NEUE WEGE

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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© 2003 by Thorsten Oberbossel

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P R O L O G

Julius Andrews, der Sohn des Chemikers Richard Andrews und der Computerprogrammiererin Martha Andrews, ist nach dem tragischen Ende des trimagischen Turniers in der Zaubererschule Hogwarts Gast der Zaubererfamilie Dusoleil im französischen Magierdorf Millemerveilles, wo er vor den möglichen Nachstellungen des wiedergekehrten dunklen Lords Voldemort sicher sein soll. Er lernt mit sieben dort lebenden Hexen und Zauberern bei der Beauxbatons-Lehrerin Faucon die Abwehr dunkler Künste, wobei er sich mehrmals in merkwürdige Situationen begibt. Einmal verkleinert er sich und seine Mitschülerin Virginie Delamontagne aus Versehen auf eine Größe, daß er die sonst zu winzigen Bakterien mit bloßen Augen sehen kann. Ein zweites Mal läßt er sich freiwillig durch den Infanticorpore-Fluch in den Körper eines Neugeborenen zurückversetzen. Letzteres zeigt ihm jedoch sehr deutlich, daß er seiner Gastschwester Claire wohl nicht so gleichgültig ist, wie er ursprünglich vermutete.

Neben dem Unterricht bei Madame Faucon lernt er noch magische Techniken für die erste Hilfe bei der Heilmagierin Hera Matine, die ihn auch über ihr Spezialgebiet, Geburtshilfe und Säuglingspflege unterrichten will.

Auf Grund von lauten Überschallknällen über Millemerveilles, regt er an, das Dorf Millemerveilles gegen mögliche Angriffe mit Atombomben zu sichern und reist mit Madame Delamontagne nach Paris, um dies mit dem Zaubereiministerium abzuklären. Dabei trifft Julius Babette Brickston, bei deren Eltern seine Eltern gerade Urlaub machen, anscheinend in Unkenntnis, daß Catherine, Madame Faucons Tochter, auch eine Hexe ist.

Sein Geburtstag wird für Julius zum Ereignis, weil Madame Delamontagne seine Mutter Herholen läßt, die sich auch mit Madame Faucon und Catherine ausspricht. Julius' Schulfreundinnen Gloria und Pina, sowie die Hollingsworth-Schwestern, kommen auch. Pina verwickelt Claire in eine für Julius unsinnig erscheinende Zankerei. Doch später denkt er darüber nach, ob die beiden Mädchen nicht irgendwie mehr für ihn empfinden, als Freundschaft oder gastschwesterliche Aufmerksamkeit. Dies denkt auch Aurora Dawn, die australische Heil- und Kräuterhexe, die ebenfalls seiner Geburtstagsfeier beiwohnt.

Nachdem er das für Claire Dusoleil gebastelte Geburtstagsgeschenk, die echte Zauberlaterne, mit Erfolg überreicht hat, spielt er im Schachturnier von Millemerveilles und gewinnt nach anstrengenden Spielen, zuletzt gegen Madame Delamontagne, den goldenen Zaubererhut, die höchste Auszeichnung des Turniers. Ebenso schaffen Claire und er es wie im Jahr zuvor, beim Sommerball von Millemerveilles die goldenen Tanzschuhe zu gewinnen. Bei diesem Tanzabend trifft er auch wieder mit der anmutigen Fleur Delacour zusammen und lernt kurz Belisama kennen, eine Cousine seiner Ferienmitschülerin Seraphine. Diese fragt ihn, ob er nicht doch nach Beauxbatons wechseln wolle, wie Claire und seine Ferienmitschülerin Caro es bereits vorher getan haben. Es erscheint ihm merkwürdig, daß er offenbar für die jungen Hexen interessant genug sein soll, daß sie ihn gerne in ihrer Schule hätten, die er auf der Reise nach Millemerveilles kurz besuchen durfte, ihn aber eher abschreckte als einlud. Nach dem Tanz geht es wieder ins Haus der Dusoleils zurück. Zwar ist mit dem Ball das wichtigste Ereignis der Ferien vorbei, doch für Kurzweile ist gesorgt, da sich eine weltberühmte Expertin angekündigt hat.

Obwohl mit dem Schachturnier und dem Sommerball die wichtigsten Ereignisse vorüber sind, wird es in Millemerveilles nicht langweilig. Denn in den ersten Augusttagen besucht die weltberühmte Verwandlungskünstlerin Maya Unittamo das Magierdorf und zeigt Beispiele ihrer Kunst. Julius gefällt, daß die über neunzig Jahre alte Hexe viel Humor hat und sehr erfrischend auftritt und ihm zeigt, wie schön es ist, gut zaubern zu können. Eine Übungsstunde in Verwandlung, an der er teilnimmt, enthält auch ein magisches Experiment, in welche Tiergestalt sich jemand verwandeln könnte, wenn er oder sie ein Animagus werden wollte. Julius erfährt dabei, daß er grundsätzlich die Gestalt eines Elefanten annehmen könnte, Claire besitzt die innere Veranlagung, sich in einen Marienkäfer zu verwandeln. Doch diese Tiergestalten, so Maya Unittamo, sind nicht verbindlich.

Im Ferienunterricht zur Abwehr dunkler Künste lernt Julius auch die drei unverzeihlichen Flüche kennen und erschauert, als er sieht, wie der tödliche Fluch Avada Kedavra wirkt.

Gedanken macht sich Julius darum, was ihm die Dorfrätin Delamontagne und Madame Faucon sagen, nämlich daß sie ihn am liebsten in Beauxbatons weiterlernen sehen würden. Außerdem nimmt Jeanne ihn zu einer Quidditchübungsstunde mit, vor der sie jedoch mit ihm eröffnet, daß ihre Schwester Claire tatsächlich mehr für Julius empfindet, als Interesse an einem Gast aus dem Ausland. Julius weiß nicht, wie er damit umgehen soll und versichert nur, daß ihm nicht daran gelegen sei, Claire ein Leid zuzufügen. Innerlich vertraut er sich mit der Situation an, daß Claire ihn als ersten festen Freund, vielleicht als Geliebten auserwählt hat.

Als die Andrews nach London zurückkehren, erfährt Richard Andrews von den Hardbricks, daß seine Frau mit diesen in Hogwarts war. Da die Hardbricks selbst einen mit Zauberkräften begabten Jungen dort haben, obwohl sie dies nicht wollen, vertraut sich Paul Hardbrick Richard an, der darauf den Plan faßt, seine Frau aus dem Weg zu schaffen. Hierzu läßt er sie von seinem Freund Rodney Underhill, der an geheime Gerätschaften herankommen kann, mit einem besonderen Beschallungsgerät an den Rand des Wahnsinns treiben. Beinahe gelingt es, sie für längere Zeit in eine Klinik zu bringen. Doch die Zaubererwelt hat Richard unter Beobachtung und vereitelt den Plan. Der Chemiker flüchtet und übernachtet weit von London entfernt. Als er sich wieder nach Hause traut, legt ihm seine Frau zusammen mit der für Julius bestellten Fürsorgehexe June Priestley einen Eheauflösungsvertrag vor. Weil er weiß, daß er mehrere Verbrechen begangen hat, als er seine Frau in den Wahnsinn treiben wollte, gibt Richard nach und geht auf die Scheidungsbedingungen ein. Martha informiert Catherine Brickston über diese Wendung. Die macht ihr ein Angebot, welches Martha jedoch nur annehmen will, wenn Julius dazu befragt wird.

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Julius sah beunruhigt auf das Ungetüm, das hinter armdicken Gittern auf und abschritt, wie ein Tiger im Zoogehege. Es ähnelte einem Menschen, jedoch sah es so aus, als sei dieser aus grauem Zement zusammengeformt worden. Seine Haut ähnelte eher Schleifpapier, die Arme und Beine wirkten irgendwie kantig, und das Gesicht war eher grob geschnitten, ohne feine Linien oder vorstoßende Eigenheiten. Nur die Nase, die wie ein breiter Schnabel wirkte und die faustgroßen Kugelaugen, verliehen dem Gesicht einen gewissen Ausdruck. Alles in allem war das Geschöpf an die zweieinhalb Meter groß und mindestens anderthalb Meter breit. Mit mechanischen Schritten stampfte das Ungetüm auf dem Boden hinter der Gittertür herum. Julius schwieg in einer Mischung aus Unbehagen und Faszination.

Madame Faucon, die ihn und die übrigen Ferienschüler an diesem schönen Morgen des vierten Augustes in die Schattenhäuser von Millemerveilles mitgenommen hatte, um in den letzten Ferienwochen noch einige dunkle Geschöpfe zu besprechen, deutete auf das zementartige Ungeheuer und erklärte:

"Ich habe mir als erstes Objekt für unseren Überblick über dunkle Geschöpfe eine künstliche Kreatur ausgesucht. Dieses Wesen hinter den Gittern ist einer der ältesten Golems der Zaubererwelt. Er wurde wohl vor zweieinhalb Jahrtausenden in Babylon geschaffen und ist bei einem Krieg gegen verfeindete Nachbarreiche von Magiern gebannt worden, die gegen die babylonischen Herrscher kämpften. Vorher jedoch hat dieses Wesen hunderte von Menschen ermordet. Da damals nicht bekannt war, wie diese Art von Monstren vernichtet werden kann, wurde es mit zusammenwachsenden Felsen überschüttet und bis vor zweihundert Jahren dort gefangengehalten, bis Ausgrabungen es freilegten und ihm neue Beute zuführten. Denn bei diesem Golem handelt es sich um einen Mördergolem, ein Wesen, das stärker wird, wenn es jeden Tag ein Lebewesen umbringt. Mördergolems sind ausschließlich dazu geschaffen, Menschen oder Tiere zu töten. Wenn ihre Schöpfer sich nicht gut genug auskennen, können sie selbst zu Opfern solcher Kreaturen werden. Neben den Mördergolems kennt die Zaubererwelt noch die Sklavengolems, die geschaffen werden, um niedere Arbeiten oder Botendienste zu verrichten, sowie die Wächtergolems, die Orte und / oder Objekte beschützen und verteidigen. In jedem Fall gilt, daß ein solches Geschöpf mit verfluchter Erde, Menschenblut, Knochensplittern und einer festgelegten Zahl von animierenden Zaubersprüchen erzeugt werden muß. Welche Bestimmung ein solches Kunstwesen letztendlich erhalten soll, hängt von gewissen Zutaten bei der Schöpfung ab, auf die ich hier nicht näher eingehen werde."

Julius entsann sich, daß von soeinem Wesen einmal eine Legende umging, das von einem jüdischen Geistlichen in Prag geschaffen worden war, um die dortige Gemeinde von Juden vor Feinden zu schützen, dieses Wesen jedoch zu übermächtig geworden sei. Das erzählte er Professeur Faucon auch, als er von ihr die Sprecherlaubnis erhalten hatte. Sie nickte und fuhr fort:

"Die Kunde über die Schöpfung solcher Wesen wurde von den Babyloniern und Sumärern begründet und von Israeliten und Phöniziern aufgegriffen. Jener Rabbiner, von dem Sie sprachen, Monsieur Andrews, war nicht nur Geistlicher sondern auch ein Magier, der das alte Wissen studierte und anwandte. Offenbar war die Lage für die jüdische Gemeinde im damaligen Prag sehr kritisch, daß er auf dieses Mittel zurückgriff. Es funktionierte auch eine Zeit lang. Doch offenbar muß er bei dem Schöpfungsakt eine Kleinigkeit verpfuscht haben, sodaß aus dem Wächter ein Mörder wurde, der drohte, seine eigenen Herren zu töten. Da es damals keine so strickten Geheimhaltungsvorschriften gab, wurde die Angelegenheit lediglich so entschärft, daß es eine gern erzählte Legende wurde."

"Moment, Madame! Wie wurde denn dieser Golem damals besiegt?" Fragte Dorian.

"Nun der besagte Rabbiner wußte, daß er mit bestimmten Zauberformeln die Schöpfungsmagie umkehren konnte. Noch rechtzeitig schaffte er es, das von ihm geschaffene Wesen zu schwächen und seiner Lebenskraft zu berauben. Jetzt ist es nur so, daß Zauberer und Hexen, die mit solchen Wesen zu tun bekommen, das Schöpfungsritual nicht auswendig kennen und daher andere Wege beschreiten müssen", erläuterte Professeur Faucon. "Um einen Golem zu vernichten, reicht es nicht, ihn mit dem Dissolvetur-Artivivum-Zauber zu begegnen, da es kein aus reiner Magie bestehendes Geschöpf ist. Hierbei gelten drei Grundformeln, die anzuwenden aber ausschließlich nur denen vorbehalten bleiben sollte, die über genug Zauberpotential verfügen. Bei Ihnen wären das also im Moment Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Mademoiselle Seraphine Lagrange. Zwar sind Mademoiselle Delamontagne und Monsieur Andrews auch stark, aber um die Vernichtung eines Golems ohne eigene Schädigung zu schaffen, müßte ich vorher gewisse Proben durchführen. Daher möchte ich diese drei Zauber im Moment nur den beiden erwähnten Schülerinnen beibringen. Was aber die Abwehr eines Golems angeht, so gibt es da eine wirksame Zauberei, die Sie alle jetzt schon lernen können. Deshalb sind wir hier. Es handelt sich um eine altbabylonische Bannformel, die von der hermetischen Zauberei adaptiert, also für ihre Verwendung angepaßt wurde. Es ist die Fesselung des erschaffenen Dieners. Ich werde ihnen die Aussprache der alten Wörter und die dazu gehörigen Zauberstabbewegungen erst einmal nur vorführen. Im späteren Unterricht werden Sie diese Zauber genau lernen und ganz zum Schluß werden Sie diesen Mördergolem hier genauso zurückschlagen können, wie ich."

Julius hob die Hand und bekam Sprecherlaubnis. "Dieser Golem da ist aber schon eingesperrt. Ich sehe zwar keine bannlinie, weiß aber von Ihnen, daß man sowas nicht mit den Augen sehen muß. Verfälscht das dann nicht das Ergebnis jeder Bezauberung?"

"Die Gitter sind mit dem Ferrifortissimus-Zauber behandelt worden, einer magischen Härtung von Stahl und Eisen, die es hundertfach stabiler und haltbarer macht. Das ist die einzige magische begrenzung, die diesem Ungetüm Einhalt gebietet", sagte die Lehrerin und deutete auf die Gitter und den Golem, der wohl um zu beweisen, daß sie recht hatte, an das Gitter herantrat und daran rüttelte, es jedoch keinen Millimeter bewegen konnte, weder biegen noch zum schwingen brachte. Professeur Faucon trat bis auf drei Schritte an das Gitter heran. Der Golem steckte die rechte graue Hand durch die Absperrung, erreichte die Lehrerin jedoch nicht. Diese hob den Zauberstab und vollführte langsam zum mitschauen mehrere Bewegungen, Kreise senkrecht und waagerecht und zum Schluß eine Stoßbewegung wie mit einem Degen oder Dolch. Dabei sprach sie in einer fremden Sprache, merkwürdig kehlige Worte aus. Kaum stieß ihr Zauberstab in Richtung des künstlichen Ungeheuers, schnellte laut krachend ein silberner Blitzheraus, hüllte den Golem wie in einen den ganzen Körper umfangenden Mantel ein und trieb ihn innerhalb von nur einer Sekunde zurück. Das künstliche Monstrum flog förmlich von Professeur Faucon fort und krachte gegen die Gitter an der gegenüberliegenden Seite seines Käfigs, wo er wie magnetisiert haften blieb. Das silberne Licht umhüllte ihn weiterhin, obwohl aus dem Zauberstab kein Lichtstrahl zu sehen war. Professeur Faucon steckte den Stab sogar fort, als sei damit alles erledigt. Tatsächlich blieb das steinerne Wesen in der silbernen Lichtummantelung gefangen und klebte förmlich an den Gittern unbeweglich.

"Golems, egal welcher der drei Arten, die von diesem Zauber erfaßt werden, werden magisch aus der Sichtweite dessen befördert, der sie bezaubert und können einen ganzen Tag nicht mehr an ihn heran. Wer diesen Zauber beherrscht, kann einen Golem nach dem anderen zurücktreiben. Ich habe diesen Zauber mit einem Drittel der möglichen Geschwindigkeit gewirkt, um Ihnen zu zeigen, wie er geht. Er funktioniert, solange Zauberstabbewegungen und Worte korrekt ausgeführt werden, nicht wie mancher andere Zauber, abhängig von bestimmten Geschwindigkeiten. Wer sich dafür interessiert, was die altbabylonischen Worte bedeuten, kann dazu später von mir den entsprechenden Auszug aus dem Buch "Mächtige Magien des Morgenlandes" bekommen. Jedoch reicht es für die Anwendung aus, wenn Sie diese Worte exakt sprechen können, vielleicht auch, Monsieur Andrews, die rein geistige Formulierung in Zusammenhang mit den Zauberstabbewegungen, die, wie Sie alle sich wohl denken können, Kinetologos-Verknüpfungen sind, wie die Verwandlungszauber nach Unittamo. Der gefangene Golem wird deshalb nun einen vollen Tag in dieser silbernen Lichtaura gefangen bleiben, weil er nicht aus dem Käfig herausgeschleudert werden konnte. Je weiter der gebannte Golem zurückgetrieben wird, desto schwächer glüht der ihn umhüllende Schein, bis der Aufrufer des Zaubers ihn nicht mehr erblicken kann. Wie erwähnt hält dieser Bann einen vollen Tag vor."

Die nächsten Minuten übten die Ferienschüler den Zauber und sprachen die alten Worte nach, bis Julius, Claire und Jeanne sie hersagen konnten. Offenbar hatten diese drei ein besseres Empfinden für gesprochene Worte als der Rest.

"Als Hausaufgabe für die nächsten Stunden üben Sie diesen Zauber ohne wirkungsvollen Zauberstab zu Hause. Ich gebe Ihnen Zettel mit der lautsprachlichen Niederschrift der alten Worte aus", sagte Professeur Faucon.

Als die Ferienschüler mit ihrer Lehrerin die Schattenhäuser verließen, waren sie tief beeindruckt von der Vorführung. Julius fragte die Lehrerin, ob sie schon mal etwas von den Robotergesetzen gehört habe, da Golems ja die magische Entsprechung menschenähnlicher Maschinen aus den Zukunftsromanen der Muggel waren.

"Sie meinen die drei Gesetze der Robotik von dem Amerikaner Asimov? Ja, die sind mir geläufig. Aber Sie haben ja hier und heute lernen dürfen, daß Golems grundsätzlich nicht dazu erschaffen wurden, allen Menschen zu dienen und sie vor Schaden zu bewahren, wie es die ersten Beiden Gesetze dieses sehr phantasievollen Schriftstellers gebieten. Insofern denken Sie eher daran, daß diese Gesetze bei Golems in ihr Gegenteil verkehrt sind. Demnach ist es kein Problem für einen Golem, einen Menschen zu verletzen oder zu töten, und er gehorcht bei gut genug gewirktem Zauber ausschließlich dem, der ihn erschaffen hat und keinem anderen. Auch wird er in der Ausführung eines Befehls keinen Wert auf den Erhalt der eigenen Existenz legen, eignet sich also auch gut zum Selbstvernichtungsattentäter, ohne daß er durch eine fanatische Irrlehre oder eine radikale Auslegung seiner Religion dazu angehalten werden muß."

"Was sind den Robotergesetze?" Fragte Dorian. Julius erklärte ihm, daß Roboter für die Muggel das waren, was ein Golem oder andere künstliche Geschöpfe für die Zauberer waren, eben nur daß es sich um mechanische Geschöpfe handelte. Er erläuterte auch, was der Zukunftsdichter Asimov vor Jahrzehnten schon geschrieben hatte, daß diese Roboter so unterwiesen werden müßten, daß sie keinem Menschen was tun dürften, aber alle Befehle von Menschen ausführen sollten, wenn sie dabei nicht anderen Menschen Schaden zufügten, und wenn kein Befehl sie dazu zwang, sich in Gefahr zu bringen, die Erhaltung der eigenen Existenz sichern sollten.

"Das erste Gesetz, das, wo ein Roboter keinem Menschen was tun oder durch Nichtstun anderen Menschen Schaden zufügen darf, ist nach dieser Festlegung das wichtigste und immer einzuhaltende. Dann kommt das mit den Befehlen, und danach erst das mit der Eigensicherung", faßte Julius das noch mal zusammen. "Nun, aber für Golems gilt das ja dann nicht."

Wieder bei den Dusoleils erfuhr Julius, daß Catherine eine Eule geschickt hatte, daß seine Eltern wohlbehalten bei sich zu Hause angekommen waren. Dann fragte Madame Dusoleil:

"Am Samstag geht es wieder zum See der Farben. Kommst du wieder mit?"

"Hmm, mit wem als erwachsene Betreuung?" Fragte Julius, der schon wieder Lust hatte, in den am Rande der magischen Einfriedung von Millemerveilles liegenden See zu tauchen, um die Unterwasserlandschaften und -lebewesen zu besichtigen. Letztes Jahr war er mit Catherine Brickston zusammen dort hingeflogen, als Madame Dusoleil und Madame Neirides interessierten Jugendlichen aus Millemerveilles die Sehenswürdigkeiten zeigten.

"Entweder nehme ich dich unter meine Fittiche oder Jeanne tut das. Immerhin möchte Claire ja auch wieder mit, und Jeanne hat ja letztes Jahr wegen der Quidditch-Weltmeisterschaft nicht dabei sein können", sagte die Hausherrin. Jeanne, die mit Claire zusammen zuhörte, nickte nur. Dann sagte sie:

"Maman, am besten nehme ich Julius mit. Dann kannst du Claire mit auf deinem Besen transportieren." Claire nickte. Offenbar war ihr das recht, daß sie nicht hinter ihrer Schwester sitzen mußte. Julius verstand das so, daß sie lieber mit ihrer Mutter zusammen bei diesem Ausflug dabei war, als sich von der großen Schwester herumfliegen und betreuen zu lassen.

"Eigentlich auch eine tolle Möglichkeit, den Kopfblasenzauber zu testen", wandte Julius ein. Immerhin hatte er den bei Madame Matine gelernt, um in vergifteter Luft ungefährdet atmen zu können, wie auch unter Wasser.

"Nix da, Bursche. Zaubern darfst du nur unter Aufsicht und auf ausdrücklichen Befehl dazu berechtigter Leute, wenn kein akuter Notfall vorliegt", wandte Madame Dusoleil ein, mußte dann jedoch grinsen, weil sie verstanden hatte, daß Julius es wohl nicht ernst gemeint hatte.

"Wenn ich den könnte würde ich auch lieber sowas machen als dieses Glibbergemüse zu kauen", wandte Claire ein. Offenbar gefiel ihr das Dianthuskraut, das die Jugendlichen unter siebzehn für den Ausflug in die Tiefen des Sees kauen mußten, nicht so sonderlich.

"In Ordnung, Madame. Ich komme mit. War interessant letztes Jahr. Außerdem brauche ich wieder etwas Schwimmübung nach der ganzen Lauferei und dem Quidditch."

"Gut, Julius. Dann fliegen wir beide zusammen", stellte Jeanne klar.

Am Nachmittag kam Madame L'ordoux, die Bienenzüchterin von Millemerveilles, auf einem starken Transportbesen vorbei und lieferte bei den Dusoleils frischen Honig ab. Julius fiel ein, daß er mit Professeur Faucon ja besprochen hatte, ob er sie nicht besuchen sollte, um seine große Angst vor fliegenden Insekten zu überwinden. So begrüßte er sie und fragte:

"Guten Tag, Madame! Waren Sie auch schon bei Madame Faucon?"

"Ja, da war ich nach dem Mittagessen. Sie hat mir erzählt, daß du dich ihr gegenüber interessiert geäußert hast, mich mal zu besuchen. Da hatten wir's ja auch beim Schachturnier schon von. Sie sprach auch von gewissen Hemmnissen, die wohl eintreten könnten", erwiderte die Bienenzüchterin. Julius nickte. Claire stand neben ihm und sah erwartungsvoll den Gastbruder an.

"Na ja, ich weiß nicht, ob wir das so schnell besprechen können. Das Thema ist für mich etwas persönlich."

"Das hat die gute Blanche auch angedeutet", erwiderte Madame L'ordoux lächelnd. Immerhin wußte sie ja schon von Julius, daß dieser nicht gerade unbekümmert mit Bienen umgehen konnte.

Madame Dusoleil lud die blondhaarige ältere Dame mit den rehbraunen Augen ein, zum Kaffeetrinken zu bleiben und backte einen leichten Kuchen mit etwas von dem Kirschblütenhonig, von dem Madame L'ordoux ihr etwas mitgebracht hatte. Dabei legten sie fest, daß Julius am Freitag Nachmittag zusammen mit Jeanne, Claire und Madame Dusoleil, sowie Madame Faucon die Bienenställe der Imkerin von Millemerveilles besichtigen sollten. Die Bienenzüchterin sagte Julius zum Abschied noch:

"Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Die Tiere sind sehr friedlich. Aber ich verstehe, daß du dich dieser Urfurcht von dir stellen willst. Angst kann immer von denen ausgenutzt werden, die dich zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Das muß man dann vereiteln, zumindest erschweren."

"Hast du diese Bienenställe noch nicht besucht, Claire?" Fragte Julius seine mittlere Gastschwester. Diese schüttelte den Kopf.

"Ich habe mich nie so recht für Bienen interessiert. Ich war auf den Bauernhöfen hier in der Umgebung, sowohl der von unseren Mitbürgern, als auch von den Muggeln, die in der Provence Gemüse und Getreide anbauen oder Tiere zum essen züchten. In Beauxbatons habe ich mir mal ein Buch angesehen, wo was über den Nahrungsmittelhandel zwischen Zauberern und Muggeln steht. Die Finanzabteilung des Zaubereiministeriums hat da gut gearbeitet, um Zauberern Lebensmittel zu verschaffen, die nicht ohne weiteres herbeigezaubert werden können. Bei Fleisch, Eiern und festem Gemüse kann nämlich nicht einfach drauf los materialisiert werden. Entweder muß man es in einer Form schon da haben oder woher holen, wo es in der Endform vorkommt, aus einem Garten oder Viehstall."

"Ich habe mich nie gefragt, wo das ganze Essen herkommt, daß ich in Hogwarts oder bei euch hier bekommen habe", gestand Julius ein. "Ich habe nur ein paarmal gesehen, wie Madame Faucon Sachen herbeibeschworen hat."

"Ja, doch die Welt ist ein Gefüge der Balance", warf Jeanne ein, die ebenfalls in der Nähe von Julius stand. "Materialisation heißt immer, Magie etwas zu reduzieren, um feste Dinge zu erschaffen. Die magische Feldtheorie, wie sie die theoretischen Magier nennen, kennst du vielleicht schon durch dein Studium der Verquickung zwischen Zauberei und den auch bei den Muggeln bekannten Naturgesetzen."

"Ich dachte aber immer, daß der bei den Physikern geläufige Energieerhaltungssatz in der Magie nicht beachtet werden muß."

"Eben. Energie und Materie sind in der Magie zwei verschiedene Dinge, anders als in der Physik der Muggel, wo sie unmittelbar miteinander verbunden sind. Das es überhaupt Magie gibt, liegt an der Vergänglichkeit materieller Dinge, die nicht nur durch physikalische oder biologische Vorgänge zerlegt werden, sondern auch in nicht von Lebewesen ausgelöster Magie begründet ist. Wenn du aber gezielt neue Dinge beschwörst, ohne bestehende Materie zu beeinflussen, also aus Luft was festes machst, baust du etwas von der Grundmagie ab. Aber Zauberei und magische Grundenergie gibt es schon seit Jahrtausenden, vielleicht sogar Jahrmillionen. Wahrscheinlich wird Magie als übergeordnete Naturform auch noch den Menschen überstehen."

"Denke ich auch", sagte Julius, der hoffte, alles richtig verstanden zu haben, was Jeanne ihm sagte.

"Hatten Sie mir nicht erzählt, daß Sie mit den Mädchen am Freitag in die Rue de Camouflage reisen wollten, Madame?" Fragte Julius, der sich daran erinnerte, daß die beiden Beauxbatons-Schülerinnen ja noch ihre Schulsachen kaufen mußten.

"Wir machen das am Montag. Ich habe freitagmorgens noch einiges in den Gärten zu erledigen, daß mir das ganz recht kommt, wenn wir nicht in die belebte Straße müssen", sagte die Hausherrin.

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Die nächsten Tage waren erfüllt mit weiteren Erkundungen in den Schattenhäusern. Julius lernte, daß man einem Nachtschatten, einer nichtstofflichen Kreatur, die wie ein selbständiger tiefschwarzer Schatten eines Menschen aussah, durch magische Lichtblitze oder dem Patronus-Zauber begegnen konnte. Bei dieser Gelegenheit wandte Madame Faucon sich sowohl an Jeanne und Seraphine, als auch an Julius.

"Ihnen dreien werde ich kurz vor Ferienende noch den Patronus-Zauber beibringen, sofern Sie dazu Lust haben."

Julius freute sich. Sicher, er hatte sich aus dem Buch über die Kreaturen der Düsternis schon etwas angelesen, wie ungefähr der Patronus-Zauber gewirkt wurde, aber er zauberte schon lange genug, um zu wissen, daß Gelesenes und Vollbringbares zwei unterschiedliche Paar Schuhe sein konnten. Immerhin hatte er durch den Ferienunterricht sowie den Ersthelferkurs erfahren, daß hohes Zaubererpotential nicht alles auf Anhieb möglich machte. Doch die Andeutung, den besten, ja vielleicht einzigen Zauber gegen die Dementoren beigebracht zu bekommen, jagte Julius auch einen gewissen Schauer über den Rücken. Wenn Madame Faucon ihm diesen Zauber beibringen wollte, hatte sie wohl einen triftigen Grund. Er dachte daran, was er selbst über die Dementoren, jene unheimlichen Kreaturen, welche Freude aus Menschen sogen und Verzweiflung übrig ließen, ja sogar ganze Seelen rauben konnten, erfahren hatte und auch schon überlegt hatte, daß diese Geschöpfe, die das Zauberergefängnis Askaban bewachten, wohl bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dem dunklen Lord Voldemort nachfolgen würden. Vielleicht, so dachte er, passierte dies auch schon. Denn die respektable Beauxbatons-Lehrerin tat nichts ohne triftigen Grund.

Am Freitag behandelten sie das Thema Zombies. Julius hatte ja schon vor Hogwarts von diesen unheimlichen Sklaven der Voodoo-Priester gehört, die angeblich oder tatsächlich lebende Leichname waren. Von Glorias Großmutter, die ja Expertin für Voodoo-Rituale war, hatte er sich in den letzten Sommerferien mehr über diese Geschöpfe erzählen lassen, sodaß er auf die Frage die Antworten wußte, die Madame Faucon an die Ferienschüler richtete:

"Welche Arten von Zombies gibt es?"

Julius zeigte auf, wie Jeanne und Seraphine. Die Lehrerin nickte allen zu und wandte sich dann an Julius.

"Nun, ich hoffe, meine amerikanische Briefpartnerin Hat Ihnen nichts unvollständiges erzählt, Monsieur. Dann erzählen Sie mal!"

"Ein Zombie an sich ist ein willenloser menschlicher Sklave, der von Ritualmagiern, vor allen den praktizierenden Voodoo-Anhängern, erschaffen werden. Es werden, wenn ich richtig informiert worden bin, drei Arten unterschieden: Den entseelten Sklaven, den animierten Toten und den Selbsterhaltenden, aber Befehlsabhängigen Zombies. Die entseelten Sklaven sind lebende Menschen, denen durch dunkle Rituale die Seele geraubt und in verhexten Behältnissen gefangengehalten wird. Sie sind willenlos und den Befehlen derer unterworfen, die diesen Seelenraub begangen haben. Sie können jedoch durch andere Rituale befreit werden. Äußerlich sehen sie wie kranke Menschen mit glasigem Blick aus, die sich schwerfällig bewegen.

Die animierten Toten werden durch lange mächtige Rituale aus den Gräbern beschworen. Sie sind unmittelbar der geistigen Kontrolle durch den Magier unterstellt, der sie beschworen hat. Da hierzu alle noch im Skelett zusammenhängenden Leichen gehören können, können sie dementsprechend aussehen, also verwest oder gar skelettiert. Der Tod des Magiers beendet diese Existenzform, oder die Enthauptung oder Verbrennung dieser Geschöpfe. Die Kontrolle über diese Wesen kann verstärkt werden, wenn wichtige Organe wie Herz oder Lunge aus den Körpern dieser Wesen entnommen werden, bevor das Ritual begonnen wird. Gefährlich an diesen Wesen ist, daß das in ihrem Körper entstandene Leichengift als Waffe gegen Lebende eingesetzt werden kann, also den Tod durch Kratzen oder Beißen herbeiführen kann." Madame Faucon nickte und bat Julius, weiterzusprechen.

"Die Selbstversorger sind Menschen, die durch animierte Tote zu Tode kamen und durch neuerliche Beschwörung auferstehen. Sie gehorchen zwar wie die Animierten den Befehlen des Beschwörers, verfügen jedoch über eigene Instinkte und Bedürfnisse. So verwesen sie ständig weiter, wenn sie nicht frisches oder verrottetes Fleisch, vorzugsweise von Menschen, fressen. Deshalb sind sie äußerlich oft sehr bluttriefend oder schleimig anzusehen und verströmen den Geruch von Verwesung. Da ihr Aussehen dem von Ghulen gleicht, wurden diese Kreaturen von den Muggeln mit ihnen gleichgesetzt, obwohl echte Ghule relativ harmlos sind, wie es im Buch über phantastische Tierwesen steht."

"Iii!" Machten Claire, Caro und Elisa, während Dorian nur erschrocken dreinschaute. Die älteren Mädchen sahen Julius nur an und nickten.

"Nun, die Muggel lieben merkwürdigerweise sogenannte Horror-Geschichten, also Handlungen, wo Menschen grausam getötet werden, vorzugsweise durch Monster und Dämonen. Ich habe mir mal solch ein Machwerk angesehen und mußte feststellen, daß ich nicht verstehen kann, wie sich Leute, die von unserer Welt so gut wie keine Ahnung haben, daran delektieren können, derartige Blutrunst zur Unterhaltung heranzuziehen. Das Ghul-Mißverständnis, auf das Sie hier kurz angespielt haben, Monsieur Andrews, führte im ausgehenden Mittelalter zu einer panischen Ausrottungsaktion gegen diese Wesen. Allerdings gibt es unter den Ghulen auch Wildformen, die durchaus das Aas kleinerer Wirbeltiere fressen, die arabischen Ghule zum Beispiel, die in der Sahara leben. Von denen sind es die Weibchen, die sich von Kleintieren ernähren und daher oft gesichtet werden, was zu der Ansicht führte, sie fräßen auch Menschen. Zombies an sich sind keine alleinigen Produkte der afrikanischen Naturmagier, von denen sich Voodoo herleitet, sondern kamen in den von Ihnen sehr präzise dargelegten Formen in allen dunklen Ritualmagien der Welt vor. Nur sind in den westlichen und orientalischen Hochkulturen solche Wesen nahezu vergessen worden, da andere, bösartigere Zauber sie überflüssig machten. Auf jeden Fall darf ich konstatieren, daß meine US-amerikanische Kollegin Porter Sie ausführlich unterrichtet hat, Monsieur Andrews. Offenbar legt sie viel Wert darauf, mögliche Mißverständnisse im Keim zu ersticken und Irrlehren zu beseitigen. Natürlich bin ich darüber orientiert, daß Sie die letztjährigen Ferien für geraume Zeit mit ihr zusammen verbracht haben. Ich bin beruhigt, daß Sie verantwortungsvoll mit Ihnen verfahren ist, Monsieur Andrews."

"Ich verstehe nicht, wie du so kühl darüber reden kannst, daß es menschenfressende Monster gibt", wandte Elisa Lagrange mit Ekel im Gesicht ein.

"Sollte ich jetzt sagen, daß das Thema für kleine Kinder zu grausam ist?" Fragte Julius barsch zurück. "Madame Faucon wollte es hören, was ich weiß und hat es gehört."

"So ist es, Monsieur Andrews", bestätigte Madame Faucon. "Die dunklen Kreaturen, sowie die dunklen Künste, müssen unvoreingenommen behandelt werden, sofern es gilt, sich gegen sie zu wehren. Auf zarte Gemüter kann und werde ich keine Rücksicht nehmen, Mademoiselle Elisa Lagrange."

Verunsichert wandte sich Elisa ihrer Schwester zu, die jedoch nichts tat oder sagte, was ihr Trost gespendet hätte.

Man besprach, wie man Zombies wirkungsvoll abhalten konnte, durch Bezaubertes Metall, je härter, desto besser, durch Feuer oder besonderen Weihrauch, der mit magischen Essenzen wie Einhornschweifhaar oder getrocknete Alraunenblätter ergänzt werden mußte. So verstrichen die Stunden des Freitagmorgens, und die Schüler verließen erschöpft den Unterricht. Madame Faucon hielt die Dusoleil-Schwestern und Julius noch zurück und erinnerte sie daran, daß sie am Nachmittag noch zu Madame L'ordoux wollten. Julius nickte. Ihm war immer noch nicht wohl bei der Sache. Über Kreaturen, die sich an toten Menschen zu schaffen machten, konnte er leichter sprechen, als sich mit dem Gedanken anzufreunden, lebendige Bienen von Streichholzgröße um sich herumfliegen zu lassen. Doch jetzt hatte er einmal A gesagt und mußte auch B sagen.

Mit Claire hinter sich auf dem Besen flog Julius zum Haus seiner Gasteltern zurück.

"Diese Madame Porter, Glorias Oma, was wollte die damit erreichen, daß sie dir so viel über Zombies oder andere Sachen erzählte?" Fragte Claire.

"Ja, ich habe mich mit ihr drüber unterhalten, was ich alles von Voodoo weiß, das mit den Nadelpuppen, den Trommeln und eben den Zombies, und sie hat mir erzählt, was davon stimmt und was nicht. War schon gruselig. Aber ich bin froh, daß ich das gelernt habe. Es kann ja leicht zu Mißverständnissen kommen, wenn man bestimmte Sachen nur halb kennt. Das hat Madame Faucon ja auch so gesehen."

"Heh, du mogelst dich schon wieder um eine richtige Antwort herum. Ich habe gefragt, warum sie das gemacht hat. Ich meinte damit, welchen Grund sie hatte, dir das alles zu erzählen", warf Claire ein.

"Das habe ich dir doch erzählt. Sie ist Expertin und mag es nicht, wenn jemand was falsches oder unvollständiges weiß. Oder meinst du damit, sie wollte mich deswegen gut vorbereiten, weil sie was beabsichtigt?"

"Genau das meine ich", schnaubte Claire und warf sich leicht ungehalten gegen Julius Rücken, weil er sich ja nicht zu ihr umdrehen und ihr Gesicht ansehen konnte, solange sie flogen.

"Sie hatte Zeit, ich hatte Zeit. Für Hogwarts gab es keine Hausaufgaben mehr zu erledigen, und sie fand es wohl recht amüsant, mit einem Klassenkameraden ihrer Enkelin zu plaudern, der aus der Muggelwelt rüberkam."

"Achso, und ich dachte schon, Gloria oder ihre Eltern hätten sie dazu überredet, weil die mehr von dir erwarten."

"Ah, daher weht der Wind. Du meinst, Gloria könnte ihrer Oma vorgeschwärmt haben, was für ein toller Typ ich sei und ihre Oma wollte wissen, ob das stimmt", erwiderte Julius etwas gehässig klingend. Ihm gefiel es nicht, derartig ausgefragt zu werden.

"Weiß ich das?" Schnaubte Claire merkwürdig leise, als müsse sie darum ringen, nicht zu schreien.

"Ich denke mal, daß Gloria da nichts in dieser Richtung gesagt oder getan hat. Wir beide sind immer gute Kameraden gewesen, wenn ich Gloria auch manchmal verübelt habe, daß sie meinte, mich schulmeistern zu müssen. Aber heute weiß ich, daß sie mir damit was gutes getan hat, wenn ich mitkriege, wie andere Muggelstämmige sich in Hogwarts benehmen."

"Gut, das paßt ja dann dazu, wie sie bei deinen Geburtstagsfeiern mit dir redete", bemerkte Claire. Julius vermeinte, eine gewisse Beruhigung in der Stimme der Gastschwester zu hören. War sie etwa eifersüchtig auf Gloria? Dann wollte sie vielleicht doch mehr, als nur eine gute Ferienbekanntschaft mit ihm. Doch Julius wollte es nicht eindeutig einräumen, daß Claire sich in ihn verliebt haben mochte. Zwar hatten ihm Jeanne und ihr Vater sowas angedeutet, Jeanne sogar mehr als Monsieur Dusoleil, aber solange Claire nichts eindeutiges tat, wollte er es nicht als Erkenntnis hinnehmen. Aber war es nicht eher üblich, daß jemand, um den sich eine Frau oder ein Mädchen bemühte, nie ein sachliches und eindeutiges Eingeständnis zu hören bekam, sondern sich eher durch Gesten und andere Worte Klarheit verschaffen mußte? Er wollte jedoch nicht Claires Gefühle verletzen und sagte nach kurzem Schweigen:

"Claire, ich habe es bei meinen Mitschülern bis jetzt nie auf mehr angelegt, als auf gute Freundschaft. Aber ich werde niemandes Gefühle verletzen, der oder die mir zeigt oder sagt, daß ich für etwas mehr interessant bin, solange ich weiß, daß ich damit sehr ordentlich leben kann. Ich meine das so, daß ich nicht drauf los laufe, um mir was zu suchen oder mich von der erstbesten vereinnahmen lasse. Ich möchte da schon wissen, woran ich bin, damit ich auch was erzählen kann, ohne andere im Ungewissen zu lassen."

"Will sagen, du willst dich nicht festlegen, wenn ein Mädchen mit dir gehen will?" Fragte Claire nun wesentlich eindeutiger. Julius mußte sich gut überlegen, was er jetzt sagen sollte. Er konnte nicht nein sagen, weil er damit vielleicht Claires Gefühle verletzte, falls diese wirklich schon so weit für ihn vorhanden waren, wie ihre Schwester es sah. Wenn er ja sagte, würde er den Eindruck machen, frei verfügbar zu sein, wenn die erste ihn gezielt fragte. Er wußte noch gut, wie Caro oder Belisama ihn umschwärmt hatten.

"Das ist es eben. Wenn ich mich festlege, möchte ich schon, daß das Mädchen, das sich dafür interessiert, weiß, daß es mir ernst ist und nicht einfach eine Modesache, die nach einer gewissen Zeit abgelegt wird. Aber sie soll dann auch wissen, daß ich auch sicher sein möchte, nicht wegen irgendwelchen Blödsinns, einer Wette, einer Spielerei oder aus Konkurrenz mit anderen heraus gebucht werde. In Hogwarts laufen einige Jungen rum, die darum wetteifern, wer welches Mädchen am ehesten für sich begeistern kann. Und Prudence, Virginies Brieffreundin, hat mal was rübergebracht, daß es bei den Mädels noch heftiger so ablaufen kann."

"Das heißt doch nicht, daß du Angst hast, dich zu entscheiden?" Fragte Claire mit leicht mißgestimmter Tonlage.

"Wie gesagt, Claire: Wenn ich weiß, es ist der anderen ernst mit mir, also auch, daß sie meine Fehler genauso hinnimmt wie meine Stärken, kann ich sie auch so annehmen. Aber ich würde nicht einfach einer hinterherlaufen, nur weil sie mir mal schöne Augen macht oder mir nette Worte sagt. Das meine ich damit. Da ich damit noch keine Erfahrung habe, ist das vielleicht Unbehagen, aber keine Angst."

"Also du würdest dich nicht abwenden oder über jemanden lachen, nur weil die sich traut, dir was zu sagen, was du bis heute nicht gehört hast?" Fragte Claire. Julius verstand diese Frage so, daß sie wissen wollte, ob er lachen würde, wenn ihm ein Mädchen sagen würde, daß er toll aussähe oder stark und klug sei oder dergleichen und deswegen mit ihm zusammen sein wollte.

"Meine Eltern haben mir früher immer gesagt, daß ich bei jeder Sache, die ich machen sollte, immer überlegen soll, wohin das geht. Meine Mutter hat nur einmal gesagt, daß das in Beziehungsdingen nicht immer funktioniert, wenn es was werden soll, was meinen Vater merkwürdig hat schauen lassen. Offenbar hat der sich nicht so locker mit Mädchen treffen und verabreden können und sich Mum gezielt für bestimmte Bedürfnisse ausgesucht, keine körperlichen wohlgemerkt, sondern für sein Umfeld, sein Ansehen und so weiter. Diesen Drang werde ich mir nicht antun. Wenn ich wirklich mit jemandem wie Gloria, Pina, Caro oder dir was anfangen würde, dann auch, um miteinander Spaß und schöne Tage zu haben und nicht nur, weil meine Eltern Wissenschaftler und deren Eltern Ministeriumsleute oder berühmte Erfinder oder reiche Leute sind oder die Dame selbst mal sowas werden wird."

"Heh, wo willst du hin, Julius?" Fragte Jeanne, die hinter ihnen zurückblieb, weil Julius vor lauter Reden über das Dusoleil-Anwesen hinweggeflogen war. Julius lief rot an, räusperte sich und wendete vorsichtig den Besen, um zurückzufliegen. Claire wartete, bis Julius mit ihr zusammen sicher gelandet war, dann strich sie ihm zärtlich den Nacken und sagte:

"Schön, daß du das einsiehst, daß du dich nicht hinter Büchern und Besen verstecken kannst und daß du nicht möchtest, daß eine Freundin kein billiger Zeitvertreib für dich sein soll."

"Eh, ihr!" Rief Denise Dusoleil. "Chantale hat mich zum Spielen eingeladen. Die hat zum Geburtstag 'nen Knuddelmuff bekommen!"

"Is' ja doll!" Erwiderte Julius mit übertriebener Lässigkeit. Er wußte zwar nicht, wozu ein Knuddelmuff gut war, aber das interessierte ihn im Moment nicht. Das, was Claire und er auf dem Flug hierher besprochen hatten, war zu wichtig, um durch die Belange eines kleinen Mädchens abgewürgt zu werden.

"Knuddelmuffs sind doch langweilig, Denise", wandte Claire ein. "Die summen nur rum, lassen sich von allen rumwerfen und schlabbern mit ihren langen Zungen anderer Leute Müll auf. Das ist doch Kleinkinderkram."

"Mensch, Claire, bist du blöd!" Erwiderte Denise auf diese Worte ihrer Schwester und streckte ihr die Zunge heraus. Madame Dusoleil, die zur Begrüßung der Ferienschüler kam, tadelte ihre Jüngste und umarmte dann Julius.

"Ich bringe Denise nach dem Essen zu ihrer Freundin Chantale und fliege dann mit Jeanne, Claire und dir zu Begonie L'ordoux. Das wäre aber günstiger, wenn du entweder alleine fliegst oder hinter Jeanne oder Mir sitzt, gerade dann, wenn wir uns den Bienenställen nähern."

Julius verstand. Seine Angst, die ihn seit dem vierten Lebensjahr verfolgte, wenn er fliegende Insekten, vor allem Wespen und Bienen sah, könnte ihn zu Flugfehlern verleiten, und Madame Dusoleil wollte natürlich nicht, daß er sich und Claire dadurch in Gefahr brachte. Das sah wohl auch Claire ein und bemerkte dazu:

"Ich fliege alleine auf meinem Besen, Maman. Ich habe es nicht nötig, hinter Jeanne oder dir zu sitzen."

