DIE NIEDERLASSUNG

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2009 by Thorsten Oberbossel

__________

Vorige Story |

P R O L O G

Aurora Dawn, die junge Hexe aus England, hat es geschafft. Sie hat trotz der hohen Anforderungen ihrer Lehrmeisterin Bethesda Herbregis die drei Ausbildungsjahre in der australischen Zaubererklinik von Sana Novodies überstanden und die Beste Abschlußprüfung ihres Jahrgangs abgelegt. Auch die anderen vier Jahrgangskameraden konnten sich für den Eid der magischen Heiler qualifizieren. Ab dem 1. September 1987 fängt das praktische Jahr an. Hier wird sie die letzten, eigenständig zu erarbeitenden Grundlagen erwerben, die sie zur vollen Zulassung berechtigen. Dabei muß sie eine Zeit in verschiedenen Stationen der Sana-Novodies-Klinik mitarbeiten, um so umfassend wie es geht zu praktizieren.

__________

1. Oktober 1987

Hallo Wendy!

Heute bin ich in die Zaubertrankunfallabteilung reingekommen. Ich denke mal, daß nach der langweiligen Zeit in der Belegungsregistratur endlich was interessantes für mich anfällt. Ich habe mich echt gefreut, als Direktor Springs mir die Zuteilung geschickt hat. Ich hab's dir ja erzählt, wie häufig ich in Archive und Buchhaltung rüber mußte. Auch wenn sie mir immer gesagt haben, daß auch diese Arbeit wichtig ist frage ich mich jetzt, wo ich endlich in einen praktischen Bereich der Heilmagie eingeteilt wurde, ob sowas nicht auch einfach ausgebildete Bürokräfte machen können. Ich finde, daß ist doch Verschwendung, daß die dafür ausgebildete und eingeschworene Heiler nehmen, die bestimmt anderswo besser eingesetzt werden können. Gut, okay, ich habe dabei zumindest gelernt, wie ich meine Berichte so knapp wie möglich zusammenfassen kann und dabei doch alles entscheidende drinsteht. Falls das das Lernziel war, hoffe ich, das wenigstens erreicht zu haben.

Goldwater und ich haben uns bei der Begrüßung gegenseitig angestrahlt. Der hofft jetzt wohl, ich könne das restliche Jahr bei ihm in der Abteilung bleiben. Vielleicht gehen zumindest zwei Monate. Ich würde doch auch gerne noch was an Praxis bei Fluchschäden oder magischen Ansteckungskrankheiten kriegen. Den halben Tag habe ich im Labor gestanden, um einen Trank gegen die Kreiselflug-Droge anzurühren. Es ist echt traurig, wie viele vor allem junge Leute dieses tückische Rauschmittel schlucken, nur um ohne Flugzauber schweben und dabei fragwürdige Glücksmomente erleben zu können. Ich habe beim Brauen festgestellt, daß ich durch Zugabe von Ingwerwurzeln die Wirkung verdoppeln kann, also die Dosierung bei der Behandlung halbiert werden kann. Ich habe das Ergebnis allen Prüfungen unterzogen und die neue Rezeptur zur Einsicht für Goldwater vorgelegt. Als der das Ergebnis mit dem bisherigen Rezept verglichen hat, war er sehr begeistert und wollte wissen, wie ich darauf kam, Ingwerwurzeln zu nehmen. Ich habe ihm darauf gesagt, daß mir das deshalb einfiel, weil ich gelesen habe, daß Billywichs bisher nirgendwo aufgetaucht sind, wo Ingwer angebaut wird. Kann sein, daß in dieser Pflanze was drin ist, was die kleinen Tiere nicht vertragen können. Jetzt haben wir einen verbesserten Gegentrank. Hoffentlich führt das nicht zu noch mehr Mißbrauch dieses tückischen Mittels.

Bin jetzt ziemlich geschlaucht vom langen stehen an mehreren Kesseln gleichzeitig. Meine Eltern haben über mein Bild weitergereicht, daß sie Halloween bei Oma Regan sind, und Vivian hat mit dem neuen Verteidigungslehrer Redcorn Krach gehabt, weil der im Unterricht behauptet hat, daß Hexen leichter zur schwarzen Magie verführt werden könnten und die meisten wirklich dunklen Zauber von Hexen erfunden und von Hexen ausgeführt würden. Das hat Ravenclaw 50 Punkte gekostet. Es berührt mich immer noch, wenn Ravenclaw Punkte kriegt oder verliert. Ich kenne diesen Typen nicht und weiß deshalb nicht, wieso der meint, daß Hexen leichter für die dunkle Seite eintreten, wo wir zu meiner Schulzeit eher mit Zauberern wie Du-weißt-schon-wen zu tun hatten. Überhaupt traurig, seit Professor Glaucos keinen Lehrer mehr da zu haben, der ein Jahr übersteht.

Dann bis morgen Wendy!

__________

"HIP Aurora Dawn bitte in ZUB 3 melden!" Klang die für Rufe und Meldungen verwendete Stimme einer Hexe in Auroras neuem Zimmer, das nun im allgemeinen Wohnbereich der Heiler im Praktikum und der stationierten, alleinstehenden Heiler zu finden war. Die gerade einundzwanzig Jahre alte Hexe, die seit nun einem Monat den blauen Heilerumhang mit dem Symbol der Sana-Novodies-Klinik tragen durfte, räkelte sich in ihrem Bett. "HIP Aurora Dawn bitte umgehend in ZUB 3 melden!" Wiederholte die magische Stimme.

"Bin gleich da", grummelte Aurora Dawn und stemmte sich aus dem Bett. mit einem Griff hatte sie das Nachthemd abgestreift und nahm den Zauberstab vom Nachttisch. "Corpolavatum!" Für eine gemütliche Dusche oder das Waschbecken hatte sie keine Zeit. So beschwor sie einen silbernen Nebelschleier herauf, der ihren Körper umschloß und leise rauschend und plätschernd um sie herum rotierte. Den Zauber hatte sie von ihrer Meisterin gelernt, um auch in der Wüste anständig gewaschen zu sein, da körperliche Sauberkeit eines der höchsten Heilergebote war. Sie fühlte, wie das aus der Umgebung in diesen Nebel konzentrierte Wasser über sie spülte, wobei auch eine dem Ratzeputz-Zauber ähnelnde Schrubb- und Einseifwirkung dabei mitwirkte, daß sie innerhalb von nur einer Minute von den Haaren bis zu den Zehen so gründlich gesäubert war, als habe sie mit Seife und Bürste hantiert. Mit einem Gefühl von schlagartiger Erhitzung verschwand der silbrige Dunstwirbel und ließ sie bereits abgetrocknet im Raum stehen. Aus einer schnellen Drehung heraus schlüpfte sie in einer Sekunde in frische Unterwäsche, Arbeitsumhang und Schuhe. "Ausgangserlaubnis!" rief sie mit erhobenem Zauberstab. "Gewährt", ertönte die magische Stimme. Mit einer weiteren Drehung disapparierte sie, um vor der Tür von Zaubertrankunfallbehandlungsraum Nummer drei zu erscheinen. Dort erwartete sie bereits der behandelnde Heiler Bombastus Honeydew, ein wohl fünfzig Jahre alter Zauberer mit goldblondem Bürstenhaarschnitt und smaragdgrünen Augen, die denen seiner ebenfalls hier arbeitenden Schwester Amalthea glichen.

"Ah, schön schnell. Gut, daß du da bist, Aurora. Der Herr hier, Peter Redcorn, hat wohl versucht, einen Körpereigenschaftsverändernden Trank zu nehmen und dieses Ergebnis erzielt." Er deutete auf einen gallertartigen Körper, der wie der einer Qualle durchsichtig in einer überdimensionalen Glasschüssel auf dem Tisch wippte und pulsierte. "Seine Frau sagte nur, er habe in seinem hauseigenen Labor gearbeitet und dann vor ihr einen Trank eingenommen, der ihn in diesen Zustand versetzt hat. Der niedergelassene Heiler hat die Kollegen vom Notdienst gerufen, die ihn hier hingebracht haben."

"Wurde wirklich alles von ihm hier hingebracht?" Fragte Aurora Dawn so beherrscht wie möglich klingend. Dieses halbflüssige Gebilde auf dem Tisch konnte bestimmt keine Aussagen machen.

"Soweit ich weiß ja. Der ansässige Heiler hatte die geniale Idee, eine Glasschüssel zu engorgieren, unzerbrechlich zu zaubern und die Substanz, in die sich Mr. Redcorn verwandelt hat dort hineinzuheben. So weit ich die Notiz verstanden habe gelang ihm das, ohne ihn dabei zu zerlegen oder zu verformen. Ich habe schon die Viskosität geprüft. Sie liegt gerade noch dreißig Prozent über der von reinem Wasser."

"Du sagtest, Mrs. Redcorn habe den Unfall gemeldet", sagte Aurora und blickte schnell auf die im Behandlungsraum hängende Wanduhr, um die Zeit zu erfahren, bei der sie hier eingetroffen war: Vier Minuten und zwei Sekunden vor drei Uhr morgens. Also war sie wohl um knapp fünf vor drei hier eingetroffen. Diese Zeit würde dann in ihrem eigenen Bericht als Beginn der Anamnese eingetragen.

"Die sitzt bei deiner früheren Mitschülerin Ireen im Schocklöseraum."

"Dann ist sie wohl gut aufgehoben", sagte Aurora. Dann mentiloquierte sie ihrer zur Freundin gewordenen Kameradin: "Ireen, Aurora hier. Habe den Mann deiner Patientin zu behandeln. Kann sie sagen, wie der Trank aussah?"

"Hallo Aurora! Will gerade eine legilimentische Anamnese machen. Direktor Springs hat's erlaubt. Melde mich bei Ergebnis. Oder willst du rüber und es dir abholen?"

"Gute Idee! Schreib auf, was du rauskriegen konntest, für die Akten", schickte Aurora zurück, wobei sie "Für die Akten" mit einer Spur von Verdrossenheit betonte.

"Für die nächste arme Seele, die sie im Archiv einsperren", schickte Ireen zurück und bat darum, auf ihre Nachricht zu warten.

"Wer ist der niedergelassene Kollege?" Fragte Aurora.

Lazarus Herbregis, der einzige, der sich getraut hat, den Weg seiner Mutter nachzugehen", erwiderte Bombastus Honeydew.

"Oh, mit ihm habe ich schon einmal gesprochen. Was möchtest du jetzt genau von mir?"

"Analyse der Substanz, in die Mr. Redcorn verwandelt wurde, ohne überflüssigen Verbrauch seiner Körpersubstanz. Es könnte ja immerhin sein, daß die Rückverwandlung nur gelingt, wenn alles verwandelte beisammen ist."

"Katalytische Prozeduren also", erwiderte Aurora. Sie hatte das in den letzten drei Jahren häufiger ausgeführt, Zaubertränke oder von diesen betroffene Körpersubstanzen auf ihre Zusammensetzung zu prüfen, ohne die Proben unrettbar zu verändern. Das gehörte zu den Meisterstücken der Zaubertrankbraukunst.

"Okay, dann nehme ich eine Probe und gehe ins Untersuchungslabor", sagte Aurora und griff aus dem Regal mit Phiolen und Untersuchungsbesteck ein Becherglas für einen Viertelliter und eine kleine Handpumpe, um präzise zu entnehmen. Als sie anfing, die gallertartige Substanz abzupumpen, ruckelte diese wie wild geschüttelter Wackelpudding. Offenbar empfand der verwandelte Patient die Probenentnahme als Schmerzhaft. Aurora verdrängte den Gedanken, dem Patienten wehzutun. Wenn sie nichts machten, mußte der immer so bleiben. Als sie genau einen Viertelliter der quallenartigen Masse entnommen und umgepumpt hatte, prüfte sie, ob noch Rückstände in der Pumpe waren und blies diese in den Patienten auf dem Tisch zurück. Dieser gluckerte wie Morast, aus dem Faulgas entweicht. Aurora sah, wie sich das Etwas auf dem Tisch wand und verdrehte. Sie wußte nicht, ob es nur wegen der fehlenden Körpermasse so in Aufruhr war oder weil es den Verlust eines bestimmten Körperteils empfand. Das durfte sie bei der Untersuchung zunächst auch nicht denken. Es galt nur, den Zaubertrank zu finden, dem der Patient zum Opfer gefallen war. Sie schickte die rückstandsfrei geblasene Pumpe zur Reinigung in die Materialaufarbeitungsabteilung und holte aus dem Magazin für Instrumente eine andere Handpumpe. Dann schloß sie das Becherglas mit einem Glasdeckel, um bloß keinen Tropfen des halbflüssigen Zeugs zu verlieren. Dann verließ sie den Untersuchungsraum, um vor der Tür zu disapparieren. Sie landete vor der Tür zum Untersuchungslabor und nahm den Schlüssel aus ihrer Heilertasche. Rasselnd Sprang das massive Schloß auf. Aurora betrat den kleinen, gekachelten und gefliesten Raum mit den hohen Regalen, zwei Feurstellen, drei Stapeln kleinster und kleinerer Kessel, Phiolen und Kolben, Glasstürzen mit Ventilen, Destillationsvorrichtungen und jeder Menge Spateln, Löffeln, Kellen und Pipetten. Sie öffnete erst das Laborbuch und trug auf der nächsten Freien Seite Datum, Uhrzeit, ihren Namen und gegenwärtigen Rang ein, merkte an, daß sie einen Viertelliter einer gallertartigen Substanz prüfen wolle, die einem durch noch zu ermittelnden Zaubertrank geschädigten Patienten namens Peter Redcorn entnommen worden war. Dann prüfte sie die Zähflüssigkeit gegen die Fließfähigkeit und bestätigte die Angabe von Heiler Honeydew. Dann begann sie, umfangreiche Versuche vorzubereiten, um die Probe auf ihre Zusammensetzung und Reaktion auf bekannte Testelixiere zu untersuchen, jedesmal darauf bedacht, den untersuchten Stoff in seine Ausgangsform zurückzuführen. Als sie die erste Versuchsreihe durchhatte, meldete sich Ireen Barnickle und beschrieb den Trank, Aurora notierte es sich und bat sie darum, ihrem Kollegen im ZUB 3 die Notizen zu übergeben und die üblichen Kopien für die einbezogenen Abteilungen und die Patientenregistratur zu machen.

"Ist offenbar doch in deine Knochen reingegangen, was du bei den Aktenwühlern gemacht hast, wie?" Scherzte Ireen.

"Sagen wir's so: Weil in meinem HIP-Ablauf drinsteht, daß ich den ersten Monat als zugelassene Heilerin in der Aktenwühlerei beschäftigt war, könnten die mir bei der Vollwertigkeitsbescheinigung noch einen Stolperstrick hinhalten, wenn ich bei meinen Folgesachen Berichte unterlassen oder verschludert hätte."

"Kapiere es. Übrigens, der Patient ist Bundabundo-Jäger, falls das für die Ermittlung wichtig ist."

"Hui, sehr wichtig sogar, Ireen. Diese kleinen Biester können einen gut zusetzen. Da braucht man Schutzkleidung, Wundheilzauber und Blutreinigungselixiere. Moment mal, du bringst mich da gerade auf eine Sache, die ich gleich testen kann. Falls das Ergebnis positiv ausfällt, komme ich früher aus dem UL raus als ich dachte."

"Durodermis-Elixier?" Fragte Ireen.

"Darauf prüfe ich gleich", gedankenantwortete Aurora. Sie hoffte nur, nicht nach einem grünen Quaffel zu jagen und machte vor den zielgerichteten Versuchen noch eine Untersuchung auf Einhornhornhaltige Zaubertränke, die den Verdacht erhärteten, Mr. Redcorn könne sich ein Durodermis-Elixier zur zeitweiligen Unverletzlichkeit der Haut angerührt haben. Dann prüfte sie genauer auf diesen einen Trank und wies zehn von zwölf Schlüsselkomponenten nach. Sofort hatte sie präsent, welche Fehlschläge es bei diesem Trank geben konnte und ärgerte sich ein wenig, nicht gleich beim Anblick des Patienten darauf gekommen zu sein. Doch die Veränderung zu zähflüssigen Gebilden konnte auch durch sieben weitere Tränke passieren, unter anderem der Verschönerungstrank Myriakallos und auch Skele-Wachs.

"Nette Tierchen, diese Bundabundos", dachte Aurora, als sie zur Absicherung, daß sie nicht doch einen anderen Trank umzukehren hatten eine weitere Analyse beendete. Bundabundos waren knapp vierzig Zentimeter lange, mit blauem Pelz verzierte Wesen wie Raupen. Allerdings unterschied sie außer der Größe noch so einiges von den Jugendstadien der meisten Schmetterlinge: Sie Wurden so lebendig geboren, wuchsen auf ihre Endgröße und blieben dann vier Jahre so, bis sie starben. Sie fraßen statt Blättern oder Früchten tote Insekten, Kleinsäugetiere und verendende Vögel, konnten aber auch, wenn keine toten Tiere da waren, Lebewesen mit magischer Ausstrahlung anspringen und mit ihren gleichförmigen Doppelzahnreihen was abbeißen. Zudem liefen sie auf sechzehn krallenbewehrten Beinchen herum und konnten zur Verteidigung Verdauungssäfte ausspucken, die sich in wenigen Sekunden durch eine zwei Zentimeter dicke Eisenplatte fressen konnten. Sie hatte in ihren drei Ausbildungsjahren diverse Unfallopfer behandelt, die mit diesen im Buschland beheimateten Geschöpfen aneinandergeraten waren, meistens, weil sie sie wegen der unbeschmutzbaren Pelze jagten.

"Dann wollen wir mal auf den Fehler prüfen", dachte sie und führte mehrere Versuche durch, bis sie ergründet hatte, was bei der Zubereitung des eigentlich nützlichen Zaubertrankes schiefgelaufen war. halb so viel Eisenpulver wie nötig. Das konnte also mit dem Standardumkehrtrank Nummer fünf behoben werden. Sie schrieb die Testergebnisse ordentlich ins Laborbuch, verzeichnete noch, daß sie in zehn Tests positiv auf Durodermis getestet hatte und schloß die Notizen damit ab, daß der Fehler zu über neunzig Prozent auf mangelnde Eisenpulverzugabe beruhte. Dann zeichnete sie die Eintragung mit ihrem Namen ab und schloß das Buch. Die Probe war durch die katalytischen Versuche immer wieder in ihren Ausgangszustand zurückgeführt worden. Jetzt mußte sie dem restlichen Körper des Patienten zurückgeführt werden, weil der Gegentrank sonst nicht anschlug oder einen noch schlimmeren Zustand herbeiführte. So stellte sie sicher, daß sie auch einen Viertelliter der Probe wieder mitnahm und verließ das Labor, nachdem sie die verwendeten Geräte und Gefäße in die Materialreinigung geschickt hatte.

"Durodermis, nicht wahr?" Begrüßte sie Heiler Honeydew, als Aurora in den Zaubertrankunfallbehandlungsraum drei zurückkehrte.

"Wenn wir das mit dem Bundabundo-Jäger vorher schon gewußt hätten wäre das wohl noch schneller gegangen. Andererseits hätte er ja auch einen Gewebeauffrischungstrank oder Bluterneuerungstrank angesetzt haben können. Aber nach Ireens Beschreibung fielen die beiden Möglichkeiten raus."

"Ich hoffe, du hast alles ordentlich analysiert."

"Und notiert", erwiderte Aurora und zeigte ihr Notizbuch vor, in dem sie wie im Laborbuch die Ergebnisse festgehalten hatte. Das Heilkunst soviel Schreibkram sein konnte!

"Ja, gut. Dann verabreiche den richtigen Gegentrank!" Sagte der ausgebildete Heiler. Aurora gab dem gallertartigen Gebilde in der Glasschüssel die von ihm genommene Substanz zurück, worauf das quallenartige Gebilde wild pulsierte, und bis zum Rand der Schüssel schwappte. Erst nach zehn Sekunden beruhigte es sich wieder. Dann öffnete sie einen Metallschrank, aus dem sie eine Flasche mit der Aufschrift KVUT 5 nahm. Das war einer der sechs standardmäßigen Körperveränderungsumkehrtränke, die für verschiedene Fehlschläge von Freizeitbraumeistern oder im Schulunterricht entwickelt worden waren. Sie füllte eine Dosis für Personen zwischen sibzig und achtzig Kilogramm Körpergewicht in einen anderen Becher um und entleerte diesen gründlich über dem Inhalt der Glasschüssel. Gluckernd und schmatzend verformte sich das Etwas im Glasbehälter, blähte sich auf wie ein Luftballon, wwobei es wild zitterte. Dann wurde aus dem kugelförmigen Etwas eine erst unförmige, dann konturscharfe Erscheinung, ein Mann über 1,70 m Größe mit breiten Schultern. Mit einem Ruck wurde aus der Erscheinung ein lebender Mann im weißen Laborumhang. Er besaß schütteres, fast ins Schwarz übergehend braunes Haar und eine leicht nach oben gebogene Nase. Das erste, was der augenscheinlich erfolgreich zurückverwandelte Mann machte war, sich zu betasten. Dann stellte er wohl fest, daß er in einer an die zwei Meter durchmessenden Glasschüssel stand und sah die Heiler an.

"O Mann, was für ein Alptraum. Habe immer wieder gedacht, zu zerfließen. Und dann hat irgendwer mir was aus dem Bauch rausgerissen, und ich meinte, immer weiter zerfließen zu müssen. Wußte nicht, daß der Trank so heftig danebengehen kann. Ähm, bin ich in der Sano?"

"So ist es, Sir", bestätigte Heiler Honeydew. "Ich bin Heiler gegen Zaubertrankunfälle Bombastus Honeydew und das ist Heilerin im Praktikum Aurora Dawn." Aurora nickte dem geheilten Patienten zu.

"Den Trank hatten wir in Redrock nur einmal in der dritten. Ich dachte aber, meine Unterlagen von damals noch richtig sortiert zu haben", erwiderte der Mann in der Glasschüssel.

"Oha, da würde ich an Ihrer Stelle lieber wen anstellen, der diesen Trank korrekt brauen kann", sagte Heiler Honeydew. "Abgesehen davon können Sie auch das Standardbuch "Körperbezogene Tränke" von meinem Kollegen Goldwater zu Rate ziehen, wenn Sie für den Hausgebrauch Heiltränke oder das Durodermis-Elixier brauen wollen."

"Werde ich wohl machen müssen", grummelte Mr. Redcorn. Dann fragte er: "Oha, wo ist Stella, meine Frau?"

"Die wurde in der Abteilung für geistige und seelische Erkrankungen behandelt, weil sie wohl einen Schock erlitten hat, als Sie vor ihren Augen zu einer zähflüssigen Daseinsform mutierten, Sir", sagte Honeydew. Redcorn sah nun Aurora Dawn mit seinen blaßblauen Augen an und meinte: "Dawn, Aurora? Kommen Sie aus dem alten England?"

"Stimmt, Sir", erwiderte Aurora Dawn.

"Dann sind Sie die, die in Hogwarts die Besenbesitzerlaubnis für alle über der ersten durchgesetzt hat. Mein Großonkel, der noch auf Ihrer Heimatinsel lebt, wurde von Dumbledore ja dieses Jahr zum Unterrichten überredet."

"Interessant", erwiderte Aurora. Sie wollte nicht rausrücken, daß sie das wußte, daß ein gewisser Redcorn in ihrer alten Schule unterrichtete. "In welchem Fach, falls ich fragen darf?"

"Verteidigung gegen dunkle Künste. Mit Zaubertränken hat er's nicht. Wird sich wohl königlich amüsieren, wenn ich ihm das schreibe, was mir passiert ist."

"Vielleicht wird er das", erwiderte Aurora so gefühlfrei wie sie konnte.

"Wo ist Stella genau in Ihrer Klinik?"

"Aurora, Bring ihn bitte hin!" Sagte Bombastus Honeydew.

"Ja, mach ich", sagte Aurora und wartete, bis Heiler Honeydew dem Patienten aus der Schüssel geholfen hatte. "Ist das eine von uns?" Fragte Peter Redcorn. Aurora und Bombastus nickten. "Die haben wir von meiner Schwiegermutter. Die war aber gestern noch kleiner."

"Können wir wieder so machen", sagte Bombastus und nahm seinen Zauberstab. "Finite Contraruptus", sagte er. Die Schüssel leuchtete für einen Moment blau auf. "Reducio", murmelte er dann noch. Die Schüssel schrumpfte von Badewannengröße auf Suppentellergröße zusammen.

"Den Contraruptus hätten Sie uns drauflassen können", sagte Mr. Redcorn.

"Dann hätte ich die Schüssel aber nicht auf Ausgangsgröße zurückschrumpfen können. Meine Kollegin kann Ihnen das bestimmt noch mal erläutern, wieso nicht, falls Sie das wissen möchten."

"Oha, habe ich vergessen, daß bei Mehrfachbezauberung immer erst alle aufgebrachten Zauber in umgekehrter Reihenfolge abgebaut werden müssen. Wenn einer der aufgebrachten Zauber zurückgenommen oder verändert wird können die anderen durcheinandergeraten und den Gegenstand verändern, zerstören oder irgendwohin verschwinden lassen."

"Genau, deshalb muß bei der Beseitigung eines unerwünschten oder fehlgeschlagenen Zaubers immer geprüft werden, in welcher Reihenfolge weitere Objektbeeinflussungen ausgeführt wurden", erwähnte Aurora noch abschließend.

"Ist wohl auch von Pinkenbach beschrieben worden", meinte Mr. Redcorn. Aurora nickte. Pinkenbach hatte eine Vielzahl von Regeln und Auswirkungen der Materiebezauberungen zusammengetragen und verständlich beschrieben.

Durch die Flure und Korridore ging es in die Abteilung für Psychomorphologie. Ob sie auch wieder hier landen würde wußte Aurora nicht so genau. Hoffentlich ging Springgs eher darauf ein, wo sie sich empfohlen hatte. Ihr waren die Laute der Patienten unheimlich, die durch Flüche, Tränke oder andre magischen Auswirkungen Schäden an Geist und Seele hingenommen hatten. Zumindest mußten sie nicht in die geschlossene Abteilung. Ireen Barnickle, Auroras immer noch sehr schlanke Ausbildungskameradin, empfing sie vor dem Behandlungsraum gegen akute Psychotraumata.

"Schönen guten Morgen, Sir. Ich bin Heilerin im Praktikum Ireen Barnickle und assistiere Heiler Mesmer bei akuten Schocks und Gemütstrübungserkrankungen. Ihre Frau erwartet Sie schon. Sie war sehr erschüttert, als Sie Ihren Unfall mitbekam."

"Ich hatte nicht vor, meine Frau zu erschrecken", sagte Peter Redcorn leicht schuldbewußt. "Aber besser so, als wenn sie mich erst später gefunden hätte und nicht mitbekommen hätte, daß ich mir einen nicht ganz gelungenen Trank eingeworfen habe."

"Sie wird sich freuen, das zu hören", erwiderte Ireen lächelnd und winkte Aurora und ihm. Da Aurora gelernt hatte, eine Behandlung erst als abgeschlossen zu betrachten, wenn der Patient seine Entlassungsunterlagen erhielt, begleitete sie Mr. Redcorn in den Behandlungsraum, wo seine Ehefrau, die vom Aussehen her zehn Jahre jünger sein mochte, auf ihn wartete. Als Ireen dann sagte, daß sie die beiden für einige Minuten alleine lassen würden, um die Entlassungsunterlagen zu holen war Aurora froh, daß die Sache doch noch schnell bereinigt werden konnte.

"Ich hätte die fast erst zu Amalthea überweisen müssen. Mrs. Redcorn ist in der sechsten Woche. Das war wohl auch der Grund für den heftigen Zusammenbruch", wisperte sie Aurora zu, weil Mentiloquieren doch ziemlich anstrengte.

"Weiß er davon?" Wollte Aurora wissen.

"Soweit ich es durch die Untersuchung mitbekam nicht. Deshalb wollte ich die beiden einen Moment für sich lassen."

"Dann soll sich eine aus Amaltheas Abteilung die Frau noch mal ansehen, bevor die wegen was noch mal eingeliefert werden muß."

"Habe ich gemacht und sichergestellt, daß die Schwangerschaft körperlich sicher verlaufen kann", sagte Ireen. Aurora nickte. Hätte sie selbst ja nicht anders gemacht.

