DER STEIN DER GROßEN ERDMUTTER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Anthelia, eine Jahrhunderte lang in einem dunklen Seelenaufbewahrungsartefakt weiterexistierende Hexe aus der Zeit der dunklen Matriarchin Sardonia, hat nach ihrer Wiederkehr im umgewandelten Körper des entlarvten Todessers Bartemius Crouch Junior den Orden der Spinnenschwestern gegründet. Dieser Orden aus Hexen, die zum Teil auch in einer anderen geheimen Hexenschwesternschaft organisiert sind, strebt die Vorherrschaft der Hexen auf der Erde an. Anthelia mußte bereits einige Hürden nehmen. So ist der böse Zauberer Lord Voldemort und seine Helfer, die Todesser, der erklärte Feind des Spinnenordens. Ebenso verhält es sich mit allen anderen dunklen Magiern, die auf der Erde existieren. Doch Anthelia schafft es, ihren Orden über die ganze Welt zu verbreiten. Sie hat sich das gesamte Wissen der mächtigen Hexe Sarah Redwood angeeignet, zwei nichtmagische Kundschafter in der sogenannten Muggelwelt untergebracht und durch geschickte Manöver einen Krieg der schwarzen Bruderschaften in Amerika entfacht, der Voldemort dort um die meisten Anhänger gebracht hat. Doch eine große Gefahr drohte nicht nur ihr, sondern der ganzen Welt, die aus magischem Schlaf erwachte Tochter des dunklen Feuers, eine von neun schier unsterblichen Kreaturen aus alter Zeit. Diese unterwarf sich den Wissenschaftler Richard Andrews, der für sie Lebenskraft erbeutete und damit zum Massenmörder wurde. Erst als der magisch hochbegabte Sohn Richards den Spuren seines Vaters folgt, gelingt es Anthelia, durch ihn als Köder an Hallitti, die Tochter des dunklen Feuers, heranzukommen und sie in einer Zauberschlacht so zu schwächen, daß sie ihren Materiellen Focus, einen mannshohen Krug voller Lebensenergie, zerstören konnte.

Nun will Anthelia ihr eigentliches Ziel wieder aufnehmen. Hierzu möchte sie sich in den Besitz mächtiger Zaubergegenstände bringen, die aus einer Zeit stammen, die in der heutigen Welt fast vergessen ist.

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Aus dem Buch des Pacidenyus

Wahrlich ist das, was wir heute durch unsere Macht bewirken können ziemlich beeindruckend. Doch wenn ich daran denke, daß vor wohl zehntausend Jahren eine Ära der Magier zu Ende ging, die die Kraft von Göttern besessen haben, so ist unsere Zauberei doch als lächerlich gering zu schätzen. Doch ich weiß aus meinen gefährlichen Forschungen, die mich fast aus dieser Welt geworfen hätten, daß dieses alte Reich der mächtigen Magier nicht ohne Spuren versunken ist. Es sind Spuren, die bis in unsere Zeit hineinreichen, die darauf warten, verfolgt zu werden und uns zu Dingen führen können, die jedem, der sie zu finden und gebrauchen versteht, einen Teil der alten Macht zurückgeben. Doch die alten Herrscher haben diese Schätze gut verborgen, in die ihre einstige Macht aufgesplittert wurde. Einige davon bergen große Gefahren in sich selbst, andere liegen an gut geschützten Orten verborgen, zu denen nur wahrlich mächtige Magier vordringen können. Ich erfuhr, daß jeder dieser Gegenstände einem Element der körperlichen oder der überkörperlichen Natur zugeordnet wurde, sodaß jener, der eines dieser Artefakte finden kann der Herr über das Element wird, dderen Focus es ist. Allen gemeinsam ist, daß jedem Artefakt eine Wächterseele innewohnen soll, die von den verschollenen Alten selbst stammt und darüber wachen soll, daß das betreffende Artefakt nicht zur Zerstörung der Welt benutzt wird. So kann nur der die volle Macht eines solchen Erbstückes aus dem alten Reich erringen, wer die Wächterseele unterwirft, ohne sie auszulöschen. Dann hält er die gesammelte Zauberkraft in Händen, die einem Naturelement oder einem Element des Geistes, des Kosmos' und der Zeit selbst entspringt. Wer auch nur eines dieser mächtigen Artefakte erlangen und sich dienstbar machen kann kann der König der magischen Welt und Herrscher über die magielosen Schwächlinge auf dieser Welt werden. Durch meine teils sehr gefahrvollen Forschungen gelangte ich zu dem Wissen, daß es insgesamt zehn mächtige Artefakte aus dem alten Reich gibt, die über den gesamten Erdenball verteilt sind.

Mir selbst ist die Lage zweier Dinge vertraut, an die ich jedoch nicht rühren wollte, da ich von zu vielen Feinden beäugt wurde, die ich nicht auf die Spur bringen wollte. Deshalb schreibe ich es in dieses Buch, sodaß mein rechtmäßiger Erbe in Blute und Geist vollenden mag, was mir versagt blieb.

Vor der südostküste des Kontinentes, der von seefahrenden Magielosen Amerika genannt wurde, ruht im Schoße des atlantischen Ozeans, aufbewahrt in einer Flucht aus steinernen Kammern und Stollen, ein Stein aus den tiefen der Weltkugel, welcher die Kräfte der Erden und Metalle rufen, bündeln und lenken kann. Eingehüllt in eine Schicht aus dem vergessenen Metall, das da heißt Orichalk, das Erz des Himmelsberges. Sein Aufbewahrungsort liegt fünfhundert Seemeilen in südöstlicher Richtung vom Ursprung jener Halbinsel aus, die von den Spanischen Seefahrern "Tierra Florida", das blühende Land genannt wurde. Doch dem Mutigen, der wagt, ihn dort zu suchen sei die Warnung mitgegeben, daß nicht nur die Gewalten des Wassers sein Streben bedrohen, sondern auch mächtige Banne und Ungeheuer der Tiefen, die jeden Unbefugten zurückhalten, der vermeint, sich den Stein zu holen. In einem Buch, dessen Geheimnis zu entschlüsseln mir erst gelang, als ich seinen Fluch zu brechen schaffte, wurde dieser Ort erwähnt und der Stein als Stein der großen Erdmutter bezeichnet, da nach dem Weltbild alter Zeiten nach jedes Element durch ein lebendes Wesen repräsentiert wird, das zum Teil in die Götterwelten der Menschheit einging. Wer den Stein der Erdmutter findet und die ihm innewohnende Wächterseele im magischen Ringen unterwerfen kann, gebietet über alle Kräfte der Erde und vermag, die eigene Macht auf das zehnfache seines bisherigen Vermögens zu vergrößern.

Der zweite Gegenstand, von dessen Art und Ruhestatt ich sicher weiß, ist das Schwert des großen Vaters Himmelsfeuer, das in einem seiner Vergötterung geweihten und mit mächtigen Zaubern, die er einst selbst seine Nachfahren gelehrt hat, vor Unwürdigen geschützt ist. Dieser Ort liegt in einem geheimen Tal außerhalb einer alten Stadt jener, die sich selbst die Söhne der Sonne nannten, in den Höhen jenes Gebirgszuges, der den südlichen Teil Amerikas von Nord nach Süd wie ein gigantisches Rückgrat durchzieht. Der Name der Ansiedlung heißt Machupicchu. Zwanzigtausend Männerschritte in Nordwest liegt der verborgene Eingang zu jenem Tal, in dem der Tempel des Himmelsfeuervaters erbaut und in dessen sogenannten heiligen Verliesen sein Schwert ruht. Wer sich an den alten Zaubern und Wächtern vorbeizukämpfen versteht und über genügend eigenes Seelenfeuer verfügt, vom lodernden Diener des alten Feuermeisters nicht unterworfen zu werden, hält mit der Waffe, die aus dem Gestein aus einem Feuerberg und einer Metallverbindung aus Gold und Orichalk besteht, alle Macht des Feuers und der davon gezeugten und durchdrungenen Zauberwesen in Händen.

Doch wenn du, mein rechtmäßiger Erbe, der du das liest, nun aufbrichst, diese mächtigen Gegenstände zu erlangen, nicht auf der Hut vor den Gefahren bist, die ihren Aufbewahrungsort umgeben, so wirst du bei der Suche nach Ihnen dein Leben geben. Erkunde also sorgfältig, ob du wirklich ein würdiger Träger auch nur eines dieser Artefakte sein magst, und regele alles, was nach deinem Tode ansteht vorher! Dann magst du ausgehen, diese beiden Erbstücke des alten Reiches zu gewinnen.

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John Bradley freute sich. Er würde heute mit seinem Tauchboot jene vor einem Jahr entdeckte Gesteinsformation vermessen, die in etwas mehr als fünfhundert Metern Tiefe im Atlantik lag. Zusammen mit seinem Kollegen Stanley Gray würde er versuchen, einige Gesteinsproben zu nehmen und zur "Ocean Discovery" nach oben zu bringen, die er für diese Expedition gechartert hatte. Der promovierte Physiker und Amateurmeeresbiologe empfand es als seine Pflicht, die von seinem reichen Vater hinterlassenen Millionen zur Erforschung des letzten unerforschten Bereiches der Erde zu investieren. Den Mond konnte man aus der Ferne wunderbar vermessen und kartografieren, und ein Dutzend Menschen war schon darauf herumgelaufen. Aber die Regionen der Tiefsee zu erforschen fiel ungleich schwerer, da die dort vorherrschenden Bedingungen schier unerfüllbare Belastungsanforderungen an den Menschen und die ihm dienende Technik stellten. Doch mit der "Sirenita", dem von ihm und seinem Freund, dem Ingenieur Gray entwickelten Tauchboot, war er schon bis auf 9000 Meter abgetaucht. Erst dort hatte ein warnendes Knistern und Knacken ihm Einhalt geboten, und er hatte sämtlichen Ballast abgeworfen und sein kleines Boot nach oben zurücksteigen lassen.

"Na, John, was glaubst du, was wir da unten finden werden?" Fragte Stanley Gray seinen Freund.

"Gold?" Konterte John Bradley schmunzelnd.

"Wäre doch was, wenn wir das Geld für diesen Ausflug wieder reinholen könnten", scherzte Gray und prüfte die elektrischen Systeme des Bootes. "Okay, John, wir können", sagte er mit nach oben gerecktem Daumen. John Bradley wandte sich den in Blau gekleideten Seeleuten von der "Ocean Discovery" zu. "Meine Herren, wir können losfahren. Dr. Gray hat das Boot durchgecheckt."

"Na dann", sagte ein altgedienter Seemann, der die Ausbring- und Bergemannschaft anführte.

"Viel Erfolg, die Herren!" Wünschte er noch und sah zu, wie Bradley und Gray in ihren wärmeisolierenden Taucheranzügen durch die Luke in das kugelförmige Tauchboot einstiegen. Als die Luke von innen verriegelt war, gab er den Befehl, das Boot am Krahn hochzuheben und zu Wasser zu Lassen. Vorsichtig bugsierte die Ausbringmannschaft das etwa drei Meter große Tiefseetauchboot, das heute bestimmt nicht an seine Haltbarkeitsgrenzen stoßen würde, über die Bordwand der "Ocean Discovery" und senkte es etwa fünf Meter vom Schiff entfernt in die grauen Fluten des Atlantiks ab. Als es im Wasser lag, wurde der Haltehaken des elektrischen Krahns ausgeklinkt, und die "Sirenita" versank in der Tiefe.

"Die Telefonverbindung steht?" Fragte Charleston, der Kapitän der "Ocean Discovery". Sein Kommunikationstechniker nickte und hielt ihm einen Telefonhörer hin. Über ein hauchdünnes Glasfaserkabel, das mindestens elf Kilometer ausgerollt werden konnte, wurde nun der Sprechkontakt zu Bradley und Gray gehalten.

Es war jedesmal faszinierend, fand Bradley. Zunächst hüllte sie eine Art Abenddämmerung ein, die immer mehr einer undurchdringlich wirkenden Dunkelheit wich. Hier, mehrere hundert Meter unter der Meeresoberfläche, herrschte ewige Nacht. Hier unten war es sehr kalt, und mit jedem zehnten Meter Tauchtiefe stieg der Wasserdruck um ein Kilogramm pro Quadratzentimeter an. Es war die eigentliche Welt des blauen Planeten Erde, dessen größter Anteil an Oberfläche immer noch größtenteils unerforscht war, nämlich der Meeresgrund und vor allem die tiefen Regionen, in die niemals ein Strahl Sonnenlicht vordringen würde.

"Okay, Stan, Scheinwerfer an!" Befahl John Bradley. Sein Freund und Forschungskollege schaltete die schwenkbaren Hallogenscheinwerfer ein und brannte damit ein Sichtfenster in diese kalte, dunkle Nacht. Sofort tauchten mehrere bunte Fische im Licht der Scheinwerfer auf, leicht irritiert, weil dieses Licht für sie total ungewohnt war. Bradley konnte sogar einen kleineren Hai erkennen, der hinter einigen der Fische herjagte.

"Sonar an, Stan!" Befahl John. Stan schaltete das Sonargerät ein, das mit regelmäßigem Ping-Ping-Ping die Tiefe unter ihnen abklopfte, um vor unerwarteten Hindernissen oder dem bald erreichten Meeresboden zu warnen.

"Kamera ist an, John. Ich möchte zumindest ein paar Grundeindrücke der Gegend mitnehmen", sagte Gray und schwenkte die auf Unterwasseraufnahmen eingerichtete Videokamera einmal im Kreis. Einer der Scheinwerfer folgte automatisch dem Objektiv der Kamera, um ihr Sichtfeld optimal auszuleuchten. Zwar konnte Gray mit dieser Kamera auch Aufnahmen bei für die Augen bereits zu schwachem Restlicht machen, doch dabei würden die natürlichen Farben der Umgebung nicht erfaßt.

"Grund in vierhundert Metern", meldete Stan Gray, der die Sonaranzeige ablas.

"Captain, wir sind auf Kurs", meldete John Bradley. Der Kapitän der "Ocean Discovery" antwortete über die Telefonverbindung:

"Alles klar, Sir. Vielleicht finden Sie ja wirklich einen versteckten Schatz."

"Wohl eher was rein wissenschaftlich interessantes", sagte John Bradley und dachte schon daran, was er über die Gesteinsformation herausfinden würde, die er vor einem Jahr gefunden, aber aus Zeitgründen nicht genauer hatte erforschen können. Diese Erbsenzähler von Nachlassverwalter hatten ihn einbestellt, um seine Erbschaft in allen Punkten durchzusprechen, welche Möglichkeiten er hatte, das ererbte Vermögen gewinnbringend anzulegen, es zumindest nicht in einem einzigen Jahr zu verbrauchen. Tja, sein Vater hatte schon gewußt, was sein Sohn machen würde, wenn er genug Geld für besonders teures Spielzeug in die Hand bekommen würde.

"Grund in dreihundert Metern", meldete Gray den neuen Abstand zum Meeresgrund.

"Wieso wurde diese Gesteinsformation nicht vorher schon gefunden?" Fragte Bradley.

"Wegen der Plattenverschiebung, schätze ich, John. Letztes Jahr hat es in dieser Gegend doch dieses leichte Beben gegeben. Einiges an Schlamm und Gestein ist dabei abgerutscht."

"Ja, aber ausgerechnet diese Anordnung von Steinen ist stehengeblieben", bemerkte John Bradley und strich sich durch seinen Blondschopf.

"Nach den Bildern, die du mitgebracht hast könnte es eine Aufnahme von Stonehenge sein", erwiderte Stanley Gray und schwenkte Scheinwerfer und Kamera.

"Eben, sieht schon merkwürdig aus", sagte John. "Man könnte meinen, die Dinger hätte jemand da unten aufgebaut. Vielleicht war da ja Atlantis?"

"Oder Lemuria, John", erwiderte Stan.

"Lemuria war im Pazifik", berichtigte John seinen Kameraden. Dieser grinste.

"Weiß ich doch", sagte er belustigt. "Andererseits weiß eh keiner, ob es das eine oder das andere Reich überhaupt gegeben hat oder ob es nicht ein und dasselbe Reich war. Immerhin ... Hups, ein ziemlich großer Fisch hängt genau unter uns."

"Okay, ich steuere ein zwei Meter nach Steuerbord", sagte John und vollführte mit den schwenkbaren Elektromotoren eine leichte Ausweichbewegung nach Rechts.

"Alles klar. Der Fisch ist unter unserem Kiel weg. Von der Größe her war's ein Hai oder sowas."

"Was immer es war. Wir mußten es nicht gerade überfahren", sagte John Bradley.

"Moment, ich kriege hier die Werte für den Meeresboden rein. Wir müssen noch einhundert Meter nach vorne, um genau über unserem Stonehenge herunterzukommen", sagte Gray. Bradley gab mehr Energie auf die Motoren und trieb das Tauchboot damit nach Vorne, bis sie den von Gray ermittelten Punkt erreicht hatten. Von da an ließ Bradley die Motoren nur zur Tiefensteuerung und für Ausweichbewegungen laufen.

"Grund in fünfzig Metern, aber die Steine sind bereits in dreißig Metern zu erreichen", sagte Gray.

"Captain, wir sind gleich am Ziel", sprach John Bradley in den Telefonhörer. Doch der Kapitän bestätigte es nicht. "Hallo, Captain Charleston!" Rief Bradley.

"Keine Verbindung?" Fragte Stanley Gray.

"Das ist merkwürdig. Checkst du mal das Telefon?" Bat Bradley seinen Kameraden. Dieser nickte und machte sich daran, das Telefon zu untersuchen, während John die Motoren so einstellte, daß sie das Boot auf der gerade erreichten Tiefe hielten.

"Hmm, nix kaputt", sagte Stan und probierte erneut, den Kapitän der "Ocean Discovery" anzurufen.

"Ich kriege ihn nicht dran. Muß also am anderen Ende liegen. Ich schicke mal ein Testsignal hoch", sagte Gray.

"Moment, da kommt was von unten hoch, Stan", sagte John und deutete auf die Sonaranzeige. Stan schwenkte sofort die Kamera nach unten und bugsierte einen der Scheinwerfer so, daß auch genug Licht nach unten fiel.

"Ist ja merkwürdig. Eben war da noch ein deutliches Echo. Jetzt ist alles wieder klar", erwiderte John.

"Phantomechos? Selten aber hier auch nicht zu erwarten", sagte Gray verstimmt, weil der angebliche Sonarkontakt seine Arbeit am Telefon unterbrochen hatte. Manchmal kam es vor, daß eine Temperaturschwankung im Wasser und ein von Fischen oder Strömungen aufgewirbelter Sandhaufen ein Echo mehr als üblich erzeugten und damit für einen Moment ein fremdes Objekt angezeigt wurde.

"Das Testsignal geht nicht durch", sagte Gray. "Offenbar ist oben was kaputt und ... Och neh!" Sie sahen durch das dicke Bullauge nach draußen und konnten einen hauchdünnen Faden erkennen, der sich von oben zu ihnen herabschlängelte. Es war das Telefonkabel.

"Das ist jetzt nicht gerade angebracht", knurrte Gray, als das Kabel sich über mehrere hundert Meter durch das Wasser schlängelte. Offenbar war es auf der Strecke zwischen Mutterschiff und Tauchboot durchgebrochen. Doch warum hatte das Telefon dann kein entsprechendes Warnsignal gegeben.

"Sollen wir umkehren oder runter?" Fragte Gray leicht beklommen. Ohne Kontakt mit dem Schiff waren sie hier unten völlig auf sich allein gestellt. Da hier unten so viel passieren konnte eine sehr unangenehme Vorstellung.

"Ich will mir diese Steine ansehen und genug Bilder davon machen, Stan. Vielleicht kann ich was von denen abkratzen und mitnehmen", sagte John sehr entschlossen.

"Dann los!" Gab sich Gray einen Ruck und behielt das Sonar im Blick.

"Noch zehn Meter bis zu den Steinen", sagte er an. "Noch fünf Meter!" John bremste die Tauchfahrt und ließ das Boot vom Ballast gezogen bis auf den Grund absinken.

"Wau", staunte Gray. "Die Dinger sehen ja richtig kunstvoll aus."

Um sie herum standen meterhohe Gebilde aus blankem, weißem Gestein, die einen Ring aus an die zweihundert Meter Durchmesser bildeten. Vier Reihen dieser Felsen ragten bis zu dreißig Meter hoch auf und zeigten weder Risse noch Einkerbungen. Auch konnte Gray nicht eine Muschel sehen, die an diesen Steinen saß. Irgendwie fühlte er sich vom Anblick dieser Monolithen so sehr beeindruckt, daß er für nichts anderes mehr empfänglich war.

"Das haben wohl doch irgendwelche Außerirdischen hingebaut", sagte John scherzhaft. Doch für Gray klang es nicht wie ein Witz, sondern als die einzige Erklärung für die makellose Gestalt jedes Monolithen.

"Kuck mal da vorne scheint eine Art Plattform zu sein", wies Gray seinen Kameraden auf eine an die zwanzig Meter lange, rechteckige Struktur hin, die wie eine gigantische Grabplatte aus schwarzem Marmor wirkte.

"Komisch, die habe ich beim ersten Mal nicht gesehen", sagte John Bradley. "Offenbar habe ich zu weit davon weg geguckt." Er startete die Motoren und hob das Boot ein paar Meter an, um es dann nach vorne zu steuern. Da schien es, als züngelten aus dem Wasser blaue Flammen hervor, die sich genau vor der rechteckigen Struktur vereinten und einen Vorhang aus dunkelblauem Licht bildeten.

"Eh, halt das Boot an!" Stieß Gray erschrocken aus, als die "Sirenita" genau auf diese Lichtwand zufuhr.

"Was ist das?" Fragte John Bradley und wollte das Boot stoppen. Doch genau in dem Moment setzten die Motoren aus.

"Verdammt, die Motoren!" Rief John Bradley, während sie auf die blaue Wand zutrieben. Gray sprang sofort zum Hauptschaltpult und sah sofort, daß irgendwas von außen Energie absog. Im nächsten Moment fielen auch die Scheinwerfer und die Kamera aus.

"Irgendwo ist ein Kraftfeld, das unsere Energie ..." Sagte Gray, als das Boot auf die blaue Wand traf. Sie war keine feste Wand. Doch als sie sie durchstießen, brach das entsetzliche über sie herein.

Unvermittelt glühten die Wände der Kugelkammer auf, schienen von einem flammenlosen Feuer erhitzt zu werden, das immer heißer und heller glomm. Gleichzeitig bekam das Boot einen Stoß, der es in eine wilde Eigendrehbewegung versetzte. Doch das schrecklichste waren die plötzlich auf sie einströmenden Stimmen und Geräusche, die direkt in ihren Köpfen zu erklingen schienen. Es waren Laute, die ihnen eine immer größere Angst in die Knochen trieben. Sie hörten Worte des Grauens, die sie vorher nie gehört hatten, Stimmen, deren Klang Tod und ewige Qualen verhießen. Dann sah John noch etwas vor sich, das er für eine Ausgeburt der Hölle halten mußte. Es war ein schleimiges, halb quallen-halb wurmartiges Etwas, das aus sich selbst heraus grünlich-blau leuchtete und rasend schnell auf sie zustieß. Dann knirschte und knackte es in der Stahlhülle, und mit lauten Knällen brachen kleine Lecks in der aufgeheizten Schiffswand auf, durch die nadelfeine Wasserstrahlen laut pfeifend in das Boot hineinspritzten. Da jeder dieser Wasserstrahlen vom umgebenden Druck verstärkt wurde, wirkte jeder wie ein energiereicher Laserstrahl oder wie die Klinge eines diamantharten Skalpells. Gray wurde von drei dieser gefährlichen Hochdruckstrahlen gleichzeitig getroffen, die sich durch seinen Körper borhten wie heiße Stecknadeln durch Butter. Dabei erlitt er bereits so schwere Verletzungen, daß er nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen konnte. Wie ein um ihn zuklappendes Maul verschlang ihn totale Dunkelheit und Finsternis. Bradley, der von einem der nadelfeinen Wasserstrahlen am rechten Handgelenk getroffen wurde, schrie vor Schmerz auf, und riss den Arm reflexartig hoch. Dabei durchtrennte der ultrascharfe Strahl sein Handgelenk, und er konnte seine losgelöste Hand sehen, die zu Boden fiel. Doch der Schock diser grausamen Amputation hatte ihn kaum erfaßt, als die immer heller glühende Hülle des Bootes in sich zusammenstürzte und die Tonnenlast des Meerwassers mit einem enndgültigen Schlag über ihn hereinbrach. Er bekam nicht mehr mit, wie sein Körper wie ein Ei in einer Faust zerdrückt wurde. Er bekam auch nicht mehr mit, wie das grünlich-blau leuchtende Ungetüm über ihn und seinen ebenfalls restlos zerquetscht werdenden Freund und Kameraden Gray herfiel und die Überreste wie ein großer Staubsauger in sich hineinzog. Dann folgte das Metall des implodierten Tauchbootes, das immer noch glomm wie in einem Hochofen erhitzt. Doch dem schleimigen Untier schien es nichts auszumachen. Es verleibte sich alle versprengten Teile des Tauchbootes ein, als wären sie leckere Happen, auf die es lange hatte verzichten müssen. Dann schnellte es nach oben. Weitere monströse Geschöpfe, die mit Fangarmen oder gewaltigen Mäulern ausgestattet waren, kamen wie aus dem Nichts und folgten dem gallertartigen Wurmwesen, das zielstrebig nach oben vorstieß.

Captain Charleston versuchte es immer und immer wieder, mit den beiden Freizeitmeereskundlern in ihrem Tauchboot zu sprechen. Doch die Verbindung war sprichwörtlich abgerissen.

"Holen Sie das Kabel ein und sehen Sie, ob es sich strafft!" Befahl er seinem Kommunikationstechniker. Dieser nickte und betätigte die ferngesteuerte Winde, die das ausgerollte Kabel einholte. Tatsächlich wickelten sich zweihundert Meter Glasfaserkabel auf, bis der Kapitän einen sauberen Schnitt erkannte. Das Kabel war nicht gebrochen oder gerissen, sondern von irgendwas blitzsauber durchtrennt worden.

"Verdammt!" Fluchte Charleston. "Funkspruch an Fort Lauderdale, daß wir die "Sirenita" verloren haben!" Befahl er. Sein Kommunikationstechniker nickte und schaltete das Funkgerät ein.

"Captain, Sonar zeigt große Objekte von unten kommend, Geschwindigkeit ..." Kam die aufgeregte Stimme des Mannes, der das Echolotsystem überwachte. Dann knackte es laut im Lautsprecher. Gleichzeitig fiel auf dem ganzen Schiff der Strom aus.

"Sir, kriege den Funk nicht zum laufen", meldete der Funker sehr beunruhigt. Dann krachte etwas mit solcher Wucht gegen die Bordwand, daß Charleston den Halt verlor und schmerzhaft gegen die Wand der Funkbude knallte. Wieder traf etwas das Schiff. Ein lautes, kreischendes Geräusch wie zehn Kreissägen zugleich, und das Schiff bekam Schlagseite. Der Funker stieß einen lauten Schreckensschrei aus. Mit blankem Entsetzen in den Augen starrte er aus dem Fenster der Funkbude. Charleston folgte dem Blick und bekam den größten Schreck seines Lebens. Ein gigantisches Maul, lang wie das eines Krokodils, schob sich gerade durch einen gezackten Riss in der Bordwand zu ihnen vor. Gleichzeitig peitschten vier armdicke weiße Tentakel über das Deck und umschlangen die dort wartende Ausbring- und Bergungsmannschaft. Die lauten Schreie der gefangenen hörte Charleston nur noch wie aus weiter Ferne. Denn in diesem Moment trafen mehrere heftige Schläge das Schiff und schlugen es an so vielen Stellen Leck, daß es augenblicklich zu sinken begann. Dann füllte das riesige, silbriggraue Maul das Bullauge aus. Charleston hörte das laute Brechen von Metall und Holz, als die Funkbude von einer unwiderstehlichen Gewalt zusammengedrückt wurde. Dann erfaßte auch ihn diese Kraft und beendete in einem winzigen Sekundenbruchteil sein Leben und das des Funkers.

Von Monstern angegriffen, die erfahrene Seeleute des 20. Jahrhunderts nur für Seemannsgarn hielten, wurde die sonst so eis- und wetterfeste "Ocean Discovery" innerhalb nur einer Minute zerrissen, zerschlagen und in die Tiefe hinabgezerrt wie eine Robbe von einem Hai. Die Ungeheuer unterschieden nicht zwischen Plastik, Metall oder menschlichen Körpern. Sie fraßen alles, was sie mit ihren Mäulern und Fangarmen zu fassen und zu zerdrücken schafften. So blieb von dem Meereserkundungsschiff nach dieser Minute des absoluten Grauens nichts mehr übrig. Nicht einmal ein Ölfleck. Der Heimathafen der "Ocean Discovery" erfuhr nie, welche übermächtige Gewalt das Schiff heimgesucht und restlos vernichtet hatte. Als am sechsten August des Jahres 1996 die Nachricht um die Welt ging, das die "Ocean Discovery" bei gutem Wetter auf hoher See verschwunden war, wurden sofort alle früheren und als verworfen angesehenen Geschichten über die Tücken des Bermudadreiecks hervorgekramt und bis zur Unerträglichkeit bemüht. Von Außerirdischen war da genauso die Rede wie von Rissen im Raum-Zeit-Gefüge, Supergasblasen und magnetischen Stürmen. Doch der wahre Grund für das Verschwinden dieses Schiffes war der Zusammenstoß zwischen Neugier und den raubtierhaften Wächtern eines uralten Geheimnisses, das zu hüten sie erschaffen worden waren.

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Man schrieb den siebten August. Es war kalt und dunkel, und das alle zwanzig Sekunden ertönende Plitsch-Platsch niederfallender Wassertropfen war das einzige Geräusch in einer ansonsten totenstillen Umgebung. Dann ploppte es vernehmlich, und das Echo dieses hier völlig unnatürlichen Lautes antwortete zehn Sekunden lang. Ein leises Zischen, das feine Ohren als "Lumos" hätten verstehen können, war das zweite fremde Geräusch in dieser dunklen Umgebung. Dann durchschnitt ein heller Lichtstrahl diese undurchdringlich anmutende Finsternis und beschien eine zehn Meter hohe und einen Meter dicke Säule aus natürlich geformtem Kalk. Dieses aufragende Gebilde war in Jahrmillionen von einer aus der Decke herausrieselnden Wasserader aus Kalkstein herausgewaschen und zunächst zu zwei steinernen Eiszapfen geformt und dann immer mehr angereichert worden, bis von oben und unten die beiden Kalkgebilde zusammenwuchsen und diese Säule ausgebildet hatten. Der Lichtstrahl glitt nach rechts und fand ein anderes Gebilde auf dem Boden, das einem steinernen Baumstumpf glich. Im dämmerigen Widerschein des schmalen Lichtstrahls leuchtete ein Gesicht auf, dann ein schemenhaft umrissener Körper, der Körper einer Frau im Umhang. Sie verhielt vor der Tropfsteinsäule und berührte sie mit der leuchtenden Spitze ihres zehn Zoll langen Stabes. Die Säule glomm in einem bläulichen Licht und gab ein leises Summen von sich wie hinter dicken Holzwänden wimmelnde Hornissen.

"Hic sum! Venite Sorores!" Sprach die Frau mit einer sehr ernsten Betonung. Die Säule leuchtete nun in einem strahlenden Blau, das dreimal so hell wie das des Himmels war und gab ein Summen wie einen dauerhaft gespielten Orgelton von sich, genau für fünf Sekunden. Dann ploppte und krachte es wie aus hundert Sektflaschen und Spielzeugpistolen. Mit jedem Laut verbreiterte sich das blaue Licht, nahm dabei jedoch leicht an Helligkeit ab. Dann schien es sich von der Säule zu lösen, berührte die Wände und legte sich darauf wie eine Tapete aus himmelblauem Licht. Das Summen und Leuchten der uralten Säule verging übergangslos, während die Wände weiterleuchteten.

Nun standen über hundert Frauen in langen Umhängen in jenem riesigen Saal einer für Nichtmagier unzugänglichen Tropfsteinhöhle zusammen. Jene, die zuerst hier eingetroffen war, senkte ihren Zauberstab und löschte dessen Licht. Das Einberufungsritual war beendet, die Vollversammlung der entschlossenen Schwestern, die anderswo als Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern bezeichnet wurden, konnte beginnen.

Lady Daianira, die alle ihr treu verbundenen Schwestern herbeigerufen hatte, war eine Hexe Mitte sechzig, deren haselnußfarbener, gglatter Haarschopf ihren Oberkörper hinabreichte und deren hellgraue Augen jede hier in dieser weiten Höhle genau musterten. Sie trug ihr dunkelblaues Kleid, das Zeichen der obersten ihrer Schwesternschaft in Nordamerika und wirkte erhaben und unerschütterlich. Mit einer Schnellen Bewegungsabfolge ihres Zauberstabes holte sie einen hochlehnigen Stuhl, einem Königsthron gleich aus dem Nichts. Dann vollführte sie eine Kreisbewegung, worauf aus flimmernder Luft heraus lange, hufeisenförmige Holzbänke materialisierten. Ohne ein Wort ließen sich die einbestellten Hexenschwestern auf den heraufbeschworenen Möbeln nieder. Erst als alle anderen Saßen, ließ sich die Hexenlady auf dem hohen Stuhl nieder und blickte ihre Schwestern an, die absolut lautlos dasaßen und warteten, was nun geschehen würde.

"Schwestern, es ist sehr schön, daß ihr alle es einrichten konntet, heute zu dieser Versammlung zu erscheinen. Daraus ersehe ich, daß ihr alle die Wichtigkeit dieses Treffens erkannt habt", begrüßte Lady Daianira die Versammlung. Alle grüßten stumm. Einige sandten ihr unhörbare Antworten direkt ins Bewußtsein. Sie nickte allen zu und fischte ein zusammengefaltetes Pergament aus ihrer Tasche. Dieses warf sie hoch und richtete ihren Zauberstab darauf, worauf es sich im Flug entfaltete, frei über dem Boden verhielt und sich zu einem bettlakengroßen Gebilde auswuchs, auf dem in hellrot leuchtenden Buchstaben die Tagesordnung erschien.

Tagesordnung für den 07.08.1996

  1. Willkommen der neuen Mitschwestern

  2. Besprechung der Affäre Andrews

  3. Erörterung der Gerüchte über eine neue Schwesternschaft

  4. Anfragen aus dem Ausland

Lady Daianira begrüßte nun einzeln und namentlich die Schwestern, junge Hexen, die im Verlaufe des letzten Jahres von ihren Müttern, Tanten oder leiblichen Schwestern in den Orden eingeführt worden waren. Dabei blickte sie jeder sehr genau in die Augen und sprach sehr ernst:

"Bedenke, daß du von nun an nur den Schwestern dieses Bundes gehörst!"

Sicher, in der weniger entschlossenen Mehrheit der schweigsamen Schwesternschaft wurde ein ähnlicher Begrüßungssatz gesprochen. Doch Daianira Hemlock, die von ihren Mitschwestern Lady Daianira genannt wurde, legte Wert darauf, daß jene, die den entschlossenen Schwestern beigetreten waren, dies noch einmal zu hören bekamen.

Als sie die dreißig neuen Schwestern begrüßt und sich wieder auf ihrem hohen Stuhl niedergelassen hatte, kam sie zu Tagesordnungspunkt 2 auf der rot leuchtenden Liste.

"Ihr alle habt lesen und staunen dürfen, daß eine sehr mächtige Kreatur, die Tochter des dunklen Feuers, von der Laveau-Bediensteten Jane Porter und dem wohl sehr begabten Jungzauberer Julius Andrews aufgestöbert und offenbar aus der Welt gestoßen werden konnte. Jetzt frage ich euch, Schwestern, wie konnte es angehen, daß wir erst davon erfahren durften, als dieses Geschöpf den Köder in Form des Jungen geschluckt hat und irgendwie daran zu Grunde ging, ohne daß die Liga gegen die sogenannten dunklen Künste oder wir irgendwas damit zu tun hatten. Denn immerhin ist die Laveau-Hexe Jane Porter ja vor diesen Ereignissen festgenommen worden. Die frage geht vor allem an dich, Schwester Ardentia."

Alle sahen eine Hexe im grünen Kleid an, deren hochwangiges Gesicht leicht verlegen wirkte. Sie strich sich etwas verunsichert durch ihr weizenblondes Haar und blickte dann die Oberste der Versammlung an.

"Ich hatte den Auftrag von Mr. Davidson, meinem offiziellen Vorgesetzten, den Jungen Julius vor dem Zugriff dieser Kreatur zu verbergen, nachdem Mrs. Porter ihn durch den Sanguivocatus-Zauber mit seinem willenlosen Vater in Kontakt treten ließ. Ich war gerade dabei, Lebensmittel für eine gewisse Zeit zu beschaffen und glaubte, der Junge sei im Schutz meines Fernfluchabwehrzaubers sicher. Doch der wurde von dieser Kreatur durchbrochen und restlos gelöscht, und der Junge flüchtete wohl aus dem Haus und lief dem Ungeheuer direkt in die Arme. Ich bekam erst davon was mit, als ich zurückkehrte und erschrocken feststellte, daß meine Schutzzauber aufgehoben waren und der Junge verschwunden war. Ich fürchtete da, daß er bereits tot oder schlimmer noch im Bann dieser Abgrundstochter sei. Ich habe natürlich zuerst Davidson informiert, da er mir ja den Auftrag gab, den Jungen zu bewachen. Leider konnte ich nicht aus dem Institut verschwinden, ohne daß es aufgefallen wäre, und das Institut wird von einem Verbergezauber umschlossen, der selbst gedachte Botschaften zurückhält, die herein oder hinausgehen sollen. Ich hörte erst wieder was von dem Jungen, als von Thorntails die Eule mit der Nachricht kam, er sei in Sicherheit. Zu dem Zeitpunkt waren ja auch Professeur Faucon und ihre Tochter Catherine Brickston bei uns. Nicht unnötig aufzufallen war hier oberstes Gebot."

"Soso, du hast also erst davon gehört, als der Junge in Thorntails war", wiederholte Lady Daianira. "Aber ich hörte, daß du es warst, die dieser Jane Porter und dem Jungen geholfen hat, aus dem von Swifts Bluthunden umzingeltem Institut zu entwischen, damit sie den Sanguivocatus-Zauber da anwenden konnten, wo dieses Ungeheuer und sein Sklave zum letzten Mal Beute gemacht haben. Ein kurzes Mentiloquieren an mich oder eine am Orte wohnende Schwester hätte gereicht, und wir hätten den Jungen weiterhin überwachen können. Ja, du hättest uns auch mitteilen können, daß du den Jungen in ein Versteck bringen sollst, als du mit ihm das Institut verlassen hast. Oder dachtest du, dies sei nicht sonderlich dringlich?"

Ardentia Truelane verzog das Gesicht. Dann sah sie die Lady entschlossen an und sagte:

"Davidson hat mir einen magischen Eid abgenommen, niemandem auf welche Art auch immer zu verraten, wohin ich den Jungen zu bringen habe, bis er nicht mehr in diesem Land ist."

"Vermaledeiter Bastard", knurrte die Lady. "Du mußtest natürlich diesen Eid hinnehmen, um nicht von ihm verdächtigt zu werden, weil du ja mit seinem Wissen zu uns Kontakt hältst. Er hat wohl an das meiste gedacht."

"Glaubt ihr, sie berichtet uns die Wahrheit, Mylady?" Fragte Thalia Clober, eine kleine, struwelhaarige Hexe, die einst gegen Daianira um die Nachfolge als Sprecherin gekämpft und vor allen Schwestern hier verloren hatte.

"Du weißt genau wie ich, daß wer in dieser Höhle sitzt die Wahrheit sagen muß, Schwester Thalia. Nur ein magischer Eid würde sie dazu bewegen, ein Geheimnis zu bewahren, allerdings nur unter großen Schmerzen. Also warum diese Frage, Thalia?"

