sie den Fremden erfassen konnte. Doch sie mußte feststellen, daß sie niemanden außerhalb dieses Raumes wahrnehmen konnte. Dennoch vertraute sie Pandora. Sie wußte, daß es Zauber gab, umhertreibende Gedanken in einem Raum einzusperren. Beauxbatons war gegen solcherlei geistige Ausstrahlungen gesichert, so daß es dort nicht möglich war, sich in Gedanken etwas mitzuteilen. Also mochte tatsächlich jemand auf der anderen Seite des gerade unsichtbaren Schachtes angekommen sein. Dann durchschritt sie die gerade durchlässige Wand. In diesem Moment schossen kleine grüne Flammen aus dem Boden heraus, die zu aufwärts springenden Feuerbällen wurden, die innerhalb weniger Sekunden zu jenen feurigen Spinnen wurden, die Anthelia vor nicht einmal einer Minute besiegt hatte. Doch die höchste Schwester konnte das nicht mehr sehen. Denn sie standen in einem langen Tunnel.
"Höchste Schwester, es ist er, der Emporkömmling", maunzte Pandora aufgeregt. Er ist durch das Tor und macht gerade den Schacht zum Spinnenraum auf."
"Vermaledeiter Bastard", knurrte Anthelia. Alicia dachte schadenfroh, daß wenn der Emporkömmling wußte, wie er den Schacht öffnen konnte, wohl auch andere Geheimnisse des verborgenen Tempels kannte. Doch dann überkam sie die nackte Angst. Wenn der Emporkömmling sich besser in der Anlage auskannte, so würde er sie einholen und sogar überholen.
Es war ein erhabenes Bild, wie vor ihm sechs Säulen aus dem Boden wuchsen, durch Funkenströme von oben nach unten und von unten nach oben immer dichter und förmlich greifbar wurden. Dann stand es da, das mächtige Tor zum geheimen Versteck Yanxothars. Das geraubte Wissen Antonios verriet Voldemort, wie er das Tor öffnen und durchschreiten konnte. Er richtete seinen Zauberstab auf den mittleren Vorhang aus goldenem Feuer und machte damit eine Bewegung, als drücke er eine schwere Türklinke hinunter. Sofort schwang die mittlere Tür auf und rollte sich dabei um die rechte Säule. Ohne zu zögern durchschritt der dunkle Lord das offene Tor und fand sich in einem engen Raum wieder, der doppelt so hoch wie breit und lang war. Damit hatte er gerechnet. Als mit lautem Rauschen und einem weit entfernten Donnerschlag klingendem Geräusch das Tor zufiel, wußte Voldemort, er war nun auf dem Weg, seine Macht zu vergrößern. Denn bis zum Raum mit dem Schrein des Schwertes würde er nun mühelos an allen Fallen und Wächtern vorbeikommen. so war es für ihn eine Kleinigkeit, durch Herausfinden der genauen Nordausrichtung Osten zu ermitteln und mit "Yanxotahr Aimofaian" einen orangeroten Lichtkreis an die Wand zu beschwören, der von innen her von einer schwarzen, immer breiter werdenden Öffnung ausgehöhlt wurde. Ohne sich großartig vorzubereiten sprang der dunkle Lord hinüber in den Schacht. Doch als er an dessen anderem Ende herauskam, sah er sich einem unerwarteten Hindernis gegenüber. Vor ihm hing ein Funken sprühendes Netz aus glühenden Fäden in der Luft. An und für sich hatte er nur mit einem Feuermonster gerechnet. Doch er sah nun vier schäferhundgroße Spinnen, die aus smaragdgrünem Feuer bestanden, wie sie ein weiteres Netz zu spinnen ansetzten. Aus ihren Hinterleibern schossen grüne Funkenströme, die sich wie wild zu weiteren Fangfäden verknäuelten.
"Die Flammenspinnen kann ich mit purpurnem Feuer bekämpfen", dachte Voldemort. Womöglich war auch das Netz für diese Art Feuer angreifbar. Er Beschwor einen purpurroten Flammenstoß, der tatsächlich das vor ihm hängende Netz zerstörte. Doch dabei brauchte sich die Kraft des Flammenstoßes restlos auf, so daß das gerade neu entstehende Netz unversehrt blieb. Es spannte sich nun quer durch den Raum. Voldemort rief erneut einen purpurroten Feuerstrahl aus seinem Zauberstab hervor. Doch diesmal prallte der von dem Netz ab und verschwand. Das durfte nicht sein! Die Spinnen wuselten immer noch vor dem neuen Netz herum und wirkten weitere Fäden hinein. Da verstand der dunkle Lord. Die Fäden wurden gegenläufig gesponnen. Die in ihnen verstofflichte Magie wirkte also in zwei Richtungen gleichzeitig, ohne sich selbst aufzuheben, aber jeden magischen Feuerschlag zurückwerfend, der gegen das Gespinst geführt wurde. Voldemort mußte erkennen, daß diese Monster intelligenter waren als von reinen Wachkreaturen, die nur angreifen und Eindringlinge unschädlich machen sollten zu erwarten war. Offenbar hatte Yanxothar mit einer derartigen Situation gerechnet. Denn nur der wahre Feuermeister hatte diese Kreaturen schaffen können. Womöglich beherbergten die flammenden Spinnenwesen die Seelen hochintelligenter Wesen. Vielleicht hatte Yanxothar sie aus Feuer, echten Spinnen und möglicherweise den Geistern ihm treu ergebener Menschen zusammengefügt. Diese Art von magischer Schöpfung mußte er respektieren. Doch im Moment galt es, diese Gewebe vor ihm zu durchdringen und die Spinnen niederzukämpfen, um freien Zugang zum eigentlichen Stollensystem zu haben. Er überlegte, ob die Befehle, die er durch Antonio Juarez erlernt hatte die Spinnen dazu zwingen mochten, ihn unangefochten durchzulassen. Er sprach nun mit lauter Stimme und sagte:
"Im Namen eures Schöpfers Yanxothar und der Feuer aus tiefem Erdengrund, gebt mir den Weg frei!"
"Nein", zischte es vierstimmig. "Wir dürfen dich nicht durchlassen. Wir müssen kämpfen. Bist du des Meisters wahrer Erbe, so wirst du uns im Kampf besiegen müssen", hörte er die Spinnen. Sie benutzten eine Sprache, die etwas an Parsel denken machte, aber nicht die üblichen Fauch- und Zischlaute der durch Slytherin geheiligten Schlangensprache enthielten. Er wunderte sich nicht, sie zu verstehen. Offenbar hatte Antonio sie gelernt. immerhin war der ja auch ein Parselmund gewesen und hatte seine Kreuzungen aus Mambas und Riesenschlangen geschaffen, um sein Haus zu bewachen. Dann fiel ihm ein, daß die Sprache dieser Wesen eine Form hörbarer Gedanken war, wie die Sprache der Dementoren. Er trat einen halben Meter zurück. Wenn er das Netz nicht durch Feuer zerstören konnte, dann vielleicht durch Wasser. So deutete er auf die Stelle, wo das Netz aufgespannt war und vollführte eine erst schlagende, dann senkrecht nach oben führende Bewegung aus. Dabei dachte er konzentriert: "Creato Fontanam!" Mit einem Knall und lautem Rauschen spritzte dort, wo der Zauberstab gerade hinwies eine mehr als einen Meter breite Fontäne aus dem Boden und tränkte das Netz, das immer schwerer wurde und langsam, ganz langsam seine feurige Glut und die Funken verlor. Es klebte nun immer stärker zusammen. Es knirschte wie immer mehr gespanntes Tauwerk. Dann krachte es, und das Gespinst fiel zu einer zwei Meter großen, schmutziggrauen Kugel zusammen. Letzte grüne Funken sprühten knisternd davon in den Raum. Dann war das Netz fort. Die Spinnen stürzten sich sofort auf den Eindringling. Dieser sprang zurück an die Wand und wirkte wortlos den purpurnen Flammenstrahl. Tatsächlich konnte er die Spinnen damit auf abstand halten. Zwei der vier Kreaturen verloren dabei mehr als die Hälfte ihrer Körpergröße. Das dritte Monster erwischte ihn beinahe am rechten Arm. Doch dann fiel es von den purpurnen Flammen mehr als eine Sekunde getroffen auf ein Viertel seiner Größe zusammen und flüchtete zu seinen Artgenossen. Diese sammelten sich zu einem neuen Angriff. Voldemort stellte sofort den Zauber um und breitete aus dem Flammenstrahl eine meterhohe Wand aus jenem Feuer auf. Die Spinnen sprangen hinein und schrumpften innerhalb einer Sekunde auf ein Achtel ihrer ursprünglichen Größe. Dann liefen sie gegeneinander und wurden zu einem kleinen, grünen Feuerball, der sich mit leisem Plopp in vier kleine, grünflammige Eier auflöste, die auf den Boden fielen und sich hineinfraßen, bis sie in Löchern lagen, die tiefer waren als ihr Durchmesser. Dann schloss sich der steinerne Boden über den Eiern.
"Sie werden wiederkommen. Aber ich habe nun freie Bahn", dachte Voldemort und lief genau auf die Nordwand zu, die nun durchlässig wie Luft war. Nun stand er im Stollensystem des Labyrinths. Die erste Hürde war genommen, und die kommenden Fallen und Monster kannte er nun um so sicherer. Der Weg zum Schwert des Yanxothar war nun frei. Er brauchte nur noch hinzulaufen und es sich holen!
"Wenn du jemals wieder feste Nahrung zu dir nehmen und zu einer erwachsenen Frau werden willst wirst du uns nun widerstandslos durch die Gänge und Räume führen", zischte Anthelia sehr ungehalten in Alicias rechtes Ohr. "Du hast gelernt, daß ich deine Gedanken hören kann. Also denk den Weg und die Lösungen!"
"Versprichst du mir, mich wieder in eine erwachsene Frau zurückzuverwandeln?" Fragte Alicia.
"Nur wenn wir hier unbeschadet herauskommen und ich ergründen kann, wann genau deine Mutter dich zur Welt brachte", sagte Anthelia. Alicia dachte verstimmt, daß ihre Mutter mit ihr nichts mehr zu schaffen haben wollte. Aber sie akzeptierte es. Denn mit dem zerstörungssüchtigen Emporkömmling im Nacken blieb ihr keine Wahl, als Anthelia nun mit allem zu versorgen, was sie wußte.
So ging es durch Stollen, wobei Anthelia immer wieder prüfen mußte, in welcher Richtung Norden lag. Einmal wären sie fast in eine aufschießende Wand aus blauem Feuer hineingeraten. Anthelia konterte diese Flammenmauer mit dem orangeroten Feuer und dann mit einem Aufhebungszauber, als die beiden sich durchdringenden Flammenwände sich weit genug abgeschwächt hatten. Pandora blieb immer auf Anthelias Schulter sitzen und tat keinen Mucks. Nur einmal warnte sie Anthelia, daß der Emporkömmling wohl gerade einige Dutzend Meter hinter ihnen war. Wenn er in denselben Gang oder Raum eindringen würde, den sie gerade besetzten, würde er sie finden und bestimmt zum Kampf stellen. Sicher, sie waren zu zweit, weil Alicia im Moment keinen Zauberstab halten konnte. Aber Voldemort hatte bewiesen, daß er seinem düsteren Ruf, der mächtigste Zauberer der dunklen Seite zu sein durchaus gerecht wurde. Außerdem wurde Anthelia das unangenehme Gefühl nicht los, daß der Emporkömmling diese unterirdischen Gänge, Stollen und Verliese kannte, ja die in ihren lauernden Fallen und Monster nach Belieben kontrollieren konnte. Dabei kam ihr eine Idee.
"Wir müssen in einen Raum, der für die Suche unwichtig ist, eine Sackgasse oder sowas. Wenn er weiß, wo er hinmuß, wird er keinen Umweg machen und nicht dorthin gehen, wo wir uns aufhalten", flüsterte Anthelia. Alicia dachte daran, einen der kleineren Räume aufzusuchen, der nicht in ihrer Beschreibung vom einzig richtigen Weg enthalten war. So eilten sie in einen der winzigen Gelasse, nachdem sie mit einem zauberauslöser geprüft hatte, ob in dem Raum eine Falle lauerte. Doch kein verheerender Zauber trat in Kraft, und so schlüpften Anthelia und ihre zwei verwandelten Mitschwestern in die Kammer. Die oberste Spinnenschwester verschloss die schwere Steintür telekinetisch.
"Warum lassen wir ihn vorbei?" Fragte Pandora beinahe unhörbar.
"Er kennt sich hier unten zu gut aus, als daß wir ihn andauernd hinter uns halten können", mentiloquierte Anthelia. "Somit ist es taktisch besser, uns den Rücken freizuhalten und ihn marschieren zu lassen. Wenn er ernsthaft Kunde über diese geheime Anlage hat, dann wird er seiner Gier folgend so schnell wie möglich voraneilen. Wir werden ihm im Abstand deiner Hörweite folgen. Womöglich wird er uns dadurch ohne es zu ahnen helfen, an den noch bestehenden Fallen vorbeizukommen." Pandora nickte und schnurrte zurück:
"Dann werden wir ihn überraschen, wenn er vor der Waffe steht. Aber wenn er sie bereits in Händen hält, wenn wir bei ihm ankommen? Ist das nicht zu riskant?"
"Weniger Riskant als ihn immer näher an uns herankommen und uns von ihm einholen zu lassen", mentiloquierte Anthelia.
"Mein Magen knurrt", dachte Alicia. "Dein verflixter Baby-zauber hat mich hungrig gemacht."
"Im Moment wüßte ich nicht, dich zu nähren, Alicia", mentiloquierte Anthelia. Dann wisperte Pandora:
"Er ist nun dort, wo wir die Flammenwand gekontert haben. Er bleibt stehen. Merkwürdig. Er geht nicht weiter."
