SERENAS KUMMER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Neue Zeiten brechen für die Schüler und Lehrer von Beauxbatons an. Bei der Ankunft der alten und neuen Schüler übergibt Madame Maxime die Würde der Schulleiterin an ihre bisherige Stellvertreterin Blanche Faucon, die seitdem Madame Faucon genannt werden soll. Madame Faucons Enkeltochter Babette landet im grünen Saal, wo sie mit zwei Mädchen aus magielosen Familien einen Schlafsaal bewohnt. Auch der Muggelstämmige Hanno Dorfmann wird als Bewohner des grünen Saales ausgewählt. Die neue Verwandlungslehrerin Eunice Dirkson bringt drei schulpflichtige Kinder mit, von denen Esther Dirkson im grünen Saal unterkommt. Millies drittjüngste Tante Mayette landet im roten Saal. Der neue Lehrer für die Abwehr dunkler Künste ist der ehemalige Zaubereigegenminister Phoebus Delamontagne. Julius und Millie müssen sich sehr schnell an ihre neuen Rollen als oberste Schüler ihrer Säle gewöhnen. Vor allem mit Hanno Dorfmann hat Julius seine Sorgen, da dieser sehr frech und vor allem Hexen gegenüber sehr anmaßend ist. Daß dies eine Abwehrreaktion ist vermuten Madame Rossignol und er zwar, aber sie lernen erst, warum das so ist, als der Junge Professeur Delamontagne verärgert und dieser ihm zeigen will, wie schnell jemand von bösartiger Magie niedergeworfen werden kann. Dabei kommt heraus, daß Hanno als uneheliches Kind einer alleinerziehenden Anwältin von Geburt an nur von lieblosen Tanten aufgezogen und übel drangsaliert wurde und er bei Entdeckung seiner besonderen Kräfte mehr oder weniger bewußt den Tod dieser Tanten herbeiführte. Er vergötterte seine Mutter, bis er lernen mußte, daß sie ihn nie gewollt hatte und geht auf Rache aus. Hierzu beschafft er sich bei seinem ersten Einkauf in der Zaubererstraße Rue de Camouflage ein Buch, in dem ein Fluch erwähnt wird, mit dem man Blutsverwandte umkommen lassen kann. Da er den Fluch bereits aufgerufen hat - was für einen Zauberschulanfänger schon beachtlich ist, greift Madame Faucon auf den von Julius erlernten Fluchumkehrer zurück. Dabei verkehrt sich der böse Zauber Hannos so, daß die in der Ferne zum Tode verurteilte Mutter nach Beauxbatons teleportiert wird und statt zu sterben Hanno als ihren Sohn erneut im Mutterleib empfängt. Julius beschafft das von Hanno erwähnte Buch und händigt es Madame Faucon aus. Er spricht mit Madame Rossignol darüber, daß sie die angedrohte Höchststrafe für Pflegehelfer eigentlich nicht vollstrecken darf. Sie bittet Millie und ihn, zunächst die Gründe für diese Strafe zu erfahren. Hierzu wird den beiden angeboten, von Serena Delourdes ausgelagerte Erinnerungen zu betrachten.

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Julius interessierte es schon, wie die privaten Räume der Schulleiterin nun aussahen, wo eine normalgroße Würdenträgerin darin wohnte. Doch er wußte auch, daß er dort wohl nicht mehr hingelassen wurde.

Als Millie und er sich dem großen Bild mit dem ständig zankenden Königspaar näherten, hörten sie den gemalten König gerade sagen: "... und ich beharre darauf, daß Ihr diesen höchst ohrenfeindlichen Sackpfeifern anzüglich nachgestarrt habt, als diese unser Heim mit ihrem Geheul heimsuchten. Empfindet ihr keine Scham, euch derartig zu erniedrigen, Euer hochgeborenes Aug' auf schmutzige Straßenmusiker zu werfen?"

"Wir werden uns auch von Euch nicht diktieren lassen, welche Art Musik wir schätzen oder nicht", erwiderte die Königin. "Wie Ihr ganz sicher wißt reicht unser Stammbaum zurück in die Zeit, wo die Königshäuser Frankreichs und Britanniens vereint waren."

"England, ja, meine Angetraute. Aber nicht dieses Barbarenvolk in Schottland und ... Was begehren sie beide?" Schnaubte der König.

"Was wohl, Einlaß", erwiderte Millie keck. "Falco volans", gab sie dann noch das für die Saalsprecher und Lehrer gültige Losungswort an.

"Hat sie verdreckte Ohren, daß sie nicht vernehmen kann, daß unsere Angetraute und wir uns gerade in einem sehr wichtigen Dispute ergehen und diesen nicht durch schnöde Dienste unterbrechen mögen."

"Ich kann nach Magistra Eauvive schicken, um Euch daran zu erinnern, welche Obliegenheiten Ihr habt, streitbare Majestät", erwiderte Julius. "Also los, durchlassen! Falco volans!"

"Ihn mangelt es an Respekt der Krone gegenüber", schnarrte der König, während die gemalte Königin verhalten lächelte. Dann nahm er es doch hin, daß Julius nach seiner gemalten Hand tastete, während Millie die bereitgehaltene Hand der Königin berührte. Damit wurde das transpiktorale Portal ausgelöst, eine durch zwei Bilder bestehende Verbindung zwischen dem Korridor und dem Wohn- und Arbeitsbereich des amtierenden Schulleiters. Es war wie ein Flug durch einen unendlichen Raum aus Farben, bis zu einem immer heller und größer werdenden Lichtpunkt, der sich als Wiesenlandschaft unter taghellem Himmel entfaltete. Die beiden Broschenträger flogen über die Wiese hinweg und purzelten aus einem Bild heraus, das diese Wiesenlandschaft darstellte. Das Bild war an die echten Tageszeit- und Wetterbedingungen angekoppelt. Sie standen nun in der sechseckigen Ankunftshalle. Die Wände hier waren vier Meter hoch und auf halber Höhe durch einen Marmorsims unterteilt. Auf jedem Abschnitt dieses Simses stand eine lebensgroße Nachbildung eines Schulgründers.

Über dem Wiesengemälde trhonte Viviane Eauvive, die ja auch in kleinerer Form den grünen Saal zierte. Sie trug hier statt der wasserblauen im grünen Saal eine grüne Schürze mit Blumenmuster und hielt in der rechten Hand einen zerbrechlich wirkenden Zauberstab und auf der flachen linken Hand einen Blumentopf mit einer Mimbulus mimbletonia. Auf ihrer rechten Schulter saß eine Knieselin, die Goldschweif XXVI. zu sehr ähnelte, um nicht mit ihr verwandt zu sein. Der in einer löwenartigen Quaste endende Schweif war eingerollt. Über dem Kamin in der Halle stand ein Mann wie ein Bär mit wildem Bart und Haar, der aus großen Augen nach unten blickte. Es war Orion der Wilde, Gründer des roten Saales. Er hielt einen großen Amboss unter dem linken Arm und einen Zauberstab, stark wie ein Knüppel in der Rechten. Dort, wo Bronzetüren in die Privaträume der Schulleiterin führten stand ein erhaben wirkender Zauberer mit violettem Spitzhut und einem purpurfarbenen Umhang, auf dessen Brustteil ein rundes Wappen geprägt war, das ein violettes Pferd mit Flügeln im Sprung unter einer orangeroten Sonnenscheibe zeigte. Dies war Donatus vom weißen Turm, der den violetten Saal begründet hatte, in dem damals nur Zauberer gewohnt hatten. Über einem großen Schrankstand die Statue einer Hexe in weißer Tracht, die eine große Flasche mit dem Heilmagiersymbol in der linken und einen leicht geschlängelten Zauberstab in der Rechten hielt. Ihr Haar war dunkel und zu einem strengen Knoten gewunden, ähnlich dem von Professeur Faucon. Ihr Gesicht jedoch sah milde auf die zwei Besucher herab. Es war Serena Delourdes, die Gründerin des gelben Saales, der damals wie der grüne Saal ein reiner Wohnbereich für Hexen war. Ihretwegen waren Millie und Julius nun hier. Über einem Regal mit vielstimmig klickenden Instrumenten stand ein drahtiger Zauberer als Statue, der verschmitzt grinsend auf die Besucher herabsah und in den Händen ein silbernes, eiförmiges Ding hielt, in das viele Schlitze eingearbeitet waren. Als Millie das Ding ansah quoll blauer Qualm heraus, der sich in der Luft zu einer dämonischen Fratze formte, die die beiden höhnisch angrinste. Der Besitzer dieses eiförmigen Dings schien darüber selbst amüsiert zu sein. Es handelte sich um Petronellus von den blauen Hügeln, welcher den Blauen Saal gegründet hatte, in dem auch nur Zauberer wohnten. Blieb noch ein kleinwüchsiger, struwelhaariger Zauberer ohne Bart, der ein großes Buch vor sich aufgeschlagen hielt und eine angestrengte Miene zur Schau trug, als müsse er ein Geheimnis in diesem Buch enträtseln. In dieser Haltung stand er über dem großen Globus, der haargenau nachbildete, wie die Erde aus dem Weltraum heraus aussah und und drei Standuhren mit merkwürdigen Zifferblättern. Das war Logophil vom hohen Tal, ein nur für die Forschung alter Schriften lebender Zauberer, der von den übrigen fünf Gründern regelrecht gedrängt wurde, mit ihnen Beauxbatons zu errichten. Er hatte damals die Anhänger der hohen Geistigkeit um sich versammelt, brachte die Spezialisten in seinem Saal, dem weißen Saal, zusammen, wußte Julius.

Durch eine der Türen ging es in den hufeisenförmigen Gang, in dem es zum Konferenzraum der Schulleiterin ging. Doch diese wartete bereits am Eingang des Korridors und deutete auf eine offene Tür. Dort lag der Aufbewahrungsraum für die geheimsten Dinge der Schulleiterin. Julius erkannte gleich drei steinerne Gefäße, die in diesem Raum standen. Silberweiß schimmerte deren Inhalt den beiden Schülern entgegen.

"Ich habe Madame Rossignols Einverständnis erhalten, die fraglichen Erinnerungen als vollständige Kopien in das Ihnen beiden eigene Denkarium einzulagern, so daß Sie beide diese Erinnerungen jederzeit abrufen können, wenn Sie es sicher bei sich in Ihrem Haus verwahren", erläuterte Madame Faucon sehr ruhig, als ginge es bei diesem Besuch nicht um eine höchst emotionale Angelegenheit. "Ich weiß, daß Sie, Monsieur Latierre, das Denkarium mit einem wirksamen Schutzzauber versahen, der es Ihnen feindlich gesinnten Zeitgenossen unmöglich macht, Erinnerungen daraus zu schöpfen oder zu betrachten. Daher wird die Erinnerung darin wohl nicht in falsche Hände geraten. Ich habe alle mit der Sie betreffenden Erinnerungen Magistra Delourdes' in mein Gedächtnis aufgenommen und von dort aus kopiert, so daß sie auch im Denkarium der Schulleiter erhalten blieben. Es kann sein, daß Sie beide mehrere Stunden benötigen, um alle miteinander verknüpften Erinnerungen zu sichten. Falls Sie finden, einen erinnerten Abschnitt abkürzen zu wollen, wenden Sie sich nur von Magistra Delourdes ab, die als Mnemoskopischer Fokus in allen Erinnerungen als von außen sichtbare Erscheinung enthalten ist!"

"Häh?" Machte Millie. Madame Faucon räusperte sich. Julius bat ums Wort und erklärte seiner Frau in für diese verständlichen Worten:

"Damit ist gemeint, daß wir nicht so in diesen Erinnerungen herumlaufen, als seien wir Serena, sondern von ihrem Ebenbild geführt werden. Es wird aber nicht mit uns sprechen oder uns was zeigen, sondern das tun, was das Original in der entsprechenden Situation getan oder gesagt hat. Das meint Madame Faucon mit Mnemoskopischem Fokus. Wenn wir sie aus der Sicht verlieren oder absichtlich weit genug von ihr weggehen fallen wir aus der gerade ablaufenden Erinnerungsrückschau heraus und gleiten, wenn wir nicht ganz gezielt aus dem Denkarium auftauchen wollen, in die anschließende Erinnerung hinüber. Wenn wir sie jedoch ansehen, kriegen wir die gesamte für wichtig gehaltene Erinnerung mit, bis diese beendet ist und wir in die nächste überwechseln oder das Denkarium verlassen. Wie gesagt machen Serena und alle anderen, die wir da noch treffen nur das, was sie damals gemacht haben, als sie die Sachen tatsächlich erlebt haben. Ist wie ein Videofilm, nur daß wir in der Handlung drin sind, ohne sie ändern zu können. Die bekommen uns nicht mit. Menschen lassen sich nicht anfassen, während du Sachen anfassen kannst, ohne sie jedoch bewegen zu können. Du kannst dich also locker auf Stühle setzen und Tische oder Wände anfassen."

"Verstehe. Dann würdest du meine Geburt, die du da schon eingefüllt hast aus der Sicht meiner Mutter erleben?" Wollte Millie wissen.

"So nicht. Du erlebst alles so, wie der, dessen Erinnerung du nachbetrachtest die Umgebung gesehen hätte. Ich würde also was deine Geburt angeht erst neben dir im Mutterleib liegen, weil das die erste Umgebung war, an die du dich erinnern konntest. Allerdings würde ich in dem Moment, wo du geboren wurdest neben deiner Mutter und dir stehen."

"Wau", machte Millie. "Schon praktisch, so ein Denkarium."

"Nur daß Sie Magistra Delourdes nicht durch ihr Leben vom Mutterschoß bis ins Grab begleiten werden, sondern nur die unmittelbar mit Ihrer Anfrage beschäftigten Erinnerungen nachempfinden. Allerdings habe ich mir der Vollständigkeit halber erlaubt, ihre Erlebnisse bei der Schulgründung als Ausgangspunkt zu bestimmen. War auch für mich eine interessante Erfahrung, die Gründung unserer Akademie aus Gründerwarte nachzuerleben. Schätzen Sie dies als ebensohohes Privileg ein wie die vorzeitige Zuerkennung Ihrer Volljährigkeit und die Erlaubnis, ein eigenes Denkarium besitzen und benutzen zu dürfen!" Erwiderte Madame Faucon. Millies Gesicht hellte sich auf. Sie würde die Schulgründung miterleben. Martine würde vor Neid platzen. Denn diese hatte sich immer schon gefragt, wie es damals in Beauxbatons zuging, wo nach Geschlecht getrennte Wohnsäle existierten. Julius dachte daran, daß auch Hermine Granger vor Neid platzen würde, wenn sie erfuhr, daß Schüler die Gründung ihrer Zauberschule nacherleben konnten, als ob sie dabei gewesen wären. Aber ob das in Hogwarts möglich war wußte er natürlich nicht.

"Es versteht sich natürlich von selbst, daß Sie über diesen Umstand, alte Erinnerungen betrachten zu können, Ihren Mitschülern gegenüber Stillschweigen bewahren, um mögliche Eifersüchteleien zu vermeiden", bekräftigte Madame Faucon. Mildrid und Julius Latierre bestätigten das. "So werde ich Sie nun Magistra Delourdes' Erinnerungen überlassen. Seien Sie jedoch auf sehr unangenehme Dinge gefaßt! Der Grund für die bis heute gültige Strafandrohung für unbelehrbare Pflegehelfer ist sehr gravierend und sollte niemandem mit instabilem oder noch zu festigendem Charakter vorzeitig kundgetan werden. Bedenken Sie dies auch bitte, falls Sie mit den gewonnenen Erkenntnissen argumentieren möchten!" Schickte die Schulleiterin noch eine Anweisung nach. Julius verstand ja schon längst, daß er hier hinter eine für andere verbotene Tür blicken durfte. Er hatte schon einschlägige Erfahrungen damit, daß Neugier auch zu unangenehmen Erkenntnissen führen konnte. Diese waren dann jedoch nicht mehr abzulegen, zumindest nicht, wenn jemand daraus etwas für sein oder ihr Leben lernen mußte. So knieten sich beide auf dicke Daunenkissen und blickten in die silberweiße Substanz. Madame Faucon rührte mit ihrem Zauberstab in der nicht flüssigen und auch nicht gasförmigen Essenz aus Erinnerungen um, bis die Latierres wie durch eine runde Luke auf einen Hof sahen, auf dem gerade jene zwei Hexen und vier Zauberer standen, die in der Ankunftshalle der Schulleiterin als Standbilder verewigt waren. "Von hier aus können Sie nun. Ich wünsche Ihnen beiden eine erkenntnisreiche Reise. Ein Vergnügen wird es wohl nicht", sagte die gerade eine Woche amtierende Schulleiterin. Auf Julius' Zeichen drückten beide ihre Köpfe in das große Gefäß hinein und meinten beide, durch ein schwarzes Loch zu stürzen, bis sie auf einmal mitten auf dem Hof standen.

Vor ihnen erhob sich der weiße Palast von Beauxbatons. Er besaß damals schon das sieben Meter hohe Portal mit den zwei Flügeln. Allerdings sah das Schulwappen ein wenig anders aus. Die beiden Saalsprecher waren es gewöhnt, die beiden Zauberstäbe von Beauxbatons mit je drei daraus sprühenden Funken zu sehen. Auf dem Portal vor ihnen prangte jedoch ein Kreuz aus Zauberstäben, bei dem aus der Spitze des einen vier und aus der Spitze des anderen nur zwei Funken sprühten. "Das erste Wappen, Millie. Die Zauberstäbe symbolisieren Hexen und Zauberer. Die Anzahl der Funken stand immer für die Säle. Als sie 1248 die Geschlechtertrennung beendet haben bekam Beauxbatons das heute noch gültige Wappen."

"Die beiden Stäbe sehen aus wie der von eurer Viviane und unserem Orion", bemerkte Millie. "Könnte es sein, daß die als Inbegriffe der Hexen und Zauberer galten?"

"Stimmt, in den Bulletins de Beauxbatons stand was, daß es Ärger zwischen Logophil vom hohen Tal und Orion dem Wilden gab, weil Orion im Urwappen seinen Zauberstab verewigen wollte. Serena und Viviane waren sich schnell einig, daß Serenas leicht geschlängelter Stab nicht alle Hexen repräsentierte", tat sich Julius noch einmal als Kenner der Geschichte von Beauxbatons hervor.

"Ja, und Orion hat ihm klargemacht, daß Zauberer, die nur in ihrem Studierzimmer hocken nicht zur Bewahrung der Zauberergemeinschaft beitragen und sich von den beiden anderen Rückendeckung geholt, daß nicht nur Wissensmehrung sondern auch die Hinführung junger Zauberer zu ihren Pflichten als Familiengründer symbolisiert werden müsse", erwiderte Millie. Tatsächlich konnten sie den gerade auf diesem Hof herumstehenden Orion grinsen sehen, während Logophil verdrossen auf das Portal blickte.

"Nur noch vier wochen", sprach Viviane Eauvive, deren Stimme genauso klang wie die der gemalten Ausgabe. "Serena, öffnet Ihr bitte das Portal!"

"Ihr wolltet diese Akademie vordringlich einrichten, Viviane. So ist es wohl an Euch, die Tore aufzutun", lehnte Serena die Ehre ab. Orion entgegnete:

"Wir haben noch gar nicht angefangen, und schon sind sich die beiden Damen uneins, wer was machen soll." Darauf traten Viviane und Serena gemeinsam vor und schwangen ihre Zauberstäbe. Julius und Millie vermeinten, Serenas Stimme "Apparento Portas Principales" flüstern zu hören. Doch die Stimme kam nicht von ihr her. Millie hatte es wohl auch gehört und sah Julius an, der vermutete, daß sie ja Serenas Erinnerung besuchten und wohl die konzentriertesten Gedanken, vor allem bei ausgeführten Zaubereien, mitbekamen, als eine Art magischer Abdruck in der Erinnerung. Dann mußten sie sich beeilen, weil die sechs Gründer schon auf dem Weg in den Palast waren. Sie folgten Serena, die sie durch Gänge und Zeitversetztkorridore führte, bis sie im Krankenflügel waren, dessen Einrichtung damals natürlich noch ganz anders war. Der Saal für die Patienten war mit dicken Strohsäcken ausgestattet, über die weiße Leinentücher gezogen worden waren. Betten im Sinne von Gestellenund Matratzen kannten die im angehenden Mittelalter noch nicht. Das würde Europa erst von den arabischen Herren in Spanien und Frankreich übernehmen. Ein ziemlich grob wirkender Schreibtisch aus Eichenholz beherrschte das Sprechzimmer. Mehrere Hocker standen davor. Allerdings gab es schon Schränke, schlicht und unverschnörkelt aussehend, aber doch schon verschließbar. Sie sahen, wie Serena einen großen Korb öffnete und persönliche Sachen und bereits gebraute Tinkturen herausholte. Als sie dann noch mehrere Kessel, Tiegel und Phiolen im Vorratsraum verstaut hatte, tippte sie einen Schrank an. "Assistentia!" Hörten sie sie flüstern. Der Schrank enthielt silberne Bänder, die schon so aussahen, wie die Pflegehelferbänder. Serena prüfte jedes Armband auf mehrere eingearbeitete Zauber und sortierte fünf davon aus, weil sie offenbar nicht dem gewünschten Standard entsprachen. Als sie insgesamt sechs Armbänder für tauglich befunden hatte, nahm sie aus ihrem veilchenblauen Umhang ein weiteres silbernes Band und vollführte daran mehrere Zauber, wobei sie immer wieder die sechs ausgewählten Bänder berührte. Damit stimmte sie diese offenbar auf das eine Band ein. Als das geschehen war, sprach sie noch einen komplizierten Zauber über die auf dem Schreibtisch ausgelegten Bänder, so daß diese grünlich aufleuchteten und dann durch Lichtstrahlen miteinander verbunden wurden. Eine Minute dauerte es, bis die Bänder nicht mehr glühten. Dann führte Serena einen Zauber aus, den Julius als Vocamicus-Zauber kennengelernt hatte. Damit konnten stimmliche Äußerungen über weite Strecken vermittelt werden, die aber nur von denen gehört werden konnten, die als Hörberechtigt oder befreundet festgelegt wurden. "Petronellus, ich habe sechs Armbänder vorbereitet. Ich möchte nun das Wegesystem prüfen. Bitte stellt Euch bei mir im Bereitschaftsraum der Schulheilerin ein!"

Einige Minuten später traf der drahtige Zauberer ein, der zwar ein schalkhaftes Wesen besaß, aber dennoch oder gerade deshalb ein meisterhafter Zauberkünstler war. So bekamen Millie und Julius mit, wie Serena und Petronellus das Wegesystem der Pflegehelfer erstmalig in Betrieb nahmen. Ihnen zu folgen, als es endlich gelang, ein Wandschlüpfen zu vollziehen, war kein Problem. Sie brauchten sich ja nur zu wünschen, bei Serena zu bleiben und ihr zu folgen. Als sie dann alle Punkte vom Krankenflügel aus angesteuert und Verbindungen zwischen den Ausgängen des Wegesystems nachgebessert und stabilllisiert hatten sagte Petronellus:

"War schon eine treffliche Idee, sowas in ein großes Haus einzubauen, Serena. Da könnt Ihr wirklich schnell auftauchen, wo wir das mit dem Apparieren hier so gut wie unmöglich gemacht haben."

"Ihr wißt, daß dies eine Bedingung war, daß ich mich auf Vivianes, Donatus' und Orions Wunsch eingelassen habe, eine Lehranstalt für Magie tragende Kinder zu gründen. Als Heilerin muß ich in Sekunden vor Ort sein können, wenn ich schon nicht apparieren kann. Jetzt sind die Ausgänge miteinander verbunden und stören das Geflecht der Schutz- und Wehrzauber nicht."

"Solange keiner wie ich meint, mal auszuprobieren, ob das Geflecht der Zauber nicht doch durcheinandergebracht werden kann", erwiderte Petronellus verschmitzt grinsend.

"Sollte dies jemand wagen und schaffen, so wißt Ihr ja, daß ich dann nicht länger an der Errichtung dieser Lehranstalt beteiligt sein werde", entgegnete Magistra Delourdes sehr ungehalten. "Das könnte für Euch anderen sehr unangenehm werden, wenn eine heilkundige Hexe fehlt."

"Ich habe es nicht ernst gemeint", grummelte Petronellus.

"Für Narreteien und Experimente, die nur zum reinen Vergnügen dienen bin ich wie Ihr wißt nicht empfänglich", erwiderte die Gründerin des gelben Saales. "Die Eltern der Kinder, die wir aufnehmen und unterweisen sollen, erwarten von uns, daß wir ihre Kinder nicht gefährden und ihnen nichts beibringen, womit sie später nicht auch etwas anfangen können."

"Ich weiß, Ihr seid bei einer sehr strengen Lehrmeisterin ausgebildet worden, die von so'n paar Kirchenleuten fast erschlagen wurde, weil die Christen was gegen Magie haben. Aber ein wenig Spaß solltet Ihr doch verstehen."

"Soweit mir bekannt ist habt Ihr bis zum Tode eures Lehrmeisters überhaupt nichts zu lachen gehabt", konterte Magistra Delourdes. "So wagt es also nicht, mir mehr Humor abzufordern, als euch selbst gewährt wurde."

"Genau um solchen Viehtreibern das Vergnügen zu nehmen machen wir das ja mit dieser Schule", grummelte Petronellus. "Damit die Kinder mit Magie noch mehr lernen als nur, wie sie das Haus ihrer Meister sauber und den Garten unkrautfrei halten. Ich werde den bei mir wohnenden Knaben jedoch nicht verbieten, sich zu amüsieren."

"Gut zu wissen, daß ich mich als Heilerin nicht nutzlos fühlen werde", gab Serena zurück. Petronellus und die Latierres lachten über diese gekonnte Antwort. "Da wird schon dieser ruppige Kerl Orion für sorgen, daß Ihr immer um Heil bittenden Besuch bekommt. Der kennt doch nur die Losung: Der Knabe muß zum Mann geprügelt werden. Das sollten wir bei der Festlegung von Strafen noch mal klären, ob dazu auch Totschlagen gehören darf."

"Ihr meint, weil Orion angeblich seinen Neffen erschlug, weil dieser nicht bereit war, Orions Base zu ehelichen, weil diese mit Drachenpockennarben verunziert ist?" Fragte Serena. Petronellus nickte.

"Der bringt gleich drei Söhne im unterschiedlichen Alter mit. Wenn die alle bei ihrem Vater gelernt haben, was den echten Kerl ausmacht, so kann dies noch sehr interessant werden, wenn die auf Eure Nichte Cosima oder das Knäblein von Viviane treffen. Meine drei Jungs kommen auf jeden Fall in meinen Saal rein und nicht zu dieser Bücherlaus Logophil, dem Angeber Donatus oder diesem Haudrauf Orion, der keine Probleme damit hat, damit anzugeben, sich sogar seine Schwester Bellona zu Willen zu machen, wenn sein eigenes Weib ihn nicht heranlasse oder mal wieder mit einem seiner Kinder trächtig ist."

"Ihr meint schwanger oder in anderen, besonderen oder glücklichen Umständen, Petronellus. Trächtig sind nur niedere Säugetiere", berichtigte ihn Serena. Ihr Gesprächspartner verzog verächtlich das Gesicht. Schnell kam sie wieder auf das eigentliche Thema zurück. "Das wird noch einmal besprochen, wenn wir die Kategorien für die Beschulung der ersten Generation endgültig abstimmen."

"Seid froh, daß eure Nichte und Eure älteste Tochter nicht bei dem im Saal landen. Aber hütet sie gut, damit er nicht meint, seinen neuen Rang darauf zu setzen, sie auf sein Lager zu locken!"

"Als Mutter und als zukünftige Lehrmeisterin meines Bruders Tochter habe ich eine solche Belehrung Eurerseits wahrlich nicht nötig, Petronellus", zischte die Gründerin des gelben Saales. "Ich wünschte nur die Prüfung des für mich bestimten Schnellwegenetzes. Es ist tadellos und arbeitet ohne Beanstandung. Dafür seid bedankt."

"Bitte sehr, Serena. Mir liegt auch sehr viel daran, daß die Heilerin von Beauxbatons sofort eingreifen kann, wenn den mir überantworteten Knaben ein Leid oder Gebrechen widerfährt", erwiderte Petronellus und verließ den Bereitschaftsraum wieder, um die weiteren Zauber des Palastes zu prüfen, vor allem die Fluchabwehr und die Abschirmung gegen unerwünschte Fernbeobachtung. Insofern war es wohl gut, einen Zauberer dabei zu haben, der sich in die Ideen von chaotischen Artgenossen hineindenken konnte.

"Die waren sich aber auch nicht so grün", meinte Millie, als sie Serena dabei beobachten durften, wie sie die silbernen Bänder mit römischen Zahlen beschriftete.

"Zweckbündnis, Millie. Kommt in den besten Betrieben vor. Meine Eltern hatten auch so Kollegen, die mit ihnen nur gut arbeiten konnten, aber danach nichts von ihnen wissen wollten. Und hier sind alle gleichrangig. Das heißt, keiner kann dem anderen sagen, was er oder sie zu tun und zu lassen hat. Das das fünfzig Jahre gut ging ist dann wohl als bewundernswert zu sehen."

"Jetzt fängst du schon an, wie Königin Blanche zu reden", grummelte Millie.

"Das habe ich gehört, Madame Latierre", erscholl wie aus großer Ferne und von überall kommend Madame Faucons Antwort.

"Huch, ich dachte, wir sind in dieser Erinnerung nur durch gedanken verbunden", erschrak Millie. Julius verneinte es. Dann meinte er im Flüsterton: "Aber sie hat dir keine Strafpunkte gegeben." Millie verzog nur das Gesicht.

Beinahe hätten Sie Serena Delourdes aus den Augen verloren, als sie mit dem neuen Wandschlüpfsystem ihren Arbeitsbereich verließ. Millie und er folgten ihr in den gelben Saal, zumindest vermuteten sie es an den zitronengelben Vorhängen und den Gemälden, die Weizenfelder, Dotterblumen und gerade aus ihren Eiern schlüpfende Küken zeigten. Eine Statue der Gründerin stand hier noch nicht. Sowas wurde wohl doch erst mit dem Tod oder der Abdankung fällig. Die Schlafsäle damals waren sehr karg eingerichtet. zwölf Strohsäcke und weiße Leinentücher stapelten sich an einer Seite. Auf der anderen stand ein großes, hölzernes Gestell, über dem Fächer angebracht waren. Serena prüfte die bereitstehnden Nachttöpfe mit Deckeln und kontrollierte auch den mit Steinfliesen ausgekleideten Raum, der zwei große Wasserschüsseln und ein durch Holzdeckel verschlossenes Loch im Boden beherbergte. "Ach du meine Güte", gab Millie einen Kommentar ab. "So haben die Klos von damals ausgesehen?"

"Immerhin haben die eins im Haus. Das einfache Bauernvolk mußte zum müssen aufs freie Feld und hat da gemacht, wo's keinem aufgefallen ist", erwiderte Julius. "Pleno!" Hörte er Serenas Stimme. Eine der Schüsseln füllte sich mit Wasser. "Califico!" Murmelte Serena noch. Offenbar wollte sie warmes Wasser haben.

"Damals gab es noch keine regelrechten Nachfüllzauber, die mit Rauminhaltsvergrößerungszaubern zusammenpaßten", wußte Julius. "Womöglich wollte sie sehen, ob die Schüssel sich so füllt wie erwünscht."

"Ja, aber wer noch nicht zaubern kann kann das wohl nicht", erwiderte Millie.

"Die müssen das Wasser dann wohl in Eimern vom Fluß holen", vermutete Julius, dem diese Zeitreise sichtlich gefiel.

"Dieses Zauberwort ist für das Aufffüllen mit Wasser?" Fragte Millie.

"Wird ein Vorläufer für Aguamenti gewesen sein", erwiderte Julius. Dann fiel ihm ein, daß Aguamenti im elften Jahrhundert von einem spanischen Zauberer erfunden worden war, der auch die beiden Ausführbarkeiten entwickelt hatte.

"Wie haben die dann Brände gelöscht? Oder gab's schon Extingio?" Wollte Millie wissen.

"Die haben Regenwolken heraufbeschworen. Allerdings mußten sie dafür zu dritt oder viert sein", erinnerte sich Julius an eine Passage über die Entwicklung der Wasser- und Wetterzauber. Dann hieß es wieder, der Heilerin auf den Fersen zu bleiben, die nun die für alle Schüler zugänglichen Bereiche prüfte. Über eine hinter einem Wandteppich erreichbare Wendeltreppe ging es nach oben in den Bereich der Schulleiter, zumindest würde das mal der Schulleiterbereich werden, erkannte Julius, als er die sechseckige Ankunftshalle betrat. Die sechs Gründer standen hier jedoch schon als Nachbildungen auf dem Sims. Serena traf Viviane und Logophil, die in einer angeregten Diskussion über den Erwerb weiterer Ortsversetzungsartefakte und Zeitmesser steckten. Sie brachte es unter dem Schreibtisch im Arbeitszimmer an, in dem auch ein Strohsack lag.

"Ich dachte, Ihr prüft Eure Säle, Viviane und Logophil", wunderte sich die erste Heilerin von Beauxbatons. Die beiden nickten. Viviane sagte, daß sie den Abort ihres Saales schon eingeweiht habe, was Logophil erröten machte.

"Wir sollten vor dem Willkommensfest dringend über die Aufstellung getrennter Schlafstellen abstimmen. Der Tischler hat in jeden Schlafsaal ein einziges Gestell gestellt. Das mißfällt mir, da so Ungezifer, daß sich Schüler aus Versehen einhandeln, ungehindert zu unbefallenen Schlafsaalgenossen wandern kann. Ich werde zwar eine Flasche mit Lauslos- und Flohfort-Elixier für jeden Schlafsaal im Palast bereitstellen, aber wir solten dem Ungeziefer keine kurzen Wege zu seiner Beute gönnen."

"Mir mißfällt es auch, mir vorzustellen, zwölf halbwüchsige Knaben in einem Bett nächtigen zu lassen", erwiderte Logophil. "nachher grassiert neben sechsbeinigem Ungeziefer noch die Sodomie. Und dies würde meinem Ruf als sittenstarker Zauberer ernsthaft schaden."

"Geschlechtliche Abwegigkeiten könnt Ihr durch getrennte Bettstätten nicht ausschließen, Logophil. Aber ich pflichte Euch bei, daß das enge Zusammenliegen zu unerwünschten Annäherungen führen kann", sagte Serena. "Abgesehen davon müssen wir davon ausgehen, daß manche Schülerinnen von ihren Eltern aufgetragen bekommen, nicht in der Nähe von der Menstruation betroffener Mitschülerinnen zu lagern. Deshalb gehört der Tischler, der uns die übergroßen Bettgestelle hingestellt hat dazu veranlaßt, einzelne Betten zu fertigen, will er seinen Arbeitslohn erhalten."

"Gut, das soll Orion dann bestellen, da er den Tischler beauftragt hat", bemerkte Viviane dazu. Logophil grummelte:

"Es sähe diesem Lüstling ähnlich, sich vorzustellen, wie mehrere zusammen auf einem Lager liegen."

"Wobei Orion ganz klar gegen gleichgeschlechtlichkeit ist", wußte Viviane.