"Das bezieht sich auf den dritten Tagesordnungspunkt, Mylady", knurrte Thalia und erntete viele verunsicherte Blicke. Lady Daianira nickte und sah wieder auf Ardentia Truelane. Diese stand auf und sagte laut:

"Ich hätte euch gerne informiert, als der Sanguivocatus-Kontakt zu Stande kam. Aber Davidson wollte das nicht und nahm mir den Eid ab. Wenn du das nicht glaubst, Schwester Thalia ..."

"Ich muß es wohl glauben", zischte Thalia, jedoch nicht so ganz überzeugt klingend.

"So ergeben sich jetzt aber neue Fragen, Schwestern", holte sich Lady Daianira das Wort zurück. "Wie entkam der Junge, und was geschah mit seinem Vater und dieser Kreatur? Na, Ardentia, was hast du von den Leuten im Laveau-Institut darüber erfahren?"

"Das er wohl dorthin verschleppt wurde, wo sie sich aufhielt und irgendwer kam, und ihm half. Dabei ist sein Vater wohl gestorben."

Lady Daianira holte eine Zeitung aus ihrem Kleid und schlug sie auf. Sie las kurz und sagte sehr erbost:

"Muß ich sowas wirklich erst aus einer ausländischen Zeitung erfahren, daß der Junge berichtet, von einer Gruppe überwiegend aus Hexen bestehend gerettet worden zu sein? Wann wolltest du uns das erzählen, Ardentia?"

"Öhm, hat der Junge ein Interview gegeben?" Fragte Ardentia und schrak zurück, weil die Augen der Lady sehr gefährlich funkelten. "Heute wollte ich euch das erzählen, wo alle hier versammelt sind", sagte sie dann rasch und berichtete, was sie über Julius' Andrews' Abenteuer mit Hallitti, der Tochter des dunklen Feuers erfahren hatte. Danach sagte Lady Daianira:

"Wie meinst du, konnte eine Gruppe von fremden Hexen ohne dein Wissen erfahren, wo der Junge gerade war und wie konnten sie das magisch versiegelte Versteck öffnen?"

"Darauf weiß ich keine Antwort", sagte Ardentia kleinlaut.

"Aber ich", ergriff Thalia erneut das Wort, ohne darum gebeten zu haben. Der zornige Blick der Lady richtete sich nun auf sie, und Daianiras Gesicht war eine einzige Warnung, sich nicht mehr ungefragt zu äußern, wollte Thalia nicht dafür bestraft werden. Doch dann nickte sie Thalia zu und befahl: "Sprich!"

"Bestimmt kennen diese Fremden jemanden im Ministerium, der Ihnen sogenannte Incantivakuum-Kristalle beschaffen konnte. Damit kann jede Form von Zauberei in einem Umkreis von zwölf Metern restlos beseitigt werden. So würde sich mir auch erklären, wie diese Kreatur letztendlich vernichtet werden konnte. Die Frage ist also, wer sind diese Leute und woher wußten sie wann, wie und wo sie die Kreatur und den Jungen finden konnten?"

"Das sind genaugenommen drei Fragen, Thalia", raunte Lady Daianira. "Du hast recht, wenn du auf Punkt drei unserer Tagesordnung verweist. Denn offenbar ist dieser Punkt wichtiger als ich ursprünglich vermuten wollte, erklärt dieser doch so einiges." Sie sah Ardentia an, als wolle sie durch ihre Augen in ihren Kopf hineinblicken. Sie lächelte kalt, als Ardentia in eine angespannte Haltung verfiel, als müsse sie etwas unangenehmes von sich wegdrücken. Nach zehn Sekunden wandte die Lady ihren konzentrierten Blick von Ardentia ab und sagte:

"Nun, wir wissen also aus dieser Zeitung aus Frankreich, daß der Junge Hilfe hatte. Wer das war und wie sie erfuhren, wo er sich aufhielt, ja daß er in der Gewalt dieser Hallitti war und wie sie ihn daraus befreien und das Monster töten konnten, das ist von elementarer Wichtigkeit für uns. Somit kommen wir zum Punkt nummer drei der Tagesordnung. Ich stelle fest, es ist wohl kein Gerücht, sondern bedauerliche Tatsache, daß sich unbemerkt von uns und den unentschlossenen eine dritte Sororität formiert oder bereits formiert hat, die um Mitglieder unter den Hexen wirbt. Oder hat der Junge irgendwas von Zauberern erwähnt?"

"Nein, hat er nicht", sagte Ardentia, auf der Daianiras Blick ruhte. Die Lady nickte, als habe sie eine Bestätigung für etwas erhalten.

"Also gibt es diese dritte Sororität, und wir haben sie einfach so entstehen lassen. Das heißt für mich, einige von euch könnten bereits Interesse an ihr bekundet haben, wenn nicht sogar schon den Treueschwur vergessen haben, der sie an unseren Orden bindet. Hast du dich mit dieser Schwesternschaft zusammengetan, Ardentia?"

"Nein", sagte Ardentia nach einer Sekunde Überlegung. Daianira nickte. Dann fragte sie reihum, wobei sie jedoch zuerst mit den beiden Stratons, Mutter und Tochter begann. Sie stellte dieselbe Frage. Doch von allen befragten bekam sie ein Nein zur Antwort, auch von Donata Archstone, die weiter hinten saß. Dann gab sie den Befehl aus:

"Findet heraus, wer dieser Bande angehört! Es können nur Welche von den unentschlossenen oder ausländische Mitschwestern sein. Ja, von denen bestimmt. Findet heraus, was diese Hexen wollen und wer ihre Anführerin ist! Ich will und darf nicht zulassen, daß jemand heimlich neben mir groß wird, ohne daß ich weiß, was mir daraus erwächst."

Dann kamen sie zum Tagesordnungspunkt vier, zwei Anfragen aus dem Ausland, einmal aus Australien, betreffend einer dortigen Schwester namens Delila Pokes, die spurlos verschwunden war, zum anderen aus Deutschland, ob in Nordamerika noch Anhänger des sogenannten Unnennbaren herumliefen, da der Emporkömmling bereits Botschafter ausgeschickt hatte, alte Befürworter in Europa zu kontaktieren. Zu der Anfrage ihrer australischen Bundesschwester Nimoe Fungrove bemerkte sie noch:

"Offenkundig hat die gute Lady Nimoe schon welche ihrer Schwestern an diese obskure neue Clique verloren und ist darüber sehr ungehalten. Was in England los ist erfahre ich im Moment nicht. Sie suchen dort immer noch nach einer Nachfolgerin für Lady Ursina." Sie lächelte überlegen. Dann winkte sie ihren Schwestern und trug ihnen auf, sich auch um diese Punkte zu kümmern. Dann beschloß sie die Vollversammlung und entließ ihre Mitschwestern mit dem Gruß "Semper Sorores!" Der von allen im Chor beantwortet wurde. Dann Ddisapparierten sie in kleineren Gruppen, wobei das magische Leuchten der Wände immer schwächer wurde, bis nur noch die Lady im dunklen Tropfsteingewölbe stand. Mit einem Schwung ihres Zauberstabs und dem Ausruf "Totus renihilis!" Ließ sie alle heraufbeschworenen Möbel mit leisem Knistern verschwinden, bevor sie selbst disapparierte und die jarhmillionenalte Tropfsteinhöhle wieder ihrer natürlichen Stille und Dunkelheit überließ.

__________

Am achten August erreichte ein Hilferuf aus England Anthelia in der Daggers-Villa. Sherry Fowler, eine erst seit drei Monaten eingegliederte Mitschwester, berichtete atemlos:

"Höchste Schwester, der Emporkömmling hat wohl alle Todesser losgeschickt, solche Hexen aufzuspüren, die wohl zu den entschlossenen Schwestern gehören. Offenbar hat ihm jemand einige Leute weggeputzt. Da Dumbledores Phönixorden zu human ist meint er wohl, wir wären das. Dabei haben die von der Sororitas gerade ganz andere Sorgen."

"Soso, der Emporkömmling meuchelt Hexen, die er für seine Widersacherinnen ansieht?" Fragte Anthelia. "Er nutzt wohl die Gunst aus, daß er über Ursina Underwood gesiegt hat. Nun, Frechheiten dürfen wir nicht durchgehen lassen, schon gar nicht, wenn dabei unschuldige Hexen ihr Leben lassen müssen", sagte Anthelia.

Eine Stunde später rückten zwanzig mit den dunklen Künsten bewanderte Spinnenschwestern aus und trafen sich in Schottland, nahe Hogsmeade, wo sie die Lage besprachen und sich dann von Anthelia zeigen ließen, wie der Körperzergliederungsfluch gewirkt wurde. Dann entsannten sie eine Botschafterin nach RainbowLawn, wo noch einige Getreue Ursinas wohnen sollten. Sie übermittelte schöne Grüße von den Schwestern aus den Staaten und das Lady Daianira derzeit andere Sorgen habe und ohnehin nicht offiziell eingreifen dürfe. Dieses und andere Erkennungsmerkmale schufen das Vertrauen zu den Abgesandten Anthelias, die darauf eine Liste verdächtiger Todesser erhielt. Von da an wurden diese Zauberer überwacht, bis einer von ihnen das Anwesen einer Schwester der gemäßigten Mehrheit der schweigsamen Schwestern heimsuchte. Er wollte gerade ansetzen, die Hexe und ihre Familie zu töten, da erwischte ihn ein schockzauber, und eine unsichtbare Kraft zog ihn fort. Ehe die gerade überfallene Familie begriff, was passierte, tauchten zwei Hexen in weißen Kapuzenumhängen auf, griffen sich den Todesser und disapparierten mit ihm.

Einen Tag später brachte der Tagesprophet einen erschütternden Artikel über gleichmäßig im Land verstreute Körperteile eines Mannes, die aber nicht tot sondern so lebendig geblieben seien, als seien sie noch mit dem Rumpf verbunden, der atmend und warm in der Nähe von Devon gefunden wurde. In den Körper war eine Nachricht eingeschnitten, daß jeder weitere Überfall auf irgendwelche Hexen weitere zerteilte Todesser kosten würde. Denn man wisse, wo und wer sie seien.

Anthelia rechnete damit, daß Lord Voldemort sich das nicht bieten lassen würde. Doch dieser schien im Moment nicht im Lande zu sein oder empfand es vielleicht als gerechtfertigt, wenn niedere Anhänger von ihm erwischt und dafür getötet oder zumindest verunstaltet wurden. Als dann einen Tag später noch ein Todesser zerlegt aber lebendig aufgefunden wurde, rechnete die Zaubererwelt damit, daß der Krieg zwischen den Todessern und ihren Widersachern nun offen losbrechen würde. Diese Vermutung bekam Nahrung, als einen weiteren Tag später die Leiche Lyra Harpers mit nach außen gekehrten Eingeweiden an einem Baum hängend aufgefunden wurde.

"Das waren keine Todesser", sagte Sherry, als Anthelia diese Meldung las. "in ihren Oberschenkel war in Runenschrift der Schriftzug Verräterin eingeritzt worden. Der Schriftzug war umgekehrt gezeichnet. So hat Mylady Ursina Eidbrecherinnen und Kolaborateurinnen abstrafen lassen. Mag sein, daß ihre Nichte Proserpina dahintersteckt. Womöglich hat sie Lyra hingerichtet. Dieser Fluch ist schon grauenhaft."

"In der Tat, ich kannte den Erfinder dieser Methode persönlich", erwiderte Anthelia. "Ich weiß, daß dieser Emporkömmling im Moment wohl unterwegs ist. Ich hörte sowas, daß sein Golemmacher einen weiteren Großangriff auf die Welt der Unfähigen vorbereitet, um Scrimgeour öffentlich zu beschädigen. Aber bis dieser selbsternannte dunkle Lord wieder da ist soll das nicht ins Werk gesetzt werden. Falls noch eine Schwester stirbt und nicht durch eine Rächerin Ursinas", sie lächelte überlegen, "Suche ich mir noch einen Todesser aus, den ich in seine Einzelteile zerfluchen werde."

Doch vorerst starben keine weiteren Hexen, was wohl auch daran liegen mochte, das eine gewisse Bellatrix Lestrange, als sie das Haus ihrer Schwester Narcissa betreten wollte von drei vermummten Gestalten ergriffen, durch Bewegungsbann und Fesseln überrumpelt und verschleppt wurde.

"Schön dich mal wieder vor mein Angesicht zu kriegen, Bellatrix", grüßte Anthelia die verschleppte Todesserin, die sich nach der Aufhebung des Bewegungsbanns lautstark gegen ihre Fesseln wehrte. Doch als sie die ihr so verhaßte weil von ihr am meisten gefürchtete Hexe vor sich sah wurde sie schlagartig ruhig.

"Du hast mich schon wieder ... Narcissa und Rodolphus werden dich diesmal erwischen", heulte Bellatrix.

"Das wäre nicht gut für dich. Dann müßtest du ja verraten wer ich bin", spottete Anthelia. "Und du weißt ja, was dir dann passiert", legte sie noch nach. Bellatrix wußte es zu gut. Die Folterstunden am Richtbaum, die einen Tag nach ihrer Flucht aus Askaban über sie hereingebrochen waren, hatte sie keinesfalls vergessen. Und immer noch widerte es sie an und jagte ihr gleichermaßen Panik ein, das weiblich umgewandelte Gesicht von Bartemius Crouch Junior vor sich zu sehen.

"Was willst du von mir. Du hast mich gefoltert, wolltest mich umbringen und hast mein Kind ... mein Kind aus mir rausgezerrt und in diesen ... in diesen Baum eingesperrt", flennte Bellatrix Lestrange, jetzt nicht mehr die überlegene, zielstrebig bösartige Todesserin.

"Oja, und dem Knaben geht es in dem Baum bestimmt besser als in deinem verlotterten Schoß", tönte Anthelia gehässig. Dann sagte sie: "Ich will wissen, ob dir Lyra Harper erzählt hat, wen sie für Anhängerinnen Lady Ursinas hält. Du hast bestimmt erfahren, daß sie einen sehr unrühmlichen Tod erlitten hat. Das was ihr passiert ist kann ich dir auch antun."

Bellatrix erzählte davon, daß sie von Lyra mehrere Namen von tatsächlichen Schwestern der Sororitas Silenciosa und einiger möglicher Anhängerinnen erfahren habe und auch Lady Ursina verraten habe.

"Och, da bin ich aber froh, daß ich dich noch erwischt habe, bevor sie dich erwischt", lachte Anthelia, als sie hörte, was sie hören wollte und gegen Bellatrix' Widerstand, der nicht ohne war, auch ihre Erinnerungen hervorgezerrt hatte. Dann sagte sie:

"Nun, dann hätte ich noch zwei Fragen. Welche Namen hast du deinen dreckigen Spießgesellen noch übergeben und wo ist dein Herr und Meister, Hure?"

"Du wagst es mich..."

"Crucio!" Rief Anthelia, als Bellatrix aufbegehrte und ließ sie einige Sekunden lang unter dem Folterfluch leiden. "Das und noch einiges, nein vieles mehr, inzüchtige Dirne. Also, wo ist er?" Bohrte sie mit sehr furchteinflößender Stimme und Miene nach.

"Nicht in England. Ich weiß nicht, wo er ist", stieß Bellatrix in einer Mischung aus ohnmächtiger Wut und Angst heraus. "Er sagte nur, er wolle alte Genossen auf dem Festland suchen gehen und wir sollten hier die Leute bei Laune halten und vielleicht schon mal den gröbsten Dreck wegkehren."

"Da er das bestimmt so gesagt hat trage ich das dir nicht nach, Bellatrix", grummelte Anthelia. "Nur mit dem Unterschied, daß ihr euch dann besser selbst wegkehren solltet, um den ganz großen Unrat fortzuschaffen. So gebe ich dir einen gutgemeinten, vielleicht schwesterlichen Rat mit. - Glotze mich nicht so herablassend an, du inzüchtiges Geschmeiß! - Also, du behältst die restlichen Namen schön für dich. Jetzt wo ich weiß, auf wen Lyra dich und deine Fliegendreckbande angesetzt hat, werde ich wissen, wer als nächstes in seine Einzelteile zerlegt übers Land verteilt wird. Erst deine ebenso wie du verlotterte Schwester, dann dein mißratener Neffe, bevor er nach Hogwarts zurückfahren kann, tja, und dann muß ich wohl deinen Mann auseinandernehmen. Jedesmal, wenn eine weitere Hexe von deiner Blutliste auch nur einen Kratzer abbekommt. Wenn dein Gebieter wieder im Lande ist, werde ich ja erfahren, wie klug er wirklich ist und ob er sich wirklich weiterhin mit uns anlegen will. Ach ja, du kannst ihm keine Grüße von mir ausrichten. Und deinen - Besuch - berichtest du ihm besser auch nicht. Denn dieser gehört zu alledem, das zu verraten du nicht wagen darfst", sagte Anthelia sehr feindselig. Dann wurde Bellatrix wieder bewegungsunfähig gemacht und einige hundert Meter vom Anwesen der Malfoys entfernt freigelassen. Bevor sie sich bei den Helferinnen Anthelias revanchieren konnte, waren diese schon fort. So trocknete sie erst ihre Tränen, wischte die Spuren der letzten Tränen aus ihrem Gesicht und ging voller ohnmächtiger Wut im Bauch zurück zum Haus, wo Narcissa sie schon erwartete.

Anthelia wartete noch einen halben Tag, dann kehrte sie in ihre Villa bei dem gerade erst wiederaufgebauten Dropout zurück. Sie gab den Auftrag, die Lage in England weiterhin im Auge zu behalten und sofort zu melden, wenn die Todesser sich wieder an irgendwelchen eifrigen Hexen vergreifen würden. Doch ihre Züchtigung gegen Bellatrix zeigte Wirkung. Denn von da ann wurden keine weiteren Hexenmorde mehr ruchbar, zumindest für eine gewisse Zeit.

__________

Barney Davenport fühlte sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut. Seit nun zehn Tagen war er geschäftsführender Zaubereiminister in Amerika, der mächtigste Zauberer Nord- und Mittelamerikas. Dennoch beschlich ihn immer wieder das dumpfe Gefühl auf einem Thron aus Feuer zu sitzen, der ihn bald verbrennen würde. Es war nicht die Frage, ob, sondern wann dies geschah. Deshalb wollte er möglichst schnell alle Schäden beheben, die sein Vorgänger und respektierter Ziehvater Jasper Pole angerichtet hatte. Er begann damit, eine Nachricht zu Ronin Monkhouse zu schicken, der zur Zeit die Rolle des Richard Andrews spielte. Sie bestand aus vier Worten, die auf einen Zettel geschrieben wurden, der mit einem anderen Zettel so bezaubert war, das alles was auf ihn geschrieben wurde, haargenau so auf dem anderen Zettel erschien. Barney schrieb nur vier Worte auf den Zettel, den er hatte:

"Richard Andrews soll sterben."

Einen Tag später stand auf seinem Zettel: "Richard Andrews ist tot." Kaum das diese Fernkopierbotschaft bei ihm angekommen war, meldete sich Ronin Monkhouse auch schon im Ministerium. Als er erfuhr, sein Patenonkel sei des Amtes enthoben worden, weil dieser die Angelegenheit mit dem echten Richard Andrews nicht ordentlich bearbeitet und damit viele Menschenleben auf sein Gewissen geladen hatte, wollte Monkhouse dies zunächst nicht glauben.

"Es ist nicht wahr, Barney. Wo ist Minister Pole?"

"Mr. Pole ist vor einem Tag mit seiner Frau Mabel ausgezogen und hat sich in seiner Privatresidenz auf Stoney Island verschanzt, bis Ironside und die anderen elf Richter befunden haben, wessen sie ihn öffentlich anklagen werden. Er hat alle Anfragen, die Swift, Dime oder ich ihm geschickt haben, unbeantwortet zurückgeschickt. Diese Knowles hat ihre magischen Ohren wieder so lang gemacht, daß sie von einigen indiskreten Hexen und Zauberern mitbekommen hat, was passiert ist. Seitdem ist Pole in der ganzen Zaubererwelt blamiert, ja bereits verurteilt, ohne daß ein weiterer Richter ihn anhören muß. Ich habe Heuler von empörten Freunden Poles bekommen, ich solle diesen Jungen, Julius Andrews, dazu bringen, seine Aussagen zurückzunehmen. Die Idioten wissen nicht, daß er durch einen magischen Eid zur wahrheitsgetreuen Aussage gezwungen wurde, weil Ironside es sehr genau machen wollte."

"Mr. Davenport, erzählen Sie mir jetzt nicht, daß Sie den Job nicht haben wollten", hatte Monkhouse nur geknurrt. Davenport hatte ihn dafür angefunkelt und geantwortet:

"Auf jeden Fall nicht per Gerichtsbeschluß. Aber wie die Dinge liegen müssen wir damit weiterleben, was Mr. Pole getan hat. Ich wußte ja selbst nicht, daß in unserem Land diese Kreatur, diese Tochter des dunklen Feuers herumlief."

"Wer's glaubt, Barney", hatte Monkhouse nur geknurrt. Doch dann fiel ihm ein, daß sein mächtiger Beschützer ihn selbst nicht ausführlich erzählt hatte, was es mit Richard Andrews auf sich gehabt hatte. Ihm war erzählt worden, Andrews sei unter dem Imperius-Fluch zum handlanger eines gewöhnlichen wenn auch bösartigen Zauberers geworden, der zusammen mit Andrews am 19. Mai getötet worden sei. So war Monkhouse nichts übriggeblieben als sich bei Barney Davenport zu entschuldigen.

"Mr. Pole ist auf Stoney Island?" Wollte er noch einmal wissen. Davenport nickte. Dann sagte der amtierende Zaubereiminister:

"Aber da können Sie nicht hin. Ihr Chef, Mr. Hawkins, hat von mir Bescheid erhalten, daß Sie wieder verfügbar sind und möchte sie heute noch in seinem Büro sehen."

"Sir, ich möchte von Minister, öhm, Mr. Pole wissen, was genau passiert ist. Immerhin hat er mir persönlich den Auftrag gegeben ...", hatte Monkhouse aufbegehrt. Davenport war jedoch unerbittlich geblieben und hatte ihn sofort zu seinem direkten Vorgesetzten zurückgeschickt.

Dann war noch Donata Archstone zu ihm gekommen, die im Stab der ministeriellen Sicherheitstruppen arbeitete und hatte Davenport darauf hingewiesen, daß demnächst eine Konferenz der Ressortleiter anstehe, die gut abgesichert werden müsse. Davenport hatte ihr zugesichert, sich mit ihrem Vorgesetzten Spade und ihr zwei Tage vor der Konferenz zusammenzusetzen.

Tage waren vergangen, wo in den Zeitungen, die er jeden Morgen zum Frühstück bekam, über Poles Familie berichtet wurde. Mabel Pole habe ihre Mitgliedschaft im Club der Ehrenhexen gekündigt, hieß es im Kristallherold gleich neben einem Artikel, der sich mit einer Meinungsverschiedenheit zwischen Arco Swift und einem John Ross von der Liga zur Abwehr der dunklen Künste befaßte. Ross warf Swift und seinen Mitarbeitern Beihilfe zum Massenmord vor und verlangte öffentlich auch die Absetzung des Leiters der magischen Strafverfolgungsabteilung. Jane Porter, die in der geheimen und nun doch Stück für Stück durchsickernden Geheimsitzung beschuldigt worden war, brisante Geheimnisse des Zaubereiministeriums gestohlen zu haben, hatte zu diesem Punkt nur gesagt, daß Swift nur dann einer Beihilfe schuldig sei, wenn er aus freien Stücken gehandelt habe und nicht nur auf Befehl des früheren Zaubereiministers. Unterschwellig hieß das natürlich, daß auch sie der Meinung war, Swift müsse wie Pole den Hut nehmen. Doch die nette Hexendame aus New Orleans sagte sowas natürlich nicht direkt heraus.

"Warum hat Ironside die Sitzung nicht gleich öffentlich gemacht. Diese verflixten Halbinformationen sind schlimmer als die Wahrheit selbst", hatte Davenport darüber gedacht. Denn im Moment brachten die beiden führenden Zeitungen der nordamerikanischen Zaubererwelt nur noch Berichte und Geschichten über die Umtriebe des Muggels Richard Andrews und jenen, die wissentlich oder unwissentlich darin verstrickt waren. Davenport staunte, als er am neunten August las, daß der Sohn des zum Massenmörder verhexten Mannes ein Interview in der französischen Zaubererzeitung gegeben hatte. Die Stimme des Westwinds brachte das Interview unter dem Titel "Julius Andrews über das, was mit ihm und seinem Vater passierte" als Aufmacher. Der Kristallherold konterte mit einem Interview von Arco Swift, der dazu befragt wurde, ob es wahr sei, daß eine Gruppe von geheimen Einsatztruppen des Ministeriums den Jungen als Köder benutzt habe. Swift versuchte, Mrs. Porter die Schuld zuzuschieben, was dann einen Tag später vom Westwind und dem Kristallherold gleichermaßen angefochten wurde. Im Westwind erschien ein Interview von John Ross und seiner Frau Alexis und im Kristallherold ein Interview von Jane Porter und der Thorntails-Schulleiterin Professor Wright, die abstritten, daß Julius seitens Mrs. Porter gezielt eingesetzt worden war. Es sei, so Mrs. Porter, nur darum gegangen, den Aufenthaltsort des versklavten Muggels zu finden und den Jungen dann sofort ins Ausland zu bringen und an einem sicheren Ort zu verstecken.

__________

Monkhouse kochte innerlich vor Wut. Sein Vorgesetzter hatte ihn scheinheilig anlächelnd begrüßt, ihm die Hand geschüttelt und dazu gratuliert, daß er die Mission so erfolgreich abgeschlossen hatte.

"Nun, es ist bedauerlich, was Exminister Pole getan hat. Zumindest haben Sie dazu beigetragen, daß die Muggel diesen Richard Andrews jetzt nicht als Schwerverbrecher in Erinnerung behalten werden, und das ist ja die Hauptsache. Kommen wir zu Ihrem neuen Auftrag."

"Entschuldigung, Sir, aber ich sehe die Angelegenheit noch nicht als beendet an. Ich hätte gerne von Mr. Pole persönlich erfahren, was genau passiert ist und was er mir verheimlicht hat oder nicht. Was diesem Jungen da passiert ist klingt mir zu fantastisch, und diese Abgrundstochter, so sehr sich nun alle darauf festlegen, daß es sie gab, hätte Mr. Pole bestimmt nicht zu einer solchen Geheimhaltung verleiten können, daß er alle notwendigen Maßnahmen unterlassen hat, sie zu jagen."

"Nun, der Zwölferrat hat wohl entsprechendes herausgefunden, Monkhouse. Finden Sie sich damit ab, daß wir beide nun einen neuen obersten Dienstherrn haben! - Jedenfalls habe ich für Sie einen neuen Auftrag, der Ihren Fähigkeiten angemessen ist", erwiderte Hawkins.

"Wo soll mich dieser Auftrag hinführen?" Wollte Monkhouse wissen, der erstt einmal wissen wollte, was man nun mit ihm vorhatte.

"Sie werden nach Washington DC ins Hauptquartier der Bundespolizei FBI gehen und dort einige Dinge nachforschen, die uns merkwürdig vorkommen. Ich habe nämlich von Swift und seinen Leuten die Anfrage auf den Tisch bekommen, ob es möglich sein könnte, daß außer den von uns dort untergebrachten Zauberern und Hexen auch Muggel über unsere Welt informiert sind und bereits, und zwar ohne Wissen unserer Abteilung, in Belangen der Zaubererwelt tätig waren. Außerdem wollen wir verhindern, daß ein gewisser Hugo Laroche in die Hände der Bundespolizei gerät, da wir vermuten, Zachary Marchand könnte vor seiner Gefangennahme etwas über unsere Welt ausgeplaudert haben, natürlich unfreiwillig."

"Was ist mit diesem Marchand?" Fragte Monkhouse.

"Er liegt in einem Krankenhaus von New Orleans und wird von den Muggeln behandelt, da er zusammen mit anderen Muggeln aus der Gewalt dieses Laroche befreit wurde. Wenn er wieder aufwacht, werden Swifts Leute ihn wohl verhören, bevor wir uns um ihn kümmern können. Ich möchte nach der unerfreulichen Wendung in unserem Ministerium nicht darauf hoffen, von Mr. Swift erschöpfend unterrichtet zu werden."

"Soll ich also wieder bei den Muggeln spionieren?" Fragte Monkhouse.

"Nun, das ist ihnen doch gut genug vertraut."

"Natürlich haben Sie bereits meine Legende und die dazugehörigen Papiere zusammengestellt", erwiderte Monkhouse.

"Natürlich. Sie erhalten Sie, wenn dieses Gespräch beendet ist", sagte Hawkins. Monkhouse verstand. Er sollte so schnell es ging aus der Zaubererwelt hinaus, damit man ihn nicht noch in die Spekulationen um den erzwungenen Rücktritt seines Patenonkels hineinziehen konnte. Doch er wollte nicht so einfach abgeschoben werden, sich von Hawkins einfach in die nächste Geheimmission hineinschicken lassen. Er wollte wissen, was mit seinem Patenonkel passiert war. An diesen Julius Andrews kam er nicht heran, der war kurzerhand nach Frankreich geschafft und dort wohl gut behütet untergebracht worden. Die Mutter des Jungen, mit der er in seiner Rolle als Richard Andrews einmal telefoniert hatte, lag wie Marchand im Koma, hatte Hawkins ihm mitgeteilt. Tja, blieb also nur Jasper Pole. Er mußte seine Wut über diese Haltung, alles könne so weitergehen wie bisher, sehr heftig unterdrücken. Erst als er alles über die neue Mission erfahren hatte und das Büro seines Vorgesetzten verließ und die neuen Einsatzdokumente bekommen hatte, fand er Gelegenheit, sich seiner Wut hinzugeben. Nein, er wollte nicht einfach so weitermachen wie bisher. Was seinem Patenonkel passiert war war ihm zu wichtig, um einfach darüber hinwegzusehen. So beschloß er, schnurstracks nach Stoney Island zu fahren und seinen Patenonkel im selbstgewählten Exil aufzusuchen.

Am siebten August morgens traf er auf der für Muggel unauffindbaren Insel Stoney Island ein, einem wahren Tropenparadies mit weißen Sandstränden, einem Palmenwald und kleinen blauen Buchten, an denen herrliche Steinhäuser standen. Eines dieser Häuser gehörte Jasper Lincoln Laurentius Pole und seiner Frau Mabel. Da er von Pole einmal das Losungswort für den Zutritt des herrschaftlichen Hauses erhalten hatte, konnte er das gegen unbefugte abgesicherte Grundstück betreten und das Haus erreichen, vor dem mehrere Sicherheitstrolle wachten. Er betrat das Haus, nachdem er den ruppig aussehenden Geschöpfen seinen vollständigen Namen und ein weiteres Passwort zugerufen hatte. Der ehemalige Zaubereiminister saß in seinem Erholungszimmer, das so groß wie der Salon selbst war. Zumindest nannte er es Erholungszimmer, weil seine Frau nicht wollte, daß er hier, im geheiligten Privathaus, irgendwas arbeitete. Tja, im Moment hatte er ja auch genug Zeit, sich zu erholen.

"Ich hörte, du seist von der Andrews-Mission zurückbeordert worden, Ronin", grüßte Pole sein Patenkind. Monkhouse nickte und schloß die Tür. Dieser Raum war ein permanenter Klangkerker, wußte er von früheren Besuchen hier.

"Die Geheimsitzung ist wohl durchgesickert. Diese langohrige Knowles hat wohl zu gute Freunde in der Liga und dem Zwölferrat", sprach Pole weiter. Der einst so mächtige Zauberer Amerikas saß nun verdrossen in seinem breitem Sessel und blickte teils uninteressiert, teils verbittert durch die großen Fenster hinaus auf die tropische Strandidylle.

"Die Liga hat es wohl schon vor der Sitzung mitbekommen, was los war und Leute wie die Knowles haben gemeint, einer weiteren Geheimhaltung zuvorkommen zu müssen. Davenport ist nicht so ganz glücklich damit, daß er deinen Ring trägt, Onkel Jasper", sagte Monkhouse gehässig.

"Kann ich mir denken, weil er meint, ich hätte auch ihn hintergangen und meine Freunde ihm das Leben schwer machen. Hast du was über den Bengel gehört, Julius Andrews?"

"Julius Andrews ist in Frankreich, wohl in Millemerveilles. Zumindest hat Davenport gerade ein Interview von ihm gelesen, das er da gegeben hat."

"Verdammt, da kommen wir nicht ran. Immerhin kennen ihn da zu viele und wir würden auffallen wie bunte Hunde, wenn wir da reingingen."

"Was willst du noch von ihm, Onkel Jasper? Der Kessel ist ausgelaufen."

"Es wäre auch nicht gegangen, seine Aussage zu korrigieren, weil dieser Eidesstein ihn dazu gezwungen hat, die Wahrheit zu sagen. Mußte die Porter ihn ausgerechnet jetzt auf diesen Kerl ansetzen?"

"'tschuldigung, Onkel Jasper. Aber mir hast du auch nicht alles erzählt", wandte Ronin Monkhouse vorsichtig ein.

"Weil es eben zu brisant war, um zu viele Leute damit zu belasten, Ronin", fauchte Pole. "Deshalb habe ich dir nichts erzählt."

"Ja, und dich sehen sie als verantwortungslosen Kerl an, der einem Massenmörder freie Bahn gelassen hat. Denkst du, mir schmeckt das, daß ich eine Alibi-Rolle gespielt habe? Ich tat dies, weil ich daran glaubte, daß du das richtige tust, Onkel Jasper."

"Werd jetzt nicht unverschämt, Ronin!" Blaffte Jasper Pole. "Ich habe im besten Wissen gehandelt, um eine Panik in der Zaubererwelt zu vermeiden. Dieses Wesen war nicht mit unseren Mitteln zu bekämpfen."

"Ja, Onkel Jasper. Ihr konntet dieses Monster nicht bekämpfen", feixte Monkhouse und legte nach: "Aber offenbar finden einige, die nicht im Ministerium arbeiteten, daß sie es durchaus besser gemacht hätten als du, wenn sie es früher gewußt hätten. Was diese Jane Porter gemacht hat hätten wir doch auch machen können. Ich hätte diese Martha Andrews bitten können, mit ihrem Sohn herzukommen und diesen Zauber zu wirken, den sie wohl benutzt hat. Oder wie hat sie den Jungen auf seinen Vater angesetzt?"

"Ja, es war ein Zauber, Ronin. Aber den können nicht viele wirken. Swift hätte von mir die entsprechende Anweisung bekommen, wenn der Zwölferrat nicht gemeint hätte, den Bengel mit einem Eidesstein zur wahrheitsgetreuen Aussage zu drängen. Weißt du, daß dieses Schlammblut mich auch noch beleidigt hat und ich seinetwegen fünfhundert Galleonen Strafe zahlen muß, weil ich ihm die dafür gebührende Antwort geben wollte?"

"Hoi, hat er?" Fragte Monkhouse. Pole nickte heftig.

"Tja, aber jetzt ist die Sache durch, Onkel Jasper. Werden Sie dich verklagen?"

"Ja, werden sie. Die Zaubererwelt will meinen Kopf nicht nur rollen sehen, sondern mich ganz in den Mauern von Doomcastle verrotten lassen."

"Ich werde für dich aussagen", sagte Monkhouse bereitwillig.

"Ich denke, es wird nicht dazu kommen, daß du oder sonst wer für mich aussagen muß, Ronin. Meine Mabel wollte nicht länger in diesem Hexenclub drinbleiben. Jetzt habe ich sie den ganzen Tag um mich herum. Sie meinte einmal, ich hätte diesen Burschen gar nicht erst ins Land lassen sollen. Tja, und Davenport? Der hat wohl gerade viel um die Ohren, weil meine alten Schulkameraden ihm die Gefolgschaft verweigern, solange die denken, man hätte mich zu Unrecht abgesetzt. Doch das wird sich ändern, wenn die Leute anfangen zu glauben, was dieser Schlammblut-Bengel den Reportern erzählt hat."

Onkel Jasper, die Sache wird nicht besser, wenn du noch mit so derben Beleidigungen rumwirfst", sagte Monkhouse, der sich zu gut erinnerte, wie einer seiner besten Schulfreunde in Thorntails, der selbst muggelstämmig war, von den Durecores andauernd schikaniert worden war.

"Was stimmt muß auch gesagt werden dürfen, Ronin", schnarrte Pole. Seine Augen funkelten voller Verachtung. Dann, Monkhouse wußte nicht wieso, umspielte ein Lächeln den Mund des abgesetzten Zaubereiministers.

"Werden sie den Jungen wieder herholen, wenn sie dich vor ein Strafgerichtstribunal bringen, Onkel Jasper?" Fragte Monkhouse etwas besorgt.

"Es wird kein Strafgericht geben, Ronin. Zumindest nicht, solange ich noch einen Trumpf ausspielen kann, der das ganze vergessen macht."

"Wie das?" Fragte Ronin. "Man kann die Sache nicht vergessen machen, weil schon zu viele davon mitbekommen haben."

"Doch, man kann. Einer meiner Freunde hat mir aus dem Geheimarchiv des Zwölferrates die Protokolle verschafft, die bei der Sitzung angefertigt wurden. Ich weiß, was ich machen kann und werde."

"Willst du die Aussage des Jungen anfechten?" Fragte Monkhouse.

"In gewisser Weise", erwiderte Pole sehr überlegen lächelnd. "In gewisser Weise, Ronin. Du solltest aber jetzt zu deinem neuen Einsatzort hin! Mach es Hawkins und meinem wundersam erhobenen Nachfolger nicht noch einfach, dich wegen konspirativer Umtriebe mit mir abzusetzen!"

"Dann darf ich auch keinem erzählen, daß ich dich getroffen habe?" Fragte Monkhouse.

"Ja, so ist es. Dieses Gespräch hat nicht stattgefunden", bestätigte Pole und wies seinem Patensohn die Tür. Monkhouse verließ das Anwesen auf Stoney Island und suchte die neue Arbeitsstelle auf. Er sollte in der Maske eines wegen langer Krankheit für einen Monat ausgebliebenen Büroboten im FBI-Zentralgebäude auskundschaften, was die Bundespolizei über diesen Laroche wußte und wie man diesen unauffällig festnehmen konnte, bevor dieser irgendwem etwas über die Zaubererwelt erzählen konnte.

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Gordon Kaiman war seit Thorntails einer der besten Freunde von Minister Pole gewesen. Obwohl Pole in Greenskale gewesen war und Kaiman in Durecore hatten die beiden eine unheimlich gute Beziehung knüpfen können, die nach der Schule für beide von Vorteilen gewesen war. Kaiman arbeitete in der Mysteriumsabteilung im Labor zur Erforschung des Raum-Zeit-Gefüges. Gerade hatte er ein Experiment beendet, das einen Baum innerhalb von einer halben Minute vom Samenkorn bis zum umfallen hatte wachsen lassen. Der laute Meldezauber zur Entwarnung erklang, als der Kreis, in dem sie eine Beschleunigung der Zeit erzeugt hatten, erlosch.

"Hui, wenn wir die Linie nicht richtig gezeichnet hätten wären wir alle zu Staub zerfallen", sagte ein Kollege von ihm, der das Experiment überwacht hatte.

"Jedenfalls haben wir den Dreh jetzt raus, wie wir den zeitfluß bündeln können. Rosebridge hat recht, daß eine lokale Bündelung des allgemeinen Zeitflusses eine Beschleunigung des Zeitablaufs im begrenzten Bereich beinhaltet. Es ist tatsächlich so, als wenn wir einen Wasserstrom von mehreren Metern Breite durch ein Fingerdickes Rohr leiten. Die Strömungsgeschwindigkeit steigt an."

"Ja, aber das bedeutet, daß wir die Balance zwischen verrinnender Zeit und gebündelter Zeit erhalten, um nicht das zu erleben, was Wolfstone passiert ist", sagte Kaiman.