"Ja, das ist schön, daß ich das auch so sehen kann", erwiderte Madame Dusoleil lächelnd. Julius wußte noch gut, daß sie sich um Claire Sorgen gemacht hatte, weil sie im letzten Jahr wohl noch nicht so gut alleine fliegen konnte. Wenn Claire nicht gerade mit den übrigen Ferienschülern unterwegs war, oder zum Sommerball oder wichtigen Anlässen mitgenommen wurde, flog sie zwischendurch alleine. Mittlerweile, auch Dank Jeanne und Julius, konnte sie störungsfrei landen und auch schnelle Manöver fliegen, bei denen sie im letzten Jahr noch Schwierigkeiten gehabt hatte. Julius sagte noch, daß er lieber mit Madame Dusoleil im Tandem fliegen wolle, eben wegen der Möglichkeit, in einen auffliegenden Bienenschwarm zu geraten. Er scheute sich nicht, seine Angst zuzugeben. Erstens wußten es in diesem Haus sowieso schon alle, die sich mit ihm befaßten und zweitens hielt er nichts von unvernünftigen Selbsttäuschungen, wie sie Jungen in seinem Alter gerne begingen, nur um nicht schwach zu erscheinen.

So flogen Madame Dusoleil mit Julius hinter sich sowie ihre beiden älteren Töchter auf den eigenen Besen über Millemerveilles, als es drei Uhr Nachmittags war. Über den Teich im Zentrum des Magierdorfes hinweg ging es Entlang der vom Bronzestandbild eines Einhorns mit dem Horn gewiesenen Richtung schnurgerade nach Westen, über verschiedene Häuser und Villen hinweg, aus deren Schornsteinen weißer, gelber oder roter Rauch stieg, bis sie über ein Meer von Feldern und Wiesen dahinglitten.

"Begonie hat einen Kilometer um ihre Stallungen große Blumen- und Wildgraswiesen angelegt, um ihren Tieren genug Weidegründe zu bieten. Ich habe ihr dabei geholfen, die Gärten so schön zu erhalten. Ein paar Gnome strolchen zwar da ab und an herum, aber seitdem wir eine Schwatzfratze-Großfamilie dort angesiedelt haben, ist das mit den Gnomen sehr gut unter Kontrolle."

"Schwatzfratze?" Fragte Julius, den magische Geschöpfe genauso interessierten, wie Zauberpflanzen.

"Du würdest sie wohl für größere Frettchen halten. Sie sind aber sehr schnell und fressen Gnome. Sie können sogar reden, allerdings nicht gerade so, wie Leute aus guten Kinderstuben es gelernt haben."

"Achso! Die Tiere sind das. Die heißen in unseren Zauberbüchern Jarveys", erkannte Julius Andrews diese Tiere wieder. Er hatte sie im magischen Tierpark von Millemerveilles nicht gesehen, aber von ihnen gelesen.

Achtung, wir erreichen gleich den Baumring um das Anwesen", sagte Madame Dusoleil, als in nicht einer halben Meile Entfernung der Saum eines kreisförmigen Waldes auftauchte. Die Bäume standen offenbar wild durcheinander herum, weil Julius Nadelbäume zwischen Laubbäumen sehen konnte. Dann hörte er auch das leise Summen und Brummen von tausenden Insekten.

"Hua, das klingt nach Viel", erschauderte Julius, als der Familienbesen der Dusoleils über die Wipfel der Bäume hinwegschwebte, langsamer werdend und in einen leichten Sinkflug überwechselte.

"Begonie hat was von zweihundert Völkern zu je zwanzigtausend Bienen erzählt, als ich das letzte Mal hier war", gab Madame Dusoleil eine Information preis, die Julius eher verunsicherte als beruhigte. vier Millionen Bienen, wo er schon Probleme mit einer einzigen bekommen konnte, sprachen nicht gerade dafür, daß er an diesem Nachmittag was schönes erleben konnte.

Diese mißstimmende Einschätzung wurde von mehreren großen Wolken auffliegender Wesen mit schwarz-gelb geringelten Panzern bestärkt, die zwischen den Bäumen herumsurrten und wie Putz- und Sammelkolonnen herumwuselten. Dann sah der Hogwarts-Schüler das Dorf aus kegelförmigen Bauten, jedes für sich zwei Meter hoch, das östlich eines kleinen Holzhauses angelegt war. Links von dem Holzhaus ragten zwanzig zylinderförmige Steinbauten auf, Silos, wie Julius sofort erkannte. Offenbar wurde dort der Honig zwischengelagert. Über dem Dorf kegelförmiger Gebäude, vielleicht auch schon als Stadt zu bezeichnen, schwirrte, schwärmte, surrte, summte und brummte es in großen schwarz-gelben Wolken, hin und her, auf und ab, vor und zurück. Während des Sinkfluges gerieten die Besen in Ausläufer dieser Wolken geschäftiger Insekten, und Julius verlor fast den sicheren Griff um Madame Dusoleils Hüfte, als ihm streichholzgroße Einzelexemplare von Bienen um Gesicht und Körper schwirrten.

"Na, wir sind gleich unten. Erst dann sollst du mich loslassen", bemerkte Madame Dusoleil, unbeeindruckt davon, daß ihr gerade zwei Bienen in das dichte schwarze Haar flogen und darum rangelten, sich wieder daraus zu befreien. Julius spürte, wie ein kalter Schauer nach dem Anderen seinen Rücken hinauf und hinunterlief, fühlte, wie sich kalter Schweiß auf der Stirn bildete und spürte, wie sein Herz wie ein flatternder gefangener Vogel in seiner Brust zuckte und hämmerte. Offenbar war es schwieriger als er vermutet hatte, sich dieser alten Angst zu stellen. Dennoch hielt er sich wieder gut fest, vielleicht sogar verkrampfter als üblich, bis seine Gastmutter mit ihm gelandet war. Etwas beruhigte ihn, daß Jeanne und Claire nicht unbeeindruckt durch das Gewusel aus Bienen hindurchfliegen konnten. Claire mußte mehrfach die Landung abbrechen, weil sie sonst zu steil niedergegangen wäre, und Jeanne schlänkerte einmal mit dem Besen, weil ihr drei Bienen zu nahe vor dem Gesicht herumflogen. Doch irgendwie kamen alle gut herunter und stiegen von den Besen ab. Julius kämpfte den Drang nieder, fortzulaufen. Doch die Angst, die seine Augen weitete, sowie das leichte Zittern, waren unübersehbar.

"Das kriegen wir schon hin", fand Madame Dusoleil tröstende Worte, als sie Julius so da stehen sah. "Wir bekommen das gut unter Kontrolle."

Verhalten ging Julius zwischen Jeanne und Claire hinter deren Mutter her auf das kleine Holzhaus zu, das irgendwie eine gemütliche Mischung aus einer Western-Blockhütte und dem Knusperhaus aus dem Märchen "Hänsel und Gretel" bot, fand Julius und gewann für einen Lidschlag ein amüsiertes Gefühl zurück, bevor ihm fleißig fliegende Bienen um die Nase surrten und ihn drastisch erinnerten, wo er war und was er eigentlich hier sollte.

Das Haus besaß kleine rechteckige Fenster, die mit blaßbeigen Läden versehen waren. Eine walnußbraune Tür, die sich in eine obere und eine untere Hälfte teilen lassen konnte, bildete unter einem Spitzbogenvordach den Vordereingang. Madame Dusoleil schritt auf die Tür zu und zog kurz an einem tannenzapfenförmigen Glockenzug. Ein mehrstimmiges Bimmeln erklang im Haus. Die obere Türhälfte schwang lautlos nach innen, und das gutmütige Gesicht Madame L'ordouxes tauchte in der quadratischen Türöffnung auf.

"Ah, Camille. Du bist schon da! Sehr gut. Blanche ist schon seit einer Viertelstunde bei mir. Kommt rein!"

Nun klappte auch die untere Türhälfte auf und gab den Besuchern den Weg ins Haus frei.

Drinnen war es wesentlich gemütlicher, fand Julius, weil hier keine einzige Biene herumflog. Die, die er draußen vor der Tür noch mitbekommen hatte, waren wohl durch irgendwas vertrieben worden, als die Tür sich ganz aufgetan hatte. Ein flauschiger Teppich bedeckte den Boden und dämpfte die Schritte der Besucher. In einer altehrwürdig wirkenden Wohnstube mit hohem Esstisch, Stühlen und einem Backsteinkamin, wartete Madame Faucon in einem bonbonrosa Umhang auf die Dusoleils und ihren Hausgast.

Julius schlüpfte schnell zwischen Claire und Jeanne auf eine Sitzbank am Tisch, nachdem er Madame L'ordoux begrüßt hatte und sich dafür entschuldigte, daß er irgendwie so wirkte, als fühle er sich nicht wohl. Die Imker-Hexe sah ihm das nach.

"Ich habe dir ja beim Turnier schon gesagt, daß ich das kenne, daß Jungen und Mädchen nicht gerne wo sind, wo viele Bienen herumfliegen. Leider interessieren sich dann auch nicht alle dafür, was für fleißige Tiere das sind. Blanche erwähnte, daß du drastische Erfahrungen mit Insekten gemacht hättest, wollte jedoch nicht zu indiskret sein, mir zu erzählen, welcher Art sie waren. Möchtest du mir davon erzählen?"

Julius wußte, daß er sich auslieferte, wenn er das mit dem alten Sanderson-Haus ausplauderte. Allerdings ging es hier ja darum, mit der seit diesem Sommer seines vierten Lebensjahres in ihm lauernden Angst fertig zu werden. Das ging am besten, wenn er sich voll damit auseinandersetzte. So berichtete er davon, was ihm damals passiert war und daß er davon immer wieder träumte. Madame Faucon flocht nach der Erzählung ein, daß Julius damals unbewußt das alte Haus hatte zusammenbrechen lassen, eine reine Panikreaktion.

"Nun, Wespen sind keine Bienen, selbst wenn sie einen ähnlichen Stammbaum haben, stechen können und schwarz-gelb geringelte Körper besitzen", begann Madame L'ordoux. Dann erzählte sie im gemütlichen Plauderton, was allgemein über Bienen wichtig war, daß sie staatenbildende Fluginsekten waren, deren Zentrum die als einzige Eier legende Königin war, wie sich die Bienen die Arbeit teilten und daß sie sich durch Tanzbewegungen vor dem Eingang ihrer Bauten mitteilen konnten, wo und wie weit entfernt die besten Futterplätze lagen. Sie sah Julius an und meinte:

"Da du ja wohl mehr zur Sonne gelernt hast als ich, würde ich dich langweilen, wenn ich dir erzähle, daß Bienen die unsichtbaren Anteile des Sonnenlichtes nutzen, um sich zu orientieren und auch Lichtringe sehen können, die durch die Luftmassen über uns vom gerade einfallenden Sonnenlicht abgezweigt werden und nur nicht von uns gesehen werden können, weil die Art des Lichtes sich unseren Augen entzieht."

Julius staunte. Offenbar interessierte sich die Imkerei-Hexe nicht nur für Bienen, sondern auch für die Sonne. Sie holte eine goldgeränderte Brille mit einem kreisrunden Sonnensymbol aus einem nur auf ihren Handabdruck reagierenden Schrank und gab sie vorsichtig an die Besucher weiter. Jeanne setzte sie kurz auf und warf einen Blick in die Runde. Sie staunte, gab die Brille an Claire weiter und wartete, bis diese erst sich, dann die Umgebung betrachtet hatte. Dann gab sie das Sehwerkzeug an Julius weiter. Dieser setzte die Brille auf und begriff.

Unvermittelt verschwanden alle Rottöne, ja überhaupt alle Farben, die vom Spektrum des Sonnenlichtes her unter Gelb lagen. Alles rote erschien entweder schwarz oder grau. Einige Blautöne wurden noch heller und er sah alles in anderen Farben, als wäre das Licht neu gemischt worden. Er stellte fest, daß der einfallende Sonnenschein grellblau erschien und der Himmel dunkelindigo mit weißgelben Ringbögen erschien. Er sah, wie sich die Ringe wie eine Ansammlung Kreise mit gemeinsamn Zentrum um die Sonne reihten, aber in der Helligkeit und dem Neigungswinkel zum Zenit etwas verschoben wirkten. So verstand er, wie sich Tiere, die dieses von Natur aus sehen konnten, ihren Weg suchen konnten. Noch was fiel ihm auf. Draußen am Himmel zogen einige Wolken umher. Doch in dieser Sichtweise waren sie völlig unsichtbar.

"Wie heißt dieser Lichtanteil, der wohl außerhalb des violetten Bereichs im von Prismen zerlegtem Sonnenlicht liegt?" Fragte Madame L'ordoux, die nun auch völlig anders aussah, weil wohl alle Rotanteile aus Kleidung, Haut- und Haarfarbe verschwunden waren. Julius nahm die Brille ab, zwinkerte, weil die Änderung der Umgebung ihn etwas schwindelig machte und antwortete:

"Das wurde als Ultraviolett bezeichnet, Madame L'ordoux. Ultra deshalb, weil Newton und andere Naturforscher festgelegt haben, daß das Licht wellenförmig ist und Rot die wenigsten Wellen pro Sekunde bedeutet und Violett die meisten sichtbaren Lichtwellen pro Sekunde anzeigt. Noch weniger Lichtwellen als die vom roten Licht heißen Infrarot, unter dem Rot, bedeutet das. Aber sie tragen die Wärme eines Körpers zu anderen Körpern hinüber. Deshalb gibt es uns wohl alle noch, weil sowas auch von der Sonne kommt."

"Habe ich auch da, eine Wärmesichtbrille", sagte Madame L'ordoux. Die kann auch diese verbogenen Lichtstreuungen am Himmel zeigen, allerdings nicht so heftig, wie die Ultraviolettbrille."

"Florymont baut sowas nebenbei", wußte Madame Dusoleil. Ihre Töchter sahen sie fragend an. Sie sagte:

"Wenn er euch alles zeigen würde, was er so nebenbei baut, kämt ihr zu nichts anderem mehr, Mädchen."

"Wie dem ist, Camille, das hat mir doch viele Einblicke in meine Arbeit verschafft. Leider hat dein Mann noch keine Geruchsverstärkungsmöglichkeit entwickelt, damit ich die Duftbotschaften wahrnehmen kann, die sich Bienen neben dem Tanz zuschicken können."

"Und die Dronen sind nur da, um die Königin zu befruchten?" Fragte Claire. Madame L'ordoux nickte. Julius nahm sich eine Frechheit heraus und sagte:

"Kannst du mal sehen, wie einfach es manche Männchen im Tierreich haben." Doch Claire grinste nur und meinte:

"Ja, aber dafür taugen sie zu nichts anderem und sterben auch, wenn sie erledigt haben, was sie zu erledigen haben."

"Claire, Julius, das muß doch nicht sein", zischte Madame Dusoleil. Madame Faucon sah beide ihrer Ferienschüler an, als wolle sie gleich eine Strafpredigt loslassen. Doch sie nickte Madame Dusoleil nur zu und schwieg.

"So, und weil wir nun wissen, was die kleinen Arbeiterinnen und ihre Königin so tun, können wir sie uns ruhig ansehen", sagte Madame L'ordoux. Julius erschauderte. Nun mußte er da hinaus und in das Gewusel hineingehen. Die Bienenhüterin gab vorher jedoch an jeden Besucher noch einen kleinen Becher mit einer Mischung aus Saft, Honig und etwas unbestimmbaren aus.

"Dieses Gebräu verleiht uns die vorübergehende Fähigkeit, unbehelligt an einen Bienenstock zu gelangen und sogar zu verstehen, was die Bienen sich mitteilen. Der Trank wurde von einem großen Tierforscher und Animagus des 18. Jahrhunderts entwickelt. Der Honig und der Fruchtsaft stellen neben den Zauberingredentien die Verbindung zu meinen Bienen her. Ich habe sogar noch eine Version, die mich befähigt, für wenige Stunden auf Insektengröße einzuschrumpfen, ohne wie beim Centinimus-Zauber ersticken zu müssen, warum das bei dem auch immer passiert."

"Aber den haben wir doch jetzt nicht geschluckt", wandte Claire ein. Die Imkerei-Hexe schüttelte bedächtig den Kopf.

"Der ist so schwer zu brauen, daß ich sehr sparsam damit umgehen muß", sagte sie lächelnd. Dann gingen sie alle hinaus.

Julius glaubte unvermittelt, in einer Großstadt voller schwatzender Leute zu sein, obwohl er mit den Ohren nur das Gesumm und Gebrumm der Bienen hörte. Eine der streichholzgroßen Bienen flog an ihm vorbei und näherte sich dem nächsten der wohl zweihundert Einfluglöcher in der Stadt der Bienenstöcke. Julius hörte eine tiefe, dennoch winzig scheinende Stimme, die sagte:

"Halt! Kontrolle! Wer bist du?"

"Zweitausendneunhundertachtundfünfzig vom Volk der dicken Königin", summte eine Antwort zurück. Julius, der wußte, daß Insekten sich vordringlich mit Duftstoffen verständigten, wunderte sich. Dann wurde ihm klar, daß es hier eine Art Tiertelepathie gab, die ihn befähigte, die Insekten zu verstehen. Er schritt näher heran und vergaß sogar etwas die Angst, die ihn überkam, wenn er fliegende Insekten mitbekam. Zwar flogen einige Arbeiterinnen um ihn herum, eine beschwerte sich nur für seinen durch Zaubertrank veränderten Verstand verständlich: "Zweibeinläufer kann nicht aus Weg bleiben."

Das ist das Volk der blau markierten Königin, einer besonders gut genährten Staatsherrin", sagte Madame L'ordoux. Einige Arbeiterinnen schwärmen nach Kirschblüten, andere bevorzugen Wildblumennektar."

"Das ist ja doch interessant", sagte Julius. Dann zuckte er zurück, weil mindestens eine Hundertschaft von Arbeitsbienen aus dem Flugloch herausschwirrte und für wenige Sekunden seinen Kopf umwölkte. Der Hogwarts-Schüler hob bereits eine Hand, doch besann sich. Was nützte es ihm, eine Biene zu erschlagen, um dann alle auf einmal gegen sich zu haben? Dennoch war ihm wieder etwas mulmiger, als er mit Madame L'ordoux noch näher an den Stock herangehen sollte. Schritt für Schritt ging er an den nächsten Bienenstock heran und beobachtete die großen Wächterbienen, die ein- und ausfliegende Arbeiterinnen abklopften und befragten, woher, wohin. Einige der Bienen wurden abgewiesen, weil sie offenbar nicht zum richtigen Volk gehörten, andere wurden befragt, was sie gefunden hatten. Julius beobachtete, wie unter tanzenden Bewegungen der Bienen für ihn verständlich rüberkam:

"In Richtung des aufsteigenden Himmelslichtes, etwas abgeneigt zum oberen Ringbogen, zweihunderttausend Flügelschläge bis große Wiese mit leckeren und offenen Blumen der Sorte einhundertsieben. Habe ganzen Honigmagen mit neuem Nektar vollgemacht. Doch es ist noch mehr da!"

"Gut, wird weitergegeben!" Bestätigte eine Wächterin.

"Moment mal, die können zählen?" Fragte Julius Madame L'ordoux, die neben ihm stand und zuhörte.

"Nicht im eigentlichen Sinne wie wir. Wir verstehen es nur so, weil unser Gehirn solche Anordnungen wie Zahlen versteht. Die Biene kann keinen einzelnen Flügelschlag zählen, dafür sind die doch zu häufig pro Sekunde. Aber sie weiß ungefähr, wie anstrengend mehrere tausend Flügelschläge sind und spürt instinktiv, wie viel Arbeit der Hinflug gekostet hat."

"Achso", erwiderte Julius und sprang zurück, weil sich ihm eine der Wächterbienen kampflustig entgegenstürzte und rief: "Zweibeinläufer weg da!"

"Lasse dich von denen nicht gleich ins Bockshorn jagen, Julius. Die würden dich nur angreifen, wenn du in den Stock hineinlangst und ihnen ohne Vorbereitung den Honig wegnehmen möchtest", sagte Madame L'ordoux sanft. Julius blieb jedoch stehen, wo er stand. Die Angst wühlte sich wieder in seinen Verstand zurück, nachdem das faszinierende, Bienen irgendwie sprechen zu hören, alltäglich geworden war. Ihm fiel ein, daß er bei seinem Karatelehrer Tanaka auch gelernt hatte, Angst vor einer Aktion niederzuringen, ja überhaupt alle störenden Gefühle durch eine Form der Entspannung zu verjagen. Er hatte das brauchbar entwickelt, um sich nicht von seinen Mitschülern in Wut versetzen zu lassen und hatte auch schon als Hogwarts-Schüler einige unnötige Streitigkeiten damit abgewendet, daß er sich konzentriert auf diese Technik von Wut und Angriffslust abgebracht hatte. Warum sollte es nicht auch mit seiner alten Angst gehen, nun, wo er in einem Schwarm von Bienen von der Größe eines Streichholzes herumstand. Er konzentrierte sich und sprach in Gedanken die Formeln aus:

"Was mich stört verschwinde! Mein Geist herrscht über meine Gefühle! Mein Geist herrscht über meinen Körper! Was mich stört verschwindet!"

Irgendwann stand er wohl so entspannt vor dem Bienenstock, daß Madame Faucon ihn fragte, ob er sich noch wohl fühle. Er erwiderte, daß er hier und jetzt eine Selbstbeherrschungsmeditation ausprobiert habe, die ihm sein Karatelehrer beigebracht hatte.

"Und sie wirkt, wie ich sehe. Du kannst dich offenbar bei aufgekommener Anspannung und Angst gut wieder entspannen. Außerdem denke ich, daß Sättigung Langeweile erzeugt. Wir intensivieren deine Umwelteindrücke, um diese Fähigkeit zu stärken."

Madame L'ordoux klopfte plötzlich laut gegen einen Bienenstock. Wie aus einer Kanone geschossen brach ein Pulk von über tausend Bienen heraus und jagte den Besuchern um die Köpfe. Nun war nicht nur Julius von Angst ergriffen. Sie hörten durch den Zaubertrank, daß sie störten, daß sie fortgehen sollten. Julius konzentrierte sich, obwohl sein Herz von einer Sekunde zur anderen von einigermaßen ruhig zu stampfend und schnell umschaltete. Die Bienen flogen ihm gegen den Kopf, gegen den Oberkörper, um Arme, Beine, Nase, Augen und Ohren. Doch er kämpfte in sich selbst um seine Selbstbeherrschung. Er wollte sich diesmal nicht in die Panikstimmung versetzen lassen, die ihn als Vierjährigen aus dem alten Haus der Sandersons getrieben hatte. Er sah sich als kleinen Jungen, wie er die morsche Kellertreppe hinaufhastete, einen wütenden Wespenschwarm über sich und um sich herum, fühlte beinahe körperlich, wie sie ihn damals gestochen hatten, glaubte, er würde jede Sekunde wieder gestochen, wollte um sich schlagen, fortrennen, flüchten. Doch er kämpfte mit dieser Angst, rang mit den Karatetrainingsformeln um seinen freien klaren Verstand und wich nur langsam vom Bienenstock zurück, während das gesummte Wutgeschrei der ausgeschwärmten Soldatinnen in seine Ohren drang. Es war schwierig, weil jedesmal, wenn er sich der Angst widersetzte, die damit verbundenen Erinnerungen hochkochten. Doch irgendwann schaffte er es, nicht nur nicht weiter zurückzuweichen, sondern wieder auf den Bienenstock zuzugehen, an den beiden Mädchen vorbei, die wild herumsprangen, weil die Bienen durch ihre Haare krabbelten. So vergingen fünf Minuten, bis der aufgescheuchte Schwarm sich wieder zurückzog, was gleichzeitig bedeutete, daß Julius vor dem Ein- und Ausflugsloch anlangte, wo ihn die Wächterinnen anzischten, er möge ja wieder fortgehen.

"Au Haua, jetzt weiß ich, wie heftig meine Mutter sich anstrengen mußte, um nicht von ihren Gefühlen überwältigt zu werden", dachte Julius für sich, als er ruhig, die über tausend weit verstreut herumfliegenden Bienen nicht beachtend, vom Bienenstock zurückwich.

"Ich hole dir und euch mal eine der Königinnen da raus", erklärte Madame L'ordoux und holte eine kleine Tonpfeife aus ihrem dunkelroten Arbeitsumhang. Sie entzündete das darin enthaltene Kräutergemisch mit ihrem Zauberstab und ließ merkwürdig riechenden Rauch aufsteigen, der die Bienen langsam einnebelte. Einige hörte Julius "Feuer!" Rufen, andere schienen regelrecht müde zu werden. Auf jeden Fall schaffte es die Imkerin, ohne Handschuhe in einen der Bienenstöcke hineinzugreifen und vorsichtig eine der großen Wachswaben herauszuholen, in deren Zentrum eine übergroße Biene, fast Kinderhandgroß hockte, mehrere weiße Pakete hinter und unter sich, um die sich gerade eifrige Arbeiterinnen bemühten, die im Moment jedoch sehr betäubt wirkten. Julius betrachtete die große Bienenkönigin, die Flügel, die sie nur zum Hochzeitsflug oder beim Ausschwärmen zum Bau eines neuen Volkes benötigte, den Stachel, der im Hinterleib halb verborgen lag, mit dem sie ihre jüngeren Schwestern getötet hatte, als sie als erste fruchtbare Jungkönigin aus ihrer Brutzelle ausgebrochen war. Vorsichtig praktizierte die Imkerin die Königin wieder in ihren Stock zurück, während der Rauch aus der Tonpfeife weiterhin alles Bienenleben einschläferte. Irgendwann war sie damit fertig und zog sich zurück. Sie prüfte, ob schlafende Bienen auf ihren Armen oder Händen saßen, entfernte die, die sie fand und kehrte zu Julius zurück.

"Du siehst, daß bei guter Vorbereitung kein Grund zur Angst mehr besteht. Respekt vor den Tieren ist zwar wichtig und schützt vor bösen Zwischenfällen, aber Panik ist nicht mehr nötig."

"Na ja, zumindest weiß ich jetzt, wozu ich die Selbstbeherrschungsübungen gemacht habe", stellte Julius fest.

"Das gilt nicht nur für Insekten, sondern auch für Mitmenschen, andere Hexen und Zauberer", bemerkte Madame Faucon dazu und schenkte Julius ein anerkennendes Lächeln. "Sich den schlimmsten Ängsten zu stellen ist schon sehr mutig. Wenn ich Schüler mit Irrwichten oder gefährlichen Kreaturen konfrontiere, wollen viele gleich davonrennen. Das hilft jedoch nicht immer. Deshalb ist Angst immer der schlimmste Feind, gegen den wir alle zu allererst zu kämpfen lernen müssen. Daß du das tust, zeichnet dich genauso aus, wie die Mitschüler, die sich erst in späteren Klassen bereitfinden, sowas zu tun."

"Vielleicht liegt es an diesen Dementoren, denen ich vor zwei Jahren begegnet bin. Diese Biester haben mich heftig runtergezogen", sagte Julius leise. Madame L'ordoux zuckte zusammen. Offenbar waren für sie Dementoren das, was für Julius ein wütender Insektenschwarm war.

"Begonie, du weißt doch, daß die seit zwei Jahren diesen Sirius Black suchen und deshalb Hogwarts belagert haben, um ihn dort zu erwischen", sagte Madame Faucon, so als habe sie der Schreck der Bienenzüchterin nicht besonders beeindruckt.

"Ach, du armer Junge. Da hast du ja gleich den besten Eindruck von unserer Welt bekommen", bekundete Begonie L'ordoux ihr Mitgefühl für Julius. Dieser nickte und erwiderte, daß er am liebsten wieder umgekehrt wäre, nachdem ein Dementor den Zug untersucht hatte.

"Das hätte denen nichts gemacht, Julius. Wenn die hinter dir herlaufen, ist denen egal, ob du in Hogwarts warst oder nicht", sagte Madame Faucon und sah sehr ernst aus, als wüßte sie was, was Julius noch nicht wußte und womöglich nie mitbekommen würde.

Um von den Wächtern Askabans zu einem angenehmeren Thema zu kommen, schlug Madame Faucon vor, daß die Bienenzüchterin ihnen zeigte, wie sie den Honig erntete, den die Bienen gesammelt hatten. So führte Madame L'ordoux ihren Besuchern die hohen Honigsilos vor und schleuderte in einem großen Kupferkessel mehrere ausgenommene Bienenwaben herum, bis unten der leicht klebrige golden schimmernde Honig herausgetropft war. Davon füllte sie einige kleine Gläser ab und schenkte sie den Besuchern.

"Das ist immer noch der beste und vielseitigste Süßstoff der Welt", sagte sie zum Abschluß. "Ich denke mal, du, Julius, kommst mich mal wieder besuchen, wenn du wieder in Millemerveilles bist?"

"Jetzt wo ich weiß, wie ich mich vorbereiten muß, möchte ich irgendwann mal wiederkommen, Madame", antwortete der Hogwarts-Schüler mit ruhiger Stimme und einem angenehmen Lächeln auf dem Gesicht, das von der Bienenzüchterin erwidert wurde. Jeanne fragte zum Schluß noch:

"Wie haben Sie es angestellt, daß Ihre Bienen so groß und doch harmlos werden konnten?"

"Es gibt einige Pflanzen, die sondern einen Saft ab, der ähnlich wirkt, wie das Gelee Royal, mit dem Jungköniginnen herangezogen werden. In verdünnter Form kann damit über mehrere Generationen eine größere Art herangezüchtet werden, ohne aggressive Verhaltensmuster zu verstärken. Ein anderer Wirkstoff beeinflußt das Kampfverhalten außerhalb des eigenen Volkes so, daß eine Arbeiterin weit vom Stock entfernt nur sammelt und sammelt, aber nicht angreift, wenn sie nicht unmittelbar bedrängt wird. Wer nicht in den Stock hineinbricht, löst keinen Angriff aus. Das habt ihr ja alle mitbekommen, als ich einen Angriff vorgetäuscht habe", sagte Madame L'ordoux.

"Vielen Dank, Begonie, daß du dir für uns die Zeit genommen hast", sprach Madame Dusoleil im Namen aller aus. Die anderen nickten. Blanche Faucon nickte Julius zu und sagte:

"Dieser Tag wird vielleicht einmal der wichtigste in deinem Leben geworden sein. Du weißt es noch nicht, aber gegen die eigene Angst zu bestehen ist immer der größte Sieg, den jemand erringen kann. Wer lernt, sich zu beherrschen, beherrscht auch alles, was mit ihm geschieht. Es gab und gibt zu viele Leute, die meinen, Macht zu haben, aber dabei sich selbst am wenigsten kontrollieren können. Wir sehen uns am Montag wieder."

Julius flog hinter Madame Dusoleil auf dem Familienbesen zurück. Beim Abflug störten ihn die herumschwärmenden Bienen nicht mehr. So ging es ruhig zurück zum Anwesen der Dusoleils, wo Monsieur Dusoleil sie unbeabsichtigt mit einem Feuerwerk aus roten, blauen und gelben Blitzen empfing.

"Nicht landen, Camille. Dieser verrutschte Kraftkerkerzauber muß sich erst wieder abregen!" Rief Monsieur Dusoleil mit durch den Sonorus-Zauber verstärkter Stimme nach oben, mitten in einem Wirbel aus bunten Blitzen stehend.

"Florymont, irgendwann treibst du es zu weit!" Rief seine Frau von oben herab.

Es dauerte eine Minute, bis sie ungefährdet landen konnten. Julius fragte den Hausherren, was das sei, ein Kraftkerker.

"Damit kannst du einen materielosen Schutz um dich herum aufbauen, gegen Einstürze, anfliegende Geschosse oder Stürme. Du kannst auch starke Kräfte darin einsperren, deshalb Kraftkerker. So kann jemand mit Erumpent-Flüssigkeit Versuche anstellen, ohne sich und alles um sich herum zu pulverisieren. Julius, der mal von den Erumpenten gelesen hatte, wußte, daß diese magischen Tiere in ihrem einzelnen Horn eine sehr starke Flüssigkeit bargen, die bei Freiwerden wie der Sprengstoff Nitroglycerin wirkte, sehr empfindlich war und großen Schaden anrichten konnte.

"Wieso ist Ihnen nichts passiert, als dieser Zauber nicht richtig zu bändigen war?" Fragte der Gast der Dusoleils den Hausherren und Zauberkunsthandwerker. Dieser grinste:

"Kraftkerker wirken sich immer von ihren Erschaffern fort aus. Ihr wäret in einen überheftigen Wirbelsturm geraten, der euch hätte zerreißen können. Aber ich stand sicher im Auge dieses Sturmes."

"Bis dich eines Tages was heftig erwischt, wo du nicht darauf hoffen kannst, daß es dich unbehelligt läßt", bemerkte Madame Dusoleil sehr ernst klingend.

"Camille, für diesen Fall habe ich euch gut abgesichert", sagte der Hausherr. Doch offenbar war das seiner Frau nicht recht. Sie sah ihn sehr böse an und fauchte wie eine gereizte Katze:

"Was nützt mir und den Mädchen, daß wir Berge von Galleonen kriegen, wenn du dich aus einem Fehler oder purem Leichtsinn heraus umbringst? Soll ich das nun toll finden, wenn du mir zum wiederholten Mal erzählst, daß wir uns keine Sorgen machen müssen, wenn du stirbst? Dafür habe ich dich nicht geheiratet und dir drei Töchter geschenkt."

"Ja, ist ja gut, Camille. Dir ging es und geht es nicht ums Geld, sondern um eine friedliche Familie in Ruhe und Geborgenheit", sagte Monsieur Dusoleil schnell und schaute seine Frau mit beruhigendem Blick an. Jeanne zog Julius bei Seite und flüsterte:

"Die beiden brauchen das manchmal. Ich mach uns allen Limonade."

Claire und Julius folgten Jeanne in die Küche, wo diese jedem einen großen Becher Limonade zubereitete, ob mit Orangen, ob mit Zitronen oder Waldbeeren.

"Ich kann deine Eltern verstehen, beide. Ich würde mich auch nicht immer freuen, wenn mir wer sagt, daß ja nichts dabei ist, wenn er oder sie sich in Gefahr bringt. Mein Vater hat das ja auch schon mit meiner Mutter gehabt, weil der in unserem Haus ein eigenes Versuchslabor hat. Aber lassen wir das!"

"Ich dachte, der is'n Muggel. Was will der denn mit einem Labor?" Fragte Claire. Julius grinste und erzählte ihr, wozu ein nichtmagischer Chemiker ein Versuchslabor brauchte.

"Und der darf das?" Wunderte sich Claire. "Wieso kann der im Haus deiner Eltern sowas machen?"

"Weil er wichtig ist und sich bei verschiedenen Leuten die Erlaubnis für den Einbau dafür besorgt hat", sagte Julius ungehalten. Er ärgerte sich, daß er das überhaupt erwähnt hatte. Nun mußte Claire ja glauben, daß sein Vater lebensmüde war und vielleicht auch ihn einfach so umbringen könnte.

"Claire, Julius' Vater ist ein erwachsener Mann, wie Papa. Der mußte lernen, mit den Sachen umzugehen, mit denen er arbeitet. Der wird wohl wissen, was zu gefährlich ist. Dieser freie Wasserstoff zum Beispiel ist ja schon heftig oder dieses Chlorgas, von dem Julius und Madame Faucon uns erzählt haben. Aber man muß ja immer auf dem laufenden sein, wenn man was arbeitet. Wenn jemand, wie Julius' Vater so hoch befördert wurde, daß er selbst nicht mehr viel mit gefährlichen Sachen machen muß, könnte er den Überblick verlieren. So weiß er, wann etwas genau richtig zu machen ist, um nicht tödlich aus der Bahn zu geraten."

"Ja, aber wer mit sowas herumspielt kommt vielleicht auf die Idee, das mal gegen wen anzuwenden. Ich will nicht sagen, daß dein Papa sowas macht, Julius. Aber wie bei uns Hexen und Zauberern ist es sehr leicht möglich, erlernte Sachen falsch zu benutzen", sagte Claire und behielt Julius genau im Blick ihrer dunkelbraunen Augen.

"Claire, der hat es nicht geschafft, die Sperrdornhecke deiner Mutter wegzukriegen. Also kann er nicht so viel Schaden anrichten. Zumindest nicht mit den Chemikalien in seinem Labor", erwiderte Julius ruhig, obwohl er es selbst nicht so recht glaubte, was Claire wiederum nicht entging.

"Du mußt dir und mir nichts vorlügen, Julius", sagte sie mit tadelndem Blick. Immerhin bist du im Moment weit von ihm weg, und die Grandchapeaus und euer Ministerium in England haben ihm verboten, dir Post zu schicken."

"Heh, Claire, das war aber jetzt böse", schritt Jeanne energisch ein. "Du kannst doch nicht einfach sowas in den Raum werfen! Julius' Maman ist eine sehr nette Frau, auch wenn sie eine Muggel ist. Sein Vater kommt nur nicht mit unserer Welt klar, weil ihm alle eingeredet haben, daß wir nicht existieren können. Da kannst du ihm doch nicht unterstellen, seinen Sohn umzubringen oder auch nur zu verletzen. Entschuldige dich bei Julius!"

"Ist nicht nötig, Jeanne", sagte Julius, als Claire ihn mit beschämter Miene anblickte. "Ich wohne hier schon lange genug, daß ich mich damit gut zurechtfinde, daß ihr euch meinetwegen Sorgen macht. Ja, und es ist schon wahr, daß mein Vater sich nicht damit abfindet und einige Dummheiten angestellt hat, um mich am Zaubern zu hindern. Das macht natürlich nicht gerade den besten Eindruck. Ich habe aber keine Lust, mich mit dir oder Claire darum zu streiten, wozu er fähig ist oder nicht. Ich müßte mich sogar entschuldigen, daß ich euch überhaupt davon erzählt habe und euch gewisse Sorgen bereitet habe und ..."

"Julius, Claire muß das lernen, daß man sich über anderer Leute Eltern nicht abfällig äußert, wenn sie sie nicht kennt. Außerdem ist es in Ordnung, wenn du dich mit uns über sowas unterhältst, weil das nur die Vertrauensgrundlage verbessert. Sicher haben Maman und ich uns Gedanken gemacht, was bei dir zu Hause los ist, schon bevor ich in die Beauxbatons-Kutsche eingestiegen bin, um zu euch zu kommen. Aber das sollte dich nicht dazu zwingen, nur noch zu schweigen, nur um uns nicht zu ängstigen oder zu ärgern. Du hast ja wohl mitgekriegt, daß wir hier alle sofort sagen, wenn du was gesagt oder getan hast, was wir nicht mögen, damit du uns erklären konntest, wieso du das gemacht hast. Und ich sage dir noch was: Wenn die beiden großen Damen das wirklich kriegen, was sie von dir wollen, haben wir sogar ein Recht darauf, mit dir weiterhin gut auszukommen."

"Wie meinst du das?" Fragte Claire ihre Schwester. Julius wußte natürlich, daß Jeanne mit den großen Damen ihre gemeinsame Ferienlehrerin und Madame Delamontagne meinte und auch, was diese wollten, nämlich, daß Julius besser nach Beauxbatons wechselte als in Hogwarts unter seinen Fähigkeiten weiterzulernen.

"Ist im Moment nicht so wichtig, Claire. Julius hat mich schon verstanden, sehe ich ihm an", sagte Jeanne. Julius nickte.

"Welche großen Damen meinst du?" Fragte Claire ihre Schwester erneut und sah dabei nicht gerade beruhigt aus.

"Wen wird sie wohl meinen, Claire: Viviane Eauvive und Serena Delourdes", sagte Julius schnippisch. Claire fuhr herum und funkelte ihn zornig an. Dann mußte sie sehr breit grinsen.

"Du liest ja in den Bulletins de Beauxbatons", stellte sie erfreut fest. "Also interessiert es dich doch, mehr über unsere Schule zu wissen. Dann kannst du ja doch noch zu uns kommen."

"Etwas zu wissen muß nicht heißen, es dann auch zu tun, Claire. Ich weiß wie ..., neh, das ist jetzt zu fies", erwiderte Julius. Er wollte sagen, daß er zwar wußte, wie der Todesfluch Avada Kedavra ging, aber ihn deshalb nicht gleich anwendn mußte.

"Was?" Fragte Claire wieder erbost dreinschauend.

"Wenn ich weiß, wie ich beim Quidditch wen anrempeln muß, um ihn oder sie vom Besen zu hauen, muß ich das doch nicht bei jedem Spiel machen, wenn überhaupt", sagte Julius, dem eine einigermaßen glaubwürdigere Erklärung eingefallen war.

"Das ist ja auch was gemeines", sagte Claire. "Aber wenn du über Beauxbatons was liest, wird es dich eher dazu bringen, uns mal für länger zu besuchen, nach dem nächsten Schuljahr vielleicht."

"Ich habe mir nur das erste Kapitel durchgelesen, das mit den Gründern von Beauxbatons", gab Julius zu, noch nicht so viel zu wissen, wie es für Claire aussehen mochte.

"Ich glaube nicht, daß meine Schwester jetzt diese Antwort hören wollte", lachte Jeanne, weil Claire etwas enttäuscht dreinschaute.

"Jeanne, ich habe sowohl den großen Damen - gemeint waren übrigens Madame Faucon und Madame Delamontagne - wie auch deiner Maman und dir erzählt, daß es nicht an mir hängt, ob ich in Hogwarts oder Beauxbatons besser dran bin. Mir hat es nur nicht geschmeckt, wie es dort zuging, als ich mit dir und den Anderen dort ankam, Jeanne."

"Ich sagte ja, wir müssen uns nicht dazu auslassen", sagte Jeanne. Claire wandte sich Julius zu und fragte:

"Möchte Madame Faucon, daß du zu uns kommst, für den Rest der Schulzeit? Die Frage beantwortest du mir und zwar ohne Umwege oder Lügen!"

"Claire!" Zischte Jeanne mißbilligend. Doch Julius sah Claire an und sagte ruhig:

"Wenn es nach Madame Faucon ginge, kann man als guter Zauberer nur in Beauxbatons lernen. Sie meint, ich müßte einer werden. Also hat sie mir gesagt, daß sie mich sofort dorthin mitnehmen würde, wenn ihr das erlaubt oder befohlen würde."

"Und weshalb meint Madame Delamontagne das auch?" Fragte Claire immer noch nicht zufrieden mit dem, was sie gehört hatte.

"Weil sie auch meint, daß alle guten Hexen und Zauberer nur in Beauxbatons gut lernen können und vielleicht hofft, ich könnte dann noch öfter gegen sie Schach spielen, weil der Weg für Eulen zwischen Millemerveilles und Beauxbatons kürzer ist, als zwischen Hogwarts und Millemerveilles."

"Schach!" Fauchte Claire verächtlich. "Madame Delamontagne ist zwar mächtig und bestimmt auch sehr gut in dem, was sie macht. Aber dieses Spiel ist doch langweilig und noch dazu gewalttätig. Quidditch ist da besser, weil man dabei lernt, mit seinen Mithexen und -zauberern richtig umzuspringen."

"Komm, Claire. Meine Mum spielt auch Schach und ist nicht gewalttätig oder gar langweilig", widersprach Julius. Dann fragte er: "Ist es nicht so, daß aus dem grünen Saal die meisten spielen?"

"Ja, bis auf wenige Ausnahmen", knurrte Claire.

"Bei der Vererbung der Vorlieben hat Claire Mamans Abneigung gegen Schach geerbt, während ich die Begeisterung dafür von Papa und Tante Uranie bekommen habe", sagte Jeanne. Julius grinste feist und gab zum Besten:

"Ja, da konnte Claire doch nur das übernehmen, was deine Mutter noch hatte, wo das von deinem Vater schon an dich weitergereicht wurde."

"Lümmel!" Ereiferte sich Jeanne kurz, mußte dann aber lachen. Madame Dusoleil trat in die Küche und lachte auch.

"Eine Mutter ist doch kein Warenlager, aus dem etwas herausgenommen wird und dann für wen anderes fehlt, mon Cher", sagte sie Julius zugewandt. Julius erschauerte. Mon Cher, also mein Lieber oder Teurer, war an und für sich die Anrede für feste Freunde, Ehemänner oder Söhne. Als was von diesen drei Möglichkeiten sollte er sich nun fühlen?

"Glaube ich Ihnen sofort", sagte Julius schnell, um die Verlegenheit nicht zu sehr aufkommen zu lassen, die ihn heimsuchte.

"Ich hörte flüchtig mit, was ihr über Julius' Möglichkeiten geredet habt, er könne nach Beauxbatons wechseln. Ich denke mal, daß er nur dann zu euch kommen möchte, wenn es in Hogwarts nicht mehr weitergeht oder ihm das von oben her befohlen wird."

"Die kleine möchte eben gerne haben, daß Julius mit uns zusammen nach Beauxbatons zurückkehrt", warf Jeanne gehässig ein. Claire stampfte wütend mit dem rechten Fuß auf und knurrte.

"Nachher lande ich noch bei Jacques im blauen Saal oder bei der holden Caro bei den Roten oder bei der lieblichen Belisama im weißen Saal", warf Julius ein. Seine Gastmutter rümpfte etwas die Nase. Offenbar ging ihr das dann doch etwas zu weit. Claire, der das auf jeden Fall zu weit ging, ging auf Julius zu, ergriff seine rechte Hand und drückte sie fest. Dabei sagte sie:

"Was willst du von Caro oder Belisama? Caro ist ein verspieltes Gör, das immer ausprobiert, wie weit es gehen kann. Belisama sieht zwar hübsch aus, kann ich nicht anders sagen. Aber dafür zu diesen Fachidioten in den weißen Saal? Julius, da gehörst du nicht hin. Bei den Blauen gehörst du auch nicht hin, weil Maman dich bestimmt schon oft ausgeschimpft hätte, wenn du deren Unsinn anstellen würdest. Außerdem versteht Jacques und du euch doch nicht."

"Mädel, das ist doch wohl kein Grund, nicht bei denen ... Autsch!" Julius spürte vier scharfe Fingernägel eines verärgerten Mädchens in seiner rechten Hand einsinken.

"Das du nicht gerne zu uns willst, wissen wir", schnaubte Claire verärgert. "Aber dann mußt du weder Maman, noch Jeanne und auch nicht mich immer wieder so gemein abfertigen."

"Oh, was habe ich da wohl angerichtet?" Fragte sich Julius in Gedanken. Claire ließ seine Hand wieder los. Der Hogwarts-Schüler besah sich die Stelle, wo sie ihm ihre Fingernägel in die Haut gebohrt hatte, sah, daß es nur leichte Kratzer geben würde und lächelte nur.

Nach dem Abendessen im Kreis der ganzen Familie, wo über den Besuch bei Madame L'ordoux gesprochen wurde, machten die Dusoleils und ihr Feriengast noch etwas Musik, bevor sie alle zu Bett gingen. Am nächsten Tag sollte es ja zum See der Farben gehen.

__________

Früh am Samstagmorgen trainierten Barbara und Julius mit Hilfe des Schwermacherkristalls, der eine langsam steigende Belastung für den ganzen Körper erzeugte und dadurch wie immer schwerere Bleigewichte auf den Körper einwirkte. Julius hielt die empfohlene Viertelstunde für Anfänger durch, ohne sich zu sehr zu erschöpfen. Er lief mit Barbara um den Dorfteich, machte Gymnastik, sprang, vollführte Karate-Trockenübungen und trainierte die Gelenkigkeit seiner Schultern, Hüfte und Füße. Als die fünfzehn Minuten verstrichen waren, gebot Barbara, daß er den Schwermacher wieder ablegte und in dessen Futteral verbarg.