"Es war echt Durodermis?" Wollte Ireen wissen. Aurora nickte. "Der ist tückisch. Wunder mich echt, daß den jemand freiwillig braut, ohne abzusichern, daß der auch so wirkt, wie er soll."

"Bundabundo-Pelze sind eben sehr begehrt."

"Weiß ich. Hundert Galleonen für ein Fell. Aber das verteidigen die kleinen Kerle auch recht ordentlich", schnarrte Ireen.

"Bombastus hat ihm Goldwaters Standardbuch für Zaubertrankschüler und interessierte Hobbybrauer empfohlen. Hoffentlich kommt der mit dem komplizierten Kram klar."

"Dein derzeitiger Chef setzt zu viel Grundwissen voraus. Aber das erzähl ihm bitte nicht!"

"Ich will den nicht mit Sachen langweilen, die er schon weiß", erwiderte Aurora. "Haben wir beide heute endlich Sachen, die uns gut liegen. Wollte Abteilungsleiter Mesmer dich nicht eh fest bei sich unterbringen?"

"Will er immer noch, hat er mir erzählt. Mal sehen, ob Direktor Springs ihn erhört."

"In St. Mungo teilen Sie die Heiler nach Befähigung und Bedarf in entsprechenden Stationen fest ein", sagte Aurora.

"Tja, zwischen denen und uns liegt eine halbe Weltreise. Möglichst viel mitkriegen heißt die Devise", erwiderte Ireen.

"Deshalb mecker ich lieber nicht rum. Immerhin bin ich jetzt schon Heilerin. Bei St. Mungo hätte ich vielleicht ein Jahr warten müssen", erwiderte Aurora.

"Wann fängt dein regulärer Dienst an, Aurora?" Fragte Ireen.

"In anderthalb Stunden", erwiderte diese. "Lohnt sich nicht mehr, ins Bett zu gehen. Werde nachher einen starken Tee trinken. Wachhaltetrank gebe ich mir höchstens, wenn ich weiß, daß ich heftige Sachen machen muß."

"Ich habe erst ab Mittags wieder zu tun", sagte Ireen. "Werde mich also gleich wieder hinlegen."

"Hast du's gut", grummelte Aurora.

Die beiden Heilerinnen kehrten nach fünf Minuten in den Behandlungsraum zurück. Natürlich hatten sie die Unterlagen nicht besorgt, weil die nur rausgegeben wurden, wenn die abschließende Untersuchung keine weiteren Komplikationen ergeben hatte. So sagte Aurora zu Mr. Redcorn, der zwischen mehreren Gefühlen zu schwanken schien, daß sie ihn noch einmal untersuchen und das Ergebnis in einem Protokoll festhalten sollte. Die Untersuchung fiel günstig für Mr. Redcorn aus. So durften die Eheleute Redcorn die Sana-Novodies-Klinik wieder verlassen. Aurora vertrieb sich die Zeit bis zum regulären Dienstbeginn mit einer Unterhaltung mit ihrer gemalten Ausgabe, die mit ihren Eltern, Hogwarts und ihrer ehemaligen Schulkameradin Petula Woodlane in Verbindung stand. Dann kehrte sie in die Zaubertrankunfallabteilung zurück und assistierte bei Behandlungen, rührte einen Gegentrank an und legte eine Therapie fest, um einen Zauberer, der zu einem kleinen grünen Mann mit fühlerartigen Anhängseln auf dem Kopf geworden war, sein natürliches Aussehen wiederzugeben. Der hatte mehrere Körper und Geist betreffende Tränke zusammengeschluckt. Hierbei war es zu einer Wechselwirkung gekommen, die nicht nur den Körper betraf, sondern die Sprachfähigkeit veränderte, so daß der Verunfallte Zauberer nur mit Piep- und Schnarrlauten kommunizierte.

"Das sollten Snape und die anderen Zaubertranklehrer in der Schule unterrichten, daß man nicht fünf verschiedenartige Zaubertränke auf einmal schlucken darf", dachte die junge Heilerin und ging daran, alle nötigen Faktoren zu untersuchen. Es kam nicht nur darauf an, die Tränke und Dosen, sondern auch die Reihenfolge der Einnahme zu prüfen. Hierzu hatte sie Haut-, Blut-, Magen- und Darminhalt zu untersuchen. Nach acht Stunden hatte sie die Tränke entschlüsselt und die höchstwahrscheinliche Reihenfolge der Einnahme ermittelt. Die Wiederherstellung des Patienten würde wohl eine halbe Woche dauern. Danach würde er auch Gast in Ireens derzeitigem Einsatzbereich sein.

__________

Der Oktober verging. Aurora hatte zwar immer noch Spaß an den Zaubertränken und fühlte sich sehr zufrieden, weil sie damit vielen Leuten helfen konnte. Doch die ständigen, unangekündigten Nachteinsätze und die langen Stunden in den Laboren zeigten ihr deutlich, daß alles bisher zu bearbeitende ein Spaziergang gegen diesen Streß war.

"Tja, Aurora", setzte Daniel Goldwater, der Leiter der Zaubertrankabteilung an, "ich fände es wirklich ganz in Ordnung, wenn du in meiner Abteilung fest bleiben würdest. Unser Chef meinte aber, daß du bei den Außeneinsetzen in der Muggelwelt besser aufgehoben seist, weil du mit deren Lebensart und Umfeld gut bescheid weißt. Vor allem ist übermorgen wieder Halloween. Was das heißt hast du ja längst mitbekommen."

"Direktor Springs hat sowas angedeutet", sagte Aurora. "Dann bin ich nicht mehr länger in dieser Abteilung?" Fragte sie noch.

"Erst wenn Vitus das dir selbst sagt und uns die schriftliche Versetzungsverfügung gibt. Ich fürchte nur, daß sie dich dann nicht mehr zu mir zurückkommen lassen. Gemäß den HIP-Regeln dürft ihr nur einmal in einer bestimmten Abteilung sein, wobei das zwischen einer Woche und drei Monaten dauern kann." Aurora nickte. "Wenn der dich jetzt aber in die Notfalltruppe wechseln läßt bist du hier bis zum ende deines praktischen Jahres nicht mehr erwünscht, es sei denn, jemand braucht einen Zaubertrank von uns."

"Es war auf jeden Fall bisher ein sehr angenehmer und lehrreicher Monat", sagte Aurora. Goldwater nickte.

"Vor allem auch, weil wir durch dich doch noch einige Neuerungen erhalten konnten. Aber wir haben beide geschworen, da, wo wir hingeschickt werden, das beste zum Erhalt unserer magischen Mitmenschen zu leisten."

"Und daran werde ich mich auch halten. Selbst wenn Mrs. Morehead mich einfordert, ihre Arbeitskleidung zu waschen, wenn dadurch das Vertrauen in die magische Heilzunft verbessert wird." Daniel Goldwater mußte erst überlegen, ob das jetzt impertinent oder höchst loyal war, was aurora gesagt hatte, befand dann, daß sie ihre Einsatzbereitschaft betont hatte und nickte.

Etwas betrübt ging Aurora am Mittag in die Kantine, die im Vergleich zum Tagesraum der Adepten und HIP-Kandidaten größer, aber weniger gemütlich eingerichtet war. Zwei lange Ausgabetheken beherrschten das Bild. Mehrere lange Tische, an denen bis zu zehn Leuten sitzen konnten, standen so aufgereiht, daß die Besucher problemlos mit den magisch oder nicht magisch transportierten Tabletts dazwischen hindurchgehen und ohne Angst vor Gedränge Platz nehmen konnten. Meistens traf sich Aurora mit ihren früheren Ausbildungskameraden, zumindest mit Ireen und den Jungs. Monica Riddley, die wohl wegen ihrer Erziehung und Zeit im Haus Shadelake nicht so viel von Freundschaften mit Nicht-Shadelakern hielt, saß meistens für sich alleine an einem Ecktisch. Aurora hatte es aufgegeben, sie davon zu überzeugen, daß sie sich nicht so gegen die anderen abkapseln sollte. Da sie beide gleichrangig waren konnte sie ihr auch keine konkrete Anweisung geben. Sie wußte jedoch, daß die Abteilungsleiter und die anderen seit Jahren hier arbeitenden Heiler das sehr wohl mitbekamen, und Monica Riddley sicherlich noch nicht das letzte Mal gehört hatte, daß ihre Art arg verbesserungsbedürftig war.

"Wo ist denn Tom?" Wollte Ireen Barnickle wissen, als sie sich an einem Tisch trafen, der einige Dutzend Schritte von der Eingangstür entfernt war.

"Weiß ich nicht", sagte Berthold Woodman. "Seitdem ihn der Chef zu Amaltheas Kinderstation rübergeschickt hat ist der eh so komisch drauf.

"Klar, weil sie ihn nicht an die Gebärenden ranlassen", meinte Ireen. "Es wird echt Zeit, daß die überlegen, ob Heiler nicht auch die Mutter-Kind-Betreuung übernehmen können."

"Bring das bei der ersten Heilerkonferenz auf den Tisch, bei der du mitmachen darfst", sagte Berthold. "Mich interessiert das Thema nicht, und ich werde mich sehr freuen, wenn ich das HIP-Jahr durchbringe, ohne zu den Plärrbälgern rein zu müssen. Kriege ich eh früh genug mit, wie die betreut werden, wenn ich mal selbst welche auf den Weg bringe."

"Hört hört", bemerkte Aurora dazu. Da ging die tür auf, und Tom McCloud trat ein. Unvermittelt ebbte das allgemeine Raunen und Besteckgeklapper ab. Tom wurde von Amalthea Honeydew, Bombastus' älterer Schwester, begleitet, die sichtlich angespannt aussah. Das war es aber nicht. Aurora und Ireen starrten auf Toms Oberkörper. Berthold grinste und winkte dem Kameraden zu, der sichtlich darum rang, in die Kantine einzutreten.

"Ach, du großer Drachenmist. hat Meisterin Honeydew dem den Contrarigenus verpaßt oder wieso hat der jetzt mehr unter dem Unterhemd als sonst."

"Nutrilactus", erwiderte Aurora. "Offenbar hat Meisterin Honeydew beschlossen, ihm eine intensivere Kinderbetreuung zuzuweisen."

"Au weia! Die hat dem wohl viel zu viel davon eingetrichtert, wie?"

"Hmm, kein Kommentar", erwiderte Aurora, während Ireen auf die sichtlich angewachsene Oberweite des HIP-Kameraden starrte.

"Amalthea Honeydew bugsierte den Zauberer, der im Moment einer Hexe ähnelte, zu einer Ausgabetheke. Die übrigen Heiler flüsterten erst, kehrten dann aber zu ihren gewohnten Gesprächen zurück. Lediglich die jüngeren unter den männlichen Heilern glotzten immer mal wieder zu Tom McCloud, der ja eh schon durch seine bärenhafte Statur auffiel, die einem Treiber oder Hüter eher zugestanden wurde als einem Heiler. Tom starrte konzentriert auf die Ausgabetheke, wo drei Hexen, die keine Heilerinnen waren, die höherrangigen Kollegen versorgten. Die drei sahen Tom zwar erst verwundert an, machten jedoch keine besonderen Mienen oder Bemerkungen. Meisterin Honeydew stellte mehrere Teller mit dampfendem Inhalt und eine Karaffe voller Wasser auf ein Tablett und stellte sich dann auch noch ein Zwei-Gänge-Menü mit warmer Hauptspeise und Obstsalat zusammen. Dann trieb sie Tom McCloud an, einen Tisch zu suchen. Aurora winkte ihm freundlich lächelnd zu. Er sah es jedoch nicht, weil er stur über alle Köpfe hinwegblickte, bis er von der Heilerin hinter ihm in die Richtung bugsiert wurde, wo der Tisch seiner HIP-Kameraden stand.

"Na, sowas schon mal gesehen", knurrte Tom und deutete auf sich. Ireen und Aurora zwangen sich, nicht mädchenhaft zu kichern, während Berthold ungehemmt grinste.

"Wau, haben meine Eltern mir nicht erzählt, daß Jungs die Dinger auch kriegen können", bemerkte er, während Meisterin Honeydew sich neben Tom aufbaute und unmißverständlich sagte: "Zu eurer Information, werte Kollegen: Ich sah mich veranlaßt, Eurem Jahrgangskameraden eine einprägsame Lektion zu erteilen, die von heute bis zum ersten Dezember dauern wird. Er äußerte nämlich die äußerst ungehörige Ansicht, daß er keinen Bedarf habe, von schreienden Frauen und plärrenden Säuglingen umgeben zu sein und als niederer Putz- und Waschgehilfe zu arbeiten, weil für derlei Dinge im Moment keiner aus meiner Abteilung einspringen kann. Solch niedere Arbeiten seien nichts für Männer, sondern für Hauselfen und Hexen im zweiten Ausbildungsjahr, und er würde Direktor Springs aufsuchen, um ihm zu sagen, daß dieser sich sicher bei der Zuteilung vertan hätte und er was praktischeres tun wolle als volle Windeln gegen frische zu tauschen. Daraufhin habe ich beschlossen, ihn bis erwähntem Datum in die Ammengruppe einzuteilen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden hieß ich ihn, den euch allen sicher vertrauten Nutrilactus-Trank einzunehmen. Daher werde ich auch darauf achten, daß er genug Nahrung und Wasser aufnimmt, um diese Anforderung zu erfüllen."

"Ich habe nur gesagt, daß diese Abteilung sonst keinen Zauberer reinläßt und nur wegen der fehlenden Zahl von Hilfskräften kein HIP für so'n Krempel rangeholt werden dürfe", keuchte Tom. Offenbar hatte er Probleme mit den Auswirkungen des Trankes.

"Sei froh, daß du nicht irgendwelche Babys in dir rumschleppen mußt, Mum Tom", feixte Berthold.

"Ey, noch so einer und ich ramm dich unangespitzt in den Boden, daß du bei Auroras Eltern wieder rauskullerst", schnarrte Tom, während Meisterin Honeydew wohl überlegte, welche Maßregelung sie Berthold zukommen ließ.

"Abgesehen davon daß du dich gerade eher wie ein Schuljunge als ein Heiler aufführst, Berthold hat Direktor Springs bestimmt nichts dagegen, dich in meine Abteilung zu versetzen, damit du dieses unprofessionelle Verhalten ablegst. Das ich durchaus wichtige Aufgaben vergeben kann siehst du ja an deinem Kollegen hier. - Fang besser an zu essen, Thomas!"

"Dieser Trank ist für Männer die Hölle", schnarrte Berthold. "Das wiederspricht den Heilerstatuten, jemanden derartig zu drangsalieren."

"Okay, ab dem ersten November bei mir antreten, Heiler im Praktikum Woodman!" Sprach Meisterin Honeydew.

"Das kläre ich aber mit Direktor Springs, ob derlei Sachen zulässig sind, Meisterin Honeydew", schnarrte Berthold, den die Anweisung jedoch sichtlich ins Wanken brachte. Aurora und Ireen hielten sich mit Bemerkungen zurück. Wußten sie, ob sie nicht irgendwann in diesem Jahr selbst bei Amalthea Honeydew arbeiten mußten? Nur hätten die beiden weniger Probleme damit.

Tom aß schnell und reichlich, nur um nicht mehr darüber reden zu müssen. Als er auch die Wasserkaraffe komplett geleert hatte sprang er förmlich auf und wollte die Kantine verlassen. Doch seine derzeitige Vorgesetzte hielt ihn zurück und erinnerte ihn daran, daß es anständig sei, sich von seinen Tischgenossen zu verabschieden, auch wenn er kein Wort mit ihnen gewechselt hatte. So sagte er nur: "Man sieht sich", und ging.

"Wie gesagt, Meisterin Honeydew, das mit der Versetzung wird nichts", schickte Berthold der Stationsleiterin gut hörbar nach.

"In vier Tagen, Heiler im Praktikum Woodman", erhielt er zur Antwort.

"Typisch für diese Kinderpflückerinnen. Die haben keinen Humor", knurrte Berthold, als Amalthea mit ihrem derzeitigen Hilfsheiler die Kantine verlassen hatte.

"Du warst jetzt auch ein wenig fies zu Tom", erwiderte Ireen. "Nachher landet der noch bei uns in der PM, weil er Identifikationsprobleme hat. Und ich geh mal davon aus, daß du am nächsten ersten auch so pralle Rundungen kriegst wie Tom sie gerade hat."

"Wie gesagt, daß kläre ich mit Direktor Springs, ob sowas erlaubt ist. Falls nicht, hat die gute Ammy ein Riesenproblem."

"Geh mal besser davon aus, daß Direktor Springs ihr das abgesegnet hat", wandte Aurora ein. "Jedenfalls kommt Tom so um die Halloweenparty herum, weil eingeteilte Ammen nicht zu Außeneinsätzen dürfen."

"Halloweenparty, O Mist, ist ja schon in drei Tagen. Kann mich noch erinnern, wie ich mit Meister Gnoll nach Woollongong mußte, weil da wer eine Ladung feuerspeiender Kürbisse auf die Bewohner losgelassen hat."

"Ja, war wohl genauso lustig wie vor einem Jahr, wo ich mit Meisterin Beanstock in die Nähe von Perth mußte, wo einer Bonbons auf die Muggel losgelassen hat, die sich beim Kontakt mit Speichel in lebende Frösche verwandelt haben. Vier Tage hat das gedauert, bis von denen keine mehr im Umlauf waren."

"Mach mir gute Stimmung, wenn ich an Halloween mit in die Muggelstädte soll", seufzte Aurora Dawn. "Mal sehen, was die sich dieses Jahr einfallen lassen."

"Und da hilft es auch nichts, wenn sie diese Juxbolde kriegen", schnarrte Ireen.

"Nun, jedenfalls werde ich in meiner freien Zeit sehen, mit dem großen Chef zu reden, bevor die Chefin der Hosenscheißerabteilung echt komische Ideen hat."

"Viel Spaß", meinte Ireen dazu. Dann sagte sie, daß sie vor der Rückkehr in den Dienstbetrieb noch eine Weile Ruhe brauche, um ihren eigenen Geist in gute Balance zu bringen. Aurora wünschte ihr die nötige Erholung. Dann verabschiedete sie sich von Berthold, der in der Abteilung für Verletzungen durch Tierwesen zu tun hatte.

Den restlichen Nachmittag verbrachte die junge Heilerin aus England mit Patienten, die es mit der Dosierung von Heil- oder Rauschmitteln übertrieben hatten. Einer hatte sich selbst mit einer Schrumpflösung auf Daumenlänge verkleinert und wäre fast von seiner eigenen Katze gefangen und gefressen worden, da anders als bei Schrumpfzaubern nur der Körper betroffen war und nicht die Kleidung oder der Zauberstab. Auf die Frage warum er überhaupt einen Schrumpftrank eingenommen habe antwortete der Zauberer nach erfolgreicher Rückvergrößerung, daß er Höhlenforscher sei und einen Trank austüfteln wollte, der ihn in niedrigere Gänge und durch enge Spalten gelangen ließ. Das der Trank so heftig wirke habe er weder gewußt noch so haben wollen.

"Die meisten, die durch überdosierte oder fehlerhafte Tränke zu Schaden kommen beabsichtigen das nicht", erwiderte Aurora Dawn ruhig, bevor sie dem Zauberer seine Kleidung zurückgab und die Entlassungspapiere fertigmachte.

_________

Berthold hatte es nicht geschafft, Direktor Springs davon zu überzeugen, daß ein Zauberer in einer Babystation nichts zu schaffen hatte. Witze über Toms zeitweilige Oberweite leistete er sich nicht mehr. Stattdessen sah er Meisterin Honeydew immer wieder an, weil diese Tom bei den Mittagsmahlzeiten begleitete. Er sagte kein Wort mehr als "Hallo zusammen" und "Bis dann denn". Dann kam Halloween.

"Heilerin im Praktikum Dawn, wie unser geschätzter Kollege Goldwater ja bereits angedeutet hat, besteht in der Außendiensttruppe ein gewisser Bedarf an Heilern, die sich in der Muggelwelt zurechtfinden. Daher habe ich befunden, da Sie in der Zaubertrankunfallbehebungs- und Vorsorgebrauabteilung von Meister Goldwater eh schon durch besonderen Erfolg aufgefallen sind, diesen Abschnitt Ihres praktischen Jahres für beendet zu erklären und Sie der Notfallaußentruppe zuzuteilen. Natürlich weiß ich, daß Sie gerne in der Abteilung Goldwaters weiterarbeiten möchten. Doch Sie kennen ja das Sana-Novodies-Konzept, daß sich ein vereidigter Heiler noch ein Jahr in allen Sparten seiner Kunst üben soll, bevor ihm die Wahl gelassen wird, ob er oder sie der Klinik zur Verfügung steht oder eine freie Niederlassung übernehmen möchte. Ich sehe, Sie stimmen mir zu." Aurora nickte nur. "Natürlich ist es etwas abrupt, Ihnen diese Versetzung am Halloweentag zu übermitteln. Doch Sie werden sicherlich erkennen, wie wertvoll Ihr Einsatz im Außendienst sein kann." Aurora nickte schweigend. "Das werte ich gerne als Zustimmung. Deshalb möchte ich Ihnen hiermit die offizielle Versetzungsverfügung mit Kopie für den Kollegen Goldwater wie für die Kollegin Herbregis geben." Aurora nickte. Daß ihre Mentorin nach ihrer erfolgreichen Ausbildung Leiterin der Außeneinsatzgruppe war hatte Aurora vier Tage nach der Vereidigung erfahren. Die restlichen Mentoren waren in ihnen genehme Abteilungen zurückgekehrt. Ireens Mentorin hoffte sie irgendwann in der Abteilung zur Zucht und Bearbeitung magischer Kräuter und Pilze wiederzusehen, wo sie wohl irgendwann die Abteilungsleiterin sein würde.

"Darf ich fragen, ob Großmeisterin Herbregis um meine Mitarbeit gebeten hat. Ich meine, sie kennt mich ja sehr gut, hat mich ja im Grunde soweit gebracht, wie ich bis jetzt gekommen bin."

"Nun, als Direktor höre ich mir die Meinungen der Kollegen und Vorschläge an. Die Entscheidungen treffe ich jedoch aus eigenem Ermessen, Heilerin Dawn. Zumindest solange mir die gute Laura nicht verbindliche Vorschläge macht." Mehr sagte er dazu nicht. Aurora war auch so klar, was er meinte. Nicht ihre frühere Mentorin, sondern die Sprecherin der australischen Medimagier, Laura Morehead, hatte sie für den Außendienst vorgeschlagen oder zur Versetzung bestimmt. Mochte das heißen, daß Aurora nun das ganze Restjahr Außendienst machen sollte? Das konnte ziemlich stressig oder totlangweilig werden. Je nachdem, was für Tage und Tageszeiten waren. Heute würde es bestimmt sehr wild zugehen, falls die bekannten Scherzbolde nicht vorsorglich überwacht und ihre Streiche früh genug abgewürgt wurden.

"Ab wann gilt die Versetzung?" Fragte Aurora Dawn.

"Ab ein Uhr Mittags", sagte Direktor Springs. Aurora bestätigte, das verstanden zu haben. Sie konnte es auch auf dem Versetzungsbogen nachlesen, den ihr der Direktor der Klinik aushändigte. Als Begleitnotiz befand sich bei dem Versetzungsbogen noch eine Liste aller niedergelassenen Heiler im einzugsbereich hauptsächlich von Muggeln bewohnter Städte. Daran erkannte sie, daß es jetzt wirklich nicht mehr nur um die Sano ging. Da war eine ganze Zauberergemeinschaft, weiträumig über einen Kontinent und ein paar vorgelagerte Inseln verteilt. Einige Namen kannte sie schon, wie Lazarus Herbregis in Perth, das auch zum erweiterten Dienstrevier der Heilerin und Hebamme Wilhelmina Whitecastle gehörte. Insgesamt waren es siebzig Heilerinnen und Heiler, wobei die Heilerinnen als Geburtshelferinnen auch vier angrenzende Niederlassungen mitbetreuten. Sie erkannte, daß ein Netz aufgebaut war, das es ermöglichte, mindestens einen Heiler bei einem magischen Notruf an den Ort des Rufers zu schicken.

"Melissa Thornapple? Die hat die Niederlassung Sydney? Ich dachte, sie schreibt nur noch über nichtmagische Heilpflanzen", wunderte sich Aurora.

"Ja, die gute gab es schon, als Laura Morehead noch in den Windeln lag, hat viele Reisen gemacht und sich über alle möglichen Kräuter schlaugemacht. Da sie vor fünf Jahren ihren hundertfünfzigsten Geburtstag begangen hat ging jeder davon aus, daß sie doch irgendwann um eine Ablösung bittet, bevor sie selbst zu schwach dafür wäre. Aber die Gute ist sehr rüstig."

"Einhundertfünfzig Jahre?" Staunte Aurora. "Und sie praktiziert noch?"

"Ja, und mit einer verbrieften Erlaubnis von Lauras Vorvorgänger Gwion McGonagall darf sie sogar Muggelkinder auf die Welt holen, solange sie dabei keine Magie oder magische Hilfsmittel benutzt. Sie meinte einmal zu mir, als ich eine HIP war, daß es nicht genug Geburtshelferinnen geben könne, um den Frauen der Muggel zu helfen."

"Hui, da hat sie sich aber was aufgeladen."

"Kann man sagen, wenngleich sie wohl seid zwanzig Jahren keine Muggelfrauen mehr betreut, seitdem ihre Haare schneeweiß geworden sind und die jungen Mütter fürchten, daß die Hebamme bei der Geburt abberufen wird. Lazarus Herbregis und Madam Whitecastle kennen Sie natürlich auch, und Aron Silvermug in Hobart war mein Mentor, bevor er sich auf seine Heimatinsel Tasmanien zurückzog, um diese als Niederlassung neu ins Register aufnehmen zu lassen."

"Verstehe. Aber habe ich eben McGonagall verstanden?"

"Eindeutig. Der Herr war der Urgroßonkel Ihrer Verwandlungsfachlehrerin und führte unsere erhabene Zunft von 1895 bis 1928. Er war einer der ersten Heiler, die in Australien geboren wurden. In seiner Ahnenlinie sind zwei Heiler, und ein Vorfahre namens Ethan hatte eine Schwester, die sogar Schulheilerin in Hogwarts war. Aber ich möchte Sie nicht mit zu Viel altem Zeug überfrachten. Verzeihen Sie einem mittelalten Hasen, daß ihm zwischendurch nostalgisch wird!"

"Natürlich verzeihe ich Ihnen das. Ich stelle nur fest, daß ich mich zu wenig mit der australischen Geschichte der Heilzunft befaßt habe."

"Oh, dann müßten wir Ihnen unverzüglich die Zulassung aberkennen", erwiderte Direktor Springs. Doch seine Lippen umspielte ein fast jungenhaftes Lächeln, daß Aurora verriet, daß er das auf keinen Fall so meinte.

"Hätte einen Vorteil: Ich müßte mich nicht mit den Streichen dieser Muggelhasser und Scherzbolde herumbalgen", griff Aurora den Scherz auf. "Andererseits dürfte der von Meister Goldwater anerkannte Verstärker gegen den Kreiselflugtrank dann nicht mehr als Heilmittel gebraut werden."

"Ich glaube, die gute Laura würde mich in einen wimmernden Säugling zurückverwandeln und ihrer jüngsten Tochter überlassen, wenn ich das ernsthaft vorbringen sollte. Sicher ist sie sehr stolz auf die Geschichte der Heilzunft und würde es sehr schätzen, daß sich jeder angehende Heiler etwas mehr damit beschäftigte als nur, wer welchen wichtigen Zauber oder Zaubertrank erfunden hat. Aber Ihnen die Zulassung abzusprechen, nur weil Sie Gwion McGonagall nicht kennen ... Das wäre doch weit außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit." Er lächelte väterlich, als Aurora behutsam nickte. Dann meinte er so sachlich und souverän wie sonst: "Damit haben Sie jetzt alles, um die Ihnen alleine zufallenden Außeneinsätze erfolgreich durchzuführen."

"Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für mich genommen haben", sagte Aurora respektvoll. Der Direktor lächelte noch einmal, daß sein dünnes Schnurrbärtchen leicht nach oben rutschte. Dann sah er Aurora Dawn hinterher.