"Ach, das temporale Ungleichgewicht? Ja, war schon fies, daß der innerhalb von drei Tagen zum Baby zurückgeschrumpft und dann restlos verschwunden ist. Aber jetzt haben wir die Balance im Griff", erwiderte Kaimans Kollege Sullivan.

"Jetzt müssen wir daran gehen, den Beschleunigungsfaktor in das Verhältnis zum Kreisumfang und der Länge der Bezauberung genau auszurechnen", sagte Kaiman. Sein Kollege nickte beiläufig.

"Dann könnten wir daran gehen, die Unabhängigkeit von einer Zeitbeschleunigung zu ermitteln, um ein Gegenstück zum Zeitumkehrer zu erfinden, um in die Zukunft zu reisen, ohne dabei älter zu werden."

"Ich denke, wir sind auf der richtigen Spur, wenn wir davon ausgehen, den beschleunigten Zeitfluß nicht in einem Kreis ablaufen zu lassen, sondern wir in einem Kreis stehen und die allgemeine Zeitflußbeschleunigung um uns herum stattfindet. Könnte bald so ein Meilenstein werden wie die Erfindung des Zeitumkehrers oder des Entzeiters."

"Tja, und dann haben wir das Problem, was bei der Erfindung des Zeitumkehrers auftrat, nämlich Gesetze zu finden, die den Umgang mit diesen neuen Sachen regeln", sagte Sullivan. Kaiman fragte, ob er dann der Meinung sei, man dürfe derlei Zeitzauber nicht erfinden.

"Sagen wir es so, es wäre gut, wenn wir dann auch ein Mittel hätten, jeden Eingriff in den Ablauf der Zeit zu erkennen."

"Bloß nicht", dachte Kaiman und mußte sich arg anstrengen, sein Gesicht unter Kontrolle zu halten. Sullivan ließ die zerfallenen Überreste des blitzartig durch den ganzen Lebenszyklus gelaufenen Baums verschwinden und schrieb alle ermittelten Daten in ein Notizbuch, daß in einem besonders gut gesicherten Panzerschrank verwarht zu werden pflegte. Dann verließen sie das große Labor und kehrten in ihr Büro zurück, wo sie noch über die weiteren Experimente sprachen. Doch Kaiman sehnte den Augenblick herbei, daß Sullivan sagte:

"In Ordnung, Gordon, das soll es für heute gewesen sein. Morgen wieder hier?"

"Wenn nichts dazwischenkommt", sagte Kaiman.

Als Sullivan das Büro verlassen hatte, wartete Kaiman noch genau eine Minute. Dann ging er in einen angrenzenden Raum und öffnete mit einem Clavunicus-Schlüssel eine große Vitrine. Vorsichtig hielt er seine rechte Hand an die Innenseite der Tür. Vor ihm flimmerte die Luft. Dann gab es ein leises Knackgeräusch, und das Flimmern war fort. Nun konnte Kaiman gefahrlos in die Vitrine hineingreifen, zu der außer ihm und Sullivan nur noch zwei weitere Kollegen eine Zugangsberechtigung hatten. Die besonderen körperlich-geistigen Energieströme eines Menschen waren mit der Barriere dieses Schrankes abgestimmt worden. Jemand unbefugtes hätte sich einen schmerzhaften Schlag eingehandelt oder mittelschwere Verletzungen davongetragen, wenn er die sonst unsichtbare Schutzmauer berührt hätte. Nun konnte Kaiman eines jener goldenen Stundengläser an zusammengelegten Ketten aus dem Schrank nehmen. Er legte ein anderes Stundenglas so, daß die Wegnahme erst auffallen würde, wenn jemand die aufbewahrten Artefakte durchzählen wollte, was erst bei der nächsten Vierteljahresinventur ende September passieren würde und dann nur von ihm oder seinen drei befugten Kollegen durchgeführt werden konnte. Sorgfältig verbarg er das entwendete Objekt in einer rauminhaltsvergrößerten Tasche seines Hemdes, welches er unter seinem schlicht aussehenden Umhang trug. Er verließ den Bereich der Zeitforschung und passierte die Haupttür zur Mysteriumsabteilung. Dabei machte er eine völlig unbekümmerte Miene und wirkte eher gelangweilt als nervös.

Was er nicht wußte war, daß er beim Verlassen der Mysteriumsabteilung einen extra eingerichteten Spürzauber berührt hatte, der auf die magische Ausstrahlung eines ganz bestimmten Gegenstandes ansprach und einen ebenfalls besonderen Meldezauber auslöste. Seelenruhig fuhr Kaiman mit dem Aufzug zum Eingangsvoyer, wo er einfach disapparierte, Ziel: Stoney Island.

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Donata Archstone saß in ihrem Büro, das gleich neben dem von ihrem Vorgesetzten Spade lag. Seit Tagen lauerten sie und Spade auf ein bestimmtes Ereignis, seitdem sie am Morgen des vierten Augustes einen aus der Zukunft in die Gegenwart zurückgereisten Jasper Pole aufgegriffen hatten, der versucht hatte, den Jungen Julius Andrews davon abzubringen, gegen ihn auszusagen. Sie hatten den Mann aus der Zukunft unter Schockzauber gelassen und so rasch und geheim wie möglich in einen verborgenen Kerker geschafft. Jetzt, genau sechs Tage nach diesem Vorfall, hatte jemand genau denselben Zeitumkehrer aus der Mysteriumsabteilung mitgehen lassen, der Poles Zukunfts-Ich in der Zeit zurückversetzt hatte. Nun brauchten sie nur noch darauf zu warten, das der jetzige Jasper Pole der Versuchung nachgeben und ihn auch benutzen würde. Denn daß er scheiterte, war bereits gewiß, weil er sonst immer noch Minister wäre und nicht vor der Presse und möglichen Anfeindungen der amerikanischen Zaubererwelt versteckt war.

"Das Huhn hat gegackert", meldete Donata Archstone ihrem Vorgesetzten, der im Nebenraum saß und auf einen nagelneuen Spiegel schaute, der aber nicht spiegelte, sondern eher ein leuchtender Bauplan des Ministeriums war und die sicherheitsrelevanten Bereiche in Rot darstellte.

"Dann müssen wir jetzt warten, bis es sein ei legt. Vorher können wir nicht zugreifen, weil wir sonst alle Chancen vereiteln, es zu fangen", knurrte Spade. Denn sie konnten denjenigen, der demnächst mit dem Zeitumkehrer hantieren würde, nicht jetzt schon verhaften, auch wenn ein unangemeldeter Besitz dieses Artefaktes zumindest ein Grund für eine Untersuchung war. Doch Donata Archstone wußte, daß es ein leichtes war, einen Zeitumkehrer spurlos verschwinden zu lassen, indem man ihn gegen eine Wand warf. Die in ihm ruhende Magie würde ihn dann selbst in Nichts auflösen. also mußten sie warten und zusehen, wie "Das Huhn sein Ei legte", also das jetzige Ich der Person, die das Artefakt benutzte, aus der Gegenwart verschwand und zu jenem Ich wurde, daß bereits seit einer Woche unter Schockzauber im verborgenen Kerker lag, unfähig, sein jetziges Ich zu warnen.

"Sollen wir jemanden in den Toilettentrakt schicken, wenn das Huhn zum zweiten Mal gackert?" Wollte Donata Archstone wissen.

"Ja, aber genau eine Minute nachdem es gegackert hat. Ist es dann nicht mehr da, hat es sein Ei gelegt und kann von uns ordentlich eingesperrt werden", erwiderte Spade.

Am nächsten Morgen betrat Jasper Pole unter einem Tarnumhang das Ministerium, seinen ehemaligen Arbeitsbereich, der dann, wenn er Erfolg haben würde, immer noch sein Arbeitsbereich sein würde. Er schlich sich in die öffentliche Herrentoilette neben dem Besuchervoyer und schlüpfte in eine leere Kabine. Dort packte er rasch den Umhang zusammen und holte den Zeitumkehrer hervor, den Kaiman ihm wie verabredet vor die Begrenzung seines Anwesens gelegt hatte. Er blickte auf seine Uhr und auf ein Stück Pergament, auf dem die genauen Zeiten innerhalb der ihm zum Verhängnis gewordenen Sitzung standen. Als die Uhrzeit, zu der alle Zeugen vorübergehend des Saales verwiesen wurden mit der Zeit auf seiner Taschenuhr übereinstimmte, atmete er tief durch und drehte das goldene Stundenglas. Er zählte genau einhundertachtundsechzigmal ab, wobei die Kabine um ihn herum zu flimmern begann. Dann hörte er eine Weile lang nur wildes Piepsen, Klappern und Rauschen, während die Schemen von Männern durch die wie wild flackernde Türöffnung herein und hinaushuschten, innerhalb von Sekundenbruchteilen taten, was sie in diese Kabine trieb. Pole schloß die Augen, weil die wild rückwärts laufende Zeit ihn schwindelig machte. Dann fühlte er einen sachten Ruck. Er hatte wieder Halt im natürlichen Ablauf der Zeit gefunden. Er hörte jemanden außerhalb der Tür vor einem der Urinale und zog seinen Zauberstab. Schnell verbarg er den Zeitumkehrer unter seinem Umhang und stieß die Tür auf. Dann sah er ihn, den wie sechzehn Jahre alt aussehenden Jungen mit dem hellblonden Haar, der gerade ansetzen wollte, Wasser zu lassen. Dieser sah ihn an und geriet darauf mit ihm in ein kurzes Zauberduell, bis beide ihre Zauberstäbe verloren und der Junge den ehemaligen Minister mit einem brutalen Handkantenschlag ins Gesicht bewußtlos schlug. Als er wieder erwachte stand Donata Archstone vor ihm und sagte ihm: "Mr. Jasper Lincoln Laurentius Pole, Sie werden des massiven Verstoßes gegen das Gesetz zum Umgang mit die Zeit beeinflussenden Gegenständen angeklagt, im Einzelnen die unerlaubte Aneignung eines Zeitumkehrers, sowie die von Personen Ihrer relativ nahen Vergangenheit beobachtbaren Interaktion mit eben diesen Personen in Tateinheit mit versuchtem Eingriff in bereits realisierte Ereignisse zum Zwecke für Sie vorteilhaft ausgehender Veränderungen. Am besten bekennen Sie sich schuldig."

"Wie spät ist es und welchen Tag schreiben wir heute", antwortete Pole, der wußte, er hatte versagt.

"Heut ist genau der Tag, an dem Sie mit dem Zeitumkehrer mit der Registriernummer T-800 aufbrachen. Der jetzige Zeitpunkt liegt genau fünf Minuten nach ihrer unerlaubten Abreise. Sie wurden da selbst ergriffen und bis zu dieser Minute unter Schockzauber gehalten, um weitere Versuche zur Veränderung bereits geschehener Ereignisse zu vereiteln. Wie gesagt, ein vollständiges Geständnis wird sich für Sie strafmindernd auswirken."

"Ach ja, von unbefristeter Unterbringung in Doomcastle auf zwanzig Jahre oder wie?" Entgegnete Pole trotzig.

"Immerhin könnten Sie diese Zeit im Vollbesitz ihrer körperlich-seelischen Verbundenheit zubringen", sagte Donata Archstone. Pole lachte. Dann sagte er:

"Klagen Sie mich an und sehen Sie, was dabei herumkommt!"

"Der Zwölferrat tritt in einer Stunde zusammen. Wir haben ihn nach ihrer gesetzlosen Abreise informiert und alle Beweise vorgelegt, die zu einer raschen aburteilung führen werden."

"Ich will einen Verteidiger", bestand Pole auf ein Recht, von dem er jetzt schon wußte, daß er es nicht kriegen würde. Denn er selbst hatte die Verschärfung bei erdrückender Beweislast und solchen Straftaten, deren Verfolgung und gerichtliche Ahndung nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren durchgedrückt, nachdem es ein Helfershelfer dieses Voldemort darauf angelegt hatte, das Gericht als Forum für ein breit angelegtes Manöver zur Störung der öffentlichen Ordnung zu benutzen. Aus diesem Grund konnte er ja auch Jane Porter vor den Zwölferrat zerren lassen, ohne ihr einen Verteidiger zur Seite zu stellen, weil er ja glaubhaft machen konnte, daß sie wichtige Geheimnisse gestohlen hatte, über die die Öffentlichkeit nichts erfahren durfte.

Es dauerte nur zwei Stunden, da hatten die Richter ihr Urteil gefällt, unbefristete Verwahrung in Doomcastle, was schlimmer war als der Tod. Um nicht einen weiteren Aufruhr in der Zaubererwelt zu verursachen, wurde über diese Sache absolutes Stillschweigen vereinbart. Mabel Pole erhielt Besuch von Spade und Archstone, die ihr mit Überwachungsbildern nachweisen konnten, daß ihr Mann sich tatsächlich strafbar gemacht hatte und nahmen ihr den magisch unterstützten Eid ab, niemandem auf welche Art auch immer darüber zu berichten. Zwar war Spade nicht so ganz wohl dabei, weil schon wieder etwas vertuscht wurde. Doch diesmal, so beruhigte er sein Gewissen, würde dadurch kein weiterer Mensch zu Schaden kommen.

"Wie konnte er sich sowas einfallen lassen?" Seufzte Mabel Pole.

"Kann ich Ihnen Sagen, Mrs. Pole", erwiderte Donata Archstone, die die Frage auf sich bezog. "Er wollte seine Karriere und Ihren Wohlstand erhalten und einer in der anderen Angelegenheit drohenden öffentlichen Ungnade entgegenwirken. Die Methode, die er dabei benutzte ist jedoch im höchsten Maße verwerflich, ja auch gefährlich, weil keiner weiß, wie solche Eingriffe sich auf die Welt im Ganzen auswirken."

"Dieser Bengel hat unsere ganze Zukunft versaut", schnaubte Mabel Pole. Spade sah seine Mitarbeiterin fragend an. Sie sagte laut:

"Dieser "Bengel", womit Sie wohl den Sohn des Muggels Richard Andrews meinen, ist selbst nur ein Opfer dieses Ungeheuers und der Geheimhaltung Ihres Mannes. Er hatte alles Recht und die Pflicht, darüber auszusagen, was ihm und seinem Vater passiert ist. Insofern hat Ihr Mann Ihrer beider Zukunft verdorben."

"Donata, nicht in dem Ton", maßregelte Spade seine Mitarbeiterin. Mabel Pole sah die Hexe aus der Sicherheitsabteilung des Ministeriums sehr erbost an. "Aber in der Sache haben Sie natürlich recht", pflichtete er Donata Archstone bei. Dafür fing auch er sich einen bitterbösen Blick Mabel Poles ein.

"Falls Sie noch einmal von diesem Bengel hören, richten Sie ihm aus, ich würde das nicht vergessen, was er getan hat!" Sagte die Frau des nun völlig in Ungnade gestürzten ehemaligen Zaubereiministers.

"Denken Sie nicht einmal daran, sich an dem Jungen zu rechen!" Zischte Donata Archstone. Spade sagte dann:

"Lassen wir es gut sein, Donata. Wir haben Mrs. Pole ausgerichtet, was ihrem Mann widerfahren ist, beziehungsweise das, was er begangen hat. Damit ist unser Besuch beendet."

"Wie Sie meinen, Mr. Spade", erwiderte Donata Archstone folgsam. Sie verabschiedeten sich von Mabel Pole und verließen das verschwiegene Anwesen auf Stoney Island.

"Glauben Sie, sie wird sich damit abfinden?" Fragte Donata ihren direkten Vorgesetzten.

"Hmm, glaube ich nicht. Sicher, sie kann jetzt keinem was davon erzählen, was der ehemalige Minister verübt hat. Aber vielleicht denkt sie daran, Julius Andrews das Leben noch schwerer zu machen als es ohnehin schon ist."

"Dann würde sie selbst die Verbringung nach Doomcastle riskieren", wußte Donata Archstone.

"Ich fürchte es gibt Situationen, die einem sowas nicht klarwerden lassen", erwiderte Spade leicht betrübt. "Andererseits liegt es nicht bei uns, wenn sie irgendwas gegen den Burschen unternimmt."

"Und wenn sie den Todessern beitritt?" Fragte Donata Archstone.

"Die müßte sie erst einmal aufsuchen, und ob sie bei denen unterkommt ist so unwahrscheinlich, bei ihrer Verwandtschaft."

"Sie haben recht", pflichtete Donata Archstone ihrem Vorgesetzten bei. Sie würden abwarten müssen, ob etwas passierte. Falls ja, so würde jemand anderes befinden, ob Mabel Pole nur lästig oder gefährlich sei.

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Es hatte sich immer wieder zu wehren versucht, nicht durch Schläge, nicht durch Beißen oder Kratzen, überhaupt ohne physische Regung. Das alte Buch des vor Jahrhunderten lebenden Magiers Pacidenyius strahlte sofort Geistesverwirrungszauber gegen jeden aus, der es ohne seiner würdig erwiesen zu sein lesen wollte. Anthelia hatte jedoch einige Zauber ihrer Tante benutzt, wie den dunklen Wall, der gezielte Geistesflüche zurückprällen konnte und jeden beseelten, der sie wirkte selbst heimsuchten. Das Buch mußte sich ihr daraufhin offenbaren, und sie hatte über die Geheimnisse des dunklen Magiers mehr erfahren als dessen rechtmäßiger Erbe, Lohangio Nitts auch nur im Ansatz mitbekommen hatte.

Wieder einmal hatte sie die eingewirkten Wehrzauber unterworfen und in dem alten Buch gelesen. Die Wegbeschreibung zu den Orten, wo zwei der so mächtigen Artefakte aus dem alten Reich aufbewahrt wurden, war detailiert genug, um mühelos dorthin zu gehen. Doch sie nahm die Warnungen vor Abwehrzaubern und Wächtern sehr ernst, wußte sie doch selbst, wie man ein Versteck gegen unbefugten Zutritt absichern konnte. Hinzukam noch, daß der Stein der großen Erdmutter tief unter Wasser lag. Wer also zu ihm wollte, mußte dem Druck, der Dunkelheit und der Kälte in der Tiefsee trotzen. Sie dachte an Zauber, die Luftatmer für geraume Zeit vor dem Ertrinken bewahrten. Der Kopfblasenzauber, zu ihrer ersten Lebzeit gerade als Neuerung in der Zaubererwelt bekannt geworden, bot jedem der ihn kannte unbegrenzte Atemluft unter Wasser oder in erstickenden Rauch- und Gasschwaden. Doch sie wußte aus dem Wissen Sarah Redwoods, die sich neben dunkler Magie auch der Beherrschung der Elemente gewidmet hatte, daß die Kopfblase nur bis zu einer Tiefe von hundert Metern half. Darunter erstickten die Versuchstiere, die sie mit diesem Zauber versehen und im Meer versenkt und später herausgeholt hatte. Das magische Blasenfeld um den Kopf war wohl in Tiefen unter hundert Metern noch eine geraume Zeit erhalten geblieben. Die Versuchstiere waren nicht ertrunken, sondern erstickt und ohne Kopfblase an die Oberfläche zurückgekehrt. Anthelia dachte an Dianthuskraut, das nach wie vor die beste Vorkehrung für Ausflüge unter Wasser war. Es ließ einen Landbewohner Kiemen und Flossen wachsen und hielt je nach Portionierung zwischen einer Viertelstunde und drei Stunden vor. Dianthuskraut besaß keine Tiefenbeschränkung. Hier galt die Zeit als Begrenzung. Man konnte nur so tief tauchen, um Hin- und Rückweg vor dem Nachlassen der Wirkung zu schaffen und dazwischen das zu tun, was man unter Wasser erledigen wollte. Dieses Problem hatten ja auch die nichtmagischen Menschen, die in der Zeit, die zwischen Anthelias erstem und zweiten körperlichen Dasein verstrichen war, Geräte zum tauchen erfunden hatten, wußte sie. Wie tief konnten sie tauchen?

Am Abend des zwölften Augustes apparierte Donata Archstone im Weinkeller der alten Daggers-Villa. Anthelia hatte gerade das Buch des Pacidenyus sorgfältig verstaut und überlegte, was sie mit dem darin stehenden Wissen anfangen konnte.

"Hallo, Schwester Donata. Hat Pole es endlich gewagt, gegen den Lauf der Zeit anzutreten?" Begrüßte Anthelia ihre Mitschwester, nachdem diese unterwürfig gegrüßt hatte.

"Er wurde verhaftet und abgeurteilt, höchste Schwester. Doch seine Frau sinnt wohl auf Rache an dem Jungen."

"Soso, Schwester Donata", erwiderte Anthelia lächelnd. "Hat sie sich in dieser Richtung schon geregt?"

"Soviel ich weiß sucht sie alte Freundinnen auf, die zum Teil in Lady Daianiras Gruppe sind und erörtert mit denen, ob und wenn ja was sie machen kann. Wir haben sie unter magischen Eid genommen. Den zu brechen würde ihr nicht gut bekommen. Aber sie könnte behaupten, daß der Junge ihrem Mann und ihr das Leben verdorben hat. Einige von denen könnten ihr helfen, um sich Gefälligkeiten von ihr und früheren Kontakten zum Ministerium zu sichern. Aber das ginge nur, wenn Lady Daianira nichts davon mitbekommt, weil sie ihre Schwesternschaft nicht als privates Racheinstrument mißbrauchen lassen will."

"Oh, dann wagt diese Närrin es, mit Daianiras Anhängerinnen Fühlung aufzunehmen?" Wunderte sich die Oberste der Spinnenschwestern.

"Wie gesagt, solange Lady Daianira nichts davon mitbekommt", wiederholte Donata Archstone.

"Nun, dann sollte sie es wissen, daß da versucht wird, ihre Schwestern für persönliche Angelegenheiten zu verdingen", sagte Anthelia. Ihren mit Sommersprossen getupften Mund umspielte ein überlegenes Lächeln. Donata verstand. Anthelia wollte die Exministergattin dazu benutzen, Unruhe in die nordamerikanischen Reihen der sogenannten Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern zu bringen, einen Käfer in einen Ameisenhaufen zu schmuggeln.

"Ich bin froh, daß sie noch nicht rausgefunden hat, was Pandora, Patricia und ich machen", sagte Donata mit Unbehagen.

"Deshalb wird es auch Zeit, die Reihen der Schwesternschaften zu schließen. Der Emporkömmling wird allmählich lästig, und wenn wir ihm nicht Einhalt gebieten, tanzt er uns bald auf der Nase herum", sprach Anthelia entschlossen. "Behalte diese Mabel Pole im Auge und sieh zu, daß diese Lady Daianira Kunde erhält, wen sie für sich zu gewinnen sucht und wie erfolgreich sie dabei ist!"

"Ich spreche heute abend noch mit einer, der ich noch nicht von dir erzählen wollte, höchste Schwester, weil sie Daianiras Zögling ist. Sollen die sich doch gleich darum kümmern."

"Gut, aber lasse es nicht so aussehen, als wenn du diese noch nicht unterrichteten Schwestern darauf ansetzen willst!" Erlaubte Anthelia das Vorgehen ihrer Bundesschwester.

"Natürlich, Höchste Schwester", bestätigte Donata Archstone. Dann verabschiedete sie sich.

Anthelia verfiel wieder ins Nachdenken über einen Weg, unter Wasser zu verweilen und dabei zaubern zu können. Vielleicht würde sie die Tauchgerätschaften der Unfähigen ... Nein, maschinen der nichtmagischen Menschen waren ihr ein Gräuel. Die einzige Ausnahme waren Patricia Stratons mit allerlei Zaubern versehenes Automobil und die Computer, über die ihr Kundschafter Cecil Wellington Nachrichten für sie beschaffte. Da fiel ihr ein, daß sie durch den Gürtel der zwei Dutzend Leben auch vor dem Tod durch Ertrinken bewahrt wurde. Doch wie lange würde er sie schützen? Nein, das war keine sichere Grundlage, erkannte sie. Denn um zu wirken mußte der Gürtel, den sie unter ihren Kleidern trug körperlich-seelische Energie aus ihr saugen, und wenn er innerhalb von einer Minute den hundertfachen Tod durch Ertrinken zurückdrängen mußte, so würde sie vom Gürtel selbst so sehr ausgezehrt, daß sie aktionsunfähig würde oder von diesem sonst so nützlichen Artefakt des dunklen Druiden Dairon selbst umgebracht würde. Dann könnte es ihr passieren, daß ihre Seele nicht wieder im Seelenmedaillon Halt finden könnte, da dort noch die versklavte Seele Sarah Redwoods gefangen war. Bei dem Gedanken an Sarah Redwood fiel ihr etwas ein, daß ihr helfen würde, ohne Rücksicht auf die Wassertiefe und für länger als mit Dianthuskraut zu erreichen zum Versteck des magischen Steins zu gelangen und dabei ihre Zauberkräfte weiter ausüben zu können. Doch dies barg das Risiko, nicht mehr an Land leben zu können in sich. Außerdem brauchte sie dafür Blut und Schuppen eines geschlechtsgleichen Wassermenschen, also in ihrem Fall einer Meerfrau. Sie gab sich Sarahs Erinnerungen hin, die ihr genau wie die Barty Crouches unterworfen waren und vollzog nach, wie sie es anstellen konnte, für einen halben Tag unter Wasser bleiben zu können, ohne daß ihr magischer Gürtel sie vor dem Ertrinken schützen und dabei entkräften würde.

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Thalia Clover hörte sich an, was ihr die Hexe im veilchenblauen Seidenkleid da erzählte. Persönlich hielt sie sie für eine Närrin und verwöhnte Wohlstandsdame. Aber vielleicht war es nicht verkehrt, wenn sie Mabel Pole zumindest anhörte. Die Gattin des ehemaligen Zaubereiministers blickte Thalia Clover aus ihren stahlblauen Augen sehr ernst an als sie sagte:

"Ich weiß, das klingt verwerflich. Aber ich sehe nicht ein, wieso sie alle mit dem Finger auf mich und Jasper zeigen, während dieser Bengel ein frohes Leben führen und sich als Held feiern lassen kann. Leider kann ich nicht allein nach ihm suchen. Aber ich weiß, Sie haben gute Kontakte zu wichtigen Leuten, die das für mich erledigen können." Thalia überlegte, wer ihr wohl welchen Bären aufgebunden haben mochte, sie hätte so gute Kontakte.

"Nun, ich bin in der Runenforschung nicht gerade unkundig und habe in diesen Kreisen viele interessante Leute kennengelernt. Aber die und ich können Ihnen schlecht bei dem helfen, was Ihnen vorschwebt, Mrs. Pole", sagte Thalia ruhig.

"Stellen Sie Ihr Licht nur weiter unter den Schäffel, Madame Clover. Ich denke, Sie haben schon verstanden, was ich meine und wie ich es meine. Dieser Bengel hat Jaspers und meine Zukunft ruiniert. Alle behaupten, weil sein Vater dieser dunklen Kreatur unterworfen war. Jetzt frage ich Sie, wie ein Muggel, ein ganz ordinärer Muggel, solch eine Kreatur antreffen kann. Das ist doch höchst unwahrscheinlich. Also hat irgendwer gegen Jasper, den Zaubereiminister, intrigiert. Der Junge und die, die hinter ihm stehen haben das wohl eingefädelt, um ihn zu stürzen. Sicher, sie mußten Beweise vorlegen und eine Schauergeschichte von einem unter einem Fluch stehenden Massenmörder glaubhaft in die Welt setzen, dessen Sohn, weil er nun einmal ein starker Zauberer ist, ausgeschickt wird, ihn zu retten und dabei selbst fast umkommt und doch wie durch ein Wunder gerettet wird. Jasper hat mir vor dieser mißliebigen Sitzung des Zwölferrates erzählt, in Wahrheit hätten der Junge und diese Laveau-Hexe Jane Porter brisante Geheimnisse gestohlen, doch die Richter haben diesem Bengel eine wahrhaftige Horrorgeschichte abgekauft. Ich will, daß er lernt, daß solche Geschichten kein Spaß sind. Sagen Sie ihren wichtigen Freunden und Freundinnen, wer zehntausend Galleonen verdienen will, möge mir helfen, diesem Bengel die Hölle auf Erden zu bereiten, sofern er an sowas glaubt."

"Moment, Ma'am, Sie meinen, ich sei in Kontakt mit Kriminellen, die Ihnen für Geld helfen würden, einen Jungen zu quälen, oder ihn gar zu töten?" Erwiderte Thalia Clover sehr ernst dreinschauend.

"Grüßt man sich in Ihren Kreisen nicht mit: "Semper Sorores"?" Erwiderte Mabel Pole und legte sofort nach: "Sollten Sie jetzt daran denken, mich zum Schweigen zu bringen teile ich Ihnen besser gleich mit, daß ich an einem Ort, den ich bewußt aus meinem Gedächtnis habe streichen lassen, eine magische Briefcasette verborgen habe, die im Falle eines bedauerlichen Unfalls an eine zuverlässige Adresse geschickt wird. Sie enthält die Namen verschiedener guter Freundinnen von Ihnen und natürlich von Ihnen selbst, Madam Clover. Zu diesem Brisanten Material gehört auch ein Bericht, daß Sie gerne die Führung in jener Gruppe übernommen hätten, deren Existenz Sie ganz bestimmt leugnen werden. Diese Casette behalte ich unter Verschluß, als Lebensversicherung und Schutz vor irgendwelchen unerfreulichen Dingen, die mir passieren mögen. Ich biete Ihnen jedoch an, anonym Ihrer Gruppe über von Ihnen gewählte Kanäle mehr als die zehntausend Galleonen zukommen zu lassen, wenn Sie dafür diesem Jungen zeigen, was echter Horror ist. Lassen Sie sich was einfallen!"

"Wie sprechen Sie mit mir?" Erboste sich Thalia, die wahrlich schon drauf und dran war, den Zauberstab zu ziehen.

"Wie mit jemandem, der beziehungsweise die weiß, was ich will und auch die Mittel hat, das umzusetzen. Ihre Lady Daianira - Sie sehen, mein Wissen ist wahrlich erschöpfend genug, wenngleich von Ihrer Warte auch zu erschöpfend - verfolgt ihre ganz persönlichen Ziele und meint, Sie und die anderen, die sich ihr aus welchen Gründen auch immer angeschlossen haben, wie ihr privates Eigentum zu behandeln. Ich weiß, Ihnen liegt eher daran, wichtige Positionen in unserer Welt zu besetzen und die Rangstellung der Hexen in der Welt zu verbessern, ähnlich wie sie in Frankreich gilt, wo ja vor Zeiten diese Sardonia geherrscht haben soll. Ja, ich habe selbst noch genug Kontakte zu einflußreichen Hexen und Zauberern, von denen ich das weiß. Sie haben also drei Alternativen", sagte Mrs. Pole und sah sehr entschlossen auf Thalia Clover: "Sie verschaffen mir die fällige Genugtuung, indem Sie diesem Bengel das Leben genauso zerstören wie er meins zerstört hat und werden reich und obendrein vielleicht sogar die Mächtigste in ihrem erlauchten Kreis. Oder Sie legen es darauf an, mich zu ermorden und riskieren die Enttarnung Ihrer Mitschwestern und fallen nicht nur bei Daianira in Ungnade. Oder Sie vergessen Ihren Besuch bei mir und überlassen das anderen, mir zu helfen. Ich versuche nicht nur in den Staaten Interessenten zu gewinnen."

"So, wen denn sonst noch?" Fragte Thalia herausfordernd.

"Mächtige Leute aus Rußland und Großbritannien vielleicht. Schon mal was von Igor Bokanowski gehört?"

"Ich glaube, dafür würde man Sie glatt in die geschlossene Abteilung sperren, Ma'am", lachte Thalia, die zuerst einen leichten Schrecken bekommen hatte und dann wieder ihre beherrschte Art zurückgewann. "Und wenn Sie mir noch erzählen, Sie wollten selbst diesem Emp... Unnennbaren antragen, für Sie den Racheengel, oder besser den Rachegott zu spielen, so könnte ich gleich nach einer Heilerin rufen, die Sie vom Fleck weg für wahnsinnig erklärt. Also vergessen Sie diese beiden Zeitgenossen! Sie würden Geister rufen, die Sie nicht mehr loswürden, abgesehen davon, daß weder dieser Naturverunstalter Bokanowski noch der sogenannte dunkle Lord sich von irgendwem für sowas einkaufen lassen. Die machen ihre ganz eigenen - Wie nannten Sie es? Horrorgeschichten. Ich denke, Sie haben zwei Alternativen, Ma'am. Sie vergessen die Sache und behalten Ihr Geld, wo Ihr Mann jetzt weder Gehalt noch Ruhegeld beanspruchen kann, oder Sie steigern sich soweit hinein, daß Sie selbst daran zu Grunde gehen. Was diese ominöse Briefcasette angeht, so enthielte sie wohl nur üble Verleumdungen, sofern sie wirklich existiert. Einen angenehmen Tag noch!" Sprach Thalia Clover und erhob sich.

"Ich mache Ihnen ein Angebot, daß Sie nicht so brüsk ablehnen sollten, Lady Thalia. Bedenken Sie das."

Die Anrede "Lady" ließ Thalia Clover auf der Stelle stehen bleiben. Ja, so wollte sie immer noch angesprochen werden, von treuen Mitschwestern, treuer als sie selbst Daianira war. Sie wandte sich um und sagte nur:

"Sie sagten es, daß die Äußerung von zu erschöpfendem Wissen leicht zu großen Unglücken führen kann. Falls ich wirklich diese großartigen Verbindungen habe, die Sie bei mir vermuten, so werde ich bestimmt mitbekommen, ob Ihre Suche erfolgreich verlief." Sprach's und ging aus Mrs. Poles geräumigem Salon hinaus, vorbei an den zwei Hauselfen, die zu Mabel Poles Privateigentum gehörten und verließ das imposante Haus auf Stoney Island.

Der Sommerabend empfing sie mit lauwarmem Wind und dem Geräusch der Brandung, dem Geruch nach Salzwasser und gebratenem Fisch. Thalia Clover verharrte einige hundert Meter vom Pole-Anwesen entfernt und lächelte. Diese verwöhnte Wolstandshexe hatte ihr mit ihrer dummen Rachsucht eine geniale Möglichkeit eröffnet, drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sie würde mit einigen ihr treu ergebenen Schwestern etwas anstellen, daß zum einen die Autorität Lady Daianiras erschütterte, den neuen Zaubereiminister beschädigte und nebenbei die Jagd nach der bisher nur vage existenten neuen Schwesternschaft einläutete. Ja, und wenn der Plan gelang, so konnte sie diese selbstherrliche, vom goldenen Thron gestürzte Königin auch noch in die Pflicht nehmen, ihr zu dienen, ob als Schwester im Bund der Entschlossenen oder als Hörige. Diese Angebote würde sie ihr dann machen, wenn die allgemeine Unordnung den Zenit erreicht hatte und sie als neue Anführerin der Entschlossenen feststand. Mit diesem Gefühl der Überlegenheit disapparierte sie, um sich mit ihren heimlichen Anhängerinnen zu treffen.

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Ardentia Truelane hatte sowohl offiziell als auch inoffiziell den Auftrag, auf Martha Andrews aufzupassen, die gerade vor einem Tag aufgewacht war und nun auf bleibende Schäden untersucht wurde. Zur großen Erleichterung der Ärzte hatte die Prozedur, der sie unterworfen worden war, keine Schädigung des Gehirns verursacht. Zwar hatte sie einige Minuten gebraucht, sich wieder zu orientieren, doch dann konnte sie auf alle ihr gestellten Fragen antworten. Dr. Navaro wunderte sich sehr darüber, daß die Apparatur, in der Martha Andrews für einige Stunden gefangengelegen hatte ihr Gehirn so gut geschützt hatte.

"So wie Sie sich von diesem Eingriff erholt haben, Mrs. Andrews, können wir Sie am dreizehnten wieder entlassen. Die Verletzung, die Ihnen dieser skrupellose Zeitgenosse zugefügt hat, ist soweit wieder verheilt. Sie müssen sich lediglich daran gewöhnen, daß Ihr Bauchnabel nun anders beschaffen ist als vor diesem widerwärtigen Experiment."

"Was ist mit meinem Sohn Julius?" Fragte Martha Andrews besorgt.

"Ihm geht es gut", sagte Navaro rasch und lächelte dabei. Es zog ihm zwar immer wieder die Magenwände zusammen, wenn er lügen mußte, doch es gab Situationen, wo es zum Wohl eines Patienten besser war, ihm eine gute Nachricht mitzuteilen, solange es nicht um das Leben des Patienten selbst ging. Dies war eine solche Situation. Denn auf die Frage nach dem Jungen Julius konnte er überhaupt keine Antwort geben. Man suchte ihn noch, da er nicht bei seiner Mutter in der Gewalt dieses Verbrechers Laroche und seines medizinisch gebildeten aber ethisch völlig verkommenen Handlangers war. Wegen Laroche standen vor Marthas Zimmer zwei Polizisten Wache, die aufpassen sollten, daß niemand ohne ausdrückliche Erlaubnis zu ihr konnte. Auch im Flur wachte jemand, ein Agent des FBIs. Ja, und drei Krankenschwestern, die NavarosStation zugeteilt waren, waren Agentinnen der Bundesermittlungsbehörde. Eine dieser Agentinnen, die hier als Schwester Anne Lawrence auftrat, kam Navaro entgegen und grüßte ihn mit dem Respekt, den eine Schwester einem leitenden Arzt entgegenzubringen hatte. Dann fragte sie flüsternd:

"Wie geht es ihr?"

"Erstaunlich gut für diese Art von Eingriff, Schwester", erwiderte Navaro leise. "Sie hat noch nicht einmal eine Amnesie erlitten, was bei Hypothermiepatienten nicht so selbstverständlich ist. Offenbar hat diese Höllenmaschine sie mit einer sauerstoffreichen Nährlösung versorgt, die das zentrale Nervensystem gegen temperaturbedingte Schädigungen schützt. Vielleicht ist es so ähnlich wie bei Patienten, die in eiskaltem Wasser verunglücken und nach einer halben Stunde noch gerettet werden können, weil das eiskalte Wasser den Stoffwechsel so drastisch verlangsamt, daß ein Abbau der Nervenzellen wesentlich langsamer stattfindet. Wenn dann jedoch noch genug Sauerstoff bereitsteht, findet dieser Abbau wohl nicht statt."

"Soviel ich weiß lag die Patientin wohl nur wenige Stunden in dieser Vorrichtung", erwiderte Schwester Lawrence, eine etwa dreißig Jahre alte Frau mit blauen Augen.

"Das mag den Wiedergenesungsprozess positiv beeinflussen, daß sie dieser Apparatur nur für wenige Stunden ausgeliefert war."

"Können wir sie verhören?" Fragte die Krankenschwester nun ganz eine FBI-Agentin.

"Ich würde ihr mindestens eine Nacht gesunden Schlafes gönnen. Wir müssen beobachten, ob ihr körperlich-seelischer Zustand sich wirklich wieder stabilisiert hat. Eine Patientin im zustand mentaler Instabilität würde unzuverlässige Angaben machen, wenn Sie verstehen."

"Natürlich, Doktor", pflichtete Schwester Anne dem Arzt bei. Dann verabschiedete sie sich und erwähnte, daß nun ihre Kollegin Jessica Petersen die Betreuung übernehmen würde. Navaro nickte bestätigend und setzte seine Runde durch die Station fort.

__________

Jessica Petersen war eine der besten Mitarbeiterinnen, die das FBI für die Bewachung von zu schützenden Personen einteilen konnte. Die in San Francisco aufgewachsene Frau Mitte Zwanzig hatte neben der Ausbildung zur FBI-Agentin auch eine gründliche Sanitätsausbildung erhalten, was sie für den Auftrag, den sie gerade ausführte bestens empfahl. Sie sollte eine Frau bewachen, die von einem der mächtigsten Verbrecher Louisianas entführt und gefangengehalten worden war. Da man diesen Kriminellen bislang nicht hatte fassen können und niemand genau wußte, ob bei den Razzien gegen seine Schlupfwinkel und legal wirkenden Firmengebäude sämtliche Helfer und Helfershelfer dingfest gemacht werden konnten mußten diese Frau und einer von Jessicas Kollegen, dder mit Martha Andrews zusammen festgehalten worden war, gut bewacht werden. Später würde sich dann entscheiden, ob sie als zu schützende Zeugen sicher versteckt werden mußte oder in ihr eigentliches Leben zurückgeführt werden konnte. Zachary Marchand war bereits entlassen worden. Nun war nur noch diese Engländerin Martha Andrews zu beschützen.