"Du bist noch einige Tage hier. Bis dahin kommen wir wohl schon zu der Grenze, wo du den Kristall für zwanzig Minuten benutzen kannst, ohne unter seiner Wirkung zusammenzubrechen. Jetzt laufen wir noch ein bißchen!" Bestimmte die Sprecherin der Mädchen vom grünen Saal in Beauxbatons. Nach dem Auflockerungslauf um den Teich in der Dorfmitte fragte Julius, ob Barbara auch zum See der Farben mitkommen würde. Sie sagte:

"Ja, ich komme. Jacques hat unerschütterlich festgelegt, daß er dieses und die nächsten Jahre da nicht mehr hingehen würde, weil es ihn nicht interessiert habe, irgendwelche Unterwassergärten zu besuchen und dieses "glibberige Zeug", das er hat kauen müssen, eine Beleidigung für seinen guten Geschmack sei. An und für sich wollte ich ihn mitschleifen. Aber dann habe ich mir überlegt, daß der mir nur lästigfallen würde. Deshalb komme ich alleine. Immerhin bin ich ja schon siebzehn."

"Gut, dann sieht man sich ja", warf Julius fröhlich ein. Barbara lächelte und fragte zurück:

"Hinter wem wirst du denn auf dem Besen sitzen?"

"Ich fliege bei Jeanne mit. Claire möchte lieber mit ihrer Mutter fliegen als mit ihrer großen Schwester."

"Na wunderbar. Ihr beiden könnt ja gut miteinander fliegen, habe ich schon ein paar mal sehen können. Bis später dann!"

Nach dem Frühstück zogen sich alle, die zum See der Farben wollten, ihre Badesachen unter die Straßenkleidung, damit sie sich nicht erst komplett nackt ausziehen mußten, wenn sie am See waren. Julius zog eine der neuen Badehosen an, die er in der Zwirnsstube gekauft hatte. Es war eine feinverarbeitete, maßgeschneiderte Stoffhose mit grünen und blauen Mustern, die Julius wie angegossen paßte. Er zog seine übrige Kleidung, einen tannengrünen Umhang und seine Laufschuhe an und ging wieder hinunter zu Jeanne, Claire und ihrer Mutter, die bereits fertig für den Ausflug waren.

Hinter Jeanne auf dem Ganymed sitzend, flog Julius mit den Dusoleils zur Dorfmitte, wo sie sich mit den übrigen trafen, zu denen auch die Lagrange-Schwestern, Virginie und ihre Mutter, Caro und ihr Vater, sowie Barbara Lumière, aber ohne Verwandten gehörten. Dann ging es zum See der Farben.

Wie im Jahr zuvor begrüßte Madame Neirides, eine Betreuerin des großen Sees die Besucherinnen und Besucher. Dann teilte sie an die Jugendlichen unter siebzehn Jahren Portionen von Dianthuskraut aus, einer tangartigen Pflanze, die im Mittelmeer vorkam und denen, die davon aßen, für eine durch die Menge festlegbare Zeit echte Kiemen, Schwimmhäute zwischen den Fingern und Flossenfüße verlieh, wodurch sie sehr gut an Unterwasserausflüge angepaßt waren. Jeanne schloß ihren Kopf mit einer bläulich-durchschimmernden Blase aus Magie ein, die sie wie mit einem Taucherhelm unter Wasser atmen lassen konnte. Julius hatte diesen Zauber zwar bei Madame Matine gelernt, durfte ihn aber wegen der Zaubereibeschränkung für Minderjährige nicht ohne Befehl oder Notlage ausführen. Dann ging es in die Tiefen des Sees, wo Madame Neirides sie durch die bizarren Gärten mit magischen Unterwasserpflanzen führte, vorbei an Fischen, Weichtieren und versteckten Zauberwesen wie im Tangdickicht lauernden Grindelohs, gehörnten grünen Wasserdämonen mit langen Fingern, die gerne arglose Schwimmer packten und zu sich hinunterzerrten, womöglich um sie zu ertränken. Doch Julius achtete schon darauf, daß ihn keiner dieser Wasserunholde zu nahe kam. Die Unterwassergärten schillerten in allen sichtbaren Farben. Madame Neirides erklärte mit vielen Gesten und Andeutungen, was die Pflanzen waren und wozu sie gebraucht wurden. Julius verstand wegen der von Madame Neirides angewendeten Kopfblase nicht alles richtig, er wußte jedoch, daß er das alles nachlesen konnte. Denn er hatte ein kleines Heft bekommen, als er im letzten Jahr dort war.

Barbara hielt sich neben Jeanne und Julius auf und sah den beiden zu, wie sie sich durch das Algengestrüpp wanden und auf Grindelohs aufpaßten, die zwischendurch ihre gehörnten Schädel herauslugen ließen, aber wohl zu weit fort waren, um Beute zu machen. Zwischendurch legte Barbara einen schnellen Unterwasserspurt hin. Julius verstand das als Aufforderung, hinter ihr herzujagen. Jeanne folgte ihm einmal und hielt ihn sehr energisch fest.

"Du sollst Barbara nicht hinterherjagen. Wie sieht denn das aus?" Kam von ihr bei Julius an. Er hörte es zwar eher wie ein leises Flüstern, konnte sich jedoch vorstellen, daß es in Wirklichkeit ein lauter Tadel war. Aber an und für sich stellte der Hogwarts-Schüler fest, daß er durch den Schwermacher, mit dem er ja nun mehrere Wochen hatte trainieren können, wesentlich leichter unter Wasser vorankam als im letzten Jahr.

Bei einer Pause außerhalb des Sees meinte Jeanne zu Barbara:

"Sag mal, Barbara, was möchtest du erreichen? Warum meinst du, Julius mit Kraft und Schnelligkeit verleiten zu müssen, sich zu verausgaben?"

"Hmm, daß das ausgerechnet die mich fragt, die mir vor unserer Rückfahrt in den Ohren lag, wie schön es doch sei, daß Julius mit uns wieder trainieren könnte, wundert mich zwar nun, Jeanne. Aber ich rechne dir das mal so an, daß du natürlich aufpassen mußt, daß Julius nichts passiert. Ich hätte mit Jacques wohl dasselbe Problem. Ich wollte nur wissen, ob seine Gewandtheit sich durch den Schwermacher verbessern konnte und bin zufrieden, das dies wirklich der Fall ist."

"Dann bin ich ja auch beruhigt", sagte Jeanne.

Nach der Pause über Wasser ging es noch mal hinunter in die Tiefen des Sees, wo sie wie im Sommer zuvor eine Meerleutesiedlung besuchten und sich einen Chor von Wassermenschen anhörten, der schön und weit klingend mehrere Lieder sang. Danach ging es wieder hinauf an die Luft, zumindest dann, als die Wirkung des Dianthuskrautes nachließ und die Jugendlichen, die davon gegessen hatten, unter Wasser nicht mehr atmen konnten. Auf dem Rückflug heizte Madame Dusoleil das Tempo an und forderte alle auf, mit ihr ein schnelles Rennen zu fliegen, was Jeanne mit Julius und Barbara prompt annahmen. In wilder Fahrt ging es durch die Luft hinauf und hinunter, in enge Kurven und mit großen Sprüngen, mit einem Sturzflug aus großer Höhe als Abschluß. Hierbei zeigte sich, daß Jeanne und Julius erfahrene Soziusflieger waren, die die schnellen Wendemanöver sehr geschmeidig ausflogen und auch nach dem Sturzflug federnd den Abwärtsschwung auffingen und leicht wieder nach oben stiegen. Als dann alle wieder in der Dorfmitte versammelt waren, bedankte sich Madame Dusoleil bei den Teilnehmern des Ausflugs für ihr Interesse und wünschte noch ein schönes Wochenende.

"Also, falls Bruno nicht mit dir zur Walpurgisnacht will, solltest du Julius fragen, ob er extra dafür zu dir kommt, Jeanne", sagte Barbara leise zu Jeanne. Diese grinste. "Bruno wird dieses Jahr klarmachen müssen, was er sich vorstellt. Aber ich freue mich, daß du mir einen guten Soziusflieger eher gönnst, als ihn für dich zu vereinnahmen."

"Eh, Mädels", begann Julius, fing sich aber von Barbara und Jeanne einen zur Vorsicht gemahnenden Blick ein. Offenbar ging es ihn nichts an, sich da einzumischen. So zog er sich einige Meter zurück, um Caro unter die Augen zu kommen.

"Worum zanken sich die beiden Grünen da? Beansprucht Barbara dich?"

"Klar! Sie hat gemeint, ich sollte mich nicht mit kleinen Mädchen einlassen", gab Julius frech zurück. Er sah sich um, ob Claire das mitbekommen hatte und atmete erleichtert aus, als er sah, daß Claire bei ihrer Mutter stand und sich mit einem anderen Mädchen unterhielt, das mit seiner Mutter am Ausflug teilgenommen hatte. Irgendwann holte Jeanne ihn wieder ab und sagte:

"Barbara und ich kabbeln uns gerne zwischendurch. Wir wollten nur nicht, daß du den Eindruck bekommst, wir würden uns um dich balgen. Wir sind beide gut bedient mit denen, die wir uns ausgesucht haben. Mach du nicht so lange Ohren, Mademoiselle Renard. Ich glaube nicht, daß Julius mit dir zur Walpurgisnacht ausreitet, falls er nach Beauxbatons wechseln würde."

"Eh, ich kann gut fliegen und werde in diesem Jahr den Soziusflug lernen. Deine Schwester Claire ist da doch noch Meilen weit von weg, sowas zu lernen", ereiferte sich Caro Renard sichtlich vergrätzt.

"Na und? Julius feiert in Hogwarts Halloween. Da fliegen die nicht auf ihren Besen herum. Und wenn er doch bei uns sein sollte, dann kann er ja mit Céline oder Jasmine fliegen oder mit Mildrid aus deinem Saal."

"Wenn die das macht, fluche ich sie in Grund und Boden", schnaubte Caro. Julius, der nicht wußte, ob er sich hier nun einmischen sollte, sah Jeanne an und meinte:

"Was will ich in Beauxbatons? In Hogwarts ist es wesentlich angenehmer. Da spiele ich dieses Schuljahr vielleicht Quidditch. Wir kriegen dieses Jahr einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste und ich kann mit meinen Freunden den schuleigenen Poltergeist auf Trab halten."

"Poltergeist? Du freust dich, daß ihr einen Poltergeist habt? Neh, das packe ich jetzt nicht", erwiderte Caro und trollte sich.

"Die Renards hatten im Chapeau mal einen, Ferox hieß der. Der hat denen über ein halbes Jahr sämtliche Gäste vergrault und den Umsatz verdorben", flüsterte Jeanne, als sie grinsend mit Julius zu ihrem Besen zurückging. "Die hält dich jetzt vielleicht für irrsinnig. Aber dann läßt sie dich in Ruhe."

"Wie haben die Eltern von Caro den Poltergeist denn wieder loswerden können?" Wollte Julius wissen.

"Die von unserer Geisterbehörde haben eine Geisterfalle aufgestellt, die ihn eingesaugt hat und konnten ihn abtransportieren. Der spukt jetzt sicher in den Grotten der Verbannten, einer magisch behandelten Höhle in der Bretagne, wo undisziplinierte Geister eingekerkert werden. Die kopflose Herzogin, einer unserer Geister in Beauxbatons, hat uns das mal erzählt, welch schauderhafte Gesellen da schon hingekommen sind."

"Na ja, Menschen werden da wohl nicht hingehen, oder?"

"Nein, die Höhle ist nur für Zauberer mit Spezialschlüssel zugänglich und so behandelt, daß Geister nicht einfach durch die Wände abhauen können", sagte Jeanne noch. Dann hieß es, wieder zum Haus der Dusoleils zurückzufliegen.

__________

Der Sonntag verstrich etwas ruhiger. Julius stand um sieben Uhr auf, lief alleine um den Dorfteich und kehrte dann in das Haus seiner Gasteltern zurück. Monsieur Dusoleil hielt die Sonntagsausgabe des Miroir Magique, der hierzulande bekanntesten Zaubererzeitung in den Händen und sah verdutzt auf eine sich bewegende Schwarz-Weiß-Fotografie eines Zauberers mit rundem Hut und korrektem Nadelstreifenumhang. Julius erkannte ihn sofort wieder.

"Huch, warum haben die wieder was von Cornelius Fudge in der Zeitung?" Erkundigte er sich, ohne Monsieur Dusoleil zu begrüßen. Dieser reichte Julius wortlos die Zeitung, sodaß er lesen konnte:

BRITISCHER ZAUBEREIMINISTER SAGT KONFERENZTEILNAHME AB

Die in diesem Sommer angesetzte internationale Zaubererkonferenz, die in Carlisle, Schottland, Großbritannien abgehalten werden sollte, wird wohl nicht zum festgelegten Zeitpunkt stattfinden, da der zuständige Minister für Zauberei, Cornelius Fudge, aus bislang unverlautbarten Gründen die Ausrichtung der Konferenz, sowie die eigene Teilnahme in Frage gestellt hat. Der Versuch unserer Auslandskorrespondentin Iris Poirot, näheres zu erfahren, scheiterte an einer Mauer des Schweigens. Keiner der für diese Zusammenkunft zuständigen Ministerialbeamten nahm zu den unerwarteten Plänen des britischen Zaubereiministers Stellung. Gleichförmig hieß es, daß der Minister zur nächsten sich bietenden Gelegenheit eine ausführliche Erklärung abgeben wolle, um seinen Standpunkt zu erläutern.

Unserer Redaktion sowie der Mehrheit unserer geschätzten Leserschaft drängt sich die Frage auf: Legt Großbritanniens Zaubereiminister Cornelius Fudge keinen Wert mehr auf internationale magische Zusammenarbeit? In diesem Zusammenhang wirkt die Randnotiz, daß die vorher so vorbildlich besetzte Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit aufgelöst wurde, wie ein Frühwarnsignal, daß sich die britischen Zauberer auf die Untugenden ihrer nichtmagischen Landsleute rückbesinnen und eine völlige Isolation befürworten, weil sie vielleicht denken, wieder an Stärke gewonnen zu haben. Eine Stellungnahme des französischen Ministers für Magie, Monsieur Armand Grandchapeau, lesen Sie bitte auf Seite 6!

"Haben Sie gelesen, was der französische Zaubereiminister dazu sagt?" Fragte Julius sehr überrascht über das, was er gerade gelesen hatte.

"Ja, habe ich. Ist eine merkwürdige Geschichte. Hast du aus England was gehört, warum das passiert? Hat der Unnennbare vielleicht was damit zu schaffen?"

"Ich hoffe mal nicht. Denn dann wäre die ... der Drachenmist heftigst am dampfen", erwiderte Julius und blätterte auf Seite 6 weiter, um die Stellungnahme Monsieur Grandchapeaus zu lesen.

STELLUNGNAHME DES FRANZÖSISCHEN MINISTERS FÜR MAGIE, ARMAND GRANDCHAPEAU

"Nun, ich kann Ihnen und Ihren geschätzten Lesern nicht mehr über die unerwartete Absage der internationalen Zaubereiministerkonferenz sagen, als was Sie selbst schon herausgefunden haben. Wenn Sie mich nach einer reinen Vermutung fragen, so dürfen Sie veröffentlichen, daß ich höchst befremdet bin, was sich in den letzten Wochen und Monaten in Großbritannien zuträgt. Eulenpostverbindungen sowie Direktgespräche über Kontaktfeuer ließen drastisch nach, der Plan für den Austausch von Ministerialbeamten, der zwischen der französischsprachigen und englischsprachigen Zaubererwelt umgesetzt wird, gerät wegen britischer Vorbehalte und Aufschiebungen in Verzug, ja droht gar, wegen Nichtbeachtung zu scheitern, was ich persönlich bedauere, da ich vor zehn Jahren selbst mit meinem britischen Kollegen Fudge, sowie meiner australischen Kollegin Rockridge, sowie dem luxemburger Kollegen und jenem aus Belgien den internationalen Zaubereibeamtenaustausch in Personenverkehr, Strafverfolgung, internationale magische Zusammenarbeit und Ausbildung unterschrieben habe. Damals erschien es mir nach der düsteren Ära des sogenannten dunklen Lords, daß nun endlich unter der Führung vernünftiger Hexen und Zauberer eine friedliche Weltordnung der Magier geschmiedet werden könnte. Nun, offenbar herrscht in Großbritannien seit dem tragischen Ende des trimagischen Turniers eine Atmosphäre vor, die teils geheimnisvoll teils beunruhigend wirkt. Ich gehe davon aus, daß die Konferenz in Bälde abgehalten wird. Falls sich mein Amtskollege Fudge endgültig entschließt, sie weder auszurichten noch daran teilzunehmen, werden wir uns eben in Australien treffen. Ich erfuhr von meiner Amtskollegin dort, daß sie durchaus in der Lage sind, die für nächstes Jahr angesetzte Konferenz vorzuziehen. Doch ich möchte Minister Fudge nicht dadurch brüskieren, daß ich oder sonstwer aus meinem Ministerium ihm und seinen Untergebenen den Eindruck vermittelt, unwichtig und daher entbehrlich zu sein und werde die weitere Entwicklung der Dinge in Ruhe abwarten."

"Na wunderbar", bemerkte Julius. Er kannte Minister Grandchapeau als besonnenen, stets alle Dinge vernünftig betrachtenden Mann. Immerhin hatte er ihm vor einigen Wochen über die Gefahr von Atombomben berichtet und nicht den Eindruck gewonnen, nicht ernst genommen zu werden oder für einen Panikmacher angesehen zu werden. Er erinnerte sich noch gut an die Worte, die Minister Grandchapeau zu ihm und seinen Begleitern, Madame Delamontagne und Monsieur Pierre, gesprochen hatte:

"Dieses Problem betrifft ja dann wohl nicht nur Millemerveilles, sondern auch uns hier in der Rue de Camouflage, sowie die Beauxbatons-Akademie oder auch die Einrichtungen in der ausländischen Zaubererwelt. Nun weiß ich zumindest, obwohl das keineswegs zur Beschwichtigung dienen darf, daß der dunkle Lord alles verabscheut, was Muggel tun. Das mag vielleicht der Grund sein, weshalb Hogwarts überhaupt noch steht, nachdem, was Sie gerade erläutert haben, Julius. Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen meine Hochachtung für Ihre Spracherziehung aussprechen. Kurz, knapp und vor allem sachlich, ohne überflüssige Gefühlswallung haben Sie mich informiert. Aber wie gesagt gehe ich im Moment davon aus, daß der dunkle Lord nicht auf die Anwendung von Atomwaffen verfällt, zumal er ja auch davon profitieren möchte, einen so sicheren Ort wie Millemerveilles zu erobern. Sein Zerstörungsdrang dürfte sich in gewissen Grenzen halten, und sein Haß gegen Muggelwerk und Muggelstämmige blendet ihn womöglich so sehr, daß er deren Vernichtungsmittel nicht beachtet. Hogwarts wäre schon längst unter einer solchen Waffe verschwunden, hätte er es für nötig befunden, es damit anzugreifen. Jedoch werde ich nicht mit der Blindheit meines britischen Kollegen Fudge diese Möglichkeit ignorieren. Im Gegenteil: Ich werde veranlassen, daß wirksame Schutzmaßnahmen für Millemerveilles, Beauxbatons und unsere übrigen wichtigen Zentren getroffen werden. Der Unnennbare ist womöglich doch dazu fähig, die Zerstörungskräfte der Muggel für seine machtgierigen Zwecke zu nutzen, geht es doch auch darum, seine Macht über die Muggel zu demonstrieren. Eine Welt, in der seiner wahnwitzigen Auffassung nach die Zauberer aus reinblütigen Familien herrschen und alle anderen Sklavendienste leisten sollen, bedarf auch der Unterwerfung der Muggel. Da Sie, Julius, eindrucksvoll dargelegt haben, daß Sie mehr Angst vor diesen Atomwaffen haben als vor dem Unnennbaren selbst, könnte er sich diese wohl weit in der Muggelwelt verbreitete Angst nutzbar machen, indem er eine grausame Kostprobe seiner Macht gibt, indem er eine solche Waffe ohne Wunsch derer, die sie bauten, ja auch gegen die Erbauer selbst, einsetzen läßt. Da wir der Geheimhaltung unserer Welt verpflichtet sind, dürfen wir nicht in die Geschicke der Muggel eingreifen und solche Massenmordmethoden unmöglich machen. Wir können und müssen jedoch beobachten, was wer wie tut und zu welchem Zweck. Die reinen Zaubereizentren werden wir nun zu schützen haben. Vielen Dank, Julius, daß Sie uns diese Gefahr greifbar und vor allem begreifbar gemacht haben."

Das war am Wochenende vor Julius' dreizehntem Geburtstag gewesen. Professeur Fixus, die unheimliche Zaubertranklehrerin von Beauxbatons, hatte über Millemerveilles einen starken Elementarzauber aufgerufen, der Kernwaffen vernichten sollte, bevor sie selbst explodieren und alles Leben in ihrer Reichweite auslöschen konnten. Wahrscheinlich war über Beauxbatons ähnliches passiert, wie auch über den anderen wichtigen Zentren der französischen Zaubererwelt. Julius überlegte sich, was wohl gelaufen war, daß Cornelius Fudge derartig uneinsichtig war und es offenbar nun sogar darauf anlegte, seine Berufskollegen zu vergraulen. Doch ihm fiel nicht ein, was dahinterstecken konnte.

Beim Frühstück sprachen die Dusoleils über den Artikel und ob Julius sich dazu was überlegen konnte. Er wandte ein, vielleicht an Mrs. Priestley schreiben zu können, um näheres zu erfahren. Jeanne meinte dazu:

"Also ich habe deine Fürsorgerin kennengelernt. Ich gehe davon aus, daß sie ihren Beruf gerne ausübt. So wie sich das hier liest, hat euer Zaubereiminister den Deckel draufgemacht und seinen Leuten gedroht, sie zu entlassen, wenn einer von denen was ausplaudert, warum die Konferenz nicht stattfinden kann. Aber sicher muß Minister Grandchapeau abwarten, was sich tut, bevor er und die übrigen Zaubereiminister anderswo zusammentreffen, möglicherweise sogar ohne Minister Fudge."

"Du hast Mrs. Priestley doch nur bei der Begrüßung meiner Mutter gesehen. Wie möchtest du da sagen, ob sie sich einschüchtern läßt?" Wunderte sich Julius.

"Ich habe sie nach dem Besuch bei den Lehrern noch mal getroffen, bevor deine Mutter zu dir gehen durfte. Außerdem habe ich einige kurze Berichte über ihren Werdegang und ihre Auffassung von Verwaltung der Magie gelesen. Wenn sie mit Minister Fudges Politik unzufrieden ist, wird sie sich hüten, Meuterei zu begehen, weder offen noch im verborgenen, solange das magische Gefüge in England nicht zu sehr gefährdet ist."

"Meuterei? Das ist aber jetzt heftig, was du da gesagt hast. Du meinst, Beamte könnten offen gegen den obersten Chef kämpfen, wenn der was macht, was ihnen nicht mehr gefällt?"

"So meine ich das, Julius", bestätigte Jeanne.

"Jeanne, das hieße ja, daß du glaubst, daß in England schon mehr Porzellan zerschlagen wurde, als bislang bekannt ist", wandte Madame Dusoleil ein, ruhig und nicht vorwurfsvoll, sondern besorgt dreinschauend.

"Maman, diese Rita-Kimmkorn-Artikel haben eine Menge Staub aufgewirbelt und sehr heftig in die Arbeit des Ministeriums hineingewirkt. Daß dieser Monsieur Fudge bei der letzten Runde dabei war, zeigte mir, daß es offenbar größere Schwierigkeiten gab, als durchsickerte."

"Es sah mir so aus, als kaufte der der Kimmkorn ihre Gemeinheiten ab", gab Julius eine Vermutung preis. Jeanne nickte.

"Da diese Skandal-Hexe schrieb, Harry Potter sei wohl geisteskrank und gemeingefährlich, geht euer werter Minister wohl von falschen Anschuldigungen aus. Vielleicht glaubt er sogar an eine Verschwörung gegen ihn. Dann haben seine Leute noch mehr Grund, sich sehr still zu verhalten."

"Ja, und dann wäre das mit der Zaubereiministerkonferenz auch logisch. Wenn wer an Verfolgung durch wen immer glaubt, schottet er sich und seine treuen Gefolgsleute so gut ab wie es eben geht", knüpfte Julius den Gedankenfaden weiter. Dann dachte er daran, was ihm da wohl bevorstehen konnte, wenn Fudge nicht an die Rückkehr des dunklen Lords glaubte und alle und jeden verdächtigte, gegen ihn zu arbeiten, der ihm widersprach. Wenn der auf den Tisch bekam, daß Julius in Frankreich war und wieso, würde er Mrs. Priestley vielleicht befehlen, ihn nicht mehr nach Hogwarts zurückzulassen, weil er dort falsche Behauptungen verbreiten mochte. Immerhin war ja weltweit bekannt, daß in Beauxbatons Professeur Faucon lehrte, die wohl sehr gerne an die Wiederkehr Voldemorts glaubte.

"Ich weiß nicht, ob Gloria oder Pina diesen Artikel lesen können. Nachher erleben die noch ihr blaues Wunder, wenn die aus Amerika zurückkommen."

"Ich denke schon, daß Madame Jane Porter sich auf dem laufenden hält, allein um sicherzustellen, daß Gloria und eure gemeinsame Freundin nicht in Schwierigkeiten kommen", wandte Madame Dusoleil ein.

"Dennoch würde ich ihnen gerne diesen Artikel schicken, da ich davon ausgehe, daß im Tagespropheten nur wenig darüber gebracht wird", bekundete Julius. Monsieur Dusoleil nickte. Er verstand, daß der Gast aus England mit seinen Schulfreunden darüber sprechen wollte, bevor sie sich wieder nach Hogwarts begaben. So schnitt er den Zeitungsartikel aus und gab ihn Julius. Dieser bedankte sich artig dafür und trug ihn in sein Zimmer, wo er ihn in einen Umschlag steckte. Da weder die Post geöffnet hatte, noch seine Eule Francis zur Verfügung stand, weil diese noch von Kewin Malone zurückkommen mußte, mußte Julius bis zum nächsten Montag warten.

Den Sonntag verbrachte er ruhig mit Lesen in den Büchern, die er geschenkt bekommen hatte. Claire leistete ihm auf der Terrasse Gesellschaft, schweigend, doch irgendwie so, als warte sie auf eine Gelegenheit, mit Julius zu sprechen. Er legte kurz vor dem Mittagessen "Die hellen und dunklen Seiten des Mondes" von Selene Maris fort. Er hatte sich das Kapitel "Neumondgebundene Zauber" durchgelesen.

"Ist das ein interessantes Buch?" Wollte Claire wissen. Julius nickte und erwiderte:

"Nach dem Buch über die Sonne ist das ein sehr gutes Ergänzungsbuch. Ich habe früher immer geglaubt, das die Gestirne nur geringen Einfluß haben. Aber wie sich das hier liest stellen Sonne und Mond sehr wichtige Kraftquellen für die Zauberei dar."

"Unser Astronomielehrer hat uns bei den Stunden über die Eigenschaften des Mondes erzählt, daß der Mond genauso wichtig wie die Sonne ist, weil er unsere Welt in der Balance hält. Stimmt das?"

"Kann man so sagen, Claire. Durch die Gezeitenkräfte hält er die sich drehende Erde so sicher, daß sie nicht wie ein taumelnder Kreisel rumeiert. Wenn man sich mondlose Planeten wie die Venus anguckt, leben wir nur deshalb noch, weil unser Klima durch eine einigermaßen stabile Erdachse gleichmäßig bleibt. Aber ich denke, du wolltest nicht von mir über den Mond zugetextet werden."

"Wie bitte?!" Erwiderte Claire und mußte über diesen Ausdruck lachen. Dann sagte sie: "Eigentlich nicht. Nur wollte ich dich nicht beim lesen stören. Ich hatte ja selber noch was zu lesen. Aber ich wolte schon mit dir reden, das ist richtig. Ich frage mich nämlich, wozu du bei uns den Unterricht machst, wenn das, was du lernst, in Hogwarts erst in höheren Klassen gelehrt wird. Du wirst dich doch total langweilen, wenn du wieder zurückfährst."

"Hmm, denke ich nicht, weil es eben vieles andere gibt, was ich dort lernen muß. Wahrscheinlich kann ich da auch in der Freizeit was mitmachen, wo ich mit dem, was ich gelernt habe, besser umgehen kann."

"Jetzt weiß ich ja, daß du nicht ganz freiwillig zu uns zurückgekommen bist. - Ich habe lange überlegt, wie ich das so sagen kann. - Du wurdest doch von Professeur Faucon regelrecht einbestellt. Oder irre ich mich?"

"Nein, du irrst dich nicht", erwiderte Julius ruhig. Sicher hatten sich alle Gedanken darum gemacht, weshalb die Beauxbatons-Lehrerin das durchgesetzt hatte, daß er mit der trimagischen Abordnung von Hogwarts abreisen konnte.

"Madame oder Professeur Faucon fühlt sich irgendwie verpflichtet, weiter für meine Ausbildung zu sorgen. Das mit Cedric Diggory hat sie noch mehr dazu gebracht, mich zu fördern."

"Aber sie läßt dich nach Hogwarts zurück", wandte Claire ein, etwas ungläubig dreinschauend. Julius fragte sich, was das nun sollte. Er wollte nicht zu lange überlegen, um dahinterzukommen. Er dachte nur zwei Sekunden über eine Antwort nach und entgegnete dann:

"Ich bin da angemeldet, Claire. Meine Eltern leben in England, und die Hexe, die vom Ministerium her für mich zuständig ist, will haben, daß ich mit ihnen in Kontakt bleibe. Außerdem, und das hat sie eingesehen, habe ich da viele neue Freunde gefunden. Warum sollte ich also nicht mehr dahin zurück?"

"Klar, stimmt ja", stimmte Claire eher ungern als vorbehaltslos zu. "Aber Maman, Jeanne und Barbara haben dir doch gesagt, daß du bei uns auch gut lernen kannst. Freundschaften müssen ja nicht beendet werden, nur weil man die Schule wechselt. Ich denke mal, daß du gut mit den Jungen aus meiner Klasse klarkämst, wenn du bei uns Grünen unterkämst."

"Das sagst du jetzt, Claire. Ich habe früh gelernt, daß Leute beim Arbeiten anders drauf sind als zu Hause. Vielleicht würdest du, obwohl du mich jetzt mehrere Wochen um dich rum hattest, irgendwann total nervig finden und dir wünschen, ich möge doch bitte wieder nach Hogwarts zurückgehen. Außerdem habe ich doch noch gewisse Probleme mit eurer Schulordnung. Ich kann mir nicht vorstellen, mich da gut zu fühlen. Sicher, du kennst nichts anderes und kannst da das beste für dich rausholen. Aber ich ..."

"Jeanne sagt, daß Hogwarts zu langweilig ist, wenn da nichts los ist außer Schule, Hausaufgaben, Quidditch und Essen."

"Du hast Schlafen vergessen", versetzte Julius schnell. Er fragte sich immer noch, worauf Claire jetzt hinauswollte. Wenn sie wollte, daß Julius von Hogwarts wegging, sollte sie ihm das doch sagen, anstatt darum herum zu reden.

"Wie witzig, Julius. Aber du weißt genau, was ich meine. Wer da was kann, findet keine Möglichkeit, das richtig zu nutzen, wenn er nicht gerade Quidditch spielt."

"Das stimmt nicht, Claire", erwiderte Julius leicht ungehalten. "Wir spielen Schach, machen Musik und basteln Sachen, die wir verschenken können. Außerdem hat uns jemand letztes Jahr drei Regenbogensträucher zugeschickt, die wir pflegen dürfen. Also kann es da nicht langweilig sein."

"Wie du meinst", sagte Claire frustriert und sah etwas enttäuscht zu Julius hinüber. Ja hatte sie denn geglaubt, Julius warte nur darauf, nach Beauxbatons zu gehen? Nachdem, was er die paar Stunden da erlebt hatte?

"Claire, ich fühle mich in Hogwarts besser aufgehoben. Außerdem, was reden wir eigentlich darüber? Ich kann das sowieso nicht bestimmen, wo ich lerne. Wenn meine Eltern nach Amerika auswandern, schulen die mich eben um und ich mach die letzten fünf Jahre auf der Thorntails-Akademie."

"Ach, du meinst, deine Eltern müßten erst umziehen, damit du dich anderswo ...? Natürlich, Julius. Entschuldige! Ich kann ja auch nicht sagen, ob ich nach Hogwarts wechseln will oder nicht. Das war falsch, mit dir sowas zu bereden."

"Würde ich so nicht sagen, Claire. Nutzlos vielleicht, aber nicht verkehrt. Du denkst, wie Jeanne oder Barbara, daß ich gerade jetzt, wo ich hier so viel neues gelernt habe und wohl auch einigermaßen gut mit euren Leuten Quidditch üben kann, daß das alles nix bringt, wenn in Hogwarts kein Schwein danach pfeift."

"Wie? Schweine können doch nicht pfeifen, oder laufen bei euch welche rum, die das können?" Amüsierte sich Claire.

"Könnte sein. Hagrid hat letztes Jahr krabbenähnliche Monster gezüchtet. Vielleicht hat er rausbekommen, wie man Schweine mit Nachtigallen oder Meisen kreuzt. Das geflügelte Flötenfärkel Volaporcus bonisonans."

"Du Scherzbold", lachte Claire und hieb Julius verspielt die rechte Hand auf den Arm, ohne ihm weh zu tun.

"Aber im wesentlichen glaube ich das schon, daß du da nichts mehr neues lernst, bevor die ZAG-Prüfungen drankommen. Dann beschwer dich aber nicht bei Madame Faucon oder uns!"

"Fällt mir im Traum nicht ein", versetzte der Hogwarts-Schüler.

"Kinder, Essen ist fertig!" Rief Madame Dusoleil aus dem Haus. Claire zog Julius ansatzlos von seinem Stuhl hoch und hakte sich rechts bei ihm ein. Der Gast aus England sah zwar kurz verdutzt aus der Wäsche, doch dann ging er lässig mit Claire an seiner Seite ins Haus. Madame Dusoleil lachte, als sie die beiden sah.

"Was wird das denn, wenn's fertig ist?" Fragte sie.

"Ich bringe Julius nur galanterie bei, Maman. Er ist etwas zu frech geworden", sagte Claire. Julius erwiderte:

"Claire fand den Weg nicht. Da habe ich sie geführt."

"Soso, Monsieur Andrews", erwiderte Madame Dusoleil und winkte Claire, sie möge Julius' Arm freigeben.

Nach dem Mittagessen machten Jeanne, Julius und Claire einige Gelenkigkeitsübungen mit dem Schwermacher. Claire meinte, als sie über die empfohlene Viertelstunde hinaus Turn- und Tanzübungen gemacht hatte und mit schweißnassen Haaren und Kleidungsstücken dastand:

"Barbara hat sie doch nicht mehr alle. Dieser Zauberkristall ist ja ein Mordinstrument."

"Das ist ein Besen auch, wie andere Sportgeräte", wandte Julius ein und nahm den Schwermacher zurück.

"Mademoiselle Claire, du gehst am besten unter die Dusche und wechselst die Kleidung", gebot Monsieur Dusoleil, der sich die Übungen angesehen hatte. Claire nickte und trollte sich.

"Stand das nicht in dem Begleitbuch, daß mit diesem Ding nur eine Viertelstunde geübt werden soll, wenn man damit noch nie was gemacht hat?" fragte Jeannes und Claires Vater. Julius nickte.

"Barbara will einen starken jungen Burschen haben, Papa. Gustav ist ein Denkmensch. Das der auch Quidditch spielt, liegt doch nur daran, daß die bei den Weißen losen mußten, wer sich darauf spezialisiert", warf Jeanne ein.

"Aber Jeanne!" Gab Monsieur Dusoleil einen Tadel zur Antwort. Offenbar war Jeannes Bemerkung nicht anständig für ihn.

"Dann ist das ja gut, wenn ich in einigen Wochen wieder in Hogwarts bin. Da suchen sich die Hausbewohner aus, ob sie Quidditch spielen wollen oder nicht", sagte der Gast der Dusoleils.

"In Beauxbatons tun die das auch. Jeanne mußte nur wieder mal gehässig werden, weil außer ihrer Freundin Seraphine keiner von den Weißen etwas anderes macht, als sich auf sein oder ihr Lieblingsfach zu konzentrieren."

"Ui, das dürfen die in der Kaserne?" Fragte Julius frech. Jeanne und ihr Vater sahen ihn etwas irritiert an. Dann erwiderte Monsieur Dusoleil:

"Die dürfen keine schlechten Noten riskieren, nur wegen einer Lieblingssache. Aber es wird ihnen nicht verboten, ein Lieblingsfach zu haben. Du kannst es ja nach der dritten Klasse ausprobieren. Dann gibt es ja die Möglichkeit, ein Austauschjahr zu machen."

"Danke für das Angebot, Monsieur Dusoleil. Aber ich denke, daß ich in Hogwarts doch besser klarkomme."

"Im Zweifelsfall wird Blanche wohl einschreiten und über deine Lehrer mehr von dir abfordern", sagte der Hausherr mit gehässigem Grinsen. Julius verzichtete darauf, eine Antwort zu geben.

Claire kehrte eine Viertelstunde später geduscht und in einem scharlachroten Sommerkleid zurück. Ein Hauch von Parfüm umwehte sie. Sie sah Julius prüfend an und verzog leicht das Gesicht. Julius fühlte mit der Hand an seinen Kopf und merkte, daß seine Haare klebrig waren. Offenbar hatte auch er gut geschwitzt, als er den Schwermacher probiert hatte. Er entschuldigte sich bei seiner Gastfamilie und suchte ebenfalls die Dusche auf.

Der restliche Nachmittag verstrich mit Spiel auf der Wiese. Julius warf sich mit Jeanne, Claire und Denise einen blauen Ball zu, der, wenn er auf den Boden auftippte, merkwürdige Sprünge machte und sich nicht einfach wieder einfangen lassen wollte. Nach dem Abendessen leistete Julius Monsieur Dusoleil noch etwas in seiner Zaubererwerkstatt Gesellschaft, wo sie sich über einfache Zauberwerkzeuge unterhielten und sie mit den technischen Geräten der Muggel verglichen. Julius fragte einmal, ob es Zauberern nur möglich war, sich mit einem Messer zu rasieren oder ob es dafür auch Zaubersachen gab. Monsieur Dusoleil führte ihm ein schnell vibrierendes Rasiermesser vor, das einen Bart innerhalb von Minuten glatt abrasieren konnte.

"Es ist nicht so gefährlich, wie es aussieht, Julius. Wenn es auf lebendige Haut trifft, stoppt seine eigenschwingung sofort. Außerdem liefern die immer eine schnellheillösung mit, wenn es doch zu Schnittverletzungen kommt."

"Praktisch", bemerkte Julius dazu.

So um zehn Uhr schickten sich die Dusoleils und ihr Gast an, zu Bett zu gehen. Am nächsten Tag wollten Madame Dusoleil, Jeanne und Claire in die Rue de Camouflage. Julius hatte sich vorgenommen, noch mal in den magischen Tierpark zu gehen, um da für seine ersten Stunden in Pflege magischer Geschöpfe was zu lernen. So endete der Sonntag um halb elf abends.

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Die nächsten Tage waren für Julius anstrengend. Außer am Montag nachmittag, wo er sich in Ruhe im magischen Tierpark von Millemerveilles Jarveys, Flubberwürmer, Riesenspinnen, die großen geflügelten Pferde und Hippogreifen angesehen hatte, mußte er lernen, lernen, lernen. Madame Faucon ließ ihn wie die anderen den Golem-Bannzauber rauf- und runterbeten, mußte Schildzauber ausprobieren, um niedere Dämonen, wie Grindelohs von sich fernzuhalten und in einer Praxisübung gegen Virginie Duelltraining machen, um das Wissen über die bisherigen Flüche praktisch zu verwenden. Am Dienstag folgte dann die Unterrichtseinheit über den Patronus-Zauber, mit dem man Dementoren und andere dunkle Geschöpfe, wie Nachtschatten und Letifolden zurückschlagen konnte. Julius, der sich schon etwas über diesen Zauber angelesen hatte, glaubte, es einfach hinzubekommen. Doch zuerst schaffte er es nur, silberne Funken aus dem Zauberstab zu erschaffen.

"Ihr hohes Potential hilft Ihnen nicht, wenn Sie die mentale Komponente nicht korrekt einfließen lassen, Monsieur Andrews. Sie müssen sich das Erlebnis vorstellen, bei dem Sie am glücklichsten waren, bevor sie die Zauberworte sprechen", sagte Madame Faucon. Dann hob sie ihren Zauberstab, konzentrierte sich und rief: "Expecto Patronum!"

Aus dem Zauberstab schoß den langen scharfen Schnabel voran, ein aus reinem hellen silbernem Licht bestehender Körper eines mächtigen Greifvogels, der sofort, nachdem er vollständig aus dem Zauberstab herausgewachsen war, die mindestens je zwei Meter langen Schwingen ausspannte und zur Decke aufstieg, dort kurz verharrte und dann wieder verschwand.

"Wenn kein dunkles Wesen, kein Dementor, Letifold oder Nachtschatten in der näheren Umgebung lauert, verschwindet der Patronus sehr rasch wieder. Sie haben gesehen, wie sowas aussehen kann. Der Patronus nimmt bei erfolgreicher Beschwörung eine Gestalt an, die der innersten Stärke oder einem lange verehrten Heldencharakter entspricht, bevor er seinen Anrufer verteidigt. Viele Zauberer vermögen es nur, einen Strahl aus dem magischen Licht zu schaffen, welcher jedoch auch schon ausreicht, ein besagtes dunkles Geschöpf zurückzudrängen, wenn er genau darauf ausgerichtet wird. Allerdings ist ein selbständiger Patronus wesentlich effektiver. So, und jetzt konzentrieren Sie sich noch mal, Monsieur Andrews! Wie Sie wissen, hat ihr Schulkamerad Harry Potter diesen Zauber auch in seiner dritten Klasse erlernt, obwohl sein Zaubertalent nicht ganz so exorbitant ausgeprägt ist wie Ihres."

Julius probierte es. Er suchte in seinen Erinnerungen nach dem glücklichsten Moment. Nach einer gewissen Denkpause kam er auf das, was er wirklich als den glücklichsten Moment seines bisherigen Lebens bezeichnen konnte, den Glücksrausch nach der Verkündung seines und Claires Gewinn beim Sommerball dieses Jahr. Er rief sich Roseanne Lumières Worte noch mal in Erinnerung, fühlte, wie die Erinnerung daran schon Glücksgefühle in ihm entfachte und rief: "Expecto Patronum!"

Gleißend fuhr ein silberner Lichtstrahl aus dem Eichenholzzauberstab des Hogwarts-Schülers, blähte sich auf und erwuchs zu einem hünenhaften, mindestens zweieinhalb Meter großen Menschenwesen, das in einer eng anliegenden Raumfahrermontur mit einem armlangen Schwert aus flirrendem silbernen Licht in der nervigen rechten Faust auftrat. Das ganze Geschöpf bestand aus reinem silbernen Licht und sah sich um, ob irgendwo ein böser Feind wartete. Als es keinen erblickte, löste es sich übergangslos wider auf.

"Wau!" Machten Claire, Elisa und Caro. Jeanne und Seraphine sahen Julius anerkennend an. Ihre Patroni, die sie zu beschwören versucht hatten, waren keinesfalls so groß und scharf umrissen geworden. Jeanne hatte nur eine große Wolke aus silbernem Licht hervorgebracht, und Seraphine nur einen fingerdicken Lichtstrahl, der flirrend aus dem Zauberstab gebrochen und für drei sekunden erhalten geblieben war.

"War das dieser Luke Skywalker aus der Zukunftsphantasie vom Krieg der Sterne?" Fragte Madame Faucon, die meinte, den Patronus einem Weltraumhelden der Muggel zuordnen zu können.

"Nein, das war Sir Megerythros, der Ritter von Antares. Das war ein anderer Weltraumheld. Doch der hat auch ein Lichtschwert, allerdings nicht aus Laserstrahlen, sondern aus dem konzentrierten Feuer seiner roten Heimatsonne, das er durch den Hyperraum in sein Schwert hineinholen und dann bündeln kann. Aber ich glaube, das interessiert hier keinen."

"Interessieren tut uns das schon, Julius. Aber verstehen kann das wohl keiner", bemerkte Dorian, der offenbar Gefallen an Superhelden der Muggel empfand. Julius fragte sich jetzt erst, woher Madame Faucon "Krieg der Sterne" kannte. Wenn ja, mußte sie sich entweder tierisch darüber aufgeregt haben, wie Nichtmagier Zauberwesen in einer technischen Welt rumlaufen lassen konnten oder sich köstlich amüsieren. Er beschloß, sie nach der Stunde zu fragen.

"Auf jeden Fall haben Sie ein probates Erlebnis mit Ihrer extraordinären Zauberkraft vereinen können, um dieses offenbar in Ihrer Kindheit geprägte Idealbild eines übermächtigen Helden in Ihren Patronus zu projizieren. Derartig verdichtet und konturiert erscheint ein Patronus nur nach langer Übung. - Nun, es ist einfach, einen Patronus ohne reale Bedrohung aufzurufen, wenn man es einmal heraus hat. Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Mademoiselle Seraphine Lagrange, versuchen Sie, ihre Patroni gegen einen starken gefühlsbeeinflussenden Fluch aufzurufen!" Madame Faucon trat Jeanne gegenüber und belegte sie mit dem Depressissimus-Fluch, der in dem, den er traf, eine unerträgliche Woge aus Verzweiflung auslöste. Ähnlich, so wußte Julius es zu gut, wirkten ja die Kräfte der Dementoren auf ihre Opfer ein.

Jeanne stand da, sah total hilflos umher, als sie die Wucht des Fluches erwischte und wimmerte: "Expecto Patronum! Expecto ... Pa-patronum!"

Außer einem Hauch von Silberlicht, das für eine Sekunde aus ihrem Zauberstab kam, geschah nichts. Jeanne begann bitterlich zu weinen, wohl die Auswirkung des Fluches. Sie wimmerte die Beschwörung noch mal, schaffte es aber nur, den Stab kurz silbern aufleuchten zu lassen. Nach dem dritten Versuch, der wieder nur ein silbernes Leuchten verursachte, nahm Madame Faucon den Depressissimus-Fluch von ihr.

"Mademoiselle Lagrange, Seraphine, Bitte!"

Seraphine trat hoch erhobenen Hauptes Madame Faucon gegenüber und wartete, bis sie die Woge unbändiger Verzweiflung traf. Sie sah zunächst auch hilflos umher, schluckte wohl aufkommende Tränen hinunter und stieß schnell aus: "Expecto Patronum!" Für drei Sekunden schossen silberne Lichtbündel aus ihrem Zauberstab heraus und schlugen zu Madame Faucon hinüber, die offenbar Probleme hatte, ihren Zauberstab festzuhalten. Als das Licht verschwand, versuchte es Seraphine erneut, wieder mit demselben Ergebnis. Beim dritten Versuch blieb das Feuerwerk aus silbernem Licht fünf Sekunden lang sichtbar und schien am Zauberstab der Lehrerin zu rütteln.