Wie auf's Stichwort trat der muskelbeladene, mit wildem Haupt- und Barthaar verzierte Zauberer ein und polterte: "Ich mach aus diesem Tischler einen Borkenkäfer. Hat der doch glatt so'n Moggler-Herbergsbett in jeden Schlafsaal gestellt. Nachher meinen die Burschen, die bei mir wohnen, die könnten sich gegenseitig stimulieren. Neh, Leute, so läuft das hier nicht. Sind unsere Eulen schon da?" Viviane nickte. "Gut, dann kriegt dieser Holzkopf gleich einen Wutheuler von mir, daß dem die ungewaschenen Ohren vom Kopf fliegen."

"Erst will ich den Neotokographen einrichten, Orion. Dann dürft Ihr Eurer Verärgerung Raum geben", sagte Serena mit unerwarteter Strenge. Orion sah sie funkelnd an. Sein Bart bebte. Seine Oberarmmuskeln schwollen bedrohlich an. Doch sie blickte sehr streng zurück, worauf der hühnenhafte Hexenmeister fast wie ein angestochener Luftballon an Straffheit verlor.

"Ich kann den Wutheuler doch auch machen, wenn Ihr den Neokotographierer einrichtet", sagte er behutsam.

"Nicht, wenn jemand seine Wut in feste Materie verwandelt, Orion. Ich brauche harmonische Schwingungen, wenn ich den Neotokographen auf das ganze Land ausrichten möchte."

"So werde ich, um die Wucht meiner Wut nicht zu früh verklingen zu lassen, in meinen Saal gehen und diesem Holzwurm von dort aus die gebührende Antwort schicken. Wenn er auch nicht lesen kann, so wird der Zorn meiner Stimme ihm zeigen, was ich von ihm halte."

"Dann klärt dies bitte gleich, daß wir alle wünschen, in unseren Schlafsälen einzelne Bettstätten vorzufinden", schickte Logophil noch nach. Die beiden Hexen bestätigten durch Nicken. Orion verließ die Ankunftshalle wieder.

"Wenn Ihr den Neotokographen einrichten konntet, Serena, möchten wir noch gerne über unsere Säulen sprechen, ob wir sie erst bei Beginn der Schulzeit oder davor bereitmachen", sagte Logophil. Viviane nickte beipflichtend. Serena stimmte dem zu und ging in das Arbeitszimmer, wo auch ein Strohsack lag.

"Das war das einzige was dem abartig war, wenn Jungs mit Jungs rummachten", bemerkte Millie. Julius nickte und meinte dann leise, daß Orion auch was gegen Geschlechtertausch gehabt hätte. Millie sah Julius fragend an. Doch dieser blieb ungerührt.

Jetzt konnte er sehen, wie das magische Gerät, daß die Geburt neuer Hexen und Zauberer zeigte, aussah. Es war ein großer Kasten aus silber, auf dem Runen für Leben, Mutter, Vater, Neu und die Himmelsrichtungen als Einlagen aus Gold angebracht waren. Innen konnten sie ein Räderwerk mit mehreren Federn, sowie sechs dicken Rollen erkennen, einer himmelblauen, einer hellrosafarbenen, einer grünen, einer gelben, einer orangen und einer tiefroten. Er verfolgte sehr interessiert mit, wie die künftige Heilerin und erste Zaubertranklehrerin von Beauxbatons die Vorrichtung bezauberte. Sie bestrich die Himmelsrichtungsrunen und belegte sie mit Spürzaubern für neues magisches Leben und kalibrierte dann die anderen Runen durch entsprechende Zauber, daß sie leuchteten. Dann bestrich sie die sechs Rollen im Kasten und murmelte "Semper Recresco, numquam vanesco!"

"Den hat sie erfunden, Julius. Der Schreibrollenzauber, mit dem auch der Schlüsselüberwacher geht, wo eine Rolle Pergament aus umgebenden Erdreich neues Material bekommt und nie ausgeht."

"Natürlich, der nie versiegende Schreibrollenzauber", erinnerte sich Julius. Er hätte fast gesagt, daß der im Buch "höhere zauberkunst" erwähnt wurde, um magische Mitschreibvorrichtungen dauerhaft zu betreiben. Dazu gehörte auch ein sich ständig nachfüllendes Tintenfass. Das bezog seine Tinte jedoch aus einem unbehandelten Faß, das von Hand nachgefüllt werden mußte. Wenn das aber groß genug war und nicht alle zwei Stunden ein Zaubererkind geboren wurde konnte sowas schon über Monate vorhalten. Jedenfalls bezauberte Serena das Gerät mit weiteren magischen Feinheiten, wobei Julius auch die Schreie von Babys oder das Stöhnen und Schreien von gebärenden Frauen zu hören meinte. Offenbar mußte die Heilerin die gedanklichen Komponenten dieser Zauber sehr intensiv einwirken. Jedenfalls leuchtete irgendwann der ganze Kasten. Serena bat Viviane zu sich. Die beiden ritzten sich ihre Finger blutig und ließen ihren Lebenssaft in den Kasten träufeln. "Per Sanguinem Matrium Matres infantesque suos agnosceto!" Beide wiederholten diesen Zauberspruch siebenmal. Dann kam noch Orion dazu, der seinen Wutheuler losgeschickt hatte und ergänzte die Bezauberung mit "per Sanguinem Patrium Patres Infantesque suos agnosceto!" Als sie dann beide Elterngeschlechter vereinbart hatten, riefen sie drei: "Initiate Incantattem!" Darauf ruckelte der Kasten. als Serena ihn schloß, glühte er einige Sekunden lang auf. Dann war er nur ein Metallkasten mit einem Schlitz im Deckel. Der Kasten wurde unter dem Tisch befestigt. Später, so wußte Julius, würde das Ding nicht mehr zu sehen sein, weil ein neuer Schreibtisch es vollständig abschirmte.

"Einige Jahrzehnte später wird wohl was ähnliches in Hogwarts eingerichtet", meinte Julius zu Millie, während die Umgebung verschwamm und sie wieder auf dem Hof standen. Gerade wurde der rote Ausgangskreis mit Aktivierungszaubern belegt. "Alle Verbindungen sind nun möglich", sagte ein hochgewachsener Zauberer mit schwarzem Haar, der Julius irgendwie an Florymont Dusoleil denken ließ. Doch es war Vivianes Ehemann, der wegen der Schulgründung ein ganzes Jahr lang kein privates Wort mehr mit seiner Frau gewechselt hatte, wie Julius der Eauvive-Chronik entnehmen konnte.

"Dann rufen wir die ersten Schüler zusammen", befand Viviane. Sie ging als erste mit der Reisesphäre auf Reisen.

"Waren die damals schon so eingerichtet wie heute?" Fragte Millie.

"Laut der Schulchronik wurden sie zwischen 1350 und 1402 noch einmal überarbeitet, um nur noch den rein französischsprachigen Raum abzudecken, Millie. Früher reichte das Frankenreich wesentlich weiter, sogar nach Deutschland. Aber sie haben sich schon früh auf das sogenannte Westfränkisch festgelegt."

"Wie können wir diese uralte Sprache überhaupt verstehen", wunderte sich Millie.

"Weil das Serenas Muttersprache ist. Alle vom Spender der Erinnerung verstandenen Laute versteht auch der Besucher. Habe ich gelesen, als es darum ging, das Denkarium zu bauen", erwiderte Julius. "Und wenn der Besucher der Erinnerung jemanden in einer Sprache sprechen hört, die der Erinnerungsspender nicht kann, der Besucher aber versteht, klappt das trotzdem mit der Verständigung. Aber ich glaube, das hier wird jetzt richtig interessant. Wenn ich mich nicht ganz täusche, schreiben wir gerade den einunddreißigsten August achthundertsechsundsiebzig."

Die ersten Schüler trafen ein, allerdings nicht in einheitlichen Umhängen, sondern in Umhängen ihrer Wahl und Preisklasse. Noch waren Jungen und Mädchen zusammen. Doch die sechs Gründer würden das sofort ändern, wenn alle da waren. Zunächst waren es nur zweihundert Schüler. Noch galt keine magische Schulpflicht und noch hatten sie kein System, muggelstämmige Schüler aufzunehmen. Das würde sich erst in den nächsten fünfzig Jahren entwickeln, erläuterte Julius seiner Frau.

"Ich habe auch ein wenig in der Schulchronik gelesen, Julius", grummelte Millie, der es offenbar wichtiger war, die Erinnerung an die Schulgründung nun unkommentiert mitzuverfolgen. So bekamen sie mit, wie die zweihundert Schülerinnen und Schüler in den damals noch ohne Teppichboden ausgeschmückten Speisesaal geführt wurden, wo die sechs Gründer sie durch Augenschein für ihre Häuser auswählten. Die direkten Verwandten kamen in die entsprechenden Säle, sofern das Geschlecht des Gründers mit dem des Schülers übereinstimmte. So landete ein schmächtiger, gerade zehn Jahre alter Knirps mit Vivianes Haar- und Augenfarbe bei Donatus vom weißen Turm im Saal. Das war Ascanius Eauvive, erkannte Julius. Serena Delourdes nahm ihre Nichte und ihre ältere Tochter in ihrem Saal auf und setzte sie an den gelben Tisch, der wie der grüne doppelt so groß war wie die vier übrigen Tische. Dann hielt Donatus vom weißen Turm eine kurze Ansprache, in der er sich bei seinen Mitstreitern bedankte, daß sie heute, eben am 31. August 876, eine neue Ära der magischen Bildung einleiten würden. Serena Delourdes durfte danach das Wort ergreifen:

"Mir ist es wie meinem hochgeschätzten Vorredner ein außerordentliches Vergnügen, Euch alle an diesem geschichtsträchtigen Tage in diesen Mauern willkommenheißen zu dürfen. Ich, Serena Delourdes, fühle mich geehrt und berufen, mein möglichstes zu tun, um die erste auf dem europäischen Festland gegründete Lehranstalt für die Ausbildung mit Magie begabter Jungen und Mädchen zu einem die Jahrhunderte überdauernden Erfolg heranreifen zu lassen. Wenn ich Euch nun so betrachte, so lese ich in den meisten Gesichtern Unsicherheit und in einigen Angst und Heimweh. Eure hochgeschätzten Eltern setzen ihre Hoffnungen darauf und ihr Vertrauen in uns, daß wir Euch alle ohne Ausnahme zu vollwertigen Mitgliedern der Magischen Welt erziehen. Ihr werdet hier und von uns lernen, wie Ihr Eure Zauberstäbe gebrauchen müßt, Euch mit den Lebensbedingungen magischer Tiere beschäftigt und welche Zauberkräuter es gibt. Natürlich gibt es auch Unterweisungen in der Bereitung und Verwendung magischer Tränke, Lösungen und Salben. Für dieses Fachgebiet werde ich zuständig sein. Aber ich bin hier auch als Magistra artium Magicae medicalis, als geprüfte und erfahrene Heilhexe. Als solche will und werde ich die Unversehrtheit und das Wohlbefinden jedes einzelnen von Euch bewahren und erhalten oder wenn doch ein Leid jemanden ereilt die mir bekannten Kuren dagegen anwenden. Noch einmal herzlich willkommen in Beauxbatons!" Die Schüler nickten nur. Zu klatschen wagte keiner. Oder es war damals noch nicht so weit verbreitet, um Begeisterung oder Anerkennung zu zeigen. Jedenfalls klappte das mit den Hauselfen schon, erkannte Julius, als auf den Tischen die vollen Platten, Terinen, Schüsseln und Brotkörbe erschienen. Zwei Musiker, eine Hexe an der Harfe und ein Zauberer an der Schellentrommel machten Tafelmusik.

Julius studierte die Versammlung an den Tischen. Am einzigen rechteckigen Tisch saßen die sechs Gründer und deren Ehepartner, schön nach Geschlecht getrennt. So war es für Julius nicht sofort möglich, die Hexen den Zauberern zuzuordnen. Nur bei Magistra Eauvive gelang ihm das auf Anhieb, weil er deren Mann, der wesentlich älter als sie war, aus der Eauvive-Familienchronik kannte. Millie half ihm bei der Frau von Orion, die eine feuerrote wilde Mähne trug und schon ziemlich rund aussah. "Messaline, Julius. Sie stammt von der Insel Korsika. Viele behaupten, sie sei eigentlich ein in eine Frau verwandeltes Kaninchen, weil Orion keine fand, die so oft mit ihm auf den Strohsack wollte, wie er's gerne hätte. Die hält den Rekord mit fünfzehn lebenden Kindern und hat Orion wohl als Helferin bei seinem am meisten umstrittenen Buch geholfen."

"De Amore Calidissimo", fiel es Julius ein. Sie kannten das Buch. Millie und er hatten es mit der großen Truhe der Whitesands geschenkt bekommen. Außerdem hatte er so seine speziellen Erfahrungen mit einem bestimmten Exemplar gemacht.

"Du kennst das Buch ja. Deshalb wird das ganz sicher mit uns beiden in den nächsten dreißig Jahren nicht langweilig", erwiderte Millie. Ein geisterhaftes Räuspern, das nicht ganz zufällig nach Madame Faucons Stimme klang, schwebte kurz zu ihnen heran. Millie sah Julius verdrossen an und flüsterte: "Die soll sich nicht so haben, wir sind verheiratet." Laut sagte sie: "Sieht auch so aus, als wenn die ausdauernde Messaline gerade mit Orions Kindern neun, zehn und elf schwanger wäre. Die hat nämlich einmal Drillinge bekommen, zwei Jungs und ein Mädchen."

"Die hat nicht zufällig Unterricht Körper und Leben humaner Zauberwesen gegeben?" Fragte Julius. Millie kicherte, während aus der Ferne die Antwort wie von einer alles überblickenden Göttin kam:

"Ich habe die betreffende Szene ja gesichtet. Es trifft zu, daß Orions Gattin zur Schulgründung drei Kinder trug. Und nein, Monsieur Latierre, sie erteilte keinen Unterricht. Außer den Gründern gab es in den ersten dreißig Jahren keine weiteren Lehrer und auch keinen hauptamtlichen Schulleiter. Sie wechselten sich jedes Jahr ab, wobei Serena diese Ehre nie beanspruchte, um ihren Heilerinnenpflichten nachzukommen."

"Ich las das, daß die Eltern von Schülern, die nicht aus den Familien der Gründer stammten immer wieder meinten, ihre Kinder würden denen der Gründer gegenüber benachteiligt", erwiderte Julius, während Millie kraft ihres Willens scheinbar um den Tisch herumging und Messaline auf den dicken Bauch zu klopfen versuchte und mit ihrer Hand unter der Bauchdecke verschwand. "Hui, die ist ja ein Geist", sagte sie. "Aber ich fühle ihre Körperwärme."

"Ich hab's dir doch gesagt, daß die Leute hier uns nicht mitkriegen, weil wir die nicht anfassen oder mit denen reden können. Warum die Wände und der Boden allerdings fest sind weiß ich auch nicht so recht."

"Fixpunkte der Erinnerungen, die nicht durch ständige Handlungen verändert werden können", kam die überirdische Antwort der in der Gegenwart verbliebenen Schulleiterin.

"Wenn deine Mutter so auf Mädchennamen mit M steht, weil ihr drei ja alle mit M anfangt, warum kam sie nicht auf Messaline?"

"Das fragst du sie bitte selbst, wenn du sie direkt sprechen kannst. Ich kenne die Antwort zwar, seitdem ich von der hier weiß", wobei Millie behutsam über Messalines wilde Mähne strich. "Aber ich würde dir die Überraschung verderben, wenn sie dir das mal erzählt."

"Ich suche Serenas Mann", sagte Julius so laut, daß es die Schulleiterin hören konnte.

"Da Magistra Delourdes die ihn betreffenden Privaterinnerungen nicht im großen Denkarium lagerte, sage ich Ihnen, daß es der Zauberer ist, der am weitesten von Orion entfernt sitzt. Zumindest hat die gemalte Magistra Delourdes mir dies so bestätigt."

"Hui, nicht gerade ein schmächtiger Bursche", stellte Julius fest, als er den für damalige Verhältnisse hühnenhaften Mann sah, der längenmäßig Orion glich, aber nicht so muskelüberladen wie dieser war, wenngleich er kein Hänfling war. Er besaß goldblondes Haar und himmelblaue Augen, konnte also als nordischer Heldentyp durchgehen. Womöglich war das der Grund, warum er sich tunlichst weit genug von Orion hielt, weil er diese Rolle nicht zu spielen bereit war, dachte Julius aus der Sicht eines Jungen, der weiß, wie leicht es Krach wegen nur Kraft oder nur Gehirn geben konnte. Julius wollte natürlich auch wissen, wie Serenas Mann hieß, den Millie gerade mit dem abtastenden Blick einer erwachsenen Frau prüfte. "wird Sie vielleicht belustigen, Monsieur Latierre, Julian Arion. Er beherrschte die alten Bardenlieder der Kelten, konnte also auch über Gesang Magie wirken wie ein gewisser Señor Colonades, dem Sie unter nicht ganz erfreulichen Umständen begegneten", bekam er die Antwort von außerhalb des Denkariums. "Leider beherrschten Sardonia und ihre gelehrige Schülerin Anthelia diese Kunst auch, und es ist zu befürchten, daß Anthelia neben der Züchtung der Entomanthropen auch diese Zauberlieder behalten oder neu erlernt hat."

"Da haben wir es, Millie, der hatte wohl ständig Zoff mit Orion, weil der so'n Haudrauf-Zauberer war, während Julian Arion ein Musiker und Künstler war."

"Hat dabei aber auch sieben Kinder mit Serena hinbekommen. Gute Musiker haben ja Ahnung vom Rhythmus", warf Millie ein. Wieder ertönte ein leicht ungehaltenes Räuspern. Julius lief um den Tisch herum und flüsterte seiner Frau ins Ohr, besser nicht zu viele für Madame Faucon unerwünschte Sachen zu erwähnen, weil die sonst entweder die Zeitreise vorzeitig abwürgen oder ihnen danach mehrere hundert Strafpunkte aufladen würde. Millie grinste überlegen und flüsterte zurück: "Dann hätte die das schon gemacht, Monju. Die kann es nicht begründen, daß es in unseren Wertungsbüchern für alle Zeiten geschrieben stehen kann, weil sie ja sonst auch erzählen müßte, daß wir uns in einem Denkarium über die Gründer ausgelassen haben." Dem konnte Julius im Moment nicht widersprechen.

"Das ist schade, daß wir nichts von dem essen können, was in den Terinen ist. Wieso können wir das riechen und anfassen, aber nicht wegnehmen?"

"Weil ich nicht weiß, wo der rechte Mausknopf ist, um die Sachen zu markieren, um sie zu uns rüberzuziehen", erwiderte Julius. Millie lachte. Sie verstand mittlerweile genug von modernen Computern, um Julius' Witz zu verstehen. "Wir kriegen alles mit, was Serena mit ihren Sinnen mitbekam, eben nur, daß wir uns um sie herum bewegen und uns sogar bis zur Sichtweitengrenze entfernen können. Aber machen können wir hier nichts als zugucken und hinterherlaufen", fügte Julius noch an und lauschte nun weiter auf die Unterhaltungen. Julian Arion mied den Blickkontakt mit Orion, der immer wieder Viviane und eine Hexe im blauen Rüschenkleid mit schwarzen Locken ansah, die Julius nicht kannte, bis er sie fragte, was sie heute noch vorhatte. Dadurch bekam er mit, daß es sich um Logophils Ehefrau handelte. Sie errötete heftig und schlug sich die Hände vor's Gesicht, während Logophil vom hohen Tal den Kollegen anfuhr, daß seine Frau nicht in die berüchtigte Sammlung seiner unverbindlichen Nächte einzug finden würde. Orion feixte dann, daß die dann ja lernen könnte, wozu sie ihren Körper besaß, wo er sie offenbar nur als Dekoration und Zuhörerin sah.

"Euer höchst fragwürdiges Liebesleben mag für Euch ein Gegenstand öffentlicher Erheiterung und Bewunderung sein, Orion. Aber das intime Leben meiner Frau und mir geht niemanden etwas an, damit Ihr dies ein für alle mal in Eurem Kopf behaltet, sofern das diesem innewohnende Organ nicht in Ermangelung ausreichender Forderung verkümmert ist." Millie und Julius lachten, ebenso Orions Frau, sowie Petronellus und eine Hexe, die diesem einen kecken Blick zuwarf, so daß Millie und Julius auch wußten, mit wem diese verbandelt war.

"Nur kein Neid, Kollege Logophil, weil ich mir meiner Männlichkeit vollauf bewußt bin und das ohnehin schon kurze Leben in vollen Zügen genießen kann, während Ihr Euch hinter Pergament und Tinte versteckt. Ihr säßet heute noch in eurer Bibliothek, wenn wir nicht so entschlossen gewesen wären, daß diese Schule ohne einen Zauberkunstkundigen und Kenner der alten Sprachen und Schriften unvollständig wäre", erwiderte Orion so laut, daß es bestimmt auch an den Schülertischen zu hören war, wo im Moment jenes Phänomen wirkte, das die alten Römer Silencium edax nannten und nicht-Lateiner schlicht als "Gefräßiges Schweigen" kannten. So kam es, daß die älteren Söhne Orions lauthals mitlachten, als Petronellus und ihre Mutter lachten. Orion sah sie an und bellte: "Ey, ihr habt da nicht so blöd zu lachen. Paßt bloß auf, daß ihr hier die ersten drei Tage übersteht, wenn wir morgen anfangen."

"Eure Söhne", schnarrte Logophil vom hohen Tal. Julius konnte dazu noch einen lateinischen Spruch aus dem Buch seiner Mutter anbringen: "Quod licet Iovi non licet bovi. Was dem höchsten gewährt, ist dem Rindvieh verwehrt."

"Könnte glatt der Wahlspruch von Beaux sein", flüsterte Millie zurück. Julius beließ es nur bei einem Grinsen. Millie bedauerte es nun ein wenig, nicht in die laufende Unterhaltung eingreifen zu können. Sie hätte sich gerne mit Messaline Lesauvage unterhalten. Doch diese führte eine Unterhaltung mit der Frau von Petronellus. Millie empfand es als nicht so wichtig und lief zu den anderen Tischen hinüber um zu hören, was die Schüler so miteinander beredeten. Julius verfolgte eine Weile ein Gespräch zwischen Logophil und dem Mann Vivianes über die Vor- und Nachteile ritueller Zauber und durch einzelne Worte wirkbarer Magie. Er hörte dabei auch etwas von den vier Mysterien, die die neuere Zauberei immer noch für unlösbar erachtete: Das Leben an sich, die Entstehung der Seele, der Lauf der Zeit und der Tod. Die Frage, warum Menschen und Tiere sterben mußten und was wäre, wenn Menschen den Tod aus ihrem Leben verbannen könnten klang sehr interessant. Julius wußte jedoch, daß das Thema Unsterblichkeit auch der Aufhänger für schwarzmagische Experimente war. Und als habe er doch Gedanken der hier sitzenden beeinflußt warf Serena von ihrer Seite des Tisches ein:

"Nun, ob wir uns der christlichen Schöpfungslehre oder den Geschichten der Kelten, Griechen und Inder bedienen ist allen doch gemeinsam, daß jeder Versuch, das eigene Lebensende zu verdrängen, immer mit Opfern außenstehender verbunden ist. Ihr kennt ja wohl Berichte von Wesen, die unsterblichkeit oder eine sehr lange und unverwüstliche Lebensspanne ihr Eigen nennen und wißt auch, daß diese Wesen die Ausgeburt finsterer Kräfte sind, die wahrhaft menschliche Wesen niemals freiwillig anrühren dürfen. Denn sie fordern immer einen hohen Preis von dem, der sich ihnen anvertraut. Er oder sie wird zunächst der Illusion verfallen, diese Kräfte nach dem eigenen Willen rufen und lenken zu können. Doch später folgt immer die gnadenlose Erkenntnis, sich einer Sucht ausgeliefert zu haben, die nur noch der Tod heilen kann. Ich hoffe sehr, Ihr werdet unsere Eleven nicht darauf bringen, in der magisch erkauften Unsterblichkeit das Heil zu sehen, wenn diese immer mit dem Tod anderer zu tun hat."

"Werte Kollegin, im Grunde leben wir Menschen immer vom Tod anderer", warf Donatus kühl ein. "Essen wir Tiere, so müssen diese für uns sterben. Essen wir Pflanzen, so müssen wir diese aus der nährenden Erde graben und für unsere Speisen zerschneiden, woran sie eindeutig sterben, bevor wir sie kochen oder braten. Die Wesen, die Ihr meint, existieren nur, weil jemand vor langer Zeit experimentiert hat, um unverwüstliche Diener zu werben oder dem eigenen Dasein vielfache Dauer zu geben. Deshalb ist uns das bekannt, daß die bisher einzig beschrittenen Wege zur Unsterblichkeit durch tiefe und tückische Finsternis führten und immer schmaler zwischen ungnädigen Klüften verliefen. Wir sind uns einig, daß wir in dieser Akademie die magischen Wege des Miteinanders lehren wollen, auch wenn wir unseren Eleven bbeizubringen haben, wie die dunklen Kräfte wirken und wie sie zu bekämpfen sind."

"Der beste Weg der Gegenwehr ist nun mal der Angriff", mußte Orion einwerfen. Julius dachte, daß dieser Spruch also schon über elfhundert Jahre alt war. Wahrscheinlich hatten die Bewohner Altaxarrois ihn schon gekannt.

"Ich fürchte, ich werde dieser Einstellung von Euch eine Menge kranker Schüler verdanken", grummelte Magistra Delourdes.

"Klar, die Heiler schweben über allem und meinen, durch gutes alleine die Welt erhalten zu können. Aber die Welt funktioniert so nicht. Sonst könntet Ihr ja einen Trank brauen, der den Tod von Pflanzen und Tieren vermeidet, um Menschen am Leben zu halten. Aber aus was für Bestandteilen sollte der bestehen?" Petronellus lachte darüber und sah Logophil an.

"Na, der große Ochse Orion hat doch noch Hirn im Schädel", feixte er dem ausgewiesenen Bücherwurm Logophil zu.

"Und Mumm in den Armen, Petronellus. Ich hoffe, Eure Arme und Beine halten dies aus, solltet Ihr mich verärgern", schnaubte Orion. Julius erkannte, daß hier die Keimzelle vieler Schulhofstreitereien der Blauen und Roten gelegt wurde. Er dachte an Hogwarts, wo nur Slytherin derjenige war, der nicht so wollte wie die anderen. Dann sah er Millie, die ihm zuwinkte. Er lief zu ihr, die gerade am gelben Tisch stand und wohl einigen Mädchen zuhörte. Sie deutete auf ein gerade wohl dreizehn Jahre altes Mädchen mit seidenweichem, braunen Haar, das ein meergrünes Kleid trug.

"Eine deiner Urmütter, Lavinie Delourdes, Julius. Und bei den Grünen sitzt Clarimonde Eauvive, von der du und ich über vierzig Ecken auch abstammen, weil sie Messalines zweitjüngsten Sohn heiraten wird, der zu der Zeit, wo wir gerade sind, noch in ihr drinsteckt."

"So'ne Zeitreise hat schon was", sagte Julius. "Und wir können nicht in die Vergangenheit reinfuhrwerken, was das gefährlichste bei Zeitreisen ist."

"Ja, stimmt. Wenn Lavinie statt Ascanius dich haben wollte würde es peng machen und dich nicht mehr geben", erwiderte Millie sehr beunruhigt. Julius mußte wieder einmal erkennen, daß seine Frau keine rein gefühlslastige Hexe war, sondern durchaus logisch denken konnte, wenn sie das wollte.

"Stimmt, dann müßte ich die beiden noch zusammenbringen, bevor die mich mit einem Liebestrank vergessen läßt, daß ich deren x-fach-Urenkel bin. Anders ginge es nur, wenn du und ich die Plätze von in dieser Zeit lebenden Leuten einnehmen würden. Dann könnte es sogar sein, daß wir die Voraussetzungen schaffen müßten, daß es uns überhaupt gibt. Zeitreisegeschichten geben eine Menge Möglichkeiten her."

"haben die Säulen ja gezeigt, wie schnell da echtes und rein erfundenes zusammenlaufen kann"", erwiderte Millie. Dann meinte sie: "Wo ich die beiden Mädels hier so hübsch sitzen sehe beschließe ich mal, daß ich deren Namen für die Töchter drei und Vier festlege."

"Frage Oma Line, wie die mit mehr als vier Töchtern klarkommt", lachte Julius, als Orion gerade vom Lehrertisch aufsprang und zum roten Tisch hinüberlief.

"Bursche, du hast meine Frau nicht so anzuglotzen, nur weil die gerade meine jüngsten Kinder rumträgt. Die gehört nur mir, klar?"

"Habe ich gesehen", knurrte ein knapp sechzehn Jahre alter Jüngling mit rotbraunem Haar, dessen Gesicht Julius an Jeanne Dusoleils Mann Bruno erinnerte. "Ich geh nicht an Weiber, die schon anderer Kerle Kinder ausbrüten." Dafür bekam der Junge eine schallende Ohrfeige, daß er polternd von seinem Stuhl fiel.

"merk dir das, daß du die Augen und was du sonst schon hast von meiner Frau läßt, Ambrosius", hörten sie alle Orion wie einen wütenden Hofhund blaffen. Dann kehrte er zum Lehrertisch zurück, während Ambrosius sich mit verzerrtem Gesicht auf seinen Stuhl zurückwuchtete, dümmlich belacht von den anderen Jungen.

"Tolle Einstellung", knurrte Julius. "Allen Frauen was weggucken aber sofort draufhauen, wenn ein anderer Bursche die eigene Frau genauer ansieht, weil der Bursche noch keine Schwangere von außen gesehen hat", grummelte Julius hoffentlich leise genug, um Madame Faucons Unmut nicht herauszufordern. "Und von dem stammen wir zwei irgendwie ab."

"Ja, merkst du's , daß du auch bei uns hättest hinkommen müssen wie Gaston?" Schnurrte Mildrid. Julius antwortete nicht darauf.

Das restliche Willkommensfest war ein herumlaufen zwischen den Tischen. Millie und Julius studierten ihre weit zurückreichenden Vorfahren, sofern schon eingeschult und kehrten an den Lehrertisch zurück, wo Serena gerade mit Viviane darüber sprach, wie die angehenden Hexen in häuslichen Dingen und althergebrachten Fertigkeiten unterwiesen werden konnten. Denn damals galt noch eine strickte Rolleneinteilung, dernach Hexen für alles Leben erhaltende und den Schutz von Natur und Mensch eintraten, sofern sie nicht den dunklen Künsten zuneigten und Macht über Mensch, Tier und Pflanze anstrebten. Zauberer wirkten als Berater von Herrschenden, schufen neue magische Objekte oder züchteten die später so weit verbreiteten Zaubertiere, sammelten und verbreiteten magisches Wissen, wie im guten, so im Bösen. Hexen betreuten werdende Mütter, deren Kinder und sammelten Heilkräuter. Zwar konnten Hexen wie Zauberer Heiler werden, mußten dafür aber von gleichgeschlechtlichen Mentoren unterrichtet und auf ihre Aufgaben hingeführt werden. Allerdings gab es mehr Hexen, die zu dieser Zeit die Heilmagie praktizierten als Zauberer. Das würde sich erst in den kommenden zwei Jahrhunderten auspendeln, um dann, während der großen Hexenverfolgungen und daaraus resultierend wegen Sardonias dunkler Herrschaft für mindestens zwei Jahrhunderte in die andere Richtung auszuschlagen, wußte Julius aus der Zaubereigeschichte.

Als das Festessen schließlich beendet war, folgten Millie und Julius Serena in Richtung eines Wohntraktes. Doch bevor sie diesen betreten konnten, verschwamm die Umgebung in einem grauen und dann schwarzen Dunst, um dann neu zu entstehen. Sie waren in der anschließenden Erinnerung. Hier erlebten sie Serenas ersten Schultag als Lehrerin mit, wie sie die erstklässler, die damals gerade zehn waren, mit den ersten Schritten zur Herstellung von Zaubertränken vertraut machte. Sie bekamen mit, wie sie Mädchen gegenüber anders auftrat als Jungen gegenüber. Bei Mädchen wirkte sie anspornend und aufmunternd, während sie Jungen häufiger zurechtwies und darauf stieß, daß sie ein besonderes Privileg genossen, diese wichtige Ausprägung der Magie zu erlernen. Julius und Millie fürchteten schon, daß sie auch in Echtzeit einen Tag verbrachten. Doch Julius konnte sie beruhigen, daß er bei seinen ersten Denkarium-Reisen in seiner eigenen Erinnerung auch ganze Tage in wenigen Minuten erlebt hatte. Offenbar fand ohne Einflüsterungen von außen eine Art Schnellablauf im Kopf statt, den die Denkarium-Reisenden nicht mitbekamen, bis etwas von außerhalb ihre Zeitempfindung wieder an den natürlichen Lauf anpaßte. Sie bekamen auch mit, daß Serena und Viviane sich bei der Hofaufsicht abwechselten, wobei die Mädchen streng von den Jungen getrennt die Pausen verbrachten.

Eine Erinnerung weiter bekamen sie mit, wie Serena die Unterlagen über Fähigkeiten und Betragen der neuen Schüler studierte und sich einige Namen notierte. Offenbar suchte sie die aus, die zu ihrer Pflegehelfertruppe gehören sollten. Denn diese, so wußten es die beiden Erinnerungsreisenden, war knapp einen Monat nach der Schulgründung entstanden.

"Ob wir die Geburt von Faunus mitkriegen, Julius?" Fragte Millie ihn, wenn sie Messaline Lesauvage mit Serena zusammen sahen und hörten, wie Orions Frau von der Gründungsmutter untersucht und/oder beraten wurde. Voraussichtlich würde sie zwischen dem vierzehnten und zwanzigsten Oktober ihre Drillinge bekommen, fünf Wochen vor der üblichen Geburt von einzelnen Kindern. Doch zunächst bekamen die beiden mit, wie Serena aus erst hundert immer weniger Namen aussortierte, bis sie endlich sechs übrig hatte, aus jedem Saal einen, vier Jungen und zwei Mädchen.

