ANERKENNUNGEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

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Vorige Story

P R O L O G

Die junge Heilerin Aurora Dawn gewöhnt sich nach der harten, teilweise aufreibenden, aber auch abwechslungsreichen Ausbildung an den Alltagstrott einer niedergelassenen Heilhexe. Die ersten Wochen und Monate verbringt sie noch zusammen mit der betagten Heilerin Melissa Thornapple in ihrem der Zunft gehörigem Haus bei Sydney, wo sie mehr und mehr die üblichen Aufgaben übernimmt. In der Zeit lernt sie auch, ohne Zauberkraft zu behandeln, beispielsweise einfache Heiltränke aus nichtmagischen Kräutern oder Salben aus auch Muggeln vertrauten Zutaten zu mischen und leistet bei vier Hexen und fünf Muggelfrauen Geburtshilfe. Der Eindruck, auch ohne Magie wichtige Behandlungen ausführen zu können gibt ihr ein Gefühl von Ehrfurcht und Anerkennung vor dem Leben. Es ist Sommer, kurz vor der Weihnachtszeit, als Heilerin Thornapple sich ganz aus jeder Behandlung zurückzieht und ihren Ruhestand antritt, den sie weit ab vom heißen Kontinent in Kanada verbringen möchte, wo sie noch einen Vetter und fünf Urgroßneffen wohnen hat. Sie stellt Aurora ein sehr großes Lob aus, daß sie wirklich die Nachfolgerin ist, die sie sich gewünscht hat. Aurora ist nun ganz auf sich alleingestellt.

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6. März 1989

Hallo Wendy!

Heute ist Laura Morehead noch einmal zu mir gekommen, um sich anzusehen, wie gut ich die Angelegenheit mit den Cales bewältigt habe. Ich habe dir ja erzählt, daß der jüngere Sohn von Justin und Ginger mit einem Muggelauto durchgebrannt ist, weil er wissen wollte wie sich das fährt. Na ja, wie das ausging weißt du ja. War schon sehr schwer, den wieder von allen Brüchen und Verletzungen zu heilen, die er sich beim Unfall mit dieser Maschine zugezogen hat. Abgesehen davon, daß die Muggelpolizisten gedächtnismodifiziert werden mußten, daß der Autowagendieb den Unfall unverletzt überlebt hat und flüchten konnte, steht Justin wohl ein Prozeß wegen schweren Diebstahls in Tateinheit mit unsachgemäßer Benutzung ihm nicht vertrauter Muggelartefakte bevor. Laura erwähnte, daß es wohl sinnvoll für die Cales sei, die Region oder besser den Kontinent zu wechseln, wenn Justin aus Ballibong wieder rauskommt. Sie rechnet mit mindestens zwei Jahren Haft in diesem "Termitenbau", wie sie das hiesige Zaubereigefängnis nennt. Die Cales sind jedoch davon überzeugt, Justin sei von einem ehemaligen Klassenkameraden aus dem Haus Shadelake unter Imperius genommen und zum Diebstahl dieses Selbstfahrwagens gezwungen worden. Wird schwer sein, das zu beweisen oder zu widerlegen.

Heute ist auch ein Brief von Tim und Vivian angekommen. Tim hat das erste Halbjahr seiner Heilerausbildung geschafft, und Vivian ist in der zehnten Woche schwanger. Ich schicke Ducky gleich noch los. Schön, daß ich sie hierherholen durfte. Erspart mir doch einiges an Postgebühren.

Jetzt ist es halb zwölf. Ich lege mich jetzt besser hin. Hoffentlich will Maureen McFees Baby nicht ausgerechnet diese Nacht ankommen. Dann kriege ich den nötigen Schlaf. Nacht Wendy!

Aurora hörte noch das protestierende Heulen ihrer Posteule Duchess, als sie im smaragdgrünen Feuer ihres Kamins verschwand. Wieder war sie allein in diesem Haus, das ihr seit den Weihnachtstagen als Wohn- und Behandlungsstätte zur Verfügung stand. Sie dachte noch daran, wie oft sie sich seit Antritt ihrer Heilerinnentätigkeit mit der über hundertfünfzig Jahre alten Hexe Melissa Thornapple unterhalten hatte. Sie dachte immer wieder daran, wie sich Mel Thornapple verabschiedet hatte. Die weißhaarige Hexe mit den dunkelgrünen Augen hatte sie sehr zufrieden angesehen und gesagt: "Ich freue mich, daß ich die würdige Nachfolgerin gefunden habe, die ich seit mehr als zwanzig Jahren gesucht habe. Jetzt kann ich in Frieden den Rest meines Lebens genießen und mir noch ein wenig die Welt ansehen, bevor ich die allerletzte Reise antrete. Ich freue mich, daß ich nicht hier in diesem Haus aus dem Leben scheide und es somit weiterhin ein Hort des Heils und des Lebens bleibt. Ich wünsche dir bei allem, was du in den nächsten Jahren erlebst und erfährst mehr glückliche als traurige Stunden, wenngleich ohne traurige Stunden das Glück nie recht gewürdigt werden kann! Unsere und damit jetzt deine Hauspatienten haben dich als meine Nachfolgerin akzeptiert und somit keinen Grund mehr, mich zu vermissen, wenn ich zu meinem Vetter Elrick reise. Mal sehen, wie lange wir uns gegenseitig aushalten! Weiterhin viel Erfolg und Freude in unserer erhabenen Zunft!" Sie hatte Aurora wie eine Enkeltochter umarmt, auf die Wangen geküßt und dann ihren auf acht spinnengleichen Beinen laufenden Riesenkoffer hinter sich hergepfiffen, eine Erfindung, die ihr Schwager vor vierzig Jahren für sie alleine gemacht hatte. Acht Schlösser aus verschiedenen Metallen von Eisen bis Gold konnten acht verschiedene Stauräume auf- und wieder verschließen, wo ein ganzer Hausrat untergebracht war. Aurora hatte Mel noch zusehen können, wie sie den Koffer in ein Tragegeshirr zwischen zwei Besen gehängt und einen davor gespannten Reitbesen bestiegen hatte. Das weiße, im Flugwind flatternde Haar und der ebenso vom Wind gebauschte, gleichwarm bleibende Reiseumhang waren die letzten Dinge, die Aurora von ihrer Gönnerin zu sehen bekommen hatte.

der frühe Herbst der Südhalbkugel stand vor der Tür. Die den plattierten Zuweg zum kleinen Haus säumenden Obstbäume trugen bereits die ersten gelben Blätter. Aurora fand es erstaunlich, wie gut sich europäische Pflanzen auf die umgekehrte Jahreszeitenabfolge umstellen konnten. Andererseits hatten Pflanzen keine Ahnung von Kalendern, sondern wuchsen und verblühten im Wechselspiel der Tageslichtmenge und Temperatur, unabhängig, ob es März oder Oktober war. Aurora genoß noch einmal die laue Nachtluft und betrachtete den über ihr gewölbten Sternenhimmel mit dem Kreuz des Südens und den meisten Europäern so exotischen Sternbildern, die nichts mit den für die Astrologie wichtigen Tierkreiszeichen zu tun hatten. Fünf Minuten blickte sie aus dem Fenster. Dann zog sie sich in das Schlafzimmer zurück, daß sie seit ihrem Arbeitsbeginn benutzte. Melissas Schlafzimmer war seit ihrer Abreise unbenutzt. Aurora hatte einen Zauber auf die Fenster gelegt, daß der Raum alle sechs Stunden für zehn Minuten durchgelüftet wurde. Mehr wollte sie mit und von dem Zimmer nicht. Irgendwie empfand sie es als unrichtig, es zu übernehmen, wo sie bereits den Rest des Hauses wohl oder übel beanspruchen konnte. Es war ihr an Tagen, an denen niemand was von ihr wollte vorgekommen, daß sie trotz einer umfangreichen Bibliothek, die ihr die Zunft finanziert hatte meinte, die Decke würde ihr auf den Kopf fallen. Sie hatte nach Mels Weggang angefangen, dem Haus eine andere Prägung zu geben, die irgendwas mit ihr selbst zu tun hatte. Doch es war immer noch nicht ihr Haus, in dem sie, Aurora Dawn, nicht nur arbeitete. Sie hatte zwar schon ein paarmal Heather und von dieser vorgestellte Bekannte zu Besuch gehabt, aber das nie so recht als Einweihungsfest oder Inbesitznahme des Hauses empfunden. Das wirklich erfüllende war die Arbeit mit den patienten und ihre Sprachstudien. Neben Französisch lernte sie nun auch Spanisch und einige Dialekte hier lebender Eingeborenenstämme. Wenn es ihr gar zu eng im Haus wurde und sie keine Sprechstunde oder Hausbesuche einzuhalten hatte, flog sie auf ihrem Himmelsstürmer 3, den sie sich hier besorgt hatte in den Busch hinaus. Ihr Vater hatte sie zwar gefragt, warum sie sich keinen neuen Nimbus 1500 oder gar den neuen 1700er besorgen wollte. Doch Aurora brauchte einen Ausdauer- und Tragebesen, der vielleicht nicht so schnittig und schnell war, dafür jedoch belastbar war. Womöglich würde sie sich demnächst noch einen richtig großen Einkaufsbesen besorgen, um im Busch gesammelte Pflanzen oder Giftproben besser transportieren zu können.

Aurora blickte auf ihr Portrait im Schlafzimmer. Das Bild war jedoch gerade leer. Ihr gemaltes Ich war also in Europa bei ihren Eltern oder bei Petula Woodlane. So blieb ihr nur, das ihrem Tagebuch Wendy angekündigte wahrzumachen und sich hinzulegen.

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"Wie soll der Kleine heißen, Maureen?" Fragte Aurora, als sie am neunten März einem kleinen Jungen auf die Welt geholfen hatte. Maureen McFee, eine Hexe mitte Vierzig, rothaarig und mit himmelblauen Augen auf das kleine rote Bündel Menschenkind blickend, das gerade in ihre Arme gelegt worden war, mußte jedoch noch einige Sekunden verschnaufen, um die Anstrengungen der Geburt zu überwinden und ihren dritten Sohn und ihr viertes Kind überhaupt richtig zu würdigen. "Glenn möchte ihn gerne nach seinem Urgroßvater Donovan nennen. Ich möchte ihm dazu noch den Namen meines Großvaters väterlicherseits geben, also zusammen Donovan Brandon", sagte Maureen nach einer Minute, während der neue Erdenbürger bereits ausprobierte, wie er die Nahrung der ersten Lebensmonate zu sich nehmen konnte. Aurora trug den Namen ein und holte dann den glücklichen, aber sichtlich nervösen Vater und die zwei anderen Söhne hinzu. Die kleine Tochter Tara war ja gerade erst zwei Jahre alt und schlief bei den Großeltern in Perth.

"Sahen wir echt alle mal so aus?" Fragte Jamy, der älteste Junge, der in wenigen Wochen seinen sechsten Geburtstag feiern würde. Aurora nickte ihm lächelnd zu. Brian McFee bedankte sich bei Aurora und dann auch bei seiner Frau, daß der Kleine wohlbehalten angekommen war.

"Ich hoffe, wir haben Sie nicht zu lange aufgehalten, Ms. Dawn", sagte Brian noch, als Aurora ihm den Namen des Kleinen mitgeteilt hatte. Diese schüttelte den Kopf und sagte nur, daß sie ja dafür da sei. Dann meinte sie noch: "Im Moment geht es den anderen gut genug, daß sie ohne mich zurechtkommen. Liegt wohl auch daran, daß die von mir verordneten Heiltränke besser wirken als ich dachte."

"Mel sagte ja schon, daß Sie da sehr gut drin sind", erwiderte Brian McFee.

"Stimmt das, daß hier in der Gegend ein Bundabundoweibchen mit Jungen gefunden wurde?" Wollte Brian wissen.

"Ja, Stimmt, ich hatte in den letzten zwei Wochen einige Jäger und Jägerinnen zu behandeln oder in die Sano zu schicken. Diese Leute wollen ja nicht hören, weil die Galleonen locken, die ein abgezogener pelz einbringt. Ich hoffe mal, daß Sie derartige Abenteuer nicht locken können, Brian."

"Ich bin beim Stern des Südens bestens aufgehoben", sagte Brian. "Gut, jetzt mit einem mehr im Haus wird's ein wenig enger mit dem Gold. Aber meine Kinder hätten nix davon, wenn ich beim Bundabundojagen Hände oder sonst was einbüße. Da schreibe ich lieber über die Sparks. Die kriegen doch bald 'ne neue Spielerin. Pamela Witfield."

"Ach, steht das schon in der Zeitung?" Fragte Aurora. Sie wollte und durfte nicht bestätigen, daß sie die neue Spielerin schon in ihrer Patientenkartei hatte, weil sie im Westen Sydneys einen Bungalow zugeteilt bekommen hatte. Die übereinkunft zwischen den mannschaftseigenen Heilern der Sparks und ihr als nun einzige niedergelassene Heilerin hier besagten, daß sie die neue Spielerin außerhalb der Trainings- und Spielzeiten betreuen sollte. Die beiden Hexen hatten schnell einen guten Kontakt zueinander bekommen. Doch davon durfte sie dem Reporter des Sterns des Südens nichts erzählen, weil das das Vertrauensverhältnis zwischen Heiler und Patienten verletzte. So tat sie so, als sei ihr das im Moment noch relativ neu.

"Nun, ich denke, wenn Pamela sich hier eingerichtet hat, werden Sie sie wohl mal zu sehen kriegen. Ich habe bereits einen Interviewtermin mit ihr vereinbart. Das werden Sie dann wohl in der Zeitung lesen", sagte Brian McFee. Aurora nickte lächelnd. Dann meinte sie noch: "Aber zunächst werde ich wohl davon lesen, daß ihr dritter Sohn angekommen ist, nicht wahr?"

"Wenn er etwas weniger eingedellt aussieht als jetzt", meinte Brian und deutete auf den durch die Geburt noch leicht deformierten Kopf des Jungen. Seine Frau grummelte, daß das schon weh genug getan hatte, und der Junge wohl in einem oder zwei Tagen einen unversehrten, runden Babykopf haben würde. Das bestätigte auch Aurora Dawn und deutete auf einen blauen Strampelanzug mit dem weißen Funkenmuster der Sydney Sparks. "Am Besten ziehen Sie ihm den an, wenn Sie ihn präsentieren möchten, Brian."

"Aber ganz sicher tue ich das", erwiderte der stolze Vater strahlend. Aurora Dawn prüfte dann noch mal, ob der durch die Niederkunft strapazierte Unterleib Maureens keine weitere Nachbehandlung benötigte, verabschiedete sich von den McFees und kehrte in ihre Niederlassung zurück, wo sie bereits drei Briefumschläge fand. Eine Hexe aus dem Viertel um die Oper bat um eine Untersuchung, weil sie für mehrere Monate nach Indien reisen wollte. Ein zauberer wollte eine heilkundliche Tauglichkeitsurkunde haben, daß er zu den Katastrophenumkehrzauberern des Ministeriums gehen konnte, und ein Ehepaar aus dem Süden Sydneys bat um eine Untersuchung, ob sie beide zur Zeugung von Kindern fähig waren, weil sie laut Begründung schon seit mehr als zehn Monaten versuchten, einen Nachkommen auf den Weg zu bringen. Aurora hatte es von anderen Heilern gehört, daß sie nun auch prüfen konnten, ob bestimmte Keimzellen miteinander lebensfähige Embryonen erzeugen konnten. Melissa hatte ihr noch eine Rezeptur für einen Trank verraten, mit dem sie mögliche Störfaktoren bei dem potentiellen Vater oder der Mutter sanft und ohne Fortuna-Matris-Trank ausräumen konnte. Sie hatte auch schon reine Muggelehepaare da gehabt, die den magielosen Heilkünstlern nicht trauten und wissen wollten, ob es rein pflanzliche Sachen gab, um eigene Kinder hinzubekommen. Aurora schickte dafür drei der fünf ihr von der Zunft zugebilligten Eulen los. Damit war die nächste Woche wieder ausgelastet. Sie ging dann noch daran, in ihrem Labor einen Verdauungsförderungstrank auf Vorrat zu brauen. Von dem Antidot 999 hatte sie gerade erst wieder einen größeren Vorrat zusammenbekommen. Die giftigen Zutaten zu bekommen war nicht einfach, obwohl es in Australien die giftigsten Tiere der Welt gab. Doch einzelne Phönixtränen waren nicht so leicht zu kriegen, weil diese Wundervögel nicht in einer Tour weinten und sich auch nicht wie Milchvieh melken lassen konnten. Basiliskenzähne bekamen sie von der Sano aus Griechenland, wo hochbezahlte Jäger diese Tiere aufstöberten und unter großer Gefahr die hochgiftigen Reißzähne erbeuteten, oftmals ohne die gefährliche Riesenschlange mit den todbringenden Augen zu töten. Denn Basilisken kamen dann doch nicht so häufig vor. Die pulverisierten Zähne und einzelne Phönixtränen hoben einander auf. Dabei entstand jedoch auch die Wirkung, gegen jedes Schlangengift immun zu machen. In Abstimmung mit anderen Giften und deren Gegenspielern wurde so ein Breitbandmittel gegen 999 von 1000 in der Natur vorkommenden Tier-, Pflanzen- und Vergährungsgiften zusammengestellt. Für Leute, die im Busch arbeiteten war es eine Art Lebensversicherung, die die betreffenden sich auch was kosten ließen. Aurora war sehr stolz, daß sie Bethesda Herbregis' Rezeptur so gelungen nachbrauen konnte. Gemäß den Heilerstatuten, wie viel von einer hochpotenten Behandlungsmixtur gerade hergestellt worden war, schrieb sie die Menge und die Abgabe der Mittel auf, die sie selbst braute, trug die zusätzlichen Bezahlungen ein, von denen sie der Zunft etwas abzugeben hatte und fügte noch an, ob die Tränke und Salben vorbeugend oder zur direkten Behandlung auftretender Krankheiten verabreicht wurden.

Ihr Heilerarmband vibrierte, als sie gerade den letzten Schritt des Brauvorgangs eingeleitet hatte. Das kannte sie schon, daß sie dann den Trank mit einem Zauber belegen mußte, der die foranschreitende Entwicklung unterbrach, ohne anschließend die Endwirkung zu verderben. "Progressum inhibito pro Tempore", sagte sie, mit im Uhrzeiger einmal den halben Kessel abzirkelnder Zauberstabbewegung. Mit einem kurzen rötlichen Flackern erstarrte der gerade brodelnde Trank. Um ihn nicht durch das unter dem Kessel prasselnde Feuer zu heiß werden zu lassen löschte sie dieses mit einer ungesagten Brandlöschzauberei. Dann besann sie sich auf den Ursprung des Notrufzaubers und disapparierte aus ihrem Haus.

Als sie eintraf sah sie drei Zauberer, denen sie schon einmal begegnet war. Das war zu Halloween in ihrem HIP-Jahr gewesen, die erste Begegnung mit Melissa Thornapple. Diesmal hatten die für magischen Unfug weithin bekannten Burschen es hinbekommen, daß zwei miteinander zu einem doppelköpfigen, faßartig geformten Ungetüm verschmolzen waren. Das Gebilde besaß zwei Arme und Beine, die jedoch länger und klobiger geformt waren als üblich. Aurora mußte sich arg beherrschen, nicht verärgert oder schadenfroh auszusehen. Geistesgegenwärtig warf sie einen Antidisapparierfluch auf die körperlich scheinbar zu einer Einheit zusammengefügten und erwischte den noch unversehrten gerade noch, als dieser Anstalten machte, sich abzusetzen.

"So schnell kommt ihr drei mir diesmal nicht aus", knurrte sie. "Wir kennen uns ja noch, die Herren. Mein Name ist Aurora Dawn. Haben die Herren mal wieder ein Experiment unternommen, um uns Heilern neue Einblicke in die Welt magischer Verunstaltungen zu geben?" Fragte sie. Dann stellte sich noch ihre Kollegin Daisy Nettles aus der Sano ein. Diese verbarg ihr schadenfrohes Lächeln nicht, als sie sah, daß der dritte zauberer der sonst so aberwitzigen Dreierbande nicht so toll dreinblickte.

"Hatten wir lange nicht mehr", sagte Daisy und sah dann Aurora an. "Kriegst du die beiden Clowns auseinander oder sollen wir die besser zu uns bringen?"

"Eine eingeschlechtliche Körperverschmelzung. Was hatten Sie denn vor, die Herren Halligan, Nuckles und Bellrope?"

"Verdammt, wir wollten nur herausfinden, ob sich Intercorpores permuto auch dann noch aufrufen läßt, wenn sich zwei zu Gleich damit zu treffen versuchen. Ich bin übrigens nicht Adam Nuckles, sondern Rico Bellrope", sagte der einzig unversehrt aussehende Zauberer.

"Ach du meine Güte", sagte Daisy, ihre professionelle Distanz etwas vernachlässigend. "Kleine Jungs, kleine Schrammen. Große Jungs, heftige Verletzungen!"

"Haha", grummelte Bellrope. Der Kopf der wie Bellropes Kopf aussah sagte dann: "Ich bin Fion Halligan." Der Kopf, der wie der von Fion Halligan aussah sagte dann "Und ich bin Adam Nuckles, verdammt noch mal!"

"Wie haben Sie das genau hinbekommen, die Herren?" Fragte Aurora Dawn.

"Ich habe auf Adam und Rico gezielt", sagte der wie Bellrope aussehende kopf auf dem klobigen Körper. Der wie Fion aussehende Kopf blaffte dann: "Und ich habe auf Rico und Fion gezielt. Da hat es einen Knall getan, und wir wurden so, wie wir jetzt sind."

"So, da hat es einen Knall getan, und Sie wurden zu dem, was Sie jetzt sind. Gut, daß sie alle Drei nicht versucht haben, sich gegenseitig diesen Fluch aufzuerlegen", erwiderte Daisy Nettles. Aurora nickte ihr zu und sagte: "Ich habe noch einen Trank zu brauen und bin mir auch nicht sicher, die zwei fast verschmolzenen trennen zu können, wenn das überhaupt geht. Ich mußte sie nur mit einem Antidisapparierfluch belegen." Mentiloquistisch fügte sie hinzu: "Das mußte sein, weil die ja sonst wieder abgehauen wären." Daisy schickte ohne körperliche Regung zurück, daß sie den Fluch mit einem entsprechenden ungesagten Zauber aufheben konnte, wenn die drei, die gerade zu zweit herumstanden geschockt waren. Dann versuchte sie, die drei zu schocken. Doch die roten Blitze zerfaserten und wurden zu prasselnden Lichtentladungen zwischen den durch zwei einander durchdringende Körpertauschflüche verknäuelten Schabernackzauberer.

"Das notierst du dir besser auch für deine Kartei, Aurora, daß dieser Humbug die drei Schockzauberresistent macht, wenn einzelne Zauber wirken." Aurora sagte dazu halblaut: "Dann brauchen wir wohl drei Leute auf einmal." Daisy nickte und rief über ihr Heilerarmband nach Verstärkung. Die drei Zauberer versuchten gar nicht erst, wegzulaufen. Bellrope fragte nur verbittert, warum sie sie überhaupt mit den Schockzaubern belegen wollten.

"Bei Körperverschmelzungen gehört das neuerdings zum Standard, um mögliche Aggressionen, die durch vorstellbare Geistesdurchdringungen auftreten können zu unterbinden", sagte Daisy. Das stimmte zwar nicht ganz, mochte den dreien jedoch als Begründung dienen. Als dann noch ein dritter Heiler vor Ort war gelang es mit drei zeitgleich aufgerufenenen Schockzaubern, die Scherzbolde zu betäuben und den Antidisapparierfluch zu lösen, damit die gerade zu zweit existierende Dreierbande auf Tragen gelegt und in die Sana-Novodies-Klinik überführt werden konnte.

"Du kriegst unseren Bericht", sagte Daisy noch, bevor sie mit ihrem Kollegen verschwand. Aurora nickte der leeren Luft zu und kehrte zu ihrem unterbrochenen Brauvorhaben zurück. "Progressum resumptum", sprach sie, wobei sie eine gegen den Uhrzeigersinn ausgeführte Zauberstabbewegung um die gerade eben nicht bedachte Hälfte des Kesselrunds beschrieb. Wieder flackerte es rötlich im Kessel. Dann ließ Aurora noch mit "Incendio" ein neues Feuer unter dem großen Kessel aufflammen, das sie mit einem Flammenverkleinerungszauber auf halbe Stärke zurückführte. Dann prüfte sie, ob der Brauvorgang wirklich in gewünschter Weise foranschritt, beendete diesen nach der vorgeschriebenen Gesamtbrauzeit und stellte fest, daß ihr Trank die gewünschte Wirkung haben würde. Sie notierte die Menge des Trankes und füllte ihn in Flaschen um, die sie mit blauer Tinte für niederstufige Heiltränke beschriftete. Sie dachte daran, daß sie hoffentlich bald neue Flaschen von der Zunftausstattungsabteilung bekommen würde und hoffte, keine Eule schicken zu müssen, um neue Behälter zu beantragen. Selbst in diesem ach so für Leben und Gesundheit eintretenden Beruf herrschte eine unausweichliche Bürokratie vor, die sie annervte, aber leider nicht ganz unnötig war, wenn es galt, Material und Anwendungen aufeinander abzustimmen. Das von vielen Muggeln bevorzugte Mehrfachverwendungssystem für Glasflaschen kam nicht in Frage, weil trotz intensiver Reinigung nie garantiert werden konnte, daß nicht ein winziger Rest eines hochpotenten Trankes die Flasche beeinträchtigte und jeder neue darin abgefüllte Trank dadurch verfremdet wurde. Es hatte schon genug Unfälle gegeben, wo Zaubertrankbrauer meinten, ihre leeren Flaschen, Fässer und Phiolen nachfüllen zu können und dabei extreme Fehlgebräue erschaffen hatten. Nur Metallkessel aus Zinn, Kupfer, Silber oder Gold konnten nach dem Ausspülen weiterverwendet werden, um neue Tränke zu brauen.

"Aurora, bist du zu Hause?!" Hörte sie ihre eigene Stimme aus dem Schlafzimmer fragen.

"Ja, bin im Labor!" Rief die natürliche Ausgabe der Heilerin zurück und verließ den Kellerraum, nachdem sie sicher war, alle Flaschen anständig verkorkt und versiegelt zu haben.

"Gryffindor hat gegen Ravenclaw vierhundert zu fünfzig gewonnen", teilte die gemalte Ausgabe der Heilhexe mit.

"Och nöh, nicht schon wieder", grummelte Aurrora Dawn. "Schon im letzten Jahr war die Ravenclaw-Mannschaft so schmachvoll gescheitert.

"Weasley sei in der Form seines Lebens, freut sich Professor McGonagall."

"Der macht dieses Jahr die ZAGs, richtig?" Fragte Aurora.

"Wollen's hoffen, Aurora. Denn wenn der die verfehlt und nachholen muß, bleibt der noch ein Jahr länger als sonst schon", erwiderte die gemalte Ausgabe der Heilerin.

"Zumindest sind die Slytherins dann nicht mehr am Pokal dran", erwiderte Aurora darauf.

"Deshalb kann Charlie Weasley auch nur noch mit Eskorte durch Hogwarts laufen", bemerkte die gemalte Aurora Dawn.

"Eigentlich sollte ich mich nicht mehr so aufregen, was bei euch drüben passiert", grummelte Aurora. "Aber irgendwie nimmt mich das immer noch mit, wenn die Ravenclaws so heftig baden gehen."

"petula auch. Der hat mein Hogwarts-Ich das auch erzählt", sagte die gemalte Ausgabe an der Wand.

"Wird der liebe Charles Weasley also dieses Jahr neben den ZAGs auch den Pokal kriegen. Haben die Ravenclaws echt keine guten Spieler mehr, seitdem Philipp und Vivian raus sind?"

"Vergiss es. Die meisten da wollen nur lernen. Flitwick hat ja schon fast den Notstand ausgerufen, weil sich gerade mal acht Spiler freiwillig gemeldet haben. Du kannst ja keinen zum Quidditch zwingen."

"Das waren dann wohl auch die acht, die beim Lernen weniger gut abschneiden", erwiderte Aurora. "Das waren noch tolle Zeiten damals."

"Wem sagst du das", erwiderte ihr gemaltes Ich. "Bedauerlicherweise hat Vivian keinem die Doppelachse richtig eibringen können, bevor sie mit Hogwarts fertig wurde. Hat Ravenclaw damals doch einige Erfolge beschert."

"Wem sagst du das?" Entgegnete die wirkliche Aurora nun. Dann bat sie ihr portraitiertes Selbst noch einmal, Grüße auszurichten. Danach zog sie sich in die Bibliothek zurück, um in den letzten Jahren des grünen Magiers und Fachbüchern zur Kräuterkunde neue Anregungen für Forschungsvorhaben zu suchen. Dabei stellte sie wieder einmal fest, wie viel Fachwissen die Schreiber der Artikel und Einzelkapitel voraussetzten, oder daß sie allzu häufig Fachbegriffe benutzten, die wohl die wissenschaftliche Wichtigkeit ihrer Ergebnisse unterstreichen sollten, für interessierte Laien oder Amateure dann doch zu schwierig zu verstehen sein mochten. Oder wer mochte bei einer hyporhizodermalen Deformation eine Schädigung des Wurzelgewebes unterhalb der harten Außenhaut vermuten. Für so jemanden waren die ebenfalls verschlüsselt anmutenden Empfehlungen und Beobachtungsergebnisse dann völlig wertloses Geplapper.

"Kein Wunder, daß die bei uns lieber lernen wollen, wie sowas zu verstehen ist als Quidditch zu spielen", dachte Aurora Dawn halblaut. Sie suchte nach Büchern, die weniger umständlich geschrieben waren und fand nur die französische Originalausgabe eines Buches über Himmelstrinker vom Aussäen bis zum Verblühen, das von Camille Dusoleil vor zwei Jahren geschrieben worden war und von Mel Thornapple mit dem abwertenden Klappentext: "Zu verspielt" versehen worden war. Aurora fragte sich jedoch, warum ein Lehrbuch gleich immer so steif und trocken daherkommen mußte, vor allem, wenn es nicht nur von Berufskräuterkundlern gelesen werden sollte. Womöglich sah sich Melissa durch ihre ungeheure Lebenserfahrung über dem Wert spielerischen Lernens erhaben. Das lag wohl daran, daß sie alle ihre Kinder schon länger groß hatte und sich nicht in die Einfachheit durch Spiel erfahrbarer Erkenntnisse einfühlen wollte. Aurora fragte sich, wie viele Unfälle mit magischen oder nichtmagischen Pflanzen vermieden werden konnten, wenn jemand verstand, wie sie richtig behandelt werden mußten, auch wenn er oder sie das nicht beruflich tat. Die Art, wie Camille es in ihrem dünnen Buch über Himmelstrinker vermittelte sprach bestimmt mehr Leute an, die bis dahin Kräuterkunde als langweiliges oder umständliches Fach ansahen und konnte wohl Hexen und Zauberer, die einen eigenen Garten besaßen, dazu anregen, sich diese genialen Wettervorhersage-Hilfspflanzen zuzulegen und sie über deren komplette Lebensdauer von fünf Jahren halten zu können. Sicher, viel galt da nicht zu beachten, weil die Pflanzen dort, wo genug Regen fiel, ihr eigenes Wasser aus der Luft auffingen. Doch zwischendurch mußten sie vor zu heftiger Sonnenbestrahlung geschützt werden oder nach mehrwöchigem Regen trockengestellt werden, um nicht zu schnell zu verblühen, weil die Menge aufgenommenen Wassers das Wachstum beschleunigte oder verzögerte. Sicher würde mancher Kräuterkundler dieses kleine Buch als unnötig und albern verdammen, weil es über die wetterbedingt reagierenden Pflanzen dicke Bände gab. Aber die Art, wie es beschrieben wurde kam dem schon nahe, was sich Aurora Dawn unter einem allgemeinverständlichen, kurzweiligen und dabei doch sachlich anspruchsvollen Buch vorstellte. Aus einer wohl durch die Ruhe nach dem Brauen erwachsenen Laune heraus griff sie sich ein Stück pergament und schrieb einen Absatz aus einem Fachbuch in einer Form ab, die nicht so verspielt und blumig anmutete wie die Camille Dusoleils, aber alle nur Fachleuten verständlichen Begriffe durch allen verständliche Wörter ersetzte. Nach vier oder fünf derartigen Schreibversuchen, bei denen sie immer wieder überlegen mußte, wie viel Information ohne Fachsprache auf möglichst wenig Pergament passen mochte, beschloß sie, das Projekt selbst in Angriff zu nehmen und sich in den ruhigen Tagen daran zu machen, alle ihr bekannten oder zugänglichen Erwähnungen und Erfahrungen über magische und nichtmagische Kräuter und ihre heilmagische Anwendbarkeit zu Pergament zu bringen. Dazu würde sie an den Tagen, an denen sie keine offiziellen Sprechzeiten hatte in die Sano zurückkehren und dortige Pflanzen untersuchen, um eigene Theorien zu überprüfen. Denn ihr war klar, daß die Kräuterkundeexperten längst nicht jede Verwendungsmöglichkeit bedacht hatten. Und falls sie mit den dortigen Pflanzen, die nicht gerade zu den gefährlichen Teratophyten gehörten, nicht erschöpfend genug arbeiten konnte, mußte sie wohl zusehen, wie sie die freien Tage ausnutzte, um Studienreisen zu machen. Ihr war klar, daß sie im Moment mit der Niederlassung vollkommen ausgelastet war, auch wenn immer wieder ein Leerlauf zwischen den Behandlungsphasen lag. Doch ihr erschien es nun angebracht, nachdem sie ihre Hauptfachausbildung beendet und sich eingearbeitet hatte, ihrer eigentlichen Interessenrichtung, der Kräuterkunde und den Zaubertränken, den gebührenden Anteil zu widmen. Denn was brachte es ihr, sich über die Fachidioten und Umstandskrämer auszulassen, wenn niemand vorhatte, es besser hinzubekommen, ohne als albern oder unernst abgestempelt zu werden? Doch hierfür würde sie Zeit brauchen. Und sie durfte ihre Patienten dabei nicht vernachlässigen. Zumindest mußte sie wohl ein Jahr überstehen, um zu wissen, wann die meisten hier und wann im Urlaub waren, um eigene Reisevorhaben planen zu können. Doch nichts und niemand hielt sie davon ab, die bereits erlernten Sachen niederzuschreiben und die ausstehenden Kenntnisse durch Arbeiten in der Sano einzuholen. Jetzt ärgerte sie sich wieder, daß Mel Thornapples Niederlassung keine eigenen Gewächshäuser besaß. Offenbar war es Mel zu umständlich gewesen, für wenige Anwendungen eine Menge Zauberpflanzen zu versorgen, wo sie das von denen benötigte Material aus der Klinik beschaffen konnte. Womöglich war es genau der Punkt, die fehlende Kleinigkeit hier, die Aurora nicht so recht in diesem Haus heimisch werden ließ. Sie beschloß in dieser Stunde, sich nach freien Grundstücken mit großer Grundfläche umzuhören, die einen Zugang zu ausreichend Frischwasser besaßen, um mindestens ein Gewächshaus damit betreiben zu können. Hatte Beth Herbregis nicht erwähnt, daß es sinnvoll wäre, wenn noch mehr Heiler oder Kräuterkundler Sonnenkraut anbauten? Das war doch schon eine gute Begründung, ihre Niederlassung mit eigenen Gewächshäusern oder Beeten auszustatten. Aber auch dazu mußte sie wohl ein Jahr lang unabhängig hier gearbeitet haben, um die nötige Anerkennung zu erwerben, derartige Umzugswünsche und Voraussetzungen äußern zu dürfen. Also blieb ihr wohl erst einmal nur die Theorie und die kurzen Besuche in der Sano, um weitere Erkenntnisse zu erwerben. Doch wenn sie wußte, wann sie ohne Vernachlässigung ihrer hiesigen Aufgaben verreisen konnte, würde sie sich in der ganzen Welt umsehen, wo Hexen und Zauberer mit Pflanzen aller Art hantierten und womöglich noch weitere, durch reine Praxis gewonnenen Erkenntnisse das Buch verfassen zu können. Sie hatte nicht vor, eine Enzyklopädie zu schreiben. Das überließ sie dann doch anderen. Ihr schwebte nur ein brauchbarer Ratgeber für Amateure und Berufskräuterkundler vor, der die allen zugänglichen Pflanzen erfasste, ohne die Leser in Todesgefahr bringen zu müssen. Dann fiel ihr wie aus dem Nichts ein mitreißender Titel ein, der vielleicht einigen Zauberern aufstoßen mochte, aber doch zu ihr und der Mehrheit aller nichtberuflichen Kräuterheger passen würde: "Der Kleine Hexengarten" Mit diesem Titel mochte sich das Buch als nicht zu protzig, aber doch interessant genug vorstellen. Und das würde auch zu ihr, Aurora Dawn, passen, die sich bereits lange vor ihrer Heilerinnenausbildung geschworen hatte, Leuten zu helfen, ohne sie mit zu viel Fachbegriffen zu verunsichern. So schrieb sie es auch in ihr Tagebuch, daß sie ihren Tagesablauf nun darauf einstellen wollte, möglichst Zeit zum Schreiben und Forschen zu erhalten. Danach legte sie sich hin und schlief in den nächsten Tag hinein.

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Der April kam. Hier in Australien wechselten alle Laub abwerfenden Bäume die Farben ihrer Blätter. Aurora betreute Patienten und Ratsuchende, die Zaubertränke benötigten oder selber herstellen wollten und sich lieber versichern wollten, keinen gefährlichen Fehlschlag angerührt zu haben, bevor sie davon trinken wollten. Außerdem behandelte die neue Heilerin Giftbisse von Schlangen und Spinnen, mußte einmal auch an den Strand, weil ein Zauberer meinte, weit draußen im Meer zu schwimmen und sich dabei mit den Nesselfäden einer Würfelqualle anlegen zu müssen. In allen Fällen half das Breitbandgegengift, dessen Zubereitung sie von ihrer Lehrmeisterin erlernt hatte. Doch sie bekam auch die Möglichkeit, in den australischen Dschungel zu gehen und dort die seltenen Zauberpflanzen zu sammeln, die sie für eigene Heiltränke benötigte. Als sie am fünfundzwanzigsten April vom Wirt des Willy-Willy in die Sonnenstrahlstraße gerufen wurde, weil mal wieder wer gemeint hatte, den Kreiselflugtrank schlucken zu müssen, kam sie fast zeitgleich mit Daisy Nettles dort an.

"Die wollen es nicht kapieren, bis sie sich ihr weniges Hirn zermanscht haben", knurrte der Zauberer, den Aurora bereits seit einer Reise mit ihren Eltern flüchtig kannte. Rick Jarrel, so hieß der breitschultrige, an den Schläfen schon zu Haarausfall neigende Zauberer mit dem dunkelbraunem Schopf und den mausgrauen Augen, fürchtete wohl, daß ihm die Zaubereibehörden diesmal endgültig die Lizenz für eine Gastwirtschaft entziehen mochten.

"Nur wenn Ihnen nachgewiesen werden kann, daß die vier hier das Zeug hier und von Ihnen erhalten haben", sagte Aurora, während Daisy ihre Kollegen von der Sano rief, daß jemand mal wieder mit seiner geistigen Unversehrtheit gespielt hatte. Da die vier Betroffenen junge Zauberer zwischen neunzehn und einundzwanzig waren, lag der Verdacht einer höchst riskanten Mutprobe nahe.

"Diese verdammten Billywichs gehören komplett ausgerottet", schimpfte Jarrel. "Wegen dieser Viecher kassieren die meine Konzession ein, nur weil so'n paar Volltrolle meinen, sobald sie aus Redrock raus sind jedes Sauzeug schlucken zu müssen, nur weil das angeblich so aufregend ist und so weiter."

"Sie haben das Schild an der Tür, Rick", erwiderte Aurora ruhig, ihre eigene Wut unterdrückend. "Wenn wer meint, anderen gegenüber was beweisen zu müssen, dann müßten Sie schon Durchsuchungen vornehmen."

"Gibt es echt keinen Zauber, einen verbotenen Trank an der Tür zu erkennen?" Fragte der Wirt des Willy-Willy.