Voldemort passierte die Gänge im Laufschritt. Nur dort, wo er von Antonio wußte, daß ihn dort Fallen oder Monster erwarten würden schritt er Behutsam voran. So mußte er zwei Geschöpfe, die aus orangerotem Feuer bestanden und wie Menschen mit sechs schlangenartigen Armen aussahen mit den Parolen niederringen, die er neu gelernt hatte. Sie zogen sich zurück und ließen ihn weitergehen. Dann erreichte er eine Stelle, wo eine durch Annäherung von Menschen hochschießende Flammenwand lauerte. Vorsichtig ging er weiter, bis er fand, nicht weitergehen zu können. Doch keine Feuerwand schnellte nach oben. Nichts griff ihn hier an. Das war merkwürdig. Laut Antonios auswendig gelernten Geheimnissen mußte hier eine weitere Feuerfalle lauern. Er nahm seinen Zauberstab und rief einen Aufspürzauber auf. Doch in dem Boden steckte nur ein winziges Fünkchen Magie. Dann erfaßte er zwei aufeinander zulaufende Kraftströme, die den Bereich vor ihm mit neuer Magie anreicherten. Da wußte er, die Falle war vor nicht all zu langer Zeit ausgelöst worden und mußte sich erst einmal regenerieren. Was das bedeutete jagte dem dunklen Lord eine Mischung aus Wut und Angst ein. Es war bereits jemand in diesen Gängen gewesen, und das mochte noch nicht all zu lange her sein. War dieser Jemand von der Falle getötet worden? Er blickte auf den Boden. Doch er sah weder Brandspuren noch Aschereste. Also hatte wer auch immer die Falle ausgelöst und unbeschadet passiert, sie womöglich zunächst außer Kraft gesetzt. Hieß das, daß er bereits zu spät kam? Nein! Das durfte nicht sein! Er, Lord Voldemort, war der einzige, der das Schwert Yanxothars in die Hand bekommen durfte. Kein anderer durfte ihm zuvorkommen! Aber was, wenn es doch geschehen war? Er würde herausbekommen müssen, wer das Schwert hatte und ... Aber zuerst mußte er nachsehen, ob es wirklich nicht mehr da war. So lief er nach einer endlos erscheinenden Minute weiter. Die Angst, umsonst in diese magischen Katakomben eingedrungen zu sein peitschte ihn voran und ließ ihn beinahe in eine Gruppe roter Feuerdämonen hineinrennen, die zunächst wie Wandmalereien aus Kupferstaub oder Blut ausgesehen hatten und dann von einem Moment zum Anderen von glutheißem Leben erfüllt auf den Eindringling losgingen. Laut aufschreiend sprang Voldemort zurück, als der erste Feuerdämon auf ihn zuschwirrte und dabei laut prasselnd rief:
"Unwürdiger. Tritt in unsere Reihen und empfange die Weihe der Diener unseres Meisters, der dein Meister sein wird!"
"Niemals. Ich diene nicht, ich herrsche!" Schrillte Voldemort eher aus Verzweiflung als aus Überzeugung. Weitere glutrote Flammenphantome fauchten heran, die Armee der Feuergeister hatte ihn nun als Opfer ausersehen. Von Antonio wußte er, daß diese Dämonen sich dadurch vermehrten, daß sie beseelte Wesen bei lebendigem Leibe verbrannten und die freigelegten Seelen von ihrem Feuer umschlossen zu neuen Artgenossen wurden, die dann, wenn keiner da war, den sie zu sich holen konnten, wie rote Schatten an den Wänden erstarrten und schlummerten.
"Wer hier herkommt dient unserem Meister", kam eine weitere von Knistern durchsetzte Stimme, die Stimme einer Frau, die einen französischen Akzent sprach. Also hatten nicht nur südamerikanische Zauberer versucht, diesen Tempel zu durchqueren.
"Lord Voldemort dient nicht", knurrte der Dunkle Lord, der merkte, daß er gleich nicht mehr würde ausweichen können, weil ihm zwei der roten Feuergeister den Rückweg verstellten. Nun galt es, seinen Trumpf auszuspielen. Er hob seine Hände und sang eine sehr leiernde Litanei herunter, deren Sprache er bis zu Antonios Ermordung noch nie gehört, geschweige denn gelernt hatte. Es war die Sprache der alten Priester der Inka, in der sie sich mit ihresgleichen unterhielten und die sie ihren Schülern, bei denen sie die übernatürlichen Gaben feststellen konnten, bis zum Ende ihrer Ausbildung lehrten. Er sang von der Unterwerfung aller Feuer durch den Sonnengott und verlangte die Unterwerfung der Geister, die im Feuer gefangen waren. Die roten Feuerdämonen schienen vom Gesang erst betäubt und dann gepeinigt zu werden. Sie wankten, bogen und verzerrten sich, stießen fauchende Laute aus, die menschlichen Schmerzensschreien ähneln mochten. Dann wurden sie starr wie frei in der Luft schwebende Fackeln. Voldemort triumphierte. Er sah die vor ihm hängenden Flammengestalten an und fragte: "Jetzt macht den Weg frei und lasst mich unangefochten weiterziehen. Ich werde euch nicht beitreten, ihr niederen Sklaven. Yanxotahr erschuf euch, und wenn ihr seinem Bann nicht gehorcht werde ich euch vernichten." Die Feuerwesen wichen zur Seite und gaben den Weg frei. Dann kam dem dunklen Lord ein genial erscheinender Gedanke. Er wandte sich an den größten der Feuergeister und befahl: "Ich erfuhr, daß jemand vor mir in diesen Räumen war. ist der Jemand schon unter euch oder konnte er euch passieren wie ich?"
"Außer dir, Bote des Meisters, war seit langem keine fleischliche Gestalt im Reich unseres Meisters", zischte und prasselte es aus dem Feuergeist, bei dem Voldemort weder ein richtiges Gesicht noch einen Mund sehen konnte. Was hieß das, dieser niemand sei vor ihm hier gewesen? Die Feuerfalle, die sich neu stärken mußte bewies, daß jemand in dieser Anlage gewesen war, wohl vor nicht all zu langer Zeit, womöglich noch in diesen Katakomben und Kavernen herumstrolchte. Dann grinste er überlegen. Die Idee von ihm war wirklich genial. Mit diesen Wesen hier hatte er eine Armee von getreuen Helfern, die für ihn tun würden was immer er wollte. "Vier begleiten mich zum Schrein des Schwertes!" Befahl er. "Ihr anderen durchsucht alle Räume dieser Tempelstätte, und wen auch immer ihr dabei findet, macht ihn oder sie zu euren Artgenossen! Ich wünsche keine Störung, wenn ich mich zu dem Schwert begebe."
"Wir können nicht in alle Räume, weil dort andre Kräfte sind, die uns zurücktreiben", sagte einer der Feuergeister.
"Im Namen Yanxothars, dem Meister aller Feuer, überwindet alle Hindernisse und findet, wer sich außer mir noch hier aufhält!" Befahl Voldemort.
Die Feuerwesen schwärmten aus. Vier von ihnen blieben bei dem dunklen Lord, der bereits überlegte, ob er einige von ihnen nach der Eroberung des Schwertes mit nach draußen nehmen und als neue Armee kultivieren konnte, die allem, was brennbar war den Garaus machen und weitere Sklaven aus Feuer und entkörperter Seele erzeugen konnten. Mit dem Schwert würde er ja Yanxothars Macht erlangen, und die sollte ihm reichen, diese roten Flammengestalten in seinen Dienst zu übernehmen. Solche Kreaturen waren gewiss mächtiger als die von ihm geschaffenen Inferi, die das Feuer flohen.
Nun wieder sehr siegesgewiß marschierte er weiter. Da die vier Flammenwesen sich hier unten gut auskannten und obendrein ein Gespür für verborgene Feuerzauber hatten, war der Weg zum Schwert für den Herrn der Todesser nun genauso gefährlich wie ein Waldspaziergang. Schließlich stand er vor der letzten Barriere, die Wand aus unsichtbarem Feuer, einer Magie, von der er vor dem Zusammentreffen mit Antonio Juarez gar nichts gewußt hatte, was ihn sichtlich irritierte. Hier würde er nun die letzte nötige Parole rufen, um endlich in den zylindrischen Raum zu gelangen. Doch vorher wollte er sehen, wie das unsichtbare Feuer wirkte, von dem er nur ein leises Säuseln hörte und ein kaum merkliches Prickeln fühlte, als er sehr langsam seine Hand vorstreckte. Dann warf er ein Taschentuch gegen die Flammenwand. Mit einem lauten Knall, in einem kaum sichtbaren bläulichen Blitz, löste es sich restlos auf. Nicht einmal Asche blieb zurück.
"Vielleicht finde ich heraus, wie diese Magie wirkt", dachte Voldemort. Dann rief er in der Sprache der alten Priester:
"Feuer der Vernichtung, das aus dem Atem der Götter entfacht wird und von Yanxothar, dem Vater und Meister aller Feuer gebändigt wurde, schlafe ein und lass mich ein!" Fünfmal, so Antonios gestohlene Kenntnisse, mußte Voldemort diesen Befehl sprechen, wobei er seinen Zauberstab erhoben dastand. Durch seinen Zauberstab verstärkte sich die eigene magische Ausrichtung auf das, was er bewirken wollte. Als er das fünfte Mal den magischen Befehl wortgetreu ausgerufen hatte, vernahm er einen Ton, der jenseits der menschlichen Hörschwelle entstanden zu sein schien und innerhalb einer Sekunde von piepsig hoch über schallend laut bis Bauch massierend brummend abfiel. Dann knackte es, als würden viele kleine Steine auf einmal zusammengestoßen. Einer der Feuergeister sagte:
"Das alles fressende Feuer ist weg, Bote unseres Meisters!" Voldemort riss ein bereits verkohltes Stück aus seinem ramponierten Umhang und warf es nach vorne. Doch es trudelte unberührt und unversehrt nach vorne und landete jenseits der Schwelle des zylindrischen Raumes. Voldemort überschritt die bisher so tödliche Grenze. Er wußte, daß das eingeschlafene Feuer in einem Tageszwanzigstel, also in einer Stunde und zwölf Minuten wieder auflodern würde. Hatte er bis dahin nicht das Schwert ergriffen und sich mit ihm aus dem Raum entfernt, konnte er nicht mehr entkommen. Denn nur von außen, so Antonio Juarez, war die Barriere zu öffnen. Wer in diesen Raum hineinging, besiegelte sein Schicksal: Macht oder Tod.
Der zylindrische Raum mochte an die zwanzig Meter hoch und acht Meter im Durchmesser sein. In seiner Mitte erhob sich ein im Licht der draußen verharrenden Feuergeister blutigrot schimmernder Sockel, auf dem ein zwei Meter großer, aber schmaler Kasten aus Stein stand, an dessen Vorderseite eine armdicke Öffnung wie ein versteinerter Mund gähnte. Voldemort traute diesem Yanxothar durchaus zu, diesen Schrein in eine letzte Falle für Unbefugte verwandelt zu haben oder, daß dieses Gebilde nur eine Täuschung war, um machthungrige Zauberer wie ihn zu foppen. Deshalb rief er erneut den Aufspürzauber auf, mit dem er unsichtbare Zauberkraftquellen entdecken konnte. Der Zauberfinder war was für oberflächliche Halbidioten, die nur sehen wollten, ob etwas mit Magie angereichert war oder nicht. Wer wirklich hinter einen Zauber kommen wollte mußte schon etwas besseres aufbieten. Er prallte fast körperlich zurück, als ihn eine bis dahin nie erfaßte Zusammenballung von Magie beinahe die Sinne verschlug. Nicht der Schrein enthielt eine verborgene Zauberkraft, sondern das, was in ihm ruhte und so mächtig war, daß er es nicht förmlich erkennen konnte, weil seine Sinne übersättigt wurden, sobald er daran rührte. Das war keine Illusion. Die wirkte eher räumlich und bei weitem nicht so gebündelt. Also stimmte es. Hier lag die Klinge Yanxothars. Er hob seinen Aufspürzauber auf und blickte mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Triumphes in den Schrein hinein.
Auf blankem Stein lag ein Schwert mit langem Griff und einer ebenso langen, zur Klinge hin gebogenen Parierstange. Der Griff war geriffelt und wie mit Gold überzogenes Gestein. Die Klinge schimmerte im Licht der Feuergeister rötlich wie glühendes Eisen. Doch als Voldemort sein Zauberstablicht aufflammen ließ, sah er, daß die Klinge rotgolden schimmerte und gut und gerne einen Männerarm, ungefähr neunzig Zentimeter, messen mochte. Sie war zweischneidig und lief in einer dornartigen Spitze aus. Ein solch filigran gearbeitetes Schwert hatte Voldemort noch nie in seinem Leben zu sehen bekommen, und seine Reisen durch aller Herren Länder hatten ihn die erhabensten Waffensammlungen sehen lassen. Manche Zauberer empfanden es als Zeichen der eigenen Macht, sich mit Kriegsgerätschaften zu umgeben, manche davon bezaubert, viele davon einfach nur zum Schmuck von Wänden und in kristallernen Vitrinen auf weichen Kissen ausgelegt. Ein goldenes Schwert hatte er im Haus eines arabischen Zauberers gesehen. Dieses war durchaus eine schöne und auch brauchbare Waffe, eines Königs würdig. Doch gegen die uralte Waffe, die nun vor ihm in jenem schmucklosen Schrein auf dem Sockel lag, war das Schwert des Arabers ein rostiges Ding, das irgendein enterbter Ritter achtlos in die Ecke geworfen hatte, weil es ihn an seine adelige Herkunft erinnerte und doch keinen Wert mehr besaß. Er sah den Hauch von Verzierungen, die in das Schwertblatt eingearbeitet waren: Flammen unterschiedlicher Größe, von winzigen Flämmchen wie auf Geburtstagskerzen bis zu einer dreizüngigen Flamme, die von der Parierstange bis fast an die Spitze verlief. Dies war also Yanxotahrs mächtige Waffe, in die der atlantische Feuermagier sein ganzes Wissen und seine ganze Macht eingearbeitet hatte. Oder hatte Yanxothar das Schwert von einem anderen schmieden lassen? Irgendwie empfand Voldemort ein gewisses Unbehagen. Sein erster Antrieb, in den Schrein zu greifen und die Waffe herauszuziehen war von ihm gewichen. Irgendwie machte das Schwert den Eindruck, als wäre es lebendig, als schliefe es sehr tief und erschröcke sicherlich heftig, wenn es jemand zu berühren wagte. Dieser Eindruck hielt Voldemort eine ganze Minute lang davon ab, endlich zu nehmen, weswegen er hergekommen war. Dann kam ihm der Gedanke, daß die draußen wartenden Feuergeister nicht mitkriegen mußten, wie er seinen Triumph endgültig auskostete. Er wandte sich den vier roten Flammenwesen zu und befahl ihnen, sich soweit zurückzuziehen, daß sie ihn gerade so noch rufen hören würden. Sie gehorchten, diese willenlosen Sklaven. Erst als er den Schein ihrer lodernden Körper nicht einmal mehr als winzigen Punkt in der Ferne ausmachen konnte wandte er sich dem Schwert zu.
"Nun, Schwert des Yanxothar, jetzt gehörst du mir. Freu dich, denn kein geringerer als Lord Voldemort nimmt dich in seinen Besitz!" Sprach er verzückt zu der im Schrein ruhenden Waffe. Er löschte das Zauberstablicht und steckte den Stab sicher fort, weil er nicht wußte, ob er die filigrane Waffe nicht doch mit beiden Händen würde halten müssen. Immerhin erlaubte der Griff es, sie sowohl ein- wie zweihändig zu führen. Das kam bestimmt nicht von ungefähr. Er wußte, mit welchem Wort seine wahre Macht geweckt werden konnte. Doch jetzt wollte er es erst einmal in Händen halten, sein Gewicht fühlen, herausfinden, wie es ausbalanciert war und dann sehen, ob an dem Gerücht von einer Seele im Schwert etwas dran war oder es nur in die Welt gesetzt wurde, um Zauderer abzuschrecken, die nichts riskierten, wenn sie nicht alles abwägen konnten. Er griff mit der bleichen, rechten Hand in den Schrein und umschloss mit seinen spinnenbeinartigen Fingern den massiven Schwertgriff. Da war ihm, als stoße ihn jemand kopfüber in einen gähnenden, hell erleuchteten Schacht aus Gold. Er schrie noch einmal. Doch sein Schrei klang so, als entferne er sich von sich selbst, immer schneller. Da wußte er, das mit der dem Schwert innewohnenden Seele war alles andere als ein Gerücht.