"Die ersten Pflegehelfer, Julius", sagte Millie überflüssigerweise, als Julius über Serenas Schulter mitlas, daß Lavinie Delourdes, Clarimonde Eauvive, Lothaire Dubois, Melampus Vendredi, Cygnus Dulac und Marinus Pontier die Vertreter ihrer Säle waren, die in diese so hoch angesehene Truppe aufgenommen wurden, auf deren Geschichte in den nächsten zehn Jahren ein dunkler Schatten fallen sollte, weswegen die beiden Latierres überhaupt in dieser Erinnerungsabfolge unterwegs waren. Sie bekamen mit, wie die Pflegehelfer lernten, das Wandschlüpfsystem zu benutzen, wie Serena mit ihrem Zauberstab und der bis zur Gegenwart geläufigen Vorrichtung abstimmte, wer mit welchem Armband oder Beinband versehen war. Dann übersprangen sie einen ziemlich großen Zeitraum. Messalines Kinder waren bereits auf der Welt. Offenbar, so feixte Julius leise, hatte sich Clarimonde schon in Faunus verliebt, als dieser gerade an der frischen Luft war. Zehn Jahre trennten die junge Schülerin von Orions zweitjüngstem Sohn. An den Babys wurden die weiblichen Pflegehelfer in Säuglingspflege ausgebildet, wobei Clarimonde sich einmal den scheinbaren Scherz gönnte, den kleinen Faunus an ihre gerade ein wenig gewölbte Brust zu legen, was von Magistra Delourdes mit einem verhaltenen Schmunzeln beantwortet wurde. Die männlichen Pflegehelfer lernten sofortige Heilzauber gegen Schnitt-, Platz und Schürfwunden so wie kleinere Knochenbrüche. Das war auch dringend nötig, weil die Schüler häufiger bei Versuchen, sich mit irgendwelchen Sachen zum fliegen zu bringen abstürzten. Millie und Julius wußten, daß brauchbare Flugbesen erst um 890 in Mode kamen, wenn bekannt war, wie die Flugzauber ausbalanciert werden konnten. Häufiger kamen auch Verletzte, die von Orion und Petronellus zur Strafe verurteilt wurden, einander magisch niederzukämpfen, sofern es Zauberer waren und sich um irgendwas gezankt hatten. Auch landeten viele Jungen mit Schnittwunden von Peitschenhieben oder schweren Prellungen bei Serena. Dann durchlebten Millie und Julius einen Wintertag, an dem die Eltern ihre Kinder besuchen und in die Ferien mitnehmen konnten. Diese wurden nicht Weihnachtsferien, sondern Wintersonnenwendferien genannt, weil es noch sehr viele Hexen und Zauberer gab, die sich der keltischen Religion verbunden fühlten und was gegen die Umwidmung ihres Lichterfestes zum Geburtstag des christlichen Heilandes hatten, zumal die immer mächtiger werdende Kirche in Rom die Zauberei als Teufelswerk verurteilte.

"Das wird drei Generationen dauern, bis die Schüler nur noch über die Ausgangskreise zu ihren Eltern geschickt werden", sagte Julius seiner Frau, als die Schüler in Kutschen, die von fliegenden Pferden gezogen wurden, abreisten. Einige Elternpaare apparierten Seit an Seit, wenn sie mit ihren Kindern vom Schulgelände herunter waren. Die beiden Latierres bekamen mit, daß neben den Prügel- und Arbeitsstrafen nun Strafpunkte eingeführt wurden. Damals galt noch, daß wer die meisten Strafpunkte im Jahr kassiert hatte im nächsten Schuljahr nicht mehr wiederkommen mußte. Natürlich lief so etwas ganz neues wie Beauxbatons nicht ohne organisatorische Probleme ab. So beschwerten sich Eltern bei Serena, daß ihre Kinder häufig nur vor leeren Klassenräumen herumstehen konnten, weil nur sechs Lehrer keine zweihundert Schüler unterrichten konnten. Andere hatten was gegen die Einteilung der Klassenstufen, weil sie fanden, daß ihr Sohn oder ihre Tochter schon besser als die Klasse oder noch nicht weit genug für diese hohe Anforderung war. Offenbar war das Serena wichtig gewesen, für kommende Generationen im Denkarium auszulagern. Julius fragte sich, ob das nun über ein Schuljahr weitergehen würde. Da wechselten sie in eine Erinnerung, in der Serena offenbar seit zwanzig Wochen schwanger war und Messalines Drillinge bereits laufen und sprechen konnten. Millie schnurrte ihm zu, daß Serena dafür wohl noch Zeit gehabt habe. Lavinie und Clarimonde waren nicht mehr die einzigen Mädchen in der Pflegehelfertruppe. Denn da kamen zehn Jungen und Mädchen in den Besprechungsraum. Julius sah Lavinie an, die zierlich aber fast voll erblüht war und meinte zu Millie: "Jetzt weiß ich, warum Ascanius so auf die abgefahren ist, wenn ich auch nicht weiß, wie die sich mal ohne Aufsicht sprechen konnten."

"Posteulen gab's schon seit 850, Julius. Tante Babs hat die Geschichte der Verwendung magischer und nichtmagischer Tiere in ihrer Bib."

"Das fiel doch auf", meinte Julius. Dann erkannte er, daß er bei den zwei Frühstücksszenen, die Millie und er mitbekommen konnten, keine einzige Posteule hereinfliegen sah.

"In einer Woche werde ich mir drei neue Pflegehelfer auswählen, damit nach dem Ausbildungsende von Monsieur Pontier, Monsieur Dulac und Monsieur Dubois genug dabei sind", sprach Magistra Delourdes. "Ich habe Ihre Saalherren gebeten, mir die Namen aussichtsreicher Kandidaten zu nennen, die mindestens ein Jahr hier zugebracht haben. Ich konnte es Magister Tourrecandide und den anderen Herren abringen, daß die von mir auserwählten genug Freizeit für die theoretischen Hausarbeiten erhalten. Die Heilerzunft steht meinem Ansinnen immer noch sehr skeptisch gegenüber, Kindern unsere hohen Künste beizubringen, bevor sie nicht in allem gereift und für ihr Leben gut genug gewappnet sind. Mir wäre es lieber, sie würden Unterweisungen in den Ferien bieten, bei denen von mir erwählte Kandidaten das notwendige erlernen. Aber dies ist offenbar ein Konzert für taube Ohren. Nur, damit Ihr alle wißt, daß ich mir schon Gedanken mache, wie diese nun gut eingearbeitete Gruppe fortbestehen kann."

"habt Ihr den Hütern der Heilkunst nicht erzählt, daß wir von Euch schon genug lernen, um später selbst die Heilmagie studieren zu können?" Fragte Lothaire Dubois, ein schlachsiger Junge, der am Violetten Tisch saß und einmal von Orion eine ziemlich üble Kurzhaarfrisur abbekommen hatte, damit er nicht mit einem Mädchen verwechselt werden konnte.

"Beauxbatons ist für die Zunft ein Gräuel, weil hier Kinder aus angesehenen und weniger angesehenen Familien ohne Ansehen der Abstammung unterrichtet werden. Sie schwören auf Zöglinge, die bereits als Kind bei ihren Mentorinnen und Mentoren in die Ausbildung gegeben werden, wie es früher bei den Druiden üblich war", seufzte Magistra Delourdes. Ich fürchte, daß ich es nicht mehr erleben werde, daß die Heilerzunft diese Akademie als Hort großer Bildung anerkennen wird. Immerhin kommen durch die Erfassung Neugeborener Hexen und Zauberer, sowie die Erkennung magisch erwachender Kinder aus magielosen Familien immer mehr neue Schüler in den nächsten zwanzig Jahren zu uns, hoffe ich mal. Wenn Ihr wollt, daß diese Kinder von Gruppen wie der Heilerzunft oder dem Rat der Zauberer anerkannt werden, so werdet Ihr das wohl als ausgebildete Zauberer in der Welt der Erwachsenen erringen müssen."

Es klopfte an die Tür. Magistra Delourdes rief "Zutritt gestattet!" Ein kurz vor dem Ende der Ausbildung stehender Bursche aus dem violetten Saal trat ein und winkte mit einem dicken Umschlag.

"Magister Tourrecandide trug mir auf, Euch dies zu geben, Magistra Delourdes", sagte der Jüngling und verneigte sich respektvoll.

"Gut, junger Monsieur Delacour. Ihr dürft gehen", sagte die Schulheilerin und Gründungsmutter des gelben Saales. Sie wartete, bis der Bote gegangen war und berührte mit dem Zauberstab den Umschlag. Offenbar war dieser so versiegelt, daß nur die auf dem Umschlag vermerkte Empfängerin ihn gefahrlos öffnen konnte. Denn als sie den Brief aus der Hülle löste, wehte dunkelblauer Qualm aus dem Umschlag und verflüchtigte sich im Nichts. Dann nickte sie den anderen zu.

"Ihr kennt Victor Moureau, Monsieur Dubois?" Fragte die Heilerin und Lehrerin für Zaubertränke. Lothaire nickte. "Der ist gerade ein Jahr bei uns, aber schon ganz passabel in Zauberkunst und Verwandlung. Magistra Eauvive geht davon aus, daß er in zwei Jahren schon unseren Stand in Verwandlung erreicht haben könnte", sagte er ruhig. Magister Tourrecandide hat ihm bereits Zauberkunstbücher aus der Tertia ausgeliehen."

"Und von seinem Können abgesehen, wie ist sein Betragen und sein Verhalten?"

"Der ist immer sehr fleißig, Magistra Delourdes, hat sich bis heute nur zwei Strafpunkte und einen Ohrendreher von Magister Lesauvage eingehandelt." Da klopfte es erneut an die Tür, und Orion Lesauvage persönlich trat ein.

"Ihr sucht dieses Jahr nur Knaben aus, Serena. Dann nehmt diesen Lauser hier in die Lehre, weil er offenbar findet, daß er sich zu anständigen Kraftproben zu fein ist und lieber wie ein Sohn Logophils in unserer Bibliothek herumhockt, anstatt neben dem ganzen Wissenszeug seine Kraft zu üben", sagte der Leiter des roten Saales.

"Mir ist bekannt, daß Ihr der Bildung weniger abgewinnen könnt als der sogenannten Manneszucht, Orion. Ihr sprecht von Silvanus Dornier, nicht wahr?"

"Genau der. Ich habe den mindestens fünfmal angehalten, bei den morgentlichen Leibesübungen mitzumachen, die meine Burschen in Form bringen. Aber er entzieht sich dem immer wieder. Wenn der nicht bald was anständiges mit seiner Zeit macht, können dem seine Eltern ihn in Einzelteilen hier abholen, weil der nicht begreifen will, was in meinem Saal zählt und der meine Peitsche und meinen Rohrstock aushält, ohne nur einen Laut des Jammerns loszulassen."

"Ich entsinne mich, daß er schon häufiger in meine Obhut kam, weil Ihr ihm Rücken und Gesäß blutig gepeitscht habt, Orion. Aber er ist fest entschlossen, sich von einem Rohling wie Euch nicht von seinem Weg abbringen zu lassen, sein Leben der Zauberkunst zu widmen."

"Das kann er ja machen, wenn er daran denkt, daß er als Knabe auch seinen Körper in Form zu bringen hat. Wie will denn der mal eine Hexe finden, die mit ihm Herdfeuer und Lager teilt, wenn der so dürr und zerbrechlich bleibt und außer dummen Witzen und Zauberspielchen nichts anderes im Sinn hat. - Eh, Lothair und Melampus, grinst nicht so, sonst putz ich euch das aus dem Angesicht!"

"Wie Ihr mit den Bewohnern des von Euch gehüteten Saales umspringt kann ich nicht ändern, Orion", seufzte Magistra Delourdes. "Aber hier in diesem Raum habe ich Befehls- und Strafhoheit und verbiete jede körperliche Züchtigung."

"Ach ja, damit die Burschen Euch auf der Nase herumtanzen können? Nun, was Ihr versäumt kann ich dann ja in meinem Saal oder in den Stunden korrigieren."

"Das denke ich auch, wenn ich die Auswirkungen Eurer "Korrekturen" zu sehen bekomme", grummelte Magistra Delourdes. Dann sagte sie, daß sie mit Silvanus Dornier sprechen würde. Orion verließ den Krankenflügel daraufhin.

"Die Mädels hatten Glück, daß der keine von denen gehauen hat", meinte Julius. Millie zwinkerte ihm zu und fragte, ob sie gleich einen Urahnen Connies und Célines zu sehen bekämen. Silvanus Dornier hatte einen magielosen Vater und eine Hexe als Eltern, erklärte Magistra Delourdes. Dann bat sie um Vertraulichkeit und führte an, daß Silvanus eine selten vorkommende Veranlagung habe, keinen Schmerz zu fühlen. Daher, so fuhr sie fort, würden ihm Prügel und andere Körperstrafen nichts ausmachen. Er käme nur zu ihr, wenn er blute. Sie habe aber auch schon verrenkte Finger und angebrochene Knochen kurieren müssen. Julius kommentierte das in einer kurzen Pause so, daß Constance diese Veranlagung nicht geerbt hatte. Millie grinste nur.

Tatsächlich sahen sie in einer kurz darauf übergeblendeten Erinnerung drei Jungen. Silvanus Dornier war wirklich so dünn und besaß jenes schwarze Haar, daß über zig Generationen später auch Agilius Dornier und seine Töchter besaßen. Victor Moureau war hochgewachsen, hatte kurzes, hellbraunes Haar, hellblaue Augen und hohe Wangenknochen. Hermes Grandmont war ein langbeiniger stämmiger Bursche mit einer rostroten Igelfrisur und grauen Augen. Er kam aus Petronellus' Saal. Magistra Delourdes befragte die drei nacheinander, was sie später mal machen wollten und was sie davon hielten, zur Pflegehelfertruppe zu gehören. Dornier erwähnte, daß er in die praktische Thaumaturgie gehen und die Zauberstabkunde studieren und dazu den berühmten Magister Ligneus Eichenwurz in der nähe von Köln am Rhein um die weitere Ausbildung bitten würde. Julius verstand, wieso Silvanus' Nachfahren später im grünen Saal landen konnten, so vielseitig wie er interessiert war. Moureau war ein typischer Violetter, stets an Höchstleistungen interessiert und darauf aus, irgendwann als Hofzauberer beim fränkischen König anzufangen, sofern der nicht zu sehr der christlichen Lehre folgte und Zauberer für Diener des Bösen hielt. Serena meinte, daß sein Urgroßvater Abaddon das auch mal versucht habe, da aber schon wegen der sich ausbreitenden Religion fast zu Tode gesteinigt worden wäre. Victor bestätigte das. "Aber es gibt noch genug Fürsten, die einen Hofzauberer halten und sich von ihm Rat und Hilfe geben lassen wollen. Aber wenn ich nicht Hofzauberer werden kann, so dann lieber magischer Heiler."

"Nun, dann werdet Ihr hoffentlich durch mich einen wichtigen Eindruck gewinnen, wie schwer aber auch lohnend diese Betätigung ist, Monsieur Moureau", erwiderte Magistra Delourdes.

Hermes war ein Scherzbold, der nur dadurch interessant für die Heilerin war, weil er sehr bewandert in Zauberkunst und Zaubertränken war, zwei wichtige Voraussetzungen für einen Pflegehelfer.

Magistra Delourdes hatte keine Bedenken, alle drei als neue Pflegehelfer einzuteilen. Millie und Julius bekamen mit, wie sie sich mit Orion stritt, weil sie fand, daß jemand, der magisches Heil lernen sollte, nicht durch Brutalität, sondern Überzeugung erzogen werden müsse. Immerhin, so konnte Serena dem bärenhaften Zauberer und Gründer des roten Saales vorhalten, habe sie Silvanus Dornier dazu gebracht, daß ein Pflegehelfer in Gesundheitsangelegenheiten für andere ein Vorbild sei und nur dann gut und schnell handeln konnte, wenn er sich auch in einer guten, körperlichen Verfassung hielt. Sie verschwieg Orion, daß Silvanus sich von den Schlägen seines Saalführers kein bißchen beeindrucken ließ. Das behielt sie schön für sich.

"Ich weiß, Ihr habt Euren Kindern beigebracht, immer durch Reden und liebes Handeln was zu erreichen. Aber das sind Jungfern. Die müssen sich ihren Platz im Leben nicht jeden Tag neu erkämpfen. Das tut ihr Mann dann für sie", knurrte Orion. "Ich muß meinen Söhnen jeden Tag klarmachen, daß ein Mann nicht dadurch geachtet wird, daß ihn alle liebhaben oder nettfinden, sondern weil er weiß, was er zu tun hat, was er will und daß er willens und fähig ist, seine Ziele mit aller Härte zu erreichen, die dazu nötig ist. Wenn diese Härte fehlt, wird er auf kurz oder lang nutzlos."

"Wieviele arme Toren haben nach dieser Philosophie ihr Leben für solche Kerle geopfert, die meinten, nur durch Krieg und Zerstörung Macht erringen und Ansehen erlangen zu können?" Seufzte Serena. "Aber Ihr werdet es nicht abstreiten können, daß Silvanus Dornier dadurch, daß er eine klar umrissene Aufgabe hat, die Notwendigkeit der Körperertüchtigung sieht, die Eure derben Prügel ihm nicht beibringen konnten. Oder laßt ihr etwa zu, daß sich die von euch gezüchtigten wehren?"

"Natürlich nicht, weil ich ihr Meister bin und sie hinzunehmen haben, was ich Ihnen an Strafe zuteile", schnarrte Orion. Julius sagte dazu nur "Feiges Aas." Millie erwiderte darauf, daß Orion kein Feigling war, weil er sein Leben häufiger riskiert hatte als die anderen fünf Gründer. "Lassen wir das, Millie. Damals galt eben noch das Gesetz des Rohrstocks, sparst du mit Schlägen, verdirbst du den Knaben oder so."

"Nur, weil Silvanus nun bei Euch in dieser fragwürdigen Truppe ist bin ich noch lange nicht beruhigt, daß dieser Schlappschwanz jemals einen sicheren Halt im Leben findet, wenn er von allen weggeschupst und niedergeworfen werden kann."

"Seine geschlechtlichen Fähigkeiten und seine Einsatzbereitschaft, sich in dieser Hinsicht zu beweisen werden nicht durch ein paar Gewichthebeeinheiten und Laufübungen ermittelt oder widerlegt, Orion. Oder was soll der erniedrigende Ausdruck Schlappschwanz anderes bedeuten?" Julius und Millie grinsten.

"Welches Mädel wird mit dem was anfangen außer denen, die Ihr in eurem Saal untergebracht habt, weil die für Viviane nicht verspielt und neugierig genug sind?"

"Da habt Ihr die Antwort. Jene Jungfern aus dem von mir betreuten Saal können sich für Männer erwärmen, die nicht in der gewaltsamen Auseinandersetzung, sondern im geistigen Überblick ihren Lebensweg erbauen. Deshalb bin ich froh, Silvanus Dornier eine sehr brauchbare Alternative zum Herumschupsen und Draufhauen aufgezeigt zu haben. Ihr werdet erleben, daß Beharrlichkeit nicht aus körperlicher Stärke, sondern aus festem Willen erwächst. Und jetzt gestattet mir, daß ich mich zurückziehe. Das Kind unter meinem Herzen verlangt nach mehr Beachtung und Versorgung als mein restlicher Leib es schon tut."

"Sollte dieses Kind da in Eurem Leib ein Sohn werden, werdet Ihr euch früh genug meiner Worte erinnern", schnaubte Orion.

"Ja, um sie als mahnendes Beispiel dafür zu achten, wie ich meinen Sohn nicht erziehen oder erziehen lassen werde."

"Wenn Ihr damit liebäugelt, ihn in unserer Akademie ausbilden zu lassen solltet Ihr euch klar sein, daß ich ihn in meinen Saal nehmen könnte."

"Das wird die Macht der Schöpfung sicherlich zu verhindern wissen", erwiderte Magistra Delourdes und verlies den Arbeitsraum des späteren Schulleitertraktes.

"Bin ich froh, daß ich nicht in dieser Zeit gelebt habe, Millie. Dann wäre ich, wenn ich bei dem da reingekommen wäre, wohl nur so'n Schlägertyp geworden."

"Orion war nicht dumm. Der hatte halt nur für uns heute komische Ansichten, was ein echter Mann zu sein hat. Und wenn du ehrlich zu dir bist, siehst du manches von dem ein, was er so dahergeredet hat", erwiderte Millie.

"Daß es für einen echten Mann wichtiger ist, gefürchtet zu werden als geachtet zu werden? Das sehe ich nicht ein. Daß mir gute Ausbildung viel zu wissen nix bringt, wenn ich mich nicht auch körperlich wehren kann kapiere ich ja noch und daß es mehr Spaß macht, körperliche Sachen machen zu können, ohne sich zu heftig anstrengen zu müssen kapiere ich auch. Der ist eben das klassische Alphamännchen, ein Hund der mehr bellt als beißt, aber wenn er beißt dann richtig. Ich habe diesem Machotypen gegenüber meine ganz besonderen Ansichten, daß der kein toller und allseits geachteter Typ war. Der hat das sicher ausgenutzt, Leute rumschupsen zu dürfen, die sich nicht wehren dürfen. Hast doch gehört, wer sich wehrt kriegt noch mehr Ärger. Hier paßt wieder der Spruch vom Gott Jupiter und dem Rindvieh. So ähnlich war Snape auch drauf. Und wem der mal lange nachgelaufen ist wissen wir zwei ja."

"Ich weiß, du und Tante Trice habt sein verfluchtes Buch kaputtgemacht. Das war echt nichts, worauf der stolz sein kann."

"Schön, daß du zumindest das einsiehst, Millie. Aber dabei kam auch raus, daß der was von sich in diesem Buch eingelagert hat. Mittlerweile wissen wir zwei ja auch, wer sowas ähnliches mit sich angestellt hat und wie das ungefähr ablief. Deshalb kann ich da nicht drüber weghören, was dieser Kerl da so von sich gibt."

"Der wurde mit der Zeit ruhiger, Julius. Ma hat sich in der Bib im Château mal alle Berichte über ihn durchgelesen. Der hat auch lernen müssen, daß nur Stärke nix bringt. Dumm war der ja nie."

"Er wurde wohl halt zu häufig wegen einer einzigen Träne geohrfeigt", warrf Julius mit unüberhörbarem Sarkasmus ein. Dann fiel ihm auf, daß Serena auf ein bestimmtes Wandstück zuging. Sofort lief er ihr nach und schaffte es noch, knapp hinter ihr den Abschnitt des Wandschlüpfsystems zu erreichen. Millie war auf gleicher Höhe und gelangte mit ihm zusammen in den Krankenflügel. Doch dort verschwammen die Eindrücke wieder.

Als Millie und Julius in die nächste Erinnerung eintauchten standen sie mitten in einem brennenden Kerker und hörten laute Schmerzensschreie. Auf den Steintischen tanzten hellblaue Flammen und fraßen am Gestein des Tisches. Ein Junge mit hellblonden Haaren brannte wie eine Pechfackel. Die Heilerin beschwor Wasser von der Decke. Doch das verzischte lautstark in den tanzenden Feuerzungen. Silvanus Dornier und Victor Moureau versuchten, die lodernden Flammen mit Sand zu ersticken. Doch der Sand brannte wie Kohlenstaub und sorgte für gefährliche Verpuffungen, die mit dumpfen Knällen und herumfegenden Feuerbällen einhergingen. Dann rief Victor Moureau per Aufrufezauber - den gab es also schon - eine bauchige Flasche zu sich und entkorkte sie. Er schüttete den Inhalt vorsichtig über den Tisch, worauf die Flammen knatternd zerfaserten und sich in lustig sprühende Funken auflösten.

"Sparsam damit umgehen, Monsieur Moureau!" Rief Magistra Delourdes keuchend, als sie es schaffte, einen Wall aus Eis zwischen sich und dem brennenden Jungen zu bauen. Dann nahm sie eine ähnliche, wenn auch kleinere Flasche und goß den Inhalt behutsam über den Jungen aus, bis die ihn umtobenden Flammen restlos zersprüht waren und leichter Dampf den wegen der übergroßen Schmerzen ohnmächtig gewordenen Jungen umwehte.

"Wir müssen hier raus. Das Gefrierwasser reicht nicht, um alles zu löschen!" Rief sie, als Victor durch den weitläufigen Kerker rannte und mit dem Inhalt der bauchigen Flasche einige Tische feuerfrei bekam. Doch anderswo loderten gerade weitere Brände auf, die den Stein von Tisch und Boden wie trockenes Holz fraßen. Feuer das Stein zerstören konnte? Das war eine heftige Waffe, dachte Julius. Dagegen war jede Napalmbombe wie eine harmlos brennende Kerzenflamme. Und als ob das Feuer seine Gedanken bestätigen wollte, wuchs es innerhalb von einer Sekunde zu einem neuerlichen Inferno heran. Serena Delourdes und Victor gerieten fast in die tobenden Flammen. Die Hitze war bereits unerträglich. Weißer Rauch hing unter der Decke und senkte sich langsam wie ein bedrohlicher Vorhang über sie herab. Die Tür war zu.

"Nicht die Tür aufmachen, Victor!" Rief Magistra Delourdes, als ihr Pflegehelfer, der den Rest des magischen Löschwassers zwischen sich und das Feuer ausgoß den Türriegel ergreifen wollte. Magistra Delourdes rief mit kerzengerade nach oben weisendem Zauberstab "Casus urgentiae Fugare debemus!" Es knisterte in der Luft. Doch das war nicht das Feuer. Sie ergriff den stark verbrannten Arm des Jungen und gebot Victor und Silvanus, sich an ihrer Schulter zu halten. Sie hatten nur noch wenige Sekunden. Dann disapparierte sie mit den beiden Pflegehelfern und dem schwer verbrannten Patienten. Millie und Julius sahen noch, wie das Feuer die Tür erreichte und in wenigen Sekunden ein Loch hineinfraß, als die höllische Szene verblaßte und dem Krankenflügel Platz machte. Denn durch die Notfalldisapparition hatte Magistra Delurdes sich ja außer Sicht befördert und damit keine eigene Erinnerung mehr an das, was in dem Raum weiter passiert war. Ein dumpfer Knall ertönte von unten her, und ein wimmernder Meldezauber schlug an. Die Heilerin wandte sich einer Kupfervase zu und rief hinein: "Brenngebräufeuer im untersten Kerker. Eis- und Gefrierzauber sind einzige Löschmaßnahmen. Habe schwerverletzten Patienten." Dann wandte sie sich Victor Moureau zu. "hole Clarimonde und Lavinie dazu! Ich werde die ersten Maßnahmen zur Wiederherstellung des Jungen einleiten, wenn es noch nicht zu spät ist." Victor lief hinaus, während die Heilerin mit vorbereiteten Reinigungs- und Kühlelixieren die Brandwunden behandelte und dann mit Hautheilungstinkturen die fast nur noch schwarze Haut des Patienten zu heilen anging. Besonders die Beine waren fast nicht mehr zu erkennen. Als sie die Brandwunden mit den ersten Maßnahmen versorgt hatte, prüfte sie mit Vitalfunktionszaubern die Lebenszeichen des Patienten. Sie erbleichte. Der Junge atmete nicht mehr. Julius hätte jetzt gerne Vivideo oder einen anderen Zauber ausgeführt, um zu klären, ob der Junge noch zu retten war. Doch Magistra Delourdes' betrübtes Gesicht verriet es ihm und seiner Frau auch so. Der Patient war nicht mehr zu retten.

Als Victor mit den beiden erbetenen Pflegehelfern zurückkehrte sprach Magistra Delourdes es aus: "Wir kamen zu spät, Victor. Offenbar ist der Junge durch die innere Hitze erstickt. Näheres werde ich wohl durch eine Leichenöffnung ermitteln müssen, wenn seine Eltern mir dies erlauben."

"François Gautier ist, ähm, war ein Mogglerkind", sagte Victor rasch. "Die glauben, daß deren Tote nur dann Frieden haben, wenn deren Leichen unangerührt begraben werden."

"Das fehlt uns noch", schnarrte die Heilerin. "Diese Leute halten Magie doch eh schon ausschließlich für böse und widernatürlich. Die werden denken, ihr Sohn habe das Tor der Hölle aufgemacht und sich dabei am Feuer dieser Unterwelt verbrannt, um nun ganz und in alle Ewigkeit in diesem Inferno zu leiden."

"Ihr hattet übrigens recht, Magistra, die Tür nicht zu öffnen", sagte Victor. "Magister Tourrecandide hat erwähnt, daß im zaubertrankkerker eine sogenannte Durchzündung stattfand. Sie halten nun mit Eiszaubern dagegen. Leider gibt es nicht genug Gefrierwasser, um das Feuer ganz sicher zu löschen."

"Woher wußtet Ihr, daß François in diesem Kerker war, Victor?"

"Weil sein Schlafsaalkamerad mich fragte, ob das in Eurem Sinne sei, daß Schüler ohne Aufsicht im Zaubertrankkerker arbeiteten. Das habe ich natürlich verneint, Magistra Delourdes. Der Knabe meinte dann, daß François irgendwas ausprobieren wolle, was ihm größere Stärke geben würde, irgendwas, was aus Drachenblut gemacht sei. Da habe ich Euch schnell gerufen, um das zu untersuchen. Den Rest kennt Ihr."

"Dieser unvorsichtige Bursche hat mit Bestandteilen eines Drachens experimentiert. Wie kam der als Mogglerkind daran, ohne daß ich oder sonst wer das mitbekam?" Fragte die Heilerin sehr entrüstet. Doch keiner konnte ihr darauf eine Antwort geben. "Er hat das Brenngebräu erzeugt, dieser Tor, eine Flüssigkeit, die die Schwelle, bei der etwas in Flammen aufgeht, auf ein Zehntel der üblichen Höhe absenkt. Was dann brennt erzeugt noch mehr Hitze und setzt eine Lawine in Gang. Solange das Gebräu in ausreichender Menge verfügbar ist findet das Feuer weitere Nahrung und kann, wie Ihr leider sehen durftet, selbst Gestein so vernichten wie trockenes Holz. Ein Heiler, der geistig der christlichen Lehre ohne die Verachtung der Magie anhängt bezeichnete dieses Gebräu als Teufelsspucke, weil da, wwo es hinfällt, das Feuer der Hölle ausbrechen kann. Ich werde ihn anschreiben und erwähnen, daß er mit diesem Vergleich leider recht behielt."

"Ja, aber er hatte das Aqua Glaciformans, das Gefrierwasser im Kerker. Sonst wären wir zwei nie da rausgekommen, Magistra Delourdes", wandte Victor ein.

"Ihr meint, er habe gezielt auf die Mischung von Brenngebräu hingewirkt und sich mit der Bereithaltung des einzigen Antagonisten Gefrierwasser eine Sicherheit schaffen wollen, ungefährdet mit dem Brandentfacher experimentieren zu können?"

"Das ist nur eine Vermutung, Magistra Delourdes. Da waren immerhin zwei Flaschen", erwiderte Victor.

"Gefrierwasser entzieht allem, das es benetzt die Wärme, so daß selbst Merkurium tropfen hart wie eisen werden", sagte Clarimonde Eauvive. "Das Gebräu wurde doch vor hundert Jahren zum ersten Mal schriftlich erwähnt, weil ein Braumeister unvermittelt Eis in seinem Kessel hatte, obwohl darunter ein Feuer brannte. Erst als er einen goldenen Kessel benutzt hat, blieb dieses Gebräu flüssig. Gefrierwasser gefriert alles außer Gold zu eis, ohne die Umgebung abzukühlen. Wer es aber wagt, die vereisten Sachen zu berühren, friert fest und verliert den Körperteil, mit dem er oder sie das benetzte Objekt berührte. Womöglich hat François sich deshalb nicht getraut, das Zeug auf seinen Körper zu schütten, wie immer der so schnell in Brand geraten ist."

"Stimmt, daß habe ich auch gelesen, daß Gefrierwasser auch Fleisch und Blut lebender Wesen zu Eis werden läßt", bestätigte Victor.

"Es wirft ein sehr schlechtes Licht auf die Akademie, daß wir zugelassen haben, daß ein Schüler bei unbeaufsichtigten Experimenten den Tod fand", erwähnte Magistra Delourdes. "Ich fürchte, die Zauberer dieses Landes werden die Schließung von Beauxbatons fordern, wenn wir nicht glaubhaft versichern, daß wir von den Experimenten nichts gewußt haben."

"Tja, und die Eltern von François könnten finden, uns alle totschlagen zu müssen", unkte Victor.

"Dazu müßten sie uns erst einmal finden", warf Silvanus Dornier ein. Victor fragte Magistra Delourdes dann, wie das mit der Apparition war, wo Beauxbatons doch gegen das Apparieren abgesichert war.

"Nur die amtierende Heilerin, so habe ich verfügt, darf für fünf Sekunden einen Durchlaß in diesem Schutz öffnen. Daher ist er für Schüler nicht anwendbar."

"Das haben die aber im Verlauf der Jahrhunderte abgeschafft", meinte Millie. Julius nickte. Er hatte bei Michel Montferre gelernt, daß Schüler nur in Beauxbatons apparieren lernen konnten, weil der amtierende Schulleiter einen speziellen Zauber in der Aula aufrufen konnte, der den sonst überall und immer gültigen Sperrzauber für eine Stunde pro Woche aufheben konnte. Heilerprivilegien gab es im gegenwärtigen Beauxbatons nicht außer dem Wandschlüpfsystem. Sonst hätte Madame Rossignol ja auch sofort bei Julius und Belisama auftauchen können, als sie den ehemaligen Zaubertierlehrer Armadillus behandeln mußten. Irgendwas war also passiert, was dieses Notfallprivileg entweder überflüssig oder schädlich gemacht hatte.

"Und dieses Apparieren im Notfall kann nur von Euch ermöglicht werden?" Fragte Victor. "Ich meine, ich habe doch mitbekommen, was Ihr gerufen habt, Magistra Delourdes."

"Nützt Euch aber nichts, weil der Zauber nur auf meine Stimme und Erscheinungsform abgestimmt ist", erwiderte die Heilerin. Die anwesenden Pflegehelfer nickten bestätigend. Die Armbänder verrieten jeden permanent wirkenden Zauber, dem sie sich unterwarfen oder unterwerfen ließen. Eine Selbstverwandlung würde also früh genug verraten, wenn einer die Erscheinungsform und Stimme der Heilerin und Zaubertranklehrerin anzunehmen wagte.

"Haben hier nicht vor drei Monaten zwei Drachen um ihr Revier gekämpft", sagte Silvanus. "Meine Eltern schrieben mir, daß es zwei ganz große Blaue waren. Dann könnten wir das ganze als Unfall mit Drachenfeuer ausgeben."

"Lügen?" Fragte Victor leicht entrüstet. Magistra Delourdes nickte ihm zu. Dann stellte sie kategorisch fest, daß sie nicht schwindeln würden, nur um den Ruf der Akademie zu wahren. Außerdem wäre es ebenso erschütternd, wenn Beauxbatons seine Schüler nicht vor marodierenden Drachen schützen könne. Sie würde sich mit den übrigen fünf Gründern beraten, um eine Lösung zu erarbeiten. Dann schickte sie die drei Pflegehelfer fort. Denn für sie gab es außer einem stark verbrannten Leichnam nichts zu sehen.

Die Heilerin wartete auf die Meldung, daß das Feuer im Kerker gelöscht war. Doch der Raum war danach für Zaubertrankstunden unbrauchbar geworden. Dann traf sie sich zu einer Notfallsitzung mit den anderen fünf Gründern im großen Sprechzimmer, das mittlerweile zu einem Dauerklangkerker ausgebaut worden war. Serena legte nicht allzu erheitert dar, was passiert war und daß sie für François Gautier nichts mehr habe tun können und sie die Genehmigung der Eltern einholen wolle, den Leichnam zu öffnen. Orion lachte laut, während Logophil vom hohen Tal die Hände vors Gesicht schlug.

"Das sind Moggler, Serena. Deren schwarzkuttige Prediger erzählen denen doch jeden Sonntag was davon, daß Magie aus deren Hölle kommt und jeder selbst Schuld hat, wenn er oder sie sich damit abgebe. Die werden es Euch nicht erlauben, die Leiche aufzuschneiden, nur um zu sehen, wie der gestorben ist. Denen reicht's aus, wie ihr Sohn aussieht und das er tot ist, um zu kapieren, daß Magie wahrhaftig ein Quell ganz übler Sachen ist und ausgerottet gehört."