"Großflächig greifende Spürzauber für Tränke gibt es noch nicht. Das ist ja das gemeine daran. Es gibt Flucherkennungszauber, Ruhepotentialerkenner und Spickoskope zur Erkennung feindseliger Zeitgenossen. Gezielte Trankaufspürzauber oder -geräte werden noch erforscht", zählte Aurora Dawn auf. "Leider verraten sich Zaubertränke nicht durch magische oder sonstige Ausstrahlungen."

"Wie dieses Radioaktivgiftzeug, daß Sie in Resting Rock hatten", grummelte Rick. "Dafür gibt's ja jetzt diese Strahlenanzeiger. 'n Ex-Kamerad von Redrock hat sich so'n Ding beschafft, weil der in 'ner Muggelsiedlung lebt, wo auch Uransucher hausen. Der will wissen, ob er sich selbst dieses Strahelnzeug einfängt."

"An und für sich werden die Strahlenfinder nur Heilern und Sicherheitszauberern überlassen. Will besser nicht fragen, wie Ihr Kamerad an einen drangekommen ist", raunte Aurora. Einerseits war sie stolz, ein derartiges Gerät erfunden zu haben. Andererseits war dessen Herstellung wegen der Bestandteile nicht gerade für die Massenproduktion geeignet und daher besser in geringer Stückzahl herzustellen. Dann kam ihr eine Idee: "Haben Sie schon mal an einer Probe Kreiselflugtrank geschnuppert?"

"Bin ich wahnsinnig", sagte Rick. "Nachher berauscht das Zeug schon beim Einatmen."

"Keine Sorge, das tut es nicht, weil es nur in Verbindung mit den Magensäften seine heimtückische Wirkung entfaltet", beruhigte ihn Aurora. Dann erwähnte sie, daß der Trank nach einer Mischung aus Lakritz, Honig, Pfefferminz und Weingeist rieche. "Haben Sie derartige Zutaten in Ihrem Angebot?" Fragte sie dann. Rick überlegte.

"Met, Pfefferminzlikör und Whiskey in verschiedenen Sorten habe ich da, aber keine Lakritze, weil mir Stevia Buckfast unter Prozeßandrohung verboten hat, Süßigkeiten jeder Art in Tüten oder Schachteln zu verkaufen. Ich darf ja nur süße Getränke ausschenken."

"Die Dame muß ich wohl auch noch mal aufsuchen, weil ich für jemanden aus der Familie was nur hier zu kriegendes besorgen soll", grinste Aurora. Dann sagte sie sehr entschlossen: "Dann könnte das klappen. Kommen Sie gut mit Tieren klar, Rick?"

"Kommt drauf an mit welchen", grummelte Rick Jarrel leicht verdutzt. Aurora sagte nur das Wort Crups. "Ich fürchte, da macht mir dann die Gesundheitsaufsicht Probleme, wenn ich so'n Kläffer hier bei mir rumlaufen lasse. Aber ich hab jetzt die Ahnung, worauf Sie rauswollen, Ms. Dawn. Das Zeug kann selbst in 'ner zugekorkten Phiole noch nach Lakritze riechen."

"Die Mischung macht's", sagte Aurora dazu. "Aber stimmt schon, wäre die einzige Möglichkeit, das Zeug vor der Tür aufzuspüren, bevor jemand damit zu Ihnen reinkommt. Aber wenn Sie keine Haustiere halten dürfen ... verstehe ich ja auch als Heilerin ... Müssen wir also was anderes angehen, damit hier keine weiteren Kreiselflugopfer rumlaufen."

"Ach was, ich stell mir ein paar gestandene Jungs aus meiner alten Hausmannschaft ein, die vor der Türe die Taschen und Leute durchsuchen, um das Zeug einzuziehen."

"Dann dürften Sie bald keinen Grund mehr haben, den Verlust Ihrer Lizenz zu fürchten", setzte Aurora Dawn mit einem verhaltenen Lächeln an. Rick erkannte, daß sie es anders meinte als er vielleicht dachte und fragte, wie genau sie das meine. "Weil dann niemand mehr hier reinkommen will. Es gibt Leute, die legen Wert auf ihre Privatsphäre, was auch den Inhalt der Taschen angeht. Und wenn Sie wen durchsuchen wollen, müssen Sie eine ministerielle Erlaubnis dafür haben, abgesehen davon, daß Sie dann auch weibliches Personal brauchen, das intensive Leibesvisitationen vornehmen darf, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie müßten speziell dafür einen gesonderten Raum bereitstellen und so weiter. Wegen einiger weniger Idioten alle größtenteils vernünftigen Gäste zu behelligen schreckt eher alle anderen ab als diese unverbesserlichen Draufgänger und Halbverrückten."

"Und ein an einem rumschnüffelnder Crup wäre leichter zu begründen als eine gründliche Durchsuchung?" Fragte der Wirt des Willy-Willy. Aurora nickte.

"Oder die Heilerzunft müßte Ihnen das Sofortmaßnahme-Elixier bereitstellen, das Sie nur in einzeln versiegelten Dosen und unter Verschluß vorrätig haben dürfen, ohne denen hier auf die Nase zu binden, daß Sie es haben", flüsterte die Heilerin über den Lärm eines fröhliche Lieder abspielenden Musikfasses hinweg. Rick winkte ihr zu, ihm ins kleine Arbeitszimmer zu folgen, wo er seine Geschäftsunterlagen aufbewahrte.

"Wie teuer käme mich das, wenn ich diesen Sofortmaßnahmetrank da hätte?" Fragte Rick.

"Der wie vielte Vorfall dieser Art war das jetzt insgesamt?" Fragte Aurora.

"Der dritte insgesamt. Der heute, dann vor einigen Jahren, wo Beth Herbregis persönlich hier anrückte und dann noch vor zehn Jahren, seitdem ich ein Schild an der Tür zu haben habe, daß Rauschmittel, die mehr als nur glücklich machen hier nicht erwünscht sind und nur die von mir ausgegebenen Getränke berauschen dürfen."

"Dann schlage ich Ihnen vor, zwanzig versiegelte Dosen hier in Ihrem Geldversteck bereitzuhalten, wenn Sie sich der Heilerzunft gegenüber jedes Jahr für eine Nachprüfung des Vorrates zur Verfügung halten. Sie beantragen das bei der Handelsabteilung und schreiben auch das Büro von Heilzunftsprecherin Morehead an. Aber womöglich wäre es dann auch möglich, Ihnen die Sondergenehmigung für einen Spürcrup zu erteilen, sofern dieser einer ständigen Gesundheits- und Ansteckungsüberwachung der Tierwesenbehörde unterliegt. Es gibt für menschliche Patienten Arm- oder Halsbänder, die Körperfunktionen weitermelden können. Wäre mal interessant, ob das bei magischen Tierwesen auch geht."

"Soweit ich weiß können Crups aber nicht so viele Leute auf einmal ab", sagte der Wirt.

"Sie mögen keine Muggel", sagte Aurora. "Aber sie kommen mit Hexen und Zauberern klar, solange es nicht mehr als fünfhundert auf engem Raum sind. Sie dürfen ihn nur nicht in die Küche reinlassen oder unbeaufsichtigt draußen stehen lassen, weil der sich sonst selbständig macht und herumstromert."

"Toll, und wo lasse ich den dann hinmachen?" Fragte Rick leicht verdrossen. "Hier gibt's keine Wiesen oder lockeren Erdboden. Können die denn lernen, ein Klo zu benutzen?"

"Ich habe von einem solchen Crup gelesen, der einen Nachttopf als Toilette benutzen kann wie ein Kleinkind", entgegnete Aurora Dawn unbekümmert. "Okay, schreiben Sie das Ministerium an, schildern Sie, daß Sie nicht bereit sind, Ihre Gastwirtkonzession wegen ein paar Kreiselflugtrankschluckern zu riskieren und geeignete Maßnahmen ergreifen möchten, um den Konsum unter Ihrem Dach zu unterbinden. Dann können Sie das einbringen, was wir gerade besprochen haben." Rick nickte. Dann verließ Aurora Dawn das vor allem bei der magischen Jugend und jungen Erwachsenen beliebte Tanzlokal. Wo sie schon in der Straße war, stattete sie dem Zuckerhut von Stevia Buckfast einen Besuch ab. Diese war eine Hexe, die knapp bis Auroras Kinn reichte, feuerrotes Haar besaß und so rund war, als würde sie von dem ganzen Naschwerk, das sie verkaufte selbst sehr reichlich genießen.

"Haben Sie noch was von den Zimtschlangen was da, Madam Buckfast?" Fragte Aurora. "Meine Cousine Agatha fliegt darauf, seitdem ich der zu Weihnachten einige mit den Sonnenwendeulen geschickt habe."

"Die und die Hüpfhonigkugeln und die essbaren Hüte und was Sie sonst noch alles in Ihre alte Heimat geschickt haben", sagte die wohl auf die sechzig zugehende Verkäuferin und strahlte über das pausbäckige Gesicht. Sie deutete auf die Regale, wo bunte Zauberer- und Hexenhüte aus glasiertem Keksteig in großen Schachteln gestapelt waren oder die Hüpfhonigkugeln aufbewahrt wurden, die nach dem Essen zu känguruhartigen Sprüngen trieben. In großen, runden Gläsern wurden bunte Schlangen aus Weingummi und Zimt angeboten. Ansonsten gab es hier vieles, was Aurora im Honigtopf in Hogsmeade auch schon gesehen hatte, wenngleich die in großer Zahl angebotenen Schokofrösche hauptsächlich Sammelkarten über australische Hexen und zauberer besaßen. Da Auroras Cousin Philipp eine Rege Tauschbörse für Schokofroschsammelkarten betrieb, sackte sie bei der sich gerade bietenden Gelegenheit mehrere Dutzend ein, nahm noch zehn Zimtschlangen im Glas und eine Schachtel zu zwanzig Hüpfhonigkugeln mit. Zwar hatte sie wie alle Heiler gelernt, daß zu viel Naschwerk die Gesundheit beeinträchtigen konnte. Doch wer nur gesund lebte konnte an Langeweile sterben. Wichtig war nur, in Maßen zu genießen, nicht in Massen. Das galt aber nur für Getränke und Süßwaren. Rauschmittel wie Kreiselflugtrank gehörten eindeutig auf die Liste komplett auszulassender Sachen. Sie zahlte der kugelrunden Betreiberin des Zuckerhutes die fällige Kaufsumme von drei Galleonen und fünf Sickeln. Dann fragte Madam Buckfast:

"Kommen Sie auch am nächsten Wochenende zum Spiel der Sparks gegen die Kangaroos?"

"Wenn ich niemanden zu behandeln habe auf jeden Fall", entgegnete Aurora Dawn. Auch wenn sie seit etlicher Zeit nicht mehr selbst gespielt hatte war sie immer noch begeistert vom Quidditch.

Nach einer kurzen Unterhaltung verließ Aurora Dawn den Zuckerhut und kehrte in ihre Niederlassung zurück. Der Rest des Tages verlief mit Lesen und einem kurzen Ausflug in die Sana-Novodies-Klinik, um dort neue Zutaten für ihre Zaubertränke zu besorgen.

__________

"Und, was sagen die Kollegen aus der Mannschaft, Pam?" Fragte Aurora, nachdem sie die junge, knapp einen Meter und vierzig große Hexe noch einmal untersucht hatte.

"Ich sollte nicht noch vor dem Spiel von einer Schlange gebissen werden oder mit irgendwem was anfangen, was mich mehrere Monate vom Spielen abbringen könnte", erwiderte Pamela Witfield. "Ansonsten bin ich für die auch fit genug", fügte die neue Stammspielerin hinzu.

"Dann ist von mir aus auch nichts anzufügen", sagte Aurora Dawn und bat Pamela, sich wieder öffentlichkeitstauglich anzuziehen.

"Dann wünsche ich dir jedenfalls Hals- und Beinbruch und viel Erfolg", sagte Aurora der Hexe, die gerade zwei Jahre jünger als sie selbst war.

"Du kommst auch am Samstag?" Wurde die Heilerin noch gefragt. Sie bestätigte das. Im Moment hatte sie keine werdenden Mütter zu betreuen, die am Samstag ihre Kinder bekommen könnten. Wer einen Notfall hatte würde eh den allgemeinen Notruf losschicken und damit die Kollegen von der Sano zu sich rufen. insofern konnte sie das Wochenende beruhigt angehen.

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"Die Sparks sind wieder ganz heiß, nachdem sie im letzten Spiel die Thunderers mit zehn Punkten Vorsprung durch Schnatzfang auf den fünften Platz verdrängt haben, die Damen und Herren. Heute erleben wir wohl hoffentlich das Debüt einer trefflichen Nachwuchssucherin, nachdem Aureus Ridge nach fünfzehn Jahren ... Und ich habe wohl zu lange gequatscht, denn da kommt Wavecrest an den Quaffel und schickt den roten Ball durch den von sich aus rechten Ring ins Tor", versuchte der Stadionsprecher, den plötzlich im Stadionoval explodierten Jubelschrei aus tausend Kehlen zu übertönen. Die Sparks hatten die ersten zehn Punkte der Partie geholt. Aurora Dawn saß zusammen mit einigen Hexen und Zauberern aus der unmittelbaren Nachbarschaft im dritthöchsten Zuschauerrang und bestaunte die Geschwindigkeit, mit der die vierzehn Spieler über das Feld rasten. Die Ballführung und die Ballweitergabe geschah oft in einem winzigen Moment. Aurora hoffte darauf, in ihrer Freizeit doch das ein oder andere Mal spielen zu können, um annähernd an dieses Tempospiel heranreichen zu können. Die in Rostrot spielenden Gegner der Sparks drängten auf den Ausgleich und gaben deshalb ihren Rückraum preis. Die Jäger der Sparks stießen jedoch schnell in diesen Freiraum und brachten den Quaffel zum zweiten und dritten Mal durch einen der Torringe. Der Hüter versuchte fast alles, um den scharlachroten Spielball doch noch zu halten. Er schimpfte mit den Treibern, die zu sehr damit beschäftigt waren, die beiden Klatscher in den gegnerischen Torraum zu dreschen, auch wenn von den Sparks keiner mehr dort war, sobald der Quaffel über die Mittellinie hinweg war. Aurora sah kurz zur Ehrenloge hinauf, während der Kapitän der Kangaroos eine Auszeit nahm, um das Spiel seiner Mannschaft neu ausrichten zu können. Dort saßen die Familien der Spieler und die beiden Vereinsmanager. Sie erkannte den goldblonden, für einen Sucher sehr hoch und breit gewachsenen Aureus Ridge mit seinen tiefblauen Augen, der sich das erste Spiel seiner Nachfolgerin ansah, bevor er in die Besenregulierungsbehörde der Abteilung für magische Spiele und Sportarten überwechseln würde. Neben ihm saß ein kleinwüchsiger Zauberer mit strohblondem Haar. Das war Optimus Lighthouse, ein erfolgreicher Anbieter für dauerhafte Bild- und Klangillusionen für gehobene Ansprüche. Der wurde rechts von seinem Sohn Laurin flankiert, der vor drei Jahren beachtliche UTZs in Redrock erworben hatte und bereits als Juniorchef in der Firma seines Vaters geführt wurde. Optimus Lighthouse war als großer Quidditchfan bekannt, der fast jedes Spiel der Liga besuchte und durch "gute Freunde" in allen Mannschaften meistens einen Platz in der Ehrenloge ergattern konnte. Das alles wußte Aurora aus dem Stern des Südens. Zumindest hoffte sie, daß die Zeitung nicht das Blaue vom Himmel herunterlog. Als die Zuschauermenge wieder in aufgeregtes Geraune ausbrach blickte sie schnell auf das Geschehen über dem Spielfeld Ja, die beiden Mannschaften flogen bereits wieder und trieben Quaffel und Klatscher von einem Torraum zum nächsten. Da Aurora gerade in der Fankurve der Sparks hinter den Ringen saß, die durch die Seitenwahl vom Hüter der Gäste bewacht wurden, kam sofort lauter Tumult auf, wenn die Heimmannschaft auf den gegnerischen Torraum zuflog. Gerade war es wieder die Jägerin Wilma Wavecrest, die den roten Spielball führte und auf den direkten Torwurf abzielte. Der Kapitän und Hüter der Canberra Kangaroos belauerte den Quaffel, war bereit, ihn sofort abzufangen, wenn er die Hände der Jägerin verließ. Doch kurz vor dem Wurf rollte sich Wavecrest zur Seite ab und warf den roten ball auf ihren Mannschaftskameraden Summerwind ab, der einen Moment so aussah, als wolle er den Ball sicher führen, um sich erst aus der Bedrängnis von zwei Gegnern zu befreien. Doch dann warf er mit solcher Wucht den Ball ab, das dieser über bald zwanzig Metern in einer halben Sekunde vor den Ringen ankam. Der Hüter witterte sichere Beute und verlegte dem Quaffel die Flugbahn, prellte ihn mit einer überlegenen Armbewegung ins Spielfeld zurück, wo jedoch Wilma Wavecrest nur die linke Faust vorschießen ließ, mit der sie den Ball gekonnt auf den von ihr aus linken Ring zurückprallen ließ. Der Hüter erkannte erst eine Zehntelsekunde später die Falle, die ihm die Jäger der Sparks gestellt hatten. Da war der Quaffel aber auch schon durch den Torring. Ohrenzerreißend laut brüllten die Fans der Sparks die weiteren zehn Spielpunkte in das Stadion hinein.

"Die haben den in Sicherheit gewiegt", rief Auroras Sitznachbar, ein älterer Zauberer, dessen Tochter Aurora vor einer Woche wegen überheftiger Regelblutungen untersucht und behandelt hatte.

"Das hat nicht einmal zwei Sekunden gedauert", stellte Aurora erfreut über dieses schnelle Manöver fest.

"Der kriegt das nie hin, die beiden länger in Schach zu halten", lachte der begeisterte Zuschauer. Aurora nickte nur. Sie hatte keine Lust, über das laute Getöse der jubelnden Anhängerschaft hinwegzubrüllen. Schon schlimm genug, daß sie ihren Ohren so viel zumutete. Aber ihre Stimme brauchte sie in den nächsten Tagen wohl noch, wenn sie nicht mit den Patienten mentiloquieren wollte.

Die Kangaroos schafften zwar noch drei Tore, kassierten dafür aber satte sieben gegentreffer. Der Stadionsprecher wandte ein, daß die Kangaroos nach der großen Mannschaftsumstellung wohl noch in ihr Spiel finden mußten, als Pamela Witfield gerade raubvogelartig nach unten stieß, gefolgt von ihrem direkten Gegenspieler in Rostrot. Doch sie war einen Sekundenbruchteil früher bei einem golden glitzernden Etwas, das knapp am Fuß des von ihr aus rechten Torrings in der Luft hüpfte. Mit einer blitzartigen Zupackbewegung brachte sie ihre rechte Hand um dieses, das wichtigste Objekt dieses Spiels. Aurora hielt sich die Ohren zu, als der sonst schon überlaute Jubel in einem einzigen lauten Getöse ausuferte, aus dem heraus sie fast keine menschliche Stimme mehr zu hören vermeinte. Die Sparks hatten mit zweihundertfünfzig zu dreißig Punkten gewonnen. Pamela Witfield hatte sich exzellent in die Mannschaft eingeführt.

"Der Sucher der Gastmannschaft verriß den Besen und schlug hart auf den lehmigen Spielfeldgrund auf. Der Willy-Willy-Besen zersplitterte dabei, und der Spieler lag mit verdrehten Armen und Beinen auf dem Feld. Unverzüglich stürmten die Mannschaftsheiler der Kangaroos aus ihrer Bereitschaftsloge unterhalb der Zuschauertribüne aufs Feld und waren innerhalb von vier Sekunden bei dem verunglückten Sucher. Aurora beobachtete, während der Jubel zu einem ebenso schmerzhaften Schweigen verebbte, wie die Kollegen den Zauberer untersuchten, nickten und dann einen Körperkonservierungszauber auf ihn sprachen, der ihn für einen Transport sicherte. Einer der Heiler beschwor eine Trage herauf und bettete den Verletzten darauf. Dann verschwanden zwei der drei Mannschaftsheiler mit dem Patienten in leerer Luft. Der zerstörte Besen wurde aus dem Boden gezogen und sichergestellt.

"Die haben aber nicht lange gefackelt, Ihre Kollegen", wandte sich Auroras Sitznachbar an die junge Heilerin.

"Die haben nur geprüft, ob er noch lebt und ihn dann schnellstmöglich transportsicher gemacht, um ihn in die Notaufnahme zu bringen. Dann hat sich McMurphy wohl ziemlich schlimm verletzt", bemerkte Aurora Dawn.

"Warum haben sie den nicht abgebremst?" Fragte eine jüngere Hexe links von Aurora.

"Die waren von dem Schnatzfang noch zu überrascht. Dann der Jubel. Eigentlich sollte sowas nicht passieren."

"Die sind seit drei Spielzeiten Heiler der Kangaroos", meinte die jüngere Hexe. "Wenn die das nicht gelernt haben, bei welcher Lautstärke auch immer sofort zu reagieren, wann dann?"

"Kann ich Ihnen leider nicht beantworten", erwiderte Aurora leicht verunsichert. Sie mußte daran denken, wie sie selbst im letzten Spiel ihrer Schulzeit abgestürzt war. Das war wesentlich glimpflicher abgelaufen als das Besenunglück gerade eben.

"Meine Damen und Herren, Donovan McMurphy ist zwar schwer verletzt, konnte aber sicher geborgen werden und befindet sich bereits in der fachkundigen Obhut der Heiler der Sana-Novodies-Klinik. Das Spielende ist gültig. Die Sydney Sparks gewinnen mit zweihundertfünfzig zu dreißig Punkten und nehmen bis zum nächsten Spieltag den zweiten Tabellenplatz hinter den Darling Dingos ein", verkündete der Stadionsprecher mit halblauter Stimme. Denn im Moment war den Fans nicht nach Jubeln. Das kam erst wieder in Schwung, als die siegreiche Heimmannschaft doch noch eine Ehrenrunde über dem Feld flog, gefolgt von den verbliebenen Gegnern, die zeigen wollten, sich durch den Unfall nicht unterkriegen zu lassen. Pamela Witfield wurde nach dieser Ehrenrunde gesondert bejubelt. Dann kehrten die Mannschaften in die ihnen zugewiesenen Umkleidekabinen zurück.

"Vielleicht sollte Don auch aufhören", knurrte ein vierschrötiger Zauberer mit rostrotem Kangaroo-Schal, als dieser an Aurora Dawn vorbeiging. Die junge Heilerin wagte nicht zu antworten, weil sie zum einen nicht wußte, ob diese Bemerkung ihr zugedacht war und auch nicht, was genau darauf die gescheiteste Antwort sein mochte. Sie verließ zu Fuß das Stadion und apparierte in ihrer Niederlassung, wo ihr gemaltes Ich sie darauf hinwies, daß ihre Mutter darum bat, an den Geburtstag ihrer Oma mütterlicherseits zu denken, der in vier Tagen anstand. Aurora nickte dem Bild zu und apparierte in der Sonnenstrahlstraße, wo sie vor einem Laden für Kristallkunst länger stehenblieb. Sie bestaunte die glänzenden und glitzernden Kelche, Karaffen, Schalen und Vasen im Schaufenster. Dabei sah sie auch ihr eigenes Spiegelbild geisterhaft im Glas schimmern. Ein merkwürdiger Körper, der wie eine Verschmelzung aus einem fast kugelförmigem Vielflächler und einem daraus emporragenden Kegelstumpf aussah, fing ihren Blick ein. Auf einem Schild an der Forderseite stand das Wort "ANTRHOPOMORPHARTEFAKT. Da meinte sie, eine Sinnestäuschung zu erleben, weil es ihr einen winzigen Moment so vorkam, als blicke ihr ein zweites Spiegelbild aus der Scheibe entgegen. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte sie, daß schräg hinter ihr eine andre Frau mit schwarzen Haaren stehen mußte, die sehr herablassend auf die Auslage blickte und dann sagte:

"Mal nach links weg, Mädchen, du bist nicht aus Glas!"

"Entschuldigung, die Dame, aber geht das nicht auch ein wenig freundlicher?" Fragte Aurora ungehalten und drehte sich zu der Fremden um. Sie mochte einige Jahre älter sein als Aurora selbst. Das nachtschwarze Haar wallte ihr als weite Mähne um die Schultern. Das lange, rosige Gesicht mit der schlanken Nase und den vollen Lippen wirkte irgendwie adelig. Die Rehbraunen Augen blickten spöttisch auf die junge Heilerin herab. Diese straffte sich und sah entschlossen die Fremde an, die einen mit strahlendweißem Fell abgesetzten purpurnen Reiseumhang über einem silbern durchwirktem, tiefschwarzen Seidenkleid trug.

"Ach du Schande, eine von der alten Insel. Du standest da so, als wolltest du dich in der Schaufensterscheibe anglotzen, um zu sehen, ob du bei dir noch was nachkorrigieren mußt und standest mir dabei im Weg. Höflichkeit bringt's nicht immer."

"Ja, aber häufiger als rohes ungeratenes Verhalten, Madam", erwiderte Aurora unbekümmert, eher verärgert. "Es hätte durchaus gereicht, mich zu bitten, ein wenig zur Seite zu treten", fügte sie noch hinzu.

"Nimmst dir was raus. Klar, du weißt ja nicht, mit wem du's zu tun hast. Dann will ich dich nicht ungebildet weiterziehen lassen. Ich bin Perdita Shadelake, für dich Ms. Shadelake."

"Angenehm", erwiderte Aurora, die sich bei der Namensnennung nichts anmerken ließ. "Mein Name ist Dawn, Aurora Dawn, für Sie Ms. Dawn, Ms. Shadelake."

"Touristin, dann laß dir gesagt sein, daß wir Shadelakes in diesem weiten Land sehr wichtig sind."

"Oh, dies ist mir schon bekannt. Nach Ihrem Ahnherr wurde ein Haus der Redrock-Akademie benannt. Shadelake war ein Nachfahre von Salazar Slytherin, nach dem ein Schulhaus von Hogwarts benannt ist. Soweit ich weiß genießen beide Häuser denselben Ruf in ihren jeweiligen Schulen." Aurora mußte sich beherrschen, nicht verächtlich zu klingen oder dreinzuschauen. Sie hatte von den lebenden Shadelakes gehört. Die waren hochgradig eingebildet und hielten alles, was nicht in ihrem Haus gewohnt hatte für unter ihrer Würde. Dann jedoch sollte dieses überhebliche Weibsbild doch einfach weitergehen, anstatt ihre achso kostbare Zeit mit einer angeblichen Touristin zu vergeuden.

"Du warst bestimmt nicht bei denen in Slytherin", knurrte Perdita. "Weil dann hättest du mehr Respekt vor mir. Am besten suchst du dir 'nen anderen Laden zum Beglotzen."

"Sie machen auf mich nicht den Eindruck einer erwachsenen Hexe, die meinen Respekt verdient hat, werte Dame, eher den eines verwöhnten Mädchens, das man wie eine Prinzessin hofiert und bedient hat", konterte Aurora. Sie war sich zwar klar, daß eine Shadelake wohl keine Probleme hatte, mal eben die dunklen Künste auszuüben, um einer scheinbar unbelehrbaren das Fürchten zu lehren. Doch vor der da kuschen wollte sie auch nicht. Dafür hatte sie sieben Jahre Tonya Rattler und vier Jahre Monica Riddley überstanden, um derartige Arroganz zu verachten. Angst hatte sie auch nicht, wo sie hier auf einer offenen Straße standen.

"Wie redest du mit mir?!" Entrüstete sich Perdita Shadelake.

"Wie reden Sie mit mir muß das heißen, wenn Sie wirklich Wert auf anständige Behandlung legen, Ms. Shadelake", erwiderte Aurora. Sie sah sehr genau, wie Perdita Shadelake ihre Hand zu einer Außentasche ihres Umhangs gleiten ließ. Da erscholl die Stimme eines Mannes: "Ey, Perdy, laß die in Ruhe, das is 'ne Heilerin!" Ein Zauberer in mitternachtsblauem Umhang mit silbernen Halbmondstickereien darauf eilte von links heran, von Haar, Augenfarbe und Nasenform her wußte Aurora Dawn, daß es der ältere Bruder Perdita Shadelakes sein mußte. Denn wohl auch nur von diesem ließ sie sich wohl was sagen. Das bemerkte Aurora, als die überhebliche Hexe ihr einen letzten, verächtlichen Blick zuwarf und zu ihrem Bruder hinüberlief.

"Diese Art von Anstandsregelung hätte dir in der Kindheit besser getan", dachte Aurora, während Perdita verärgert gestikulierend auf Aurora wies, doch dann mit ihrem Bruder disapparierte. Aurora wollte nicht ausschließen, daß die beiden sie hinterrücks angreifen mochten. So holte sie ihren Frühwarner hervor, den sie hier eigentlich nicht mehr tragen wollte, solange keine konkrete Gefahr drohte und legte das silberne Armband mit den Runen für Gefahr und Warnung um das linke Handgelenk. Es blieb ohne jede Reaktion, während Aurora noch den Zauberstab zog und vorsorglich einen Fernfluchabweiser auf sich sprach, um mögliche Vergeltungsschläge dieses Prinzesschens aus fragwürdigem Hause abzuwehren. Dann ging sie in das Geschäft hinein, wo der Verkäufer leicht blaß um die Nase hinter seinem Ladentisch stand. "Sie sind aber mutig, junge Ms. Dawn. Mit Perdy Shadelake redet sonst keiner so."

"Wieso, was passiert denen, die es doch tun?" Fragte Aurora trotzig.

"Sie kriegen entweder Ärger mit ihrem durchgeknallten Bruder Grendel oder verschwinden einfach. Die haben hier fast freie Hand, solange kein Ministeriumszauberer in der Nähe ist."

"Oh, dann habe ich wohl ein Riesenglück gehabt", erwiderte Aurora Dawn verächtlich.

"Ich dachte einen Moment, Grendel würde Ihnen aus der Ferne einen Fluch aufhalsen", sagte der Verkäufer verunsichert.

"Und Sie hätten mir dann nicht helfen können", sagte Aurora dazu. "Dann möchte ich Ihnen und jedem anderen was sagen: Wer Leute wie die Shadelakes auch machen läßt, was die wollen, muß sich nicht wundern, daß die sich alles herausnehmen. Ich komme aus Großbritannien, wie Sie wohl meinem Akzent noch anhören können. Wer da bis vor neun Jahren noch gewütet hat wissen Sie wohl. Ich habe ansehen müssen, wie einer seiner Handlanger einen meiner Onkel umgebracht hat, mußte miterleben, wie seine Bande hilflose Kinder angriff und bekam mit, wie in seinem Namen handelnde Mitschüler ihre Kameraden terrorisiert haben. Wenn Sie das alles hier auch haben wollen, dann lassen Sie diesen Shadelakes weiterhin alles durchgehen."

"Sie wissen nicht, was dieser Grendel für ein Verrückter ist. Wissen Sie, welche finsteren Kräfte er beschwören kann?"

"Ihrer Frage entnehme ich, daß Sie das wohl genausowenig wissen wie ich oder die Mehrheit der anderen. Aber wenn er wirklich verrückt wäre und keine Skrupel hätte, seiner nicht korrekt behandelten Schwester Respekt durch Gewalt zu verschaffen, hätte der mich angegriffen oder zugelassen, daß seine Schwester sich mit mir anlegt. Hat er aber beides nicht. Also hat er noch gewisse Bedenken, sich gegen die Gesetze zu vergehen."

"Ja, weil Sie eine Heilerin sind und daher registriert sind. Wenn sie verschwinden oder noch einen Notruf absetzen, bevor Grendel Shadelake einen Fluch zu Ende spricht, könnten sie ihm doch draufkommen, falls jemand ihm zusieht."

"Und natürlich auch aussagt, daß es Grendel Shadelake war", erwiderte Aurora sarkastisch. Damit traf sie bei dem Zauberer genau den wunden Punkt. Er lief rot an. Also hätte der ihr weder geholfen noch den Ministeriumsleuten erzählt, was passiert war. Ja, am Ende hätte er sein Gewissen damit beruhigt, daß sie, Aurora, sich ja nicht an die hier geltenden Spielregeln gehalten habe, weil sie es gewagt hatte, Perdita Shadelake zu widersprechen. Dann fragte sie noch: "Die wohnt nicht hier im Einzugsbereich Sydney. Sonst hätte ich die ja schon längst kennenlernen müssen. Wissen Sie, wo ungefähr die wohnen?"

"Schön weit weg von allen Sidlungen", erwiderte der Verkäufer. Dann deutete er auf die Regale und dann zur Tür. Aurora nickte und fragte, was mit Anthropomorphartefakten gemeint sei.

"Eine ganz individuelle Kreattion für besondere Annlässe. Die Kristallform ist mit einer patentierten Zauberkombination belegt, die sie dafür empfänglich macht, das körperliche Erscheinungsbild der Person anzunehmen, deren Namen auf einer Prägeplakette mit unserer Prägetinte geschrieben wurde. berührt die zugedachte Person die Ausgangsform, nimmt das Anthropomorphartefakt dessen Körperform an, bleibt jedoch ein reiner Kristallkörper ohne eingewirkte Animation oder Farbveränderung. Der Vorgang kann dann aber nicht mehr umgekehrt werden."

"Vorausgesetzt, der Gegenstand zerbricht nicht beim runterfallen", wandte Aurora ein.

"Unsere Erzeugnisse sind unzerbrechlich gearbeitet, Ms. Dawn. Wir genießen den Ruf, zukünftige Erbstücke für mindestens drei Generationen zu verkaufen, ähnlich wie Juweliere dies gerne für sich in Anspruch nehmen."

Aurora entschuldigte sich, falls sie die Inhaber und Mitarbeiter dieses Ladens beleidigt haben sollte und fragte nach den Preis für ein Anthropomorphartefakt. Als sie "siebenhundert Galleonen" hörte, mußte sie jedoch ernsthaft stutzen. Sicher, dieses Ding würde dann, wenn sie es richtig anstellte ermöglichen, ihrer Großmutter Florence ein ihr gleichendes Abbild aus Kristall zu verschenken. Doch siebenhundert Galleonen erscheinen ihr auch als niedergelassene Heilerin zu teuer. So sagte sie, um nicht unhöflich zu werden: "Das ist wohl eine Investition, für die ich besser ein Guthaben ansparen sollte, um den bestimmt angemessenen Preis nicht mit Verzicht auf eine ausgewogene Ernährung zahlen zu können. Daher möchte ich vorerst vom Kauf eines solchen Artefaktes absehen." Der Verkäufer nickte nur. Aurora Dawn fragte dann nach diversen Gebrauchsgegenständen, die nicht zu pompös aber auch nicht zu schlicht aussahen. Leider fand sie nichts, was Ihrer Großmutter gefallen mochte. So verließ sie den Laden nach zwanzig Minuten wieder.

Ihr Frühwarner schlug nicht an, während sie weiter durch die Sonnenstrahlstraße zog und schließlich befand, ihrer Großmutter eine Flasche des Antidots 999 zusammenzumischen. Sicherlich war dies ein wertvolleres Geschenk als jeder dekorative Gegenstand. So kehrte sie in ihr Haus zurück, um dort zu essen. Danach füllte sie die Menge einer Halbliterflasche aus einem silbernen Faß ab und verschloß diese mit einem Dosierhahn. Danach begab sie sich in das Postamt der Sonnenstrahlstraße und schickte eine Expresseule nach Großbritannien los. So mochte das Paket bereits übermorgen bei ihrer Oma Florence sein.

Am Abend erhielt sie einen Kontaktfeueranruf von der Familie Clyde und Selma Burney. Deren dreijährige Tochter Ginger hatte gemeint, einen Knarl im Garten füttern zu müssen und hatte sich dabei zwanzig seiner Stacheln in den Arm rammen lassen, weil das igelartige Tierwesen meinte, den ganzen Garten ramponieren zu müssen.

"Ich komme gleich rüber und ziehe ihr die Stacheln raus", sagte Aurora beruhigend lächelnd. "Wußte gar nicht, daß es Knarls in Australien gibt. Ich dachte, die hätten Einfuhrverbot wie die meisten wilden Tierwesen."

"Sie kennen Rod Dumby, unseren Nachbarn. Der hat eine halbe Menagerie von europäischen Zaubertieren auf seinem Grundstück. Die darf er haben, weil er für die Tierwesenbehörde Studien über antipodische Lebensweisen machen will. Wundere mich nur, daß ihm da ein Knarl ausgerissen ist", sagte Clyde Burney. Aurora nickte und beendete die Kontaktfeuerverbindung. Keine Minute später zog sie bei den Burneys am silbernen Glockenzug.

"Dieses Viech. Ich sage noch zu Ginger, sie soll keine fremden Tiere füttern. Hier kommen schon mal Schlangen vorbei", wetterte Mrs. Burney, die von der Haar- und Augenfarbe her unverkennbar als Schwester von Stevia Buckfast erkennbar war.

"Und sie meinte, dieses stachelige Tier habe solchen Hunger", sagte Aurora, während sie in das Kinderzimmer geführt wurde, wo Mr. Burney seine kleine, Tränenfluten heulende Tochter auf dem Schoß schaukelte und andauernd zu beruhigen versuchte. Aurora machte Schschsch und sah der kleinen Hexe ganz freundlich in die Augen. "Hat da dir wer die bösen Dinger in den Arm reingehauen, Ginger?" Fragte Aurora, als Ginger sich nicht so recht beruhigen Wollte. "Ich mach mal eben, daß dir der Arm nicht mehr weh tut. Dann kann ich dir die fiesen Dinger alle rausziehen." Ginger hörte auf zu heulen. Doch die Tränen flossen weiter. Aurora besah sich den rechten Arm des kleinen Mädchens und sah die mindestens zwanzig dunkelbraunen, an die drei Zentimeter langen Stacheln, die aus der Haut ragten.

"Wir können der das Oberteil nicht ausziehen, weil die Dinger sich da durchgebohrt und die so festgenagelt haben", grummelte Clyde Burney."

"Das kriegen wir ganz schnell wieder hin", sagte Aurora und bekam Gingers rechte Schulter zu fassen, um die vor Schmerz und Angst herumzappelnde Dreijährige für einen Vorbereitenden Zauber zu fixieren. "Analgesia localis", dachte sie konzentriert, wobei sie den ganzen Arm des Mädchens mit dem Zauberstab überstrich. Ginger zuckte zusammen. Dann schluchzte sie: "Tut nicht mehr weh." Sie strahlte. Aurora meinte dann, daß sie jetzt den Ärmel aufmachen würde. Mit einem behutsamen Abtrennzauber löste sie den Ärmel vom Rest des bunten Hemdchens mit einer goldenen Sonne darauf, schnitt disen mit einem wohldosierten Zauber auf und löste ihn dann von den in Gingers Fleisch steckenden Stacheln. Gingers Mutter lenkte diese mit Grimassen und bunten Zauberwölkchen und Funken ab, während Aurora die Stacheln mit einer Pincette herauszog. Als alle draußen waren lief zwar Blut über den gerade schmerzfrei gezauberten Arm der Kleinen. Doch das war für eine Heilerin überhaupt kein Thema. Sie reinigte den Arm mit einer rauchenden Flüssigkeit und ließ sämtliche Wunden mit einem ungesagten Allwundheilzauber restlos verheilen. Dann cremte sie den behandelten Arm mit einer Hauterholungssalbe ein und tippte ihn noch einmal mit dem Zauberstab an. "Restaurato Sensibilitatem" dachte sie. Ginger stutzte erneut. Aurora vermutete, daß sie es wohl gerade von der Schulter bis in die Fingerspitzen kribbeln fühlte. Um zu prüfen, ob die Schmerzempfindungsfähigkeit wieder hergestellt war kniff sie Ginger kurz in den geheilten Arm. "Aua!" Quängelte die Kleine. "Okay, das merkst du wieder. Tut dir sonst noch was weh, Ginger?"

"Nöh, ist ganz weg", sagte Ginger und besah sich ihren Arm. "Dann mach ich dir den Ärmel wieder dran."

"Das kann ich machen", sagte Mrs. Burney und bat Ginger, ihr Hemd auszuziehen. mit "Reparo" fügte sie den Ärmel wieder an das Hemdchen. Die Löcher von den Stacheln verschwanden dabei auch gleich.