Anthelia erkannte, was das Zögern des Emporkömmlings bedeutete. Er hatte den Braten gerochen. Er wußte, daß er nicht der Erste war, der in diesen Gängen herumstrolchte. Denn wenn er wahrlich alle Fallen und Wächter kannte, so hatte er genau an dem Punkt mit der Feuerwand rechnen müssen. Bestimmt beherrschte er auch die nötigen Aufspürzauber, um die Quellen magischer Kräfte zu orten. Diese würden wohl gerade erst neu aufgefüllt. Das würde ihm verraten, daß jemand diese Falle bereits ausgelöst und womöglich unbeschadet überwunden hatte.
"Schwestern, wir müssen damit rechnen, daß der Emporkömmling nun doch weiß, daß noch wer in diesen Gängen und Kammern wandelt. meine ursprüngliche Absicht, ihm unauffällig zu folgen dürfte sich damit als undurchführbar erwiesen haben", sagte sie zu ihren beiden verwandelten Schwestern. Alicia öffnete und schloss ihren Mund als wolle sie etwas sagen. Doch ihre Zunge vollführte nur träge Bewegungen. Immer noch hatte sie Hunger, und Anthelia wußte, daß sie trotz der Verstimmung über Alicias Ungehorsam verpflichtet war, sie am Leben zu halten. Doch zunächst mußten sie versuchen, die magische Waffe zu bekommen, bevor der Emporkömmling sie erreichte. Einen kurzen Moment lang amüsierte sie es, daß wie im Stein der Madrash Ghedon eine mächtige Seele ruhte und den, der die Waffe berührte, zu einem Ringen um die Gewalt über die Waffe zwingen würde. Vielleicht unterlag dieser Emporkömmling, der seine eigene Seele in mehrere Splitter zerschlagen hatte, um sich vor der endgültigen Vernichtung zu schützen. Wie barbarisch, dachte Anthelia. Ihr Seelenmedaillon war dagegen eine sehr elegante Art, den körperlichen Tod zu überdauern und irgendwann, wie vor einem Jahr und drei Monaten, einen neuen Körper zu bekommen. Doch jetzt wollte sie erst einmal leben. Barty Crouches Körper war noch jung genug, mit ihm mehr als ein Jahrhundert auf dieser Welt zu bleiben und Sardonias Werk zu vollenden.
"Was wollen wir nun tun?" Fragte Pandora Straton.
"Wir verfolgen ihn trotzdem. Er wird einige der Fallen aus dem Weg räumen, ob er will oder nicht. So werden wir schneller ans Ziel kommen. Möglicherweise können wir ihn noch erreichen, bevor er die Waffe berührt."
"Und dann, höchste Schwester?" Fragte Pandora. "Wirst du ihn diesmal töten?"
"Das Wohl des Jungen Harry Potter, der durch den überlebten Todesfluch und die Rückkehr des Emporkömmlings sicher mit ihm verbunden ist verbietet es mir, den Kerl einfach niederzumachen. Ich weiß nicht, wie sich das auf den Jüngling auswirken wird. Womöglich weicht der Geist des Emporkömmlings dann sogar in die sterbliche Hülle Harry Potters aus, und das Problem ist nicht aus der Welt. Ich werde ihn wohl mit dem Vitricorpus-Fluch belegen, um ihn in seinem Körper einzukristallisieren. Dann ist er nicht tot und dennoch zu weiteren Handlungen unfähig", sagte Anthelia.
"Dann möchtest du nun los", maunzte Pandora.
"Es ist besser", sagte Anthelia. Dann verließen sie den Raum.
Sie eilten von Alicias Gedanken Geführt und von Pandoras empfindlichem Gehör geleitet durch die Gänge. Einmal konnte Pandora etwas wie Gesang hören. Anthelia nahm per Exosenso-Zauber Verbindung mit der Animaga auf und konnte nun durch ihre Ohren hören, wie Voldemort in südöstlicher Richtung auf irgendwas oder irgendjemanden einsang. Ein Fauchen und Zischen war zu hören, das wie das Wut- oder Angstgebrüll einer Horde Echsen oder schnell abbrennender Wunderkerzen klang. Sie lauschte gebannt, bis sie den sogenannten dunklen Lord befehlen hörte:"Jetzt macht den Weg frei und lasst mich unangefochten weiterziehen. Ich werde euch nicht beitreten, ihr niederen Sklaven. Yanxotahr erschuf euch, und wenn ihr seinem Bann nicht gehorcht werde ich euch vernichten." Dann hörte sie Stimmen aus einem Knistern, Prasseln und Zischen heraus, als würden die Worte aus brennendem Feuer heraus gesprochen. So ähnlich mochte es auch sein, dachte Anthelia, der nun ein Licht aufging, mit wem oder was Voldemort sich da gerade beschäftigte. Dann hörte sie ihn sagen: "Ich erfuhr, daß jemand vor mir in diesen Räumen war. ist der Jemand schon unter euch oder konnte er euch passieren wie ich?"
"Außer dir, Bote des Meisters, war seit langem keine fleischliche Gestalt im Reich unseres Meisters", zischte und prasselte es zurück. Dann bekamen Anthelia und Pandora mit, wie Voldemort die Wächter dieser Anlage dazu kommandierte, nach anderen Eindringlingen zu suchen und sie zu ihren Artgenossen zu machen.
"Pandora, verwandele dich in deine menschliche Gestalt zurück!" Zischte Anthelia. "Wenn wir angegriffen werden brauche ich bestimmt Verstärkung."
"Natürlich, höchste Schwester", erwiderte Pandora Straton und hüpfte von Anthelias Schulter herunter. Innerhalb von nur zwei Sekunden wurde aus der schneeweißen Katze jene Hexe mit den langen, dunkelbraunen Haaren und den tiefgrünen Augen, die gerade in einen tropenfesten Umhang aus grünem Stoff gekleidet war.
"Dein Pech, daß ich mich nicht zurückverwandeln kann, Anthelia", dachte Alicia gehässig. Denn der Schweigezauber hielt immer noch vor. "So könnte ich diesem Kerl lediglich vor die Füße spucken oder vor ihm Wasser lassen. Mehr hast du überstrenges Weib mir ja nicht gelassen."
"Darüber werden wir beiden uns nach dieser Affäre genau unterhalten", knurrte Anthelia. Dann trieb sie die zum Säugling zurückverwandelte Mitschwester an, den korrekten Weg zu denken. Nun, wo Pandora wieder auf eigenen Beinen lief, brauchte Anthelia nicht mehr aufzupassen, das sie ihr von der Schulter rutschte und lief nun sehr schnell. Dabei schickte sie dort, wo Alicia Feuerzauberfallen vermutete eine Garbe dunkler Flammen aus, die krachend mit dem ausgelösten Flammenzauber kollidierten und ihn und sich gegenseitig auslöschten. Dann griffen die ersten roten Feuerwesen an. Anthelia hatte zwar damit gerechnet, doch als die flammenden Phantome beinahe lautlos aus zwei Gängen gleichzeitig heranschwirrten hätte sie beinahe eine Sekunde zu lange gezögert. Dann griff sie mit dunklem Feuer an. Sie fühlte beinahe körperlich, wie die getroffenen Feuergeister zurückprallten und unter einem lauten, merkwürdig schwirrenden Schrei einschrumpften und mit einem letzten Knacklaut erloschen. Pandora, die diesen Zauber nicht konnte, konterte die Angreifer mit einem fortlaufenden Wasserstrahl. Doch dieser löschte die Kreaturen aus reinem Feuer nicht aus, sondern spülte sie lediglich zurück wie ein reißender Strom einen kraftlosen Schwimmer.
"Wir werden euch in unsere Reihen aufnehmen", krächzte ein Feuergeist begleitet von wild aus sich herausfliegenden roten Funken.
"Das denke ich aber nicht", erwiderte Anthelia. "Ich kenne die Natur eures Daseins gut genug um zu wissen, daß es keine Gnade ist, wie ihr zu sein und schmerzhafter als die Geburt, wie ihr zu werden." Wieder traf sie mit einem dunklen Flammenstoß einen sie anfliegenden Feuergeist. Der schrumpfte mit schwirrendem Geschrei ein und erlosch mit einem letzten Knacklaut. Einmal konnte Anthelia dabei einen Hauch weißen Nebels erkennen, der zur Decke emporstieg und dabei völlig unsichtbar wurde. Mochten das die aus dem reinen Feuer befreiten Seelen der ehemaligen Menschen sein, die Yanxothar vielleicht schon mit seinem Versklavungszauber belegt hatte? Sie wußte, das die orientalischen Feuerdschinnen die Produkte aus skrupellosen Experimenten mit Feuer und Leben waren und sich auf diese Art auch fortpflanzen konnten, daß sie lebende Menschen einhüllten, unter unerträglichen Qualen verbrannten und dann als Ableger von sich freigaben, worauf sie einen ganzen Sonnenlauf brauchten, um ihre Endgröße zu erreichen und einem Vampir Gleich auf Beute unter den Fleischlichen auszugehen. Sie galten als die mächtigsten auf Erden wandelnden Dämonen, wenngleich es unter ihnen auch welche gab, die ihren verheerenden Drang beherrschten und ab und an für Magier und die wenigen Hexen des Morgenlandes arbeiteten. Im Grunde blieben sie jedoch ihres Leibes beraubte und um das Dasein nach dem Tod betrogene Seelen, die ein verfluchtes, ewiges Dasein fristeten. Genau solche Erscheinungen griffen nun auch Anthelia und Pandora an. Einmal passte sie nicht richtig auf, als ein Arm aus Feuer auf sie zuschnellte und sie am rechten Arm traf. Sie fühlte den sengenden Schmerz und verpatzte dabei einen weiteren Schlag mit dunklem Feuer. Ihr Gürtel begann heftig zu pochen. Den Tod durch Feuer wehrte er genauso ab und stellte ihre Unversehrtheit wieder her. Lediglich der angekokelte Ärmel zeigte den Treffer des Feuergeistes. Dieser flog gerade unter Pandoras Wasserstrahl zurück. Dann griff Anthelia mit dem Brandlöschzauber an. Dieser wirkte zwar so, daß er sie angreifende Feuergeister zurückschlug. Doch da ihr Feuer magischen Ursprungs war war das auch schon alles. Blieb also nur, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Doch sie merkte, wie es sie immer mehr auszehrte. Denn die sie und Pandora bestürmenden Feuergeister wurden nicht weniger. Schließlich langte es der obersten Spinnenschwester. Sie entsann sich eines Zauberspruches, der einen Ring aus Eis um einen gegen Feuer zu schützenden Bereich legte. Das Eis, so hatte ihre große Lehrmeisterin Sardonia sie gelehrt, sei so kalt, das alles, was davon berührt würde sofort tiefgefriere und jedes Feuer, jede Lava unverzüglich ersticke und erstarre. Sie winkte Pandora, die gerade zwei weitere Flammendämonen auf Abstand hielt. Einer hatte versucht, sich von hinten auf sie zu stürzen. Doch sie hatte sich geduckt und ihn mit dem Wasserstrahl an die Decke gedrückt, wo er schmerzlich zuckend in die Breite gedrückt wurde, bevor Pandora den zweiten angreifer abwehrte. Offenbar konnten die Feuergeister nicht so richtig fliegen. Das war ihr Problem, erkannte Antehlia, als der an die Decke gedrückte Dämon von einem erst langsam verdunstenden Wasserfilm angeheftet blieb und dann zu einem glutroten Abdruck an der Decke wurde. Pandora eilte zu Anthelia, die unverzüglich eine weit ausladende Rundumbewegung mit dem Zauberstab vollführte und dann laut rief:
"Anulus Eterniglacies!" Es knirschte, als eine Wand aus pechschwarzem Material, durchsichtig wie Milchglas, zu einem an die drei Meter hohen Ring um die drei Hexen emporschoss. Anthelia wußte, die absolute Kälte dieser Wand wirkte nur bei direkter Berührung, nicht wie gewöhnliches Eis. Sie fühlte jedoch, wie dieser magische Akt sie an den Rand der Erschöpfung trieb, wie damals in den Tiefen des Meeres, wo sie gegen Monster und Flüche gekämpft hatte. Hier war es also ähnlich. Es knallte. Die Feuergeister flogen weiter ihre Angriffe. Ein wenig Kälte kam schon bei den Hexen an, aber nicht so extrem als seien sie gerade an einem der Pole. Durch die fast undurchsichtige Wand sahen sie, wie die Feuerwesen regelrecht implodierten, sobald sie mit ihren feurigen Körpern gegen die magische Barriere prallten.
"Das schwarze Eis, höchste Schwester. Das auch normalsterbliche Hexen und Zauberer ihn können ist mir neu", sagte Pandora.
"Du meinst, weil eine Schwester dieser verfluchten Hallitti daselbst die angeborene Gewalt über diese Elementarkraft besitzt?" Fragte Anthelia. Pandora nickte.
"Wie lange wird es bestehen? Fragte Pandora Straton besorgt.
"Ich hoffe, es wird alle uns bedrängenden Dämonen abwehren, bevor es vom Ansturm erschöpft ist und zerfällt. Es bezieht seine Kälte aus den Tiefen des Alls, wo keine Sonne wirkt. Somit ist es die ultimative Gegenkraft zu allen magischen und nichtmagischen Feuerquellen", sagte Anthelia. Sie beobachtete den an der Decke haftenden Feuergeist, der sich gerade erholt hatte. Er fiel herab wie eine Feder. Anthelia hieb mit dem Brandlöschzauber nach ihm und brachte ihn dazu, auf den Rand des Eisrings zu schlagen, wo er mit dumpfem Knall in sich zusammenstürzte.
"Sie haben keinen Selbsterhaltungstrieb", befand Pandora, als sie sah, wie weitere rote Feuergeister gegen den Eisring anstürmten und unverzüglich ihre Existenz aushauchten.
"Sie sind dazu verflucht, als Sklaven dem zu dienen, der sich als ihr Herr und Meister zu erkennen geben kann. Der Emporkömmling kannte wohl die Worte, dies zu tun, und nun rennen sie in blinder Befolgung seines Befehls gegen uns an. Vielleicht wollen auch einige den Tod, das Ende ihres unwürdigen Daseins und empfinden meinen Zauber als die letzte Gnade, die ihnen erwiesen wird." Als sie das sagte, krachten gerade die beiden letzten Feuergeister gegen die Barriere und vergingen schlagartig. Als nach einer Minute kein weiterer Angreifer mehr in sein Verderben rannte, hob Anthelia ihren Zauberstab und rief: "Venite Fortes Solis!" Die durch den Ansturm der Feuergeister etwas dünner gewordene Barriere leuchtete von innen her und zerbarst dann mit einem Klirren wie eine metergroße Porzellantasse. Nichts blieb von dem Eispanzer zurück außer einem letzten eisigen Hauch wie eine antarktische Windböe.