Die Zeit bis zum Mittagessen arbeitete Aurora noch einmal im Labor, um dort mehrere Tränke zu überwachen, die seit fast einem Monat vor sich hinköchelten. Dann kam Daniel Goldwater, der leicht betrübt aussah und sagte: "Ich danke dir, weil du uns in den wenigen Wochen, die du eigenständig hier arbeiten konntest, sehr gute Dienste geleistet hast. Vielleicht sehen wir uns ja nach deiner endgültigen Zulassung wieder." Aurora erwiderte, daß sie sehr gerne in dieser Abteilung ausgeholfen hatte und jederzeit wieder aushelfen würde, solange sie hier war. Dann übergab sie dem Leiter für Zaubertränke und alchemistische Heilverfahren die Schlüssel zu den Laboren.

"Berthold schwieg beim Mittagessen, weil Tom ihn so ansah, als freue der sich schon auf was. Aurora konnte sich denken, daß Tom bereits darauf wartete, seinen Jahrgangskameraden morgen in der Mutter-Kind-Station zu treffen. Ireen fragte Aurora, ob der Direktor sie wirklich in die Bereitschaftsgruppe versetzt hatte. Sie nickte. "Hoffentlich kann ich noch einen Monat in Mesmers Abteilung bleiben. Wir haben gerade einen jungen Muggelstämmigen, der von einer paarungshungrigen Sabberhexe abhängig gemacht wurde. Der ist gerade in der Autoaggressiven Phase." Aurora nickte schwerfällig. Sie hatte Ireen ja einmal von Roy Fielding erzählt und daß Tim Abrahams über Jahre von dieser Morpuora abhängig gewesen war. Hier hatte sie die Therapie in allen Einzelheiten kennengelernt, die den beiden damals zurück in ein freies Leben geholfen hatte. Bei der Gelegenheit dachte sie daran, wie es dem kleinen Tom Fielding jetzt ginge. Würde der dieses Jahr zum ersten Mal Halloween mitfeiern? Das würde sie morgen abend klären, wenn sie die anstehende Nacht gut überstand.

"Du warst wieder bei Direktor Springs, Berthold", fing Amalthea Honeydew eine Unterhaltung mit Berthold an.

"Ich habe ihm gesagt, daß er kein Recht hat, mir Arbeiten anzutragen, die nicht für mich bestimmt sind. Ich kann zwar nichts dagegen machen, morgen bei dir in der MKS zu erscheinen und da solange zu arbeiten, bis du mich wieder loswerden willst oder die drei Monate um sind. Aber diese Strafaktion mit dem Nutrilactus-Trank darfst du mir nicht aufhalsen. Ich habe die Gebrauchsvorschriften für das Gebräu studiert."

"Rat mal wer noch, junger Mann", erwiderte Amalthea. "Da steht nämlich auch drin, daß der Trank im Notfall auch von männlichen Pflegepersonen eingenommen werden kann, wenn ohne diese Maßnahme frühkindliches Leben gefährdet ist. Ob das der Fall ist befinde hier wohl ich. Glaub's mir, daß du nicht der erste Zauberer bist, dem ich Ehrfurcht vor der Natur der Frauen und den Respekt vor einem Vorgesetzten beibringe."

"Man kann sich dran gewöhnen", grummelte Tom. "Die Rückenschmerzen gehen irgendwann wieder weg, und das Ziepen im Brustbereich merkst du nach zwei Tagen auch nicht mehr."

Berthold schwieg. Ireen fragte Aurora noch, ob sie wie früher mit einem voll angestellten Heiler zusammenarbeiten würde.

"Direktor springs hat gesagt, daß ich die Einsätze selbständig durchführen soll", erwiderte Aurora.

"Dann viel Glück heute abend!" Wünschte Ireen.

"Es werden noch genug andere Heiler unterwegs sein wie üblich", warf Amalthea Honeydew ein und hielt Tom wohl mentiloquistisch an, weiterzuessen.

"Ist heute wieder Elternsprechtag?" Fragte Berthold mit einem Seitenblick auf Tom.

"Der Gilt nur für die Adepten bis zum dritten Jahr", antwortete die Leiterin der Mutter-Kind-Station.

"Bin auch froh drum. Mein Vater könnte glatt meinen, er hätte 'ne Tochter", erwiderte Tom McCloud verdrossen. Aurora sagte nichts. Sie war auch froh, daß sie nicht mitten bei einer Wiedersehensfeier mit ihren Eltern aus dem Saal mußte, weil sie draußen gebraucht wurde.

am Nachmittag traf sie mit um einige Tränke aufgestockter Heilertasche Im Bereitschaftsraum ein, wo sie die zwölf Kollegen und fünf Kolleginnen traf, von denen sie die meisten in der Ausbildung schon kennenlernen durfte. Unter den Heilerinnen war auch Daisy Nettles, eine Jahrgangskameradin von Jill Trylief, mit der sich Aurora häufiger gut unterhalten hatte. So wunderte es sie gar nicht, daß Daisy auf sie zukam und leise fragte: "Hat deine Mentorin Direktor Springs bekniet, deine umfangreichen Fähigkeiten nicht in diesem Haus hier einzusperren?"

"Nein, sie nicht. Es war Madam Morehead."

"Oha, dann hast du gefälligst immer so gut das geht zu sein", seufzte Daisy. "Aber im Grunde muß ich das sein, Roscoe da drüben und Hillary. Im Grunde sind wir das Aushängeschild der Heilzunft, was bei den Muggeln diese Leute in den Roten Wagen sind, die bei Unfällen oder Bränden rumfahren."

"Feuerwehr und Rettungsdienst", erwähnte Aurora die richtigen Bezeichnungen. Daisy nickte. Dann hörte sie ein leises Klingeln. Aurora stand sofort stramm, um den Einsatzbefehl entgegenzunehmen. Doch die Klingel kündigte nur die Leiterin der Außeneinsatztruppe an.

"Schönen guten Tag noch mal. Ich wollte mich, weil heute wieder der große Wichteltanz ansteht, persönlich bei euch sehen lassen. Abgesehen davon möchte ich einer jungen Kollegin, die uns heute zugeteilt wurde, ihr Heilerarmband für Außeneinsatzbereitschaft übergeben. Aurora, kommst du bitte zu mir?!" Aurora nickte Bethesda Herbregis zu und trat zu ihr hin, wobei sie auch an Melchior Vineyard vorbeikam, mit dem sie den Fluch des gelben Kuchens im Zaubererdorf Resting Rock bekämpft hatte.

"Viel Glück, Aurora", mentiloquierte er ihr zu. Sie schickte ein "Danke", zurück. Dann stand sie vor ihrer früheren Mentorin, die sie anlächelte.

"Eigentlich kriegen das Armband nur Heiler, die das praktische Jahr vollendet haben. Aber Madam Morehead persönlich hat nach den ersten zwei Monaten befunden, daß du nicht in Labors oder Archiven verkümmern darfst, auch wenn ich von meinem Kollegen Goldwater gebeten wurde, dich ihm nicht abzuwerben. Ich denke, aus deinem Jahrgang gibt es noch gute HIPs, die Standardzaubertränke erstellen können. Lege dir das auf dich geprägte Armband bitte um den Zauberstabarm, und zwar so, daß es etwas weiter oberhalb des Handgelenkes anliegt, die blaue Hemisphäre nach oben, die rote nach unten!" Aurora befolgte die Anweisung und legte das aus vier einzelbändern zusammengefügte Silberarmband mit den zwölf kleinen Richtungssteinchen an. Damit konnte eine Heilerin oder ein Heiler den Ausgangspunkt eines Notrufzaubers auf wenige Meter genau bestimmen. Zudem, das hatte sie dem Versetzungsbogen entnommen, würde sie noch die Zuweisung einer bestimmten Region erhalten, in der bis zu fünf Einsatzgebiete niedergelassener Heiler zu finden waren. Um die Zielausrichtung am besten einzuüben wurde auf einer weißen Wand eine von innen leuchtende Landkarte gezeigt, die bei Notrufzaubern an den Zielortmarkierungen rot blinkte. Niedergelassene Heiler mußten sich hingegen auf ihr Armband und die Übung damit verlassen.

Es prickelte leicht, als Aurora das Armband schloß. Dann lag es an wie ein gewöhnliches Armband. Dann sagte Meisterin Herbregis: "Du bekommst den Abschnitt Sydney. Du weißt ja, daß du selbst bei einer hundertprozentigen Zielpunktbestimmung nie näher als zehn Meter heranapparieren darfst, weil durchaus die Gefahr besteht, daß die Ursache für den Notruf dich sofort mitbetrifft. Ich weiß zwar, daß du das gelernt hast, muß ich aber einem, der neu in die Außeneinsatztruppe kommt, auch wenn es nur für drei Monate sein mag, noch mal in Erinnerung rufen." Aurora nickte zustimmend. Dann durfte sie sich zu ihren Kollegen setzen. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen gab es hier Kartenspiele, mehrere Schachbretter, sowie die neusten Zeitungen und Fachzeitschriften wie Verwandlung heute, der grüne Magier, Zentralfragen der Zauberkunst, Der Heilerherold und Angewandte Zaubertrankkunde. Aurora lieh sich ein Exemplar des grünen Magiers aus und las, das die deutsche Kräuter- und Zaubertierkundelehrerin Gudrun Rauhfels eine weitere Anendung von Venomosa tentacula zur Serienreife entwickelt hatte, die Einfuhrbeschränkunen von Sperrdornheckensamen nach Indien, Persien und Australien verschärft worden seien und es in Südamerika eine neue Zauberpflanzenart gebe, die nur dort wachse, wo Jahre Lang schamanistische Rituale ausgeführt worden seien und die deshalb Schamanenstaude genannt wurde. Von einer gewissen Gefährlichkeit abgesehen - sie konnte Menschen wie eine Teufelsschlinge erdrosseln, mußte noch geprüft werden, ob die Pflanze für die hermetische Zaubererwelt etwas tauge oder alle Exemplare vernichtet werden sollten. Ansonsten stand noch ein Leserbrief von Dina Fielding zu den Drachendisteln drin, eine durch magischen Unfall vor zweihundert Jahren entstandene Zauberpflanzenart, die die Eigenschaften von Brennesseln und Disteln in sich vereinte und diese auf ein fünffaches verstärkte und mit den Brandranken alles angriff, was wärmer als die Pflanze selbst war. Sie äußerte sich zu der These, daß es sich dabei nicht um magisches Unkraut, sondern um einen hochpotenten Wirkstoffträger handele, dessen Nutzanwendungen genauso umfangreich sein dürften wie die von Drachenblut. Aurora las die wenigen Zeilen, die ein Leserbrief haben durfte und verstand Dina. Eine junge Mutter war ganz bestimmt nicht scharf darauf, diese gefährlichen Pflanzen im Garten zu haben und empfahl Wurzelwühler, die Larven des Eislaufkäfers Chryotarsis Frigidifica zu verwenden, da diese die Wurzeln säurehaltiger Pflanzen fraßen, andere Gartengewächse jedoch in Ruhe ließen.

Ein lautes Glockenläuten. Alle sahen zur Wand, wo sich bereits die Karte mit den Einsatzgebiten zeigte. Gleichzeitig fühlte Aurora, wie etwas in ihrem Armband vibrierte und konnte sogar empfinden, das es weit westlich, aber auch mehrere hundert Kilometer weiter nördlich von der Klinik lag. Das mit den Himmelsrichtungen hatte sie im letzten Ausbildungsjahr geübt.

"Okay, Galahad, dein Gebiet!" Rief Meisterin Herbregis. Galahad Oakbud nickte und disapparierte. Aurora erkannte, daß es günstig für das schnelle Wegkommen war, wenn sie die Tasche geschultert ließ.

"Fängt schon früh an mit Halloween", meinte Daisy, die sich in Auroras Nähe hingesetzt hatte. Zehn Sekunden später bimmelte es erneut. Es war wieder das Gebiet von eben. Diesmal war das Licht blau und leuchtete hektisch. Aurora nutzte diese Alarmzauber, um ihr Gefühl für den Abstand immer mehr zu trainieren. "Okay, Mel, Daisy, ihr helft ihm", teilte Meisterin Herbregis zwei Kollegen ein, die kein festes Zielgebiet besaßen, sondern als Verstärkung einschreiten konnten. Schon interessant, nicht aus dem Büro der Mentorin an einen Einsatzort zu springen, sondern im Bereitschaftsraum zu warten. Fünf Minuten später tauchte das eingesetzte Trio wieder auf, mit zerrissenen Umhängen und grünen Ranken an den Armen. Aurora vermutete, daß es einen Ringkampf mit einem Lauerbusch gegeben hatte, jener fleischfressenden, äußerst gut ortsbeweglichen Pflanze, die eigentlich nur auf magischem Boden gedieh. Aber die Ranken und die leichten Verwundungen waren eindeutig.

"Lauerbüsche, vier auf einmal", Meldete Galahad. "Irgendwer muß die eingeschleppt haben. Konnten einem Ehepaar noch helfen, von denen nicht gefressen zu werden."

"Okay, Laßt euch versorgen und kommt wieder, wenn Kleidung und Körperzustand wieder einsatzfähig sind!" Befahl die Außentruppleiterin. Zwanzig Minuten vergingen, da gab es Alarm in Melbourne. Der zuständige Heiler brach auf und brauchte offenbar keine Verstärkung. Nach sechs Minuten kehrte er zurück und meldete: "Zauberstabrückschlag. Patient wollte eine Kiste schweben lassen und hat sich selbst an die Decke geschleudert. Drei Brüche, vier Prällungen, eine Zerrung am Bein. Bericht erfolgt." Unaufgefordert setzte er sich hin und schrieb an dem kleinen Schreibpult auf Pergament.

So ähnlich ging es weiter, allerdings mit mehreren Dutzend Minuten dazwischen. Aurora nutzte die Zeit, um einen Antwortbrief für den grünen magier zu Dinas Leserbrief zu schreiben und sicher fortzustecken, sowie einen Artikel über die Wirkungsveränderung von Zaubertränken in Abhängigkeit vom Material des Braukessels von Almadora Fuentes Celestes. Im Heilerherold wurde der Heilerin Antoinette Eauvive gratuliert, weil sie nun Direktorin des Delourdes-Krankenhauses für magische Krankheiten und Unglücksfälle war.

Um Fünf Uhr kam der erste Einsatzruf für Aurora Dawn. Weit genug westlich von Sydney, daß die Gefahr, auf Muggel zu treffen vernachlässigbar gering ausfiel. Sie disapparierte und fand sich am Rand eines Feldweges wieder. Sofort sah sie zwei Zauberer, die mit ihren Zauberstäben winkten und rote Funken in den Himmel schossen. Ein dritter Zauberer wand sich am Boden. Blaue Blitze schlugen aus ihm heraus, und er schrie so laut, daß bestimmt sämtliche Muggel der Gegend herbeigelaufen kamen.

"Heilerin Aurora Dawn, was ist passiert?" Nahm sie sofort Kontakt zu den beiden auf.

"Der wollte uns seinen Halloweentrick für heute Abend vorführen, eine Art feuerloses Feuerwerk, ohne zu verbrennen", sagte einer der Begleiter. Aurora sah sich das Spektakel an. Die Färbung der Blitze und die Häufigkeit, mit der sie vor allem aus den besonders körperkernfernen Stellen wie Finger, Nasenspitze, Ohrläppchen und durch die bereits stark verkohlten Schuhe aus den Zehen schlugen ließ sie an Elmsfeuer denken, das an Mast- und Turmspitzen aufflackerte, wenn ein Gewitter im Anmarsch war. Dann fiel ihr noch etwas auf. Der betroffene Zauberer schrumpfte langsam zusammen. "Lentavita!" Rief sie mit auf den Patienten gerichtetem Zauberstab. Sofort verringerte sich die Anzahl der Blitze. also hatte sie richtig gelegen, daß die Wechselwirkung vom Körper abhing. Doch ganz verschwanden die Lichtentladungen nicht.

"Wau, ist schon weniger", sagte der eine Zauberer. Aurora war aber noch nicht fertig mit ihren Zaubern. Sie wußte, daß die Elementarzauberei auf der Naturkraft Feuer basierte. Es war aber auf jeden Fall Magie, die nach außen abfloß und dabei ein wenig von seinen Ausmaßen verringerte. Sie dachte daran, das im körper ganz langsam brennende Feuer des Stoffwechsels für wenige Sekunden völlig erlöschen zu lassen. "Ignivitae interrupto!"Blaues Licht wallte auf und umschloß den Patienten, der von einem Moment zum anderen tot zu sein schien. Tatsächlich aber wurden nur die Stoffwechselprozesse unter Einwirkung des Lentavita-Zaubers auf ein Tausendstel verlangsamt. "Elementas alienas de Corpore vanescete!" Mit einem Schlag glühte der Leib des Patienten auf, wurde sonnenhell, um nach nur zwei Sekunden wieder so da zu liegen, wie er lag. der fremde Elementareinfluß hatte sich wegen des stark verzögerten Stoffwechsels vom Körper abgeschieden. "Revenite Ignes Corporis!" murmelte sie. Da setzten Atmung und verlangsamte Augenreaktionen wieder ein. Sie hob mit "Reverto Tarditatem" den Verlangsamungszauber wieder auf und prüfte die Organfunktionen. Sie mußte das Herz in einen gleichförmigen Rhythmus bringen. Dann war der Patient frei von fremder Magie.

"So, die Herren, das war's. Jetzt hätte ich gerne noch die Namen für mein Protokoll", sagte Aurora und zückte ihr Notizbuch. Doch die drei Zauberer dachten nicht daran, ihre Namen zu sagen. Unvermittelt disapparierten sie. "Feiglinge", schnarrte Aurora, als nur noch leere Luft an der Stelle war, wo die Zauberer waren. "Dann kann dir auch keiner helfen, die zehn Prozent Körpermaterie wiederzukriegen", dachte sie nur.

"Die kenne ich, die machen Schabernack, rufen die Heiler und verschwinden dann, junge Dame", sagte eine tiefe, von hohem Alter leicht angerauhte Frauenstimme. Aurora drehte sich um und sah eine ungewöhnlich hochgewachsene, gertenschlanke Hexe in einem wallenden grünen Umhang mit Kapuze. Die Fremde schlug die Kapuze zurück und ließ schneeweißes Haar bis auf ihren unteren Rücken herabwallen. Eine messingfarbene Brille ritt auf der schlanken, mit vielen Altersfältchen verzierten Nase. Hinter den froschaugenartigen Gläsern gewahrte Aurora ein paar wacher, dunkelgrüner Augen, die bei weniger Beleuchtung bestimmt rabenschwarz aussehen mochten. Aurora hatte die Fremde nicht kommen hören können. Die Fremde? Sie erinnerte sich, daß Direktor Springs gesagt hatte, daß Muggelmütter bei einer Hebamme mit schneeweißen Haaren wohl Angst hätten, die Hebamme würde während der Geburt sterben.

"Madam Thornapple, Aurora Dawn, Heilerin im Praktikum", stellte sie sich vor.

"Madam hat schon lange keine Hexe oder ein Zauberer mehr zu mir gesagt", lachte die weißhaarige Hexe. "Die meisten sagen Mel oder Melissa oder Heilerin Thornapple, Omchen, alte Sabberhexe, Tante Heilerin oder nur Uääääh Uäääh, wenn sie mich zum ersten Mal sehen." Dabei immitierte sie so natürlich den ersten Schrei eines Neugeborenen, daß Aurora sich keine Sekunde lang fragte, wie oft die altehrwürdige Heilerin ihn gehört hatte.

"Ich wollte Ihnen keine Patienten wegnehmen. Ist nur so, daß bei uns ..."

"... der Alarm losgeht, wenn jemand den Notruf macht", beendete die Hexe den Satz.

"Ich habe einfach nur funktioniert", grummelte Aurora Dawn.

"Du hast gehandelt, nicht funktioniert, Aurora. Da lag ein kindsköpfiger Möchtegerngroßmagier, aus dem Blitze gekommen sind. Da mußtest du natürlich sofort einspringen. Hauptsache, du hast deinen Namen gesagt und dann die richtigen Zauber ausgeführt. Ich hätte mich das nicht mehr gewagt, einen für fünf Sekunden mit Stoffwechselblocker zu bezaubern, um einen fremden Feuerzauber abzuspalten und zu entladen. Woher warst du dir so sicher, daß der Zauber ihn nicht umbringt?"

"Weil bei Lentavita die durch Stoffwechselblockade verursachte Gewebeauflösung zehnmal länger braucht als ohne den Zauber. Zudem wurde der gesamte Stoffwechsel auf einen Schlag und für nur wenige Sekunden blockiert und bei Freigabe derartig verstärkt, daß es ohne Lentavita eine sofortige Überhitzung bewirkt hätte. Ich weiß, daß es ein Risiko war. Und ich hätte den Herrn noch gerne interviewt, was genau er da gemacht hat. Jetzt fehlt mir das und sein Name für's Protokoll."

"Ist mir auch schon mit denen passiert. Als die mich dann wegen eines anderen Schabernacks gerufen haben, habe ich die dann erst mit einem Antidisapparierfluch gebannt, bevor ich behandelt habe. Die Namen kann ich dir geben. Was für ein Zauber das war weiß ich leider nicht."

"Das wird meine Einsatzleiterin nicht gerade beruhigen", seufzte Aurora Dawn.

"Leiterin? Könnte ich die kennen?"

"Großheilerin Herbregis", erwiderte Aurora, verschwieg dabei, daß es ihre Wegführerin zur Heilmagie gewesen war.

"Ui, dann hat die, weil sie dich so zielsicher an die Spitze deines Jahrgangs getrieben hat befunden, daß du in der Klinik nur dumm rumsitzt, wenn du nur Zaubertränke anrühren oder bereits diagnostizierte Patienten therapierst. Moment, ich muß was zum Sitzen haben. Ich gebe dir mal die Namen der drei und unterschreibe, daß ich diese Clowns schon häufig genug vor dem Zauberstab hatte. Das sie dir abgehauen sind konntest du nicht ahnen, wenn du keine Mentalauditorin, also Gedankenhörerin bist. Aber die sind soooo selten, und das wüßte ich, wenn du eine wärest."

"Sie wissen eine ganze Menge über mich, Meisterin Thornapple. Umgekehrt kann ich das leider nicht behaupten. Ich weiß nur, daß sie die niedergelassene Heilerin von Sydney sind und hauptsächlich auch als Hebamme tätig sind."

"Die Sachen sind für eine junge Heilerin auch schon wichtig genug. Aber hier, ich mach das eben mit den Namen, damit ich wieder nach Hause komme." Sie zog ein Notizbuch hervor und eine Adlerfeder, tunkte diese in ein kleines Tintenfaß und schrieb drei Namen auf den Zettel, merkte an, daß sie als niedergelassene Heilerin die drei schon häufiger zu behandeln gehabt hatte und die Nachbehandlung übernehmen würde, die sicher fällig war. Danach sagte sie zu aurora: "Ich denke, wir werden uns heute noch ein paar mal sehen. Heute ist Halloween."

"Deshalb haben sie mich ja auch schon in die Außentruppe geholt, weil ich Muggelkunde hatte."

"Ach du meine Güte!" Erwiderte Melissa Thornapple. "Bieten die das in Hogwarts noch an? Wohl nur unzureichend. Bis nachher." Aurora wollte noch was sagen, doch da verschwand die betagte, aber offenbar noch geistig sehr rege Hexe mit leisem Piff.

"Wie macht die das?" Fragte sich Aurora dawn. Sie konnte zwar auch leise apparieren. Aber ein Plopp war immer noch zu hören. Auf jeden Fall war sie hier fertig. Sie kehrte zu Meisterin Herbregis zurück und erstattete Bericht. Dann gab sie ihr den Zettel.

"Willkommen im Club, Aurora. Hätte nicht gedacht, daß die immer noch keine Anzeige vom Ausschuß gegen den Mißbrauch der Magie haben. Ich habe die Schrägen Schnatzer auch schon mal behandelt und entwischen lassen. Laura Morehead auch, und ein Dutzend gestandener Heiler und Heilerinnen. Wahrscheinlich wären sie schleunigst abgehauen, wenn Mel Thornapple alleine aufgetaucht wäre. Das nette an denen ist nämlich, daß sie immer in einer anderen Niederlassung Australiens ihren Schabernack treiben", sagte Meisterin Herbregis, daß es alle hören konnten und apportierte das hauseigene Denkarium, in das wichtige Erfahrungen für künftige Heilergenerationen aufbewahrt wurden. Aus diesem ließ sie geisterhaft und dennoch undurchsichtig drei Gestalten aufsteigen. Sie deutete auf den größten und bezeichnete ihn als Fion Halligan. Aurora nickte. Der hatte dabeigestanden. "Adam Nuckles", war der zweite Zauberer, der dabeigestanden hatte. "Und der größte Unfugmagier des Kontinentes, Rico Bellrope." Einige der Außeneinsatzleute nickten. Offenbar hatten die diese Chaoten auch schon getroffen. "Unsere große Sprecherin Laura Morehead vermutet sehr stark, auch wenn sie es nicht beweisen kann, daß die drei die Zauber, für die sie die Bereitschaftsheiler oder die einer Niederlassung rufen, sehr wohl kontrollieren und alleine umkehren können. sie machen sich einen Jux mit uns Heilern, vielleicht auch nur um zu sehen, wie einer einen fremden Zauber behandelt. Wenn Aurora den netten Mr. Bellrope zu uns gebracht hätte, wäre denen bestimmt das lachen vergangen. Wir hätten den nämlich erst einmal aufgenommen, den Zauber untersucht und ihn dabei vielleicht noch mehr seiner Körpersubstanz verschwinden lassen."

"Oh, dann habe ich falsch reagiert?" Fragte Aurora laut.

"Unsere Aufgabe ist, magischen Menschen oder durch Magie geschädigten Menschen zu helfen. Wenn das vor Ort geht sollte es auch vor Ort getan werden. Die Stationen bei uns sind für wirklich schwere Fälle reserviert und nicht für magischen Mumpitz. Insofern hast du absolut richtig reagiert, den feuerigen Firlefanz aus ihm auszutreiben. Der fragt sich ganz sicher, wie die Zauber gehen, die du ausgeführt hast."

"Ich habe verbal gezaubert, wegen der Wirkung."

"Selbst dann wissen sie nichts von mentalen Komponenten", erwiderte Großheilerin Herbregis. Dann durfte Aurora ihren Bericht schreiben. Zwischendurch gab es Alarm, aber nicht für Auroras Einsatzgebiet. Daisy Nettles mußte einmal nachrücken, weil bei einer Amateurquidditchspielerin die Wehen eingesetzt hatten. Sie würde also mindestens eine Stunde fortbleiben, wenn nicht sogar die ganze Nacht.

Dann kam das Abendessen, das die Bereitschaftsheiler in ihrem Warteraum serviert bekamen. In der Zeit blieb es ruhig.

"So Leute, das ist die Ruhe vor dem Sturm. Sobald es dunkel Wird kriegen wir alle wohl arbeit. Seid auf alles gefaßt und laßt euch nicht einschüchtern oder bange machen!" Predigte Bethesda Herbregis.

Der "Sturm" brach jedoch schon gegen halb neun los. Fast Sekündlich ging Alarm ein. Auch Aurora Dawn mußte relativ früh ausrücken. In Sydney hatte jemand Halloweenkostüme verkauft, die beim Anziehen den Träger körperlich in das verwandelten, was sie darstellen sollten. Einem Mann wuchsen echte Teufelshörner, ein Pferdefuß und struppiges, schwarz-rotes Fell, während aus allen Körperöffnungen schwefliger Brodem entwich. Ein Junge, der als Gespenst gehen wollte, wurde richtig durchsichtig und schwebte. Allerdings konnte er nicht wie echte Geisterwesen durch wände gehen. Eine Fünfzehnjährige hatte sich eine grüne Maske aufgesetzt, weil das die Muggelvorstellung von einer bösen Hexe war und wurde zu einer am ganzen Körper grünen, knochigen Frau mit Buckel und Warze auf der Nase, die ungewollt schrille Kicherattacken über sich ergehen lassen mußte. Einem anderen Mann, der als die hochgejubelte Popsängerin Madonna gehen wollte, war wasserstoffblondes Haar gewachsen, er war etwas kleiner geworden und hatte die Anatomischen Merkmale einer Frau angenommen, sowie die Stimme. Kinder, die spitze Koboldohren aufsetzten, wurden rein äußerlich zu richtigen Kobolden und fingen an, irgendwelchen Unsinn zu treiben. Aurora konnte im Moment nichts anderes machen, als die ihr gemeldeten Verwandlungsfälle in die Klinik zu bringen, wobei der Teufel und die kichernde Hexe wüste Flüche ausstießen, bei denen es donnerte, blitzte und Feuer aus der Erde schlug.