"So, Ginger. Ist alles wieder heile", sagte Aurora, die nun in erfreute Kinderaugen blickte. "Kannst du mir sagen, wo das Stacheltier hingerannt ist?"

"Ist ganz böse gewesen. Ist durch Daddys Gemüse gelaufen, hat alles rausgeworfen und Löcher in den Boden gerissen. Das böse Tier ist ganz klar noch da draußen."

"Böse ist das Tier wohl nicht", wandte Aurora ein. "Es hatte nur Angst, du wolltest ihm weh tun oder es in einen Käfig einsperren. Es hat das gemeint, weil du ihm was zu fressen gegeben hast. Dann kriegen die Angst und deshalb richtige Wut."

"Ich geh gleich rüber zu Dumby und steck dem, daß einer seiner durchgeknallten Knarls abgehauen ist. Der kriegt noch mächtig Ärger mit seinem Boss, wenn das rumgeht."

"Muß wohl sein. Knarls fangen kleine Säugetiere und alles, was kleiner als sie selbst sind. Nur vor Menschen kriegen sie einen solchen Rappel und machen dann diesen Aufstand", sagte Aurora. Da klingelte es.

"Entschuldigung, Sharoline, ich habe ein Loch im Zaun gefunden. So'n fieser Bundabundo hat sich bei mir ins Freigehege reingebrannt und treibt jetzt meine Gnome herum. Dabei könnte mir ein Knarl abgehauen sein. Ich vermisse eines der trächtigen Weibchen", hörte Aurora eine sehr hektisch klingende Männerstimme.

"Super, Rod, der hat unseren Garten zerlegt. Guck da!" Hörte sie Clyde Burney antworten. "Und meiner Tochter zwanzig Stacheln in den rechten Arm gerammt. Wir mußten Ms. Dawn rufen."

"Ist die noch bei euch?" Hörte Aurora den Mann an der Tür fragen.

"Die wollte gerade deinen Allerwertesten ins Ministeriale Höllenfeuer hängen, weil du deinen Zaun nicht zuhalten kannst, Rod", grummelte Clyde.

"Dann kann die mir vielleicht helfen, wenn ich diesen bescheuerten Bundabundo aus meinem Antipodengehege rauskriege, bevor das blaue Pelzmonster sich noch mit einem meiner Kniesel anlegt."

"Die hast du aber gut versperrt, Rod, oder?"

"'ne Dicke Backsteinmauer ist für'n rauflustigen Bundabundo kein Ding, Clyde", knurrte der Mann an der Tür. Aurora eilte hinaus, nachdem sie sich von Ginger und ihrer Mutter verabschiedet hatte. "Hi Mr. Dumby. Haben Sie vergessen, Ihren Zaun säurefest zu machen?"

"Offenbar, Aurora. Guten Abend erstmal!" Grummelte Rod Dumby, ein baumlanger Zauberer mit sonnengebräunter Haut und grauer Struwelmähne. "Haben Sie diesen Hauthärtungstrank mit? Der soll als einer der wenigen Menschen vor der Säure und den Krallen schützen."

"Warum rufen Sie nicht Ihre Kollegen von der Ungezieferbekämpfung. Bundabundos auf Privatgrund ist deren Spezialität", Erwiderte Aurora lächelnd. Jedem seine Aufgaben, hatte ihre Mentorin einmal gesagt, als sie versucht hatte, einen grünen Wächter einzufangen, der aus einem Privatgehege entsprungen war.

"Dann kann ich denen gleich servieren, daß mir ein Knarl ausgebüchst ist", knurrte Dumby verdrossen.

"Kriegen die eh gleich von mir, weil dein Knarl meine Ginger angepiekst hat, Roddy", schnarrte Clyde Burney. Die Extrakosten für die Heiler krieg ich dann von dir."

"Regeln wir nachher in aller Ruhe", raunzte Dumby zurück, er sah Aurora an, die sich gerade überlegte, welche Tränke sie mithatte. Ja, zertifizierter Durodermistrank war dabei, falls sie wirklich selbst einem dieser raupenartigen Pelzwesen begegnen sollte. Sie holte die Flasche, maß zwei Dosen für eine halbe Stunde ab und trank eine davon, während der Tierforscher vom Nachbargrundstück die zweite Dosis einnahm. Als sich beide in einer stahlharten und doch geschmeidigen Hornhaut wiederfanden eilten sie hinüber in den Garten, wo berade ein wildes Gekreisch und Gepolter einsetzte. Rods Frau, eine spindeldürre Hexe mit kastanienbraunen Locken, zeterte mit Angst in den Augen aus dem Fenster: "Rod, das Ding hat sich durch das Kellerfenster gebrannt und kämpft mit George."

"Ich hör's, Gwen", bellte Rod zurück und disapparierte. Aurora sah in die zurückgelassene leere Luft. Er hätte sie gleich mitnehmen können. "Machst du, daß du hier rauskommst, du blaues Biest!" Hörte Aurora seine Stimme über das wütende Gekreisch eines katzenartigen Tieres hinweg.

"Ich wußte noch gar nicht, daß es hier Bundabundos gibt", sagte Aurora Mrs. Dumby. "Ich lernte, daß die Menschensiedlungen mieden und eher im Dschungel oder dem Buschland lebten."

"Das fragen Sie dieses Mistvieh, Aurora. Wieso sind Sie eigentlich hier?"

"Der Knarl Ihres Mannes hat die kleine Ginger mit ein paar Stacheln bedacht", erwiderte Aurora Dawn, während die Geräusche von Zaubern durch den Garten schollen. Aurora sah eine ziemlich zerrupft wirkende Katzenkreatur mit blutigem Schweif durch den Garten toben, hinter ihr her im Licht der Gartenlaterne hellblau glänzend, ein walzenartiges Etwas, das scheinbar gleitend über den Boden jagte. Nur bei genauem Hinsehen konnte Aurora die blitzschnell trippelnden Beine sehen, ganz sicher acht auf jeder Seite. "Avada kedavra!" Scholl eine entschlossene Stimme aus dem Haus. Laut sirrend schlug ein greller, grüner Blitz aus einem kaputten Kellerfenster und verfehlte das blaue Tier, das blitzartig nach links und oben sprang. Der grüne Blitz erwischte eine Tanne, die erzitterte und dann knarzend zur Seite kippte. Der Bundabundo landete auf den flinken Laufbeinchen und sauste nun auf Aurora zu. Diese richtete den Zauberstab auf den Bundabundo und zog ungesagt eine Feuerwand hoch. Der Bundabundo rammte alle sechzehn Krallenfüße in den Boden, um nicht in die Flammenwand zu geraten. Da bog Aurora diese mit einem weiteren ungesagten Zauber zu einen das Tierwesen umschließenden Feuerring um. Das hatte ihr Eunice gezeigt, als sie noch nicht Dirkson hieß. Elementarzauber konnten von ihrem urheber noch umgeändert werden, ohne neu aufgebaut werden zu müssen. Jetzt war der Bundabundo von einem drei Meter hohen Flammenring umschlossen.

"Netter Versuch, der baut sich gleich einen Tunnel drunter durch", keuchte Dumby, der fast unhörbar apparierte.

"Nicht bei mir", entgegnete Aurora Dawn sehr entschlossen. Überall ploppte es. Offenbar hatte Clyde Burney die Ungeziferbekämpfungstruppe verständigt. Aurora richtete den Zauberstab auf das Stück Boden am Rand des Feuerrings. "Aggregato contracididuro maxima!" Rief sie. Durch die ohne Brennstoff lodernde, orangerote Feuerwand konnten alle sehen, wie ein blaues Leuchten den Boden erfüllte. Sie sahen, wie der Bundabundo bereits mit seinen gefürchteten Säurestrahlen angefangen hatte, sich ins Erdreich hinunterzuwühlen. Da prallten die beinahe wasserklaren Säurestrahlen von festem Widerstand ab. Das gefangene Zaubertier gab einen sehr merkwürdigen, wie erregtes Zwitschern klingenden Laut von sich und rannte herum, wohl um zu prüfen, wo es noch durchkommen konnte.

"Das kann er vergessen, weil ich den zauber an den Durchmesser des Rings gekoppelt habe. Zieht gut Kraft, aber hält das Biest jetzt da wo es ist."

"Holla, den Trick lassen Sie sich patentieren, Miss", rief einer der angerückten Tierfänger. "Und wie wollen sie den jetzt erlegen?"

"Ich belege ihn mit Schlafzauber. Dazu muß ich nur etwas näher ran, um die volle Stärke zu erreichen", sagte Aurora und ging auf den Flammenring zu, der ihr sehr heiße Luft entgegenwehen ließ. Dann begann sie mit dem Schlafzauber. Der Bundabundo zwitscherte protestierend, während Aurora ihren Zauberstab schnell hin und herbewegte, um ihn nicht aus dessen Wirkungsfeld zu verlieren. Erst nach einer halben Minute war das umschlossene Zaubertier so träge, daß Aurora es länger als zehn Sekunden anzielen konnte, um es in tiefen Schlaf zu versenken. Dann löschte sie das Feuer. Knirschend bewegte sich der Erdboden, weil der für den Bodenhärtungszauber zuständige Begrenzungsfaktor verschwunden war. Damit würde der gekoppelte Säurebeständigkeits- und Härtungszauber sich nach wenigen Minuten entladen, wußte Aurora aus dem Kurs fortgeschrittene Zauberkunst an toten Objekten. Doch das reichte, um den Bundabundo in eine Säurefeste Metallkiste mit Luftlöchern zu legen. Der Schlafzauber würde wohl in einer Stunde abklingen.

Gratuliere! Ich habe noch keine oder keinen erlebt, der einen Bundabundo lebend fangen konnte", sagte einer der angerückten Kollegen Dumbys, der nun rot im Gesicht unter der transparenten Hornhaut anlief. Er zog schnell noch ein kompaßartiges Gerät aus seinem Umhang, las es ab und disapparierte.

"Hey, Moment, wo will der hin?" Fragte ein weiterer Zauberer, der gerade eingetroffen war. Da tauchte Rod Dumby schon wieder auf, er trug einen blutenden, aber doch noch lebendigen Knieselkater. Ihm fehlte zwar ein Stück vom linken Ohr, und die Schwanzquaste besaß kein Fell mehr. Aber sonst war dieses Tierwesen wohl Dank seiner Gewandtheit den ihm geltenden Säurestrahlen entgangen.

"Den nehmen wir mit, Rod. Wir kriegen den wieder hin. Kann nur ein paar Tage dauern", sagte einer von Rods Kollegen. "Hoffe nur, daß du glimpflicher wegkommst als dein Kater."

"Ich habe keinen Bundabundo bestellt, der meinen Garten aufmischt und meine Tierwesen angreift. Mir ist noch ein Knarlweibchen ausgerissen. Das hat leider kein Markierungshalsband um."

"Suchen Will und Bob schon", sagte der älteste Zauberer der Truppe. "Rudy will dich übrigens gleich in seinem Büro sehen. Ähm, wer sind Sie eigentlich, junge Dame?"

"Wir hatten wohl noch nicht das Vergnügen, die Herren. Ich heiße Aurora Dawn und bin die für Sydney und Umgebung zuständige Heilerin vor Ort", stellte Aurora sich der Ungezieferbekämpfungstruppe vor.

"Stimmt, ich hörte was, das eine junge Hexe aus England zu uns rüberkam, um Heilerin zu werden", sagte der Truppführer. "Waldon Blackfang, Schädlingsbekämpfungsbehörde neusüdwales", stellte der sich dann auch anständig vor.

"Wir müssen das Knarlweibchen einfangen", sagte Rod Dumby. "Wenn es bei den Muggeln in die Gärten läuft und da auch Rabatz macht ..."

"Könnte dir der Chef die Lizenz für europäische Tierwesen entziehen und dir bei der Gelegenheit noch ein hohes Bußgeld aufbrummen", erwiderte ein anderer Kollege Rod Dumbys. Doch Waldon Blackfang schüttelte den Kopf.

"Ich bezweifel stark, daß Rod sich den Bundabundo selbst ins Haus geholt hat", sagte der Truppführer. "Allerdings frage ich mich, wieso die blauen Kerle jetzt auch in die Nähe von Siedlungen kommen. Die haben doch eine eingeprägte Aversion gegen alles was wesentlich größer ist als sie selbst."

"Sieht glatt so aus, als hätte den wer aus dem Busch hergebracht und ihm gesagt, mein Haus anzuätzen", schnarrte Rod Dumby. Seine Kollegen schüttelten die Köpfe. Das erschien Aurora auch etwas weit hergeholt. Aus welchem Grund und wie überhaupt sollte man das getan haben?

"Wir haben das Tierchen ja sicher. Vielleicht ist es von einer Krankheit befallen, von der wir dann hoffen sollten, daß sie nicht auf Menschen übertragen wird", sagte Blackfang.

"Sowas wie Tollwut oder was?" Sagte Rod Dumby.

"Wir klären das, wenn wir dein Knarlweibchen gefangen haben", sagte ein weiterer Kollege Dumbys. Blackfang disapparierte mit dem gefangenen Bundabundo. Danach schwärmten sie aus, den flüchtigen Knarl zu suchen. Aurora blieb noch eine Weile bei Mrs. Dumby und half ihr, den durchgeätzten Zaun mit Wasserstrahlen säurefrei zu machen und dann zu reparieren.

"Als hätte wer dieses blaue Biest auf uns angesetzt", schnarrte Gwendoline Dumby. Aurora fragte, wen sie verdächtigen würde, da ihr dieses Abenteuer zwar auch sehr seltsam vorkam, aber sie nicht gleich auf böswilliges Menschenwerk tippen wollte.

"Rod ist mit den europäischen Tierwesen hier in der Gegend nicht gut angeschrieben. Das wissen wir schon länger. Sie sind noch relativ neu hier. Aber vielleicht haben Sie von dem Krach gehört, den Rod vor zwei Jahren wegen eines russischen Goldeihahns hatte, der die ganze Nachbarschaft mit seinem dunklen Getöse erschreckt hat. Und diverse eingeborene haben uns offen mit ihren Flüchen gedroht, wenn auch nur ein hier nicht hingehöriges Tierwesen in die Wildnis entwischt."

"Und das weiß Ministerin Rockridge?" Wollte Aurora wissen.

"Natürlich weiß sie das", erwiderte Mrs. Dumby. "Wenn wir das Knarlweibchen nicht erwischen und es in der Wildnis jungt könnten die Abos finden, uns dafür mehrere Todesknochen zu zeigen oder einen anderen finsteren Uraltfluch über uns verhängen. Ich kenne mich mit den Ritualen von denen nicht aus. Ich weiß nur, daß es viele schon bereut haben, sich mit deren Magiern angelegt zu haben, auch wenn sie gut zaubern konnten. Wenn es ganz schlimm kommt sterben die womöglich einen rituellen Freitod, um als unbesiegbarer Geist über einen herzufallen."

"Sagen wir es so, ich habe in Resting Rock, wo ich mal zu tun hatte, einen winzigen Eindruck von den alten Zaubern mitbekommen. Das hat gereicht, um mir Respekt vor denen beizubringen", erwiderte Aurora Dawn.

"Ja, und wir müssen aufpassen. Ich hab's Rod immer wieder gesagt, daß wir diese fremden Biester nicht gut genug eingesperrt halten. Bei den drei Knieseln hat er's ja noch eingesehen. Aber die Knarls und die anderen Kleintiere meint er ja unbedingt im Garten herumlaufen lassen zu können."

Es ploppte, und Rod erschien, mit der einige Stacheln weniger tragenden Knarlin auf den durch Durodermistrank noch immer geschützten Armen.

"Die hat sich in einen Abfallhaufen reingefressen, weil da wohl jede Menge Schaben und sonstiges Geschmeiß herumkroch. Ich konnte sie finden, weil ich die Spuren von Clydes Haus deuten und verfolgen konnte. Haben wir die auch wieder", sagte Mr. Dumby. Aurora nickte. Blieb also nur zu klären, woher der Bundabundo kam und ob es von der Sorte noch mehrere gab. Ihr als Heilerin sollte es wichtig sein, falls noch mehr solcher Kreaturen herumliefen. Doch vorerst konnte sie nicht mehr machen als ihren Bericht schreiben und an die Heilerzunft und die Tierwesenbehörde abschicken. So verabschiedete sie sich von den Dumbys und apparierte vor das von ihr bewohnte Haus. Dort selbst aß sie zu Abend, trug alle Erlebnisse in ihr Tagebuch ein und ging schlafen.

__________

Der Bericht an die Tierwesenbehörde wurde bereits am folgenden Tag beantwortet.

Sehr geehrte Ms. Dawn,

vielen Dank für die umfassende Schilderung des Vorfalls vom vergangenen Samstag. Wir sind beruhigt, daß Sie der Familie Burney helfen und bei der Gefangennahme des marodierenden Bundabundos hilfreich assistieren konnten. Ihre besorgte Anfrage, ob wir damit rechnen müßten, daß die weithin als menschenmeidend geltenden Wildtierwesen nun zu sogenannten Kultur- oder Zivilisationsfolgern mutiert sind können wir mit sicherheit verneinen, da im Blut des von Ihnen festgesetzten Exemplares Restspuren des Psychopolaris-Trankes nachgewiesen werden konnten. Da Ihnen als aprobierter Heilerin dieser Trank sicherlich bekannt ist brauche ich Ihnen nicht zu erklären, was dies für das Verhalten des Tierwesens aussagt. In letzter Konsequenz müssen wir jedoch wohl die sehr besorgte Feststellung machen, daß jemand aus der Zaubererwelt in die natürlichen Verhaltensweisen des Bundabundos eingegriffen und ihn dann gezielt in die Nähe magischer Lebewesen verbracht und dort ausgesetzt hat. Wer das war und welchem Zweck dieses Manöver diente können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es handelt sich jedoch fraglos um mehrere Verstöße gegen die Gesetze zum Gebrauch von Zaubertränken, Umgang mit gefährlichen Tierwesen und den allgemeinen Gesetzen zum Schutz von Leben und Eigentum magischer Menschen. Dies bedeutet, daß wenn wir den oder die Täter ermitteln und dingfest machen können, daß eine mehrjährige Haftstrafe in Fort Ballibong verhängt werden wird. Dies ist - da stimmen Sie uns sicherlich zu - kein harmloser Streich, da die Bundabundos lebensgefährlich werden können, wenn sie in die Enge gedrängt werden oder auf Beute ausgehen. Wenn dann durch Psychopolaris-Trank das Verhaltensmuster eines solchen Tieres nachhaltig verfremdet wurde, könnten derartige Kreaturen befinden, nicht nur in der Nähe menschlicher Ansiedlungen zu hausen, sondern statt kleiner Vögel, Amphibien und Säugetiere eher auf große Beutetiere, Homo sapiens (magicus) eingeschlossen, ausgehen. Damit würde ein solches Tierwesen zur selbständigen Waffe, die nach Verbringung an ihren Einsatzort ohne weitere Anleitung oder Steuerung Opfer findet. Verstehen Sie diese Folgerung unsererseits nicht als Panikmache, sondern als Begründung dafür, weshalb wir von einem hochkriminellen Akt ausgehen müssen. Bitte bleiben Sie wachsam und melden weitere Vorfälle dieser Art unverzüglich an uns. Hierzu erhalten sie beigefügt eine auf einen neu eingerichteten Meldezauber abgestimmte Trillerpfeife, die keinen für nicht darauf abgestimmte Empfänger hörbaren Ton erzeugt.

Wir haben auch allen anderen niedergelassenen Heilerinnen und Heilern, sowie unseren Tierwesenüberwachern im Außendienst derlei Fernmeldeartefakte zugeteilt. Denn wir müssen von der Annahme ausgehen, daß der von Ihnen und unseren Mitarbeitern unabhängig berichtete Vorfall nur ein Test war oder die Spitze eines noch nicht zu ermessenden Eisberges. Wir sind lieber übervorsichtig, als uns dem Vorwurf unzureichender Vorbeugungsmaßnahmen auszusetzen.

Die Methode, den Bundabundo lebend zu fangen, wenngleich sie wohl sehr kraftzehrend ist, empfanden meine Mitarbeiter als sehr brauchbar. Ich habe daher beschlossen, sie als eine Standardprozedur zum Fangen von Bundabundos einzustufen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Ihre Methode für unsere Außendienstmitarbeiter verwendbar zu machen, werde ich Ihnen eine Belohnung von hundert Galleonen zukommen lassen, sowie eine Anerkenntnisbescheinigung für Ihre Zunftsprecherin, Madam Laura Morehead, zusenden.

in der Hoffnung, daß Sie weiterhin erfolgreich und gut in unserem großen, exotischen Land zurechtkommen verbleiben meine Mitarbeiter und ich

mit freundlichen Grüßen

Rudolph Fairfax
Leiter der Tierwesenbehörde
zaubereiministerium Australien

Aurora betrachtete die silberne Pfeife, die in einem gefütterten Lederbeutelchen mit im Umschlag gesteckt hatte. Sie konnte die winzigen Runen im Metall sehen, die jedoch so klein waren, daß sie zu ihrer Entzifferung ein Vergrößerungsglas benötigte. So winzige Runen in eine Pfeife einzugravieren, die gerade einmal daumengroß war, setztte sehr viel Geschick eines Zauberschmiedes voraus. Sie schmunzelte, als sie die Rune für "Neuer Morgen" doppelt eingraviert vorfand. So schrieb sich also ihr Name, dachte Aurora Dawn. Aurora las auf einem winzigen Pergament, das nicht größer als eine Muggelpostbriefmarke war mit Hilfe des Vergrößerungsglases:

Sehr geehrte Ms. Dawn,

Falls Sie die Runen entziffern können, so können Sie wohl auch dies lesen, Ms. Dawn.

mein Name ist Laurin Lighthouse, und ich bin geprüfter Meister der Thaumaturgie, also Hersteller magischer Gegenstände für verschiedene Verwendungsarten. Ich habe im Auftrag des Ministeriums bereits mehrere Ruf- und Meldeartefakte hergestellt, unter anderem auch Fernrufpfeifen, wie Sie gerade eine erhalten haben. Ich erfuhr gestern abend noch von Ihrem Erlebnis und erhielt den Auftrag, dieses Instrument auf Sie abzustimmen.

Da ich nicht weiß, ob Sie während Ihrer Schul- oder Heilerausbildung alte Runen zu lesen und übersetzen gelernt haben, möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich Ihren Vor- und Familiennamen, die ja übersetzt soviel wie "Morgenrot" oder "neuer Morgen" heißen, als Abstimmungsrunen eingraviert habe, so daß jemand, der von Ihnen Signal erhält, daß etwas ungewöhnliches oder brisantes vorgefallen ist, sofort weiß, daß Sie dieses Signal gesendet haben. Daneben habe ich die in der korrekten Verbindung für die mit ihnen besiegelten Zauber nötigen Runen für Rufen, Ferne, Richtung, Warnung und Hören eingearbeitet. Wenn Sie die Pfeife an der beigefügten Silberschnur um den Hals hängen, können Sie sie überall mit hinnehmen. Bitte blasen sie zur Mittagsstunde Ortszeit von Canberra zweimal kurz hinein, um zu prüfen, ob die Abstimmung erfolgreich war! Falls Sie umgehend bescheid erhalten, daß die Abstimmung gelang, blasen Sie bei damt zu meldenden Vorkommnissen einen vier sekunden langen Ton, um die zielgenaue Standortbestimmung vornehmen zu können. Mein Auftraggeber meinte noch, daß es sich von selber verstehe, daß Sie dieses Instrument nicht zum Spaß oder sonstigen zweckfremden Anlässen benutzen, da Sie als Heilerin ja ebenfalls bestimmten Verhaltensrichtlinien und Einsatzbestimmungen unterworfen sind.

In der Hoffnung, meinem Auftraggeber und Ihnen damit zu einer hilfreichen Fernverständigungsgrundlage verholfen zu haben verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Laurin Lighthouse

Aurora prüfte die Uhrzeit. Canberra lag in derselben Zeitzone wie Sydney. Da es hier gerade elf Uhr vormittags war, hatte sie noch eine Stunde Zeit. Diese hielt sie sich für einen möglichen Einsatz bereit, wobei sie einen Artikel in "der praktische Zaubertrankbrauer" las, der einen Unfall mit Vielsafttrank bezeichnete, bei dem jemand aus Versehen ein Hundehaar in den Trank gemischt und sich in eine auf halben Wege steckengebliebene Mischform zwischen Hund und Mensch verwandelt hatte. Die Heiler in der Sana-Novodies-Klinik hatten mehrere Wochen experimentieren müssen, um die Teilverwandlung vollständig umzukehren. Wie genau stand nicht in dieser Fachzeitschrift, da sie auch für Zaubertrankinteressierte, die keine Heiler waren veröffentlicht wurde. Womöglich würde sie die genaue Vorgehensweise und mögliche Rezepturen im Fachblatt für angewandte Heilkunst nachlesen oder auf Anfrage von Zaubertrankunfallabteilungsleiter Goldwater erfahren, wenn sie demnächst wieder in ihre Ausbildungsstätte ging, um sich dort mit Extrakten von Zauberpflanzen einzudecken, die für die Erkältungs- und Keimbanntränke gebraucht wurden, wenn die Erkältungs- und Grippefälle im australischen winter grassierten.

Als die von ihrer Mutter zum Einstand der neuen Anstellung übersendete Wanduhr "Mittagszeit" rief, setzte Aurora die ihr zugeschickte Zauberpfeife an und blies zweimal kurz und kräftig hinein. Sie fühlte dabei eine sachte Vibration, und das Silber erwärmte sich, wohl auch durch ihre Atemluft. Sie hoffte, daß die Abstimmung geklappt hatte. Wie man ihr das mitteilen würde wußte sie nicht. Zehn Sekunden vergingen. Da vibrierte die Silberpfeife merklich, und aus dem Nichts erklang eine freundliche Frauenstimme: "Vielen Dank, Ms. Aurora Dawn! Die Abstimmung wurde als erfolgreich bestätigt."

"Schon interessant, was alles mit Zauberschmiedekunst geht", dachte Aurora. Sicher, wenn sie wollte konnte sie selbst Gegenstände herstellen und bezaubern und mit die Wirkung dauerhaft aufrechterhaltenden Runen versehen. Doch ihre Hauptgebiete waren nun einmal die direkten Heilzauber, Kräuterkunde und Zaubertränke. Da sie nun wußte, daß die Zauberpfeife funktionierte wie sie sollte, verbarg sie diese an der Silberschnur unter ihrem Umhang.

Der Nachmittag verlief mit Hausbesuchen, weil bei den ersten Kindern bereits Erkältungssymptome auftraten.

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Der Mai kam und verging. Die Tage wechselten von ereignislos bis anspruchsvoll. Brüche zu heilen, Grippe und andere Infektionen behandeln, Schwangerenbetreuung und einige Muggel, die von ihrer Anzeige erfahren hatten, ihnen pflanzliche Heilmittel gegen nicht zu gravierende Beschwerden zu verkaufen füllten ihre Arbeitszeit mal mehr und mal weniger aus. Als sie einen Tag vor ihrem Geburtstag in die Sano ging, um sich dort neue Zutaten für ihre verwendeten Tränke zu besorgen, bat sie um eine kurze Unterredung mit Daniel Goldwater, dem Leiter der Zaubertrankunfallabteilung.

"Natürlich hast du von diesem Fall bei Perth gelesen. Direktorin Herbregis' Sohn hat diesen Narren ja bei uns abgeliefert. Hat fast drei Wochen gedauert, den wieder hinzukriegen. Der kriegt demnächst ein Verfahren wegen mutwilligen Mißbrauchs des Vielsaft-Trankes an den nun haarlosen Hals", sagte Goldwater. "Falls du das möchtest, kann ich dir die Therapie und dabei verwendete Erfolgsrezeptur zukommen lassen. Die Chefin hat es erlaubt, nachweißlich gut mit Zaubertränken zurechtkommenden Kollegen im Ortsdienst zu verraten, wenngleich wir darauf bestehen, daß derartige Patienten bei uns stationär aufgenommen werden müssen."

"Ist daran gedacht, daß die Therapie auch außerhalb von Australien veröffentlicht wird?" Fragte Aurora Dawn.

"Bombastus wird bei der internationalen Heilerkonferenz im August in Viento del Sol darüber referieren. da werden dann wohl auch sämtliche Schulheilerinnen und -heiler der Zaubererwelt anwesend sein."

"Oh, wie kriegt ihr dann den Betrieb hier aufrecht erhalten?"

"Salyx springt für Bombastus ein. Der hat im Moment keinen Adepten zu betreuen", informierte Daniel Goldwater, der es immer noch bedauerte, daß Aurora ihm nicht fest zugeteilt worden war. Die niedergelassene Heilerin nickte. Da erklang die weiblich wirkende Zauberstimme: "Großheiler Goldwater wird dringend zur Verifizierung eines Trankes in Labor sieben erwartet! Großheiler Daniel Goldwater bitte zur Verifikation eines Zaubertrankes in Labor sieben melden!"

"Haben sie wieder einen gefangen", knurrte Goldwater. "Seitdem du mit diesem einen Bundabundo bei Sydney aneinandergeraten bist sind überall auf dem Kontinent solche verdrehten Exemplare aufgetaucht, sogar in Muggelsiedlungen. Als wenn die da mit eingeschlichenen Schlangen und Spinnen nicht schon genug Ärger hätten." Er tippte einen wie eine Vase aussehenden Gegenstand auf seinem Schreibtisch mit dem Zauberstab an und rief in dessen Richtung: "Wieder ein Bundabundo mit Psychopolaris-Trank im Blut?"

"Ob der damit verändert wurde möchten Sie bitte klären", klang Bethesda Herbregis' Stimme aus der Vase. Daniel Goldwater nickte und sagte: "Ich bin sofort da." Dann wandte er sich an Aurora Dawn: "Ich schicke dir die Therapie und die Patientenunterlagen in einem auf dich geprägten Umschlag zu, Aurora. Aber jetzt muß ich los, vielleicht Nummer fünf bestätigen."

"Wird Zeit, diesen Jemand zu finden, von dem die Bundabundos vergiftet werden", knurrte Aurora. Dann verließ sie das Büro, damit Daniel Goldwater daraus disapparieren und es verschlossen zurücklassen konnte.

Auf dem Weg zum Kamin im Foyer für Außendienstheiler traf sie Jill Trylief, eine zwei Jahre ältere Kollegin.

"Ah, Aurora. Brauchst du wieder Zeug für deine Praxis?" Fragte Jill.

"Das auch. Aber ich habe mich auch erkundigt, was hier im April los war, wo dieser Vielsaft-Verwandlungsunfall behandelt wurde."

"Unfall ist wohl ein zu schönes Wort für diese mutwillige Verunstaltung. Angeblich wollte dieser Zauberer das Aussehen seines Vetters annehmen, hat dabei wohl aber dessen schwarzes Haar mit dem eines Königspudels verwechselt. Ich durfte assistieren, um die Rückverwandlung hinzukriegen. Hat lange Gedauert. Aber jetzt haben wir ein Verfahren, mit dem das ganze in zwei Wochen durchgeführt werden kann. Bist du interessiert an der Therapie?"

"Meister Goldwater möchte mir die vollständigen Unterlagen darüber zuschicken", erwiderte Aurora. Jill grinste mädchenhaft.

"Hätte mich jetzt auch arg gewundert, wenn dich das nicht interessiert. Im August will Bombastus Honeydew das in Viento del Sol rumgehen lassen. Es haben sich schon viele Schulheiler angemeldet, darunter Madame Rossignol aus Beauxbatons, Madam Merryweather aus Thorntails, Señorita Buenamano aus der Vientoceleste-Akademie in Spanien, die dir wohl bekannte Madam Pomfrey von Hogwarts, Schwester Maiglock von der Greifennestschule für deutschsprachige Hexen und Zauberer, sowie Heiler Botkin vom Durmstrang-Institut. Von denen weiß ich zumindest, daß sie hinwollen, weil ich noch in Kontakt zu Madam Fineroot in Redrock stehe."

"Dann hat Bombastus aber ein Volles Haus", sagte Aurora. Ich habe noch kein Rundschreiben erhalten, wann genau und was genau stattfindet", sagte Aurora Dawn.

"Wollte die große Chefin am Monatsende rumschicken lassen", sagte Jill. Dan sah sie auf ihre Armbanduhr und erwähnte, daß sie wieder auf ihre Station gehen müsse. Sie arbeitete in der Abteilung für Vergiftungsschäden magischer Art, wo jedoch auch Fälle von Radiointoxikation behandelt werden konnten, seitdem Aurora mit ihrer Mentorin Herbregis in Resting Rock gewesen war.

Aurora besuchte Xylophilius Blueberry in der Sektion für Unfälle mit Zauberpflanzen und vollführte mit ihm den ihr geläufigen bürokratischen Akt der Beantragung frischer Zaubertrankzutaten aus den hauseigenen Gewächshäusern. Dabei sprach sie auch mit ihm über einen Artikel im grünen Magier, der sich mit parthenogenetischer Alraunenzucht befaßte. Ein norwegischer Kräuterkundler behauptete, aus einer einzigen Alraune hundert wirksame Nachkömmlinge züchten zu können, seitdem er eine Mixtur verwendete, die ein weibliches Exemplar ohne Samen männlicher Alraunen schwanger werden ließ. Dies wurde jedoch von diversen Expertinnen und Experten bestritten, unter anderem einer Oleande Champverd aus Frankreich, die als Fachhexe für hochpotente Zauberpflanzen galt und Xylophilius Blueberry, den Leiter der hiesigen Station zur Behandlung von Schädigungen durch magische Pflanzen oder Pflanzenstoffe.

"Dieser Hanno Balderson kann mir nicht erzählen, daß er aus einer weiblichen Alraune hundert vollwirksame Abkömmlinge kriegen kann. Das haben schon viele versucht, eine Alraune wie ordinäre Ablegerpflanzen zur Vermehrung zu treiben. Meistens gerieten die so gezogenen Abkömmlinge wertlos oder gefährlich für die Umwelt. Das schlimmste war doch damals dieser Fall, wo ein Zauberer seinen eigenen Samen mit Alraunensaft verpanscht hat, um damit noch größere Alraunen hinzukriegen. Die Weibchen, die er damit versehen hat wurden zwar schwanger, platzten jedoch, weil die verfälschte Leibesfrucht zu schnell wuchs. Ich empfehle für eine erfolgreiche Nachzucht mindestens fünf Paare adulter Alraunen."

"Dieser Balderson schreibt doch, daß er die Selbstbefruchtung durch Blattlausblut hinbekommen habe, deren Spenderinnen auf Gelbstauden geweidet haben. Vielleicht ist doch was dran."

"Ich gehe davon aus, daß du es in einigen Wochen wissen wirst, daß diese angebliche Glanzleistung entweder stark übertrieben oder eine dreiste Fälschung von Ergebnissen ist. Alraunen kommen mit tierischen Komponenten aller Art ungern in Berührung, solange es keine natürlichen Ausscheidungen sind. Und so ein Alraunenweibchen läßt sich bestimmt nur einmal irgendwelches Zeug in den Körper treiben, egal ob in ihr Phloem oder ihre reproduktive Vakuole."

"Ich lese mich noch mal auf den neusten Stand der Alraunenforschung", sagte Aurora Dawn, bevor sie in das erste der Gewächshäuser eintrat, um sich dort zu bedienen.

Nach ihrem Rundgang durch die Klinik fand sie noch einmal Gelegenheit mit Tom Riddley aus ihrem Jahrgang zu sprechen, der nun in der Abteilung für Unfälle mit Tierwesen arbeitete.

"Also ich vermute, daß es einer von Grendel Shadelakes Freunden ist, der uns diese verrückten Bundabundos zumutet", sagte Tom. "Nicht schon schlimm genug, daß wir andauernd die Jäger dieser blauen Säureschleudern behandeln müssen. Jetzt kriegen wir sogar Muggel rein, die diesen Biestern begegnet sind. Ist immer so'n Akt, die aus den sogenannten Krankenhäusern von denen rauszukriegen, um sie hier zu behandeln und Gedächtniszumodifizieren. Wenn uns das mal nicht gelingt, kriegen die Muggel noch Wind von diesen Tieren und glauben entweder an böse Biester vom Mars oder leibhaftigen Dämonen. Mel Vineyard hat uns gestern erklärt, daß die Abos, ich meine die hier lebenden Eingeborenenstämme, ziemlich sauer sind, weil die Bundabundos auch in ihre Dörfer und heiligen Bezirke reingehen und dort ihr Unwesen treiben. Ich glaube nicht, daß dieser Mistkerl oder diese Sabberhexe die Tiere in der freien Natur fängt und mit Psychopolaris vergiftet. Irgendwo züchtet wer diese Brut, wenngleich das schon anerkennenswert wäre, diese Kampfraupen in Gefangenschaft zu halten. Deine Falle war schon sehr praktisch. Du hast sicher vom Leiter der Tierwesenbehörde, daß daran gearbeitet wird, eine Vorrichtung zu bauen, die nach diesem Prinzip funktioniert, um das umständliche und kraftzehrende Zaubern zu vermeiden."

"Ich weiß. Ministerin Rockridge wollte das Ding nach mir benennen. Aber ich habe höflich abgelehnt. Das Wort Dawn-Falle klingt im Zusammenhang mit einer Heilerin nicht gerade vertrauenserweckend. Dann sollen sie es lieber Bundabundoschreck nennen, wie Fairfax das mal vorgeschlagen hat."

Vielleicht räuchern die das Nest aus, aus dem diese Biester kriechen oder erwischen den, der die irgendwo aussetzt auf frischer Tat. Der oder die hat sich eh schon eine sichere Unterkunft für zwanzig Jahre gesichert, wo wir vor einer Woche einen Muggel aus Melbourne hier hatten, der so schwer verätzt war, daß er uns fast unter den Händen weggestorben ist."

"Und konntet ihr den wieder hinkriegen?" Fragte Aurora mit Unbehagen.

"Hat ein wenig gedauert, natürliche Organe nachwachsen zu lassen. Aber wir konnten den nach vier Tagen mit einem entsprechenden Gedächtnis wieder entlassen."

"Dann werde ich besser schnell wieder in meine Niederlassung zurückreisen, um einsatzbereit zu sein", sagte Aurora.

"Du hast auch Muggel auf deiner Patientenliste?" Fragte Tom.

"War nicht einfach für Melissa Thornapple, die Zulassung für mich durchzukriegen. Die Muggel trauen nichts, wozu es nicht amtliche Dokumente gibt. Da kann einer vor dir stehen, und wenn der keinen Ausweis oder eine Geburtsbescheinigung hat, gibt es den gar nicht."

"Na gut, Geburten und Sterbefälle müssen wir ja auch dokumentieren", sagte Tom leicht verbittert, wohl weil er sich an seine Zeit in der Mutter-Kind-Station der Sano zurückerinnerte. Aurora nickte heftig. Sie hatte im bald vollen Jahr ihrer eigenständigen Arbeitszeit acht neue Zaubererweltbürger auf die Welt geholt und würde wohl in den kommenden zwei Monaten noch drei dazuzählen. So sagte sie nur noch:

"Jedenfalls ist es nicht mehr komisch, daß entartete Bundabundos in Umlauf gebracht werden. Wer immer das macht ist schlichtweg bösartig und gehört eingesperrt."

"Den dürfen die gleich bis zum Kopf in den Sand vor der Festung Ballibong einbuddeln", knurrte Tom. "Ich träume schon von menschengroßen Bundabundos, die meterweite Säurestrahlen auf mich abschießen, verdammt noch mal."

"Oh, dann solltest du aber mal zu Mesmers Abteilung gehen, um damit fertig zu werden."

"Dann gehe ich lieber zu Ireen. Die hat zwar bei ihrer Tante angefangen, wie du ja weißt, fühlt sich da aber nicht so sonderlich wohl."

"Stimmt, hat sie mir geschrieben", sagte Aurora. "Aber sie kommt wohl mit den Patienten gut klar."

"Ich muß noch in die Zaubertrankabteilung, um genug Gegengift gegen Grünstachler zu beschaffen. Weiß der Drache, warum viele Leute meinen, diese glibberigen Landseesterne auch noch züchten zu müssen."