"Du hast dich verausgabt, höchste Schwester", befand Pandora, als Anthelia beinahe vorne überfiel und hinschlug. Anthelia fühlte es zu gut, daß sie in diesem Zustand weder laufen noch ein mögliches neues Duell mit dem Emporkömmling bestreiten konnte. Sie bat Pandora darum, einige der verbliebenen Stunden Tagesausdauer von ihr auf sich zu übertragen. Sie willigte ein. So schaffte es Anthelia, innerhalb von drei Sekunden drei Stunden Erholung zu erlangen. Doch nun war es Pandora, die sichtlich angeschlagen daherlief. Sie schaffte es gerade noch, sich wieder in ihre Animagus-Gestalt zu verwandeln. Anthelia hob sie auf und legte sie so über ihre Schulter, daß Pandora sich gerade noch festkrallen und halten konnte. Dann lief Anthelia los. Denn sie ahnte, daß sie nun nicht mehr rechtzeitig kommen würde, wenn sie nur eine einzige Sekunde vergeudete.
Der Sturz durch den goldenen Schacht war so heftig, daß Voldemort einen Moment benötigte, um sich in der unendlich weiten Halle, in der er gelandet war zurechtzufinden. Er schwebte in einem weitläufigen Raum, der aus orangerotem Licht zu bestehen schien. Der Boden lag mehr als hundert Meter unter ihm. Wo war er hier?
Ein Lachen wie von einem Riesen erscholl aus weiter Ferne wie es schien und hallte in den unermesslichen Gefilden wider. Voldemort erkannte, daß er völlig nackt war. Mehr noch, sein Körper war nicht mehr bleich, sondern blutrot und wirkte wie ein von der untergehenden Sonne beschienener Geist. Da wußte er, er war nicht mehr in seinem Körper.
"Ist doch nach den Jahren wieder einer zu mir vorgedrungen, der meint, mein Schwert haben und mit meiner Macht herumspielen zu müssen", lachte die Stimme zu der sich nun ein erst schemenhafter und dann gewaltiger Körper aus goldenem Licht zusammenballte. Es war die Gestalt eines hageren, wenngleich an die vier Meter großen Mannes. Auch er war völlig nackt. Sein Körper war jedoch völlig undurchsichtig.
"Du bist Yanxothar", knurrte Voldemort und stellte fest, das er von irgendwoher die Stimme wiederbekommen hatte, die er als junger Mann namens Tom Riddle besessen hatte.
"Und du bist Tom Vorlost Riddle, der sich in grenzenloser Selbstüberschätzung Lord Voldemort nennt", lachte der goldene Riese. Er schien ein sehr fröhlicher Zeitgenosse zu sein. Vielleicht amüsierte es ihn auch, daß Voldemort sich in sein Reich verirrt hatte.
"Ich bin der mächtigste Zauberer meiner zeit und fordere dein Erbe für mich ein", sagte der Herr der Todesser unerschüttert.
"Soso, du forderst", erwiderte Yanxothar überaus belustigt. "Ist dir denn nicht klar, Tom Riddle, daß du gerade nur mit deiner nackten Seele bei mir bist, ohne deinen Zauberstab? Aber irgendwas stimmt mit dir nicht. Du bist nicht ganz zu mir gekommen. Wo ist der Rest von dir?"
"Haha, das irritiert dich?" Fragte Voldemort, nun selbst belustigt. "An sicheren Orten, Yanxothar. Also, sage mir, was ich hier tun soll, damit ich dein Schwert nehmen kann!"
"In dir brennt ein helles Feuer, für Wahr. Aber es ist wohl eher die Flamme der Vernichtung und die Glut des Hasses auf alle, die so sind wie du und damit wunderbar leben können, Schlammblut."
"Du wagst es nicht, mich so anzureden", schrillte Voldemort. Selbst die wesentlich tiefere Stimme seines früheren Körpers überschlug sich in ohnmächtiger Wut. Yanxothar lachte lauthals, und aus seinem Mund loderten goldenrote Flammen.
"Du wagst es, nur zu einem lächerlich kleinen Teil zu mir zu kommen, mein Erbe einzufordern, obwohl du keiner meiner Nachfahren aus natürlicher Linie bist und auch keiner, dessen Familie mir einst Treue schwor und daher Anspruch auf mein Wissen und meine Insignien der Macht hat. Du willst mein Schwert, damit du deinen Vorstellungen von einer sogenannten reinblütigen Zaubererwelt nachjagen kannst, um durch Feuer und davon durchdrungene Wesen Tod und Zerstörung über die Menschheit zu bringen und meinen Namen zum Inbegriff der Vernichtung zu machen, wie es schon die Diener Iaxathans versucht haben. Und gegen Iaxathan bist du, Waisenknabe, ein hilflos plärrender Säugling, der nach der nährenden Mutterbrust schreit, weil er fast verhungert ist. Tja, zu gerne würdest du jetzt deinen Zauberstab nehmen und mir einen tödlichen Fluch auf den Leib jagen. Doch zum einen bin ich bereits aller körperlicher Hülle ledig und mit meinem Schwert verschmolzen. Zum zweiten hast du deinen zauberstab gerade nicht dabei. Zum dritten, Tom Riddle ..."
"Ich bin Lord Voldemort!!!" Schrie der böse Hexenmeister in ohnmächtiger Wut. Doch Yanxothar lachte so laut, daß sein Wutgeschrei darunter verschwand.
"Gut, du willst ein Herr sein, der Herr der Welt, die du beliebig zerschlagen kannst, wenn sie nicht tut, was du willst", erwiderte Yanxothar immer noch amüsiert. "Dann komm zu mir und versuche, meiner Umarmung aus dem Feuer der Schöpfung zu entgehen. Sollte es dir nicht gelingen, dich mir zu entwinden und ich diesen kümmerlichen Splitter deiner Seele in mich aufnehmen, werde ich deinen Körper verbrennen und deinen Zerstörungstrieb in mir ersticken, damit niemand mit solchen Absichten wie du mein Schwert in die Hände kriegt. Denn das, was du aus dir gemacht hast, wird mir helfen, solche wie dich noch besser von meinem Erbe abzuhalten. Falls du es aber schaffst, mir zu entrinnen und dich aus eigener Kraft aus diesem Raum zu entfernen und in deinen jämmerlichen Leib zurückzukehren, muß ich wohl zulassen, daß deine Gier nach Macht und Tod mit meinem Erbe fortgeführt wird. Wenn du dich für wirklich so mächtig hältst, daß du mir entweichen kannst, dann sei es."
"Du bist das Feuer. Dann werde ich dich hier und jetzt für alle Zeiten auslöschen, wie der Regen die Kerze auslöscht", knurrte Voldemort angriffslustig, als die nun lodernden Arme des goldenen Riesens auf ihn zuglitten, dabei immer länger wurden. Der dunkle Lord wußte, wenn ihn dieses Gebilde da erst einmal umklammert hatte, würde er wohl kaum entkommen können. Falls dieser Riese, wohl eine Art astraler Avatar, ihn an und in sich ziehen konnte, würde er wohl kaum eine dritte Chance zu leben bekommen. Ihn graute vor der Vorstellung, dann wirklich unrettbar verloren zu sein. ER hing zwischen zwei widerstreitenden Bedürfnissen fest. Einerseits wollte er leben. Er hing an seinem Leben, auch wenn es lange Zeit kein angenehmes Leben gewesen war. Andererseits wollte er diesen überfröhlichen Riesen da vor sich seine Macht spüren lassen, ihm zeigen, daß er, Lord Voldemort, der wahrhaftige Erbe aller alten Macht war, die Magier wie Yanxothar und Slytherin hinterlassen hatten. Mit dem Schwert würde er endlich der unbestreitbare Anführer der weltweiten Zaubererschaft sein. Doch um dieses zu bekommen mußte er kämpfen, ohne seinen Zauberstab.
"Du siehst, du hast zu viel Angst vor der Macht meines Erbes, daß du lieber flüchten willst als es zu erkämpfen", lachte Yanxothar. Da warf sich Voldemort ihm entgegen. Er würde ihn hier und jetzt niederringen, ihn dazu zwingen, ihm das Schwert zu überlassen, ihn dabei sogar auslöschen. Er dachte an eine Sintflut, die vom Himmel fiel. Damit würde er diesen ... Die Umklammerung der lodernden Arme durchraste seine ganze Daseinsform. Er schrie, als er in den brennenden Armen Yanxothars hing. Doch mit dem Schmerz kam auch die Wut, diese lodernde Wut, diesen unermüdlich fröhlichen Kerl da zu besiegen, ihn niederzumachen. Tatsächlich rollte Donner durch die Halle, und Regen prasselte silbern wie flüssiges Mondlicht herab.
"Ach, will der kleine Tom Riddle, der so viel Böses aus der ihn mißachtenden Welt der Menschen in sich aufnehmen mußte mit seiner Willenskraft gegen mein Feuer ankämpfen? Dann werde ich wohl mal etwas deutlicher werden", erwiderte Yanxotahr, den die auf ihn herabprasselnden Regentropfen doch irgendwie zusetzten. Er zog Voldemorts Seele an sich, die fühlte, wie der goldene Leib immer weicher wurde, wie Morast, in den er gnadenlos hineingedrückt wurde. "Du kriegst mein Schwert nicht, um das zu vollenden, was ich diesem Schattenfürsten Iaxathan gerade noch austreiben konnte, bevor unsere Kraft unser schönes Land in die Tiefen des Meeres gezogen hat. Komm zu mir und erfahre eine ganz neue Daseinsform. Du bist nur ein kümmerliches Fragment deiner Selbst, eigentlich eine Beleidigung für mich. Aber ich muß nehmen was du mir bietest, Tom Vorlost Riddle."
"Ich nehme mir, was du mir hingelegt hast", schrie Voldemort am Rande der Panik. Denn gleich würde er in den Leib des goldenen Riesens mit den brennenden Armen hineingezogen und darin verschwinden, eben nur ein kümmerliches Fragment seiner Seele. Doch er wollte leben, wollte nicht einfach so kurz vor dem Ziel verlieren. Zu viel stand auf dem Spiel. Er suchte mit seinen Gedanken nach allem, was er von sich in der Welt ausgestreut hatte und klammerte sich daran fest wie an einem Strohhalm. Da fühlte er, wie der nachgiebige Leib Yanxothars erzitterte, wie er sich in den Armen dieses Riesens aufbäumte und dann mit einem lauten Schrei freikam und dann, angetrieben von seinen Gedanken an all die Splitter seiner Seele, die er in der Welt verteilt hatte, zu fliegen begann.
"Das kann nicht sein!" Rief Yanxothar im immer noch niederprasselnden Regen, der tief unten bereits einen See aus silberner Flüssigkeit verursachte. Voldemort flog, von einem immer länger werdenden Arm Yanxothars verfolgt davon. Dann sah er die Öffnung eines Schachtes und warf sich hinein. Er dachte daran, daß er immer noch in der Welt war, nicht in dieser entrückten Umgebung, sondern als wirkende Macht, die lebendig genug war, selbst dem Tod zu trotzen und so tödlich war, daß selbst Geistwesen wie Yanxothar davor zittern mußten. Er klammerte sich mit allen Fasern seines Denkens an die Orte und Objekte, wo er Fragmente seiner Selbst eingelagert hatte. Sie zogen ihn an wie massereiche Himmelskörper einen Meteoriten. Er stürzte durch den Schacht, immer noch verfolgt von einer riesigen Hand an einem unendlich langen Arm und den nun nicht mehr so fröhlichen Rufen Yanxothars, daß dies nicht gehen konnte. Fast berührte ihn die ihn jagende Hand am Rücken, als er mit einem Ruck hochgerissen und mit einem dumpfen Schmerz in etwas hineingestoßen wurde, worauf er in allen Fasern seines Körpers einen unerträglichen Schmerz empfand und laut schrie, wie ein gerade geborenes Baby. Er war wieder in seinem Körper, und die rechte Hand lag am warmen Griff des Schwertes Yanxotahrs. Er umklammerte ihn und zog die Waffe mit einem Ruck aus dem Schrein heraus. Dann kehrte die Panik zurück. Was wäre, wenn die Waffe ihn nun doch vernichtete, wie Yanxothar es angekündigt hatte? Er legte sie rasch auf den Boden und wartete. Dann dachte er daran, daß er den Kampf doch gewonnen hatte. Er hatte Yanxothar besiegt. Dann konnte er das Schwert nehmen. Er bückte sich und griff erneut nach dem Schwert. - Es lag nun ruhig, aber mit seinem ganzen Gewicht in seiner Hand. Er faßte mit der linken Hand an die freie Stelle des Griffes und wog die uralte Waffe. Dann, endlich, überwog sein Triumph die helle Panik. Er hatte es geschafft! Er hatte Yanxothars Schwert erobert! Dann sprang er vorwärts ... und überschritt die Grenze zwischen dem Zylinderraum und dem Gang davor. Das unsichtbare Feuer war noch nicht wieder aufgelodert. Doch es konnte jede Sekunde soweit sein. Als er draußen stand freute er sich unbändig. ER lachte sein überlegenstes Lachen und schrie ein ums andere Mal:
"Ich habe dich besiegt, Yanxothar! Ich, Lord Voldemort, habe dein Schwert!"
Anthelia und Pandora liefen durch die Gänge, die Alicia ihnen wortlos ansagte. Dann trafen sie auf vier rote Feuergeister, die sofort auf die beiden losgingen. Anthelia wollte nicht noch einmal den Eisring errichten und wirkte statt dessen die dunklen Flammen. Verbissen kämpfte Anthelia darum, die verbliebenen Dämonen zu vernichten. Als dies passiert war erscholl ein überaus grauenhaftes Lachen. Selbst Anthelia schien das Blut in den Adern zu gefrieren. Das war das Triumphgelächter des Emporkömmlings. Ja, und da rief er auch voller Euphorie:
"Ich habe dich besiegt, Yanxothar! Ich, Lord Voldemort, habe dein Schwert!"
"Wir sind zu spät", stöhnte Anthelia, die trotz Pandoras Kraftauffrischung weiche Knie bekam und so sehr erbleichte, daß ihre Sommersprossen zu verschwinden schienen. "Der Wahnsinnige hat das Schwert bekommen, gegen den Willen seines Schöpfers. Das heißt, er hat Yanxothars Seele im Schwert niedergerungen. Hoffen wir nur, daß er sie in seinem Irrsinn vernichtet hat. Dann wird seine Beute ihm keine Freude bereiten."
"Bist du sicher, daß er das Schwert hat?" Fragte Pandora. Anthelia nickte. Denn sie wußte, wie euphorisch man sein mochte, wenn man gegen eine übermächtige Seele hatte kämpfen müssen und den Sieg davontragen konnte. Denn beinahe hätte sie die Auseinandersetzung mit Madrash Ghedon verloren, und wie Sarah Redwoods Gesicht im Stein erschienen war, überaus triumphierend, würde sie ihr ganzes noch verbleibendes Leben nicht vergessen.
"Vielleicht ist er auch nur ganz wahnsinnig geworden und meint, das Schwert zu haben", wandte Pandora ein, während Anthelia bereits auf ihrem Absatz kehrt machte und in einen leichten Trab verfiel.