"Das fürchte ich auch, Serena", erwiderte Logophil betrübt. "Es ist schon gefährlich für unsere Unterhändler, den magielosen Eltern von magisch begabten Knaben und Maiden einen Besuch abzustatten, weil immer die Gefahr besteht, daß sie von den Eltern oder deren Nachbarn erschlagen werden, bevor sie ihr Anliegen vorbringen konnten."

"Tja, die müssen halt schnell und beweglich sein", feixte Orion. "Als ich im letzten Sommer einen dieser vom Geburtenmelder ausgegebenen Knaben für Beauxbatons begeistern wollte, mußte ich mich mit seinem schwertversessenen Vater prügeln, um klarzumachen, daß ich als Zauberer kein Übungsding für seine Kampfübungen bin. Immerhin hat das dem Knaben imponiert und er kam natürlich in meinem Saal unter."

"Aufschneider", schnarrte Donatus verdrossen. Orion hatte dafür nur ein verächtliches Grinsen übrig.

"Die Sache ist doch so, Serena. Der Bursche war bei mir im Saal", ergriff nun Petronellus das Wort. "Daher will und werde ich die Verantwortung für den Vorfall übernehmen. Immerhin erzähle ich den mir anvertrauten Eleven und Kandidaten schließlich, daß sie ihrer Neugier zu folgen haben. Ich werde den Eltern des Jungen einen Kondolenzbesuch abstatten und dabei erklären, daß der Knabe von irgendwoher ein Buch über sehr gefährliche Tränke hatte, daß ich jetzt erst sicherstellen konnte. Daß der mit Brenngebräu herumhantieren würde hätten wir alle nicht gewußt und ganz bestimmt nicht gewollt. Und wenn die mir dumm kommen, wende ich eben mnemoplastische Zauber an. Im Gegensatz zu Euch darf ich das schließlich, Serena."

"Soll ich um der Zukunft dieser Lehranstalt willen diesen Einwurf überhören?" Fragte Serena Delourdes.

"Vor einem Jahr erreichte ein fünfzehnjähriger Mogglerknabe in Marseille, der von seinen Eltern nicht in unsere Obhut gegeben wurde, daß eine Galeere niederbrannte, weil seine Eltern ihn dort als Ruderknecht angedient hatten", sagte Logophil. Viviane nickte bestätigend. "Er hat Blitze erzeugt, die das Schiff entzündet haben. Die Priester da haben ihre Kreuze gegen ihn gehalten. Hat aber nichts geholfen. Da haben sie ihn mit sogenannten geweihten Pfeilen beschossen und getötet. Wir müssen die Mogglerkinder, Knaben und Jungfern, die auch nur einen Funken nach außen wirkbare Zauberkraft aufweisen, unbedingt im richtigen und beherrschten Umgang damit üben. Wir sind neben den einzeln lebenden Lehrmeistern in ihren abgelegenen Türmen die einzigen, die das garantieren können, daß die Knaben und Maiden nach der Ausbildung nicht unbeherrscht und ungewollt ihre Zauberkräfte walten lassen."

"Das sagt einer, der vor sieben Jahren selbst noch So'n Turmzauberer war", feixte Orion. "Aber ich gebe Euch recht, Logophil, daß wir, ob wir's wollen oder nicht, mit den Mogglerkindern arbeiten müssen. Also soll der Frechdachs die Eltern seines verbrannten Schützlings besuchen. Schlimmstenfalls kommt er auch als Leiche zurück. Bestenfalls glauben die, ihr Sohn hätte sich beim Spiel mit brennendem Fackelpech aus der Welt gefeuert."

"Eure Wortwahl ist wahrlich gewöhnungsbedürftig", schnaubte Donatus. Petronellus grinste und sagte dem bärengleichen Zauberer:

"Im Zweifelsfall hatten die nie einen Sohn, und wenn ich die Nachbarn in dieser Mogglergegend mit Vergessenszaubern überziehen muß, um das hinzukriegen." Serena verzog zwar das Gesicht, dachte dann aber daran, daß Beauxbatons erhalten bleiben mußte. Denn sie sagte:

"Wir haben den magisch begabten Kindern und Adoleszenten gegenüber die Verpflichtung, sie mit ihren besonderen Begabungen zu fördern und auf den nützlichen Umgang damit hinzuerziehen. Die Neugier eines die Regeln mißachtenden Knaben darf dies nicht zerstören. ich stimme also zu." Die anderen stimmten ebenfalls zu. So wurde der Brenngebräuunfall in der Zaubererwelt als unvorsichtiges Experiment ausgelegt. Die Eltern des Jungen vergaßen, einen Sohn gehabt zu haben und die damals noch in Einzelleute, Familien und Kleingruppen aufgeteilte Zaubererwelt verzieh den Gründern diese Nachlässigkeit, sofern diese dafür sorgten, daß dergleichen sich nicht wiederholen konnte. Julius und Millie bekamen das alles in kurzen Erinnerungsüberblendungen wie Kurznachrichten im Fernsehen mit und konnten das Datum dieser Entscheidungen lesen, den fünften Juni 882. Dann landeten sie in einer Erinnerung, die zwei Jahre später ansiedelte. Das konnten sie daran erkennen, daß Lavinie und Ascanius schon nicht mehr in Beauxbatons waren und Clarimonde zu einem ihrer Mutter sehr ähnelndem jungen Mädchen herangewachsen war. Sie würde nach der Schule zu einer von Serena informierten Heilerin in die Lehre gehen. Millie fragte Julius, ob er wisse, wann sie geheiratet habe. Er sagte ihr, daß sie am Tag der Walpurgisnacht im Jahre 907 geheiratet habe. Das stehe dick in der Chronik, weil sie in dieser Nacht bereits ihre erste Tochter Augustine empfangen habe. Sein direkter Vorfahre sei jedoch der zwei Jahre später geborene Anchises gewesen.

Warum sie in dieser Erinnerung waren enthüllte sich den beiden Denkariumsreisenden, als sie mitbekamen, daß Serena zwei durch Zauber oder Zaubertränke zu klobigen Ungetümen verwandelte Schüler aus dem weißen Saal behandeln mußte und nicht wußte, wie sie das anstellen konnte. Die Delourdesklinik gab es noch nicht. Sie sollte erst von ihrer da gerade drei Jahre alten Tochter Geneviève Antoinette gegründet werden, wohl genau deshalb, weil in der Zaubererwelt klar wurde, wie leicht sich Leute Fluchschäden oder fehlschlagende Verwandlungen einfangen konnten. So blieb es der Heilerin nicht erspart, die beiden Schüler selbst zu therapieren. Julius fragte sich nun langsam, wann der große Knall kommen würde, den es irgendwann mal gegeben haben mußte. Zehn Jahre nach Schulgründung sollte jenes Ereignis stattgefunden haben. Doch sie waren erst bei 884, also acht Jahre nach Schulgründung. Die Heilerin fand heraus, daß die beiden tatsächlich durch Flüche, die sie sich im Duell auferlegt hatten, derartig verstümmelt worden waren. Als sie es schließlich schaffte, wirksame Gegenzauber auszuführen, stellte sie fest, daß die beiden sich bei ihrem Kampf offenbar die Genitalien vom Leib geflucht hatten. Da dies eine magische Verstümmelung war, konnte sie die für die Stammbaumverlängerung so wichtigen Organe nicht wieder nachwachsen lassen. Millie meinte zu Julius, daß sie nun kapiere, warum das hier nur Volljährige zu sehen bekämen und Madame Faucon ihnen nur eine erkenntnisreiche Reise und kein Vergnügen gewünscht hatte. Der Sechserrat der Gründer mußte nun befinden, ob es sich bei den Schülern immer noch um Jungen oder empfängnisunfähige Mädchen handelte. Julius konnte seine Schadenfreude über Orions bestürztes Gesicht nicht verbergen. Der Zauberer, der auf ruppige Manneszucht schwor dachte offenbar daran, daß sich schon Knaben mit einem wirksamen Entmannungszauber auskennen mochten und damit jedem, der seine Männlichkeit ehrte, im wahrsten Wortsinn einen nachhaltigen Tiefschlag versetzen konnten.

"Die armen werden ihr Leben lang nicht wissen, was sie sind", sagte er. "Zu Männern können sie nicht heranwachsen, weil ihnen keine Bärte wachsen und ihre Stimmen nicht tiefer werden, vom nötigen, um der Natur des Mannseins zu folgen ganz abgesehen. Aber wir können sie auch nicht zu den Mädchen stecken, weil denen dafür die nötigen Formen und Gefäße fählen."

"Wir behandeln sie weiter als Knaben", sagte Logophil. "Nur weil sie durch eine grobe Dummheit ihre Zeugungsfähigkeit verloren heißt das nicht, daß sie deshalb keine vollwertigen Männer werden können. Auch wenn der Kollege Orion dem noch so sehr widerspricht, es gehört mehr dazu, ein Mann zu sein als nur ein Bart oder sexuelle Potenz."

"Den Bart lasse ich mal außen vor, weil es ja genug Burschen gibt, die ihren Bart nicht ehren und immer wieder aus dem Gesicht schaben. Aber ohne Möglichkeit, sich fortzupflanzen ist das kein Mann mehr, Logophil. Ihr könnt euch doch nur einen Mann heißen, weil Eure Angetraute es vollbrachte, euch dazu zu bewegen, eine hübsche Blume und einen gesunden Setzlingin ihr Beet zu pflanzen. Insofern hat Euer Hiersein für sie ja doch etwas sehr schönes wie nützliches erbracht." Logophil funkelte Orion an. Doch dieser blieb von seiner bisherigen Erschütterung abgesehen unbekümmert und sprach entschlossen weiter: "Ich würde mich da nicht mehr einen Mann heißen können, wenn mir derartige Fähigkeiten verloren gingen", knurrte Orion. Donatus nickte ihm zu, was Orion verdutzt zurückstieren machte.

"Logophil sieht einen Menschen nur als die Hülle seines Geistes. Gut, dies tue ich auch. Aber ich weiß auch, daß die größte Verehrung für den Geist eines Menschen von dessen eigenem Fleisch und Blut entgegengebracht wird."

"Und auch die größte Verachtung", warf Petronellus ein. "Mein jüngster, der in diesem Jahr in diese Akademie kam tanzt mir auf der Nase herum, und meine älteste Tochter hat einen Moggler auf ihr Lager gelockt und sich von dem, wie sagtet Ihr, Orion, einen gesunden Setzling in ihr Gartenbeet pflanzen lassen. Was mal für ein Baum aus dem werden soll will mir noch nicht in den Kopf."

"Ui, Gelbe wären bei dem Thema aber tomatenrot angelaufen", grinste Millie Julius an. Doch dieser nickte nur und legte den Finger auf die Lippen, um weiter zuhören zu können.

"Ich möchte nur richtige Jungfern in meinem Saal beherbergen, die damit aufwachsen, eines Tages die Rechte und Pflichten einer erwachsenen Hexe erfüllen zu können", sagte Viviane. Serena überlegte wohl, wie sie die Sache sah. Dann wandte sie sich an Logophil:

"Könnt Ihr garantieren, daß den beiden in Eurem Saal keine üblen Erniedrigungen widerfahren, wenn sie dort verbleiben?"

"Natürlich werde ich es den mir anvertrauten Eleven und Kandidaten erläutern, daß die beiden immer noch als Knaben zu sehen sind", sagte Logophil. "Allerdings fürchte ich, daß der werte Kollege Orion mit seiner Ansicht, Männer hätten für ihr fleischliches Dasein zu leben, einige meiner Jünglinge vergiftet hat. Allein schon, daß wir diese Diskussion führen müssen deutet darauf hin, daß die beiden sich deshalb derartig verstümmet haben."

"Einhalt!" Blaffte Orion. "Ihr unterstellt mir, diese beiden törichten Burschen dazu bewogen zu haben, sich gegenseitig die Manneswürde zu entreißen, wo wir nicht einmal wissen, wie das ging, ohne daß die beiden verbluteten? Ich will auf der Stelle in einem Flammenstoß zu Asche zerfallen, wenn ich auch nur ein Wort in diese Richtung an diese Vollidioten gerichtet hätte. Und Euch rate ich dringend, diese beleidigende Unterstellung zurückzunehmen. Oder gebt mir Genugtuung in der Halle des Zweikampfes!"

"Ich habe keinesfalls behauptet, Ihr hättet die beiden Knaben dazu getrieben, sich gegenseitig um die Möglichkeit zu bringen, jemals Vater zu werden, Orion. Ich habe nur erwähnt, daß es in meinem Saal Bewohner geben könnte, die Eurer Ansicht anhängen, ein Mann sei nur im Vollbesitz seiner Zeugungskraft ein Mann zu heißen. Und ihr habt es doch vorhin bestätigt, daß die Prokreationspotenz für Euch das wichtigste in Eurer Natur ist. Eure nimmersatte Angetraute hat ja mit drei Kindern auf einmal noch immer nicht genug. Sie trägt doch wieder neues Leben in sich."

"Woher wollt ihr das wissen", schnarrte Orion. "Noch sieht die nicht danach aus."

"Ihr heißt mich immer einen armseligen Tropf, der von dem, was ihr schön findet nichts mitbekommt. Aber nachdem meine Frau selbst die Ehre der Mutterschaft erfahren durfte, weiß sie, wie eine werdende Mutter in den ersten Wochen aussieht oder sich verhält. Messaline, Eure Angetraute, ist mindestens in der siebenten Woche gesegneten Leibes."

"Halleluja", schnaubte Orion. "Dafür will Sie's aber immer noch jeden abend von mir, falls das hier wen interessiert." Die beiden Hexen erröteten, Logophil warf einen vorwurfsvollen Blick auf Orion, Donatus und Petronellus verzogen nur die Gesichter.

"Unabhängig davon muß eine Entscheidung fallen, wie wir die beiden Knaben fortan behandeln", warf Serena ein. Logophil stimmte ihr zu. Dann sagte er: "Ich werde einen alten Schutzzauber wirken, der jeden von den beiden vor handgreiflichen Übergriffen schützt. sie haben noch drei Jahre vor sich. In dieser Zeit können und werden sie bei und von mir lernen, auch ohne leibliche Wonnen durchs Leben zu kommen."

"Damit ist es nun klar, daß Eure Holde euch in Schlaf versetzt hat, um von Euch empfangen zu können", feixte Orion.

"Sofern Ihr nicht meintet, Logophils Gattin beglücken zu müssen", streute Petronellus etwas ein, das ganz sicher für schweren Ärger sorgen würde. Logophil starrte Orion an, der jedoch nur abfällig grinste.

"Ich vergehe mich nicht an lebenden Puppen. Das ist unter meiner Würde." Logophil ließ seine Hand in seinen rubinroten Umhang gleiten. "Ihr wünschtet Genugtuung! Es ist wohl an mir, diese von Euch zu fordern", schnarrte er. Doch dann besann er sich und fügte an: "Allerdings wäre das unter meiner Würde und obendrein absolut unpassend. Denn mein Sohn und meine Tochter sehen meinen eigenen Eltern zu ähnlich, als daß dieser Lüstling sie mit seiner Saat erschaffen hat."

"Ich meinte ja nur", wiegelte Petronellus ab und grinste lausbübisch.

"Mit so netten Kollegen brauchst du keine Feinde mehr", streute Julius ein. Außer Millie konnte ihn ja keiner hier hören.

"Ihr wart und bleibt ein Schwächling, Logophil. Da nützt Euch Euer gesamtes Wissen nichts."

"Sofern ich nicht rasch ergründe, wie der Kastrationszauber auszuführen ist und ich befinde, Euch endlich vom Weg der oberflächlichen Vergnügungen auf den Pfad vorbildlicher Geisteshaltung zwingen zu müssen", erwiderte Logophil. Julius genoß es, wie Orion darauf fast vampirhaft erbleichte. Natürlich wußten beide, daß Orion nicht kastriert worden war. Denn er hatte außer dem wohl gerade angekündigten Kind Nummer zwölf ja noch drei weitere auf den Weg gebracht. Am Ende erwähnte Logophil den alten Schutzzauber, der die Aggression eines Gegners in der nähe eines ausgewählten Zieles auf einen toten Gegenstand umlenkte. Allerdings sei dieser Schutzzauber nur auf einen bestimmten räumlichen Bereich beschränkbar. Julius entsann sich, davon in einem der vier neuen Bücher von Madame Faucon gelesen zu haben. Custopacis-Zauber hieß er. Das war jedoch ein komplizierter, mindestens eine Stunde benötigender Zauber, bei dem eine kleine Menge Edelmetall verwendet werden mußte, um den Aggressionsableiter zu bauen und auf den zu schützenden abzustimmen. Jedesmal, wenn in der Wirkungszone jemand Haß oder Angriffslust gegen den zu Schützenden entwickelte, wurden diese Gefühle von dem Custopacis-Artefakt aufgesogen und als kurzes Vibrieren abgestrahlt. Allerdings konnten diese Dinger nur begrenzt lange funktionieren. Waren sie ausgebrannt, zerfielen sie zu Staub. Wußte Logophil vom Hohen Tal, was das für ihn hieß?

Die sechs Gründer beschlossen also, die beiden ewig Knaben bleibenden Bewohner von Logophils Saal dort weiter wohnen zu lassen. Als Serena den Besprechungsraum verließ zerfloß die Umgebung, um sofort einer neuen Platz zu machen. Diesmal waren sie im Krankenflügel. ein etwa fünfzehnjähriges, schwarzhaariges Mädchen aus Vivianes Saal beklagte sich, daß es Probleme mit der Monatsregel habe, beziehungsweise fürchtete, schwanger zu sein, obwohl nichts mit einem Jungen gelaufen war. Die Heilerin fragte sie, seit wann sie diese Befürchtung habe und erfuhr, daß es nach dem Tanz in den Mai aufgefallen sei, wo sie mit vielen Jungen eng getanzt habe.

"Ich kenne keinen in Kleidung ausgeführten Tanz, der einer Frau zum Mutterglück verhilft, Selina", sagte Serena ruhig. Aber ich werde natürlich darauf prüfen müssen, ob Ihr ein neues Leben tragt, alleine um ein Protokoll verfertigen zu können." Sie untersuchte die Schülerin. Damals gab es noch keine Einblickspiegel. Doch allein der erste Blick auf die Intimste Körperstelle Selinas machte Serena stutzig. "V. I. Positiv. Ihr seid eine unberührte Jungfrau, wie es sich für unsere Schülerinnen schickt. Dann gilt es, zu prüfen, ob in Eurem Schoße alles seine Ordnung hat."

"Müßt ihr mich dafür aufschneiden, Magistra Delourdes?" Fragte das junge Mädchen bange.

"Ich habe eine bessere Methode entwickelt als meine Kollegen und Kolleginnen", sagte Serena und holte ein Ding wie einen durchsichtigen Gummischlauch aus ihrem Instrumentenschrank. "damit kann ich behutsam in Körperöffnungen eindringen, ohne die damit erkundeten Organe zu verletzen und sehen, ob alles seine Ordnung hat", sagte die Heilerin und führte das Instrument behutsam ein. Selina fühlte keine Schmerzen. Julius flüsterte, daß Muggelärzte diese Methode erst tausend Jahre später nutzen würden.

"Kannst du mal sehen, wie weit die magische Heilkunst damals schon war, Julius."

"Na ja, aber sie haben damals auch viel an ihren Patienten herumgeschnitten und denen die merkwürdigsten Tränke eingetrichtert, bis es entscheidende Fortschritte gab", sagte Julius.

"Aber die Ärzte im Mittelalter waren nicht besser. Die haben erst lange gebetet und gemeint, die Krankheit wäre eine göttliche Strafe, die man verbüßen und die Sünde bereuen müsse, die diese Strafe berechtigt hat", entgegnete Millie, während Selina ganz ruhig auf dem Tisch lag und Serena über eine am Schlauchende befestigte Linse offenbar sehen konnte, was im Inneren der Patientin so los war. Dann stutzte die Heilerin und bewegte ihr strohhalmdünnes Untersuchungsinstrument ein wenig. Dann verzog sie das Gesicht und eilte an ihren Schreibtisch, wo sie etwas niederschrieb und dann zurückkehrte, das Instrument vorsichtig zurückzog und entfernte.

"Selina, ich fürchte, Euch ist etwas weitaus schlimmeres widerfahren als eine unerwünschte Empfängnis. Euch fehlen außer der Vagina alle inneren Geschlechtsorgane. Mein Einblickrohr fand dort, wo Eure Gebärmutter sein sollte,, der Hohlmuskel, in dem ungeborene geborgen ruhen nur die Unterseite Eures Magens. Auch die anderen für eine erfolgreiche Empfängnis nötigen Organe sind nicht vorhanden. Allerdings scheint es so, als wären sie nie vorhanden gewesen. Ich erkenne keine Verletzungen, die auf eine gewaltsame Entfernung hinweisen."

"Moment mal, heißt das, ich kann keine Kinder kriegen, weil mir dafür alles fehlt?" Fragte Selina und schnellte vom Tisch hoch. Serena nickte. "Das glaube ich nicht. Ihr wollt mir Angst machen."

"Junge Maid, Angst ist nur dann eine nützliche Methode, wenn sie dem Heil oder der Umkehr dient. Hier aber käme sie zu spät, weil das Unheil bereits angerichtet ist. Ich kann Euch vor eigene Augen führen, was mit euch ist, indem ich es euch selbst sehen lasse und dann an mir den Gegenbeweis erkennen lasse." So zeigte die Heilerin der Patientin das innere des eigenen Körpers und wies sie an, wie sie an ihr, der Heilerin, die Untersuchung wiederholen konnte, nachdem Serena das Instrument in einer kristallklaren Lösung saubergespült hatte. Als Selina erkannte, daß ihr tatsächlich etwas entscheidendes fehlte erbleichte sie.

"Oma Line würde tot umfallen, wenn ihr wer diese Diagnose stellen müßte", seufzte Millie, die nicht minder bleich geworden war. "Aber vorher würde sie den eigenhändig in Stücke reißen, der ihr das angetan hätte."

"Jetzt wissen wir also, was das mit den Jungs vorhin sollte", seufzte Julius. "Das ganze hier läuft darauf hinaus, daß irgendwer Mitschülern die Geschlechtsorgane klaut. Ganz sicher kriegen wir das sehr bald zu sehen, wer und warum."

"Das muß wer gemacht haben, der oder die Ahnung von Körpern hat, wenn dabei keine Spuren hinterlassen werden", seufzte Millie.

"In einer der Star-Trek-Serien kommen Außerirdische vor, die einen Versetzungsstrahl benutzen, mit dem sie lebenden Wesen die Organe aus dem Körper herausnehmen können, ohne sie anfassen zu müssen. Wenn's das in der echten zaubererwelt gibt, dann ist das eindeutig schwarze Magie."

"Du meinst, jemand kann einem das Herz aus dem Leib zaubern, wie's diese englische Schlagerhexe Warbeck singt?"

"Ich kann's nicht erklären, wie das geht und will das auch nicht wirklich wissen. Aber logisch betrachtet bleibt nur diese Möglichkeit."

"Ja, aber wer macht sowas? Wer klaut einer noch unberührten Hexe den kleinen Backofen aus dem Unterbau?"

"Und Jungs den Familienschmuck", ergänzte Julius, während Serena das nun unter Schock stehende Mädchen zu beruhigen suchte, was auf Grund der eigenen Erschütterung sehr schwer war. Julius befand, die Sache abzukürzen und mit Millie in die nächste Erinnerung dieser offenkundigen Ereigniskette zu wechseln. Sie verließen den Krankenflügel und damit den Sichtbereich Serenas. Sofort standen sie mit der Heilerin auf dem Pausenhof für Mädchen und sahen zu, wie Magistra Delourdes auf eine Schülerin zurannte, die unter merkwürdigen Krämfen zusammenzuckte und dabei mehr und mehr schwarze und weiße Haare im Gesicht bekam. An den in wilder Panik umherschlagenden Händen wuchsen Krallen. Es sah ganz nach einer voranschreitenden Verwandlung aus. Serena winkte den Pflegehelferinnen auf dem Schulhof zu und betäubte die Tobsüchtige mit dem Schockzauber. Doch die voranschreitende Verwandlung kam damit nicht zum Stillstand. Julius erkannte, daß das Mädchen immer mehr einer Katze ähnelte. Die Ohren wurden spitz. Zwischen Oberlippe und Nase sprossen immer länger werdende Barthaare. Der Prozeß endete erst, als Magistra Delourdes den Lentavita-Zauber über die am Boden liegende sprach. Zumindest verlief er nun mit einem Zehntel Geschwindigkeit ab. eine Pflegehelferin, die Julius nicht mit Namen kennengelernt hatte, half der Heilerin, die Patientin auf eine Trage zu heben und mit ihr durch das Wandschlüpfsystem in den Krankenflügel zu wechseln.

"Ob das mit den zwei anderen Fällen zusammenhängt?" Fragte Millie, während die Heilerin die Pflegehelferin zur Pausenhofaufsicht einteilte. "Ruft mich unverzüglich, wenn dergleichen oder ähnliches erneut geschieht!" Trug sie ihr noch auf, bevor sie die Patientin untersuchte. Sie dachte nicht daran, daß sie gleich Zaubertrankunterricht geben mußte. Sie war in erster Linie Heilerin und in Beauxbatons für die Gesundheit und Unversehrtheit der Schülerinnen und Schüler zuständig. Blut- und Haaruntersuchungen ergaben, daß dem Mädchen etwas in den Körper geraten war, das eine ähnlich verheerende Wirkung wie Werwolfspeichel hatte. Dann stellte sie fest, daß auf eine ihr noch nicht ganz klare Weise die Wirkung des Giftes verzögert wwurde. Darüber verging mehr als eine Stunde. Millie und Julius konnten die Mitschrift lesen, während Serena weitere Untersuchungszauber sprach oder Körperteilproben nahm. Die Verwandlung verhielt an einem bestimmten Punkt, wo gerade noch genug Mensch zu erkennen war, um von einer Patientin und nicht von einem Tier zu sprechen.

"Es gibt Wertiger", meinte Julius. "Aber daß es auch Werkatzen gibt denke ich nicht. Hier schreibt sie was von einem mutagenen Agens, also einem körperveränderndem Wirk- oder Giftstoff, der mit dem Speichel der Lykanthropen verwandt ist. Hups, die will raus." Gerade noch rechtzeitig erkannte Julius, daß Magistra Delourdes den Behandlungsraum verlassen wollte. Millie und er folgten ihr durch das Wandschlüpfsystem in die Nähe der Kerker. Einer davon war mit einer dicken Steinplatte versiegelt. Das war der, in dem das Brenngebräu freigesetzt worden war. Außerdem gab es noch mehrere Kerker. Julius fragte sich, wann dieser Trakt der Schule verändert worden war. Denn ihm fiel auf, daß er diese glatte Steinplatte da in der Gegenwart niemals zu sehen bekommen hatte. Die Heilerin suchte nicht den seit damals bis heute benutzten Unterrichtskerker auf, sondern ein etwas kleineres Verlies, daß mit einer dicken Stahltür gesichert und mit vier Schlössern versperrt war. Sie zog einen Schlüsselbund aus ihrem weißen Heilerinnenumhang und entriegelte die vier Schlösser. Dann tippte sie mit dem Zauberstab dreimal an zwei bestimmte Stellen der Tür, vorauf die Tür kurz flimmerte und dann mit lautem Rasseln aufsprang. In dem Raum, nun von Serenas leuchtendem Zauberstab erhellt, reihten sich Regale vom Boden bis zur Decke. Das der Tür gegenüberliegende Ende wurde von einem großen Schrank mit kleinen Sichtscheiben ausgefüllt. Die Heilerin betrachtete den Schrank und prüfte ihn mit einem Zauber. Dabei zuckte sie zusammen, als habe sie etwas erschreckendes festgestellt. Hektisch zog sie an der äußerst rechten von fünf Türen und blickte hinein. Julius sah, wie sie zusammenfuhr und hörte sie laut atmen. Irgendwas war da nicht in Ordnung. Dann warf die Heilerin die Schranktür wieder zu und straffte sich, um nur für die beiden Erinnerungsgäste vernehmlich einige Zaubersprüche zu formulieren, die wohl ein besonderer Sperrzauber waren. Dann eilte sie an den beiden Beobachtern vorbei zur Tür zurück.

"Hoffentlich kriegen wir mit, was da nicht gestimmt hat", meinte Julius, der daran dachte, daß vielleicht gefährliche Zaubertrankzutaten in dem Schrank gewesen waren. Serena eilte in die oberen Bereiche des Palastes und konzentrierte sich auf einen anderen Zauber. Doch dieser schien nicht zu funktionieren. da vibrierte das Armband Serenas. Sie betätigte den Auslöser für die Bild-Sprechverständigung.

"Magistra Delourdes, hier hat gerade wer in einem schwarzen Kapuzenumhang Mademoiselle Federwolke entführt. Der hatte einen Rucksack auf und hat Magister Lesauvage einen Pfeil in den Arm geschossen. Kommt bitte schnell, weil irgendwas mit Magister Lesauvage passiert!"

"Ich bin unterwegs", erwiderte Magistra Delourdes und suchte sich den nächstliegenden Abschnitt des Wandschlüpfsystems aus. Millie und Julius blieben ihr wie zwei Schatten auf den Fersen.

Orion schrumpfte. Das war der erste Eindruck, den die Heilerin und ihre unbemerkbaren Beobachter gewannen. Der zwei meter große Zauberer war bereits nur noch anderthalb Meter groß. Außerdem lief seine Haut immer grüner an.

"Uuuuuoooakak!" Entschlüpfte es Orion. Dabei schwoll sein Hals an und jeder konnte sehen, daß seine Zunge immer länger wurde.

"Wird der zum Frosch?" Fragte Millie. "Das Gift kenne ich nicht."

"Ich auch nicht", erwiderte Julius. "Könnte ein ähnliches Mutagen sein wie das, was aus dem Mädel eben eine Katze machen sollte.

"Wer das gemacht hat ist so gut wie tot", sagte Millie. "Ich kann mich zwar nicht erinnern, daß das in Orions Lebensbeschreibung erwähnt wurde, aber der hätte sich sicher gerächt, wenn ihm wer sowas angetan hat." Wieder entrang sich Orions immer breiter werdendem Mund ein weithallendes Quaken wie von einem der Riesenfrösche, die Madame Maxime ihnen im letzten Jahr im Rahmen der nicht-europäischen Tierwesen vorgeführt hatte.

"Victor und vier Ihrer Kameraden umgehend zu mir. Ich werde Magister Orion transportieren. Für die anderen ist der Unterricht in dieser Stunde beendet", kommandierte die Heilerin. Dann belegte sie Orion mit dem Lentavita-Zauber und beschwor eine Trage herauf, auf die sie ihn bettete. Victor trommelte eifrig vier Mitschüler zusammen und trieb sie an, zum palast zurückzukehren. Julius warf dem Gehege einen prüfenden Blick zu. Dort hatte vorhin wohl noch ein Hippogreif gestanden, wenn er Victor richtig verstanden hatte. Er warf seinen Kopf in den Nacken und meinte, weit weit oben einen winzigen weißen Punkt zu sehen, den er aber nicht genau zuordnen konnte. Mochte es ein Wolkenfleck sein oder die entführte Hippogreifstute, falls es sie wirklich so gegeben hatte, wie er sie in Vivianes Säule einmal gesehen hatte. Millie zupfte ihm am Ärmel. "Wir müssen zurück, bevor wir aus dieser Erinnerung rausfallen, ohne mitzukriegen, was mit Orion passiert." Julius sah es ein und eilte mit seiner Frau hinter Magistra Delourdes her, bis sie wieder im Krankenflügel waren. Sofort entnahm die Heilerin dem halb zum Frosch gewordenen Kollegen Blut. Haare hatte der schon keine mehr. Dafür konnte sie einen kleinen Silberlöffel klebrigen Speichel von der immer länger gewordenen Zunge abstreichen. Sie rührte die Proben in Testlösungen ein und beobachtete die Reaktion. Dann warf sie ein wenig Pulver in das Glas mit dem Blutgemisch und sah dieselbe blaue Farbgebung, die sie vorhin schon bei dem immer noch halb als Katze daliegenden Mädchen erzielt hatte. Dann erschienen Victor und die vier anderen Schüler. Magistra Delourdes winkte sie nacheinander in den Besprechungsraum und befragte sie im Schutze eines Klangkerkers. Alle sagten aus, daß sie die Hippogreife durchgenommen hätten, als eine schwarz vermummte Gestalt, etwa so groß wie Orion Lesauvage, mit einen Ledersack auf dem Rücken und einer kleinen Armbrust in der Rechten herangestürmt war und auf Orion geschossen habe. Dann habe der Vermummte einen Gegenstand wie ein abgetrenntes Ziegenhorn in die Schülergruppe geworfen, aus dem dann weißer Qualm kam. Der Nebel sei so dicht geworden, daß keiner mehr hätte sehen können, was passiert war. Sie haben dann nur noch den langgezogenen Schrei von Mademoiselle Federwolke gehört. Erst nach zwanzig Sekunden habe sich der Nebel verflüchtigt, und sie hätten alle sehen können, daß Magister Lesauvage unter einem Gift oder Zauber litt.

"Wo genau kam diese Gestalt denn her?" Fragte die Heilerin. Alle sagten, sie sei vom östlichen Halbkreis des ringförmigen Waldes gekommen. Julius fragte sich derweil, warum der oder die Unbekannte sich die Mühe machte, einen als sehr wehrhaft und unnahbar geltenden Hippogreifen zu entführen, wenn er oder sie auf andere Weise in die Nähe des Palastes gekommen war. Das sagte er auch Millie, während Serena die Aussage des vierten Zeugen, Victor Moureau, hörte. Sie glich der der drei anderen, nur daß Victor noch gesehen haben wollte, daß der Unbekannte außer dem Sack und der Armbrust noch einen Köcher für Bolzen über der Schulter hängen hatte.

"Du meinst, das mit dem Hippogreif war nur ein Ablenkungsmanöver oder sowas?" Fragte Millie.

"Genau wie der Nebel", erwiderte Julius. "Wenn der Typ wirklich aus dem Wald kam, dann kann er dort locker wieder hingelaufen sein, während alle denken, daß er auf der Hippogreifstute den Abflug gemacht hat. Nur so ein Pech, daß wir da nicht hinlaufen können, um zu sehen, ob er oder sie noch da ist."

"Brächte eh nichts, weil wir es keinem sagen oder irgendwas gegen den oder die machen könnten", stellte Millie knochentrocken fest. Julius nickte.

Magistra Delourdes stellte weitere Versuche an, die Julius genau beobachtete. Doch in einer Versuchsreihe wechselte die Szene. Offenbar hatte Serena Delourdes damals befunden, diesen Teil ihrer Erinnerungen nicht so ausführlich auszulagern. Statt dessen saß sie nun vor blubbernden Kesseln und hantierte mit Ingredientien. Julius konnte ihre Notizen lesen und nickte Millie zu. "Die hat das Gift analysiert. Es ist tatsächlich Werwolfspeichel. Allerdings hat jemand den mit einigen Zusätzen verändert, das nun keine Wölfe sondern gewünschte Tiere dabei herumkommen, allerdings nicht vollständig. Hier steht auch, daß sie die Dosis Lykanthropenspeichel vermißt, die sie im Schrank für hochpotente Gifte und Keime aufbewahrt hat. Eine Analyse auf bestimmte Konservierungsstoffe ergab, daß dieser Speichel als Ausgangsmaterial für die Verwandlungsgifte gedient hat. Also hat ihr irgendwer das Zeug aus einem mit Schutzzaubern versiegelten Raum und einem nicht minder versperrten Schrank geklaut. Der Schrankschutz wurde dabei wohl ganz abgebaut, während die Türzauber tadellos intakt waren."

