DIE GLUT AUS DEM ABGRUND

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

E-Mail: hpfan@thorsten-oberbossel.de
http://www.thorsten-oberbossel.de

Copyright © 2005 by Thorsten Oberbossel

__________

Vorige Story

P R O L O G

Seit der Wiederkehr der mächtigen Hexe Anthelia ist einiges in Bewegung geraten. Die Tochter des dunklen Feuers, eine schwarzmagisch geschaffene Kreatur in Gestalt einer verführerisch schönen Frau, hat sich den Wissenschaftler Richard Andrews unterworfen und ihn mit ihrer Magie zu einem tödlichen Gehilfen gemacht, der für sie die Lebenskraft junger Frauen raubt. Weil er dabei Verbrecherbanden in die Quere kommt, jagen diese ihn und töten ihn beinahe. Der US-Amerikanische Zaubereiminister hält die Aktivitäten der dunklen Kreatur unter dem Teppich, zum Unwillen der im Laveau-Institut zur Abwehr dunkler Kräfte arbeitenden Jane Porter, die sehr gut mit der Familie des unterjochten Mannes bekannt ist.

Um der nichtmagischen Welt zu zeigen, daß es sich bei dem fieberhaft gejagten Massenmörder nicht um Richard Andrews gehandelt hat wird ein wandlungsfähiger Mitarbeiter des Zaubereiministers, Ronin Monkhouse, dazu beauftragt, Richard Andrews' Rolle zu spielen und sich von der Bundespolizei FBI als Richard Andrews finden, verhören und verstecken zu lassen.

Anthelias junger Kundschafter in der sogenannten Muggelwelt, Cecil Wellington, hilft der Hexenführerin bei diversen Abwehrmaßnahmen. Ebenso schafft Anthelia es, den diebischen Kobold Picklock unter ihre Kontrolle zu bringen, der für sie Spion und Materialbeschaffer sein soll.

Im Mai versucht der böse Magier Voldemort, über eine Hinterlassenschaft Slytherins, Kontrolle über die bezauberten Gemälde in Hogwarts und darüber hinaus zu bekommen. Doch dieses Vorhaben scheitert. Der von seinen Anhängern dunkler Lord genannte Schwarzmagier ist gezwungen, seine Deckung zu verlassen und der Welt zu zeigen, daß er tatsächlich wiedergekommen ist, weil er Kenntnis von einer Prophezeiung haben will, die sein und Harry Potters Schicksal betrifft. Auch dieses Vorhaben scheitert. Doch Voldemort bekommt Hilfe aus dem Ausland. Der syrische Zauberer Ismael Alcara, Meister der Golemkunde, bietet ihm seine Dienste an und erhält den Auftrag, bis zum Julibeginn einhundert Golems zu schaffen und nach England einzuschmuggeln.

In Amerika sucht und findet Voldemort mögliche Anhänger in vier Zauberern, die wie er eine Erstarkung der reinblütigen Zaubererschaft wollen. Anthelia bekommt Wind davon und nimmt sich diese Leute vor. Als der dunkle Lord dann höchstpersönlich im Sumpfgebiet der Everglades in Florida erscheint, kommt es zur ersten Begegnung zwischen der Führerin der Spinnenschwestern und dem dunklen Lord. In einem heftigen Duell bringen sich beide an den Rand der Niederlage. Weil Anthelia einen magischen Gürtel besitzt, in dem die Abwehrkraft gegen 22 verschiedene Todesarten steckt, unter anderem noch fünf Widerstandszauber gegen den tödlichen Fluch, und weil sie in weiser Voraussicht ihren magischen Avatar vorher schon beschworen hat, geht sie aus dem Duell als knappe Siegerin hervor. Weil sie denkt, daß Voldemort nicht getötet werden kann und auch nicht will, daß Harry Potter dabei stirbt, schenkt sie dem dunklen Magier das Leben und läßt ihn gedemütigt vom Schlachtfeld abziehen. Daß sie damit weitere unschuldige Leben gefährdet weiß sie. Doch sie hat bislang keine Möglichkeit, den Zauberer zu vernichten, der seinen ersten Tod überstehen konnte.

Die FBI-Agentin Maria Montes, die mit Richard Andrews und seiner Gebieterin aneinandergerät, wird auf Befehl von Zaubereiminister Pole gedächtnismodifiziert. Denn er will nicht, daß mehr als die Leute, zu denen Elysius Davidson und Jane Porter vom Laveau-Institut, der muggelstämmige Zauberer Zachary Marchand, der beim FBI arbeitet und er gehören, von der in den Staaten umgehenden Tochter des dunklen Feuers wissen. Bei der Konferenz, wo über die Umtriebe des gefährlichen Massenmörders in der Maske Andrews' diskutiert wird, trifft sie den Kobold Picklock, der das Treffen auskundschaftet und erregt damit auch das Interesse Anthelias, weil die Verbindung zwischen ihr und Picklock abrupt zerstört wird. Ohne es zu ahnen gerät Maria Montes ins Fadenkreuz der Spinnenschwestern.