"Die werden immer besser, diese Fieslinge", knurrte Daisy, die die Madonna-Kopie untersuchte und tatsächlich alles vorfand, was eine Frau zur Frau macht. "Das die so gründlich wirken", knurrte sie, während Aurora sich um den Gespenster-Jungen kümmerte, der sich eiskalt anfühlte und im Moment nur in Huuuh- und Huaaaa-Lauten sprechen konnte, wobei er mit einer langen Eisenkette rasselte.

"Gut, daß in der Sano kein echter Geist herumspukt. Der würde glatt die Geisterbehörde wegen mutwilliger Verleumdung der Gewesenen aufsuchen", meinte Jill Trylief, die ebenfalls in den Einsatz beordert worden war.

"Wissen wir, wieviele Metamorphmasken und -kostüme im Umlauf sind?" Fragte Melchior Vineyard, der ein menschenähnliches Wesen aus Metall zu bändigen versuchte, mit dem er gerade so appariert war.

"Gut, daß die Dinger eine so starke Streuung haben, daß die Spürsteine sofort anschlagen", knurrte Galahad, der Gerade einen kleinen blauen Kobold mit weißer Hose, Stummelschwanz und weißer Mütze auf dem Arm hatte.

"Versuchen Sie sich dagegen zu wehren! Vielleicht kriegen Sie ihren Körper wieder. Also, wie heißen Sie?" Fragte Nettles die Madonna-Kopie.

"Jo-o-oh, ich bin die Madonna. "Wie 'ne Jungfrau, Uu, beim aller ersten Mal"", trällerte die Verwandelte.

"Das kann ich definitiv ausschließen, V.I. negativ."

"Woher wissen wir, daß es eigentlich ein Mann ist?" Fragte Daisy Bethesda Herbregis.

"Revelo Umbroriginis", knurrte die großheilerin. In dem Moment brüllte der nach Schwefel stinkende Teufel: "Heute ist das Ende aller Tage!"

"So kommt mir das auch langsam vor", meinte Jill Trylief, die den Strom der verwandelten um eine Nixe mit grünem Fischschwanz ergänzte, die japsend nach Luft schnappte, wie ein gestrandeter Fisch.

"Aurora, du mußt noch mal raus", donnerte Bethesda Herbregis. Aurora disapparierte aus dem Chaos in ein anderes hinein.

"Komm Süßer, laß mich deinen schönen weißen Hals küssen", hörte sie noch, als Melissa Thornapple apparierte. "Hoffentlich ist die nicht echt", seufzte Aurora, als sie die bleichgesichtige Frau mit den gefährlich entblößten Vampirzähnen sah, die einen jungen Mann bedrängte, der sich gerade selbst künstliche Fangzähne einsetzte und unvermittelt eine andere Ausstrahlung bekam. Die Vampirin, vielleicht auch nur eine Metamorph-Maskierte, wich zurück und wandte sich um. "Stupor!" Rief Melissa Thornapple. Der Schocker traf und wirkte. Also nicht die übliche Magieteilresistenz eines echten Vampirs. Auch der zweite Vampirifizierte wurde geschockt.

"Hier werden Klischees bedient, aber sowas von gründlich. Schon erstaunlich", schnarrte Madam Thornapple

"Bei uns sind schon zwölf verschiedene Verwandlungsopfer, sogar ein Mensch aus Metall."

"Metall? Das grenzt den Täterkreis erheblich ein. Organische Sachen in Metall zu verwandeln ist verdammt schwierig", sagte die hiesige Heilerin. Auf den Straßen hörten sie Menschen "Halloween!" Rufen, Motorwagen fahren und das laute Wimmern von Warnvorrichtungen auf Rettungs- und Ordnungshüterwagen.

"Selbst wenn sie ein ganzes Jahr an diesen Sachen gebaut haben, können die unmöglich alle Kostüme und Masken verhext haben", schnarrte Mel Thornapple.

"Das ist es", sagte Aurora. "Irgendwo haben Leute ein Ritual durchgeführt, bei dem sie einen großflächigen Fluch ausgestoßen haben, der jede Verkleidung zur Wirklichkeit macht."

"Rufe keinen Drachen, Aurora", sagte die niedergelassene Heilerin.

"Also festzuhalten ist, daß die Leute sich nur körperlich und einem vorbestimmten Verhaltensschema nach verändern", stellte die junge Heilerin eine erste Beobachtung dar. "Ein normaler Mensch ist durch ein Geisterkostüm zu einem schwebenden, Huhuhu machenden Wesen geworden, durchsichtig, aber nicht durchdringend wie ein Gespenst. Vampire führen sich auf wie im billigen Gruselstück, können aber geschockt werden. Ein durch Umbroriginis-Zauber als Mann bestätigter Muggel ist anatomisch eine Frau und äußert Stimme und bekannte Lieder der Frau, die er eigentlich nur immitieren wollte. Dann denke ich mal, daß der Metallmensch nur äußerlich aus Metall ist."

"Oder genau so beschaffen ist, wie die Phantasie des Verkleideten beim Anlegen der Maskerade sich solche Wesen vorstellt. O Mann, das lange stehen tut meinen Beinen nicht mehr gut."

"Soll ich meinen Besen apportieren?"

"Neh, komm laß besser. Auf solchen Dingern hol ich mir noch den Tod. Ich helfe dir mit den Vampiren." Sie brachten die beiden geschockten Pseudovampire in die Klinik.

"Wir haben es hier offenbar mit einem Flächenfluch auf alle Kostümarten zu tun", meinte Direktor Springs, der die Lawine der Verwandlungsopfer begutachtete. "Wir können nicht alle herholen. Wer auch immer das war, wird sitzen bis die Sonne verglüht."

"Heute ist das Ende der Welt!" Brüllte der zum gehörnten Menschenfeind verwandelte Halloween-Fan. "Noch eine Offenbarung gefällig?!" Rief der Direktor und versuchte, den Höllenfürsten zu schocken. Doch der rote Blitz prallte knisternd ab, wurde zu einem Feuerring und breitete sich aus. Alle sprangen zur Seite.

"Komisch, bei den Vampiren hat der gewirkt", meinte Aurora und deutete auf die beiden vermeintlichen Blutsauger, während der Gehörnte Springs gehässig auslachte.

"Die Menge der Kostümteile machts, wie viel Körper davon bedeckt wird."

"die Hölle wird euch alle einholen", brüllte der Teufel, während die grüne Hexe laut kicherte.

"Ich mag mir das gar nicht vorstellen, daß die jetzt alle auf Partys sind und da von diesem Fluch erwischt werden", bemerkte Melissa Thornapple, die die Gunst nutzte, sich auf einen freien Stuhl zu setzen, bis die nächste Alarmmeldung kam. Aurora dachte daß es wohl eine lange Nacht würde.

Springs gab die Anweisung, die Opfer der Halloween-Verwünschung nur zu betäuben, und nicht mehr einzuliefern. Sie hätten genug probanden, um was immer auch war zu beheben. So zogen sie durch die Straßen von Sydney. Einmal wäre Aurora fast von einem großen, schwarzen Kerl mit einem Metallhelm mit einer Art Lichtschwert erschlagen worden. Anderswo lief eine menschengroße Katze herum, die einer etwas kleineren Maus nachjagte, bis Aurora beide schockte.

"Auch festzuhalten, daß die Verwandlung nicht die Originalgröße des Zielobjekts annimmt."

Sie lief weiter, schockte fremde Wesen wie kleine grüne Männchen, die sie merkwürdigerweise an einen echten Patienten erinnerten, ein menschengroßes Echsenwesen mit kurzen Armen und langen Beinen, das mit scharfen Reißzähnen versuchte, Aurora zu zerfleischen.

"Das ist kein Spaß mehr", knurrte Aurora, während sie einen Zauberer mit seinem Stab entdeckte.

"Sie sind von der Sano?" Fragte er. "ich laufe hier schon die ganze Zeit rum und schieße Notrufe ab. Was geht denn hier vor?"

"Wissen wir nicht, Sir", sagte Aurora. "Achso, ich bin Aurora Dawn, und wer sind Sie bitte?"

"Leroy Boulder. - Dawn, Aurora. Der Name ist ja wirklich kurios. sie haben mit meinem Großneffen in Hogwarts Quidditch gespielt, nicht wahr?"

"Stimmt, in meiner Hausmannschaft war einer, der Boulder mit Nachnamen hieß", räumte Aurora ein, als ein menschengroßes Schwein, quietschrosa und laut quiekend um eine Straßenbiegung galoppierte. "Stupor!" Rief Aurora. Das Schwein fiel auf den Bürgersteig. Dann hörten sie ein Geräusch, daß wohl ein merkwürdiges Lachen sein sollte und sahen einen menschengroßen Vogel, der irgendwie an einen Buntspecht erinnerte.

"Ach, was den Leuten alles einfällt", grummelte Mr. Boulder.

"Die Vergissmichs rückten überall da nach, wo betäubte Halloween-Opfer lagen, bis kurz vor Mitternacht die Zaubereiministerin persönlich in der Sano auftauchte und sagte: "Bringen Sie alle Muggel wieder dahin, wo Sie sie herhaben! Meine Leute haben den Herd der Verfluchung fast erreicht."

"Wo?" Fragte Direktor Springs.

"Im magischen Mittelpunkt Australiens. Von dort aus ist der Fluch ausgeschickt worden. Meine Fluchexperten haben ergründet, daß mindestens zehn Zauberer daran beteiligt waren. Das nützt ihnen gleich aber auch nichts mehr. Bringen Sie die Muggel an ihre Ausgangsorte zurück und betäuben Sie sie!"

"Stimt Madam Morehead dem auch zu?" Fragte Vitus Springs.

"Ja, sie hat uns zugestimmt", stellte die Zaubereiministerin fest. Dann verschwand sie, um den entscheidenden Schlag nicht zu verpassen.

Als alle Muggel in die Straßen zurückgebracht worden waren, wo man sie aufgelesen hatte, fühlten alle Heiler ein unhörbares Beben in der Luft. Es dauerte zwanzig Sekunden an. Dabei lösten sich die Masken, und die Verwandelten wurden wieder wie früher. Aufatmend kehrten die Heiler wieder zurück. Der Rest war nun Sache der Vergissmichs. Aurora notierte die Ereignisse noch in ihr privates Tagebuch. Dann legte sie sich schlafen. Halloween hatte sie überstanden.

__________

Am nächsten Morgen war die Zeitung voll mit Berichten über die Vorfälle in den Muggelstädten. Zwanzig bösartige Hexen und Zauberer hatten durch einen Fluch, der mit Hilfe ihres Blutes verstärkt und über das Land ausgebreitet wurde festgelegt, daß von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang alle Verkleidungen zur Wirklichkeit würden. Warum sich die derartig verwandelten Muggel dann auch wie die in ihrer Welt kursierenden Beschreibungen von Vampiren, Hexen oder dem Teufel verhielten lag daran, daß in diesen Fluch eingewirkt war, daß die Vorstellung von der Verkleidung die Handlung lenken möge. Der Fluch konnte nur unter Aufbietung von vierzig Ministerialzauberern aufgehoben werden. Zehn maskierte Zauberer habe man noch am Tatort stellen und überwältigen können. Nach den Flüchtenden werde gefahndet. Um die Ermittlungserfolge des Ministeriums nicht zu gefährden wurden die Namen der Gefaßten nicht genannt. Ein ziemlich schlaumeierischer Reporter erwähnte, daß wohl deshalb keine Kostüme bei den magischen Halloweenfeiern getragen würden, weil es einen ähnlichen Vorfall mit Metamorph-Maskeraden schon mal gegeben habe, weil das mit Verkleidungen eh eine reine Muggelerfindung sei, die angeblich auf die Abschreckung von Dämonen aus der anderen Welt zurückgehe und das die Muggelwelt völlig den Bezug zu Halloween als Gedenktag der Lebenden und Toten verloren habe. Jedenfalls war Aurora Dawn immer noch geschafft von der Nachtschicht. Dennoch stand sie um neun Uhr Morgens bereits wieder im Bereitschaftsraum zur Verfügung. Tatsächlich wurden einzelne Heiler von niedergelassenen Kollegen angefordert, um Auswirkungen des Metamorph-Maskenfluches zu beheben. Aurora hatte wieder Sydney als Einsatzgebiet. Doch es tat sich im Moment nichts, bis kurz vor Mittag. Aurora eilte per Apparition zu einem Haus in der Sonnenstrahlstraße, nahe bei der beliebten Gaststätte Willy-Willy. Ein aufgeregter Zauberer, nach Schätzung der Heilerin gerade vier Jahre älter als sie selbst, winkte aufgeregt. Als er die junge Trägerin des Sana-Novodies-Umhanges sah wirkte er sehr verängstigt, als bringe ihm die schwarzhaarige Hexe mit den graugrünen Augen nicht das Heil, sondern das Unheil ins Haus. Sie übersah die Furcht und stellte sich ganz korrekt vor, wobei sie auf Bethesda Herbregis' Empfehlung hin ausließ, daß sie im praktischen Jahr war. "Das gilt nur in der Heilerzunft und der Klinik als erwähnenswert. Wenn du Außeneinsätze machst, bist du Heilerin, so oder so", hatte sie ihr eingeschärft.

"Verdammt, ich dachte Mel ... ähm Madam Thornapple käme. Bei meiner Frau ist es unerwartet losgegangen, ich meine, sie bekommt unser zweites Baby jetzt schon", brach es hektisch aus dem blonden Zauberer heraus, der mit dem Zauberstab in der Hand vor dem kleinen Haus stand.

"Hat Ihnen Madam Thornapple kein Wehenwarnarmband gegeben?" Fragte Aurora Dawn und blickte sich um, ob die betagte Heilhexe nicht doch noch auftauchen würde.

"Das komische blau-rosa Armband? Wolte meine Frau erst nächste Woche umtun, weil es erst am siebzehnten November passieren sollte. Verdammt, unser Kind stirbt noch."

"Wird es nicht", erwiderte Aurora so ruhig sie konnte und blickte den ängstlichen Zauberer so zuversichtlich an, wie sie konnte. Sie trat vor und schlüpfte an ihm vorbei in das Haus, wo gerade ein lauter Schmerzenslaut klang. Unterwegs traf sie ein kleines Mädchen mit blonder Lockenfrisur. Der Hausherr folgte Aurora rasch, die zielstrebig das Schlafzimmer ansteuerte. Sie überschlug noch einmal die Prozeduren, sowie ihre Erfahrungen bei der Drillingsgeburt kurz vor der Abschlußprüfung zur Heilerin.

Die Patientin, Mrs. Amalia Portland, lag auf dem Bett. Aurora sah, daß es tatsächlich losgegangen war und verwarf den Gedanken, die Schwangerschaft wieder in ruhige Bahnen lenken und die Geburt zum angesetzten Termin stattfinden zu lassen. Innerhalb einer Minute hatte sie mit Zauberstab und Heilerausrüstung alles vorbereitet und Mrs. Portland mit behutsamen Worten dazu veranlaßt, sich auf den Gebärstuhl zu setzen, um das Kind nicht gegen, sondern mit der Erdanziehungskraft in die Welt zu befördern.

"Hoffentlich kann die das. Die ist doch noch ziemlich jung", grummelte Mr. Randolph Portland, den Aurora mit einer unerbittlich strengen Miene vor die Schlafzimmertür gescheucht hatte, wo er mit der kleinen Jessica lauschte, was passierte. "Wieso hat die Alte nicht mitgekriegt, daß ich den Notruf gezaubert habe", dachte er, während Jessica fragte, was ihre Mummy hätte.

"Dein Brüderchen will schon zu uns, Kleines. Offenbar war Halloween gestern für den sowas wie "Hallo, komm raus, hier ist's lustig."

"Warum schreit die Mummy so?"

"Weil das sehr wehtut. Mann, frag doch nicht so blödes Zeug!" Schnarrte der Kindsvater. Da klopfte es leise an die Tür. Randolph Portland schnaubte verärgert, weil er jetzt keine Leute hier im Haus haben wollte.

"Ja, wer da!" Blaffte er wie ein Hofhund.

"Mel Thornapple. Habe gerade mitbekommen, daß der Notruf gemacht wurde. Ist was mit Amalia", drang Madame Thornapples Stimme durch die Tür. Randolph öffnete die Tür und sah sie erleichtert aber auch verdrossen an. "Haben Sie nicht aus dem Bett gefunden, Melissa oder was? Bei meiner Frau ist es vor fünf Minuten mit viel Wasser und blut losgegangen. Wenn die unser Kind verliert haben Sie ein Riesenproblem", schnarrte er. "Kommen Sie rein und sehen Sie zu, daß Sie Ihrer jungen Kollegin helfen können!"

"Kollegin? So eine mit schwarzen Haaren und graugrünen Augen?"

"Genau die, Aurora Dawn hat sie sich vorgestellt. Die kann doch unmöglich schon fortgeschrittene Heilerin sein."

"Sie ist gekommen, hat wohl eine Tasche mit und ist, wenn ich das höre, schon bei deiner Frau im Zimmer, Randolph. Bleib ruhig!"

"Na und, meine Frau will Sie dabei haben", schnarrte Randolph Portland, während durch die versperrte Schlafzimmertür Auroras ruhige, aber eindeutigen Anweisungen kamen.

"Sie wollen mir nicht erzählen, daß die schon mal ein Kind geholt hat", knurrte Randolph.

"Nein, hat sie nicht", erwiderte Melissa Thornapple. Randolph Portland wollte schon losstürmen, um ins Schlafzimmer hineinzuplatzen, um die unausgegohrene Hexe ..."Es waren drei auf einmal", vollendete Madam Thornapple ihre Aussage. "Ich habe mich über die neuen Heiler in der Sano erkundigt. Ich will ja schließlich wissen, was in unserer Zunft so nachwächst."

"Dann ist die gerade erst Heilerin geworden?" Fragte Randolph Portland sehr ängstlich.

"Das ist richtig. Aber bevor die Sano wen auf die Außenwelt losläßt muß der oder die schon was gelernt und gezeigt haben, Randolph. Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer!"

"Sie Wollen da nicht reingehen?"

"Im Moment habe ich keinen Grund dazu", sagte die Heilerin ruhig.

"Ich sage meiner Frau, daß Sie da sind und ..." "Maneto!" Zischte Melissa Thornapple mit auf den Vater gerichtetem Zauberstab. Die kleine Jessica lauschte an der Tür. Mel Thornapple ging zu ihr hin und flüsterte ihr was ins Ohr. Dann zog sie das kleine Mädchen mit sanfter Gewalt ins Wohnzimmer und bugsierte Randolph mit Bewegungszaubern hinterher. Dort legte sie ihn auf das Sofa. Sie setzte sich zu Jessica, die mit großen Augen ihren bewegungsunfähigen Vater und dann die weißhaarige Heilerin ansah. Diese hob den Zauberstab und richtete ihn auf die Wand: "Imagines per Murum!" Zischte sie. Unvermittelt schien die Wand nicht mehr da zu sein. Doch die Geräusche klangen immer noch dumpf. "Sonitos per Murum!" Murmelte die Heilerin noch einen Zauberspruch. Jetzt hörte es sich so an, als sei die Wand wirklich verschwunden. Die kleine Jessica wollte losrennen, um bei ihrer Mutter zu sein, bei der etwas ganz unheimliches passierte. Doch Melissa Thornapple hielt sie zurück und wisperte ihr ins Ohr, daß das alles nicht so schlimm sei und nur, weil ihr kleines Brüderchen viel Platz gebraucht habe passiere. Sie setzte sich mit Jessica auf einen Stuhl und blickte durch die bezauberte Wand, die die Bilder und Töne aus dem anderen Zimmer passieren ließ. Besser, die Bilder und Geräusche wurden bei Berührung mit der Wand auf die andere Seite verpflanzt. Eine Stunde beobachteten die Heilerin und die zukünftige Schwester des sich schneller als üblich ins Leben drängenden Kindes, wie Aurora ganz ruhig auf die Gebärende einsprach, ihr zur richtigen Phase die richtigen Anweisungen gab und dann das kleine rote Bündel Menschenleben sicher enttband und zur Atmung und zum ersten Schrei in seinem Leben anregte. Dann legte sie den kleinen Jungen in die Arme seiner Mutter und wartete bis zur Nachgeburt. Mit gekonnten Zaubern sorgte sie dafür, daß Mrs. Portland keine weiteren Folgen zu befürchten hatte. Sie reinigte das Zimmer, bezog das Ehebett frisch und hüllte die junge Mutter in eine leichte, aber warm haltende Decke ein. Dann entriegelte sie die Schlafzimmertür und suchte Mr. Portland.

"Finite Incantatem!" Murmelte Madam Thornapple. Wie hingezaubert stand nun wieder eine undurchsichtige Wand zwischen Wohn- und Schlafzimmer. Aurora rief nach Mr. Portland. Die altehrwürdige Heilerin rief zurück, sie seien im Wohnzimmer. Dann nahm sie den Bewegungsbann von Randolph Portland, der Anstalten machte, sich auf die weißhaarige Heilhexe zu stürzen, aber von einer unsichtbaren Kraft zurück auf das Sofa geworfen wurde.

"Hups, habe ich Ihnen schon wieder einen Patienten weggenommen, Madam Thornapple", begrüßte Aurora Dawn die ältere Heilerin mit hintergründigem Lächeln. "Seit wann Sind Sie hier?"

"Ich habe den Notruf gehört, war da aber bei einer anderen Patientin und konnte erst drei Minuten später fort. Davon ausgehend, daß ihr in der Sano auf Zack seid, und weil ich nicht dachte, daß es die Portlands wären, weil ich der guten Amalia doch ein Wehenwarnarmband gegeben habe, kam ich erst dann an. Ich bekam mit, daß du die Situation im Griff hattest und wollte dich deine Erfahrungen machen lassen, solange es für Mutter und Kind nicht gefährlich geworden wäre. Du hast alles ganz souverän hinbekommen. Der Kleine wollte wohl gestern schon mitfeiern, wie?"

"Ich fürchte, das wird das letzte Kind sein, daß Mrs. Portland sicher bekommen konnte. Ich mußte ihr den Bluterneuerungstrank geben. Doch das Kind war ordentlich ausgetragen. Ich konnte vor der Nachgeburt noch die Bezugswerte nachmessen. Der hat sich etwas schneller entwickelt als der Durchschnitt. Kommt zu weilen vor. aber Ihre Frau sollte entweder beim nächsten Kind den Fortuna-Matris-Trank einnehmen oder mit den beiden auskommen, die sie jetzt hat."

"Habe ich der guten Amalia auch schon erzählt", erwiderte Melissa Thornapple. "Ich werde mir die beiden jetzt auch noch mal angucken."

"Haben Sie den Bild- und Schalldurchdringungszauber auf die Wand gelegt?" Fragte Aurora, als die betagte Heilerin sich schwerfällig aus dem bequemen Sessel erhob.

"Hat die gute Beth dir den erklärt oder beigebracht?" Fragte Melissa Thornapple.

"Ja, hat sie. Sie hat ihn von ihrer Mentorin", erwiderte Aurora Dawn.

"Jawohl. Und deren Mentor war damals mein Adept", bemerkte Melissa Thornapple. Dann ging sie erst wackelig und dann mit festen Schritten an Aurora vorbei, die ihr sehr respektvoll folgte.

"Na, Amalia, was machst du denn für sachen, hör mal! Wolltest du den Kleinen nicht erst übernächste Woche rauslassen?" Hörte Aurora die altehrwürdige Heilerin scherzen.

"Morgen bin ich bei der Morehead und beschwer mich", zischte Randolph Portland, was offenbar nur Aurora Dawn hörte. Sie tat jedoch so, als hätte sie es überhört.

"Der wollte nicht warten", knurrte Amalia Portland. Ihr Mann stürmte an Aurora Dawn vorbei ins Schlafzimmer. Aurora fand, daß sie sich jetzt erst einmal zurückhalten sollte. Da sah sie das kleine Mädchen von unten her an.

"Tante Thornapple hat gesagt, daß die Mummy wieder zugeht, wenn das Baby da ist. Kannst du das machen?"

"Das muß sie selber. Aber das geht wirklich wieder. Hast du auch geguckt, wie dein Brüderchen kam?"

"Ja, habe ich", sagte Jessica.

"In ein paar Tagen ist deine Mummy wieder ganz wie vorher. Ihr habt dann nur einen mehr im Haus. Du bist jetzt 'ne große Schwester."

"Hat Daddy auch gesagt. Aber ich hätte lieber 'nen Kniesel gehabt."

"Hat meine Tante June mir auch mal gesagt, daß sie lieber was anderes als ein Schwesterchen haben wollte", grinste Aurora Dawn. Sie blickte auf die Wanduhr und meinte, daß sie wohl gleich wieder zu ihren Leuten in die Sana-Novodies-Klinik müsse.

"Fliegst du dahin oder knallst du einfach weg und bist da?"

"Fliegen dauert zu lange. Ich mach dieses Wegknallding, um ganz schnell wieder bei denen zu sein." Aurora wunderte sich ein wenig, wie aufgeweckt das kleine Mädchen schon war. Doch warum sollte sie mit vier nicht schon ein bißchen mehr von der Welt verstehen?

"Die hat euch die ganze Zeit zugeguckt und nix gemacht, Amalia. Die hat dich mit dieser Anfängerin alleine gelassen und mich blockiert, diese weißhaarige Sabberhexe", drang Randolphs wütende Stimme durch die geschlossene Tür. Jessica starrte die Tür an. Aurora sagte schnell, daß es besser wäre, wenn ihr Vater sich beruhigen könne und sie deshalb besser in ihr Zimmer zum spielen ginge. Sie hätte ja gesehen, daß das Baby da sei und es ihrer Mutter wieder etwas besser ginge.

"Darf ich das Baby auch mal anfassen?" Fragte Jessica.

"Wenn deine Mum das sagt, daß das geht."

"Randolph ich verbitte mir das", erscholl Madam Thornapples Stimme. "Ich habe die Geburt ganz genau beobachtet und keinen Grund gesehen, warum ich meiner jungen Kollegin nicht erlauben soll, weitere Erfahrungen zu machen. Die hat vor ihrer Abschlußprüfung wie alle Auszubildenden einer werdenden mutter geholfen und muß das als Heilerin können.

"Madam Thornapple, ich fürchte, Meisterin Herbregis macht sich schon Gedanken um mich!" Rief Aurora Dawn schnell durch die Tür. Wenn die jetzt über sie reden wollten, mußte sie echt nicht dabei zuhören.

"Gut, Aurora! Geh zurück und mach deinen Bericht. Sag ihr, sie kriegt heute noch 'ne Eule von mir!"

"Ja, mach ich!" Rief Aurora.

"Moment, bevor du einfach disapparierst ..." Hörte sie unter ihrer Schädeldecke. Dann ging die Tür auf:

"So, Randolph, bevor meine junge Kollegin verschwindet bedankst du dich bei ihr, daß sie deinen Sohn gesund auf die Welt geholt und deine Frau vor möglichen Folgen geschützt hat! So gehört sich das."

"Von wegen", knurrte Mr. Portland. "Die hat meine Frau als Übungspatientin benutzt und hätte die leicht sterben lassen können. Außerdem machte die dann nur ihren Job."

"Mrs. Portland hat sich schon bei mir bedankt, und das reicht mir schon", meinte Aurora dazu. "Ich mache eben meine Arbeit so gut ich das kann. Und ich hoffe, daß Sie mit Ihrem Sohn viel Freude haben werden, Sir."

"Das ist jetzt nicht mehr Ihr ding", knurrte Mr. Portland. Aurora schluckte eine unfreundliche Antwort auf diese Rüpelhaftigkeit hinunter und nickte nur. Dann disapparierte sie ohne weiteres Wort.

"Du hast ein Kind geholt?" Fragte Bethesda Herbregis, als Aurora wieder im Bereitschaftsraum ankam. Die junge Heilerin nickte. Sie gab den Namen der Familie und eine kurze Zusammenfassung an und erwähnte auch, daß Madam Thornapple offenbar darauf ausgegangen war, sie oder eine andere Kollegin beobachten zu können und deshalb nicht sofort eingetroffen sei.