"Wir wissen es doch schon sicher, daß irgendwann einer der Pflegehelfer bei irgendwas erwischt wird", sagte Millie. "Wollen wir das dann nicht abkürzen und zusehen, dahinzuspringen, wo der Kerl oder die Schlampe erwischt wird?"

"Wenn du mir sagen kannst, in welcher Erinnerung ab jetzt an welcher Stelle", erwiderte Julius. Doch sie hatte zumindest recht, daß sie die Untersuchung des Giftes und dessen Aufhebung wohl nicht mitbekommen mußten. Sie verließen den Krankenflügel und wechselten damit in die nächste Erinnerung hinüber. Es war eine Sitzung Orions mit den anderen fünfen. Er war also wieder geheilt.

"Ich kriege euch doch", knurrte Orion, und deutete auf ein über dem Tisch schwebendes Abbild eines großen, hageren Zauberers im schwarzen Umhang. Das Gesicht war zum größten Teil von einem grauen Bart verdeckt, und die Haut schimmerte wie altes Pergament. Unter dem schwebenden Abbild lag ein ausgebreitetes Pergament.

"Fraternitas Gallica", knurrte Orion. "Eine Bande von Zauberern, die wollen, daß Beauxbatons geschlossen wird, weil sie nur Zauberer ausbilden wollen, um die Welt zurückzuerobern, die ihnen diese Kreuzträger und Weihwasserspritzer ihnen angeblich weggenommen haben."

"Wir können vielleicht auch die Stimme hören", sagte Viviane und machte den entsprechenden Zauber.

"Hier meldet sich die Fraternitas Gallica, die altgallische Gemeinschaft rechtschaffener Zauberer, Söhne und Enkel der großen Druiden. Hiermit erklären wir Beauxbatons den Krieg, weil es wagt, die Brut christlich verdorbener Eltern und der Natur des Weibes wegen unbeherrschten Hexen im Gebrauch unserer erhabenen Fertigkeiten zu üben. Dies mißfällt uns. Wir verachten die Prediger dieses angeblichen Gottessohnes und fordern die Achtung der Zauberer in dieser Welt. Die Hexen sollen bei ihren Müttern oder Tanten ihre Sachen lernen, mit denen sie das bißchen Magie, daß sie brauchen anständig ausüben können. Für alle höheren Dinge der magischen Künste sind jedoch nur Zauberer zuständig, die von starken und aufrichtigen Mentoren geführt und unterwiesen werden dürfen und nicht in ständiger Versuchung leben sollen, den Reizen junger Mädchen zu verfallen, bis sie all das erlernt haben, was sie zur Ausübung unseres erhabenen Handwerkes können müssen. Da Beauxbatons dem allen entgegensteht, haben wir euch mehrere Warnungen zukommen lassen. Wir haben eure vom rechten Pfade abgedrängten Knaben entmannt, euch gezeigt, daß wir nicht zulassen werden, daß auch nur eine Hexe fruchtbar bleibt, die bei euch lernt und unser erhabenes Wissen bemüht, um euch zu zeigen, daß niemand, ob Schüler oder Lehrer, vor unserem Wandelgift sicher ist. Ihr habt bis zum nächsten Vollmond, den Pfuhl eures Verrates an der Zaubererwelt trockenzulegen und alle und jeden aus Beauxbatons zu schicken. Wir werden uns dann mit den Eltern der Zauberer verständigen, ihre Söhne weiterzulehren und und und werden Gna-gna-gnade an denen üben, die freiwillig auf ihr Hie-hie-hiersein verzichten und ..." Da brach die aus dem Brief beschworene Verlesung mit tiefer Stimme ab. Der Brief begann zu qualmen und zerfiel in kleinen, orangeroten Flammen. Auch das über dem Brief hängende Abbild zersprühte in bunten Funken.

"Offenbar ein Schutz, der den Brief vernichten soll, wenn an ihm herumgezaubert wird", erkannte Logophil. Orion schnarrte nur: "Mich mit Froschlebensessenz zu vergiften. Das wird diese Bruderschaft bitter bereuen."

"Wer sagt uns, daß wir nicht einer Täuschung aufgesessen sind?" Fragte Donatus Tourrecandide. Petronellus nickte ihm zustimmend zu. "Von dieser Bruderschaft habe ich bis heute nichts gehört. Und warum wollen die uns jetzt erst bekriegen, wo wir in diesem August unser Zehnjähriges gefeiert haben?"

"Wohl, weil wir denen langsam zu lästig sind", vermutete Petronellus. "Immerhin haben wir die ersten Schüler ausgebildet, und die alle Vierteljahre zusammentretende Versammlung der Zauberer hat uns als Institutio existentiae justificatae anerkannt, ähnlich wie die Heilerzunft, die sich auch sehr über ihre Neuerwerbungen gefreut hat, nicht wahr, Serena?"

"Dennoch ist die Frage berechtigt, warum diese Bruderschaft sich jetzt erst gegen uns wenden soll. Vor fünf Jahren hätte noch kein Hahn nach uns gekräht, wenn wir wegen solcher Vorfälle die Ausbildung der jungen Hexen und Zauberer hätten beenden müssen. Doch nun."

"Vielleicht haben sie jetzt erst genug Anhänger, um uns zu vernichten", vermutete Viviane.

"Ich kriege die und mache aus denen Frösche, ganz ohne Gift und ganz schnell", schnarrte Orion. "Und dann werde ich zum Storch und fresse die alle auf."

"Das ist sicher dasselbe wie Mord", erwiderte Serena. Doch Orion grinste und erwiderte: "Wenn das keiner nachweisen kann."

"Die würden Euch schwer im Magen liegen, Orion, und Ihr könntet dann Eurer Frau keine kleinen Kinder mehr bringen", erwiderte Petronellus keck.

"Gute Idee, ich reiße denen die ...", setzte Orion an, wurde jedoch von den beiden Hexen sehr heftig ermahnt, keine Schimpfwörter in ihrer Anwesenheit zu gebrauchen. Dann sagte Serena:

"Ich pflichte der Vermutung bei, daß wir alle das Opfer eines Täuschungsmanövers werden. Denn eines hat der angebliche Schreiber dieses Briefes nicht bedacht, daß ich sein Gift analysieren und auf die Herkunft seiner Bestandteile stoßen könnte. Offenbar fühlt sich wer auch immer jetzt ziemlich sicher, und ich muß herausfinden, wer es ist und was diese ganzen Vorfälle bedeuten. Fluchschäden häufen sich zwischen Bewohnern des Saales von Petronellus und dem von Orion. Heute Morgen mußte ich eine weitere Schülerin davon in Kenntnis setzen, daß sie ihrer inneren Geschlechtsorgane verlustig wurde. Irgendjemand in unserer Mitte vollzieht ein mir noch nicht klares aber eindeutig bösartiges Procedere, und es ist eindeutig an mir, Art und Urheber zu ermitteln."

"Dann glaubt Ihr nicht an diese Bruderschaft?" Fragte Viviane. Serena schüttelte den Kopf. Petronellus warf jedoch ein, daß sie den Brief hatten und es ihm bisher nicht bekannt sei, die Zauber zur Enthüllung des Verfassers zu verfälschen."

"Was nicht heißt, daß dies unmöglich ist", warf Logophil ein. Petronellus verzog das Gesicht.

"Dann solltet Ihr wen auch immer sehr schnell sehr weit aus meiner Reichweite schaffen, Serena. Und wehe Euch, das ist einer aus Eurer Truppe!"

"Ihr droht mir?" Entrüstete sich Serena. "Das verbitte ich mir. Ob es einer aus meiner Truppe ist, wie Ihr annehmt, ist ja gerade der Grund, warum ich diesen Vorfällen nachgehen muß. Denn dann gehört wer auch immer aus den Mauern dieser Akademie verbannt und am besten auch aus der Zaubererwelt.

"Kann ich erledigen. Klärt, wer das war, und ich schaffe ihn oder sie aus der Welt", schnaubte Orion.

"Wie kommt Ihr darauf, es könnte ein Mitglied der Pflegehelfertruppe sein?" Fragte Viviane. Serena wiegte den Kopf und sagte:

"Ich hoffe es nicht, Viviane. Aber wer einem Mädchen ohne bleibende Verletzungen alle innerhalb der Bauchhöhle angelegten Geschlechtsorgane entnehmen kann muß zumindest eine Ahnung vom Aufbau des menschlichen Körpers haben. Ich habe jedem meiner Truppe ein Buch mit Darstellungen der Organe und ihrer Funktion zum nachzeichnen der wichtigsten Einzelheiten ausgeliehen. Ich kann natürlich nicht garantieren, daß diese Aufzeichnungen nicht auch anderen zugänglich gemacht wurden. Daher benötige ich für meine Untersuchung mindestens noch drei Tage, um alle Aufzeichnungen zu prüfen, auch die, die im Rahmen des Pflegehelferwegesystems anfielen."

"Und wenn es kein Pflegehelfer und kein Schüler von uns war?" Fragte Logophil.

"So oder so sollten wir diesen Brief als Anhaltspunkt nehmen, die Schülerschaft dazu zu veranlassen, sich außerhalb der Unterrichts- und Mahlzeiten in ihren Sälen aufzuhalten", schlug Serena vor. Die anderen fünf stimmten dem zu.

So endete dieser Auszug aus Serenas für die Nachwelt ausgelagerten Erinnerungen damit, daß beim Abendessen die mittlerweile vierhundert Schüler von Beauxbatons die Anweisung erhielten, sich nur noch zum Unterricht oder zu den Mahlzeiten außerhalb ihrer Wohnsäle aufzuhalten. Dann glitten die Latierres in eine Erinnerung hinüber, wo Serena viel schrieb und einiges untersuchte. Sie bekamen mit, daß weitere merkwürdige Zauberunfälle die Aufmerksamkeit der Heilerin forderten und verfolgten mehrere Befragungen der gerade amtierenden Pflegehelfer mit. Millie fragte Julius einmal, ob es damals schon möglich war, die Bewegungen von Pflegehelfern im Palast zu überwachen. Julius wandte ein, daß es dann ja sehr einfach sei, zu prüfen, ob einer von denen an für ihn ungewöhnlichen Orten gewesen sei. "Die werden die Überwachung wohl erst richtig ausgebaut haben, als klar war, wer das alles angestellt hat."

"Wen vermutest du?" Wollte Millie wissen, während sie Serena bei der Behandlung eines gerade wie ein orangeroter, haariger Ball aussehenden Schülers zusahen.

"Ich denke darüber nach, was jemand davon hat, Befruchtungsorgane zu entfernen. Die einzige Lösung, die mir dazu einfällt ist, künstliches Leben zu erzeugen und damit zu experimentieren. Im moment kann ich mir von den Pflegehelfern keinen vorstellen, der oder die derartig gestrickt ist, sich an den eigenen Mitschülern zu vergreifen. Aber es muß einen gegeben haben."

"Clarimonde kann es nicht sein, weil die später mal Heilerin wird, weiß ich von Tante Trice", erwiderte Millie. "Und Silvanus Dornier muß mal Kinder machen, die irgendwann in der Zukunft Mädels wie Constance und Céline hervorbringen."

"Ist mit keinem Wort gesagt, Millie. Denn Silvanus könnte noch Geschwister haben, die das erledigen können", verwarf Julius Millies Einwand. "Und da es unter den Schülern, die in den letzten drei Jahren in Beauxbatons waren auch den ein oder anderen Moureau gab gilt mein Einwand auch für Victor. Also über die Nachkommen kriegen wir die Täterperson nicht ermittelt. Bleibt nur die Frage nach allem: Warum? Das Motiv entscheidet. Wer könnte ein Motiv haben, Mädchen und Jungen unfruchtbar zu machen, ein aus Werwolfspeichel abgeleitetes Verwandlungsgift zu mischen oder schlicht weg nur Chaos zu stiften, daß Beauxbatons kurz nach dem Start fast hätte dichtmachen müssen? Ich versuche mal Mums sechs Fragen unterzubringen. Das Warum ist natürlich die entscheidende. Aber vielleicht kriegen wir auch über die Fragen, wer, wo, wann, wie was getan hat eine Möglichkeit."

"Also wenn es eine Hexe ist, die sich an den Mitschülern vergreift, könnte das die erste Nachtfraktionsschwester sein", sagte Millie. Julius bestritt es, weil die Nachtfraktionshexen, soweit er das wenige, was er von denen jemals gehört oder gelesen hatte, die Natur der Hexen als heilig ansahen und eine Hexe niemals unfruchtbar machen würden, ohne der zu erklären, daß es sich um eine Strafe handele.

Sie landeten unvermittelt in einer Erinnerung, wo Serena gegen die damals gültigen Regeln auf den Hof der Jungen kommen mußte, weil dort drei Jungen aus unerfindlichen Gründen anderthalb mal größer und mindestens fünfmal so stark wie vorher geworden waren, dafür aber jede Selbstbeherrschung verloren hatten. Orion, der gerade Aufsicht führte, konnte die drei plötzlich zu tobsüchtigen Ungetümen mutierten Schüler nicht bändigen. Schockzauber prallten ab, magische Stricke wurden zerrissen. Erstarrungszauber zerstoben knisternd.

"Interessant", bemerkte Julius, als einer der Monsterburschen laut brüllend auf ihn zustürzte, weil hinter Julius ein gerade zehn Jahre alter Junge stand. Millie erschrak. Doch dann fiel ihr ein, daß ihnen ja nichts passieren konnte und sie auch nicht in das laufende Geschehen eingreifen konnten. "Also wenn das wieder so'n Verwandlungsgift war, dann eins, wo eine starke Magieresistenz mit verabreicht wird."

"Ist das alles, was du vermutest, Julius?" Fragte Millie, während die Heilerin einen hohen Pfeifton erzeugte, der einem der Tobsüchtigen sichtlich zusetzte.

"Aus meinen ganz eigenen Erfahrungen würde ich sagen, da hat jemand das Blut eines Riesen oder Halbriesen konzentriert und irgendwie in ein Gift gerührt, daß diese Wirkung erzielt hat. Ich hätte damals auch hunderte von Leuten zusammenhauen können, wenn ich nicht an Madame Maxime drangehangen hätte."

"Ich weiß", seufzte Millie. "Andererseits hat dich das Zeug nicht gleich zum reinen Schläger gemacht. Dieser Devereaux hat dich provoziert, und die Jungs haben dich nur blöd angeglotzt. Aber die da randalieren ja ohne Ziel und Verstand", stellte Mildrid Latierre den Unterschied heraus.

"Mag daher kommen, daß ich auch nur das Blut einer Halbriesin in den Körper bekommen habe. Ein männlicher Vollriese hätte mich mit seinem Blut wohl auch zum Amokläufer gemacht, ohne daß ich Zeit oder Lust gehabt hätte, darüber nachzudenken", erwiderte Julius. Da sah er, wie Orion aus dem Nichts ein wuchtiges Schwert mit silberner Klinge heraufbeschwor, daß er mit beiden Händen führte. Serena rief ihm noch zu, keinen von den Jungen zu töten, als der erste Befallene schon auf den provokant dastehenden Zauberer losstürmte. Serena trieb die beiden mit dem Sirennitus-Zauber auseinander. Orion verlor fast seine wuchtige Hiebwaffe aus den Händen, weil er sich die schmerzenden Ohren zuhalten wollte. Die übrigen Jungen waren inzwischen in den Palast geflüchtet.

"Orions Schwert Donnerkeil", stellte Millie mit einer Mischung aus Unbehagen und Bewunderung fest. "Es ist koboldgearbeitet, Julius und konnte ihm auf Zuruf an jedem Ort der Welt erscheinen. Damit hat der sogar junge Drachen erschlagen können und Oger in Stücke gehauen. Neben dem Einfindungszauber soll es so bezaubert gewesen sein, daß es jedem, der nicht das Blut Orions in den Adern strömen hatte, die Kraft entzog und keinen Millimeter angehoben oder bewegt werden konnte."

"Die werden mit denen so nicht fertig", stellte Julius mit gewissem Unbehagen fest, während er ähnlich wie seine Frau zusah, wie Orion seinen Zweihänder führte. Er erstarrte vor Entsetzen, als Orion gegen einen auf ihn zuschnellenden Arm hieb und diesen glatt vom Körper trennte. Doch was war das? Sofort wucherte am Stumpf ein Stück rotes Fleisch heraus, das innerhalb von nur zwei Sekunden zu einem neuen Arm wuchs, der unverzüglich auf den Zauberer herabfuhr, der den Schlag nur mit der Breitseite seines Schwertes parieren konnte.

"Wer immer das gemacht hat hat die ideale Kampfmaschine erfunden", stieß Julius aus. Er vermutete jedoch, daß eine Enthauptung auch für ein solches Wesen den Tod bedeutete. Davon ging Orion wohl auch aus und versuchte, den wesentlich größeren Angreifer zu köpfen. Doch dieser tanzte die Hiebe aus. Orion mußte einem wuchtigen Fußtritt ausweichen, der ihm sicher einige Knochen gebrochen hätte. Da sausten vier Schockzauber gleichzeitig durch die Luft und warfen die bedauernswerte Kreatur zu Boden. Sie rappelte sich nicht noch einmal auf. Orion schnaubte und sah seine fünf Kollegen, die gerade den zweiten Befallenen mit vier Schockern zugleich angriffen und ihn damit wirklich außer gefecht setzten. Der Dritte schien zu kapieren, daß man was gegen ihn gefunden hatte und warf sich nach vorne auf die Hände und galoppierte wie ein davonjagendes Streitross über den Hof. Er wich den vier ihm geltenden Schockblitzen aus und brach durch das Unterholz des grünen Forstes. Orion setzte ihm mit Petronellus, Logophil und Donatus nach, während Serena die niedergestreckten Jungen in starke Netze wickelte und dann zwei extragroße Tragen materialisierte, auf denen sie die kampfunfähigen zu wuchten versuchte. Doch die waren offenbar gegen Bewegungszauber wie Mobillicorpus immun. Viviane zeichnete eine Konstruktion wie eine große Wippe in die Luft und bugsierte das kürzere Ende unter den übergroßen Jungen. Dann drückten beide das fünfmal längere Ende herunter und hoben ihn an. Serena bugsierte die Trage unter ihn und schüttelte ihn dann von der Hebevorrichtung ab. Das gleiche machten sie mit dem zweiten Niedergekämpften.

"Der ist weggelaufen wie ein Tier, Julius", meinte Millie, als sie nun hinter Serena und Viviane hergingen, die die tragen auf Rädern in den Palast schoben. Vom Pausenhof der Mädchen her klangen aufgeregte Stimmen. Doch keine wagte, auf den Hof der Jungen zu kommen, um zu sehen, was da losgewesen war.

"Hier experimentiert wer mit mutaggenen Stoffen oder Zaubern an lebenden Menschen, Viviane. Ich muß rauskriegen, wer das ist und warum."

"Seid Ihr euch sicher, daß alle eure Pflegehelfer immer da waren, wo sie auch sein sollten?" Fragte Viviane. "Denn dann könnten es nur noch unüberwachte Schüler sein."

"Ich habe die Vorrichtung zur Überwachung der Schlüssel-Armbänder immer wieder auf unregelmäßigkeiten überprüft. Keiner von denen ist außerhalb der Unterweisungen an einem verdächtigen Ort aufgespürt worden."

"Habt Ihr schon eine Vermutung, was den dreien widerfahren ist? Wollte Viviane wissen.

"Eine Mixtur, die die Eigenschaften von Riesen mit den regenerativen Fähigkeiten von Regenwürmern oder Seesternen vereint und die Regenerationsfähigkeit potenziert. Warum der dritte Junge auf allen vieren flüchtete entzieht sich mir noch. Er konnte so behände rennen wie ein ... Natürlich, da hat jemand Riesenblut mit Einhornblut kombiniert. Einhornblut gilt als Lebensverlängernd, wenngleich ihm nachgesagt wird, daß wer es trinkt verflucht ist, weil er um es zu trinken das Einhorn schwer verletzen oder töten muß. Jedenfalls konnte der dritte Schüler nach dieser Vergiftung genauso wendig auf allen vieren flüchten wie ein Einhorn."

"Ich habe auch eine gewisse Ahnung von magischen Essenzen, Serena. Riesenblut und Einhornblut sind zum einen sehr rare Grundstoffe, weil schwer zu bekommen und zweitens von gegensätzlicher Natur und daher wohl schwer bis gar nicht in einem wirksamen Gebräu zusammenzumischen. Wer das trotzdem hinbekommen hat besitzt Kenntnisse, die über die eines Heilers hinausgehen."

"Oder er schöpft aus bereits früher ausgeführten Experimenten", schnarrte Serena, die Vivianes Einwand nicht so berauschend fand, daß jemand mehr wissen mochte als ein Heiler.

"Also wir werden wen zu sehen kriegen, der Bokanowski und Voldemort locker in die linke Umhangtasche gesteckt hätte", stellte Julius mit einer Mischung aus Verachtung und einer nicht ganz zu leugnenden Anerkennung fest.

"Viviane hat recht, daß dieser Mensch mehr drauf haben muß als ein Zaubertrankbrauer oder Heiler, wenn der so heftig wirksame Verwandlungsgifte machen kann", mußte Millie beipflichten.

Im Krankenflügel versuchte die Heilerin und Gründungsmutter des gelben Saales, den geschockten Blut zu entnehmen. Doch die Haut der Jungen war so fest, daß kein gewöhnliches Messer sie aufritzen konnte. Viviane, die der Untersuchung auf Serenas Vorschlag hin beiwohnte, regte an, eine hohle Nadel tief in die Haut des Jungen zu rammen, bis Blut heraussickerte. Serena nickte und konstruierte eine Vorrichtung, die einen kleinen Blasebalg, ein Glasröhrchen und besagte Hohlnadel enthielt. "So wurden die ersten Spritzen erfunden", warf Julius ein, der daran denken mußte, wie er Madame Rossignol einmal eine Einwegspritze aus dem Gedächtnis heraus materialisieren mußte.

Mit der Pumpvorrichtung zogen die Heilerin und Viviane dem Patienten einige Kubikzentimeter Blut aus dem Leib, bevor seine Haut den Fremdkörper aus seinen Adern herausgedrängt und sich wieder geschlossen hatte. "Wir dürfen induktiv annehmen, daß ein untersuchter Patient auch die Ergebnisse für die beiden anderen liefert", sagte Serena. Millie wollte wissen, was mit induktiv gemeint war.

"Das ist, wenn du einoder zwei Ergebnisse aus einer Folge nimmst und daraus schließt, daß alle anderen Ergebnisse auf dieselbe Weise zustande gekommen sind. Wer einen Kasten Wasser immer in Längsrichtung leertrinkt kann sagen, daß er leer ist, wenn er die vorderste schmalseitenreihe prüft und nur leere Flaschen findet. Ist aber keine Garantie, daß nicht ein oder zwei Ergebnisse aus der ermittelten Gesetzmäßigkeit herausfallen", erklärte Julius.

"Können wir das abkürzen, oder findest du, daß wir das wissen müssen, wie Serena die Blutprobe untersucht?"

"Das Ergebnis zählt", erwiderte Julius darauf und ging mit seiner Frau vor die Tür, so daß sie aus der gerade laufenden Erinnerung in eine überwechselten, in der die sechs den Vorfall besprachen. Der dritte Junge konnte nur gestellt werden, weil seine übermenschliche Kraft offenbar sehr heftig an seiner Ausdauer gefressen hatte. Zwar hatten die Verfolger sich den Celericorpus-Zauber auferlegt, der Menschen je nach magischer Stärke des Zauberkundigen zwischen doppelter und fünffacher Schnelligkeit verleihen konnte, aber auch auf Kosten der Tagesausdauer ging. So konnten sie den Jungen einen Kilometer hinter der Begrenzung einholen und mit vier Schockern belegen. Die Analyse hatte ergeben, daß jemand tatsächlich Einhornblut mit Alraunensaft und einer winzigen Spur Riesenblut verrührt hatte. Womöglich, so Serena, habe der Täter hierfür sogar ein Gefäß aus Silber oder Gold verwendet, das er mit katalysierenden Zaubern belegt hatte. Das sei in der Heilkunst ein Weg, wirksame Tränke unter Zugabe weniger Bestandteile als üblich oder in kürzerer Zeit als sonst herzustellen. Viviaane und Petronellus nickten. Serena wartete auch damit auf, wie die Wirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelöst wurde.

"Das Elixier ist ein Blutgift. Um es wirksam werden zu lassen wurde pulverisierte Nachtwurz eingerührt. Nachtwurz gilt in der Zaubertrankbraukunst als Inertialverstärker, also als Trägheitsmittel, um Wirkungen erst nach einer bestimmten Zeit eintreten zu lassen. Das Gift muß aber direkt in die Blutgefäße eingebracht werden, da die Magensäure die Wirkung verändern, günstigstenfalls völlig neutralisieren kann. Jemand beschießt die Schüler mit vergifteten Pfeilen oder bringt ihnen mit Nadeln oder Klingen Verletzungen bei, bei denen das mutagene Agens, also das die Verwandlung bedingende Gift ins Blut gerät. Wer das macht und woher er oder sie diese enormen Kenntnisse hat, um derartige Gifte herzustellen bleibt weiterhin unbekannt. Aber ich habe jedoch gewisse Vorkehrungen getroffen, um den Täter, die Täterin oder die Täter bei einem erneuten Anschlag in Flagrante Delicto zu ertappen." Viviane nickte. Offenbar hatte sie an der Falle mitgestrickt. Millie und Julius erkannten nun, daß es einerseits doch interessant gewesen wäre, die komplette Untersuchung und Besprechung der beiden Hexen mitzubekommen, es aber in diesem Fall nicht so tragisch war, weil Viviane das Ergebnis zusammenfaßte.

"Petronellus hat Serena ja geholfen, die Pflegehelfervorrichtungen und -zauber einzurichten. Sollte es ein Pflegehelfer sein, der für die Taten verantwortlich ist, so muß er oder sie herausgefunden haben, wie die Überwachung überlistet werden kann. Das ist leider sehr einfach. Die Armbänder sind durch einen Localisatus-Zauber mit der Vorrichtung verbunden. Dieser Zauber bezieht seine Ausrichtung aus dem Abstand und der Richtung zu den in der Vorrichtung enthaltenen Spürsteinen, mit denen er in Wechselwirkung steht. Ich habe auf Serenas Einverständnis hin die Schwingungen der Spürsteine geringfügig abgeändert, daß der Ortungszauber zwar noch anspricht, eine auf die bisherigen Schwingungen basierende Manipulation jedoch sofort auffällt. wir arbeiten nun auch daran, die Pflegehelferschlüssel dauerhaft auf ständig wechselnde Grundschwingungen hin mit der Überwachungsvorrichtung zu koppeln, so daß eine Manipulation des Ortungszaubers nahezu unmöglich wird, da diese nicht so flexibel ausfallen kann."

"Wie wurde denn manipuliert?" Fragte Petronellus, den es sichtlich interessierte, wie jemand bestehende Sicherungen umgehen oder ganz außer Kraft setzen konnte.

"Jemand hat, so unglaublich das klingt, ein gegengelagertes Ausrichtungsartefakt hergestellt, das er oder sie aktiviert, sobald er oder sie unerfassbar sein will. Das Artefakt gibt dann dem Armband die Ausrichtung, daß es immer noch am unverdächtigen Ort getragen wird, obwohl sein Träger sich schon längst anderswo aufhält", sagte Serena. "Hierfür mußte der Täter jedoch die Grundmuster der Überwachungsvorrichtung ermitteln. Das konnte er nur, wenn ich gerade nicht im Krankenflügel war. Es gibt leider noch keinen Zauber, der das Eindringen von Personen in bestimmten Räumen weitermeldet."

"stimmt, Alertus und andere kamen erst im zehnten Jahrhundert richtig zum einsatz", flocht Julius ein, während Orion polterte:

"Also ist es doch einer Eurer Schützlinge. Bringt die alle zu mir, und ich kriege raus, wer dieser Halunke oder diese Schurkin ist!"

"Solange ich die Oberaufsicht über die Pflegehelfer habe wird von denen niemand gefoltert, Orion", schnarrte Serena. "Vivianes und meine Vorkehrungen werden ausreichen, den Täter bei einem erneuten Anschlag zu ermitteln. Bis dahin will ich, um keinen schlafenden Drachen zu kitzeln, niemanden von ihnen unnötig verdächtigen. Das wäre den Unschuldigen gegenüber ungerecht und würde den oder die Täter vorzeitig warnen."

"Ihr habt zwei aus meinem Saal bei euch. Was ich mit diesen anfange liegt außerhalb der Unterrichtsszeiten nicht in Eurem Ermessen", warf Orion ein. Serena sah ihn sehr unerbittlich an und sagte:

"Bei der Vereinbarung, wie wir sechs diese Akademie führen, habe ich darum ersucht, eine Gruppe von Schülern, die ich dafür für geeignet halte, als meine Helfer zu führen und zu unterweisen. Diese Helfer, so lautet unsere Vereinbarung weiter, müssen von allen, nicht dem direkten Unterricht zuzuordnenden entbunden sein, was die Oberaufsicht angeht. Wenn die Unterweisungsstunden um sind, erhalten sie zwar für Verfehlungen Straf- und für gute Leistung Bonuspunkte, sind aber nur mir Rechenschaft schuldig, sofern sie nicht innerhalb eines Saales auf diesen begrenzte Taten begingen oder Leistungen erbrachten. Da nicht nur Bewohner Eures Saales von den Anschlägen betroffen sind, Orion, gilt diese Verbindlichkeit. Wenn es wirklich jemand aus der Pflegehelfertruppe ist, so liegt es an mir, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen."

"Wir haben aber auch vereinbart, daß mißfällige Schülerinnen und Schüler der Akademie verwiesen werden, wenn sie ein Maß an Strafpunkten überschritten haben", wandte Logophil vom hohen Tal ein. "Unabhängig von Herkunft, Familie und innerschulischer Aufgaben."

"Unsere herzensgute Serena denkt wohl daran, daß dieser Untäter ihr noch verraten soll, wie er das angestellt hat und dafür vielleicht noch ein Lob erhält", feixte Orion. "Kriegt es endlich raus, wer uns in den letzten Monaten diese üblen Sachen zugemutet hat! Denn sonst berufe ich mich auf unseren Gründungsvertrag Artikel zwanzig, demnach bei verlorenem Vertrauen zu einem von uns die Akademie geschlossen werden kann. Legt es nicht darauf an, daß Beauxbatons nach der Wintersonnenwende geschlossen wird!"

"Ich bin keiner ihrer Knaben, Orion. Ihre Drohungen erscheinen mir daher nur hilflos und lächerlich statt einschüchternd", schnarrte Serena. "Und Euch anderen versichere ich bei der Unversehrtheit meines Lebens, daß es ein vordringliches Interesse von mir ist, diesen Täter zu finden und ihn oder sie von weiteren Untaten abzuhalten. Wir können dann ja gerne über die Menge Strafpunkte sprechen, die nötig ist, um ihn der Akademie zu verweisen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, daß er außerhalb von Beauxbatons womöglich straffrei ausgeht, solange er keinen Menschen ermordet oder durch Magie zur Tötung anderer Menschen veranlaßt hat."

"Wir benötigen eine ordentliche Gesetzgebung", erwiderte Logophil darauf. Dafür erhielt er einhellige Zustimmung.

"Wir Heiler haben bereits mehrere Gesetze und Verhaltensregeln. Falls mir dies gestattet wird, könnte ich, wenn es ein Pflegehelfer ist, diese Gesetze auf den Missetäter anwenden. Eine Strafe könnte dann außer dem Verlust des Zauberstabs auch lebenslängliche Verbannung sein. Ausgebildete Heiler müssen zudem ihr gesamtes Vermögen der Zunft überlassen."

"Jeder braut in seinem eigenen Kessel", schnarrte Logophil verächtlich. Serena wandte ein, daß sie nichts dafür könne, daß es keine einheitlichen Gesetze zur Ausübung und Beschränkung von Magie gebe und die Magier nur in unverbindlichen Abkommen ihre Gemeinschaft erhielten. Allein schon, daß Beauxbatons nur auf der Grundlage der zwischen ihnen sechs vereinbarten Regeln funktionieren könne zeige überdeutlich, wie sehr die magische Welt noch den Mogglern gegenüber aufzuholen habe. Das mußten diefünf anderen einsehen.

Die Umgebung zerfloß wieder zu einem grauen Nebel, der für einen Moment ins schwarze überging, um dann einer neuen Umgebung zu weichen. Sie sahen Serena in ihrem Sprechzimmer. Der Mond strahlte bleich durch eines der Fenster herein und überzog die Einrichtungsgegenstände mit einem Hauch Silbergrau. Die Heilerin und Leiterin des gelben Saales saß vor ihrem überwachungsgerät, aus dem sie alle zwei Minuten einen dünnen Pergamentstreifen kriechen ließ. Millie fragte Julius, ob er wisse, welchen Tag sie in dieser Erinnerung erlebten, weil sie doch ein wenig den Überblick verloren habe. Julius deutete auf ein aufgeschlagenes buch, das die Tagesprotokolle enthielt und somit eine Art Labor- oder Logbuch der Heilerin war. Offenbar wollte sie noch was eintragen.