"Das weißt du doch, weil deren getrocknete Haut für einen Sättigungstrank benutzt wird, von dem ein Tropfen jemandem für einen Tag Hunger und Durst erspart", sagte Aurora. Sie hatte jene suppentellergroßen Züchtungen, die früher wohl richtige Seesterne waren schon bei einer Züchterin im Nordwesten von Sydney gesehen, die Expeditionen ins Buschland ausstattete. Die Kreaturen waren eigentlich harmlos, weil sie sich eher langsam bewegten. Aber wenn sie meinten, in Gefahr zu sein, konnten sie die grünen Stacheln auf ihrer Haut wie Pfeile in alle Richtungen verschießen. Wer einen oder mehrere davon abbekam litt unter einer vom Breitbandgegengift nicht zu kurierende Verunstaltung, die alle Körperanhängsel wie Ohren, Nase, Finger und Zehen größer werden ließen, dabei aber immer wieder schmerzhaft in Abzweigungen ausuferten. Gegen das Gift half dann nur Alraunensaft mit Blut aus ordinären Seesternen, das jedoch nur die foranschreitende Verunstaltung beendete. Die Rückverwandlung aller betroffenen Körperanhängsel mußte stationär in drei Wochen täglich verabreichter Hilfstränke vorgenommen werden.

"Ich bin dann mal weg", sagte Tom nach einem Blick auf einer der in jedem Korridor hängenden Wanduhren. Aurora nickte und verabschiedete sich. Sie kehrte durch den Kamin in das von ihr bewohnte Haus zurück und prüfte, ob in der Zeit jemand zu ihr gewollt hatte. Bei Gesuchen konnte der Patient, wenn sie nicht im Haus war, einen Zettel in ihrem Briefkasten unterbringen. Doch keiner hatte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Als sie jedoch dabei war, ihre Mitbringsel in die vorgeschriebenen Vorratsbehälter umzufüllen, läutete es an der Tür. Aurora verschloß die massive, mit Durolignumelixier gehärtete Eichentür und ging zur Haustür. Draußen stand eine Mutter mit ihrer zwölfjährigen Tochter, der Kleidung und dem Auftreten nach sofort als Muggel erkennbar.

"Meine Louise könnte schwanger sein", sagte die Mutter. "Wenn die wirklich ein Kind im Bauch hat machen Sie's ihr bitte weg." Die Zwölfjährige sah Aurora an wie ein Gespenst. Aurora lächelte freundlich und bat die beiden erst einmal in ihren Behandlungsraum. Ihr Portrait wußte, daß bei Muggeln Stillhalten angesagt war. So konnte die um Hilfe suchende Mutter nur eine starre Kopie der Heilkundlerin erkennen. Deren Vorlage bat die beiden, sich erst einmal zu setzen. Dann sagte sie ganz ruhig:

"Nun, ich gehe davon aus, daß Sie mir Ihren Nachnamen nicht verraten wollten, Madam. Ich bin jedoch gehalten, Buch zu führen, wer mich aufsucht. Das gehört zu den Auflagen, hier zu praktizieren. Außerdem, sollte Ihr Verdacht stimmen, daß Ihre Tochter in anderen Umständen ist, darf ich keinen Abbruch der Schwangerschaft ausführen, weil der Kodex, dem ich verpflichtet bin das verbietet. Menschliches Leben verdient geschützt zu werden, von der Zeugung bis zum unabwendbaren Ende." Die Muggelfrau sah Aurora verbittert an, während das Mädchen Aurora verwirrt anblickte. Aurora sah die Zwölfjährige ruhig an, als wolle sie ihr wortlos Mut machen. Dann sagte sie zu der Mutter:

"Abgesehen davon, daß ich nicht das bin, was viele eine Engelmacherin nennen, die ungewollte Kinder im Mutterschoß tötet, kann ich jedoch feststellen, ob Ihre Tochter wirklich ein Kind trägt oder nur einer stark verspäteten Regelblutung aufgesessen ist."

"Wenn sie das Balg nicht wegmachen wollen brauchen wir Sie auch nicht weiter zu behelligen", schnarrte die Mutter. Aurora sah sie daraufhin sehr entschlossen an und sagte: "Bei allem Respekt, Sie hätten sicher keine Tochter, wenn Ihre Mutter damals genauso geredet und befunden hätte, wie Sie gerade. Ich kann Ihnen wie gesagt nur anbieten, Ihre Tochter zu untersuchen. Wenn es stimmt, daß sie schwanger ist, kann ich Ihnen Adressen von Beratungsstellen geben, die mit minderjährigen Müttern und ihren Angehörigen vertraut sind."

"Wir möchten lieber gehen", sagte die Muggelfrau verstimmt. Aurora sah sie noch entschlossener an. Das wirkte. Sie blieb sitzen. "Damit Sie einen skrupellosen Kurpfuscher aufsuchen, der Ihrer Forderung bereitwillig nachkommt? Dann würde ich mich der Beihilfe zur Tötung Ungeborener schuldig machen, um nicht zu sagen, zum Mord. Wollen Sie das sein, eine Mörderin, eine Kindesmörderin?"

"Sind Sie etwa Mitglied dieser Papistensekte aus Rom?" Schnarrte die Frau. Aurora wußte, wen und was sie meinte und grinste verhalten. Sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie, daß ihre Ausbilderin sie gelehrt habe, ein Kind, ob im Mutterschoß oder in der Wiege, als unschuldiges, schützenswertes Wesen zu ehren und ihm nicht durch eigene Tätigkeit oder durch Untätigkeit Schaden zustoßen zu lassen. Das habe nichts mit der Kirche des Papstes zu tun, die sie, Aurora bei der Gelegenheit auch als heuchlerische Institution bezeichnete, die die Liebe predige aber die Verachtung und Unterdrückung andersdenkender und glaubender betreibe. Dann sagte sie noch: "Sie möchten also wirklich eine Kindesmörderin sein, jede Nacht davon träumen, ihr ungeborenes Enkelkind schreien zu hören, es als Skelett um ihr Bett herumtanzen sehen und sie anklagen, weil sie ihm das Recht auf Leben verweigert haben? So verzweifelt können Sie nicht sein, sich diese Last auf die Seele zu laden." Aurora sah mit innerer Befriedigung, wie die ausgemalten Schreckensbilder ihre Wirkung taten. Die Muggelfrau verzog sehr angespannt das Gesicht, während ihre Tochter Aurora entgeistert ansah und stammelte, sie habe es nicht mit dem Jungen getrieben, den ihre Mutter bei ihr gesehen hatte. Diese fauchte sie dann an, weshalb sie dann ihre Jungfräulichkeit nicht mehr hatte und schon vier Tage über die errechnete Zeit sei. Louise spie ihr entgegen, das das erste von "diesem blöden Ballettkurs" käme, den sie wegen einer Tante Melanie zu besuchen habe und das zweite wohl wegen dem Stress wegen der Mathematikarbeit vor drei Tagen, die sie sicherlich verpatzt hatte. Aurora ließ die beiden einige Sekunden miteinander zanken. Dabei erkannte sie, in welcher Bedrullie die Mutter offenbar war. Denn diese stieß nur aus, daß sie ja nicht wolle, daß Louise schon mit zwölf passiere, was ihr mit sechzehn passiert sei. Aurora schätzte daraufhin das Alter der Frau genauer ein. Es mochte angehen, daß die Frau gerade erst ende zwanzig sein konnte. Sie erkannte, daß ihre Bemerkung von eben dann sehr tief getroffen haben mußte, daß sie wohl keine Tochter hätte, wenn ihre eigene Mutter damals auf einer Abtreibung bestanden hätte. Nach einer Minute unterbrach sie die richtig in Fahrt geratene Zankerei zwischen Mutter und Tochter mit einem Wink und einem langgezogenen Sch-Laut. Dann sagte sie kurz und knapp: "Wie gesagt, ich kann Ihre Louise untersuchen. Ist sie schwanger, melde ich Sie bei einer Beratungsstelle an. Tauchen Sie da nicht auf kriegen Sie Ärger mit der Polizei. Ist sie nicht schwanger, war das ganze eben ein Brodeln im Kessel oder auch Sturm im Glas oder wie das immer heißt."

"Wir gehen", stieß die Mutter verdrossen aus und griff nach Louises Arm, die ihn jedoch wegriß und Aurora anblickte, weil diese es ihrer Mutter so richtig gegeben hatte. "Ich will jetzt, daß du das mitkriegst, daß Garth mir kein Baby gemacht hat, Mum."

"Nicht bei der da", schnarrte die Frau. "Ich bestimme immer noch, zu wem wir gehen und von wem du dich untersuchen läßt."

"Du hast gesagt, die komische Kräuterhexe soll mir was unten reintun, damit das Baby rausfällt, wenn eins drin ist, weil du mit mir nicht zu deinem Arzt wolltest, weil der wohl genauso was dagegen hat, Babys im Bauch umzubringen wie die hier." Louises Mutter lief knallrot an und rang um Luft und Fassung. Aurora lächelte und sagte, daß ihr schon viele gesagt hätten, sie sei eine Kräuterhexe und sie das als Kompliment sähe, weil viel über Naturheilkunde von weisen Frauen herausgefunden worden war, die damals oft als Hexen verschrien oder gar umgebracht worden seien, aber vieles von dem, was die Schulmedizin heute für selbstverständlich hielt praktiziert hätten. "Ich sehe das also als Ehrenbezeichnung, Madam", beschloß sie ihre Antwort.

"Sie rühren meine Kleine nicht an", schnaubte Louises Mutter. Doch Louise sah das Behandlungsbett, warf keck ihre Kleidung ab und warf sich darauf. Ihre Mutter stürzte auf sie los. Aurora fragte nun sehr entschieden: "Wieviel hätte ich denn von Ihnen verlangen dürfen, daß ich Ihrem Wunsch nachkommen möge und darüber hinaus vergesse, Sie und Ihre Tochter hiergehabt zu haben?"

"Vierhundert Dollar wolte Mum rauslassen, wenn Sie mir das Kind, das ich nicht drin habe rausgezaubert hätten", antwortete Louise keck vom Behandlungsbett aus. Aurora mußte grinsen, während die Mutter des Mädchens wieder knallrot anlief und sich gerade so auf den Stuhl retten konnte, bevor sie noch zusammenbrach.

"Nur vierhundert für aktiven Kindesmord? Ist aber ein bißchen wenig, Madam", bemerkte Aurora überlegen. "Sie hätten sich bei einer kriminellen Machenschaftlerin, die derartige Dienste anbietet damit nicht das Stillschweigen erkaufen können, sich sogar erpreßbar gemacht. Ich weiß im Moment nicht, ob der Staat Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Aber bei dubiosen Zeitgenossen sowas durchführen zu lassen macht sie sicher erpreßbar. Und glauben Sie mir, wer immer sowas anbietet, findet dabei auch heraus, wer diese Dienste beansprucht. Aber wo Ihre Tochter uns beiden schon so einladend daliegt, brauche ich nur zehn Minuten um zu sehen, ob oder ob nicht." Louises Mutter sagte nichts und machte auch keine bejahende oder verneinende Geste.

Mit reinen Hilfsmitteln, die ohne Zauberstab zu benutzen waren, prüfte sie Louises Geschlechtsorgane und ließ sie ein wenig Urin in eine Glasschale absetzen. Dabei erkundigte sie sich bei dem Mädchen, seit wann es die üblichen Regelblutungen hatte und erfuhr, daß sie wohl häufiger den Termin verfehlte. Nach einer Viertelstunde konnte sie verkündigen, daß Louise durch die Angst vor der Klassenarbeit wohl um eine Woche nach hinten verrutscht und sie wohl morgen oder übermorgen fällig sei. Louises Mutter glaubte Aurora kein Wort. Sie sagte nur: "Sie kriegen wie gesagt keinen Cent dafür, Sie Kurpfuscherin."

"Besser als vierhundert Dollar für aktiven Kindesmord", konterte Aurora kaltschnäuzig. Louise zog sich wieder an und verließ mit ihrer Mutter die Praxis. Aurora schmunzelte überlegen, als die beiden durch die Haustür waren. Sie holte ihren Zauberstab aus der für Muggel belanglos aussehenden Rocktasche und deutete in die Richtung der Haustür. Leise murmelte sie "Imagines per Murum!" Dann noch einmal, so daß außer der Wand in ihrem Sprechzimmer auch die Außenwand die Bilder von draußen zu ihr durchließ, ohne wirklich durchsichtig zu werden. Mel Thornapple hatte ihr verraten, daß der Zauber auf drei reine Holz- oder Steinwände zugleich gesprochen werden konnte und gestaffelt wirkte. So konnte Aurora sehen, wie Mutter und Tochter in ein himmelblaues Automobil einstiegen. Als dieses sich zu bewegen begann und blauen Rauch aus dem Rohr unter dem Boden austrat, lauerte Aurora darauf, daß es sich drehte. Dann las sie die Buchstaben und Zahlen auf dem Schild ab.

"Die wird sich noch umgucken, die Dame", sagte Aurora. "Wenn meine Schreckensandeutungen ihr nicht zusetzen dann der Brief, den ich ihr schicke, wenn ich weiß, wem der Autowagen gehört."

"Willst du das nicht einfach so stehen lassen, Aurora?" Fragte ihre gemalte Version aus dem Bild und reckte die vom Stillhalten steif gewordenen Glieder.

"Ich habe ihr gesagt, daß ich buchführen muß, weil ich ja die Auflage habe, Muggelpatienten zu melden, was ich wann und womit bei ihnen behandelt habe. Deshalb muß ich das wissen." Dann ging sie in ihren Wohnbereich zum Kamin, warf Flohpulver hinein und schickte ihren Kopf zu "Muggelkontaktbüro Broadlief!"

"Ach, Aurora. Hat Sie eine Patientin um das Honorar geprellt?" Fragte Josua Broadlief, ein Muggelstämmiger, der mit Ireen zusammen in Redrock gewesen war und nun im Muggelkontaktbüro des Ministeriums arbeitete.

"Eine alleinerziehende Mutter wollte mir doch glatt zumuten, bei ihrer minderjährigen Tochter eine Abtreibung auszuführen. Ich habe das Mädchen mit reinen Essenzindikatoren getestet. Sie ist nicht schwanger. Allerdings wollte mir deren Mutter den Familiennamen nicht verraten. Und den brauche ich schließlich, um meine Bücher in Ordnung zu halten. Ich habe mir die Kennzahlen ihres Autowagens notiert." Sie gab die Nummer weiter.

"Kriegen Sie in zehn Minuten, Ms. Dawn. Ich mach das so, daß ich behaupte, von der Polizei zu sein und wissen will, wem der Wagen gehört, weil er im Halteverbot geparkt hat." Aurora nickte und bedankte sich. Sie zog ihren Kopf aus dem Kamin zurück. Tatsächlich hatte sie zehn Minuten später die gewünschte Information, Jannet Gordon. Sie wohnte im Osten von Sydney. Aurora trug den Namen in ihre Bücher ein. Den Brief wollte sie ihr erst in fünf Tagen schreiben, wenn diese nicht mehr daran dachte, sie hier besucht zu haben.

__________

Das mit dem Brief erledigte Aurora Dawn zwischen zwei Patientenbesuchen. Die zweifache Mutter Fanny Cracklebone stand kurz vor der Niederkunft, und Jimmy Treemane, der vor einer Woche einen mit einem Braunschlangenzahn versetzten Stärkungstrank fast als Patient für die Sano bezahlt hätte war nun auch wieder frei von wilder Schüttellähmung und flutartigem Speichelausfluß.

"Na, Jimmy, immer noch daran interessiert, stark wie ein Krokodil zu sein?" Fragte Aurora Dawn verhalten lächelnd.

"Ich dachte, der Trank ginge mit dem Schlangenzahn noch besser ab. Bleibe wohl doch besser bei pulverisierten Termitenköpfen."

"Ist vielleicht besser so. Abgesehen davon zehrt dieser Trank gut aus. Eine Stunde Wirkungsdauer ist gleichbedeutend mit zwanzig Stunden Tagesanstrengung. Ich würde da doch besser auf Fernbewegungszauber zurückgreifen, um schwere Lasten zu bewegen."

"Mit 'nem T in Zauberkunst bei den ZAGs. Man merkt, daß Sie aus England sind, Ms. Dawn", grummelte Treemane.

"Das ist nur eine Note, Jimmy. Sie können die erlernten Zauber trotzdem weiter benutzen und verbessern", belehrte ihn Aurora.

"Dann kann ich mich gleich damit unangespitzt in den Boden rammen, bevor ich diese tonnenschweren Steinplatten damit zu bewegen versuche", schnarrte Jimmy. "Ist schon blöd genug, das Elsie mit ihrem Zauberstab so ungesagt alles möglich rumfliegen, -springen oder sonstwas anstellen lassen kann."

"Und ich gehe davon aus, daß Ihre Frau Wert darauf legt, Sie noch mehr als fünfzig Jahre um sich herum zu haben", sagte Aurora darauf nur. Jimmy grummelte nur "Könnte schon sein." Aurora verabschiedete sich dann von den Treemanes und kehrte in ihre Praxis zurück. Da fand sie eine Bekanntmachung von Laura Morehead vor. Es ging um die internationale Heilerkonferenz vom 2. bis 6. August im US-amerikanischen Viento del Sol.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in der erhabenen Zunft der magischen Heilkunst,

hiermit möchte ich euch, nun, da die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt sind, offiziell davon in Kenntnis setzen, daß vom 2. bis zum 6. August 1989 im kalifornischen Zaubererdorf Viento del Sol die 537. internationale Konvention der magischen Heilkundigen stattfinden wird. Wie üblich bietet diese Zusammenkunft die Gelegenheit, erfolgreiche Kollegen aus ihren Leistungen zu befragen, internationale Kontakte zu knüpfen und allgemein am Fortschritt der magischen Heilkunde teilzuhaben, falls nicht sogar eigene Erkenntnisse und Errungenschaften einem fachkundigen und höchstwahrscheinlich auch höchstinteressiertem Fachpublikum präsentieren zu können, um einen erhabenen Beitrag zur weltweiten Wissenserweiterung zu leisten.

Ausrichter der diesjährigen Zusammenkunft ist die panamerikanische Gesellschaft magischer Heilkunde mit Sitz in Pico Celeste in Peru, deren derzeitiger Vorsitzender, Octavio Espinoza, dem Treffen in eigener Person beiwohnen wird. Als bereits fest zugesagte Referenten werden erscheinen:

Tilia Verdant aus Sunny Shore im US-Bundesstaat Florida, welche über ihre Erfahrungen mit Stoffwechselerkrankungen berichten wird.
Hera Matine aus Millemerveilles, Südfrankreich, welche über die Auswirkungen der Ernährung stillender Mütter auf deren Kinder referieren und ihre Mixtur zur Elastizitätssteigerung weiblicher Geschlechtsorgane vorstellen möchte.
Hauke Kreuzblum aus dem norddeutschen Feensand, der über die Auswirkungen der Gezeiten bei maritimen Wasserpflanzen nördlicher Breiten und die damit einhergehende Wirkungsänderung in der magischen Heilkunst sprechen möchte.
Schließlich und mit einem gewissen Stolz darf ich dann noch verkünden, daß unser Kollege Bombastus Honeydew aus der Sana-Novodies-Klinik für magische Heilbehandlungen, wohnhaft in Rocky River, Nordaustralien, die vor kurzem in der Klinik zu bewältigende Problematik einer Vielsaft-Trank-Verfremdung durch Tierbestandteile und deren therapeutische Behebung der heilkundigen Öffentlichkeit vorstellen wird.

Sollte sich von euch anderen hier in Australien jemand für ein Thema anmelden, von dem er oder sie der festen Überzeugung ist, es sei für eine derartige Zusammenkunft interessant, womöglich sogar wichtig, hat er oder sie bis zum ersten Juli Zeit, über mich Nachtragsanmeldungen vorzunehmen. Wer darüber hinaus der internationalen Verbundenheit und Kontaktmöglichkeiten wegen, oder weil ihn oder sie die erwähnten Themen für die eigene Arbeit interessieren oder betreffen bereit ist, diese weite Reise zu unternehmen, möge sich bitte bei meinen Logistikbeauftragten Petra Gooseneck und Salyx Gnoll anmelden, um die Finanzierung und Planung von Reise, Unterkunft und Rückreise zu erörtern. Kollegialerweise sollten nidergelassene Heilerinnen und Heiler mit den Kollegen in den an ihre Zuständigkeitsgebiete angrenzenden Niederlassungen abstimmen, wer für wen im Zeitraum der Zusammenkunft Vertretung machen kann. Einer Übereinkunft von 1820 gemäß bitte ich jene Kollegen, die im letzten Jahr an der Zusammenkunft in Greifenberg teilnahmen darum, auf die Teilnahme an der diesjährigen Zusammenkunft zu verzichten, sofern sie keine triftigen Gründe vorbringen können, warum sie diesmal auch teilnehmen sollen. Denn gemäß jener Übereinkunft sollte ein Heiler mindestens einmal alle drei Jahre an einer Zusammenkunft teilnehmen, dafür jedoch nach möglichkeit nicht mehr als zwei mal in drei Jahren dabei sein, um anderen Kollegen die Gelegenheit zu geben, sich international zu betätigen und mit ausländischen Kollegen auszutauschen. Darüber hinaus ist die Zahl der nicht als feste Referenten angemeldeten Teilnehmer auf ein Drittel der in einem Land zugelassenen Heiler begrenzt, um den Auftrag nicht zu gefährden, das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden unserer magischen Mitmenschen zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang kündige ich schon jetzt an, daß ich diesmal nicht an der Zusammenkunft teilnehmen werde, da ich für einen Kollegen einspringen werde, der wiederum unseren Kollegen Honeydew in der Sana-Novodies-Klinik vertreten wird. Also stimmt bitte eure Reisepläne für Amerika mit den Kollegen aus den Nachbarniederlassungen ab oder klärt mit fachkompetenten Kollegen, ob sie euch im Dienst der Sana-Novodies-Klinik vertreten können! Anmeldeschluß ist der erste Juli.

In der Hoffnung, euch wieder einmal Gelegenheit für eine bestimmt recht interessante Auffrischung des bisherigen Wissens anbieten zu dürfen verbleibe ich

Mit kollegialen Grüßen

Laura Morehead

Aurora Dawn las den Brief noch einmal. Dabei überlegte sie, ob sie schon jetzt, knapp ein Jahr nach dem Erwerb ihrer Niederlassung, an einer derartigen Zusammenkunft teilnehmen sollte oder wollte. Sie wollte sich noch eine gewisse Routine erwerben, um mit ihren Hauspatienten weiterhin ein gutes Vertrauensverhältnis zu errichten. Andererseits hatte sie von vielen schon gehört, daß sie über die Juli oder Augusttage dem australischen Winter entfliehen und in den sommerlich warmen Urlaubsgebieten der Nordhalbkugel ihre Ferien verbringen wollten, weil die Schuljahre nicht nach Jahreszeiten, sondern Kalendern geregelt waren und die Nordländer, allen voran Großbritannien, den Lauf der australischen Schul- und Geschäftsjahre vorgab. Der einzige Unterschied war, daß die Weihnachtsferien hier zu mehrwöchigen Sommerferien ausgedehnt waren. Das nutzten jedoch auch viele, um dem hier sehr heißen Sommer zu entwischen und in winterlichen Regionen wie Neuseeland echten Schnee zu genießen, wenn die Touristen von der Nordhalbkugel sich an den hiesigen Stränden tummelten oder meinten, in den Busch zu ziehen als großes, urwüchsiges Abenteuer zu erleben, unabhängig davon, ob sie sich gefährlichen Schlangen auslieferten oder unbekümmert die heiligen Bezirke der Eingeborenen mit Lärm und Abfall füllten. Wollte sie nach Viento del Sol? Sicher, die Therapie der Rückverwandlung jenes Vielsaft-Trank-verkorksers hatte sie schon von Bombastus erfahren. Aber über die Gegebenheiten bei jungen Hexenmüttern sollte sie als doch irgendwie auch als Hebamme tätige Heilerin auf dem Laufenden sein. Hinzu ergab sich die Gelegenheit, sich den verschiedenen Schulheilern und -krankenschwestern vorzustellen, Madam Pomfrey wiederzusehen, die ihr ja doch irgendwie auf den Weg geholfen hatte und eben auch ein paar andere Heiler zu treffen, die ähnlich gelagerte Interessen wie sie hatten. Aber dafür mußte sie jemanden finden, der oder die sie an diesen Tagen vertrat. So prüfte sie im ihr zugestellten Verzeichnis aller niedergelassenen Heiler mit Landkarte, wer in Frage kommen könnte. Da sie, was die alte Heilerin Mel Thornapple mit ihr erst nach Annahme ihrer Niederlassungsnachfolge geregelt hatte, für zwei angrenzende Niederlassungen als magische Hebamme zuständig war, konnte sie vielleicht die dort tätigen Kollegen um ein paar Tage Zeit der Bereitschaft bitten. Im August würden wohl keine Geburten oder nachgeburtliche Betreuungstermine anstehen. So schrieb sie die drei ihr am nächsten niedergelassenen Kollegen an. Insgesamt gab es ja zwanzig niedergelassene Heilerinnen und Heiler.

Die Tage vergingen. Aurora Dawn prüfte nach, wer von ihren Hauspatienten im August da sein würde oder nicht. Sie wurde zu kurzen Treffen mit ihren Kollegen aus den angrenzenden Gebieten eingeladen oder empfing welche bei sich zu Hause, um mit ihnen über die Zusammenkunft im August zu sprechen. Dabei erfuhr sie auch, daß weitere Bundabundos mit verändertem Verhaltensmuster aufgetaucht waren. Gillian Sullivan, ein bereits zwanzig Jahre niedergelassener Heiler aus der westlich angrenzenden Niederlassung, erwähnte, daß in seinem Einsatzgebiet drei dieser verstörten Tierwesen aufgetaucht waren. Aurora hatte bisher wohl Glück gehabt, nur einem solchen Geschöpf begegnet zu sein.

"Ich habe Durodermis zu meinem Standardtrank in die Ausrüstungstasche gesteckt", sagte Gillian, der seine rotbraune Haartracht fast bis auf die Kopfhaut gestutzt und eng anliegend wie eine natürlich gewachsene Mütze auf dem Kopf trug und im Gegensatz zu seinem Kollegen Brian Fleet, der sein schwarzes Haar durch einen dito Vollbart ergänzt trug, glattrasiert auftrat. Die knapp siebzig Jahre alte Heilerin Diana Silverlake wirkte mit ihrer zierlichen Gestalt und dem mit ersten grauen Strähnen durchsetztem Blondschopf wie eine altgediente Ballerina und bewegte sich auch so grazil und koordiniert wie eine Berufstänzerin. Sie hatte bisher noch keine dieser durch Psychopolaris vermurksten Bundabundos zu sehen bekommen.

"Man sollte meinen, die von der magischen Strafverfolgung müßten diesem Wicht langsam beigekommen sein, der diese armen Tiere für seine Zwecke mißbraucht", sagte Diana einmal.

"Arme Tiere", lachte Gillian Sullivan. "Die stehen auf der zweithöchsten Gefährlichkeitsstufe, werte Kollegin. Zwanzig Pfund schwerer und entsprechend größer könnten die uns locker wie Drachen oder Mantikore den Garaus machen, von den Acromantulas ganz zu schweigen, die vor sieben Jahren von einem Idioten aus Borneo hier ausgesetzt wurden und dabei einen Schafzüchter um siebzehntausend Tiere erleichtert haben. Abgesehen davon, daß diese Riesenspinnen fast die Einwohner des Dorfes Red Hills ausgelöscht haben, wenn die Tierwesenbehörde nicht die völlige Ausrottung der Population beschlossen hätte." Aurora nickte. Sie hatte gehört, daß auch im verbotenen Wald von Hogwarts irgendwo eine kleine aber durchaus gefährliche Ansammlung von Riesenspinnen hausen sollte, was unter anderem ja das Verbot rechtfertigte, allein in diesen Wald zu gehen.

"Jedenfalls sollten sie diesen Verrückten bald erwischen, der wild lebende und weit genug von uns weg existierende Bundabundos gegen deren Natur zu lebenden Schreckenswaffen macht, um harmlose Zaubererfamilien und Muggel zu terrorisieren", sagte Brian Fleet. "Aber die aus deinen kombinierten Elementarzaubern entwickelte Fangvorrichtung ist schon genial, Aurora. Vielleicht bringt das diesen jemand doch davon ab, uns diese Säure speienden Pelzraupen auf den Hals zu hetzen."

"Eigentlich wollten wir ja klären, wer von uns im August zur Zusammenkunft reisen kann, ohne die anderen mit zu viel Zusatzarbeit zu belasten", kam Diana auf das eigentliche Thema zurück. Aurora nickte. "Also bei mir werden im August drei Hexen niederkommen, die ich als Hebamme betreue. Wie ihr ja wißt, läßt sich ein Geburtstermin ja nur auf eine bis zwei Wochen genau vorhersagen. Es kann daher am ersten oder am vierzehnten August passieren. Deshalb möchte ich schon hierbleiben." Aurora erwähnte, daß in ihrem Einzugsgebiet im Juli wohl die letzte Geburt für mindestens acht Monate anstand. Dabei wandte sie ein, daß sie auch Frauen aus der Muggelwelt ohne Zuhilfenahme von Zauberstab und Bestandteilen magischer Tiere und Pflanzen betreute, aber im Moment wohl keine weitere Patientin zu erwarten hatte. Viele verließen sich eben dann doch lieber auf die Ärzte ihrer Welt mit ihren bescheidenen, aber immer besser werdenden Verfahren. Immerhin konnten die ja werdenden Müttern mit unhörbaren Schallwellen in den Bauch schauen, ähnlich wie die Fledermäuse ein Bild aus den Echos ihrer für Menschen unhörbaren Rufe erkennen konnten. Gillian war vor einem Jahr bei der Heilerzusammenkunft in Greifenberg dabei gewesen. Damals hätte er sich fast mit einem italienischen Kollegen gestritten, der eine andere Auffassung von gesunder Ernährung hatte, weil der italienische Kollege strengvegetarisch lebte, vegan, wie dieser es nannte.

"Gesetzt den Fall, Laura Morehead erlaubt es mir als doch noch sehr junger Heilerin, an dieser Zusammenkunft teilzunehmen, kann dann jemand von euch einen Teil meiner Hauspatienten betreuen?" Fragte Aurora. Sie hatten kein Problem damit, die Zuständigkeiten einzuteilen. Aurora verpflichtete sich im Gegenzug, Dianas Patientinnen über die Weihnachtstage zu betreuen, damit sie ihre eigene Familie besuchen konnte. Außerdem würde sie Brians Einsatzgebiet im nächsten Sommer mitbetreuen, wenn dieser zur Zusammenkunft nach Schweden reisen würde, um dort mit einem Kollegen die endgültigen Ergebnisse einer Langzeitstudie über die Wirkungsweise von Licht auf die trankunterstützte Therapie von Gemütserkrankungen zu erörtern.

Aurora ließ sich von den drei Kollegen schriftliche Bestätigungen geben, daß sie bereit seien, ihr Einsatzgebiet mitzuüberwachen, solange Aurora bei der Zusammenkunft war und reichte eine Anmeldung mit der Begründung ein, daß sie sowohl Bombastus' Vortrag hören wolle, als auch die für magische Hebammen wichtigen Themen verfolgen wolle bei Laura Morehead ein.

Am ersten Juni gab es erneut Bundabundoalarm im Einzugsbereich Sydney. Ein Verhaltensverändertes Exemplar war in einem Kanal unter Sydney aufgetaucht, wo es offenbar erst einmal von Ratten gelebt hatte, bis es an zwei Kanalarbeiter der Muggelwelt geraten war. Für die kam lleider jede Hilfe zu spät. Und der Bundabundo hatte Gefallen an von eigener Säure vorverdautem Menschenfleisch gefunden. Aurora ersparte sich den Anblick der beiden Leichen und bemühte sich, im Autoverkehrsgewühl der Muggelstadt das gefährliche Zaubertier aufzustöbern. Sie führte zwei handteller große, mit bläulicher Flüssigkeit gefüllte Kugeln mit, die sanft vibrierten. Das waren die konservierten Elementarzauber, die sie damals selbst angewendet hatte. Die Tierwesenbehörde hatte Spezialisten für zauberkonserven auf Trab gebracht, den sich schließenden Feuerring und die Bodenerhärtung plus Säurewiderstandsfähigkeit als tragbare Fangvorrichtung nachzubilden. Aurora hatte ihren Frühwarner angelegt, der sie vor magischen Gefahrenherden warnte. Am Abend erfuhr sie, wo sie das pelzige Raupenwesen finden konnte. Sie schluckte Durodermis-Trank, um ihre Haut gegen Krallen und Säure des Bundabundos zu schützen und apparierte ungeachtet der Beschränkungen für Muggelsiedlungen genau dort, wo die Sichtung erfolgt war. Eine halbe Minute lang suchte sie vergeblich. Ihr Frühwarner verriet jedoch durch merkliche Vibrationen, daß in unmittelbarer Nähe etwas gefährliches lauerte. Da schnellte auch schon ein blauer Schemen aus einem Kellerfenster hervor und stieß einen langen Säurestrahl aus, der das Teergemisch des Straßenbelages dampfend zersetzte. Aurora hatte sich für die Jagd extra ein gegen die schärfsten Säuren gefeites Kostüm aus Drachenhaut angezogen und sich eine an den Seiten fest mit dem Kopf abschließende Schutzbrille aufgesetzt, um die von dem Trank nicht ganz zu schützenden Augen zu sichern. Da rannte das Zaubertier auch schon los, die buschigen Antennen auf ein Haus gerichtet, in dem wohl gerade wer zu Abend aß. Aurora versuchte, das Wesen mit einem Fangzauber festzuhalten. Doch es gelang nicht. Sie bließ in ihre Zauberpfeife, während der Bundabundo sie nun als Ziel anvisierte. Das Pelzwesen erkannte wohl, daß seine Säureattacken keine Wirkung zeigten und griff frontal an, um der Zweibeinerin die sechzehn krallenbewehrten Füßchen und die scharfen Sägezähne in den Leib zu schlagen. Da verging die vierte Sekunde. Aurora hoffte, daß die Ortungszauber im Ministerium sie einwandfrei angepeilt hatten. Sie ließ mit "Relaschio" einen breiten Funkenstrahl auf den Bundabundo los, der gerade zum Sprung ansetzte. Das blaue Pelzwesen verfehlte sie um einen halben Meter, sprang ihr aber aus dem Stand in den Rücken. Aurora unterdrückte das Gefühl des Ekels, dieses kleine Monster nun mit allen acht Beinpaaren an sich hängen zu haben. Sie fühlte, wie kräftige Kiefer versuchten, ihr in Rücken und Nacken zu beißen. Doch die Drachenhaut hielt die scharfen Zähne von ihr ab. Aurora warf sich mit einer unbändigen Entschlossenheit auf den Rücken und drückte den Bundabundo zu Boden, der ein lautes Pfeifen wie ein unter Überdruck stehender Teekessel ausstieß. Aurora Merkte jedoch, welche Kraft in den Gliedmaßen dieses gewöhnungsbedürftig aussehenden Tierwesens steckte. Denn es drückte die mindestens fünfzig Kilogramm schwerere Hexe wie eine Sprungfeder von sich weg und spie ihr laut Fauchend einen Schwalll seiner Säure um Kopf und Oberkörper. Aurora setzte sich auf. Jetzt kapierte sie es endgültig, warum Beth Herbregis sie so unerbittlich auf körperliche Fitness getrimmt hatte. Denn nur wegen ihrer guten Form konnte sie aus dem Sitzen heraus auf die Füße kommen und aus einer schnellen Drehung heraus einen Tritt anbringen, der den Bundabundo, der gerade neu anspringen wollte, wie einen Sack Federn davonschleuderte. Die Heilerin peilte an, wo das Tier aufschlagen würde und warf eine der blauen Kugeln so zielgenau wie sie in einer halben Sekunde sein konnte dorthin. Laut zwitschernd und schrillend überschlug sich der Bundabundo auf dem Boden. Da wallte bereits ein lodernder Feuerring auf, der das Wesen in einem Augenblick einschloß. Eine Sekunde später leuchtete die vom Feuerring umfaßte Zone des Bodens blau auf. Dort, wo die Flammen unbehandelten Asphalt trafen, wallten übel riechende schwarze Dampfwolken auf. Protestierend zwitschernd rannte der so eingefangene Bundabundo auf dem Boden herum, sprang mehr als zwei Meter nach oben und versuchte, über die mindestens vier Meter auflodernden Flammen hinwegzusetzen. Doch der Anlauf reichte nicht aus, um einen derartig hohen Sprung zu schaffen. Da passierte was, mit dem Aurora nicht gerechnet hatte. Unvermittelt klatschte ihr ein weiterer Bundabundo von rechts um Hals und rechten Arm und versuchte, seine Sägezähne durch den eng um den Hals schließenden Schutz aus Drachenhaut zu bohren. Aurora erstarrte für einen Moment. Zwei in den Wahnsinn getriebene Bundabundos? Diese Wesen waren außerhalb der kurzen aber heftigen Paarungszeit strickte Einzelgänger, die ihre Reviere eifersüchtig mit allem was sie aufbieten konnten gegen Artgenossen verteidigten. War dieses Verhalten also auch verdreht worden. Sie fühlte, wie das kleine Ungeheuer versuchte, sie mit seinen vorderen Beinpaaren zu würgen. Doch ab einem bestimmten Druck hielt die durch den Trank gehärtete Haut wie eine metallene Halskrause dagegen. Doch Aurora hatte nun einen Eindruck von der fundamentalen Kraft, die in diesen kleinen Bestien steckte, wenn diese von irgendwem mit Psychopolaris-Trank zu mordgierigen Kreaturen gemacht wurden. Zudem spie dieses Geschöpf einen Schwall Säure nach dem anderen auf sie. Aurora war sich sicher, daß die kleinste Berührung mit ihrem Körper jeden schwer verätzen würde, der sie anfaßte. Sie packte mit der behandschuhten Rechten nach dem Kopf des Angreifers, bekam ihn am Hals zu fassen und rüttelte daran. Quiekend ließ der Bundabundo von ihr ab, als sie in einem Anflug von Wut und Verzweiflung am Kopf des kleinen Untieres drehte. Aus loderndem Zorn heraus schüttelte sie das blaue Geschöpf, das wild mit seinen sechzehn Beinen durch die Luft schlug am ausgestreckten Arm, holte aus und schleuderte es genau in den lodernden Feuerring hinein, der den ersten Bundabundo umschlossen hielt. Mit einem lauten, fast über der Hörbarkeitsgrenze liegenden, in den Ohren stechenden Aufschrei durchschlug der zweite Bundabundo die magische Flammengrenze, wobei sein Pelz wie eine Pechfackel aufloderte. Mit lautem klatschen landete das brennende Raupenwesen auf dem Boden. Sein anderer Artgenosse schnellte auf die hinteren zwei Beinpaare und ging laut fauchend zum Angriff über. Dabei geriet er selbst in Brand und schrillte. Aurora meinte, die ultrahohen Schreie zu hören, obwohl sie nichts außer schmerzhaften Stichen in den Ohren und Kopfschmerzen empfand. Sie entsann sich, daß Sie noch zwei Ohrenschützer gegen Alraunenschreie mit hatte. Doch die würden wohl auf Grund der sie gerade benetzenden Säure zerfallen, sobald sie sie anfaßte. So lief aurora schnell davon, als die in ihren Kopf bohrenden Ultraschallschreie kaum noch auszuhalten waren. sicherlich konnten solche Laute, als gebündelter Strahl ausgerichtet, schwere Schäden anrichten, erkannte Aurora, während sie sah, wie mehrere Menschen, Muggel und erschienene Tierwesenjäger des Zaubereiministeriums, vor den unhörbaren aber unverkennbar schmerzhaften Lauten zurückwichen. Einige hielten sich die Schläfen, taumelten und kippten um. Aurora merkte, daß ihre Aktion unter Umständen den Tod, mindestens aber nachhaltige Schädigungen hervorrufen konnte. Fensterscheiben der umgebenden Häuser begannen vernehmlich zu vibrieren. Wenn die Töne der Todesschreie die Eigenschwingungszahl des Glases trafen, konnten Fenster zerspringen. Das hatte sie in den Kursen über Vorgänge in der unbelebten Natur der Zauberkunst in der Sano gelernt. Jeder feste Körper besaß eine Eigenschwingungszahl. Wurde diese mit geeigneter Stärke von einer Schallquelle angeregt, konnte jeder Körper, egal woraus, zerstört werden. Wie hoch lag die Eigenschwingungszahl von Knochen oder Adern? Sie mußte was machen. Denn die beiden Bundabundos hatten es hinbekommen, sich durch eigene Säurestrahlen von den Flammen zu befreien. Auch wenn sie das sie umschließende Feuer nicht löschen konnten rannten sie gegeneinander an, stießen dabei die überhohen Töne aus. Aurora mußte was unternehmen. Da fiel ihr ein, daß das doch Geräusche waren. Geräusche konnte man abdämpfen. Doch hier waren sie mitten auf einer Straße. Den geräuschlosen Raum konnte sie also nicht zaubern. Aber sie konnte einen provisorischen Schallrückhaltekreis erzeugen. Sie mußte jedoch erst die Säure auf ihrem Körper loswerden. Sie bedeutete einem Ministeriumszauberer, der gerade in brauchbarem Abstand zu den Muggeln stand, ihr mit einem Wasserstrahl die gefährliche Flüssigkeit von Händen und Körper zu spülen. Als das erledigt war, rief sie ihnen zu, einen provisorischen Schallrückhaltekreis zu ziehen. Die Zauberer folgten ihrem Beispiel. drei Zauberer, eine weitere Hexe und sie selbst schafften es vereint, einen unsichtbaren, wenn auch nur eine Viertelstunde haltenden Wall aus schallschluckender Zauberkraft um den Feuerring zu ziehen. Unverzüglich hörten die bohrenden Kopfschmerzen auf. Aurora, als hier gerade einzige Heilerin, übernahm ohne Verzug die Behandlung der ohnmächtigen Muggel, rief weitere Kollegen aus der Sana-Novodies-Klinik und teilte eine Wache ein, um einem weiteren Bundabundoangriff zu begegnen. Denn im Moment rechnete sie mit einem wahren Großangriff dieser verhaltensveränderten Tierwesen. Die beiden eingeschlossenen beharkten sich derweil mit ihren Säurestrahlen und Zähnen, bis sie sich gegenseitig so schwer verletzt hatten, daß sie unter weiteren, gerade nicht hörbaren Lauten, ihr von irgendwem aufgezwungenes Leben aushauchten.