"Ich dachte, der Patronus geht nur auf nichtmenschliche Kreaturen los", wunderte sich Virginie. Madame Faucon nickte ihr zu und antwortete:

"Beim Depressissimus-Fluch gibt es eine Art Rückfluß. Wenn die Kraft, die einen Patronus erschaffen kann, über Verzweiflung hinwegreichen soll, kann es passieren, daß sie entlang der Ausrichtung eines diesen Fluch bewirkenden Zauberstabes auf dessen Besitzer zufließt und einen kinetischen Effekt bewirkt, also am Zauberstab rüttelt. Allerdings ist der Patronus kein wirkungsvoller Fluch gegen Depressissimus, wie Sie alle ja gelernt haben. Auracalma ist da immer noch das wirksamste Gegenmittel. So, und nun möchte ich Sie zur Probe bitten, Monsieur Andrews", sagte die Lehrerin aus Beauxbatons und wartete, bis Julius sich in Stellung gebracht hatte.

"Depressissimus!" Hörte Julius sie flüstern. Er wollte nicht abwarten, bis ihn die volle Wirkung traf, sondern dachte an jene Worte, die er bei Madame L'ordoux erfolgreich benutzt hatte, um die alte Angst vor fliegenden Insekten niederzuringen.

"Was mich stört verschwinde! Mein Geist herrscht über meine Gefühle! Mein Geist herrscht über meinen Körper! Was mich stört verschwindet!"

So ganz konnte er die Wirkung des Verzweiflungsansturms nicht abfedern. Doch er fühlte, wie er nicht sofort darin ertrank. Er dachte wieder an den Tanzabend, der ihn in einen Rausch aus Glücksgefühlen versetzt hatte, wobei er im Hintergrund noch die Selbstbeherrschungsmeditationsformel dachte. Doch er mußte sich schnell entscheiden, um nicht die Erinnerung zu verwässern, deren Kraft ihm helfen sollte.

"Gib's auf, du bringst es nicht!" Mischten sich unter der Wirkung des Fluches düstere Gedanken ein. Julius rief schnell: "Expecto Patronum!"

Erst einmal schoß nur ein gleißender silberner Lichtblitz aus dem Zauberstab, der sofort wieder erlosch, als er Madame Faucons Zauberstab zur Seite hieb. Julius wurde für eine winzige Zeitspanne wieder klarer im Kopf und rief sich erneut den Sommerballabschluß ins Bewußtsein, bevor ihn die Magie des Fluches von Madame Faucon erneut durchdrang: "Expecto Patronum!"

Erst schossen nur silberne Lichtbündel aus dem Zauberstab. Dann richtete sich etwas kleiner, verschwommener, aber erkennbar Sir Megerythros auf und hieb mit seinem Sternenlichtschwert nach dem Zauberstab Madame Faucons. Diese ließ ihn geistesgegenwärtig los. Der Patronus wuchs für eine Sekunde zu der Größe an, die er vorher besessen hatte, um wie ein ausgeschaltetes Licht zu verlöschen.

"Ui, da hast du aber einen Patronus, mit dem du jemanden gut ärgern kannst", warf Dorian ohne Nachdenken ein.

"Es liegt an dem Fluch, Monsieur Dimanche. Ein anderer Fluch würde einen Patronus nicht auf den loslassen, der ihn aufruft. Horritimor!"

Julius wollte schon den Schild gegen Gefühlsveränderungsflüche aufbauen, als ihn schon die volle Wucht des Fluches erwischte und ihm eine Höllenpanik in die Glieder trieb, jedoch ohne sicht- und hörbare Auslöser. Er warf sich herum und war drauf und dran, fortzurennen, ohne Sinn und Ziel. Dann jedoch bäumte sich sein Verstand auf und durchstieß die Woge der unbändigen Panik. "Lasse dich nicht unterkriegen! Was mich stört, verschwindet! Mein Geist beherrscht die Gefühle!" Spulte sich die Meditationsformel wieder ab. Julius rang um etwas mehr Fassung und drehte sich zitternd um, mit angstgeweiteten Augen auf Madame Faucon starrend, den Ursprung des absoluten Grauens. Es fiel ihm schwer, an den Sommerball zu denken. Er versuchte es einmal, den Patronus zu beschwören, als er meinte, Roseanne Lumières Stimme gut im Bewußtsein zu hören. Doch der Patronus verpuffte als kurzer Hauch silbernen Lichts. Noch mal versuchte es Julius, sich über die Panik, die ihn immer noch schüttelte hinwegzusetzen und den Patronus zu rufen. Der zweite Versuch brachte nur eine Ladung Lichtstrahlen hervor, die durch den Raum schossen. Beim dritten Versuch quoll nur eine feine gasartige Wolke aus dem silbernen Licht heraus, umwehte Madame Faucon und verschwand wieder.

"Immerhin haben Sie es geschafft, ansatzweise Ihren Patronus zu beschwören, Monsieur", sagte Madame Faucon und sprach schnell eine Formel, die den Panikfluch aufhob. Als Julius wieder völlig frei von Angst dastand, sein Herz bis zum Hals wummernd, schnaufend und schnell atmend wie eine voranpreschende Dampflokomotive, sah er in die Runde und konnte nur Anerkennung und Hochachtung sehen. Keiner sah enttäuscht oder neidisch zu ihm hin, nicht einmal Dorian, der in dieser Klasse sonst immer darunter litt, der schwächste der Ferienschüler zu sein.

"In Hogwarts haben meine Klassenkameradin Gloria und ich herausgefunden, daß Stimmungsfarbringe Dementoren anzeigen, bevor sie nahe genug herankommen, um jemandem ihre Kräfte aufzuhalsen", sagte Julius noch, als er in der Mitte des Unterrichtsraumes stand.

"Stimmungsfarbringe warnen vor Dementoren?" Fragte Claire. Madame Faucon nickte.

"Natürlich. Das ist ein vorzüglicher Indikator für das Erscheinen dieser Wesen, da die Ringe auf die geringste Stimmungsänderung hin ihre Farbe wechseln, bevor ihre Träger es bewußt wahrnehmen. In manchen Verhören wurden derartige Artefakte als Lügenspürer verwendet. Die Anwendung der Stimmungsfarbringe wurde jedoch verboten, als jemand während eines Verhörs an ein schreckliches Erlebnis denken mußte, dessen Erinnerung durch einen banalen Satz freigesetzt wurde. Der Stimmungsumschwung verfälschte das Ergebnis. Der Verhörte wäre fast in Askaban gelandet, wenn sein Rechtsbeistand nicht die Zuverlässigkeit des Ringes als Befragungsunterstützung angezweifelt und Recht bekommen hätte. Stimmungsfarbringe sind schöne Schmuckstücke für junge Hexen und Zauberer. Doch wenn sie helfen, rechtzeitig auf sich nähernde Dementoren zu reagieren, sind sie äußerst praktisch", erläuterte die Lehrerin. Seraphine hob die Hand und bat damit ums Wort.

"Wieso unterweisen Sie Jeanne mich und Julius in dieser Zauberei? Sollten Zauberer nicht wehrlos bleiben, wenn sie nach Askaban geschickt werden?"

"Erstens wird keinem Zauberer gestattet, mit seinem Zauberstab in Askaban einzusitzen, Mademoiselle Seraphine Lagrange. Zweitens treiben sich die Dementoren nicht nur dort herum. Außerhalb der Mauern von Askaban sind sie wilde Raubtiere, die nach Beute gieren. Drittens habe ich berechtigte Befürchtungen, daß selbst jene in Askaban patrouillierenden Dementoren bald zu einer Bedrohung auch rechtschaffender Hexen und Zauberer werden könnten. Deshalb unterrichte ich jeden, den oder die ich für fähig dazu halte, in dieser Kunst", legte Madame Faucon dar. Sie sah dabei nicht gerade ruhig und gelassen sondern wild entschlossen und Kampfeslustig aus, als gelte es, jedem, der oder die ihr nicht glaubte, sofort mit der Faust ins Gesicht zu schlagen oder einen heftigen Fluch auf den Zweifler loszulassen. Alle schwiegen, aus dumpfer Furcht, es sich mit der Lehrerin zu verscherzen oder weil sie erkannten, daß sie leider recht hatte und die Dementoren von Askaban zu einer großen Gefahr werden konnten. Niemand fragte sie danach, wieso und woher sie diese ihre Ansichten hatte. Jeder nahm es widerspruchslos hin. Julius, der selbst schon vor zwei Jahren vermutet hatte, daß man sich mit den Dementoren tickende Zeitbomben eingehandelt hatte, sah noch am ruhigsten aus.

"Wann lernen wir den Patronus-Zauber?" Fragte Elisa irgendwann nach so zwei Minuten eisigen Schweigens.

"Da Sie weiterhin in Beauxbatons unterrichtet werden und ich auf absehbare Zeit Verteidigung gegen die dunklen Künste gebe, werde ich feststellen, ob und wann ich Ihnen den Zauber beibringen kann, Mademoiselle Elisa Lagrange. Wer nicht stark genug ist, könnte sich in Gefahr bringen, wenn er oder sie bei einer realen Bedrohung diesen Zauber anwendet und nicht korrekt durchführen kann. Dementoren werden sich nicht gefallen lassen, wenn jemand sie mit einem unbrauchbaren Patronus-Zauber reizt. Dann ist es besser, sie versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen."

"Na toll!" Murrte Dorian und sah nun doch etwas neidisch auf Jeanne, Seraphine und Julius. "Sie sagten, der berühmte Harry Potter habe den doch auch in der dritten Klasse gelernt. Was kann der, was die meisten von uns nicht auch können?"

"Es gab damals triftige Gründe für Professeur Dumbledore und den damaligen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste, Harry Potter diesen Zauber beizubringen. Ich lasse mich nicht dazu ein, Ihnen diese Gründe zu erläutern", antwortete Madame Faucon sehr entschieden und erstickte einen weiteren Einwand Dorians mit einem warnenden Blick und einer Handbewegung zu ihrem Zauberstab.

Nach dem Unterricht fragte Julius die Beauxbatons-Lehrerin, woher sie "Krieg der Sterne" kannte. Sie sagte nur, daß sie sich diese drei Kinofilme einmal bei Joe und Catherine angesehen habe. Ohne daß Julius sie fragen mußte, was sie davon hielt, fügte sie an:

"Im Wesentlichen dient diese Handlung ja der reinen Unterhaltung. Aber für einen Zauberkundigen birgt sie eine wichtige Botschaft: Wer meint, das gute zu tun, dabei aber der Versuchung nachgibt, sich von bösen Kräften beeinflussen zu lassen, kann sehr schnell zum Schatten seiner selbst werden."

Auf dem Rückflug zum Dusoleil-Haus, auf dem Julius Caro transportierte, fragte diese:

"Weißt du das, wieso Potter diesen Zauber gelernt hat?"

"Ja, weiß ich. Aber Madame Faucon hat mir vor Zeiten verboten, mich dazu zu äußern. Nachher stellt die noch was fieses mit mir an, und ich halte es mit dem Spruch, daß man besser einmal fünf Minuten feige ist als ein Leben lang tot."

"Die bringt dich doch nicht um", warf Caro erschrocken ein. Julius grinste, was die hinter ihm sitzende Caro Renard nicht sehen konnte. "Wenn die mich in einen toten Gegenstand verwandelt, ist das genauso gut wie tot."

"Uuuuh!" Wimmerte Caro höchst verängstigt. Offenbar hatte Julius genau das richtige Argument benutzt, um die Neugier des Mädchens mit dem brünetten Haarschopf abzuwürgen.

Nach einem reichhaltigen Mittagessen holte Madame Matine Julius zu der vorletzten Stunde für magische Ersthelfer ab. An diesem Tag lernte Julius neben der Lebenserhaltung durch Verzögerung der Körperfunktionen bis zum Eintreffen eines voll ausgebildeten Heilers alles über die Grundlagen der Säuglingspflege und probte an einer schweren Holzpuppe, in welcher Haltung eine zu früh gebärende Frau am besten zubringen mußte, um die Gefahr für sich und das Kind so gering wie möglich zu halten.

"Ich kann dir natürlich keine wirkliche Schwangere zu diesen Studien vorführen, Julius. Aber es ist schon wichtig, zu wissen, was alles passieren kann und vor allem, wie man Probleme vermeidet oder löst", sagte die Heilerin und Hebamme in Millemerveilles. Julius lernte noch die Handgriffe, um die Nabelschnur eines Neugeborenen ordentlich abzuschneiden und bekam ein rötliches, schwammartiges Gebilde in die Hand gedrückt.

"Das ist ein Modell für den Mutterkuchen, die Nachgeburt, die einige Zeit nach dem Kind aus dem Leib der Mutter ausgetrieben wird. Bevor du sowas wie das nicht herausbekommen hast, besteht immer noch die Gefahr, daß es zu einer starken Blutung kommt."

"Also mein Vater wäre jetzt mit hundert Prozent in Ohnmacht gefallen, wenn sie ihm dieses Glibberteil in die Hand gedrückt hätten", sagte Julius, selbst nicht völlig frei von Ekel.

"Deshalb sind bei einer ordentlich angekündigten Niederkunft auch nur Frauen bei der Gebärenden", sagte Madame Matine trocken. "Viele Männer ertragen den Streß des Geburtsvorgangs nicht so reibungslos."

"Na ja, vielleicht wäre er ja bei meiner eigenen Geburt dabei gewesen, wenn er nicht was in der Firma hätte tun müssen", sagte Julius leicht beklommen. Nur weil sein Vater kein Blut sehen konnte, hatte der damals irgendwas gefunden, um sich schön weit fort zu befinden, als er zur Welt gekommen war.

"Einerseits stumpft häufige Konfrontation mit Verletzungen und Krankheiten ab. Andererseits gehört schon eine gute Portion Ruhe dazu, zu heilen oder erste Hilfe zu leisten. Wie hat dein Vater das denn angestellt, als er das Autofahren gelernt hat? Soviel ich weiß, muß man dafür doch auch einen Erste-Hilfe-Kurs belegen."

"Davon hat mir niemand was erzählt", sagte Julius.

"Nun gut! Ist auch nicht so wichtig. Hauptsache, du kannst alles machen, was ich dir hier beibringe. Nächste Woche kommt dann die Prüfung. Monsieur Delourdes von hier und Madame Eauvive aus Paris werden mir als Beobachter und Zusatzprüfer beisitzen. Also lern gut und gründlich!"

"Und wenn nicht?" Fragte Julius frech.

"Dann hätte ich keine Probleme damit, Blanche zu bitten, dich erneut dem Infanticorpore-Fluch zu unterwerfen, allerdings ohne Rückverwandlung. Dann bleibst du die nächsten sechs Jahre hier und wächst neu auf."

"Lege ich keinen Wert drauf", sagte Julius schnell, als er in die streng blickenden Augen der Heilhexe blickte. Dann fragte er, um seine schlechte Stimmung zu verscheuchen:

"eauvive? Ist das eine Nachfahrin von Viviane Eauvive, die den grünen Saal von Beauxbatons gegründet hat?"

"Du hast dich also durch die Chronik gelesen? Ja, Madame Antoinette Eauvive ist eine lebende Tochter aus der uralten Linie, deren Gründungsmutter Viviane war. Aber das soll für dich kein Grund sein, nicht gut genug gelernt zu haben."

"Ich werde es schaffen", sagte Julius mit fester Stimme. Madame Matine schenkte ihm dafür ein warmes Lächeln. Dann brachte sie ihren Ferienschüler in das Haus seiner Gasteltern zurück.

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Der Mittwoch verlief nun wie ein gewöhnlicher Tag in den Ferien von Julius Andrews. Bei Madame Faucon besprachen sie noch mal die wirksamsten Rundumgegenflüche und stellten sich zu Paaren, um sie zu üben. Nachmittags büffelte Julius die Ersthelferzauber und die Gesetze, die er befolgen mußte, wenn er bei einem Unfall oder Anfall von Mitzauberern und -hexen erste Hilfe leisten sollte. Jeanne leistete ihm dabei Gesellschaft und fragte ihn zwischendurch ab, da sie das ja auch schon gelernt hatte. Claire, die sich irgendwie vernachlässigt vorkam, ging zwischendurch zu Sandrine und Estelle, ihren Schulfreundinnen und blieb dort auch zum Abendessen.

"Claire könnte meinen, daß Julius nichts mehr von ihr wissen will", schnappte Julius Wortfetzen auf, die Jeanne und ihre Mutter in der Küche verlauten ließen. Monsieur Dusoleil ließ Julius jedoch nicht weiterlauschen.

"Auch wenn die über dich reden sollten, wäre es unklug, zuzuhören. Nachher kriegst du noch ein schlechtes Gewissen. Hera und Blanche haben dir viel aufgeladen. Die wären wütend, wenn du das nicht schaffst", sagte er und zog ihn mit sich aus dem Haus, hinüber in seine Werkstatt, wo Julius weiterlernen konnte, während der Hausherr an etwas herumbastelte, das wohl eine Art Wünschelrute war.

So gegen zehn Uhr war es Julius leid, zu lernen. Er kehrte ins Wohnhaus zurück, wo ihn Claire begrüßte.

"Mußte diese Madame Matine denn ausgerechnet noch für die letzte Ferienwoche eine Prüfung ansetzen. Dann können wir ja gar nicht mehr spielen oder Musik machen", lamentierte die zweitälteste Tochter seiner Gasteltern. Julius nickte und sagte bedauernd:

"Madame Matine hat mir erzählt, daß die mich in Hogwarts in den Pflegedienst einspannen wollen. Aurora hat mich gewarnt, daß Madame Pomfrey mir das übel nachsehen würde, wenn ich diesen Kurs nicht richtig zu Ende bringe."

"Madame Matine ist da auch sehr ehrgeizig. Was sie macht, macht sie gründlicher als gründlich, sagt Maman. Sie hat mir mal erzählt, daß sie immer angehalten wurde, ja genug zu trinken, als ich unterwegs war."

"Ach, dann hast du das vielleicht mit deinen eigenen Ohren gehört", versetzte Julius frech. Claire lachte darüber und umarmte ihn kurz.

"Das fasziniert dich wohl das Thema, wie?"

"Sagen wir's so, Was der Mann dabei zu tun hat ist wesentlich einfacher als das, was eine Frau dabei alles aushalten muß."

"Lümmel!" Versetzte Claire und kniff Julius kurz in die Nase. Madame Dusoleil kam aus der Küche und sah, wie ihre Tochter ihren Hausgast wieder einmal in einer mehr oder weniger innigen Umarmung hielt. Sie meinte:

"Möchtest du Julius jetzt nicht mehr loslassen, weil Hera ihn dir vorübergehend verboten hat?"

"Genau, Maman", gab Claire sogleich zur Antwort und drückte Julius noch enger an sich. Der Hogwarts-Schüler wand sich vorsichtig, um die Umarmung zu lockern, was ihm nicht gelang. Da war ihm klar, daß Claire ihn tatsächlich nicht nur als Gastbruder schätzte. Verlegenheit und Erkenntnis vermischten sich in seinen Gesichtszügen. Er wandte den Kopf so, daß weder Madame Dusoleil noch Claire seine Verlegenheit sehen konnten.

"Claire, am besten gibst du Julius wieder frei. Nachher fühlt er sich noch angewidert", flüsterte Madame Dusoleil ihrer Tochter zu. Diese sah sie zwar verdutzt an, löste dann aber die Umarmung. Julius stolperte zwei Schritte zurück, bevor er seinen Halt wiederfand.

"Entschuldigung, Claire. Aber das war mir jetzt etwas unerwartet", sagte er und mußte sie ansehen. Sie lächelte ihn an und sagte:

"Ich wollte dich nicht irritieren, Julius. Ich dachte nur, du bräuchtest das gerade."

"Habe ich sowas ausgestrahlt? Oh, da muß ich mich ja schwer zusammennehmen."

"Das würde ich dir in diesem Fall nicht raten, Julius, weil du sonst arge Probleme mit anderen Leuten kriegen könntest, wenn die glauben, du würdest dich immer auf einen Angriff vorbereiten und aufpassen, daß niemand dich überrascht. So sieht das nämlich aus, wenn du deine Körperhaltung und Gesichtszüge sehr strickt kontrollierst", sagte Madame Dusoleil lächelnd. Dann wandte sie sich an Claire:

"Ich denke mal, daß du in den nächsten Tagen genug Gelegenheit haben wirst, dich in Ruhe mit Julius zu unterhalten, falls er sich dafür die Zeit nehmen möchte."

"Ja, Maman", erwiderte Claire und zog sich zurück.

"Möchtest du noch etwas trinken?" Fragte die Hausherrin ihren Gast. Dieser nickte und ließ sich noch einen Becher kalten Kakao geben. Danach wünschte er seinen Gasteltern eine gute Nacht und machte sich zum schlafen fertig.

Am nächsten Morgen fand der Gast der Dusoleils wieder früh aus dem Bett, noch bevor die auf Claires neuem Wandbild abgebildeten Musikzwerge ihn wecken konnten. Julius wusch sich und zog seine Sportsachen an. Er verließ das Haus der Dusoleils und eilte zum Teich in der Dorfmitte, wo er sich wie fast jeden Morgen mit Barbara Lumière traf, um zusammen Übungen unter dem Einfluß der Schwermacherkristalle zu machen und einen Dauerlauf um den mit kunstvoll gearbeiteten Bronzefiguren umstellten Teich zu machen. Als Julius eingestand, sich nun gut angestrengt zu haben, begleitete die Sprecherin der Mädchen im grünen Saal von Beauxbatons den Ferienbesucher aus England zu dessen vorübergehendem Wohnsitz zurück.

"Und, hast du schon Bescheid aus Hogwarts, welche Bücher und Sachen du demnächst brauchst?" Wollte Barbara wissen. Julius schüttelte den Kopf.

"Vielleicht ist die Eule noch unterwegs. Ist ja nicht gerade um die Ecke, und Express-Eulen werden die nicht so ohne weiteres verschicken", sagte der Gast aus England. Barbara nickte.

"Wir haben unsere Ausrüstungslisten ja schon vor zwei Wochen bekommen. Vielleicht haben die aus Hogwarts die Listen gleichzeitig mit der Schulleitung von Beauxbatons losgeschickt."

"Wenn Madame Faucon selbst die Listen verschickt hat, wart ihr hier ja auch eher dran, als Leute in Paris, Luxemburg oder Brüssel."

"Das hat damit nichts zu tun. Beauxbatons hat einen Verteiler, der sicherstellt, daß alle Schüler die Listen kriegen, und zwar so früh, daß die rechtzeitig und ohne Hektik in die Rue de Camouflage kommen können. Die Muggelstämmigen haben ja einen weiten Weg zurückzulegen, um einzukaufen."

"Ja, kann ich mir denken, wenn es nur die eine Straße gibt", sagte Julius. Barbara wandte ein, daß es in Belgien eine eigene Zaubererstraße gab, die Irrlichtallee, die wohl ihren auch für Muggel auffindbaren Zugang in der Nähe des Atomiums besitzen sollte. Sie sei dort schon mit ihrem Freund Gustav van Heldern gewesen.

"Also was Hogwarts angeht, so denke ich, daß die vielleicht bei der Familie liegt, die mich betreut. Ich denke nicht, daß die die herschicken werden", vermutete Julius Andrews.

"Wird wohl so sein", stimmte Barbara zu und lieferte Julius vor der Haustür der Dusoleils ab, wo Camille Dusoleil bereits auf ihn wartete.

"Habt ihr euch wieder gut verausgabt, Barbara?" Fragte sie lächelnd. Barbara schüttelte den Kopf.

"Ihr Gast und ich halten uns an unsere Grenzen. Der kommt mit dem Schwermacher immer besser klar. Ich fürchte nur, daß er in Hogwarts in Verzug geraten könnte, weil dort kein reguläres Körperertüchtigungsprogramm geboten wird außer Quidditch."

"Immerhin balanciert mein Gast sehr gut zwischen Sport und Lernen", sagte Madame Dusoleil und verabschiedete sich von Barbara. Diese winkte Julius zum Abschied und lief in Richtung ihres Elternhauses davon.

"Du hast drei Eulen bekommen, Julius. Francis kam vor einer Viertelstunde an, und dann haben da noch zwei amtliche Eulen Briefe in unseren Postkorb eingeworfen. Einer davon kommt wohl von Hogwarts."

"Hups, da haben Barbara und ich gerade von gesprochen, ob die mir die Liste mit den Schulsachen geschickt haben. Ja, das kuck ich mir gleich mal an", erwiderte Julius und eilte ins Haus.

"Zieh dich erst tagesfertig an! Sonst mußt du nachher im Sportzeug zu Blanche, und die könnte das als Respektlosigkeit mißverstehen", wies Madame Dusoleil ihren Hausgast an. Dieser nickte und eilte ins Gästebad, wo sein mitternachtsblauer Tagesumhang bereitlag. Er wusch sich noch mal gründlich und wechselte die Wäsche, bevor er erst in das Gästezimmer ging, wo Francis, seine Schleiereule, bereits in seinem Käfig saß und mit dem Kopf unter dem rechten Flügel geborgen schlief. Julius nahm den Umschlag, der auf dem Käfig lag und öffnete ihn. Er freute sich, nach so vielen Wochen wieder eine aus Hogwarts vertraute Handschrift zu lesen.

Hallo, Julius!

Mann, war das 'ne anstrengende Zeit hier auf der Farm. Ich kam mir vor, wie einer dieser alten Römersklaven oder wie die, die in Ägypten die Pyramiden zusammengebaut haben. Aber jetzt sind wir wieder zu Hause und freuen uns auf das nächste Schuljahr. Die einzige blöde Sache ist die, das Gilda immer noch meint, ich hätte was mit Mirella und die das auch denkt. Ich hab' dir ja geschrieben, das Gilda mal bei uns war und Mirella, die Tochter von Bekannten meiner Großeltern, sich irgendwie auf mich eingenordet hat, warum auch immer. Ich wußte nicht, daß Gilda so auf mich abfährt. Ich habe immer gedacht, die wollte nur eine gute Freundin sein, aber nichts heftigeres. Na ja, da habe ich dann wohl danebengegriffen!

Gloria und Pina haben mir geschrieben, daß es bei dir auf deiner Geburtstagsparty recht interessant war. Ich freue mich, daß sie deine Mum zu dir holen konnten. Ich wüßte nicht, was ich ohne meine Eltern an meinem Geburtstag anfangen soll. Ja, irgendwann werde ich wohl auch mal alleine feiern wollen. Aber schön soll's doch gewesen sein. Gloria hat mir das mit der Zuckerwatte erzählt, die einen fliegen läßt. Hast du da noch was von? Kannst ja was davon mitbringen, wenn du wiederkommst. Könnte mal lustig werden, so Dreckstypen wie Malfoy oder seine klobigen Schatten damit zu füttern.

Man sieht sich dann in der Winkelgasse oder im Zug, falls diese Professorin, die dich wohl immer noch betreut, dich nicht für diese Strammsteherschule verpflichtet. Lasse dich da besser nicht drauf ein! Die sollen da ein absolutes Spaßverbot haben und nichts alleine tun dürfen.

Bis dann denn!

          Kevin Malone

"Der hat gut reden", dachte Julius. Er erinnerte sich noch gut, daß Kevin sehr beklommen und später gehässig über die Sitten der Beauxbatons-Schüler hergezogen hatte, weil die in Hogwarts immer aufgesprungen waren, wenn die Halbriesin Madame Maxime in der großen Halle auftauchte.

Julius dachte über die Sache nach, über die sein Freund, Klassenkamerad und Schlafsaalmitbewohner geschrieben hatte. War der tatsächlich nun auch von gleich zwei Mädchen umgarnt worden? Sicher, er glaubte anders als Kevin, daß Gilda Fletcher, ihre gemeinsame Klassenkameradin, schon mehr wollte, als nur eine nette Kameradin sein. Dann hätte sie, so Julius, die älteren Rechte. Aber nachdem, wie er Caro Renard erlebt hatte, konnte er sich gut vorstellen, daß ein Mädchen keine Schwierigkeiten damit hatte, einem anderen Mädchen den Freund auszuspannen, nur um zu zeigen, daß sie das konnte. Vielleicht ließen die beiden Kevin in Ruhe, wenn er sich für die eine oder die andere entschied. Aber das war Kevins Ding. er selbst konnte froh sein, wenn er nach Hogwarts zurückfuhr, ohne das Pina oder Gloria ähnliche Ansprüche stellten oder Claire meinte, ihn noch vorzeitig buchen zu müssen.

Nachdem er sich so seine Gedanken zu Kevins Brief gemacht hatte ging er hinunter in die Küche, wo sie frühstückten. Dort bekam Julius einen gelben Umschlag mit dem Wappen von Hogwarts, sowie einen Brief von Mrs. Priestley. Der Umschlag von Hogwarts war wieder so dick, daß Julius sicher sein konnte, daß er die Liste mit den neuen Schulsachen enthielt. Er wollte ihn erst aufmachen, wenn er wieder in England war. So öffnete er den Briefumschlag von Mrs. Priestley und las:

Sehr geehrter Mr. Andrews,

gemäß der zwischen den Abteilungen für magische Ausbildung und Studien Großbritanniens und Frankreichs getroffenen Absprache teile ich Ihnen mit, daß ich mich freue, Sie bald wieder in Cambridge begrüßen zu dürfen. Die Liste mit den für das nächste Schuljahr benötigten Büchern und anderen Materialien haben Sie wohl schon bekommen. Wahrscheinlich haben Sie es auch schon erfahren, daß die Ferien für Beauxbatons um zwei Tage verlängert wurden, da organisatorische Angelegenheiten die Rückkehr und Einschulung etwas langsamer stattfinden ließen als üblich. Dennoch werden Sie am 20. August von einer französischen Kollegin in Millemerveilles abgeholt und sicher mit einem magischen Fahrzeug nach England zurückgebracht, wo ich Sie in der Winkelgasse zu London in Empfang nehmen werde.

Ich hoffe sehr, daß Sie trotz der mir bekannten Ferienaktivitäten von Ihnen eine erholsame Zeit in Millemerveilles verbrachten und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

          Dr. June Priestley

Cambridge, den 4. August 1995

Julius strahlte einige Sekunden lang. Er dachte an Hogwarts, an seine Freundinnen und Freunde und was er denen alles erzählen konnte und die ihm, an den kauzigen aber sehr weisen Professor Dumbledore, seinen Hauslehrer, den winzigen Professor Flitwick, die gestrenge Professor McGonagall und die oft von Schülern unterschätzte Professor Sprout. Snape, den Zaubertranklehrer, vermißte er nicht, nahm ihn aber als lästige Notwendigkeit hin. Er dachte an die Einladung von Glorias Mutter, einen Ball zu besuchen, den sie für ihre Partner und Kollegen der magischen Kosmetikbranche geben wollte. Die düstere Bedrohung durch Lord Voldemort war für ihn im Moment eher wie dunkle Gewitterwolken in weiter Ferne, sichtbar und unheilverheißend, jedoch noch weit genug fort, um sich einen sicheren Unterschlupf zu suchen, bevor es losdonnerte.

Claire, die sah, daß Julius sich wohl freute, von seiner Fürsorgerin einen Brief bekommen zu haben, sah etwas traurig aus. Offenbar hatte sie es nicht mehr für wichtig gehalten, daran zu denken, daß Julius nach den Ferien wieder fortgehen würde. Julius sah einfach darüber hinweg. Im Moment wollte er sich nicht damit auseinandersetzen, weshalb Claire derartig heftig für ihn zu empfinden schien oder dies wirklich tat.

"Du freust dich schon auf die Rückfahrt?" Fragte Claire Dusoleil. Julius nickte nur und meinte:

"Noch bin ich ja nicht weg. Aber irgendwie freue ich mich wieder auf Kevin, Gloria, Pina, die Hollingsworths und Hogwarts."

"Das kannst du ihm nicht verübeln, Claire", wandte Madame Dusoleil ein, weil Claire etwas mißmutig dreinschaute. "Du freust dich doch auch auf deine Freundinnen, Sandrine, Céline, Jasmine und Laurentine." Claire nickte.

"Das hat doch im letzten Jahr toll geklappt mit Briefen, Claire. Du bist ja nicht in einem anderen Universum", wandte Julius ein. Das zauberte ein Lächeln auf Claires Gesicht.

"Das zopfhaarige Mädchen freut sich wohl auch schon wieder auf Hogwarts, oder?"

"Welches, Betty, Jenna oder Pina?" Fragte Julius, der genau wußte, wen Claire meinte.

"Betty und Jenna haben doch nicht so lange Zöpfe. Ich meine Pina."

"Ja, die freut sich auch schon auf Hogwarts. Aber vorher ist sie ja bei Gloria eingeladen, so wie ich ja auch", sagte Julius etwas unbekümmert, denn eigentlich hätte er sich denken müssen, daß Claire das bestimmt nicht gern hörte. So mußte er verbittert erkennen, wie Claire Dusoleil wütend dreinschaute und knurrte:

"Dann hat die das gerade nötig, unseren Sommerball zu kritisieren."

"Claire, das ist doch Julius' Sache, wie er mit seinen Schulfreundinnen die Ferien verbringt", sagte Monsieur Dusoleil ernst. Claire grummelte nur was wie "Ja, Papa" und versuchte, sich wieder zu beruhigen.

"Ich habe gelesen, daß die Schulferien von euch noch zwei Tage länger gehen", wechselte Julius das Thema.

"Ja, Blanche hat das rundgeschickt, daß erst am 22. August die Schüler wieder zurück nach Beauxbatons sollen. Es habe da einige personelle Probleme bei der Organisation des Schuljahresbeginns gegeben, die nun aber ausgeräumt seien", sagte Madame Dusoleil. Julius fragte sich, was damit gemeint war. Hatten die in Beauxbatons denn keine Schulverwaltung wie in Hogwarts? Dann fiel ihm ein, daß ein Klassenkamerad aus der Grundschule, dessen Vater Oberschuldirektor war, mal davon erzählt hatte, daß sein Vater immer die Stundenpläne fertigmachen mußte, bevor das Schuljahr begann. Wenn Professeur Faucon nicht damit betraut war, mußte Madame Maxime das wohl tun. Wenn die nicht genug Zeit dafür gefunden hatte, erklärte sich das natürlich leicht, wo da das personelle Problem gelegen hatte.

"Das ist üblich, entweder freitags anzureisen oder Sonntags", erwähnte Jeanne, wie es bei Schuljahresbeginn zuging. "Wenn wir am Wochenende ankommen, können wir uns in Ruhe die Freizeitkurse aussuchen und uns noch auf die ersten Stunden vorbereiten. Sonntags ist immer etwas kurz, um sich ohne größere Schwierigkeiten auf das nächste Jahr einzustellen. Aber es wird gehen."

"Das interessiert Julius doch nicht, Jeanne", warf Claire gehässig ein. "Der kommt doch nicht zu uns. Was will er dann über unsere Anreise wissen?"

"Heh, Claire, natürlich interessiert mich das. Ich könnte dir ja auch erzählen, wie das bei uns in Hogwarts über die Bühne geht, soweit ich mich an das halte, was erzählt werden darf", widersprach Julius. Jeanne sah ihn kurz mit einem Blick an, der ihm bedeutete, zu schweigen.

"An Dingen, die schon festgelegt sind, sollte man nicht mehr rummäkeln. Das habt ihr wie wir in Beauxbatons doch gelernt", sagte Madame Dusoleil mit mütterlicher Strenge in Blick und Betonung. Das genügte Claire, um wieder ruhig zu bleiben.

In der Zeitung stand nichts neues über Fudge oder die internationale Ministerkonferenz der Zaubererwelt. Es ging nur um Maßnahmen, die den ungemeldeten Gebrauch von Portschlüsseln betraf, Gegenständen, die durch bestimmte Zauber Hexen und Zauberern die Möglichkeit gaben, sie bei Berührung an weit entfernte Orte zu tragen, als wenn sie selbst apparieren würden, nur eben für bestimmte Orte. Julius erschauerte, weil dieser Artikel ihn an das Verschwinden von Cedric Diggory und Harry Potter erinnerte.

"Da kommen die aber sehr früh drauf", meinte Jeanne, als ihr Vater diesen Artikel laut vorgelesen hatte. Julius nickte nur beipflichtend.

"Kann man so sagen", sagte Monsieur Dusoleil mit leicht verärgertem Unterton. "Da muß erst anderswo was schlimmes passieren, bevor an den bestehenden Richtlinien was geändert wird."

"Was is'n ein Pottschlüssel?" Fragte Denise mit der Unbekümmertheit, die eben nur eine Sechsjährige haben konnte.

"PortSchlüssel, Kind. Das ist ein gewöhnliches Ding, das man durch Zauberei so hinbekommen kann, daß es Leute, die es anfassen, einfach anderswo hinbringt, ähnlich wie das Flohpulver, eben nur ohne Kaminfeuer und alle auf einmal, die das Ding anfassen", erklärte Denises Vater ruhig.

"Oh, dann kann ja wer Kinder klauen", erschrak Denise. "Wenn wer meinen Springball so zaubert, daß der so'n Prottschlüssel ist, könnte ich ja einfach anderswo hinfliegen." Sie wurde blaß und still. Julius wunderte sich, daß jemand, der noch nicht mit allen bösen Dingen der Welt zu tun hatte, so rasch auf das schlimmste kommen konnte, was mit einem Portschlüssel angestellt werden konnte. Er war versucht "Ist leider schon mal passiert" zu sagen, wollte aber seinen Gasteltern und -schwestern keinen Ärger machen, weil Denise dann richtig viel Angst haben würde.

"Denise, um sowas zu machen, muß jemand lange mit dem Ding, was so bezaubert wird, allein sein, weil er oder sie ja viel machen muß, um es so hinzukriegen", beruhigte Monsieur Dusoleil seine jüngste Tochter. "Und hier kommt auch keiner rein, der so böse ist, das er oder sie einfach Kinder klauen würde", fügte er noch hinzu.

"Dann ist ja gut", sagte Denise und beruhigte sich wieder.

Nach dem Frühstück ging es zum Haus von Madame Faucon, wo "die Kleinen", also Elisa, Claire, Caro und Dorian aufbekamen, sich zwei Kapitel über Vampire durchzulesen, während "die Großen", zu denen zu seinem ständigen Erstaunen auch Julius gezählt wurde, den Patronus-Zauber üben durften. Irgendwann schaffte es Virginie, wie Julius, einen scharf umrissenen Patronus zu schaffen, der die Gestalt eines aufrechtgehenden silbrigen Hasens hatte. Julius grinste und meinte: "Das ist ja Harvey!"

"Harvey?" Fragte Virginie, als der Patronus sich wegen Dementorenabwesenheit wieder verflüchtigt hatte.

"Die unsichtbare Hauptfigur eines sogenannten Lustspiels, in dem ein Mann, der angeblich durch Alkohol und Nervenleiden dem Irrsinn verfallen ist, immer behauptet, von einem aufrechtgehenden weißen Hasen begleitet zu werden, den außer ihm fast niemand sah. Es sollte sich dabei um einen Pooca handeln, ein den Feen verwandtes irisch-schottisches Zauberwesen, das in Tiergestalt auftreten kann und nur von bestimmten Leuten gesehen wird. Muggel haben sich über dieses Stück amüsiert. Das war ein Produkt eines Vorgangs, den das Zaubereiministerium der vereinigten Staaten von Amerika durchführen mußte, weil ein Erwachsener sich als Magosensoriker, also für magische Wahrnehmungen empfänglicher, aber nicht aktiv zauberfähiger Mensch erwiesen hat, dem wirklich ein mit irischen Einwanderern eingeschlichener Pooca begegnete. Um den Herrn nicht wirklich den fragwürdigen Methoden sogenannter Nervenheilkundler auszuliefern, wurde ihm angeboten, diese Geschichte einem Schriftsteller zu erzählen und sich an den Gewinnen aus dem Verkauf der Erzählung zu beteiligen."

"Ja, weil dein Tiernaturell ein Kaninchen ist, Virginie", vermutete Jeanne, weshalb Virginies Patronus diese Gestalt hatte. Sie selbst schaffte es, eine hochgewachsene Frauengestalt in wallendem Kleid zu beschwören, die Julius ohne es auszusprechen für einen Engel oder eine Erscheinung der christlichen Gottesmutter hielt.

"Der Glaube an Engel oder die Berichte von Erscheinungen heiliger Personen in den Religionen der Welt beruht unter anderem auf unbewußte Schöpfungen von Patroni in ausweglosen Situationen. Wer einen Patronus besonders stark schaffen kann, verleiht ihm für wenige Augenblicke sogar die Gabe, materie zu beeinflussen, also Dinge zu bewegen oder zu verändern", sagte Madame Faucon und verblüffte Julius. Er fragte sich, ob Madame Faucon nicht doch auch Gedanken lesen konnte, zumindest aber einen Zauber kannte, der dieses ermöglichte.

"Seraphine schaffte es nach mehreren Trockenübungen, ebenfalls einen scharf umrissenen Patronus zu schaffen. Es war ein Einhorn, dessen Horn heller glomm als der restliche, aus silberweißem Licht bestehende Körper. Das ganze ließ Madame Faucon mehrmals durchführen, bevor sie jeden einzelnen noch mal mit dem Depressissimus-Fluch belegte. Unter dessen Einfluß gelang es jeder und jedem nur noch schwer, überhaupt silbernes Licht aus dem Zauberstab zu beschwören. Doch Seraphine, Jeanne und Julius schafften es nach fünf unvollständigen Versuchen, ihre Patroni in voller Größe und Gestalt zu beschwören. Julius' Sternenritter Megerythros hieb Madame Faucon sofort den Zauberstab aus der Hand, als er sich vollständig gebildet hatte. Die Lehrerin stieß zwar ein tadelndes "Na" aus, mußte jedoch anerkennend lächeln, als der hünenhafte Recke mit dem flirrenden Lichtschwert in der Pose eines edlen Kriegers vor ihr stand. Weil der Fluch über Julius durch das wegschlagen des Zauberstabes schnell abklang, verschwand auch der silberne Patronus wieder im Nichts.

"Ich weiß nicht, ob das nun Ihr Glück war, daß er Ihnen mit der unbewaffneten Hand den Zauberstab fortgeschlagen hat, Madame", bemerkte Julius schüchtern. Die Lehrerin sah ihm genau in die Augen und fragte mit ruhiger Stimme:

"Wie meinen Sie das?"

"Ich weiß nicht, ob das Schwert nicht tatsächlich eine Waffe ist, die so wirkt, wie in den Geschichten, aus denen ich den Typen kenne. Damit kann er härteste Steine, Metallkörper und dicke Panzer von Tieren wie Schaum durchschlagen oder Gegenstände verglühen lassen, wenn er die Klinge auf sie auflegt."

"Wenn dem so sein sollte, dann hätten Sie einen wahrlich brauchbaren Patronus zur Verfügung, Monsieur Andrews. Mir ist natürlich nicht entgangen, daß dieses Zubehör, dieses Beiwerk, sehr stark leuchtet, als würde sich die Energie, die den Patronus hervorbringt darin bündeln. Damit kommen wir zu einem Punkt, über den sich der Eine oder die Andere sicherlich schon Gedanken gemacht hat. Patroni sind zwar Kämpfer, die man aufrufen kann. Aller Mut, alle Entschlossenheit und Zuversicht, die jemandem innewohnt, verdichtet sich in ihnen. Aber sie können niemals gegeneinander kämpfen oder gegen normale Menschen geschickt werden, um diese niederzustrecken oder zu erwürgen oder dergleichen. Sie dienen nur der unmittelbaren Verteidigung. Wenn Sie, Monsieur Andrews, Ihren Patronus per Gedankenbefehl oder Wortkommando auf mich hetzen würden, käme er zwar zu mir hin, würde aber in unmittelbarer Nähe von mir verharren, weil die allen Menschen und Tieren anhaftende Lebensenergieaura ihn stoppt. Er hätte mich also mit seinem Schwert nicht angreifen können. Auch wäre es zu einer sofortigen Auflösung beider Patroni gekommen, wenn zwei von Ihnen ausprobiert hätten, welcher der beiden der stärkere ist. Der Patronus erscheint immer, wenn er auf die wirksamste Weise beschworen wird, verharrt jedoch höchstens zehn Sekunden länger, als die Bedrohung, gegen die er aufgeboten wird besteht. Bei Ihnen sind es bei Trockenübungen im Moment gerade drei bis vier Sekunden. Aber wenn Sie in einer Umgebung sind, wo Sie nicht der Zaubereibeschränkung unterliegen, können Sie ihn übungsweise beschwören. Aber, das sage ich Ihnen jetzt auch schon, Jeder Aufruf kostet Sie etwas Kraft. Es empfiehlt sich also, ihn nicht mehr als drei oder viermal am Tag zu beschwören. Die Kraftaufzehrung verläuft im quadratischen Verhältnis zur vollständigkeit des Patronus. Ein einfaches Licht ist nur ein Hundertstel eines patronus und braucht nur ein Zehntausendstel der Gesamtkraft, die ein vollständiger Patronus benötigt, wenn er entstanden ist. So meine ich das."

"Oh, dann sollten wir uns wohl besser erst einmal erholen", schlug Jeanne vor. Die Lehrerin nickte.

"Sie werden es jetzt noch nicht spüren, weil es geistige Kraft ist, die ein Patronus aufzehrt. Aber wenn sie sich auf etwas neues konzentrieren müssen, könnte Sie eine gewisse Erschöpfung heimsuchen. Insofern machen wir nun Pause", sagte Madame Faucon.

"Haben wir hier echte Vampire?" Fragte Dorian, während sie etwas aßen und tranken.

"Nein, haben wir nicht", antwortete Madame Faucon. "Da sie jede Nacht frisches Blut brauchen, könnten wir hier keinen gefangenhalten. Aber ich denke mal, daß dies nicht nötig ist, um Ihnen alles nötige beizubringen."

"In den Religionen der Welt werden heilige Symbole als wirksame Waffe gegen Vampire angegeben", warf Julius ein. "In der christlichen Kultur sind es Kreuze, bei den Moslems Medaillons, auf die Verse aus dem Koran geschrieben sind, und so weiter."

"Ja, das hat schon zu manchem vermeidbaren Unglück geführt. Es ist richtig, daß Talismane gegen Vampire helfen, vorzugsweise aus Edelmetallen wie Silber oder Gold. Sie müssen jedoch mit magischen Runen in der geomantrischen Anordnung ihrer Wirkung beschrieben und mit entsprechenden Zaubern verstärkt werden, ähnlich wie es mit den dunklen Artefakten geschieht. Man kann zum Beispiel das Feuer der Sonne in einem solchen Artefakt bewahren, das bei Annäherung eines Vampirs oder niederen Dämons erstrahlt und das Wesen je nach Stärke zurücktreibt oder gar vernichtet. Je näher ein dunkles Geschöpf einem derartigen Artefakt kommt, desto stärker wirkt sich dessen Kraft aus. Bei Berührung sterben viele Wesen sogar oder lösen sich auf. Das führt jedoch meistens dazu, daß das Artefakt seinen Zauber verliert und vielleicht selber zerstört wird. Daher sollte ein Magier, der beispielsweise einen Muggel vor Nachstellungen düsterer Kreaturen wie Vampiren, Nachtschatten oder ähnlichem schützen will, diese Artefakte mit besonders viel Zauberkraft ausstatten und muß bei erfolgreicher Abwehr eines solchen Wesens den Zauber auffrischen, solange die notwendigen Runen noch lesbar geblieben sind. Aber falls Sie alle sich dafür interessieren können wir in der letzten Woche der Ferien noch eine Unterrichtseinheit protektive Artefakte und ihre Herstellung einlegen. Seien Sie aber dann nicht enttäuscht, wenn Sie noch nicht genug Wissen oder Begabung aufbieten können, solche Talismane selber zu schaffen", sprach Madame Blanche Faucon. Alle stimmten zu, vor allem Julius, der ja aus Comics und billigen Gruselgeschichten vieles über magische Gegenstände wußte.