"Ich fürchte, da wird Laura noch mal mit ihr reden müssen. Wenn eine niedergelassene Hebamme mitbekommt, daß eine Patientin niederkommt, sollte sie es nur dann einem Notfallheiler überlassen, wenn bei der Geburt Komplikationen auftreten, die für einen alleine unüberschaubar sind. Sie hat dich im Grunde davon abgehalten, andere Noteinsätze auszuführen. Aber es war nichts in der Richtung. Sonst hätte ich dich anmentiloquiert." Aurora erkannte, daß ihr, besser Madam Thornapple da ein Verhaltensfehler unterlaufen war. Sie, Aurora, hätte darauf drängen müssen, daß die vertraute Heilerin vor Ort die Sache übernahm, um für weitere Noteinsätze bereitzustehen. Sicher, Mrs. Portland schwebte schon in Gefahr, unter der Geburt ihres Kindes zu verbluten, was durchaus einen Notfallheiler vor Ort gerechtfertigt hätte. Aber Madam Thornapple wäre mit einer solchen situation auch noch fertig geworden. Die hatte sie schlicht beobachtet, gesehen, ob die grüne Anfängerin mit sowas klarkommt oder nicht und damit den Betrieb in der Sano gestört. Was konnte sie nun sagen, ohne sich schuldig bekennen und ohne was gegen ihre frühere Mentorin sagen zu müssen. Dann fiel es ihr ein: "Meisterin Honeydew hat mir in ihrer Unterrichtseinheit gesagt, daß es für eine Gebärende sehr belastend werden kann, wenn mittendrin die Heilerin wechselt und das nur passieren darf, wenn die Heilerin mit der Situation überfordert ist und/oder Fehler macht. Womöglich hat sich Madam Thornapple auf diese Verhaltensrichtlinie berufen. Aber sicher bin ich mir da auch nicht."

"Und du konntest dir nicht sicher sein, ob sie noch eintrifft oder nicht und hast dich an das Gebot gehalten, unverzüglich zu helfen", erwiderte Bethesda Herbregis. "Ich wollte auch nicht behaupten, daß du Schuld hättest. Von deiner Warte aus warst du erst einmal die Heilerin vor Ort und damit verantwortlich. Natürlich hättest du die Patientin auch zu uns bringen können. Das wäre für die altehrwürdige Madam Thornapple sicher eine wichtige Lektion gewesen." Aurora verstand aus diesem Satz, daß sie sich nicht mit einer Hausgeburt hätte aufhalten sollen und die werdende Mutter in die Notaufnahme der Mutter-Kind-Station bringen sollen, wo die Hexen ankamen, die unvermittelt vor der Niederkunft standen. Sie wußte darauf jedoch die passende Antwort:

"Laut Verhaltenskatalog bei geburtshilflichen Maßnahmen dürfen Hexen, bei denen es schon zum Blasensprung kam weder durch Flohnetz oder Apparition transportiert werden, weil bei erstem der Verlust des Fötus innerhalb des Netzes auftreten kann und bei zweiter Art der Kreislauf von Mutter und Kind zusammenbrechen und es dadurch zu einer Sauerstoffunterversorgung kommen kann." Meisterin Herbregis nickte unerwartet und sagte: "Genauso schreibst du das bitte in deinen Bericht rein, warum du so lange unterwegs warst, Aurora." Die anderen wunderten sich. Keine Standpauke? "Wie ihr ja wißt, ist unsere Kollegin noch im praktischen Jahr. Will sagen, daß was für euch selbstverständlich sein sollte ist für sie noch ganz neu. Sie muß also nicht nur herausfinden und verinnerlichen, wie etwas gemacht wird, sondern warum das in der gegebenen Lage die einzig richtige Vorgehensweise ist und entsprechend argumentieren können, um im Fall von Beschwerden eindeutig belegen zu können, daß die Lage keine andere Vorgehensweise zuließ, sei es von den Gesetzen her, vom Heilercodex oder schlicht und ergreifend eine Sache des gesunden Menschenverstandes. Nur für die Damen und Herren, die das in den Jahren, in denen sie schon im Außendienst arbeiten nicht mehr so bewußt ist. - So, Ms. Dawn, und jetzt essen Sie bitte was, damit Sie neue Kraft für weitere Einsätze schöpfen können!"

"Was wäre gewesen, wenn ich dort zu tun gehabt hätte?" Fragte Melchior Vineyard.

"tja, das ist der Chauvinismus unserer Zunft, daß nur Hexen Geburtshilfe geben dürfen, Mel. Du hättest dann also eine der gerade nicht eingesetzten Heilerinnen herbeirufen und dich wieder empfehlen müssen", erwiderte Großheilerin Herbregis.

"Bei den Muggeln gibt's aber Leute, die Frauen bei der Geburt beistehen dürfen", sagte Galahad Oakbud.

"Ja, aber die haben andre Traditionen, Galahad. Abgesehen davon haben die uns Hexen damals mehr und mehr aus der Verantwortung für die Dinge des Lebens herausgedrängt. Um denen keinen Grund vor weiterer Angst zu biten wurde ja das internationale Geheimhaltungsstatut in Kraft gesetzt. Insofern reden wir den Muggeln nicht drein, wie die ihre magielose Heilkunst anwenden, weil wir anders herum ja auch nicht wollen, daß die uns dreinreden, wie wir was machen sollen", beendete Bethesda Herbregis die Debatte, bevor diese richtig in Fahrt kommen konnte.

Am Nachmittag mußte Aurora noch einmal raus, um einen Zauberer für den Transport in die Klinik vorzubereiten, der sich mit einem Bundabundo angelegt und schwere Verätzungen erlitten hatte. Ihre Schicht endete erst um elf Uhr abends.

1. November 1987

Hallo Wendy!

Nach dem Chaos an Halloween durfte ich heute als Außeneinsatzheilerin noch ein Baby auf die Welt holen. Jetzt sind es vier. Der Vater des kleinen Jungen war ziemlich ängstlich und deshalb auch sauer auf die niedergelassene Hebamme Melissa Thornapple, weil die nicht sofort zu ihm kam, als er den Notrufzauber aufgerufen hat. Melissa Thornapple hat mich wohl die ganze Zeit mit Wanddurchdringungszaubern beobachtet. War mir nicht so ganz recht, als ich das erfahren habe. Okay, ich bin noch im praktischen Jahr, also eigentlich noch nicht ganz ausgebildet, was die Routine angeht. Aber sie hätte zumindest den jungen Eltern gegenüber fair sein und das erklären sollen, bevor das Kind da war. Ich habe irgendwie den Eindruck, die beobachtet mich. Die weiß alles von mir und hat mit keinem Wort anklingen lassen, daß sie eigentlich die niedergelassene Heilerin ist. Ich glaube, ich bitte Meisterin Herbregis, mir ein anderes Einsatzgebiet zuzuweisen, allein schon um ein wenig mehr vom Land zu sehen. Madam Thornapple wollte noch eine Eule abschicken. Ich weiß nicht, ob die schon angekommen ist und was für einen Brief die mitbringt. Aber ich fühle mich nicht schuldig, obwohl ich wegen der Geburt über eine Stunde beschäftigt war.

Ich hoffe mal, daß es in den nächsten Tagen ruhiger zugeht, aber auch nicht zu ruhig.

Bis Morgen.

__________

Aurora Dawn vergaß die Absicht, um einen anderen Einsatzort zu bitten, als Bethesda Herbregis ihr am nächsten Morgen eröffnete, daß Laura Morehead und Melissa Thornapple sich dafür ausgesprochen hatten, daß sie sich für eine HIP im Außeneinsatz durchaus bewährt habe und es wichtig sei, daß jemand mit Muggelkenntnissen in dieser Stadt eingesetzt werden könne, da es dort zweihundert Zaubererfamilien gebe, mehr als in jeder anderen australischen Großstadt. In Melbourne lebten nur zwanzig. In Canberra, dieser Reißbretthauptstadt, seien es höchstens dreißig. In Alice Springs wohnten gerade fünfzehn. In Darwin waren nur acht Zaubererfamilien registriert. Der Rest verteilte sich auf das weite Buschland. Sogar in der zentralaustralischen Wüste, dem roten Herzen des Kontinentes, gab es vereinzelte Zauberersiedlungen. Damit waren die ganzen magischen Menschen, die in Muggelfamilien eingeheiratet hatten nicht eingeschlossen. Doch auch hier war es wohl so, daß die Stadt an der Ostküste die meisten Personen dieser Art beherbergte. Da Aurora Dawn die einzige war, die Muggelkunde bis zum UTZ gelernt hatte, war sie tatsächlich für diese Region die beste Wahl, solange die Frist von einer Woche bis zu drei Monaten eingehalten wurde. Damit beantwortete sich auch die Frage, was sie mit einem Ohne-Gleichen-UTZ in Muggelkunde anfangen sollte.

An diesem Tag geschah jedoch nichts in unmittelbarer Nähe von Sydney, sondern in den ihr auch zugeteilten anderen Niederlassungen, wo welche mit Zaubertrankfehlschlägen zu rangeln hatten. Da die Bereitschaftsheiler in ihrem Warteraum aßen, bekam Aurora es erst nach Ende ihrer Schicht mit, daß Berthold Woodman tatsächlich bei Amalthea Honeydew angefangen hatte. Einer der jüngeren Heiler meinte zu Ireen Barnickle, ob die beiden nicht bald wegen schwerer Identifikationsprobleme in Mesmers Abteilung landeten. Das mentiloquierte sie Aurora, nachdem ihre Schicht zu ende war.

Nach dem Chaos an Halloween verlief der November sehr ruhig. Bis auf Besenunfälle und die üblichen Selbstüberschätzungen beim Zaubertrankbrauen, die zu kuriosen Wirkungen führten.

Um die Heiler auch an Nachteinsätze zu gewöhnen, wechselten die Schichten innerhalb einer Woche zweimal. So kam es vor, daß Aurora erst dann zu Bett ging, wenn in der restlichen Klinik der Tagesbetrieb einsetzte.

In der Vollmondnacht des November packte Aurora zu ihren üblichen Tränken und Geräten auch die Tränke und Vorrichtungen zur behandlung von Werwut ein. Denn sie hatte über die üblichen Rundnachrichten erfahren, daß in der Gegend von Wagga Wagga, daß noch in ihrem Einzugsgebiet lag, womöglich ein Werwolf sein Unwesen treibe. So war sie im höchsten Maße Alarmiert, als kurz vor Mitternacht ein Notruf zehn Kilometer nördlich von wagga Wagga eintraf. Madam Thornapple hatte ihn abgesetzt, weil ein Bekannter von ihr über Kontaktfeuer vermeldet hatte, daß ein Muggeljunge von vierzehn Jahren beim Stromern von einem sehr aggressiven Tier angefallen worden sei.

"Wir haben jetzt noch zwei Minuten, die Postkontaminationsinterzeption zu versuchen. Danach muß der Junge in Quarantäne."

Ein Muggeljunge, der zum Werwolf wird?" Fragte Aurora und begleitete die Heilerin zu einem Haus, vor dem ein Mann mit einer Armbrust Wache hielt.

"Muriel hat den Muggel ins Haus geholt. Kriegt ihr das in zwei Minuten hin, Mel?"

"Nur, wenn ich nicht viel reden muß", knurrte die ältere Heilerin zurück. Aurora sah jetzt, daß ihr Haar im Mondlicht silbern schimmerte und ihre Augen wirklich nachtschwarz waren.

"Verdammt, was soll das hier. Dieses Biest hätte mich fast allegemacht. Ich will 'nen Arzt, verdammt noch mal!" hörten sie das wütende, wohl aus großer Angst stammende Gezeter eines Halbwüchsigen und eilten in den entsprechenden raum.

"Ei, Mel, hat Rod dich doch erreicht. Oh, eine junge Kollegin aus der Sano", sagte die füllige Hexe im grünen Morgenrock, die einen auf einen Stuhl angebundenen Jungen mit blutenden Wunden bewachte.

"Okay, Voller Blutaustausch in einer Minute", sagte Melissa Thornapple die Therapie an. Der Junge auf dem Stuhl blickte die weißhaarige Hexe in ihrem dunklen Umhang sehr entsetzt an, während Aurora mit einer schnellen Zauberstabbewegung die entsprechende Ausrüstung aufbaute. Sie hatten jetzt nur noch anderthalb Minuten Zeit, um die Werwut abzuwenden. Die meisten Opfer dieser Verseuchung hatten keine Möglichkeit, innerhalb von fünf Minuten einen Heiler zu finden, der das vergiftete Blut abpumpte und durch frisches Blut mit einem Gegengift austauschte. Die beiden Heilerinnen überwachten, wie sich die Lebensfunktionen des Jungen veränderten. Selbst aus dem Herzen mußten sie alles Blut auspumpen, womit sie den Halbwüchsigen für ein paar Minuten töteten. Ja, im Grunde lief es darauf hinaus, daß die Werwut eine lebensabhängige Krankheit war. Starb jemand, bevor sie in ihm ausbrach ließ sich der im Werwolfspeichel erkennbare Blutfluch nicht mehr aufrecht erhalten. Das kitzlige Thema war, schnell frisches Blut und ein antagonisierendes Mittel aus in mehreren Essenzen gelöstem Silberpulver in den Körper zurückzutreiben und den Herzschlag wieder in Gang zu bringen, bevor die für das Gehirn kritische Zeit überschritten wurde. Auch bei den Heilern war bekannt, daß das zentrale Denk- und Lenkorgan viel Sauerstoff brauchte. Für diesen Fall hatte Aurora eine besondere Zutat in ihrer Tasche: Mit Sauerstoff beladene rote Blutkörperchen, die in Conservatempus-Schränken gelagert wurden und nach Bestimmung der Blutgruppe als Vorausgabe einer kompletten Bluterneuerung in den Körper des exsanguinisierten Patienten hineingepumpt werden konnten. Manchmal wurden diese roten Blutkörperchen bei akutem Sauerstoffmangel, Kohlengasvergiftungen oder anderen blutschädigenden Erkrankungen verabreicht. Es gab sogar Mittel, um einen langsam aufkeimenden Vampirismus auszutreiben. War eine durch Werwolfspeichel oder Vampirblut eingeleitete Umwandlung jedoch schon vollendet, gab es für den betreffenden kein Zurück mehr. Ein Vampir erfuhr sogar eine geistige Veränderung, die ihn sich mit seiner Daseinsart zurechtfinden ließ.

"Was für'n Zauber wird das, ihr irren Schwestern", rief der Junge, als Aurora die Blutpumpe mit einem Zauberstabstupser in Gang setzte, und das alte Blut mit großen Schwallen in einen Auffangkessel überging.

"Das, was dich angefallen hat war kein tollwütiger Hund, Junge. Das war ein richtiger Werwolf", knallte die ältere Heilerin dem Jungen ansatzlos vor den Kopf. Sie ging wohl davon aus, daß sie eh seine Erinnerung umändern würden, falls die Werwutinterzeption, also jene in den ersten Fünf Minuten nach dem Biß anwendbare Methode anschlug.

"Werwolf? Ihr spinnt doch! Hilfe! Die wollen mich abmurksen!" Rief der gebissene Junge, während Auroras Maschine in einer Zehntelminute einen Liter Blut aus dem Körper gepumpt hatte. Schon setzte der Sauerstoff- und Wärmemangel ein. Der Patient verdrehte die Augen, wurde bleicher und bleicher. Er begann zu zittern, obwohl es in diesem Raum über zwanzig Grad warm war. Melissa Thornapple überwachte den Kreislauf und stellte fest, daß der Bursche ziemlich gut in Form sein mußte. Das Herz schlug schneller. Als mehr als zwei Liter des Blutes abgepumpt waren, fiel das Herz aus. Ab jetzt hatten sie nur noch drei Minuten, um zwischen Leben und Tod dieses Muggels zu entscheiden. Doch noch immer saugte die Maschine wie ein Vampir aus Glas und Stahl an den Adern des Jungen, bis sie mit leisem Pling die Arbeit einstellte.

"Resanguinisation in fünf Sekunden", kommandierte die ältere Heilerin. Aurora kannte diese Prozedur von ihrer Mentorin. Zwischen fünf und zehn Sekunden konnte der Körper ohne neue Blutzufuhr sein. Danach würden die ersten Gewebeschichten unterversorgt. Aurora Dawn hatte die andere Pumpe bereits mit dem Blutersatzbehälter verbunden und zählte die Sekunden runter. Als sie bei null angekommen war, stupste sie die Zufuhrpumpe an. Um zu verhindern, daß sich das zugeführte Blut zu sehr Staute, wurde es nicht an einer Stelle, sondern zehn Stellen zugleich in den nun total bleichen Körper eingebracht. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Um die Werwut zu bekämpfen waren noch fünfzig Sekunden übrig. "Corestimulo", murmelte Aurora Dawn, als vier Liter neues Blut in den Körper gepumpt waren. Erst tat sich nichts. Dann setzte das Herz mit einem Ruckeln ein, rumpelte mehrmals, bevor es in einem gleichförmigen Takt pochte. Ohne Anweisung abzuwarten setzte Aurora die zufuhrpumpe bei sechs Litern außer Betrieb und prüfte mit "Vitalis revelio", ob der Patient wirklich ins Leben zurückfand. Das Flirren und flackern einer bläulich-grünen Aura um den Körper des Jungen war erst sporadisch. Dann wurde es immer intensiver und pendelte sich langsam auf einen Wert ein, der darauf schließen ließ, daß der Patient überleben würde.

"Die Werwutbanner sind verabreicht?" Fragte Madam Thornapple. Aurora nickte. Sie konnte es nicht fassen, daß sie den Jungen ohne Aufnahme in der Klinik ambulant von der Lykanthropie befreit haben mochte. Sie behandelte die Bißwunden mit einer Salbe, die magische Verwundungen narbenlos schloß. Als die Bisse von heiler Haut überdeckt wurden und ganz verschwanden, wußten sie, daß sie den Kampf gegen die Werwut gerade so gewonnen hatten.

"Injuriclausa!" Murmelte Aurora und schloß alle Wunden mit Zauberkraft.

"O Mann, was für'n Trip", stöhnte der Junge, der durch die sauerstoffreiche Blutzufuhr eine höhere Körpertemperatur annahm. "Habe mein ganzes Leben rückwärts vorbeirasen sehen können. Dann war da so'n komisches helles Licht. Ich dachte erst, das war, als ich aus Mums Bauch geschoben wurde. Aber irgendwie wurde ich da ganz leicht. Und dann sprang das Programm um, und ich saß wieder hier."

Aurora hörte nicht darauf. Nahtoderfahrungen waren auch in der Magie ein umstrittenes Thema. Die Heilzunft bestrafte jedes Mitglied, daß sich selbst durch Giftstoffe für Minuten ohne Herzschlag und Atem versetzte. Einige hatten wie der Junge hier ihr Leben rückwärts ablaufen sehen können, ja sich sogar in ihrer Mutter vergehen und als diese weiter jünger werdend und in ihrer Mutter verschwindend erlebt. Andere hatten sich in einem wirbelnden Tunnel dahinbewegt, aus dessen Wänden Gesichter starrten. Wieder andere waren einfach aus ihrem Körper entstiegen und immer weiter von ihm fortgeschwebt, bis sie schlagartig wieder sie selbst waren. Einige hatten verstorbene Angehörige getroffen, die ihnen erst zuwinkten, um sie dann mit aufmunternden Minen fortgeschickt hatten. Diese Erfahrungen basierten auf Untersuchungen von Patienten, die für wenige Sekunden keine äußerlichen Lebenszeichen mehr gezeigt hatten.

"Jedenfalls bist du jetzt frei von dem Fluch des Werwolfs, junger Mann", sagte Melissa Thornapple sanft klingend. Aurora mußte ihr das bestätigen. Von den Bißwunden, die bei zu später Hilfe unansehnliche Narben bildeten, war nichts mehr zu sehen.

"Und was wird jetzt?" Fragte der Patient.

"Wo wohnst du denn?" Fragte Aurora.

"Joh, Mädel, willst du meine Briefmarkensammlung sehen?" fragte der Bursche verschmitzt grinsend.

"Neh, ich will mit dir Liebe machen", konterte Aurora und ließ nicht nur den Halbwüchsigen, sondern auch die Heilerin und die Hausbewohnerin verdutzt dreinschauen.

"Yo, Babe, dann müssen wir in die Hochstraße nummer zwanzig. Meine Alten sind gerade im Kino", erwiderte der Junge unvermittelt grinsend. Aurora sah ihm tief in die Augen. sie war zwar nicht so gut in Legilimentik wie Ireen und brauchte diese eh schon sehr fragwürdige Zauberkunst meistens auch nicht anzuwenden. Doch hier mußte sie klären, ob der Bengel sie nicht veralberte. Sie suchte sein Wohnhaus in seiner Erinnerung und erkannte, daß der Halbwüchsige nicht gelogen hatte. Offenbar war mit der sauerstoffreichen Blutzufuhr die Lust auf wilde Abenteuer in ihm entflammt. Sie mentiloquierte Melissa Thornapple: "Ich bring' ihn nach Hause und besorge die korrekten Erinnerungen!"

"Solange du diesen Burschen nicht wirklich zum Coitus verleitest", gedankenknurrte die ältere Heilerin. Doch hintergründig mußte sie grinsen. "Es sei denn, ich darf das Baby holen, daß du von ihm kriegst." Aurora bemühte sich, keine Regung darauf zu äußern. Sie machte dem Jungen die Fesseln ab und führte ihn aus dem Haus hinaus, wo immer noch Rod, der Zauberer mit einer Armbrust Wache stand.

"Warten Sie auf den, der den Jungen angefallen hat?"

"Ich habe zwei Jahre zuvor einen mit dieser Armbrust unterm Mond weggeschossen, und den Räuber, der gerade in der Gegend ist kriege ich damit auch", grummelte Rod. Aurora nickte ihm zu und griff die Hand des genesenen Patienten. Kaum standen sie auf der Hochstraße vor dem Haus, daß Aurora aus den Erinnerungen des Patienten geschöpft hatte, richtete sie den Zauberstab auf ihn und murmelte: "Obleviate!"

Als Aurora dem Jungen die Erinnerungen an eine sehr leidenschaftliche Stunde mit ihr ins Gedächtnis gepflanzt hatte disapparierte sie.

"Wau, die war voll heiß", dachte der Junge und erinnerte sich an die ihm so guttunenden Verrenkungen, aber auch, daß er auf ihre Anleitungen Sachen ausprobierte, die seine Eltern ganz sicher nicht wissen durften. Am besten erzählte der denen dann auch nicht, daß er wieder in der Nähe dieser abgedrehten Eheleute gewesen war. Das Mädel mit dem Schwarzen Haar hatte sich mit ihm unterhalten und ihn nach Hause begleitet. Und der Rest würde ihm wohl noch manche Nacht den Schlaf rauben.

"Dir ist klar, daß du dich bei dem erst einmal nicht mehr sehen lassen darfst", sagte Melissa Thornapple, die in einem bequemen Sessel des Zaubererhauses saß, in dem sie die Werwutabfangprozedur durchgeführt hatten.

"Ich mußte das machen, weil das die einzige für ihn gültige Lösung ist, nicht über seinen nächtlichen Streifzug zu reden, Madam Thornapple", schickte Aurora zurück. Dann verabschiedete sie sich und nahm die Ausgepumpte Blutmenge mit.

"Was passiert mit Muggeln, die ohne Wissen der Zaubererwelt Lykanthropie bekommen?" fragte Aurora Meisterin Herbregis. Denn das Thema hatten sie nicht so klar umrissen.

"Die Werwolfregistrierungsbehörde hat Spione in der Muggelwelt, die über außergewöhnliche Vorkommnisse berichten. Falls ein Werwolf in der Nachbarschaft auftaucht, wird er als Wolf getötet oder als Mensch unter einem muggeltauglichen Vorwand festgenommen und in ein Werwolfsammellager gebracht, wo er über seinen Zustand informiert und mit einem Ortungshalsband versehen wird. Nach einem Monat darf er dann zurück in seine Welt. Er muß dann selbst dafür Sorgen, daß er in den Vollmondnächten sicher eingesperrt ist oder zu weit fort für Mitmenschen auf freiem Feld sein. Ist er zu dicht bei Muggeln, wird er von den Werwolfsbeseitigungstruppen erschossen, um die Lykanthropie in der Muggelwelt einzudämmen", erklärte Bethesda Herbregis. Die Leichen werden dann in kleine Gegenstände verwandelt und verschwinden gelassen."

"Schlimm", erwiderte Aurora Dawn. "Gibt es denn wirklich kein Mittel gegen diese Krankheit?"

"Sich nicht von einem Werwolf beißen lassen", antwortete die Großheilerin so trocken wie Wüstensand.

"Dann bin ich froh, dieser Seuche ein Opfer entrissen zu haben", gestand Aurora Dawn ein.

"Das ist ein Grund, warum wir heilerinnen und Heiler sind, Kind. Wir wollen die Menschen vor den magischen Übeln schützen, ohne uns dabei dunkler Künste bedienen zu müssen", gedankenantwortete Bethesda Herbregis. Aurora nahm diese Aussage ohne äußerliche Regung zur Kenntnis.

__________

Der Sommer kam. Immer noch war Aurora im Außendienst und mußte jetzt häufiger wegen Sonnenbränden oder Wassermangel in den Busch ausrücken. Heilerin Thornapple traf sie dabei selten. Die betagte Dame vertrug die Sommerhitze nicht mehr so gut. Aurora konnte ihr das nachempfinden. Doch als die niedergelassene Heilerin sie eine Woche vor Weinachten fragte, ob sie für Sie Stellvertretung machen könne, weil die anderen Heiler in ihren Einsatzgebieten genug mit den auftretenden Sommerbeschwerden zu tun hatten, wunderte sie sich doch etwas. Wie war das denn in den letzten Jahren gelaufen? Diese Frage stellte sie auch Bethesda Herbregis.

"Tja, das ist so ein Thema, wo ich denke, daß es bald nicht nur der Sommer sein wird, Aurora. Die gute Melissa Thornapple verträgt die Hitze nicht mehr so gut wie vor sechzig Jahren noch. Hinzu kommt, daß ihre Knochen immer spröder werden. Aber sie sagt immer, daß sie solange weitermachen will, bis entweder eine ihr genehme Nachwuchsheilerin ihre Praxis übernimmt - wohlgemerkt Heilerin - oder sie selbst bei uns in der Sano landet. Sie meint jedoch, daß sie dann wohl nur mit den Füßen voran wieder hinauskommt."

"Und es hat sich in allen Jahren noch keine bei ihr bewährt?" Fragte Aurora Dawn.

"Laura hat's versucht, ist aber daran gescheitert, daß sie Muggel nicht so recht für voll nimmt. Amalthea hätte sie schon gerne als Nachfolgerin gesehen. Doch bei der scheiterte es daran, daß Amalthea zu sehr mit dieser Klinik verbunden ist. Mich hätte sie auch gerne als Nachfolgerin gehabt. Doch bei mir ist es daran gescheitert, weil ich zu dem Zeitpunkt einen Verlobten hatte und es sich andeutete, daß ich gerne auch ein Familienleben haben würde. Sie meinte, sie kenne das, daß eine Familie zwar einiges an schönen und wichtigen Erfahrungen bringen würde, jedoch auch zu viel Einschränkungen mit sich bringe. Das sie selbst drei eigene Kinder auf die Welt gebracht hat weißt du sicherlich. Aber als ihr Mann starb, warf sie sich ganz in die Arbeit, ließ sich die Niederlassung Sydney geben und praktiziert dort nun seit sechzig Jahren. Überlege mal, da waren deine Eltern noch nicht einmal geboren."

"Schon eine lange Zeit", erwiderte Aurora Dawn darauf.