"Das werde ich gleich herausfinden. Ihr beide werdet solange in einer Kammer warten, die Alicia kurz erwähnt hat."
"Mir tut der Bauch weh. Ich habe ein trockenes Gefühl im Mund!" Quängelte Alicia in Gedanken, nun wirklich einem Baby ähnelnd.
"Heute ist der erste Tag der reinblütigen Zaubererwelt!" Hörten sie auf dem Weg Voldemorts Stimme.
"Er wird dich töten, wenn er dich sieht", quängelte Pandora.
"Deshalb müßt ihr beide in Sicherheit gebracht werden, damit du Alicia hier rausbringst, wenn er wahrhaftig das Schwert hat. Denn wenn er diese Waffe benutzen kann, kann er uns alle drei mit einem Streich töten. Wenn er das herausfindet, wird er seinen Mordgelüsten freien Lauf lassen. Ihr sollt dann, wenn ich nicht mehr zurückkommen kann, mein Werk fortsetzen", sagte Anthelia, die sich sicher war, einer unausweichlichen Niederlage entgegenzugehen. Sie bog in einen Gang ab, wo einer der Sackgassengänge abzweigte, den Voldemort gewiss nicht benutzen würde, wenn er wahrhaftig alles verfügbare Wissen über diese Tempelstatt besaß.
"Schwester Pandora, verwandle dich zurück, nimm Alicia und eile diesen Gang entlang bis zum Ende und warte dort. Bin ich in einer halben Stunde nicht zurück, dann sucht den Ausgang! Nimm den Schweigezauber von Alicia, wenn du dir sicher bist, daß der Emporkömmling das Versteck verlassen hat! Dann wird sie dir wohl sagen können, wo es hinausgeht."
"Ich werde dich nicht alleine mit diesem Irren lassen, höchste Schwester!" Sagte Pandora.
"Du wirst mir keine Hilfe sein, Schwester Pandora. Wenn ich ihm begegne, und er mich zum Kampf zwingt, kann ich ohne Rücksicht auf dich gegen ihn kämpfen, ohne daß er dich mal eben mit dem Fluch niederstreckt oder das Schwert an dir ausprobiert. Denke an deine Tochter. Du mußt ihr noch vieles beibringen, damit sie unser Werk vollenden kann, sollte ich nicht mehr zurückkommen." Das sah Pandora ein und glitt von anthelias Schulter. Sie war nun erholt genug, um sich zurückzuverwandeln und ließ sich Alicia Montesalvaje übergeben. Sofort danach verwandelte sich Anthelia in eine große Krähe und flog schneller als sie zu Fuß sein mochte durch die Gänge zurück. Sie war froh, daß die Fallen und Wächter weitestgehend erledigt waren. Erst in dem Gang, wo sie mit den Feuergeistern gekämpft hatte, nahm sie ihre menschliche Gestalt an. Sie atmete tief durch, während sie das immer noch schallende Gelächter des Emporkömmlings in den Ohren hatte.
"Und sei es, daß ich dich doch töten muß, Tom Riddle. Das Schwert des Yanxothar ist eine zu mächtige Waffe, um sie dir zu überlassen. Auch wenn du mich dabei irgendwie tötest."
"Ich habe das Schwert!" Rief Voldemort, immer näher kommend. "Faianshaitargesh!" Ein kurzes Fauchen wie eine auflodernde Stichflamme, dann lachte er nur noch. Das Lachen kam immer näher. Dann sah Anthelia in der Ferne das rotgoldene Leuchten wie von einer großen Fackel. Dann erkannte sie, daß es eine aus Flammenzungen geformte Klinge war, die wild herumgeschwenkt wurde. Dann konnte sie ihn genau sehen, den hageren Mann im offenbar sehr mitgenommenen Umhang mit dem grauenhaften bleichen Schädel wie der Kopf einer Schlange mit den im Schein der Flammenklinge und vor unbändiger Glückseligkeit lodernden Augen. Auch Voldemort sah nun, daß da jemand im Gang stand und rief:
"Wer immer da ist, du kommst zu spät! Jetzt habe ich Yanxothars Waffe!"
"Das sehe ich, Waisenknabe", sagte Anthelia nun ganz kühl. Sie trat vor, bereit, dieses magisch brennende Schwert da aus den Händen des Zauberers zu reißen, der es gegen Yanxothars Willen erobert hatte und offenbar wußte, wie es zum brennen gebracht werden konnte. Voldemort blieb abrupt stehen. Die Stimme kannte er - zu gut.
"Ach, sieh einer an. Du bist es, meine Wohltäterin, die mich in den Sümpfen Floridas erst fertiggemacht und dann einfach so hat ziehen lassen", erwiderte Voldemort und kam, die brennende Schwertklinge nach vorne gestreckt, immer näher.
"Soll ich dir jetzt sagen, daß du recht hattest, das es ein Fehler war, dich einfach so deines Weges ziehen zu lassen? Ja, dies erkenne ich wohl. Aber du bietest mir ja dankenswerterweise die Gelegenheit, den Fehler zu korrigieren", sagte Anthelia. Dann stieß sie den Zauberstab vor, während Voldemort seine Beute quer zum Körper hielt. "Avada Kedavra!" Rief Anthelia wild entschlossen. Hellgrün sirrte der Todesfluch auf Voldemort zu, der in einer unerwartet schnellen Reaktion das Schwert genau in die Zauberstabausrichtung hielt. Laut klirrend prallte der Zauber auf die Klinge, deren Feuerschein für einen Sekundenbruchteil erlosch und grüne Funken sprühte. Dann flammte das Schwert erneut auf, und Voldemort lachte grenzenlos überlegen.
"Vielen Dank für den Beweis, daß selbst der mächtigste Fluch gegen diese Waffe machtlos ist, Sardonia oder Anthelia, oder wer du auch immer sein magst!" Lachte der dunkle Lord. Anthelia hatte schon gehofft, den Erzfeind einfach so niederzustrecken. Dann hätte sie das Schwert an sich nehmen und den Kampf mit Yanxothars Seele aufnehmen können. Doch daß die Klinge den Todesfluch unbeschadet abfangen konnte brachte sie aus dem Konzept. Voldemort war nun unbesiegbar.Aber Voldemort hatte offenbar lange darüber nachgedacht, wem er die Niederlage und die Demütigung der Erinnerung daran verdankte. Doch er vermutete Sardonia als die Rückkehrerin. Das mochte sie nutzen können.
"Du hast es also herausgefunden, gratuliere! Immerhin habe ich dir sicherlich viele schwere Träume bereitet", sagte sie nun wieder ganz ruhig, als sei der Fehlschlag mit dem Todesfluch nicht der Rede wert. "Dann wird es dich sicher nicht überraschen, daß ich deine Armee der Feuergeister restlos vernichtet habe und auch mit anderen Mitteln gegen dich kämpfen kann."
"Ich habe nicht so viel Gnade übrig wie du", sagte Voldemort und holte mit dem Schwert aus, er stand nun so, daß die lodernde Spitze der Flammenklinge genau über Anthelias Kopf herunterschnellen mochte. Diese überdachte, ob der Ring aus Eis ihr noch mal helfen konnte, als die Klinge bereits fauchend auf sie zuschnellte ... und knapp an ihrem linken Ohr vorbei in den Boden schlug. Sie fühlte die mörderische Hitze, die vom flammenden Schwertblatt ausging und hörte das laute Zischen, als die Spitze in den Steinboden schnitt und eine mehrere Zentimeter tiefe, rot glühende Furche im massiven Felsgestein zog. Anthelia stand jedoch ruhig da. Da sie gegen Feuer gefeit war und noch vier Todesflüche verkraften konnte, mußte die Macht des Schwertes sie voll treffen, damit der Gürtel der zwei Dutzend Leben sie nicht mehr beschützen konnte.
"Ui, habe ich nicht richtig gezielt!" Sagte Voldemort mit gespieltem Bedauern. "Aber sehr einschneidend die Klinge, was, Sardonia oder Anthelia?"
"Wer soll ich denn nun sein, Waisenknabe. Aber was erwarte ich von einem, der nicht einmal weiß, wer er ist?" Erwiderte Anthelia provozierend. Sie wollte nicht um Gnade winseln oder angsterfüllt vor diesem größenwahnsinnigen, verunstalteten Jungen im Manneskörper stehen, der gerade ein neues Spielzeug ausprobierte, wenngleich dieses Spielzeug die Welt zur Hölle machen konnte.
"Ich weiß, wer ich bin. Aber ich dachte, du würdest nun, da wir uns zum zweiten und letzten Mal gegenüberstehen verraten, wer du bist. Wenn du Sardonia bist, solltest du mir gratulieren, so unter mächtigen Zauberern und Hexen. Denn ich werde eine neue Weltordnung errichten, in der die Zauberer die absolute Führung übernehmen und die Muggel zu dem machen, was sie immer schon waren, niederes Volk, gerade gut genug, für uns zu schaffen und uns zu unterhalten."
"Warum glaubst du nicht, daß ich Nigrastra bin?" Fragte Anthelia herausfordernd.
"Weil Nigrastra zu schwach war, um wahre Größe erringen zu wollen. Der einzige Verdienst von der war doch, daß sie Anthelia ausgebrütet hat, damit sie den Anhängerinnen dieser elenden Medea einheizen konnte und den blutigen Baron zum getreuen Geist aller Slytherins machte. Ja, ich kenne die Geschichte von Hector, auch wenn der nie was sagte als ich selbst in Hogwarts war. Oder bist du vielleicht doch Anthelia? Wie auch immer! Durch dich habe ich jetzt das Schwert Yanxothars, weil du meintest, mir das Leben schenken zu müssen. Das war dein größter Fehler."
"Das haben wir schon geklärt", erwiderte Anthelia unbeeindruckt. "Pass auf, wo du mit deinem neuen Spielzeug hinschlägst, Tom Riddle. Wenn selbst hartes Felsgestein ihm nicht widerstehen kann wird es von deinem verunstalteten Körper noch weniger beeindruckt sein."
"Ich weiß was du willst, du Hure! Du willst, daß ich dich hier und jetzt mit dem Schwert vernichte, damit du mit deinem elenden Gewissen nicht mehr weiterleben mußt. Aber ich bin großzügig! Aus Dankbarkeit, daß du mir die Chance gegeben hast, mein Leben und Wirken fortzusetzen und aus Dankbarkeit dafür, daß ich durch dich das Schwert bekommen konnte, lasse ich dir dein gestohlenes zweites Leben im verweichlichten Leib eines nützlichen Idioten, damit du dir ansehen kannst, was ich mit deinem Geschenk anfangen werde. Du hast den Eingang gefunden, dann findest du auch hinaus! Adieu, Madame!""
Du wirst mich schon erschlagen müssen, wenn du an mir vorbei willst, Waisenknabe. Mit dem Schwert lasse ich dich hier nicht weg", erwiderte Anthelia entschlossen und hob den Zauberstab. Sie konzentrierte sich auf das Schwert, um es telekinetisch gegen Voldemort zu führen. Doch Voldemort lachte laut und rief laut:
"Es wird dir nicht gelingen, mich aufzuhalten. Dafür muß ich dich nicht töten, auch wenn mir eigentlich danach ist. Aber dich leben zu lassen, damit du siehst, was ich nun alles anstellen kann, ist besser als der Tod. Dein ganzes vermurkstes Weltbild wird dich in den Wahnsinn treiben, wenn ..." Das Schwert ruckte in Voldemorts Hand und drohte, ihm gegen die Brust zu schlagen. "Faianshaitargesh!" Rief er rasch. Mit leisem Wupp erlosch die Flammenklinge. Nun hielt er ein Schwert mit einer neunzig Zentimeter langen Klinge aus goldenem Metall in der Hand und kämpfte mit Willenskraft und Zauberstab gegen die Kraft an, die ihm das Schwert in den Leib treiben wollte. "Hast du dir eingebildet, du Schlampe, daß deine miese Telekinese mir das Schwert in den Leib jagt? Aber ich kann auch Fernlenkzauber und weiß mich zu wehren. Und jetzt aus dem Weg!"
"Jetzt werde ich dich töten", knurrte Anthelia und richtete den Zauberstab auf Voldemorts Kopf. Dieser hob schnell die Klinge vor sein Gesicht und rief erneut "Faianshaitargesh!" Dann rief er einfach "Im Namen Yanxothars, bringe mich ans Sonnenlicht!" Unvermittelt öffnete sich die Decke, und eine rotgoldene Feuersäule rauschte herab, hüllte Voldemort ein und erlosch mit lautem Knall. Der dunkle Lord und sein mächtiges Schwert waren verschwunden.
"Die Eigenschaften des Phönixes", knurrte Anthelia. "Dieses Schwert kann den Ortswechsel durch die Verbindung des himmlischen und irdischen Feuers bewirken." Dann bebte die Erde, erst schwach, doch unbestreitbar. Die Wände wurden immer dunkler, und an der Decke begann es sachte zu glühen. Da wußte Anthelia, was die Stunde geschlagen hatte. Voldemort hatte sie zwar am Leben gelassen, und sie hatte ihn nicht töten können. Doch nun, wo Yanxothars Klinge aus der unterirdischen Anlage entfernt worden war, hatte diese ihren Zweck erfüllt. Wie viel Zeit hatte sie noch?
In Krähengestalt jagte Anthelia die Gänge entlang, bis sie in die Sackgasse einbog. Von weitem hörte sie schon ein Plärren und Quängeln, aus dem sich verstümmelte Wörter zu bilden versuchten.
"derdört ..ich delb.t!" Pandora hatte also den Zauber von Alicia genommen, die jedoch mit ihrem auf Säuglingsniveau zurückentwickelten Mund noch keine klar verständlichen Wörter aussprechen konnte. Doch Was sie sagen wollte war eindeutig und genau das, was Anthelia befürchtet hatte. Sie flog auf die beiden Hexen zu. Pandora trug Alicia auf dem Rücken. Anthelia landete kurzerhand auf Pandoras freier Schulter und krächzte:
"ER ist mit dem Schwert entkommen, Schwester Pandora. Wir müssen hier weg."
"Verdammt!" Fluchte Pandora und lief los. Unterwegs bebte der Boden immer heftiger, und die Glut an der Decke nahm ein immer helleres Rot an. Es wurde immer heißer. Der Tempel des Feuers würde nicht mehr lange ... Krachend riss vor ihnen ein Spalt auf, und gluckernde Blasen werfend quoll glutflüssiges Gestein aus dem Boden. Der Tempel wurde also von oben und unten gleichermaßen aufgeheizt.