"Zwei auf einmal. Wer auch immer wird jetzt richtig irre", schnarrte Dumby, der als ministerieller Bundabundofänger abgestellt worden war.

"Gibt es immer noch keinen Hinweis, wer das hier und anderswo angerichtet hat?" Fragte Aurora Dawn.

"Darüber möchte das Ministerium noch nichts verlauten lassen", zischte ihr Dumby zu. Aurora wertete es so, daß das Ministerium entweder keine Spur hatte, die es verfolgen konnte, oder daß es den oder die Verursacher bereits eingekreist hatte, jedoch noch nicht zugreifen konnte, weil der letzte, abschließende Beweis für eine rechtskräftige Verurteilung fehlte. So nickte sie nur und half mit, das Chaos aufzulösen, das die beiden Bundabundos angerichtet hatten. Der Feuerring wurde ausgelöscht, der gehärtete Boden nahm ohne diesen Begrenzungsring seine frühere Zustandsart an. Der weggeschmolzene Asphalt wurde von Spezialisten des Ministeriums, die sich als Bauarbeiter aus der magielosen Welt getarnt hatten mit Substanzvermehrungszaubern nachgebildet und mit Trocknungs- und Abkühlzaubern innerhalb einer Viertelstunde so hart wie vorher gemacht. Offenbar, so erkannte die junge Heilerin, hatten die Ministeriumszauberer bereits Übung darin, den schwarz glänzenden Straßenbelag in den Muggelstädten zu reparieren. Die toten Bundabundos wurden im der Sano untersucht.

Am Abend nach dem Angriff erhielt Aurora Dawn einen Brief von Ministerin Rockridge persönlich. Sie schrieb, daß der Einsatz einen wichtigen Bestandteil des Gesamtbildes erbracht habe und bedankte sich aufrichtig für die tatkräftige Unterstützung vor Ort und die Lösung, die durchaus körperschädigenden Kampflaute der Bundabundos durch eine provisorische Schallrückhalteumfriedung einzudämmen.

Laura Morehead lud Aurora und alle anderen niedergelassenen Heilerinnen und Heiler zu einer Spontankkonferenz in das Hauptquartier der magischen Heilzunft ein. Hier wollte sie mit ihnen erörtern, inwieweit sie noch Unterstützung aus der Sano gebrauchen konnten. Daß zwei Bundabundos an einem Ort aufgetaucht waren hielt sie für alarmierend. Aurora verstand. Der oder die Täter experimentierten offenbar damit, die Bundabundos nicht nur einzeln, sondern in großer Anzahl einzusetzen. Bisher hatte man die Pelzwesen immer noch erwischen können. Die Frage war also, wie viel Zeit zwischen dem Aussetzen und der Entdeckung verging. Am Ende wuselten diese verstörten Tierwesen schon Monate lang in der Gegend herum, bevor sie irgendwem zu nahe kamen. Dann würden wohl alle Spuren vergehen. Dann konnte es so sein, daß die beiden Raupenwesen, denen sie heute begegnet war und von denen sie sicher noch das eine oder andere Mal träumen mochte, zufällig einander ins Gehege gekommen waren. Aber an diesen Zufall glaubte Aurora Dawn nicht. Die Bundabundos konnten auf mehrere hundert Kilometer die Reste der Markierungsdüfte riechen, die Artgenossen zur Abgrenzung ihrer Reviere anbrachten. Also mußte der Psychopolaris-Trank auch diesen Instinkt, weiten Abstand zu den Artgenossen zu halten, ins Gegenteil verkehrt haben. Aber warum jetzt erst? Die Ministerin, sowie Laura Morehead schrieben davon, wichtige Bestandteile des Gesamtbildes gefunden zu haben. Vielleicht erfuhr sie, was damit gemeint war.

Am nächsten Tag verband sie die Türglocke ihres Hauses über den Alertus-Zauber mit einer Halskette, die sie von Miriam Swann zum siebzehnten Geburtstag bekommen hatte. Dann stellte sie sich bei Laura Morehead ein.

Laura Morehead hatte ihr Arbeitszimmer umgeräumt. Ihr Schreibtisch, ein Aktenschrank und ein Bücherregal waren wohl anderswo untergebracht. Dafür stand vor jeder Wand ein hochlehniges, fünfsitziges Sofa. Ein langer Konferenztisch stand in der Mitte des Raumes bereit. Als alle zwanzig niedergelassenen Heilerinnen und Heiler, darunter Wilhelmina Whitecastle, Diana Silverlake, Gillian Sullivan, Lazarus Herbregis und Brian Fleet, waren nun vereint.

"Auch auf die Gefahr hin und gerade weil zu befürchten ist, daß wir gerade das machen, was die Unbekannten mit ihren Aktionen erreichen wollten, habe ich euch alle zu dieser kurzfristig einberufenen Zusammenkunft gebeten", begann Laura Morehead nach einer kurzen allgemeinen Begrüßung und der Entgegennahme der Erwiderungen. "Denn ich bin vom Ministerium bevollmächtigt worden, euch mitzuteilen, daß wir wohl in wenigen Tagen den Urheber der Bundabundo-Anschläge dingfest machen werden. Über das Ziel der Anschläge konnten bisher nur Vermutungen angestellt werden. Aber wir gehen jetzt davon aus, daß der Urheber, vielleicht auch eine Bande von urhebern, die Sicherheitsmaßnahmen auskundschaften wollte, wenn irgendwo ein gefährliches Wesen auftaucht. Zum zweiten will oder wollen der oder diejenigen erreichen, daß wir in ständiger Alarmbereitschaft sind und keinem uns anvertrauten Patienten ein Gefühl von Sicherheit gönnen können. Daher müssen wir davon ausgehen, daß der oder die Täter nun die Vollendung ihres Angriffsplanes vorantreiben werden, nämlich die vollständige Zerstörung des Zaubereiministeriums. Wir haben es hier mit wohl dosierten Übungen zu tun, Übungen für ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver. Daher begann ich auch damit, daß unsere jetzige Zusammenkunft womöglich genau das ist, was die hinter den Anschlägen steckende Person oder Personengruppe beabsichtigt." Sie ließ die Worte wirken. Doch jeder und jede hier nickte ihr nur stumm zu. So sprach sie ruhig weiter: "Während wir Heilerinnen und Heiler, Tierwesenjäger und Strafverfolgungszauberer, Vergissmichs und Unfallumkehrmagier an mehreren Stellen zugleich gegen wohl zu erwartende Horden verhaltensumgeformter Bundabundos ankämpfen müssen, will die Person oder personengruppe das von Sicherheitskräften entblößte Zaubereiministerium angreifen und besetzen. Hinweise darauf fanden die Beamten von Ministerin Rockridge bereits nach dem ersten, von dir bezeugten Vorfall, Aurora." Aurora Dawn straffte sich und blickte die Sprecherin der Heilzunft an. "Die Frage war ja, wer einen Nutzen aus durch Psychopolaris veränderten Bundabundo ziehen könne. Verdächtige gibt es ja doch einige, von Gruppen, die eine Ministerin, also eine Hexe als Oberste der australischen Zaubererwelt ablehnen, über solche Gruppen, die zwar keine Probleme mit hochrangigen Hexen haben, dann jedoch solche installieren möchten, die ausschließlich der Hexenheit die Vorrangstellung verschaffen wollen bishin zu Verfechtern der von Abkömmlingen Slytherins propagierten Reinblütigkeit der Zaubererwelt, die durch die Integration von Muggelstämmigen in den Augen dieser rassistischen Fanatiker verdorben wurde. Bedauernswerterweise erweisen sich Bundabundos wegen ihrer Wehrhaftigkeit, die sie ursprünglich nur zum Beutefang und zur Selbstverteidigung aufbieten als vortreffliche Mittel, um Angst, Schrecken und Chaos zu säen. aurora wäre gestern bestimmt gestorben, wenn sie nicht gegen die Säurestrahlen der beiden Bundabundos vorgesorgt hätte. Die Drachenhautmonturen und der Durodermistrank sind jedoch nicht in vieltausendfacher Zahl herzustellen, weswegen immer die Gefahr besteht, daß diese Wesen, wie gestern leider auch zu verzeichnen war, Opfer finden. Dies betrübt uns Heiler besonders, weil wir ja verpflichtet sind, Menschen, nicht nur die mit magischen Kräften, vor magischen Schadensfällen zu schützen oder deren Auswirkungen zu beseitigen. Doch im wesentlichen ist wohl beabsichtigt, einen Weg zu finden, möglichst viele Fachkräfte außerhalb des Ministeriums zu binden, um dieses ohne nennenswertes Risiko einnehmen zu können."

"Weiß man im Ministerium also schon, wer ungefähr das angerichtet hat?" Fragte Wilhelmina Whitecastle.

"Ministerin Rockridge behauptet zuversichtlich, man habe den Urheber ermittelt und sei nun darauf gefaßt, den entscheidenden Schlag abzuwehren. Denn so, so Ministerin Rockridge, würde sich der Urheber der ganzen Angelegenheit ausliefern. Unsere Aufgabe ist es nun, den befürchteten Massenangriff von verhaltensveränderten Bundabundos mit so wenig Opfern und Personal wie möglich zu bewältigen. Wir haben hier ein paar Tierwesenexperten. Ich möchte von denen gerne hören, ob es eine Möglichkeit gibt, die Bundabundos handlungsunfähig zu machen, ohne sie erst in die von Aurora Dawn angeregte Feuerumfriedung zwingen zu müssen."

"Bundabundos sind schlau. Sie können auf sie zielende Angriffe instinktiv erspüren und diesen ausweichen, können sich tagelang wie tote Äste verhalten, wenn sie sich einer unabwehrbaren Bedrohung sicher sind und verfügen wegen der von dir erwähnten Wehrhaftigkeit über keine natürlichen Feinde, wenn man von den dem Profit verfallenen Zeitgenossen absieht, die sie ihrer Pelze wegen bejagen", sagte Cyril Bowfield, ein Heiler, der in der Gegend von Adelaide niedergelassen war. Lazarus Herbregis meldete sich darauf zu Wort.

"Die werden also mit Psychopolaris-Trank umgeformt, daß sie ihre sonstigen Verhaltensweisen verkehren. Dann müßte eine Gegendosis des Trankes doch die Wiederherstellung der natürlichen Verhaltensweise bewirken, wenn die Spuren des vorab verabreichenden Trankes aus ihnen heraussind."

"Was ziemlich schwer ist, weil die sich wie schon mal hier erwähnt, ziemlich gut wehren können, Laz", meinte Gillian Sullivan. "Eine Psychopolarisverkehrung kannst du erst umkehren, wenn du ein Wesen mindestens die Zeit ohne Reste des Trankes unter Verschluß hältst, die der Trank selbst gewirkt hat, beziehungsweise, der von diesem initiierte Effekt vorgehalten hat. Ein Tag gleich ein Tag Abschottungszeit."

"Was also in letzter Konsequenz heißt, daß diese Wesen wie bisher gefangen und eingesperrt gehalten werden müssen", grummelte Brian Fleet. Wilhelmina Whitecastle bat erneut um das Wort:

"Soweit ich weiß haben die Kollegen Daniel Goldwater und Bethesda Herbregis an einem Gegentrank geforscht, der Reste von Psychopolaris neutralisiert und die von diesem verursachte Wirkung zumindest unterdrückt, also bei einer Verhaltensänderung die Aktivitäten des betroffenen Wesens lähmt, wie ein Narkotikum."

"Ja, aber ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß dieser Unterdrückungstrank noch nicht ausgereift ist und vor jeder Anwendung an höheren Lebewesen gewarnt wird, weil bleibende Hirnschäden auftreten können."

"Ich hörte gestern erst schrille Töne und fühlte dann wie die anderen vor Ort stechende Schmerzen, die wohl von oberhalb der Hörbarkeit liegenden Tönen kamen", wandte Aurora Dawn ein, nachdem sie das Wort erhalten hatte. "Kann man nicht damit die Bundabundos ausfindig machen oder gar außer Gefecht setzen?"

"Diese Töne, junge Kollegin Dawn, sind die Revierverteidigungsrufe der Bundabundos, die sie ihren Konkurrenten entgegenschleudern, wenn die ihnen zu nahe kommen", sagte Cyril Bowfield. "Offenbar hat der Wurf des einen durch den Feuerring dessen Revierverteidigungsverhalten ausgelöst und den anderen wohl auch ... Moment mal. Du hast den zweiten Bundabundo doch durch das Feuer geworfen, richtig?" Aurora nickte bestätigend. "Offenbar hat das Zauberfeuer eine spontane Verhaltensumbildung bewirkt. Denn die Revierrufe sind, wenn zwei Artgenossen sich näher als einen Kilometer kommen, bereits leise für den Artgenossen unerträglich. Je näher ein Bundabundo seinem Revierrivalen kommt, desto lauter ruft er. Der Gegner ruft dann zurück. Normalerweise ruft der Besitzer doppelt so laut wie der Eindringling, was diesen dazu bringt, eher das fremde Revier zu verlassen. Die Töne sind unerträglich für diese Wesen. Das sich zwei Bundabundos so nahe kommen konnten lag beziehungsweise liegt sicher an der Psychopolaris-Veränderung. Aber in dem Moment, wo sie Feuer auf sich hatten, kehrte sich die Verhaltensänderung in ihre natürliche Ausgangsart zurück. Deshalb schrien die sich gegenseitig die ohne Ohrmuscheln bestehenden Ohren von den Köpfen und beharkten sich mit ihren Körperwaffen. Offenbar haben die überstarken Schmerzen der Verbrennung die verfälschten Charakteristika überlagert und ohne großen Übergang umgekehrt. - Das ist eine sehr interessante Feststellung."

"Jetzt verstehe ich auch, was Fairfax so hat grinsen lassen, als er mir durch meinen Kamin sagte, daß sie wohl ein probates Mittel gegen die Bundabundos gefunden hätten", wandte Laura Morehead ein. Aurora bat ums Wort, weil ihr eine interessante Idee kam.

"Wenn dieser Ton der Revierruf ist, den die Bundabundos nicht näher um sich herum haben wollen, dann brauchen wir nur eine Möglichkeit zu finden, diesen Ton nachzumachen. Damit würden wir die veränderten Exemplare anlocken, egal wo sie sind. Falls wirklich mehr als einer in der Nähe ist, können die so angelockten Exemplare zusammengetrieben werden. Ich denke mir das so, daß jemand von einem fliegenden Besen aus den Ton trichterartig nach unten schickt, weit genug über der Reichweite der Säurestrahlen. Wenn Bundabundos mit verändertem Verhalten darauf reagieren und sich an diesem Ort zusammenfinden, wobei der Ton nicht zu laut sein darf, können sie bequem mit der Feuer-Bodenhärtungskomgination festgesetzt werden. Dann dürfte ein Schlafzauber genügen, um sie zu betäuben. Damit könnten wir die Plage weit ab von den Muggeln mit möglichst wenig Personal bekämpfen, bevor der erwartete Angriff auf das Ministerium erfolgt."

"Besser, Aurora. Wir sammeln die Biester so ein, wie du das gerade vorgeschlagen hast, heizen ihnen mit kurzen Feuerstößen den Pelz und drehen ihren verkehrten Verstand wieder auf richtig zurück. Dann bringen die sich gegenseitig um", sagte Bowfield.

"Aber wenn die dann wieder natürliches Verhalten haben, könnten wir sie gleich wieder in Freiheit setzen, wo sie sich weit ab von Menschen ihres natürlichen Daseins erfreuen dürfen", widersprach Diana Silverlake. "Weil sonst könnten wir die ganze Species auslöschen."

"Derlei Skrupel sind leider nicht angeraten, Diana. Wenn wir es mit eindeutig Menschenleben gefährdenden Wesen zu tun haben, müssen wir diese wie einzellige Krankheitserreger ansehen", sagte Laura Morehead. Das traf und wirkte. Die Zauberer und auch Aurora Dawn nickten bestätigend. Die Hexen sahen die Sprecherin der Heilzunft jedoch verstört an. Denn diese hatte gerade angedeutet, die ganze Tierwesenart auszurotten, wenn diese zur allgemeinen Plage wie der Pestbazillus oder Drachenpockenerreger wurde. Wilhelmina Whitecastle sagte dann:

"Womöglich will Ministerin Rockridge es darauf ankommen lassen, daß wir einem Massenangriff auf uns hinnehmen sollen, damit sie dem Urheber ihre Falle stellen kann, nicht wahr, Laura?"

"Leider verhält es sich genau so", grummelte Laura Morehead. Doch dann sagte sie entschlossen: "Aber wir Heiler sind zuerst dem Wohlbefinden der unserer Obhut anvertrauten Mitmenschen verpflichtet. Das Ministerium hat kein Problem damit, Opfer hinzunehmen, wenn das Ziel der Gegenaktion damit erreicht werden kann. Wir hingegen sollen Verletzungen und Tode vermeiden. Also setzen wir Auroras Vorschlag um, die Biester mit ihren Revierrufen aus den Verstecken zu locken und zusammenzutreiben. Cyril, du hast diese Rufe aufgezeichnet. Setz dich mit dem Kollegen Goldfire in der Sano auseinander, wie sie magicomechanisch reproduziert werden können! auf dieser Grundlage werden wir für Besen taugliche Gerätschaften entwickeln, mit denen wir unsere Niederlassungen abfliegen. Womöglich ist es auch eine gute Maßnahme, eine Antwort aufzufangen, um die Richtung auszumachen, wo ein Bundabundo sich aufhält."

"Ich setz mich sofort mit dem Kollegen Goldfire in Verbindung, Sprecherin Morehead", sagte Cyril Bowfield. Das Jagdfieber ließ seine Augen leuchten, erkannte Aurora Dawn.

"Bringt dir das keinen Ärger, Laura. Ich meine, damit vereiteln wir den von den Urhebern erwünschten Ablenkungserfolg und die Aussichten, gefahrlos in das Zaubereiministerium eindringen zu können."

"Wie erwähnt darf uns das nicht beeinflussen. Wir sind den Menschen da draußen verpflichtet, nicht den Strategien eines Zaubereiministers oder einer Zaubereiministerin. Wir Heiler sind von ministerialen Befindlichkeiten unabhängig. Das ist weltweit geltendes Zaubererrecht. Wenn ich als eure oberste Sprecherin anordne, daß wir die Gefahr im Keim ersticken sollen, bevor sie zur heillosen Plage ausufert, dann macht ihr das so! Eure Patienten, ja auch die euch nicht aufsuchenden Muggel müssen sich darauf verlassen können, daß ihr eure Pflicht der Gesunderhaltung gegenüber erfüllt und nicht als Kampftruppen oder Strategieverfolger des Zaubereiministeriums vorgeht. Cyril, du sorgst für die Reproduzierbarkeit des Revierrufes für Besenflieger! Ich gebe persönlich weitere Feuerring-Bodenhärtungs-Konserven in Auftrag. Jetzt kehrt zurück in eure Niederlassungen. Eure Nachbarn und Patienten müssen sich darauf verlassen können, daß ihr ihr Wohl hütet, und wenn dabei eine ganze Zaubertierart ausgerottet werden muß, weil jemand verbrecherisches alle Bundabundos bereits mit seinem Trank vergiftet hat, gelten diese Geschöpfe weniger als alle vernunftbegabten Mitgeschöpfe. Weil sonst müßten wir unseren Auftrag völlig überdenken, ob wir das Recht haben dürfen, Bakterien zu töten, die nachweißlich Krankheiten auslösen oder Wurmlarven abzutöten, bevor sie zu Endoparasiten herangereift sind. Ihr dürft jetzt gehen." Aurora nickte der obersten Sprecherin zum Abschied zu und verließ wie alle anderen das Büro.

In ihrem Briefkasten fand sie eine Antwort auf ihren Brief an Jannet Gordon. Schmunzelnd las sie, was eine Hexe wohl als Heuler an sie adressiert hätte.

Werte Ms. Dawn,

ich weiß nicht, mit welchen zweifelhaften Methoden Sie meine Anschrift herausgefunden haben. Sollten Sie jedoch darauf beharren, mir weiterhin nachzustellen, werde ich meinen Rechtsanwalt und die australische Ärztekammer auf Sie hetzen. Ich frage mich nämlich, ob Sie überhaupt als Naturheilpraktikerin registriert oder gar ausgebildet sind. Zwar hatten Sie damit recht, daß meine Tochter kurz nach dem Besuch in Ihrer fragwürdigen Praxis die verspätete Regelblutung erfuhr, was mich jedoch nicht davon abhält, Ihre scheinheiligen Ansichten über den Umgang mit ungewollten Kindern anzuerkennen. Wenn Sie es wagen sollten, mir eine Rechnung oder derlei zu schicken, kriegen Sie eine Stunde nach Erhalt einer solchen Forderung Besuch von der Polizei. Wollen doch mal sehen, wie weit Ihre Scheinheiligkeit dann noch Bestand hat, wenn sich herausstellt, daß Sie gar nicht praktizieren dürfen. Naturheilpraktiker sind bei anerkannten Medizinern ja eh sehr schlecht angeschrieben.

Also vernichten Sie alle Unterlagen, die Sie über mich gesammelt haben! Jeden weiteren Brief oder Besuch von Ihnen werde ich als Belästigung, ja betrugsversuch sehen.

Erwarten Sie bloß keine freundlichen Grüße von mir!

Auf nimmer Wiedersehen!

J. Gordon

"Die traut sich nicht mal, mit ihrem vollen Namen zu unterschreiben", amüsierte sich Aurora ihrem Bild-Ich gegenüber. "Dabei weiß sie nicht einmal, daß Laura und Melissa genau das bedacht haben, daß mir ein unzufriedener Muggel Quacksalberei und Betrug an Hilfesuchenden unterstellen könnte. Ist zwar nicht gerade eine Respektsbekundung den für ihre Zulassungen hart arbeitenden Muggeln gegenüber, entsprechende Leistungsnachweise und Zulassungen zu fälschen. Aber wie die habe auch ich für das geschuftet, was ich kann, und Mel bestand darauf, auch Muggelpatientinnen zu behandeln. In Wirklichkeit ist die doch nur so pampig, weil ihre Tochter doch kein Kind im Bauch hat, dessen unrechtmäßige Abtreibung jeder Muggelmediziner hätte nachprüfen können, wenn ich sie deshalb angezeigt hätte."

"Und wenn es in der Muggelwelt erlaubt ist, daß einer deren Heilkundler ungeborene Kinder töten oder die Abtreibung durch Arzeneien auslösen darf?" Fragte die gemalte Aurora.

"Dann könnte ich immer noch behaupten, daß sie das hätte anmelden müssen und es bei mir ohne Kenntnis der Behörden versucht hat", sagte die natürliche Aurora Dawn. "Da draußen vermurkst irgendwer Bundabundos und läßt die auf die Menschen los, also auch auf diese J. Gordon. da will die mir Angst machen. Die Welt kann manchmal sehr verrückt sein."

"Aber gerade deshalb solltest du diese Dame erst einmal oder für immer in Ruhe lassen, um dich auf das Wesentliche konzentrieren zu können", riet die gemalte Ausgabe Aurora Dawns. Das Original nickte dem Vollportrait zustimmend zu.

__________

Es war wie die berühmte Ruhe vor dem Sturm. In den kommenden Tagen tat sich in Sachen Bundabundos nichts. Offenbar hatte das Ministerium sogar die freiberuflichen Jäger dieser Pelzwesen dazu verpflichtet, für's erste keine Jagd auf diese Tierwesen zu machen. Latona Rockridge lud den bisher verborgenen Widersacher regelrecht dazu ein, seine Machenschaften mit diesen Tieren fortzusetzen. Dessen ungeachtet schafften es die Tierwesenexperten der Sano und die ebenso mit magischen Wesen vertrauten niedergelassenen Heiler, tragbare Vorrichtungen zu bauen, die auf künstlichem Weg den unhörbaren Ruf der Bundabundos ausstrahlen konnten. Mit Haltevorrichtungen konnten die Geräte, die wie winzige Trichter mit verschiedenen Gravuren am Rand aussahen, an Besenstielen befestigt werden. Als Aurora ihren Bundabundolockpfeifer, wie Cyril Bowfield ihn getauft hatte, zugeschickt bekommen hatte, vertrieb sie sich drei Stunden damit, auf ihrem neuen Himmelsstürmer, der für langsame wie schnelle Flüge gebaut war, über ihrem Einsatzgebiet herumzufliegen. Sie achtete darauf, nicht zu nahe an Muggelwohnorten zu bleiben. Doch an diesem Vormittag tat sich nichts. Am Nachmittag mußte sie zu einer der Patientinnen, die bald Nachwuchs erwarteten. Am Abend nutzte sie das doch noch freundliche Wetter aus, um noch eine Runde zu fliegen. Dabei reagierte der kleine Trichter, der auch fremde Revierrufe auffangen konnte. Aurora flog auf die Antwortquelle zu und blieb hübsch oberhalb von dreißig Metern. Höher würde ein ihr geltender Säurestrahl nicht reichen. Mit einer Nahsichtbrille, die sie durch Handauflegen auf die Bügel auf verschiedene Entfernungen bis zweihundert Metern einrichten konnte, sah sie wie mit Adleraugen. Sie dachte daran, daß ihr Vater dieses Fernbildauge erfunden hatte, mit dem er durch die Augen eines abgerichteten Greifvogels die Landschaft erkunden konnte. Sowas ähnliches benutzte sie nun selbst. Sendung und Antwort wurden nun schneller und stärker. Ob sie sie auch lauter würde hören können, wenn sie Fledermaus- oder Bundabundoohren hätte wußte Aurora nicht. Dann sah sie ihn. Pelzig und Blau galoppierte der Bundabundo auf seinen sechzehn Beinen heran und stieß wohl die unhörbaren Rufe aus, die von der Anlockvorrichtung in Eigenschwingungen umgewandelt wurden. Dann sah Aurora noch zwei Bundabundos, die angelaufen kamen. Also hatte sie wirklich recht gehabt. Die Tiere ließen sich entgegen ihres sonstigen Verhaltens von den Abwehrrufen anlocken, ja zogen nun durch ihre Antworten noch zwei weitere Bundabundos an, die sicher einen langen Weg zurückgelegt hatten. War das schon das Aufgebot für den erwarteten Großangriff, oder nur die Vorbereitung darauf? Hatte sie vielleicht den unbekannten Tätern einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie die Kreaturen von menschlichen Ansiedlungen fortgelotst hatte? Sie hoffte es. So blieb sie über den nun fünf Bundabundos, die sich gegenseitig zuriefen und fast zusammenknäuelten, als wollten sie sich paaren. Aurora war schon versucht, tiefer zu gehen, um sich die fünf näher anzusehen, als sie wie auf ein unhörbares Kommando auf ihre zwei hintersten Beinpaare schnellten, sich senkrecht aufrichteten und scharf gebündelte Säurestrahlen genau in ihre Richtung ausspieen. Aurora riß den Besen weiter nach oben, bekam die stechenden Dampfschwaden der ihr geltenden Attacke in die Nase und mußte niesen. Die Bundabundos wippten auf ihren hinteren Beinen und spuckten neue Säuresalven nach oben. Da regneten die fehlgegangenen Ladungen auf sie selbst hernieder. Mit einem Schlag fielen die fünf auf ihre restlichen Füße und gingen aufeinander los, was die trichterförmige Vorrichtung mit starkem Ruckeln bedachte. Aurora zog den Besen noch höher. Da preschten drei der fünf angelockten Bundabundos mit qualmendem Pelz und angefressenen Beinen und Antennen davon. Die zwei noch verbliebenen krümmten sich vor Schmerzen.

"Es reicht auch, über ihnen zu schweben, bis sie versuchen, einen anzugreifen", mentiloquierte Aurora ihrer Mentorin Bethesda Herbregis. "Habe gerade fünf auf einen Punkt anlocken können. Wurde mit fast zu mir reichenden Säurestrahlen angegriffen, die als ätzender Regen auf die Angreifer zurückfielen. Angreifer danach offenbar zum Verdrängen von Artgenossen getrieben."

"Dann werden wir diesen Lump jetzt ausmanövrieren", hörte sie Bethesda Herbregis' weit entfernt wirkende Gedankenstimme. Aurora verstand. Wenn Schmerzen, nicht nur durch Feuer, die Verhaltensumkehr rückgängig machten, konnten Zauberer diese Wesen mit Jovis oder dem Cruciatus-Fluch solche Schmerzen zufügen, daß ihr Verhalten sich wieder wandelte. Damit mochten hunderte von Menschen und deren Hab und Gut gerettet werden.

__________

In den kommenden Tagen konnten die Heiler mehrere Dutzend Bundabundos auf diese Weise davon abbringen, Siedlungen oder einzelne Menschen anzufallen. Zwar behagte es der Ministerin nicht, den Widersacher so von seinem Angriff abgebracht zu haben. Doch am zehnten Juni stand im Stern des Südens:

BRUTALER BUNDABUNDO-BRÜTER ENDLICH GEFAßT

ZAUBERTRANKZUTATEN ZEIGTEN ZIELFAHNDERN DEN WEG ZUM TÄTER

Die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder vorgefallenen Angriffe der sonst Menschen meidenden Tierwesenart Bundabundo auf magische und nichtmagische Ansiedlungen dürfen wohl nun als endgültig aufgeklärt und erledigt angesehen werden. Wie wir heute Nacht von Zaubereiministerin Rockridge persönlich erfahren durften gelang es ihrem Stab von Tierwesen- und Zaubertrankexperten, dem Treiben einer Dreierbande ein jähes Ende zu bereiten.

Demnach konnten die ministeriellen zaubertrankexperten mit Unterstützung von Heilern aus der Sana-Novodies-Klinik ermitteln, woher die Zutaten eines sehr dubiosen Zaubertrankes stammten, mit dem das natürliche Verhalten der Bundabundos gestört und die sonst sehr scheuen Tierwesen zu angriffslustigen, Menschen aufsuchenden Bestien wurden. Erleichtert wurde die Fahndung der Ministerialbeamten dadurch, daß es gelang, die Verhaltensveränderungen der Bundabundos auszunutzen und sie an bestimmte Orte zu locken, wo sie eingefangen und untersucht werden konnten. Gestern abend gelang es, den Verkäufer der Zaubertrankzutaten zu verhaften, der speziell die für die Bundabundos benutzten Bestandteile auf dem Schwarzmarkt verkaufte. Restbestände der Zutaten brachten es an den Tag, daß sie für die Instrumentalisierung dieser Wesen zum Zwecke magischer Terrorakte benutzt wurden, deren Ausmaß wohl noch lange nicht abzusehen war.

Der festgenommene Zutatenschieber gestand noch in der Nacht, für die Brüder Usher die Zutaten hergestellt und/oder angeschafft zu haben. Abbadon, Brutus und Caliban Usher wurden noch in der Nacht verhaftet. Bei ihnen wurden große Mengen der für den Zaubertrank benötigten Zutaten gefunden, sowie zwanzig in Erstarrungszaubern festgehaltene Bundabundos, die offenbar mit dem Trank, der als Psychopolaris-Trank bezeichnet wird, in ihrer Verhaltensweise verändert werden sollten. Unterlagen, die bei einer Hausdurchsuchung unter Zuhilfenahme von Fluchbrechern des Zaubereiministeriums sichergestellt werden konnten, enthüllten einen langfristigen Plan, der zunächst die Übernahme des Zaubereiministeriums im allgemeinen Chaos eines großangelegten Bundabundoüberfalls an verschiedenen Orten Australiens und dann die Errichtung einer schwarzmagischen Elite zur Unterwerfung der Zaubererwelt vorsah. Daß es nicht zu jenem Überfall kam verdanken wir vordringlich der kreativen Zusammenarbeit des Ministeriums mit der magischen Heilzunft, die darauf bestand, die Bundabundos von menschlichen Ansiedlungen fernzuhalten. Es wird nun damit gerechnet, daß die drei Brüder wegen mehrfachen Mißbrauchs der Magie, unerlaubter Verwändung hochpotenter Zauberwesen, krimineller Manipulation an tierhaften Lebewesen, versuchten Mordes in zwanzig, vollendeten Mordes an Muggeln in vier Fällen, Verrates und versuchten Umsturzes des Zaubereiministeriums zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Der Prozeß soll in den ersten Augusttagen stattfinden. Näheres über die drei Ushers lesen Sie bitte auf den seiten 5 ff.

"Die waren das also", dachte Aurora und las den Artikelanhang durch. Da stand auch, daß die drei gut mit den Shadelakers zurechtgekommen seien. Das hätte sich die junge Heilerin zwar auch so schon denken können. Es aber zu lesen empfand sie dennoch wie einen Schlag in die Magengrube. Diese eingebildete Hexe Perdita und ihr offenbar nicht minder überheblicher Bruder machten mit diesen Banditen gemeinsame Sache. In diesem düsteren Licht standen die Shadelakes also weiterhin treu zu ihrem Ahnherren. Sie las dann noch eine Erklärung der Ministerin, in der diese erwähnte, daß es wohl nicht der erste Versuch gewesen war, ihr Ministerium umzustürzen. Seit dem Sturz dessen, dessen Name nicht genannt werden durfte, habe es immer wieder welche gegeben, die dachten, diesen gefürchteten Schwarzmagier beerben zu können. Daß die Ushers derartig dreist zu Werke gingen erstaune sie zwar. Doch die Beweise sprächen für sich.

Am Abend schrieb Aurora in ihr Tagebuch:

Sie haben meinen Namen nicht erwähnt, Wendy. Ich muß sagen, daß ich nicht sonderlich unglücklich darüber bin. Denn wenn diese Brut, zu denen auch diese arrogante Sabberhexe Perdita Shadelake gehört, erfährt, daß ich die Idee mit dem Anlocktrichter hatte, mit dem wir den geplanten Großangriff wohl noch rechtzeitig verhindert haben, könnten deren Freunde finden, mir und jedem in meiner Umgebung das Leben schwer zu machen. Ich habe zwar keine Angst vor durchgeknallten Hexen und Zauberern. Aber ich fürchte, dann meine Arbeit nicht mehr machen zu können und die ganze Ausbildung hier für nichts beendet zu haben, wenn die mir dann nicht erlauben würden, weit weg von Australien zu praktizieren. So bin ich froh, daß sie meinen Namen rausgehalten haben, wie auch den der anderen Heiler. Sollen diese Schnepfe und ihr Bruder doch denken was sie wollen.

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Am nächsten Morgen erschien Laura Moreheads Kopf im Kamin der jungen Heilerin, als sie gerade die feststehenden Termine, anstehenden Hausbesuche und Brauzeiten im hauseigenen Labor überprüfte. "Aurora", hörte die niedergelassene Heilhexe ihren Namen. Sie antwortete. "Hast du für elf Uhr Vormittags einen Termin oder darf ich dich um einen solchen bitten?"

"Moment, bin gerade dabei, das nachzulesen, Sprecherin Morehead", antwortete Aurora Dawn und prüfte die Liste. "Elf Uhr geht in Ordnung", stellte sie fest. "Soll ich in das Haus der Heilzunft kommen?"

"Ich komme zu dir, für den Fall, daß jemand doch deine Dienste in Anspruch nehmen möchte", sagte die Großheilerin und Sprecherin der gesamten Zunft in Australien. Aurora erwiderte darauf, daß sie sich freue, auch wenn sie nicht wußte, ob sie einen Grund dazu haben würde.

"Petula läßt dich grüßen, Aurora. Sie wird im Juni Urlaub in Irland machen", sagte Auroras Bild-Ich.

"Das mit diesem Dustin war dann wohl nichts, oder?" Fragte Petulas ehemalige Klassenkameradin.

"Tja, zumindest nichts, wo man gefragt wird, ob man das ganze Leben zusammen sein will", erwiderte die gemalte Ausgabe der Heilerin.

"Richte ihr bitte aus, ich würde ihr am Wochenende einen Brief schicken!"

"Mach ich", war die Antwort. Jemand von draußen hätte wohl meinen können, Aurora spräche mit sich selbst.

Punkt elf Uhr läutete die Türglocke. Aurora öffnete. Laura Morehead begrüßte sie mit Handschlag. Dann ließ sie sich in das zum Dauerklangkerker umfunktionierte Arbeitszimmer geleiten. Aurora brachte mit Zauberkraft eine Karaffe Wasser und frisches Obst auf den Tisch. Dann setzte sie sich.

"Ministerin Rockridge und ich hätten uns fast im Foyer des Ministeriums duelliert, so wütend hat sie ausgesehen, als sie mich zu sich zitiert hat", eröffnete Laura Morehead die Unterhaltung. "So richtig entgegenkommend empfand sie es nicht, den Usher-Brüdern ihren Spaß am Chaos zu vermiesen, bevor sie sich offen aus ihrem Versteck getraut hätten. Ich habe ihr dann aber sehr klar verdeutlicht, daß wir Heiler nicht die Kampfeinheiten und Manövrierpüppchen des Zaubereiministeriums sind und jede erkannte Gefahr bannen, sofern wir die Möglichkeiten dazu haben und nicht warten, bis wer ruft: "Jetzt dürft ihr was machen!". Ich habe sie auf unser Grundprinzip semper pro bono verwiesen. Das hat sie nicht sofort eingesehen, weil sie eine blitzsaubere Anklage gegen Abbadon und Gebrüder aufbauen wollte. Und da wäre ein unter dem Schutz eines an mehreren Stellen eingeleiteten Ablenkungsmanövers erfolgter Sturmversuch im Ministerium wesentlich gravierender gewesen als die verbotene Manipulation mit magischen Tierwesen. Wir können im Grunde nur der Überheblichkeit und dem offenbar schlechten Gedächtnis der Drei danken, daß sie ihre Pläne aufschreiben mußten, um sich daran halten zu können. Ansonsten könnten wir ihnen den Umsturzversuch nicht anhängen. Das meinte die Ministerin, hätten wir Heiler fast vermasselt. Darauf habe ich ihr gesagt, daß es bei uns nicht um Politik, sondern um lebende Menschen ginge und die vier Toten durch die Bundabundos vier zu viele gewesen seien und kein niedergelassener Heiler derartiges auf sich sitzen lassen dürfe und ich als Gesamtsprecherin, die das Vertrauen aller Heiler und aller Heilsuchenden erwartet, nicht einfach zusehe, wie wildgemachte Bundabundos auf lebende Menschen losgehen. Sie, also die Ministerin, wolle ja schließlich auch sofort Hilfe haben, wenn ein marodierender Drache ihr Haus angezündet hätte und nicht erst hören, daß der Drache erst verhört werden müsse, wer ihn losgeschickt habe. Und die beste Hilfe gegen eine Krankheit oder Gesundheitsgefährdung, so habe ich unmißverständlich argumentiert, sei die Vorbeugung, was für uns magische Heiler genauso gelte wie für die Knochenflicker der Muggel. Ich weiß nicht, ob meine Argumentation oder meine Unerschütterlichkeit die gute Latona überzeugt haben. Jedenfalls betonte sie dann noch einmal, daß ihr die Verhütung von Übergriffen auch wichtig sei, sie aber nicht wahllos jemanden festnehmen lassen könne, solange keine ausreichenden Verdachtsmomente vorlägen. daher habe sie auf den Großangriff spekuliert und entsprechende Melde- und Fangzauber in Stellung gebracht. Da wir Heiler den Großangriff vereitelt hätten und dadurch kein zusätzlicher Ministerialbeamter ausrücken mußte, seien die drei Brüder schön in ihrer Deckung geblieben. Andererseits habe man ja da schon die Spur der Zaubertrankzutaten verfolgt, die letztendlich auch ans Ziel geführt hat."