Jessica prüfte, ob sie auch wirklich alles für den nächtlichen Einsatz verstaut hatte. Sie war die einzige Krankenschwester im St.-Michel-Krankenhaus, die eine Schußwaffe mitführen durfte. Sie sollte auf der Station verweilen und zur Stelle sein, wenn Martha Andrews Gefahr drohte.

Sie prüfte gerade, ob sie alles für die Nachtschicht mithatte, da klickte es im Türschloss, und die Tür der Appartmentwohnung, die ihr das FBI für die Dauer des Einsatzes besorgt hatte, flog auf. Jessicas Hand schnellte zu ihrer Pistole, als sie den unerwünschten Besuch sah. Es war eine Frau, wohl gerade dreißig Jahre alt, die hereinsprang, die Tür ins Schloss drückte und dabei mit einer schwungvollen Handbewegung einen kleinen Glaszylinder an der Wand zerschmetterte. Jessica schaffte es nicht abzudrücken. Denn etwas höchst fremdartiges an dieser Frau lenkte sie ab. Um den Kopf der Eindringlingin lag eine bläulich schimmernde Blase, die wie ein umgekehrt aufgesetztes Goldfischglas wirkte. Dann strömte ein süßlicher Geruch in ihre Nasenflügel, und im selben Moment löste sich die Welt um sie herum in lautlose Finsternis auf. Daß sie kraftlos hinfiel und unsanft auf dem Dielenteppich aufschlug fühlte sie nicht mehr.

"Schon ein umwerfendes Zeug, dieses Rapiddorm-Gas", dachte die ungebetene Besucherin, die Hilda Greendale hieß und deren Tante Thalia Clover war. Sie hatte den Auftrag, die seit Tagen beobachtete Muggelfrau Martha Andrews aufzusuchen, um sie mit verheerenden Flüchen unrettbar zu verunstalten, wenn nicht sogar zu töten. Sie dachte an einen progressiv wirkenden, besonders verheerenden Fluch, den nicht einmal die besten Heiler aufheben konnten, wenn sie nicht sie, Hilda töten wollten. Doch bis sie diesen über Martha Andrews aussprechen konnte, mußte sie in reinen Muggelgegenden weitestgehend ohne direkte Zauber handeln, nur magische Gegenstände und Zaubertränke benutzen, deren Anwendung nicht von Spürsteinen des Ministeriums entdeckt werden konnte. So hatte sie das Türschloss mit einem Allschloßöffner aufgeschlossen, der wie ein Stück metallisch schimmernder Knetmasse aussah, aber sobald er in ein unbezaubertes Türschloss eingeführt wurde zu einem genau passenden Nachschlüssel wurde, egal was für ein Schloss die Tür versperrte. Zog sie ihn nach dem Öffnen wieder heraus, behielt er für eine Minute diese Form, bevor er sich wieder in die formbare Ausgangsform zurückverwandelte. Diese der Zaubererwelt nicht bekannt gemachte Erfindung ihrer Großmutter Pica hatte den Thalianerinnen, wie sie sich heimlich nannten, bereits so manche Tür oder Truhe geöffnet, ohne daß die übrigen Entschlossenen oder gar die restliche Welt was davon mitbekommen hatte.

Hilda zog der ohnmächtigen Frau alle Kleidungsstücke aus und schnitt ihr mit einer kleinen Schere vorsichtig einige Haare ab. Dann suchte sie nach den ordentlichen Schlüsseln für diese Wohnung, fand sie, sowie den Führerschein, und einen Ausweis des FBIs und legte alles bereit. Dann holte sie aus ihrer Handtasche eine leere und viermal gründlich durchgespülte Halbliter-Colaflasche und drehte den Plastikschraubverschluß ab. Das sirupartige Gebräu, das nun in der Flasche steckte war das Produkt einer langen sorgfältigen Arbeit, die sich Hilda gemacht hatte, lange bevor abzusehen war, für welchen Einsatz sie dieses Gebräu benötigen würde. Sie ließ die von Jessicas Kopf abgetrennten Haare in die Flasche gleiten, worauf der Inhalt bedrohlich zu brodeln begann. Doch das ganze dauerte keine zehn Sekunden, dann war es soweit. Vier Dosen des auf Jessicas Körper eingestimmten Vielsafttranks standen Hilda Greendale nun zur Verfügung. Sie verschloß die Flasche und zog ihre eigenen Kleidungsstücke aus. In fünf Stunden würde sie wieder hier sein, eine Stunde früher vor Verfligen der Rapiddorm-Gaswirkung. Sie zog sich die Kleider von Jessica Petersen an, schloß mit deren Schlüssel die Wohnungstür auf, verließ die Wohnung und schloß ab. Ein wenig des noch vorhandenen Gases waberte in den Flur hinaus. Vielleicht würde es noch einige Nachbarn betäuben. Aber wenn es sich so verteilt hatte, daß nur noch ein Zehntel der benötigten Menge in einem Kubikmeter Luft enthalten war, würde es nur noch den Geruch von leicht angefaulten Äpfeln verbreiten, ohne die einschläfernde Wirkung zu äußern. Hilda ging einen langen Korridor entlang, bis sie an eine Abzweigung gelangte, die zu den Aufzügen oder dem Treppenhaus führten. Sie wußte, daß die meisten amerikanischen Muggel in mehr als drei Stockwerke hohen Gebäuden eher den Aufzug benutzten und betrat das Treppenhaus, wo sie sich sicher sein konnte, mindestens eine Minute unbeobachtet zu bleiben. Hier hob sie den Kopfblasenzauber auf. Dann holte sie die präparierte Colaflasche aus ihrer Tasche und trank mit einem gewissen Unbehagen soviel daraus, daß sie sicher sein konnte, die ausreichende Menge aufgenommen zu haben. Unter Wellen aus brennenden und knetenden Schmerzen verwandelte sich ihr Körper in den Jessica Petersens. Nun hundertprozentig wie sie aussehend verließ sie das Treppenhaus wieder und ging zu den Aufzügen, von denen sie einen für die Fahrt zum Erdgeschoss benutzte. Sie verließ das Haus und ärgerte sich wieder einmal über diesen Giftqualm der Muggelwelt, durch den sie nun zur Bushaltestelle ging. Zwar hatte Jessica Petersen ein eigenes Auto. Doch Hilda konnte nichts damit anfangen. So benutzte sie den öffentlichen Stadtbus, bis zu einer Straßenbahnhaltestelle, wo sie in einen der berühmten roten Züge von New Orleans einstieg, um einige Stationen weit zu fahren, bis sie wieder in einen Bus einsteigen mußte. Sie blickte auf Jessica Petersens Armbanduhr und stellte fest, daß ihr gerade noch zehn Minuten blieben, um den Dienst im Krankenhaus anzutreten. Sie beeilte sich etwas, um das Gebäude zu erreichen und kam etwas abgehetzt in der Umkleidekabine der Nachtschwestern an, wo sie aus einem Spind die weiße Tracht und die Haube holen wollte, um unauffällig auf die Station zu gelangen.

"Hi, Jess, möchtest du noch eine Tasse Kaffee trinken, bevor du antrittst?" Fragte eine junge Lernschwester die Kollegin, die seit nun fünf Tagen hier Urlaubsvertreterin für eine erholungsbedürftige Kollegin machte.

"Ich habe in zwei Minuten auf dem Posten zu sein", sagte Hilda mit Jessica Petersens Stimme. Die Lernschwester sah sie lächelnd an. Irgendwie machte das Jessica Stutzig. Doch dann siegte in ihr die Erkenntnis, daß sie sich nichts anmerken lassen durfte.

"Okay, ich nehme noch einen Schluck", sagte Hilda und ging an die Kaffeemaschine im Schwesternzimmer, wo eine noch halbvolle Kannne bereitstand. Sie nahm eine der sauberen Tassen aus dem kleinen Schrank und füllte sie mit dem schwarzen Gebräu, das merkwürdigerweise eher nach rauchigem Tee als nach Kaffee roch. Was verstanden die Muggel nun wirklich unter Kaffee? Fragte sich Hilda. Doch wiederum zwang sie sich dazu, um nicht aufzufallen rasch zu handeln. Sie setzte die Tasse an und trank daraus. Dieser Kaffee war heiß und schmeckte wie zerkochtes Gemüse, fand Hilda. Sie wollte sich gerade darüber wundern, was hier für ein übelschmeckender Kaffee verwendet wurde, als es sie wie ein Blitzschlag traf, nicht von oben, sondern aus dem Boden heraus. In ihren Füßen brannte es wie Feuer, und dieses Gefühl raste ihre Beine hinauf in ihren Unterleib, durch diesen immer weiter nach oben, bis es mit einem unerträglichen Schmerz zum Kopf hinausbrach. Trotz der Schmerzwelle konnte sie weder schreien noch eine Bewegung machen. Denn im selben Moment, wo sie diese überheftige Attacke traf, packte sie auch ein Starrkrampf, der alle Muskeln anspannte. Erst als der glutheiße Schmerzschauer ihren Kopf verlassen hatte, konnte sie einen Laut ausstoßen. Sie rief erschrocken:

"Verdammt, was war das denn?" Dabei erkannte sie, daß sie nicht mehr Jessica Petersens Stimme besaß, sondern ihre eigene!

"Habt ihr verdammten Verräterinnen euch etwa eingebildet, ich bekäme nichts mit, was ihr und vor allem deine Tante so treibt?" Schnaubte die junge Lernschwester. Hilda starrte sie untätig an, eine Sekunde zu lange. Denn unvermittelt hielt die Frau, die fast noch ein Mädchen war einen Zauberstab in der Hand, genau den, den sie fünf Tage zuvor in einer Tropfsteinhöhle in Colorado in der Hand von .... "Maneto!" Stieß die Lernschwester verbissen aus. Hilda konnte sich nicht mehr bewegen. Dann hielt sie den Zauberstab auf sich selbst gerichtet und vollführte eine kurze Bewegungsabfolge. Sie löste sich in einen Wirbel aus farbigem Nebel auf, der sich eine Sekunde später zu einer anderen, Hilda jede Hoffnung auf Gnade raubenden Gestalt verdichtete. Vor Hilda Greendale stand Lady Daianira Hemlock, die Führerin jener Schwesternschaft, die sich selbst als "die Entschlossenen" bezeichnete. Mit einer schnellen Zauberstabbewegung und dem Wort "Vanesco", leerte sie die Kaffeetasse, ohne den Inhalt ausschütten zu müssen.

"Swifts Leute finden uns hier nicht", sagte die Lady und durchsuchte Hildas Tasche. Sie fand die unverfängliche Colaflasche, drehte den Schraubverschluß auf und beroch den Inhalt.

"Tja, hast du nicht gewußt, daß ich persönlich ein Gegenmittel gegen den Vielsaft-Trank erfunden habe, wie, Hilda? Pech für dich!" Spottete sie und stellte die nun sauber wirkende Tasse in das kleine Spülbecken zu anderen benutzten Tassen. Dann nahm sie die Kanne von der Maschine und ließ auch deren Inhalt verschwinden. Hilda hoffte darauf, daß Swifts Leute doch die ganze Zauberei aufspürten, die hier gerade benutzt wurde. Doch Lady Daianira blieb ganz ruhig. Sie ergriff Hildas bewegungslos gezauberten Arm und zog sie mit lautem Knall hinein in das Nichts, das zwei weit entfernte Orte miteinander verbinden konnte.

in einem weitläufigen Obstgarten apparierte Lady Daianira mit ihrer Gefangenen und fesselte sie an einen Apfelbaum, an dem bereits die ersten grünen Früchte hingen. Dann gab sie ihr ihre Bewegungsfähigkeit zurück und ließ sie für eine Minute allein zurück. Hilda rief ihr nach, sie solle sie freilassen oder ihr sagen, was sie wolle. Doch Daianira hörte nicht auf sie. Als sie zurückkehrte hielt sie ein Fläschchen mit einer glasklaren Flüssigkeit in der Hand.

"Ich hätte dich auch in unsere Versammlungshöhle bringen können, Hilda. Aber ich finde, das müssen die anderen nicht mitbekommen. Hier bist du in meinem ganz privaten Obst- und Gemüsegarten, in den ich nur sehr gute Freunde und Bekannte einlade. Hier hört dich keiner, der dir helfen könnte. Hier findet dich auch keiner, der dir helfen will. Von hier aus kannst du auch nicht mentiloquieren oder disapparieren, wenn du nicht von meiner Blutlinie abstammst. Nur um zu wissen, daß du hier nicht mehr fortkommst, wenn ich nicht alles von dir weiß, was ich wissen will. Also trinke das hier!"

"Da mußt du mich schon anders angehen, du unwürdiges Miststück", zischte Hilda. Sie war absolut nicht bereit, von dem Veritaserum in dem Fläschchen Daianiras zu trinken.

"Oh, muß ich das?" Fragte die Führerin der entschlossenen Schwestern kindlich amüsiert und hielt Hilda den Zauberstab entgegen. "Nun denn! Crucio!"

Eine Minute absoluter Höllenqualen brach über Hilda herein. Ihre gellenden Schmerzensschreie hallten von den an die hundert Bäumen wider wie ein Chor gepeinigter Seelen. Dann befand Lady Daianira, daß ihre Gefangene genug gelitten hatte und senkte ihren Zauberstab.

"Na, wollen wir jetzt ein braves Mädchen sein und das hier trinken?" Fragte die Lady überlegen lächelnd und hielt Hilda das Fläschchen unter die Nase. Unter Tränen schluckte die Gefangene das Elixier hinunter, bis Daianira die kleine Flasche fortzog.

"Nun wirst du mir erzählen, was dieser Auftritt in dieser Muggelheilanstalt sollte, wer alles da mit drinsteckt und wielange ihr schon gegen mich arbeitet. Also, was wolltest du da?"

Hilda erzählte ihr von ihrem Auftrag und was sie genau tun wollte. Sie konnte nicht lügen, denn das Wahrheitselixier in ihrem Körper zwang sie ohne weitere Schmerzen dazu, jede Frage wahrheitsgetreu zu beantworten. So verhörte Daianira Hilda eine halbe Stunde, bis sie erfuhr, was der vereitelte Angriff auf Martha Andrews sollte, wer sie auf die Idee gebracht hatte und wen sie von den Anhängerinnen Thalias persönlich kannte. Als sie das alles wußte nickte sie Hilda zu.

"Siehst du, es wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn du mir das alles gleich erzählt hättest, wo deine Tante dich zum Verrat verführt hat. Eigentlich mag ich dich zu sehr, als das ich dich vor den anderen Schwestern bestrafen müßte, wie unsere Losung es gebietet. Deine Oma Pica war die beste Freundin meiner Mutter, und irgendwie gehörst du genauso zu meiner Familie wie meine Nichten, Cousinen und Großnichten. Daher wirst du nicht dem Gelöbnis folgen müssen, daß du bei deinem Eintritt in unsere ehrwürdige Sororität geleistet hast. Du kennst es doch noch, oder?"

"Durch mein Blut trete ich bei. Durch mein Blut trete ich aus", schluchzte Hilda.

"Genau", bestätigte Daianira. "Aber dies werde ich dir gnädigerweise ersparen, und vielleicht auch deiner hinterhältigen Tante, die meinte, sich über unsere Regeln hinwegsetzen zu können. Maneto!""

Hilda erstarrte wieder in Bewegungslosigkeit. Daianira löste die Fesseln um den Körper der Gefangenen und transportierte sie mit dem Mobillicorpus zu einem freien Platz, auf dem wadenhohes Gras wuchs.

"Positocorpus", murmelte die Führerin der nordamerikanischen Nachtfraktion und ließ Hilda auf dem freien Stück niedersinken. Dann sagte sie noch. "Ich denke, hier paßt du gut hin. Vielleicht wirst du denken, ich hätte dich besser töten sollen. Aber ich möchte nicht, daß du wegen deiner Tante begraben werden mußt. DA möchte ich lieber wissen, daß du weiterlebst und mir und denen, die ich einlade noch viele Jahre lang die Stunden versüßen kannst. Removete!"

Hilda konnte sich wieder bewegen und wollte davonlaufen. Doch mit einer schnellen Zauberstabbewegung Daianiras versagten ihr die Beine. Sie drohte zu stürzen, währen Daianira mehrere Bewegungen ausführte. Hilda erschauerte, als sie die Transformationsabfolge für eine Mensch-zu-Pflanze-verwandlung erkannte. Doch da traf sie bereits die volle Wirkung des aufgerufenen Zaubers. Mit einem letzten "Nein, Lady Dai..." wollte sie um Gnade betteln. Doch ihr Mund verschloss sich. Ihre Haut wurde Holzig, und überall aus ihrem Körper wuchsen Zweige mit Blättern. Nur wenige Sekunden verstrichen, dann stand dort, wo Hilda Greendale gerade noch gestanden hatte ein junger Erdbeerstrauch. Daianira lächelte zufrieden und disapparierte.

__________

Thalia Clover hatte von Hilda erfahren, daß diese unterwegs zu ihrem Einsatzort war. Sie lächelte. Morgen würde sie einen anonymen Hinweis auf die Tätigkeit der neuen Schwesternschaft hinterlegen, damit die Zaubererwelt entsprechend geschockt war und dieser neuen Bedrohung nachjagen konnte. Sie überlegte sich, ob sie noch etwas in einem Buch über arabische Thaumaturgie lesen wollte, das interessante Symbolzauber und mächtige Flüche und Heilzauber enthielt, als ihr Hausfriedenszauber mit schrillem Geheul ihre Aufmerksamkeit verlangte. Jemand mit feindlicher Absicht war gerade über die Grenzlinie zu ihrem Grundstück getreten.

"Totaliclausa!" Rief Thalia mit dem Zauberstab auf eine silbrig schimmernde Rune für Verschließen deutend. Es knisterte, ruckelte und rumpelte, dann waren die Haustür, der Kellerausgang und alle Fenster magisch verriegelt und widerstanden jeder Form körperlicher Gewalt.

"Mal sehen, wer mich so unverfroren angreifen will", dachte Thalia und zog einen dunkelblauen Vorhang vor einem mannshohen Spiegel zurück. Dieser Spiegel reflektierte jedoch nicht die Erscheinung eines vor ihm stehenden Betrachters und seines Hintergrundes. Hinter dem dunklen Glas drängten sich düstere Schatten im Hintergrund. Doch überdeutlich stand vor Thalia die in ihr blaues Kleid gehüllte Lady Daianira Hemlock, die sie angriffslustig anfunkelte, die rechte Hand zum Schlag erhoben.

"Das nützt dir nichts, dich einzuigeln, Thalia!" Schnarrte Daianiras Stimme von draußen zu ihr herein. "Ich weiß genau, daß du mich hintergangen hast, du ungeratenes Stück faules Fleisch."

"Na warte. Du wirst hier und jetzt deine Führung verlieren", knurrte Thalia und sprang zu der dem Spiegel gegenüberliegenden Wand. Sie tippte ein Symbol an, das wie ein zuschnappendes Maul aussah, das gerade ein Gebilde mit vier angedeuteten Gliedmaßen umschloß.

"Devorato inimicum!" Rief sie, auf das vom gezeichneten Maul umschlossene Bild deutend. Sofort verfärbte sich das Symbol pechschwarz. Ja, es schien einen düsteren, undurchdringlichen Qualm abzusondern, der sich innerhalb einer Sekunde im ganzen Raum ausbreitete und durch alle Ritzen und Türspalten in das Haus quoll. Er war völlig geruchlos und fühlte sich wie eine kalte Brise an. Doch Thalia wußte, daß jedes ihr feindlich gesinnte Lebewesen, welches mit diesem Brodem in Berührung kam wie in einem Bad aus purer Säure zerfressen und restlos aufgelöst würde. Da krachte es zweimal. Thalia fühlte ein Beben durch den Boden gehen und hörte es im Deckengebälk ächzen und knarren. Offenbar hatte diese Daianira einfach eine der außenwände mit einem besonders starken Reducto-Fluch oder ähnlichem eingerissen. Na dann würde gleich der alle Feinde verschlingende Nebel über sie hereinbrechen und ....

"Antiscotergia!" Erscholl Daianiras lauter Ruf. Thalia erstarrte. Wie konnte sie den Nebel ohne einen Schmerzenslaut aushalten. Da prasselten gleißend blaue Funken durch das Zimmer, die den dunklen Dunst zerstreuten. Thalia meinte, von einem tonnenschweren Eisblock getroffen und niedergeworfen zu werden. Ehe sie es sich versah lag sie am Boden, über sich die bedrohlich absinkende Decke, von der bereits der erste Putz herabregnete.

"Deine Runenzauber in Ehren, Thalia, aber ich kenne auch genug Gegenformeln gegen solches Zauberwerk", triumphierte Daianira, die bereits im Haus stand. Dann flog die Tür zum Studierzimmer Thalias auf.

"Das wollen wir sehen. Advoco Legionem!" Fauchte Thalia und deutete auf einen in der wand eingravierten Kreis aus miteinander verbundenen Schlangen. Es fauchte von draußen. Thalia wußte, daß die vier Bilder mit reptilienartigen Ungeheuern nun ihr schwarzmagisches Eigenleben entwickelten und die mit Blut, Schlangengift und Knochenmehl gemalten Monster dreidimensional und greifbar wurden. Insgesamt einhundert dieser abscheulichen Kreaturen würden nun alles angreifen, das nicht in dieses Haus gehörte.

"Vermaledeit! Dissolventur Artiviva!" Schrillte es von draußen. Thalia grinste. Damit war diesen Geschöpfen nicht beizukommen, da sie nicht aus dem Nichts beschworen worden waren und nur vergingen, wenn jemand den, der sie gerufen hatte tötete oder aus dem Haus entfernte.

"Avada Kedavra!" Hörte sie noch den Todesfluch. Doch damit konnten diese magischen Monster nicht besiegt werden. Sicher, einzelne Monster vergingen. Aber an seiner Stelle teilte sich dann eine der Kreaturen und wuchs zu zwei neuen Untieren heran.

"Gleich haben sie dich gefressen, du alte Spinatwachtel!" Frohlockte Thalia, als sie immer noch lautes Fauchen hörte.

"Das ich dich nicht gleich fresse", ertönte eine wie aus dem Nichts heranschwebende Stimme, und durch die Türritzen zum Studierzimmer quoll weißer Nebel. Dann polterte es mit Urgewalt von außen gegen die Tür, daß selbst die mit Durolignum-Elixier behandelten Bretter erzitterten und feinen Holzstaub verteilten. Rums! Wieder erzitterte die Tür, während der Nebel mit angestrengt ächzend klingender Stimme sprach:

"Hast du Dreckstück dir eingebildet, ein paar miese Schlangen könnten mich daran hindern, dich zu erreichen?" Fragte Daianiras Stimme aus dem Nebel.

"Condensato!" Rief Thalia auf den Nebel deutend. Doch dieser verdichtete sich bereits zu Daianiras leibhaftiger Gestalt. Während die losgelassenen Ungeheuer von draußen wütend schnaubten, knurrten und fauchten und immer wieder gegen die magisch verstärkte Tür krachten.

"Mich zu hintergehen ist eines, Thalia. Mich vor allen treuen Schwestern lächerlich zu machen etwas anderes", fauchte Lady Daianira mit wutrotem Gesicht.

"Avada ...." Rief Thalia, als Daianira den Zauberstab hochriss. Doch da traf sie bereits der glutrote Blitz eines Schockzaubers.

"Du warst immer schon zu langsam und hattest immer schon zu wenig Kraft zum wortlosen Zaubern", spie Daianira der am Boden liegenden feindin entgegen. Erneut rumste es gegen die Tür, deren Füllung jedoch schon erste Risse zeigte. Wieder prallte mindestens eines der Monster gegen die Tür, die beängstigend knisterte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nachgab. Jetzt befand sich Daianira in einer Zwickmühle. wollte sie Thalia wie von ihr geplant mitnehmen, konnte sie sie unmöglich an den Monstern vorbeibringen. Denn der Gasförmigkeitszauber wirkte nur auf den ein, der ihn anwendete, auch wenn ein anderes Lebewesen berührt wurde. Auch würde dessen Verwandlung in einen toten Gegenstand daran nichts ändern. Wieder krachte es gegen die Tür, und die ersten größeren Holzstücke brachen heraus. Daianira hatte zwar mal was von den asiatischen Chi-zaubern gehört, die ihre Anwender gegen alle Gewaltformen unangreifbar machten und auch sonst die Macht des Geistes über die ihn umgebende Materie verstärkten. Doch diese Zauberei kannte sie nicht. Rums! Wieder rammte etwas von außen die Tür, deren Futter sich nach innen bog und zu spitzen Holzspänen auseinanderbrach. Der nächste Stoß würde ihr den Rest geben. Da fiel Daianira ein, wie sie Thalia herausbringen konnte. Sie richtete den Zauberstab auf die bewußtlose Feindin und vollführte schnelle Bewegungen. Schlagartig schrumpfte Thalia zusammen, bekam dabei einen runden Leib und verfärbte sich grün. Ihre Glieder und der Kopf verschwanden im immer kleineren Körper, bis vor Daianira nur noch eine Erbse lag. Mit dem Aufrufezauber holte sie diese zu sich hin.

Sie hatte es gerade geschafft, die verwandelte Feindin so unterzubringen, daß sie mit ihr zusammen das Haus verlassen konnte, als mit lautem Krachen die Tür in einem Wirbel aus Splittern zerbarst und zwei breite, flache Schädel mit bleichen Augen in das Zimmer hineinblickten. Daianira richtete den zauberstab gegen sich selbst und dachte "Repetitio vaporicorpus!" Schlagartig zerfloß sie zu einer weißen Nebelwolke, gerade als die beiden monströsen Schlangenköpfe vorstießn um sie zu packen. Sie fühlte zwar, wie die schuppigen Schädel durch sie hindurchstießen, fühlte aber weder Schmerz noch Druck dabei. Durch die reine Konzentration auf die Richtung, in der sie wollte, trieb sie im zustand einer magisch zusammengehaltenen Dunstwolke hinaus auf den Gang. Dort erwarteten sie bereits jene grün, schwarz, rot und gelb geschuppten Ungetüme, die mit langen, gespaltenen Zungen die Umgebung erkundeten und furchteinflößende Geräusche von sich gaben, Schnarren, schnauben, Knurren, Fauchen und Zischen. Doch die Angriffe gegen die in Gasform befindliche Hexenlady brachten ihnen nichts. Auch als welche beim Atemholen etwas von ihrem nebelhaften Körper einsogen, machte es ihr nichts aus, weil beim Ausatmen die eingesaugte Substanz wieder freikam und schmerzlos mit ihrem Körper zusammenfand. So schwebte sie unangreifbar aus dem Haus hinaus, verfolgt von den immer wieder zustoßenden Schlangenmonstern, die sich bei ihren Angriffen auch selber trafen und in ihrem Tötungsrausch verletzten. Dann erreichte die nebelgestaltige Daianira Hemlock die von ihr eingerissene Außenwand, stieg einen Meter auf und verließ das Haus. Draußen wehte ein starker Wind, das einzige, was ihr jetzt etwas anhaben konnte. Sie fühlte einen wilden Schmerz, als ob jemand sie mit riesigen Fäusten packte und zu zerreißen versuchte. Ihre selbst in diesem Zustand brauchbare Stimme ließ ein gepeinigtes Wimmern von ihr ausgehen. Doch noch waren die Bestien hinter ihr her, und sie konnte noch nicht disapparieren. Als eine besonders starke Böe sie erfaßte, glaubte sie schon, gleich in einzelne, sich zerstreuende Dunstfetzen zerrissen zu werden. Doch ihr Zauber hielt sie zusammen, und so schaffte sie es mit Mühe, die Grundstücksgrenze zu überwinden. als dies geschafft war ertönte ein vielstimmiger urwelthafter Aufschrei aus dem beschädigten Haus heraus, gefolgt von einem kurzen Rauschen. Dann war es still.

Mit einer Abfolge konzentriert gedachter Zauberwörter nahm die Hexenlady wieder ihre feste Form an und atmete durch. Nun wirkte der Wind wie eine kühlende Brise auf sie. Doch sie wollte nicht zu lange hier stehenbleiben. Zum einen wollte sie nicht gesehen werden. Zum zweiten hatte sie noch etwas vor. Zum dritten behagte es ihr nicht, wie sie Thalia gerade mit sich herumschleppte. So disapparierte sie und überließ das Haus sich selbst. Zwar hatte Thalia interessante Bücher in ihrer Bibliothek. Doch Darum würde sie sich morgen kümmern, wenn sie die ihr abtrünnigen Schwestern gezüchtigt oder getötet hatte.

In ihrem Obstgarten, nahe bei dem frisch eingepflanzten Erdbeerstrauch, apparierte Daianira und ging mit entschlossenen Schritten zu dem Baum hinüber, an dem vorher noch Hilda Greendale gefesselt worden war.

Es bedurfte Daianira viel Überwindung und Geschicklichkeit, bis sie die Erbse, die eigentlich Thalia war wieder zum Vorschein brachte. Mit leicht angewidertem Blick starrte sie auf die Erbse in ihrer Hand und hielt den Zauberstab darüber.

"Ratzeputz", fauchte sie verbittert und säuberte die Hülsenfrucht und ihre Hand so gründlich, daß sie dabei fast abgeschält wurde. Dann legte sie die Erbse vor den Baum.

"An und für sich könnte ich dich gleich hier einpflanzen, du miese Schlange. Aber ich will noch was von dir wissen. Dann werde ich wissen, was ich mit dir anfange", schnaubte sie. Dann verwandelte sie Thalia zurück. Durch die Verwandlung und Rückverwandlung klang der Schockzauber ab, mit dem sie sie vorhin überwältigt hatte. So kam es, daß Thalia aufsprang und mit Ekel und Verachtung auf Daianira blickte.

"Du Dreckstück. Du widerliches, schleimiges ..."

"Incarcerus!" Bellte Daianira. Feste Seile schossen aus dem Zauberstab und banden Thalia am Baum fest.

"Glaubst du, mir hätte es Vergnügen bereitet, dich so an deinen widerlichen Monstern vorbeizubringen? Du hast dir und mir ja keine andere Wahl gelassen, Schwester", blaffte Daianira und starrte Thalia mit dem Ausdruck größten Widerwillens an. "Deine leicht zu beeindruckende Nichte war auch schon mein Gast und hat mir einiges erzählt. Du wirst mir das erzählen, was du ihr nicht erzählt hast. Dann werde ich wissen, was ich mit dir anfangen kann."

Thalia spie Daianira ein höchst unanständiges Schimpfwort entgegen, worauf Daianira sie kurz mit dem Cruciatus-Fluch belegte.

"Ich verlange nicht von dir, daß du das zurücknimmst, Thalia. Das würde ja bedeuten, daß ich dir noch eine Chance einräumte, mir weiterhin als Mitglied der entschlossenen Schwestern treu zu dienen. Aber diese Chance hast du nicht verdient", fauchte Daianira und ging davon.

"Du wirst nicht lange zu lachen haben, du überhebliche Schlampe! Ich habe genug Freunde und Freundinnen ...!" Rief Thalia, bevor die Erkenntnis ihr die Stimme verschlug, daß sie hier war, um diese guten Freundinnen und Freunde preiszugeben, ob sie es wollte oder nicht.

Als Daianira mit dem Veritaserum zurückkehrte wußte Thalia, daß sie ausgespielt hatte. Ihre Ambitionen hatten ihr endgültig das Genick gebrochen. Doch ein Funken Genugtuung blieb ihr. Mabel Pole würde auch ihren Teil abbekommen.

Als die rechtmäßige Anführerin der Nachtfraktions-Schwestern Nordamerikas alles aus Thalia Clover herausgeholt hatte, was sie wissen wollte sagte sie scheinheilig grinsend:

"Du wolltest mein Leben bitter machen und bist jetzt selbst verbittert. Ich denke, das ist der rechte Anlaß, dir zu helfen, mir und anderen das Leben zukünftig zu versüßen. Maneto!"

Thalia Clover konnte sich nicht bewegen, als sie von ihrer Todfeindin entfesselt und an einen Platz neben einem stattlichen Kirschbaum transportiert wurde. einige Meter neben den am weitesten ausladenden Ästen des Baumes, der die letzten reifen Früchte bereits vor zwei Wochen an Daianira und etliche hungrige Vögel abgegeben hatte, ließ sie Thalia niedersinken. Dann gab sie ihr für genau zwei Sekunden ihre Bewegungsfähigkeit zurück, bevor Thalia anwuchs, dabei jedoch wieder erstarrte und zu einem weiteren Kirschbaum wurde, der dem, neben dem sie stand beinahe glich.

"Es wird Cordelius freuen, das seine Cousine nun wieder bei ihm ist, wo sie ihn nicht zum Mann haben wollte", bemerkte Daianira mit spöttischem Unterton. Dann suchte sie das kleine Gartenhäuschen auf, das im Zentrum ihres weitläufigen, unortbaren Gartens stand, welcher größtenteils aus besiegten Erzfeinden und -feindinnen bestand.

"Soll ich sie auch hier einpflanzen und ihrem lächerlichen Dasein eine bessere Wendung geben?" Fragte sich Daianira. "Sie hat es gewagt, meine Schwestern abspenstig zu machen. Das lasse ich nicht ungestraft."

_________

Jessica Petersen erwachte mit leichten Kopfschmerzen auf der Trage eines Krankenwagens, der mit lautem Sirenengeheul durch die Stadt jagte. Neben ihr saßen ein Arzt und ein Kollege vom FBI, Sonderagent Giles.

"Ui, was ist passiert?" Fragte sie. Giles lächelte. Die Wo-bin-ich-Frage war also nicht immer die erste Frage eines aus der Ohnmacht erwachenden.

"Irgendwer, eine Doppelgängerin oder so, hat deine Zugangskarte für den Personaltrakt im St.-Michel-Krankenhaus benutzt, sich aber dann nicht bei den wachhabenden Stadtpolizisten gemeldet. Die Videoüberwachung zeigte, daß jemand der wie du aussah hereinkam und zum Trakt mit dem Umkleideraum und dem Schwesternzimmer fuhr. Die Schwesterntracht fehlte in deinem Spind. Aber die Doppelgängerin ist spurlos verschwunden", sagte Giles.

"Eine Doppelgängerin? Ich weiß nur, das ich gerade loswollte", erwiderte Jessica und suchte nach ihrer Armbanduhr, um die Zeit abzulesen.

"Die hat dir wohl alles abgenommen, was sie als dich ausweisen kann, von der Kleidung bis zur Uhr", sagte Giles und hielt ihr seine Uhr hin. Sie zeigte gerade 01:02:55 an.

"drei Stunden. Ich wollte um elf uhr im Krankenhaus sein", erschrak Jessica.

"Als wir deine Wohnung aufgesucht haben stank es da süßlich, und einigen wurde ziemlich schwindelig", antwortete Giles. "Ich persönlich bin dann mit angehaltenem Atem rein, habe alle Fenster und Türen weit aufgerissen und dann zehn Minuten vor der Tür gewartet. Irgendwer hat dich mit einem Gas betäubt. Wir haben Glasscherben an einer Wand gefunden. Die Jungs von der Forensischen Untersuchung haben das und ein paar Blutproben von dir schon im Labor, sowie die abgelegten Kleidungsstücke. Wir werden bald wissen, wem das vielleicht gehört."

"Ohne DNA-Vergleich kriegt ihr das nicht raus", seufzte Jessica. "Oder wieviele Frauen wollt ihr untersuchen?"

"Wir haben nur deine Oberbekleidung im Spind gefunden. Auch von der werden gerade DNA-Proben genommen. Wer immer das war ist in voller Schwesterntracht verschwunden", sagte Giles.

"Dann ist sie wohl noch im Gebäude", vermutete Jessica. "Ihr müßt diese Mrs. Andrews da rausholen."

"Du meinst, sie könnte das Ziel dieser Person sein?" Fragte Giles.

"Ja, ich meine das", erwiderte Jessica.

"Wir haben die Patientin schon auf ein anderes Zimmer verlegt, als klar war, daß diese Frau nicht du sein konnte. Verdammte Bande. Die haben wirklich gute Leute."

"Du meinst diesen Laroche?" Fragte Jessica.

"Wen sonst?" Fragte Giles.

Als sie beim Krankenhaus ankamen, wurde Jessica sofort in ein Behandlungszimmer gebracht. Dort warteten zwei Ärzte und eine Krankenschwester. Doch als sie unbeobachtet waren, zogen sie merkwürdige Stäbe aus ihren Kitteln, und das war das merkwürdigste, was Jessica je gesehen hatte. Dann überkam sie ein Gefühl von Benommenheit. Sie und Giles blickten weltentrückt drein, als schwelgten sie gerade in sehr angenehmen Erinnerungen. Als die beiden Ärzte und die Krankenschwester ihre Holzstäbe wieder fortpackten, standen sie auf und verschwanden mit einem leisen Plopp. Als Giles und Petersen wieder klar denken konnten betrat ein anderer Arzt, Doktor Navaro, den Behandlungsraum.

"Oh, gut, das man Sie noch rechtzeitig gefunden hat. Als ich erfuhr, daß es bei Ihnen ein Gasleck gab fürchtete ich schon, sie seien erstickt oder gar verbrannt."

"Ja, war schon sehr heftig", sagte Jessica Petersen. "Wußte gar nicht, daß ich Gas in der Wohnung hatte. Muß wohl die Heizung gewesen sein. Die brauche ich ja im Moment nicht."

"So habe ich es auch gehört. Ein Leck in der Heizungsleitung. Sie hätten nicht so laut Musik hören dürfen, dann hätten Sie's wohl zischen hören können."

"Ich habe es gerochen und weg war ich schon", sagte Jessica.

Etliche Kilometer weiter fort vom Krankenhaus erschienen die beiden angeblichen Ärzte und die Krankenschwester, zwei Vergissmichs aus dem Ministerium für Zauberei und eine Heilerin.

"Wir hätten diese Frau gleich zu uns holen sollen", sagte Tilia Verdant, die sich in der weißen Schwesterntracht ganz wohl fühlte.

"Sie kennen doch das Gesetz, Tilia. Muggel die durch Muggelsachen zu Schaden kommen dürfen nur von Muggelheil.., ähm, sogenannten Heilkundigen der Muggelwelt behandelt werden", sagte einer der Vergissmichs. "Aber Sie haben schon recht, daß wir nach dem Trubel von Lino magische Wachposten hätten einrichten müssen, die nur dann zaubern, wenn Magie gegen Martha Andrews angewendet wird. Nun, das Zimmer der Patientin wurde gerade von unseren Leuten mit einem provisorischen Feindeswehr-Zauber belegt. Morgen soll sie entlassen werden."

"Erstaunlich, daß diese Tinkturentrickser und Knochensäbler die Patientin so rasch wieder hinbekommen haben und ihr kein bleibender Schaden verblieben ist", bemerkte die Heilerin.

"Wo ist eigentlich Jane Porter? Ich denke, sie sollte das wissen", meinte der zweite Vergissmich.

"Sie holt den Jungen ab, Julius Andrews. Morgen kommt sie mit ihm her. Minister Davenport hat das genehmigt. Er will diesen Vorfall endlich aus der Welt haben."

"Was machen eigentlich die Kleidungsstücke, die bei der überfallenen Bundespolizistin gefunden wurden?"

"Habe ich schon einsammeln lassen", teilte der erste Vergissmich ruhig mit. "Alle genommenen Körperproben von Jessica Petersen, sowie die Kleidung und die Glassplitter sind von unseren Leuten eingesammelt worden. Keiner weiß noch etwas von dieser Doppelgängerin. Die Bildaufzeichnungen wurden ebenfalls überarbeitet. Ebenso die Registriermaschinen, die Kommen und Gehen von Personal festhalten. Diese verdammten Muggel werden immer schwieriger zu kontrollieren. Irgendwann übersehen wir doch mal was", knurrte er noch.