"Verdammt, wir können einem solchen Inferno nicht zu Fuß entkommen!" Rief Pandora. Anthelia krächzte. "Ich schrumpfe euch beide ein, dann trage ich euch durch die Luft." Sie flatterte von Pandoras Schultern und landete neben ihr. In Windeseile nahm sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an und vollführte an Pandora und Alicia den Centinimus-Zauber. Nun hatten die beiden noch eine Stunde zu leben, bevor die für sie nun beinahe flüssige Luft keinen Sauerstoff mehr an ihre Lungen weitergab. Anthelia wurde wieder zur Krähe und trug die beiden, die sich in ihrem Rückengefider festkrallten davon. Weitere Bodenspalten klafften auf, weitere Lavaaustritte erleuchteten die unterirdische Anlage. Ob Voldemort dies gewußt hatte? Wenn sie starb, war es egal. entkam und überlebte sie, so hatte er auch gewonnen, zumindest diese Schlacht. Denn mit dem Schwert war er wahrlich zum mächtigsten Zauberer der Welt aufgestiegen, was sie eigentlich hatte verhindern wollen. Sie flog um ihr Leben, auch wenn sie im Moment keinen Sinn darin sah. Doch sie flog auch um das Leben Pandoras und Alicias. Pandora, die die verwandelte Bundesschwester unter sich geborgen hielt fühlte, wie der rasende Flug durch die langsam von Glut und Lava zersetzten Gänge immer anstrengender wurde. Dann erreichten sie die Kammer, wo sie den Schacht verlassen hatten, der aus der Quaderkammer hereingeführt hatte. Doch hier glühte bereits alles hellrot, und einGestank nach Schwefel und überhitztem Gestein trieb Anthelia sofort zurück. Durch diese Kammer konnten sie nicht mehr entkommen. Sie landete und rückvergrößerte die beiden Mitschwestern weit genug fort von dem glühenden Raum.
"Die Decke wird bereits durchlässig. Aber die Risse sind zu klein und die Ränder zu heiß, um sie in fester Form zu passieren", sagte Anthelia zu Pandora. Da fiel ein größeres Stück gestein aus der Decke. Es blitzte blau und rot wie Elmsfeuer.
"Wir können Alicia nicht hier lassen, wenn wir beide uns in Nebelgestalt zu retten versuchen, höchste Schwester. Da krachte es im Gang hinter ihnen, einmal, zweimal! Das waren jedoch keine herabfallenden Steine. Anthelia lauschte und erfaßte zwei Zauberer, die soeben im Gang appariert waren und die Ursache für den immer stärkeren Aufruhr der Erde finden und beseitigen wollten.
"Zwei Zauberer sind gerade appariert", sagte Anthelia. "Dann können wir wohl auch disapparieren." Pandora strahlte, als Anthelia das sagte und warf sich in die Disapparition. Anthelia wartete zwei Sekunden. Pandora tauchte nicht mehr auf. Also stand der schnelle, magische Fluchtweg offen. Sie konzentrierte sich und disapparierte in Richtung Daggers-Villa, gerade als unter ihr der Boden der Länge nach aufriss und eine Flut aus Lava in den Gang hinausbrach.
Anthelia und Pandora trafen im Abstand von zwanzig Sekunden in der Daggers-Villa ein. Dort erwartete sie Patricia freudestrahlend. Doch als sie hörte, daß sie das Schwert nicht bekommen hatten und Voldemort nun damit herumlief erbleichte sie.
"Er wird, wie wir ihn kennen, bald von seiner neuen Macht Gebrauch machen. Das werden wir mitbekommen", sagte Anthelia. "Bis dahin müssen wir uns überlegen, wie wir ihm das Schwert abspenstig machen oder ihn tatsächlich töten können."
"Vorerst sollten wir uns um Alicia kümmern", sagte Pandora. "Dein Fluch hat sie völlig hilflos gemacht."
"Natürlich übernehme ich das", sagte Anthelia. Als sie einige Zeit später in ihrer angelegten Zaubertrank-Hausapotheke gefunden hatte, wonach sie suchte, hörte Patricia die quängelnden Gedanken Alicias:
"Nein, diese Demütigung werde ich mir nicht gefallen lassen, Anthelia."
"Du mußt leben, Schwester Alicia. Dein Wissen um das Schwert ist für uns nun wichtiger denn je. Also stell dich nicht so an und genieße es. Das Privileg wird so bald keiner haben." Patricia schmunzelte. Dann sagte sie zu ihrer Mutter:
"Ich bin froh, daß du wieder da bist, Mutter und Schwester. Aber ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit, um uns zu freuen."
"Fürchte ich auch.
Angus McFusty ärgerte sich maßlos, weil er sich bei der Sache mit den Kriegsmuggeln, wie er sie nun nannte einen gehörigen Krach mit dem Zaubereiministerium eingehandelt hatte. War am Anfang noch die Rede davon gewesen, seinen Anspruch auf Entschädigung für die getötete Morrighan zu berücksichtigen, hatte er nun vier Klagen gleichzeitig am Hals, eine wegen Entführung von Muggeln, eine wegen mutwilliger Provokation ausländischer Zauberer, weil damit das amerikanische Zaubereiministerium auf den Plan gerufen worden war, dann noch eine wegen Verletzung der ihm anvertrauten Aufsichtspflicht im Bezug auf die schwarzen Hebriden und nicht zu vergessen die Klage wegen mutwilligen Verstoßes gegen die internationale Geheimhaltungsverordnung der Zaubererwelt. Wenn er Glück hatte, kam er mit einer Geldstrafe davon, die bestimmt eines der zwei Verliese in Gringotts ratzekahl leerräumen würden, oder er wanderte zu solch sympathischen Zeitgenossen wie Lucius Malfoy nach Askaban, schlimmstenfalls für zwei ganze Jahre. Dementsprechend mißmutig marschierte er nun über die größte der unortbaren Inseln der Hebriden und blickte sich um. Die von ihm befürchteten Revierübernahmekämpfe der Drachen hatten noch nicht angefangen. Morrighan hatte ihre Nachbarn sehr gründlich auf Abstand gehalten. Immerhin hatten sie ihre Eier gefunden und brüteten sie nun in Torföfen aus, um ihren Nachwuchs am Leben zu halten.
Das laute Brüllen eines kapitalen Männchens alarmierte McFusty. Er wandte sich in die Richtung, aus der das Gebrüll gekommen war und sah das Drachenmännchen genau auf ihn zufliegen. Dann sah er noch einen stattlichen Drachen anfliegen. Warum trafen die sich hier. Er wußte, daß er nur noch wenig Zeit hatte, um zu disapparieren, bevor die Drachen ihn als Mittagessen auswählen konnten. Dann sah er etwas, das ihn erst an seinem Verstand zweifeln ließ. Auf einem der Drachen, die sich gerade trafen ritt ein Mensch. Sowas hatte es in der ganzen Geschichte der McFustys noch nie gegeben. Drachen waren keine Reittiere und trugen Menschen wenn überhaupt, in winzige Stücke zerkaut in ihrem Magen herum und nicht auf dem Rücken. Dennoch konnte McFusty nicht leugnen, einen hageren Mann auf dem Rücken eines Drachens zu sehen. Er griff nach seinem Fernrohr und spähte hindurch. Durch das, was er nun erkannte traf ihn beinahe der Schlag. Auf einem der größten männlichen Drachen, fest in einem ledernen Sattel, der mit einem Eisengestel am scharfen Rückenkamm befestigt war, saß, bleich und Hager mit einem haarlosen Schädel, aus dem glutrote Augen siegessicher hervorlugten, der, dessen Name nicht genannt werden durfte. Er lachte, während er mit einer Hand am Sattelknauf und mit der anderen Hand ein Schwert schwang, dessen Klinge aus lodernden Flammen bestand. Er schien dem Drachen etwas zuzurufen, wobei seine Zunge schlangenhaft flatterte.
"Er gibt dem Drachen Befehle", dachte McFusty und verlor fast die Besinnung. Er sah, wie der Unnennbare mit seinem brennenden Schwert einem Drachen nach dem anderen zuwinkte und einen immer größeren Schwarm von ihnen um sich scharte.
"Das muß der Zaubereiminister sehen", dachte McFusty und disapparierte. Doch als er nach vielen bangen Minuten mit einem sichtlich mißmutigen Minister Scrimgeour zurückkehrte waren die Drachen und ihr unheimlicher Befehlshaber nicht mehr zu entdecken.
"Angus, ich fürchte, jetzt hast du es übertrieben", knurrte der ehemalige Aurorenchef und Nachfolger von Cornelius Fudge.
"Minister Scrimgeour, ich habe es gesehen. Es war Sie-wissen-schon-wer. Er ritt auf Dagda wie auf einem Abraxarieten und hatte ein flammendes Schwert in der rechten Hand, mit dem er anderen Drachen zugewunken hat. Er kann ihnen Befehle geben, Sir."
"Angus, nach den Sachen, die du dir in den letzten Tagen geleistet hast wirst du es uns nicht übelnehmen, daß wir dir das nicht abkaufen können", sagte Scrimgeour. Dann fügte er hinzu: "Selbst Sie-wissen-schon-wer kann einem Drachen keinen Befehl erteilen. Und was soll das bitte für ein Schwert gewesen sein?"
"Es ist eine Feuerklinge, Sir. Vielleicht hat er dadurch Macht über Drachen bekommen. Ich fürchte, er wird uns damit angreifen", beteuerte McFusty.
"Angus, das ist unmöglich, und du weißt das. Es gibt keinen Zauber, der einen Drachen unterwerfen kann. Selbst Imperius wirkt nicht bei der magischen Panzerung. Wie soll denn da ein Feuerschwert eine ganze Gruppe von Drachen zusammentreiben, wo du noch besser als wir anderen weißt, daß die Hebriden wie die walisischen Grünen und andre Drachen nicht näher als einen Kilometer aneinander herankommen dürfen, ohne daß es gleich zu blutigen Kämpfen kommt", grummelte der Zaubereiminister. Er hatte im Moment weiß der Himmel größere Probleme als einer Phantasterei ... Moment, das mochte es sein. Er fürchtete, der alte McFusty sei von jenem, dessen Name nicht genannt werden durfte unter den Imperius-Fluch gestellt worden, um den Zaubereiminister auf diese Insel zu locken. Blitzartig schnellte er herum und schockte den völlig unvorbereiteten Angus.
"Bringt Ihn ins St.Mungos zur Beobachtung, ob er weitere Auffälligkeiten zeigt!" Befahl er seinen zehn Leibwächtern. Dann kehrte er mit fünf von ihnen in das Ministerium zurück. Ja, das war es wohl. McFusty hatte unter dem Bann des Imperius-Fluches oder eines anderen Zaubers Unruhe stiften wollen, die Zaubereröffentlichkeit glauben zu machen versucht, er, dessen Name nicht genannt werden durfte, habe nun Macht über Drachen.
Die nächsten Tage vergingen, und nirgendwo ereignete sich ein Zwischenfall, der darauf hindeutete, daß der schottische Drachenhüter recht gehabt hätte. Merkwürdig war nur, daß seine Kinder und Kindeskinder bei einer von der Tierwesenbehörde erhobenen Zählung an die zwanzig Drachen nicht mehr aufgefunden hatten, darunter besagten Dagda. Doch es geschah ja nichts was mit Drachen zu tun hatte. Zumindest geschah es nicht auf britischem Boden.
Voldemort genoss es, eine Streitmacht aus nun dreißig drachen anzuführen. Eigentlich hatte er vorgehabt, dem englischen Zaubereiministerium einen empfindlichen Schock zu versetzen und die von Yanxothars Klinge kontrollierten Bestien über Muggelstädte herfallen zu lassen. Doch dann hatte er eine bessere Idee gehabt. Er wollte seinem neuen Freund Igor aus Russland zeigen, wie stark er nun geworden war und ihm bei der nächsten Gelegenheit anbieten, doch noch etwas umgänglicher zu werden. Denn der Besuch einer weißen Fledermaus auf britischem Boden, die einen von Voldemort kultivierten Dunkelmondvampir heimgesucht und ihn getötet hatte, nahm er nicht gerade als vernachlässigbaren Scherz hin. Dreißig Drachen mal eben in kleinere russische Siedlungen einfallen zu lassen war da die gescheite Antwort, bevor dieser Vampirhasser Bokanowski meinte, seine Züchtungen regelmäßig ins Ausland zu schicken und damit Unruhe unter Voldemorts bleichen Vasallen zu schüren. An der polnisch-russischen Grenze heftete er seinem bisherigen Reittier Dagda einen Zettel an die rechte Flanke, einen Brief, den der Drache direkt zu Igor Bokanowski bringen sollte, er möge sich doch darauf besinnen, mit wem er Freundschaft oder Feindschaft pflegen wolle. Die restlichen Drachen kommandierte er im Stil eines Generals mit brennendem Schwert so, daß zwei von ihnen gleichzeitig in kleinere Ansiedlungen hinabstoßen und dort so viel Schaden wie möglich anrichten sollten. Das würde Bokanowski und die russische Zaubererwelt ganz schön durcheinanderbringen. Womöglich würde er dann bald von seinem neuen Partner einen Brief bekommen, daß man auch friedlich miteinander klarkommen könne und nicht gleich zu derben Sachen greifen müsse. Voldemort genoss es seit seinem Debakel auf dem Drachenturm von Hogsmeade, diese sonst so unbeherrschbaren Bestien nach seinem Willen anzuleiten. Als er sämtliche Drachen in Marsch gesetzt hatte apparierte er zunächst in der Nähe seines Hauptquartiers, dem Haus seiner Muggelgroßeltern. Was konnte er jetzt noch alles ausprobieren? Er hatte herausbekommen, daß das Schwert im brennenden Zustand nicht nur Gestein wie warme Butter durchschneiden konnte, sondern das härteste Metall durchhauen konnte. Hieß es bei Phlegethon nicht auch, man könne damit Vulkane ausbrechen lassen? So reiste er in die Nähe eines schon für erloschen gehaltenen Vulkanes an der nordamerikanischen Westküste und befahl mit brennendem Schwert:
"Feuer aus der Erde, komm herauf und brich aus! Feuer aus der Erde, komm herauf und brich aus!" Es dauerte einige Minuten, bis der Boden merklich zu beben begann. Dann erzitterte der Berg, auf den Voldemort sein neues Spielzeug richtete. Dann, mit einem lauten Knall, flog der oberste Teil des Gipfels in die Luft, und eine mehrere hundert Meter breite und mehr als einen Kilometer hohe Feuersäule donnerte in den Himmel hinauf, umrahmt von wilden elektrischen Entladungen. Was für ein Bild! Was für ein herrlicher Anblick! Doch als die hochgeschleuderten Gesteinsbrocken drohten, den Vulkanbeschwörer zu treffen, zog sich Voldemort ganz hurtig zurück. Also das mit den Vulkanen ging auch. Womöglich konnte er sogar mitten in London einen Vulkanausbruch herbeiführen. Welch eine herrliche Macht gab ihm doch dieses Schwert Yanxothars!
Nachdem er einen Tag nach seinem Vulkanzauber im Tagespropheten lesen konnte, daß die nordamerikanischen Zauberer einer unerklärlichen Magieentladung an einem seit 1832 für erloschen gehaltenen Vulkan auf die Spur kommen wollten, grinste er. Er konnte nun überall auf der von Feuer erfüllten Erde Chaos und Zerstörung heraufbeschwören, ja einfach danach rufen. Wann wolte er dem neuen Zaubereiminister, besser gleich der ganzen Zaubereikonföderation seine Bedingungen diktieren? Wollte er vielleicht mal ausprobieren, ob er an Dumbledores Phönix herankam und den Vogel dazu bringen, seinem widerlichen Herren untreu zu werden, um nur noch Voldemort zu dienen? Doch nein, er war Lord Voldemort. Einer wie er gab sich doch nicht mit einem schlichten Vogel ab, wenn er gefährliche Drachen kriegen konnte, sogar solche, die auch eingeschrumpft und unter Menschen gehalten werden konnten. Er verzog sein Gesicht zu einem dämonischen Grinsen. Es wurde Zeit, eine offene Rechnung mit einem gewissen Señor aus Peru zu begleichen.