Die restlichen Stunden besprachen alle Schüler die bekanntesten dunkelmagischen Kreaturen, tauschten Erfahrungen aus und stellten Fragen nach der einen oder der anderen. Am Ende merkten die Schülerinnen und der Schüler, welche sich mit dem Patronus beschäftigt hatten, daß sie tatsächlich etwas erschöpfter als der Rest waren. Julius wollte mit Jeanne und Claire den Unterrichtsraum verlassen, als Madame Faucon ihn zurückhielt.

"Als Sie unterwegs zu mir waren, habe ich mich über Kontaktfeuer mit Ihren Gasteltern in Verbindung gesetzt, da ich gewisse Gründe habe, Sie heute Mittag, vielleicht bis zum Abend, bei mir zu behalten", sagte die Lehrerin. Jeanne und Claire sahen Madame Faucon verdutzt an, nickten ihr jedoch zu, als jede von ihnen mit einem sehr energischen Blick bedacht wurde. So sagte Claire nur zu Julius:

"Ich hoffe, du hast nichts dummes angestellt. Hoffentlich bist du zum Abendessen wieder da. Papa wollte grillen."

"Das hängt nicht von mir ab", erwiderte Julius eingeschüchtert. Er wußte nicht, was nun los war. Warum hatte Madame Faucon seine Gasteltern erst informiert, als er unterwegs war und nicht schon früher? War was passiert? Oder versuchte die Lehrerin erneut, ihn für Beauxbatons zu gewinnen? In jedem Fall konnte er sich nicht weigern, bei ihr zu bleiben, sofern die Dusoleils keinen Einspruch einlegen konnten. So sah er zu, wie Jeanne ihre Schwester beim Arm ergriff und sanft aus dem Flur des großen Hauses bugsierte. Da Julius an diesem Morgen Caro und Jeanne Elisa transportiert hatte, mußten die beiden wohl anderweitig zurückkehren. Vielleicht übernahmen Virginie und Seraphine auch den Transport.

Madame Faucon verschloß das Haus und bedeutete Julius mit gebieterischen Gesten, ins Wohnzimmer zurückzukehren. Schweigend ließ er sich auf einen der Stühle sinken und wartete, bis die Lehrerin kurz aus den Fenstern gesehen hatte.

"In Ordnung, Julius", sagte sie, wobei sie offenbar die vertraute Anrede benutzte, weil es nichts offizielles war.

"Catherine hat mir vorgestern eine Eule geschickt und gestern über Kontaktfeuer mit mir lange gesprochen. Sie möchte, daß wir beide heute mittag zu ihr nach Paris reisen. Warum sie das möchte, wird sie dir an Ort und Stelle sagen", sprach Madame Faucon mit ernstem Unterton. Julius erschrak. Wieso wollte Catherine, daß er nach Paris kam? War was mit seinen Eltern passiert?

"Ist was mit meinen Eltern?" Fragte er ängstlich.

"Catherine hat mich gebeten, dich zu ihr zu begleiten. Sie wollte nicht, daß du zu früh erfährst, warum sie dich sprechen will, damit du möglichst unvoreingenommen zu ihr kommst. Also komm!" Erwiderte die Beauxbatons-Lehrerin und deutete auf die Tür zur Wohnküche. Julius folgte ihr, als sie dort hinging.

Madame Faucon zündete ein Feuer im Kamin an, warf zwei Prisen des in der Zaubererwelt für ferne Reisen beliebten Flohpulvers hinein und schuf damit eine hohe, smaragdgrüne Feuerwand. Julius, der nicht wußte, wie Catherines haus zu erreichen war, wartete, bis Madame Faucon ihm sagte, er möge "Rue De Liberation" rufen, wenn er im Feuer stand. Da dort das Haus von Catherine lag, es wohl das einzige Haus mit Anschluß ans französische Floh-Netz war, nickte Julius und trat ins Feuer, das sich für ihn wie eine warme Brise auf der Haut anfühlte.

"Rue de Liberation!" Rief er, nachdem er hinter vorgehaltener Hand tief eingeatmet hatte, um keine herumfliegende Asche in die Lungen zu kriegen. Wusch! Von einem mächtigen Sog gepackt wurde Julius immer schneller herumgewirbelt und nach oben aus dem Kamin gezogen. Er legte die Arme fest an seinen Körper und hielt die Augen geschlossen, während die Kraft des Flohpulvers ihn aus dem Haus seiner Lehrerin davontrug, hinauf in die Luft, schneller und schneller voran, bis es irgendwann abwärts ging und das Wirbeln nachließ. Julius öffnete die Augen, sah für wenige Augenblicke vorüberhuschende Kamine mit dahinterliegenden Zaubererwohnungen, bevor er für einen Sekundenbruchteil über den Dächern von Paris schwebte, den stählernen Koloß des Eiffelturms in weiter Ferne in der Sonne blitzen sehen konnte und dann genau in einen Kamin hineinfiel und auf einem leicht verrußten Rost landete. Mit schon oft geübter Gewandtheit fing Julius die Landung auf dem Kaminrost ab und schwang sich heraus, um auf dem Teppich vor dem Kamin sicher auf die Beine zu kommen. Babette Brickston saß auf einem Stuhl und sah Julius mit staunenden Augen an. Sie griff sich an einen der beiden schwarzen Zöpfe und blickte den Hogwarts-Schüler von oben bis unten an.

"Hallo, Babette", begrüßte Julius das achtjährige Hexenmädchen, dessen Vater, Joe Brickston, ein Nichtmagier und ein Bekannter seiner Mutter war.

"Du kannst ja alleine mit Flohpulver fliegen", staunte Babette. Julius grinste frech.

"Wenn man mit deiner Oma verreist, muß man das können. Die kommt übrigens auch gleich." Mit gehässiger Genugtuung sah Julius, wie sich das Gesicht des kleinen Mädchens zu einer Maske der Beklommenheit veränderte. Er wußte, daß Babette ihre Großmutter sehr stark fürchtete, weshalb Madame Faucon mit dem sonst so quirligen und auf Schabernack ausgehenden Kind so gut fertig wurde. So wunderte es ihn überhaupt nicht, daß sie aufsprang und aus dem Partyraum lief, in dem der Kamin angebracht war, als es hinter Julius laut rauschte, wie ein heranrasender Expresszug. Leicht polternd hörte er Madame Faucon hinter sich landen, drehte sich um und sah, wie seine Ferienlehrerin immer noch sehr gelenkig dem Kamin entstieg. Sie zog ihren Zauberstab hervor und ließ die mitgeschleppte Asche von ihrer Kleidung und ihrem Haar fortfliegen, zurück in den Kamin. Dann reinigte sie auch Julius' Haar und Kleidung.

"Tochter, wir sind da!" Rief Madame Faucon. Catherine Brickston trat in den Partyraum und lächelte.

"Babette hat euch schon angekündigt, Maman. Hallo, Julius! Es freut mich, dich so gut genährt und erholt zu sehen. Darf ich fragen, ob du ihm schon was erzählt hast, Maman?"

"Nein, das ist deine Angelegenheit, Catherine", sagte Madame Faucon. Julius kam sich so vor, als würde in den nächsten Minuten oder Sekunden etwas übermächtiges über ihn hereinbrechen, dem er nicht mehr entkommen konnte. Dementsprechend eingeschüchtert stand er vor der älteren und der jüngeren Hexe, die sich äußerlich sehr ähnlich sahen, nur daß Catherine keinen Haarknoten trug, sondern ihr schwarzes Haar locker über die Schulter gelegt hatte und mit einer Silberspange gebändigt hielt. Außerdem trug Catherine ein buntes Sommerkleid an Stelle des mauvefarbenen Seidenumhangs ihrer Mutter und wirkte auch nicht so erhaben wie diese, eher locker, gemütlich, freundlich.

"Kommt ihr bitte mit rüber ins Esszimmer?" Fragte die Herrin dieses Hauses.

"Machen wir", sagte Julius immer noch scheu, als gelte es, bloß niemanden aufzuwecken, der ihn beißen oder kratzen konnte. Er folgte Catherine hinüber in das Esszimmer, in dem er vor einem Jahr mehrere Wochen lang die Tagesmahlzeiten eingenommen hatte. Dort saß Babette auf einem Stuhl und wandte sich schnell ab, als ihre Großmutter hinter Julius hereinkam. Auf einem anderen Stuhl saß, gehüllt in jenes blaue Kleid, daß sie an Julius' Geburtstag getragen hatte, Martha Andrews, Julius' Mutter. Sie sah ihren Sohn mit einer Mischung aus Freude aber auch Niedergeschlagenheit an, als wäre sie nur hier, weil sie ihm etwas trauriges oder erschütterndes zu erzählen hatte. Julius erbleichte für einen Sekundenbruchteil, weil ihm sämtliches Blut aus dem Gesicht schwand. Dann strahlte er über das ganze Gesicht und begrüßte seine Mutter mit einer innigen Umarmung.

"Ich dachte schon, es sei was mit dir oder Paps passiert, weil Catherine so geheimnisvoll war", sagte Julius.

"Hallo, Julius! Ich freue mich, daß ich dich wiedersehe. Ist ja doch schon einige Zeit her, daß wir uns in Millemerveilles getroffen haben. Hola Señora Faucon!"

"Buenos dias, señora Andrews!" Erwiderte Madame Faucon. Dann sah sie sich um und erblickte Babette.

"Möchtest du deiner Oma nicht guten Tag sagen, Kleines?" Fragte sie ihre Enkelin. Diese stand auf und ging verhaltenen Schrittes auf ihre Großmutter zu.

"Dein Vater hat das mit Hogwarts rausbekommen und was angestellt, um mich fertig zu machen", flüsterte Martha Andrews ihrem Sohn zu. Offenbar, so meinte Julius, hatte sie sich innerlich darauf vorbereiten müssen, ihm das so und auch so schnell wie möglich sagen zu können, ohne sich von irgendwelchen Gefühlen überwältigen zu lassen. Julius erbleichte wieder, sofern es die durch die reichhaltige Sonnenbestrahlung in Millemerveilles gebräunte Haut ermöglichte. An und für sich hatte er damit rechnen müssen, daß sein Vater das mitbekommen würde, daß seine Mutter alleine zu ihm nach Hogwarts gekommen war. Doch daß er seine Mutter fertigmachen würde, hatte er dann doch nicht geglaubt. In diesen Wenigen Worten steckte soviel Ärger, erschreckendes und schwer zu verarbeitendes, daß der Hogwarts-Schüler erst einmal nichts mehr sagen konnte. Seine Mutter sagte:

"Ich werde dir nach dem Essen alles genau erzählen, wie ich hergekommen bin, was zu Hause passiert ist und warum ich hier bin. Ich denke mal, du hast seit heute Morgen nichts mehr gegessen? Catherine hat uns was chinesisches gekocht."

"Was ist mit Paps?" Fragte Julius, der jetzt schon mehr wissen wollte, als seine Mutter ihm sagen wollte.

"Ich habe ihn seit gestern nicht mehr gesehen, Julius. Er wird wohl in seiner Firma sein, jetzt, wo er alle Zeit der Welt dort verbringen kann."

"Oha, Mum, das klingt nach tierischem Terz", erwiderte Julius beklommen.

"Soweit es zu regeln war, ist es schon geregelt, Julius. Aber ich werde dir und Madame Faucon nach dem Essen alles erzählen.

Durch die Tür traten Joe Brickston, der etwas mißmutig dreinschaute, wenngleich er Martha ein gewisses Lächeln gönnte, sowie eine Frau in hellgelbem Kleid mit rotbraunen Haaren und graublauen Augen. Es war Dr. June Priestley, die für Julius' ungestörte Zaubereiausbildung zuständige Hexe aus dem Ministerium. Julius ahnte, nein war sich sicher, daß dies etwas sehr ernstes bedeutete.

"Hallo, Mr. Andrews", begrüßte Mrs. Priestley ihren Schutzbefohlenen. Dieser grüßte zurück und fragte:

"Ist etwas schlimmes passiert?"

"Objektiv gesehen nichts, was nicht bewältigt werden kann, subjektiv gesehen womöglich eine schwere Hürde für Ihre Mutter und Sie. Aber das meiste davon wurde bereits geregelt. Aber Ihre Mutter hat mich gebeten, es ihr zu überlassen, Sie über alles zu informieren."

"Verdammt noch mal, was läuft hier ab?" Brach es aus Julius heraus, der seine anerzogene Haltung vergaß. Warum kamen die Leute hier nicht auf den Punkt? Wenn es wirklich so schlimm war, dann wurde es nicht besser, wenn man es so geheimnisvoll wie möglich umschrieb.

"Julius, bitte nicht wütend werden! Ich habe mit Ihrer Mutter eine Vereinbarung getroffen, an die ich mich halten werde. Bewahren Sie bitte Contenence, weil Sie nur dadurch mit der Lage fertig werden können", maßregelte June Priestley ihren Schützling mit leisen aber eindringlichen Worten.

"Gut, wie Sie meinen. Ich kann's im Moment sowieso nicht ändern", gab Julius betreten zurück und begrüßte Joe Brickston, der ihn mit einer Mischung aus Unbehagen, Mitleid und heimlichem Mißtrauen ansah. Als dann noch seine Schwiegermutter verlangte, er möge sie begrüßen, sah er nur wie ein bei einem üblen Streich ertappter Schuljunge aus und grüßte Madame Faucon. Dann begrüßten sich Mrs. Priestley und die Beauxbatons-Lehrerin, wobei Mrs. Priestley Französisch sprach.

"Ich bedauere, am 20. Juli nicht persönlich zu der Geburtstagsfeier von Julius Andrews erschienen zu sein. Aber in unserem Ministerium sind im Moment einige Dinge mehr zu erledigen, als sonst, Professeur Faucon."

"Ich habe es sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, daß man Sie mit der außerschulischen Betreuung des jungen Herren Andrews beauftragt hat, da ich Ihre Referenzen kenne", sagte Madame Faucon.

"Nun, dieses Kompliment darf ich ohne Umwege auch an Sie richten, Professeur Faucon. Ich bin froh, daß Julius Andrews bei Ihnen den nötigen Rückhalt und die Führung gefunden hat, die in seiner Situation angeraten waren. Gerade in der jetzigen Situation ist Rückhalt eines der wichtigsten sozialen Bedürfnisse jedes Heranwachsenden. Ich habe natürlich auch Ihre Berichte zum Ablauf des Ferienunterrichtes und die darin enthaltenen Beurteilungen gelesen. Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie sich so umfassend um meinen Schutzbefohlenen kümmern."

"Die reden über dich, als wärest du nicht im Raum", knurrte Joe Brickston Julius zugewandt. Julius fragte, ob Joe wisse, was seine Mutter hier wolle. Joe zuckte mit den Achseln und warf schnell einen Blick auf seine Schwiegermutter, die das merkte und ihn ebenfalls anblickte.

"Ich weiß nicht, ob die alte Hexe mich reden läßt", flüsterte Joe auf Englisch. "Aber ich weiß nur, daß Catherine deine Mutter gestern abend noch eingeladen hat und irgendein Zauberfuhrwerk in Marsch gesetzt hat, um sie abzuholen. Der Chauffeur sitzt in Catherines Arbeitszimmer. Der wird gleich noch rüberkommen, wenn die allgemeine Begrüßungs- und Beweihräucherungsorgie vorbei ist und das einfache Volk wieder zugelassen ist. Warum haben deine Eltern sich ausgerechnet mit uns eingelassen?"

"Frag meine Mutter!" Versetzte Julius gehässig.

"Ist noch jemand mit Ihnen und Madame Andrews hergekommen?" Fragte Madame Faucon Mrs. Priestley. Diese nickte.

"Perseus, unser Fahrer. Er hat uns in London abgeholt und hergebracht. Sein Wagen wurde in der Garage dieses Hauses untergestellt."

"Perseus? Sie meinen den Zauberer, der einmal für das Büro für die Kontrolle von Drachen gearbeitet hat?" Fragte die Beauxbatons-Lehrerin. June Priestley nickte bejahend. Offenbar kannte Madame Faucon den Fahrer. Julius kannte ihn auch. Es war ein Zauberer, der bei einem Zusammentreffen mit einem Drachen beide Arme verloren hatte und seitdem mit silbernen magischen Armen herumlief, die wesentlich stärker und geschickter waren als normale Arme, deren Hände er jedoch in langen fleischfarbenen Handschuhen verbarg, um nicht jeden gleich sehen zu lassen, was mit ihm los war.

Tatsächlich trat Perseus in einer dunkelbraunen Chauffeursuniform mit Mütze in das Esszimmer ein und begrüßte Julius mit Handshlag. Julius ließ sich nicht anmerken, daß es ihm unheimlich war, einem Mann die Hand zu geben, dessen Hände künstlich waren und wohl schnell andere Hände zerquetschen konnten. Doch Perseus hatte seine magischen Prothesen offenbar sehr gut unter Kontrolle, sodaß Julius keinen wörtlich greifbaren Unterschied zum Händedruck eines starken Mannes mit angeborenen Armen spürte.

"Heh, du hast wohl einen Schwermacher zum Geburtstag bekommen, wie? Dein Händedruck ist ja richtig dynamisch geworden", meinte Perseus anerkennend. Julius nickte. Offenbar konnte die magische Hand des ehemaligen Drachenjägers Unterschiede im Händedruck vermitteln, vielleicht sogar ohne Einfluß ihres besitzers daran angepaßt werden, was, so fand Julius, sehr praktisch war, um unbeabsichtigte Verletzungen bei Begrüßungen zu vermeiden. Doch das war vielleicht zu technisch gedacht, erkannte Julius. Bestimmt waren das keine Roboterarme, die von irgendwas anderem gesteuert wurden, als dem Willen ihres Besitzers. Also war eine eingebaute Steuerung vielleicht nicht vorhanden und es eben eine Frage der Übung damit.

Nach einem reichhaltigen Mittagessen mit sauer-scharfer Gemüsesuppe, gebratenem Reis mit Curryhuhn und in Honig gebackenen Bananen, während dessen Julius erfuhr, daß seine Mutter am frühen Morgen, kurz nach sieben Uhr, von Perseus und Mrs. Priestley in einem silbergrauen Austin abgeholt worden war, der sie unter Zuhilfenahme mehrerer Raumsprünge nach Frankreich gebracht hatte. Die Ausbildungsabteilung in Paris und die Abteilung für den Kontakt zwischen magischen und nichtmagischen Menschen hatte eine schnelle Sondergenehmigung erlassen, um diesen Transport durchzuführen. Julius, der Madame Grandchapeau kannte, konnte sich denken, daß sie ohne großes Nachdenken diese Verordnung unterschrieben hatte.

"Die in England haben zwar ein wenig träge gearbeitet", meinte Perseus, "aber kurz vor dem vereinbarten Termin bekam ich dann doch die schriftliche Erlaubnis, deine Mutter herzubringen, Julius."

"Ich habe es gelesen, daß die im englischen Zaubereiministerium im Moment sehr zugeknöpft sind", erwähnte Julius, wobei er sich wie Perseus der englischen Sprache bediente. Mrs. Priestley räusperte sich, als sei dieses Thema nicht erwünscht. Julius dachte sich so seinen Teil, schwieg jedoch.

Nach dem Essen schlug Catherine Julius und seiner Mutter vor, mit ihr, Madame Faucon und Mrs. Priestley ins Arbeitszimmer zu gehen, wo sie ruhig sprechen konnten. Perseus bot sich an, mit Babette zu spielen. Doch das Erscheinen von Catherines Tante Madeleine nahm ihm das ab. So unterhielten sich Joe und Perseus über Computer, weil der Zauberer mit den beiden Armprothesen gerne mehr über diese Geräte wissen wollte, während die drei Hexen, sowie Mutter und Sohn Andrews in Catherines Arbeitszimmer gingen, das so ähnlich aussah, wie das von Madame Faucon, fand Julius. Sie schloß die Tür und verriegelte sie sogar.

"Tante Madeleine wird mit Babette bis heute Abend unterwegs sein", erwähnte Catherine in ihrer Landessprache für ihre Mutter. Diese nickte. Dann sagte Mrs. Andrews:

"Wie machen wir das denn. Ich würde ja gerne haben, daß deine Mutter uns versteht, Catherine. Aber ich weiß nicht, ob ich das hinkriege, zwischendurch zu übersetzen oder zu warten, bis du was übersetzt hast."

Julius griff in seinen Umhang und zog ein kleines rotes Notizbuch heraus, an dem er eine giftgrüne Schreibfeder angebunden hatte, die leicht vibrierte, als er sie anfaßte. Catherine holte einen Stapel Pergamente von einem Bord und legte Julius drei große Blätter vor.

"Sie haben eine flotte-Schreibe-Feder bekommen?" Fragte Mrs. Priestley Julius. Dieser nickte.

"Hat Ihre Tochter Arcadia das nicht erzählt?" Fragte er zurück. Seine Fürsorgerin schüttelte den Kopf.

"Arcadia hat nur erwähnt, daß Sie eine große Ladung Bücher bekommen hätten und einige magische Gegenstände, wie ein Allzweckfernglas und einen Schwermacherkristall zur Leibesertüchtigung. Von einer flotten Schreibefeder hat sie mir nichts erzählt."

"Das wundert mich, Mrs. Priestley. Dabei hat Julius sie doch vor allen anderen ausprobiert. Ich verstehe, was du damit willst. Sie schreibt doch alles mit, was in einer Sprache, die ihr Besitzer kann, gesprochen wird", bemerkte Mrs. Andrews und erhielt ein bejahendes Nicken zur Antwort.

"Ich setze die gleich auf das Pergament auf. Ich spreche einen französischen Satz und lasse sie dann einfach weiterschreiben, wenn ich mit dir auf Englisch weiterspreche, Mum."

"Du darfst nur nicht vergessen, bei jedem neuen Blatt die Feder neu anzusetzen", wies Catherine den Hogwarts-Schüler hin. Dieser nickte. Dann nuckelte er kurz an der Feder, setzte sie auf den oberen Rand des obersten Blattes und sprach auf Französisch:

"Sehr geehrte Damen anwesende, mein Name ist Julius Andrews. Mit Anwesend sind Professeur Blanche Faucon, Dr. June Priestley, Madame Catherine Brickston und meine Mutter Dr. Martha Andrews." Bei diesen Worten deutete er auf jede, die er vorstellte, als könne die Feder sich ihre Bilder einprägen oder er spräche zu einem unsichtbaren Publikum vor einem Fernseher oder Radio. Er sagte noch, daß er nun eine Unterhaltung auf Englisch führte, wobei er Englisch sprach und prüfte, was die Feder schrieb. tatsächlich schrieb die Feder schnell und fehlerfrei alles auf Französisch nieder. Madame Faucon kam zu Julius herüber und setzte sich so, daß sie mitlesen konnte, während Julius seine Mutter befragte. Sie begann zu erzählen, was geschehen war, beginnend bei der Rückreise aus Frankreich.>"

"Wir hatten hier noch schöne Wochen, Julius. Als wir in England waren, hatten wir mehrere Nachrichten von Moira Stuard und einem gewissen Herbert Freemont auf dem Anrufbeantworter. Dein Vater mußte natürlich sofort zur Arbeit, weil wichtige Projekte anstanden, und ich bereitete mich darauf vor, selbst wieder arbeiten zu gehen. ..."

Sie berichtete schnell und ohne mitschwingende Gefühle, was in den Tagen darauf passiert war, daß sie am Abend des achten Augustes zum ersten Mal eine merkwürdige Stimme gehört hatte, die ihr einzureden versuchte, ihrem Mann, also Julius Vater, ein Elixier der Fügsamkeit zu geben. Julius wußte, daß Madame Faucon auch ohne die Schreibefeder jedes Wort verstand. Doch sie besaß ein hohes Maß an schauspielerischer Begabung. Denn sie gab erst ein ungehaltenes Murren von sich, als sie die Mitschrift lesen konnte. Martha Andrews unterbrach ihre Erzählung und fragte, ob was nicht in Ordnung sei. Madame Faucon sagte etwas auf Spanisch, was die Schreibefeder so niederschrieb:

"Professeur Faucon spricht in einer unbekannten Sprache zu Dr. Martha Andrews."

Julius war verblüfft, daß die Feder tatsächlich lernen konnte, wer gerade sprach und daß er unbewußt richtig gehandelt hatte, um sie auf die Anwesenden einzustimmen. Dann schrieb die Feder nieder, daß Julius' Mutter in einer unbekannten Sprache antwortete. Danach wurde die Unterhaltung auf Englisch fortgesetzt, was jedoch von der Feder französisch mitgeschrieben wurde.

"Deine Lehrerin hat mich nur gefragt, ob es wirklich eine geisterhafte Stimme war und ich habe es bestätigt. Ich habe also diese Stimme mehrmals gehört und Richard, also deinen Paps, angerufen und ihm das erzählt. Dabei hörte ich diese Geisterbotschaft wieder, er aber nicht, was mich von meiner Idee abzubringen drohte, es mit einem versteckten Abspielgerät für Tonkonserven zu tun zu haben. ..."

So erzählte Martha Andrews weiter, daß am nächsten Morgen diese Phiole im Teeschrank gestanden hätte, sie die Stimme noch eindringlicher gehört hatte und Julius' Vater sie daraufhin zu einem Psychiater gefahren habe, der jedoch nichts ungewöhnliches festgestellt hatte, weil sie sich nicht so einfach hatte verrückt machen lassen wollen. Nach dem Arztbesuch sei sie zur Arbeit gefahren, wo sie unvermittelt starke Kopfschmerzen verspürt habe und diese Geisterstimme noch mal gehört hatte. Sie beschrieb, wie sie ins Krankenhaus eingeliefert worden war, von einem anderen Arzt befragt worden und erst einmal zur Beobachtung in ein Zimmer verfrachtet worden war. Sie ließ nicht aus, daß sie sich wunderte, wieso die Ärzte etwas über Hogwarts wissen konnten, weil sie danach gefragt worden sei. Dann sei am Abend Julius' Vater aufgetaucht und habe sie zur Rede gestellt und erfahren, daß sie wirklich in Hogwarts gewesen war. Offenbar sollte das dazu dienen, sie für die Ärzte unglaubwürdig und geistesgestört rüberkommen zu lassen. Irgendwann jedoch sei Mrs. Priestley mit einem Anwalt aufgetaucht, der sie abgeholt hatte. Mrs. Priestley schob ein, daß man einen guten Freund von Mr. Andrews, Rodney Underhill, beobachtet habe, wie er in der Nähe der Andrews' herumgeschlichen sei und bei diesem ein technisches Spielzeug gefunden habe, mit dem man Schall so fein bündeln kann, daß er einmal sehr weit geworfen werden und zum anderen nur in einem engen Bereich gehört werden konnte, wenn es sich nicht um die Nerven überreizende Ultraschallwellen handelte.Daraufhin habe man Dr. Riverside, einen muggelstämmigen Zauberer, der unter anderem als gewöhnlicher und akreditierter Rechtsanwalt auftrat, beauftragt, Julius' Mutter aus der psychiatrischen Verwahrung zu holen, was auch gelang. Mr. Andrews sei dabei geflüchtet und erst am nächsten Morgen wieder aufgetaucht. Ab da erzählte Mrs. Andrews, daß der Anwalt und Mrs. Priestley mit ihr besprochen hätten, ob man Richard Andrews nicht anzeigen solle. Mrs. Andrews bekundete, daß ihr nichts daran gelegen sei, ihn ins Gefängnis zu bringen, sie aber nach diesem Vorfall nicht bei ihm bleiben wollte. So hatte der Anwalt einen Eheauflösungsvertrag aufgesetzt, in dem geregelt wurde, daß das gemeinsame Vermögen aufgeteilt und das Sorgerecht für Julius der Mutter zuerkannt würde.

"Moment, Mum! Du willst damit sagen, Paps und du habt euch scheiden lassen?" Fragte Julius aufgeregt. Er hatte sich nie vorstellen können, daß seine Eltern, die doch in so guten Verhältnissen zusammenlebten, auseinandergehen würden und er das Schicksal von Egon Billings, einem Grundschulkameraden, teilen mußte, dessen Eltern seit seinem sechsten Lebensjahr geschieden waren und er deshalb in den Ferien zwischen Vater und Mutter hin und her gewechselt wurde. Sicher, in Hogwarts wäre ihm das nicht so wichtig, ob seine Eltern jetzt in einem Haus zusammenwohnten. Aber er wollte ja doch in den Ferien mal wieder mit ihnen beiden reden können. Durch den Umzug zu den Priestleys waren seine Ferien zwar auch so geregelt, daß er nicht zwischen seinen Eltern hin und her pendeln mußte, aber da war nun das dumpfe Gefühl, nun etwas sehr wichtiges in seinem Leben verloren zu haben, wohl wegen seiner Zaubereiausbildung. Sein Vater wollte nichts mehr mit ihm zu schaffen haben. Zumindest sah es für Julius so aus. Das war ein heftiger Schlag für ihn. Er hatte sich zwar vorstellen können, daß sein Vater ihn weiter an der Zaubereiausbildung hindern würde, aber nicht, daß er ihn und seine Mutter dafür gnadenlos verstoßen würde.

"Julius, ich hielt und halte diesen Schritt für den einzigen Weg, dir eine geregelte Zukunft zu sichern. Sollte ich mir das gefallen lassen, daß Richard mich gezielt in die Irrenanstalt bringt? Wolltest du haben, daß er dich da auch noch hinbekommt oder umbringt, weil er gemerkt hat, daß er dich nicht mehr davon abhalten kann, Zauberer zu werden. Denn du wirst ja wohl jetzt nicht alles hinwerfen, nur weil Richard sich mit neuen Gegebenheiten nicht abfinden kann", brauste seine Mutter auf. Julius hatte sie selten so wütend erlebt. Meistens konnte sie sich immer beherrschen.

"Wenn er dir was getan hat, dann hättest du ihn anzeigen sollen", stieß Julius erregt aus. Im Moment wußte er nicht, ob er das überhaupt glauben sollte, was seine Mutter da erzählt hatte.

"Ja und? Dann hätten sie ihn ins Gefängnis gesteckt und ihn aus seiner Firma geworfen. Wem wäre damit gedient?"

"Ich will mit ihm reden!" Verkündete Julius ansatzlos. Das erste Pergamentblatt ging zur Neige.

"Kein Problem", sagte Catherine ruhig. Sie warf ihrer Mutter einen kurzen Blick zu, öffnete die Tür des Arbeitszimmers und geleitete Julius zum Telefon. Er rief erst zu Hause in der Winston-Churchill-Straße in London an, bekam dort nur den Anrufbeantworter. Er überlegte sich, was er sagen sollte, trennte die Verbindung vor dem Signalton und wählte die Durchwahl seines Vaters in der Verwaltung der Omniplastwerke. Es klickte kurz, dann kam ein Rufzeichen, das er von Handies her kannte. Sein Vater mußte die Hausdurchwahl auf sein Handy umgeleitet haben. Ihm fiel ein, was er sagen wollte.

"Richard Andrews hier!" Meldete sich die Stimme von Julius' Andrews Vater. Sie klang ungehalten, als sei er gerade bei einer wichtigen Sache unterbrochen worden, was Julius sich gut vorstellen konnte, weil er das Gluckern und Rumoren chemischer Anlagen im Hintergrund hören konnte.

"Hallo, Paps, hier bin ich, Julius. Ich bin von den Dusoleils nach Paris gebracht worden. Dort will mich Mrs. Priestley gleich abholen. Ich habe versucht, Mum zu erreichen. Sie ist nicht in der Firma, aber auch nicht zu Hause. Weißt du, wo sie ist?"

"Entschuldigung, Sir, aber ich kenne Sie nicht und habe im Moment viel um die Ohren. Wenden Sie sich später an mich, falls Sie dann eine bessere Gelegenheit haben", sagte Mr. Andrews sehr kühl, ohne überhaupt zu verraten, daß er Julius' Stimme wiedererkannt hatte.

"Das könnte dir so passen, Paps. Ich möchte wissen, was das jetzt soll. So wichtig kann deine Arbeit nicht sein, wenn du das Handy angelassen hast und der Autoclav nur im Warmhaltebetrieb läuft. Du hast mich ja oft genug mitgenommen, um früh genug auf sowas hören zu lernen."

"Wie reden Sie mit mir, Sir? Ich verbitte mir jede Unverschämtheit. Auf Wiederhören!"

"Moment, Paps! Bevor du auflegst. Ich habe einen Brief von Mrs. Priestley bekommen, daß die dich drankriegen werden, wegen Verschleppung meiner Ausbildung. Sie haben auch geschrieben, daß du Mum irgendwie bedroht hättest, sich nicht mit Ihnen einzulassen. Denkst du, ich könnte telefonieren, wenn die nicht wollten, daß ich dich noch warne."

"Wovor", erwiderte Mr. Andrews hörbar eingeschüchterter.

"Die haben beschlossen, dir einen Fluch anzuhängen, falls es sich herausstellt, daß du versuchst, mich von der Schule abzuhalten. Ich habe in den Ferien mehrere gelernt, von denen du keinen wirklich abkriegen möchtest. Also was ist mit Mum?"

"Ich bin nicht mehr verheiratet. Meine Frau hat mich wegen merkwürdiger Sektenleute verstoßen und mich sogar an Leib und Leben bedroht. Da habe ich sie rausgeworfen. Genügt das?"

"Schweinepriester! Entweder nimmst du mich jetzt endlich mal für voll, oder ich komme auf die Idee, bei deinem obersten Chef anzuklingeln und ihm zu sagen, daß du in deinem Privatlabor verbotene Experimente machst, um Sachen für die Konkurrenz zu erfinden. Also was ist mit Mum und dir?"

"Wo und wie kann ich Sie erreichen?" Fragte Richard Andrews verhalten. Julius wußte, daß er Catherines Nummer nicht angeben durfte, weil ja sonst rauskam, wo er war.

"Nie wieder, Drecksack!"

Julius wußte, daß er sehr unverschämt sprach. Aber meistens ließ sich sein Vater sowas nicht bieten und wies ihn zurecht. Damit schaffte er es tatsächlich, ihn aus der Reserve zu locken. Denn ein Wutschnauben war die Folge, dann schnelle Schrittgeräusche aus dem Fertigungsbereich heraus, in eine stillere Umgebung hinein, wo es jedoch immer noch hallte. Julius vermutete, daß sein Vater auf das Klo gerannt war, daß für die höheren Angestellten reserviert war. Tatsächlich hörte er, wie sein Vater mehrere Wasserhähne aufdrehte und sich dann irgendwo einschloß, in einer Toilettenkabine.

"So, Bursche", fing er mit gerade noch im Zaum gehaltener Stimme an. "Was bildest du dir ein, wer du bist, mich einen Schweinepriester und Drecksack zu nennen, deinen eigenen Vater?"

"Ach, habe ich jetzt wieder einen? Eben warst du doch noch so drauf, als würdest du mich nicht kennen", erwiderte Julius gehässig.

"Ich weiß zwar nicht, warum sie dich aus diesem Hexenzoo freigelassen haben. Ich denke nur, daß du denen nicht mehr entkommst. Deine werte frau Mutter hat sich zwar eingebildet, mit denen zusammenzuarbeiten, aber ich habe ihr das ausgetrieben. Sollen diese Hexen und Zauberer doch mit dir machen, was sie wollen. Deine Mutter wurde gefeuert, weil ich ihrem Chef erklären konnte, daß sie offenbar von einer Sekte beeinflußt wird. Darauf hat sie es vorgezogen, mich zu verlassen. Immerhin habe ich jetzt das Haus für mich. Ich weiß nicht, wo deine Mutter ist. Ihr Handy ist aus."

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"Wie, du hast Mum aus ihrem Beruf feuern lassen? Wieso das denn?"

"Denkst du, ich lasse mir auf der Nase herumtanzen. Aber ich rede besser nicht mehr, wenn einer von denen aus diesem Laden von Dumbledore und Snape mithört. Feststehen nur zwei Dinge, Jungchen: Wenn du meinst, diesen Unsinn weitertreiben zu müssen, und deine Mutter dich darin unterstützt, haben wir nichts mehr miteinander zu tun. Wenn du dich davon losmachen kannst, komm ruhig zu mir zurück und ich schaffe dir noch einen Platz in einer anständigen Schule. Deine werte Frau Mutter hat mit Hilfe deiner Hexenlady Priestley einen Winkeladvokaten auf mich gehetzt, der mir die Scheidung empfohlen hat. Ich habe natürlich zugestimmt. Kostete zwar ein wenig Geld, aber dafür habe ich mit denen jetzt nichts mehr am Hut."

"So, du hast Mum also rausgeworfen. Das hat die sich gefallen lassen?"

"Sie wollte es selbst so. Sie hatte nämlich Angst, sie könnte von diesen Leuten unterwandert werden, mich umzubringen. Die hat sogar Stimmen gehört, die nicht da waren. Merkwürdig dumm, wie sie sonst nie war, ist sie zu dieser Priestley gerannt und hat ihr das wohl erzählt. Ich wollte ihr ja helfen, indem ich sie von einem qualifizierten Arzt behandeln ließ, aber das wollten die von diesem Dumbledore ja nicht. Oder nennt der sich neuerdings Lord Voldemort?"

"Nicht das ich wüßte", sagte Julius schnell und war froh, den leichten Schrecken unhörbar überstanden zu haben, der ihn kurz geschüttelt hatte.

"Wie dem auch sei, wenn diese Priestley dich abholt, bestell ihr keine schönen Grüße. Ich will nur noch was mit dir zu tun haben, wenn du dich von diesen Leuten löst und nach Eton oder anderswo zur Schule gehst."

"Wenn dir wer sagt, daß du nicht mehr rennen sollst, hackst du dir dann gleich die Beine ab? Ich kann diese Begabung nicht abschütteln oder in einen großen Kübel ausspeien und dann zu dir zurückkommen. Ich muß da weitermachen, wo ich jetzt bin, Paps. Hast du schon mal überlegt, ob es nicht geht, daß jemand übergangslos tot umfällt oder einfach zusammenschrumpft. Ich habe es in den Ferien gesehen, daß sowas geht und habe Angst davor, daß ich das irgendwann anstelle, wenn ich nicht lerne, es zu beherrschen. Wenn du meinst, über meine Schule nichts mehr wissen zu wollen, dann frage ich mich, ob ich noch einen Vater haben soll. Ein Zauberer als Sohn paßt dir doch nicht, wenn ich das richtig mitgekriegt habe."

"Davon kannst du ausgehen", erwiderte Mr. Andrews.

"Wie war das mit diesen Stimmen, hat dein Freund vom Geheimdienst was dran gedreht, daß Mum die gehört hat? Aber das wirst du ja nicht erzählen, weil das ja geheim ist."

"Wie kommst du auf diesen Unsinn?" Fragte Richard Andrews sichtlich irritiert. Dann meinte er: "Ach daher weht der Wind. Deine Mutter wurde zu dir geschafft, mit ihrem Handy und hat dir diese Story erzählt, ich hätte sie mit Gewalt ins Irrenhaus treiben wollen. Ist ein netter Versuch, sowas. Und ich wäre fast drauf reingefallen. Wenn diese Hexen und Zauberer dich nicht rauslassen wollen, wünsche ich dir noch viel Vergnügen mit diesem Voldemort oder wie der sich nennt oder mit diesem Mädchen, das fremde Männer durch sein bloßes Aussehen verhexen kann."

"Das hatte ich schon, das Vergnügen mit diesem Mädchen", sagte Julius schnell, um zu überspielen, wie belustigt er war, daß er nun wußte, woher sein Vater das mit seiner Mutter und Hogwarts wußte. "Aber diesen Voldemort, den solltest du mir besser nicht an den Hals wünschen. Wenn der nämlich meint, mich massakrieren zu müssen, kommt er danach zu dir. Der haßt nämlich Muggel, die Zauberer in die Welt setzen können. Und du glaubst doch wohl nicht, daß der es zuläßt, daß du mit einer anderen Frau noch mal Kinder haben wirst."

Julius wußte, daß Catherine und ihre Mutter zuhörten. Vielleicht hatten sie auch eine Möglichkeit, mitzuhören, was sein Vater am Telefon sagte. Er wußte auch, daß ihnen das sicherlich nicht gefallen würde und rechnete sich aus, daß es nach dem Telefongespräch ein heftiges Donnerwetter geben würde. Doch er sah nicht ein, sich von seinem Vater derartig dumm anmachen zu lassen und genoß es, daß dieser nun sehr kleinlaut antwortete:

"Das heißt, den gibt es wirklich?"

"Ich habe wen gesehen, der von ihm umgebracht wurde, Paps. Der jagt alles und jeden, das nicht in seinen Kram paßt. Dumbledore ist der einzige in England der mit ihm fertig wird. Wie gesagt, ich wünsche das weder dir, noch mir, noch sonst wem, daß dieser Hexenmeister und seine Leute, die er hat, ihm oder ihr auf die Bude rücken."

"Wenn ich nichts mehr mit dir zu tun habe, wird der Kerl ja nichts von mir wollen. Nenne mich ruhig einen Feigling! Aber ich habe dir diesen Unsinn nicht ausgesucht. Du wirst wahrscheinlich weiter bei dieser Priestley bleiben, weil deine Mum ja jetzt nicht mehr in England arbeiten kann und bestimmt in die Staaten auswandern muß. Da gibt es ja wohl keine Zaubererschulen."

"Ach, dann gehe ich eben auf die Thorntails-Akademie, wo Professor Verdant Kräuterkunde gibt. Ich habe vor einigen Tagen 'ne ehemalige Lehrerin von denen getroffen, die Verwandlungskünstlerin ist. Muß wohl sehr toll da zugehen", erwiderte Julius schlagfertig. Sein Vater knurrte nur:

"Dann mach doch, was du nicht lassen kannst. Aber lasse mich aus dem Spiel! Deine Mutter hat genug Geld von mir gekriegt. Sie wollte ja keinen Prozeß haben, da der ja dein kleines Geheimnis aufgedeckt hätte. Soll sie doch mit dem auskommen, was sie hat. Wie gesagt: Wenn du von diesem Unsinn runterkommen kannst, komm zu mir! Ansonsten auf nimmer Wiedersehen und wiederhören!"

Die Verbindung wurde getrennt. Julius legte den Hörer auf den Telefonapparat zurück. Er wandte sich um und sah erst Catherine, dann Madame Faucon in die Augen. Er hatte befürchtet, daß die Beauxbatons-Lehrerin sehr wütend dreinschauen mußte. Doch sie sah ihn sehr aufmerksam an, als wäre sie gespannt, was er nun sagen wollte.

"Entschuldigung, Madame, daß ich so über Voldemort geredet habe. Aber Paps nimmt den nicht für voll und meinte, mir recht viel Spaß mit dem wünschen zu müssen", sagte Julius mit unterwürfiger Miene und Körperhaltung. Er wußte, daß Madame Faucon eines der Opfer des dunklen Hexenmeisters war und sicherlich alles andere als Spaß verstand, wenn es um Lord Voldemort ging. Doch sie nickte nur und sagte:

"Du hast uns vor einigen Wochen erläutert, was Atomwaffen sind. Hätten wir das nur nachgelesen, wären wir wohl auch nicht auf die Idee gekommen, sie für sehr schrecklich zu halten. Du mußtest deinen Vater aus der Reserve locken, um zu hören, was du hören wolltest. Psychologische Keulen sind zwar schmerzhaft, aber bei manchen Charakteren das einzige, was wirkt. Ich trage dir das nicht nach, was du gesagt hast, weil du es zum einen nicht zu mir gesagt hast und zum anderen wesentlich besser weißt, was mit diesem Hexenmeister los ist."

"Offenbar haben ihn die Muggeleltern eines Erstklässlers vom letzten Jahr das Licht aufgesteckt, daß Mum in Hogwarts war", sagte Julius zu Madame Faucon.

"Daß diese Muggeleltern nie ihre eigenen Angelegenheiten behandeln können. Warum meinten die, deinen Vater da mit hineinziehen zu müssen?" Fragte Catherine, wobei sie wie Julius und Professeur Faucon die französische Sprache benutzte.

"Ich vermute, weil die wissen wollten, wieso mein Vater nicht mit in Hogwarts war. Na ja, war zu befürchten, daß die Hardbricks sich an meinen Vater wenden", erwiderte Julius. Dann ging er mit Catherine und der Beauxbatons-Lehrerin zurück in Catherines Arbeitszimmer. Mrs. Priestley fragte, wie das Gespräch verlaufen sei, und Julius erzählte ihr kurz, was passiert war. Dann setzte er die flotte-Schreibe-Feder auf das zzweite Blatt Pergament und sprach einige Sätze auf Französisch, bevor er wieder mit seiner Mutter Englisch sprach.

"Ja, auf jeden Fall ist es nun so, daß ich von deinem Vater Geld bekommen habe, um dir und mir eine neue Lebensgrundlage zu schaffen", beendete Martha Andrews ihren Bericht. Julius nahm die Schreibefeder vom Pergamentblatt und steckte sie wieder fort. Catherine winkte Mrs. Priestley, die nickte und auf Französisch sagte:

"Ich denke mal, das offizielle wissen wir nun. Lassen wir die beiden mal alleine, Professeur Faucon." Die Angesprochene nickte und erhob sich. Sie nahm die beiden Pergamentblätter mit und verließ mit Mrs. Priestley das Arbeitszimmer. Catherine folgte ihrer Mutter und schloß die Tür von außen.

"Catherine hat mir bei meiner Ankunft erzählt, dieses Zimmer sei ein dauerhafter Klangkerker. Kennst du sowas?"

"Klar, Mum! Die Dusoleils haben ein Musikzimmer, das so bezaubert ist. Mal sehen, ob das auch stimmt", flüsterte Julius, zog seinen Zauberstab und rief für wenige Sekunden den Zauberfinder auf, um zu erkennen, daß der ganze Raum in einem rot-blauen Licht erstrahlte, wobei die Wände und die Decke golden schimmerten. Schnell löschte er das Zauberlicht wieder und meinte:

"Erzähl das besser keinem. Eigentlich darf ich ja nicht ohne Aufforderung. Aber der Klangkerker ist wohl aktiv."

"Ich habe Catherine angerufen, als Ich das mit deinem Vater durchhatte. Sie kam zu mir und hat sich angehört, was passiert war. Dann hat sie mir erzählt, daß ein dunkler Magier namens Voldemort wieder aufgetaucht sein soll. Kennst du den?"

"Dann würde ich nicht mehr hier sitzen können", erwiderte Julius gehässig. Seine Mutter nickte und lief leicht rot an, weil sie erkannte, wie dumm diese Frage für Julius sein mußte.

"Wenn du damit gemeint hast, ob ich von ihm gehört habe, dann lautet die Antwort: Ja, ich habe von ihm gehört, was er damals gemacht hat und wozu der fähig ist. Dieser Harry Potter, der das trimagische Turnier gewonnen hat, war vor seinem Sturz der letzte, den er umzubringen versucht hat und dadurch jemand, den er unbedingt wieder erledigen wollte, so wie Moira, die partout auf Diavolo reiten wollte, obwohl er sie mehrmals runtergeworfen hat. Offenbar ist Voldemort ein irrsinniger Zauberer, der vielleicht selbst ein sogenannter Muggelstämmiger war, also keine Zauberer als Eltern hatte und darunter gelitten hat."

"Das deckt sich mit dem, was Catherine erzählt und ich daraus gefolgert habe", bemerkte Martha Andrews. Einige Sekunden Schweigen folgten. Von draußen war zu hören, daß sich Madame Faucon und ihre Tochter mit Mrs. Priestley in die Küche zurückzogen.