"Interessant, Laura", erwiderte Aurora Dawn. "Dann hatten die wen im Ministerium, der oder die denen sagen sollte, wann die meisten Leute unterwegs waren."

"Genau das habe ich der guten Latona auch unter die Nase gerieben. Sie mußte zugeben, daß das der Punkt war, der ihr die größten Magenschmerzen bereitet habe. Verräter hat niemand gerne in den eigenen Reihen. In dem Fall war es jedoch kein lebendes Wesen, sondern eine Skulptur, die ein Helfershelfer der Ushers angefertigt und mit verborgenen Zaubern versehen hat, die die Zahl lebender Personen ohne aktiven Suchzauber wahrnahmen. Bei der für einen erfolgreichen Angriff entscheidenden Minimalzahl hätte die Skulptur einen kurzen Rufzauber ausgesandt. Die ganze Sache war also schon länger in Planung. Ministerin Rockridges Zauberkunstexperten forschen jetzt daran, warum sie diesem Ding schon früher auf die Schliche hätten kommen müssen."

"Und den, der es gebaut hat haben sie?" Fragte Aurora.

"Dumm nur, daß er die Arbeit unter dem Imperius-Fluch ausführen mußte", sagte Laura Morehead. "Oder sagen wir so, besser ist es, wenn er unter einem Zwang gehandelt hat als freiwillig. Aber ob dies zutrifft befindet eine Untersuchungskommission ähnlich der, die bei euch in England die Aussagen angeblicher oder tatsächlicher Imperius-Unterworfener prüft, um echte von gezwungenen Todessern zu unterscheiden."

"Ja, und die Ministerin wollte jetzt wissen, wie genau das mit der Abwehr der Bundabundos ablief?" Fragte Aurora Dawn, die langsam wissen wollte, warum Laura Morehead sie persönlich aufgesucht hatte.

"Als wir uns endlich darüber einig waren, daß wir es keinem den dunklen Künsten und einer rassistischen oder geschlechtsbevorzugenden Anschauung verbundenen durchgehen lassen dürfen, unschuldige Menschen heimzusuchen, bat sie mich um die Einzelheiten, wie wir von der Heilzunft ohne Benachrichtigung oder Hilfestellung des Ministeriums die vergifteten Bundabundos orten und unschädlich machen konnten. Da habe ich es ihr erläutert, deinen Vorschlag, das durch den Trank genauso verkehrte Abstandsverhalten zu Artgenossen wie zu Menschen zu nutzen, um die veränderten Tiere anzulocken und festzusetzen. Das reiner Schmerz gereicht hätte, sie wieder zur natürlichen Verhaltensweise zu bringen kam ja erst raus, als die dich doch angreifenden Bundabundos ihre eigene Säure abbekamen. Offenbar hält der Trank nur solange vor, wie das Gehirn des davon beeinträchtigten Bundabundos keine Schmerzreize verarbeiten muß. Bei Menschen gelingt dies leider nicht so. Das wurde ja vor hundert Jahren schon ausprobiert." Aurora nickte, weil sie sich an die Anfänge der Psychopolaris-Forschung erinnerte. "Jedenfalls habe ich Ministerin Rockridge deinen Namen genannt, weil du ja auch den kombinierten Feuerring-Bodenhärtungszauber zum Festhalten eines Bundabundos ausgeführt hast. Sie würde dich gerne inoffiziell dafür ehren, daß du eine der Menschheit drohende Gefahr gebannt hast. Sie läßt dich durch mich fragen, was du als Auszeichnung wünschst, da Heiler ja der Berufsethik wegen keine Orden tragen."

"So spontan würde ich sagen, ein Haus mit Frischwasserzulauf für mindestens drei Gewächshäuser und fünf Gartenbeete", sagte Aurora Dawn unvermittelt kühn. "Madam Thornapple, Melissa, legte ja zu meinem Bedauern keinen Wert auf eigene Pflanzen. Ich stelle nur fest, daß für das Projekt, das ich gerade in Arbeit habe, eigene Gewächshäuser zur Beobachtung und Erforschung außerhalb meiner Patientenbesuche und Konsultationen sehr wichtig sind."

"Ach, das Buch, mit dem auch magische Kräuterkundeanfänger und Hobbygärtner was anfangen können?" Fragte Laura Morehead. Aurora hatte es Bethesda und ihr schon schriftlich angekündigt, demnächst eine längere Studienphase für nicht zu gefährliche Kräuter einzulegen, ohne ihren Pflichten zu entsagen.

"Richtig. Ich hörte, hier in der Umgebung von Sydney sei dies momentan das einzige verfügbare Haus, an und in dem gezaubert werden dürfe. Nur reicht der Wassernachschub nur für den Haushalt und für die Brauerei von Zaubertränken. Magische Pflanzen brauchen doch mehr Wasser, wenn sie richtig wachsen sollen."

"Gut, das mit dem neuen Haus oder einem erschlossenen Wassernachschub kannst du dann ja anbringen. War da nicht auch irgendwas, daß du wegen dieses Buches andere Zaubergärten besuchen möchtest?"

"Für den Fall, daß ich zur Zusammenkunft der Heiler darf ist die erst einmal wichtig. Ansonsten wollte ich erst genug Alltag und eine gute Basis zu meinen Patienten aufbauen. Ich muß mich danach richten, wann wer von denen im Urlaub ist und ob ich dann auch verreisen kann und ob das dann meiner Ferienzeit abgezogen wird oder als Studienreise gewertet wird." Laura Morehead überlegte das. Dann sagte sie: "Wenn konkrete Bildungs- oder Forschungsziele benannt werden und das ganze als heilkundliche Notwendigkeit begründet werden kann haben schon viele von uns ihre Kollegen im Ausland besucht, um Erfahrungen auszutauschen und Schriften in anderen Bibliotheken zu studieren. Es wäre durchaus nötig, mehr als zwei Wochen für eine solche Reise anzusetzen. Wenn du allein schon den gezeitenabhängigen Zyklus der Mondstaute im Verhältnis zum Neu- und zum Vollmond auseinanderhalten möchtest, geht ein ganzer Monat dafür ins Land."

"Das ist ja auch ein Grund, warum ich gerne eigene Gewächshäuser hätte, wo ich weiß, wie oft und wann genau welche Pflegemaßnahme getroffen wurde", erwiderte Aurora Dawn. Doch ihr war nicht entgangen, daß Laura Morehead bei ihrer Ausführung wohlwollend gelächelt hatte.

"Nun", setzte die Sprecherin der australischen Heilmagier an, "Die Reise nach Viento del Sol geht in Ordnung, soviel schon mal dazu. Ich habe deine Absprachen und die Begründung, warum du diese Reise antreten möchtest geprüft und alles wohl formuliert und berechtigt gefunden. Ich weiß nicht, ob Ministerin Rockridge einen für alle erdenklichen Magien geeigneten Platz findet und dort ein Haus mit Gewächshäusern errichten mag. Aber falls das gelänge, müßtest du mindestens einen Monat dort zubringen, um deinen Hauspatienten und allen anderen zu helfen, dich auch zu finden. Normalerweise fangen Heiler erst nach dem dritten Jahr nach der HIP-Zeit mit langfristigen Projekten an, besonders dann, wenn sie dafür längere Reisen unternehmen müssen." Aurora hörte bereits eine Ablehnung aus Lauras Worten heraus. "Aber die Rückmeldungen, die ich von Mel Thornapple erhalten habe, sowie die allvierteljährliche Karteirevision, die die Abteilung für Niederlassungen durchführte und bisher nur anerkennenswertes zu berichten wußte, lassen mich darüber nachdenken, ob die Genehmigung für eine Studienreise wirklich von der Mindestanzahl der praktizierten Jahre oder vom Ziel der Reise abhängig sein sollte. Ich schlage deshalb vor, du reist erst einmal nach Viento del sol. Ich werde am ersten August den für die zehn Interessenten genehmigten Portschlüssel aus den Staaten erhalten. Wenn du dort selbst mit Kollegen aus anderen Ländern ins Gespräch kommen kannst, besteht die beste Chance, die eigenen Pläne zu durchdenken, zu entwerfen, zu verbessern und zu erweitern. So ging es mir zumindest mal, als ich vor fünfzig Jahren wegen eines Fachaufsatzes über die Pinkenbach'schen Gesetze im Bezug auf Bezauberbarkeit lebender Wesen in Abhängigkeit zu ihrer Körpergröße, Alter, Geschlecht und magischem Eigenpotential nachforschen mußte. Goldfire, der heute in der Sano die Artefaktunfallabteilung betreut und kurative Zauberkunst lehrt behauptete damals, daß ein einfacher Zauber, den v. I. positive Hexen wirken, bei V. I. negativen Hexen nicht mehr gelänge. Da er meine Bemerkung, ich sei wohl das beste Beispiel dafür, daß es keinen Unterschied gäbe nicht ohne Beweise hinnehmen wollte, ging ich daran, das Verhältnis der Bezauberbarkeit lebender Wesen überhaupt zu erforschen. Ich denke, der Kollege Goldfire weiß heute, daß er mir nie wieder solche provokanten Hypothesen vorlegen darf, die er an sich selbst nicht überprüfen kann. Wie dem auch sei. Ich hoffe, daß die mit den Kollegen Sullivan, Silverlake und Fleet abgestimmten Vertretungspläne umgesetzt werden können und du in Viento del Sol einen gebührenden Anfang für internationale Kontakte machen kannst, Aurora." Dann sagte sie noch: "Ich habe dir und denen, die halfen, die Bundabundogefahr einzudämmen siebenhundert Galleonen Bonus gutschreiben lassen. Das berührt jedoch nicht die Reisespesen, sofern du nicht beabsichtigst, in Viento del Sol im Haus zum sonnigen Gemüt in den Zimmern der Klassen über der Komfortklasse Silber zu nächtigen. Ich war da auch einmal und wurde von einer Kollegin gefragt, ob ich nicht in den Zimmern der Komfortstufe Drachenhorn übernachten wolle. Für den Preis einer Nacht hätte ich in den Zimmern der Silberklasse zwanzig Tage logieren können. Das war der Kontaktfeuerkamin und die jeden Morgen ohne Aufpreis zugestellten Zeitungen nicht wert, beziehungsweise, ich konnte gut und gerne darauf verzichten. Aber es gibt Kollegen, die aus eigener Tasche eine große Bequemlichkeit bei ihren Hotel- oder Gasthofaufenthalten bezahlen möchten, um dem Stress einer Bildungs- und Diskussionsveranstaltung eine außerordentliche Erholung entgegenzusetzen."

"Ich brauche nur ein Bett, eine eigene Badezimmereinrichtung und einen Schreibtisch. Essen kann ich ja auswärts", sagte Aurora Dawn. Laura Morehead nickte wohlwollend lächelnd.

"Gut, ich werde Ministerin Rockridge deinen Wunsch nach einer Niederlassung mit mehr Wasserzugang übermitteln. Kann sein, daß sie sich deshalb noch einmal mit dir in Verbindung setzt. Bis dahin, weiterhin semper pro bono!"

"Semper pro bono, Sprecherin Morehead", grüßte Aurora zurück.

"Die gibt mir erst in zwanzig Jahren ein Haus mit ausreichend Wasserzugang", dachte Aurora Dawn, während sie die Nachmittagstermine sortierte und dabei bedachte, daß ihr für Mrs. Grandwood noch etwas Nutrilactustrank fehlte, um die bald ankommenden Zwillinge zureichend ernähren zu können. Das hieß, daß sie für die Zubereitung noch einmal in die Klinik mußte, um die nötigen Zutaten zu beschaffen, falls Amalthea Honeydew nicht gleich etwas von ihren Trankvorräten freigeben wollte. Aber sie genoß es, die wichtigen Tränke selbst zu erstellen. Das machte die Behandlung ihrer Patienten persönlicher und schuf eine Nähe, die durch die sonst nötige professionelle Distanz nicht möglich war. Melissa und Amalthea hatten sie wirklich irgendwie in die Geburtshilfeschublade reingekriegt, obwohl sie eigentlich eher für breiter angelegte Zaubertrankstudien und Kräuterkunde zu haben war, erkannte Aurora, wen sie heute noch besuchen sollte. Die Einladung von Mary Wallstone, ihre drei Kinder an ihrem zweiten Geburtstag noch einmal zu besichtigen, würde sie am Wochenende einlösen.

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Aurora las sehr erfreut die schriftliche Bestätigung, daß sie sich am Abend des ersten August im Zunfthaus einfinden sollte, um mit Bombastus Honeydew, sowie Jill Trylief und einigen andren aus der Klinik zur Abreise mit Portschlüssel einfinden möge. Da der Portschlüssel auf die Westküstenuhrzeit der USA geprägt werdewürden sie am Morgen des Tages Ortszeit dort eintreffen. Aurora kontaktfeuerte noch einmal mit Heather, ob diese aus den Staaten etwas besonderes wollte, falls Aurora Zeit fände es ihr zu beschaffen. Die Geburtstagsfeier mit den Wallstones war schön gewesen. die drei Kinder waren in dem einen Jahr schnell gewachsen und hatten sich wegen des älteren Bruders Jason auch geistig rasch entwickelt. Jason empfand die Dreierbande zwar immer noch als nervig und hatte Mina Whitecastle und Aurora immer wieder grimmig angeglubscht, weil er wohl immer noch fand, sie hätten die drei Kinder bei seiner Mutter reingesteckt. Doch alles in allem wuchsen da drei prächtige Zaubererkinder heran.

Mitte Juli, Aurora konnte den letzten in diesem Halbjahr noch zu erwartenen Neuzauberer auf der Welt begrüßen, empfand sie das Reisefieber. Sie plante ihren geordneten Rückzug aus dem Haus, ging immer wieder die Vertretungsübergabe durch und prüfte die vorrätigen Zutaten auf ihre Haltbarkeit. Es war so, als wolle sie nicht für fünf Tage, sondern für einen Monat verreisen. So hibbelig hatte sie sich das letzte Mal vor dem Umzug nach Australien gefühlt, und davor noch heftiger, als sie ihr erstes Jahr in Hogwarts angefangen hatte. Sie war kein kleines oder ungebildetes Mädchen mehr. Sie reiste mit einer Abordnung ausgebildeter Heilerinnen und Heiler zu einer Versammlung von Experten, mit denen sie sich auf gleicher Augenhöhe unterhalten konnte. Das würde anders sein als der Ausflug mit ihrem Vater zur Kräuterkundlerversammlung im Juli 1982. Dabei dachte sie an Camille Dusoleil und ihre Kinder. Die kleine Denise, die vor nun bald zwei Jahren geboren war, konnte bestimmt schon auf einem Spielzeugbesen fliegen. Jeanne, das älteste Mädchen, würde wohl in diesem Jahr mit Beauxbatons anfangen, und Claire, die sie gerade acht Stunden nach der Geburt zum ersten Mal hatte sehen dürfen, feierte am dreiundzwanzigsten ihren siebten Geburtstag und war wohl auch schon fleißig in der Grundschule von Millemerveilles. Aurora machte sich deshalb so viele Gedanken über die Reise, weil sie diese als Generalprobe ansah. Konnte sie sich als eigenständige Heilerin im Ausland behaupten? Wie konnte sie das erlebte in gescheite Formulierungen fassen? Längere Veröffentlichungen hatte sie wohl noch nie so recht bedacht. In Viento del Sol würde sie wohl genug leute treffen, die darin besser waren als sie. Es stimmte schon, daß der Beruf des magischen Heilkundigen ein täglicher Lernprozeß blieb, egal was vorher schon bekannt und eingeübt war. Doch genau das und weil dieser Beruf ein Leben lang ausgeübt werden konnte, war der Grund, warum Aurora ihn ausübte. Noch einmal ging sie alles durch, was sie mitnehmen wollte, mit wem der aufgelisteten Referenten sie gerne ein paar Worte sprechen wollte und wen sie noch einmal sehen wollte, darunter Madam Pomfrey.

Der Alltag half ihr dabei, nicht zu sehr in Schwelgereien und Grübeleien zu geraten. Doch sie empfand diese Tätigkeiten als Vorspiel für etwas, von dem sie nicht wußte, was dabei passieren und was dabei herumkommen würde. In diese Aufbruchsstimmung hinein erreichte sie auch noch Ministerin Rockridges Brief am neunzehnten Juli.

Sehr geehrte Ms. Dawn,

Ihre erlauchte Zunftsprecherin, Mrs. Laura Morehead, unterrichtete mich vor wenigen Tagen schriftlich, daß Sie im Zuge der Vergütung Ihres erfolgreichen Einsatzes zur Beseitigung der Bundabundoplage Ihr bedauern geäußert hätten, daß die Ihnen von der Zunft zugewiesene Unterbringung und Arbeitsstätte nicht über die nötige Wasserversorgung verfüge, um eine Gartenanlage zur individuellen Züchtung und Hege magischer und nichtmagischer Pflanzen zu unterhalten. Da ich für die Vergabe von Niederlassungsgrundstücken nicht zuständig bin, kann ich Ihnen darüber nur mein Bedauern aussprechen. Allerdings, so kamen Mrs. Morehead und ich überein, besteht die Möglichkeit, daß das Zaubereiministerium freie Grundstücke mit Wasserzufuhr ohne Zuhilfenahme von Versorgungseinrichtungen aus der nichtmagischen Welt suchen oder durch gerade erforschte Zaubereien zur Wasserversorgung eine bessere Wasserversorgung gewährleisten kann. Erfahrungen mit meinen Verwandten, von denen einige auch Gärten mit eingegliederten Gewächshäusern unterhalten, lassen mich jedoch zu dem Schluß kommen, daß eine Frischwasserversorgung ohne magischen Mehraufwandt besonders bei der Hege von Zauberpflanzen das beste wäre, da jede magische Beeinflussung eine für die Verwendbarkeit von Zauberpflanzen abträgliche Auswirkung erzielen könnte. Da wir, um die Muggel nicht zu irritieren, nicht einfach irgendwo ein Haus mit Garten hinbauen dürfen, obwohl wir es können, gilt es, ein auch der magielosen Menschheit bekanntes Grundstück zu erschließen, sofern in absehbarer Zeit (von heute ab in spätestens einem Jahr) eines verfügbar ist. Daher möchte ich Sie um Nachsicht und Geduld bitten, daß ich Ihrem nicht nur eigennützigem Wunsch nicht sofort entsprechen kann, jedoch dessen Erfüllung anstrebe und daher sehr gerne auf eine für Sie mögliche Liegenschaft ausgehe. Wie Sie diese dann als Mietbesitz oder Eigentum zugeteilt bekommen, ist eine Frage, die dann zu klären ist, wenn ein geeignetes Grundstück verfügbar wird.

Mit freundlichen Grüßen

Latona Rockridge

Zaubereiministerin von Australien

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Der erste August war ein leicht verregneter Tag in Sydney. Die von den Muggeln in die Luft geblasenen Qualmwolken ballten sich unter dem Druck des Regenwassers über der Stadt. Aurora war froh, diesem Brodem und diesem Wetter für einige Tage entfliehen zu können. Sie apparierte mit ihrem Practicus-Rucksack der Weltenbummlerklasse vor dem Zunfthaus der Heiler, wo Laura Morehead bereits acht weitere Kollegen begrüßte, die Aurora noch nicht kennengelernt hatte, weil sie in anderen Niederlassungen tätig waren. Sie ließ sich von der Sprecherin vorstellen und bekundete höflich, daß es ihr angenehm sei. Laura Morehead wartete dann noch zwei Minuten. Dann wurde sie unruhig.

"Er müßte schon seit einer Minute hier sein", grummelte sie. "Der Portschlüssel wird in genau vier Minuten aktiv. Wenn er bis dahin nicht bei uns ist, muß Bombastus entweder den Weg über die Kamine nehmen oder seine Teilnahme absagen, was einem internationalen Skandal gleichkäme."

"Die in der Klinik haben in den letzten Tagen viel mit Grippefällen zu tun gehabt", erinnerte Celvin Woodworth, ein Heiler aus der Gegend von Brisbane daran, wie beschäftigt die in der Sano waren. Laura Morehead prüfte erneut die Uhrzeit. Sie sah auf eine blau-weiß-rote Regentonne, die so breit und hoch war, daß sich bequem einer darin verstecken, und mindestens zwölf Leute daran festhalten konnten. Als es eine Minute vor der angekündigten Abreisezeit war, ploppte es vernehmlich, und Bombastus Honeydew apparierte leicht außer Atem in der Runde. "'tschuldigung, Laura. Aber mein Abteilungsleiter mußte unbedingt noch die Expertise für den Heiltrank gegen das blau-grüne Aufstoßen eines Patienten haben. Hätte fast meine Referatsunterlagen und Proben zurücklassen müssen", keuchte Honeydew. Laura Morehead nickte seine begründung für die Verspätung mit einer energischen Kopfbewegung ab und deutete auf die Regentonne. "Alle die Hände dranlegen! In vierzig Sekunden setzt der Portschlüssel ein", sagte sie und trat zurück. Die zehn Delegierten aus Australien traten an den großen Behälter und legten ihre Hände daran. Sie warteten. Als dann die festgelegte Zeit erreicht war, war es allen, die Körperkontakt zum Portschlüssel hielten, als reiße sie eine unbändige Kraft vom Boden und stürze sie in einen Strudel aus Farben, während sie meinten, von einer erbarmungslosen Kraft am Bauchnabel gezogen zu werden. Für Laura Morehead erschien es eher so, daß um den Regenwasserbehälter eine blaue Lichtspirale erglühte, die innerhalb eines Lidschlages alle zehn Kollegen umschloß und dann mit ihnen und der Regentonne übergangslos verschwand.

Nach einer unmeßbaren Zeit im wilden Wirbel zwischen den Standorten schlug die Regentonne dumpf polternd vor einem roten Backsteinhaus auf. Die an ihr hängenden Heilerinnen und Heiler kullerten leicht irritiert durcheinander.

"Mag ja die schnellste Art für präzise Fernreisen sein, aber nicht die bequemste", grummelte der Heiler aus Brisbane, der fast unter der umgekippten Tonne gelandet wäre. Aurora Dawn sah sich derweil um. Das rote Haus war groß, dreistöckig und besaß Spitzbogenfenster. War das das Gasthaus, wo sie schlafen konnten? Da öffnete sich die grüne Eichentür, und ein leicht untersetzter Zauberer mit schütterem blondschopf und blau-grünen Augen erschien im wallenden grünen Umhang.

"Ah, die Damen und Herren vom fünften Kontinent", begrüßte er die australische Abordnung. "Ich bin Mortimer Gemmestone, niedergelassener Heiler von Viento del Sol und heiße sie im Namen unseres Zunftsprechers Octavio Espinoza willkommen in den vereinigten Staaten von Amerika." Er strahlte Bombastus Honeydew an, der im Sano-Arbeitsumhang erschienen war. Das war für Heiler Gemmestone wohl eine Art Erkennungsmerkmal, einen der Hauptredner dieser Tagung vor sich zu haben. Sie stellten sich dann alle vor. Als Aurora ihren Namen nannte huschte ein amüsiertes Lächeln über das Gesicht des niedergelassenen Heilers.

"Ich dachte, es nur mit Australiern zu tun zu haben. Aber dem Akzent nach stammen sie aus dem guten alten England, nicht wahr?" Aurora bejahte diese Annahme und erwähnte, daß sie die Ausbildung zur Heilerin in Australien gemacht habe. Dann flog der Ausdruck unvermittelter Erkenntnis über das Gesicht Gemmestones. "Oh, Sie waren die Adeptin von Meisterin Herbregis, als diese leidige Sache in Resting Rock passiert ist. Das Referat über die Gefahr sogenannter Radioaktivität habe ich leider nicht selbst hören können, meine Kollegin Chloe Palmer war jedoch so freundlich, mir ihre Mitschrift und die Zeichnung des von Ihnen entwickelten Strahlungsanzeigers zu leihen. Die Gefahr, die die Muggel bei dem Erschließen neuer Magieersatzapparaturen auf sich und uns laden ist ja doch nicht zu unterschätzen. Willkommen in Viento del Sol, dem magischen Dorf im sonnigen Kalifornien."

"Danke, Mr. Gemmestone", erwiderte Aurora höflich. Dann wurde sie darauf hingewiesen, daß sich nicht nur die Heiler eines Landes, sondern auf der ganzen Welt beim Vornamen zu nennen pflegten. Das Haus, vor dem sie standen, war das Gemeindehaus des Ortes, das die Heiler für ihre Zusammenkunft angemietet hatten. Nachdem sie im Foyer weitere Kollegen aus den englischsprachigen Ländern begrüßt hatten, wurde ihnen vorgeschlagen, erst ihre Zimmer aufzusuchen. Einige der Delegierten wohnten bei Gemmestone selbst, sowie seiner als magische Hebamme und Stellvertreterin fungierenden Kollegin Chloe Palmer, einer kräftig gebauten Hexe mit brauner Haut und pechschwarzem Haar, deren Vorfahren wohl aus Afrika und Europa zueinander gefunden hatten. Aurora stieg mit Bombastus Honeydew im Gasthaus zum sonnigen Gemüt ab, das extra für die Tagung komplett von der Heilerzunft beansprucht wurde, zumindest was die Zimmer in den Komfortklassen Bronze bis Platin anging. Aurora bekam auf Anfrage ein kleines Eckzimmer der Klasse Silber zugewiesen, wo magische Geräusch- und Meldevorrichtungen für Musik oder Weckfunktionen bereitstanden. Außerdem durfte sie dort den Ortszeitanpassungstrank einnehmen, um sich auf die nun hier geltende Ortszeit umzustellen, die achtzehn Stunden hinter der von Sydney lag.

Nachdem sich Aurora in ihrem Zimmer eingerichtet hatte, erschien sie per Apparition wieder vor dem Gemeindehaus, wo mittlerweile weitere blau-weiß-rote Regentonnen angekommen waren. Im Haus selbst traf sie auf Kollegen aus Afrika, fünf Russen und drei Deutsche, die jedoch alle klares Englisch sprachen. Aurora vermutete, daß ausländische Heilerinnen und Heiler den Wechselzungentrank bekamen, der die hiesige Sprache fließend verstehen und nachsprechen ließ. Aufzeichnungen konnten ja dann immer noch in der eigenen Sprache verfaßt werden. Nach einer Stunde Wartezeit, in der dreißig weitere Portschlüssel mit Passagieren aus blauen Leuchtspiralen heraus materialisiert waren, traf noch ein kleiner, grauhaariger Zauberer mit silberner Brille in einem mitternachtsblauen Umhang ein. Auf dem Kopf trug er einen schwarzen Hut in Form eines Tetraeders.Das war Octavio Espinoza, der amtierende Sprecher der panamerikanischen Heilerzunft. Er begrüßte alle Gruppen in den hauptamtlichen Sprachen, bevor er auf Englisch mit einem melodiösen Akzent mit rollendem r fortfuhr, daß er sehr erfreut war, so viele Kollegen aus Amerika und dem Rest der Welt begrüßen zu dürfen. Dann ließ er mit einem Schlenker seines Mahagonizauberstabes einen aus sich selbst leuchtenden Ablaufplan erscheinen, der die gesamte fensterlose Wand einnahm. Sie alle konnten die Uhrzeiten der angesetzten Redebeiträge nebst einer Stunde für anschließende Diskussionen nachlesen. Die Zusammenkunft, so konnte Aurora sofort erkennen, war sehr vollgepackt. Es blieben für lockere Unterhaltungen nur wenige Minuten zwischen den Beiträgen oder die festgesetzten Essenspausen um ein Uhr Mittags und acht Uhr abends. Die offiziellen Tagesabschlüsse waren dann um elf Uhr. Wer dann noch wach genug war, um mit den versammelten Kollegen oder in kleinen Gruppen weiterzudiskutieren oder am Rande der offiziellen Veranstaltungen Erfahrungen auszutauschen, durfte dies dann aber nicht im Gemeindehaus tun, sondern in den beiden Gasthäusern, weil der Hausmeister des Gemeindehauses darauf bestand, um elf Uhr alle Läden und Türen zu verschließen.

Nachdem sich alle durch Blickkontakt und Erwähnungen des Gastgebers flüchtig kennengelernt hatten, war Freizeitgestaltung nach eigenem Ermessen angesetzt. Das hieß für die meisten, daß sie sich im Zaubererdorf umsehen wollten. Aurora zog es natürlich sofort zum Zauberpflanzenpark, wo sie auf Madam Pomfrey traf, die sich mit ihrer Kollegin Merryweather aus Thorntails, sowie den Schwestern Tilia und Silvana Verdant unterhielt. Tilia war Heilerin, während ihre Schwester die amtierende Kräuterkunde- und auch Zaubertrankfachlehrerin in Thorntails war und den Anreisetag der Heiler noch einmal nutzen wollte, sich mit ihrer Schwester und einigen Kollegen über die hier gezüchteten Zauberpflanzen auszutauschen, bevor die Heiler ihre Veranstaltungen unter sich alleine abhielten. Madam Pomfrey lächelte, als Aurora sich ihr näherte und winkte ihr zu.

"Es freut mich sehr, daß du es geschafft hast, nicht nur die Ausbildung erfolgreich zu beenden, sondern bereits erste Erfolge erreicht hast, Aurora", sagte die schuleigene Heilerin von Hogwarts. "Ich habe das mit diesen blauen Pelzraupen bei euch mitbekommen. Üble Sache das", sagte sie. "Ich hätte nicht gedacht, daß es auch bei euch im Land unten drunter so viele Spitzbuben gibt, die nicht davor zurückschrecken, magische Lebewesen gegen ihre Mitmenschen einzusetzen." Aurora nickte und erwähnte dann noch einmal, was passiert war. Heilerin Verdant sagte darauf:

"Das hatten wir mal mit Pflanzen. Jemand hat versucht, Venusfliegenfallen mit Teufelsschlingen zu kreuzen, um gemeingefährliche Anthropophage Gewächse zu züchten, mit denen er dann das Zaubereiministerium erpressen wollte. Wir konnten diesem Verbrecher nicht habhaft werden, bis er Opfer seiner eigenen Machenschaften wurde. Er hatte es schlicht versäumt, immer genug Licht um sich herum zu haben. Da hat ihn eines seiner Mördergewächse selbst verschlungen. Wir fanden nur noch die Reste seiner Knochen."

"Nicht zu vergessen die Versuche mit Alraunen, die immer wieder für Aufregung sorgen", fügte Silvana Verdant noch hinzu. Dann verwickelte sie Aurora in eine angeregte Fachdiskussion über nützliche und schädliche Zauberpflanzen und ihre künstlich generierten Unterarten. Sie führte den Spendebaum vor, einen exotischen Baum, der von sich aus reife Früchte warmblütigen Lebewesen entgegenhielt, um diese verzehren zu lassen. "Die Perfekte Symbiose. Der Baum garantiert die Weiterverbreitung seiner Samen und überläßt es nicht dem Zufall. Säugetiere wie wir können die Samen besser fermentieren und über größere Strecken transportieren, wobei unsere gleichbleibende Körperkerntemperatur bereits die Keimung anregt, bevor die vom Fruchtfleisch gelösten Samenkapseln ausgeschieden werden. Pech nur für den Baum, daß wir dazu meistens sanitäre Einrichtungen benutzen und nicht in die freie Natur koten. Doch einige Spendebäume scheinen mit ihren Früchten eine Art alchemistischen Befehl weiterzugeben, der bewirkt, daß wir nicht in geschlossenen Räumen sondern nur auf freiem Feld bei Sonnenlicht unseren Stuhl absetzen können", dozierte Tilia Verdant, um klarzustellen, daß sie auch was von magischen Pflanzen und ihren Eigenheiten verstand. "Der hier gehaltene Spendebaum gehört nicht zu dieser Sorte. Das wäre eine sehr unangenehme Angelegenheit für die Konsumenten seiner Früchte sowie die für die Reinigung zuständigen Personen von hier." Ihre Schwester Silvana nickte bestätigend.

"Dieser Stoff, der den Drang zur Verrichtung des Stuhlgangs im Freien erzwingt konnte erst vor fünfzehn Jahren isoliert werden, Aurora. Mit anderen Zutaten verbunden konnten damit Tränke zur besseren Darmreinigung erschaffen werden, um überflüssigen Ballast loszuwerden", wandte madam Pomfrey ein. Dann ging es weiter zu anderen Pflanzen.

Gegen Nachmittag besichtigte Aurora alleine den Uhrenturm im Zentrum des Dorfes, der sie an den Turm Big Ben in London erinnerte und auf seinen Etagen bis zur mit vier Zifferblättern ausgestatteten Turmur mit vielen Methoden der Zeitmessung informierte, was Leute vor Erfindung mechanischer und magisch in Gang gehaltener Zeitanzeiger gemacht hatten. Gegen Abend traf sich Aurora im Haus zum sonnigen Gemüt mit Hera Matine, der Heilerin aus Millemerveilles, die auch ohne Wechselzungentrank auskam, was Aurora daran merkte, daß sie mit dieser eine halbe Stunde lang französisch sprechen durfte. Sie sprachen über Heras angemeldeten Vortrag. Aurora erwähnte, daß sie als niedergelassene Heilerin auch Hebamme geworden sei.

"Tja, die gute alte Melissa Thornapple hat schon Wert darauf gelegt, eine Nachfolgerin zu bekommen", sagte Hera Matine. "Allerdings bin ich skeptisch, was die Betreuung von werdenden Müttern aus der Muggelwelt angeht. Du darfst ihnen durch keine Magie helfen, weder durch Zauberstäbe noch durch Elixiere, darfst keine Einblickspiegel verwenden und auch keine die Geburt erleichternde Gerätschaften anwenden. Hinzu kommt, daß diese Frauen leicht gereizt und überängstlich reagieren können, wenn sie sich nicht diesen Knochensägern und Gerätefetischisten ihrer Welt anvertrauen. Ich empfinde es daher als sehr angenehm, ausschließlich mit Hexen zu tun zu haben.""

"Ich hatte ja eine kundige Lehrerin, die mir bei der Niederlassung geholfen hat", erwiderte Aurora Dawn. Dann sprachen sie über Camille Dusoleil und ihre Familie. Jeanne Dusoleil hatte sich erfolgreich für Beauxbatons qualifiziert. Claire hatte sich daran gewöhnt, nun eine kleine Schwester zu haben, die nun auf flinken Beinchen herumlief. Aurora beschrieb Hera ihr Projekt, ohne auf eine genaue Ausarbeitung einzugehen. Sie sagte nur, daß sie wohl irgendwann alles brauchbare Wissen über Zauberpflanzen zusammentragen wolle. "Ich denke, Madame Dusoleil wird sich freuen, dir dabei helfen zu können", sagte Hera Matine dazu.

Gegen zwölf Uhr war Aurora müde genug, um schlafen zu gehen. Sie befahl der magischen Weckvorrichtung, sie um halb sieben aufzuwecken. Die Zusammenkunft würde um neun Uhr mit dem ersten Vortrag beginnen.

Sie trug noch die Erlebnisse und Gedanken des Tages in ihr Tagebuch ein. Dann überließ sie sich der angenehmen Stille von Viento del Sol.

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Auroras anfängliche Euphorie über die Reise nach Amerika verflog, als sie die ersten zwei Vorträge und Diskussionen überstanden hatte. Sie verabscheute dieses ständige Getue mit komplizierten Fachbegriffen. Warum konnten die Leute da nicht einfach daran denken, auch Patienten gegenüber erklären zu müssen, was sie nun dachten oder vorhatten? Wieso mußten die tief in ihrer Forschung verbuddelten Kollegen sich so extrem von allen allgemeinverständlichen Redewendungen absetzen, nur um zu zeigen, daß sie Fachleute waren? Wie wohltuend war da für sie Hera Matines Erfahrungsbericht und zusammenfassende Beschreibung ihrer Forschungen. Die Heilerin aus Frankreich benutzte zwar auch manchen Fachausdruck, jedoch wohl eher, weil dieser von der Mehrheit der Leute hier besser verstanden wurde als eine aus dem Französischen übersetzte Entsprechung im Englischen. Ihr Stil war jedoch gefühlsbetont und mitreißend. Sie unterließ es auch nicht, die männlichen Kollegen darauf hinzuweisen, daß sie laut Heilerstatuten keinerlei vor- und nachgeburtliche Betreuungsaufträge zugewiesen bekämen und sich wohl eher langweilen würden. Tatsächlich waren auch nur vier männliche Kollegen bei ihrem Vortrag anwesend.

Als am späten Abend Espinoza selbst noch über die Blutbildänderungen bei Bewohnern hochgelegener Gebirgsregionen und Wirkungsveränderungen bei der Zubereitung von Zaubertränken auf Meeresspiegelnieveau oder Höhenlagen über viertausend Metern referierte, verdankte es Aurora nur ihrem Interesse für Zaubertränke, daß sie nicht wie einige Kollegen sanft und unauffällig ein paar Minuten Nachtschlaf vorwegnahm.

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Der nächste Morgen gehörte Bombastus Honeydew und seinem Bericht über die Widerherstellung des rein menschlichen Aussehens eines Patienten, der tierische Wirkungsausrichter bei Vielsaft-Trank verwendet hatte. Er schilderte die Untersuchungs- und Behandlungsweisen Schritt für Schritt und schrieb zum Schluß die Rezepte der als wichtige Therapietränke ermittelten Gebräue an zwei Tafeln. Die Kollegen, ausnahmslos alle angereisten Heilerinnen und Heiler der Zaubererschulen, Zaubertrankunfallexperten von St. Mungo, Wurzelmann und Delourdes, aber auch niedergelassene Heilerinnen wie Aurora Dawn und Hera Matine, hingen an den Lippen des Referenten und notierten so schnell und gründlich sie konnten die angeschriebenen Prozeduren und Rezepturen. Madam Pomfrey fragte, ob die Behandlung abhängig von der in den Trank geratenen Tierbestandteile verliefe und ob nicht eine große Gefährdung für die Verwender von Vielsaft-Trank bestehe, wenn sie unvorsichtig mit ungeprüften Bestandteilen verfuhren.

"Nun, ob es neben der körperlichen auch zu einer geistigen Verwandlung kommt konnten wir im vorliegenden Fall nicht ermitteln, weil wir natürlich auf eine vollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Körperzustandes ausgingen und wir wohl in den zwei Wochen, die wir nun als gebotenen Therapiezeitraum festlegen müssen, keine geistige Veränderung außer einer starken Verängstigung und einer posttherapeutischen Abneigung gegen die die Verwandlung bedingende Tierart erkennen konnten. Ob sich bei Unterlassung jeder Gegenmaßnahme eine geistige Umwandlung einstellt ist daher im Moment hypothetisch und darf gemäß unserer Heilerdirektiven nicht erforscht werden", sagte Bombastus Honeydew.

"Wäre es daher nicht einfacher, sicherzustellen, daß unkundige Leute nicht an Zutaten für den Vielsaft-Trank herankommen?" Fragte die braunhaarige Hexe, die Aurora als Madame Florence Rossignol von der Beauxbatons-Akademie kennengelernt hatte.