"Warum hat diese Doppelgängerin nichts angestellt?" Fragte Tilia. "Als Sie mich hinzuzogen fürchtete ich schon, Mrs. Andrews müsse doch noch zu uns."

"Ich vermute, sie wurde gestört. Von wem, wissen wir nicht. Jedenfalls hat diese Störung uns ja erst drauf gebracht, daß was im Busch ist. Allerdings hat der jemand, der die Doppelgängerin abgehalten hat einen wirksamen Tarnzauber benutzt, um seine folgenden Zaubereien zu verschleiern. Trotzdem konnten wir schwache Magieauslenkungen erkennen. Swift will haben, daß keiner der nicht unmittelbar an der Sache dran war etwas erfährt. Martha Andrews ist nichts passiert, und so soll es auch bleiben."

"Gut", sagte Tilia Verdant.

__________

Pandora Straton und ihre Tochter saßen auf einer der hintersten Holzbänke, die in der Versammlungshöhle aufgestellt worden waren. Lady Daianira hatte sie mit dem Ruf der Zusammenkunft herbeizitiert. Hoffentlich blühte ihnen beiden nicht doch noch arges, Wahrheitszwangunterdrückung hin oder her.

"Schwestern, ich weiß, es ist noch nicht all zu lange her, daß wir uns hier zusammengefunden haben, aber ich sah mich gezwungen, die Vollversammlung noch einmal einzuberufen, weil etwas betrübliches passiert ist", begann Lady Daianira vor den himmelblau leuchtenden Wänden zu ihren Gefolgshexen zu sprechen. "Wie euch sicher aufgefallen ist haben die enthusiastische Thalia Clover und ihre Nichte Hilda Greendale dem Ruf hierher keine Folge geleistet. Nun, es wäre auch heuchelei gewesen, wenn sie es gewagt hätten, hier noch einmal aufzutauchen, nachdem, was ich gestern herauszufinden gezwungen war."

Alle Anwesenden blickten sich ängstlich an und starrten dann auf Lady Daianira, die sehr ungehalten aber auch sehr überlegen zurückblickte und eine nach der anderen ins Auge faßte. Pandora und Patricia stimmten sich rasch auf einen möglichen Legilimentik-Angriff ein. Doch bevor Daianira sie anblickte sagte sie sehr ernst:

"Ich weiß, daß unter euch vierzig sind, die es lieber gesehen hätten, wenn statt meiner Thalia Clover auf diesem Stuhl säße", wobei sie ihren hochlehnigen Stuhl tätschelte. "Vierzig Mitschwestern wagten es, in aller Heimlichkeit an Thalias Rockzipfel zu hängen, ihr Rückendeckung zu geben, ja darauf hinzuarbeiten, mich, eure getreu unserer Gesetze rechtmäßige Sprecherin zu beseitigen. Habt ihr vierzig Verräterinnen denn wirklich geglaubt, ich ließe euch sowas durchgehen? So sprich, Dorata Powell! Erzähl uns, was dich dazu gebracht hat, Thalia Clover mehr zu achten als mich!"

"Stirb, Unwürdige!" Rief eine Hexe in bunter Kleidung und zielte mit dem Zauberstab auf Daianira. Weitere Hexen richteten ihre Zauberstäbe auf die Anführerin. Ein mehrstimmiges "Avada Kedavra" erscholl in der Höhle. Doch Daianira verschwand bereits bevor der erste der Dutzend Todesflüche sie treffen konnte mit ihrem Stuhl im Nichts. Die grünen Blitze prallten gegen die erleuchteten Wände. Da schossen aus diesen fingerbreite weißgelbe Flammenspeere heraus genau auf die zu, die die Todesflüche gewirkt hatten und bohrten sich in deren Körper. Unter entsetzlichen Schmerzensschreien verbrannten die Getroffenen von innen heraus zu Asche. Eine Hexe, die wohl noch den Todesfluch wirken wollte, ließ ihren Zauberstab sinken. Da erschien Daianira wieder mitten unter ihnen. Sie lachte überlegen und sagte:

"Glaubt ihr, unsere Ururgroßmütter, die diese Höhle für die Entschlossenen bereitet haben hätten nicht damit gerechnet, daß eine mal die rechtmäßige Anführerin zu töten versucht, ohne sie gemäß der Regeln zum offenen Zweikampf zu fordern? Jeder tödliche Angriff auf mich wird umgehend den Tod der Angreiferin nach sich ziehen, ohne daß ich dazu was tun muß. - Schön, Dorata, daß du dich nicht auf Selbstmord eingelassen hast. Dann erzähl mir jetzt, was dich persönlich dazu getrieben hat, Thalia Clover nachzulaufen!"

"Was hast du mit Thalia gemacht?" Wollte eine ältere Hexe wissen, die wohl gerne auch die Lady dieser Schwesternschaft geworden wäre.

"Ich habe ihr aus familiärer Freundschaft eine bessere Betätigung zugewisen, Schwester Godiva. Aber dich betrifft es nicht. Dein Name fiel nicht in diesem Zusammenhang. Also beruhige dich bitte wieder!"

"Nun, Mylady ... habt bitte Gnade mit mir. Ich habe mich mit Thalia Clover zusammengetan ...", begann Dorata Powell, eine rundliche Hexe mit schwarzen Locken, der Versammlung zu berichten, weshalb sie meinte, daß Thalia besser geeignet sei. Als sie fertig war fragte Daianira die noch übriggebliebenen von den vierzig Verräterinnen. Als sie dann alle Geschichten gehört hatte, die im wesentlichen aussagten, daß man Thalia wegen ihrer profunden Kenntnisse alter Magien als bessere Anführerin gesehen hätte, insbesondere seitdem klar war, daß eine Tochter des Abgrunds in den Staaten auf Beute ausging, klatschte Daianira in ihre Hände und sprach:

"Nun, da ihr euch immerhin noch hergetraut habt, obwohl ihr ja davon ausgehen mußtet, daß ich rausbekommen habe, was Thalia getrieben hat, gewähre ich euch eine zweite Chance, euch als würdig zu beweisen und nicht durch euer Blut aus unseren reihen zu scheiden. Eure große Anführerin ist nicht mehr da und wird auch fortbleiben. Nein, sie ist nicht tot. Aber sie wird nie wieder gegen mich oder meine legitime Nachfolgerin aufbegehren können. Ich habe also einen Auftrag für euch. Findet heraus, wo diese neue Schwesternschaft ihr Hauptquartier hat und wer dazugehört. Von uns ist es ja keine und sollte es auch keine werden. Tut so, als seid ihr mit Schimpf und Schande aus dieser Schwesternschaft ausgestoßen worden und wolltet euch an mir rächen. Ich will von euch jeden Tag einen Bericht haben, wie weit ihr damit gekommen seid. Berichtet mir auch nur eine von euch falsch, werde ich sie hier zum endgültigen Austritt zwingen wie es unsere Vorgängerinnen schon befunden haben, angefangen bei der großen Sardonia und ihrer in England wirkenden Nichte Anthelia."

Die überführten und mit einer Bewährung davongekommenen Hexen atmeten erleichtert auf. Das gleich sechsundzwanzig von ihnen gestorben waren und daß sie das schreckliche Geheimnis, das sie in sich trugen hatten preisgeben müssen hatte ihren Widerstand verfliegen lassen. Lady Daianira konnte es sich daher leisten, gnädig zu sein, wußte hier doch nun jede, daß sie auch gnadenlos sein konnte, wenn sie es für richtig hielt. Die Schwesternschaft beendete ihre Vollversammlung.

"Mutter und Schwester, ich bin gespannt, wie die höchste Schwester das hinnehmen wird", mentiloquierte Patricia Straton ihrer Mutter, als sie weit fort von der Versammlungshöhle in einem unortbaren Kellerraum apparierten.

"Ich denke, sie wird es amüsieren", mentiloquierte Pandora Straton ihrer Tochter.

Sie hatte recht. Denn als Anthelia erfuhr, was während der unplanmäßigen Vollversammlung geschehen war mußte sie lachen. Als sie dann noch hörte, daß Daianira sich auf ihre Tante und sie berufen hatte, war sie für eine volle Minute nicht mehr zu beruhigen. Dann, als sie endlich wieder Luft holen konnte, meinte sie vom Lachanfall sichtlich erschöpft:

"Es ist zu köstlich, wie wertvoll die Werke meiner Tante doch noch sind. Wüßte diese Daianira, wer die ihr mißfallende neue Sororität begründet hat würde sie wohl an ihrem Verstand zweifeln. Gut, Schwestern! Sehr schön! Ich erwarte also die ersten, die es schaffen, zu mir vorzudringen. Wenn stimmt, was ihr mir mitgeteilt habt, handelt es sich um gut ausgebildete Hexen, die würdig sind, bei uns dabeizusein, so wie ihr würdig genug seid, dabeizusein. Vielen Dank für diese sehr bereichernde Auskunft!"

"Dürfen wir gehen, höchste Schwester. Nicht das auffällt, daß wir so lange fortbleiben", sagte Pandora.

"Du magst gehen, Schwester Pandora. Aber Schwester Patricia bitte ich, noch etwas bei mir zu verweilen. Denn nach meiner Kunde gebeut keine Pflicht ihre sofortige Rückkehr in die Öffentlichkeit."

"Sehr Wohl, höchste Schwester", sagte Pandora ergeben und disapparierte.

Eine Minute verging, ohne daß Anthelia und Patricia irgendeine Form von Mitteilung machten. Dann sagte Anthelia:

"Ich benötige deine Mithilfe, da du die einzige außer mir bist, die Gedanken ohne große Anstrengungen vernehmen kann und ich jemanden brauche, die Jung und bewandert zu gleich ist, um etwas ins Werk zu setzen, das mir und euch einen großen Schritt auf unserem Weg voranhelfen soll."

"Wie und wobei kann ich dir helfen, höchste Schwester?" Fragte Patricia mit einer Mischung aus Unbehagen und Interesse.

"Es gilt, ein wertvolles Artefakt aus einer sehr weit zurückliegenden Epoche zu finden und zu bergen", sagte Anthelia bedächtig. Patricia hörte keinen ihrer Gedanken nachschwingen. Sie hielt ihren Geist wohl verschlossen. Das war eine gute Idee, fand die Tochter Pandora Stratons.

"Diesen sagenumwobenen Stein, höchste Schwester?"

"Eben diesen", bestätigte Anthelia sehr inbrünstig. "Ich weiß nun, wo er liegt. Aber ich muß dazu in die Tiefen des Meeres eintauchen und gleichzeitig gegen den Geist verwirrende Zauber und Seeungeheuer ankämpfen, und dann, wenn ich am Verwahrungsorte eintreffe, gilt es, den Wächter des Steines da selbst im magischen Ringen zu unterwerfen. Letzteres werde ich in Angriff nehmen. Du möchtest lediglich auf dem halben Wege mit mir in die Tiefen des Weltmeeres tauchen und vielleicht die körperlichen Bewacher der Grotte bekämpfen, mit mir zusammen. Ich benötige jemanden, die ausdauernd, flink und kraftvoll ist und bei einem magischen Parcours schöpferischen Geist und schnelle Gegenzauber wirken kann. Deine Mutter ist für wahr so mächtig und erfüllt auch diese Anforderungen. Allerdings hat sie in den nächsten Tagen genug zu tun, was die Augen der Öffentlichkeit auf sie gerichtet hält. Du hingegen, so jung du auch noch bist, bringst genug Wissen und Talent für diese höchstgefährliche Aufgabe mit."

Patricia schluckte. Wollte diese Hexe, die höchste Schwester, sie wirklich auf solch ein Himmelfahrtskommando mitnehmen?

"Du sagst, ich sei noch jung. Mag es da nicht besser sein, jemanden mit größerer Erfahrung zu nehmen. Halte mich bitte nicht für eine Feige Seele!"

"Nun, ich erkenne mehr Mut in dieser Frage von dir als die Annahme der Aufgabe selbst verlangt, Schwester Patricia", sprach Anthelia ruhig. "Meine Entscheidung zu hinterfragen würde nicht jede wagen. Ich halte Zurückhaltung und Vorsicht nicht für Feigheit. Du warst mit mir und den anderen, als es wider Hallitti ging und brauchst mir daher nicht immer fort zu beweisen, welcher Mut in dir steckt. Doch ich muß, will ich den Erfolg dieser Aufgabe erringen, auf deine Wegbegleitung bestehen. Es sei denn, du kannst mir jemanden benennen, der sowohl wider die schädlichen Wirkungen und gegen magische Barrieren ankämpfen kann, am besten innerhalb einer Sekunde."

Patricia dachte nach, welche von den erreichbaren Schwestern sie an ihrer Stelle benennen konnte. Außerdem: Wenn die dann nicht mitmachen konnte oder wollte, fiel dieser Auftrag eh wieder an sie. Andererseits fühlte sie sich beunruhigt, daß sie wieder einmal für Anthelias Sache den Kopf hinhalten sollte, war aber auch stolz, daß die wiedergekehrte Nichte Sardonias ihr so viel zutraute. Wer wußte schon, welche alten und längst in Vergessenheit geratenen Zauber den Stein umgaben und schützten? Nach etwa einer halben Minute Bedenkzeit atmete sie tief durch und sagte entschlossen:

"Wenn du mir zeigst, was ich für dich tun kann, werde ich dir dabei helfen, zumindest in die Nähe dieses Steins zu kommen, höchste Schwester."

"Ja, genau da beginnt bereits die Gefahr, wenn auch keine tödliche", entgegnete Anthelia. "Denn wir müssen etwas wagen, was Zauberkundige im Besitz ihres klaren Verstandes verweigern würden. Doch um in die tieferen Regionen des Meeres vorzudringen müssen wir uns Eigenschaften aneignen, die unsere eigene Zauberfertigkeit bewahren, uns jedoch für einen längeren Zeitraum den Widrigkeiten der Tiefe entgegenstemmen können. Du kennst sicher die zwei weitverbreitetsten Methoden, unter Wasser zu überleben, ja dort selbst wie ein ursprüngliches Wasserwesen selbst zu atmen und voranzukommen, ohne dich dabei in einen Fisch oder eine Seeschlange verwandeln zu müssen", forschte Anthelia nach. Patricia nickte bekräftigend und zählte auf:

"Der Kopfblasenzauber ist sehr praktisch und hält solange vor, bis man ihn auflöst. Dann ist da noch Dianthuskraut, das jedoch die Tücken hat, dosiert werden zu müssen und man die Zeit bis zum Ziel verdoppelt rechnen muß, um die Zeit am Ziel selbst klar ausrechnen zu können. Außerdem kann man mit beiden Methoden nicht besonders tief tauchen. Mit Dianthuskraut kann man zwar dem Wasserdruck standhalten, aber die Wirkungsdauer macht es sehr schwer, längere Strecken oder größere Tiefen zu tauchen. Welche Möglichkeit hast du noch gefunden, höchste Schwester?"

"Wie gesagt müssen wir uns die Eigenschaften eines Wasserbewohners aneignen, ohne gänzlich dessen Natur anzunehmen. Wir benötigen geriebene Hüftschuppen eines Wassermenschen, in unserem Fall eines weiblichen und einen großen Schluck von ihrem Blut. Damit können wir einen Trank anrühren, der uns vorübergehend in solche Wesen verwandelt, allerdings mit den entscheidenden Vorteilen, daß wir unsere Zauberkräfte immer noch ausrichten und anwenden können, etwas was den natürlichen Wassermenschen abgeht und sie lediglich beruhigende Wirkung auf alle kaltblütigen Bewohner des Meeres ausüben."

"Meermenschen?" Hakte Patricia etwas irritiert nach.

"Eben diese, Nixen und Tritonen", bestätigte Anthelia.

"Hmm, und was ist daran gefährlich?" Fragte Patricia.

"Der Umstand, daß diese Verwandlung vorhält, solange man mit einem winzigen Körperteil mit Wasser in Berührung bleibt. Der Zauber hält einen halben Tag eine Balance zwischen unserer Landnatur und der eines Wasserbewohners. Ist dieser halbe Tag verstrichen, vollendet sich die Wandlung, und jeder, der sich ihr unterworfen hat verbleibt für den Rest eines natürlichen Wassermenschenlebens in dieser Form und kann nie wieder gerichtete Zauberkräfte ausüben. Auch wird ihm oder ihr ein Überleben an der Luft vereitelt, und er oder sie muß sich darauf einrichten, fortan in den Tiefen eines Gewässers zu leben. Ja, und wer vor Ablauf der Frist das nasse Element verläßt und sich ihm entzieht, muß solange jede Berührung mit Wasser meiden, bis die Wirkungsdauer verstrichen ist und die menschliche Natur allein Körper und Zauberkräfte bestimmt. Nun, fühlst du dich einer solchen gefahrvollen aufgabe gewachsen?"

"Wäre mal was interessantes, tief ins Meer runterzutauchen", sagte Patricia und nickte Anthelia zu.

"So werden wir uns morgen in den Gewässern vor Griechenland eine Nixe erwählen, die uns mit dem versorgt, was wir brauchen. Am besten gehen wir auf zwei dieser weiblichen Wassermenschen aus, um eines alleine nicht zu arg zu schröpfen."

"Warum ausgerechnet vor Griechenland?" Fragte Patricia. "So viel ich weiß gibt es eine Kolonie von Wasserleuten vor der Küste Ecuadors."

"Die unter ständiger Beobachtung der Vereinigung südamerikanischer Zauberwesenkundler steht. Greifen wir dort ein, wird unser Tun bald ruchbar", erklärte Anthelia. "Vor Griechenland gab es zu meiner ersten Lebzeit und zu der Sarah Redwoods weit verstreute Ansiedlungen mit bis zu zwanzigtausend Bewohnern. Ich weiß, wie man diese Wesen dazu bringt, aus dem Wasser aufzutauchen."

"Was ist mit den Schwestern in England. Seitdem du dich dort gegen die Todesser gewandt hast, die unsere künftigen Mitschwestern da tyrannisieren, ist dieser Emporkömmling vorsichtiger geworden und wird wohl erst zuschlagen, wenn er sich seiner Sache sicher ist."

"Er weiß nichts von mir oder von einer neuen Schwesternschaft. Die vier Todesser, die ich bestrafen mußte griffen meine Verbindungsstelle in London an. Ich konnte ihnen das nicht durchgehen lassen. Der Waisenknabe selbst scheint zur Zeit seinen aberwitzigen Geschäften nachzukommen. Er ist nicht auf seiner Insel. Dabei habe ich ihm geraten, sie nicht zu verlassen. Ich fürchte, er wirbt weitere Bundesgenossen, und ich weiß nicht, wen er da aufsuchen mag. Ich denke, auch ich werde eine Vollversammlung der Schwestern einberufen. Allerdings möchte ich davor den Stein der großen Erdmutter erringen."

"Um uns alle besser zu kontrollieren", dachte Patricia und paßte höllisch auf, diese Gedanken nicht an der Oberfläche ihres Geistes griffbereit herumtreiben zu lassen. Ihr war nicht so ganz geheuer bei der Sache. Wenn Anthelia den Stein wirklich finden und an sich nehmen konnte, würde sie dadurch mächtiger als je zuvor. Ja, und sie war bereits übermächtig. Wahrscheinlich wollte sie mit dem Stein die neue Zerstörungswut dieses Voldemort stoppen und den selbsternannten dunklen Lord vernichten. Doch dann? Sie würde nicht nur unbesiegbar, sondern dann auch unerreichbar werden. Andererseits bestand die Gefahr, daß Voldemort, den sie hier nur als Emporkömmling bezeichneten, diesen Stein an sich brachte. Dann würde er nicht nur übermächtig, sondern ganz grausam werden. Ein Gedanke von ihm würde schon ausreichen, eine ganze Ansiedlung dem Erdboden gleichzumachen. Dann wollte Patricia lieber haben, daß Anthelia dieses mächtige Artefakt bekam.

"Wann brechen wir auf?" Fragte Patricia Straton.

"Am fünfzehnten August um sieben dieser Zeitrechnung hier holen wir uns die benötigten Schuppen und Blutmengen. Dann werden wir noch sieben Stunden benötigen, um den Wandeltrank zu brauen, dessen Vorstufen ich bereits seit zwei Tagen zubereite", erwiderte Anthelia. Patricia Straton nickte zustimmend.

__________

Mabel Pole saß in dem riesigen Salon, der schon einem Tanzsaal gleichkam und starrte verbittert in die gelben Kerzenflammen des protzigen Massivgoldleuchters im Elfenbeinsockel, den ihr Großvater ihr zur Hochzeit mit Jasper geschenkt hatte. Jasper! Der saß oder besser lag nun in Doomcastle, weil er versucht hatte, seinen Fehler zu beheben. Nun war sie allein. Aber dieser Junge, Julius Andrews, würde bald erfahren, was es hieß, in das Leben anderer Hexen und Zauberer hineinzufuhrwerken. Zwar hatte sie noch nichts von Thalia Clover oder einer ihr treuen Anhängerin dieser Nachtfraktionsschwestern gehört, aber sie ging davon aus, daß sie bald was hören würde.

Es klingelte leise direkt in ihrem Kopf. Das war der nur für sie und Jasper hörbare Hausfriedenszauber, der anzeigte, daß jemand die Grundstücksgrenze überquert hatte. Das leise Bimmeln das direkt in ihren Ohren zu entstehen schien wurde schneller und lauter. Mabel sprang auf und griff nach ihrem Zauberstab. Wer immer es war, sollte sie nicht überraschen.

"Ein schön überfrachtetes Nest hast du dir bauen lassen, Mabel", kam eine spöttische Stimme wie aus dem Nichts anschwebend von der Decke her, wo ein versilbertes Belüftungsgitter einen geregelten Frischlufteinlaß bot. Weißer Dunst quoll durch das Gitter herunter, fühgte sich zu einem dichten Nebelstreifen zusammen. Mabel riss den Zauberstab hoch, um einen Kondensationszauber zu wirken. Doch die Nebelwolke wich so rasch zur Seite aus, das der blaue Blitz aus Mabels Stab laut gegen das Lüftungsgitter prallte. Im gleichen Moment verdichtete sich der Nebel zu einer Gestalt, die etwas größer und schlanker als Mabel Pole war und zu einer Frau im dunkelblauen Kleid mit haselnußfarbenem Haar wurde.

"Stupor!" Rief Mabel Pole, die ahnte, was das bedeuten sollte. Die aus dem Nebel entstandene Frau hielt ihren eigenen Zauberstab hoch und erwartete seelenruhig den Schocker, der laut krachend an einem unsichtbaren Schild abprallte und knapp an Mabel Poles linkem Ohr vorbei in den Kristallschrank einschlug, der mit ohrenbetäubendem Klirren in Scherben zersprang.

"Nicht doch, Mabel. Wie begrüßt man denn eine Dame?" Kommentierte die unerwartete und höchst ungebetene Besucherin. Der Hausfriedenszauber läutete nun leise aber schrill wie ein alter Wecker in Mabels Kopf. Sie dachte konzentriert: "Finite", und das nur von ihr zu hörende Geklingel verstummte.

"Petrificus totalus!" Rief sie. Doch auch dieser Zauber prallte an einem unsichtbaren Schild ab. Die Fremde lachte erheitert. Dann fixierte sie Mabel mit ihren grauen Augen und bohrte ihren Blick in ihren Kopf hinein, als könne sie so durch sie hindurchsehen. Mabel sah wie in einem Lichtblitz das Treffen mit Thalia Clover vor sich und hörte sich wie ein fernes Echo sagen, daß sie jeder Schwester der Nachtfraktion Geld geben würde und Thalia selbst an die Macht bringen wollte.

"Abgesehen davon, daß du Versprechen gibst, die du nicht halten konntest, Mabel, war es schon sehr dreist von dir, meine Mitschwestern derartig zu ködern. Hast du dir echt eingebildet, ich bekäme das nicht raus?"

"Zur Hölle, Daianira Hemlock. Du warst schon immer eine selbstherrliche Pute", spie Mabel ihr entgegen und hob den Zauberstab.

"Was denn noch, Mabel Pole geborene Thornhill?" Fragte Daianira herausfordernd. Mabel deutete auf ihre Linke Hand, wo sie einen Platinring mit einem Symbol trug, dem Symbol eines zuschnappenden Mauls um ein entfernt menschenförmiges Gebilde mit vier angedeuteten Gliedmaßen. "Devorato inimicum!" Rief sie. Schlagartig strömte schwarzer Dunst aus dem Ring wie aus einem unter Überdruck stehenden Dampfkessel.

"Nicht noch so eine", knurrte die Lady, wich rasch drei Schritte zurück und rief: "Antiscotergia!" Mit einem grellen Blitz aus blauen Funken fegte sie den aufquellenden Nebel fort. Für Mabel war es, als treffe ein eiskalter Hammer die linke Hand. Der Ring fiel in fünf Teile auseinander und fiel zu Boden, während die Eiseskälte Mabel erstarren ließ.

"Das jeder der diesen Zauber aufruft nie lernt, daß gegen die meisten Runenzauber auch direkte Gegenformeln existieren, wie die Aura der Unangreifbarkeit, die großflächige Flüche um einen herumlenkt. Aber dein Feindfresserqualm war noch zu langsam, um nicht von meinem Dunkelkraftzerstreuer aufgehoben zu werden."

"Du bist nicht hier um mir Unterricht in Kampfzaubern zu erteilen", schrillte Mabel Pole, die sich nun ziemlich ausgeliefert fühlte. Dann rief sie nach den Hauselfen. Diese apparierten mit lautem Knall und griffen die Unbefugte sofort an.

"Ihr niederen Sklaven, laßt das sein!" Fluchte Daianira, als zwei koordinierte Bewegungszauber sie hochrissen und herumwirbelten. Mabel visierte die Feindin mit dem zauberstab an, um ihr den Rest zu geben. "Avada Kedavra!" Rief sie. Es sirrte wie ein Schwarm wilder Stechmücken, und aus dem Zauberstab schlug ein grün flackerndes Leuchten nach Daianira. Doch ihr geschah nichts.

"Jetzt reicht es mir!" Brüllte sie. "Mich mit einem Inkonsequenten Todesfluch zu kitzeln ist eine Beleidigung! Sensofugato!" Rief die Lady. Ein gleißender Blitz und ein lauter Knall betäubten die Sinne von Hausherrin und -dienern. Daianira kam aus der telekinetischen Gewalt der Hauselfen frei und landete keuchend auf ihren Füßen. Dann richtete sie den Stab auf den ihr nächsten Hauselfen, der zwischen Bewußtsein und Bewußtlosigkeit festhing. "Avada Kedavra!" Rief sie. Unter einem lauten Brausen und gleißend grünem Blitzschlag fiel der Elf um wie von einem unsichtbaren Faustschlag am Kopf getroffen. Dasselbe widerfuhr dem zweiten Hauselfen. Mabel, von den laut sirrenden Todesflüchen aus der Sinnesbetäubung erwacht starrte auf den nun ihr drohend entgegengerichteten Zauberstab. Sie griff ihren Zauberstab und rief:

"Expelliarmus!" Ein scharlachroter Blitz entfuhr dem Zauberstab, raste auf Daianira zu und prallte kurz vor ihrem Zauberstab zurück. Laut pfeifend schlug der Rückpraller Mabel Poles Zauberstab aus der Hand, der klappernd auf dem Parkettboden landete und noch zwei Meter davonschlitterte.

"Netter Versuch, aber da du beim zaubern wohl immer reden mußt gut abzuwehren, wie du siehst", bemerkte Daianira mit überlegenem Lächeln. "Oh, du hast jetzt sicher Angst, du würdest jetzt auch von mir getötet wie deine beiden Hauselfen." Sie sah sie mit herablassender Miene an. "Nein, das wäre nicht das richtige für dich", fügte sie hinzu, und Mabel verstand es als tödliche Drohung. Sie sprang auf und wollte nach ihrem Zauberstab greifen. Doch eine unbändige Kraft packte sie im Genick, riß sie zurück und warf sie in ihren Bequemen Sessel mit schwarzem Drachenhautüberzug.

"Ich werde dir nun die allerletzte Lektion erteilen, die du verwöhntes Frauenzimmer zu lernen hast, nämlich die, daß meine Schwestern und ich uns nicht zu tumben Werkzeugen gekränkter Eitelkeiten machen lassen. Maneto!" Rief Daianira. Dann konzentrierte sie sich und hielt den Zauberstab in einer Weise auf Mabel gerichtet, die eher einem Dirigenten eines großen Orchesters entsprach und ließ ihn aus dem Handgelenk immer gegen den Uhrzeigersinn kreisen, während sie in einer geisterhaft düsteren Betonung sprach:

"Initio Incantatem! Mabel Pole ab nunc das Gold, dem du ja schon immer hold, soll in deinem Körper werden, wie gewachsen in der Erden, soll ihn ganz zu eigen sein, dich erfüll'n mit Schmerz und Pein. Erst wenn ganz zu Gold du wirst dann sollst du sterben, zur großen Freude deiner Erben. Befreit davon sei erst dein Geist, wenn man den Leib in Stücke reißt. Solange dieser Leuchter bleibt bestehen, wird dieser Fluch nicht von dir gehen. Malam vitam teneto!" Bei den letzten drei Worten ließ sie den Stab zunächst auf den massivgoldenen Kerzenleuchter pendeln und dann wie einen geführten Degen gegen Mabel Pole vorstoßen.

Es war für Mabel, als schlüge ein zentnerschweres Beil von Vorne in ihren Körper und durchtrenne ihn, worauf er sich mit einem heftigen Schmerz wieder zusammensetzte. In ihrem Kopf erscholl ein vielstimmiges Dröhnen, das erst lauter wurde und dann leiser und immer leiser werdend verklang. Mabel konnte zunächst keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie in Trance sah sie zu, wie Daianira den massivgoldenen Kerzenleuchter ergriff und ihn schwerfällig vom Boden hob und unter ihren linken Arm klemmte. Dabei lächelte sie unerhört überlegen.

"Das schöne an diesem Fluch ist, daß der, den er trifft nicht verraten kann, wer ihn gewirkt hat, ohne noch rascher von ihm betroffen zu werden. Leb wohl, vom Überfluß heimgesuchtes Weib!" Dann deutete sie mit dem Zauberstab auf sich und löste sich wieder in weißen Dunst auf, gerade als Mabel sie aus einem plötzlichen Wutanfall heraus anspringen wollte. Die gasförmige Hexenlady lachte noch gespenstisch, als sie durch das Lüftungsgitter wieder davonwehte.

Mabel Pole fühlte etwas bleischweres in ihren Füßen und Händen. Sie fühlte sich wie in einem Traum, als sie ihre rechte Hand betrachtete, deren Fingernägel einen goldenen Glanz bekamen ...

Eine halbe Stunde später wurde Mabel Pole in das Honestus-Paul-Krankenhaus in Viento del Sol eingelifert, wo es die besten Experten für Fluchschäden gab. Diese stellten zwar gleich fest, daß es sich hier um den Malavita-Fluch handeln müsse, der nicht sofort wirkte sondern sich wie eine tödlich verlaufende Krankheit verschlimmerte. Aber als Mabel ansetzte, zu verraten, wer ihr das angetan hatte, bekamen ihre Unterschenkel und Unterarme sofort einen metallischen Glanz, obwohl sie sich noch frei bewegen ließen.

"Wer immer ihr das zugefügt hat hat wohl gemeint, sie sei goldgierig und habe so zu siechen", sagte einer der Heiler, der gerade was in sein Notizbuch schrieb. Mabel Poles Verstand schien unter dem fortschreitenden Fluch ebenso zu leiden, was wohl daran lag, daß bereits im Blut winzigste Goldkörnchen nachgewiesen wurden.

"Zumindest muß die Person sehr mächtig sein, weil eine Transformation zu purem Gold sehr schwer zu vollziehen ist, selbst bei einer progressiven Malediktion", kommentierte sein Kollege.

"Ist sie vielleicht mit Leuten um diesen - Sie-wissen-schon-wen ...?"

"Psst, nicht so laut!" Zischte der zweite Heiler erschrocken. "Auch weiß ich es nicht. Könnte auch mit der unerfreulichen Sache zu tun haben, über die ihr Mann gestolpert ist. Kann sein, daß sie was angestellt hat, was ihr nicht bekommen ist. Mal sehen, ob sie nicht doch eine Aussage machen kann."

Doch Mabel Pole konnte nicht verraten, wer sie so zugerichtet hatte. Immer wenn sie den Namen aussprechen wollte, verwandelte sich ein größerer Teil ihres Körpers in reines Gold. Daß sie dennoch weiterlebte war selbst für magische Verhältnisse ein Wunder. Sie keuchte nur:

"Die Lady, hat mich verflucht, weil ich ihre ..." Wieder gab es einen Umwandlungsschub, und Mabel schrie vor Schmerzen, weil ihre Nerven die Verwandlung als Brennen und Reißen an das Gehirn meldeten.

"Wenn wir nicht schleunigst rauskriegen, was diesen Fluch aufrecht hält hat sie nicht mehr als einen Tag Zeit, um zurückverwandelt zu werden", zischte der behandelnde Heiler, der sich hier und jetzt so hilflos fühlte wie ein Muggel. Selbst der Chef, Honestus Paul selbst, der vor achtzig Jahren dieses Heilmagieinstitut gegründet hatte, fand keine Lösung für dieses Problem.

"Sollen wir die Presse informieren?" Fragte der behandelnde Heiler seinen Chef.

"Erst wenn sie nicht mehr gerettet werden konnte oder genesen ist. Ich will nicht, daß unsere Bemühungen hier von neugierigen Reportern behindert werden. Jeder der dennoch was an Leute wie Linda Knowles weitergibt hat seinen Posten verwirkt und darf zudem noch einhunderttausend Galleonen Strafe an die Gemeinschaftskasse der magischen Heilzunft zahlen. Diese Anweisung gilt rückwirkend von der Einlieferung der Patientin an."

So erfuhr die Zaubererwelt erst am siebzehnten August 1996, daß Mabel Pole, geborene Thornhill, auf Grund eines verwerflichen Fluches nach kurzen schweren Leiden, an den Folgen einer fortschreitenden Körperumwandlung gestorben war. Das ihr Geist immer noch darin steckte, gefangen in einem ihrem Körper exakt nachgebildeten Abbild aus purem Gold, in dem die Adern wie eingefügte Leitungen verliefen, das wußte keiner. Ihre Nichten und Neffen dachten daran, den goldenen Leichnam einzuschmelzen. Doch dann entschieden sie, daß wohl doch zu pietätslos sei, das dabei gewonnene Gold zu verwerten und legten sie in die Familiengruft, in einen Sarkophag, den sie mit mehrfachem Versiegelungszauber unaufbrechbar machten. Daß sie damit ihrer Tante eine lebenslängliche Gefangenschaft bescherten, wußten sie nicht.

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Die See war glatt wie eine blau glitzernde Tischplatte. Die Sommersonne brannte vom wolkenlosen Himmel herab. Etwa vier Kilometer entfernt waren die schemenhaften Umrisse einer Insel zu erkennen. Ein Boot glitt heran, ohne Segel, Ruder oder Motor. Es trieb, von einer zielgerichteten Vortriebskraft bewegt über die gerade Zentimeter hohen Wellen dahin, bis eine der beiden Insassinnen mit ihrem silbergrauen Zauberstab den Boden hinter dem schnabelartigen Bug berührte. Wie fest verankert kam das Boot zum stehen.

"Hier können wir es wagen", sagte Anthelia zu ihrer Begleiterin. Diese nickte und lauschte.

"Unter uns zieht gerade eine Patrouille von Tritonen vorbei. Die sollten wir besser weit weg haben, bevor wir eine der Weiblichen fangen wollen. Mutter und Schwester pandora hat schon erfahren, daß diese Meereskrieger sehr schnell und stark sind und ihre Speere mit den Nesselkapseln hochgiftiger Quallen verstärkt haben."

"Verstehe", antwortete Anthelia. Gift, vor allem wenn es rein natürlichen Ursprungs war, machte ihr nichts aus. Dafür sorgte der Gürtel der zweiundzwanzig Leben.

Die beiden Hexen mußten eine Stunde warten, bis zwei Meerjungfrauen mehrere Dutzend Meter unter ihnen dahinschwammen. Sie mußten für Meerleuteverhältnisse noch sehr jung sein, weil sie Gedanken ausstrahlten, die sowohl lustvoll bis albern wirkten, wenn Patricia auch die Sprache nicht kannte, in der sie dachten. Sie hörte nur heraus, daß es sich bei einer von ihr um Okeanida handelte.

"Oh, die Tochter des hiesigen Königs", grinste Patricia nun selbst Schulmädchenhaft. "Dann sollten wir machen, daß wir schnell wieder von hier verschwinden, wenn wir sie fangen. Dieser König Bathos und seine Frau Tethys sind nicht gerade gut auf Landmenschen zu sprechen, wie ich weiß", fügte sie noch hinzu.

"Nun, dann ans Werk!" Befahl Anthelia.

Sie holten aus dem Heckteil des Bootes eine bauchige Kanne, in der sie einen Trank aus Tauwasser, Tränenflüssigkeit und geschmolzenem Gletschereis mit gepressten Grünalgen und Wasserschneckenschleim aufbewahrten. Zudem hatte Anthelia ein etwa zwei Meter langes Kupferrohr mit einer daraufmontierten Pfeife, die beim Betätigen einen schwebenden, mittelhohen Ton erzeugte, der durch das Rohr verstärkt wurde und wenn dieses ins Wasser gehalten wurde einen sphärischen Ton bis in große Tiefen senden konnte, jedoch nur für die Wesen in einhundert Meter Umkreis hörbar. Anthelia tippte die Pfeife am Rohrende an und ließ das Rohr ins Wasser hinabgleiten, bis sein oberes Ende, um das ein mit Luft gefüllter Gummischlauch befestigt war, auf den Wellen wippte. Die bezauberte Pfeife holte selbständig Luft und blies immer wieder einen warmen Ton, den sie jedoch nicht so deutlich hören konnten, weil er größtenteils im Rohr verschwand.

"Diese Tonhöhe wirkt auf Meerleute wie das Licht auf die Motte. Nun wollen wir noch das Wasser mit unserem Gebräu würzen, auf das sie der Verlockung nicht mehr widerstehen können. Halt deinen zauberstab bereit, Schwester Patricia!" Flüsterte Anthelia. Dann nahm sie die Kanne und schüttete die zwanzig Liter Lösung langsam und bedächtig ins Wasser. Patricia Straton lauschte mit ihrem telepathischen Sinn nach unten. Die worthaften Gedanken wurden von einem aufmerksamen, dann immer hingebungsvolleren Unterton getragen. Dann fühlte sie, wie die beiden Meermädchen nach oben kamen. Sie wirkten dabei immer entspannter und hingezogener.

"Achtung, gleich", flüsterte Patricia. Anthelia nickte. Denn auch sie hatte es mitbekommen, wie die beiden auftauchten. Dann erschien der bernsteinfarbene Haarschopf einer jungen Frau aus dem Wasser. Das blaßblaue Gesicht der Nixe wurde von großen, smaragdgrünen Augen dominiert, die leicht verträumt auf das lange Kupferrohr starrten, dem die verlockenden Töne entrannen. Dann tauchte ein zweiter Kopf aus der fast glatten Wasseroberfläche auf, der von braunalgenfarbenem Haar umflossen wurde und einer Nixe mit tiefseeblauen Augen gehörte. Dann konnten die beiden Hexen auch die blaßblauen Leiber sehen, die in senkrechten, langgezogenen Schwanzflossen endeten.

"Reticum!" Rief Patricia, kaum daß die bernsteinhaarige Nixe ihren Oberkörper aus dem Wasser streckte. Anthelia sagte kein Wort. Doch als auch aus ihrem Zauberstab ein feinmaschiges Netz herausschoss und sich im Flug entfaltete war klar, daß sie denselben Zauber benutzt hatte, eben nur unausgesprochen. Patricia bekam mit dem gezauberten Netz die braunhaarige, Anthelia die bernsteinhaarige Nixe zu fassen. Das Netz löste sich vom Stab und verknotete sich innerhalb einer Sekunde, sodaß die beiden Meermädchen fest eingeschnürt wurden. Selbst ihre starken Fischschwänze konnten die magischen Maschen nicht zerreißen. Die Gefangennahme riss die beiden Nixen aus ihrer verzückten Stimmung und ließ sie lautstark protestieren und um Hilfe schreien.