"Die reden eh über uns, dann können wir auch über die reden", stellte Martha Andrews sachlich klingend fest. Sie sah ihren Sohn so an, wie sie ihn früher oft angesehen hatte, wenn sie mit ihm etwas wichtiges besprechen mußte, wo es nicht reichte, einfach zu sagen: "Julius, mach das!" Offenbar hatte Catherine sie nicht einfach hergeholt, weil seine Mutter sich an sie gewandt hatte. In Julius' Kopf bimmelte eine leise Alarmglocke. Was wäre, wenn Catherine seine Mutter darauf eingepegelt hätte, ihn von Hogwarts wegzukriegen? Natürlich würde sie nicht wollen, daß er die Zaubereiausbildung hinwarf. Das konnte er ja schon nach dem allgemeinen Schulpflichtsgebot nicht machen. Was blieb also übrig?

"Wieso hat Catherine gemeint, dich und mich noch mal zusammenbringen zu wollen?" Fragte Julius.

"Weil sie Angst hat, ich könnte diesem Wahnsinnigen zum Opfer fallen, wenn ich außerhalb eines Schutzbanns herumlaufe."

"Klar, Catherine hat euer Haus in London ja mit dem Sanctuafugium-Zauber umgeben lassen, der böse Zauberer oder von ihnen beeinflußte Leute abhalten soll. Aber du mußtest doch auch arbeiten."

"Wenn ich das richtig mitbekommen habe, galt dieser Schutz auch für Richards und meinen Arbeitsplatz, wie immer die das auch gedreht haben."

"Ja, aber wenn du nicht mehr deine alte Arbeit machen kannst, weil Paps dich erfolgreich aus der Firma hat pfeffern lassen, bist du in Großbritannien ja nicht mehr vermittelbar. Oder hast du schon einen neuen Wohnsitz und Arbeitsplatz?"

"Hör mal, ich bin erst seit gestern offiziell geschieden, Julius. Ich wohne mit zwei Koffern in einem mittelklassigen Hotel in Paddington. Ich wollte erst nächste Woche einen Möbelwagen bestellen, der meinen Teil des Hausrats aus der Winston-Churchill-Straße holt und irgendwo zwischenlagert."

"Was 'ne menge Kohle verbraucht", warf Julius unbekümmert einfach sprechend ein.

"Deshalb ja erst nächste Woche, falls ich bis dahin ungefähr weiß, wo ich hinziehe. Ich habe mit deinem Vater verabredet, daß ich die Möbel solange im Haus lasse, bis ich sie abholen möchte. Ich habe mit Dr. Riverside, dem Anwalt, eine Aufstellung gemacht, was eindeutig mir gehört und was mir nach der Eheauflösung wegen gewohntem Gebrauchs zufallen soll. Steht alles in dem Vertrag, den ich deinem Vater vorgelegt habe."

"Wundere mich, daß der euch nicht wegen Erpressung angezeigt hat. Eigentlich ist es doch sowas, wenn du ihm die Wahl läßt, entweder Geld raus oder in den Bau rein."

"Das hätte er ja versuchen können. Die Wahl haben Mrs. Priestley und ich ihm ja gelassen. Aber er hat sich dafür entschieden, den Vertrag so hinzunehmen, zumal er bei einer Anzeige wegen Erpressung mehr verloren hätte, selbst wenn ich deshalb im Gefängnis gelandet wäre. Außerdem ist der Vertrag ja so verfaßt, daß er auf Freiwilligkeit beruht, weil ja sonst kein Richter darüber den Segen ausgesprochen hätte. Also das ist vom Tisch. Oder hat er dir gesagt, ich hätte ihn erpressen wollen?" Julius schüttelte den Kopf. "Habe ich mir gedacht. Dann hätte er dir gegenüber zugeben müssen, womit ich ihn hätte erpressen können."

"Ja, das würde ja keiner zugeben, wenn's nicht gerade 'ne Entführung ist. Apropos, wahrscheinlich wird er davon abgesehen haben, dich wegen was auch immer anzuzeigen, weil das mit Mrs. Priestley damals wohl im Sande verlaufen ist. Er wollte doch alles aufbieten, um mich zu finden, um die Zaubererwelt bloßzustellen und so weiter. Das hat ihm wohl gereicht."

"Gut, reden wir nicht mehr von deinem Vater und was er getan oder nicht getan hat. Reden wir von uns! Du hast gefragt, warum Catherine mich zu sich und dich hierher geholt hat? Kannst du dir noch einen Grund denken?"

"Wenn ich dein Sohn bin, besteht dazu die Möglichkeit", erwiderte Julius frech. Dann stutzte er. Offenbar ging seine Mutter davon aus, daß Julius sich sehr wohl einen Grund vorstellen konnte und nicht erst groß nachdenken mußte. Natürlich sprang ihn auch ein starker Grund an. Aber war es auch der Grund?

"Hat Catherine dich daran erinnert, was ihr bei meiner Geburtstagsfeier besprochen habt, ob ein Zauberschüler für ein Jahr oder den Rest der Schulzeit die Schule wechseln kann? Wahrscheinlich hat ihre Mutter ihr geschrieben, daß sie mich am liebsten gestern als morgen nach Beauxbatons mitnehmen würde."

"Das soll der Grund sein?" Fragte Martha Andrews mit einer Betonung, als sei sie sich der Antwort schon sicher.

"Ein Grund, Mum. Aber vielleicht meint Catherine nur, sie sei dir genauso etwas schuldig, wie sie mir was gutes tun müßte."

"Tja, und wie sollte sie ...? Lassen wir diese Spielchen. Offenbar hast du von mir doch was gelernt, stelle ich fest. Natürlich kommt Catherine nicht einfach von Paris nach London, und das zweimal innerhalb weniger Tage, nur um mir zu sagen, daß ich jetzt nicht mehr in einem geschützten Haus wohnen kann, ohne mir eine Alternative aufzuzeigen, die den Aufwand, den sie betrieben hat, rechtfertigt. Ich weiß zwar nicht, warum sie diesen Schutzbann um unser Haus gelegt hat, aber warum auch immer, sie muß davon ausgegangen sein, daß Richard und ich zusammenbleiben. Das heißt, sie wollte uns beide schützen. Wenn ich nun nicht mehr in der Winston-Churchill-Straße bleiben kann, war dieser Aufwand vergebens. Was bleibt also übrig?"

"Du mußt wohin, wo dieser Schutzzauber schon besteht, Mum, damit du wieder geschützt bist. Dann kannst du natürlich nur in eine Umgebung, wo nichtmagische Menschen genauso leben können, wie Zauberer. Also fällt Millemerveilles flach, ebenso der Krötensteig in Cambridge oder die Straße, wo Glorias Eltern wohnen. Zwangsläufig bleibt dann nur noch eine Möglichkeit übrig: Catherine möchte, daß du zu ihr und Joe ziehst. Das wiederum ... Ach du große Güte."

"Ja, weiter!" Spornte Martha Andrews ihren Sohn an.

"Das hieße, daß dieses alte Hexenweib und die gute Familie Dusoleil tatsächlich Grund zur Freude kriegten. - Au, haua! Deshalb hat Catherine mich herbringen lassen. Du möchtest mich hier und jetzt, wo keiner außer uns hier drin zuhört, was durch meinen kleinen Zaubertrick bestätigt wurde, fragen, ob ich mich dafür entscheiden kann, von Hogwarts nach Beauxbatons zu wechseln, weil das ja die Folge wäre, wenn du, die das Sorgerecht hat, hier leben würdest. Aber was sollst du denn hier machen, wenn ich mal davon ausgehe, daß du nicht im Haus hocken bleiben möchtest wie eine Gefangene?"

"Das hängt davon ab, ob ich das machen kann, hierher ziehen", sagte Martha Andrews. Julius, der im Moment zwischen mehreren Gefühlen gefangen war, schwieg.

Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, weil sie unterschiedliche Ansichten zu seiner Zaubereiausbildung hatten. Sie waren nun getrennt, weil weder sein Vater noch seine Mutter von der einmal gefaßten Ansicht abrücken wollte, wegen ihm. Er konnte einfach sagen, daß er darüber stand, weil er ja durch die Verordnung der Ausbildungsabteilung auch in den Ferien bei Mrs. Priestley wohnen konnte. Jetzt, wo sein Vater das mit seiner Mutter "gezaubert" hatte, war die Aussicht, er könne wieder in sein Elternhaus zurückkehren, genauso nahe an ihm, wie die Erde an der Andromeda-Galaxis. Was also sprach dagegen, daß Julius weiterhin in Hogwarts lernte, halt ohne direkten Kontakt mit seiner Mutter? Dagegen sprach nur, daß Mrs. Priestley ihn im Rahmen des Ausbildungsgesetzes betreute, aber sein Familienleben nicht gefährden durfte, sofern dieses zu erhalten war. Gut, das war nun nicht mehr so, erkannte Julius. Also fiel der Auftrag ja im Grunde genommen hin, wenn beide Elternteile sich trennten und weit voneinander fort lebten. Der Auftrag besagte ja nur, sicherzustellen, daß Julius nicht am Unterricht gehindert wurde. Wenn seine Mutter nun umzog, die vor einem Muggelgericht und damit wohl auch der Zaubereigesetzgebung nach das alleinige Sorgerecht bekommen hatte, war sie nicht mehr zuständig für ihn, sobald sie Großbritannien verließ. Sie hatte ihn ja nicht adoptiert oder als Patin zu sich genommen, sondern auf Grund einer amtlichen Verfügung. Wenn seine Mutter nun Großbritannien verließ, mußte er zwangsläufig von ihr zur Adoption freigegeben werden oder sie an ihren neuen Wohnsitz begleiten. Da sie bekundet hatte, daß sie Julius nicht an der Zaubereiausbildung hindern würde, bestand für die Ausbildungsabteilung kein Grund, ihn ihr ganz wegzunehmen. Er müßte dann also mit ihr wohin auch immer auswandern, würde also der Staatsbürger eines anderen Landes, zumindest aber für die Dauer des Aufenthaltes Schüler gemäß der im Land vorherrschenden Schulordnung. Wenn seine Mutter nach Frankreich, Belgien, der französischen Schweiz oder Luxemburg auswanderte, müßte er nach Beauxbatons. Für Deutschland, Österreich und die deutschsprachigen Regionen der Schweiz war nach seinem Wissenstand Burg Greifennest im Schwarzwald die neue Zaubererschule, für die vereinigten Staaten war es Thorntails und für Osteuropa und den Balkan war es Durmstrang, falls er dort überhaupt reingelassen würde, als Muggelstämmiger. Sicher würde er gerne in Hogwarts bleiben, eben weil er mit der Schule und den Leuten dort klarkam, von den Slytherins und ihrem Hauslehrer mal abgesehen. Andererseits wußte er auch, daß seine Mutter nicht mehr in England arbeiten konnte und doch irgendwie leben wollte. Denn eine regelmäßige Unterhaltszahlung seines Vaters war ja durch den Eheauflösungsvertrag - welch gefühlloses Wort - ausgeschlossen worden. Also mußte sie arbeiten gehen, um für sich und auch für ihn was zurücklegen zu können und ihr eigenes Leben ausschöpfen zu können. Dann blieb nur die Auswanderung. Wollte er ihr jetzt Thorntails als Alternative vorschlagen? Da kannte er keinen einzigen Menschen, und seine Mutter kannte in den Staaten auch niemanden, mit dem sie privat zu tun hatte, weil sie immer nur als Beauftragte ihrer Firma dort unterwegs gewesen war. Gut, Jane Porter würde vielleicht kein Problem haben, seine Mutter irgendwo unterzubringen und ihm die Türen zu Thorntails zu öffnen. Wahrscheinlich könnte er auch Maya Unittamo anschreiben, ob sie was für ihn deichseln könnte. Aber nein! Er könnte ja Aurora Dawn fragen, ob seine Mutter nicht in Australien was für sich und ihn finden könne. Dann käme er nach Redrock, der australischen Zaubererschule. Außerdem kannte er zumindest auf gesellschaftlicher Ebene das Ministerehepaar Rockridge. Doch in Redrock selber kannte er auch wieder keinen, von dem kleinen Mädchen abgesehen, daß Melinda Buntons Nichte war und dort wohl schon eingeschult worden war. Er mußte sich also die Frage stellen, was sowohl für ihn, als auch seine Mutter ein angenehmer neuer Weg war. Denn daß er seiner Mutter nicht als Klotz am Bein hängen wollte, war ihm klar.

"Hat Catherine irgendwelche Andeutungen gemacht, ob die hier irgendwie schon in den Startlöchern stehen, mich nach Beauxbatons rüberzuholen?" Fragte Julius, jedes Wort bedächtig aussprechend. Seine Mutter, die während der nötigen Denkpause ruhig auf ihrem Platz gesessen hatte, sah zu ihm auf und sagte ruhig:

"Definitiv geplant ist nichts. Aber Catherine hat gesagt, daß wenn du und ich uns bis zum achtzehnten August, also nächsten Mittwoch entschieden haben, könnte sie über mehrere Beziehungen, von ihrer Mutter bis zu einer Dame namens Grandchapeau ein Schnellaufnahmeverfahren durchdrücken. Die fangen ja in Beauxbatons wohl am 22. August an."

"Richtig, weil sie zwei Tage länger Ferien haben als ursprünglich vorgesehen", bestätigte Julius. Dann sagte er: "Ich kenne die Grandchapeaus, beide, zumindest von der Arbeit her. Er ist der französische Zaubereiminister, sie führt die Abteilung für den Kontakt zwischen Zauberern und Muggeln, öhm, Menschen ohne Magiebegabung. Wenn die so ein Gesuch auf den Tisch kriegt, kann es tatsächlich ziemlich schnell gehen, zumal ich von Professeur Faucon und Madame Delamontagne sicher weiß, daß die mich gerne sofort dort einschulen wollen."

"Gut, dann haben wir geklärt, wie schnell es geht. Jetzt frage ich dich, ob dir das denn auch recht wäre? Immerhin hast du bei deiner Geburtstagsfeier nicht gerade begeistert geklungen, als die Sprache auf Beauxbatons kam."

"Die Aussicht gefällt mir auch jetzt nicht sonderlich, Mum. Allerdings haben Paps und du mir beigebracht, daß es oft besser ist, was zu tun, was nicht gleich toll ist, aber dafür hinterher was einbringt, was man für andere Sachen gut gebrauchen kann. Von der Schule abgesehen, was hätte ich zu erwarten, wenn du hierher ziehst. Bekäme ich eine neue Fürsorgekraft, oder wärest du dann wieder alleine erziehungsberechtigt?"

"Interessant, daß du die Frage zuerst stellst. Ich ging eher davon aus, du wolltest wissen, wo wir dann leben sollen?"

"Wenn Catherine meint, dich in den von ihr geschaffenen Schutzbann hineinzuholen, kannst du nicht weiter als hundert Meter um das Zentrum der Bezauberung und in den davon berührten Bereichen bleiben, wenn du nicht ständig unterwegs sein willst, um Leuten wie Voldemort zu entgehen. Das heißt, daß wir hier in der Rue de Liberation bleiben müßten, weil in der Rue de Camouflage kein Nichtmagier wohnen darf."

"Gut, das hast du also einkalkuliert. Catherine hat mir den zweiten Stock dieses Hauses angeboten, wo drei nicht genutzte Zimmer, eine Küche und ein Bad vorhanden sind. Gäste schlafen ja nur in den beiden Gästezimmern, die oben sind, wo wir alle ja schon geschlafen haben, wenn ich richtig orientiert bin. Sie meinte, mit Baumagie den Bereich so umgestalten zu können, daß wir von den Brickstons getrennt wohnen könnten, also mindestens eine Tür zwischen Catherine und Joe und uns schließen können. Dann hätten wir sogar Strom und Antennen- oder Kabelanschluß, fließendes Wasser und Heizung. Wie hoch die Miete dafür sein wird, weiß ich noch nicht. Für umsonst werde ich zumindest nicht hier wohnen wollen. Falls die vom französischen Zaubereiministerium sagen, daß das auch mit mir alleine zu unsicher sei, dich weiter in einer Zaubererschule zu lassen, möchte Catherine sich als Fürsorgerin vorschlagen lassen, sofern ihre Mutter oder Madame Delamontagne dies nicht ..."

"Bloß nicht, Mum! Dann lieber Catherine. Ich meine, ich komme mit Madame Delamontagne soweit aus, daß wir uns miteinander vertragen. Aber wenn ich der als Pflegekind oder wie immer das heißt zugeteilt werde, bin ich mir sicher, daß dann Schluß mit friedlich ist. Ähnliches wäre dann bei Professeur Faucon gegeben, da ich der ja wie du weißt auch in der Schule andauernd über den Weg laufen würde. Catherine hat nicht gerade Loblieder auf ihre Schulzeit gesungen."

"Du würdest ja bei mir wohnen, nicht bei einer von den beiden."

"'tschuldigung, Mum, aber wovon träumst du nachts? Wenn Madame Delamontagne sich als meine neue Fürsorgerin bestätigen läßt, holt die mich morgen schon aus dem Dusoleil-Haus rüber zu sich und läßt mich auch nicht wieder zu dir kommen, außer sie ist dabei. Ich glaube auch, Joe kann besser schlafen, wenn seine Schwiegermutter nicht andauernd hier ein- und ausgeht, und ich brauche womöglich einen guten Abstand zu ihr. Ich bin nicht so begeistert von Beauxbatons, weil ich weiß, daß die da noch strenger sind, als in Hogwarts. Will sagen, die können einem schon Strafen aufhalsen, wenn die Kleidung nicht richtig sitzt oder das Haar ungekämmt ist. Doch im Moment wüßte ich nicht, was besser geeignet wäre. Sicher, Wir könnten Aurora Dawn fragen, ob die dich und mich in Australien unterbringen kann, aber das haben wir ja schon gehört, daß die Einwanderungsgesetze für normale Leute da ziemlich heftig und zäh sind. Wenn du einfach umziehen könntest, ohne mich mitnehmen zu müssen, wäre für mich klar, daß ich in Hogwarts bliebe, allein schon wegen Gloria, Pina, den Hollingsworths und Kevin. Doch aus Beauxbatons kenne ich mittlerweile ja auch schon einige Leute etwas besser, als wenn ich jetzt in Australien oder Amerika einsteigen müßte. Allerdings sehe ich da was, was ich ganz locker packen konnte, weil es mir erlaubt war: Du kannst die Landessprache nicht so gut, daß du hier ohne Catherine oder andere Bekannte klarkommst."

"Interessant! Das Problem hatte ich auch erst am Ende aufgegriffen. Catherine meinte, daß wenn ich mich entscheide, hierher zu ziehen, dann ginge das irgendwie, dieses Sprachlernbuch zu benutzen, daß du angeblich von Gloria geschenkt bekommen hast."

"Ach ja, die Ausnahmeregelung, die erlaubt, daß Familienangehörige von Zauberern, auch wenn sie selbst nicht über Zauberkräfte verfügen bestimmte magische Mittel, deren Verwendung vorher angemeldet wurde, welche nicht den Körper verändern oder schädigen, benutzen können, solange gesichert ist, daß diese Mittel nur in magischen Haushalten verbleiben."

"Ach, du kennst dieses Gesetz? Wolltest du vielleicht Anwalt werden?" Fragte Mrs. Andrews erstaunt.

"Hätte ich ein Talent dazu? Neh, besser nicht, Mum. Das sollen die Leute machen, die über die nötige Skrupellosigkeit verfügen, um erwiesene Verbrecher immer noch hervorragend verteidigen zu können. Ich kann das wohl nicht."

"Na ja, ohne den einen Anwalt wäre ich wohl jetzt in einer Gummizelle. Gut, dann müßtest du dir keine Gedanken über einen Schulwechsel machen, hättest dann aber keinen Vater und keine Mutter mehr."

"Touché!" Sagte Julius. Seine Mutter grinste.

"Das Wort kenne ich. Das kommt aus dem Fechtsport und bezeichnet einen gelungenen Treffer."

"Ich ging davon aus, daß das allgemein geläufig ist. Also es spräche im Moment viel mehr für Beauxbatons und Paris als für eine andere Schule, da du nicht in Großbritannien bleiben kannst. Hmm, die werte Professeur Faucon hat auch gesagt, daß das, was ich bei ihr gelernt hätte, in Hogwarts wohl nicht beachtet werden könnte, weil die mich da nicht weiter fördern könnten. Das gilt ja nicht nur für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Ich fürchte, diese Frau kriegt immer was sie will, zumindest wäre es unlogisch, ihr in diesem Falle was zu verweigern."

"Inwiefern unlogisch?" Fragte Martha Andrews. Julius verfiel wieder in Nachdenken. Ihm fielen alle Worte und Ereignisse ein, die ihm im Zusammenhang mit einem schmackhaft gemachten Schulwechsel in Erinnerung waren, von Claires und Caros Umgarnung, über Virginies ZAG-Feier, über den Sommerball, bis hin zum Besuch von Maya Unittamo und Jeannes Gespräch mit ihm über Claire, sowie Barbaras lockere Bemerkung, ihn problemlos unterzubringen.

"Welche Frau meinst du eigentlich? Madame Faucon oder das Dusoleil-Mädchen?"

"Welches Dusoleil-Mädchen? Uranie Dusoleil ist noch unverheiratet, und dann gibt es drei Töchter in der Familie."

"Du weißt genau, wen ich gemeint habe, Bursche. Es ist zwar ein weit verbreiteter Glaube, daß Mütter dafür blind seien, daß sich ihre Söhne ab einem gewissen Alter partnerschaftlich orientieren, zumindest damit anfangen, aber mir ist das nicht entgangen, daß Mademoiselle Claire Dusoleil doch schon gewisse Ansprüche geäußert hat, auch ohne Worte."

"Zweiter Treffer", räumte Julius ein. "Nein, ich sprach von Professeur Blanche Faucon. Sie legt es förmlich darauf an, daß ich nach Beauxbatons komme. Sie hat mir schon klar zu verstehen gegeben, daß sie Hogwarts nicht mehr für geeignet für mich hält. Wenn wir beiden jetzt hier rausgehen, und ich verkünde, daß ich bereit bin, die Schule zu wechseln, damit du in einer sicheren Umgebung ein erfülltes Leben haben kannst, worauf du ein Recht hast, wird es keine Minute dauern, bis Professeur Faucon alles angeleiert hat, damit ich auch ja nicht mehr von der Schippe springen kann, mit Vorabprüfungen, Ausrüstungseinkauf und dem vollen Programm halt. Apropos volles Programm: Im Moment habe ich den Eindruck, als hätte es nur noch von mir abgehangen, ob gewisse Sachen angeleiert werden sollen oder nicht. Was wirst du dann tun, wenn du hier lebst? Für eine Programmiererin wäre es doch blöd, irgendwelche Aushilfsjobs in einem Supermarkt zu machen oder als Putzfrau zu arbeiten. Hat Catherine irgendwas angedeutet, daß sie für dich was findet oder schon gefunden hat?"

"Diese Madame Grandchapeau soll wohl laut über die Einrichtung von Computerarbeitsplätzen in der Zaubererwelt nachdenken. Glauben kann ich sowas erst, wenn ich diese Dame gesprochen habe und ich die Bestätigung in der Hand habe", sagte Martha Andrews.

"Natürlich, das käme denen doch gelegen. Mrs. Priestley ist in England auch eine gute Computerprogrammiererin und überwacht das Internet für die Zaubererwelt. Wenn die in Frankreich sowas auch hätten, wären die froh."

"Du sagst, du kennst diese Madame Grandchapeau?" Prüfte Martha Andrews nach, ob sie ihren Sohn richtig verstanden hatte.

"Wenn ich mich recht erinnere, das war vor meinem Geburtstag, und ich mußte mit Madame Delamontagne nach Paris, weil die wen brauchten, der Muggelkram mit ihnen bereden konnte, wo ich sie getroffen habe, hat sie mir erzählt, daß sie euch beiden, Paps und dich, schon in Paris getroffen hat. Natürlich hat sie sich nicht zu erkennen gegeben. War ja auch nicht nötig."

"Moment, die hat uns schon getroffen. Wo denn?"

"Wenn sie mir das richtig erzählt hat, lautet das Stichwort "Hundehaufen"."

"Wie bitte?! Interessant", erwiderte Julius' Mutter verblüfft. Julius beschrieb Madame Grandchapeaus Haar und Gesicht, Gestalt und Bewegungsart. Martha Andrews, die ein gutes Gedächtnis für Personen und Zahlen hatte, lachte laut auf.

"Tatsächlich. Die Dame ist uns begegnet, als Richard eine widerwärtige Begegnung mit der Hinterlassenschaft eines Hundes hatte. Er sprach was mit ihr, offenbar, wie unsauber doch die Straßen seien. Aber woher wußte sie denn, ... Verbrecheralbum! Magisches Interpol. Wahrscheinlich haben die in England unsere Fotos an die in Frankreich geschickt, und als sowohl du als auch wir hier waren, war es wohl die Pflicht dieser Dame, unsere Gesichter auswendig zu kennen. Ich lasse nach, Julius."

"Denke ich nicht, Mum. Immerhin bist du ja von selbst drauf gekommen", erwiderte Julius begeistert.

"Ja, aber wie hast du dich jetzt entschieden?" Stellte Martha Andrews ihrem Sohn die bislang wichtigste Frage in seinem Leben. Denn von der Antwort würde abhängen, ob sie und Julius wieder zusammenleben konnten, Julius zwischenzeitlich auch wieder nichtmagische Freizeitbeschäftigungen wahrnehmen konnte und sich umorientieren mußte oder nicht. Sie wartete die zeit ab, die Julius brauchte, um sich die Antwort zu überlegen. Er dachte an alles, was ihm an Hogwarts gefallen hatte, seine Freunde, was man dort anstellen konnte und was nicht. Dann dachte er an alle Leute, die er von Beauxbatons kannte. Ihm mißfiel zwar immer noch die kalte Atmosphäre, die dort vorherrschte, doch vielleicht konnte er sich daran gewöhnen, wie ein Polarforscher sich an Minustemperaturen gewöhnen und minus fünf Grad für sommerlich warm halten konnte. Er dachte an Quidditch, was ihm mit Sicherheit blühen würde, wenn er in Beauxbatons landete. Denn dort würden sie wissen, daß er in Millemerveilles ausgiebig trainiert hatte, bevor er aus der roten Reisesphäre steigen würde. Denn Posteulen konnten schnell fliegen. Er dachte an Barbara, Jeanne und Virginie, die, wenn er im grünen Saal landen sollte, ohne Aufforderung für ihn da sein würden, um ihm in das neue Leben zu helfen. Er dachte an Claire, die sich wie Professeur Faucon sehr freuen würde, wenn er mit ihr die Schule besuchte. Er sah sie schon stolz und mit strahlendstem Lächeln neben ihm herschreiten und andere Mädchen wie Caro und Belisama durch schnelle Blicke auf Abstand halten. Und er dachte an den dunklen Lord, der wohl jetzt über seine Handlanger mehr Einfluß auf die Slytherins ausübte, die ihm das Leben zur Hölle machen würden. Es war vielleicht feige, sich dem zu entziehen, aber auch elegant und listig, zumal er sich ja darauf berufen konnte, daß er ja keine andere Wahl gehabt hätte. Sicher, Gloria, Pina und Kevin würden ihn vielleicht vermissen. Aber sie hatten ja noch sich gegenseitig, wie auch die Hollingsworths. Die Peeves-Patrouille konnte auch ohne ihn weitermachen, vielleicht mit einem Nachrücker aus Ravenclaw. Viel war ja noch nicht in dieser Richtung unternommen worden. Aber es gab sie zumindest auch dann noch, wenn er nicht mehr in Hogwarts sein sollte. Er überschlug, was er von den Schulregeln in Beauxbatons gehört hatte mit seiner Einstellung, nach Möglichkeit nicht mehr auffallen zu wollen, als nötig und kam zu dem Schluß, daß er nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung wohl keine größeren Probleme haben würde, damit zu leben, wie er ja auch mit seiner Zaubereiausbildung in Hogwarts zu leben gelernt hatte. In einem kurzen Anflug von Mitgefühl für andre fragte er sich, was aus Henry Hardbrick werden würde. Sicherlich hatte er immer noch einen schweren Stand, und wenn er, Julius nicht mehr da war, würde sich keiner finden, der verstand, was mit ihm war. Doch die Hardbricks sollten ihm egal sein. Immerhin hatten sie ohne es zu wollen seine Mutter aus seinem Elternhaus vertrieben, weil sie seinem Vater erzählt hatten, daß sie in Hogwarts war. Blieben also nur die Hollingsworths, denen er nun nicht mehr so leicht bei Zaubertränken helfen konnte. Aber war das wirklich so? Er könnte doch verschlüsselte Briefe schicken, damit nicht jeder wußte, daß er ihnen half, vor allem nicht Severus Snape. Er mußte sich nur einen einfachen Schlüssel ausdenken, um sie nicht zu überfordern. Kevin würde er wohl jede Woche eine Eule schicken müssen, um sich von ihm das Neueste aus Hogwarts erzählen zu lassen und ihm im Gegenzug was aus Beauxbatons zu berichten. Ja, das war wohl möglich. So sagte er nach wohl mehreren Minuten:

"Mutter, ich habe mich entschieden. Wenn du das mit dem Umzug wirklich so machen möchtest, wie Catherine und Madame Grandchapeau es dir anbieten, dann gehe ich gerne nach Beauxbatons und mache da meine Schule zu Ende. Ich kenne da doch mehr Leute, als anderswo, und ich weiß, daß die solches Gesocks, wie es bei Hogwarts in Slytherin herumlungert, nicht tolerieren. Ich mach das!" Und in Gedanken fügte er hinzu: "Ich hoffe nur, daß ich das nicht eines Tages bitter bereuen muß."

Martha Andrews sah ihren Sohn an. Etwas Stolz, etwas Traurigkeit, ja auch etwas entschlossenheit lagen in ihrem Ausdruck.

"Ich danke dir, daß du dir die Mühe gemacht hast, eine Entscheidung zu finden, Julius. Ich hoffe, wir haben keinen Anlaß, das irgendwann zu bereuen. Am Anfang zeigen sie einem ja immer die Schokoladenseite einer Sache. Aber im Moment tun wir beide wohl das vernünftigste, was in unserer Lage drin ist", sagte Martha Andrews. Dann ging sie an die Tür und öffnete sie. Julius wußte, daß ein dauerhafter Klangkerker nur unterbrochen wurde, wenn eine Tür oder ein Fenster in dem Raum geöffnet wurde. Schloß man die Tür oder das Fenster wieder, würde er sich wieder aufbauen und keinen Laut nach draußen entkommen lassen.

"Catherine!" Rief Martha Andrews durch die offene Tür. Irgendwo tat sich eine andere Tür auf, und Joe rief heraus:

"Catherine und ihre Hexenbande hat sich in den Garten verzogen, martha. Brauchst du Hilfe bei was?"

"Nein, brauche ich nicht", sagte Mrs. Andrews und ging mit Julius aus dem Arbeitszimmer. Sie zog die Tür zu, die sich von selbst verriegelte.

"Das war nicht gerade klug, was Joe da gerufen hat. Mrs. Priestley kann Englisch, und ich weiß nicht, was mit Perseus ist", meinte Julius.

"Das wächst ihm über den Kopf, Julius. Offenbar hat er Angst, die Hexen und Zauberer könnten sein ganzes Leben umwerfen. Immerhin sind im Moment vier mehr hier, als er gewohnt ist."

"Vier? Madame Faucon, Mrs. Priestley und Perseus. Das sind drei", wandte Julius ein. Dann mußte er grinsen. Er hatte einen vergessen, an den seine Mutter gedacht hatte, aber von dem sein Vater nichts mehr wissen wollte ...

Die Andrews' kannten sich im Haus der Brickstons gut aus. Immerhin hatten sie ja beide hier mehrere Wochen als Gäste gewohnt, zu unterschiedlichen Zeiten zwar, aber immerhin. So fanden sie schnell die Tür zum Garten und traten hinaus in die warme Nachmittagssonne. Julius roch den Duft von Kaffee, Tee und Kakao, sowie frischen Kuchens. Er sah Perseus, den Chauffeur des englischen Zaubereiministeriums, wie er mit zehn bunten Bällen jonglierte, die nach jedem Abwurf die Farbe wechselten. Sie flogen über zehn Meter hoch, gingen aber so nieder, daß der Zauberer mit den magischen Armen sie mühelos erreichen und wieder aufsteigen lassen konnte. Madame Faucon unterhielt sich mit Mrs. Priestley, nachdem, was Julius noch hören konnte, ging es um Maßnahmen gegen die sich wieder ausbreitende Gefahr des dunklen Lords. Catherine hantierte am Gartentisch mit Geschirr und Gebäck. Als sie die Andrews' sah, winkte sie ihnen zu.

"Hallo, ihr beiden. Habt ihr euch über alles unterhalten, was jedem von euch wichtig war?" Fragte sie. Julius nickte. Er mied den Blick der Beauxbatons-Lehrerin, der er gleich wie damals Vercingetorix seinem Namensvetter aus Rom die Waffen zu Füßen legen würde.

"Hast du ihm die Frage gestellt, oder hast du für ihn entschieden, Martha?" Fragte Catherine Brickston weiter. Martha Andrews nickte nur, sagte jedoch nichts. Sie blickte Julius an, der sich einen Ruck gab, weil er es ja nun schnell hinter sich bringen wollte und vortrat.

"Madame Faucon, Mrs. Priestley, Catherine", begann er und setzte in französischer Sprache fort: "Nachdem meine Mutter mir alles erzählt hat, was ihr passiert ist, welche Schritte sie und mein Vater unternommen haben, hat sie mich gefragt, ob ich bereit wäre, mit ihr zusammen hierher, zu dir, Catherine, umzuziehen. Mir war klar, und meine Mutter weiß, daß es mir bestimmt nicht leicht fallen würde, daß ich dafür von Hogwarts weggehen müßte, da ich ja in einem andern Land wohnen müßte. Ich habe alles durchdacht, was mir an Sachen einfiel, die dafür oder dagegen sprechenund habe mich entschieden, nach Beauxbatons zu wechseln."

Schweigen war die Antwort. Martha Andrews lauschte, was nun gesagt wurde. Erst einmal geschah nichts. Dann ergriff Mrs. Priestley das Wort. Sie sah erst Julius an, dann Martha Andrews und sagte auf Englisch:

"Martha, ihr Sohn hat gerade wohl verbindlich erklärt, er würde nach Beauxbatons wechseln, wenn Sie dem Angebot von Madame Brickston folgen möchten. Unterstützen Sie diese Entscheidung, da Julius ja de Jure noch nicht alleine entscheiden darf?"

"Ich unterstütze diese Entscheidung. Yo estoy dacuerda con la decisión de mi hijo!"

Perseus ließ verdutzt zwei der fliegenden Bälle ins Leere fallen und wandte sich dem Tisch zu, wo die drei Hexen, der Zauberer und die Muggelfrau gerade was offenbar wichtiges beschlossen hatten.

"du weißt, Julius, was jetzt auf dich zukommt?" Fragte Madame Faucon auf Französisch. Julius nickte schwerfällig. Jetzt war er dieser Frau noch mehr ausgeliefert, als in den Wochen der letzten Sommerferien, in denen er mit ihr unter demselben Dach gelebt hatte.

"Es kommen neben der Ersthelferprüfung noch eine Sprachenprüfung, das Ausfüllen diverser Formulare, sowie der Einkauf der ganzen Materialien", sagte Julius. Madame Faucon nickte und ergänzte:

"Hinzu kommt, daß dein Status in Millemerveilles sich ändern dürfte, sobald es alle wissen, was, wenn ich meine Pflicht prompt erledige, in dem Moment passiert, wenn mir die Ausbildungsabteilung einen neuen Schüler für Beauxbatons aktenkundig macht. Madame Maxime wird mich fragen, wie ich dich beurteilen muß, nachdem sie sich aus Hogwarts deine Beurteilungen geholt hat. Es könnte dir also sogar passieren, daß sie noch einmal persönlich mit dir sprechen will. Catherine, wie hast du dir das mit der Anmeldung vorgestellt? Weiß Nathalie von dieser Sache?"

"Ja, ich habe ihr gestern abend noch eine Eule geschickt, und ich kann sie zwischen fünf und sechs in ihrem Büro per Kontaktfeuer erreichen", sagte Catherine Brickston. Dann wandte sie sich Julius zu und gab ihm die Hand.

"Das ist sehr freundlich von dir, daß du deiner Mutter helfen möchtest, ein neues Leben gut zu beginnen. Du kennst, das weiß ich von Maman und Eleonore, viele Leute aus Beauxbatons, auch einige Lehrer. Wenn du diese Vernunft und Voraussicht weiter pflegst, kommst du dort sehr gut zurecht, ohne anderen Schülern als Streber oder Duckmäuser aufzufallen."

"Sehe ich das dann richtig, daß wenn ich heute noch die Ausbildungsabteilung informiere, ich morgen oder übermorgen meinen Fürsorgeauftrag verliere?" Fragte Mrs. Priestley Catherine. Diese nickte.

Joe Brickston trat in den Garten. Er hatte gehört, was hier gesprochen worden war. Er sah nicht gerade zufrieden aus. Wollte er etwa nicht, daß seine Studienkollegin Martha hierher zog?

"Das hat deine nette Mutter gut eingefädelt, Catherine. Die hat ihn letztes Jahr nach meinem Unfall aufgelesen und will ihn jetzt komplett haben. Toll! Hast du eine Ahnung, Martha, worauf du dich da eingelassen hast?"

"Auf das, was aus meiner Situation heraus die bestmögliche Alternative ist, für Julius und auch für mich, nachdem mein Mann sich ja weigert, unseren Sohn vernünftig auszubilden. Und damit das gleich vom Tisch ist, bevor es sich zu sehr ausbreitet, Joe: Ich habe keine Lust, deinen Job zu übernehmen. Du brauchst also keine Sorgen zu haben, daß ich dir den Rang ablaufen will. Du hast hart gearbeitet, um das zu werden, was du jetzt bist. Ich habe zwar neu anzufangen, habe es jedoch nicht nötig, anderer Leute Arbeit wegzunehmen. Ich ziehe erst einmal hierher, sobald das alles geregelt ist. Ich werde dir nicht im Weg rumstehen oder laufen, wenn das klappt, was Catherine vorgeschlagen hat. Wenn nicht, suche ich mir was in der Nähe aus."

Catherine übersetzte fast zeitgleich für ihre Mutter, obwohl die das natürlich verstehen konnte. Diese wandte sich an Joe Brickston und sprach ruhig aber unmißverständlich bedrohlich in ihrer Muttersprache:

"Werter Schwiegersohn, ich hatte und habe bisher keinen Anlaß, mich in deinen Umgang mit anderen Nichtmagiern einzumischen, da dies deine Welt ist und Catherine sich dich ausgesucht hat, was ich ihr immer noch zugestehe. Jetzt geht es aber nicht um dich oder Catherine alleine, auch nicht um Babette, sondern um einen Jungen, der meiner persönlichen Erfahrung nach das Recht und die auferlegte Pflicht hat, auf dem Weg weiter voranzugehen, der ihm bestimmt ist. Wenn dieser Weg nun durch die Beauxbatons-Akademie führt, deren Lehrkörper anzugehören ich die Ehre habe, geht es mich sehr viel an, in welchem Umfeld er seine außerschulische Zeit zubringt. Du magst vielleicht denken, Martha Andrews habe eine Dummheit begangen, ja sogar die Frechheit besitzen, mir zu unterstellen, ich hätte den Jungen manipuliert, um über ihn mehr Kontrolle über dich zu erlangen, aber das alles wird mich nicht davon abhalten, dich zu warnen, es dir nicht doch noch mit mir zu verderben. Ich gestehe Catherine und Babette zu, einen treusorgenden Familienvater zu haben, aber was diesen Jungen hier und seine Mutter angeht, so verbitte ich mir jede wie auch immer geartete Animosität gegen ihn, seine Mutter oder gar mich."

"Hättest du das nicht einmal unübersetzt lassen können?" Zischte Joe seiner Frau zu. Diese schüttelte den Kopf. Joe trollte sich und kehrte in das Haus zurück. Martha sah etwas verlegen drein, als sei ihr nun bewußt geworden, zu stören. Catherine sah die Bekannte ihres Mannes an.

"Er wird Richard nicht anrufen, um ihm auf die Nase zu binden, wo du jetzt bist. Ich habe ihn auf einen Eidesstein schwören lassen, deinen Aufenthaltsort nur denen zu verraten, die ich ihm nenne. Richard Andrews gehört nicht dazu. Außerdem würde er seine Stellung verspielen, wenn er nun ausplaudert, mit einer Hexe verheiratet zu sein."

"Das ist mir im Moment egal, Catherine", sagte Martha Andrews. "Ich fürchte, er möchte nicht haben, daß wir euch auf die Pelle rücken."

"Das werdet ihr nicht. Wenn das mit der Ausbildungsabteilung geklappt hat, habe ich den oberen Bereich in weniger als einem Tag so umgebaut, daß ihr eine eigene Zugangstür und einen klar von uns abgetrennten Wohnraum bekommt. Jetzt trinken wir erst einmal Kaffee."

Julius saß während des Kaffeetrinkens rechts von seiner Mutter, die links von Madame Faucon flankiert wurde. So konnten sich die Beauxbatons-Lehrerin und die Computerprogrammiererin auf Spanisch unterhalten, soweit es Mrs. Andrews' Sprachkenntnisse gestatteten. Julius sprach mit Mrs. Priestley und Catherine über das was in den letzten Wochen in Millemerveilles gelaufen war und auch über den Sommerball. Er benutzte die englische Sprache, denn Perseus und Joe, die zwar nicht in die Unterhaltung eingriffen, aber zuhörten, saßen mit interessierten Mienen dabei. Joe fragte irgendwann mal leise, als seine Schwiegermutter gerade etwas erklärte, was wohl nur Martha Andrews verstand:

"Ich kann mir nicht vorstellen, daß Blanche dir nicht diese Dinge beibringt, wenn sie nicht darauf ausgegangen ist, daß du sowieso in diese Akademie gehst, wo Catherine war und Babette wohl auch hingehen soll."

"Sagen wir's so, Joe", flüsterte Julius zurück, "daß sich das für sie so klar ergibt, habe ich nicht gedacht. Ich ging nur davon aus, es sei wegen des dunklen Magiers, der wieder aufgetaucht ist."

"Du glaubst daran?"

"Ich habe gesehen, daß jemand umgebracht wurde und einen, der früher für diesen Schweinehund gearbeitet hat, quasi wieder einberufen wurde, weil ein Brandzeichen auf seinem Arm anfing, dunkel aufzutauchen. Da habe ich eins und eins zusammengezählt."

"In Ordnung, Julius, ich glaube dir das. Dann müßte ich mich bei Blanche ja entschuldigen."

"Wenn sie das will, mach das!" Sagte Julius nur. Madame Faucon, die gerade fertig erklärt hatte, wandte sich Mrs. Priestley zu und fragte sie in der hiesigen Landessprache:

"Da Sie, wie mir bekannt ist, im britischen Ministerium für Magie angestellt sind, besteht Ihrerseits die Möglichkeit, mir zu erläutern, wieso es zu derartigen Differenzen zwischen Ihrem und unserem Minister kommen konnte, im Bezug auf die Vorkommnisse um das trimagische Turnier?"

"Sie haben recht, Professeur, daß ich im britischen Zaubereiministerium angestellt bin. Da ich dies noch für eine gewisse Weile bleiben möchte, möchte ich lediglich auf die Erklärungen verweisen, die Minister Fudge am 31. Juli im Rahmen des mitteleuropäischen Ministerkonventes abgegeben hat. Mehr darf ich nicht äußern, selbst nicht im kleinsten Kreise."

"Ich wollte Sie nicht zu einer illoyalen Handlung animieren, Madame Priestley. Es ist nur so, daß ich als stellvertretende Direktrice der Beauxbatons-Akademie nicht nur für die Obliegenheiten der Schule zuständig bin, sondern auch für die Entwicklungen im Umfeld der Schüler ein gewisses Interesse hegen muß, um auf Neuheiten angemessen reagieren zu können. Und das Ende des trimagischen Turniers ist nun mal eine sehr drastische Entwicklung, wenn Sie verstehen, was ich meine."

"Offiziell kam es am 24. Juni 1995 zu einem tödlichen Unfall des Turnierteilnehmers Cedric Diggory. Da durch Zeugen wie Minister Fudge, Ihre Vorgesetzte Madame Maxime, sowie Professor Karkaroff einhellig bestätigt werden konnte, daß keine Fremdeinwirkung von dritter Seite erkennbar war ..."

"Heh, Moment, das ist ja ein dicker Hund!" Rief Julius einfach dazwischen. "Der trimagische Pokal war zu einem Portschlüssel verändert worden, und nach einer gewissen Zeit kamen Harry Potter, schwerverletzt, sowie der tote Cedric Diggory mit ihm wieder zurück. Ich verstehe, daß Sie sich nicht gegen Ihren Chef stellen möchten, Mrs. Priestley, aber wenn der in die Welt setzt, daß es keine Spur von dritter Seite gab, lügt er. Das ist zwar die hohe Kunst der Politiker, aber in dem fall stümperhaft, weil nämlich alle irgendwie draufkommen, daß da was unter dem Teppich gehalten werden soll. Außerdem war Karkaroff bei der Rückkehr von Potter und Diggory schon nicht mehr da. Soll ich Ihnen sagen, wieso nicht?"

"Julius, Sie können nicht von mir erwarten, mich hier in wilden Diskussionen zu ergehen, was passiert ist und warum", fauchte Mrs. Priestley, die ungewohnt zornig dreinschaute. Madame Faucon, die sonst keinen Widerspruch von Jugendlichen duldete, warf ein:

"Bestellen Sie Ihrem obersten Vorgesetzten schöne Grüße von Minister Grandchapeau, Monsieur Chevallier und mir, daß Ignoranz als Mittäterschaft ausgelegt werden kann, wenn sie vermeidbare Katastrophen zuläßt. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Monsieur Andrews, Ihr Einwand war zwar gerechtfertigt, aber ein kluger Zauberer läßt einen Gesprächspartner erst sein Argument oder seine Erklärung vollenden, um nicht unversehens in eine peinliche Situation hineinzugeraten."

"Was war das jetzt?" Fragte Martha Andrews Julius. Dieser setzte schon an, ihr was zu erklären, doch Madame Faucon sah ihn energisch an, sodaß er schwieg. Sie selbst erklärte Julius' Mutter etwas auf Spanisch.

Nach dem Kaffeetrinken unterhielt sich Martha noch etwas mit Joe und Catherine, während Mrs. Priestley ihren Schutzbefohlenen bei Seite nahm. Dieser dachte jetzt, er würde sich einen heftigen Tadel abholen, weil er ihr über den Mund gefahren war, aber sie sagte mit verbissenem Gesichtsausdruck:

"Julius, ich weiß genau, was beim Turnier passiert ist und auch warum. Ein paar Leute aus dem Ministerium haben es von Schülerinnen und Schülern, darunter Amos Diggory, der Vater von Cedric. Der glaubt auch nicht, daß es ein Unfall war. Dumbledore, Sprout und McGonagall haben ihm erklärt, was passiert ist und daß nicht etwa Harry Potter den Mitbewerber umgebracht hat. Dann hätte er ihn wohl kaum mit zurückgebracht. Aber Minister Fudge ist der felsenfesten Überzeugung, daß der dunkle Lord nicht wieder aufgetaucht ist und der Tod von Cedric Diggory entweder durch einen geistesgestörten Harry Potter verursacht wurde oder ein tragischer Unfall war. Immerhin gab es ja einige Ungeheur im trimagischen Labyrinth."