Alicia bedankte sich bei Patricia Straton, als sie es endlich geschafft hatte, den Regerio-Zauber erfolgreich anzuwenden und die einsiedlerische Hexe aus Peru ihre bereits erreichte Größe und Statur wiedererlangt hatte. Anthelia, deren Oberweite in den letzten Tagen durch die fortwährende Einnahme von Nutrilactus-Trank enorm vergrößert worden war, sagte zu ihr:
"Ich hoffe, du weißt jetzt, daß ich zu dem stehe was ich sage und tue, Schwester Alicia. Und ab jetzt solltest du mich wieder höchste Schwester nennen, wenn du nicht willst, daß ich dich endgültig aus meiner Obhut verstoßen und als Findelkind vor einem Nonnenkloster aussetzen soll."
"Das wirst du nicht wagen, höchste Schwester. Außerdem reicht mir deine Fürsorge der letzten Tage. Ich werde wohl keine Nacht mehr schlafen, ohne davon zu träumen, daß du mich dazu genötigt hast ..."
"Dich zu sättigen, Schwester Alicia? Das gehörte zu der Verantwortung, die ich für dich übernommen habe, solange du durch meine Macht hilflos und schwach warst."
"Dann nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich deine Zeit nicht länger beanspruchen werde", sagte Alicia und zog die für sie zurechtgelegte Kleidung an. Anthelia nickte. Mit einem lauten Knall verschwand die peruanische Hexe.
"Er ist noch schlimmer als diese durch Einsiedelei um alle guten Manieren gebrachte Hexe", sagte Anthelia zu Patricia Straton.
"Was machst du nun, wo du sie nicht mehr füttern mußt, höchste Schwester?"
"Ich habe den Gegentrank schon fertig. In unserer Heilerausbildung mußten wir Hexen beide Tränke brauen, weil es damals durchaus passieren konnte, daß wir Waisenkinder versorgen mußten und keine Stunde länger als nötig mit übergroßen Brüsten herumlaufen wollten. Hast du Rominas Bericht über den Vulkanausbruch mit den Sachen verglichen, die mir der Junge Cecil zugeschickt hat?"
"Die Muggel vermuteten eine sogenante Magmablase, die durch Kontinentalplattenverschiebung genau unter den Vulkan geraten ist und eine Schwachstelle im Gipfel gefunden hat. Immerhin hat es bei dem Ausbruch keine Toten gegeben. Offenbar wollte er nur testen, ob er das hinbekommt, einen Vulkan zum Feuerspeien zu kriegen."
"Das ist wohl wahr", knurrte Anthelia. "Wir unterhalten uns gleich noch darüber, wenn ich meine Ammenbereitschaft wieder aufgekündigt habe", sagte Anthelia und verschwand für einige Minuten, um dann so wie früher aussehend zurückzukehren. "Es ist doch etwas belastend, üppiger zu sein als gewöhnlich", sagte sie. Dann sprachen sie noch über den nach Jahrhunderten erwachten Vulkan, der einen zweiminütigen Ausbruch hinter sich hatte, sowie das, was sie aus England und Russland hörten. Im weiten Land des ehemaligen Zarenreiches wüteten wie toll dreinschlagende und brandschatzende Drachen. Nicht daß Drachen jemals sehr friedlich und behutsam gewesen wären. Doch wenn vierzehn Paare streitlustiger Drachen über unschuldige Menschen herfielen machte das schon einigen Aufruhr.
"Warum Russland und nicht England oder Irland?" Fragte Anthelia verstimmt. "Immerhin waren das schwarze Hebriden und keine ukrainischen Eisenbäuche oder chinesischen Feuerbälle oder kaukasische Klauenflügler."
"Ich denke, Höchste Schwester, daß dein Duellierpartner seinem Freund Igor Bokanowski imponieren will. Vielleicht will er auch nur ausprobieren, wie lange Drachen einem mit dem Schwert gegebenen Befehl ausführen, wenn der Befehlshaber nicht in der nähe bleibt. Kann auch sein, daß er die Schuld für die marodierenden Drachen Bokanowski in die Schuhe schieben will."
"Ich denke, das mit dem Imponieren trifft eher zu, Schwester Patricia. Es wird wohl auch so sein, daß er Bokanowski zu verstehen geben will, daß dieser ihm nun unterlegen ist. Bleibt also abzuwarten, ob dieser tolldreiste Waisenknabe sich damit einen starken Verbündeten oder einen zusätzlichen Feind heranzüchtet. In beiden Fällen haben wir nichts zu lachen. Nachdem, was wir nun über diesen Bokanowski wissen, experimentiert er sehr gerne mit lebenden Wesen herum, um neue Ungeheuer zu züchten und hinter das Geheimnis meiner Tante zu kommen, wie die Entomanthropen erschaffen wurden."
"Ich denke, wenn sich der Emporkömmling ausgetobt hat, wird er seine neue Macht zielgerichteter nutzen", sagte Patricia Straton.
"Das ist wohl so sicher wie die Dunkelheit zur Nacht gehört", seufzte Anthelia. Sie war schon etwas betrübt, daß sie diesen Wahnsinnigen nicht ein für allemal unschädlich gemacht hatte, als sie die Gelegenheit dazu hatte. Nun war Voldemort auch noch gegen den Todesfluch immun und konnte Vulkanen und Drachenhorden befehlen, an jedem von ihm gewünschten Ort der Welt zu wüten.
Voldemort hatte bewußt eine Woche abgewartet, nachdem er die Drachen nach Russland geschickt und den Vulkan wachgekitzelt hatte. Wenn dieser Vientofrio gute Kontakte hatte, würde er nun wissen, daß da jemand war, der die toten und lebendigen Mächte des Feuers kontrollieren konnte. Vielleicht würde ihn der Schock dann nicht so heftig umhauen, wenn Voldemort ihm das brennende Schwert des Yanxothars unter die Nase hielt.
Wie schon einmal apparierte er mitten in den Anden und prüfte sofort nach, ob er in jenem goldenen Kreis aufgetaucht war, der als Locattractus-Zauber wirkte. Er hatte sein neues Machtinstrument unter dem Umhang verborgen. Er wollte Vientofrio eine halbe Minute der Siegessicherheit geben. Er hörte in der Ferne das Brüllen der hier hausenden Viperzähne. Hoffentlich kam dieser mit einem Drachen verschmolzene Diego persönlich, um seinen Gast zu begrüßen. Sonst mußte er sein Schwert früher hervorholen und die ihn behelligenden Drachen zurückpfeifen, und das würde diesen überheblichen Mistkerl warnen und ihm, Voldemort, den ganzen Spaß verderben. Er genoss es, daß er mit seiner Parselfähigkeit und dem Feuerschwert jeden noch so wilden Drachen in einem einzigen Atemzug in ein willfähriges Geschöpf verwandeln konnte, natürlich nur für seine Zwecke. Er belegte sich mit dem Illusionsdurchdringungszauber und blickte zunächst gelassen dem anfliegenden Drachen entgegen, bis dieser ein schnarrendes Gelächter von sich gab, das diesen Geschöpfen nicht von Natur aus möglich war.
"Hast du dich verirrt oder wolltest du wen bestimmten treffen, Voldemort?" Gröhlte der Drache und landete. Innerhalb von fünf Sekunden stand Diego Vientofrio vor Voldemort und lachte immer noch. "Du kommst gerade richtig. Meine Frau hat wieder Eier gelegt und muß von uns mit Futter versorgt werden. Den mächtigsten Magier aller Zeiten zu fressen wird ihr wohl noch lange freude bereiten, vor allem, wenn in jedem meiner Kinder ein Stückchen von dir mitwächst. Na, wie findest du das?"
"Hast du eigentlich in der letzten Woche mal Zeitung gelesen oder dich mit anderen Zauberern unterhalten, Diego? Wenn du so in die Natur der Drachen aufgehst hast du bestimmt von dem lauten Knall gehört, der an der Küste von Alaska zu hören war oder daß wohl ein Kegelverein schwarzer Hebriden einen Ausflug nach Russland gemacht hat."
"Ach, du willst mir doch nicht etwa erzählen, du hättest das angestellt, Voldemort. Wie denn? Willst du mir jetzt erzählen, daß du doch an diese sagenhafte Waffe von Yanxotahr rangekommen bist?" Erwiderte Diego Vientofrio lachend. Voldemort grinste, ließ seine rechte Hand unter den Umhang gleiten und holte das magische Schwert mit der goldenen Klinge hervor. Diego erstarrte und betrachtete das Schwert mit steigendem Unbehagen.
"Kuck dir das ruhig an, Drachenmann! Das ist die Klinge des großen Feuermagiers Yanxotahr, und ich habe sie mir geholt. Da bist du wohl platt. Aber pass mal auf, was die alles kann! Faianshaitargesh!" Mit lautem Fauchen schossen Flammen aus der Schwertklinge und verlängerten sie auf fast zwei Meter. "Werde wieder zum Drachen. Einen verlotterten Einsiedler kann ich wohl kaum als angemessenes Reittier nutzen", sprach Voldemort mit auf Diego weisender Klinge. Dieser krümmte sich vor Schmerzen, versuchte, seinen Kopf von der brennenden Klinge fortzudrehen. "Wirst du wohl deinen Paradekörper annehmen! Los, nimm deine erwählte Gestalt an!"
Diego Vientofrio fühlte, daß er diesem Befehl nichts entgegenzusetzen hatte. Mit dem Entflammen des Schwertes hatte ihn eine unüberwindliche Kraft gepackt, die jedes Wort dessen, der das Schwert trug tief in ihn eindringen ließ. So wurde er wieder zu jenem Drachen, mit dem er sich magisch verschmolzen hatte. Als Voldemort ihm dann einen Sattel mit Breiten Riemen auflegte und aufsaß, fühlte Diego, daß er im Moment keine Wahl hatte als zu tun, was dieser Größenwahnsinnige von ihm verlangte. So erhob er sich, als Voldemort ihm dazu den Befehl gab und flog aus seinem Revier davon.
Stundenlang flog er so dahin, bis sie den Atlantik erreichten. Diego ahnte, daß er nun gezwungen werden sollte, über den Ozean zu fliegen, um zu Voldemorts Heimat zu fliegen. Dann glitten sie auch schon über das Meer. Doch unterwegs fühlte Diego, wie sein Widerstand erwachte. Er war doch kein ordinärer Drache. Er war doppelt so mächtig wie ein Viperzahn und obendrein ein intelligenter Zauberer, der sich doch nicht von so einem Schwert niederhalten lassen mußte. Er wurde wütend, weil er nicht sofort dagegen hatte ankämpfen können. Doch nun, wo Voldemort ihm seit einer halben Stunde keinen Befehl mehr erteilt hatte, entsann er sich, daß er sich möglichst bald von diesem verruchten Kerl freimachen mußte. Aber dieses Schwert? Es war wirklich mächtig, fand er. Damit ließen sich die rein tierhaften Drachen mühelos herumkommandieren. Nein, das konnte er seiner neuen Sippschaft nicht antun, daß solch eine Waffe in den Händen eines derartigen Barbaren blieb. Aber wie konnte er es verhindern, daß Voldemort, der gerade stolz wie ein König mit brennendem Schwert auf ihm hockte, weitere Drachen zu seinem Dienste rief?
"Na, kannst du noch, Diego?" Fragte Voldemort scheinheilig. "Du bist nicht gerade langsam. Aber ich fürchte, wir müssen unterwegs zwischenlanden, damit du fressen und schlafen kannst. Die Muggel haben hier irgendwo einen sogenannten Flugzeugträger. Da kannst du locker drauf landen und dich satt fressen."
"Das ich dich nicht gleich an einem Stück runterschlucke und höre, wie du in meinem Magen elendig verreckst", dachte Diego. Doch das war eine gute Idee mit dem Flugzeugträger. Dort würde er Voldemort und das Schwert loswerden. Denn er hatte gehört, wie ein solches Superkriegsschiff in einen Vorfall mit einem fünfhundert Jahre alten Drachenweibchen von den Hebriden verwickelt gewesen war. Die Flugmaschinen hatten ihr nicht viel anhaben können, bis jemand sich ihr direkt ins Maul gestürzt hatte. Vielleicht wußte Voldemort das nicht.
Sie flogen noch drei Stunden, bis sie ein sehr großes Schiff unter sich ausmachten. Diego fühlte das leichte Prickeln das hochenergiereiche Taststrahlen auf seinem Schuppenkleid verursachten. Es war wie das herrliche Bad in einer stark aufgeladenen Gewitterwolke. Er wartete den Befehl ab, auf diesem Schiff niederzugehen. Fauchend und heulend rasten starrflügelige, nach hinten hin Feuer speiende Eisenvögel an ihnen vorbei. Einige drehten bei und flogen auf sie zu. Der Tanz konnte also beginnen.
"Lass die in Ruhe, die können dir nichts!" Befahl Voldemort. Doch Diego dachte nicht daran, die nun scharenweise anfliegenden Maschinen zu ignorieren. Er hielt sogar auf welche zu, öffnete kurz das Maul, um eine Stichflamme nach einer Maschine zu speien.
"Habe ich dir nicht gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen? Lande sofort oder ich werde dir im Namen Yanxothars befehlen, dich ins Wasser zu stürzen und dich selbst zu ersäufen", krakehlte Voldemort, als gerade ein Kampfjet heranflog und das Feuer aus der Bugkanone eröffnete. Diego schnellte hoch und übersprang den Düsenjäger elegant. Dann stieß er rasch zum Deck des Flugzeugträgers hinunter und landete umschwirrt von Flugabwehrgeschossen, die knapp vor ihm zerplatzten polternd vor dem Startkatapult. Sirenen heulten Schiffsweit, während die gerade noch fliegenden Maschinen wie Aasgeier über dem Mutterschiff kreisten.
"Okay, nimm dir, was du brauchst!" Rief Voldemort vergnügt und glitt von Diegos Rücken herunter. Der Drache tat so, als wolle er die Gruppe auf ihn zustürmender Marineinfanteristen mit einem Haps in Stücke beißen oder mit einem breiten Feuerstrahl anbraten. Dann warf er sich unvermittelt auf den Rücken, wälzte sich einmal, zweimal. Dann war er den demütigenden Sattel los. Er war kein Pferd und schon gar kein Muli. Voldemort erkannte, daß der Drache offenbar bockig wurde. Er sprang auf Diego zu und hielt ihm das Schwert unter die Nase.