"Sagen wir es so, daß ein Braumeister schon so seltene Zutaten wie Baumschlangenhaut oder Zweihornpulver unter Verschluß hält, weil deren Beschaffung schon schwierig und auch kostspielig ist. Was du meinst, Florence ist, daß die Zutaten keinesfalls in Schulen verfügbar sein dürfen, wo genug Leute herumlaufen, die aus fehlgedeutetem Verständnis für Spaß und Abenteuer diesen Trank zu brauen wagen könnten, nicht wahr?" Madame Rossignol nickte. "Das Problem ist dann nur, daß der zuständige Fachlehrer durchaus nicht die nötigen Zutaten für antagonisierende Elixiere gegen fehlschlagende Tränke zur Verfügung hat, wenn im Unterricht unkorrekte Ergebnisse erzielt und womöglich getestet werden. Daher gilt wohl nur, daß die Zutaten nicht in unkundige Hände fallen dürfen. Ähnliches gilt ja für alle standardmäßigen Heiltränke oder giftige Zutaten zur Erstellung eigener Heilmittel." Die Schulheilerinnen und -heiler nickten bestätigend. Madam Pomfrey sagte dann:

"Zumindest sehr wichtig zu wissen, wie die Therapie gegen eine Vielsaft-Trank-Verunstaltung durch unbeabsichtigte Beifügung von tierischen Bestandteilen nach Erstellung des Basistrankes zu beheben ist. Es gibt ja doch immer den einen oder die andre, der oder die sich für schlau hält, solche Tränke nachbrauen zu müssen."

"Warum zwei Wochen und nicht einen Tag oder ein Jahr?" fragte Heiler Botkin vom Durmstrang-Institut.

"Nach unseren Erfahrungen in der Sana-Novodies-Klinik beruht diese Zeit auf dem körperlichen Trägheitsmoment, das durch die Verfremdung noch erhöht wurde. Sie entspricht der passiven Transfigurationsresistenz bei zauberstabbasierenden Verwandlungen und kann durch fehlerhafte Tränke angehoben werden. In dem von mir erlebten und euch gerade beschriebenen Fall ist die Tierklassenzugehörigkeit wohl ausschlaggebend. Der Patient verfälschte seinen Trank mit Hundehaaren. Hunde sind wie Menschen Säugetiere. Von den Rassen abhängig kann auch der Größenunterschied zwischen Trankausrichter und Konsumenten mit hineinwirken. Außer der Erkenntnis, daß unsere Therapie zwei Wochen dauerte, bevor eine vollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Körperzustandes erreicht war, können wir nur auf das dünne Eis der Spekulation hinausgehen, wie sich bei welcher Beimischung welcher Effekt einstellt, hält oder umkehrt. Da ich dieses nicht weiß, halte ich mich mit Vermutungen besser zurück. Vielleicht wird ein weiterer Fall in der Zukunft diese Fragen beantworten." Aurora meldete sich und erwähnte die absichtlich herbeigeführte Dauerverwandlung durch Vielsaft-Trank und schilderte in wenigen Sätzen und ohne Namensnennung den Vorfall mit dem Zauberer, der vom Bruder seiner Angebeteten in deren Zwillingsschwester verwandelt wurde und als solche hätte weiterleben müssen, wenn nicht von seinen Eltern und ihm selbst genug Haar von der Zeit vor der Verwandlung hätte zusammengetragen werden können. Madam Pomfrey und Hera Matine hatten von diesem Vorfall gelesen und daß der bewußte, hier nicht namentlich genannte Täter dafür eine langjährige Haftstrafe auferlegt bekommen hatte. So fühlte sich dann noch ein Heiler aus Norwegen berufen, die rechtliche Lage für Vielsaft-Trank-Benutzung zu wiederholen.

Nach diesem höchstinteressanten und mit jeder Menge wissenswertem gefüllten Vormittag nutzte Aurora Dawn die Mittagspause, um noch einmal mit Madam Pomfrey und ihren Kolleginnen zu sprechen, ob für den Fall, daß ein Zauberschüler auf die Idee verfiel, Vielsaft-Trank zu benutzen, irgendwelche Erkennungsmittel existierten. Denn der über mehrere Schuljahre heimlich durchgeführte Rollentausch zwischen Loren Tormentus und Bruster Wiffle war für Aurora immer noch ein mahnendes Beispiel, wie schnell jemand in Versuchung geraten mochte, diesen Trank zu benutzen, um seine Kameraden auszuspähen oder einfach nur in dessen Namen Sachen anzustellen, um im Fall der Enthüllung einen Unschuldigen zum Schuldigen erklären zu können.

"Es ist in der Hinsicht bedauerlich, daß wir die ehemalige Kräuterkunde- und Zaubertranklehrerin Daianira Hemlock hierfür nicht konsultieren dürfen, da sie keine aprobierte Heilerin ist", sagte Madam Merryweather von der Thorntails-Akademie dazu. "Als sie noch bei uns lehrte verriet sie mir, daß sie über dieses Problem der Spionage und falscher Verdächtigung sehr intensiv nachdenke und die Methoden erforsche, einen Wirkungsaufhebungstrank gegen Vielsaft-Trank zu entwickeln. Leider quittierte sie den Schuldienst, bevor ich näheres von ihr erfahren durfte."

"Hygia, du darfst bei der Sache nicht vergessen, daß besagte Expertin dazu unter Umständen illegale Versuche mit Vielsaft-Trank unternehmen muß", zischte Chloé Palmer, die magische Hebamme von VDS. "Ich würde mich jedenfalls sehr gründlich fragen, ob ich ihre Ergebnisse verwenden darf, wenn sie auf Grund unzulässiger, ja verbrecherischer Versuche zu Stande kamen. Denn dann würde ich mich mitschuldig machen."

"Du hast natürlich recht, Chloé", räumte Madam Merryweather ein und erhielt von allen beipflichtendes Nicken.

Am Nachmittag ging es um kurative Zauber, um tobsüchtige Patienten ohne Fesselzauber zu beruhigen, da es sich erwiesen hatte, daß Fesseln einen bleibenden Seelenschaden verursachen konnten, wenn sie jemandem mit starken Angstzuständen angelegt wurden und er sein restliches Leben traumatisiert blieb. Der Heiler, der dieses Thema behandelte, bot als innovative Ausweichmöglichkeit einen Zauber an, der das Bewußtsein in einen traumartigen Zustand versetzte, um es von der Kontrolle über den Körper abzukopppeln und um ihm eine Möglichkeit zu geben, die Ursache für die Anfälle ohne körperliche Gefährdung seiner Selbst oder seiner Mitmenschen auszuräumen. Auf den Einwand, damit womöglich ein schlummerndes Traumrufsyndrom auszulösen ging der Referent nur insofern ein, daß natürlich jede Minute von einem Heiler beaufsichtigt werden müsse. Sobald Anzeichen auftraten, die nach außen wirksamen Zauberkräfte vom bewußten zum unbewußten Bereich des Geistes zu verlagern, sei die Therapie nicht mehr angeraten und müsse durch eine andere Verfahrensweise ersetzt werden. Dann war es auch schon wieder Abend.

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Aurora verfolgte die weiteren Tage mit Aufzeichnungen und Diskussionen, sprach aber auch mit an ihren Fachgebieten Zaubertränke und Kräuterkunde interessierten Kollegen, lernte jedoch auch noch einige nützliche Tipps für Zauber, wie den Konturanpassungszauber für Tragen, wenn ein Patient mit schweren inneren Verletzungen transportiert werden mußte.

Am letzten Tag ging es noch um rechtliche Neuerungen, die die Handlungskompetenzen von Heilern gegenüber zaubereiministeriellen Beamten hervorhoben und erneut bekräftigten, daß ein Heiler nur den zum Schutze von körperlichem und geistig-seelischem Wohlbefinden oder dessen Wiederherstellung dienlichen Statuten verpflichtet sei. Dann wurden die in Muggelwohngebieten niedergelassenen Heiler noch in einer Umfrage um ihre Ansichten gebeten, ob und wie sie mit Muggeln als ohne Magie behandelbaren Patienten Umgang pflegten, was Aurora zum Anlaß nahm, ohne Jannet Gordon namentlich zu nennen auf deren Ansinnen einzugehen, als Naturheilpraktiker bezeichnete Heiler sollten auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen, was gegen die Heilerstatuten verstieß und wie sie diesen Fall bearbeitet hatte, zumal ja herausgekommen war, daß die betroffene Patientin nicht in anderen Umständen gewesen war.

Am sechsten August bedankte sich Espinoza noch einmal für die rege und förderliche Teilnahme der Kollegen aus dem In- und Ausland. Aurora Dawn konnte mehrere Kontaktadressen mitnehmen, zu denen ihr vor allem Madam Pomfrey und Hera Matine verholfen hatten. Am Abend reiste die australische Abordnung mit einer blau-weiß-roten Regentonne als Portschlüssel zurück auf ihren Heimatkontinent. Hier war es jedoch schon mitten am Tag, dem siebten August. Sie beschlossen die Reise mit einem Umtrunk im Haus der Heilzunft. Aurora Dawn notierte dann am Abend in ihrem Tagebuch:

7. August 1989

Hallo Wendy!

An und für sich hätte diese Reise noch ein oder zwei Tage länger dauern dürfen, weil ich irgendwie den Eindruck hatte, daß da noch mehr interessante Sachen bei erwähnt worden wären. Dennoch bin ich auch wieder froh, in meinem Haus hier bei Sydney zu sein und daß die Kollegen Fleet und Silverlake mich gut vertreten haben. Womöglich ist das noch nicht mal aufgefallen, daß ich nicht im Lande war. Madam Pomfrey ist wohl sehr stolz, daß ich hier wohl gut untergekommen bin. Das konnte ich ihr bei jedem Zusammentreffen ansehen und anhören. Wie auch immer. Hera Matine hat mir angeboten, daß wenn ich wegen meines Kräuterkundeprojektes mal nach Frankreich kommen sollte, bei sich im Haus unterkommen dürfe. Ich hoffe, das war keine gezwungene Höflichkeit ohne Anspruch auf Verbindlichkeit. So gut kenne ich die französische Mentalität nicht, um zu erkennen, wo etwas gesagt wird, weil es sich so gehört oder es wirklich so gemeint ist, wie es gesagt wurde.

Ab morgen mache ich hier wieder weiter. Ich denke so in einem halben Jahr kann ich noch einmal an Laura Morehead herantreten, falls die nicht von sich aus zu mir kommt. Bis dahin will ich den Leuten hier zeigen, daß sie mich nicht um sonst ausgebildet haben.

Bis morgen dann!

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Der australische Winter brachte Stürme und Wolkenbrüche. Wenn Aurora gerufen wurde, hilfesuchenden Zauberern im Umland beizustehen, trat sie meistens mit wasserdichten Stiefeln an. Es war schon bezeichnend, wie heftig sich das verdunstete Pazifikwasser an den Küsten abregnete und dann wieder von der trockenen Wüstenluft aus dem Herzen des Kontinentes mit rötlichen Sandwolken verdrängt wurde. Im Dezember würde wieder die Feuer- und Schlangensaison sein. Aurora wohnte am 31. August der feierlichen Vereidigung der erfolgreichen Neuheiler bei. Laura Morehead hatte sie ausdrücklich zu diesem Ereignis eingeladen, um ihr zu zeigen, daß sie nun selbst zu den erfahreneren Heilern gehörte. Ireen Barnickel schrieb ihr im September, daß sie mit ihrer Tante in Streit über den rechten Umgang mit Patienten geraten sei und mit dem Gedanken spielte, die Niederlassung ihrer Tante nicht zu übernehmen, solange diese noch dreißig Jahre oder mehr darin weiterarbeiten konnte. Aurora erinnerte sich, daß Ireen zu gerne in der Sano weitergearbeitet hätte, vor allem in der Abteilung Psychomorphologie. Doch im Moment spielte Ireen auch mit dem Gedanken, als begleitende Heilerin in die Truppe zur Umkehr verunglückter Magie einzutreten. Doch Aurora schrieb ihr - ohne zu wissen das Laura Morehead dies auch schon getan hatte -, daß sie dann wohl noch ärgere Konflikte zu bewältigen habe als mit einer auf ihre Routine pochende Tante.

An einem Sonntag kurz vor Frühlingsbeginn lud Lazarus Herbregis Aurora nach Perth ein, wo sie auch die Wallstones traf. Jason Wallstone kam immer noch nicht damit klar, drei kleine Geschwister auf einen Schlag bekommen zu haben, während Lazarus sich bei Aurora erkundigte, was aus dem jungen Zauberer geworden sei, mit dem er sich einmal über eine Heilerausbildung unterhalten habe.

"Mein ehemaliger Schulkamerad hat sich erfolgreich zur Ausbildung im ST.-Mungo-Krankenhaus eingefunden. Die Nachholprüfungen gingen mit "Erwartungen übertroffen" aus. Die kollegin Newport ist sehr zufrieden und hat ihm ein sehr großes Lob für seine Entschlossenheit und Disziplin bescheinigt. Das wird ihm wohl einige Türen öffnen, wenn er in diesen großen Klassenverbänden durch ist."

"Und Sie sind jetzt auch praktische Heilerin wie Madam Whitecastle?" Fragte Mary Wallstone, als sie mal für einige Minuten Ruhe vor ihren drei jüngsten Kindern hatte. Aurora nickte und erwähnte ohne Namen oder Herkunft zu nennen, was ihr so alles unterkam.

"Das mit den verdrehten Bundabundos war schon sehr heikel. Ich bin froh, daß die drei Brüder dafür erst einmal zwanzig Jahre weggesperrt wurden", sagte Lazarus Herbregis.

"Lazarus, Sie können mir nicht erzählen, daß die drei das alleine ausgeheckt haben", knurrte Cliffort Wallstone. "Dieser ganze Vorgang mit dem Trank und den Anschlägen stinkt förmlich nach Grendel Shadelake. Der sieht sich doch als Erben von Slytherin und will dessen kranke Ideen von Reinblütigkeit durchsetzen. Ohne dem seine Erlaubnis würde kein andrer Finsterling hier irgendwas anschieben, nicht mal laut husten, geschweige denn diese armen Tiere zweckentfremden."

"Arme Tiere, Cliff?" Entrüstete sich Mary Wallstone. "Wir hatten nur Glück, daß die kleinen nicht bei uns waren, als dieses blaue Monster unseren Garten durchpflügt hat. Wenn Dein Vater dieses Biest nicht mit seinem Schrotgewehr erschossen hätte, wäre es wohl bei uns rein und hätte Jason angegriffen."

"Dennoch ist es eine arme Kreatur gewesen, Mary. Dieses blaue Wesen konnte nix dafür, daß dieses Gift sein Hirn verdreht hat", verteidigte Cliff den Bundabundo. "Aber das darf ich Dad auch nicht erzählen. Der will sich wohl noch stärkere Waffen zulegen. Nachher kommt der noch mit Flammenwerfern an, und das, wo im Sommer so leicht Feuer im Buschland ausbrechen kann."

"Das Problem ist ja nun erst einmal aus der Welt. Abgesehen davon, daß wir neuerliche Vorkommnisse mit Bundabundos nun sehr rasch klären können, wo diese Wesen bei zugefügten Schmerzen ihre natürlichen Verhaltensweisen wiederentdecken", sagte Aurora Dawn. Lazarus Herbregis nickte bestätigend. Dann sprachen sie über angenehmere Themen.

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Der Sommer war einer der heißesten, die Aurora erlebt hatte. Heather Springs meinte jedoch, daß das hier immer so heiß sei. Die Zaubererwelt ging mit Unfeuersteinen und anderen Brandwehrzaubern gegen aufflammende Brände vor, die weit genug von Muggelsiedlungen entfernt ausbrachen. Aurora lernte, wie sie ihre Niederlassung ohne Verzicht auf Kerzen und Kaminfeuer in eine Sphäre des bei Bezauberung von Lebewesen bereits erprobten Flammengefrierzaubers einschließen konnte. Allerdings hatte sie Glück und mußte nicht selbst gegen Feuersbrünste angehen. Allerdings hatte sie genug mit Zauberern um die Ohren, die in derartige Naturkatastrophen hineingerieten. Zudem vertrat sie wie vereinbart Diana Silverlake, die über die Feiertage ihre Familie besuchte. So fiel für sie Weihnachten fast flach, wenn Heather nicht darauf bestanden hätte, sie zu sich einzuladen, wo sie auch Vitus Springs, den nun ehrenvoll aus der Sano verabschiedeten Heiler und ehemaligen Direktor traf, der nun im inneren Kreis von Laura Morehead als Vermittler zwischen den Heilern und den Unfallumkehrtrupplern vermittelte. Aurora erfuhr auch, daß Melissa Thornapple zur Zeit in Florida war, wo sie sich ein Haus für ihren Lebensabend aussuchte. Kanada war ihr dann doch zu kühl geworden. Sie lasse schön grüßen und halte sich was ihre Nachfolgerin anging immer noch auf dem laufenden, gab Vitus Springs weiter.

"Dann weiß sie, daß ich mir von der Ministerin ein Haus mit besserem Wasseranschluß gewünscht habe", sagte Aurora leicht verschämt. "Hat sie das nicht beleidigt?" Fragte sie dann noch.

"Sie mochte das Haus auch nicht, weil es ihr zu altbacken aussah", erwiderte Vitus Springs. "Aber sie hielt nichts von Gartenarbeit. "Das ist ein Ding für Adepten oder Fachidioten", höre ich sie noch sagen, wenn sie mal bei uns vorbeikam. Aber wie sieht das mit deinem Buchprojekt aus, Aurora?"

"Ich möchte nicht um Sachen bitten, die mir nicht zustehen oder im Moment von der Zeit her nicht gehen", erwiderte Aurora Dawn. "Ich brauche mindestens ein halbes Jahr Zeit, um die von mir ausgesuchten Pflanzen genauer zu studieren und an ihren Standorten zu beobachten. Als niedergelassene Heilerin kann ich mich da nicht so einfach aus allem herausziehen."

"Die Sommerzeit ist immer die schwierigste Zeit, weil die Feuersbrünste, Gifttiere und Touristenströme viel Arbeit machen", seufzte Vitus Springs. "Du bekamst es ja meistens nicht so heftig mit, wenn du in den Weihnachtsferien warst. Aber wir haben im Sommer meistens mehr zu tun als im Winter. Das liegt daran, daß gegen Erkältungen und Infektionen schon durchschlagende Tränke und Heilverfahren entwickelt sind, um Ansteckungswellen im Keim zu ersticken. Gegen Rauchvergiftungen und Giftbisse helfen da nur gezielte Behandlungen an jedem einzelnen."

"Wie erwähnt, Vitus. Ich möchte erst noch warten, bis Laura mir zutraut, meine Arbeit nicht zu vernachlässigen und doch dabei das Projekt anzugehen. Weil es ja nicht nur für Heiler sein soll, könnte sie meinen, daß es keine hohe Beachtungsstufe einnimmt."

"Sag das mal nicht, Aurora. Laura Morehead würde sich sicher freuen, wenn Amateure weniger Unfälle mit Venomosa tentacula hätten oder nicht jeder siebte Möchtegernkräuterkundler von Alraunenschreien umgebracht wird, nur weil der sich zu fein für Ohrenschützer ist. Da wäre es schon praktisch, wenn jemand das noch einmal erwähnt, warum das so wichtig ist, Ohrenschützer zu tragen." Aurora nickte zustimmend. Danach sprachen sie weiter über die Wallstones, ihr Verhältnis zu Cliffs reinen Muggeleltern und wie es sich mit drei Kindern im Kleinkindalter lebte. So verging der Abend, und Aurora stellte mit gewissem Unbehagen fest, daß es in Sydney schon weit nach Mitternacht war, als sie in ihre Niederlassung zurückkehrte. Sie mußte schleunigst ins Bett, wenn sie am nächsten Morgen um acht Uhr wieder ausgeruht sein wollte.

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Der Jahreswechsel brachte für Aurora wieder viel Arbeit mit Leuten, die die halsbrecherischsten neujahrszaubereien ausprobierten. Einer hatte sich bereits angetrunken mit irgendeiner Zauberei selbst in eine leere Sektflasche hineinversetzt und konnte nicht disapparieren, weil der Glasbehälter durch den Versetzungszauber zu einem Locattractus-Raum geworden war, der jeden Apparitionsvorgang so umänderte, daß jeder Apparator nur dort landete, egal, wo er oder sie hingewollt hatte. Aurora blieb also nichts übrig, als das gläserne Gefängnis vorsichtig zu zerbrechen und dem magisch eingeschrumpften durch eine Kombination, die seine Zauber abbaute, wieder auf dessen Normalgröße zurückzubringen.

Im Februar durfte sie einem neuen Zauberer in der Nähe des weltberühmten Opernhauses auf die Welt verhelfen, ohne daß die Muggel die magische Geburtshilfe mitbekommen durften. Dann kam der zwanzigste Februar und mit ihm ein Brief Laura Moreheads, in dem diese Aurora anregte, die Kolegen aus den Nachbarniederlassungen zu fragen, ob diese ihr bis zum nächsten Februar zu Freizeit verhelfen mochten, um für das Buch "der kleine Hexengarten" ausreichend Material und Formulierungsgrundlagen zusammenzubekommen. Aurora wertete diese Anregung nicht als Entgegenkommen Lauras, sondern sogar als unterschwelligen Auftrag der Zunftsprecherin, das Buch über magische Gartenarbeit für Laien bis Experten endlich in Angriff zu nehmen. Offenbar hatte die gute Madam Morehead darauf gesetzt, daß Aurora so ungeduldig war und von sich aus um die nötige Auszeit gebeten hätte. Doch Auroras Pflichtgefühl hatte diese wohl davon abgehalten. Dieses Pflichtgefühl bewog Aurora auch, die Sprecherin der Heilzunft darauf hinzuweisen, daß sie Gilians Niederlassungsvertreterin während der diesjährigen Heilerzusammenkunft in Schweden sein würde, wie es ausgemacht worden war.

Eine Woche später beschlossen die vier nächsten niedergelassenen Heiler nach Erhalt einer verbindlichen Zusage Madam Moreheads, die Niederlassung Sydney einstweilen in vier Teile für ihre eigenen Niederlassungen aufzuteilen, die Abwesenheit Auroras zu ermöglichen. Was die Sommervertretung anging wollte Diana Silverlake einspringen. Aurora wurde freigestellt, für ein kräuterkundliches Projekt die Zaubererwelt zu bereisen, wobei sie dort, wo sie hinkam, natürlich die vollen Heilerprivilegien und Pflichten behalten würde. Sie mußte nur ihre Ankunft und den geschätzten Aufenthalt anmelden, bestätigt bekommen und an Laura Morehead weiterreichen.

Am siebenundzwanzigsten Februar suchte die Zunftsprecherin sie in ihrer Niederlassung auf und verkündete: "Die Reiseroute von dir ist gerade von meinen Amtskollegen in Europa, Amerika und Asien bestätigt worden, Aurora. Du wolltest zuerst in die Staaten, um dich mit Tilia Verdant zu unterhalten und die Zaubergärten der Ost- und Westküste anzusehen?" Aurora nickte. "Gut, dann gebe ich dir die Erlaubnis, ab morgen zu verreisen. Und noch was, räume vorsorglich alle persönlichen Sachen von dir aus dem Haus. Wenn du wiederkommst, kann es sein, daß ich dir eine andere Niederlassung gebe, sofern wir Sydney nicht als eigenständige Niederlassung wiedereröffnen. Hast du mit deinen Hauspatienten gesprochen?"

"Ich habe die potentiellen Familienmütter mit der Kollegin Silverlake bekanntgemacht, für den Fall, daß bei ihnen Nachwuchs geplant ist", sagte Aurora. Dann bedankte sie sich bei Laura Morehead für ihr Entgegenkommen und versprach, ihre Auszeit im Ausland nicht länger als nötig werden zu lassen. Laura Morehead sagte, daß es beim Studium von Pflanzen und Pilzen keine Terminabsprachen gebe und gewisse Dinge wohl Zeit beanspruchten, wenn sie verstanden werden wollten. Dann verabschiedete sich Laura Morehead auch schon.

Aurora Dawn räumte alle ihre persönlichen Dinge in den Rucksack und eine Reisetasche mit Rauminhaltsvergrößerung. Am Ende hängte sie das Bild von sich selbst ab. "Wo immer ich es hinhänge, werde ich wohl bis auf weiteres zu Hause zu sagen", dachte sie, als ihre gemalte Version in eine Transportstarre verfallen war und sie das Bild mit dem Rahmen abgenommen und verstaut hatte. Ab morgen würde sie eine Vagabundin im Dienste ihres Traumes sein, aber auch als fahrende Heilerin wirklich die Welt bereisen, so wie sie es sich nach Hogwarts vorgestellt hatte.

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Die nächsten Wochen verbrachte die junge Heilerin in den vereinigten Staaten und Kanada. Sie traf mit Tilia Verdant zusammen, informierte sich in den Zaubergärten von Misty Mountain, Viento del Sol und Cloudy Canyon über verschiedene Pflanzen und verfaßte bereits Berichte, wie die hiesigen Gärtner mit den empfindlichen Zauberpflanzen umgingen. Sie probierte verschiedene Schreibstile aus, um nicht zu einfach, aber erst recht nicht zu kompliziert zu klingen. Manchmal übertrug sie ihre an ihr Tagebuch Wendy mitgeteilten Gedanken in leicht abgewandelter Form auf Stichpunktseiten und überlegte dabei immer wieder, wie jemand, der oder die vom Zauberpflanzenanbau keine Ahnung hatte, am besten angesprochen werden konnte. Der Frühling auf der Nordhalbkugel verhalf ihr zu einzigartig schönen Beobachtungen, wie sich die Blüten des Himmelstrinkers immer wieder öffneten und schlossen, wenn Regen vorüberzog oder wie die Blauwedelpalme, eine nur in Florida heimische Pflanzenart, dem Himmel ihre obersten Wedel wie nach Sonne greifende Arme ausstreckte. Sie nahm Bodenproben und notierte die unter einem Vergrößerungsglas sichtbaren Kleintiere, Pilzfäden und Mineralkristalle. Irgendwie war ihr, als habe sie die letzten vier Jahre keine Heilkunst, sondern fortgeschrittene Herbologie betrieben, so routiniert liefen ihr bald die Standarduntersuchungen von der Hand. In Viento del Sol durfte sie nach Anfrage einen Samen des Spendebaumes mitnehmen, der im April rosarote, violette und purpurne Blüten trug. Aurora beobachtete, welche Bienen diesen Baum anflogen und verfolgte einige der fleißigen Honigsammlerinnen zu ihrem Stock, den der Dorfimker von VDS im Zauberpflanzengarten eingerichtet hatte. Mit Chloe, der für das Dorf und die weitere Umgebung zuständigen Heilerin und Hebamme, reiste sie in die verschiedenen Klimazonen der USA. Sie grub in der Mojave nach der Wüstenknolle, einer winzigen, stacheligen Kugelpflanze, die mehr als zwanzig Jahre wie ein Stein im Boden ruhen konnte und von einem einzigen Regenguß zu schnellem Wachstum angeregt werden konnte, bis sie zu einem zehnarmigen Strauch mit sich immer in drei etwas dünnere Zweige gabelnden Ästen wurde. Die Blätter der Strauchpflanze erschienen nachtschwarz, weshalb die in dieser Gegend früher heimischen Ureinwohner sie auch als Nachtkraut bezeichneten. Der für die magische Heilkunst erwähnenswerte Faktor der Wüstenknolle war, daß die obersten der schwarzen Blätter zerrieben einen Trank gegen Durstgefühle bildeten. Selbst die Medizinleute der Indianer kannten diese Eigenschaft. Norma Hootingowl, eine knapp neunzig Jahre alte Medizinfrau mit wirksamen Zauberkräften, eine für ihre kleine Gestalt und das silbergraue Haar merkwürdigen Stattlichkeit gesegnete Ureinwohnerin hatte in Thorntails die hermetische Zauberkunst erlernt, jedoch von ihrer Mutter die Künste einer Medizinfrau und die über Jahrtausende gepflegten Rituale erlernt. Galt es bei den Weißen allgemein so, daß die Kräfte der Medizinleute dadurch wirkten, weil ihre Patienten an die Wirkung glaubten, ob es ein Heilzauber oder Fluch war, konnte Norma wahrhaftig ihren Geist aus dem Körper lösen und jedes niedere Tier oder eine Pflanze damit besetzen, heilende Gesänge mit ihren Gedanken in weite Ferne schicken oder jemanden, der ihr respektlos begegnet war durch einen Fluch Übelkeit, schleichende Körperverunstaltung oder quälende Alpträume wie nächtliche Dämonen auf den Hals jagen. Aurora lernte Ehrfurcht vor der zauberstablosen Magie der Medizinfrau, als sie einem kleinen Jungen, der von einer Klapperschlange gebissen worden war, nur durch Handauflegen und Gesang das Gift aus dem Leib entfernte, ohne dem Kind Blut abzusaugen. Aurora dokumentierte diesen Fall als Randbericht für Laura Morehead. Für ihr eigenes Projekt war wichtig, was die ältere Indianerin ihr über die Lieder der Pflanzen erzählte. Norma Hootingowl war nämlich fähig, das Befinden von Pflanzen zu hören, ohne sie sehen zu müssen. Dadurch lernte Aurora Dawn, wann eine Pflanze ohne magisches Innenleben genug Wasser bekommen hatte oder ob die ihr zugedachte Menge Sonnenlicht genug oder schon zu viel war. Zwar konnte sie den Pflanzen nicht zuhören, jedoch an ihrer Ausrichtung und dem Stand von Blüten oder Blättern ablesen, in welcher Verfassung eine Pflanze war. Allein um diese Erkenntnis so weit zu verinnerlichen, daß sie Worte dafür fand benötigte sie drei Wochen. Langsam verstand sie Laura Morehead. Es gab Dinge, die brauchten ihre Zeit und sprachen keine Termine ab.

Als Aurora randvoll mit allen Eindrücken über amerikanische Zauberpflanzen und den ersten fertigen Kapiteln über Pflanzen der subtropischen Breiten bis gemäßigten Klimazonen Amerikas am zehnten Mai nach Südamerika weiterreiste, wo sie mit einer großen Dosis Antidot 999 in den Amazonasdschungel eindrang, fragte sie sich schon, was wilde Urwaldpflanzen für einen zahmen Zaubergarten brachten. Doch dann entdeckte sie Wildformen des Kartoffelbauchpilzes und probierte an den ungleich härtere Bedingungen vertragenden Pflanzen neue Setz- und Bewässerungstricks aus. zwei Wochen gingen so ins Land, bis Aurora in die Zivilisation zurückkehrte.

"Wer einen Kartoffelpilz nicht zu früh dazu bringen will, seinen Bauch abzusprengen und dann zu verdorren, sollte ihn mit einem Pinsel, der in klares Quellwasser getunkt wurde, alle zwei Tage bestreichen, um ihm die Nässe zu verschaffen, die eine Woche leichter Regen ihm zufügt. Wer das vergißt muß sich dann nicht wundern, wenn das Exemplar zwei Tage nach Verstreichen des letzten Termins mit lautem Knall explodiert und seine Sämlinge über das Land verteilt. Ich empfehle dringend, nicht mit einer Gießkanne an die Kartoffelbäuche heranzugehen, weil sie bei einem Wolkenbruch alle Bestandteile zusammenknäulen und das Wasser an sich abprallen lassen. Wer sich daran hält erhält zur Belohnung ein Gewächs mit mehr als ausreichendem Extrakt für den Fiebersenkungstrank Nummer 5, der bei Temperaturen über 39 Celsius angezeigt ist.

In dem Stil, manchmal sogar etwas humorvoll, ging es weiter, als sie im Juni die südamerikanischen Zaubergärten bereist hatte und nun in Richtung Afrika weiterzog. Hier jedoch konnte sie nur Wildformen und ihr völlig unbekannte Pflanzen und Pilze bestaunen, ohne für ihren Hexengarten brauchbare Verhaltensrichtlinien zusammenzutragen. Erst als sie in Ägypten eintraf und dort in einer Zaubererweltbibliothek einen englischen Beitrag über dortige Wüstenpflanzen las, sah sie auf. Der unbekannte Autor erwähnte das Sonnenkraut, das hier nicht in gesicherten Gärten, sondern als sich größtenteils selbst überlassene Kräuterkolonie gehalten wurde. Sie wußte, daß das Sonnenkraut in Algerien und Ägypten professionell gezüchtet wurde und erbat sich von einem englischsprachigen Magier, ihr die Pflege des Sonnenkrautes zu erläutern. Doch der Magier lehnte das ab. Hier erfuhr Aurora zum ersten Mal im Leben, daß das eigene Geschlecht auch zum Nachteil geraten konnte. Denn der Magier sah Zauberei und Kräuterwissen als Vorrecht der Männer an. Er hielt Hexen für zu leicht zum bösen verführbar und hielt sich an den Kodex, keiner Hexe solch brisante Geheimnisse zu verraten. Entsprechend ungemütlich fühlte sich Aurora, als sie auf eigene Faust durch das beinahe trockene Land am Nil wanderte, dabei die weltweit bewährten Malariaabwehrelixiere benutzte und versuchte, sich nützlich zu machen. Weil sie merkte, daß ihr keiner etwas verraten würde, überwand sie ihre Skrupel und beschlich unsichtbar die Felder. Sie sah den Knechten der Zaubergärtner ihre Arbeitsmethoden ab und experimentierte einen Monat lang fern ab der Zivilisation mit Sonnenkraut, um im Buch nicht als Spionin, sondern Forscherin da zu stehen. Dabei fand sie heraus, daß Sonnenkraut dort am üppigsten wuchs, wo es am Tag die wenigsten dunklen Stunden abbekam.

Das Sonnenkraut, diese zerbrechlich wirkende, honiggoldene Staudenpflanze von zwanzig Zoll Höhe, kann helfen, alle durch die Sonne angerichteten Hautschäden zu beseitigen oder bei richtiger Mischung mit Sonnenblumenöl, Rosenwasser und Eidechsenschuppen, mehrere Stunden lang vor Verbrennungen durch Sonnenstrahlen zu schützen. Sie ist für eine Pflanze sehr genügsam, was Wasser angeht. Sie zieht ihre Kraft aus dem Sonnenlicht und Siliziumhaltiger Erde. Deshalb besser nicht im Drachendung oder Einhorndung verbuddeln, weil ihr das wohl ähnlich stinkt wie uns Menschen, würden wir damit zugeschüttet. Setze sie in einen drehbaren Topf voller Sand und hänge einen Wasserschlauch oder einen Stab darüber, von dem über eine Wasserquelle alle fünf Minuten ein Tropfen Wasser in den Topf kullert. Das Sonnenkraut saugt den Siliziumanteil aus dem Sand, während dieser von den großen Tellerfußwurzeln wie mit winzigen Zähnen zerkaut und in die Pflanze hinübergewälzt wird. Sand besteht aus Silizium und Sauerstoff, jenem Gas, das wir atmen müssen, wenn wir leben wollen. Wenn die Sonnenkrautstaude aus dem wenigen Wasser, dem Sandsilizium und Sonnenlicht Steinzucker bildet, gibt sie dabei Sauerstoff in größeren Mengen ab, als Pflanzen, die diesen an Kohlenstoff gebunden aus der Luft atmen. Doch das wirklich faszinierende an dieser Pflanze ist wwohl die Haltbarkeit im trockenen. Aber wenn du meinst, sie bräuche viel wasser, dann wirst du zusehen können, wie schnell das Sonnenkraut zu einem unansehnlichen gelben Klumpen zusammenfällt. Außerdem, so der Name, verlangt die Pflanze nach intensiver Sonnenstrahlung, die nicht durch eine Glasdecke gefiltert wird. Wer das Kraut also züchten will, berge sie unter freiem Himmel oder errichte ein Gewächshaus mit hauchdünnen, meinetwegen dann unzerbrechlich gezauberten Außenwänden, die dem einfallendem Licht keinen Widerstand mehr entgegensetzen können!

Nach langer und an schreibarbeiten tüchtigen Zusammenfassung der Sonnenkrauteigenschaften ging es wegen der sie nicht anerkennenden Zauberer zunächst nach Europa, wo sie in Spanien die Heilerin Ramona Monteverde Valenciano kennenlernte, die bei der Tagung in VDS nicht dabei gewesen war. Die Schulkrankenschwester der spanischen Lehranstalt für junge Hexen und Zauberer konnte Aurora jedoch vermitteln. Auch hier vertiefte sie sich in die Sonnenkrautstudien, lernte aber auch Bewässerungstricks, um im sommerlich trockenen Land Pflanzen Nordeuropas zu kultivieren. Wenn Aurora irgendwann ihr eigenes Gewächshaus haben würde, brauchte sie dieses Wissen sehr dringend, daß Professor Sprout ihr nicht vermittelt hatte, weil in Hogwarts genug Regen fiel und die Pflanzenexperten in der Sana-Novodies-Klinik nicht nötig hatten, weil sie das Krankenhaus an einer ergiebigen Quelle untergebracht hatten. So perfektionierte sie die Zauberei, Wasser aus der Luft zu gewinnen und unzerbrechbare Glasleitungen von einem großen Wasserspender wie ein unterirdisches Geflecht von Adern an jede Bepflanzung zu bringen. Eine mit Selbstbewegungszauber belegte Pumpe konnte dann wie ein lebendes Herz das nötige Wasser transportieren, wobei der Trick darin bestand, daß die Leitungen bei Sättigung eingeschnürt werden konnten. Da diese Bezauberung der Spanier patentiert war schrieb Aurora es so auf, daß die Spanischen Zauberpflanzengärtner wegen des teilweise gravierenden Wassermangels im Sommer auf ein Versorgungssystem ähnlich dem Blutkreislauf zurückgriffen und sie Dienste anboten, derartige Bewässerungsanlagen vor Ort zu installieren. Sie erwähnte alle dafür ausgelegten Zauberschmiede und wechselte im späten August über nach Frankreich, wo sie Hera Matine traf, der sie bei ihrer Arbeit zur Hand ging. Sie beobachtete die Dusoleils, wie sie die zwölf Jahre alte Jeanne zu einem von Schirmblattbüschen umstellten Kreis brachten, in dem diese dann mit allen anderen Schulkindern in einer sonnenuntergangsroten Lichtkugel verschwand. Jeanne war schlank und durch ihr schwarzes, leicht gewelltes haar und die braune Haut einer arabischen Prinzessin ähnlich. Doch Aurora hatte wichtigeres zu tun. Sie unterhielt sich mit Camille darüber, welche Pflanzen sie in diesem Land besuchen oder selbst anpflanzen wollte. Sie lernte den praktischen Alraunenberuhigungsgriff von Camille, den diese von ihrem Kräuterkundelehrer Trifolio erlernt hatte und vertiefte ihr Wissen über die Launen der halbwüchsigen Alraunen, die antizyklisch zur sonstigen Reifungszeit nicht im Sommer, sondern im Winter gesetzt worden waren. Sie verbesserte die Wirkung des Tranks gegen den Rauschnebel und veröffentlichte das Rezept in den Fachzeitschriften Grüner Magier, Heilerherold und Praktischer Zaubertrankbrauer. Dafür erhielt sie bald von Laura Morehead eine lobende Antwort, weil es nun möglich war, Rauschnebel und Alraunen in einem einzigen Raum zu halten, wodurch in einem Gewächshaus der Klinik mehr Platz für andere wichtige Kräuter vorhanden war.

Es war eine laue Abendstunde im September. Florymont Dusoleil, Camilles Ehemann, werkelte an etwas geheimnisvollen in seiner Zauberschmiedewerkstatt. Claire wollte bei ihrer Großmutter Aurélie übernachten, weil sie und ihre Tante Uranie sich nach Jeannes Abreise immer wieder in die Wolle bekommen hatten. Die kleine Denise schlief bereits, als unter der natürlichen Musik zirpender Grillen Camille die ersten Kapitel des Buches vorgelesen bekam. Aurora mußte übersetzen, weil Camille mit dem Englischen doch Probleme hatte.

"Möchtest du das Buch nur auf Englisch herausgeben?"

"Hmm, eigentlich nicht, Camille. Nur muß ich ja selbst erst einmal rüberbringen, wie ich was meine. Manche Leute, die ich bisher getroffen habe, haben mir das sehr umständlich erklärt. Ich muß daher immer überlegen, wie ich das einfacher sagen kann, was wichtig ist, ohne den Eindruck zu vermitteln, wie zu einem kleinen Kind zu sprechen."

"Warum verwendest du dann die persönliche Anrede?" Fragte Camille neugierig.