"Na klar, die haben Fleur Delacour geschockt und auch Victor Krum. Ich habe die meisten Sachen, die in diesem Labyrinth abliefen durch ein Nachtsichtfernglas beobachtet, June. Ich habe gesehen, daß Krum von Harry geschockt wurde, weil Cedric Diggory von diesem wohl angegriffen worden ist. Ich habe Potter und Diggory mit dem Pokal verschwinden sehen können. Die haben den beide gleichzeitig angefaßt. Das heißt logischerweise, daß Cedric da noch quicklebendig war. Er starb also zwischen dem Verschwinden und Wiederauftauchen des Pokals. Nichts für Ungut, Mrs. Priestley, aber Minister Fudge sollte den runden Hut nehmen, den er als Markenzeichen trägt. Ich glaube auch nicht, daß Dumbledore seinen Posten haben will. Den hätte er schon vor über dreizehn Jahren haben können und müßte wohl kaum auf einen Mord zurückgreifen, um doch noch dieses Amt zu kriegen. In diesem Licht bin ich doch froh, heute die Entscheidung für Beauxbatons getroffen zu haben. Ich wage mir nicht vorzustellen, was in England nun alles passieren kann."

"Jetzt könnte ich behaupten, daß du dir darum keine Sorgen mehr machen mußt, Julius. Aber du hast Freunde in Hogwarts, die du bestimmt nicht vergessen wirst. Aber im Moment werden wir nichts ausrichten können, solange es keinen greifbaren Beweis für die Rückkehr des Unnennbaren gibt."

"Will sagen, bevor er nicht mit großem Getöse in Hogsmeade oder die Winkelgasse einfällt und mehrere unschuldige Hexen und Zauberer niedermetzelt, ist er nicht wiedergekommen. Tolle Einstellung!" Versetzte Julius barsch. Mrs. Priestley sah zwar etwas verärgert auf ihren Schützling, doch sie nickte flüchtig.

"Es ist jemand umgekommen, der im Verdacht stand, mit dem dunklen Lord zu tun zu haben. Er stürzte wohl wegen einer fehlerhaften Apparition von einem Hochhaus und starb durch den Aufprall auf den Boden. Er hat einen Sohn, der nach Hogwarts geht. Es wurde eine überschwere Brandverletzung an der rechten Hand festgestellt, die nach Meinungen der magischen Ermittler nicht aus Versehen erlitten worden sein kann. Wahrscheinlich wurde er gefoltert oder unter einem Fluch dazu bewegt, die Hand in ein Feuer oder an glühendes Metall zu legen."

"Imperius! Dann war's der dunkle Lord. Der ist so ein sadistischer Mistkerl", flüsterte Julius. June Priestley nickte.

"Aber das hast du nicht von mir, weil es dich auch nicht betrifft, verstanden?"

"Verschlossen und verriegelt", erwiderte Julius nur.

"Ich weiß, die Antwort lautet nein, aber werden Sie Minister Fudge das ausrichten, was Madame Faucon Ihnen gesagt hat?" Hakte Julius nach.

"Ich gehe davon aus, daß Madame Faucon nicht davon ausgeht, daß ich bereit bin, meine Anstellung zu riskieren, indem ich ihren Gruß weiterleite. Sie hat es im Grunde nur für mich und die, die nicht einhellig Minister Fudges Meinung sind, ausgesprochen", sagte Mrs. Priestley.

So um fünf Uhr herum begaben sich die Bewohner des Hauses in der Rue de Liberation und ihre Besucher in das Haus und in den Partyraum, wo der ans Floh-Netz angeschlossene Kamin stand. Catherine entzündete ein munteres feuer und warf ein glitzerndes Pulver hinein. Smaragdgrün schossen die Flammen auf. Sie kniete sich vor das Feuer, steckte ihren Kopf einfach in die Flammen hinein und rief: "Nathalie Grandchapeaus Büro!"

Unmittelbar nach Ausruf des Ziels verschwand Catherines Kopf in den Flammen, wie ein Bündel Reisigholz. Ihr restlicher Körper hing unversehrt und dem ryhtmisch sich dehnenden Oberkörper nach zu urteilen quicklebendig aus dem Kamin, kniend wie jemand, der betet oder vor einem hohen Herrscher seine Unterwerfung zeigt. Julius hörte wie aus weiter ferne zwei Stimmen, die Catherines und die einer anderen Frau, die er auch erkannte: Nathalie Grandchapeau. Er spitzte die Ohren und lauschte der auf Französisch ablaufenden Unterhaltung.

"Nathalie, Julius Andrews hat sich dafür entschieden, nach Beauxbatons zu wechseln, wenn seine Mutter zu mir ziehen möchte. Maman hat bereits signalisiert, daß sie die dafür notwendigen Schritte sofort einleiten möchte, wenn die Ausbildungsabteilung ihr den schriftlichen Auftrag gibt", sagte Catherine. Julius dachte sich, daß ihr Kopf wohl in einem anderen brennenden Kamin aufgetaucht sein mußte, sowie er es bei Aurora Dawn und Madame Faucon schon gesehen hatte.

"Monsieur Descartes ist bei mir. Er hat mir erzählt, daß es kein Problem darstellt, die Unterlagen noch heute zu überreichen. Ist Ihre Frau Mutter in Millemerveilles?"

"Nein, sie ist gerade bei mir in Paris", erwiderte Catherines weit entfernt befindlicher Kopf.

"Oh, dann erledigen wir dies am besten sogleich", hörte Julius die wie aus einer weiten Ferne heranschwebende Antwort Madame Grandchapeaus. "Wenn Sie Ihren Kamin freigeben, kommen wir sofort zu Ihnen."

"Wenn Sie dies möchten, Nathalie, dann bitte!" Kam Catherines Antwort ebenfalls wie aus weiter Ferne. Es wurden noch kurze Abschiedsworte getauscht, dann wand sich Catherines anscheinend kopfloser Körper und mit einem kurzen Plopp, zog sie ihren schlagartig sichtbar gewordenen Kopf wieder aus dem Kamin. Das smaragdgrün flackernde Feuer wechselte innerhalb einer Zehntelsekunde zur gewöhnlichenorangen, weißgelben und glutroten Natur zurück. Catherine zog ihren Zauberstab wieder hervor und ließ damit das Feuer innerhalb einer Sekunde zusammenfallen und restlos erlöschen. Dann hantierte sie kurz an verborgenen Stellen am Kamin, bevor sie sich aufrichtete und auf Englisch sagte:

"Offenkundig haben es Madame Grandchapeau und Monsieur Descartes sehr eilig, die bürokratischen Notwendigkeiten so rasch wie möglich abzuarbeiten. Ich gehe davon aus, daß sie in fünf bis zehn Minuten hier eintrudeln und die Formulare mitbringen."

"Das war ja gruselig, wie du das mit dem Feuerzauber gemacht hast", wandte Martha Andrews ein. "Aber es war auch beeindruckend. Das ist ja so wie telefonieren. Habe ich recht, wenn ich vermute, daß dein Kopf, der hier nicht mehr zu sehen war, im Kamin dieser Madame Grandchapeau aufgetaucht ist?"

"Hat Julius dir das noch nicht erzählt, daß wir so direkte Gespräche über weite Entfernungen führen können? Natürlich wird er dir nicht alles erzählt haben, klar. Kontaktfeuer sind die bekannteste Form elementarmagischer Kommunikation. Wenn man das entsprechende Pulver hat kann man damit durch bestehende Feuerverbindungen innerhalb des Landesfloh-Netzes miteinander Kontakt halten."

"Wird einem das in den Zaubererschulen beigebracht?" Fragte Martha Andrews neugierig.

"Ab der vierten Klasse in Beauxbatons, Martha", sagte Catherine.

"Danke, Catherine, daß du mir das mal vorgeführt hast. Bisher habe ich das nicht rauskriegen können, wie man feuerofoniert", sagte Julius auf Englisch.

"Meine Nichte hat das in den Osterferien gemacht, um ihn zu sprechen", sagte Mrs. Priestley zu Martha Andrews.

"Sie meinen Ms. Dawn?" Fragte Julius' Mutter. June Priestley nickte.

"Manchmal denke ich, Catherine verliert mal irgendwo ihren Kopf", sagte Joe, der das wohl schon mehrmals beobachtet hatte.

"Ja, wenn wer das Startfeuer oder das Zielfeuer löscht", vermutete Julius gehässig grinsend.

"Heh, nicht so frech, Monsieur!" Wies ihn Catherine zurecht. "Wenn im Zielkamin kein Feuer brennt, kommt der Kontakt erst gar nicht zu Stande. Dann hätte sich mein Feuer hier gar nicht verfärbt. Wenn wer das Zielfeuer löscht, ist das so, als bekämst du einen heftigen Schlag auf den Kopf, der dadurch zurückgeworfen wird. Wenn du das Startfeuer löschst, während du im Kontakt stehst, zieht es dich unvermittelt in den Zielkamin hinüber, wobei du leichte Verbrennungen abbekommen kannst, weil die Magie verfliegt, bevor das Zielfeuer ebenfalls erlischt."

"Ach, dann kann ich deine Mutter locker aus unserem Haus beamen, wenn sie mit ihren Leuten in Millemerveilles - wie sagtest du Julius? - feuerofoniert."

"Was hat er schon wieder über mich gesagt, Catherine?" Fragte Madame Faucon in ihrer Muttersprache. Joe sah Catherine an, die übersetzte, daß Joe nun wußte, wie einfach es Madame Faucon fiel, diese Verbindung zu knüpfen. Natürlich wußte die Beauxbatons-Lehrerin, daß ihre Tochter log, weil sie ja genau verstanden hatte, was Joe über sie gesagt hatte, aber sagte nichts darauf, um nicht zu erkennen zu geben, daß sie eben doch Englisch konnte.

"Ich stell mir das irgendwie fies vor. Da quatsche ich mit 'nem guten Freund, wie Kevin, und irgendwer schüttet 'nen Eimer wasser ins Feuer und pfeffert mich damit aus dem Kamin hinaus", sagte Julius noch.

Wusch! Unter lautem Rauschen und in einem Wirbel aus smaragdgrünen Funken, Ruß und Asche landete Madame Grandchapeau im Kamin der Brickstons. Sie trug ein weißes Kostüm, das zu Martha Andrews' Verblüffung überhaupt nicht schmutzig war. Tatsächlich erkannte sie in der Dame mit der dunkelblonden Dauerwellenfrisur und den tiefgrünen Augen jene welche wieder, die ihr und Richard in den Straßen von Paris begegnet war, als ihr Mann in einen frischen Haufen Hundekot getreten war. Die Hexe, die gerade aus dem Kamin gepurzelt war, lächelte die Besucherin aus England an und begrüßte sie in deren Heimatsprache. Martha stutzte. Offenbar gehörte es zum guten Ton, mindestens zwei Sprachen zu können, wenn man in einem Zaubereiministerium arbeitete. Dann begrüßte Madame Grandchapeau auch Professeur Faucon und Mrs. Priestley. Keine Minute später rauschte ein kugelbäuchiger Zauberer mit dunkelbraunem Scheitel und gleichfarbigem Oberlippenbart in den Kamin der Brickstons. Er trug einen dunkelroten Umhang und einen samtbraunen Spitzhut und schien sich etwas schwer zu tun, aus dem Kamin herauszuklettern.

"Einen wunderschönen Nachmittag, die Damen und Herren!" Begrüßte der Zauberer alle Anwesenden und zog den Hut. Catherine stellte ihn als Cicero Descartes, den Leiter der Abteilung für magische Ausbildung und Studien zu Frankreich vor. Dieser begrüßte erst die Damen, Professeur Faucon zuerst, dann Mrs. Priestley, dann Martha Andrews, dann Catherine. Dann begrüßte er Perseus mit Handschlag, wobei der kugelbäuchige Zauberer offenbar versuchte, dem Mann mit den magischen Armen zu zeigen, wie stark er war und kläglich scheiterte, weil Perseus nur mal kurz die dargebotene Hand drückte und ein erschrecktes wie schmerzhaftes "Autsch" von Monsieur Descartes entlockte. Bei Joe war er doch etwas vorsichtiger mit dem Händedruck. Dann kam er zu Julius.

"Monsieur Andrews, freut mich, Sie einmal persönlich begrüßen zu dürfen. Ich hörte von meiner Schwägerin, daß Sie immer noch ein großartiger Schachspieler seien und offenbar auch viel Sport trieben, zum Ausgleich."

"Ach, Madame Descartes ist ihre Schwägerin?" Fragte Julius und nahm die Herausforderung an, zu prüfen, ob er dem Händedruck des Ministerialbeamten lange standhielt. Offenbar ging es gut, denn der Beamte machte ein verwundertes Gesicht und bemerkte:

"Offenbar zahlt Ihr training sich aus. Aber kommen wir zur Sache!"

Cicero Descartes förderte aus seinem Umhang eine schwarze Schatulle, die er auf den Tisch im Partyraum legte. Sie wuchs auf das dreifache ihrer Größe an und sprang klickend auf. Aus der Schatulle nahm Monsieur Descartes mehrere Pergamente, die er säuberlich auf dem Tisch auslegte und dann verkündete, daß diese Dokumente die üblichen Formulare für einen bevorstehenden Schulbeginn oder Schulwechsel waren. Er hatte sie in zwei Sprachen, Französisch und Englisch verfaßt und erklärte kurz, daß sie im wesentlichen beinhalteten, daß Martha Andrews, Inhaberin des Erziehungs- und Sorgerechts über den bereits in England gemäß der Zaubereigesetze ausgebildeten Minderjährigen Julius Andrews bekunden möge, daß sie ihren Wohnsitz von Großbritannien nach Frankreich verlegte, daß sie als nichtmagischer Elternteil damit einverstanden war, daß ihr Sohn weiterhin in den magischen Fächern unterrichtet würde und zu diesem Zweck die Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer besuchen möge. Martha las sich die englische Version gründlich durch, nickte dann etwas schwerfällig, weil sie nicht alles genau verstand und fragte dann Catherine, die die französische Version las, ob der Text dasselbe aussagte, wie der englische. Catherine prüfte den englischen Text und nickte zustimmend. Julius las sich das amtliche Formular auch in beiden Sprachen durch, erklärte dann seiner Mutter, daß beide Dokumente das gleiche beinhalteten und wandte sich dann an Professeur Faucon, die neben den Meldeformularen auch einen Stapel Prüfungsunterlagen bekommen hatte.

"Wielange dauert das, bis dieser ganze bürokratische Vorgang durch ist?" Fragte er auf Französisch.

"Vielleicht eine Woche, Monsieur Andrews", erwiderte Madame Faucon sofort und verstaute die Prüfungsunterlagen. "Wir beide werden uns dieses Wochenende zusammensetzen und die erforderliche schriftliche und mündliche Prüfung durchführen. Ich gehe davon aus, daß diese keine Belastung für Sie darstellt und auch keinerlei Vorbereitung mehr benötigt. Aber der Amtsweg verlangt nach greifbaren Ergebnissen und wird diese auch erhalten."

"Muß ich hier wirklich einen nachprüfbaren Grund angeben, wieso ich meinen Wohnsitz wechsel?" Fragte Julius' Mutter Madame Grandchapeau. Diese erwiderte, daß zumindest beurkundet werden müsse, ob sie aus einem berufsmäßigen und / oder familiären Grund den Wohnsitz wechseln wolle, nicht aber unbedingt auf Details eingehen müsse, wenn diese zu privat seien. So füllte Martha das englische Formular zuerst aus und ließ sich von Catherine und Julius beraten, wie sie das auch mit dem französischen Formular machen mußte. Catherine, der Martha schriftlich erlaubte, die für die magischen Belange anfallenden Dinge für Julius zu regeln, unterschrieb auf beiden Formularen bei "für magische Belange beauftragte Fürsorgeperson". Julius, der als Minderjähriger ja noch nichts unterschreiben mußte außer Klassenarbeiten, saß nur dabei und sah zu, wie seine Mutter mit einigen Federstrichen seine Zukunft umkrempelte, die er vor wenigen Wochen noch für klar vorgezeichnet angesehen hatte. Er erinnerte sich wieder an den Spruch, daß die Zukunft nur eine in der Vorstellung anderer Leute bestehende Größe sei aber nur eine Wahrscheinlichkeit sei, deren Eintreten durch Sachen, die in der Gegenwart passierten bestimmt wurden. Hier hatte er das Paradebeispiel dafür, wie wahr diese Behauptung war. Zum Schluß unterschrieben sowohl Madame Grandchapeau in der Spalte für die Amtsperson aus der Abteilung für Kontakt zwischen nichtmagischen und magischen Menschen in Frankreich, als auch Monsieur Descartes als oberste berechtigte Person in der Abteilung für magische Ausbildung und Studien, sowie Madame Faucon als anwesende höchste Bevollmächtigte der Beauxbatons-Akademie, daß alles korrekt ausgefüllt war und bedankten sich bei Martha Andrews für die korrekte Beurkundung. Danach vervielfältigte Monsieur Descartes die ausgefüllten Formulare mit dem Multiplicus-Zauber, daß er sechs Kopien bekam. Das Original behielt Monsieur Descartes. Eine Kopie gab er an seine Kollegin Grandchapeau weiter, je eine Kopie erhielt Martha Andrews, June Priestley, Catherine Brickston und Madame Faucon. Die sechste Kopie sollte Madame Maxime zu den Akten bekommen, die mit den Prüfungsunterlagen und der Einschulungsbestätigung für Julius Andrews zusammengestellt werden sollten.

Julius wandte sich an seine Mutter, als die beiden Ministerialbeamten mit Flohpulver wieder abgereist waren.

"Ich weiß nicht, wie das mit dir jetzt weiterläuft, Mum. Aber die hatten es wohl sehr eilig, das nun anzuleiern. Das die selbst hergekommen sind, verkürzt den ganzen Vorgang wohl noch mehr."

"Ich hoffe, das richtige zu tun, Julius. Ob es das richtige ist, entscheidet sich immer erst hinterher. Das gleiche denke ich für dich, Julius."

"Das ist richtig, Mum. Ich hoffe, es wird nicht der Tag kommen, wo wir feststellen, daß wir uns heute falsch entschieden haben. Aber im Moment wüßte ich auch keine andere Möglichkeit, wie es weitergehen kann. Ich wäre gerne in Hogwarts geblieben, das weißt du. Aber ich möchte nicht der Grund werden, daß du Probleme kriegst. Schon schlimm genug, daß Paps und du euch wegen mir zerstritten habt."

"Wenn wir uns zerstritten hätten, wäre es ja noch zu verstehen gewesen. Aber er meinte, mich mit Gewalt fertigmachen zu müssen. Wahrscheinlich bildete er sich ein, er müßte mir eine Hinterhältigkeit heimzahlen und hätte keine andere Wahl. Aber das ist nun Geschichte. Ich weiß nicht, wie das mit dem ganzen Geld laufen soll, daß in London herumliegt. Am besten klären wir das innerhalb der nächsten Woche, Katherine und ich. Ich weiß nicht, ob ich Mr. Porter dafür einspannen kann, da das ja nicht seine Aufgabe ist."

"Du kannst ihn ja fragen, Mum", schlug Julius vor. Er wußte, daß die Porters über eine Handy-Nummer zu erreichen waren, schneller als über eine Posteule.

"Ihr habt euch beide nicht verkehrt entschieden", meinte Catherine. "Was immer du in Beauxbatons erleben wirst, Julius, wenn du nicht mit dem Grundsatz dorthin gehst, mit Absicht anecken und alles ruinieren zu müssen, wirst du dort egal, in welchem Saal du landest, schnell einen guten Einstieg hinbekommen. Wenn die amtlichen Dinge erledigt sind, werden sich die Saalvorsteher, zu denen auch Maman gehört, von den Kollegen in Hogwarts deine letzten Zeugnisse und Beurteilungen schicken lassen. Soviel ich mitbekommen habe, besteht für dich kein Anlaß, dir darüber Sorgen zu machen. Sicher, das Umfeld, also Freunde und Kameraden, wirst du neu aufbauen müssen, zumal du in bereits bestehende Gruppierungen reinfinden mußt. Aber du wohnst seit etlichen Wochen in Millemerveilles und hast dich, soweit Maman mich orientiert hat, mit keinem verkracht, wenn man mal davon absieht, daß du gewisse Avancen behandeln mußt, die dir gemacht wurden und der Sohn von Roseanne offenbar meint, mit dir Streit suchen zu müssen, wofür es in Beauxbatons keinen Anlaß geben wird, falls du es nicht von dir aus darauf anlegst. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg und auch Vergnügen in Beauxbatons, mon cher!"

Catherine nahm Julius in die Arme, der nun, wo alles über die Bühne gegangen war, von einer gewissen Schwermut übermannt wurde, weil er hier und heute alles hingeworfen hatte, was bisher eine schöne und sichere Grundlage bildete. Sie küßte ihn auf jede Wange und hielt ihn geborgen. Der nun bald nicht mehr in Hogwarts lernende Zauberschüler ließ ein paar Tränen auf Catherines Kleid fallen. Sie ließ es geschehen und wartete, bis er sich wieder aus der Schwermut löste und gab ihn dann erst aus der Umarmung frei. Martha, die das stillschweigend duldend beobachtet hatte, sagte zu Julius:

"Wir haben uns das nicht ausgesucht, Julius. Dein Vater hat uns diese Entscheidung aufgezwungen. Ich denke, ihm wird bald die große Decke des ganzen Hauses auf den Kopf zu fallen drohen, wenn er sich lange genug über seinen Sieg gefreut hat. Aber das soll uns nicht dazu bringen, uns über ihn zu ärgern oder ihn zu bemitleiden. Er wollte das so, und wir müssen das beste daraus machen. Wenigstens werden wir beide nun wieder häufiger zusammen sein, und das freut mich in diesem ganzen Trubel." Julius sah, daß auch seine Mutter Tränen in den Augen hatte. Offenbar war nun, wo sie beide vollendete Tatsachen geschaffen hatten, alle schöne Erinnerung an die früheren Jahre über sie hereingebrochen und hatte sie bombardiert, ihr Gewissen aufgerüttelt, nun jetzt alle Brücken abgebrochen zu haben, was früher war zu einem wohl nicht mehr zu haltenden Bestandteil der Vergangenheit gemacht und das frühere Leben in die Unwichtigkeit verbannt zu haben. Unwichtigkeit? Nein, es war gelebtes Leben, die Grundlage für das, was gerade wichtig war und noch wichtig werden würde, erkannten Julius und seine Mutter und trockneten ihre Tränen. Über verschüttete Milch sollte man nicht weinen, hatte Martha Andrews ihrem Sohn vor sieben Jahren mal gesagt, als er schuldvoll und Traurig die große weiße Pfütze auf dem Küchenboden betrachtete, die wenige Sekunden vorher noch der Inhalt einer Milchkanne gewesen war, die eine unachtsame Handbewegung von ihm umgeworfen hatte. Also lohnte es sich nicht, über das zu trauern, was passiert war, sondern es mit den schönen Erinnerungen, die es mit sich gebracht hatte, ins Gedächtnis zu übernehmen und damit die neuen Tage, Wochen, Monate und Jahre anzugehen, die ab heute nicht mehr in England ihren Mittelpunkt hatten.

"Ich schreibe dir, wenn alles soweit geklappt hat, Mum", sagte Julius, als er sich von seiner Mutter verabschiedete. Sie antwortete:

"Wenn ich bei Catherine bin, schicke ich dir eine dieser Eulen nach Millemerveilles oder Beauxbatons - auf jeden Fall zu dir. Schöne Restferien noch!"

Julius und seine Mutter umarmten und küßten sich noch einmal so, wie vor vielen Jahren noch und wandten sich dann voneinander ab. Julius reiste mit Madame Faucon per Flohpulver zurück nach Millemerveilles. Als sie im "Maison du Faucon" angekommen waren, wandte sich die Beauxbatons-Lehrerin an Julius:

"Ich habe deiner Mutter versprochen, dich im Rahmen dessen, was ich verantworten kann, gut zu unterstützen. Ich weiß nicht, was Catherine ihr von meiner achso bösen Autorität erzählt hat, gehe jedoch davon aus, daß sie ihrer strengen Maman mehr zu danken als vorzuwerfen hat. Ich habe das natürlich mitbekommen, daß du dich unwohl fühlst, und wir hatten es ja schon davon, wie es sein würde, wenn du zu uns kommst. Ich möchte dir nicht verhehlen, daß ich mich sehr freue, daß du letztendlich doch so früh schon zu uns wechselst, auch für dich. Ich halte meine beim Besuch von Madame Unittamo geäußerte Meinung aufrecht, daß ich davon überzeugt bin, daß du mit dem, was du bei mir, bei Hera und bei Camille gelernt hast, in Hogwarts nicht ordentlich gefördert worden wärest. Du hättest dich dort gelangweilt und wärest frustriert gewesen. Bei uns bist du eindeutig besser aufgehoben."

"Wo glauben Sie, wo ich hinkomme?" Fragte Julius neugierig.

"Ich weiß nicht, ob da noch andere Grundeigenschaften in dir schlummern, die dich für einen bestimmten Saal auszeichnen. Aber im Moment bin ich, nicht nur weil ich dessen Vorsteherin bin, davon überzeugt, daß du im grünen Saal Unterkunft finden wirst, was deine bisher geäußerten Charaktereigenschaften positiv fördern dürfte."

"Ich wage nicht, mir vorzustellen, was hier los ist, wenn das rauskommt, daß ich auch nach Beauxbatons komme."

"Wie gesagt gehe ich davon aus, daß du die Sprachprüfung bestehen wirst. Das liegt nicht nur am Wechselzungentrank, sondern auch an der Übung, die du in den zurückliegenden Monaten bekommen hast, auch schriftlich. Was deine Bekanntschaften hier angeht, so überlasse ich es dir, sie darüber zu informieren und zu erleben, was sie dazu sagen. Dies ist insofern geboten, weil ich natürlich mitbekommen habe, daß Camilles mittlere Tochter sich mehr für dich interessiert, als es für eine rein gastschwesterliche Beziehung üblich ist. Du verstehst, was ich meine?"

"Selbstverständlich, Madame. Ich wurde ja schon mit der Nase auf diese Angelegenheit gestoßen, habe aber auch schon selbst darüber nachgedacht, wie ich damit umgehen soll."

"Logik, so praktisch sie in vielen Fällen ist, hilft nicht bei allen Lebensfragen weiter. Ich war selbst einmal ein junges Mädchen und weiß, wie schnell die Gefühlslage von sehr erfreut und begeistert zu tief enttäuscht und wütend umschlagen kann. Extreme Gefühle, wenn sie einmal entstanden sind, können allzu leicht in ihr extremes Gegenteil umschlagen. Ich würde es mir also nicht mit Leuten verscherzen, deren Ablehnung du nicht haben möchtest. Dabei gilt nicht nur, was für dein Ansehen wichtig ist, sondern auch, was du für dein Privatleben, deine Seele und deine Selbstachtung benötigst. Dazu gehören auch körperlich-seelische Bedürfnisse. Das sollst du jedoch nicht so auffassen, daß in Beauxbatons ein ungezügeltes Leben erlaubt wird. Freizügigkeit und lockere Erziehung sind bei uns nicht zu finden. Was ich meine ist nur, daß du den Umgang mit anderen Menschen nicht nur auf Brauchbarkeit, sondern auch auf Erfüllung seelischer Anliegen ausrichten lernst. Wer dir dabei helfen kann? Das wirst du herausfinden. So, und nun kehre zurück zu deiner Gastfamilie!"

julius bedankte sich bei der Lehrerin für ihre Hilfe und ihr Verständnis für seine Mutter und flog zurück zum Dusoleil-Anwesen, wo er gerade rechtzeitig zum Abendessen eintraf.

"Wo warst du den ganzen Tag?" Fragte Claire, als sie Julius mit einer Umarmung begrüßt hatte.

"Unterwegs auf neuen Wegen, Claire. Ich war heute in Paris. Meine Mutter war bei Madame Brickston zu Besuch, wir hatten da viel zu besprechen."

"Möchtest du mir das erzählen, was?" Fragte die mittlere Dusoleil-Tochter. Julius schüttelte vorsichtig den Kopf.

"Heute nicht, Claire. Es ist noch nicht alles wasserdicht."

"Wie meinst du das?" Fragte Claire, die nicht so recht wußte, ob Julius einen Scherz machte oder es bitter ernst meinte.

"Da sind noch ein paar Sachen zu erledigen, aber dann erzähle ich dir alles", sagte Julius ruhig und sah die Gastschwester sehr genau an. Diese nickte und zog ihn dann hinter sich her zum Garten, wo der Tisch für das Abendessen gedeckt war.

Beim Abendessen sagte Julius nicht mehr, als was er Claire erzählt hatte. Jeanne, die neugierig war, was in Paris so wichtiges erledigt werden mußte, bekam von ihrem Vater die Mahnung, nicht mehr zu verlangen, als was Julius erzählt hatte. Das galt wohl auch für Madame Dusoleil. Sie verzichtete auf nähere Fragen zu Julius' Besuch bei Catherine. Offenbar dachte sie sich schon ihren Teil, weil Julius erwähnt hatte, daß er dort mit seiner Mutter zusammengetroffen war. Die Dusoleils respektierten es, daß Julius im Moment nichts berichten wollte und unterhielten sich lediglich über den Nachmittag, daß Barbara Lumière da gewesen sei und noch eine Quidditchtrainingsrunde vorgeschlagen hatte. Julius war einverstanden, am Freitag Nachmittag für eine Stunde mitzutrainieren. Aber das Lernen für die Ersthelferprüfung war im Moment wichtiger für ihn.

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Nach einem herrlich kurzweiligen Freitag, zuerst beim Zurückscheuchen von echten Nachtschatten mit dem Patronus in den Schattenhäusern, dann am Nachmittag mit Quidditch, wo Julius gegen Barbara antreten und einige Tore erzielen konnte, saß Julius am Samstag Morgen bei Madame Faucon. Er hatte den Dusoleils erzählt, er müsse wegen Extraaufgaben noch mal zu ihr hin, was ja auch stimmte. Er ließ sich die Aufgabenzettel für die schriftlichen Sprachprüfungen vorlegen und füllte die Antwortfelder aus, so gut er es verstand. Die meisten Sachen waren Wortergänzungen, Zeitenbildungsfragen, Wortentsprechungen oder die Zuordnung von Wörtern und ihren Gegenteilen, wobei Julius nicht wußte, wie gut seine Rechtschreibung gediehen war. Als er die ausgefüllten Aufgabenzettel zurückreichte, meinte er:

"Hoffentlich fall ich wegen der Rechtschreibung nicht durch."

"Dann wäre in Beauxbatons ein Drittel aller Schüler schon der Akademie zu verweisen gewesen, Julius. Die französische Rechtschreibung ist nicht gerade einfach. Sicher legen wir Lehrer wert auf korrekte Schreibweise, aber in der Zaubereiausbildung setzen wir andere Prioritäten, selbst wenn ich als Mitglied der zauberischen Gruppe der Academie Française bedauere, wie verkommen doch manche Rechtschreibung wirkt. Aber du hast bei und von mir gelernt und daher eine große Grundlage mitbekommen, auf der du aufbauen kannst. Ich denke nicht, daß du wegen irgendwelcher Rechtschreibfehler diese Prüfung und damit den notwendigen Schulwechsel verfehlst."

Im Mündlichen Teil unterhielt sich Professeur Faucon mit Julius über einige Sachen, wie sie im Unterricht einer Zauberschule vorkommen konnten, verlangte von ihm, mit eigenen Worten etwas nachzuerzählen, was er in einem Buch gelesen hatte und etwas zu erklären. Eine flotte-Schreibe-Feder auf der der goldene Schriftzug für magische Ausbildung und Studien prangte, notierte alles, was Julius sagte, wortwörtlich. Madame Faucon beendete die Prüfung kurz vor zwölf uhr Mittags. Sie steckte die Unterlagen in einen Umschlag und schickte eine ihrer Eulen auf dem Expressweg nach Paris, indem sie sie in ein mit Flohpulver behandeltes Feuer warf und hineinrief, daß die Reise in die Ausbildungsabteilung gehen sollte.

"Monsieur Descartes hat mich gestern abend gebeten, deine Prüfungsunterlagen noch heute bei ihm auf den Tisch zu bringen. Seine Assistentin wird sie auswerten. Wenn er meine Eule auf dem Expressweg zurückschickt, könnte ich heute abend noch das Ergebnis haben."

"Wie ist das mit der Ausrüstungsliste. Kriege ich extra noch eine oder wie machen wir das?" Fragte Julius.

"Wenn du die Prüfung geschafft hast, schicke ich dir ein Exemplar für Drittklässler. Deine Fächerbelegung ist doch Arithmantik, Pflege magischer Geschöpfe und Alte Runen. Richtig?"

"Stimmt", sagte Julius und verabschiedete sich. Vor der Haustür wartete Barbara Lumière mit siegessicherem Grinsen.

"Also doch!" Sagte sie, als sie Julius ertappten Gesichtsausdruck sah. "Sie hat die Einstellungsprüfung mit dir gemacht. Das heißt, du kommst zu uns. Das wiederum heißt, daß du am Montag nachmittag mit Maman und mir in die Rue de Camouflage reisen wirst, um dich einzukleiden und die notwendigen Bücher zu kaufen."

"Moment, Barbara. So schnell geht das nicht. Ich muß ja erst erfahren, ob ich überhaupt ... und welche Bücher ich brauche."

"Welche Fächer hast du denn neu gewählt?" Fragte sie.

"Arithmantik, da habe ich aber schon ein englisches Buch, alte Runen und Pflege magischer Geschöpfe. Ansonsten das übliche Zeug."

Barbara sprudelte nur so heraus, was für Bücher er für die Fächer brauchte. Julius ließ es über sich ergehen und fragte sich, wieso die Saalsprecherin der Grünen, die dieses Jahr die siebte Klasse besuchen würde, so hinter ihm her war, daß er ja alles richtig vorbereitete. Zum Schluß sagte Julius noch:

"Ich weiß, dieser Spruch ist die beste Möglichkeit, ein Geheimnis möglichst schnell möglichst weit zu verbreiten, aber ich bitte dich, erstmal keinem was davon zu verraten, daß ich zu euch wechsel. Ich möchte das mit den Dusoleils zuerst bereden, wenn ich es amtlich habe. Geht das?"

"Mmhmm, verstehe. Das sehe ich ein", erwiderte Barbara, jetzt nicht locker flockig wie eben ein Schulmädchen, sondern ernsthaft dreinschauend und sprechend, wie eine erwachsene Frau. Dann verabschiedete sie sich von Julius, der zu den Dusoleils zurückflog.

Um nicht dazu verpflichtet zu werden, sich zu unterhalten, versteckte sich Julius am Nachmittag hinter seinen Aufzeichnungen und den beiden Büchern über magische Heiltinkturen, erste Hilfe und Zaubertränke. Als dann aber am Abend eine Eule über dem Dusoleil-Haus herunterschwebte, konnte Julius sein Geheimnis nicht mehr länger verbergen. Die Eule trug nämlich einen himmelblauen Umschlag mit dem goldenen Wappen, das zwei gekreuzte Zauberstäbe zeigte, aus denen je drei Funken sprühten. In sonnengelber Schrift, mit abgerundeten Buchstaben stand zu lesen:

Claire und Jeanne waren wie appariert neben ihm, als er den Umschlag öffnete. Deshalb las er laut vor:

"Sehr geehrter Monsieur Andrews, da uns, der Direktion der Beauxbatons-Akademie für Hexerei und Zauberei seitens der Abteilung für magische Ausbildung und Studien zu Paris mitgeteilt wurde, daß Ihre rechtlich alleinige Erziehungsberechtigte, Madame Martha Andrews, ihren ständigen Wohnsitz von Großbritannien nach Frankreich verlegt und Sie im Rahmen der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, von Ihrer bisherigen Lehranstalt, Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei, in ein Lehrinstitut auf französischem Boden zu wechseln, die erforderliche Sprachbefähigungsprüfung mit maximalem Erfolg (100 %) bestanden haben, teilen wir Ihnen mit, daß Sie mit Erhalt dieses Schreibens als neuer Schüler unserer Lehranstalt angenommen worden sind und mit Beginn des neuen Schuljahres am 22. August diesen Jahres als Schüler der dritten Klasse am Unterricht teilnehmen werden. Wir hoffen, daß Sie den Ansprüchen, die unsere Akademie an jeden ihrer Schüler stellt, voll entsprechen werden und wünschen Ihnen auf diesem Wege eine erfolgreiche Zeit in unseren Mauern. Im Anhang dieses Schreibens finden Sie eine vollständige Aufstellung der für die von Ihnen erwählten sowie pflichtgemäß zu besuchenden Unterrichtsfächer zu erwerbenden Schulbücher und Ausrüstungsgegenstände. Soweit Sie diese schon erworben haben, ergänzen Sie lediglich die noch ausstehenden Anschaffungen gemäß dieser Aufstellung!

Mit freundlichen Grüßen ... Unterschrift von einer gewissen Blanche Faucon."

"Wie bitte?! Du kommst doch zu uns? Jaaaaa!" Rief Claire laut und fiel Julius um den Hals. Jeanne versuchte, ihre Schwester von Julius abzupflücken, was jedoch mißlang. So beließ sie es dabei, Claire zur Mäßigung anzuhalten. Julius ließ sich in diese Umarmung fallen und erwiderte sie kurz aber innig. Dann gab Claire ihn wieder frei und sah ihn sehr lauernd an.

"War es das, was du uns nicht erzählen wolltest?"

"Ich mußte doch erst warten, wie das ablief. Professeur Faucon hat offenbar den Text schon fertig gehabt und nur gewartet, bis die ihr die Eule mit den Ergebnissen zugeschickt haben. Na toll. Dann muß ich ja wohl nach der Ersthelferprüfung noch in die Rue de Camouflage", sagte Julius noch. Jeanne zog ihre Schwester etwas von Julius fort und sah ihn an.

"Möchtest du uns heute erzählen, was genau passiert ist?" Julius nickte. So gingen die Dusoleils in das Haus. Claire rief ihrer Mutter zu, daß Julius nach Beauxbatons wechseln würde. Madame Dusoleil kam aus der Küche, umnebelt vom Duft von Curry und Kräutern. Sie umarmte Julius und fragte:

"Hat die respektable Blanche also ihren Willen bekommen? Schön. Dann gehen wir am Montag noch mal in die Rue de Camouflage. Die Umhänge kriegst du zwar auch in der Zwirnsstube, aber manche Zaubertranksachen sind in Millemerveilles nicht zu kriegen oder zu teuer."

"Die Demoiselle Lumière hat mich heute morgen erwischt, wie ich aus Madame Faucons Haus kam. Die hat mich auch schon gebucht."

"Oh, dann gehen wir eben zusammen. Claire und Jeanne waren ja schon. Dann haben wir genug Zeit, dir das beste auszusuchen."

"Wie ging das mit Gringotts? Ich lege den Kobolden meinen Schlüssel hin und sage denen, wieviel die mir geben sollen?"

"Genau. Aber ich würde deiner Maman und dir empfehlen, deine Ersparnisse von London nach Paris zu verlegen."

"Wie kommen Sie darauf, daß meine Mutter ...? Ist ja logisch."

"Richtig, es ist logisch, daß sie bei Catherine wohnen wird. Sonst hätte dich Catherine nicht zu sich geholt, sonst hätte Blanche nicht so prompt alle Unterlagen gehabt und nicht so schnell den Bestätigungsbrief geschickt. Aber das erzählst du alles nachher beim Essen! Auf jeden Fall freue ich mich für dich, auch wenn du meinst, du könntest in ein übles Gefängnis geworfen werden."

"Das habe ich so nie behauptet", widersprach Julius.

"Aber so ähnlich", entgegnete Madame Dusoleil grinsend.

Jeanne links, Claire rechts von sich am Tisch erzählte Julius bei indischem Curryhuhn mit diversen Gemüsen und langkörnigem Reis, was passiert war. Er wußte nicht, ob er wirklich alles erzählen sollte, wenn denise dabei war. Er wollte der Kleinen keine Angst machen, daß sich Eltern irgendwann mal verkrachen konnten. So sagte er nur: "Der Meinungsunterschied zwischen meinem Vater und meiner Mutter ist im Moment zu groß, was mich angeht, sodaß meine Mutter beschlossen hat, für geraume Zeit anderswo zu arbeiten und mich besser zu betreuen. Catherine hat um das Haus meiner Eltern einen Schutzzauber gegen böse Zauberer aufgerufen und meinte, daß meine Mutter besser nach Paris zu ihr kommen solle. Das führte dazu, daß beschlossen wurde, daß ich dann besser auch die Schule wechseln solle. Meine Mutter hat mich gefragt, ob mir das recht ist, und ich habe genau überlegt, was ich sagen sollte. Sicher gefällt mir Hogwarts immer noch am besten. Aber ich habe keine Lust, zwischen meinen Eltern hin und her gerissen zu werden oder bei an und für sich fremden Leuten andauernd die Ferien zu verbringen. - Ich meine damit die Priestleys. Dann machen wir das eben auch richtig, damit ich mit der Schule fertig werde und meine Mutter auch vor bösen Zauberern sicher ist, genau wie mein Vater. Ich denke, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, wird meine Mutter wieder zu ihm ziehen, weil ja dann keiner mehr in mein Leben reinreden kann." Julius bemühte sich darum, so gelassen wie möglich auszusehen, das zu zeigen, was Lester, ein ehemaliger Freund von ihm, ein Pokerface nannte. Denise fragte, was ein Meinungsunterschied sei. Ihr Vater erzählte ihr, daß es nicht immer ging, daß Leute etwas zusammen tun wollten und deshalb auch mal miteinander streiten konnten. Offenbar, so erklärte Monsieur Dusoleil weiter, hätten Julius' Eltern sich geeinigt, daß sie sich über seine Zaubererausbildung nicht streiten durften, obwohl sie beide anders darüber dachten. Deshalb würde Julius' Maman nach Paris zu Catherine und Babette ziehen, weil sie da eben vor bösen Zauberern beschützt würde, wie Babette. Das verstand Denise.

"Dann formuliere ich am besten mal den Antrag an Professeur Faucon und Professeur Dedalus, das du ins Quidditchtraining einbezogen wirst", stellte Jeanne klar. Julius sagte dazu nichts. Er wußte, daß sowohl Jeanne, wie auch ihre Saal- und Klassenkameradin Barbara davon überzeugt waren, daß Julius in ihren, den grünen Saal kommen mußte.

"Was ist denn dann mit Madame Priestley?" Fragte Madame Dusoleil. Julius berichtete kurz, daß diese ja auch dabei war, als seine Mutter mit ihm gesprochen hatte und es also wußte. Catherine würde ihren Auftrag übernehmen, wohl eher auf freiwilliger Basis als von oben verordnet."

"Verstehe, Julius. Dann ist deine Mutter auf jeden Fall gut aufgehoben. Dann wirst du wohl nächste Woche zu ihr nach Paris zurückreisen?"

"Das weiß ich nicht, Madame. Vielleicht geht's ja auch von hier los", sagte Julius. Die Hausherrin nickte.

Nach dem Abendessen schrieb Julius einen Brief mit einer ausführlichen Begründung, warum er nach Beauxbatons wechselte, an Mrs. Dione Porter und beendete den Brief mit:

"Es hätte mir sehr gefallen, an dem von Ihnen ausgerichteten Ballabend teilzunehmen, Mrs. Porter. Doch das Beauxbatons-Schuljahr fängt schon am 22. August an, nicht wie das in Hogwarts am 1. September. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich nicht kommen kann und bitte Sie, ihrer Tochter noch mal zu danken, daß sie mir geholfen hat, mich so gut in die Zaubererwelt einzuleben, daß sie mich hier alle gerne in Beauxbatons haben möchten. Ich schreibe ihr natürlich auch noch, wenn ich die Gelegenheit dazu habe. Vorerst möchte ich nur, daß Sie wissen, daß es nicht an Ihnen liegt, wenn ich nicht mittanzen kann. Bestellen Sie Ihrer Schwiegermutter bitte einen schönen Gruß, daß ihre angesehene Brieffreundin Blanche Faucon es wirklich wahrgemacht und mich auf ihre Schülerliste gesetzt hat. Sie wird sich wohl darüber amüsieren.

Mit freundlichen Grüßen, Julius Andrews"

Kaum hatte er Francis mit dem Brief nach England losgeschickt, da klopfte es an die Tür. Er stand auf und öffnete selbst. Jeanne stand vor der Tür und sagte:

"Maman wartet im Musikzimmer auf dich. Sie meint, du möchtest ihr genau erzählen, warum deine Eltern sich getrennt haben, weil du wohl eben die kindgerechte Version für Denise erzählt hast." Julius nickte bejahend und ging in das Musikzimmer, das ein dauerhafter Klangkerker war. Dort saß außer Camille Dusoleil noch Claire. Beide spielten auf dem Spinett. Julius sah Claire fragend an, doch Madame Dusoleil bedeutete ihm, die Tür zu schließen, sodaß kein Laut mehr nach draußen dringen mochte. Julius setzte sich auf einen Stuhl, der Claire gegenüberstand. Offenbar ging es der Hausherrin nicht nur um seine Eltern, erkannte der bald schon ehemalige Hogwarts-Schüler.

"Ich habe Jeanne gesagt, daß ich wissen will, was mit deinen Eltern wirklich ist. Aber das war vorgeschoben, da Blanche mir freundlicherweise die Mitschrift zugeschickt hat, die deine flotte-Schreibe-Feder angefertigt hat. Daher wissen Florymont und ich es seit gestern abend, was mit dir los ist. Es ist bedauerlich, das ein Ehepaar sich derartig zerstreiten kann und ein Ehepartner derartige unverzeihliche Methoden benutzt, seine Frau aus dem Weg zu schaffen. Wenn ich diese Mitschrift und den Kommentar von Blanche darunter richtig verstehe, kommt eine Einweisung in eine sogenannte psychiatrische Klinik einer lebenslänglichen Gefangenschaft unter verschärften Bedingungen gleich. Das werde ich nicht verstehen und will es auch nicht. Mir geht es um etwas anderes. Wenn du nach Beauxbatons gehst, Julius, dann wirst du da verschiedene Leute wiedersehen, die du entweder hier kennengelernt hast oder von der trimagischen Abordnung her kennst. Mir ist nicht entgangen, daß dir verschiedene junge Mädchen gewisse Avancen gemacht haben. Ich möchte wissen, was du davon hältst."

"Ach du meine Güte, die Inquisition! Hätte ich mit rechnen müssen, daß die das jetzt wissen will", dachte Julius, ohne ein Wort zu sagen. Claire sah ihre Mutter an, leicht verärgert, ja irgendwie zornig. Dann sah sie Julius erwartungsvoll an.