"Das stimmt. Aber solange sie durch Tränke und Hilfsmittel ihre Arbeit ausüben kann, ohne durch übermäßigen Gebrauch davon körperlich und geistig zu zerfallen, solange wird Laura sich hüten, ihr den Ruhestand anzuempfehlen. Der Umstand, daß laura Morehead die Sprecherin der Heilzunft geworden ist und nicht jemand wie Melissa Thornapple beruht schlicht darauf, daß eine Sprecherin oder ein Sprecher eben mehr im Büro sitzen muß als zu heilen. Und für Mel Thornapple ist der Beruf des Heilers nur dann gegeben, wenn er praktiziert wird. Vielleicht kandidiere ich mal in zwanzig Jahren zusammen mit unserem Direktor für den Posten, wenn mir die Arbeit zu stressig wird. Niederlassungen haben Vor- und Nachteile. Das sage ich dir, weil du jetzt, wo du im entscheidenden Jahr bist, eine Entscheidung fällen mußt. Du hast einen Bekanntenkreis, dein Einsatzgebiet, kannst dir Zeit für Gespräche nehmen, Hausbesuche machen und dir in den Mußestunden neues Wissen anlesen. Die Nachteile liegen jedoch auch in diesen Faktoren: Du kannst meinen, nicht voranzukommen, weil du immer an einem Fleck bleiben mußt, mußt dir auch privat alles anhören, auch wenn es dich nicht interessiert, wirst von den einen Vergöttert und von den anderen beschimpft - Wie du's ja bei den Portlands schon erlebt hast - und hast manchmal viel mehr Zeit als dir lieb ist, um dann wieder mit einer Welle von Kleinsten und mittleren Beschwerden überzogen zu werden. Ach ja, und falls du materialistisch veranlagt bist spielt das auch mit hinein, daß du hier in der Klinik dreimal soviel von der Heilerzunft erhältst als als niedergelassene Heilerin, weil wir hier immer an unseren Grenzen arbeiten, einsatzbereit sein und die schweren Fälle therapieren müssen, die die Niedergelassenen Heiler wegen unzureichender Instrumente und Trankzutaten nicht so schnell und gründlich bearbeiten können. Außerdem kannst du dich hier in der Klinik immer mit Kollegen über ihre Erfahrungen und Meinungen austauschen, was als Niedergelassene nur über langen Eulenpostverkehr oder bei den alljährlichen Heilertreffen geht. Ach so, die Treffen. In Krankenhäusern und Kliniken arbeitende Heilerinnen und Heiler sind gehalten, jedes dritte Jahrestreffen zu besuchen, um Neuerungen zu erfahren oder eigene Neuerungen zu verkünden, wie ich im letzten Juli über die Radiointoxikation referiert und deine Erfindung empfohlen habe. Apropos, wie gerät uns dein ehemaliger Schulkamerad Tim Preston."

"Was für Tom und Berthold eine Strafe war hat er als außergewöhnliche Erfahrung angesehen, sagt mir Vivian Acer. Er behauptete sogar, er habe eine winzige Spur davon mitbekommen, wie sich eine Frau fühlen muß, nachdem er selbst einmal Vielsaft-Trank angesetzt und mit dem Haar einer von Madam Newports Nichten versetzt hat, natürlich mit deren Einwilligung. Aber zwei Stunden reichen da nicht aus, hat Vivian gesagt. "Da ich Weihnachten ja hierbleibe, werde ich ihn das wohl erst fragen können, wenn ich die Urlaubstage im Juli nutze, um ihn selbst zu fragen."

"Ich hoffe, er ist es nicht doch leid. Jemanden aus der Muggelwelt hatten wir noch nicht. Die meisten Muggelstämmigen wollen lieber ins Ministerium oder in die magische Wirtschaft. Insofern schreibe der jetzigen Kollegin von dir, deren Können dich in unsere Welt geführt hat, daß du ihr sehr dankst, daß sie deinen ehemaligen Schulkameraden Zaubertrank-Unterricht gibt, falls du das noch nicht getan hast!"

"Natürlich habe ich das schon längst, als ich hier als Heilerin vereidigt worden bin und ihr das gleich geschrieben habe", erwiderte Aurora Dawn lächelnd. Dann meinte Meisterin Herbregis: "Gut. Dann wollen wir wieder in den Bereitschaftsraum zurückkehren und hoffen, daß die Geister der Weihnachtszeit uns dieses Jahr friedliche Tage bescheren!"

__________

25. Dezember 1987

Hallo Wendy!

Weinachten in Australien wollte ich eigentlich schon immer mal erleben. Temperaturen über 40 ° und strahlender Sonnenschein statt Wintertrübsal und klirrende Kälte. Ich hatte heute Außeneinsatzbereitschaft zwischen fünf Uhr Morgens und fünf Uhr Nachmittags. Drei Einsätze wegen Überhitzung im Einzugsbereich Sydney und den vier angrenzenden Regionen. Einer Familie, deren kleiner Sohn sich eine heftige Sonnenallergie zugezogen hat, konnte ich mit Sonnenkrauttinktur und jede Menge Wasser beruhigen. Ich finde, die Sonnenkrauttinktur sollte in jede südliche Hausapotheke gepackt werden. Madam Thornapple hat sichtliche Probleme mit der Hitze. Sie verriet mir, daß sie den Kühlungstrank nicht einnehmen könne, weil der mit anderen ihrem Alter empfohlenen Tränken nicht zusammenkommen darf. Ich habe ihren Einsatzumhang dann auf eine annehmbare Temperatur heruntergekühlt und mit dem Aequicalorus-Zauber belegt. Ich hoffe, sie kann damit besser durch die Sommerzeit.

Schon eine komische Sache, durch eine Stadt zu gehen, Lieder wie "Winterwunderwelt" oder "Weiße Weihnacht" aus den Muggelradios zu hören, die mir Roy, Vivian oder Tim vorgesungen haben. Aber es gibt auch australische Weihnachtslieder, die vom Glanz der Sonne und des Weihnachtssterns erzählen oder die sechs schneeweißen Känguruhs des Weihnachtsmannes. Als ich bei meinem letzten Einsatz bei einer Familie in Baldon's Clearing war, einem Zaubererdorf nordwestlich von Sydney, durfte ich dann die Sonnenwendeulen sehen, von denen mir hier alle oft erzählt haben. Richtig schöner Weihnachtsschmuck ist das, diese goldenen Eulen, die auf den Schornsteinen sitzen und ähnlich wie die Harmonovons nette Melodien von sich geben. Heather hat gesagt, daß nur friedvolle Hexen und Zauberer die hören können. Dann bin ich ja beruhigt, daß mich die Musik der Eulen erreichen kann. Hier in der Sano gibt es die kleineren Ausgaben über den Türen zu den Hauptkorridoren. Außerhalb der Klinik gilt dasselbe wie bei uns Engländern der Mistelzweig. Aber hier geht das natürlich nicht, daß sich Kollegen unter einer Sonnenwendeule küssen, weil das dann doch gegen die Anstandsregeln verstößt.

Abends gab es für alle dienstfreien Mitarbeiter eine Weihnachtsfeier in der Kantine, allerdings ohne Alkohol. Tom und Berthold waren nicht dabei, wohl weil sie immer noch für Amalthea Honeydew aushelfen müssen. Jill Trylief hat jetzt eine eigene Station in der Abteilung für Gifte und Gegengifte. Die haben vor allem mit ordinären Schlangenbissen zu tun, sofernLeute wie ich kein Antidot 999 mitnehmen, wenn sie in den Busch apparieren. Ireen wird wohl im Januar in die Abteilung für Utensilienunglücke gehen. Das macht sie etwas betrübt, weil sie bei Zauberkunst nicht so gut in der Endprüfung weggekommen ist. Vielleicht möchte Direktor Springs sie deshalb dort noch einmal einsetzen, um ihr die gewisse Praxis zu geben.

Ich habe für morgen freibekommen. Da werde ich wohl Heather besuchen.

Bis morgen!

__________

"Hui! Das habe ich bisher nicht für möglich gehalten, Weihnachten am Strand zu erleben", freute sich Aurora Dawn, als sie mit Heather Springs einen abgeschiedenen Strandabschnitt besuchte, wo ausschließlich Hexen und Zauberer zu finden waren. Sie hatte es gewagt, auf einem Wellenläufer über die Wogen des pazifischen Ozeans zu gleiten, ein schmales Brett, auf dem sie fast im Spagat stehen mußte, und ddurch Ausbalancieren zusehen mußte, es um die Wellen, unter ihnen durch oder um sie herum zu lenken wie einen fliegenden Besen. Dabei war sie immer wieder umgekippt und ins Wasser gefallen. Doch der von Heather ausgeborgte Wasserschutzanzug hatte sie vor Unterkühlung bewahrt.

"Kuck mal, da hinten spielen sie Wadditch", sagte Heather. Aurora meinte, vielleicht noch Wasser in den Ohren zu haben und fragte, ob sie sich verhört hatte. "Neh, du hast dich nicht verhört, Aurora. Wadditch, Wasser und Quidditch sozusagen. Gibt's nur hier bei uns Aussis und bei den Weißen auf Hawaii, die nix mit Quodpot anfangen wollen." Aurora sah hinüber, wo zwei Mannschaften zu fünf Mann gegeneinander antraten. Das Spielfeld war gute zweihundert Meter lang und fünfzig Meter breit. Ein Spieler stand auf seinem Wellenläufer und hütete drei auf den graugrünen Wogen wippende Tonnen. Gespielt wurde mit drei Bällen, von denen ein sonnengelber als Torwurfball diente und die beiden anderen als sogenannte Platscher die Sicht der Gegner verwirren oder unerwartete Wellen aufwerfen konnten, weil sie beim Auftreffen auf die Wasseroberfläche haushohe Fontänen oder meterbreite Wellenringe verursachten.

"Na ja, auf Besen ist das schon rasanter", meinte Aurora, nachdem sie dem Treiben zehn Minuten zugesehen hatte. Heather meinte, daß der Reiz des Spiels ja darin bestünde, seinen Wellenläufer länger als eine Minute sicher unter den Füßen zu halten. Aurora verstand was sie meinte. Denn durch die Platscher kam es oft genug vor, daß Spieler von ihren schmalen Brettern gefegt wurden und nur durch das dehnbare Halteseil an ihrem rechten Bein den Kontakt behielten. Außerdem, das mußte Aurora einsehen, spielten sie nicht nur gegeneinander, sondern gegen die Wellen des Ozeans, die die Bälle wegtragen konnten.

"Muß hier auch ein Sucher was finden?" Fragte Aurora.

"Das nicht. Aber wer zehn Tore erzielt, die in der gleichen Tonne landen, verdreifacht die Punktzahl und gewinnt das Spiel. Wie beim Quidditch zählt jedes Tor zehn Punkte", erwähnte Heather, während ein hagerer Zauberer auf smaragdgrünen Brett voll in eine Platscherfontäne hineinbrauste und dabei den Spielball und das Brett verlor.

"Hier soll es doch Haie geben", mentiloquierte Aurora, weil sie nicht wußte, ob allein die Erwähnung Panik auslöste.

"Das ist noch ein Reiz des Spiels. Die Profi-Spiele finden auf dem offenen Meer Statt. Da kommt es schon vor, daß Haie zwischen den Spielern auftauchen. Deshalb sind angestellte Kollegen von dir mit Booten draußen und greifen ein, wenn was passiert. "

"Verstehe. Dann ist das doch nicht so langweilig", gestand Aurora ein. Ein Platscher schlug voll in eine hohe Welle ein und ließ diese zu einer regelrechten Wasserexplosion auseinanderdonnern, wobei drei der vier Feldspiler der gegnerischen Mannschaft und zwei der Angreifer von ihren Brettern gespült wurden.

"Gut zu wissen, daß es dieses Spiel gibt", sagte Aurora. "Könnte mir ja doch mal passieren, daß ich Leute behandeln muß, die dabei verletzt wurden."

"Bei den Profi-Spielen haben die immer zwei Boote vor Ort, für jede Mannschaft eins. Der Schiedsrichter fliegt auf einem Besen, um nicht von Wellen oder Platscherfontänen an der Überwachung gehindert zu werden." Sie sahen, wie einer, der gerade schwimmen mußte abtauchte und unvermittelt den Spielball auffing, der sonst auf freies Wasser aufgeschlagen wäre.

"Foul" Hörten sie einen aus der Gegenmannschaft rufen. "Strafwurf!"

"Da hast du noch eine Regel. Spieler dürfen den Ball erstens nur führen, wenn sie auf dem Wellenläufer stehen und obendrein nicht abtauchen, um unbemerkt vom Gegner die Position wechseln zu können", sagte Heather noch. Aurora nickte.

Um ihrer aus Großbritannien stammenden Freundin noch mehr vom weihnachtlichen Australien zu zeigen schlug Heather Aurora vor, das melbourner Marzipankartoffelmampfen zu verfolgen. Bei dieser an Völlerei grenzenden Veranstaltung ging es darum, wer entweder in einer bestimmten Zeit möglichst viele Marzipankartoffeln essen konnte oder in einer unbegrenzten Zeit bis zur Aufgabe. Für Aurora paßte die kindergartengleiche Stimmung dieser Veranstaltung der Melbourner Zauberergemeinschaft zu diesem Spektakel. Als weitere Disziplin wurde das Marzipankartoffeln-mit-dem-Mund-auffangen repräsentiert.

"Neh, Heather, tut mir furchtbar leid, aber aus dem Alter bin ich dann vielleicht doch schon raus", flüsterte Aurora ihrer Freundin zu, als fünf sehr korpulente Kandidaten, Ronny, die reinhauende Ratte, Selma die Schnappsensation, Sir Schluckviel, Bully der Bauch und Andrew der Akordmampfer sich gegenseitig mit den aus Mandeln und Zucker gemachten Süßigkeiten bewarfen.

"Anderswo auf der Erde wissen die nicht, wo sie was zu Essen finden. Und die hier schmeißen wie mit Flummibällen damit rum, auch wenn's keine eigentlich nährende Speise ist", grummelte Aurora Dawn. Heather kapierte es jetzt, daß ihre Freundin sich an diesem Spektakel bestimmt nicht richtig freuen konnte. So fragte sie, ob sie noch die nächtliche Sonnenstrahlstraße besichtigen konnten, weil dort ab zehn Uhr alle Ladenfenster und Hausdächer von bunten Lichtern erhellt wurden. Aurora verwies darauf, daß sie als Angestellte der Sana-Novodies-Klinik um zehn Uhr in der Klinik zu sein hatte.

"Internatsregeln", schnarrte Heather. "Ich dachte, ihr wäret da erwachsen und könntet mal an einem freien Tag gut ausgehen."

"Ich finde die Regel zwar auch sehr bevormundend, Heather. Aber solange ich bei denen im Stall arbeite muß ich mich dran halten, vor allem Im HIP-Jahr."

"Dann versuch mal, meinen Onkel im nächsten Jahr dazu zu bringen, daß er dir Urlaub über Weihnachten gibt. Dann mußt du ja nicht mehr wie ein Schulmädchen brav auf dem Zimmer sein, wenn's zehn schlägt."

"Dein Onkel deutete sowas an, daß er im nächsten Winter von seinem Posten zurücktreten will. Wer danach kommt weiß ich noch nicht."

"Hat er uns gestern Abend erzählt, als wir den Weihnachtstruthahn hatten", sagte Heather. "die Frage ist, wo er hingehen will. Ich glaube nicht, daß er in der Klinik weiterarbeitet. Das wäre ja ein Abstieg."

"Das kann ich nicht sagen", erwiderte Aurora Dawn darauf.

Um nach der für Aurora kindischen Marzipanschlacht noch etwas für doch eher erwachsenes Publikum zu erleben gingen sie bis zehn Uhr in den wilden Dingo zum Tanzen. Aurora merkte, daß viele junge Zauberer ihr nachblickten. Doch weil die Heilerin um zehn Uhr in die Klinik zurückkehren mußte, konnte sie nicht näher ausloten, was die jungen Burschen an ihr mehr interessierte. Im Moment wollte sie das auch nicht so recht wissen. Sie trug die Erlebnisse des Tages noch in ihr Tagebuch ein, bevor sie sich hinlegte. Sie würde morgen um vier Uhr wieder aufstehen müssen.

__________

Der Jahreswechsel gestaltete sich für die Heiler der Sana-Novodies-Klinik sehr arbeitssam. Aurora hatte die Nachtschicht zugeteilt bekommen. Um halb zwölf mußte sie ein kleines Kind aus einem brennenden Haus retten, weil der Vater einen Trank angerührt hatte, der eigentlich um Mitternacht eine Bunte Flammenfontäne in den Himmel schleudern sollte. Irgendwas war dabei schiefgelaufen, und so brachte Aurora das Kind in die Abteilung für Utensilienunglücke in die Station für schwere, magisch erzeugte Verbrennungen und Elementarschäden. Um kurz nach Mitternacht mußte sie zu einer Silvesterfeier, wo ein Zauberer sich den Spaß gemacht hatte, durch einen progressiven Alterungstrank erst steinalt zu werden, um sich beim Glockenschlag zwölf Uhr per Infanticorpore-Fluch in einen Säugling Zurückzuverwandeln, dem dann beim ersten Schrei ein Lätzchen mit dem leuchtenden Schriftzug 1988 umgehängt wurde. Das Problem bei der Sache war, daß der Zauberer, der diesen Gag vorgeführt hatte, nicht mehr in einen erwachsenen Zauberer zurückverwandelt werden konnte.

"Das kommt davon, wenn erst mit Tachigeria-Trank herumgemurkst wird und dann der Infanticorpore-Fluch drübergelegt wird", meinte Aurora zu den Kollegen des Zauberers. "Tachigeria überlagert den Progerio-Zauber für mindestens so viele Minuten, wie der Anwender Lebensjahre in beschleunigter Alterung erfahren hat. Abgesehen davon sind sowohl Tachigeria-Trank als auch Infanticorpore unzulässige Partyzauber. Das heißt, das gibt noch Ärger mit dem Ministerium, Leute."

"Dann kann Mikey nicht mehr zum Erwachsenen werden?" Fragte einer der Freunde des Gag-Zauberers.

"Im zweifelsfall ja, aber dann erst in siebzehn bis achtzehn Jahren", erwiderte Aurora knochentrocken. Aber wir klären das in der Sano ab, wie alt er vor Tachigeria war, um die Blitzalterung auszurechnen. Erst wenn wir wissen, wie lange die Progerio-Blockade vorhält, können wir abschätzen, wann die Rückverwandlung wieder möglich ist, vorausgesetzt, wir kriegen alle relevanten Angaben über den exakten Zeitpunkt seiner Geburt."

"Die haben wir natürlich", sagte Johnny, Mikeys Freund. "Wir wollten ihn ja damit wieder zurückverwandeln, wenn sein Auftritt vorbei war. Ähm, Ms. Dawn, was passiert, wenn er nicht mehr zurückverwandelt werden kann?"

"Tja, dann muß er wohl neu aufwachsen, unter anderem Namen womöglich", erwiderte Aurora Dawn.

"Drachenmist!" Fluchte Johnny.

"Ist Ihr Freund muggelstämmig?" Fragte Aurora.

"Stimmt. Wie kommen Sie darauf, weil er sich so dösig angestellt hat?"

"Nein, weil ich gehört habe, daß es bei manchen offiziellen Silvesterfeiern schon diesen Gag gab, daß jemand als steinalter Mann oder Frau hereinkam, um das gerade verwehende Jahr zu symbolisieren, so mit weißer Perücke, Gestock und einer Maske mit Falten. Dann knalllt Rauch von irgendwo her, und der oder die läßt Perücke und Runzelmaske verschwinden, um mit einer Babykopfmaske und im Strampelanzug das neue Jahr vorzustellen."

"Ja, stimmt, hat er mal bei den Muggeln gesehen", bestätigte Johnny. Dann fragte er, ob das wirklich nötig war, sie annzuzeigen. Aurora erwähnte, daß sie die Pflicht habe, derartige Gesundheitsbeeinträchtigungen zu melden. Dann holte sie sich noch den Tachigeria-Trank per Aufrufezauber und verschwand mit diesem und dem verdrossen quängelnden Mikey.

Den zum Baby zurückverwandelten party-Zauberer lieferte sie bei Amalthea Honeydew ab, während sie in Goldwaters Zaubertrankabteilung den Tachigeria-Trank ablieferte um dessen Wirkung zu bestimmen. Dann schrieb sie einen Bericht für das Ministerium und schickte diesen mit einer Eule nach Canberra ab. Sollten sich die Ministeriumsleute jetzt drum kümmern.

Weitere Einsätze galten Feuerwerksunfallopfern, sowie Leuten, die Zaubertränke und Alkohol zusammengetrunken hatten und nun merkwürdige Sachen machten, wie grünen Rauch aus der Lunge blasen, bei jedem Schluckauf die Hautfarbe zu wechseln und im Laufe des Abends immer mehr einzuschrumpfen. Gemessen am Chaos von Halloween blieb es im weiteren Verlauf der Nacht ruhig.

___________

Mikey Simpson, dem Silvester-Gag-Zauberer, konnte erst nach einer Woche geholfen werden. Solange mußten ihn die Ammen der Mutter-Kind-Station pflegen. Dabei mußten Tom und Berthold jedoch nicht mitmachen.

Die nächsten vier Wochen waren geprägt von Einsetzen gegen Schlangen- und Spinnenbisse, hochgradige Sonnenbrände und Überhitzungen. Immerhin konnte Madam Thornapple durch den Gleichwärme-Anzug nun freier atmen und weitermachen.

"Schade, daß die drei Monate jetzt um sind, Aurora. Du hast mir gut beistehen können, wenn es hart auf hart ging", sagte Mel Thornapple am Vorabend des 31. Januar. Aurora nickte. Da sie bereits am 31 Oktober in der Notfallbereitschaft angefangen hatte, würde sie morgen gemäß den HIP-Richtlinien einer anderen Abteilung und Station zugeteilt, wo sie nur noch in der Klinik arbeiten mußte.

"Ich weiß nicht, wer den Abschnitt hier kriegt. Ich hoffe nur, daß du dann auch mit dem oder der gut klarkommst", erwiderte Aurora. Melissa Thornapple hatte nach den vielen Einsätzen zusammen mit Aurora darauf bestanden, daß diese sie wie unter Kollegen üblich mit der persönlichen Anrede ansprach.

"Da warte ich mal, wen mir die gute Bethesda Herbregis zuteilt", sagte Melissa Thornapple. "Ich kann auf jeden Fall nur gutes für eine mögliche Bewertung im Juli aussagen", fuhr die niedergelassene Heilerin von Sydney fort. Aurora bedankte sich höflich. Dann wünschte sie der betagten Kollegin noch erfolgreiche Tage und Stunden.

"Ich hoffe sehr, daß du das HIP-Jahr genauso erfolgreich bestehst wie die ganze Ausbildung und damit als vollständig ausgebildete Heilerin vielen Menschen helfen kannst."

"Danke, Melissa", erwiderte Aurora darauf, bevor sie in die Klinik zurückkehrte. Irgendwie schon komisch. Sie hatte drei Monate am Stück im Außeneinsatz gearbeitet. Sie war dabei meistens mit anderer Besatzung im Bereitschaftsraum gewesen. Immer hatte sie den Abschnitt Sydney als Einsatzgebiet gehabt.

"Ab morgen kommst du in meine Abteilung", sagte Amalthea Honeydew, als Aurora wieder in der Klinik war und mit den anderen dienstfreien Kollegen in der Kantine saß. "Ich brauche eine, die mindestens vier Kinder auf die Welt geholt hat und sich mit Muggelweltlichen Sachen auskennt. In den nächsten drei Wochen werden sieben muggelstämmige Hexen bei uns niederkommen, die zu viel Angst vor Hausgeburten haben oder es lieber haben, ihre Kinder in einem Haus voller Heiler zu kriegen."

"Dann möchtest du, daß ich die alle hole?" Fragte Aurora.

"Genau", sagte Amalthea Honeydew kurz und eindeutig. Damit war Aurora klar, was in den nächsten drei bis vier Wochen anstand.

__________

Tom und Berthold waren in jeder Hinsicht erleichtert, als sie Mitte Februar in die Abteilung für Tierwesenverletzungen wechseln durften. Aurora indes sollte eigenständige Geburtshilfe geben, lediglich vor der Niederkunft der Patientinnen und danach überprüft von Amalthea Honeydew, die die sieben Hexen auf zwei Schlafsäle in der Hope-goodlight-Station für Muggelstämmige Hexenmütter untergebracht hatte. Aus der Geschichte der Klinik wußte Aurora, daß Hope Goodlights Mutter Irma Middleton vor einhundert Jahren mit Aphranius Shadelake eine Beziehung angefangen hatte. Da Middleton selbst von nichtmagischen Eltern abstammte, war das natürlich ein schwerer Schlag gegen die so reinblütig fixierte Shadelake-Sippschaft. Als sie dann auch noch von diesem auf Abwege geratenen Zauberer ein Kind erwartete, wollten die Shadelakes sie und das Ungeborene töten. Deshalb hatte sie es vorsorglich von einer befreundeten Heilerin übernehmen lassen und die Shadelakes von ihm abgelenkt. Als sie dann scheinbar beim Arbeiten in der Küche in einem Feuerball verbrannte und ihr Verlobter sich deshalb mit seinem Onkel auf Leben und Tod duellierte und starb, mußte die Heilerin, Pia Goodlight, das ihr anvertraute Kind ganz austragen und unter ihrem Namen zur Welt bringen. Hope Goodlight wurde später Heilerin und setzte sich für die Gleichbehandlung von nichtmagischen Familienangehörigen von Hexen und Zauberern ein. Sie blieb ihr ganzes, achtundneunzig Jahre langes Leben unverheiratet und erlag den Drachenpocken, die sie sich unvorsichtiger Weise in der Klinik eingehandelt hatte. Ihr zu Ehren gab es jetzt die Station für muggelstämmige Hexenmütter, wo auch schon die nichtmagischen Frauen von Zauberern vom Rest der Klinik unbehelligt Kinder geboren hatten. Für Aurora war die Arbeit in dieser Sektion der Klinik Ansporn und Trübsalsgrund zugleich. Ansporn weil sie erkannte, wie aufopferungsvoll eine Heilerin handeln konnte und zur Trübsal anregend, wenn sie sich vorstellte, daß sie selbst über neunzig Jahre alt würde, ohne einen Mann an ihrer Seite erwählt und/oder von diesem Kinder bekommen zu haben. doch das lag noch sowas von weit weg in der Zukunft, daß der Ansporn überwog.

Als sie die durch eine Zwillingsgeburt aufgestockten acht Babys sicher ins Leben hinübergehoben hatte, probierte sie freiwillig aus, was Tom und Berthold aufgezwungen worden war und übte mit dem Nutrilactus-Trank das korrekte Stillen ein, wobei sie schon merkwürdige Anwandlungen hatte, wenn sie sich fragte, ob eines der dabei betreuten zehn Neugeborenen sich je an Sie würde erinnern können. Hinzu kam, daß der Ammendienst sie körperlich ziemlich auszehrte und sie Gefühlsschwankungen empfand, weil sie einerseits sehr glücklich mit diesem Dienst war und andererseits mehr sein wollte als eine bezahlte Nahrungsspenderin für elternlose Babys. Dabei machte sie noch einige praktische Erfindungen, wie die selbst klingenden Wiegen, die sich auf den Gefühlszustand der in ihnen liegenden Kinder hin mit Schlafliedern füllten, die die kleinen Patienten sicher schlummern ließen. Amalthea Honeydew zitierte sie Ende März zu sich in ihr Büro und sprach mit ihr über die Eindrücke und vor allem die aufgekommenen Gefühle, ob sie, Aurora, sich fürchtete, die berufliche Distanz zu verlieren oder die Arbeit ausführte, wie sie ihr zugewiesen wurde. Aurora sagte darauf nur, daß sie zwar jetzt einiges an merkwürdigen Gedanken hatte, was die Kinder anging und ob sie zu diesen eine Beziehung geknüpft habe. Andererseits habe sie hier eine wertvolle Erfahrung ohne persönliche Verbindlichkeit gemacht, die ihr helfen würde, in Zukunft Hexen, die in dieser Station oder außerhalb der Klinik Hilfe benötigten unterstützen zu können. Dabei fragte sie noch: "Ich hörte, erst nach dem HIP-Jahr würden wir den Transgestations-Zauber lernen. Ist das verbindlich, daß wir ihn lernen oder nur auf Freiwilliger Basis?"

"Da er einen besonders intensiven Eingriff in die körperlich-seelische Verfassung einer Heilerin darstellt kann er nur auf freiwilliger Basis angeboten werden, Aurora. Würde dich das interessieren, ihn zu erlernen?"

"Nun, da ich drei Wochen in der Hope-Goodlight-Station gearbeitet habe habe ich mich natürlich mit der Geschichte der Namensgeberin befaßt. Sie wäre wohl gar nicht erst auf die Welt gekommen, wenn Pia Goodlight diesen Zauber nicht beherrscht hätte."

"Ja, das ist wohl wahr. Das ist wohl auch der Grund, warum viele Heilerinnen ihn erlernen wollen. Aber wie erwähnt geht das nur, wenn die, die ihn lehren können schriftlich und vor Zeugen darum gebeten werden. Du kennst ja die Gesetze gut genug, wie ich weiß." Aurora nickte.