"Weil ich möchte, daß wer das Buch liest, sich ganz persönlich angesprochen fühlt, nicht wie jemand, der etwas behördliches liest, sondern Gedanken, die er sofort in Taten umsetzen kann."

"Ist im französischen nicht gerade einfach. Meine Schwägerin und meine Mutter können Englisch und sagen immer, dadurch, daß ihr eigentlich keine worthafte Unterscheidung zwischen Du und Sie macht, sei manches mißverständlich. Außerdem könnte sich jemand, der das Buch so liest, wie du es bisher wohl angedacht hast, doch irgendwann wegen schwieriger Arbeiten gelangweilt zurückziehen und sagen, daß ihn oder sie das nicht mehr interessiert. Du kennst Bücher von mir, Aurora?"

"Ich habe mal eines über die Regenbogensträucher gelesen, das ähnlich wie dein Himmelstrinkerbuch geschrieben war. Doch die verspielte Art könnte die Experten, für die ich ja auch schreiben möchte, vergraulen."

"Oder ihnen zeigen, daß Zauberpflanzen auch Spaß machen. Willst du nur, daß sie die Pflanzen richtig pflegen oder auch, daß sie dabei Spaß haben, Aurora?"

"Natürlich soll das auch Spaß machen. Das steht ja hier im Kapitel über die Blauwedelpalme drin, das es so aussieht, als wolle sie wie ein Schüler im Unterricht Aufmerksamkeit auf sich lenken."

"Ja, geht schon richtig los. Allerdings habe ich trotz der mir von vielen gerne unterstellten Verspieltheit immer daran gedacht, daß Pflanzen keine Menschen sind und daher auch nicht mit denen verglichen werden können. Aber du könntest schreiben, daß die Pflanze ihre Wedel so aufstellt, als könne sie das Wasser damit vom Himmel runtersaugen. - Bei wem wolltest du dein Buch eigentlich verlegen lassen, Aurora?"

"Bei Hintley & Sohnin der Sonnenstrahlstraße in Sydney. Die verlegen da auch die australischen Koch- und Ratgeberbücher für Haushexen und magische Junggesellen."

"Ach du meine Güte, wo diese drögen Bücher "Bügeln ohne Eisen" und "Gardinenwaschen in einer Minute" verlegt werden. Da haben wir in Frankreich eine bessere Adresse, wo Bücher für Jungen bis Männer und Mädchen bis erwachsenen Frauen auf den Markt kommen und aus den führenden europäischen und nach Übersee vermittelten Sprachen ins Französische oder aus diesem in die jeweiligen Sprachen vermittelt werden. Die haben auch eine Niederlassung in London in der Winkelgasse. Mansio Magica heißt der Verlag. Der hat auch vier meiner Gartenbücher und den Leitfaden für herbologische Wettervorhersager gedruckt. Oder bist du gezwungen, dein Buch auf australischem Boden drucken zu lassen?"

"Das nicht. Ich muß nur klar belegen, daß ich die Urheberin bin und daß meine Absichten sind, die Handhabung von Zauberpflanzen unfallfrei zu gestalten und keine Risiken anzuregen. Deshalb will ich ja keine Teratophyten einbauen, wenn man von den Alraunen mal absieht, die durch ihre Schreierei doch sehr gefährlich sind."

"Aber durch simple Ohrenschützer und den Beruhigungsgriff, den ich dir gezeigt habe sehr gut zu handhaben und daher gut in einem abschließbaren und schalldichten Gewächshaus zu halten sind", sagte Camille Dusoleil. Dann bot sie Aurora an, ihr bei einer französischen Übersetzung zu helfen, indem sie Aurora fragte, wie sie das, was diese so beim Lesen übersetzte, meine und das dann anders formuliert aufschrieb, wenn sie verstand, was gemeint war. Aurora nutzte diese Rückmeldung aus, um auch an der englischen Formulierung zu feilen, weil sie erkannte, daß sie doch mit zu viel Fachwissen an die Sache heranging. Ihr Vorhaben, Leuten die Handhabung von Zauberkräutern zu erklären, die ganz nebenbei und ohne großen Forschungsergeiz damit hantieren wollten, konnte nur gelingen, wenn jeder sie auch auf Anhieb verstand, ohne den Eindruck zu haben, wie ein kleines Kind angeredet zu werden, aber auch nicht von einer übergescheiten Lehrerin angeleitet zu werden. So vereinbarten die beiden Hexen, daß Aurora die groben Entwürfe ihrer Kapitel mit auf Camille geprägten Umschlägen an diese schickte und egal wo sie gerade war die Antworten zurückerhielt. Dafür wollte Aurora Camille am Verkauf beteiligen, in dem sie sie als Übersetzerin anführte.

"Übersetzerin wäre übertrieben, weil ich nur ein Zehntel von deiner Sprache kann, was meine Mutter kann. Jeanne will die Sprache lernen, weil sie "Die Besenprinzessin", einen eurer Hexenmädchenromane, auf Französisch gelesen hat und von älteren Mitschülerinnen gehört hat, daß die auf Englisch noch lustiger sein sollen, weil die Übersetzerin für Französisch doch einige Derbheiten und Frechheiten in brave Phrasen umgewandelt hat. Man könnte meinen, die Dame sei mit meiner respektablen Nachbarin Blanche Faucon verwandt, in deren Saal Jeanne untergekommen ist. Aber das was wir gerade besprochen haben geht, nicht Übersetzerin, sondern Ideengeberin. Das kann ich so auf mir sitzen lassen." Aurora grinste. Dann vereinbarten die beiden, es so zu machen. Wenn eine französische Ausgabe zeitgleich mit der englischen erschien, warum nicht. Aurora Bedauerte es, keine spanische Heilerin oder Kräuterkundeexpertin auf diese Idee gebracht zu haben. Das mochte daran liegen, daß sie noch nicht so gut Spanisch konnte und daher nicht vergleichen konnte, ob der Text so ankam wie sie ihn ursprünglich verfaßt hatte. Im Französischen war das einfacher, weil sie die Sprache doch so weit erlernt hatte, daß sie klar unterscheiden oder vergleichen konnte, was wie übersetzt worden war.

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Drei Tage später sprach Aurora in London bei Mr. Milton Byron von Mansio Magica, dem Verlag für magischen Haushalt und Gartenbau vor und erklärte diesem ihr Konzept und präsentierte die ersten von ihr für brauchbar befundenen Kapitel über die Wüstenknolle oder das Sonnenkraut. Byron grinste das eine und das andere Mal und fragte, ob sie Professor Sprout in Hogwarts beerben wolle, weil er mit dieser Erklärung sicher besser mit Kräuterkunde zurechtgekommen wäre. Er rief die für Zauberpflanzenliteratur zuständige Mitarbeiterin Uva Barkley in sein Büro und lies Aurora die Passage über die Kartoffelbauchpilze noch einmal vorlesen. Die brünette Sachbearbeiterin schmunzelte, während ihr kahlköpfiger Vorgesetzter seinen maisgelben Schnurrbart verdrehte und jungenhaft zwinkerte. Aurora Dawn sollte dann berichten, wer sie war und warum sie dieses Buch unbedingt veröffentlichen wollte. Denn Bücher über einzelne Zauberpflanzen gab es ja schon etliche. Als sie noch einmal geschildert hatte, daß es ihr um eine vereinfachendere, Gefahren ausschließende Anleitung für Zauberkräuteranfänger wie -experten gehe, sagte Mrs. Barkley:

Wir haben vor einem Jahr einen Prozeß führen müssen, weil jemand uns wegen eines Größenverwechslers in einem Buch über die Grünpfeilbeere Sagitaria praeventiva verklagt hat. Sein Sohn habe das Buch über gewandte Ziergewächse gelesen und gemeint, er könne einer jungen Sagitaria P. bis zur Wuchshöhe von siebzehn Zoll noch mit der Futterschaufel Erde und Dung verabreichen. Dabei steht drin, daß die Pflanze unter siebzehn Zoll gehalten werden muß, weil sie sonst ihre absprengbaren Stacheln mehr als zwanzig Meter weit verschleudern kann, wenn sie sich unwohl fühlt und Bewegungen und Wärme verspürt. Der Junge mußte zu Ihren Kollegen ins St. Mungo, um die tief im Fleisch steckenden Stacheln entfernen zu lassen. Wie würden Sie den korrekten Hinweis formulieren, daß selbst ein Troll kapiert, daß er die Grünpfeilbeere nicht über fünfzehn Zoll groß werden läßt?"

"Wahrscheinlich so, daß nur Trolle diese Pflanze größer als fünfzehn Zoll groß werden lassen, weil die eh finden, ihnen könne keiner was", sagte Aurora und formulierte einen besseren Satz. "Wer von der Pflanze nur den schönen Anblick haben will und keine Stacheln im Fleisch sollte die Grünpfeilbeere nie mehr als fünfzehn Zoll groß werden lassen, weil sie sonst verschießbare Stacheln austreibt, die nur einen Troll, der kein Maßband halten und benutzen kann nicht beeindrucken." Mrs. Barkley nickte. Byron grinste. Aurora überlegte, ob das wirklich richtig war, so zu formulieren. Doch an den Gesichtern der beiden Verlegerprofis erkannte sie, daß der Stil in der englischen Zauberpflanzenliteratur noch gefehlt hatte, auch wenn diverse Bücher Camille Dusoleils übersetzt worden waren. Aurora überlegte, ob sie ihre Bekanntschaft mit der Kräuterhexe aus Millemerveilles erwähnen sollte oder durfte. Doch sie wartete damit, bis Mrs. Barkley sie fragte, ob sie nur auf Englisch veröffentlichen wolle. Aurora erwähnte neben Englisch noch spanisch, Deutsch, wenn möglich russisch und französisch. Je nachdem, ob das Buch in den Ländern dieser Sprachen was einbrachte, könnte sie sich ja noch eine Lizenz in Italien Vorstellen. Mrs. Barkley nickte heftig. Dann sagte sie: "Könnte sein, daß unser Französisch-Übersetzer Einwende gegen die persönliche Ansprache hegt, weil die sehr darauf achten, ihnen fremde mit förmlicher Anrede zu bedenken." Da ließ Aurora heraus, daß sie bereits mit einer Muttersprachlerin und Fachkundigen in Kontakt stand. Mrs. Barkley überlegte kurz und sagte dann: "Das wundert mich nicht, daß Madame Dusoleil Ihnen ihre Mithilfe angeboten hat. Ihre persönliche Mission ist ja, die Zauberpflanzen als nicht nur wichtige Rohstoffspender, sondern auch als interessante und liebenswerten Geschöpfe zu vermitteln, die nicht diesen bitteren Ernst nötig haben, mit dem Wissenschaftler an sie herangehen. Nun gut. Wenn Sie mit Ihren Recherchen fertig sind und Ihr Manuskript fertig ist, schicken Sie es bitte an uns zur Korrekturlesung! Danach sehen wir weiter", Sagte Byron. Aurora nickte und unterschrieb, nachdem sie Tinte und Pergament auf versteckte magische Bindungskräfte geprüft hatte einen Vorlagevertrag mit Vorkaufsanspruch seitens des Verlages Mansio Magica. Als Aurora das Büro verlassen hatte, forderte Byron von seinen Außendienstmitarbeitern eine lückenlose Beschreibung von Aurora Dawn. Als er einen Tag später wußte, daß sie wirklich aprobierte Heilerin, mehrfache O-UTZ-absolventin und Erfinderin der Methode zum Aufspüren strahlender Gifte war freute er sich sichtlich. Wenn "der kleine Hexengarten" wirklich in dem Stil rauskam, daß jeder halbwegs des Lesens mächtige Zauberer oder eben jede Hexe, die lesen konnte damit den eigenen Gartenbau vorantrieb, würden seine anderen Gartenpflanzenbücher wohl eine gute Vertiefungslektüre abgeben. So könnte er mit der Übersetzung in mehrere Sprachen, für die er sich mit seinem französischen Partner noch unterhalten wollte, eine große Menge Galleonen machen.

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Aurora reiste weiter durch die magische Zivilisation, Monate lang. Sie verfeinerte ihre Gartenbaukenntnisse und entwickelte einfachere, teilweise auch ohne Zauberstab ausführbare Techniken. Zwischendurch half sie an den jeweiligen Standorten niedergelassenen Heilern bei der Arbeit.

Es war im Oktober, als sie wieder in Australien ankam, um hier die letzten frei benutzbaren Zauberpflanzen aufzulisten und deren Hege und Pflege zu erläutern, während Camille Dusoleil ihre Freien Minuten mit einer geschickteren, die englischen Wortvergleiche passenden Übersetzungen besorgte. Sie hielt Kontakt mit dem Verlag, der auch eine Niederlassung in Australien besaß und übernachtete bei Heather Springs, weil Laura Morehead das Häuschen Melissa Thornapples hatte abreißen lassen. Um Weihnachten, nachdem sie neben dem Text für ihr Buch noch einige Anregungen aus den Muggelkundestunden in magische Apparaturen hatte einfließen lassen, die jeder lichthungrigen Pflanze die mögliche Länge Sonnenlicht zuführen konnte, begab sie sich zu Laura Morehead, weil diese ihr eine Eröffnung zu machen hatte.

"Ich habe deine Zwischenberichte sehr wohlwollend studiert und die Hilfe, die du den Kollegen geleistet hast begrüßt. Daher bin ich sehr froh, dir mitteilen zu dürfen, daß du ab dem ersten Januar 1991 ein neues Haus mit Zugang zu einem Privatbrunnen erhalten wirst. War ein großes Schachern mit den Kobolden, der Heilerzunft die genügende Menge Galleonen zu leihen, die in Muggelwährung konvertiert nötig waren, um das Haus mit dem Grundstück und dem Brunnen zu erwerben. Es gehörte vor fünfzig Jahren einem Goldminenbesitzer. Doch der übernahm sich wohl bei einer Wertanteilsache und mußte das haus verkaufen. Er ist jetzt in Melbourne untergetaucht, wo ihn keiner kennt. Es ist ein Landhaus im Stil der Ära Königin Victorias. Durch den Brunnen war es von städtischer Wasserversorgung unabhängig. Ich habe selbst eine Wasserbestandslotung gemacht. Dort kannst du dich die nächsten vierzig Jahre gefahrlos ansiedeln und praktizieren, sowie mindestens drei große Gewächshäuser errichten."

"Womit habe ich diese hohe Auszeichnung verdient?" Wollte Aurora Dawn wissen.

"Wegen der Sache in Resting Rock, sowie der entscheidenden Anregung zur Beendigung der Bundabundo-Anschläge und weil ich selbst weiß, wie eingeschränkt ein Heiler ist, der mehr als die reine Heilkunst in seinen Beruf einbringen möchte. Bei mir sind es ja die Zauberkunst und die Zaubertränke", antwortete Laura Morehead. Dann lächelte sie. "Ich gehe sehr stark davon aus, daß die Investition in das alte Haus sich schon bald wieder bezahlt macht. Denn wenn ich dich aus deinen Briefen richtig verstehe, möchtest du Sonnenkrauttinktur herstellen, richtig?"

"Das ist korrekt. Natürlich werde ich einen Teil des Erlöses der Heilerzunft übergeben", beteuerte Aurora Dawn. Laura Morehead nickte anerkennend. Dann apparierten sie an den Ort, wo das Haus schon stand. Baumagier waren dabei, die Risse im Mauerwerk zu verschließen, die Fenster mit neuen Rahmen und Simsen zu versehen und das von Wildpflanzen überwucherte Grundstück freizuräumen, indem die unerwünschten Gewächse einfach ausgegraben, auf einen Stapel zusammengezaubert und dann von mehreren Zauberern in Kompostbehälter umgefüllt wurden. Aurora fragte sich schon, ob das den Muggeln nicht auffiel, als sie die milchige, leicht blau schillernde Dunstglocke bemerkte, die sich von der Grundstücksgrenze über den Schornstein spannte.

"Ein mehrere hundert Quadratmeter umfassender Ich-seh-nicht-recht-Zauber?" Fragte Aurora fasziniert. Laura Morehead nickte.

"Spart den Nachtarbeitszuschlag und erleichtert die Renovierungsarbeiten ungemein", sagte Laura Morehead. "Ich denke, in drei Tagen ist dein neues Reich bezugsfertig. Ob und wie du es mit Verteidigungszaubern umgeben möchtest ist deine Sache. Falls du dabei Hilfe benötigst mache ich meine guten Beziehungen zur Ministerin noch einmal geltend." Aurora nickte. Dann kehrte sie mit Laura Morehead zu deren Haus zurück und besprach mit ihr das weitere Vorgehen. Aurora sollte mit Bezug des neuen Hauses ihre Tätigkeit als niedergelassene Heilerin von Sydney wieder aufnehmen. Das war nötig, weil Diana Silverlake den Antrag auf Heirat mit einem Zauberer aus Hobart auf Tasmanien gestellt hatte. Da auf der großen, Australien vorgelagerten Insel nur ein männlicher Heiler arbeitete, wollte Diana dort als magische Hebamme und Beraterin für Seelenfragen tätig werden. Aurora könnte, sofern sie einverstanden war, Dianas Patientinnen übernehmen, sofern die nicht vorhatten, hinter Diana Silverlake herzureisen. Die junge Heilerin erkannte, daß sie damit mehr Verantwortung zugeschustert bekam.

"mel Thornapple hat es verlangt, daß du ihre Nachfolgerin bist, Aurora. Das ist für mich ein eindeutiger Beweis dafür, daß du dieser Verantwortung gerecht werden kannst", sagte Laura Morehead mit einer Entschlossenheit, die Aurora jeden Restzweifel an dem ihr zugemuteten nahm. "Mel will, daß Sydney als Niederlassung erhalten bleibt, weil sie eben auch die dort lebenden Zauberer in Muggelgebieten betreut hat. Keiner der anderen Niedergelassenen hat einen Funken Ahnung von der Muggelwelt oder interessiert sich dafür. Allein schon wie du die Angelegenheit Gordon behandelt hast zeigt, daß du hier deine Niederlassung Sydney weiterführen sollst. Da ich hoffe, daß die Auszeit und die Forschungsreise dir und uns eine Menge wertvolles Wissen eingebracht haben, bin ich davon überzeugt, daß du als praktizierende Heilerin wertvoller als vorher schon sein wirst, wenn du eigene gewächshäuser unterhalten kannst. Deshalb machen wir das für dich." Aurora nickte leicht an den Ohren errötend. Sie kapierte, daß man ihr gerade viel freigeschaufelt hatte, um es in Form von hervorragenden Leistungen wieder zurückzubekommen. Laura Morehead und Melissa Thornapple hatten sie in Sydney stationiert und ihr den Ausflug rund um die Welt erlaubt, damit sie zeigen konnte, daß sie kreativ und kontaktfähig war. Die Verbindungen, die sie auf der Reise geknüpft hatte, konnten der australischen Heilerzunft nützlich werden. Aurora konnte an Pflanzen herankommen, die nicht auf diesem Kontinent wuchsen, sie sicher unterbringen und nachzüchten, wenn sie sich nicht dumm anstellte. Dadurch würde neben dem umfangreichen Angebot der Sano noch ein Pflanzenangebot in Sydney entstehen, wenngleich Aurora gerade einmal Alraunen als gefährlichste Zauberpflanzenart ziehen durfte. Ihr blieb jetzt nichts anderes übrig, als hier endgültig Wurzeln zu schlagen, nachdem man sie einmal rund um die Welt hatte wandern lassen. Wurzeln schlagen konnte sie wohl, weil sie hier Freunde gewonnen hatte und mit den Hauspatienten Melissa Thornapples gleich gut zurechtgekommen war. Durch das Haus, das da von einem durch eigenes Unvermögen in den Ruin gestürzten Muggel abgekauft worden war, konnte sie ihre eigene Note prägen, es zu ihrem Zuhause werden lassen, was bei Mel Thornapples Haus nicht funktioniert hatte. Obwohl, das Haus würde ihr nicht gehören. Sie bewohnte es als Angehörige der Heilerzunft, der es gehörte. Doch im Moment lag ein Ausstieg aus der mühsam betretenen Heilerzunft so weit von ihr fort wie der Fixstern Sirius von der Erde, sogar noch weiter, weil sie einen solchen Schritt nicht einmal erahnen konnte, während der Sirius im Sommer auf der Nordhalbkugel immer deutlich sichtbar am Himmel erschien.

Als Aurora mit Heather darüber sprach, daß sie ein neues Haus bekam, an das sie auch Gewächshäuser anstellen konnte sagte Heather: "Das ist wohl auch auf Onkel Vitus' Nachfolgerin Mist gewachsen, daß du eigene Gewächshäuser kriegen sollst, Aurora. Immerhin kennt die deine Vorlieben besser als die anderen Heiler hier."

"Im Januar werde ich dann in alter Frische und neuer Mission dieses alte Landhaus beziehen und dort meine Sachen ausbreiten", sagte Aurora. "bis dahin kann ich das Manuskript vom kleinen Hexengarten weiterkorrigieren, bis ich es einreichen möchte."

"Du wolltest echt zuerst zu Hintley?" Fragte Heather. "Da hat dir diese Madame Dusolehl den besseren empfohlen. Hintley ist auf Haushexenkrempel und Heimwerkszaubererpfusch spezialisiert. Der hätte deine Sachen nur als weiteren Leitfaden für Gartenbau runtergehandelt und dich wohl mit einem Hungerlohn abgespeist. Mansio Magica ist zwar vom Kundenstamm ähnlich ausgerichtet, gibt aber auch Reiseberichte und geschichtliche Abhandlungen über die Entwicklung der Zaubererwelt heraus. Außerdem hat der in fast jeder europäischen Einzelbeschreibung von Zauberpflanzen einen Finger drin. Wenn dein Buch rauskommt, und Leute kriegen Lust, sich die eine oder andere Zauberpflanze zuzulegen, können die Gärtnerfachfirmen denen gleich MM-Begleitbücher über die Pflanze mitliefern, und die Leute von MM machen doppelt Gold. Da können die sich das dann auch leisten, dir mehr vom Gewinn zu lassen. Was machst du eigentlich damit?"

"Erst einmal teure Pflanzen kaufen. Alraunen aus Europa einzuführen ist teuer. Dann kann ich wohl auch einige Lizenzen erwerben, zum Beispiel die zur Zucht und Vertrieb von Sonnenkraut und daraus gemachten Produkten. Camille wird auch einen Anteil davon erhalten, wie auch die, die mir bei der Rechcherche geholfen haben. Madam Hootingowls Volk könnte ein paar Quadratmeilen mehr Land brauchen, um seine traditionelle Lebensweise beibehalten zu können. Ich hoffe nur, daß dann noch ein wenig für den Altersruhesitz übrigbleibt", formulierte Aurora die Vorhaben mit dem noch nicht klar benannten Honorar und der Gewinnbeteiligung, von der sie auch noch nicht wußte, wie hoch die überhaupt sein würde. Heather nickte nur.

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Über Weihnachten durfte Aurora zu ihren Freunden und Verwandten nach England, weil die letzten Feinarbeiten am neuen Haus, daß sie bereits als "Haus Morgendämmerung" beim australischen Flohregulierungsrat vorgemerkt hatte, abschließen mußten. Zuerst fror sie ein wenig, als sie in ein winterliches England zurückkehrte, wo der Schnee eine weiße, weiche Decke auf Wegen und Dächern bildete. doch sie gewöhnte sich an die Kälte und die kurzen Tage. Sie feierte mit ihren Eltern und Verwandten Weihnachten und erlebte mit Petula und andren ehemaligen Schulkameraden das Feuerwerk zum Jahreswechsel in Hogsmeade mit. Tim Preston kam mit seiner Frau Vivian auf einen kurzen Schwatz zu den Dawns. Vivian präsentierte ihren ersten gemeinsamen Sohn Alfred nach ihrem Großvater väterlicherseits. Tim unterhielt sich mit Aurora über die Heilerausbildung. Sie bedauerte ihn, weil er mit zwanzig anderen in einer Klasse hocken und sich manchmal langweiligen Kram von an Tafeln kratzenden Vorlesern anhören mußte. Dafür waren die Zaubereiübungen sehr anspruchsvoll. Alle Zauber mußten ungesagt gewirkt werden, bis auf wenige Ausnahmen, deren Ausruf mehr Sicherheit bot. Dann mußte Aurora wieder zurück nach Sydney, während Tim zurück in das St. Mungo mußte.

"Na, gefällt Ihnen die Farbe, junge Dame?" Fragte ein Bauzauberer und deutete auf das Haus. Das Haus wirkte nun nicht mehr so bleich wie Aurora es zuerst gesehen hatte. jetzt strahlte es eine Behaglichkeit aus, die wohl durch die sonnengelben Wände vermittelt wurden, die das Licht des Tagesgestirns nicht allzu hell widerspiegelten. Das Dach war kirschrot und besaß zwei Schornsteine, wohl einen für einen Ofen und den anderen für den Flohnetzkamin. Drinnen lobte Aurora die lotrechten und frisch tapezierten Mauern, staunte über die große Wohnstube, in der mindestens zehn Leute Platz fanden und belegte die noch unmöblierten Zimmer mit ihren Funktionen, Küche, Schlafzimmer und Arbeitszimmer. Danach räumte sie zusammen mit Heather die von ihnen ausgesuchten Möbel aus dem Verkleinerungskarton an die Stellen, wo sie hingehörten. Aurora stellte das altmodisch anmutende Wasserschiff zum Erhitzen größerer Wassermengen auf die Granitanrichte, prüfte den mit zwei kleinen Feuerstellen beheizbaren Herd und baute in einem kleinen Zimmer unter dem Dach ihre Bibliothek auf. Im Keller richtete sie mit Kesseln, Phiolen, Zangen, Pincetten und allerlei anderen Werkzeugen ihr Zaubertranklabor ein, zudem aber auch mehrere Vergrößerungsgläser gehörten. Zutaten mußte sie sich aus der Klinik holen oder in der Sonnenstrahlstraße kaufen. Als all das geschehen war ließ Aurora die geplanten Gewächshäuser anliefern und einmauern. Eines besaß zerbrechlich dünne Wände wie mundgeblasen. Dort wollte sie versuchen, Sonnenkraut nachzuzüchten. Sie verlegte die von ihr konzipierten Bewässerungsröhren an den tiefen Brunnen, der weit im boden auf einen unterirdischen Flußlauf traf, der mehrere Dutzend Meter unter der Stadt den Pazifik anfloß.

"Das muß damals für den Muggel ein Riesenvermögen gekostet haben, natürliches Frischwasser auf dem Grundstück zu haben", sagte Heather, die Auroras Ehrgeiz, das Haus vollständig für sich zu erschließen verfolgte.

"Deshalb wurde der Brunnen wohl mit drei starken Schlössern und Riegeln versperrt gehalten", stellte Aurora Dawn fest. Heather nickte, als sie die massive, aber schon rostige Eisenluke betrachtete, mit der der Brunnenschacht verdeckt werden konnte.

Zwei Stunden später trafen aus der Sano Setzlinge gerade entbehrlicher Zauberpflanzen unterhalb der Gefahrenstufe zwei ein. Aurora würde, so beschloß sie, an den freien Tagen gewöhnliche Pflanzen kaufen, die sie in den Beeten ansiedeln wollte. Dann kam der Moment der symbolischen Schlüsselübergabe. Laura Morehead beglückwünschte Heilerin Aurora Dawn zur eigenen Niederlassung in einem ruhigen Wohnviertel außerhalb von Sydney. Dann wünschte sie ihr allzeit Erfolg und Anerkennung in der Heilerzunft und verabschiedete sich mit dem Schwur der Heiler "Semper pro Bono!"

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Die ersten Wochen in der neuen Niederlassung, die Aurora langsam als ihr Heim und Herd annahm, waren geprägt von Patientenbesuchen und Giftunfallnotrufen. Wo sie frei hatte, besorgte Aurora sich nach und nach handelsübliches Saatgut für Heilkräuter und Ziersträucher, die sie entlang des zwei Meter hohen weißen Jägerzaunes ansiedelte. Im Februar holte sie persönlich fünf weibliche und genausoviele Männliche Zuchtalraunen ab, die mit dem fliegenden Holländer aus Frankreich und Italien herübergeschafft worden waren. Sie nutzte die freien Stunden zwischen den Sprechzeiten oder Hausbesuchen zum Ausfeilen ihres Buchmanuskriptes. Fast täglich gingen Expresseulen zwischen ihr und Millemerveilles hin und her. Neben offiziellen Textgestaltungsvorschlägen tauschten Aurora Dawn und die dreifache Hexenmutter und Kräuterexpertin Camille Dusoleil auch persönliche Neuigkeiten aus. Aurora wurde eingeladen, in den europäischen Sommerferien noch einmal zu Besuch zu kommen. Doch Aurora hatte bereits eine Einladung von Pamela Witfield, die als Reservesucherin ihrer Mannschaft am Turnier der acht besten Mannschaften teilnehmen würde. Camille beneidete die junge Heilerin, wünschte ihr jedoch viel Spaß. Aurora schrieb zurück, daß man sich wohl bei der Veröffentlichung des kleinen Hexengartens in Paris noch einmal sehen würde. Byron hatte Wind davon bekommen, daß die französische Ausgabe zeitgleich mit der englischen erscheinen sollte. Da Aurora als Autorin auch bei Mansio Magica Paris vorstelllig geworden war, hatte Byron kein Problem damit, daß die Veröffentlichung, wenn sie denn noch 1991 stattfinden würde, in Paris sein mochte, zumal er mit dortigen Vertretern des Verlages dann noch einmal über andere Bücher sprechen konnte.

Der Februar und der März vergingen. Am zweiten April hatte Aurora das Manuskript mit Camilles Anregungen fertig. Die Sätze waren nun kurz und auf den Punkt bezogen. Erklärungen über die Pflanzen und warum sie so gepflegt werden mußten standen in Kapitel für weiterführende Informationen. Am 10. April unterschrieb Aurora Dawn die letzte Seite des Manuskriptes, auf der sie im einzelnen aufgeführt hatte, bei wem sie sich für die Hilfe bei der Recherche bedankte. Sie widmete das Buch ihrer Mutter Regina, weil diese sie ermutigt hatte, in die weite Welt zu gehen und ihren Weg zu machen. Dann schickte sie das Manuskript nach einem Dreifachkopierzauber an Milton Byron. Zwei Wochen mußte sie warten, bis der Verleger einen Expressbrief zurückschickte:

Sehr geehrte Ms. Dawn!

Vielen Dank für diese kurzweilige und doch sachlich ansprechende Arbeit. Mein Dank gilt natürlich auch Madame Dusoleil für die Anregungen, eine für beide Sprachen brauchbare Formulierung bei der Beschreibung der Wüstenknolle zu finden. Ich lasse Ihr Manuskript bereits korrekturlesen und werde wohl in einer halben Woche mit dem Erstdruck beginnen. Wie viele Freiexemplare wünschen Sie?

Sollte der Druck schnell in Gang kommen, können wir zum Ende des laufenden Schuljahres damit auf den Markt.

Bitte bleiben Sie gesund und erfolgreich!

Milton Jefferson Byron

P.S. kollegiale und anerkennende Grüße von Mrs. Barkley

Aurora atmete auf. Das Manuskript war angenommen worden. Ihr kleiner Hexengarten wurde nun gedruckt. Sie brauchte einen Festumhang.

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Die Dawns waren ebenfalls in Paris, genauso wie die Priestleys, als am 23. Juli die multinationale, magische Verlagsgesellschaft Mansio Magica zu einer feierlichen Veröffentlichung in ihre Niederlassung in die Rue de Camouflage in Paris einlud. Auch die Fieldings, Prestons und Woodlanes waren erschienen. Dann kamen die Dusoleils, Florymont mit seiner Frau Camille, den Töchtern Jeanne, Claire und Denise und Florymonts Schwester Uranie. Alle trugen sie würdige Festgarderobe. Camille hatte es mal wieder geschafft, einen frischen Grünton als Grundfarbe ihres langen Rüschenkleides zu finden. Claire hingegen führte einen knielangen, kirschroten Rock und eine blütenweiße Bluse aus. Heather Springs war mit ihrem Onkel Vitus mit aus Australien angereist, um das Ereignis zu feiern, die erste offizielle Veröffentlichung ihrer Brieffreundin Aurora Dawn, der sie, Heather, den Job bei den Heilern ermöglicht hatte. Stille trat in der mit goldenen Lüstern dekorierten Halle ein. Dann erschienen Milton Byron und sein französischer Kollege Jean-Jacques Dumas, ein schlachsiger Zauberer mit silbergrauem Schopf und Backenbart. Die beiden Verleger trugen Umhänge aus dunkelgrünem Samt mit Stehkragen. Byron hatte sich einen walnusfarbenen Bowler aufgesetzt, während Dumas einen schwarzen Zaubererhut mit einem silbernen Fünfzackstern an der Spitze trug. Dann ergriff Dumas das Wort und begrüßte die Anwesenden.

"Ich freue mich, daß Sie alle zu diesem feierlichen Anlaß erschienen sind." Er sah Aurora an, die in ihrem smaragdgrünen Festumhang um ihre Selbstbeherrschung rang. "Es freut uns von Mansio Magica, daß es wieder jemand gewagt und geschafft hat, ein eigenes Buch zu schreiben und darauf zu setzen, daß es unter die Leute kommt. Vor allem bedanken wir uns für das Vertrauen, daß Sie in uns setzen. Doch ich muß immer wieder sagen, daß der Erfolg eines Buches nicht vom Verlag abhängt, der es herausbringt, sondern von seinem Autor und den Lesern, die es bewerten und dann weiterempfehlen oder als Zeitverschwendung ansehen." Aurora verzog ein wenig das Gesicht. "Doch ich kann in diesem Fall sagen, daß es für mich, wie auch meinen britischen Kollegen Milton Byron, absolut keine Zeitverschwendung war, das Manuskript zu lesen. Da wir keinen Anlaß hatten, irgendwas am Inhalt umzuändern und so die Druckausgabe der handschriftlichen Vorlage entspricht, kann ich verbindlich versichern, daß dieses Buch keinen Grund zur Langeweile darstellt. Weder muß ich mich schämen, es hier und heute an die magische Öffentlichkeit zu bringen, noch müssen Sie sich schämen, es so und nicht anders verfaßt zu haben, Mademoiselle Dawn und Madame Dusoleil." Camille wehrte die Anerkennung ihrer Teilnahme mit einem leichten Kopfschütteln ab. Dann sagte Dumas: "Nun, hiermit freue ich mich, der magischen Welt im französischen und englischen Sprachraum, "der kleine Hexengarten" zu präsentieren." Er winkte mit seinem Zauberstab, und aus dem Nichts heraus erschienen riesige Kartons voller Bücher. Die obersten zehn erhoben sich und schwebten einige Sekunden frei in der Luft, wobei der Titel und ein Teil des Klappentextes zu lesen waren. Dann verschwanden die Kartons, und die frei schwebenden Bücher segelten wie Blätter im Herbstwind durch die Luft. Aurora fing eines auf. Heather ein anderes. Regina Dawn konnte sich ebenfalls ein Buch ergattern. "Das ist aber die französische Ausgabe", meinte Hugo Dawn zu seiner Frau.

"Na und, die englische hole ich mir morgen bei Flourish & Blotts ab", sagte Regina Dawn. Camille fischte gleich drei Exemplare aus der Luft und gab eines an Jeanne weiter. Claire stierte auf das Buch. Doch ihre Mutter sagte: "Du wirst auch eines kriegen, wenn du in zwei Jahren nach Beauxbatons kannst, Ma Chere." Claire verzog enttäuscht das hellbraune Gesicht mit den großen, dunkelbraunen Augen. Doch dann nickte sie. Sicher konnte Jeanne ihr ihr Buch mal ausleihen. Heather Springs fragte, wo die Kartons gelandet waren.

"Die sind in den beiden Buchläden hier eingetroffen. Einen Karton habe ich noch nach Millemerveilles versetzt", sagte Monsieur Dumas. "Ich habe bereits eine Massenbestellung meiner Enkelin Genevieve, nachdem sie als stellvertretende Direktrice der Grundschule von Millemerveilles eines der Werbeexemplare erhalten hat."

"Siehst du Claire, dann kannst du das lesen", sagte Jeanne ihrer mittleren Schwester. Diese nickte erfreut.

"Ich bedanke mich bei Ihnen allen, daß Sie mir diese erhabene Minute lang Gesellschaft geleistet haben, sagte Dumas. Mr. Byron sagte dann noch in astreinem Französisch:

"Nun, ich habe mich ja umfangreich erkundigt und bin sehr froh, Ms. Dawn, daß Sie den Weg zu uns gefunden haben und nicht in einer nur der Heilerzunft zugänglichen Fachzeitschrift veröffentlicht zu haben. Ich bin mir sicher, viele junge Hexen und Zauberer werden einen anderen Zugang zu magischen Pflanzen erfahren. In dem Zusammenhang darf ich ebenfalls ankündigen, daß eines der Werbeexemplare auf Englisch von Professor Pomona Sprout angefordert wurde. Sollte sie mit dem, was ihre frühere Schülerin zusammengestellt hat zufrieden sein, werde ich wohl auch einige Exemplare für Hogwarts vormerken dürfen." Er lächelte. Dann bedankte er sich noch einmal bei den Anwesenden für die Teilnahme. Danach begaben sie sich alle samt zur größten Buchhandlung der Zaubererstraße, wo bereits mehrere Leute das mit "Neue Wege zu grünen Gärten" angekündigte Werk bestaunten, darin blätterten und dann kauften. Aurora, deren Bild ja auf der Buchklappe prangte, wurde sofort erkannt. Camille Dusoleil stellte ihr einige der Interessenten vor, die ihr Buch gekauft hatten, darunter Professeur Trifolio von Beauxbatons. Der sah zwar leicht verstimmt aus, wohl weil Camille Dusoleil und er nicht dieselbe Auffassung von Kräuterkunde hatten, bedankte sich jedoch höflich bei Aurora Dawn für die schöpferische Arbeit.

Nachdem alle gesehen hatten, daß der Verkauf anlief, kehrten die Dawns mit Heather nach Australien zurück. Aurora fragte sich, wie ihr Buch ankommen würde.

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31. Juli 1991

Hallo Wendy!

Das ist jetzt erst eine Woche her, daß der kleine Hexengarten auf den freien Markt kam. Heute erhielt ich einen Expressbrief von Mr. Byron. Er habe bereits zweihundert Nachbestellungen. Das vereinbarte Honorar und die Gewinnbeteiligung werden als Zahlungsanweisung an die Kobolde von Gringotts Sydney übermittelt. Bin mal gespannt, wie viele Bücher schon verkauft sind. Dann kann ich mir endlich auch die drei Kubikmeter Wüstensand und das Saatgut für Sonnenkraut besorgen, um einen kleinen Hexengarten richtig in Schwung zu bringen. Laura Morehead wollte ein signiertes Exemplar von mir, ebenso Bethesda Herbregis und Vitus Springs. Das erachte ich mal als große Anerkennung. Denn egal was mir noch alles passiert oder unterläuft: Mein Buch scheint gebraucht worden zu sein. Ich bin mal gespannt, wann die ersten Fanbriefe eintreffen. Hoffentlich komme ich dann überhaupt noch zu meiner Arbeit. Wenn ich Laura richtig verstanden habe brauche ich jetzt erst einmal nicht mehr daran denken, viel Zeit zum schreiben zu haben.

Heather sah beim letzten Spiel der Sparks, wie Pam Witfield diesen jungen Tausendsasser Laurin Lighthouse umarmt hat. Sie meint, da könnte sich bald was anbahnen. Das freut mich zwar, wenn Pam jemanden findet, mit dem sie glücklich werden kann. Doch ich mußte dabei dran denken, daß ich nicht so unbekümmert mit anderen Zauberern rumlaufen und die umarmen kann. Tim Hat das noch richtig gemacht. Obwohl: Stimmt das wirklich, das früh gefreit nie bereut? Oder ist es vielleicht doch besser, erst im eigenen Leben anzukommen, bevor man sich für einen Partner bereithält? Selbst mit meiner ganzen Ausbildung krieg ich diese Frage nicht beantwortet. Jedenfalls werde ich wohl morgen wieder einiges zu tun haben. Viele Leute wollen prophylaktische Tränke, wenn sie nach Europa fahren. Die haben Angst, sich da was einzufangen.

Dann werde ich jetzt mal schlafen gehen. Gute Nacht, Wendy!

ENDE

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