"Lass sie ja nicht mit dem Kopf unter Wasser kommen!" schickte Antehlia einen sehr konzentrierten Gedankenbefehl aus. Patricia verstand es aber auch so. Sie ergriff ihre Gefangene beim Kinn, das sich etwas schlüpfrig und dabei leicht angerauhtwie Sandpapier anfühlte. Mit großer Anstrengung zog sie ihre Gefangene an Bord, während Anthelia ihre Telekinese benutzte, um ihre Gefangene federleicht aus dem Wasser aufsteigen und sacht im Boot landen zu lassen. Zuerst dachte Patricia wegen der rauhen Haut, doch einen Meermann erwischt zu haben. Doch die Stimmen und Gedanken waren eindeutig weiblich.

Die beiden Gefangenen schrillten wie lebendig am Spieß gebratene Möwen. Zwischendurch erklangen auch erboste und verängstigte Laute, die einer menschlichen Sprache zugehören mochten, womöglich griechisch. Patricia konnte jedoch kein Griechisch und erst recht kein Meerisch. Anthelia schien mit dem griechischen und vielleicht auch dem Meerischen etwas vertraut zu sein. Wie ein Simultanübersetzer vermittelten ihre Gedanken, was sie heraushörte.

"Freilassen, du trockenhäutige Spaltschwänzlerin. Vater wird dich totmachen lassen. Tot! Du bist bald tot! Heh, hörst du nicht?! Freilassen!"

"Nehmen wir, was wir von ihnen brauchen", dachte Anthelia zwischen dem wütenden Gekreisch der immer noch um sich schlagenden Meerjungfrauen. Patricia hielt ihren Zauberstab gegen ihre Gefangene und dachte "Maneto!" Sofort wirkte der Bewegungsbann, der auch die Sprechorgane betraf. Wie mit einem Schalter ausgeknipst verstummte das Gezeter. Auch Anthelias Gefangene verstummte und schlug nicht mehr um sich.

Mit silbernen Messern, die sie mitgebracht hatten, schnitten sie den beiden daumenlange Stücke aus den blaßblauen Schuppen zwischen dem Oberkörper und dem Fischschwanz. Dabei entstanden tiefe Wunden, aus denen Anthelia das herausquellende blaue Blut auffing. Patricia tat das gleiche, bis die Führerin der Spinnenshwestern ihr zunickte und dachte, sie könne nun die große Phiole verkorken. Als sowohl sie als auch Patricia ihre Flasche mit dem aufgefangenen Meerjungfrauenblut sorgfältig verschlossen hatten, behandelte Anthelia die Wunden mit einem Heilzauber. Dann nickte Sie Patricia zu, ihre Gefangene wieder zu Wasser zu lassen. Anthelia hob auch ihre Gefangene, Okeanida, über den niedrigen Rand des Bootes und ließ sie ins Wasser zurück. Dann hielten beide ihre Zauberstäbe auf die immer noch eingeschnürten Nixen und dachten konzentriert: "Renihilis!" Die Netze lösten sich in Wasser auf. Dann gaben sie ihnen auch noch ihre Beweglichkeit zurück.

"Fort von hier. Propulsus amplifico!" Dachte Anthelia und tippte den Bug des Bootes an. Wie von einem Katapult geschnellt sprang das kleine Wasserfahrzeug vorwärts und sauste laut rauschend über die feine Dünung des ägäischen Meeres dahin. Hinter ihnen erklang Okeanidas Stimme, die dem Tonfall nach eine Drohung ausrief. Anthelia lauschte und ließ Patricia an der Übersetzung in ihrem Kopf teilhaben.

"Ihr kommt nicht weit. Die Sturmwellengarde wird euch erwischen, ehe ihr das Land erreicht!"

"Das werden wir doch mal sehen", schnaubte Anthelia. Das Boot flog förmlich über das Wasser auf die Insel zu. Weit hinter ihnen tauchten die freigelassenen Nixen ab. Kaum waren sie weg, hörten patricia und Anthelia die Gedanken, die irgendwie wie Gesang klangen.

"Sie können wie Wale über mehrere Dutzend Meilen miteinander Verbindung halten", erklärte Anthelia, die sich mit dieser Art Zauberwesen besser auskannte als Patricia. "Es wird nicht lange dauern, bis sie eine Patrouille gerufen haben. Aber die wird uns dann nicht gefährlich ..."

"Fürchte doch, höchste Schwester", erwiderte Patricia. "Ich höre da ganz weit weg wen irgendwas zurücksingen, wohl eine Antwort. Oh, und irgendwie klingt es etwas alarmiert."

"Du hast leider recht, Schwester Patricia. Dann hörten die beiden telepathisch begabten Hexen noch weitere Rufe aus der Ferne, die wohl über die beiden Nixen zu ihnen übertragen wurden. Doch einige Rufer schienen bereits in der Nähe zu sein, weil Patricia sie räumlich wahrnahm.

"Das wird eng. Sie kreisen uns schon ein. Wir müssen zufällig in einem Gebiet mit mehreren Kolonien gelandet sein. Jetzt kommen die Tritonen von allen Seiten.

"Ich vernehme sie auch, Schwester Patricia. Sie sind schnell, für wahr", erwiderte Anthelia. Dann sahen sie mehrere Dreiecke aus dem Wasser auftauchen.

"Sie setzen Haie als Jagdhunde ein. Aber solange wir im Boot sind, können die uns nichts anhaben", bemerkte anthelia, während die dreieckigen Rückenflossen bedrohlich schnell auf sie zuglitten.

"Was brüllen die?" Fragte Patricia Straton, die es doch langsam mit einer gewissen Angst zu tun bekam.

"Sturmwellenwut", verstehe ich daraus. Es sind mindestens dreißig Krieger. Sie werden uns wohl rasch erreichen."

"Von rechts, öhm, Steuerbord vorne kommen auch schon welche. Ich denke, die haben uns den Weg zur Insel verlegt", sagte Patricia voller Unbehagen.

"Nur ruhig, Schwester Patricia. Wenn sie uns zu dicht sind können wir auch aus dem Boot disapparieren. Ich brauche es jetzt nicht mehr."

"Das wird wohl nötig sein, ich höre bereits welche, die wohl schon vor den Haien ..."

"Raus hier!" Rief Anthelia. Sie schnappte die Tasche mit den Blutphiolen und den abgeschnittenen Schuppen auf, richtete den Zauberstab auf den Bug des Bootes, worauf dieser lichterloh aufflammte. Dann sprang sie auf, griff Patricia bei der Hand und disapparierte. Zwei Sekunden später schossen dreißig mit Muschelschalenhelmen gepanzerte Köpfe aus dem Wasser, und mit einem margerschütternden Gebrüll warfen sich dreißig muskulöse Meermänner mit vorschnellenden Speeren über das Boot. Die Speere mit den hochgiftigen Nesselkapselspitzen schlugen kreuz und quer ins Innere des Bootes ein. Das Boot brannte jedoch schon mittschiffs und drohte, auseinanderzubrechen. Die Flammen, für die Meerleute ein völlig ungewohntes Element, trafen einige der wild entschlossenen Wasserkrieger und trieben sie unter Schmerzens- und Angstschreien zurück. Das Boot, von der Last der gleichzeitig auf es eindringenden Angreifer leicht nach unten gezogen, brannte nur noch an der Bordwand, weil etwas Wasser in es eingedrungen war. Einen der Krieger hatte jedoch der Speer eines Kameraden erwischt und war ihm tief in die Brust gedrungen. Die Verletzung selbst war schon tödlich. Doch das konzentrierte Quallengift beschleunigte den Tod um ein vierfaches. Dem getroffenen Meermann war nicht mehr zu helfen. Wütend und erschüttert, weil einer der Kameraden bei dem Vergältungsangriff gestorben war und weil die beiden spaltschwänzigen Landleute nicht im Boot gewesen waren und das Boot heiße Lichtzungen ausgestreckt hatte, tauchten die Sturmwellengardisten wieder ab. Ihr Stoßtruppführer, Haihüter Carcharodon sang eine Nachricht zum Gardehauptquartier und teilte seinem Obersten, Goldschuppenträger Ichtyostomos mit, daß die beiden frevlerinnen entkommen waren. Er wußte zwar, daß seine alwasserweite Majestät, König Bathos ihn dafür zu den Muschelkratzern abkommandieren würde, aber ein ordentlicher Sturmwellengardist mußte auch seine Niederlagen melden.

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Die beiden Spinnenschwestern apparierten etwa einen Kilometer vom Strand der Insel entfernt, in deren Nähe sie nach den beiden Meermädchen gefischt hatten.

"Wäre fast schiefgelaufen", sagte Patricia. "Ich habe die knapp unter uns auch erst eine Sekunde vorher bemerkt. Die sind gut."

"Nun, diese Gewässer sollten wir wohl nicht mehr mit unserem Besuch beehren. Zwar haben wir mit keinem hörbaren Ton verraten, wer wir sind oder woher wir kommen. Aber ich denke, diese Meerleute werden darauf lauern, uns bei nächster Gelegenheit in ihre schuppigen Finger zu bekommen. Immerhin haben wir bekommen, was wir haben wollten."

"Irgendwie ist mir dabei nicht so recht wohl", gestand Patricia.

"Mir auch nicht, Schwester Patricia. Doch wenn wir unser Ziel erreichen und den Menschen der Welt die rechte Ordnung zurückbringen wollen, müssen wir auch die Dinge tun, die uns schrecken. Am besten nehmen wir es gleich morgen früh in Angriff", sagte Anthelia ruhig aber sehr bestimmt.

"Wie du meinst, Höchste Schwester", erwiederte Patricia etwas betrübt. Dann nickte sie entschlossen und fragte, ob sie jetzt in die Villa zurückapparieren sollten. Anthelia nickte und disapparierte. Mit drei Sprüngen erreichten sie den Weinkeller der Daggers-Villa, wo auf einer eisernen Feuerstelle ein großer Kessel hing, in dem ein giftgrünes Gebräu vor sich hingluckerte.

"Pulverisieren wir die Schuppen! Diese müssen zuerst in den Kessel", sagte anthelia und holte die erbeuteten Meermädchenschuppen aus der Tasche. Patricia zerrieb und zermörserte die blaßblauen Schuppen zu einem feinen, etwas klebrigen Pulver, das sie vorsichtig in den Kessel umfüllte, dessen Inhalt sofort weiß schäumte und fast bis zum Rand hochkochte. Anthelia rührte neununddreißigmal im Uhrzeigersinn um. Dann entkorkte sie die beiden Phiolen und schüttete sehr behutsam das blaue Meerjungfrauenblut in den Kessel. Das Gluckern wurde zu einem lauten Brodeln. Anthelia sah auf die Lösung, die sich nun schaumfrei von giftiggrün nach violett verfärbte. Nach neununddreißigmaligem Umrühren, diesmal gegen den Uhrzeigersinn, schlug die Farbe von Violett in Bernsteingelb um.

"Diese Mischung muß nun noch vier Stunden ziehen. ich verkleinere das Feuer unter dem Kessel, damit sie nicht anbrennen kann." Anthelia hantierte mit einem kleinen Schürhaken und löschte einige brennende Stücke Kohle mit etwas Wasser aus dem Zauberstab. Dann begutachtete sie noch einmal das Gebräu, dessen Brodeln wieder zu einem leisen Gluckern überging.

"Wenn die Lösung in vier Stunden klarer geworden ist, haben wir alles korrekt ausgeführt", erklärte Anthelia. "Dann haben wir Sarah Redwoods Meeresbewohneressenz angerührt, die wir dann nur noch mit Haarstücken von uns aktivieren müssen, wie es beim Vielsaft-Trank notwendig ist."

"In vier Stunden also."

"In vier Stunden ist der Trank fertig", stellte Anthelia klar. "Trinken werden wir ihn erst, wenn wir an der Stelle sind, von wo aus wir zum Versteck des Steines hinabtauchen können."

"Wann brechen wir auf?" Fragte Patricia Straton.

"Gleich morgen früh. Wir nehmen das andere Boot, daß Schwester Romina in Fort Lauderdale besorgt hat", erwiderte Anthelia.

"Eines dieser Boote mit Verbrennungsmotor?" Wunderte sich Patricia.

"Natürlich werden wir dieses Boot mit dem Propulsionszauber antreiben und nicht mit dieser Giftqualm und Lärm absondernden Vorrichtung", versetzte die höchste der Spinnenschwestern verächtlich. Patricia nickte.

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Das motorisierte Schlauchboot schoss über den Atlantik, der an diesem frühen Morgen des sechzehnten Augustes wie eine graue, zerklüftete Hügellandschaft bei einem Erdbeben wirkte. Einen Meter hohe Wellen rollten von südost nach nordwest auf die nun mehrere hundert Seemeilen von hier fortliegenden Inseln der Florida-Keys zu. Der Motor schwieg, und dennoch eilte das große Schlauchboot über das Meer, als treibe es ein 100-PS-Motor voran. Im Boot saßen zwei Frauen in zweiteiligen Badeanzügen. Im Heckbereich des schwarz-blauen Bootes stand eine mit einer dicken Schnur zugebundene Jutetasche. Eine der Frauen, die in einem blauen Bikini steckte, besaß strohblondes Haar und ein sommersprossiges Gesicht. Die andere Frau, die einen meergrünen Bikini trug, hatte ihr dunkelbraunes Haar mit Gummibändern hochgebunden.

Patricia Straton war es immer noch nicht ganz geheuer. Je näher sie Ort und Zeitpunkt kamen, wo sie mit Anthelia zum Versteck des alten Artefaktes aus Atlantis hinuntertauchen würde, desto unsicherer fühlte sie sich. Anthelia, die mit dem Zauberstab Richtung und Geschwindigkeit des Bootes steuerte, fühlte es offenbar auch. Sie sagte einmal:

"Ich weiß, wir werden uns gleich in ungeahnte Gefahren begeben, Schwester Patricia. Aber die Belohnung, die unserer harrt, rechtfertigt dieses Wagnis vielfach."

"Da du mir befohlen hast, keiner unserer Mitschwestern zu sagen, was wir tun werden weiß ich nicht, wie meine Mutter es empfinden wird, wenn ich nicht mehr zurückkomme", gestand Patricia ein.

"Sollten wir beide auf dem Weg zu dem Stein scheitern und den Tod finden, so denke ich, wird deine Mutter so vernünftig sein, die Geschicke unseres Ordens weiterzuführen, ja möglicherweise den Frieden mit denen zu suchen, die wir bisher nicht umwerben durften oder wollten. Allerdings ist mir auch nicht wohl bei dem Gedanken, daß diese sogenannte Lady Daianira die Früchte unserer bisherigen Werke ernten mag. Deshalb sind wir verpflichtet, dieses Unterfangen zu einem Erfolg zu bringen", sprach Anthelia. Dann blickte sie auf ein kleines Instrument, das sie vor sich auf einem dreibeinigen Holzstativ befestigt hatte, sowie einen Kompass und eine Seekarte. "Dem Naviskop nach sind wir gleich dort, wo wir abtauchen können. Ich werde gleich den Perseveratus-Zauber wirken, damit das Boot an dem Punkt verhaart, an dem ich es zum halten bringe. Dir ist dieser Zauber bekannt?"

"Natürlich", erwiderte Patricia. Sie wußte, daß Perseveratus ein Objekt im Raum förmlich an den gerade eingenommen Standort festschmiedete, sodaß nicht einmal die allgegenwärtige Schwerkraft es hinabziehen konnte. Sie hatte einmal die Legende von einer Burg in den Himmeln gehört, die auf diese Weise über demselben Punkt auf der Erde stand, eingehüllt in eine Aura der Unsichtbarkeit. Doch wie die Geschichte um den Stein der großen Erdmutter gehörte jene Himmelsburg zu den Sagen aus Atlantis, von denen die Zaubererwelt nie genau wissen konnte, ob sie Wahrheit oder Dichtung waren. Wichtig war jetzt nur, daß Anthelia an diesen Stein glaubte und hinabtauchen wollte, um ihn zu erobern. Vielleicht, so dachte Patricia, gab es weder den Stein noch seine Wächter, und sie würden nur ein magisches Experiment machen, bei dem der Lauf der Zeit die einzige ernste Gefahr war.

Nullimpulsus", murmelte Anthelia. Schlagartig kam das Boot zum stehen. "Objectum hic perservatto", sprach sie noch, wobei sie erst das Boot berührte und dann mit dem Zauberstab drei Kreisbewegungen ausführte, eine vorwärts und zurück, eine im Uhrzeigersinn zur Seite und eine parallel zum Boden verlaufende Kreisbewegung. Es ruckelte, als sich ein silberner Lichtbogen zwischen Stab und Boot bildete, der für zwei Sekunden blieb und dann wie vom Stabende losschnellend wie ein Gummiband ins Boot hineinschlug und erlosch. Nun würde keine physikalische Gewalt dieses Boot auch nur um einen Millimeter in welche Richtung auch immer bewegen können. Es würde auf diesem Punkt im Bezug zur gesamten Erde verbleiben, bis ein Gegenzauber es wieder freigeben würde. Patricia atmete hörbar ein und aus. Ja, und auch Anthelia wirkte nun sichtlich angespannt, als sie die Jutetasche aufband und zwei Phiolen mit einer klaren, goldenen Flüssigkeit herausholte, die an ein sehr helles und verdünntes Bier denken machte.

"Nun dann, Schwester. Das Schicksal der Tiefe wartet auf uns. Es gilt, die Macht eines vergangenen Wissens zum Wohle unserer Zukunft zu erringen. Lege dieses ohnehin schon spärliche Unterteil ab, auf das dein Unterleib frei von störendem Stoff zu bewegen ist!" Sagte sie und ging mit gutem Beispiel voran. Patricia sah genau, daß Anthelia unter dem Oberteil nicht nur das mächtige Seelenmedaillon, sondern auch etwas wie einen strammgebundenen Gürtel trug, von dem sie bis dahin nichts gewußt hatte. Doch sie wagte nicht, die höchste Schwester danach zu fragen.

"Trinke deinen Trank und folge mir, wenn die Wandlung vollendet ist!" Befahl Anthelia, entkorkte ihre Phiole und schluckte mit verzogenem Gesicht das Gebräu hinunter. Patricia wartete einige Sekunden. Als sie sah, wie Anthelias Körper unter leichten Krämpfen zusammenzuckte und ihre Beine wie unter dem Beinklammerfluch zusammengedrückt wurden, haderte sie damit, diesen Trank zu nehmen. Als sie dann noch sah, wie unter Anthelias leisem Wimmern die Beine förmlich zerflossen wie zähflüssiger Teer und sich blaßblau verfärbten, und wie der gesamte Unterleib Anthelias immer mehr dem Hinterteil eines Fisches glich, wußte sie, der Trank wirkte wie er sollte, eben nur mit entsprechenden unangenehmen Begleiterscheinungen. Sie überwand sich, warf alle Bedenken von sich ab und kippte den Inhalt ihrer Phiole in sich hinein. Der merkwürdige Geschmack nach Fischöl und bitterem Gras hielt einige Sekunden lang vor. Dann durchzuckte Patricia ein stechender Schmerz im Unterleib, der bis in ihre Zehenspitzen hinabreichte und fühlte, wie ihre Beine sich gegenseitig anzogen, zusammenschlossen und wie dann unter ständigen Schauern kalter und heißer Schmerzwellen ihr gesamter Unterleib wie aus beinahe flüssigem Ton verformt und neugebildet wurde. Ihr Herz klopfte wie wild, als die Wirkung des Elixiers sie ebenfalls wimmern ließ. Dann nach fünf Sekunden, während die Wandlung ihres Unterkörpers voranschritt, setzte ein Prickeln wie mit tausend Nadelstichen auf der gesamten Haut ein, und Patricia fühlte, wie ihr die Luft, die vorhin so frisch und rein in die Lungen geströmt war, immer schwerer zu atmen war, als habe jemand einen erstickenden, aber unsichtbaren und geruchlosen Qualm in sie eingeblasen. Sie sah an sich hinunter. Von ihren Füßen war nichts mehr zu erkennen. Geschmeidige, blaßblaue Schwanzflossen bildeten sich gerade aus. Sie fühlte nun nicht mehr Zehen nebeneinander, ja empfand auch nicht mehr das Vorhandensein von zwei getrennten Beinen und eines Unterleibs, sondern das für sie fremdartige Gefühl eines zusammenhängenden Körperteils, der unten in diese lange Schwanzflosse auslief, deren Enden sie so fühlte, als habe sie ihre Füße hintereinander auf den Boden gebracht. Anthelia indes bekam nun auch blaßblaue Schuppen an allen vom Bikinioberteil unverhüllten Stellen. Sie waren zwar nicht so extrem wie die am fischartigen Unterleib, wuchsen jedoch bis zum Hals hinauf. Erst dort hörte ihr Wachstum auf. Anthelia schien sich vom Schmerz der Verwandlung zu erholen. Sie stöhnte und wimmerte nicht mehr. Sie atmete nur noch schnell. Dann holte sie zwei runde Silberscheiben aus der Tasche und berührte sie im Mittelpunkt mit dem Zauberstab. Am Rande der Scheiben leuchteten kleine Punkte auf. Patricia wußte, daß waren die Zeitmesser, die ihnen zeigten, wie lange sie nun hatten. Einen davon bekam Patricia, die gerade aus der schmerzvollsten Phase der Verwandlung herauskam. Auch sie hatte nun diese sachte Schuppenhaut, die jedoch nur bis zum Hals reichte. Doch die Luft um sie herum war für sie wie dichter Qualm, aus dem sie nur noch mühsam genug Sauerstoff saugen konnte.

"Folge mir!" Rief Anthelia, deren Stimme merkwürdig verändert klang, nicht mehr die warme Altstimme, sondern ein leises, hohes Säuseln wie ein sacht am Rand angestrichenes Weinglas. Sie robbte über die Bootswand und ließ sich ins Wasser plumpsen. Patricia indes fühlte nun ein immer stärkeres Verlangen, sich ins Wasser zu stürzen, weil sie fühlte, wie ihre Haut förmlich austrocknete. Da erkannte sie, daß es so oder so schwer werden würde, ihre eigentliche Gestalt zurückzubekommen. Denn wenn der Drang nach dem Wasser anhielt, ja vielleicht noch stärker wurde, würde sie ihre ganze Willenskraft aufbieten müssen, sich vom Wasser zu entfernen und ihm fernzubleiben, solange sie noch im zeitrahmen waren. Mochte ihre Willenskraft ausreichen?

Sie warf sich dem Meer entgegen und fühlte einen Schauer großer Glückseligkeit, als sie in die salzigen Fluten eintauchte. Sie drückte ihren Kopf unter Wasser und sog gierig das nasse Element in ihre Lungen. Es wirkte wie ein belebender Trank. Ihre Lungen protestierten nicht einmal gegen das Salzwasser. Sie nahmen es auf und entzogen ihm den dringend benötigten Sauerstoff, als habe sie Kiemen statt einer Luftröhre. Dann zuckte ihr Fischschwanz und peitschte erst unbeholfen, dann immer kraftvoller durch das Wasser. Sie fühlte es in den beiden Enden der Schwanzflosse, wie sie gänzlich unter die Oberfläche abtauchte. Sie sah sich um. Ihre Augen schienen übergangslos auf dieses trübe, verschwimmende Licht eingestellt zu sein. Sie konnte Anthelia sehen, die ihr neugewachsenes Fortbewegungsorgan auch erst einmal ausprobieren mußte. Doch langsam bekam die höchste Schwester wohl mehr Übung damit und glitt mit rhythmischen, weit auslenkenden Flossenschlägen hinab in die Tiefe. Patricia hatte noch etwas Mühe, ihren neuen unterleib zu gebrauchen. So glitt Anthelia ihr fast aus dem Blickfeld.

"Schwester, es ist nicht so schwierig, damit zu schwimmen", mentiloquierte Anthelia. "Denke dir einfach, du wolltest deinen ganzen Unterleib hin- und herschwingen wie bei einem Tanz!"

Patricia folgte dem Vorschlag und schaffte es, die Bewegung und die Kraft ihrer unnatürlichen Extremität zu steuern, ja bald so gut zu beherrschen, daß die Schwimmbewegungen immer fließender und vom direkten Denken daran unabhängig wurden, als ginge sie seelenruhig spazieren, ohne jede Beinbewegung in allen Einzelheiten bedenken zu müssen. Bald hatte sie es heraus, auch ohne Arme durch einfache Kopf-und Oberkörperverlagerung die Richtung zu ändern. Sie schaffte es, Anthelia einzuholen, die zielstrebig dem Meeresgrund entgegentauchte.

Patricia fühlte sich wie in einer großen Badewanne. Ihr war nicht kalt, und obwohl das Licht mit zunehmender Wassertiefe nachließ wurde es für sie nicht zu dunkel. Offenbar wirkten die von einer Meerjungfrau entliehenen Augen dem sofort entgegen. Auch der mit jedem zehnten Tiefenmeter um eine ganze Atmosphäre ansteigende Wasserdruck belastete sie nicht. Denn durch das Atmen von Wasser waren ihre Lungen immer dem jeweils vorherrschenden Druck angepaßt. Patricia fragte sich beim raschen Abtauchen, ob sich ihr Blut auch verändert hatte. Sie blickte kurz auf die Uhrenscheibe und sah die insgesamt vierundzwanzig kleinen Leuchtpunkte. Einer von ihnen, der dort saß, wo bei einer Uhr der Bogen von der Zwölf zur Eins verlief, begann langsam zu blinken. Patricia kannte derartige Zeitmesser. Wenn das Licht eines Zeitgebepunktes blinkte, die Blinkabstände immer länger wurden und das Licht dabei immer kürzer aufleuchtete, so näherte sich der von diesem Punkt bezeichnete Zeitabschnitt immer mehr seinem Ende, an dem der Punkt nicht mehr leuchtete. Ihre zeit lief nun ab. Vierundzwanzig Halbstundenpunkte würden nun hintereinander erlöschen, dann würde sich zeigen, ob Patricia sich für den Rest ihres Lebens in diesem Körper zurechtfinden mußte oder wieder die junge Frau mit rosiger glatter Haut und langen Beinen würde, als die sie den Trank geschluckt hatte.

"Woher weißt du, daß wir uns nicht verirren?" Fragte Patricia mit körperlicher Stimme, die hier unter Wasser eher wie ein merkwürdiges Schnarren klang.

"Ich habe mir den Weg eingeprägt. Du wirst es fühlen, daß du die Himmelsrichtung und ungefähre Tiefe erkennen kannst, wenn du deinen Kopf leicht wendest. Das Boot werden wir dadurch finden, daß wir auf dem Rückweg mit unseren Zauberstäben eine Wechselwirkung zwischen dem Perseveratus-Zauber und ihnen erzeugen", sagte Anthelia. Patricia probierte aus, ob sie wirklich die Richtungen empfinden konnte. Tatsächlich vermeinte sie bei einer Kopfbewegung, sanfte Widerstände zu fühlen, einen kleinen und einen großflächigeren. Ja, das mochten Sonne und Mond sein, deren Anziehung auch hier in diese Tiefen hineinwirkten, wie sie Ebbe und Flut anregten. Da der Mond der Erde näher stand mochte seine Kraft die größere der beiden spürbaren Kräfte sein. So dachte Patricia sich den kleineren Widerstand als den von der Sonne ausgehenden Anteil und erkannte daraus, daß sie wahrlich die Himmelsrichtungen spüren konnte. Allerdings mußte sie dazu auch den Ablauf der Zeit wahrnehmen können, um die Position der beiden Himmelskörper zuordnen zu können. Wie das genau ging wußte sie nicht. Doch dazu hatte sie ja die Uhrenscheibe.

"Hunger!" Vernahm sie etwas wie ein Flüstern aus großer Ferne. Es war keine Stimme, sondern ein Gedanke. Ja, es war der animalische Gedanke eines Meerestieres, das sich rasch näherte. Dann sah sie den schlanken Körper eines großen, weißen Hais.

"Das hat mir noch gefehlt", dachte Patricia, als der Raubfisch genau auf sie zusteuerte. "Verschwinde!" Rief sie laut. Der Hai bremste seine Geschwindigkeit ab und blickte sie mit seinen Fischaugen merkwürdig starr an. Dann wendete er und schwamm mit kraftvollen Schlägen seiner Schwanzflosse davon.

"Die Meerleute können die meisten kaltblütigen Meerestiere mit ihrer Stimme unterwerfen", mentiloquierte Anthelia. "Wie du gerade eindrucksvoll bewiesen hast, ist uns diese Gabe genauso verliehen wie die körperlichen Vorzüge dieser Zauberwesen. Du kannst jetzt wohl auch ihre rein tierhaften Gedanken hören. Somit wird kein räuberischer Fisch dir oder mir zur Gefahr werden."

"Ich dachte zunächst, ich müsse den Zauberstab benutzen", mentiloquierte Patricia zurück.

"Ja, das wirst du auch. Allerdings werden es keine von Mutter Natur geborenen Kinder der Tiefe sein, wider die du ihn richten mußt", antwortete Anthelia.

Patricia merkte mit zunehmender Wassertiefe, wie sich auch ihre Ohren an diese Welt anpaßten. Sie hörte weit entfernte Geräusche und konnte sie punktgenau orten. Auch als die Wassermassen über ihr so dicht wurden, das kein Sonnenstrahl mehr hindurchdrang, sah sie immer noch, wenngleich in einem merkwürdigen Kontrastbild mit scharf abgegrenzten blauen Licht- und schwarzen Schattenmustern. Anthelia wirkte nun wie ein aus sich selbst leuchtender Fisch vor ihr. Auch konnte sie weit unter sich bläuliche, scharf umrissene Züge des Meeresbodens ausmachen, während das freie Wasser wahrhaft dunkel war. So mußte sie nicht das Zauberstablicht entzünden, um Anthelia zu folgen, die mit der Umstellung auf den Körper einer Nixe wohl weniger Probleme hatte als sie. Offenbar schöpfte Anthelia sogar aus der Erinnerung von Sarah Redwood, die diesen Zaubertrank ja erfunden und gewiß ausgiebig ausprobiert hatte. Als Anthelia dann mit Quer zur Schwimmrichtung ausgefächerter Schwanzflosse abbremste und auf einem Punkt verharrte, schloß patricia auf und ahmte das Bremsmanöver nach. Dabei fühlte sie, wie schnell sie tatsächlich geschwommen sein mußte, weil der Widerstand des gegen sie anströmenden Wassers ziemlich groß war und sie sich arg anspannen mußte, bis sie ihre rasche Fahrt abgebremst hatte.

"Von hier aus werden es wohl nur wenige Meilen sein, bis wir die Gefahrenzone erreichen", sagte Anthelia mit der ihr nun eigenen, hohen aber schnarrenden Stimme, die Patricia laut und deutlich in den Ohren klang. Dann hob die höchste Schwester ihren Zauberstab und rief den Zauberfinder auf. Ein rot-blaues Licht ging von dem Stab aus. Sie legte ihn auf ihre Handoberfläche und murmelte: "Weise mir die Richtung!" Sofort drehte sich der Stab ein wenig, richtete sich mit der Spitze etwas nach unten aus. "In diese Richtung müssen wir voranschwimmen", stellte Anthelia fest, griff den Stab wieder richtig und löschte das rot-blaue Zauberfinderlicht.

"Ich folge dir, höchste Schwester", bekräftigte Patricia.

"Gut aber bleibe mindestens zehn Längen hinter mir, um mir den Rücken freizuhalten, wenn die ersten Ungeheuer wider uns anstürmen. Womöglich sind auch mächtige Flüche gewirkt worden, die uns vernichten sollen. Ich habe da bestimmte Vorstellungen, was uns erwartet. Aber ich werde erst etwas sagen, wenn wir in unmittelbare Gefahr zu geraten drohen", sprach Anthelia und begann wieder mit ihrer Schwanzflosse zu schlagen.

Patricia spürte die immer größere Spannung, die diese unterseeische Welt durchdrang. Ja, sie näherten sich wirklich einem Ort, an dem die Natur einer anderen Macht unterworfen worden war. Sie kannte es, daß bestimmte magische Orte eine so starke Ausstrahlung hatten, daß dafür empfängliche Wesen je nach Art der vorkommenden Magie angespannt, erheitert oder immer betrübter wurden, je näher sie dem Ort kamen. Hier handelte es sich um einen Ort, der abweisend auf alle Eindringlinge wirkte, vermutete Patricia. Doch dies mochte eine Einbildung sein, weil sie ja damit rechnete, einen solchen Ort anzusteuern. Doch mit immer größerer Annäherung empfand sie dieses Gefühl, nicht erwünscht zu sein und die Angst vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff immer deutlicher. Dann hörte sie noch das leise Wispern von Stimmen, die nicht tierhaften Gedanken gleichkamen, wie sie sie von den Fischen hier unten immer wieder mitbekam, sondern andersartig auf sie wirkten. Zu sehen war jedoch nichts, und das war seltsam.

"Hydromorphe", kam Anthelias Gedanke bei ihr an. "Wer immer dieses Versteck errichtete, schuf Geschöpfe aus reinem Wasser, die zu den seltensten Erscheinungsformen der animierenden Magie gehören", erläuterte die höchste Schwester ihrer Begleiterin. Patricia erinnerte sich, daß ihre Mutter nach dem sechsten Schuljar was von echten Elementarwesen erzählt hatte, die mächtige Magier erschaffen, lenken oder bereits erschaffene herbeirufen und unterwerfen könnten. Jedem der vier alten Naturelemente waren solche primitiv denkfähigen aber schlagkräftigen Wesen zu entlocken. Hier im Meer waren es also die sogenannten Hydromorphen, Geschöpfe des nassen Elements. Würden sie gleich von diesen Wesen angegriffen werden?

"Tod!" Brüllte plötzlich ein vielstimmiger Chor mordgieriger Gedanken auf Anthelia und Patricia ein. Im gleichen Augenblick entstand um sie herum ein blaues Leuchten, das mit einem beängstigenden Geräusch einherging.

"Also doch", mentiloquierte Anthelia und riss den Zauberstab hoch. Patricia konnte sich nicht darauf konzentrieren, was die höchste Schwester tat, weil die Macht, die sie gerade ergriff, ihre ganzen Sinne beanspruchte. Sie fühlte, wie sie wie in einer riesigen, blau glühenden Hand zerquetscht zu werden drohte und hörte das unirdische Gedröhn in ihrem Kopf, das alle Gedanken zu ersticken trachtete.

"Der blaue Tod, Schwester!" Rief Anthelia. "Antiscotergia aufrufen!!"

"Antiscotergia!" Rief Patricia mit krampfhaft hochgehaltenem Zauberstab. Dabei dachte sie mühsam an ein grellweißes Licht, das ihr ganzes Blickfeld auszufüllen schien. Als habe sie damit einen Stoß erzeugt, wühlte sich um sie herum das Wasser auf, und mit einem letzten Basstrommelartigen Schlag zersprühte das blaue Leuchten. Das Wasser war wieder frei. Anthelia schwamm vor ihr, umgeben von blauen Blitzen, die gerade erloschen, als Patricia selbst die Folgen des Fluches abschüttelte und sie ansehen konnte. Sie fühlte sich etwas matt. Der Schlag mit der Dunkelkraftzerstreuung, der großflächige Flüche auslöschte oder zumindest für den gerade in ihrem Einfluß herumirrenden Zauberkundigen unwirksam machte, hatte sie etwas ausgezehrt. Doch nun erfolgte der Angriff der körperlichen Verteidiger dieses Ortes.

"Tod!" Brüllten die mordlustigen Gedankenstimmen wieder auf, als mehrere leuchtende Ungetüme, teils schlangen- teils fischartig, auf die beiden scheinbaren Nixen zurasten und ihre Mäuler aufrissen.

"Avada Kedavra!" Rief patricia, während Antheliawohl etwas anderes zauberte. Eines der Monster glitt in den schrill aus dem Zauberstab schlagenden Blitz aus grünem Licht, das Patricia fast blendete. Es zerplatzte mit einem leisen Geräusch, das an einen riesigen, auf Stein zerspringendem Wassertropfen denken machte. Doch da kamen schon weitere Monster heran. In disem Moment entfuhr Anthelias Zauberstab jener dunkle Riesenvogel, hier zwar völlig fehl am Platz aber dennoch von Nutzem. Eines der Monster wurde von ihm so heftig gepickt, das es in mehrere Teile zerbrach, die sich sofort in Wasser auflösten. Weitere Ungeheuer schossen heran, das Patricia nächste war nur noch zwanzig Meter entfernt.

"Bollidius!" Rief sie, weil zwei Monster gleichzeitig auf sie losgingen. Fauchend schoss eine rotglühende Dampfblase aus dem Zauberstab und zerplatzte auf Höhe der Monstren mit lautem Knall. Sie sprengte ein Loch ins Wasser und verbrühte die beiden Ungeheuer so sehr, das sie aufschrien und zu Boden sanken, wobei sie sich in Wasser auflösten. Dann kroch ein unermesslich großes Maul aus der Tiefe zu ihnen hinauf.

"Zu mir, Patricia!" Rief Anthelia, die gerade zwei Monster mit einem glühenden Strahl aus Wasserdampf zurücktrieb. Patricia schlug dreimal kräftig mit der Schwanzflosse, bis sie bei Anthelia ankam. Diese deutete gerade auf ihren Mitternachtsvogel, der gerade ein weiteres Monster vernichtet hatte. Dieser schnellte in ihren Zauberstab zurück, während das riesige Maul alle anderen Monster zurückdrängte und sich um die beiden Hexen Schloß.

Anthelia griff Patricias Hand und wirkte den Amniosphaera-Zauber, der sie in eine rosarote Lichtblase aus abwehrender zauberkraft einschloß, gerade als das mächtige Maul um sie herum zuklappte und ein gewaltiger Sog das in ihm befindliche Wasser ablaufen ließ. Patricia schloß bereits mit ihrem Leben ab, als eine schleimiggrüne Zunge, lang und breit wie ein ausgewachsener Drache, die beiden verwandelten Spinnenschwestern zu umwickeln begann.

"Die Blase wird reißen", wimmerte Patricia, als sie sah, wie die rosarote Schutzblase sich um sie immer mehr einbeulte. Anthelia fühlte es wohl körperlich, wie die mächtige Kraft des ultragroßen Ungeheuers den Schutzzauber zu durchdringen versuchte, während sie immer tiefer in das kirchenschiffgroße Maul und in den düsteren Rachen gezerrt wurden.

"Noch ist nichts verloren. Wir werden diese Kreatur gleich vernichten, wenn sie uns verschlingt", sagte Anthelia angestrengt. Patricia wußte nicht, wie sie das anstellen wollte. Sicher, der Todesfluch könnte selbst dieser gigantischen Bestie den Garaus machen. Doch was, wenn sie nicht wie die anderen Monster zu Wasser zerfloß.

"Dann mach!" Drängte Patricia.

"Bewahre die Ruhe. Diese Art von Ungeheuer kann nur von innen her vernichtet werden, und zwar nicht mit dem tödlichen Fluch. Dieser würde es nicht verheeren, da seine Magie vom Leib der Bestie zerstreut wird."

Laut gurgelnd und kullernd glitten die beiden Hexen in ihrer immer stärker deformierten Energieblase in den dutzende Meter durchmessenden Rachen hinein, rutchten von mächtigen Wellenbewegungen vorangetrieben eine tunnelartige schleimige Röhre entlang, bis Anthelia, die sich auf die Stabilität der Blase konzentrierte, den Zauberstab vorschießen ließ und rief: "Intestinalia ab interiorem ex Corpore erumpento!"