"Dann warte ich, ob du nach dem HIP-Jahr zu mir kommst, um ihn zu erlernen. Allerdings geht der bekanntlich nur, wenn eine freiwillige Übungspartnerin dabei ist. Im Moment hat Jill Trylief ihn von unserer Kollegin Gwendoline Gilmore erlernt. Ich hoffe, dem Kind passiert nichts, wenn es andauernd den Mutterleib wechselt." Aurora nickte. Sie hatte Jill vor einigen Tagen in ihrer Abteilung gesehen und erfahren, daß sie die Auswirkungen des Transgestations-Zaubers erfahren wolle.

Jedenfalls kann ich dich Anfang April bestens Gewissens dem Kollegen Blueberry überlassen. Der hat nämlich Vitus solange bekniet, dich als HIP zu kriegen, daß der gute alte Vitus nachgegeben hat. Womöglich wird er dir zum Abschluß noch eine sehr arbeitsintensive Tätigkeit zuweisen."

"Arbeitsintensiver als Babys zu versorgen?" Fragte Aurora Dawn lächelnd.

"Stimmt, das wird schwer zu überbieten sein", erwiderte Meisterin Honeydew. Beide Heilerinnen lachten erheitert.

__________

Vitus Springs hatte dem guten Xylophilius Blueberry aus der Sektion für Unfälle mit magischen Pflanzen nur einen halben Monat eingeräumt, den Aurora bei ihm arbeiten durfte. Die junge Heilerin war so sehr in ihrem Element, daß ihr der Streß der Einsätze nichts ausmachte, solange sie mit den Zauberpflanzen arbeiten konnte.

"Das du das im Schlaf kannst wissen wir ja. Sprecherin Morehead hat jedoch im Zuge deiner Ausbildung verlangt, daß du auch im Bereich TierwesenunfälleErfahrungen sammelst", hatte ihr der Direktor gesagt, als sie am fünfzehnten April bei ihm anzutreten hatte. So wurde Aurora für die nächsten sechs Wochen in die Abteilung für Unfälle mit Tierwesen versetzt. Hier traf sie wieder auf peter Redcorn, dem Bundabundo-Jäger. Diesem war bei einer scheinbar erfolgreichen Jagd die halbe Hand abgeätzt worden, und Aurora mußte ihre ganze antrainierte Gelassenheit bemühen, die schwere Verletzung zu behandeln, ohne verängstigt oder angewidert zu sein. Es dauerte eine ganze Woche, bis Redcorn wieder beide Hände wie früher gebrauchen konnte.

"Bei allem Respekt vor Ihrem Privatleben, Sir, aber als Heilerin muß ich Ihnen anraten, die Jagd auf Bundabundos einzuschränken oder gänzlich einzustellen. Jetzt, wo sie Familie haben wird es Ihre Frau wohl noch weniger freuen, wenn sie nur noch mit einemArm nach Hause kommen."

"Sie haben keine Ahnung, wie viel so'n Bundabundo-Pelz einbringt", schnarrte Redcorn. Aurora erwiderte darauf, daß er es ihr doch mal erzählt hatte. Er stutzte und nickte dann schwerfällig. "Niemand hat was davon, wenn Sie total ausfallen", sagte Aurora dem Patienten noch. doch dieser überhörte das einfach.

"Nun wo Sie hier arbeiten werden wir uns wohl öfter sehen", sagte er.

"Ich hoffe für Sie, daß nicht eines Tages alles, was Sie an Heilbehandlung brauchen von Ihrem Privatvermögen getragen werden muß", erwiderte Aurora Dawn darauf sehr kühl.

"Dann wäre ich bestimmt nicht der erste, der häufiger als nötig hier reingesteckt wird", knurrte Redcorn, dem Auroras schlagfertige Bemerkung doch mehr zusetzte, als er zugab.

Aurora mußte auch häufig in den Busch, um bestimmte Pflanzen oder Gifttiere einzusammeln, die wichtige Komponenten für Gegengifte enthielten. Dabei dankte sie der Unerbittlichkeit ihrer Mentorin, die sie in Dschungelkunde sehr heftig gefordert hatte.

__________

Die letzten Monate ihrer HIP-Zeit hatte Aurora damit zuzubringen, in der Abteilung für starke Flüche und fehlgeschlagene Zauber jeden Tag mindestens sieben Patienten zu betreuen, Berichte über die Therapien zu schreiben und auszuwählen, ob sie mit Zauberstabmagie oder Zaubertränken behandeln sollte. Alles in allem reichte diese letzte Phase, die von Mai bis Juli andauerte über das hinaus, was sie bei den Außeneinsätzen erlebt hatte. Sie war oft genug versucht, die langen Tage mit Hilfe von Wachhaltetrank zu überstehen. Doch immer wieder fiel ihr rechtzeitig ein, daß das ihr auf Dauer mehr zusetzen würde als ohne den Trank durchzuhalten. Dennoch nahm sie etwas unbehagt zur Kenntnis, daß sie auf Grund unzureichender Essenspausen und Streß einige Pfund Körpergewicht verlor. Äußerlich war das zwar nicht so drastisch zu sehen. Aber sie fürchtete schon, irgendwann mitten in einer Behandlungsphase zusammenzubrechen. Doch sie verkniff sich jede Äußerung, die den Abteilungsleiter darauf bringen mochten, sie sei undankbar oder ungehorsam.

Schließlich war der Tag da, auf den sie nun ein ganzes Jahr hingearbeitet hatte. Anders als früher üblich gab es keine Abschlußprüfungen, sondern eine Verlesung von Bewertungen, die jene Großheiler notiert hatten, die die HIPs in ihren Abteilungen beschäftigt hatten. So trafen sie sich in Direktor Springs Konferenzzimmer, die fünf HIPs und alle Abteilungsleiter, die zum einen mit mindestens einem der fünf zu tun und gerade keine anderen Verpflichtungen hatten. So voll war das bei Vitus Springs schon lange nicht mehr, dachte Aurora. Dabei machte er das, was nun ablief, bestimmt nicht das erste Mal.

"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr ist wieder um, Ihre Bewährungsfrist verstrichen." Er sah Aurora, Berthold, Ireen, Monica und Tom an, die ihn aufmerksam und nach außen hin lediglich erwartungsvoll anblickten. "Sie alle sind seit fast einem Jahr ausgebildete Heilerinnen und Heiler. In diesem Jahr sollten Sie zeigen, ob sie eigenverantwortlich arbeiten können, ohne von einem Mentor oder einem Abteilungsleiter geführt werden zu müssen. Und ich bin erneut sehr froh, feststellen zu dürfen, daß die gründliche Ausbildung, so streng und umfangreich sie auch ist, ihre Zwecke erfüllt, nämlich Sie, liebe neuen Kollegen, auf den Ernst, die Verantwortung, aber auch die Erhabenheit und Genugtuung vorzubereiten, die den Beruf des magischen Heilkundigen auszeichnen, sowie jedem die Gewißheit geben, diesen Beruf als seinen oder ihren Beruf zu ergreifen und ihn nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben, wo immer magische Heiler gebraucht werden. Sie fünf haben in den nun vergangenen vier Jahren gezeigt, daß Sie nicht nur talentiert, sondern auch mit der gebotenen Einsatzbereitschaft und Beharrlichkeit in unseren Erlauchten Kreis einzutreten bereit sind. Nun sind Sie fünf seit fast einem Jahr vereidigte Heiler und damit Mitglieder jener wichtigen Berufsgemeinschaft, ohne die die magische Welt sicherlich in sehr großen Schwierigkeiten stecken würde. Somit bin ich als derzeitig leitender Direktor der Sana-Novodies-Klinik für magische Krankheiten und Verletzungen und damit oberster Verantwortlicher für die Ausbildung neuer Heilerinnen und Heiler froh und stolz, eine weitere Gruppe Hexen und Zauberer als vertreter unserer Zunft willkommenheißen zu dürfen. Unabhängig davon, was meine bereits langjährig praktizierenden Kolleginnen und Kollegen gleich ausführen werden darf ich verkünden: Sie haben es alle geschafft. Das, um unnötige Anspannungen rechtzeitig abzubauen. Für alle die sich lieber Überraschungen hingeben wollten habe ich die tröstenden Worte: Das Leben als solches ist ein Füllhorn der Überraschungen, und das Leben eines magischen Heilers beweist es jeden Tag auf's neue. Außerdem dürfen Sie, nachdem die Kolleginnen und Kollegen ihre Einschätzungen oder handfesten Argumente vorgebracht haben gerne dazu Stellung nehmen.

Gemäß der Ihnen schon seit Schultagen vertrauten Ordnung kommen wir nun zur alphabetischen Abschlußbesprechung jedes einzelnen von Ihnen. Sollte sich von den derzeitigen Heilerinnen und Heilern im Praktikum jemand nicht wohlfühlen, daß seine oder ihre Bewertungen öffentlich verkündet werden, besteht durchaus die Möglichkeit, die übrigen Kollegen von der Besprechung auszuschließen. Möchte jemand von Ihnen von diesem Recht gebrauch machen?" Monica und Tom baten darum, ihre abschließende Bewertung nicht öffentlich zu machen. "Nun, dann möchte ich Sie bitten, in Ihre zugewiesenen Räumlichkeiten zurückzukehren, bis Sie einzeln zur abschließenden Bewertung gerufen werden, Heilerin Riddley und Heiler McCloud." Die beiden nickten und verließen den Konferenzraum, der auch ein dauerhafter Klangkerker war, wenn sämtliche Türen und Fenster verschlossen waren. dann blickte er Ireen an, die von der Mitteilung, es geschafft zu haben, sichtlich entspannter wirkte als vorhin noch.

"Heilerin Ireen Barnickle, zu Beginn des Jahres sah es ja doch eher so aus, daß Sie sich lieber früher als später spezialisieren wollten. Die Arbeit mit Zaubertrankzutaten war wohl nicht so ganz das, was Ihnen lag, nicht war?" Ireen nickte. "Nun, dann möchte ich jetzt die Kollegen bitten, sich zu äußern, mit denen Sie über dieses Jahr verteilt zusammengearbeitet haben!"

Nun äußerten sich die Heilerkollegen wie Daniel Goldwater, Animus Mesmer und Bethesda Herbregis, in deren Außeneinsatzgruppe Ireen von Mai bis Juli mitgearbeitet hatte. Alle lobten die junge Heilerin, die zwar immer noch eine gewisse Scheu vor offenen Aussprachen an den Tag legte, aber die Scheu im Lauf der Zeit abgelegt habe. Mesmer hob hervor, daß Ireen sich sehr gut als Psychomorphologin und Gemütsheilerin mache und bedauerte, daß sie wohl nach der bestätigten Vollzulassung nicht in seiner Abteilung verbleiben würde, da sie ja mit ihrer bereits aprobierten Tante zusammenarbeiten würde. Bethesda Herbregis schränkte ein, daß Ireen nach jedem Außeneinsatz Zeit brauche, um den Abstand zu einem Notfall wiederzufinden, um für den nächsten Einsatz wieder klar zu sein, habe jedoch von allen niedergelassenen Heilern, in deren Einzugsgebiet sie gearbeitet hatte wohlwollende Rückmeldungen bekommen. Somit könne sie Ireen nur noch viel Erfolg und gute Beziehungen als niedergelassene Heilerin wünschen. Dem schloß sich nun auch Vitus Springs an. Ireen bedankte sich ehrlich und sagte: "Ich hoffe, daß ich das, was ich hier gelernt habe, immer und überall richtig anwenden kann."

"Dies wünschen wir Ihnen, uns und der magischen Welt, daß Sie eine große Bereicherung unserer Zunft sind, Ireen", sagte Vitus Springs. Dann wandte er sich Aurora zu.

"Tja, was soll ich groß sagen", setzte er an. "Vor vier Jahren bekam ich aus meiner Verwandtschaft die Anfrage, ob wir hier auch Heilkunstinteressenten aus Großbritannien ausbilden würden. Ich reiste persönlich mit unserer Sprecherin Laura Morehead nach Devonshire, um die Interessentin kennenzulernen, die konsequent darauf beharrte, daß die magische Heilzunft ihr Berufsleben sein sollte. Und jetzt Sind Sie bei uns, haben den Eid der magischen Heiler abgelegt und im verstrichenen Jahr einer Unzahl von Patienten von gerade noch ungeboren bis kurz vor der letztlich alle betreffenden Abberufung Beistehen können. Ich persönlich hatte schon früh den Eindruck, daß Sie sehr gerne alles ausschöpfen, was Sie können, jedoch dabei leicht die Notwendigkeit ordentlicher Dokumentation aus dem Blick verlieren könnten. Daher habe ich Sie dieses Jahr zunächst in Archiv und Buchhaltung untergebracht, um Ihnen die Notwendige Achtung schriftlicher Aufzeichnungen beizubringen. Wir alle profitieren davon, daß Rezepturen, Formeln und Therapien schriftlich festgehalten werden. Es kann ja durchaus passieren, daß Sie oder nachfolgende Heiler in ähnliche Situationen geraten. Dann ist es wichtig, diese oder ähnliche Prozeduren nachschlagen und reproduzieren zu können, ohne den Zauberstab neu erfinden zu müssen. Unter Umständen können von einer raschen Umsetzung Menschenleben abhängen. Somit nahm ich es mit großer Beruhigung zur Kenntnis, daß Sie sich in den Dokumentationsräumen schnell eingearbeitet haben. Danach waren Sie beim Kollegen Goldwater, Kollegin Herbregis, Kollegin Honeydew, Kollegen Blueberry, dem Kollegen Horntip und zum Schluß noch in der Abteilung gegen Langzeitflüche und verfehlte Zauber beim Kollegen Archbender. Eine Menge Erfahrung, die Sie gesammelt haben. Was möchtet ihr unserer neuen Kollegin berichten?" Wandte er sich an die Abteilungsleiter. Goldwater lobte Aurora in den höchsten Tönen, daß er selten eine Zaubertrankbrauerin in seiner Abteilung gehabt habe, die auch gut mit dem Zauberstab sei. Häufig sei es ja auch bei an sich universell ausgerichteten Heilern so, daß es sogenannte Kesseltreue und Zauberstabverbundene gebe, die ihr Haupttalent zur Heilung nutzten. Er habe es sehr bedauert, daß Aurora nicht die vollen drei Monate bei ihm zugebracht habe. Er könne jedoch die anderen Verstehen.

Bethesda Herbregis schloß sich der Lobrede auf Aurora Dawn an und stellte klar, daß diese sich als eine der wenigen HIPs der letzten Jahrgänge empfohlen habe, die teilweise komplizierten Außeneinsätze zu machen. Da sie wegen Ihrer Muggelkenntnisse besonders im Raum Sydney eingesetzt wurde, habe sie des öfteren mit der namhaften Heilerin Melissa Thornapple zusammengearbeitet, die in Aurora Dawn eine sehr zuverlässige, umfangreich gebildete und obendrein gut mit anderen Hexen und Zauberern egal welchen Alters zurechtkommende Heilerin erlebt habe. Besonders habe ihr der Notfalleinsatz bei einem Muggel imponiert, der noch rechtzeitig vor der dauerhaften Wirkung der Werwut bewahrt werden konnte. Alles in allem habe sich Aurora Dawn der Anforderungen gerecht erwiesen, die an sie gestellt worden seien. Ähnliches äußerte dann auch Amalthea Honeydew, als sie Auroras zielgerichtete, aber menschliche Umgangsformen mit Gebärenden und Wöchnerinnen beschrieb und ihr durchaus zumutete, daß sie sich als niedergelassene Heilerin und Hebamme einrichten würde.

Blueberry hingegen sah in Aurora ein Talent für den Umgang mit magischen Pflanzen und daher eher eine Betätigung in diesem Unterzweig der Heilkunst, was er durchaus wertschätzen würde.

Als dann alle Abteilungsleiter und Abteilungsleiterinnen ihre Kommentare vorgebracht hatten durfte Aurora Dawn sich noch einmal selbst an die versammelten Heilerkollegen wenden.

"Herr Direktor Springs, werte Meisterinnen und Meister, liebe Kollegen!

Als ich damals in Hogwarts überlegt habe, was ich nach der Schule machen soll, hatte ich drei Möglichkeiten im kopf: Profi-Quidditch, vertiefende Kräuterkunde oder Medimagie. Als mir Professor Dumbledore zugetraut hat, Vertrauensschülerin zu sein, wußte ich nicht, ob ich das hinkriege. Eine meiner Großmütter hat mir gesagt, daß man in ein übergroßes Kleid immer noch hineinwachsen könne. Irgendwie hatte sie wohl recht. Denn während ich diese mir zugetraute Zusatzaufgabe ausführte, kam ich immer stärker darauf, daß ich nach Hogwarts eine Heilerausbildung mache. Allerdings waren die Ausbildungsplätze im St.-Mungo-Hospital in London schon überbucht. Ich hätte also ein Jahr oder mehr warten müssen. In der Zeit hätte ich auch eine Profi-Karriere im Quidditch anfangen können. Dann erfuhr ich von einer australischen Brieffreundin, daß hier in Australien Nachwuchsheiler gesucht würden, da jedem Nachwuchsheiler ein eigener Lehrmeister zur Seite gestellt würde. Ich wollte das wissen und bewarb mich um den Ausbildungsplatz. Wie Sie, Direktor Springs, erwähnt haben, kamen Madam Morehead und Sie persönlich zu mir und meinen Eltern, um mich dazu zu befragen. Tja, und daraus wurde dann eine Ausbildung, die wohl heute zumindest was den Unterrichtsteil angeht zu Ende ist. Meisterin Herbregis hat mir immer gesagt, daß wir Heilerinnen und Heiler eigentlich immer weiter lernen müssen. Jeder Fall, zu dem wir gerufen werden, kann so neu sein, daß andere Mittel erfunden werden müssen. So ging mir das ja in Resting Rock, wo ich bis heute froh bin, daß ich was von unsichtbarer Strahlung, Radioaktivität genannt, gehört habe. Sonst wäre ich wohl jetzt nicht mehr hier. Obwohl gerade dieser Einsatz der wohl gefährlichste in meinem bisherigen Leben war, hat er mir doch gezeigt, daß ich mich eindeutig richtig entschieden habe. meisterin Honeydew hat gesagt, ich könne gut mit werdenden Müttern umgehen. Ob ich deshalb aber ausschließlich für Mutter-Kind-Angelegenheiten zuständig sein möchte, wo es so viel gibt, was ich noch lernen und weiterentwickeln kann, weiß ich nicht. Auch stimme ich dem Kollegen Blueberry zu, daß ich mich immer noch sehr stark für Zauberkräuter interessiere, wie auch für Zaubertränke. Ich habe das Jahr genutzt, auch vor allem die Zeit im Zaubertranklabor und bei den Außeneinsätzen, um das gegeneinander abzuwägen, weil ich zwar gerne forsche, aber auch gerne andren Leuten helfe. Bei der Arbeit mit Patienten gibt es immer eine direkte Rückmeldung. Deshalb möchte ich schon gerne eine Möglichkeit nutzen, Zeit zur Forschung zu haben und mit Patienten zu arbeiten. Aus Gesprächen mit Großheilerin Herbregis, Großheiler Goldwater und Großheilerin Thornapple weiß ich, welche Vor- und Nachteile eine Anstellung hier in der Klinik oder eine Niederlassung hat. Ich könnte natürlich auch versuchen, Sprecherin Morehead um die Erlaubnis zu bitten, mich als vereinseigene Heilerin in einer Quidditchmannschaft, einer Firma mit gefährlichen Arbeitsgängen oder diesem Wadditch-Spiel zu bewerben. Doch im Moment kommt mir das so vor, als könne ich nur als niedergelassene Heilerin sowohl Zauberkräuter und -tränke erforschen und doch genug Übung im Umgang mit Hilfsbedürftigen Mitzauberen und -hexen kriegen. Aber solange keine Niederlassungen frei sind oder neu dazukommen werde ich mich hier zur Verfügung halten. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, daß ich von Woche zu Woche durch die Abteilungen wechseln kann, oder Monat für Monat, falls das geht. Falls nicht, würde ich mich dann doch eher für die Zaubertrankabteilung bewerben. Jedenfalls Danke ich Ihnen und euch allen für die besondere Förderung und umfangreiche Ausbildung."

"Das wäre nicht das erste Mal, daß in der Sano angestellte Heiler Projekte ausführen, ähnlich wie es ja jetzt im HIP-Jahr gehandhabt wurde", sagte der Direktor der Klinik. "Ich selbst habe derartige Trimesterprojekte durchgeführt. Das geht durchaus, wenn die für alle hier tätigen Heiler verbindliche Einsatzbereitschaft bei Personalmangel oder Großeinsätzen eingehalten wird." Aurora nickte. "Aber Sie würden eine Niederlassung bevorzugen, um vom Klinik-Betrieb abgekoppelt sowohl praktizieren als auch forschen zu können?" Aurora nickte sehr entschlossen. "Sie haben es erwähnt, daß derzeitig keine Niederlassung verfügbar ist. Aber bei Ihren Talenten findet sich hier ganz sicher etwas, um Sie nicht zu unterfordern."

"Zumindest solltest du Zunftsprecherin Laura Morehead anschreiben und ihr deine Überlegungen mitteilen, am besten als Anfrage", wandte Bethesda Herbregis ein, nachdem der Direktor fünf Sekunden geschwiegen hatte. Er nickte bestätigend, bat jedoch darum, den Dienstweg einzuhalten, also dieses Schreiben an ihn zu richten, solange sie sich in den Räumen der Sana-Novodies-Klinik aufhielt.Aurora sagte dies zu.

"Heiler Woodman", wandte sich Direktor Springs dann an Berthold, dem letzten, der seine Bewertung öffentlich entgegennehmen wollte. "Wie bereits bei den Abschlußprüfungen ersichtlich können Sie als Bereitschaftsheiler bestimmt gute Dienste für die australische Zaubererwelt leisten, wie Sie es ja bei dem Großeinsatz zu Halloween getan haben. Auch wenn ich es bedauere, daß Sie durch abfällige Bemerkungen Ihrem Kollegen Tom McCloud gegenüber einer umfassenden Disziplinierung bedurften, die die Kollegin Honeydew an Ihnen vornahm, haben Sie sich in diesem Jahr weiterhin als guter Nachwuchsheiler erwiesen und können von mir aus den weiteren Weg in unserer Zunft bestreiten. In welchem Zweig, weiß ich nicht. Vielleicht können uns Ihre Beobachter in diesem Jahr näheres erzählen." Damit gab er das Wort weiter an Bertholds ersten HIP-Beobachter. Nach diesem sprach Großheilerin Honeydew und erläuterte noch einmal die Disziplinierungsmaßnahme und daß Berthold doch noch gelernt habe, sich im Bezug auf postnatale Verpflichtungen nicht auf sein Geschlecht zu berufen, daß ihn scheinbar zu verächtlichen Reden verleitet habe. Berthold grummelte leise. Deshalb wollte Tom wohl auch nicht öffentlich bewertet werden. Bethesda Herbregis erwähnte dann noch, daß Berthold im Außeneinsatz überzeugende Arbeit geleistet habe. Berthold meinte dazu nur, daß er ganz bestimmt so schnell keine eigenen Kinder haben wolle, da er jetzt erst einmal genug von schreienden Babys habe. Er bedankte sich für die Anerkennung und überließ es Laura Morehead und Direktor Springs, welche Arbeit sie ihm geben konnten. Damit war die HIP-Endbewertung für die drei abgeschlossen.

Was Tom und Monica zu hören bekamen bekamen die anderen natürlich auch nicht mit. Aurora Dawn trug in ihr Tagebuch ein

28. Juli 1988

Hallo Wendy!

Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß keiner mich bei der HIP-Endbesprechung runtergemacht hat. Ich habe denen allen erzählt, daß ich wenn's ginge als niedergelassene Heilerin anfangen wolle. Ansonsten gäbe es hier Trimesterprojekte. Ich muß warten, was Laura Morehead schreibt. Der habe ich heute auch gleich geschrieben, wenngleich ich den Brief zunächst an Direktor Springs geschickt habe.

Vielleicht weiß ich morgen schon mehr.

Bis Morgen dann!

_________

Fünf Tage später, Aurrora arbeitete noch in der Abteilung zur Aufhebung verunglückter Zauber oder hartnäckiger Flüche, kamen zwei Briefe an. Einer war von Laura Morehead und bestätigte, daß der Wunsch nach beruflicher Ausrichtung berücksichtigt würde. Der zweite Brief war von Melissa Thornapple, deren Schreibschrift ein wenig gewöhnungsbedürftig war, weil sie leicht zur Seite gekippt aussah.

Hallo Aurora,

es hat mich doch sehr gewundert, daß du nach unserer so guten zusammenarbeit nicht gleich an mich gedacht hast, als der gute Vitus die HIP-Abschlußkonferenz einberief. Ich unterstelle dir mal, daß du viel um die Ohren hattest und daß du dich auf den ordentlichen Abschluß des Jahres konzentrieren möchtest. Nur ist das so, daß mich die gute Laura Morehead gestern zum Tee besucht hat und wir darüber gesprochen haben, was so dieses Jahr alles passiert ist. Sie suchen ja immer noch nach denen, die diesen Halloween-Metamorph-Masken-Fluch ausgebreitet haben. Außerdem war das sehr nett von dir, mir den Gleichwärmeumhang zu machen, weil ich mit diesem Zauber immer Probleme hatte. Wenn ich die Tradition noch irgendwie richtig im Kopf habe, kriegt ihr HIPs jetzt vier Wochen Ferien, bevor am 31. August die Eigenständigkeitsbestätigung überreicht wird. Ich gehe mal davon aus, daß du zunächst deine Eltern und Freunde besuchen möchtest. Wenn du das aber am zwanzigsten August einrichten kannst, noch mal nach Sydney zu kommen, wäre ich dir ziemlich verbunden.

Bis dahin

Schöne und erholsame Urlaubstage!

Melissa Thornapple

Aurora las den Brief noch einmal. Der Eindruck, den sie hatte, änderte sich nicht. Diese weißhaarige Heilerin, die ganze Generationen großer Heiler kommen und gehen gesehen hatte, schrieb sie an und war ein bißchen ungehalten, weil sie sich nicht direkt bei ihr gemeldet hatte. Wieso das? Sie war doch auch nur eine von mehreren Einsatzheilerinnen in Sydney und Umgebung gewesen. Dieser Brief hatte irgendwie auch so einen Unterton, daß sie, Aurora, verbindlich zusagen sollte, was für sie hieß, daß die ältere Hexe irgendwas bestimmtes von ihr wollte. Sie überdachte noch einmal, was sie über Mel Thornapple wußte. Daß sie die Urgroßmutter von Irma Thornapple war, jener Heilerin, die sie damals nach dem Zusammenstoß mit den Todessern in der Winkelgasse geheilt hatte. Das war die Zeit, wo sie mit Bernhard Hawkins gegangen war, die Sache mit dem Jungen Draco Malfoy, den sie in einem magischen Spielzeugladen gerettet hatte. Melissa Thornapple war seit sechzig Jahren die niedergelassene Heilerin von Sydney. Laut Bethesda Herbregis wollte sie nur dann in den Ruhestand gehen, wenn sie eine Heilerin fände, die ihren Ansprüchen genügte. bisher habe das keine geschafft. Also warum sollte ausgerechnet sie, Aurora Dawn, das schaffen? Dann mußte es also was anderes sein. Doch zunächst wollte sie den subtilen Vorschlag befolgen und eine Urlaubsreise in die alte Heimat machen.

__________

Aurora Dawn verbrachte anderthalb Wochen bei ihren Eltern. Ihr Vater war immer stärker auf sein Gebiet, die magische Vogeldressur festgelegt. Ihre Mutter bereiste das Land und hatte vor einem halben Jahr ein umfangreiches Arithmantikbuch herausgegeben, daß die wesentlichen Elemente dieses komplizierten Schulfaches in etwas übersichtlicherer Weise behandelte. Sie besuchte die Fieldings und Miriam Swann. Miriam war auch noch unverheiratet und arbeitete nun bei Dervish & Banges, dem Laden für magische Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände. Sie besuchte ihre Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits und bedankte sich noch einmal bei ihrer Oma Regan, daß sie die vier Portraitbilder gemalt hatte. Oma Regan sagte dann:

"Die gute Mel Thornapple hat sich in ihrer eigenen Sturheit gefangen, als sie darauf ausging, nur eine Heilerin als Nachfolge zu akzeptieren. Ich denke, die will jetzt wissen, ob du diese Heilerin bist. Falls ja, dann mach das mit der Niederlassung! Meine in Frieden ruhende Tante Silvestra hat als niedergelassene Heilerin in Sussex gearbeitet und zwischen durch viel Zeit für ihre Lieblingsfächer Zauberkunst und Tierwesen gefunden."