"Heute ist der sechste Dezember im Jahre achthundertsechsundachtzig christlicher Zeitrechnung", sagte Julius, als er die in römischen Ziffern geschriebenen Zahlen erkannt hatte. Millie blickte auf die Buchstaben in der obersten Zeile der halb beschriebenen Seite, wo Serena in lateinischer Sprache die Ereignisse des bisherigen Tages aufgezeichnet hatte. Julius wollte seiner Frau gerade übersetzen, was die Heilerin geschrieben hatte, als die Überwachungsvorrichtung ein sehr nervöses Zirpen und Klicken von sich gab. Serena tippte sie unverzüglich mit dem Zauberstab an und ließ einen Pergamentstreifen herausschnellen. "Te habeo!" Rief sie. Millie sah Julius an und bekam sofort die Übersetzung "Ich habe dich" von ihm. Sofort stellten sich die beiden Denkariumbenutzer links und rechts von der Heilerin bereit, die gerade den Streifen las und dann ihren Pflegehelferschlüssel mit einigen Zauberstabstupsern bearbeitete. Julius vermutete, daß sie wen auch immer zu sich hinzitieren wollte. Doch niemand erschien bei ihr. Vielleicht wartete sie darauf, daß der oder die Schuldige das Wandschlüpfsystem benutzen würde. Dann jedoch tippte sie mit ihrem Zauberstab an eine Tür ihres Instrumentenschrankes und holte einen Lederbeutel heraus, in dem es leise klirrte, als seien Metall- oder Glasgegenstände darin. Dann trat sie auf jenes Wandstück zu, das mit dem gelben Saal verbunden war. Millie und Julius konzentrierten sich, bei ihr zu bleiben und ihr zu folgen, womit auch sie mit durch das Wegesystem reisten. Doch sie landeten nicht in einem Aufenthaltsraum, sondern einem Korridor, dessen Granitwände deutlich machten, daß sie im untersten Geschoß des Palastes angekommen waren. Hier befanden sich die Kerker, in denen auch Schüler mehrtägige Strafen absitzen konnten. Im Licht von Serenas Zauberstab konnten Millie und Julius erkennen, daß alle Karzertüren weit offenstanden. Beide wußten nicht, wie viele Schüler im Moment dort hätten einsitzen müssen. Doch offenbar beeindruckte es Serena nur eine Sekunde, daß die Türen sperrangelweit offenstanden. Sie tippte mit ihrem Finger den Schmuckstein des Armbandes an und murmelte "Monstrato Fratrem!" Irgendwas schien zu passieren. Julius hörte nur ein leises Wispern, mehr nicht. Dann steuerte die Heilerin auf die massive Granitplatte zu, die den ausgebrannten Kerker versiegelte. Julius konnte genau erkennen, wie ihr Armband zu zittern begann. Also gab es damals schon Curattentius. Die Heilerin Bremste abrupt ihren Vormarsch und wirkte einen Fluchfinder. Dann versuchte sie, die Formel gegen Decompositus anzuwenden, einem heimtückischen Fluch, der organische Substanzen bei Berührung des damit belegten Gegenstandes in Staub und Wasserdampf auflöste. Es blitzte und prasselte von der Wand her. Julius argwöhnte sofort eine unter dem Fluch liegende Zauberfalle, die bei der Aufhebung von Decompositus ausgelöst wurde. Fünf bunte Blitze schossen aus der Wand heraus und bildeten einen feurigen Ring um die Heilerin, der sich in rasender Rotation immer enger um sie zusammenzog. Den Fluch kannte Julius noch nicht. Serena löschte das Zauberstablicht und vollführte eine schnelle Drehung, als wolle sie disapparieren. Dabei schnellte ein orange-gelber Lichtstrahl aus ihrem Zauberstab und verfing sich im immer engeren Wirbel aus Blitzen. Der Strahl wurde zur Spirale gebogen, die sich um die Heilerin legte, bis sie in zehn Windungen orange-gelben Lichtes eingeschlossen dastand und nur noch "Heliohelix Cresceto!" rief. Die um sie gewundene Spirale wuchs nun im Durchmesser an und brach durch die Barriere aus bunten Blitzen, die prasselnd und wie Knallfrösche krachend in alle Richtungen davonflogen, bis die Blitze restlos verpufft waren und die Leuchtspirale sich mit hoher Geschwindigkeit drehend ausdehnte, bis sie die Wände und die Steinplatte berührte. Leise singend flimmerte die Steinplatte. Dann fiel die Lichtspirale in schillernde Funken auseinander, die jedoch nicht ungerichtet verflogen, sondern von Serenas Zauberstab eingesaugt wurden.

"Den muß ich noch lernen", meinte Julius. Millie stimmte dem zu.

"Der ist wohl gegen einfangende Flüche", sagte sie, während Serena die Steinplatte auf weitere Flüche untersuchte, jedoch keinen fand. Dann vollführte sie einen Zauber, von dem Julius bisher nur gehört hatte, daß es ihn gab. "Terra Lapisque permeabilis pro Vivo!"

"Hups, die geht durch die Wand", staunte Millie. Julius war bereits hinter der Heilerin her. Seine Frau sprang ihm nach und konnte auch die Wand durchstoßen. Serena murmelte "Nigerilumos!" Damit wurde ein schwarzer Strahl erzeugt, der in der Dunkelheit nicht gesehen werden konnte, jedoch von allem, was er traf, in farbverkehrter Weise zurückgeworfen wurde.

"Die hat es voll drauf", lobte Julius die Heilerin der ersten Stunde. "Mit dem Schwarzlicht kann sie sehen, ohne ein leuchtendes Ziel abzugeben."

"Das ist dieser Kerker, der gebrannt hat. Schneeweiß, daß mich das fast blendet."

"Das ist umgekehrt, Millie. In wirklichkeit ist der Kerker pechschwarz vor Ruß. Riechst du noch den Schwefel in der Luft?" Millie bejahte es.

"Bleiben Gerüche aus Erinnerungen in den Klamotten hängen, Julius?" Fragte sie. Dieser lachte und verneinte es. "Wir konnten ja auch nicht nass werden oder brennen."

Wieso hat wer immer diese Steinplatte mit diesem Fluch und der Falle belegt?" Fragte Millie.

"Deshalb", sagte Julius und deutete dorthin, wo Serenas magischer Lichtstrahl gerade hinfiel. Das Schneeweiß wurde blaßblau und zeichnete einen rechteckigen Abschnitt in die Wand. Unter normalem Licht wäre dieser Ausschnitt womöglich zu dunkel gewesen, um aufzufallen. Noch einmal prüfte Serena mit Fluchfindern und ging diesmal behutsamer Vor. Doch es passierte nichts. Als sie den Abschnitt in der Wand berührte geschah auch nichts. Dann versuchte sie erneut den Wanddurchdringungszauber. Doch diesmal versagte er. Entweder war in dem Wandstück ein Gegenzauber verankert, oder ein anderer Erdelementarzauber wie Durus überlagerte alle anderen Erdelementarzauber.

"Und ich erwische dich doch", schnarrte Serena. Da hörte sie wie die beiden für sie unbemerkbaren Begleiter ein langgezogenes Brüllen wie von einem gequälten Tier, gefolgt von Lauten, die zwischen Stöhnen und Schreien lagen.

"Hört sich so an wie Bellona vor fünf Jahren, als sie ein Kalb bekommen hat", meinte Millie. Julius konnte das nicht ganz abstreiten, daß diese Laute was mit Geburtswehen zu tun haben mochten. Serena versuchte derweil, das Wandstück mit einen Steinzersetzungszauber zu durchschneiden. Doch auch dieser gelang nicht. "Megadamas", schnarrte sie. Millie nickte. Sie kannte den Zauber offenbar. "Das ist der Superhärtezauber, Julius. Du kannst damit jedes Mineral mehr als zwanzigmal so hart und unverwüstlich machen wie es natürlich ist. Tante Babs hat die Kuhställe damit gesichert."

"Kann man den aufheben?" Fragte Julius.

"Ja, mit zwei Dutzend Erumpenthörnern, fünf bretonischen Blauen oder einer Badewanne von diesem Brenngebräu vielleicht. Der zieht seine Kraft aus der Erde wie die Skyllianri das getan haben."

"Dann könnte man den vielleicht auf ähnliche weise knacken wie den Schutz der Skyllianri", vermutete Julius. Serena testete den Boden und grummelte was. Offenbar war sie auf dieselbe Idee gekommen, nämlich das betreffende Wandstück zu untergraben. Dann fuhr sie herum und warf den schwarzen Lichtstrahl in eine Ecke. Von da quoll grauschwarzer, also eher weißer Dunst hervor. Die Heilerin besann sich nicht zu lange und hüllte ihren Kopf in eine Kopfblase ein. Millie und Julius waren gegen alle Einflüsse immun. Selbst der Todesfluch würde ihnen nichts anhaben können. Denn das alles war ja schon Jahrhunderte vor ihrer Geburt passiert.

"genial, Serenas Widersacher hat eine Gasfalle gestellt, die bei Versuchen, weiterzukommen auslöst. Serena muß das noch gemerkt haben", stellte Julius fest.

"Sie hat wahrscheinlich einen Luftwächter mit, eine Kristallkugel, die bei ungesunder Luftzusammensetzung zu summen anfängt."

"Ich habe kein Summen gehört", meinte Julius.

"Das mußt du nicht hören, Julius. Ist wie bei euren Mobiltelefonen. Die können doch auch auf Vibration eingestellt werden." Dann fiel ihr Serenas Ehering ins Auge. Ein goldener Ring mit einem kugelförmigen Brillanten. Als sie Julius darauf aufmerksam machte, nickte er.

"Da wird der kleine Schnüffler drinstecken. Für eine Heilerin schon praktisch, sowas immer am Finger zu haben."

"Das Zeug ist geruchlos", meinte Millie, als sie von immer dichteren Schwaden umgeben wurden.

"Wir riechen es nicht, weil Serena es nicht riecht", folgerte Julius. Millie grummelte: "Hätte ich auch drauf kommen können."

"Sie will da immer noch durch", meinte Millies Mann, als Serena einen Reducto-Fluch anbrachte.

"Mit dem Todesfluch geht doch alles kaputt, worauf er trifft, oder?" Wollte Millie wissen.

"Nur was nicht magisch geschützt wird. Er tötet ohne Abwehr. Aber wenn Gegenstände gehärtet oder mit Ablenkzaubern behandelt sind weiß ich es nicht", räumte Julius ein. Wieder erklang ein langgezogenes, schmerzhaftes Brüllen und ein baßlastiges Stöhnen und Ächzen. Die Nebelschwaden flimmerten.

"Hoffentlich liegt hinter der gehärteten Wand kein Monster und wirft gerade ein paar neue Abkömmlinge auf die Welt", unkte Millie. Ähnliche Gedanken schien Serena zu haben. Sie löschte ihr schwarzes Licht. Für einige Sekunden standen sie alle im Dunkeln. "Homenum Revelio", hörten sie die Heilerin beschwören. Dann hörten sie "Vivideo" von ihr. Doch der sonst auf alle Lebensformen ansprechende Zauber wirkte wohl nicht. Jemand konnte einen Raum dagegen abgeschirmt haben.

"Wir kriegen hier gerade Unterricht im Suchen und erreichen böser Kreaturen, Millie", bemerkte Julius, als Serena wohl auf die Idee kam, von einem anderen Ort aus in den Raum hinter der Wand einzudringen. Sie lief zurück zur Steinplatte und wollte sie wie vorhin durchdringen. Doch diesmal prallte sie dagegen und fiel auf die Knie.

"Geh mal davon aus, daß das Gas tötlich ist", sagte Julius zu seiner Frau.

"Die kann doch die Notfallapparition machen", stellte Millie fest.

"Da sie es bisher nicht getan hat denke ich, daß sie es auch weiterhin bleiben läßt. Wer immerhinter der Wand ist könnte das wissen, und einen Apparierwall oder den Locattractus-Fluch auf einen ziemlich unangenehmen Gegenstand gelegt haben, eine Wanne voller Säure zum Beispiel."

"Locattractus, von dem hat Tine mir nichts erzählt. Was macht der?"

"Der zwingt einen im seinem Umkreis apparierenden dazu, im Zentrum dieses Kreises zu erscheinen. Damit kannst du sicherstellen, daß nirgendwo sonst jemand appariert und natürlich auch fiese Fallen ins Zentrum stellen."

"War der damals schon bekannt?" Fragte Millie.

"Womöglich schon, weil Serena sonst gleich nach dem ersten Fehlversuch appariert wäre", vermutete Julius. Dann sah er Serenas entschlossenes Gesicht, daß durch die Kopfblase merkwürdig verzerrt wirkte. Sie berührte mit dem Zauberstab ihren Pflegehelferschlüssel und murmelte: "Ubi est ibi sum!" Das Armband glühte auf, wurde strahlendblau und hüllte den Arm und dann die ganze Heilerin ein. Julius griff instinktiv nach der Schulter Serenas. Millie hielt sich an ihm fest. Dann fühlten sie, wie sie für einen Moment in einem farbigen Strudel dahinglitten. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten standen sie in einer gewaltigen Halle, von der aus mehrere Gänge abzweigten, aus denen bedrohliche Geräusche klangen, Quieken, schnauben, Stöhnen und Plärren. Julius stand erst wie vom Donner gerührt da, als er in dieser, im Licht mehrerer Dutzend schwebender Kerzen erleuchteten Halle eine zweite Serena Delourdes sah, die jedoch einen hellblauen Arbeitsumhang trug. Die erste Serena hatte sich noch nicht ganz von dieser Überraschung erholt, als von der Decke her ein runder Käfig mit eng zusammenstehenden Gittern herabsauste und die Heilerin umschloß. Die zweite Serena grinste schadenfroh und winkte mit einem Zauberstab. Julius hatte den Stab schon einmal gesehen, mußte aber erst überlegen, bei wem.

"Das war mir klar, daß diese Armbänder noch einige Sachen mehr können als Curattentius, den Wegezauber, die Sprechverbindung und den Findezauber. Aber alles können die dinger nicht vermeiden, Magistra Delourdes", sagte die zweite Serena. "Mir war auch klar, daß Ihr irgendwann dahinterkommen könntet, wie Ihr mich trotz meines Gegenorters aufspüren könnt. Hat ja lange genug gedauert. Ich muß wieder zurück zu Eva. Die bekommt gerade zehn Kinder auf einmal. Aus dem Käfig kommt ihr nicht frei. Zwischen den Gittern steckt ein Zauberfänger, der nach außen gerichtete Zauber blockiert, und die Gitter selbst sind aus Ferrifortissimum-Stahl."

"Wie konntest du so tief abstürzen, Jüngling?" Schnarrte die Heilerin im Schutz ihrer Kopfblase. Die zweite Serena lachte nur.

"Erkläre ich euch, wenn ich euch in meine Sammlung praktischer Prokreatoren aufgenommen habe und ihr mir helfen dürft, eine neue Rasse Menschen zu erschaffen, die uns Zauberern wieder zu dem macht, was uns rechtmäßig zusteht, zu den Führern dieser Welt, zu denen, die über Wohl und Wehe der magielosen Menschen entscheiden. Es dauert nicht mehr lange, und mein Großvater wird sehr stolz auf mich sein und mein Urgroßvater, dessen Geist uns leitet, wird endlich seine Genugtuung erhalten."

"bist du denn der Tollheit verfallen, Victor? Was redest du da, und was hast du angerichtet?"

"Alles zu seiner Zeit", sagte die zweite Serena und lief in die Richtung der Halle davon, wo ein rötliches Glimmen zu sehen war. Wieder entrang sich ein qualvolles Brüllen und Stöhnen einer bisher nicht zu sehenden Geräuschquelle. Millie und Julius liefen der falschen Serena nach und prallten fast zurück.

In einer Ecke, zwischen Bauchraum und Brüsten mit einem steinernen Ring an der Wand befestigt, hockte eine mindestens zehn Meter große Frau, größer als der Riese Grawp oder die Riesin Ramante, die Julius einmal im Traum gesehen hatte. Ihre Beine waren in Hockstellung mit dicken Stahlreifen an der Wand festgeschmiedet und aus dem weit geöffneten Unterleib fielen gerade zwei knapp einen Meter große, rötlich widerscheinende Etwasse in eine große Wanne voll dunstigem Wasser. Die falsche Serena vollführte mit dem Zauberstab Bewegungen, daß die an diesen Wesen hängenden, pulsierenden Schnüre mit festen Garnen abgebunden wurden. Dann trennte die Doppelgängerin die Schnüre mit "Persectum" so ab, das die Ausgeburten in der Wanne von ihrer gigantischen Gebärerin gelöst wurden.

"Bokanowski läßt grüßen", stöhnte Julius, als er sah, wie die falsche Serena die zwei in der Wanne gelandeten Ausgeburten einzeln heraushob und mit einem kräftigen Schlag auf die nassen Hinterteile zum Ausstoß gequälter Schreie veranlaßte.

"Langsam kapiere ich es, warum Madame Rossignol uns das hier zeigen wollte", seufzte Millie, während die Riesin mit gequälter Miene auf die Doppelgängerin der Heilerin herabblickte und mit einer schmerzverzerrten Stimme wie eine Tuba hervorbrachte: "Gib mir die. Meine sind das."

"Erst wenn alle draußen sind", knurrte die Doppelgängerin der Heilerin und trug die gerade geborenen Geschöpfe in einen Seitengang. Julius wußte nicht, ob er damit die Erinnerung unterbrach, wenn er jetzt hinüberging, um den ganzen Alptraum zu begutachten.

"Der hat hier normale Frauen zu Brutriesinnen aufgeblasen", seufzte Millie. Dann erscholl der Schrei wie von einer Katze, der man auf den Schwanz getreten hat.

"Wohl nicht nur das, Millie", erwiderte Julius, der sah, wie seine Frau von dem allem hier doch mitgenommen wurde. Hätte er nicht schon einmal derartiges mit ansehen müssen hätte es ihn wohl auch sehr mitgenommen. Er ergriff seine Frau bei der Hand und hielt sie sicher und fest. "Wenn du genug gesehen hast können wir auch hier raus, Mamille", sprach er beruhigend auf sie ein.

"Schon heftig, Monju. Aber ich muß da jetzt durch. Ich will wissen, was der noch alles angerichtet hat und warum der in Serenas Gestalt herumläuft."

"Entweder, weil er seine Opfer beschwindeln mußte, um sie hier herunterzubringen, oder weil es ihm spaß macht, seine Lehrmeisterin zu verhöhnen. So ganz richtig ist der wie du gehört hast nicht. Ich hätte nicht gedacht, daß es Victor Moureau ist."

"So, hättest du nicht? Ich hätte niemanden von denen verdächtigt, weil ich dachte, daß Serena eine gute Menschenkenntnis hat und dunkle Zauber von den Armbändern verraten werden."

"Flüche und Zauberstabzauber ja, Millie ... aber wenn der mit Zaubertränken rumlaboriert hat ... Hmm, wann der Vielsaft-Trank erfunden wurde und von wem ist unbekannt. Angeblich stammt seine Rezeptur aus einer Zeit zwischen siebenhundert und achthundert, ohne auf den Erfinder hinzuweisen."

"Du glaubst doch nicht, daß ein sechzehnjähriger Junge mal eben den Vielsaft-Trank erfindet, ohne daß das wem auffällt", schnarrte Millie, während sie sahen, wie die falsche Serena in einen anderen Seitengang abtauchte. Julius blickte sich um und sah noch drei weitere Nischen in rotem Licht. Er lief dort hin. in der ihm nächsten lag eine dieser Riesinnen auf einem dicken mit Wasser gefülltem Ledersack, der mit Wachs gegen Auslaufen gesichert war. Sie schien tief zu schlafen. Julius sah, wie sich die Bauchdecke unter ihrem hervorspringenden Bauchnabel kurz aus- und dann wieder einbeulte.

"Damit ist auch die Frage geklärt, was der mit den Familienklunkern von den Jungen wollte", sagte Julius zu seiner Frau, die wie er umherlief, immer wieder auf die in ihrem Käfig gefangene und sich an Zaubern versuchende Serena blickend. In einer weiteren Nische lag eine weitere Riesin, die jedoch nicht wie die typischen Riesen aussahen, sondern wie eine eben titanengroß aufgeblasene Menschenfrau, wohl eher noch als Mädchen anzusehen, weil sie trotz des Riesenwuchses und der ihr aufgezwungenen Schwangerschaft mit wohl mehr als einem Kind noch sehr jung aussah. Waren das Schülerinnen von Beauxbatons? Der grausigste Fund erwartete sie in der vierten Nische. Hier stand eine gewaltige, kugelförmige Glasschale, die fast bis zum Rand voll Wasser war. Darin schwamm ein mindestens vier meter Langes, rotes, pulsierendes Etwas ohne Glieder und Kopf, aber mit über den ganzen Leib verteilten Ausbuchtungen. Einige waren nur wenige Zentimeter dick, andere gerade fußballgroß. In denen schien sich ebenfalls was zu bewegen. Als Julius genauer hinsah konnte er bei jeder runden Beule ein winziges Loch erkennen, bei den ovalen konnte er in den Rest des pulsierenden Etwasses hineinführende Stränge sehen.

"Was ist das für ein Ding?" Fragte Millie und deutete auf das pulsierende Ungetüm, in dessen Leib von oben her Schläuche führten, die mit irgendwelchen Vorrichtungen an der Decke verbunden waren.

"Also wenn ich nicht auch jetzt völlig abdrehe oder meine Phantasie mir keinen Streich spielt haben wir hier sowas wie ein Brutwesen, daß sich selbst befruchten kann und mehrere Gebärmütter besitzt", seufzte Julius und deutete auf die runden ausbuchtungen. "Hätte nicht geglaubt, daß die vor tausend Jahren schon sowas abartiges hinbekommen konnten."

"Wer die, Julius", wimmerte Millie, der der Gedanke zusetzte.

"Du hast eben selbst gesagt, daß kein sechzehnjähriger Bursche Vielsaft-Trank mal soeben erfindet. Ich selbst habe bisher nur eine Laterna Magica und deine Vielzweckkanne hinbekommen und ein paar Zauberbilder gemalt. Aber für sowas hätte ich echt noch nicht das Grundwissen gehabt, zumal sowas ganz sicher in der Bib wohl nur in der verbotenen Abteilung aufbewahrt würde, wenn überhaupt."

"Der hat die geklauten Liebesklunker und Babybacköfen in dieses Ding da eingesetzt?" Fragte Millie.

"Richtig, und zwar nach Anweisungen von jemandem oder auf Grundlage niedergeschriebener Herstellungspläne."

"Serena! Sie ist aus dem Käfig raus", rief Millie und hoffte, daß die falsche Serena es nicht hörte, weil es hier von den Wänden widerhallte. Dann sah Julius etwas von der größe einer Barbiepuppe in einer weißen Tracht, das sich beeilte, weit genug von dem Käfig fortzukommen.

"Die ist Mutig, kann man nicht anders sagen. Die hat sich selbst geschrumpft, bis sie klein genug war, um zwischen den Gittern durchzulaufen", erwiderte Julius anerkennend. Da wuchs die puppenkleine Gestalt auch schon wieder zur ausgewachsenen Serena Delourdes an. Da heulte ein Ton los, der wie die Pfeife einer alten Dampflok klang. Die gerade wieder zur Normalgröße angewachsene Heilerin hieb sich mit dem Zauberstab auf den Kopf und verschwamm immer mehr, bis sie nicht mehr zu sehen war. Im gleichen Moment stürmte die falsche Serena aus dem Seitengang zurück und sah den leeren Käfig. "Silencialerto!" Rief sie mit erhobenem Zauberstab. Das Geheul verstummte. "Arresto Inimicam!" Rief sie dann noch und wirbelte herum. Ein silberner lichtstrahl fegte aus dem Zauberstab. Die Luft flimmerte wild. Julius vermeinte ein gequältes Stöhnen zu hören, das nicht von einer der Brutriesinnen stammte.

"Hast du dir so gedacht, Besserwisserin, daß du mir entwischen kannst. Disapparieren kannst du nicht, weil der Käfig dich dann wieder eingefangen hätte. Auch wenn du unsichtbar bist kriege ich dich. Discovobscuro!" Der Enthüllzauber, der unsichtbare Wesen sichtbar machte, glitt in alle ecken, bis mit lautem Knistern die Tarnung um Serena Delourdes brach, die bis zum Hals in einem silbrigen Dunst festhing.

"Selbstschrumpfung, nicht warh. Hätte ich vielleicht drauf kommen und statt der Gitter lieber einen geschlossenen Glaszylinder als Aufbewahrungsvorrichtung nehmen sollen. Man lernt eben immer noch was dazu, sagt Urgroßvater Abaddon. Sei es drum. Führe ich dich halt erst einmal herum, bis Eva die letzten drei Kinder austreibt, die noch in ihr drinstecken.

"Wie konntest du meine Gestalt annehmen?" Fragte die wirkliche Serena Delourdes.

"Das wüßtest du gerne, wie. Aber da du ja demnächst eh länger bei mir wohnen wirst, um meine Zucht neuer Menschen aufzubessern, verrate ich es dir. Mein Großvater hat einen Trank erfunden, der es ermöglicht, sich ohne zauberstab und auf einen Schlag in jeden Menschen zu verwandeln, dessen Haare oder Fingernägel in den Trank gerührt werden. Davon konnte ich in den letzten vier Jahren, als du so einfältig warst, mich als Pflegehelfer zu kultivieren, genug brauen. An deine Haare kam ich immer dran, wenn du wegen irgendwelcher Streithammel oder Besuche im gelben Saal aus deinen Räumen heraus warst. Das wurde nötig, als ich erfuhr, daß man auch innerhalb dieser Schule von Weltfremden apparieren konnte. Eigentlich wollte ich mit diesem Moggler, der meinte, drachenstark werden zu können und sich von mir das Rezept von Brenngebräu hat aufschwatzen lassen nur den Kerker freiräumen, weil ich wußte, daß von da aus ein Weg zu einem unterirdischen Höhlensystem führt. Aber das mit der Notfallapparition war genial. Ich mußte nur den Trank meines ehrenwerten Großvaters brauen und mich in dich verwandeln. Bist wirklich noch gut in Form, Serena. An das im hocken Pullern mußte ich mich zwar erst gewöhnen, ist aber im Vergleich zu den Möglichkeiten, die mir deine Hülle bietet nebensächlich. Ich habe nur aufgepaßt, daß ich nicht gerade dann neue Haare von dir brauchte, als du schwanger wurdest, weil ich nicht weiß, ob ich dann nicht auch für die Dauer des Trankes mit Zuwachs im Wanst herumgelaufen wäre. Aber zu dem, was ich dank dir und deinem Wissen und dem meines Großvaters auf die Beine gestellt habe." Die falsche Serena ließ die echte in ihrer nebelartigen Verpackung ansteigen und bewegte sie mit dem Zauberstab zu jener Riesin, die gerade wieder stöhnte, weil neue Presswehen sie überkamen. Serena erschrak und tadelte den verwandelten Pflegehelfer. "Du hast ein unschuldiges Mädchen in eine Riesin verwandelt?"

"War nicht einfach. Ich mußte einige Experimente anstellen, um die verschiedenen Tränke aufeinander abzustimmen, damit ich eine Riesin mit der Gebärfreudigkeit eines Kaninchens hinbekomme. Es ist aber nur die erste Stufe gewesen." Der in Serenas Erscheinung herumlaufende Zauberer ließ seine Gefangene weiterschweben und führte ihr jenes wurmartige Ungetüm vor. "Das ist die Krönung der bioplastischen Magie, der Erschaffung neuen Lebens, der Inkubatorwurm, die perfekte Zucht- und Brutkreatur. Im wesentlichen ist es eine Sammlung von fünf Menschenherzen, zehn Mägen und bis zu zwölf paaren verschiedengeschlechtlicher Fortpflanzungsorgane. Die Tragzeit wurde von mir auf nur zehn Wochen verkürzt, so daß ich mit den Kindern, die wie gewöhnliche Säuglinge aussehen, schnell experimentieren kann. Bitte mir zu folgen!" Mit dieser verächtlichen Aufforderung lenkte er Serena weiter, die gerade ansetzte, ihn zu fragen, wie er auf diese Wahnsinnstat gekommen sei, als sie durch den Seitenstollen trieb und an großen Käfigen und Glaskästen vorbeikamen, in denen Mischungen aus Menschen und Tieren hockten, die quiekten, heulten, schrien und quakten. Julius sah Menschenwesen mit Schnäbeln, Katzenköpfen, grün wie ein Frosch oder mit silbergrünen Fischschuppen. Er sah puppenkleine Menschen mit weißgefiderten Flügeln und eine normalgroße Frau, aus deren Bauchdecke der Oberkörper eines gerade wohl fünfzehn Zentimeter langen Mannes mit Bart herauswuchs. Ansonsten war der Unterleib der Frauengestalt so beschaffen wie bei einer gewöhnlichen. "Meine Vorstufe, eine Verschmelzung zwischen einem Mann und einer Frau zum Zwecke der unverzüglichen Befruchtung", sagte die falsche Serena, während der kleine Mann ihn finster ansah und mit piepsiger Stimme sagte: "Du verdammtes Rabenaas, mach mich von meiner Alten wieder los und laß mich wieder normalgroß werden."

"Moggler, die ich mir vor drei Jahren in den Ferien gefangen und dann hier untergebracht habe, bis ich raushatte, wie ich die beiden zum Androgyn-Hybriden zusammenfügen kann. Die liebe Demeter hat mir vor einem halben Jahr das zweite Kind zum Experimentieren geboren. Daß ihr angesetzter Ehemann nur ein Zehntel so groß ist wie sie hat nicht sonderlich gestört. Nur daß sie für ihn dauernd mitessen muß, weil er von ihr mitdurchblutet wird hat sie am Anfang gestört."

"Wozu dient diese grauenhafte Mißachtung von Leben, Victor?"

"Ich mißachte das Leben nicht. Ich verbessere es nur. Ich stehe kurz davor, die letzte Grenze zwischen der Natur des Tieres und der des Menschen klar zu bestimmen und zu erweitern, damit Menschen ohne ständige Tränke und Ausdauer zehrende Zauber Falkenaugen, Wolfsohren, Bärenkräfte oder die Geschmeidigkeit von Schlangen in sich vereinen können. Endlich ist es mir gelungen, das Geheimnis der Riesen, Zwerge und Kobolde zu lüften und mit deren Eigenschaften diese außergewöhnlichen Fähigkeiten zu erzielen. Aber um sicherzustellen, daß mir meine Züchtungen nichts tun mußte ich eine Methode erfinden, um sie gehorsam zu stimmen, ohne den Imperius-Fluch verwenden zu müssen. Mein Urgroßvater hat versucht, künstliche Hirne zu entwickeln, die ein gezüchtetes Wesen beherrrschen. Aber bisher gelang das nicht. Aber es gibt einen Trank, der die vollkommene Fügsamkeit herbeiführt. Selbst du dürftest davon gehört haben."

"Es heißt immer noch Ihr, Victor Moureau, und sieh gefälligst zu, deine angeborene Gestalt wiederzubekommen. Oder gehört es zu den Ausprägungen deines Irrsinns, mich in meiner Erscheinungsform zu verhöhnen?"

"Ist ja lustig. Da wehrt sich jemand gegen die von unfähigen Menschen ungerechtfertigterweise aufgezwungenen Moralvorstellungen und sogenannten Anstandsregeln, und schon gilt er als irrsinnig. Dabei sollten die, die sich derartige Anmaßungen leisten, ohne durch etwas wie Macht oder Wissen dazu berechtigt zu sein, als die wahren Irrsinnigen erkennen. Ich will nur das Vermächtnis von Urgroßvater Abaddon erfüllen und die Unterdrückung der Zauberer beenden, mit der sich all zu Tier- und menschenfreundliche Feiglinge zu bereitwillig abgefunden haben. Sie nennen das "Die dunklen Künste" oder "schwarze Magie", wenn jemand wie mein Großvater oder ich die uns gebotene Macht nutzen, um was wirklich neues, über die beschränkten Formen der Natur hinausgehendes zu erschaffen. Aber Greife und Sphinxen halten könnt ihr, Hurra rufen, weil es diese großen Gäule gibt, die ein Abraxas Greengrass gezüchtet hat. Ich biete der Menschheit einen Weg, über die durch bloßes Lieben und Gebären auferlegten Grenzen hinauszuwachsen. Die Christen faseln von dem einen Gott, der alles erschaffen hat. Er hat also auch diesen Teufel erschaffen, zu dem uns Magier alle die Moggler wünschen, die finden, daß Zauberei verboten gehört, weil sie Angst vor uns haben. Dann sollen sie uns eben fürchten, wenn sie uns nicht ehren wollen. Dann werden wir sehen, wer hier wen oder was nach seinen Vorstellungen erschafft oder vernichtet. Und was die gerade von mir besessene Erscheinung angeht, so wird die nicht mehr lange vorhalten. Ich habe alle Eingänge wieder versiegelt, als du dich durch die Steinplatte gemogelt hast. Aparieren kann hier auch niemand, ohne gleich in meinem Käfig zu landen. Und was dich angeht, so biete ich dir an, entweder Brutmutter Nummer vier zu werden oder deine Fortpflanzungsorgane an meinen Inkubatorwurm zu spenden, auf das er mit deinen Keimzellen und deinem Schoß aufgewertet wird."

"Woher weißt du, wie man arglosen Frauen und Mädchen die inneren Geschlechtsorgane entnimmt, ohne eine bleibende Verletzung zu verursachen?" Fragte Serena nun sehr ruhig. Millie und Julius standen keinen meter vom grauen Dunst entfernt und hörten sich die Selbstlobesarie des verwandelten Pflegehelfers an.

Der angehende Schwarzmagier lachte laut und sagte dann: "Mein Großvater wäre gerne einer von euch Heilern geworden. Aber die von ihm befragten Mentoren waren ihm zu überheblich. Er fand einen anderen, ehrenvoll zu nennenden Beruf als Zauberschmied. Doch er las viel in den Aufzeichnungen meines Urgroßvaters und erfuhr, daß dieser einen Weg ersonnen hatte, jedes menschliche Organ aus dem lebenden Körper zu lösen und in einen anderen Körper zu verpflanzen, sofern es nicht überlebenswichtig war. Ich könnte dir dein Herz oder Hirn herauszaubern. Aber dann würdest du sterben. Ebenso könnte ich deinen Magen oder deine Harnblase herauszaubern und gleichzeitig alle dabei alle Adern mit dem Rest des Körpers wiederverbinden. Aber auch diese Organe brauchst du. Männer und Frauen können aber ohne ihre Prokreationsorgane leben, selbst so ein wandelnder Phallus wie Orion Lesauvage, dem ich es gegönnt hätte, wenn er ganz zu einem schleimigen Frosch geworden wäre. Das war die Rache für die Schläge und Kopfnüsse, die mir dieser Barbar versetzt hat. Vielleicht setze ich dem seine übergroßen Samenkugeln auch in meinen Inkubatorwurm ein, damit dein Uterus mit seinem schleimigen Samen geschwängert wird."

"Was haben Sie dir angetan, daß du derartig abfällig über das größte Wunder der Welt, das Leben in seiner Vielfalt, entrüstet bist?" Fragte die echte Serena. Die falsche lachte wieder.

"ich habe im Moment deine Ohren, Serena. Daher weiß ich, daß du mich durchaus eben gehört hast. Ich sagte, daß ich das Leben achte und verbessere. Was taten denn die, die Meermenschen, Chimären, Zentauren, Greife und Sphinxen auf die Welt brachten? Was für eine Mißachtung dem Leben gegenüber haben die, die aus niederen Tieren nützliche Mischwesen machen? Ich will den Menschen verbessern, ihm die Größe geben, die er sich bisher nur eingeredet hat, aber ohne diese heuchlerischen Pfaffen und ihre eigene Natur verleugnenden Nonnen und Mönche. Der Mensch ist seines Daseins Schmied, und wenn er Magie beherrschen kann ist es seine Pflicht, die Menschen zu führen, zum größeren Wohl und für das hohe Ziel, die Sklavenketten der Natur endgültig abzustreifen.