Ein glutroter Lichtstrahl schoss mit leisem Summen aus dem Zauberstab und durchdrang die rosarote Lichtblase von innen her, die Risse bekam und sich auflöste. Patricia fürchtete bereits, haltlos in den mehr als hundert Häuser fassenden Magen hineinzufallen und wohl von den Verdauungssäften zersetzt zu werden, als unter heftigem Röcheln, Schnauben und Brüllen der ganze ungeheuerliche innenraum erzitterte, sich wand und drehte. Patricia erkannte jetzt, daß sie wohl in einer jeden großen Drachen zur Eidechse degradierenden Schlange gelandet waren. Doch bevor sie gewahr wurde, wie sie auf dem schleimigen Grund der Speiseröhre auf den Mageninnenraum zuschlitterte, sah sie wie die Magenwände sich nach außen dehnten, Risse bekamen und unter einer Sintflut aus grünem, durchsichtigem Blut aufplatzten. Der rote Lichtstrahl aus Anthelias Zauberstab glitt derweil tief in das innere des Monsters hinein und löste eine massive Vernichtungslawine aus. Unter einem erdbebengleichen, langgezogenen Aufschrei wurde die unüberwindlich groß erscheinende Kreatur von innen her aufgerissen, und die überdimensionalen Eingeweide brachen unter wasserfallartigen Blutfontänen nach außen. Das war das Ende dieser unbesiegbar erscheinenden Bestie.

"es wird noch eine Minute dauern, bis das Ungetüm verendet. Aber wir können ihm jetzt schon entrinnen", sagte Anthelia und stürzte sich in die widerlichen grünen Fluten aus Blut. Patricia tauchte ihr nach, hütete sich davor, das Zeug einzuatmen und hielt sich die Augen zu. Sie fühlte, wie das grüne Blut an ihr zu kleben begann und ihre Bewegungen erschwerte. Dann, als habe sie mit letzter Kraft ein Schweres Tor aufgestoßen und sei hinausgesprungen, glitt sie durch freies Wasser.

Das Ungetüm, das wohl mehrere hundert Meter lang war, wühlte derweil mit herausgetretenen Gedärmen den Meeresboden auf und schlug dabei so starke Wellen, daß die draußen noch lauernden Monster zurückgeworfen wurden. Auch Anthelia und Patricia wurden wie Federn im Sturm herumgewirbelt. Patricia meinte schon, gleich an einem Felsen zerschellen oder vom wild zuckenden Monsterleib zerquetscht zu werden. Da zog etwas sie an Anthelia heran, die ihren Zauberstab auf sie richtete und damit wohl ihre telekinetische Kraft verstärkte. Als sie bei der höchsten Schwester ankam, umfing sie sie mit dem freien Arm und drückte sie an sich. Dann begann sie merkwürdige Laute auszustoßen, die Patricia nicht zuordnen konnte, die ihr aber eine gewisse Beklommenheit einjagten.

"Höchste Schwester, die anderen Monster kommen wieder!" Rief Patricia Straton nun völlig verängstigt und schlug mit ihrer Schwanzflosse aus. Doch Anthelia schien in einer Art Trance zu sein. Sie stieß weiterhin fremdartige Laute aus, die sich für Patricia wie ein neben allen Tonarten klingendes, jeden Takt vermissen lassendes Lied anhörten. Aus Anthelias Zauberstab drang ein blutrotes Licht, das sich langsam ausbreitete und ausdünnte, je länger dieses Lied dauerte desto weiter. Patricia sah die Monster, die eben noch auf sie zuschwammen, wie sie schmerzvoll zuckend jede Kontrolle über ihre Bewegungen verloren und sich wie im Starrkrampf zusammenzogen, immer mehr, je länger dieses merkwürdige Lied andauerte. Dann, mit einem letzten ausgestoßenen Schrei Anthelias, lösten sich alle Ungeheuer in Wasser auf. Auch das von ihnen von innen her verletzte Ungetüm zuckte noch einmal und zerfloß dann. Das Meer war nun wieder völlig frei. Auch die wispernden Stimmen der Hydromorphen konnte Patricia nicht mehr hören.

"Es hat gewirkt. Das mächtige Lied der Vergeltung, das meine Tante mich gelehrt hat, hat diese Bestien mit einem Schlag vernichtet", keuchte Anthelia.

"Lied der Vergeltung?" Fragte Patricia. Doch Anthelia schien sie nicht mehr zu hören. Sie sackte neben ihr zusammen. Offenbar hatte dieser Zauber ihre ganze Kraft gekostet.

Patricia sah sich bange um. Mochten noch mehrere Monster in der Nähe sein? Sollte sie mit Anthelia zum Boot zurückschwimmen und gegen den Drang zum Wasser ankämpfend zum Land zurückkehren? Da wurde ihr schwarz vor augen, und sie fühlte sich in einen tiefen Strudel fallen.

Als sie wieder erwachte, hockte Anthelia über ihr. Sie begutachtete sie und nickte.

"Wir beide sind der auszehrenden Kraft der Schutzblase zum Opfer gefallen. Und weil ich dich beim Lied der Vergeltung in meinem Arm hielt, um dich vor dessen Verheerung zu schützen, hat es dir wohl wie mir die nötige Kraft ausgesaugt", sagte sie und ließ den Zauberstab noch einmal über Patricia gleiten. "Sofern ich Sarahs Wissen um den Aufbau eines gesunden Wassermenschen und meinen Kenntnissen der menschlichen Körperkunde trauen darf bist du wieder genesen. Das Atmen von Wasser ist für Meerleute wie ein heilender Trank. Allerdings haben wir durch unsere Abwehrschlacht so lange ohnmächtig dagelegen, daß uns von den zwölf Stunden nur noch drei verblieben sind. Zwei werden wir benötigen, um wieder zu unserem Boot zurückzukehren. Ich hoffte, diesen Zauber besser ausnutzen zu können."

"Sollen wir umkehren?" Fragte Patricia, die keine Angst vor Anthelias Unmut hatte.

"Nein, wir sind kurz davor, in die Grotten des Steins vorzudringen. Ich werde nicht umkehren, ohne ihn gesehen und umkämpft zu haben. Komm!" Entgegnete Anthelia so entschlossen, daß Patricia nichts anderes konnte als zu gehorchen. Sie schwamm hinter Anthelia her. Offenbar hatten die Erbauer des Verstecks gedacht, der blaue Tod und die Monster würden jeden Vorstoß unmöglich machen. Denn als sie eine große Plattform mit vier konzentrischen Ringen aus blanken, weißen und mehrere Meter hohen Steinen erreichten, hatte nichts und niemand sie weiter behelligt.

"Aha, Die Brücke zwischen Erde und Himmel, wie bei den Druiden", erkannte Anthelia. "Also haben sie ihr Wissen von den versprengten Nachfahren des alten Reiches übernommen."

"Ich habe gelernt, daß solche Steinkreise magische Kräfte sammeln, innen halten oder äußere Einflüsse umleiten können", sagte Patricia. "Allerdings hat meine Mutter mich nicht die druidischen Rituale gelehrt. Sie meinte, solche Steine zu bauen dauere Jahre und wirkungsvoll damit zu zaubern verlange eine lange Sonderausbildung, weshalb Druidenschüler ja zwanzig Jahre von ihrem Meister unterwiesen werden mußten."

"So ist es, Schwester Patricia", sagte Anthelia. "Aber wer in diesen alten Künsten unterwiesen wurde, kann die wirkungsvollsten Zauber aufrufen, die über die Natur gebieten. Meine Tante, die nach Beauxbatons die alten Rituale studierte und für ihre Zwecke ergänzte, hat meiner Mutter und mir ihr Wissen mitgegeben. Wie gesagt würde es Jahre dauern, einen wirksamen Kreis aus großen Steinen zu errichten. Die Druiden hatten damals viele Helfer, die sie als Mittler zwischen den Göttern und Menschen verehrten. Heutzutage würde sich selbst ein gallokeltisch erzogener Zauberer nicht mehr dazu herablassen, Steine zu schleppen, damit ein druidischer Ritualmagier in ihrem Kreis wirkt. Aber weißt du, was dieser Steinkreis hier bedeuten mag?"

"Das von hier aus der Weg zu diesem Stein beginnt?" Vermutete Patricia. Anthelia nickte verhalten und erwiderte:

"Ja, das auch. Aber ich fürchte, nur jemand, der ein wirksames Ritual benutzen kann und im Kreis allein ist, kann diesen Weg betreten, da er keinen räumlichen Zugang besitzt und womöglich noch unter einem starken Wehrzauber liegt. Ich fürchte, jeder unkundige in diesem Kreis würde jede rituelle Kraft zerstreuen, die den Weg in die unterseeischen Höhlen eröffnet. Daher möchte ich dich bitten, Schwester Patricia, das du außerhalb des Kreises verweilst, bis ich entweder erfolgreich auf den Weg gelange und zurückkehre oder die letzten vier Zeitlichter auf der Restzeitscheibe leuchten. Passiert dies, so eile zurück zum Boot. Rufe kurz vorher den Detectus-locus-Zauber auf, der dir durch fernes Leuchten den festgelegten Verweilplatz des Bootes anzeigt! Begebe dich an bord und fahre so rasch es geht zum Land zurück! Widerstrebe jedem Verlangen, ins Wasser zurückzukehren und beachte nicht das Austrocknen deiner Haut. Es wird sich legen, wenn die Wirkung der Nixenessenz verfliegt. Falls du nicht widerstehen kannst, wirst du selbst für den Rest des Lebens zur Nixe und kannst nie wieder nach außen gerichtet zaubern oder gar unter Unseresgleichen wandeln. Verlasse nun den Kreis. Bleibe außerhalb von ihm, will sagen: Denke dir eine Säule, deren Fuß der Steinkreis ist und die sich unsichtbar zur Oberfläche erhebt!"

"Ja, höchste Schwester! Ich wünsche dir Glück", erwiderte Patricia und schwamm zwischen den beiden Steinen hindurch, durch die sie auf diese große Plattform gelangt waren. Hier wollte sie nun warten und hoffte, das kein Monster mehr kommen und sie doch noch angreifen würde. Denn der Bedarf nach Alptraumauslösern war für sie gedeckt.

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Anthelia blickte Patricia nach, wie ihre für sie blau leuchtende Schwanzflosse zwischen den mehrere Dutzend Meter hohen Steinen hindurchpendelte und verschwand. Sie war allein, allein mit ihrem selbsterwählten Schicksal. Sie hockte sich auf den immer vertrauteren Fischschwanz und überlegte, wie sie herausfinden konnte, welches alte Ritual ihr das Tor zu den Höhlen des Steines öffnen würde. Sie hob ihren Zauberstab und konzentrierte sich. Dann rief sie in einer Sprache, die nur noch wenige zauberkundige kannten:

"Himmel und Erde, verbunden im Kreise, enthüllt eurer Macht vollkommene Weise! zeiget mir an, welch Weg hier beginnt, auf daß ich richtig tu und ihn auch find'!"

Diese Formel wiederholte sie fünfmal. Dann fühlte sie, wie der weitläufige Steinkreis um sie herum reagierte. Es war, als strahle von außen nach innen eine belebende, aber auch aufwühlende Kraft in sein Zentrum, in dem Anthelia hockte und ihren Zauberstab kerzengerade nach oben gestreckt hielt. Erneut sang sie die Zauberformel in der alten Sprache her, die ihre Tante ihr als Gruß der Alten benannt hatte und die nur sehr emsig nach altem Wissen forschenden Zauberern zugänglich wurde, die das Glück hatten, einen Lehrer oder eine Lehrerin zu finden, die sie ihnen beibringen konnte und wollte.

Die Kraft, die vom Rand des Kreises auf sie einströmte verstärkte sich. Sie vermeinte, eine immer hellere Mauer aus Licht um sich herum zu sehen. Dann fühlte sie, wo und in welcher Weise die gesammelte Zauberkraft durch sie abfloß. Ja, so konnte der Weg gefunden werden.

"Im Schatten der Zeit, ich bin bereit, die Tore zur Erde zu öffnen", murmelte Anthelia in einer anderen Sprache, diesmal der Sprache der Druiden, die im europäischen Raum noch von gelehrten Hexen und Zauberern gesprochen wurde, wenn sie das etwas bekanntere Latein nicht benutzen wollten.

Anthelia sang diese Zauberformel ein Dutzend Mal, während sie im Uhrzeigersinn am inneren Rand des aus vier konzentrischen Steinringen gebildeten Kreises entlangschwamm. Dann begann sie die nächste Runde und sang die Zauberformel wieder zwölfmal. Sie fühlte, wie das Zentrum des Kreises mit dem vierfachen Steinring wechselwirkte. Eine ganze Runde würde sie wohl noch vollenden müssen.

Als sie die dritte Runde geschafft hatte schien ein Damm zu brechen. Anthelia fühlte, wie vom Mittelpunkt der vier konzentrischen Steinkreise aus eine Welle aus reiner Magie verlief, die sich in der Begrenzung fing und bläuliche Lichtblitze zwischen den einzelnen Steinen überschlagen ließ. Gleichzeitig gähnte Anthelia im Zentrum der großen Plattform ein bläulich umrandetes Loch entgegen, in das nun, wo die magische Schockwelle sich in der Begrenzung austobte Wasser hineinströmte. Anthelia zögerte nicht und ließ sich von dem so entstandenen Strudel erfassen und in das an die zehn Meter breite Loch hineinziehen, das ihre Anrufung geöffnet hatte. Sie fiel wohl an die zwanzig Meter nach unten, ehe der Sog verebbte. Sie hörte über sich ein Rumpeln und wußte, das die vorhin noch vorhandene Gesteinsmasse, die das Loch verdeckt hatte, wieder an ihrem Platz war. Sie war nun eingeschlossen und würde den Rückweg nur öffnen können, wenn sie am Boden dieses Schachtes das Toröffnungsritual wiederholte und sich von der dabei vielleicht wieder freiwerdenden Stoßwelle hinausstoßen ließ.

"Schwester Patricia. Ich bin nun in den verborgenen Höhlen", mentiloquierte sie. Doch ihre Gedankenstimme kam als Echo aus allen Richtungen zurück. Da wußte sie, sie war hier unten ganz auf sich allein gestellt.

Anthelia fand einen schmalen Durchgang, durch den sie sich hindurchschlängelte und einen Tunnel aus schwarzem Gestein entlang vorwärtsschwamm. Ihr nixisches Seevermögen zeigte ihr diesen Tunnel als blaue Röhre von etwa zwei Metern Durchmesser an. Anthelia richtete den Zauberstab nach vorne und flüsterte "Videtur Maledictum!" Gut das sie dies getan hatte. Denn unvermittelt tauchte vor ihr eine Wand aus dunklen Blitzen auf. Hier war also eine Zauberfalle, ein stationärer Fluch. In dem Moment, wo sie die magische Barriere erkannte, schoss ein etwa einen Meter großes Etwas wie eine Mischung aus Seeigel und Muräne auf sie zu.

"Avada Kedavra!" Rief sie, nachdem sie rasch den Fluchfinder gelöscht hatte. Keinen halben Meter vor ihr prallte das Geschöpf auf den Boden und zerfloss innerhalb von zehn Sekunden zu reinem Wasser.

"Hydromorphische Manifestation wie bei den anderen Ungetümen", erkannte Anthelia. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Fluch vor ihr. Mit einem weiteren zauber wollte sie wissen, was für ein Fluch es war. Doch darauf war dieser Zauber offenbar vorbereitet worden. Schlagartig schossen grüne Blitze auf Anthelia zu und bereiteten ihr Angst und Visionen von sie bedrängenden Unterwassermonstern. Sie schaffte es gerade noch "Antiscotergia" zu rufen. Doch dieser Zauber trieb sie an den Rand der Ohnmacht. So gewahrte sie die heranstrudelnden Nesselfäden einer herangleitenden Qualle erst, als sie bereits von ihnen umschnürt wurde. Zuerst meinte sie, mit dutzenden von glühendheißen Dolchen zerschnitten zu werden. Doch dann verflog dieses Gefühl wieder. Der Gürtel, der auch gegen alle Arten natürlicher Vergiftung schützte, hatte das ansonsten in Sekunden tödliche Gift neutralisiert. So konnte Anthelia sich aus dem Gewirr der glibberigen Nesselfäden herauswinden und dem Geschöpf mit einem Relaschio-Heißwasserstrahl den Rest geben. Avada Kedavra hätte hier nicht geholfen, da eine Qualle aus mehr als einem eigenständigen Wesen bestand. Das gallertartige Hohltier zerkochte und löste sich auch in Wasser auf. Anthelia schwamm weiter, wieder auf der Hut vor Flüchen. Als sie an eine dreiarmige Weggabelung kam, griffen weitere Monster an. Diesmal waren es krakenartige Ungeheuer mit mehr als zehn Meter langen Fangarmen. Dann schoben sich weitere Quallen, diesmal mehr als zehn Meter große Scheusale, durch die Zugänge und glitten mit pumpenden Bewegungen Wasser ein- und austreibend auf Anthelia zu, die der immer wilderen Menge tötungswilliger Bestien nicht mehr Herrin zu bleiben drohte. Eines der Krakenmonster packte sie bei der Schwanzflosse und setzte schon an, sie ihr mit seinem scharfen, auch vergifteten Schnabel durchzubeißen, als sie mit einer schnellen Zauberstabbewegung um sich schlug, an dessen Ende mehrere Schnüre aus Feuer entsprossen waren. Alle davon getroffenen Monster schraken zurück, und das Krakenungeheuer bekam die flammende Geißel voll gegen die Fangarme, mit denen es Anthelia festhielt. Sie kam frei und schlug erneut mit der Geißel aus glühenden Strängen um sich, bis sie die Monster auf Abstand hatte. Dann erschuf sie sich die rosarote Leuchtblase und durchbrach darin die Meute der Monster. Diese folgten ihr zwar, als sie nach rechts in einen anderen Stollen abbog, blieben dann aber zurück. Anthelia ahnte, daß hier etwas lauerte, was selbst diesen Bestien gefährlich werden konnte. Sie rief noch einmal den Fluchfinder auf. Doch er zeigte nichts an. Stattdessen wurde das Wasser um sie herum immer heißer. Sie fühlte, wie es ihre schuppige Haut immer stärker piesakte. Dann sah sie, wie vor ihr immer mächtigere Dampfblasen aufquollen.

"Mich kochen wie ein Kaninchen im Topf könnte euch so passen", dachte Anthelia. "Medium Frigidum amplifico maximum!" Rief sie. Aus ihrem Zauberstab schossen gelbe und blaue Lichtblitze heraus, die sich um sie herum ausbreiteten und da, wo sie langschlugen kleine Eiskristalle erzeugten. Schlagartig kühlte das Wasser ab. Anthelia fühlte zwar, wie dieser heftige Elementarzauber sie wieder sehr deutlich auslaugte, aber noch hatte sie Körper- und Willenskraft, ihren Weg fortzusetzen. Sie schwamm durch die Zone der Wassererhitzung, mußte dabei noch zweimal den Zauber wirken, weil das Wasser erneut aufgeheizt wurde und schaffte es zu einem weiteren Abzweig. Hier schnellte ein riesiger Schwarm aus kleinen, krebsartigen Schalentieren auf sie zu, der versuchte, sie bei lebendigem Leib aufzufressen. Doch der Gürtel der zweiundzwanzig Leben war auch mit einem Lebensopfer eines von Tieren lebendig angefressenen erschaffen worden, sodaß nach fünf schmerzhaften Bissen, die Anthelia hinnehmen mußte, ihre Haut gegen weitere Attacken gehärtet war. Sie wich zurück, bis die Flut der gefräßigen Krebstiere ihr nicht mehr folgte und begann erneut, das Lied der Vergeltung zu singen. als sie es vollendet hatte, gab es von den unzähligen Biestern keines mehr. Doch sie merkte, sie würde keinen solchen Zauber mehr aufrufen können, ohne das Bewußtsein zu verlieren. Entweder würde sie dann in das aufgeheizte Wasser zurücktreiben und solange darin gesotten, bis der Gürtel sie nicht davor schützen und ihr selbst das Leben aussaugen würde oder in diesen Gängen herumirren, eingesperrt zwischen Flüchen und einem magischen Ausgang, den sie nur mit voller Konzentration wieder öffnen konnte. Als Nixe würde sie dann ewig gefangen bleiben, zumindest würde sie dann hier verhungern, weil auch die Meermenschen Nährstoffe brauchten, die es in diesen Höhlen nicht geben konnte.

"Ich will zumindest wissen, wo der Stein genau liegt", dachte Anthelia und rief den Zauberfinder auf. Hinter ihr lag die Zone des Aufheizens, erkennbar an rot-blauen Schlieren, die bei Ausrichtung des Zauberstabes darauf vor ihr tanzten. Sie legte den aktivierten Zauberstab auf ihre Handfläche und befahl ihm, ihr die Richtung zu weisen. War der Zauberfinder aufgerufen drehte sich der Stab in die Richtung der stärksten magischen Quelle. Tatsächlich pendelte sich der Stab auf den Abzweig nach links oben ein. Anthelia beendete den Zauberfinder und schwamm hinein in den Tunnel. Als sie auf ein beinahe unsichtbares Geflecht zuschwamm, rief sie geistesgegenwärtig: "Diffindo!" Das für Menschenaugen unsichtbare Netzwerk zerriss in nach innen zurückschnellende, klebrige Fäden. Dann sah Anthelia das spinnenartige Ungetüm, das aus einer Seitenhöhle auf sie zulief.

"Aura Basilisci!" Rief Anthelia und dachte dabei an eine meterlange, grüne Schlange mit tödlichem Blick, während sie mit dem Stab auf sich deutete. Dieser Defensivzauber, den sie aus Sarah Redwoods Erinnerung bezog, bewirkte eine von ihr ausgehende Ausstrahlung, die jedem Spinnenwesen dieselbe helle Panik einjagte, die ein echter Basilisk verbreitete. Zwar hielt dieser Zauber nur fünf volle Sekunden vor. Doch das oder die zu verjagenden Spinnenwesen würden mindestens eine volle Minute davonlaufen, bis ihre Furcht verflogen war. So geschah es auch. Die Unterwasserspinne prallte zurück und drehte sich auf der Stelle, wobei ihre mittleren Beinpaare sich fast ineinander verhedderten und rannte in unbändiger Todesangst davon.

"Submarine Spinnenwesen", knurrte Anthelia und schlug so heftig mit ihrer Schwanzflosse, daß deren Enden beinahe in den lose herabhängenden Fäden des zerrissenen Spinnennetzes hängen blieben. Dann war sie aus der Spinnenhöhle heraus und folgte dem Weg, den ihr der Zauberstab gewiesen hatte, bis eine Wand sie am Vorankommen hinderte.

"Ich werde mich nicht durch ein Labyrinth tasten, bis ich den einzigen Zuweg habe", knurrte Anthelia in Gedanken und richtete den Zauberstab auf das Stück massiv wirkender Mauer aus Granit. Sie kannte einen Erdelementarzauber, der ihr helfen kkonnte, selbst di dicksten Mauern durchlässig zu machen. Zwar konnte hier unten etwas darauf abgestimmt sein und sofort auf sie eindringen. Doch Anthelia war klar, daß sie schon der verbleibenden Zeit wegen keinen Umweg mehr schwimmen konnte, zumal bestimmt noch weitere Zauberfallen und Monster in den möglichen Gängen und Höhlen lauerten. Hier vor ihr, hinter dieser Wand mochte der Stein der großen Erdmutter warten. Sie prüfte es mit dem Zauberfinder, ob die Wand selbst bezaubert war. Sie war es nicht und die Richtungsaufforderung an den Zauberstab verriet ihr überdeutlich, daß sie direkt vor der stärksten Konzentration von Zauberkraft stand.

"Terra lapisque permeabilis pro vivo!" Rief Anthelia, wobei sie den Zauberstab sachte über die vor ihr liegende Wand streichen ließ, worauf dieser erst orangerot erleuchtete und dann die Wand in diesem Licht erstrahlte. Anthelia legte ihre Hand auf die Mauer, die unvermittelt nachgab, aus nichts anderem als kalter Luft zu bestehen schien. Sie sprang vorwärts und verschwand mit leisem Säuseln in der Wand. Nur zwei Sekunden würde sie dieser Zauber durch alles aus Erde und Gestein tragen, wußte sie. Tatsächlich war die Mauer, die um sie herum wie ein ihrem Körper angepaßter biegsamer blauer Tunnel entlangglitt mehr als drei Meter dick. Doch sie schaffte es noch, aus der Mauer zu entkommen, bevor der Durchdringungszauber verklang. Anthelia atmete befreit auf. Doch hier gab es nicht das auf ihren zur Zeit nixischen Organismus so belebend wirkende Wasser, dem sie wohl ihr bisheriges Durchhaltevermögen verdankte, sondern Luft, kühle Luft, die für sie jedoch wie mit dichtem Qualm geschwängert wirkte. Sie Fand sich auf nacktem Felsboden wieder, am Rande einer birnenförmigen Höhle ohne sichtbaren Ausgang. Sie war mindestens zwanzig mal fünfzig Meter groß und schien aus blankpolierten, nahtlos miteinander verfugten Steinen errichtet worden zu sein. Also war es eher eine Kammer als eine Höhle, empfand Anthelia. Auf dem Land etwas unbeholfen robbte sie weiter. Sie fühlte, wie ihre Haut zu trocknen begann. Hier wirkte sich die Natur der Meermenschen nun störend aus. Ja, und sie überkam das immer größere Verlangen, wieder ins Wasser zurückzukehren, der natürliche Instinkt, sich in ihr eigentliches Element zurückzuziehen. Dann war da noch etwas, das Gefühl einer großen erhabenen Kraft, die von einem steinernen Sockel in der Höhlenmitte ausging.

Anthelia kämpfte gegen die körperlichen und seelischen Schwierigkeiten an und zog sich mit den Armen abstützend wie ein Seelöwe auf Land an den Sockel heran, auf dem ein kinderkopfgroßes Gebilde in der Form eines Zwanzigflächlers lag. Es schimmerte aus sich selbst heraus rosiggolden und strahlte ein unhörbares Vibrieren ab, das Anthelias Körper ergriff und durchdrang. Das war er also, der Stein der großen Erdmutter.

__________

patricia Straton schwamm einige Meter vom äußersten der vier Steinkreise herum und hörte, wie Anthelia ihr unverständliche Zauberformeln sang. Dann sah sie, wie zwischen den innersten Steinen blaue Blitze zuckten. Als dies vorbei war, erfaßte sie, daß Anthelia nicht mehr dort war. Ihre gut gehütete, aber dennoch spürbare Geistesausstrahlung war auf einmal fort. Patricia Straton wartete einige Minuten. Dann schwamm sie zurück in den umschlossenen bereich. Anthelia war nicht mehr da, und im Boden war nichts zu erkennen, was ein eingang oder eine Tür hätte sein können.

"Sie hat ihren Weg hinein gefunden", dachte Patricia. Von hier an würde sie ihr nicht helfen können. Denn sie kannte das Ritual nicht, daß Anthelia benutzt hatte. Sie sah auf ihre Uhrenscheibe und erkannte, wie das sechstletzte Licht endgültig erlosch. Sie hatte nun noch zweieinhalb Stunden Zeit, besser nur noch eine halbe Stunde, bevor sie fortschwimmen und zum Boot zurückkehren mußte. Ein merkwürdiges Gefühl von Hunger überkam sie. Wo gab es hier Wasserpflanzen, auf die sie jetzt einen mächtigen Appetit hatte? Natürlich gab es in Oberflächennähe Plankton, das sie nur einsaugen mußte. Vielleicht gab es auch Seetang. Ja, Seetang. Ihr Magen knurrte fordernd bei diesem Gedanken.

"Mist, jetzt fängt wohl mein Verstand an, sich zu verwandeln", knurrte Patricia. "Ich esse doch keine glibberigen Wasserpflanzen. Obwohl Grünalgen, jamm! - Blödsinn, Dreckzeug!" So war Patricia nun damit beschäftigt, die natürlichen, in ihr heranreifenden Bedürfnisse einer Meerfrau niederzuhalten. Sie fühlte, wie von ihrem Körper unverdauliche Reste durch die im Moment einzige Öffnung ihres Unterleibs ins Wasser ausströmten. Dabei dachte sie daran, wie wohl der Liebesakt zwischen den Meerleuten verlaufen würde und bekam Vorstellungen von einem kräftigen Meermann mit dunklen Haaren und silbernen Schuppen, wie er seinen Fischleib mit ihrem zusammenführte und sie irgendwie miteinander verschmolzen. Patricia durchlief ein wohliger Schauer, nicht heiß und kalt, als sie die ersten wahrlich erotischen Gefühle erlebt hatte, sondern einfach glückselig machend wie eine alle Sorgen betäubende Droge oder der alle Gedanken fortfegende Schauer des Imperius-Fluches.

"Hoffentlich kommt Anthelia schnell wieder, sonst will ich gar nicht mehr ich selbst werden. Nachher habe ich noch Lust auf Okeanidas Wunschliebhaber, und der sieht bestimmt nicht wie meiner aus", dachte Patricia. Sie mußte sich beschäftigen, irgendwas machen, das die in ihr aufkeimenden Gelüste einer jungfräulichen Nixe überlagerte. Vielleicht sollte sie mit ihrer Mutter mentiloquieren. Doch nein, Anthelia hatte es ihr verboten, irgendwem was zu erzählen. Würde sie herausfinden, daß sie sich nicht daran gehalten hatte, würde sie ihr entweder den Todesfluch entgegenschleudern oder sie in irgendwas nützliches verwandeln. Ja, womöglich zwang sie sie auch dazu, noch eine Dosis des Tranks zu schlucken und setzte sie dann im weiten Ozean aus, so daß sie unmöglich an Land zurückkehren konnte und wahrhaftig als Meerjungfrau weiterleben und ihren Platz im Leben der Wassermenschen finden mußte. Warum eigentlich nicht? - Weil sie das nicht wollte!

Sie erinnerte sich an Muggelmärchen von Nixen, die nicht aus dem Wasser hinauskonnten oder keinen Menschen berühren durften, ohne zu Stein zu erstarren. Das war natürlich Muggelquatsch, wußte sie. Zwar überlebten Meermenschen nur eine Stunde an der frischen Luft, doch wenn sie starben hinterließen sie genauso verwesende Leichen wie Landbewohner. Um sich von dem Hunger und den offenbar angestauten sexuellen Bedürfnissen, die sie als Hexe oder die edle Meerjungfrau empfinden mochte abzulenken übte sie unter Wasser zu zaubern, außerhalb des Steinkreises. Offenbar hatte Anthelias Zauber wirklich alle Monster in der Nähe vernichtet. Sie hörte nur die tierhaften Gedanken von Fischen auf der Suche nach Nahrung, der Flucht vor Feinden oder der Balz. Nein, das brachte sie wieder auf diesen Wasserwunderknaben, der ihr vorhin noch durch den Sinn gegangen war. Auf soeinen hatte sie, Patricia Straton, keine Lust. Der konnte und würde sie ganz bestimmt nicht glücklich machen. Dann kam noch dieser Hunger auf schleimiges Algenzeug dazu, den sie nur deshalb niederringen konnte, weil sie einmal mit dem Zauberstab den Ventranquillitus-Zauber gewirkt hatte, der ihrem Magen das Gefühl von Sattheit vermittelte, welches eine volle Stunde vorhielt. Sie übte Fernbewegungszauber, Verwandlungen von Steinen und kleinen Fischen, probierte Flüche aus, die unter Wasser anders aussahen als gewöhnlich und versuchte sogar zu disapparieren. Doch in diesem Körper oder wegen der Tiefe hier ging das nicht. So verging die halbe Stunde. Sie blickte auf ihre Uhrenscheibe. Wo blieb Anthelia? Offenbar war sie dem, was in dem Versteck auf jeden lauerte zum Opfer gefallen. Vielleicht gab es dort aber auch einfach zu viele Gänge und Stollen, die sie erkunden mußte. So mochte sie noch Stunden zubringen. Sie war froh, daß sie ihre Befehle hatte, nach Ablauf dieser halben Stunde zum Boot zurückzuschwimmen. Falls sie es schafffte, sich dort hinein zu retten und dem Drang ins Wasser zu widerstehen, konnte sie in die Zivilisation zurückkehren. Für Anthelia würde es dann jedoch so oder so zu spät sein. Patricia dachte daran, ob Anthelia als Meerfrau anders leben und denken würde, wenn sie keine nach außen wirksamen Zauberkräfte mehr hatte, außer der Gabe, mit kaltblütigen Meerestieren zu kommunizieren. Sicher wäre es für die bisher so machtbewußte Hexe die größte Strafe für Größenwahn, unfähig und Jahrhundertelang unter anderen primitiven Wassermenschen leben zu müssen. Da würde ihr weder das Medaillon, der Zauberstab noch dieser Gürtel helfen, den Patricia bei ihr unter dem Bikinioberteil gesehen hatte. So verlor sich Patricia in Gedanken an die Folgen, wenn die höchste Schwester nicht mehr in die angestammte Welt zurückkehren konnte. Sie dachte daran, ob dies nicht vielleicht besser sei. Sicher, sie mochte nicht so mordlüstern sein wie dieser Voldemort. Aber wer wußte schon, was sie anstellen mochte, wenn sie ihre Ziele nicht so schnell erreichte wie sie wollte? Sie hatte mit ihrer Mutter schon häufig darüber gesprochen, ob sie beide die richtige Entscheidung getroffen hatten, sich Anthelia anzuschließen und den bisherigen Mitschwestern unter der Führung von Lady Daianira abtrünnig zu werden. Manchmal war sie sich nicht so sicher, ob Anthelia wirklich die bessere Wahl war. Sie konnte sich gut vorstellen, daß die Nichte Sardonias doch irgendwann den selben Haß auf alle Widersacher entwickeln mochte, der Sardonia selbst den Garaus gemacht hatte. Dann würde sie wohl alle mitnehmen, die ihr auf diesem Weg noch folgten, dachte Patricia.

Sie dachte zurück an die Zeit, wo sie noch als Schulmädchen von ihrer Mutter gefragt worden war, ob sie den schweigsamen Schwestern beitreten wolle. damals, genau an ihrem siebzehnten Geburtstag, hatte sie sich die drei Tage Bedenkzeit genommen und dann entschieden, beizutreten. Als sie dann noch in den erlauchten kreis der entschlossenen Schwestern eingeführt worden war, fühlte sie sich den anderen Mädchen in Thorntails so überlegen, daß ihre Mutter ihr einmal angedroht hatte, sie Lady Daianira zu melden, die es wohl nicht mögen würde, daß eine neue Mitschwester sich so überheblich aufführte und dadurch verdacht erregte. Tja, und jetzt gehörte sie zu den Spinnenschwestern, die von ihrer Mutter zusammengebracht und von Anthelia eingeschworen worden waren. Vielleicht konnte man das ja wieder umkehren, wenn Anthelia nicht mehr zurückkehrte. Denn entweder tot oder als Nixe würde sie garantiert keinen magischen Einfluß mehr auf irgendjemanden ausüben können. Aber sie wartete noch diese halbe Stunde, die sie Zeit hatte. Für sie hieß es jetzt, das Anthelia nicht mehr wiederkommen würde, weil sie tot oder unerreichbar irgendwo verschollen war. So schwamm Patricia los, zurück zum Boot. Als sie aufstieg und mehrere Haie durch lautes Zurufen von sich fortscheuchte, fragte sie sich, ob sie jetzt einem Befehl Anthelias oder ihrem eigenen Wunsch gehorchte, ob sie jetzt nur solange gewartet hatte, weil sie nicht wußte, was sie anschließend machen sollte oder wegen Anthelias Befehl? Doch jetzt war sie unterwegs zurück zur Wasseroberfläche. Zwar sah sie sie noch nicht, weil es mittlerweile schon dunkel wurde, aber der sinkende Wasserdruck ließ sie spüren, das sie zurückkehrte. Ja, und da war noch der sehr anregende Geruch von Wasserpflanzen. Einzellige Algen drangen in ihre Nase und machten ihr bereits Hunger auf größere Meeresalgen. Dann fragte sie sich, wieso sie an die Luft zurückkehrte. Da oben war es trocken, zu leer und schlüpfrig. Ja, und die Sonne würde ihr bestimmt wehtun, wenn sie solange hier unten gewesen war. Nein, sie mußte dagegen ankämpfen. Sie war nicht Okeanida, sondern Patricia Straton. Sie hatte eine Mutter unter den Menschen und war nicht als Fischartiger Winzling aus einem Fischleib gedrückt worden. Bald würde die Balance, die der Trank noch hielt, zu Gunsten der Meermenschennatur umschlagen. Wenn sie dann nicht aus dem Wasser war, konnte sie sich überlegen, ob sie nicht in besagte Meermenschenkolonie nach Ecuador umziehen und sich dort mit jemandem zusammentun mußte, wollte sie nicht einsam in den Meeren herumschwimmen.

Sie fühlte, wie das Wasser wärmer wurde. Sie wußte, daß sie nun noch etwa zehn oder zwanzig Meter aufzusteigen hatte. Sie wirkte den Detectio-Locus-Zauber und sah vor sich das Leuchten, das der Beharrungszauber verursachte, der das Boot an seinem Platz hielt. Ja, sie schaffte es! Sie stieß aus dem Wasser heraus und sah, daß sie noch eine halbe Stunde Zeit hatte. Sie warf sich über die Bootswand und zog sich an Bord. Hier oben störte dieser Fischschwanz mehr als er nützte. Doch kaum war sie im Boot, kamen ihr Zweifel, ob sie das wirklich wollte. Das Meer roch so gut und gab ihr doch genug zu essen. Hier oben war es windig und kalt. Sie konnte sich nicht in dieses wohlige tragende Element hineinlegen, das unter dem Boot plätscherte. Außerdem würde es höllisch weh tun, wenn ihr Unterleib wieder auseinanderging und sie Beine, diese schwächlichen Laufdinger der Landmenschen, wiederkriegen würde. Ja, sie würde bestimmt nicht mehr darauf laufen können, weil jeder Schritt ihr ganz bestimmt große Schmerzen bereitete. Wasser! Sie mußte zurück ins Wasser! Da gehörte sie hin, und nicht in dieses blöde Gummiboot der Muggel, dieser zauberunfähigen Landmenschen.

"Nein, du mußt im Boot bleiben, am besten auf der Sitzbank! Du darfst mit keinem Körperteil im Wasser liegen. Spritzer machen nichts, hat Anthelia gesagt", dachte Patricia. Doch der immer stärkere Drang, sich einfach wieder über die Bordwand zu wuchten und abzutauchen wurde immer mächtiger. Schon war sie mit den Armen wieder über der Bordwand. Nein! Sie war keine Nixe, keine Meerjungfrau. Sie war eine Hexe, die fliegen, aparieren, mmächtige Zauber aussprechen und wirksame Zaubertränke brauen konnte. Von wegen Meerjungfrau! Sie war ja nicht mal mehr Jungfrau! Aber das Wasser! Sie wollte wieder da rein, darin schwimmen, es einsaugen. Dieser unsichtbare Dunst um sie herum war nichts für sie. - Das war Luft! Das war ihr Lebenselement, nicht das Wasser. - Sie warf sich zurück ins Boot. Es juckte etwas, weil die Schuppen auf ihrem Fischleib austrockneten. Das würde noch richtig weh tun! - Nein, sie durfte nicht ins Wasser zurück. Sie würde nie mehr im Leben zaubern oder fliegen können. - Meer! Sie wollte ins Meer! Wieder zog sie sich fast über die Bordwand, sog begierig den Duft von Salzwasser ein. - Nein! Sie gehörte da nicht hin!

"Ich muß mich schocken oder sonst wie KO hauen", dachte Patricia, während der Drang zum Meer sie wieder in Richtung Bootsrand zog. Sie sah die Jutetasche. Neben ihr lagen die leeren Phiolen mit dem Nixenelixier. Doch irgendwas war noch in der Tasche. Sie griff hinein und ertastete eine große Flasche. Sie zog sie heraus und sah im Dunkeln ein leuchtendes Etikett:

"Für den Fall, daß der Wille nicht ausreicht", stand da. Sie entkorkte die Flasche und sah den purpurnen Dunst herausquellen. Mit einem letzten Aufflammen von Willenskraft stieß sie die Öffnung der Flasche zwischen ihre Lippen und schluckte hastig etwas hinunter. Dann stellte sie die Flasche ins Boot und drückte den Korken hinein. Da wurde ihr schwindelig und sie verlor die Besinnung.