"Hui, wie fangen wir da am besten an?" Fragte er laut in die Runde. "Ich habe natürlich erstmal blöd gekuckt, weil mir Caro und andere merkwürdige Fragen gestellt haben, ob ich schon 'ne Freundin hätte, auf welchen Typ Mädchen ich stehen würde oder ob wer schon auf mich wartet, wenn ich nach Hogwarts zurückfahre. Erstmal habe ich das für dummes Zeug gehalten, muß ich wohl zugeben. Irgendwann ist mir dann aufgegangen, daß ich doch ernsthafter damit umgehen sollte. Caro hat wohl mitbekommen, daß du, Claire, dich sehr gerne mit mir unterhältst, mit mir tanzt und auch Spaß machst. Die meint wohl, dir was wegnehmen zu müssen, wenn sie könnte. Ich halte Caros Neugier für eine Spielerei, die mir nicht gefällt. Was deine anderen Freundinnen angeht, Claire, so denke ich, daß sie sich wohl fragen, ob es sich überhaupt schon lohnt, was mit mir anzufangen oder ob ich das überhaupt wert bin. Ich bin auf jeden Fall nicht so'n Rohling, daß ich nicht geblickt habe, wie heftig dich das ärgerte, wenn Barbara mit mir geflachst hat. Das ist überhaupt nichts dabei, Claire und Madame Dusoleil. Barbara hat einen festen Freund, vielleicht schon Verlobten sicher. Die findet es nur toll, daß sie mit mir das anstellen kann, wofür sie einen kleinen Bruder hat, mehr nicht. Jeanne hat mich mal gefragt, ob Seraphines Cousine was von mir wollte. Die habe ich nur beim Tanzen getroffen für einen Tanz. Ich denke nicht, daß da was von ihr ausgeht." Julius machte einige Sekunden Pause. Madame Dusoleil, die offenbar sehr geduldig war, würgte jeden Versuch von Claire ab, etwas zu sagen, indem sie ihr durch schnelle Gesten Schweigen gebot. Irgendwann sagte Julius:

"Claire, da deine Mutter möchte, daß ich jetzt sage, was ich darüber denke, was zwischen uns bisher lief oder noch läuft, möchte ich dir sagen, daß ich sehr gerne mit dir zusammen bin. Ich weiß nicht, ob ich schon für mehr bereit ja fähig bin, als das, was ich bisher gezeigt habe. Ich weiß auch nicht, ob ich jetzt nicht was total falsches sage, weil es nicht stimmt, was ich denke, aber wenn du mich gerne zu einem richtigen Freund haben möchtest, also nicht nur sowas zum Schularbeiten machen, rumlaufen und Spielen, sondern 'nen Partner, möchte ich das gerne mit dir versuchen, falls du das wirklich willst und ich nicht einer dummen Einbildung aufgesessen bin. Deine Schwester und deine Eltern haben erzählt, daß die Dusoleil-Hexen sich sehr früh für sowas interessiert haben. Ich weiß nicht, ob du nicht irgendwann von mir enttäuscht bist, weil ich dein Tempo nicht mithalten kann oder einfach für manche Sachen kein Gefühl habe. Ich hatte bisher nichts ernstes mit einem Mädchen. Wenn das bei meinem Geburtstag von Pina so rüberkam, dann weiß ich nicht, was sie sich ausgerechnet hat. Ich hatte zumindest nicht den Eindruck, daß Pina was in dieser Richtung von mir wollte. Bei Gloria bin ich mir sicher, daß sie mir nur helfen möchte, in der Welt zurechtzukommen. Vielleicht hätte es da später was gegeben, aber da hat ja mein Vater erfolgreich gegen geschossen. Versteh mich bitte nicht so, daß ich dich als Ersatz für Gloria oder Pina ansehe. Im Gegenteil. Du wärest das erste Mädchen, das sich offen geäußert hat, daß ihr was anderes an mir liegt, als Schokoriegel oder starke Arme, die mal schwere Taschen tragen oder böse Jungs verkloppen können oder daß ich gut rechnen oder computern kann oder sonstwas. Sollte das, was ich also vermutet habe, total falsch sein oder ich was gesagt haben, was dir weh tut, möchte ich mich dafür entschuldigen, Claire. Aber deine Mutter wollte haben, daß ich das jetzt sage."

Madame Dusoleil nickte bestätigend. Claire sah Julius verdutzt an, als könne sie nicht verstehen, was er da gerade gesagt hatte. Dann sah sie ihre Mutter noch mal an, etwas freundlicher als vorher und wandte sich dann an Julius.

"Du hast lange gebraucht, wohl weil du Angst hast, was verkehrt zu machen. Aber ich habe kein Problem damit gehabt, dir zu zeigen, daß ich dich sehr gern habe. Ich hatte bisher auch nichts mit anderen Jungen und weiß nicht, wann ein Mädchen verliebt ist oder nicht. Aber im Moment gefällt es mir sehr schön, wenn du mit mir zusammen bist, mit mir redest, dir anhörst, was ich so zu erzählen habe oder mir erzählst, was gelaufen ist. Ja, und ich habe mich immer geärgert, wenn du mich meintest, ärgern zu müssen, wenn du über andere Mädchen so geredet hast, als wären die für dich interessanter und toller, und das mit Barbara, wie sie mit dir umspringt, hat mich auch geärgert, und sie hat das auch gemerkt und noch weiter so gemacht, als wenn das richtig schön wäre. Aber natürlich hat sie Gustav sicher und sie ist fünf Jahre älter als du, hat schon zwei Freunde in Beauxbatons gehabt, und das war es dann auch. Warum glaubst du, du müßtest immer wissen, wie du auf andere Leute wirkst? Du kannst nicht wie ein Mädchen denken oder fühlen und kriegst deshalb nichts mit, wie Caro, Belisama, Pina oder ich dich sehen. Eigentlich heißt es, daß Damen sich nicht zu auffällig um Herren bemühen sollen. Jetzt frage ich aber mal, wo das enden soll, wenn Jungs wie du immer erst dazu angehalten werden müssen, sich auszusprechen und sonst lieber das Weite suchen, anstatt mal einen Fehler zu riskieren. Ihr Jungs haltet euch doch sonst für so mutig und stark. Ihr wollt gegen Drachen kämpfen, die besten Quidditchspieler sein oder die tollsten Zauber können. Aber bei sowas seid ihr echt verängstigt, wie die Kaninchen vor der Schlange."

"Moment, Claire, es gibt auch Typen, die meinen, jeder nachzupfeifen, die toll aussieht oder den Ruf haben, sich jedes weibliche Wesen zu greifen, daß nicht bei Drei auf dem nächsten Baum ist. Diese Blödheit ist wohl eher für mich gültig."

"Oh, beleidige dich niemals selbst, Julius. Das stürzt dich nur ins Unglück", warnte Madame Dusoleil. Claire, die abwarten mußte, was ihre Mutter sagte, fügte dem noch hinzu:

"Diese Typen, die du meinst, sind genauso wie du. Nur die machen das anders. Sie stürzen sich auf alles, meinen es aber nicht ernst genug, weil sie Angst haben, was dabei verkehrt zu machen. Es gibt Mädchen und Frauen, die solche Typen am Anfang toll finden, weil die wissen, was sie wollen. Aber wenn da nicht mehr läuft, als "Heh, Kleines, lass uns uns amüsieren!", dann heißt das doch, daß sie Angst davor haben, mit einer Frau zu tun zu haben, ohne sich dabei zu amüsieren. Irgendwann kriegt ein Mädchen das mit und schießt diesen Typen in den Wind oder will ihn nur, weil er Geld hat oder gute Beziehungen oder sowas."

"Huch, woher willst du das denn wissen?" Fragte Julius.

"Beauxbatons ist ein Dorf, wie Millemerveilles, Julius. Wenn du da als elfjähriges Mädchen hinkommst, lernst du rasch, worauf du aufpassen mußt und was du alles beachten mußt", sagte Madame Dusoleil. "Und für die Sachen, die nicht selbst gelernt werden können, ist Maman da."

Claire grummelte kurz, weil ihre Mutter sie quasi zum Kleinkind erklärt hatte, daß seiner Mutter am Rockzipfel hing. Sie sah ihre Mutter zornfunkelnd an, dann wandte sie sich wieder an Julius.

"Caro versucht es bei jedem Jungen, um den ein Mädchen herumläuft, ob sie bei ihm landen kann. Belisama steht auf Jungen, die klug und zurückhaltend sind. Ich würde das also nicht so einfach vergessen, wenn sie beim Sommerball sehr an dir interessiert war. Jetzt, wo du nach Beauxbatons kommst, wirst du sie häufiger sehen, vor allem wenn du in unserem oder ihrem Saal landest. Sie wohnt wie Seraphine im weißen Saal, und wie sie dir ja erzählt hat, haben wir zusammen Kräuterkunde und vielleicht sogar noch mehr. Also darf ich dich jetzt so verstehen, daß du gerne weiterhin mit mir zusammenbleiben möchtest?"

"Wenn du das wirklich möchtest, Claire, dann möchte ich das auch. Ich weiß nicht, wohin das gehen wird, aber irgendwer hat mir mal gesagt, daß man nichts lernt, wenn man nicht auch mal was macht, was danebengehen kann."

Claire stand auf, ging zu Julius, der ebenfalls aufgestanden war und auf sie zuging. Unvermittelt lagen sich beide in einer langen Umarmung, beließen es aber nur dabei. Julius besaß zwar einiges an Frechheit, aber sich jetzt was herauszunehmen, was Claires Mutter mißfallen würde, traute er sich nicht. Diese sagte auch:

"So, wie ihr euch jetzt haltet, ist das für Beauxbatons das höchste, was ihr euch rausnehmen dürft. Es gibt gewisse Verhaltenseinschränkungen, die ich persönlich zwar für sehr überzogen halte, aber anerkennen muß, daß irgendwo eine Grenze gezogen werden mußte, um nicht allzu große Ausschweifungen aufkommen zu lassen. Immerhin sind in Beauxbatons Kinder von sehr auf ihren Ruf bedachten Eltern untergebracht."

"Was das körperliche angeht, Madame, da bin ich ja komischerweise in der Theorie ziemlich heftig ausgestattet worden, weil meine Eltern nicht wollten, daß ich was anstelle, was ihnen und mir ungewollte Schwierigkeiten einbringt."

"Glaube es mir, Julius, daß es einen himmelweiten Unterschied ausmacht, was man darüber weiß und damit angestellt hat. Ich habe drei Kinder bekommen und mußte dafür gewisse Sachen anstellen. Es zu wissen und dann mal zu erleben, mit allen Sinnen, daß ist ein herrlicher Unterschied. Ob du es mit Claire erlebst, oder ob du dich irgendwann doch mit einem anderen Mädchen zusammentust, irgendwann wirst du das erleben müssen. Da kommst du nicht drum herum."

Julius löste seine Arme. Doch Claire hielt ihn krampfhaft an sich gezogen. Julius schloß seine Arme wieder und fühlte Claires atmenden und vom Herzschlag pulsierenden warmen Körper. Es brachte ihm langsam jenes Gefühl zurück, daß er bei Fleur Delacour das erste Mal und unvorbereitet erlebt hatte, jene Mischung aus Rausch, Hitze und Kälte. Claire merkte wohl, daß Julius sich wohl in der Umarmung anders fühlte, als nur geborgen. Deshalb löste sie sich vorsichtig von ihm, und er gab sie frei. Sie wollte im Moment nicht weiter gehen.

"Dann bin ich auf jeden Fall beruhigt. Ich habe schon gedacht, es gäbe irgendwann einen heftigen Zank zwischen dir und Julius, Claire, weil er einfach nicht begreifen wollte, was du für ihn empfindest."

"Ach du meine Güte, sie haben das die ganze Zeit vermutet?" Fragte Julius.

"Ich habe dir letztes Jahr schon gesagt, als Claire dich das erste Mal so umarmt hat, das ich ja auch nicht so früh ins Leben gestartet bin. Ich habe bei Jeanne gemerkt, wann sie soweit war, da mußte ich es auch bei Claire merken. Ich wette, irgendwann werde ich es auch bei Denise merken."

"Und das haben Sie sich so angesehen? Was wäre, wenn Claire sich einen Rumtreiber oder gemeinen Kerl geangelt hätte?"

"Die Erfahrung hätte sie machen müssen", grinste Madame Dusoleil. "Andererseits bin ich froh, daß meine mittlere Tochter sich einem etwas kultivierteren Jungen angenähert hat, als Jeanne. Aber das sage Jeanne nicht! Wie gesagt, diese Erfahrung muß man eben machen."

"Die hält mich für kultiviert", dachte Julius und mußte grinsen. "Dann muß der Einfluß von Gloria ja doch größer gewesen sein, als ich gedacht habe."

"Was ist jetzt mit deinen Eltern wirklich passiert?" Fragte Claire. Ihre Mutter nickte Julius zu, der ihr das erzählte, ohne was auszulassen. Claire sagte danach:

"Das ist ja grausam, Julius. Wie kann dein Vater so tun, als wollten wir, daß deine Mutter ihn umbringt? Nur weil er nicht will, daß du zaubern lernst sowas zu tun, sich selbst zur Einsamkeit zu verurteilen?"

"So habe ich das noch nie gesehen. Ich dachte nur, daß er seinen Willen bekommen hat und mich losgeworden ist. Aber natürlich ist er jetzt allein. Mum sagte sowas doch auch, daß ihm die Decke auf den Kopf fallen könnte. Damit ist gemeint, daß du in einem großen Haus irgendwie verloren bist, wenn du allein bist. Du hast Angst, weil es so still ist und findest nirgendwo Ruhe. Aber mein Vater wird nicht immer im Haus herumhängen. Der wird sich jetzt noch heftiger in seine Arbeit reinwerfen."

"Denke ich auch, Claire", sagte Madame Dusoleil. "Als ich ihn in seinem Haus eingeschlossen habe, weil er unsere Eule mit einer Farbe besudelt hat, habe ich ihm ja was zu essen geschickt, damit er nicht verhungert. Ich denke, er hätte vielleicht versucht, sich zu Tode zu hungern. Aber sowas will ich ja nicht haben. - Habt ihr noch Lust Musik zu machen?"

Claire und Julius spielten zusammen mit der Hausherrin ein Trio für zwei Querflöten und Spinett, bis es halb elf war. Dann schickte die Kräuterhexe von Millemerveilles ihre Tochter und den Gast zu Bett. Hand in Hand stiegen Claire und Julius die Treppe hinauf, die zu den Gästezimmern führte. Jeanne sah ihnen zu, sagte jedoch kein Wort. Sie nickte nur und lächelte den beiden nach.

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Der Sonntag verlief ruhig. Julius traf sich mit Barbara am Dorfteich und erzählte ihr, daß er den Brief bekommen hatte. Sie nickte nur und erwähnte, daß sie ihn mit sicherheit in die Quidditchmannschaft bekommen würde, sobald er an ihrem Tisch saß. Nachmittags besuchte er die Delamontagnes, um auch ihnen die Neuigkeit zu verkünden. Madame Delamontagne sagte dazu:

"Es ist bedauerlich, daß ein solch drastischer Schlag gegen deine Mutter dich zu diesem an und für sich vernünftigen Entschluß gezwungen hat. Es wäre schöner gewesen, wenn du von dir aus gesagt hättest, daß du besser nach Beauxbatons gingest. Aber ich muß verstehen, daß Freunde wichtig sind und man die, die man hat, nicht so weit von sich entfernt wissen will. Dennoch freue auch ich mich, daß du deinen Anlagen entsprechend besser gefördert wirst und ich mir auch keine Sorgen um eventuelle negative Einwirkungen machen muß. Glaube es mir, daß du, egal was du am Ende der Ausbildung machen möchtest, mit einem UTZ-Abschluß von Beauxbatons mehr Ansehen in der ganzen Welt erwerben wirst, als mit einem von Hogwarts, von Durmstrang mal ganz zu schweigen. Deine Mutter ist also jetzt in Paris?"

"Vielleicht noch nicht. Aber sie wird wohl dort in den nächsten Tagen Quartier nehmen, Madame", sagte Julius.

"Du kannst dir sicher ausrechnen, daß es mich freuen würde, wieder einmal gegen sie zu spielen. Daß du dieses Jahr im Turnier gegen mich gewonnen hast, empfiehlt sie als große Lehrmeisterin in diesem Spiel."

"Sie mag aber keine Schachmenschen, Madame."

"Das ist auch nicht unmittelbar nötig, damit zu spielen, Julius. Hauptsache ist dabei das vorausschauende Denken."

Am Abend nach dem Essen entschuldigte sich Julius bei seiner Gastfamilie und setzte sich in seinem Zimmer hin, um seinen Freunden in Hogwarts zu schreiben, was los war. Er würde die Briefe von der Rue de Camouflage aus verschicken, wenn er am nächsten Tag dorthin einkaufen ging. Zuerst schrieb er Kevin Malone:

Hallo, Kevin!

Ich hoffe, du bist mir nicht allzu böse, wenn du das hier gelesen hast. Denn ich muß dir mitteilen, daß ich wegen Sachen, die zwischen meinen Eltern schiefgelaufen sind, entschieden habe, von Hogwarts nach Beauxbatons, der "Strammsteherschule" zu wechseln. Wahrscheinlich werde ich dort nicht den Spaß haben, den ich mit dir und den Mädels in Hogwarts hatte, aber deshalb werde ich euch nicht vergessen.

Mein werter Vater hat spitzgekriegt, daß Mum gegen seinen Willen in Hogwarts war und hat mit einigen fiesen Tricks versucht, sie verrückt zu machen oder anderen Muggeln gegenüber so hinzustellen, daß sie durch den Wind sei, damit er sie loswürde und mich dann komplett für sich und damit von Hogwarts weg haben könnte.

So gesehen hat er seinen Willen gekriegt, daß er meine Mutter loswurde und ich von Hogwarts weg muß. Aber meine Mutter, die durch ihn aus ihrem Beruf in England gedrängt wurde, kann nur noch auswandern. Da sie mit einem Muggel bekannt ist, der die Hexe zur Schwiegermutter hat, bei der ich Unterricht habe, zieht sie zu der nach Paris. Deshalb werde ich am 1. September nicht im Zug nach Hogwarts mitfahren können.

Wie gesagt, ich hoffe, du bist nicht böse auf mich. Ich wäre auch lieber wieder mit dir und den anderen mitgefahren und hätte weiter mit euch zusammen in Ravenclaw gewohnt. Ich hoffe auch, daß da, wo ich hinkomme, einige brauchbare Leute sind und ich nicht schon am ersten Tag bereuen muß, was ich mache.

Was dich und Gilda angeht, versuche es mit ihr zu klären, ob was zwischen dir und ihr laufen kann oder nicht! Glaub mir, da fühlst du dich besser nach, egal, wie's ausgeht.

Ich werde versuchen, dir von dieser Federleichtzuckerwatte zu schicken, falls du davon was haben möchtest. Aber da man mich wahrscheinlich nicht damit nach Beauxbatons lassen wird und ich erst einmal Eulen für gewöhnliche Briefe benutzen möchte, werde ich dir sowas später schicken.

Das war echt 'ne tolle Zeit mit dir und den anderen! Ich hoffe, wir treffen uns alle irgendwann mal wieder! Danke für die tollen Sachen, die wir zusammen erlebt haben!

Bis irgendwann, hoffentlich nicht so spät

          Julius Andrews

An Gloria schrieb er:

Hallo, Gloria!

Vielleicht hat deine Mum dir das schon erzählt, wenn du mit Pina aus Amerika zurückkommst, daß ich wegen Sachen, die mit meinen Eltern passiert sind, nicht mehr nach Hogwarts zurückkomme. Meine Mutter zieht, weil mein Vater sie mit Gewalt in den Wahnsinn treiben wollte, zu Catherine, weil da auch ein Schutzbann gegen böse Zauberer errichtet wurde. Deshalb werde ich in Beauxbatons weiterlernen, hoffentlich nicht nur unter Frust und Anstrengung, sondern auch mit etwas Spaß. Deine Oma wird wahrscheinlich ein amüsiertes Grinsen zeigen, wenn sie hört, daß ihre Briefpartnerin es ohne ihr Zutun geschafft hat, mich "auf ihre Liste" zu kriegen.

Grüße mir bitte Pina und sage ihr, ich werde euch Eulen schicken, sobald ich in Beauxbatons angekommen und über die ersten Tage hinweggekommen bin.

Alles liebe und schöne für dich und alle, die mit uns gut befreundet sind!

          Julius Andrews

Er schrieb noch einen kurzen Brief an die Hollingsworth-Familie, in dem er kurz erwähnte, daß er hoffte, Jenna und Betty irgendwie auch von Beauxbatons aus weiterhelfen zu können und empfahl den Mädchen einige englische Bücher über Zaubertränke. Mrs. Hollingsworth dankte er für die flotte-Schreibe-Feder, die sich als Direktübersetzungsmittel bewährt hatte und bedankte sich bei beiden Elternteilen der Zwillinge für die Weltzeituhr, die tatsächlich auch beim Ausflug in den See der Farben wasserdicht geblieben war, obwohl er mindestens dreißig Meter tief getaucht war. Dann steckte er mit einem neuerlichen Anflug von Schwermut die Briefe in Umschläge, adressierte sie korrekt und kehrte zu den Dusoleils in den Garten zurück, wo man zu dieser Jahreszeit noch herrlich im Freien sitzen und schwatzen konnte.

"Hast du deinen Freunden geschrieben?" Flüsterte Madame Dusoleil. Julius nickte nur zur Antwort. Mehr wollte sie nicht wissen.

Am Montag kauften Madame Dusoleil, Barbara und ihre Mutter mit Julius in der Rue de Camouflage in Paris die Sachen für Beauxbatons ein. Der bald nun dort lernende Junge holte sich in Gringotts fünfzig Galleonen ab, nachdem er den Kobolden seinen londoner Verliesschlüssel gezeigt hatte und abwarten mußte, bis die kleinen menschenähnlichen Zauberwesen geprüft hatten, daß Julius wirklich Geld in diesem Verlies besaß. Von diesem Geld holte er sich bei Madame Esmeralda, die ihn noch von vor einem Jahr kannte, die drei Innenumhänge aus blaßblauem Flachs, sowie zwei Außenumhänge, die aus besonders verstärktem blaßblauem Leinenstoff bestanden. Drachenhauthandschuhe hatte er ja schon, einen Kessel der Normgröße 2 hatte er auch schon, kaufte jedoch noch zwei kleinere Kessel, die man ineinanderstellen konnte und in den größeren Kessel hineinstellen konnte. Er lud sich alle Bücher auf, die auf der Liste standen, versorgte sich sogar mit Zusatzlektüre in den Fächern, Magizoologie, also Pflege magischer Geschöpfe, Kräuterkunde und Zaubertränken, was im Beauxbatons-Sprachgebrauch magische Alchemie genannt wurde. Barbara meinte, als sie an einem Laden für Lederwaren vorbeikamen:

"Diese Muggelturnschuhe, die du hier immer angehabt hast, die passen dir erstens bald nicht mehr und kommen in Beauxbatons nicht gut an. Außerdem, wenn du schon viel Geld abgeholt hast, kannst du dir auch einen eleganteren Koffer zulegen als diesen klobigen Holztrog mit Deckel."

"Wo sie recht hat, hat sie recht", sagte sich Julius, der sich nun, wo es erinnerungsmäßig zusammenpaßte, an seine Abreise aus Hogwarts erinnerte und wie er seinen großen Schrankkoffer neben all die fein gearbeiteten Koffer der trimagischen Delegationsangehörigen abgestellt hatte. Also holte sich Julius zwei Paar Laufschuhe, die sich auf wundersame Weise perfekt seinen Füßen anpaßten, als er welche in seiner Grundgröße anprobierte. Er kaufte noch ein Futteral für den Zauberstab, wenn er ihn nicht immer dabei haben wollte und einen großen, weinroten Koffer, auf dem zum geringen Aufpreis von zwei Sickeln sein Name in morgenrotfarbenen Buchstaben aufgenäht wurde. Zum Schluß holte er sich noch Zaubertrankzutaten. Er wunderte sich, daß die Straße noch so gut besucht war, obwohl das nächste Schuljahr schon nächste Woche anfangen würde. Doch als Barbara ihm sagte, daß es eingeteilt wurde, wer aus welcher Region die neue Ausrüstungsliste bekam, war es ihm klar, daß man die Straße nicht an einem einzigen Tag überquellen lassen wollte.

Als sie wieder in Millemerveilles ankamen, erwartete Julius Madame Faucon, die verkündete: "Ich werde nun mit Ihnen aussortieren, was für Beauxbatons unwichtig ist, Monsieur Andrews." Damit meinte sie, daß sie alle nichtmagischen Bücher, bis auf sein Physikbuch und das Buch über die Entwicklung der Navigation, sowie seinen Chemiebaukasten aus Julius' Sachen herausnahm. Julius hatte zwar versucht, die sogenannten Muggelbücher in der Centinimus-Bibliothek, die er von Madame Unittamo bekommen hatte, verborgen zu halten, doch die Lehrerin wußte, daß er dieses praktische Behältnis für mehrere Dutzend Bücher besaß und räumte es soweit leer, daß außer den Zauberbüchern keine Bücher mehr darin blieben.

"Die Wege zur Verwandlung haben Sie ja auf Englisch bekommen. Da sie ein Geschenk meiner Kollegin sind, werde Ich Ihnen nicht aufnötigen, sie gegen die französischen Exemplare zu tauschen, zumal sie die ersten vier Bücher ja auch in französischer Sprache erworben haben, wie ich Sie per Liste angewiesen habe. Sie können die Bibliothek wieder einschrumpfen lassen."

Julius war zwar betrübt, weil sein toller Chemiebaukasten mit dem Bunsenbrenner und der kleinen Gasflasche nicht mehr mitgenommen werden durfte, hatte aber im Hogwarts-Koffer noch kleine Vorräte an Säuren versteckt. Doch als wenn die Lehrerin seine Gedanken lesen konnte, prüfte sie den hölzernen Koffer auf versteckte Fächer und räumte diese aus.

"Es war klug von Ihnen, diese Substanzen nicht frei herumliegen zu lassen. Aber in Beauxbatons haben Sie dafür keine Verwendung."

"Mist verdammt!" Fluchte Julius, als die Lehrerin die Ausräumaktion beendet und ihn endlich alleine zurückgelassen hatte. Offenbar mußte er sich jetzt schon von vielen Möglichkeiten verabschieden.

Am Nächsten Tag war es anstrengend. Einmal lernten sie im Ferienunterricht die Herstellung einfacher Amulette ohne große Zauberkraft, die gegen niedere Kreaturen wie Wassergeister oder wichtel wirkten, zum anderen mußte Julius am Nachmittag die Ersthelferprüfung ablegen. Die drei Heiler, die beiden aus Millemerveilles und die Heilhexe aus Paris, forderten ihm viel ab. Er mußte sie transportieren, an Armen und Beinen schienen, leichte Verletzungen oder Verbrennungen heilen, Zaubertrankrezepte herunterbeten und kleinere Elixiere anrühren, durch giftige Schwaden gehen, um Madame Matine aus einem angeblich brennenden Haus zu holen und über Knochengerüst und Blutkreislauf reden. Als Gemeinheit hatte sich Madame Matine noch was für ihn einfallen lassen. Er mußte die beiden Säuglinge von Madame Lumière, die in gebührendem Abstand saß, in frische Windeln wickeln. Dabei stellte er sich etwas ungeschickt an, weil er sich etwas vor den Ausscheidungen der Babys ekelte. Madame Eauvive fragte ihn, ob er die beiden nicht auch stillen könnte. Er meinte:

"Von Natur aus geht das nicht, Madame. Da müßte ich nachhelfen, und das soll sehr schmerzhaft für Männer sein."

"Wie denn?" Fragte die Heilerin aus Paris. Julius betete ihr die Formel für den Nutrilactus-Zaubertrank herunter, der an und für sich Hexen befähigen sollte, als Amme für Säuglinge zu dienen, aber auch manchem Zauberer die möglichkeit geben sollte, Kinder zur eigenen Brust zu nehmen. Als Madame Eauvive gehört hatte, was sie hören wollte, zog sich das hohe Gericht der Ersthilfeprüfer zur Beratung zurück. Madame Lumière kam zu Julius, der die beiden kleinen Mädchen Étée und Lunette in den Armen wiegte, die im Moment mal friedlich gurrrten und glucksten.

"Wenn Sie dir dafür Punkte abziehen, weil du wie viele Männer auch Probleme beim Wickeln hast, nimm's nicht so tragisch. Mein Mann hat damals geschimpft, nur mit Drachenhauthandschuhen und Nasenschutz an Barbara heranzugehen, wenn sie mal wieder trockengelegt werden mußte. Aber bei Jacques ging es, und bei den Kleinen ist er auch fleißig."

"Ich dachte, ihre Tochter kümmert sich auch um die beiden."

"Ja, das auch. Aber sie kann ja nicht immer um die Kinder rumspringen. Wenn sie mal eigene hat, ist das was anderes, aber dann wird Oma da sein, hoffe ich."

"Da Sie wissen, was ich mir schon zugetraut habe wundert es Sie wohl nicht, wenn ich mir vorstelle, wie die beiden uns jetzt wahrnehmen, wie hilflos sie sich vielleicht fühlen."

"Das tun sie nicht, weil sie es noch nicht kennen, wie toll es ist, auf eigenen Beinen herumzulaufen."

"Stimmt, Sie haben recht", gestand Julius ein.

"So, Monsieur. Da Monsieur Delourdes eingeräumt hat, daß Säuglingspflege nicht unmittelbar zum Ersthelferprogramm gehört, sind wir darüber eingekommen, daß Sie von den hundert erreichbaren Punkten neunundneunzig zuerkannt bekommen, weil sie bei der Frage nach dem Wundheiltrank eine Zutat zuviel angegeben haben, aber der Trank dadurch nicht verdorben wurde. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen", sagte Madame Matine großmütterlich lächelnd. Madame Eauvive sagte:

"Ich kenne meine Kollegin Poppy Pomfrey in Hogwarts. Sie wird es bedauern, daß ihr solch ein talentierter Jungzauberer vorerst versagt bleibt. Ich konnte das Zertifikat ohne Probleme unterschreiben. Säuglinge zu versorgen, die nicht die eigenen Kinder sind, ist ein wenig heikel. Daß Sie es dennoch geschafft haben, beweist Ihr Grundinteresse in diesem Alltagsbereich. Sie müssen sich ja auch jetzt noch nicht mit der Versorgung fertiger Kinder befassen, dafür bleibt noch Zeit. Hera hat auf jeden Fall bekräftigt, daß von den auf geschlechtliche Funktionen bezogenen Grundlagen, die Sie hier präsentiert haben, vieles bereits vorhanden war. Ich darf Ihnen also hiermit ein Exemplar Ihres Ersthelferzertifikats überreichen. Ein weiteres erhält Schwester Florence Rossignol zu Beauxbatons, ein weiteres wird im Archiv der magischen Gesundheitsüberwachung aufbewahrt. Ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie unsere Zeit sehr nutzvoll beansprucht haben. Ihnen, Madame Lumière, danke ich für die Bereitschaft, Ihre Kinder für Heras Zusatzaufgabe zur Verfügung zu stellen. Ich wünsche noch eine schöne Restwoche!"

Als Madame Eauvive Julius ein versilbertes Pergament mit dem Symbol der magischen Heilkunst und der Aufschrift "Zertifikat für erfolgreiche Prüfung im Fach Erste Hilfe für Zauberkundige" überreicht hatte, bestieg sie ihren Besen, einen Ganymed 9, wie Julius jetzt erst so recht zur Kenntnis nahm und brauste davon.

"Wird sie außerhalb der magischen Absperrungen weiterfliegen oder disapparieren?" Fragte Julius.

"Natürlich wird sie nicht die ganze Strecke fliegen. Aber ich freue mich, daß du nun wirklich was wichtiges kannst, Julius", sagte Madame Matine. Monsieur Delourdes nickte zustimmend und verabschiedete sich. Er disapparierte, da er ja innerhalb der Dorfgrenze bleiben wollte, wo es möglich war, von einem ort an einen anderen zu wechseln. Julius sah immer noch staunend auf den sich verwirbelnden Staub, der durch das Verschwinden aufgestöbert worden war.

"Das muß ich auch lernen", sagte er zu Madame Lumière. Diese lächelte.

"Willst du ihn zurückbringen, Hera?" Fragte Madame Lumière. Diese nickte und brachte Julius zum Dusoleil-Haus Zurück.

Weil es nun allgemein bekannt war, daß Julius mit den übrigen Schülern nach Beauxbatons wechseln würde, hatten die Dusoleils und er häufig Besuch. jüngere Schüler, die den Gast aus England nur beim Schachturnier oder Sommerball gesehen hatten, wollten nun mehr über ihn wissen, was er so gerne machte, warum er nun doch nach Beauxbatons wechseln würde und ob es stimmte, daß er und Claire zusammen seien. Er verwies in einer ständig besser werdenden Routine darauf, daß sie alle ja ein ganzes Jahr hätten, um sich mit ihm zu unterhalten. Er habe noch soviel zu erledigen, eben weil er eigentlich nicht damit gerechnet hatte, die Schule, ja das ganze Land zu wechseln. Als César und sein Klassenkamerad Bruno zusammen mit Césars elfjähriger Schwester Sylvie zu Besuch kamen, fragte das kleine Mädchen:

"Deine Eltern sind Muggel? Wieso bist du dann nicht gleich nach Beauxbatons geschickt worden?"

"Heh, Moment, Sylvie. Ich bin in England geboren, in London. Englischer geht's nicht mehr. Deshalb bin ich natürlich zuerst in Hogwarts untergekommen. Daß ich jetzt nach Beauxbatons gehe, liegt daran, daß meine Mutter durchgesetzt hat, daß sie mich an einen anderen Arbeitsplatz mitnehmen kann, weil mein Vater mit einem Zauberer nichts anfangen wollte. Mehr ist da nicht zu zu sagen."

"Ich habe schon den Antrag für Professeur Fixus und Professeur Dedalus fertig, daß du bei uns ins Quidditchtraining kommst. Ich denke mal, die liebe Barbara hat das auch schon angezettelt, falls du nicht doch bei uns, den richtigen Jungs, reinkommst."

"Bruno, was ein richtiger Junge oder ein verkehrter Mann ist, erweist sich immer, wenn derjenige seinen Anlagen entsprechend auftritt", sagte Jeanne zu ihrem Freund. "Außerdem habe ich Julius schon für unsere Quidditchmannschaft sicher. Der kommt nicht zu euch."

"Neh, der kommt zu Adrian und den Blauen!" Rief César fröhlich. Alle lachten, sogar Julius. Claire, die seit dem Gespräch zwischen ihr und Julius selbstbewußter neben ihm auftrat, wandte ein:

"Der gehört bestimmt nicht zu Jacques und seiner Räuberbande, Monsieur Rocher. Der kommt entweder zu uns oder zu Seraphine."

"Und der lieben Belisama", flötete Bruno Chevallier. Claire funkelte ihn nur böse an. Jeanne meinte:

"Belisama ist nicht so umtriebig wie eure Mädchen, Bruno. Die wird sich schon genau überlegen, mit wem sie sich einlassen darf oder nicht."

"Nicht wenn euer Gast bei den Fachidioten reinkommt", warf César ein. Madame Dusoleil kam aus dem Haus in den Garten, wo sich die ganze Bande versammelt hatte und sagte:

"Jungs, ihr redet so, als gelte es, Julius an den meistbietenden zu verkaufen. Er kommt natürlich nur zu den Grünen. Ich habe ihm wochenlang Gesellschaft geleistet, ihn mit Nahrung und Obdach versorgt, ihm von meinem Wissen viel abgeben können, wie auch mein Gatte, Madame Matine und Madame Faucon."

"Uh, die Königin der Grünen hat den wohl schon eingependelt, wie?" Fragte César, der gerade einen großen Becher Kaffee auf ex hinuntergestürzt hatte und ungeniert aufstieß.

"Also, Dicker, ein Benehmen hast du, wie ein Drache beim Grillabend", warf Bruno locker ein. César lachte nur.

Seraphine kam mit ihrer Schwester an einem anderen Nachmittag zu Besuch, nachdem sie morgens im Ferienunterricht stärkere Schutzartefakte gezaubert hatten. Julius hatte sogar versucht, einen eingespeicherten Patronus in ein Medaillon aus Silber zu bringen. Doch das hatte nicht so ganz geklappt.

"Ich habe schon einen Antrag für Professeur Trifolio und ...", begann Seraphine nach einem Schluck Kakao. Jeanne und Claire lachten.

"Ich auch zusammen mit Barbara, Seraphine", sagte Jeanne einfach. Julius wußte ja schon, was gemeint war. Fehlte nur noch, daß ein gelber Quidditchkapitän und einer von den Violetten und den Blauen diesen Spruch brachte.

"Ist schon heftig, mit deiner Mutter", flüsterte Seraphine einmal zu Julius. "Aber wenn es so am besten geht, sollte es für euch beide recht sein."

"Im Moment stelle ich mich gerade darauf ein, zu wechseln. Ich habe mir in Gedanken Hogwarts vorgestellt, was ich daran auszusetzen hätte, um es irgendwie gut zu finden, daß ich von da weggehe, Seraphine. Aber ich finde nichts."

"Och, dann hättest du dich mit Barbaras herzallerliebstem unterhalten müssen. Der fand Hogwarts zu kalt, zu kahl, die Küche zu einfallslos und die Regeln zu schwammig. Aber du wirst in einem Jahr froh sein, da wegzusein, trotz der beiden blonden Grazien, die auf deiner Geburtstagsfeier waren."

"Heh, komm, das sind meine Freundinnen! Hoffentlich bleiben sie das auch", warf Julius gereizt ein. Sowas gefiel ihm nicht, jetzt, wo er das angesprochen hatte, alles mögliche schlechte über Hogwarts um die Ohren gehauen zu kriegen. Madame Dusoleil erbarmte sich seiner und sprach ein Machtwort:

"Seraphine, Julius ist, was er ist, weil er in Hogwarts so gut zurechtkam und dort viel gelernt hat, vor allem aber, weil er dort erkannte, was er ist. Sicher hätte er das alles in Beauxbatons auch erfahren. Aber da er nicht hier geboren wurde, wofür er nichts kann, müssen wir Hogwarts dankbar sein, daß wir einen kultivierten und fähigen Jungzauberer als neuen Drittklässler nach Beauxbatons schicken dürfen."

"Entschuldigung, Madame, ich meinte doch nur, weil er sagte ...", gab Seraphine wie ein getretener Hund dreinschauend zurück. Julius sah sie beruhigend an.

"Jedem Tierchen sein Pläsierchen oder auch suum cuique. Ihr kommt in Beauxbatons gut zurecht. Ich kam bislang in Hogwarts gut zurecht. Aber ich denke, weil ihr alle immer um mich herum wart, obwohl ich ein Fremdling war, der sowieso wieder abrücken würde, wenn die Ferien vorbei sind, letztes Jahr und dieses Jahr, denke ich, daß ich mich irgendwie in eurer Schule einleben werde."

"in unserer Schule, Julius. Almerie aus meiner Klasse hat dich am Montag gesehen, mit neuen Schulumhängen und einem anständigen Koffer, besser als dieser sperrige Trog, den du aus Hogwarts mitgeschleppt hast. Damit gehörst du jetzt schon zu uns. Wenn du dann noch neben den Jungs aus der Dritten Klasse in meinem Saal sitzt, wirst du es einsehen."

"Was meinst du, Seraphine, prägt ihn für den weißen Saal?" Fragte Jeanne lauernd.

"Das er so gut lernen kann, Jeanne. Der wird bestimmt ein Experte in Verteidigung gegen die dunklen Künste oder Kräuterkunde. Auf jeden Fall zeichnet ihn das für den weißen Saal aus, wirst sehen."

"O Mädels, ich bin doch noch nicht einmal in den Ausgangskreis getreten, geschweige denn in Beauxbatons angekommen. Laßt mich doch einfach mal erleben, wo es mich letztendlich hinwirft. Nachher lande ich noch bei den Violetten oder Gelben."

"Da bestimt nicht", sagte Jeanne. "Die Gelben sind zwar zurückhaltend und schüchtern, etwas, was du auch kannst, Julius. Aber sie vermeiden doch jede Diskussion. Außerdem sind sie nicht so mutig wie du."

"Woher willst du wissen, daß ich mutig bin?" Fragte Julius Jeanne. Diese lächelte tiefgründig und sagte nur "Musikzimmer, letzten Samstag." Das genügte Julius um "Keine weiteren Fragen, euer Ehren" zu antworten. Die Siebtklässlerinnen lachten wie kleine Mädchen darüber.

__________

So verstrichen die restlichen Ferientage. Julius erfuhr von Catherine, die per Kontaktfeuer direkt mit dem Kopf in den Kamin der Dusoleils vordrang, daß seine Mutter wohlbehalten in Paris angekommen war. Perseus hatte ihr geholfen, die Möbel zu transportieren. Sie wünschte Julius eine gelungene Einstiegsphase in Beauxbatons und bedankte sich bei Camille Dusoleil, daß sie so gut für Julius gesorgt hatte.

"Ich werde das jederzeit wieder tun, Catherine. Sage das bitte deiner neuen Mitbewohnerin!"

"Werde ich machen, Camille", sagte Catherine und verschwand aus dem brennenden Kamin der Dusoleils.

Am Samstag luden die Dusoleils noch mal Julius' Ferienklasse ein. Julius hatte zum Abschluß am Freitag ein vergoldetes Silbermedaillon mit drei Wirksamen Gegenflüchen gegen Gefühlsbeeinflussung, Elementaren Angriffen wie Blitze oder Feuerstrahlen und gegen lichtscheue Wesen wie Vampire und Nachtschatten geschaffen. Außerdem hatte er es geschafft, den gefangenen Mördergolem im Schattenhaus zurückzutreiben, wie Jeanne, Virginie und Seraphine auch. Madame Faucon hatte ihnen allen noch mal für ihre Disziplin und ihr Interesse gedankt und vorgeschlagen, daß Leute wie Elisa, Julius und Claire dem Duellierclub von Beauxbatons beitreten sollten, da sie dort in Übung bleiben würden, was Julius sich tatsächlich vornahm. Die Feier dauerte bis in den späten Abend. Erst als es zwölf Uhr war, schickte Madame Dusoleil die Gäste nach Hause, zu denen auch Bruno und César gehört hatten, die reichlich von dem Wein aus dem Keller der Dusoleils eingenommen hatten.

Der Sonntag Morgen war eine einzige Packveranstaltung. Julius, der seine Bücher zwar locker in dem auf streichholzschachtelgröße einschrumpfbaren Bücherschrank von Maya Unittamo untergebracht hatte, mußte sich mit dem etwas kürzeren Koffer abmühen, um seine Kleidung ordentlich gefaltet und die Ausrüstungsgegenstände gut und bruchsicher unterzubringen. Er barg seinen Sauberwisch 10 in dem Futteral, das er von Aurora Dawn bekommen hatte und packte alles, was nicht aus Metall war in die gegen Diebstahl gesicherte Reisetasche, wodurch er schon viel Platz einsparte. Die Kessel steckte er ineinander, die Zaubertrankutensilien verstaute er in den gefütterten Seitenfächern, die extra dafür eingenäht waren und legte die ganzen Zauberinstrumente, wie die Ferngläser, den Melodigraphen und den Mondglobus so, daß sie beim Flug in der magischen Sphäre nicht durcheinanderkullern konnten. Dazu packte er noch einige Umhänge. Die Hogwarts-Umhänge hatte er schon bei der Zwirnsstube abgegeben, wegen Reststoffverwertung. Als er alles so rutsch- und bruchsicher verpackt hatte, breitete er den weinroten Festumhang über die sachen und schloß den Koffer. Er drehte die drei Schlüssel in den mit dem Clavunicus-Zauber gesicherten Schlössern, sodaß nur die dazugehörigen Schlüssel sie wieder aufsperren konnten. Dann schnürte er das Futteral mit dem Besen auf dem Koffer fest, was kein Problem war, da das Futteral Schlaufen besaß, durch die Kofferriemen mühelos hindurchgezogen werden konnten.

"Da hat die gute Aurora dir ja was sehr praktisches für deinen Besen besorgt", stellte Madame Dusoleil fest, die das Packen der Schulsachen kontrollierte und hier und da mal aushalf. Die Mädchen hatten neben dem ganzen Schulkram noch mehrere Schuhe, Schmuck und Schminkzeug einzupacken. Doch irgendwie gelang es, vor dem Mittagessen alles verstaut zu haben. Zu essen gab es zwar nicht viel, aber dafür leckeres, in verschiedenen Honigsorten gebackene Pfannekuchen mit Waldbeeren und Kirschen, wahlweise auch mit Schinkenstückchen oder Thunfischpüree.

So gegen Fünf Uhr war dann die Zeit zum Verabschieden gekommen. Julius spürte auf einmal, daß er nun was völlig neues anfangen mußte und empfand eine ungewöhnliche Schwermut, größer, als die, als er sich für Beauxbatons entschieden hatte und er gemerkt hatte, was er alles aufgeben mußte. Madame Dusoleil bemerkte das und zog ihn sanft noch mal ins Haus, während Monsieur Dusoleil die Koffer und Taschen für den Abtransport bereitmachte.

"Du bereust es etwa doch nicht, daß du jetzt mit den Mädchen nach Beauxbatons gehst, oder?"

"Nein, das ist es nicht, Madame. Ich merke nur auf einmal, daß ich alles weggeworfen habe, meine Familie, meine frühere Zeit in England, meine Schule, meine Freunde. Vielleicht hätte ich mich doch für Hogwarts entscheiden sollen", seufzte Julius.

"Ich habe dir das einmal gesagt, und ich wiederhole mich in diesem Falle sehr gerne: Du kommst in eine Umgebung, in der du schon viele Leute kennst und von deinem Verhalten her bestimmt gut hineinwachsen wirst. Du magst zwar einiges weggeworfen haben, zumindest glaubst du das. Aber in Wirklichkeit trägst du es überall mit hin. Das, was du in Hogwarts gelernt hast, fliegen, zaubern, Zaubertränke brauen, nimmst du genauso mit, wie das, was du von deinen Freunden gelernt und mit ihnen erlebt hast. Du hast Angst, das sehe ich dir an, daß du nicht weißt, ob das alles wieder so gut weitergeht, wie es aufgehört hat. Aber du bist nicht allein, du kannst was, du weißt was. Damit wirst du schnell den Boden wieder unter beide Füße bekommen. Und Eulen sind ja immer in Reichweite. Du hast ja von Madame Dione Porter Post bekommen, daß sie dir viel Glück wünscht. Ich denke, die vier Mädchen und der Junge, von dem du erzählt hast, wollen auch weiter mit dir Kontakt halten. Die würden sich schön bedanken, wenn du behauptest, sie weggeworfen zu haben. - Na bitte, du kannst ja doch noch lächeln."

Julius lachte sogar. Er fand es schön, daß diese Hexe immer die Worte fand, um ihn aus einer trüben Stimmung wieder herauszuholen. Wenn Jeanne und vor allem Claire dieses Talent geerbt hatten, war er wahrlich auf einem guten neuen Weg.

Um Halb sechs floh-pulverten sich die Dusoleils, Vater, Mutter und die schulpflichtigen Töchter, zusammen mit ihrem Feriengast Julius Andrews zum Dorfgasthaus von Millemerveilles, wo Caro sich gerade von ihren Eltern verabschiedete. Als Julius aus dem Kamin sprang, die große Reisetasche in der Hand, eilte sie auf ihn zu und hauchte ihm zu:

"Wir sehen uns im roten Saal, Julius."

Claire räusperte sich kurz. Caro bedachte sie mit einem frechen Grinsen und ging zu ihren Eltern hinüber, die ihren blütenweißen Koffer bugsierten.

Die Kolonne von Schülern und ihren Verwandten marschierte zu einem großen hohen Ring aus Büschen mit tellergroßen Blättern, den Schirmblattbüschen, die einen großen blauen Vollkreis umschlossen. Dort wartete bereits Professeur Blanche Faucon, die die ankommenden Schüler mit Handbewegungen dirigierte, sodaß sie und ihr Gepäck problemlos im Kreis untergebracht wurden. Julius verabschiedete sich kurz noch einmal von Madame Dusoleil:

"Mach's gut, Mon Cher! Ich habe mich sehr gefreut, dich die Ferien über hier zu haben." Sie umarmte Julius kurz und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Dann sah sie zu, wie der nun von Hogwarts Abschied nehmende Zauberschüler in den Kreis trat und sich so stellte, das er Professeur Faucon ansah, wie sie ihren Zauberstab hob, um die magische Reisesphäre aufzurufen, die sie alle von Millemerveilles nach Beauxbatons tragen würde.

ENDE

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