"Du hast zu gehorchen, Bestie!" Knurrte er. "Schaff uns die Kerle da vom Hals und dann leg dich auf den Rücken!" Befahl Voldemort, als bereits die ersten Schüsse krachten. Sie schlugen zwar in Diegos Schuppenpanzer ein, taten ihm aber kein weiteres Leid an. Der dunkle Lord zog seinen Zauberstab, um die lästig werdenden Soldaten mit Flüchen zurückzutreiben oder zum Zeitvertreib schnell hintereinander einige von ihnen totzufluchen. Dabei ließ er das Schwert leicht sinken, so daß die Klinge den Boden berührte und sofort darin einsank. Diego fuhr herum und blies den Verteidigern des Schiffes eine breitfächernde Lohe entgegen, die den ersten voll erwischte und beinahe sofort verkohlte. Die übrigen Verteidiger des Schiffes wichen zunächst zurück. Doch sie würden wieder angreifen. Diego warf sich herum und sah zufrieden, das Voldemort die brennende Klinge noch etwas tiefer in den Boden versenkt hatte. Mit einem kurzen Schnauben stieß er vor und prällte den schwarzen Magier so heftig zurück, das er über ein Viertel des Landedecks zurückrutschte. Dabei entglitt ihm das Schwert, das bei dem Manöver eine lange Furche in den Boden grub, der aus leckerem Teer zu bestehen schien. Diego nahm all seine Kraft zusammen, als die Klinge zu brennen aufhörte und nun fest im Boden steckte und packte den Griff mit den Vorderzähnen. Er zog es mühelos heraus und startete durch, vorbei an den kreisenden Flugmaschinen, die sofort das feuer auf ihn eröffneten. Da diego wußte, daß es so gut wie unmöglich war, auf ein fliegendes Objekt zu apparieren, machte er sich keine großen Sorgen, daß der immer noch benommene Voldemort auf dem Schiff wieder auf ihn aufspringen konnte. Er schlug zwei Haken, um die ihn beharkenden Jets noch etwas zu foppen und brauste dann los. Wann war er das letzte Mal eigentlich so lange geflogen? Über Wasser zu fliegen machte ihm nichts. Aber wenn er bedachte, daß er dort womöglich landen mußte behagte ihm das nicht. Das Schwert zwischen seinen Zähnen begann zu pulsieren. Etwas darin schien sich gerade aus einem langen Schlaf zu erheben. Sollte er es hier gleich ins Meer fallen lassen? Nein, dann konnte wer immer danach tauchen. Er mußte es dort unterbringen, wo nur ein Drache es finden und holen konnte. Doch dazu mußte er schnell landen und sich in einen Mann zurückverwandeln, damit er apparieren konnte. Er ließ sich fallen, sah die graue, wogende See auf ihn zurasen. Dann platschte es, und er war im Wasser. Er legte seine rechte Vorderpranke an das Schwert und verwandelte sich durch einen Gedanken zurück in seine menschliche Gestalt. Über ihn donnerten die Jets hinweg, die ihn jetzt, wo er wieder geflogen war, besser abschießen konnten, wie die, die da drinnen saßen sich einbildeten. Im Wasser zu disapparieren war zwar nicht gerade empfehlenswert, wußte Diego, Doch was blieb ihm anderes übrig. Knapp schaffte er es, sich in das viel zu enge Nichts hineinzudrehen. Gurgelnd füllte Wasser das plötzliche Vakuum aus, das Diego bei seiner magischen Abreise hinterlassen hatte. Dann war von ihm nichts mehr zu sehen.
Voldemort fand langsam wieder zu sich. Der verfluchte Drachenmann hatte ihn reingelegt. Das Schwert! Er sah sich um und konnte sein neues Lieblingsspielzeug nicht mehr sehen.
"Wer immer Sie sind, Hände hoch und ganz langsam aufstehen!" Blökte ihn ein bulliger Marine mit auf ihn deutender Maschinenpistole an. Offenbar erschrak sich der Kerl nicht einmal vor seinem Gesicht, wo die halbe Zaubererwelt doch schon einen Herzanfall bekam, wenn sein Bild in der Zeitung auftauchte.
"Nette Nummer mit dem Drachen und dem Feuerschwert, Mister. Aber Halloween ist erst in zwei Wochen. Aufstehen!"
"Niemand befiehlt Lord Voldemort, und schon gar kein hohlköpfiger Muggel!" Schnarrte der dunkle Lord und wollte seinen Zauberstab ergreifen.
"Ö-öhm, schön die Hände hochnehmen, oder es knallt, Mister!" Blaffte der Marine mit drohend auf Voldemort deutender MP. Dieser ließ sich für eine Sekunde darauf ein und hob die Hände. Doch dann dachte er: "Accio Zauberstab!" Schwirrend sprang ihm der Zauberstab in die rechte Hand. In einer schnellen Drehbewegung verpaßte er dem Marine, der jetzt doch merkwürdig dreinschaute den Todesfluch und disapparierte. Als die elektronischen Anlagen nach dem Drachenanflug wieder arbeiteten, trafen bereits die ersten Zauberer von der Abteilung für Zaubereikatastrophen ein. Später stellten sich auch Mitglieder der Tierwesenbehörde ein und verhörten die Besatzung. Sieben Männer waren bei Voldemorts Zwischenlandung getötet worden. Doch die Berichte von dem Drachen, der ein brennendes Schwert gestohlen hatte, waren wesentlich alarmierender. Doch dazu bestand kein Grund. Denn die Tatsache, das der Drache das Schwert gestohlen hatte, welches Voldemort mitgebracht hatte war ein Segen für die Menschheit.
Da kommst du hin", sagte Diego zu dem immer wilder pulsierenden Schwert. Er wußte nicht, wie lange er es unbeschadet berühren konnte, hatte er doch von José Garmapack erfahren, daß es eine eigene Seele besaß. Sicherlich würde es wütend sein, weil Voldemort es einfach so benutzt hatte. Er verwandelte sich wieder in den peruanischen Viperzahn, nahm das Schwert mit der rechten Vorderpranke auf und stürzte sich hinab in den glühenden Lavasee des einsamen Vulkans auf einer der kleineren Inseln Hawaiis. Madame Pele, die Feuergöttin und Königin der Vulkane, sollte jenes nette Schwert in ihre Obhut aufnehmen und erst wieder hergeben, wenn sie es für richtig hielt. Womöglich wußte sie schon, was Voldemort mit ihrer Macht angestellt hatte. Diego war eigentlich zum Christentum erzogen worden. doch dieser Heuchlerreligion, die Frieden predigte und doch so manchen Krieg befürwortete, hatte er bald abgeschworen. Da er nun ein Wesen des Feuers war fühlte er sich der polynesischen Feuergöttin verpflichtet und brachte ihr das Schwert Yanxothars als Ehrengabe dar. Tief im brodelnden Lavasee, der auf der Haut des Drachens ein angenehm warmes Gefühl verursachte, bohrte er die Klinge des feuerunempfindlichen Schwertes in die weiche Wand des Kraters hinein. Dort sollte diese verfluchte Waffe nun bleiben, unerreichbar für machtgierige Zauberer, die zu gerne mit dem Feuer spielten.
Voldemort war wütend und verzweifelt. Eine ganze Woche hatte er das Schwert besessen, eine schier unüberwindliche Macht. Warum hatte er sich ausgerechnet diesen Diego Vientofrio als Exempel seiner Macht ausgesucht? Hätte er nicht irgendeinen anderen, unintelligenten Drachen nehmen können? Gut, daß seine Todesser von dem allem nichts mitbekommen hatten. Diese Schande würde sein Ansehen ruinieren. Wie viele dann abtrünnigen Gefolgsleute mußte er dann töten, um sich wieder Respekt zu verschaffen. Doch sein Grimm war noch nicht beendet. Als er in seinem Versteck über die Schmach nachdachte flog ein zerzauster Uhu herein und trug ein Päckchen am rechten Bein, in dem es laut brummte und surrte. Wer zum Henker schickte ihm da vielleicht eine Ladung Hornissen? Er nahm das Paket vorsichtig ab. Die große Eule schuhute laut und flog wieder davon. Als er auf dem Päckchen las: "tt Freundschaft, Partner!" und daneben kyrillische Buchstaben erkannte, ahnte er, daß dieses "Geschenk" von Igor Bokanowski stammte. Vorsichtig löste er den kleinen Pergamentzettel aus den Bändern, mit denen das Päckchen verschnürt war. Dabei achtete er nicht auf den summenden Inhalt. Als er las:
"Hallo, Lord Voldemort! Es hat mich sehr gefreut, etwas wirklich originelles von dir zu hören. Das mit den Drachen war schon ein echt starkes Stück, daß du abgeliefert hast. Wozu war das gut? Wolltest du mir was damit sagen oder mir etwas anbieten? Nun, sogesehen wäre eine Kapitulationserklärung mit verbrieften Rechten auf deinem Territorium nicht so schlecht. Was die Drachen angeht. Wahrscheinlich wirst du es nicht mitbekommen haben, daß nicht die Drachenjäger des Zaubereiministeriums sie erledigt haben, sondern ich. Natürlich mache ich darum kein solches Aufsehen wie du mit deiner Aktion. Aber es gab mir die Gelegenheit, meine brandneuen Lieblinge an wirklich kapitalen Versuchsobjekten auszuprobieren. Ich habe dir mal einen von denen zugeschickt, damit du erkennst, daß der gute Dr. Bokanowski keinen Unsinn erzählt." Voldemort blickte auf das Päckchen. Ein ausgefranstes Loch klaffte an der Oberseite. Rasch blickte er sich um. Da schwirrte ein hühnereigroßer Käfer mit silbernem Panzer und violetten Flügeln herum, landete gerade an der Wand und brummte dann weiter. Das Insekt besaß, wie Voldemort sehen konnte, metallisch glitzernde Beißwerkzeuge, mit denen es sich wohl gerade aus dem Päckchen befreit hatte. Er nahm den Brief und las schnell: "Es ist mir gelungen, aus einigen natürlichen und magischen Insekten diesen schmucken Kerl zu kreieren. Ich nenne ihn Argentosus detonatus oder auch Krawummkäfer. Es war schon interessant, daß drei von denen gleichzeitig ausreichen, um einen kapitalen Drachen zu erlegen. Sie flogen ihm ins maul, ließen sich von ihm schlucken, verdauen und gaben dabei ihre bombige Vorstellung. Denn wenn einer meiner neuen Lieblinge stirbt, macht es sehr laut Peng, und unter Umständen ist da wo es Peng gemacht hat ein großer Krater im Felsgestein. Wie gesagt, wenn er stirbt. Öhm, übrigens, der, den ich dir zugeschickt habe hat ein Gift bekommen, das ihn tötet, wenn er nach dem Auspacken nicht sofort das Gegengift bekommt. Mit anderen Worten, mein Musterexemplar wird sich zwei Minuten nach dem auspacken selbstätig vernichten. noch mal danke für die Drachenschau und grüße meinen Namensvetter Dserschinski. Vielleicht kriegt er ja bald Besuch von meinen anderen Lieblingen. Schöne Grüße von Dr. Igor Bokanowski."
Voldemort fischte nach seinem Zauberstab. Wie lange würde diese fliegende Zeitbombe noch leben? Er ließ den Käfer im Fluge erstarren und trug ihn per Apparition aus dem Haus. Dann gab er ihn frei und verschwand rasch. Keine dreißig Sekunden später krachte es laut. Voldemort kehrte an die Stelle zurück, wo er den zugeschickten Krawummkäfer freigelassen hatte. Im Boden klaffte ein Krater von der Größe einer Badewanne. Das war deutlich. Bokanowski hatte der Drachenangriff nicht beeindruckt. Und nun, wo ihm dieser Diego sein Schwert entwunden hatte, konnte er nicht einmal angemessen reagieren. Wut und auch eine große Enttäuschung machten sich in ihm breit. Er hatte für eine Woche eine unüberwindliche Macht in Händen gehalten. Nur durch die Fehleinschätzung eines Gegners war sie ihm wieder entrissen worden. Hatte er großzügig dieser Hexe in Barty Crouches contrarigenisiertem Körper gedankt und ihr verheißen, was er nun alles anstellen würde, so war dieser hämische Wunsch für ihn zum Bumerang geworden. Wenn sie erfuhr, daß er das Schwert nicht mehr hatte, konnte sie triumphieren. Doch wer war sie nun wirklich?
Anthelia hörte von dem neuerlichen Drachenzwischenfall mit einem Militärschiff. Donata Archstone brachte ihr einen Tag danach die Neuigkeit und erwähnte auch, daß Minister Davenport dadurch sehr arg in Bedrängnis geraten sei. Anthelia bedankte sich und wartete, bis Donata wieder verschwunden war. Dann holte sie eine der verstaubten Weinflaschen aus einem der Regale in Daggers Weinkeller und lud die Stratons ein, mit ihr auf diesen unerhofften Ausgang der Affäre Feuerschwert zu trinken. Denn von Diego Vientofrio hatte Alicia ihr erzählt, als sie gerade keinen Hunger hatte. Der Zauberer hatte es riskiert, einen Drachen zu bändigen und war dadurch mit diesem verschmolzen. Mochte es also stimmen, daß Diego Voldemorts Siegeszug des Feuers in letzter Minute vereitelt hatte. Sie wußte, daß sie diesem Zauberer dafür dankbar sein mußte. Das hieß, sie würde sich schön weit von ihm fernhalten.
"Ich freue mich, daß keine von euch Ihr leben verloren hat", sagte sie schon leicht beschwipst. "Immerhin hat der Emporkömmling dieses Schwert nicht mehr, und ich will sofort zu Staub zerfallen, wenn der Drachenmensch es nicht irgendwo versteckt, wo nur ein Drache hingelangen kann, im Inneren eines Feuerberges."
"Das macht es für uns aber auch unerreichbar", sagte Pandora Straton.
"Ich muß wohl langsam einsehen, daß es besser ist, wenn manche Dinge unberührt bleiben", sagte Anthelia. "Wir können auch so genug bewirken."
Einige Tage später erfuhr sie, daß die von ihr eher als sehr rücksichtsvoll und gutmenschlich beschriebene Bruderschaft des blauen Morgensterns, besser einige abwegige Mitglieder davon, versucht hatten, eine ganze Sippe Hexen durch einen geächteten Fluch zu ermorden. Zum Glück waren die meisten Hexen ihm entgangen, weil sie rechtzeitig genug in einen todesähnlichen Zauberschlaf versenkt worden waren. Es hatte nur zwei Todesopfer gegeben, die weltgewandte Aurélie Odin und ihre Enkelin Claire Dusoleil. Bei letzterer machte Antehlia eine nachdenkliche Miene. Hatte sie in den Erinnerungen des Jungen Julius Andrews nicht gesehen, daß er diesem Mädchen sehr verbunden war? Dann mochte dieser wohl gerade eine sehr düstere Zeit durchmachen. Sie fragte sich, was sie das anging. Dann kam sie zu dem Schluß, daß das Schicksal des Jungen, dessen Vater von Hallitti versklavt worden war, irgendwann wieder den Weg ihres Schicksals kreuzen mochte. Innerlich hoffte sie sogar darauf, den Jungen für ihre Sache begeistern zu können. Denn er war sehr stark und gelehrig.
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