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Der Stein der großen Erdmutter wartete auf sie. Er wartete wohl schon seit Jahrtausenden an diesem Ort. Und sie, Anthelia, würde ihn jetzt erringen. Doch in ihm wohnte wohl noch etwas, das gegen sie kämpfen würde. Sie wußte, daß sie hierfür keinen Zauberstab gebrauchen konnte. So steckte sie ihn in ihr nasses Oberteilzwischen ihre kalten, merkwürdigerweise im Moment nicht zu spürenden Brüste. Dann streckte sie beide Hände aus und berührte den Stein.

Als würde ihr etwas die Eingeweide und das Gehirn nach außen kehren zerrte etwas an ihr und riss sie fort. Dabei verlor sie jedes Gefühl für Körperlichkeit. Sie meinte, durch einen Tunnel aus goldenem Licht dahinzurasen, gezogen und geschoben von einer Kraft, die stärker war als die Stromschnellen eines Wildbaches. Dann erreichte sie das Innere einer Kugelschale aus hellem Licht, vergleichbar mit einer der magischen Reisesphären, die sie als Beauxbatons-Schülerin kennengelernt hatte. Doch diese Kugel war nicht sonnenuntergangsrot, sondern Mittagssonnengelb und schien nun, da sie in sie hineingeraten war, unendlich groß zu werden. Dann fühlte sie einen Ruck. Sie bewegte sich nicht mehr. Vor ihr entstand aus myriaden Lichtpunkten eine Gestalt, die annähernd so groß wie sie selbst war, sich dabei verdunkelte und zu einer nackten Frau mit goldener Hautfarbe verdichtete, deren erdbraunes Haar ihr bis zum Bauch herabhing.

"Aha, ist tatsächlich jemand zu mir gekommen, hat sich einen schmerzfreien Weg in den Tempel meines Schoßes gebahnt und mich aufgeweckt. Der letzte, der mich weckte mußte jedoch vergehen, weil er meiner und des Steines nicht würdig war", sprach die aus dem Zauberlicht entstandene Frau mit einer tiefen, die ganze Kugel ausfüllenden Stimme, die Anthelia sacht vibrieren ließ. Als diese an sich hinuntersah, erkannte sie, das sie im Moment keine Meerfrau war. Ihr Körper war ebenso nackt wie der dieser Fremden, leuchtete jedoch in einem merkwürdigen roten Licht und schien so durchsichtig zu sein wie Milchglas. Da begriff Anthelia, daß sie nicht mit dem Körper, sondern nur mit ihrer Seele in diesen kugelrunden Raum hinübergewechselt war. Sie befand sich auf einer anderen Daseinsebene innerhalb einer magischen Sphäre, die außerhalb von Raum und Zeit lag.

"Wer bist du?" Fragte Anthelia und hörte ihre allererste Stimme, nicht die des zur Frau gewandelten Bartemius Crouch Junior, im Weiten dieser Kugel widerhallen.

"Ich bin Madrash Ghedon, die oberste Meisterin der Erden und Metalle, vereint im mächtigsten Zauber dieses Elementes erstarkt wurde ich zu meinen Lebzeiten die Große Erdmutter geheißen und einer Göttin gleich verehrt. Wer bist du?"

"Ich bin Anthelia, Tochter der Nigrastra vom Bitterwald, Nichte der zaubermächtigen Sardonia, Matriarchin über alle ihren Platz behauptenden Hexen", stellte sich Anthelia vor. Madrash Ghedon sah sie prüfend an. Anthelia versuchte, ihren Geist zu verschließen. Doch die Erscheinung der alten atlantischen Großmagierin lachte nur darüber.

"Du kannst versuchen, deine Gedanken zu verschließen, Anthelia, die du bereits den zweiten Körper bewohnst. Aber hier im magischen Focus meiner Macht gibt es nichts, von dem ich nichts weiß. So weiß ich auch, daß du gekommen bist, mich niederzuringen, dir mein Erbe, den Stein der Madrash Ghedon zu nehmen, um durch ihn und die darin wohnende Macht meiner ganzen Kraft deine Ziele zu verfolgen und ein Ungleichgewicht unter den Menschen zu erschaffen, weil du meinst, nur den Trägerinnen der Magie stehe die Herrschaft zu, und den Trägern der Magie sei der Dienstbotenstand zuzuweisen. Doch als ich da selbst noch unter den Menschen lebte, mußte ich lernen, daß jedes Ungleichgewicht die Zerstörung dessen bringt, was vorher so unzerstörbar war. So werde ich dich nicht mehr entkommen lassen und dir nicht den Stein überlassen, es sei denn, du schaffst es wirklich, stärker zu sein als ich. Verlierst du diese Kraftprobe, wird dein Körper Sterben und deine Seele für immer in mir aufgehen, dein Wissen mein sein, aber dein Trachten verlöschen. Du wirst dann nicht mehr als mir dienstbare Gedanken sein, die mich um eine wichtige Erfahrung bereichern, bevor ich wieder einschlafe und den nächsten erwarte, der meint, mein Erbe an sich nehmen zu müssen. So kämpfe um deine Existenz. Schaffst du es, nicht in meinem Sein aufzugehen, sondern dich wieder von mir zu lösen, so wirst du zurückgestoßen in deinen Leib und kannst den Stein nehmen und damit deine Welt zu Grunde richten, weil ich dann nicht wachen kann, bis du von selbst stirbst. Du hast zu viel gewagt, um diesen Kampf zu meiden, Anthelia. Also komm zu mir und erstarke oder schwäche mich!" Rief Madrash Gehdon und wuchs zusehens. Gleichermaßen hatte Anthelia das Gefühl, auf die außerweltliche Erscheinungsform dieser alten Magierin hingezogen zu werden. Sie wußte, sie mußte ihr widerstehen, damit sie nicht in sie hineingezogen und von ihr wie Nahrung verdaut wurde.

"Du bist zwar stark, aber doch nicht stark genug für mich!" Frohlockte Madrash Ghedon, die Anthelia eine der nun riesnhhaften Hände entgegenstreckte. Anthelia wußte, sie mußte zurückweichen. Doch hierbei ging es nicht nur um Stehenbleiben, sondern auch um einen Gegenschlag. Sie mußte etwas finden, daß in dieser astralen Sphäre stark genug war, um die Daseinsform der großen Erdmutter zu schwächen. Sie war die Gebieterin der Erde. Das hieß, alle anderen Elemente waren ihr verwährt. Aber ohne zauberstab konnte Anthelia hier nicht irgendwas tun. Doch, sie konnte etwas tun. Vorstellungskraft hieß hier das entscheidende, das hier gültige Zauberwort. Sie würde entscheiden, wie der Kampf enden würde. So dachte sie, die Erdmutter solle wieder schrumpfen, stellte sie sich puppengroß vor. Doch Madrash Ghedon schüttelte sich. Sie lachte und breitete ihre Arme aus.

"Komm zu mir, du Betrügerin des Todes. In mir wirst du endlich unsterblich werden."

"Du heißt mich eine Größenwahnsinnige?!" Rief Anthelia. "Dabei bist du selbst der Megalomanie verfallen und in deinem selbsterbauten Kerker elend verdorben. Werde zu Luft und lasse dich von mir einatmen!"

Das wirkte offenbar. Madrash Gehdon schrie wie vor Schmerzen und begann zu zerfließen. Anthelia wiederholte diese Beschwörung nun immer wieder. Sie sog mit ihrem nun rein energieförmigen Sein an dem, was Madrash Ghedon ausmachte. Doch diese schaffte es mit einem Ruck, sich wieder zu verfestigen und noch um die Hälfte ihrer sichtbaren Größe zuzulegen.

"Gleich habe ich dich und werde dein Wissen genießen und fühlen, wie dein machtgieriger Geist in meinem Dasein zerrinnt. Gib dich mir freiwillig hin, und ich werde sehr gutmütig an dich zurückdenken!"

"Niemals, du Geschöpf aus reinem Gas", dachte Anthelia. "Möge der Wind der Entschlossenheit dich ergreifen und in alle Richtungen verblasen!"

"Niemals, Anthelia. Gib es auf und komm freiwillig zu mir. Dann wirst du noch lange meine Gedanken teilen", erwiderte die große Erdmutter, während unsichtbare Kräfte an ihr rüttelten, weil Anthelia sich einen Wirbelsturm vorstellte. Da erscholl ein lauthalses Lachen, triumphal und bösartig. Es kam von außen und ließ die Kugel wie eine riesige Glocke schwingen.

"Danke, Anthelia, du Miststück, daß du mir durch deine Machtgier geholfen hast, wieder freizukommen. Endlich kann ich wieder zurück ins Leben, selbst wenn ich mich beeilen muß, diesen Nixenleib loszuwerden. Aber ich kenne da einen guten Zauber, der mir helfen wird, die Gelüste des Wassermenschendaseins zu unterdrücken. Dein Zauberstab und dieses vermaledeite Medaillon werden mir helfen, ihn verstärken. Ich weiß zwar nicht alles, was du getrieben hast. Aber ich werde es herausfinden. Am besten nehme ich diesen Stein hier mit, wo du jetzt darin gefangen bist wie ich in diesem Medaillon hier." Das war Sarah Redwoods Stimme, erkannte Anthelia und fühlte, wie sie den geistigen Widerstand vernachlässigte, der sie gegen Madrash Ghedon kämpfen ließ. Sie flog auf die einladend dastehende Erdmutter zu und würde in wenigen Sekunden in ihren rein energetischen Leib hineingesaugt werden. Da ertönte ein Schlag wie ein metergroßer Schmiedehammer auf einen entsprechenden Amboss und ein lauter Entsetzensschrei. Anthelia fühlte, wie der Sog, der von Madrash Ghedon ausging verebbte und zu einem mörderischen Rückstoß wurde, der sie davonschleuderte und aus der Kugel hinausbeförderte. Dabei hörte sie jemanden schreien, Sarah Redwood, die geradewegs als nachtschwarzer, dreidimensionaler Schatten durch den goldenen Tunnel raste und mit lautem Angstgeschrei an Anthelia vorbeiflog, die ihrerseits laut schreiend vom immer noch auf sie einwirkenden Rückstoß durch den Tunnel gejagt wurde, bis sie mit einem Gefühl, mit Urgewalt irgendwo hineingetrieben zu werden zurückprallte. Sie sah noch das Seelenmedaillon, das leuchtend am Stein haftete und wild pulsierte. Da fühlte sie ihren derzeitigen Körper wieder. Sie hörte noch einen fernen Schrei. Dann prallten sie und das Medaillon von einer unsichtbaren Macht getroffen zurück und sie schlitterte über den Boden. Ihr Fischschwanz war nicht geeignet sie hochkommen zu lassen. So warf sie sich herum und fing sich mit den beschuppten Armen ab. Das Medaillon baumelte frei vor ihrem Körper. Ihr silbriggrauer Zauberstab lag immer noch längs unter ihrem Bikinioberteil zwischen ihren Brüsten. Sie fühlte sich irgendwie anders, nicht des Körpers wegen, der immer noch der einer meerfrau war. Es war etwas wie eine Lücke in ihrem Sein, ihrem Bewußtsein, das bis vor wenigen Momenten noch die versklavte Seele Sarah Redwoods umfaßt hatte. Ihr wurde schwindelig. Die Anstrengung und der heftige Ausstoß aus dem magischen Energiezentrum des Steins hatten sie endgültig erschöpft. Sie sah noch roten und dann schwarzen Nebel vor ihren Augen, dann schwand ihr die Besinnung. Das sie der Länge nach hinfiel bekam sie nicht mit.

Indes erglühte der Stein der großen Erdmutter immer wilder. Die magische Ausstrahlung schwankte so heftig, das davon sogar die Wände der Höhle aufleuchteten und leise brummend vibrierten. Minuten, ja mehr als eine Stunde Lang herrschte im inneren des Steines ein solches Ungleichgewicht, das er mehrmals sonnenhell aufglühte und dann tiefschwarz dalag. Einmal sprang er sogar hoch und rollte ein wenig über, sodaß er auf einer anderen seiner zwanzig Flächen landete. Er ruckelte und surrte wie ein wütender Hornissenschwarm. Dann beruhigte er sich und blieb mehr als zehn Minuten reglos liegen, ein einfaches Gebilde aus einem merkwürdigen Gestein oder Metall. Dann erglühte er wieder. In diesem Moment erwachte Anthelia aus der Bewußtlosigkeit. Ein Jucken wie tausend Säure verspritzende Ameisen auf ihrer Haut hatte sie aus der Ohnmacht herausgelöst. Ihr Körper trocknete aus, verlangte nach Feuchtigkeit, nach Wasser. Anthelia sah sich um und erinnerte sich, wo sie war und was sie gerade war. Erschrocken nahm sie ihre Uhrenscheibe, die sie an einer anderen Kette um den Hals getragen hatte und las ab, daß sie gerade noch anderthalb Stunden Zeit hatte, an Land zu kommen und dort das Ende der Wirkung des Trankes abzuwarten. Sie sah den Stein an und fühlte eine von ihm ausgehende, abweisende Kraft, die stärker wurde, je näher sie ihm kam. Ihr Seelenmedaillon drückte gegen ihren Oberkörper, es wurde genauso zurückgedrängt wie seine Trägerin. Da erschien in den Anthelia zugewandten Flächen des Steins ein Gesicht. Es schimmerte golden und sah Madrash Ghedon ähnlich. Doch die Augen und das Lächeln erinnerten Anthelia an Sarah Redwood.

"Ich spüre, du und dein vermaledeites Medaillon seid noch da, Nixe. Wie ist es auf dem trockenen. Ich denke, du wirst nicht mehr zu deinem Boot zurückkehren. Dann kannst du den ganzen widerlichen Schmuck, den du dir zusammengestohlen hast im Meer versenken, weil er dir nichts mehr bringt", sprach eine Stimme, die eine Mischung aus der Sarah Redwoods und Madrash Ghedons war.

"Wie kommt es, daß du jetzt mit Sarah Redwoods Augen herumläufst, Madrash Ghedon. Ist sie nicht statt meiner in deinen essentiellen Körper eingefahren?" Fragte Anthelia verbittert. Sie versuchte wieder, sich dem Stein zu nähern. Doch er drückte sie unbarmherzig zurück. Sie konnte nicht einmal eine Hand nach ihm ausstrecken. Eine prickelnde, stahlharte Macht hinderte sie daran, den Stein zu berühren.

"Diese Madrash Ghedon und ich sind nun eins. Ich wurde von ihr angezogen und rang mit ihr. Doch weil ich durch dein Zutun meinen Körper verloren habe und ddurch ihre Gewalt aus dem Medaillon, an das ich wohl dummerweise noch gefesselt war herausgezerrt wurde, konnte ich nicht in ihr vergehen und durchdrang sie, wurde mit ihr zu einem Tosen aus verschmelzenden Seelen. Nun sind wir fest verbunden, von beiden das Mittel. Ich habe nämlich die große Fusion gesprochen, die innerhalb gemalter Welten zwei identische Bilder zu einem verbindet. Dafür bin ich zwar jetzt wieder eine Gefangene, doch auch wärterin meines Gefängnisses. Ich habe alle Macht, die Madrash Ghedon in sich vereinigte, nun in mir. Ich belebe diesen Stein. Ich bin seine Macht, sein Wesen, seine Bestimmung. Daher habe ich ihn mit einem starken Zauber durchdrungen, der von nun an vorhält, bis die Bedingung erfüllt ist, die ihn erweckt hat."

"Was für eine Bedingung?" Schnaubte Anthelia, die begriff, daß sie diesen Stein nicht mehr würde mitnehmen können.

"Erst meine Erbin, Tochter meines Blutes, gezeugt und geboren aus ehrlicher Liebe, aufgewachsen unter den Menschen in Freiheit, unberührt im Schoße, soll diesen Stein erwerben und die Macht gebrauchen, die er in sich vereint. Nur eine solche wird diesen Stein berühren und vom Ort bewegen können. Sonst vermag kein Zauber dies zu tun", sagte Sarah-Madrash und mußte lachen. "Sonst kein einziger Zauber. Dies ist meine Rache an dir, Anthelia und mein Erbe für die Zukunft der ehrbaren Hexen aus dem Geschlecht der Redwoods. Stirbt die Linie aus, so wird dieser Stein eben für alle Zeiten unantastbar bleiben, eine tödliche Falle für jene, die meinen, ihn wie du erbeuten und dann benutzen zu können. Außerdem gibt es noch genug Monster und Flüche, die du auf deinem Weg hierher nicht niedergerungen hast. Ich empfehle dir, in dein neues Element zurückzukehren. Deine jetzige Gestalt, die du meinem Wissen entrissen hast, sei die Strafe, die ich dir gönne, weil du wagtest, mich in diesem verfluchten Medaillon als niedere Existenz zu deinen Diensten zu halten. Ich werde in Frieden harren, weil ich weiß, daß mein Haus nun wieder nur dem rechtmäßigen Erben offenstehen wird. Denn als Nixe wirst du wohl kaum den Weg dorthin zurücklegen, auch wenn du dich mit Essenzen meines Körpers darauf eingestimmt hast. Finde dir einen netten Meermann und drücke für euch viele kleine Meerlinge aus dir raus. Vielleicht macht dich ja ein Häuptling zu seiner Gemahlin und begründet mit dir eine neue Dynastie", spottete Sarah-Madrash. "Erst meine eingeborene Nachfahrin mit dem Blut der Redwoods in sich und unberührt von einem Mann wird mich mit diesem Stein fortschaffen. Von nun an wird er für alle anderen unberührbar sein." Sarah-Madrashs Gesicht verschwand im Stein, und die Kraft, die von ihm ausging, bereitete Anthelia zusehens Schmerzen. Sie mußte vor ihm zurückweichen, immer weiter, bis sie die Höhlenwand erreichte. Sie zog den Zauberstab hervor und rief erneut:

"Terra Lapisque permeabilis pro vivo!" Ein letztes spöttisches Lachen in ihrem Kopf ertönte, als sie den von ihr so heiß ersehnten und durch ihre Schuld für sich und alle anderen nun unangreifbaren Stein zurückließ. Sarah-Madrash lachte sie aus, sie und alle anderen Närrinnen und Narren, die nach Anthelia versuchen mochten, den Stein zu erbeuten. Sie durchdrang die meterdicke Mauer und glitt zurück ins Wasser, das ihren Körper tränkte und ihre Lungen mit belebender Frische füllte. Ja, sie war in ihrem Element zurück. Ihrem Element? Nein, sie war keine echte Meerfrau und wollte auch keine bleiben. Sie wollte zurück zum Boot und sich dort mit dem auch auf Meermenschenkörper eingestellten Schlaftrank über die Zeit retten, bis sie wieder Beine bekam und ihre glatte Haut, weiterhin zaubern und apparieren und auf einem Besen fliegen konnte und attraktivere Männer als einen algenzähnigen Meereshäuptling zum Mann nehmen wollte, nicht der Heirat wegen, sondern höchstens, um ihre eigene Ahnenlinie zu sichern. Aber selbst das war ihr im Moment nicht wichtig.

Sie schwamm mit kräftigen Stößen durch den Tunnel, wo gerade die Unterwasserspinne ihr Netz flickte. Wütend schickte sie den Todesfluch gegen das Ungeheuer, das sprichwörtlich vom Blitz getroffen aus dem fast reparierten Gespinst fiel und mit den acht Beinen nach oben auf dem Boden landete. Mit zwei Diffindo-Zaubern zerfetzte sie das Gewebe und jagte mit mörderischen Schwanzschlägen dahin, durch die Zone des sich aufheizenden Wassers zurück an die Stelle, wo sie die Kraken- und Quallenmonster getroffen hatte. diesen schickte sie mit "Bollidius" eine mehr als siedendheiße Hochdruckdampfblase entgegen, die in ihrer Mitte explodierte. Sie fing sich mit den Armen ab und wartete, bis der in überheißes Wasser aufgegangene Dampf etwas kälter geworden war. Dann richtete sie den Zauberstab aus und formte die rosarote Energieblase, in deren Schutz sie zum Grund des Schachtes gelangte. Als sie sich auf das Erdtoröffnungsritual vorbereitete sah sie, wie der Lichtpunkt für die drittletzte halbe Stunde immer kürzer und in immer längeren Abständen leuchtete. Sie hatte wirklich keine Zeit mehr zu verlieren. Dennoch mußte sie sich konzentrieren und das Ritual ordentlich durchführen. Sonst war ihr der Weg zurück in die Oberwelt verschlossen und dann hatte sie wirklich alle Zeit der Welt, Sarah-Madrashs Vorschlag anzunehmen und sich auf ein Dasein als Meerfrau einzurichten. So konzentrierte sie sich und vollzog das Ritual in seiner vorgeschriebenen Zeit und Weise. Tatsächlich wurde sie bei der dritten Vollendung eines Kreises und dem dritten Dutzend der Beschwörungsformel von einer mächtigen Kraft ergriffen und am Rande zur Besinnungslosigkeit in den Steinkreis hinausgespien, zwischen dessen innersten Begrenzungssteinen noch ein wenig blaues Wetterleuchten tobte, während Anthelia vom Schwung des Ausstoßes getrieben zwischen den Steinen hindurchschoss, bevor hinter ihr der Sog wieder einsetzte. Doch sie wurde nicht mehr davon betroffen. Durch die versetzt zueinander gestellten Megalithen schlüpfte sie aus dem magischen Steinkreis hinaus und jagte nach vorne los. Doch sie wußte, sie war auch in dieser Gestalt zu langsam, um noch rechtzeitig das Boot zu erreichen, wenn es denn noch da war. Ja, es mochte sein, daß Patricia Straton es längst von der Ortsbeharrung befreit und sich damit abgesetzt hatte, entweder aus Absicht, sie ihrem Schicksal zu überlassen oder in der bangen Annahme, daß sie bereits nicht mehr lebte. Doch sie mußte das Boot suchen, solange ihr noch die Zeit blieb, sich in eine Hexe zurückzuverwandeln. Da kam ihr eine Idee. Sie rief mit ihrer Nixenstimme laut nach den Haien.

"Große Weiße zu mir!"

Tatsächlich kamen ihr nach fünf Minuten oder mehr drei schlanke Körper mit dreieckigen Rückenflossen entgegengeschossen. Sie kommandierte sie, parallel zu ihr zu schwimmen. Dann hielt sie sich mit jeder Hand an einer Rückenflosse fest und kommandierte, so schnell es ging zu schwimmen. Sie selbst teilte nun schnelle, aber nicht zu ausladende Schläge mit der Schwanzflosse aus und brachte sich dadurch zusammen mit ihren beiden Zugtieren so sehr in Schwung, daß das Wasser in ihren Ohren wie Sturmgeheul klang. Der dritte Hai blieb auf Abstand und folgte dem merkwürdigen Gespann im leichten Steigungswinkel nach oben. Anthelia achtete vorerst nicht auf die Zeit. Sie trieb ihre Haie an, sie unvermindert schnell zu ziehen. Das würde sie und die Tiere auszehren, wußte sie. Aber sie wollte nicht aufgeben. Erst als sie von ihrem Spürsinn her vermutete, daß sie wohl in der Nähe des Bootes waren und die Haie immer kraftlosere Flossenschläge machten, löste sie ihre Hände von den sandpapierrauhen Rückenflossen und kämpfte sich mit eigener Kraft voran. Dabei sah sie kurz auf ihre Uhrenscheibe und sah, wie der letzte Leuchtpunkt in immer größeren Abständen blinkte. Sie vermutete, das sie gerade noch zehn Minuten haben würde, um das Boot zu erreichen, falls es noch da war. Falls nicht, so mußte sie einem alten Grundsatz ihrer Heimat entsprechen: C'est la Vie.

Sie rief den Detectio-Locum-Zauber auf, als der letzte Lichtpunkt immer seltener aufleuchtete. Ja, da vorne war das Boot. Doch würde sie es noch schaffen, hineinzuklettern? Oder würde die Erschöpfung ihr die Kraft dazu fehlen lassen, und sie konnte dann nur noch daneben schwimmen und hinnehmen, wie auch ihr Kopf mit Schuppen überzogen wurde und sie die Natur einer Meerfrau als ihre neue und bleibende Daseinsform weitertragen würde. Sie schnellte nach oben, immer noch vorangepeitscht vom unbändigen Willen, diesem Element zu entkommen, das sie bereits als neue Bewohnerin zu halten versuchte. Sie schoss wie ein springender Delphin aus dem Wasser und prallte gegen das Boot. Die Luft hier war kalt und viel zu trocken. Sie kratzte ihr im Hals und warum sollte sie eigentlich dieses flüchtige Zeug einatmen?

"Noch bin ich keine Meermannsfrau", schnaubte Anthelia und warf sich mit eiserner Entschlossenheit über den Gummirand des Schlauchbootes und rollte sich hinein, wobei ihre ohnehin vom wilden Schwimmen schmerzende Schwanzflosse ihr einen Klaps auf den Rücken versetzte. Sie sah eine Reglose Gestalt im Boot, die wie sie noch eine Nixe war, Patricia Straton. Neben ihr stand die Flasche mit dem Schlaftrank, den sie schlucken wollte, falls sie früher als vor Wirkungsablauf zurückkam. Sie hieb mit dem Zauberstab nach dem Boot und löste den Ortsbeharrungszauber auf. Dann legte sie den Propulsus-Zauber auf das Wasserfahrzeug und ließ es davonjagen. Nun aber fühlte sie den Drang, sich selbst ins Wasser zurückzuwerfen und sich ihm zu überlassen, dieser flüchtigen, trockenen Luft hier zu entkommen und dort in der Tiefe, in der so ruhigen Tiefe des Meeres ein langes und ruhiges Leben zu führen. "Nein!" Schrie sie sich selbst an, als sie Anstalten machte, sich über die Bordwand zu ziehen. "Ich bleibe hier und kehre in meine wirkliche Welt zurück. Nie wieder Meerjungfrau!"

Sie kämpfte mit dem Drang, ins Wasser zurückzukehren. Sie wußte, sie würde verlieren. Sie griff nach der Zaubertrankflasche, entkorkte sie und riss sie vor ihr Gesicht. Dabei stieß der Flaschenboden so heftig gegen die Bordwand, daß ihr die Flasche aus der ohnehin schon kraftlosen Hand geschlagen wurde und über die Bordwand ins Wasser fiel. Anthelia verwünschte diese Ungeschicklichkeit und war drauf und dran, der Flasche nachzuspringen und ihr Schicksal, Sarah Redwoods Bestrafung, mit allen Konsequenzen hinzunehmen, als unbeachtet von ihr der letzte Lichtpunkt erlosch und nicht wieder aufleuchtete. Im selben Moment überkam Anthelia ein solcher Schmerz, das sie nur noch laut schrie. Neben ihr im Boot stöhnte Patricia Straton. Der Trank, den sie wohl getrunken hatte, betäubte ihr Schmerzempfinden. Es war ein brennender, schneidender Schmerz, als würde eine schwere, glühendheiße Schwertklinge ihr vom Schwanzende bis zu den Hüften den Leib spalten. Und so war es tatsächlich. Mit einem häßlichen Geräusch, das wie das Zerreißen eines nassen pergamentes klang, klaffte der ganze Hinterleib der Nixe auf Zeit auseinander. Die Schwanzflosse schrumpelte zusammen und verschwand in zwei zähflüssig wirkenden Dingern, die erst wie blaßblaue Würste aussahen und dann mehr und mehr den Beinen einer Frau ähnelten. Die Schuppen gingen zurück, während ein brennendes Kneten wie von einem erhitzten Rührstab Anthelias Unterleib durchwalgte und ihr Schmerzen über die ganze Länge ihrer nun wieder als Beine spürbaren unteren Gliedmaßen jagte. Anthelia beobachtete an Patricia, was an ihr selbst gerade vorging. Sie sah, wie die Beine immer deutlicher zurechtgeformt wurden und rosig wurden. Der Fischartige unterleib bekam wieder ein geschwungenes Becken, und auch die freigelegte Blöße Patricias bekam die natürliche Erscheinungsform zurück, und wie Anthelia am eigenen Leib fühlte, wohl auch ihren ordentlichen Sitz in der Anatomie einer Frau. Der Prozess der Rückverwandlung dauerte nicht allzulange. Anthelia vermutete jedoch, daß eine Minute vergangen war als die Schmerzen abklangen und sie sich als vollständige Menschenfrau, als die Hexe, die sie eigentlich war, wiederfand.

"Haua, was war denn das?" Grummelte Patricia Straton, die wohl vom Rückverwandlungsvorgang aus dem Schlaf geweckt worden war.

"Es ist vorbei, Schwester Patricia", antwortete Anthelia und ließ telekinetisch ihr Bikinihöschen zu sich kommen, in das sie mit sehr steifen Beinbewegungen hineinschlüpfte. Noch war ihr die seitwärtige Schlagbewegung einer Schwanzflosse zu vertraut, als zwei unabhängige Gliedmaßen zu bewegen. Doch sie schaffte es und half danach Patricia, ihre intimste Blöße zu bedecken.

"Du bist wieder da, Höchste Schwester", seufzte Patricia. "Ich dachte schon ... und du bist auch wieder eine Frau. Ich auch?"

"Natürlich. Im Gegensatz zu mir warst du nicht so ungeschickt, Sodaß du den Schlaftrunk auch in dich hineinbekommen konntest, den ich für den Fall, der Nixenselbsterhaltungsdrang könnte uns überwwältigen, mitgenommen habe. Ich habe ihn verschüttet, als ich wieder ankam und diesem Trieb fast erlegen wäre. Doch es war wohl mein Glück, daß ich in allerletzter Minute zurückgekehrt bin. Beinahe wäre ich eine Tochter Neptuns geblieben, wie Tante Sardonia die Nixen bezeichnet hat."

"Neptunus Finn, der Experte für magische Wassergeschöpfe?" Fragte Patricia. Anthelia mußte darüber nur lachen.

"Dieser Zeitgenosse wurde wohl nach dem altrömischen Meeresgott benannt, dem nachgesagt wird, er habe sämtliche Wassermenschen gezeugt. Die Griechen hießen ihn Poseidon. Sicher gibt es in unserer Welt auch einen Träger dieses Namens."

"Im Moment wüßte ich keinen", erwiederte Patricia grinsend. Dann sah sie Anthelia an, die ihr tief in die Augen blickte. Zu spät dachte sie daran, sich zu verschließen. Doch als Anthelia den Blick wieder von ihr nahm lächelte sie sehr wohlwollend.

"Du bist eine selbständige Hexe, Patricia. Jung und vielleicht noch etwas ungestüm aber frei im Denken. Warum sollte ich dir jetzt, wo ich sicher zu dir zurückgekehrt bin einen Vorwurf machen, daß du es in Erwägung gezogen hast, du sei'st mich losgeworden. Hätte ja auch geschehen können, wenn ich nicht einem gehässigen Zufall wegen Unglück und Glück zusammen erfahren hätte. Du hast auf mich gewartet, bevor du zurückgeschwommen bist. Nichts und niemand hätte dich hindern können, zum Boot zurückzukehren und dich damit abzusetzen, bevor du den Schlaftrank eingenommen und dich in dein Frauenleben zurückgeschlummert hättest. Ich hätte dann das rettende Trockene verfehlt und wäre zeit Lebens eine fast ohnmächtige Nixe geblieben, die nur Macht über Fische und Weichtiere behalten hätte. Deine Mutter und du hättet die Führung unseres Ordens übernehmen und unsere Ziele weiterverfolgen oder reumütig in den Schoß ... ähm, in die Obhut dieser Lady Daianira zurückkehren können, ohne daß diese es bemerkt hätte. Ich wäre dann als Opfer meiner Bestrebungen in den Meeren gefangen und hätte mich nur noch als Meerlingslegeweibchen verdingen können, wenngleich ich hörte das die Schwangerschaft und Geburt unter Meerleuten beschwernisfrei verlaufen solle. Du, Patricia Straton, meine liebe Schwester, hast gewartet, und ich konnte zurückkehren. Dafür danke ich dir." Und mit diesen Worten schlang sie ihre Arme um Patricia Straton und küßte sie innig auf den Mund. Sie lagen sich für fünf Sekunden in den Armen, sodaß ihre nun wieder deutlich spürbaren Rundungen gegeneinandergedrückt wurden. Dann löste sich Anthelia von Patricia, die in einer Mischung aus Verdutztheit und Verlegenheit rot anlief und sich rasch mit dem nackten Arm über den noch feuchten Mund fuhr.

"Öhm, höchste Schwester. Das habe ich jetzt nicht erwartet."

"Unter Schwestern im Blute und solchen im Geiste darf man das, wenn die erwählte Führerin dies ausdrücklich möchte und erlaubt", sagte Anthelia ruhig. "Oder dachtest du, ich sei eine Sapphistin oder wie ihr modernes Volk es nun nennt, eine Lesbierin?"

"Öhm, dazu steht mir keine Antwort zu", sagte Patricia noch röter werdend. Anthelia lachte. Dieses Lachen dieser warmen Altstimme steckte an, und Patricia lachte gleichfalls.

Einige Minuten später, während das Boot über das Meer dahinglitt, fragte Patricia, was nun aus dem Stein geworden sei, ob Anthelia ihn überhaupt erreicht habe.

"Ich habe ihn erreicht und dadurch für mich und alle anderen unerreichbar gemacht", sagte Anthelia ernsthaft. Doch dann umspielte ein überlegenes Lächeln ihre Mundwinkel. "Ja, ich habe ihn für alle anderen unerreichbar gemacht und habe es auch in der Hand, daß er unerreichbar bleibt." Sie mußte lachen. Patricia fürchtete erst, es sei ein Anfall von Wahnsinn, der Anthelia heimsuchte. Doch sie fing sich schnell wieder und sagte dann:

"Ich habe nicht beachtet, daß ich bei einer Berührung mit dem Stein mit einer darin innewohnenden Seele ringen müßte und zu diesem Zweck auf eine rein astralenergetische Daseinsebene enthoben würde. Dadurch konnte sich die von mir unterworfene Seele Sarah Redwoods entfalten und für einige Momente meinen Körper übernehmen. Da sie jedoch im Überschwang vergaß, daß sie nur durch mein Medaillon in dieser Welt verblieben ist und dieses Medaillon, in dem sie trotz ihrer Entfaltung immer noch verwurzelt war gegen den Stein schlug, trat sie statt meiner wider die Seele des Steins an. Unglücklicherweise obsiegte sie und verschmolz mit dieser zu einer neuen Daseinsform. Sie kontrolliert jetzt den Stein der Großen Erdmutter, mit der sie sich vereint hat. Sie hat ihn mit einem zauber belegt, der nur einer Tochter ihrer Blutlinie gestatten soll, den Stein zu bergen und zu gebrauchen. Ich kam frei und konnte flüchten. Der Stein ist für mich zwar nun unerreichbar, aber auch für den Emporkömmling Voldemort und alle die mit oder wider ihn sind und auch wider mich sind."

"Ja, dann hast du jetzt die Seele Sarahs und ihr Wissen und Können verloren. Also kannst du jetzt auch nicht mehr parseln?" Fragte Patricia.

"Hmm, diese Gabe sollte ich schleunigst zurückerlangen", sagte Anthelia. Dann meinte sie noch: "Es gibt nur noch einen lebenden aus der Blutlinie der Redwoods. Und an diesen kann nur ich gelangen, falls das Haus mich noch einläßt. Falls nicht, so schläft er fortan unaufweckbar weiter und Sarah-Madrash wird noch Jahrmillionen in diesem Stein verbringen, ohne eine Tochter ihrer Blutlinie als rechtmäßige Erbin begrüßen zu dürfen." Wieder mußte sie lachen. Wieder dachte Patricia kurz, sie wäre vielleicht doch dem Wahnsinn verfallen. Doch dann sagte die höchste Schwester noch: "Wir haben nichts gewonnen, Schwester. Sicher, ich habe eine Schlacht verloren und muß nun ohne Sarahs beachtliche Kenntnisse auskommen. Dennoch bin ich nicht schwächer geworden, sondern nur um eine Erfahrung reicher, nämlich die, daß man sich mit Seelenwächtern nur dann einlassen sollte, wenn man vorher ergründet, wo ihre Schwächen liegen und selbst mit der einzig wahren Seele wider ihn antreten soll. Was Parsel angeht, so reicht es völlig aus, mir ein Wesen zu suchen, das diese Sprache von Natur aus spricht und dessen niedere Seele in das Medaillon zu übernehmen. In den nächsten Tagen werde ich dies in Angriff nehmen, bevor ich euch alle noch einmal zusammenrufe und mit euch das weitere Vorgehen unseres Ordens erörtere, jetzt wo Dana und Delila ausgefallen sind und wir ständig damit rechnen müssen, von den anderen Schwesternschaften oder den Mördern um den Emporkömmling entdeckt zu werden. Außerdem gibt es ja noch andere Artefakte, die es wert sind, erlangt zu werden."

"Ich hörte davon, daß wenn der Stein wirklich existiert noch andere Gegenstände irgendwo versteckt sind", offenbarte Patricia. Anthelia nickte. Sie hatte bereits einen im Visier, an den sie jedoch vorerst nicht rühren wollte, jetzt, wo sie die bittere Erfahrung gemacht hatte, wie schnell etwas greifbar nahes unerreichbar fern rücken mochte. Außerdem hatte sie der halbe Tag als Nixe nachdenklich gestimmt, ob es wirklich so klug war, wirklich alles zu riskieren, wenn schon nicht das Leben, dann zumindest die gewohnte Daseinsform.

"Höchste Schwester, ich weiß nicht, ob das an deinem Kuß eben liegt oder woran auch immer. Aber irgendwie fühle ich mich gerade so, als müsse ich mir demnächst wen suchen, um es richtig heftig zu treiben", gestand Patricia ein, die seit der Rückverwandlung und spätestens seit dem Kuß der höchsten Schwester eine unleugbare Lust auf einen Mann bekommen hatte.

"Oh, dieses Verlangen brennt auch in dir? Und ich dachte schon, diese Gier nach körperlicher Wonne sei deshalb in mir, weil ich die Schmerzen der Rückverwandlung voll verspürte. Mag sein, daß dieses Elixier die vielleicht lästige Nebenwirkung hat, nach dem Abklingen den Trieb nach geschlechtlicher Befriedigung zu schüren. Falls du nicht dagegen ankämpfen kannst, so schlage ich dir vor, daß wir beide uns demnächst junge Burschen suchen und sie animieren, sich und uns so richtig zu unterhalten", sagte Anthelia mit einem leicht verruchten Unterton in der Stimme. Patricia errötete wieder. Doch dann leuchtete eine gewisse Vorfreude in ihrem Gesicht auf und sie strich sich mit der Zunge kurz über ihre Lippen.

Als das Boot in der Nähe von Fort Lauderdale wieder anlegte, brachten sie es in das Bootshaus und disapparierten ungesehen, um in der Daggers-Villa zu landen. Anthelia fühlte, wie sie immer schläfriger wurde. Sie mußte nun, nachdem sie bald sechzehn Stunden auf den Beinen gewesen war, ihre acht Stunden Tributschlaf für den Gürtel der zweiundzwanzig Leben schlafen. Doch als sie im Salon auf Pandora Straton traf, die wohl sehnsüchtig auf sie gewartet hatte, verwarf sie diesen Plan für einige Minuten. Eine Eule hatte einen Brief gebracht, der ausdrücklich an Anthelia, die Tochter Nigrastras und Nichte Sardonias gerichtet war. Außer den Spinnenschwestern wußte nur noch eine Person, daß Anthelia wiedergekehrt war. Die Höchste Schwester pflückte Pandora den Brief aus den Händen und las ihn. Dann nickte sie und sagte:

"Hätte mich auch gewundert, wenn der Emporkömmling so leichtes Spiel gehabt hätte."

ENDE

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