"Ich soll zu ihr hinreisen", sagte Aurora.

"Genau deshalb glaube ich, daß sie abklären will, ob du ihr Revier haben möchtest", sagte Regan. "Sie könnte meine Oma sein, und ich merke schon, daß ich keine ganz junge Hexe mehr bin, Kind."

"Dumbledore ist doch ähnlich alt", wandte Aurora ein.

"Nein, der ist ein paar Jahre jünger", sagte Regan. "Steht zumindest in "Eine Geschichte von Hogwarts" drin", fuhr sie fort.

"Jedenfalls wünsche ich für dich, daß du den Weg, den du bisher gegangen bist, aufrecht weitergehen kannst und nicht stolperst. Du hast dich zwar einer gestrengen Gesellschaft verpflichtet. Doch du wirst auch freudige Tage erleben." Mit diesen Worten verabschiedete Regan Dawn ihre Enkelin.

"Du hast eine Einladung bekommen, Aurora", begrüßte ihre Mutter sie, als sie abends von Petula Woodlane und ihrer Familie zurückkehrte. Die nun wohl eigenständig handlungsfähige Heilerin öffnete den Brief und fand darin eine teils mit der Hand, teils mit einer Druckmaschine verfaßte Einladung zur Hochzeit von Vivian Acer und Tim Preston. Also hatte es doch noch geklappt zwischen den Beiden. Die Hochzeit sollte am 17. August in Hogsmeade stattfinden. Aurora sagte natürlich sofort zu.

Zusammen mit Nelly Flowers, der jüngeren Schwester ihrer Jahrgangskameradin Cynthia, machte Aurora die Winkelgasse unsicher. Nelly sollte Vivians Brautjungfer sein. Tim hatte sich Agatha Priestley als Brautjungfer ausgesucht, Auroras zweitjüngste Cousine. Sie besorgte sich im Zaubertrankladen eine Menge Zutaten und rührte damit einige nützliche Tinkturen und haltbare Tränke an, die sie dem Brautpaar als Hausapotheke überreichen wollte. Leider fand sie hier keine wirklich wichtigen Zutaten für das Antidot 999.

Am siebzehnten war es dann soweit. Tims und Vivians Eltern hatten die ministerielle Genehmigung erhalten, von einem Zauberer aus der Verkehrsbehörde mit einem Ministeriumsauto nach Hogsmeade gefahren zu werden. Tims Eltern hatten zwar Streß gemacht, weil er nicht mit allen Verwandten in einer Kirche heiraten wollte. Doch Tim hatte ihm erzählt, daß er bestimmt nicht in einem Haus heiratete, das einer Religion geweiht war, welche die Magie als reines Teufelswerk ablehne. So hatten Tims Eltern die frühe Hochzeit mit einer Schulkameradin genauso geheimgehalten wie den Namen und die Unterrichtsfächer der Schule selbst.

Vivian trug ein strahlendweißes Satinkleid mit einer knapp drei meter langen Schleppe, die von den in goldenen Kleidern gehüllten Brautjungfern Nelly Flowers und Agatha Priestley getragen wurde. Tim trug einen dunkelblauen Anzug und einen Zylinder, den sein Vater von seinem Großvater geerbt und in Stand gehalten hatte. Die Prestons trugen elegante Muggelgarderobe, sie ein helles Kleid mit Rüschen am Kragen, Ärmeln und Saum, er einen graublauen Anzug mit langer Krawatte und einen modernen, schwarzen Hut. Die Acers hatten sich in Grün gekleidet. Aurora grüßte die Brautmutter noch einmal, bevor es auf den großen Gemeindeplatz ging, wo Dervish & Banges ein magisches Festzelt aufgestellt hatten, in dem mehrere Reihen vergoldeter Stühle mit himmelblauen Kissen hintereinander standen. Aurora setzte sich zu Cynthia, die wegen ihrer Schwester mit zu den geladenen Gästen gehörte. Auch Melinda Bunton war da, wie es Aurora schien etwas molliger. Sie dachte erst, die unbekümmerte, stets freundliche Hufflepuff-Zaubertrankmusterschülerin ihres Jahrgangs hwäre in anderen Umständen. Doch es stellte sich heraus, daß Melinda nur etwas reichlich von ihren neuen Produkten probierte. Sie war in die Süßwarenproduktion eingestiegen. Dann waren natürlich die Priestleys komplett anwesend, die sich zu den Flowers' setzten. Mindestens dreihundert Gäste beehrten diese Feier. Als alle da waren, trat Logophil Nodberry, der kleine, weißhaarige Zeremonienmagier in die Mitte des Zeltes, das mit sich windenden Luftschlangen, fröhlich flatternden Papierschmetterlingen und goldenen Leuchtballons geschmückt war. Er sprach zu dem Brautpaar und wies darauf hin, daß zum Weg zu zweit viel Vertrauen, Offenheit und Mut, aber eben auch viel Liebe und Mitgefühl gehörte. Da ploppte es vor dem Zelt, das noch jemand appariert war. Mr. Nodberry hielt inne und blickte zur Zelttür, wo gerade eine kleine, gedrungene Hexe in rosarotem Festkleid hereinkam. Sie hatte sich ihre erdbraunen Haare zu mehreren Zöpfen geflochten und blickte die Festgemeinschaft abbittend aus wolkengrauen Augen an. Sie nickte Nodberry zu und sah sich um, wer wo saß. Dann steuerte sie einen Freien Stuhl in der Nähe der Eltern des Brautpaares an, die ja als einzige Verwandten in der allerersten Reihe saßen. Nodberry fuhr fort, daß die Ehe zwischen einer Hexe und einem Zauberer wie der Horizont sei, der als feste Linie Himmel und Erde miteinander verband, und doch so weitläufig war. Dann stellte er dem Brautpaar die entscheidende Frage und erhielt von beiden ein "Ja, ich will" zur Antwort. Dann setzte ein Blechblasorchester ein, das sich bis dahin im hintersten Teil des Zeltes aufgehalten hatte. Es ging hinaus auf eine zur Tanzfläche umgewandelte Freifläche, wo einmal in der Woche der Markt abgehalten wurde. Dort wurde nun von Musikern aus Hogsmeade zum Tanz aufgespielt. Aurora tanzte mit dem glücklichen Bräutigam und erkundigte sich, ob er nun auch zu den Heilern gehen würde.

"Madam Newport hat mich schon angemeldet. Die kennt im St-Mungo-Hospital wen von der Bewerbungsriege der Heiler. 'ne Hebammenhexe hat geniale Kontakte. Ah, da ist sie ja."

"Hallo, Timothy. Hallo junge Kollegin. Ich erfuhr, daß du auch das praktische Jahr exzellent gemeistert hast. Schön zu wissen, daß unsere Zunft auch auf der anderen Seite der Welt eifrige und begabte Nachwuchsheilerinnen und -heiler erhält."

"Ich dachte, sie könnten nicht, weil bei einer Kundin von Ihnen heute was kleines ankommt", sagte Tim ruhig.

"Ist vor drei Stunden angekommen, eine kleine Hexe, schon ziemlich gut genährt, wohl um einen Tag übertragen, aber ansonsten gesund und Munter. Ich habe nur sichergestellt, das es Mutter und Kind gut geht. Ich werde wohl nachher noch einmal hinapparieren. Achso, Mr. Preston, darf ich fragen, ob Sie mir diesen Tanz schenken möchten?"

Aurora suchte ihren Cousin Philipp, der gerade mit Nelly Flowers getanzt hatte.

"Die Muggel haben komisch geguckt, als Nodberry den Funkenregen über die beiden ausgestreut hat. Die fühlen sich hier nicht so doll. Dieser Ministeriumsbrummwagen kommt erst gegen Mitternacht hier an, wenn auch Vivian und Tim sich verziehen."

"Stimmt, hat tim mir erzählt, daß er ein kleines Haus in St. Ottery and Catchpole erworben hat. Wie er das abbezahlt weiß ich zwar nicht. Aber wenn er wirrklich einer von uns wird, dann ginge das, falls die Zunft ihm seinen Wohnort als Niederlassung überläßt, könnte die Zunft ihm auch die Bezahlung übernehmen."

"Vielleicht Tims Vater aber auch was springen lassen", vermutete Philipp.

"Weiß ich nicht, und solange es keinen gesundheitlich gefährdet geht es mich auch nichts an", erwiderte Aurora ruhig. Dann fragte sie ihren Cousin, ob er sich gut im Ministerium eingewöhnt hatte.

"Hatte gestern Krach mit zwei Kobolden, die der Meinung waren, ein Zauberer hätte den silbernen Kelch abzugeben, den er verkaufen wollte. Das sei Koboldgefertigt und damit Eigentum des Schmiedes oder dessen Nachfahren." Aurora grummelte vernehmlich und sagte:

"Ach ja, der Eigentumsstreit. Kobolde sehen die Überantwortung ihrer Gegenstände nicht als Verkauf oder Schenkung sondern als Vermietung oder Leihgabe. Und was hast du dagegen gemacht?"

"Ich habe den Kelch beschlagnahmt, dem Zauberer eine Entschädigung dafür bezahlt und den Kobolden geraten, das mit dem Ministerium zu klären, weil der Kelch jetzt dem Ministerium gehörte. Dann habe ich einen taktischen Rückzug durch Apparieren gemacht. Wenn die bei uns auftauchen sind sie dran wegen versuchten Diebstahls. Soll sich der Typ vom Koboldverbindungsbüro mit denen rumzoffen."

"Klar", grinste Aurora Dawn.

Während der Feier konnte sie noch einmal mit Vivians Vater reden, der ein schlechtes Gewissen hatte, weil seine Eltern nicht eingeweiht worden waren.

"Ich tische denen auf, daß Tim mit Vivian nach Las Vegas durchgebrannt ist um da heimlich und schnell zu heiraten, weil mir Tim als Partie noch nicht so recht zusagte."

"Vivian will währen Tims Ausbildung beim Tagespropheten arbeiten", sagte Aurora.

"Wenn die das nicht schafft, was sie uns angedroht hat, daß Tim mit ihr vor Antritt seiner Ausbildung 'ne Kugel in den Lauf schiebt."

"Sie meinen, daß Vivian vor Tims Ausbildung ein Baby haben will", berichtigte Aurora Mr. Acer. Dieser sah die Junghexe und Heilerin verdrossen an. Dann meinte er: "Oder so, junge Dame."

Aurora konnte auch mit dem Vater des Bräutigams sprechen und meinte dann, daß diese Hebammenhexe Newport Tim schon irgendwelche Tricks verraten habe, wie er den optimalen Zeugungszeitpunkt bestimmen könne. Die Tricks kannte Aurora auch und meinte, die gingen auch bei Menschen ohne Magie.

"Nichts für ungut, junge Dame. Aber meine Frau und ich werden uns kein weiteres Kind zulegen. Ich kann trotz Schutzkleidung und Isolation nicht hundertprozentig ausschließen, daß ich nicht ein wenig mehr Gammastrahlung abbekommen habe und mein Erbgut dadurch leicht verändert ist."

"Schade, daß sie sich auch als Familienangehöriger eines Zauberers nicht von diesem Gift freimachen lassen können. Die Bestimmungen sind eindeutig, daß nur magische Erkrankungen oder magische Patienten von Heilern behandelt werden dürfen. Ich habe das ja selbst erlebt, daß es sogar geht, stark mit dieser Radioaktivitätsstrahlung belastete Leute davon zu heilen."

"Klar, Sie müssen nur den Zauberstab auf jemanden richten und sagen: "Verschwinde alle Strahlung".Aber ich bevorzuge da doch lieber einen Arzt aus ... meiner Welt."

"Zumindest solange Sie nur durch nicht-magische Sachen Probleme kriegen. Aber falls Ihnen was wie ein Fluch oder sowas passiert ... Wollen wir besser nicht beschreien", erwiderte Aurora.

"Neh, Lassen Sie mal!" Versetzte Mr. Preston, bevor die Mutter seiner Schwiegertochter ihn ansteuerte. Aurora zog sich zurück und genoß den Rest der Feier. Um Mitternacht gab es einen mächtigen Tusch. Dann durften Vivian und Tim in den weißen Rolls Royce vom Ministerium einsteigen, der sie nach St. Ottery and Catchpole bringen sollte. Aurora sprach dann noch einmal mit ihrer Tante June über das Für und Wieder von Niederlassungen.

"Bei einer Niederlassung bist du wohl nur dem Sprecher der Heilzunft verpflichtet. Klär das doch mit Madam Pomfrey oder Madam Newport!"

"Erstens weiß ich nicht, wo Madame Pomfrey gerade steckt. Zweitens muß ich diese Entscheidung ganz alleine treffen", erwiderte Aurora Dawn entschlossen. Ihre Tante June nickte mitfühlend.

Wieder zurück im Haus der Dawns vervollständigte Aurora noch ihr Tagebuch, während sie allen Kameraden in Gedanken Glück für ein langes Leben wünschte. Dann holte sie der Schlaf ein.

__________

Aurora war schon etwas mulmig zu Mute, als sie in einem hellgrünen Festumhang den plattierten Weg zwischen Apfel-, Birn und Kirschbäumen beschritt. Vor ihr lag ein kleines, aber gut erhaltenes Haus. Weißer Rauch stieg leicht wankend aus dem Schornstein. Dann erreichte sie die Haustür. Ein Glockenzug rechts der Tür lud zum Läuten ein. Doch sie hatte das dünne Seil gerade berührt, als die Tür aufschwang und Melissa Thornapple heraustrat.

"Ah, du bist pünktlich. Dann komm bitte herein, Aurora!" Diese bedankte sich und folgte der niedergelassenen Heilerin von Sydney. Es ging in ein gemütliches Wohnzimmer mit Kamin und einer richtigen Bildergalerie, keine Fotos. Sie zeigten wohl Melissas Vorfahren. Auf einem rosarot gedeckten Tisch standen eine silberne Teekanne, drei Gedecke und ein Teller mit Keksen. Laura Morehead, gekleidet in ihrer Sprecherinnengarderobe, saß bereits auf dem Platz rechts vom Stuhl vor Kopf. Melissa Thornapple schloß die Wohnzimmertür, um die winterliche Kühle im flur zurückzuhalten. Sie deutete auf den Platz links vor Kopf. Aurora nickte und setzte sich auf den bezeichneten Stuhl.

Als sie Tee und Gebäck vor sich hatte und sie erst über die letzten drei Wochen gesprochen hatten, wobei Melissa erwähnte, daß sie den Hauptschuldigen der Metamorph-Maskerade gefaßt hatten: "Cyprianus Riddley"

"Das ist doch nicht der Vater von Monica Riddley", erschrak Aurora Dawn.

"Nein, der Großvater väterlicherseits. Als das in der Zeitung stand wollte Monica mich darum bitten, Sie aus der Zunft freizusprechen, da nun, wo das im Umlauf sei, niemand mehr von ihr geheilt werden wolle. Ich habe das natürlich abgelehnt, weil ja nicht sie sich diese Untat zu Schulden hat kommen lassen und obendrein mitgeholfen hat, die von dem Fluch betroffenen zu behandeln. Wir Heiler kennen keine Sippenhaft und keine Blutrache, habe ich ihr unmißverständlich klargemacht. Da sie jedoch darauf bestehe, nicht in den Außendienst versetzt zu werden wird Beth eine sichere Beschäftigung für sie finden."

"Bethesda Herbregis?" Fragte Aurora.

"Sie weiß es schon seit vorgestern genau wie zehn andere Heilerinnen und Heiler. Ab dem ersten September ist Großheilerin Bethesda Herbregis die neue, leitende Direktrice der Sana-Novodies-Klinik für magische Krankheiten und Verletzungen."

"Wollte sie den Posten oder war kein geeigneterer Kandidat verfügbar?" Fragte Aurora.

"Sie wollte den Posten eigentlich nicht, weil sie lieber mit den Patienten arbeitet als mit den Buchhaltern. Ich habe ihr aber gesagt, daß sie sonst meinen Posten kriegen könne, und ich diesen Posten übernehme. So hoch wollte sie dann doch nicht gehoben werden." Die ehrwürdige Sprecherin der Heiler Australiens lächelte. Aurora konnte sich denken, daß die Aussicht einer noch höheren Beförderung eine Drohung für die resolute, strenge aber auch fürsorgliche Hexe gewesen sein mußte.

"Damit sind wir schon mitten im eigentlichen Thema", sagte Melissa Thornapple. Aurora horchte gespannt, ob sie noch was sagen würde. Doch Laura Morehead übernahm es:

"Ich habe deinen Antrag auf Vermittlung einer Niederlassung mit den Leistungen von dir geprüft und die Bestätigung gefunden, daß du durchaus eine eigene Wirkungsstätte haben solltest, falls du nicht in einer der vier dich umwerbenden Abteilungen der Sana-Novodies-Klinik anfangen möchtest."

"Welche? Zaubertränke, Pflanzen und Notfalltruppe. Aber die vierte?"

"Die Mutter-Kind-Abteilung. Amalthea meinte, du hättest dich als eine zielgerichtete, nicht überstrenge Geburtshelferin ausgezeichnet", sagte Laura Morehead. Da meinte Melissa Thornapple:

"Mrs. Portland hat übrigens gefragt, ob du dir den kleinen Elwood noch mal angucken kommen wolltest. Du seist ja damals sehr eilig abgereist, weil ihr Mann dich nicht mehr hätte dahaben wollen."

"Das muß ich mit meinen Terminen klären. In elf Tagen ist ja die Übergabe der Zertifikate in Canberra."

"Bis dahin ist noch genug Zeit, alles wichtige zu klären", sagte Melissa Thornapple ruhig. Aurora fand es jetzt an der Zeit, konkret zu fragen: "Nichts für ungut, Mel, aber warum hast du mich so verbindlich zu dir eingeladen?"

"Klare Frage, klare Antwort. Ich will dich, Aurora."

"Bitte was?" Entschlüpfte es Aurora Dawn. Laura verzog das Gesicht und wiegte den Kopf, sagte aber nichts.

"Du hast richtig gehört. Ich will dich. Ich will, daß du meine Nachfolgerin wirst. Ich habe dich lange genug miterlebt, deinen Werdegang in Hogwarts bis zur Vereidigung als Heilerin nachvollzogen und mich oft genug mit unserer guten Laura Morehead unterhalten, daß du meine Bedingungen für meinen geordneten Rückzug in den Ruhestand erfüllst."

"Ich bin gerade erst mit der ganzen Ausbildung und dem HIP-Jahr durch. Deine Hauspatienten könnten finden, daß ich noch nicht die Kompetenz habe", wandte Aurora ein. Doch sie wußte, daß sie bereits am Haken hing. Und Melissa hatte noch nicht einmal einen Köder benötigt, um sie anbeißen zu lassen.

"Du hast bereits eine - wie nanntest du es? - Hauspatientin. Amalia Portland. Ich habe sie im Grunde nur zur Überwachung übernommen."

"Das war ein Notfalleinsatz, Melissa", versuchte Aurora weiterhin, sich und andren etwas auszureden, was sie eh schon längst beschlossen hatte.

"Ja, aber du warst da, wo ich noch zusehen mußte, Fahrt aufzunehmen", erwiderte Melissa Thornapple. "Viele Zaubererfamilien hier haben dich kennengelernt und sich mit mir darüber unterhalten, ob du von mir ausgebildet würdest, mir zu assistieren. Da du ja auf Grund von Beths Weisung niemandem erzählt hast, daß du Heilerin im Praktikum bist, gehen viele davon aus, daß du als Verstärkung für mich herangezogen wurdest. Ich kenne hier genug Leute, die hinter meinem Rücken tuscheln, warum ich immer noch praktiziere. Einige davon habe ich selbst auf die Welt geholt, Väter, Töchter und Enkel. Nicht daß ich außer einigen körperlichen Beschwerden nicht fähig wäre, diese Tätigkeit noch ein paar Jahre auszuüben. Ich habe hier viele gute Hexen und Zauberer um mich herum. Doch ich wollte gerne noch einmal eine Weltreise unternehmen und meine Memoiren weiterschreiben, bevor ich mich der Muße des Alters überlasse. Ich habe Zauberer getroffen, die in meinem Alter kein Gehör mehr besaßen, Hexen mit durch Gicht verkrüppelten Fingern, die keine manuellen Tätigkeiten mehr ausführen konnten und am schlimmsten die, deren geistige Fähigkeiten nachlassen. Auch ich merke schon, daß es mir schwrer fällt, Dinge zu erinnern oder Aufgaben zu lösen. Hätte ich dich dieses Jahr nicht gefunden, wäre ich wohl auf diesem Posten geblieben, bis mir ein Kollege bescheinigt hätte, daß ich meine Arbeit nicht mehr ausüben darf. Du hast Mab Creekstone kennengelernt. Wesentlich jünger als ich, aber durch die Isolation immer mehr verkümmert. Ihr mußte jemand sagen, daß sie ihre Pflicht vergessen hat und nicht mehr weiter ausüben darf. Ich hege jetzt die Hoffnung, daß mir eine derartige Demütigung erspart bleibt."

"Du hättest dich doch früher schon zurückziehen können", meinte Aurora leicht vorlaut. Laura Morehead nickte jedoch zustimmend.

"Sie hat es abgelehnt, meine Nachfolgerin zu sein", schnarrte Mel und deutete auf die Sprecherin der Heilerzunft. "Sicher, als Organisationstalent, Weltgewandt und auf die Förderung des ganzen bezogen ist eine niedergelassene Heilerin kein wichtiger Posten. Aber für die Hexen und Zauberer und ihre Muggel-Ehepartner war und bin ich bis jetzt eine der wichtigsten Personen überhaupt." Sie warf Laura einen finsteren Blick aus den dunkelgrünen Augen zu. Diese blickte jedoch gelassen zurück. "Hinzu kam bei vielen die Abneigung gegen das Heilkräuterwissen der Muggel und daß dieses ohne jede Magie angewendet werden kann. Ich weiß, daß du dich mit dieser Thematik sehr gut beschäftigt hast, als du in Hogwarts warst."

"Von wem weißt du das denn?" Fragte Aurora, der die weißhaarige Hexe nun doch langsam unheimlich wurde.

"Von Benefica Newport, die es von ihrem derzeitigen Nachhilfeschüler Timothy Preston erfahren hat. Das ist kein großes Kunststück gewesen." Aurora nickte. Sie hatte sich quasi über Tim Preston ausgeliefert. Doch sie hatte eh nicht vor, weiter gegen dieses Angebot zu kämpfen, falls das bisher danach ausgesehen hatte.

"Ich müßte deine Muggel-Patienten übernehmen, nicht wahr? Aber als Heilerin darf ich das nicht, und für die Muggel wäre ich eben nur eine Kräutermischerin, wie sie sie im Mittelalter als Hexen vertäufelt hatten."

"Dieses Jahrhundert bietet für alternative Heilmethoden wieder viel Raum. Wer nicht mehr weiß, was in den kleinen Kapseln oder Pillen drin ist, aber einer erfahrenen Kräuterhexe zusehen kann, wie sie eine für ihn verträgliche Mischung anrührt, wird sich nach anfänglicher Skepsis bald für die direkte Zusammenstellung entscheiden. Ich habe das so gelernt, weil ich nicht mehr einsah, daß wir nur eine Sorte Menschen hier wohnen haben. Bei dir kommt noch hinzu, daß du Muggelkunde in der Schule hattest und daher einiges mehr kennst als ich. Deshalb konnte ich die gute Laura überzeugen, daß du meine Nachfolgerin werden sollst, Aurora Dawn. Das steckt doch schon in deinem Namen vorn wie hinten. Du stehst für jeden neuen Tag, für das Ende von Dunkelheit und Angst, für die Frische jedes Lebens. Und ich weiß, daß du dich nur deswegen zierst, weil du fürchtest, die anderen könnten dir vorhalten, mich verdrängt zu haben oder von der guten Laura hier auf meinen Platz gesetzt worden zu sein, weil ich nicht freiwillig gehen wollte. Dem können und werden wir abhelfen, indem wir beide eine ordentliche Übergabe meiner Zuständigkeit vollziehen, alle relevanten Hexen und Zauberer in meinem bisherigen Einsatzbereich besuchen und mit ihnen darüber sprechen. Wenn du das schaffst, was du bei Amalia Portland geschafft hast, mache ich mir keine Gedanken. Also wirst du mir den Gefallen tun, und mich in dem beruhigenden Gefühl in den Rest der Welt ziehen lassen, daß ich hier niemanden im Stich lassen muß und jemand da ist, die meine bisherigen Aufgaben genauso gut erfüllen kann?"

"Ja, ich will", sagte Aurora Dawn, als sei sie gerade gefragt worden, ob sie heiraten wolle. Laura Morehead nickte und lächelte. Melissa Thornapple reichte Aurora die rechte, runzelige Hand und drückte sie.

"Ich werf dich nicht ins kalte Wasser, Aurora. Wir gehen rum, damit du weißt wer hier alles wohnt."

"Öhm, wo wohne ich denn dann? Hier?" Fragte Aurora.

"Da dies das offizielle Haus der Heilerzunft ist ja", erwiderte Melissa Thornapple. "Alle unterlagen und das Zaubertranklabor sind hier. meine eigenen Sachen habe ich in zwei Stunden zusammengepackt."

"Ich habe hier keine Gewächshäuser gesehen", sagte Aurora.

"Ist zu schwer, an Wasser zu kommen um sie zu betreiben", sagte Melissa Thornapple. "Ich beziehe alle nötigen Sachen aus der Klinik oder der Sonnenstrahlstraße." Aurora hatte den Haken gefunden, der die Sache etwas unangenehm machte. Aber jetzt hatte sie zugestimmt. Sie würde also immer wieder zu den Gärten der Klinik müssen, um Wirkstoffe zu beziehen. Daran mußte sie was ändern, wenn sie erst einmal richtig hier etabliert war.

"Dann verbleiben wir, daß ich bei der Verkündung eurer vollständigen Zulassung dich als neue Residenzheilerin für Sydney benennen werde", sagte Laura Morehead. Aurora nickte.

__________

In den nächsten Tagen führte Melissa Thornapple Aurora ihren Nachbarn vor, die im Umkreis von zweihundert Kilometern lebten. Einige kannten sie ja schon von den Noteinsätzen. Die Portlands entschuldigten sich noch einmal, weil sie den Eindruck erweckt hatten, als sei Aurora unfähig gewesen. Sie lächelte warmherzig und bemerkte, daß ein Elternpaar, daß gerade eine riskante Geburt miterlebt durchaus Angst vor Fremden haben muß.

Am Einunddreißigsten August beurkundete Laura Morehead vor Zeugen, darunter Wilhelmina Whitecastle, Vitus Springs und Melissa Thornapple, daß die fünf vereidigten Heiler sich bewährt hätten und nun das Werk frei von schützenden oder hemmenden Grenzen ausüben dürften. "Semper pro bono, salus ubique!" Sprach Laura Morehead auf jeden einzeln ein. Die nun vollwertigen Heiler mußten diesen lateinischen Wahlspruch wiederholen. Dann wurden ihnen die Dokumente überreicht, die ihre ersten Schritte in die Zukunft als eigenständige Heiler darstellten. Aurora Dawn zog noch am Abend in Melissas Amtshaus um. Das nur Bäume darum herumstanden störte sie. Doch wenn sie in dieser Gegend keine gescheitere Bewässerung fand, konnte sie auch keine Gewächshäuser und Freibeete anlegen. So fies das auch für sie war, sie hatte ein Haus, wo sie das Wasser mit dem Zauberstab ins Glas beschwören mußte. Aber sie nahm sich vor, Melissa und die hintergründig lächelnde Laura Morehead nicht zu enttäuschen.

Die erste Nacht in einem Bett, daß nicht ganz ihr eigenes war und doch das eigene Bett, dachte sie an Hogwarts und die Sano. Seit dem sie in Hogwarts gewesen war, hatte sie immer unter fremden Dächerngeschlafen. Sie mußte es schlicht probieren und fiel in einen wohltuenden tiefen Schlaf, den ersten als voll anerkannte Heilerin.

ENDE

Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 1. August 2009 besuchten 4993 Internetnutzer diese Seite.