"Das denkst du doch nicht. Du plapperst die Phrasen verbitterter Leute nach, die sich nicht damit anfreunden wollten, daß wir nicht die Herren dieser Welt sein können, weil wir nicht wissen, warum wir so sind und warum es mehr Moggler als Zauberer und Hexen gibt. Forschen, ja, neues erschaffen, ja. Aber dabei immer das bestehende achten und mit den neuen Erkenntnissen menschlich umgehen. Es ist ein Unterschied, ob ein Tier ohne Persönlichkeit mit einem anderen Tier durch Fortpflanzungsvariationszauber neue Exemplare hervorbringt oder ob jemand lebende Menschen mit einer Seele und Persönlichkeit halbiert, indem er oder sie ihn mit einem rein auf eigene Erhaltung ausgerichteten Tier zusammenzwingt. Diese unschuldigen Menschen, die du dazu verurteilt hast, sich einen Körper zu teilen, damit sie ständig neues Versuchsmaterial für dich erbrüten können, ist doch keine Verbesserung ihres Lebens, sondern eine Ernidrigung. Ebenso die Hybriden, die du erschaffen hast. Sie sind arme Kreaturen, die im freien elendiglich zu Grunde gehen werden. Das ist doch keine Verbesserung. Menschen durch einen tückischen Krankheitskeim zu verunstalten, nur um zu sehen, ob es gelingt und was dabei herauskommt, ist keine ehrliche Forschung, sondern feige Brutalität, eine Brutalität, die schlimmer ist als Mord und Totschlag. Oder kannst du diese armen Kreaturen, die du auf Betreiben dieser armseligen Männer hin erschaffen hast, in ihr Leben liebende Geschöpfe zurückverwandeln? Kannsst du die Uteri, Ovaria und Testikeln, die du unschuldigen Menschen entrissen hast, wieder an ihre angestammten Orte zurückversetzen und deren Trägern ein erfülltes Leben mit der Entscheidungsfreiheit für Elternschaft geben?"

"Dafür sind die Organe schon zu lange ein Teil des Inkubatorwurms und die, von denen ich sie habe, sind körperlich nun auf ein Leben ohne das alles eingerichtet."

"Das nennst du also Forschung, Schöpfung, Verbesserung", erwiderte die gefangene Serena sehr bedauernd klingend. "Und mir willst du das Recht auf ein weiteres Kind nehmen und wagst es sogar, mich zu verhöhnen, daß mein warmer Mutterschoß in einem schleimigen Wurm ohne Sinn und Persönlichkeit weiterleben und von der Saat mir nicht erwünschter Väter neues Leben zu empfangen hat. Das ist keine Verbesserung und auch keine Achtung des Lebens. Du hättest diese armen Mädchen erst fragen sollen, ob sie sich darüber freuen, dir immer wieder neue Versuchsgeschöpfe auszubrüten. Wie inseminierst du diese bedauerlichen Kreaturen eigentlich?"

"Dem Inkubatorwurm kann auch Samen entnommen werden. Abgesehen davon kann ich meine eigene Saat benutzen, wenn ich nicht mal wieder in deinem Hexenkörper herumlaufen muß. Außerdem habe ich jetzt keine Lust mehr, dir zu erklären, warum ich das tue. Ich habe es getan, um dir meine Dankbarkeit zu bekunden, weil du mir geholfen hast, das Erbe meines seligen Urgroßvaters Abaddon antreten zu können. Dieser , der vier Monate nach der versuchten Steinigung an einem Herzschlag starb und dessen Sohn Barrabas, der sich ansehen mußte, wie stumpfsinnige Könige und selbstherrliche Prediger die Welt unter sich aufteilten, wo früher Druiden wie der große Merlin die ihnen anvertrauten Völker behütet haben, werden stolz auf mich sein, wenn ihr Wunsch durch mich erfüllt wird. Du hast mir vorgehalten, ich hätte die drei Bauernmägde fragen müssen, ob sie meine Brutmütter werden wollen. Nun gut, so frage ich dich, Serena Delourdes, willst du mir die Ehre geben, mir bei der Erschaffung einer besseren Menschenrasse zu helfen, oder soll ich dich von dem Ballast der Gebärfähigkeit befreien?"

"Ihr Männer habt davon doch keine Ahnung. Ihr hört uns zwar in den Wehen schreien, wißt aber nicht, wie erhaben es doch ist, einem neuen, atmenden Menschen das Leben zu geben", schnarrte Serena. "Gib mir eine Minute Bedenkzeit, Victor. Denn aufhalten kann ich dich wohl nicht."

"In der Wolke der Feindesfessel - übrigens auch eine Erfindung meines Großvaters Barrabas - wirst du keine Möglichkeit haben, eine Handbewegung zu vollführen."

"Nur noch eine Frage, bevor ich es mir überlege: Warum haben die Mädchen davon nichts gespürt, was du an ihnen ausgeführt hast?"

"Dieser Vielsaft-Trank meines Urgroßvaters ist sehr nützlich, und ein schlichter Gegenorter gegen deine Vorrichtung gab mir die Möglichkeit, in die Säle Gelb und Grün zu gehen um dort die richtigen auszusuchen, die von ihrer Abstammung her die besten Grundvoraussetzungen für die neue Rasse magischer Menschen bilden. Der Zauber wirkt fast schmerzlos. Nur einen Moment lang wirst du spüren, daß etwas in deinem Körper verändert wird. Aber dann stellt er sich darauf ein, immer schon so und nicht anders gewesen zu sein. Es sei denn, ich entnehme dir dein Herz, dein Hirn, deine Lungen oder deine Verdauungsorgane. Mit dem Zauber wollte Großvater Barrabas übrigens die Heilmagie bereichern, wenn schwerkranke Magier derartige Organe brauchen."

"Und diese dann von Mogglern übertragen bekommen?" Fragte Serena. Ihre zeitweilige Doppelgängerin nickte. Da stöhnte Eva wieder und schrie lauter. "Du hast Zeit, bis ich Evas letzte Kinder untergebracht habe", sagte die falsche Serena und eilte davon.

"Hoijoijoi, habe ich es doch gesagt, Bokanowski und Voldemort seien von diesem Kerl zu toppen", stöhnte Julius, während die Brutriesin Eva ihre Geburtsschmerzen in die Halle brüllte.

"Jetzt weißt du, warum die Zaubererwelt hinterher ist, daß alle magischen Kinder anständig ausgebildet werden", sagte Millie. "Und jetzt kapiere ich das auch, wieso Serena diese Strafe eingeführt hat. Ohne Gebärmutter hätte ich diesen Schweinehund auch in irgendwas ekliges Verwandelt."

"Du meinst, sie wird unfruchtbar gemacht. Aber irgendwie muß sie diesen durchgeknallten Typen doch aufgehalten oder Hilfe bekommen haben", vermutete Julius mit der Sicherheit dessen, der die Zukunft ja eigentlich kennt.

"Ich denke wohl eher letzteres", sagte Millie. Da sah sie genauso wie ihr Mann, wie Serena ihre Arme und Beine ausstreckte und sich ohne weitere Mühe aus der grauen Nebelwolke befreite, die danach lautlos auseinandertrieb und verging. Beide staunten. War dieser Fesseldunst doch nicht so stark, daß eine willensstarke Hexe ihn nicht abschütteln konnte? Sie zog ihren Zauberstab und berührte damit Kopf und Bauch. Ein leichtes Flimmern umspielte sie. Dann hieb sie sich noch einmal mit dem Zauberstab über den Kopf, der verschwamm und dann nur noch zu sehen war, als sie so leise sie konnte den Seitengang weiterlief. Sie hörten das Gebrüll der zur Riesing aufgeblasenen Gebärerin und wußten, daß gleich wieder kleine, unschuldige, vielleicht armselige Kreaturen ans Licht der Welt gelangten. Julius ging behutsam in die Richtung, in der die getarnte Serena verschwunden war. Dann sahen sie, daß dieses Höhlensystem noch eine kleine Halle beherbergte, in der mehrere Kessel über gerade nicht entzündeten Feuerstellen hingen und sich Regale an den Wänden reihten.

"Da haben wir die Hexenküche des Höllen-Teenies", gab Julius eine verächtliche Bemerkung ab.

"In Gegenwart einer Hexe dieses Monstrositätenlaboratorium Hexenküche zu nennen ist schon ziemlich dreist, Monju", fauchte Millie und kniff ihm in die Nase.

"Kannst mit Anthelia einen Club aufmachen. Die hat sich bei Bokanowski auch darüber beschwert, weil ich sein Monsterlabor als Hexenküche bezeichnet habe."

"Die hatte das auch nötig, nachdem was wir von der mitgekriegt haben und was Britt über diese Monsterbiene erzählt hat", schnaubte Millie.

"Aber was Serena gesagt hat ist schon zu bedenken. Wir menschen meinen, ob mit oder ohne Magie, an lebenden Wesen rumzuexperimentieren. Muggel wissen seit einigen Jahren, wo der Bauplan für ganze Lebewesen abgelegt ist und können den in bestimmten, aber immer weiter ausgebauten Grenzen umschreiben. mein Vater war Wissenschaftler, der künstliche Stoffe hergestellt hat, die auch nicht so naturfreundlich sind, und meine Mutter arbeitet mit Geräten, die das ganze Miteinander von Menschen immer mehr bestimmen. Wo ist da die Grenze des nötigen und die des zu verbietenden?"

"Immerhin bist du nicht auf die Idee gekommen, deine Zauberkräfte und Naturwissenschaftskenntnisse so anzuwenden wie dieser Moureau", sagte Millie mit einer entschlossenen Miene.

"Und ich frage mich seit der Sache mit Hanno Dorfmann, was mir passiert ist, daß ich bisher nicht so ausgerastet bin."

"Auch wenn du das eigentlich selbst erkennen müßtest will ich dir das sehr gerne sagen, Monju. Du hast früh genug lernen dürfen, daß es nicht nur Sachen gibt, für die man leben kann oder muß, sondern auch Menschen, für die und mit denen man leben darf. ammayamiria hat dich genau deshalb angetrieben, schnell wieder mit wem zusammenzukommen, ob mit meiner Schwester, Belisama oder mir, damit du das nicht verlernst, was Claire dir beigebracht hat."

"Damit ich nicht aus dem Ruder laufe, meinst du Millie?" Fragte Julius, während er den zwischen den Kesseln und Retorten herumirrenden Schemen der getarnten Serena im Blick behielt.

"Nein, damit du glücklich genug bleibst und Freude am Leben hast. Dieser Victor Moureau ist wirklich ein ganz armer Knilch, daß er nur dafür lebt, den Traum seines Großvaters nachzuleben. Serena hat doch recht, wenn sie ihm vorwirft, daß er nur dummes Zeug nachquatscht und nur wegen dieser alten Zausel so aus der Bahn geflogen ist. Ah, da hinten hat Monsieur Monstrositätenmacher seine Bibliothek." Julius erkannte den Bücherschrank auch, als er die immer wieder phantomhaft angedeuteten Bewegungen Serenas in der Nähe eines Bücherschrankes sah.

"Die will seine Aufzeichnungen haben. Aber die kommt doch hier nicht mehr lebend raus", erwiderte Julius.

"Denkst du. So wie die vorhin geguckt hat, als Moureau zu seiner Riesenbrüterin gelaufen ist hat die mindestens einen Rennbesen im Ohr versteckt, Wie ma mal gesagt hat, als Opa Roland aus einer ähnlichen Kiste rausgekommen ist. Ihr zwei hättet euch sicher auch sehr gut verstanden."

"Kann ich nicht sagen, wie dein Opa Roland mich aufgenommen hätte. Sein Bruder war jedenfalls ein Drecksack", knurrte Julius und empfand diese Verärgerung als beste Tarnung für seine Hintergedanken. Denn er hätte sich mit Roland Didier, der dann Latierre hieß, womöglich nicht gut verstanden, nachdem er erfahren hatte, was sich dieser Zauberer als Beauxbatons-Schüler geleistet hatte.

"Dafür haben sie den auch schön tief eingebuddelt in Tourresulatant", knurrte Millie. "Den hätten die echt in eine Bettpfanne verwandeln können und Tante Trice zur Heilerausrüstung geben sollen."

"Dann wohl eher in eine Windel für deinen ungeborenen Onkel oder deine noch nicht gezeugte Tante, Mildrid. So wie Oma Line aussah, als das Urteil verkündet wurde, hätte die den am liebsten ... Was passiert denn jetzt?" Er sah auf den Bücherschrank, der flimmerte und zu qualmen schien. Der Qualm verdichtete sich knapp vor Julius und Millie zu einem festen Körper, einem zweiten Bücherschrank. "Geminius", erkannte Julius. Damit konnten magische oder nichtmagische Dinge verdoppelt werden. Anders als beim Vervielfältigungszauber Multiplicus ging dieser zauber auch mit magischen Gegenständen, ohne die Wirkung des Originals zu zerstören. Dafür konnte man mit Multiplicus bis zu zehn Kopien auf einmal erschaffen. In dem Moment, wo er das überdachte löste sich der Originalschrank mit leisem Plopp auf.

"Hat die den Verschwinden lassen?" Fragte Millie.

"Kann ich nicht sicher sagen. Aber ich vermute ganz stark, daß sie hofft, alle Aufzeichnungen von ihm ergattern zu können und die an einen ihr ganz bekannten Ort teleportiert hat. Hoffentlich hat der Schrank keinen Ortsverharrungszauber wie Lady Alexas Blumenstrauß."

"Dann müßte er eigentlich sofort wiederkommen. Ich höre noch nicht mal einen Alarmzauber. Dieser seltendämliche Trottel hat seine Bücher nicht gesichert."

"Ein lautes Brüllen und wenige Augenblicke später das Plärren von weiteren Babys durchdrang die Halle. In dem Moment hob der Bücherschrank ab und glitt wenige Zentimeter über dem Boden an den Standplatz des Originals zurück. Sie hörten Serenas Stimme rufen: "Alle zehn da. Gutes Mädchen, Eva. Drei Mädels und sieben Jungs. Jetzt bringe ich dir alle zum anlegen. Dann kann ich mich um ... uoooarg!"

"Huch, was wird das?" Fragte Millie leicht verdutzt, während etwas schattenhaftes zwischen ihr und Julius hindurchwetzte und an den gefüllten Kesseln vorbeihastete, aus denen leise gluckernd was verschwand.

"Der Vielsaft-Trank hört zu wirken auf. Aus der Sie wird ein Er. Ist ihm wohl sehr unangenehm."

"Es sei ihm gegönnt", knurrte Millie. "Wer so abfällig über Hexen und Frauen ablästert hat nicht mit Dutteln rumzulaufen."

"jetzt wird's wohl spannend", bemerkte Julius, während er sah, wie die Gründungsmutter beinahe unsichtbar Zaubertrankproben zog und die kleineren Phiolen mit Inhalt ganz einsackte. Tatsächlich stand dort auch ein Kessel mit der schlammartigen Brühe, die Julius als Vielsaft-Trank kannte.

"So, ich denke, so willst du mich lieber sehen, Serena!" Rief nun Victor Moureaus Stimme. "Ich bringe Eva nur ihre Kleinen. Dann höre ich mir deine Entscheidung an."

"Seltendämlich", knurrte Julius. "Kündigt auch noch an, daß sie genug Zeit hat."

"Weil der nicht mitbekommen hat, daß sie aus seiner Zauberfalle rausgehüpft ist", meinte Millie, während Serena wohl noch ein paar Trankproben zog. Die Routine der Lehrerin und Heilerin, mußte Julius anerkennen. So schnell Proben aus Kesseln, Retorten und großen Flaschen zu entnehmen, noch dazu so kaltblütig, wo der Erzfeind nur wenige Dutzend Meter entfernt war. Sie hörten es leise klirren und klappern. Dann war Ruhe. Sie liefen zurück in den Seitengang, wo Serena gefangen gewesen war. Da enttarnte sie sich und hüllte sich mit einem Nebelzauber, den sie offenbar sehr gut lenken konnte, in eine graue Wolke ein, die dem Fesseldunst von eben so stark ähnelte, daß der irregeleitete Pflegehelfer glauben konnte, sein Fangzauber hielte noch.

"Langsam imponiert mir die Dame", erwiderte Julius. "Dabei steht sie doch für Schüchternheit und Zurückhaltung."

"Wie Sandrine und Madame Rossignol", erwiderte Millie. Julius mußte wider den Ernst der Situation grinsen. Da kam Victor Moureau angelaufen. Er sah die scheinbar immer noch festsitzende, die ein nachdenkliches Gesicht machte und sagte:

"Du hast Eva gesehen und den Inkubatorwurm. Was ist dir also lieber?"

"Das mein Mann unser Kind nummer sechs in meinem Schoß heranwachsen sehen und ich es aus diesem in eine friedlichere Welt gebären darf, die ohne lebensverachtende Zeitgenossen wie dich existieren wird", erwiderte Serena Delourdes. Victor lachte schallend auf und hob seinen Zauberstab.

"Du bist die Irrsinnige, Serena Delourdes. Dann pflanze ich deinen schleimigen Uterus eben in meinen Inkubatorwurm ein und hole mir morgen noch Orions übergroße Kugeln dazu." Millie und Julius wichen unwillkürlich aus, als er den Zauberstab auf die Heilerin richtete. Da zerfaserte die Wolke um Serenas Körper. Ihr Zauberstab stieß in Richtung Victor, und ein vielfarbig leuchtender Strahl schlug zu ihm über. Victor stand auch ohne den Confundiridius-Zauber verwirrt da. Dieser verschaffte Serena jedoch nur die nötigen Sekunden, in denen sie den Incapsovulus-Zauber laut und entschlossen aussprach, um ja sicherzugehen, daß er seine Wirkung tat. Ein weißer Dunst umhüllte Victor, der weltentrückt dastand, bis der Zaubernebel ihn komplett umfangen hatte. Dann verfestigte sich der Dunst zu einer harten, eiförmigen Schale, die leise scharrend einige schritte zurückrollte.

"Ich hoffe, die anderen Gründer und der Rat der Heiler werden mit deinen bereitwillig gemachten Aussagen zufrieden sein. Aber was dann", grummelte die Heilerin und prüfte ihren Lederbeutel, dem sie einen kleinen Gegenstand wie einen silbernen Blütenkelch mit einer daranhängenden Kristallkugel entnahm.

"Ah, ein Wortspeicher", erkannte Millie. "Gilbert hat auch ein paar von denen. Da können vier Stunden Gespräch drin aufgefangen werden. Wußte gar nicht, daß die im neunten Jahrhundert schon im Umlauf waren."

"Die ersten Schallansauger und Wortspeicher stammen von Chirodoros von Mykene aus dem siebten Jahrhundert. Sie kamen mit magischen Kauffahrern aus Byzanz nach Sizilien, von wo sie in Westeuropa verkauft wurden. Allerdings waren die wohl damals schweineteuer", erwähnte Julius.

"Sag mal, wir hatten eigentlich in den Ferien viel zusammen unternommen. Woher hast du so plötzlich die Zahlen und Namen?" Fragte Millie.

"Habe ich mir damals alles angelesen, als ich die Zauberlaterne für Claire gebaut habe", erwiderte Julius stolz. "Wollte ja schließlich wissen, wie man Geräusche auffangen oder künstlich erzeugen kann und seit wann das ging. Professor Flitwick hat mir erlaubt, die entsprechenden Bücher für ZAG-ler und drüber zu lesen."

"Achso, und ich dachte schon, du hättest heimlich gelesen, während du mir was ganz gutes getan hast", flüsterte Millie ihm zu.

"Die Variante müßte ich mal ausprobieren", gab Julius Schlagfertig zurück. Da erwachte Victor aus seiner aufgehalsten Geistesabwesenheit.

"Vermaledeit und in den tiefsten Giftpfuhl geworfen! Wie hast du das geschafft?" Klang seine Stimme hohl aus der Einkapselung heraus, die nur eine Selbstentkräftung mit einem gekoppelten Auflösungszauber für künstliche Materie zerstören konnte.

"Hast du dir wirklich eingebildet, ich würde mich dir hilflos ausliefern? Ich wollte eigentlich mit mehreren Leuten zusammen zu dir, als ich das Zeichen bekam, daß dein Gegenorter meine Vorrichtung zu überlagern wagte. Dann jedoch erkannte ich, daß du dann in meinem Körper disapparieren könntest. Denn das du appariert bist las ich aus der veränderten Ortungsanwendung. Höchstwahrscheinlich werden wir die Notfallregelung widerrufen müssen, damit zukünftige Heilerinnen vor solchen Anmaßungen wie deiner sicher sein können. Aber zu deinen fragen, damit du erkennst, wie einfältig und überheblich du bist. Ich habe Goldblütenhonig in einer großen Phiole in meinen Umhang eingenäht, um generell vor niederen Flüchen gefeit zu sein. als mich dein Nebelzauber für einige Momente umhüllte wirkte er nur so, daß er mich hielt, solange ich keine schnelle Bewegung machte. Mich dir scheinbar leichtfertig auszuliefern war die einzige Möglichkeit, deine Motive zu ergründen und eine Gelegenheit zu erhalten, an deine Aufzeichnungen und Elixiere zu gelangen. Beides gelang mir besser, als ich befürchtet habe. Deine Aussagen habe ich in einem Wortspeicher. Damit werden die anderen Gründer und meine Kollegen von der Heilzunft zufrieden sein. Die Ergebnisse und Ausgeburten deines krankhaften Schaffensdranges werden meine Kollegen und ich untersuchen. Vielleicht ergibt sich doch eine Möglichkeit, den von dir zur Unfruchtbarkeit verurteilten Knaben und Jungfern wieder zu einem vollständigen Leben zu verhelfen. Wie wir die drei armen Frauenzimmer, die du als Brüterinnen mißbraucht hast und die Hybriden behandeln können müssen wir noch klären. Du jedenfalls wirst deine gerechte Strafe erhalten."

"Von wem. Ich bin kein Heiler. Ich unterstehe nicht euren Gesetzen. Und draußen laufen genug Zauberer herum, die mich ehren und achten werden, weil ich unserer Gemeinschaft zu einer würdigen Rückkehr verhelfen wollte. Außerdem kannst du nicht an meine Aufzeichnungen heran. Die sind in einem versiegelten Bücherschrank. Nur ich kann den öffnen. Wer es sonst versucht löst einen Selbstvernichtungszauber aus, der den Schrank und ihn selbst vollständig verbrennt. und jetzt mach diese verdammte Schale um mich wieder auf, bevor ich sie sprenge. Ohne mich kommst du hier nicht mehr raus. Ich habe einen Apparitionswall hochgezogen, der den Notfallsprung verhindert."

"Ich rolle dich einfach nach draußen. Du bleibst in der magischen Kapsel, bis wir dich in einem Karzer sicher untergebracht haben", sagte Serena.

"Dann bleibt mir nichts anderes übrig, du Sabberhexe: Abaddons Abschied!!" Rief Victor. Ein lauter Ton erscholl und Victors Stimme klang aus magischer Quelle: "Achtung! Die Einrichtungen werden in dreißig Sekunden mit Brenngebräu und Höllenglutgas vernichtet. Widerruf unmöglich. Vernichtung aller Einrichtungen in dreißig Sekunden. Widerruf unmöglich."

"Du hast was vergessen, Knäblein", knurrte Serena. sie griff in ihren Lederbeutel und holte eine goldene Haarspange heraus, die sie sich schnell hinter dem Nacken befestigte. Dann löste sie mit einer schnellen Zauberstab bewegung die weiße Kapsel auf. Victor sprang auf, als er merkte, das er frei war. Doch ein Schockzauber stoppte seine wie auch immer mögliche Flucht im Ansatz. "Serena spricht, zurück ans Licht!" Rief sie und packte den Betäubten. Millie und Julius umschlangen Serenas für sie durchlässigen Leib mit ihren Armen. Da leuchtete die Spange blau auf und umschloß alle. Millie und Julius sahen den Portschlüsselwirbel, fühlten ihn aber nicht wie üblich. Dann landeten sie im Sprechzimmer des Krankenflügels. Serena wirkte niedergeschlagen, daß sie die bedauernswerten Kreaturen dort unten ihrem Schicksal überlassen mußte. Vor allem, daß es nun unmöglich sein würde, die entmannten Knaben und unfruchtbar gemachten Mädchen zu heilen. Doch gegen Brenngebräu und Höllenglutgas konnte sie nicht ankämpfen. Keine fünfzehn Sekunden später erzitterte der Boden. Millie und Julius sahen einander an. Julius konnte sich denken, daß dort unten nun ein vernichtender Feuersturm losgebrochen war, der alles zerstören würde. Ob von den Katakomben, die Victor erschlossen hatte, noch was stehenbleiben würde, wußte er nicht. Klar war nur, daß all die grausam gezüchteten Mischwesen und Ausgeburten einen relativ schnellen Tod finden würden. Womöglich war das das bessere Los. Wer konnte schon sagen, ob Serena die geraubten Organe in die rechtmäßigen Körper zurücktransplantieren konnte. doch damit hatte sich Victor aber auch jeder Möglichkeit beraubt, Milde zu erhalten, wie es im Strafrecht so schön hieß. Mit der Zerstörung seines Schaffens mochten alle physischen Spuren verwischt sein, doch die Tat hatte er gestanden, und Serena hatte die Aufzeichnungen sichergestellt.

"Was meinst du, Julius, ob die ganzen Sachen, die der Typ sich notiert hat vernichtet wurden oder noch irgendwo rumliegen?"

"Aurora und Tante Trice haben unabhängig voneinander was von Schattenbibliotheken erwähnt, wo ganz verwerfliche Zauberbücher und Rezepturen aufbewahrt werden. Wissen zu vernichten ist nicht leicht, auch wenn man weiß, daß es niemals zu guten Zwecken verwendet werden kann. Viele Staaten forschen an Bakterien und Viren, die als Waffen eingesetzt werden können und behaupten, sie wollten Gegenmittel gegen diese Keime entwickeln. Und wenn der Vielsaft-Trank deshalb bekannt wurde, wweil dieser Abaddon ihn erfunden und sein Urenkel das Rezept aufbewahrt hat, dann gehört der heute zum Lehrstoff für ZAG- und UTZ-Schüler."

"Oma Line hätte Victor umgebracht oder in was für ihn ganz ekliges verwandelt", wiederholte Mildrid etwas von vorhin.

"Ekliger als eine Bettpfanne oder Windel?" Fragte Julius herausfordernd.

"Vielleicht in was, was dem eklig ist, eine Nonne der Muggel oder Moggler, wie sie sie damals wohl nannten", erwiderte Millie.

Serena nahm Victor das Pflegehelferarmband ab und berief die anderen Gründer zu einer Sitzung in ihrem Büro. Sie berichtete den fünfen, was ihr widerfahren war und tippte den Wortspeicher an. Die darin gefangenen Gespräche konnten bis zu einem Löschzauber hundertmal abgerufen werden. Orion war die Wut anzusehen. Viviane erbleichte. Logophil schlug sich ein ums andere Mal vor den Kopf. Petronellus verging das sonst so typische Grinsen, und Donatus lief vom Haaransatz bis zum Hals tomatenrot an und seufzte.

"Ich will dieses Laboratorium sehen", schnarrte Orion. Serena wies ihn darauf hin, daß der Zugang versperrt war und es sicherlich gerade restlos ausglühte.

"Dann guck ich mir das eben in seinem verdorbenen Schädel an. Incarcerus! Enervate!" Als Victor aufwachte sah Orion ihn an und blaffte: "Wir haben hier gerade sehr finstere Sachen über dich zu hören bekommen, Bube. Lass mal sehen, was davon in deinem Kopf herumspukt! Legilimens!" Keiner der anderen hinderte Orion daran, den Jungen legilimentisch auszuforschen. "Tatsächlich. Du hast vom alten Barrabas gelernt, wie man einem Mann seine besten Sachen wegnimmt und Frauenzimmern den kleinen Ofen rausnimmt, daß die am Ende noch ganz gefühlskalt werden. Das ist schon schlimm genug, um dich in Scheibchen zu schneiden, Bursche. Aber was du dir mit mir geleistet hast schreit nach Rache. Ich hätte nicht übel Lust, dich in einen Frosch zu verwandeln und da auszusetzen, wo ein paar Störche rumstolzieren. Aber ich könnte dich auch mit meiner Schwester zusammenbinden, weil die unbedingt noch drei Bälger haben will. Aber dann würde die Abaddons Drecksbrut im Wanst herumtragen. Neh, das lassen wir dann auch. Am besten hänge ich dich an deinen Klunkern auf und warte, bis sie dir ausreißen."

"Dein Tag wird kommen, Orion. Meine Eltern wissen über dich genug, um dich fertig zu machen", schnarrte Victor. "Und ihr anderen da tut nicht so entrüstet. Die Zukunft gehört denen, die die ihnen zufallende Macht auch nutzen. Ihr könnt mich totschlagen oder aufhängen oder zu den Mogglern schicken. Abaddons und Barrabas Erbe wird weiterleben. Oder denkt ihr, ich wäre der letzte Sohn?"

"Dein Vater pflichtet Barrabas Moureau nicht bei, nicht wahr", sagte Viviane. "Ich habe mit deinem Vater mehrmals sprechen können, als er mich wegen deiner Verwandlungsübungen fragte. Er war sehr erleichtert, dich aus der Nähe seines Vaters fortzuschicken, weil der immer noch alten, so nicht wirklich bestehenden Zeiten nachtrauert und dir immer wieder was vom wahren Auftrag der Zauberer einzureden versucht hat. Mit dem, was wir jetzt wissen, können wir deinen Großvater vor das magische Tribunal bringen. Denn du hast dich am Leben von Hexen und Zauberern vergriffen, auf seine Anweisungen und mit seinen Anleitungen."

"Dann werft den schnell in einen Kerker in Tourresulatant, bevor ich Zeit finde, ihn persönlich zu bestrafen", knurrte Orion. Die anderen nickten ihm zu. Serena meinte: "Da Victor bis zu seiner Festnahme Pflegehelfer war und mir als residenter Heilerin unterstand, werde ich auch die Heiler fragen, was mit Victor zu geschehen hat."

"Die Heiler? Die werden Euch sagen, daß er noch ein Knabe ohne Ausbildung ist und ihn freilassen", polterte Orion. "Falls ich ihn wegen dieser Werfroschgiftsache nicht an seinem Gemächte aufhängen darf, werden die den freisprechen, und andere Idioten aus Eurer Truppe könnten ähnliche Frechheiten begehen. Ihr müßt die Pflegehelfertruppe umgehend auflösen, damit diese überheblichen Wichte wieder vollständig unter anständiger Zucht sind."

"Anständig? Das Wort benutzt Ihr, ein seiner Fleischeslust verfallener, der seine Angetraute immer wieder betrügt und nur deshalb noch verheiratet ist, weil seine Frau ihm wegen der bereits geborenen Kinder hohe Unterhaltszahlungen abverlangen könnte?" Entrüstete sich Serena Delourdes. "Ihr wagt es, mich für weniger anständig zu halten als Euch? Das schlägt dem Kessel den Boden aus. Ich konferiere mit den Heilern. Wenn die mir raten, die Pflegehelfertruppe aufzulösen, dann werde ich dies wohl tun. Falls nicht, werde ich um deren Erhalt kämpfen. Victor hat seine Schuld ohne Reue zugegeben. Er muß und er wird bestraft werden."

"Darüber besteht kein Zweifel. Ich habe genug lange Nägel, an denen ich diesen Wicht aufhängen kann", versetzte Orion. Logophil sah beide an und erwiderte dann:

"Wir sind uns ja alle darüber einig, daß wir es hier mit dem bisher schlimmsten Skandal von Beauxbatons zu tun haben. Die Frage stellt sich, wie wir die Zukunft unserer Akademie schützen können, wenn diese leidige Angelegenheit in der Zaubererwelt bekannt wird. Was nützt es, den Jungen zu bestrafen, wenn wir trotzdem die Unterweisungen minderjähriger Magier beenden müssen? Solltet Ihr also der Meinung sein, jeder müsse seine eigenen Angelegenheiten erledigen, so sage er oder sie dies bitte sofort!"

"Wollt Ihr Beauxbatons schließen, wo wir gerade jetzt so richtig gut gelitten sind?" Fragte Donatus Logophil. Dieser schüttelte den Kopf. Auch die beiden Hexen, sowie Orion und Petronellus verneinten das. Victor grinste nur. Serena sah ihn an und raunte:

"Du wirst mein Werk nicht verderben, Knäblein. Mir wird schon etwas einfallen, wie du mir als mahnendes Beispiel für alle jetzigen und zukünftigen Pflegehelfer dienen kannst."

"Ihr könnt mich mal", schnarrte Victor. Orion funkelte ihn an und blaffte zurück:

"Das Angebot von mir bleibt bestehen, bis ich weiß, ob sie dich lebendig verbuddeln oder freilassen. Dann wirst du aber keinen Zauberstab mehr haben, um dich zu wehren, Burschi." Serena warf Orion einen zur Ruhe gemahnenden Blick zu. Dann beschloß sie die Sitzung. Victor wurde in einem der Schulkarzer eingesperrt. Damit endete diese Erinnerung.

Nun fanden sich Millie und Julius auf einer Waldlichtung. Viele Männer und Frauen, wohl Hexen und Zauberer, saßen um einen runden Steintisch, auf dem auf einem dreifüßigen Gestell eine große Pfanne hing, in der Holzscheite brannten. Ein weißhaariger Mann im langen Umhang, der im Flammenschein rötlich-golden widerschien, ergriff gerade das Wort. "So spreche ich, Arnicus D'orléans, amtierender Ratsältester der magischen Heilzunft, zu dir, Heilerin Serena Delourdes. Uns ist zu Ohren gekommen, welch unverzeihliche Missetaten in der von dir mitgeführten und in unserem Sinne behüteten Lehranstalt geschahen. So sprecht nun zu uns und erkläret, was geschah und vor allem, warum Ihr es nicht verhindern konntet!" Serena Delourdes erläuterte alles, was die Latierres in ihren Erinnerungen mitbekommen hatten. Dann wurde sie gefragt, wie sie verhindern könne, daß unter dem Schutz der Heilerzunft weitere Verbrechen gegen das menschliche Leben begangen wurden. daraufhin erwiderte sie:

"Ich habe lange überlegt, ob der Verweis aus der Lehranstalt die nötige Abschreckung bietet. Leider kam ich zu dem Schluß, daß ein simpler Schulverweis ohne folgende Bestrafung in der Welt der Zauberer und Hexen keine gebührende Bedrohung gegen Nachahmer darstellt. Nur eine sichere, allen aller Zeit gegenwärtige Bestrafung kann ein solches Bedrohungsmittel sein. Ich erachte daher eine Verwandlungsstrafe für unbestimmte Zeit als einzig abschreckend, um eine derartige Verwerflichkeit oder jeden Ansatz von Mißbrauch der Vorrechte zu ahnden." Die Heilergemeinschaft blickte sie sehr verstimmt an. Doch sie fuhr unbeirrt fort: "Natürlich weiß und billige ich, daß uns Heilern die Verwandlung von Menschen in Tiere oder gar tote Objekte für länger als die von unserer Zunft zugelassenen zehn Minuten gegen die Gesetze unserer Gemeinschaft ist. Jedoch ersonn ich eine Möglichkeit, die unserer Gesetze Unkundigen Pflegehelfer mit dem höchstbedrohlichen Eindruck zu vertrauen, eine solche Verwandlung habe stattgefunden und würde jederzeit an jedem wiederholt, der oder die sich gegen die von mir in Absprache mit Euch erhobenen Regeln vergehen. Ich führe euch vor, wie ich es mir vorstelle. Arnicus, könntet ihr Euch vorstellen, ein silberner Trinkpokal zu sein?" Arnicus sah die jüngere Heilerin belustigt an und meinte, daß es auf den Wein ankäme, den er dann aufzunehmen habe. Serena holte einen silbernen Pokal aus der mitgebrachten Reisetasche und stellte ihn auf den Boden. "So einer", bekräftigte sie und deutete auf das glänzende Gefäß. Dann vollführte sie ohne Ansage einige Zauberstabbewegungen. Da wurde aus dem Silberpokal eine perfekte, wenn auch völlig unbekleidete Kopie von Arnicus. Dieser starrte verblüfft auf sein Ebenbild, während Serena eine Zauberstabbewegung gegen ihn vollführte und dann das Ebenbild mit einem Zauber belegte, der es aufleuchten ließ. Dann verwandelte sie den sich gerade zu bewegen beginnenden Heiler in das silberne Trinkgefäß zurück und bat einen jüngeren Heiler, den Pokal einige Dutzend Meter weit fortzubringen. Der Heiler wußte nicht was das sollte, kam der Bitte jedoch nach. Arnicus fragte, worauf das jetzt hinausliefe. Dann kehrte der Heiler ohne Trinkpokal zurück. Serena erläuterte dann.

"Euch ist Translokation bekannt. Damit kann eine Person an einen fernen Ort geholt werden, in dem ein auf diese abgestimmter Gegenstand an dessen Platz gesendet wird und der herbeigeholte Mensch die Form dieses Gegenstandes annimmt. Ich kann aber auch einen fernen, auf eine Person abgestimmten Gegenstand herbeiholen, indem ich die Person an die Stelle des Gegenstandes versetze. Da ich gerade eure Körperaura auf den Pokal geprägt habe, ist er für den Translokationszauber mit Euch abgestimmt", sagte die Heilerin. Dann vollführte sie gegen Arnicus eine schnelle Bewegung. Ein violetter Blitz zuckte aus ihrem Zauberstab, und an Stelle von Arnicus D'orlèans stand der silberne Trinkpokal auf seinem Stuhl.

"Holla, Ihr habt Eure Zauber wohl gelernt, Madame Collega!" Rief es aus mindestens hundert Metern Entfernung zurück. Serena deutete auf den Pokal und fragte: "Kann mal einer von Euch prüfen, ob es sich um einen unbezauberten Pokal oder einen verwandelten Menschen handelt?" Eine junge Heilerin übernahm es, während es in der Ferne knackte und raschelte, weil ein Mensch durch den Wald ging. Als nicht nur die Hexe, die den Originalanzeige-Zauber ausführte, sondern alle anderen eine klare rot-goldene Aura um den Pokal sahen, die haargenau so groß und beschaffen war wie Arnicus, stutzten alle. Da kam Arnicus und blickte auf die noch heraufbeschworene Leuchterscheinung.

"Oh, ein unbedarfter Zeitgenosse könnte befinden, ich sei dieser Trinkpokal. Wie habt ihr dieses ergründet und vollführt, Serena?" Fragte er. Darauf beschrieb die Heilerin, daß sie schon vor der Gründung von Beauxbatons herausgefunden hatte, daß ein vorübergehend in das lebendige Ebenbild eines Menschen verwandelter Gegenstand dessen Körperaura aufgeprägt bekommen konnte. Wieder zurück in die Ausgangsform verwandelt bliebe diese dann bis zu einer eindeutigen Gestaltveränderung des Gegenstandes intakt. Dann erklärte sie, was sie vorhatte:

"Unsere Gesetze schließen straffällig gewordene Angehörige unserer Zunft nicht nur aus unserer Gemeinschaft aus, sondern können sie auch aus dem Rest der Menschenwelt verbannen, richtig?" Alle anderen nickten. "Gut, so stelle ich hiermit den Antrag an die Zunft, mir zu genehmigen, meinen Pflegehelfern von heute an und für alle meine und deren Nachfolger gültig die Verwandlung eines Missetäters oder einer Missetäterin in einen in Beauxbatons verbleibenden, mit Widerwillen betrachteten aber wichtigen Gegenstand zu bedrohen, und sollte die Drohung nicht genügen, den Missetäter oder die Missetäterin zu unseren Grenzpförtnern zu schicken, von wo ich zum Tausch eine Bettpfanne hole, die ich zuvor auf die gerade vorgestellte Weise mit der Körperoriginalaura des Missetäters versehe. Für die Pflegehelfer wird es dann so aussehen, als vollziehe ich wahrhaftig eine Verwandlung an dem Verurteilten. Der Täter selbst soll dann von den Grenzpförtnern auf die Insel Utopia, den Wohnsitz ohne Ort und Namen, hinübergestoßen werden, wo er oder sie bar jeder verwendbaren Magie und bar jeder Kontakte zur restlichen Welt mit dem zu leben hat, was die Zunft dort bereitgestellt hat. Damit ist beiden Vorhaben gedient. Der Missetäter ist für sein restliches Leben bestraft, und die Pflegehelfer seiner Generation können ihn oder sie durch die Originalaura als eine Bettpfanne immer wieder betrachten und sich immer vergegenwärtigen, daß ihnen selbst dieses Ungemach angedeiht, wenn sie gegen die Pflegehelferregeln verstoßen. So kann ich mich an unsere Gesetze halten und dennoch unsere erhabene Kunst in Beauxbatons ausüben und mir gelehrige und gehorsame Helfer erwählen."

Einige Minuten sprachen die Heiler über diesen Vorschlag, was dafür sprach, nämlich die Wirkung der Drohung als solcher. Dagegen sprach nur, daß die Eltern dieser Schüler entweder gar nicht wissen durften, daß ihre Kinder unverwandelt blieben oder die Gefahr bestand, daß sie nach Utopia suchten, um ihre Kinder zurückzuholen. Der Heiler, der vorhin den Pokal in die Landschaft hinausgetragen hatte, brachte dann das entscheidende Argument:

"Wenn die Pflegehelfertruppe der Grund wird, warum unsere Kollegin Serena und ihre Partner die so erfolgreiche Beschulung aller Kinder mit magischer Begabung aufgeben müssen und wir dadurch schlecht bis gar nicht ausgebildete Adepten erhalten, so ist es allemal besser, wenn die Eltern der Pflegehelfer wissen, daß ihre Kinder nicht mehr zu ihnen zurückkehren werden, falls sie es diesen durchgehen lassen, die Vorrechte zu mißbrauchen, die die Kollegin Serena Ihnen gewährt. Ich stimme daher für die scheinbare Verwandlung mit einhergehender Verbannung auf Lebenszeit. Allerdings sollte dem damit gedrohten die Gelegenheit eingeräumt werden, vor allen Pflegehelfern und den Verantwortlichen für die Lehranstalt Beauxbatons zu seinen Taten Stellung zu nehmen und um Gnade bitten zu dürfen. Tut er oder sie dies, sollte die Strafe in eine lebenslängliche Verbannung in die Magielose Welt abgemildert werden." Alle anderen überlegten. Serena stimmte dem dann zu. Auch Arnicus, dem das scheinbare Verwandlungsstück imponiert hatte, gab seine Jastimme für dieses Vorhaben.

"Das dürfte jetzt die letzte Erinnerung sein", meinte Julius, als Millie und er sich von der nächtlichen Lichtung im fließenden Übergang in einem taghell erleuchteten Sprechzimmer der Schulheilerin wiederfanden. Victor Moureau saß da in einem schlichten grauen Leinenumhang. Die anderen Pflegehelfer umringten den an einen Stuhl gefesselten. Serena trat vor und sprach sehr entschlossen:

"Victor Moureau, Sohn des Daniel Moureau und der Celestine, ich bin von den Gründern und von den Heilern dazu bevollmächtigt worden, Euch mit folgenden Vorwürfen zu konfrontieren." Sie zählte alle Tatbestände auf, von der Anstiftung zum Hantieren mit gefährlichen Elixieren bis hin zu allen Begangenen Verstümmelungen und verbotenen Versuchen mit lebenden Menschen. Victor grinste dabei nur. Als die anderen ihn dann ansahen, als hätten sie einen bösen Geist gesehen meinte er:

"Die will mich als grausam und unmenschlich hinstellen. Dabei wissen wir hier alle, daß ohne Erforschung am lebenden Objekt weder die magische Heilkunst noch die nützlichen Zaubertiere existieren würden. Ich wollte eine Verbesserung der Menschen und eine Aufwertung unserer magischen Welt. Wenn diese da", wobei er Serena verächtlich anblickte, "mich nicht aufgehalten hätte, so würden wir alle in wenigen Jahren eine bessere Menschheit und die ihnen gebührende Vorherrschaft der Zauberer feiern und mich als mutigen, entschlossenen Pionier dieser Welt würdigen."

"Hast du das also von dir aus gemacht, was Magistra Delourdes uns erzählt hat?" Fragte Clarimonde Eauvive.

"Ich tat, was ich tun konnte und mußte. Mein Urgroßvater ist dafür gestorben, und mein Großvater kann es nicht mehr tun, so alt und gebrechlich er mittlerweile ist. Ich mußte es tun", erwiderte Victor.

"Würdet Ihr es wieder tun, wenn wir euch freigäben?" Fragte Serena Delourdes. Victor grinste. Offenbar war er sich sicher, daß niemand hier ihm ernsthaft Angst einjagen konnte. So sagte er laut und entschieden:

"Ja, genau so und noch viel mehr. Also werft mich raus! Ich bekomme schon irgendwo einen anderen Zauberstab her und setze die Arbeit fort. Mein Großvater hat noch alle Aufzeichnungen, die mir halfen, anzufangen, und ich kenne noch alle Ergebnisse."

"Ihr bereut also nicht?" Fragte Serena. Victor verneinte es. "Wollt ihr zumindest um Gnade bitten?" Victor lachte. "Was könnt ihr alle da mir schon mehr tun als mich rauszuwerfen. Ohne Beweise steht mein Wort gegen das eure."

"wir haben Ihre Aufzeichnungen und Euer Großvater wurde verhaftet und all sein niedergeschriebener Besitz beschlagnahmt. Unsere Gesetze sagen, daß wer zwei mal acht Jahre ist, wegen begangener Straftaten verurteilt werden kann. Somit ein letztes mal: Erbittet Ihr Gnade, bevor ich die von der Heilerzunft und den Gründern für angemessen befundene Strafe ausspreche und vollstrecke?"

"Deine Gnade ist soviel wert wie ein Furz nach einem Teller Zwiebelsuppe", schnarrte Victor verächtlich. Serena Delourdes seufzte kurz. Dann straffte sie sich und sagte:

"Dann bleibt mir nichts anderes übrig, um Euch, Victor Moureau, für Eure schwerwiegenden und beweisbaren Verfehlungen und zur nötigen Belehrung aller mit euch lernenden und nach euch lernenden Pflegehelfer, von jetzt an bis zum Ende von Beauxbatons, Beschaffenheit, Gestalt und Funktion einer Bettpfanne aufzuerlegen, auf daß jeder hier erkennt und in Erinnerung behält, daß Taten wie Eure und jeder grobe Verstoß gegen die von mir an Euch verkündeten Verhaltensregeln, nicht ungestraft hingenommen wird."

"Eine B-bett-Pf-pfanne?" Fragte Victor nun doch ziemlich erschüttert. Serena nickte. Die anderen waren kreidebleich geworden.

"Es wurde auf meinen Vorschlag hin von den Gründern und den Heilern erlaubt, diese Strafe zu vollstrecken. Auf das Ihr in eurer neuen Funktion wesentlich dienlicher seid als zuvor."

"M-moment mal, das dürft Ihr nicht tun. Verwandlungsstrafen dürfen nur für zwei Wochen und dann nur mit Tierverwandlungen sein", sprudelte es aus Victor. Doch die anderen schwiegen.

"Ihr habt euch gegen so viele Regeln und Gebote vergangen, daß es damit nicht getan wäre. Also nehmt die Strafe hin, da Ihr eure Gelegenheit versäumt habt, zu bereuen und Gnade zu erbitten."

"Ey, Moment, ich will noch mal mit meinen Eltern reden und ... Nein, das könnt ihr doch nicht ...." Serena hatte den Zauberstab gehoben und blitzschnelle Bewegungen vollführt. Ein violetter Blitz schoß aus dem Stab und hüllte Victor ein. Sein letzter Protest brach jäh ab, als auf dem Stuhl, auf dem er gerade noch gesessen hatte, eine blitzsaubere, kupferne Bettpfanne ritt.

"Das ist wohl 'n Trick", meinte Dubois. Translokations-Zauber oder?"

"Mademoiselle Eauvive, könnt ihr prüfen, ob ich Euch getäuscht habe?" Clarimonde nickte und vollführte über der Bettpfanne den Originalanzeigezauber. Unverzüglich erblühte um das nützliche Gefäß die rot-goldene Leuchterscheinung, die einen halbwüchsigen Jungen nachbildete, dessen Gesichtszüge klar die von Victor Moureau waren, starr und ausdruckslos. Alle anderen sahen die Leuchterscheinung an. Dann erbleichten sie.

"Damit dies allen für alle Zeit klar ist. Ich stelle ihn nicht in irgendeinen Schrank und lasse ihn da ungenutzt rumstehen. Und wenn jemand befindet, ihn zurückverwandeln zu müssen, weil er meint, ihm damit einen Gefallen zu erweisen, so sei er oder sie gewarnt, daß mein Verwandlungszauber dann auf ihn zurückfallen wird und er dann statt Victor im Regal der nützlichen Utensilien aufbewahrt wird. Ich gehe davon aus, daß dies jeder erfaßt und verstanden hat", schnarrte Serena, ergriff die Bettpfanne und trug sie zu einem Regal, wo sie mit anderem Nachtgeschirr hantierte und dann zurückkehrte. "Ich hoffe, daß dieser der erste und der Letzte in der Geschichte von Beauxbatons sei, dem diese Strafe aufgebürdet werden mußte", sagte die Heilerin und Gründungsmutter. Dann entließ sie die zusammengerufenen Pflegehelferinnen.

"Ich glaube, wir können jetzt aussteigen", sagte Julius. Doch da änderte sich die Umgebung noch einmal. Serena Delourdes war mit einem Schlag um Jahrzehnte gealtert. Die Dekoration im Sprechzimmer hatte sich ein wenig verändert. Bilder waren hinzugekommen, die Hexen und Zauberer in verschiedenen Altersstufen zeigten. Serenas Haar war bereits merklich ergraut. Neben ihr stand eine Frau, die Julius für Viviane Eauvive halten mochte.

"Damit ist es jetzt soweit, Clarimonde", hörten sie Serena sagen. "Deine Kinder sind aus dem Haus, du hast dich als würdige Heilerin verdient gemacht und den Ruf deiner Mutter und den der Akademie gemehrt. Leider wollte meine Tochter Lavinie nicht dieses hohe Erbe antreten. Die Rolle als Mutter und junge Großmutter ist ihr doch wichtiger als diese Anstellung. Daher finde ich es sehr schön, daß du meine Position übernehmen möchtest."

"Ich finde es schade, daß die Eltern der anderen Schüler darauf bestehen, daß Ihr und die anderen Gründer euch zurückzieht, wo jetzt junge Lehrer nachgewachsen sind und viele finden, Ihr würdet Eure Familien bevorzugen", sagte Clarimonde Lesauvage, wie sie jetzt wohl hieß. Ihr hättet uns ruhig noch zwanzig Jahre führen können. Das habe ich meiner Mutter und auch meinem Schwiegervater gesagt. Aber die finden, daß sie nun Platz für die jüngeren machen möchten und sich freuen, daß Beauxbatons es geschafft hat und die Zaubererwelt mit Ehrfurcht darauf sieht."

"Wir machen Platz und lassen Euch die Geschäfte weiterführen. Wir sind ja überall in Beauxbatons, und es wurde wirklich zeit, daß ein hauptamtlicher Schulleiter die Führung übernimmt. Orion und ich waren uns in den letzten zwanzig Jahren zu häufig uneins. Das hätte der Schule fast den Garaus gemacht, wie die Sache mit Victor Moureau."

"Wenn ich mir vorstelle, daß der jetzt seit vierzig Jahren eine Bettpfanne ist. Ich meine, weiß er noch, wer er vorher war oder ist er jetzt tot?"

"Er existiert solange, wie seine Hülle existiert", sagte Serena geheimnisvoll. Dann übergab sie Clarimonde feierlich das silberne Armband der Schulheilerin, einen Schlüsselbund für die Vorratsschränke und einen versiegelten Umschlag, auf dem stand: "Erst in einer Woche öffnen". Dann umarmte Serena, der kleine Tränenin die Augen traten, die neue Schulheilerin und wünschte ihr die Ruhe, Entschlossenheit und Hingabe, die für dieses wichtige Amt erforderlich war. Danach verließ die nun ihre Würde als Gründungsmutter und Schulheilerin niederlegende Hexe das Zimmer, in dem sie fünfzig Jahre ihres Lebens gewirkt hatte. Mindestens ein Kind hatte sie in Beauxbatons geboren. Dieses Kind mochte bereits eigene Kinder haben. Millie und Julius sahen Clarimonde, ihre gemeinsame Vorfahrin. Dann verschwamm die Erinnerung und löste sich in einen silberweißen nebel auf.

"Einfach den Kopf heben, Millie", sagte Julius, dessen Stimme nun hohl von unten und den Seiten widerhallte. Sein Gesicht lag eng neben dem seiner Frau. Er roch ihre Haut, fühlte die von ihr ausgehende Wärme. Das war wohl die ganze Zeit so gewesen. Und jetzt tauchten sie beide aus dem silberweißen Stoff auf, der das Denkarium füllte und der von außen unendlich tief zu sein schien.

"Ui, war doch schon ganz lange", meinte Millie und zog Julius linken Arm vor ihr Gesicht. "Vier Stunden nur? Wie geht denn das?"

"Weil wir immer tiefer in diesen Erinnerungen gesteckt haben, Millie", sagte Julius. "Dann ist ein Erinnerungstag wohl wie ein Traum, der nur wenige echte Minuten dauert.

"Madame Faucon, sind Sie noch da?" Fragte Julius.

"Ich bin noch da", sagte die Schulleiterin und betrat den kleinen Raum. Millie machte derweilen Streckübungen, um ihren Rücken und ihre Beine wieder zu lockern.

"War schon ein ziemlicher Höllenritt. Wenn ich bei Bokanowski sowas ähnliches nicht schon mal gesehen hätte, hätte ich warhscheinlich vorher den Kopf aus dem Denkarium gezogen", gestand Julius ein. Millie nickte ihm zu, sagte dann aber:

"Ich war bei dieser Kiste mit dem Brutwurm und den Gebärriesinnen schon davor, das ganze abzubrechen. Aber ich habe mal gelernt, daß man eine angefangene Sache zu ende bringen muß und Julius und ich das nun einmal wissen wollten, warum das mit diesen Bettpfannen gemacht wurde. Aber was machen wir jetzt mit diesem Wissen?"

"Mich interessiert in dem Zusammenhang diese Insel Utopia", wandte Julius ein. "Ich kenne das Wort im Zusammenhang mit Geschichten aus der Zukunft, einem Paradies in hundert Jahren oder sowas."

"Das hängt damit zusammen, daß der Begriff "Keinort" oder "Nirgendland" bedeutet. In der englischsprachigen Literatur gibt es das Nimmerland von Peter Pan, mit dem Kinder unterhalten werden", erläuterte Madame Faucon. Julius nickte eifrig. "Ein englischer Gelehrter namens Thomas Morus hat vor Jahrhunderten die Beschreibung eines Idealstaates mit Gerechtigkeit und friedlichem Miteinander niedergeschrieben und diesen Staat auf eine Insel namens Utopia verlegt. Deshalb steht das Wort und das abgeleitete Eigenschaftswort utopisch für alle Entwürfe einer glücklichen Welt in der Zukunft, wenngleich es meiner Forschung in Oxford nach auch warnende Beispiele gibt, daß eine friedliche Welt, die jedoch durch Verlust der Menschlichkeit und Liebe entsteht, zu vermeiden ist. Das nennt man dann dystopisch."

"Der große Bruder sieht dir zu", zitierte Julius den bekanntesten Spruch aus Orwells "1984".

"Diesen Roman habe ich auch einmal gelesen, als mich die Lobpreisungen meines Schwiegersohnes für die vernetzte Informationsgesellschaft etwas stutzig gemacht haben", sagte Madame Faucon. Millie machte nur "Mmhmm", weil ihr dieser Ausflug in Muggelweltideen im Moment nicht so recht war. Sie hakte noch einmal nach, wie die angeblichen Bettpfannen auf diese Insel Utopia kämen und ob es für die dort wohnenden wirklich keine Möglichkeit gäbe, mit anderen in Kontakt zu treten.

"Soweit mir von Madame Rossignol bekannt ist gehört diese Insel zu fünf unortbaren Inseln, die vor langer Zeit von Druiden besiedelt wurden. Sie war die oder ist die größte. Wer dorthin expediert wird muß durch ein Teleportal, daß sich nur in eine Richtung öffnet, sofern keiner von der sogenannten Utopia-Kommission dort hinreist, um die Bevölkerung und das Nahrungsangebot zu überprüfen, ohne dabei jedoch gesehen zu werden. Das ist soweit alles, was ich von Madame Rossignol weiß und was diese wohl weiß."

"Und die dahin geschickten leben dann als Muggel ohne Zauberstab und ohne auf Strom und Brennstoffe bauende Technik?" Fragte Julius.

"Soweit mir dies bekannt ist ja", erwiderte Madame Faucon.

"Ja, aber was machen wir jetzt mit dem Wissen, Julius? Sollen wir jetzt unsere Mitpflegehelfer weiter in Angst lassen, daß sie mal Bettpfannen werden können und die zwei Jahre noch überstehen? Oder sollen wir das irgendwie hinbiegen, daß die Strafe für den Mißbrauch noch hoch ist, aber niemand dafür verwandelt sondern nur verbannt wird?"

"Die Frage habe ich mir schon gestellt, als Mr. Partridge uns den Trick vorgeführt hat, Millie, du weißt das noch. Wenn ich jetzt einem durch Religion in der Spur lebendem Volk klar beweisen könnte, daß es keine Hölle, keinen Hades und keinen unendlich tiefen Abgrund am Rande der Welt gibt, bleiben die dann trotzdem friedlich oder meinen die dann, sich alles erlauben zu können?"

"Überlegt es! Es sind seit diesem Victor Moureau über neunhundert Pflegehelfer in Beauxbatons gewesen. Allen wurde diese Strafe angedroht. Zehn hat es mit Victor Moureau ereilt. Wieviele wären es ohne die Strafe?" Fragte Madame Faucon.

"Ja, aber die Todesstrafe wurde auch abgeschafft, weil die Regierungen der meisten Länder begriffen haben, daß sie nichts bringt, wenn sich keiner wirklich davon abschrecken läßt. Es würde doch reichen, den Leuten die lebenslängliche Verbannung ohne Wiederkehr anzudrohen, und zwar so, daß sie nicht mal mehr Zeit bekommen, sich zu verabschieden. Also mich würde die Aussicht ziemlich gut in der Spur halten", wandte Julius ein. Millie nickte. Doch dann wandte sie ein:

"Andererseits, wenn wir das jetzt auffliegen lassen würde keiner mehr so recht an angedrohte Strafen glauben. Ich hab's doch mitbekommen, wie die in meinem Saal Krawall machen, seitdem Gaston wieder da ist. Die und die meisten Blauen denken doch jetzt, daß es nur halb so schlimm ist, was dummes anzustellen. Dann muß man vielleicht eine Klasse wiederholen und fertig. Wenn wir das jetzt mit den Bettpfannen ganz öffentlich rumgehen lassen, wollen alle die Chaoten Pflegehelfer werden, die gerne das Wandschlüpfsystem benutzen und ein paar Tipps für tolle Zaubertränke kriegen wollen. Pattie ist nur Pflegehelferin geworden, weil Marc ihr erzählt hat, daß seine Eltern gewollt haben, daß er mal Arzt wird. Offenbar sieht sie ihn schon auf ihrem Besen vorne draufhocken. Sie meinte nur mal zu mir, daß sie gerne wissen würde, was sie da auf keinen Fall machen dürfe, weil sie ihre ganz kleinen Schwestern nicht in sich rein-machen lassen wolle. Wenn ich der jetzt sage: April, April, Tante Patricia! Denkt die vielleicht, daß die ganzen Strafen hier erfunden sind, um die Leute bei Laune zu halten. Dann macht die irgendwas, kassiert tausend Strafpunkte und fliegt ohne Besen hier raus. Dann hätte ich das auf dem Gewissen.""

"Das ist wohl der Unterschied zwischen wem, der oder die Familienangehörige in Beauxbatons hat und einem wie mir, der nur für das eigene Gewissen entscheiden muß", seufzte Julius.

"Pattie ist auch deine Tante. Und Mayette bei der Gelegenheit auch", schnarrte Millie. "Und was die anderen Pflegehelfer angeht, so haben die sich genau wie du damit wunderbar arrangiert, daß Madame Rossignol diese Strafe mit uns abziehen Darf. Allerdings wäre die liebe Debbie ja fast Nummer elf geworden, ob im Regal oder auf Utopia, weil die das mit Connies Baby ein wenig spät gemeldet hat. Tine hat die damals wohl ziemlich runtergemacht."

"Ja, das habe ich auch gehört", erwiderte Julius. "Der Typ, den ich heute morgen rasiert habe soll dabei gewesen sein." Millie stutzte erst, während Madame Faucon erst tadelnd und dann amüsiert dreinschaute. Millie verstand Julius' Bemerkung und grinste. "Könnte mir vorstellen, das Martine das damals schon gewußt hat und Deborah richtig fertigmachen wollte", fügte Julius noch hinzu.

"Würde ich Tine glatt zutrauen. Aber sag ihr das nicht, weil du die fast selbst ja geheiratet hättest!"

"Also, jetzt kennen Sie beide die Fakten, Madame und Monsieur Latierre. Es ist an Ihnen, wie Sie ihrem Gewissen und Ihren Mitmenschen gegenüber mit diesen Fakten umgehen. Da Sie die Abendessenszeit versäumt haben und es gerade noch eine Stunde bis Saalschluß ist biete ich Ihnen noch ein schnelles Nachtmahl, bevor Sie in Ihre Säle zurückkehren müssen", sagte Madame Faucon und winkte Julius und Millie in jenen Wohnraum, in dem er mit Madame Maxime häufig Musik gemacht hatte. Die Möbel waren jetzt alle normalgroß. Auch schien es ihm, daß Madame Faucon ihre eigenen Bilder hier aufgehängt hatte. Julius brannte es auf der Zunge, zu fragen, ob das Badezimmer auch wieder für normalgroße Menschen ausgestattet sei. Doch als das dreigängige Essen aufgetragen wurde wies er diese Frage als gerade ziemlich unpassend zurück. Zu seiner Erleichterung sagte Madame Faucon:

"Ich kann mir vorstellen, daß wo Sie hier drei Monate Ihres Lebens gewohnt haben wissen möchten, ob nun alle Möbel und Installationen der Schulleiterwohnung auf meine bescheidenen Körpermaße zurückgeführt wurden, Monsieur Latierre. Ich erkenne, daß dies Sie sehr interessiert, Sie mir gegenüber jedoch höflich und zurückhaltend bleiben möchten. Deshalb nur soviel: Ich benötige für die Verrichtungen im Badezimmer weder Leiter noch Hocker." Julius nickte. Das sollte ihm als die Antwort reichen. Im Geist sah er sich noch einmal vor dem auf Brusthöhe angebrachten Waschbecken und der hohen Toilettenschüssel, für die er eine Trittleiter und einen Zwischensitz benötigt hatte. Hatte die nun Mademoiselle Maxime zu nennende Vorgängerin Madame Faucons einen ähnlichen Komfort? Vielleicht sollte er sie noch einmal anschreiben.

Beim Abendessen zu dritt sprachen sie nur über die erlebten Eindrücke des alten Beauxbatons, über die Gründer und ob Madame Faucon auch von den anderen Erlebnisse im schuleigenen Denkarium habe.

"Einerseits ist es erhaben, erlebte Dinge historischer Personen nacherleben zu können. Andererseits hätte ich auf die zwanzig Liebesakte, die Ihr gemeinsamer Vorfahre Orion Lesauvage in das Denkarium zu füllen meinte gerne verzichtet. Aber er sah dies offenbar als seinen Beitrag zur Bekundung der lebendigen Zeit in Beauxbatons."

"Das war schon ein merkwürdiges Gefühl, Madame Faucon. Ich habe mich mal getraut, Madame Lesauvage über den Bauch zu streicheln und bin dann mit der Hand da reingerutscht. Ich habe das gefühlt wie heißes Wasser. Wieso kommt sowas, wo wir doch nur Serenas Erinnerungen mitbekommen konnten?"

"Hmm, diese Erfahrung habe ich auch mal gemacht, als ich eine Erinnerung meiner Großmutter Claudine nacherleben durfte, wo sie gerade meinen Vater trug. Ich vermute, weil wir wissen, daß diese Empfindung an diesem Ort so und nicht anders sein muß, weil wir alle dies selbst erlebt haben, ist es auch ein Abdruck in jeder ausgelagerten Erinnerung, in denen eine Frau in freudiger Erwartung vorkommt. Hinzu kommt, daß eine Heilerin, die selbst bereits Mutter wurde diese unterbewußte Erinnerung stärker ausgeprägt hat. Ansonsten aber erkennen Sie bei räumlicher Überdeckung mit in Erinnerungen handelnden Personen kein Wärmeempfinden. Warum dies beim räumlichen Kontakt mit dem Schoß einer werdenden Mutter so ist kann ich nur so erklären, wie ich es getan habe. Das ist ein uns allen bekanntes Erlebnis und daher in allen menschlichen Erinnerungen sehr unterschwellig enthalten. Soweit ich weiß konnten Sie beide die Stunden kurz vor und nach ihrer Geburt als initiale Erinnerungen einlagern. Da dies Ihr Denkarium ist, Madame und Monsieur Latierre, könnte diese Initialerinnerung die Physische Empfindung noch verstärkt haben."

"Millie möchte irgendwann mal, wenn wir mit Beauxbatons fertig sind, eine Tochter namens Clarimonde haben", sagte Julius. Millie grinste und fügte an, daß sie auch Lavinie als Namen nehmen würde.

"Na ja, Ihre Frau Großmutter Ursuline hat ja angedeutet, ihre nächste Tochter nach mir benennen zu wollen. Ich werde es wohl herdfeuerheiß von ihr erfahren, falls sich eine solche junge Hexe auf den Weg in die Welt macht", bemerkte Madame Faucon dazu.

"Die Astronomiekuppel kam erst siebzehnhundertzwanzig auf den Palast, als die magischen Astronomen beschlossen haben, Kopernikus und Kepler anzuerkennen, richtig?" Wollte Julius wissen.

"Das stimmt", erwiderte Madame Faucon.

"Okay, ich kann meine Mutter fragen, aber wann wurde hier eigentlich das erste Mal Quidditch gespielt? "Fragte Millie.

"Das war der 2. November vierzehnhundertfünfunddreißig", kam es aus Madame Faucons Mund wie aus der Pistole geschossen. Dann sprachen sie noch über die Aufgaben als Saalsprecher und Pflegehelfer, wie sie ihre Mitschüler empfanden und wie sich im grünen Saal Hannos plötzlicher Abgang ausgewirkt hatte.

"Wäre auch eine Strafandrohung", sagte Julius darauf. "Wer hier Unsinn macht muß noch mal in Mutters Bauch und noch mal ganz von vorne anfanen."

"Ja, dieser Zauber ist wahrlich mit größter Vorsicht zu genießen", grummelte Madame Faucon und meinte dann mit verhaltenem Lächeln, daß diese Drohung eher für die Eltern beängstigend sei als für die Kinder.

Sie plauderten noch über Millemerveilles, was dort passiert war, seitdem sie drei wieder in Beauxbatons waren und redeten auch über Julius' Mutter.

"Madame L'eauvite, mit der verwandt zu sein ich mal als Ehre und mal als Bürde sehen darf, ist darauf aus, Ihre Mutter bis zum Jahresende zur ZAG-Reife zu treiben. Ich habe sie außer bei der Erziehung ihrer Söhne nicht so entschlossen erlebt. Dabei steht sie immer noch in Konkurrenz mit Madame Eauvive, soweit ich weiß", erwähnte die Schulleiterin.

"Meine Mutter ist wohl im Ministerium gut eingespannt", sagte Julius. Madame Faucon nickte. Es erschien ihm so, als wolle sie ihm was wichtiges sagen, es aber dann doch lieber für sich behalten.

Nach dem Abendessen kehrten Millie und Julius in ihre Wohnsäle zurück. Den Mitschülern sagten sie, sie hätten sich mit alten Berichten befassen müssen, wo es um die Geschichte der Pflegehelfer ging. Das war noch nicht einmal gelogen.

__________

Hallo Mum!

Ich weiß nicht, was du im Moment zu tun hast und ob dich das jetzt sonderlich betrifft oder nicht. Millie und ich haben in einem Denkarium, also einem magischen Gefäß, das Gedanken und Erinnerungen speichern kann, mitbekommen, warum uns Pflegehelfern erzählt wird, daß grober Mißbrauch der Privilegien mit Verwandlung in Bettpfannen bestraft wird. War schon ziemlich übel, was der, dem das zuerst passiert ist sich geleistet hat. Millie meinte am Morgen danach, sie habe Oma Line als angekettete Riesin gesehen, wie sie andauernd neue Babys zur Welt bringen mußte. Der Typ hat nämlich junge Mädchen gefangengenommen, sie in einer Höhle eingesperrt und mit Tränken oder Zaubern zu Riesinnen aufgeblasen, die ihm Versuchsmenschen hinlegen sollten. Millie und ich hätten da sogar verstanden, wenn die Bettpfannenstrafe wirklich vollstreckt wurde. Tatsächlich aber werden die, die angeblich verwandelt werden, durch den dir ja gut bekannten Translokationszauber zu einem Ausgangstor geschickt, von wo aus sie auf Nimmerwiedersehen und ohne Zauberstab auf eine Insel namens Utopia verbannt werden, wo sie ein Leben ohne Zauberei und moderne Technik führen dürfen oder müssen. Millie ist der Meinung, daß wir das nicht vor der ganzen Truppe ausplaudern sollten. Ich denke, es wäre auch eine heftige Strafe, wenn jemand ohne sich verabschieden zu können nach Utopia gebeamt wird. Millie und ich haben jetzt mit Madame Rossignol einen Kompromiß geschlossen. Wir reden nicht mehr über die Bettpfannenstrafe, solange niemand ernstlich irgendwas ausfrißt, für das er oder sie die verdient hätte. Ist mir zwar nicht so ganz recht, Leute wie meine kleine Tante Patricia, Carmen Deleste oder Louis Vignier so in Angst zu halten. Aber ich hab's Louis nicht aufgetischt und Madame Rossignol würde bei minderschweren Verstößen wohl noch mal die Gnade des Rauswurfs durchgehen lassen. Es gibt nämlich die Möglichkeit, daß ein überführter Missetäter, der seine Verfehlungen bereut und vor Strafmaßverkündung um Gnade und Entschuldigung bitten kann. Damit werde ich wohl bis zum Ende der Schulzeit hier leben können. Solange genieße ich das, dir immer wieder schreiben zu können.

Millie und ihre zwanzig ungeborenen Kinder lassen auch schön grüßen, soll ich ausrichten. Vertrag dich gut mit Catherines Tante Madeleine! Jetzt, wo Babette bei uns ist, könnte die auf die Idee kommen, sich mehr an dich ranzuhängen.

Es grüßt und umarmt dich dein bisher einziger Sohn

Julius Latierre geb. Andrews

ENDE

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