Voldemort gewinnt durch Alcara eine schlagkräftige Armee von Golems, die er einsetzt, um hunderte von Muggeln anzugreifen. Sowohl die nichtmagische als auch die magische Welt werden von seinen Terroranschlägen erschüttert. Weil es dem Herrn der Todesser nicht gelingt, die ranghöchste Sabberhexe Großbritanniens auf seine Seite zu ziehen, läßt er ihren Heimatwald niederbrennen. Sie kann jedoch entkommen und zwingt den Zauberer Tim Abrahams, den sie als Jungen von sich abhängig gemacht hatte, sie und ihre Verwandten nach Amerika ausfliegen zu lassen, wo Anthelia mit ihr Kontakt aufnimmt.

Maria Montes freut sich auf ihren Urlaub vom anstrengenden und gefährlichen Beruf. Mit ihrem Ehemann Enrique will sie in das Land ihrer Vorfahren reisen.< Doch der Traumurlaub wird zum Alptraum, weil maria Montes und ihr Mann in die Streitigkeiten einer weiteren Tochter des Abgrundes und gewöhnlichen, wenngleich auch gefährlichen Verbrechern gerät. Die Abgrundstochter Itoluhila, die in der nichtmagischen Welt als "Beschützerin" käuflicher Damen agiert, will wissen, welche starke Magie Maria Montes umgibt und entführt Enrique, um mehr darüber zu erfahren. Das wiederum ruft zunächst die Strafverfolgungszauberer Spaniens auf den Plan, von denen einer, Vergilio Fuentes Celestes, mit Maria Kontakt aufnimmt und ihr zusammen mit seiner Schwester Almadora erklärt, wo sie da hineingeraten ist. Als Enrique als Köder Itoluhilas wieder auftaucht, ruft das die dunklen Magier um den freiwillig zum Werwolf gewordenen Hexenmeister Espinado auf den Plan. Sie töten Enrique und verschleppen Maria in die Burg Espinados, wo Maria in eine Schlacht zwischen Espinado, seinen Werwolfbrüdern und der Armee eines Vampirfürsten hineingerät. Da Espinado im Auftrag Voldemorts Itoluhila unterwerfen sollte, spürt diese ihn auf und mischt sich in die Schlacht ein. Maria kann dem magischen Gemetzel nur mit Hilfe ihres weißmagischen Talismans entrinnen und wird von den Geschwistern Fuentes Celestes versteckt und in Zauberschlaf versenkt, weil sie in größter Gefahr schwebt, von den Abgrundstöchtern und anderen dunklen Magiern gefunden und grausam getötet zu werden.

Anthelia schickt den derweil in Frankreich Urlaub machenden Cecil Wellington an die äußere Grenze des Abwehrdoms um Millemerveilles. Doch er kann nicht hinübertreten, gerät gar selbst mitten in eine Invasionstruppe von düsteren Gestalten, die Dunkelheit, Angst und Eiseskälte um sich verbreiten. Die Spinnenschwestern holen ihn sofort aus der Gefahrenzone und bringen ihn zu seinen neuen Eltern zurück. Anthelia erfährt vom Ende Espinados und seiner Getreuen und konzentriert sich nun auf einen Jungen, von dem sie bereits erstaunliche Dinge zu hören bekommen hat. Es ist der magisch hochbegabte Sohn des von Hallitti versklavten Richard Andrews, Julius Andrews.

Doch nicht nur Anthelia interessiert sich für den Jungen, der zusammen mit seiner Mutter aus Frankreich herüberkommt, sondern auch Führer von Verbrecherorganisationen, denen Richard Andrews schweren Schaden zugefügt hat. Einer von ihnen, Arnold Hornsby, will den Tod seiner Schwester rächen und veranlaßt die Suche nach den Andrews. Ebenso will der Großverbrecher Hubert Laroche aus New Orleans das FBI zwingen, den angeblich echten Richard Andrews herauszugeben und erfährt, daß Martha und Julius Andrews in den Staaten, ja ganz in seiner Nähe sind und bringt einen von ihm kontrollierten FBI-Agenten dazu, eine Falle zu stellen, in die Martha Andrews hineingerät.

In England indes triumphiert der böse Zauberer Voldemort, weil er es geschafft hat, die Führerin der dortigen Gruppe der sogenannten Nachtfraktion zu besiegen. Daß ihre Leiche schneller verwest ist als natürlicherweise, stört ihn nicht sonderlich, denn über den brennenden Trümmern von Lady Ursina Underwoods Landsitz prangt das dunkle Mal am Himmel.

Julius Andrews derweil gerät ins Fadenkreuz des Zaubereiministeriums, weil Minister Pole um die Bewahrung des Geheimnisses bangt, das er um Hallittis Umtriebe gemacht hat. Zusammen mit Jane Porter bekommt er magischen Fernkontakt zu seinem versklavten Vater und wird dadurch zum lohnenden Ziel der Abgrundstochter. Um ihn weiter zu überwachen und ihn als Köder an einer magischen Angelschnur zu führen, und dann, wenn Hallitti ihn zu sich holt zuzuschlagen, führt Anthelias Schwesternschaft mehrere Dinge aus, um sofort zur Stelle zu sein. Patricia Straton, eine der fünf Schwestern von Anthelias Wiederverkörperungsritual, hat sogar eine Methode ersonnen, Richard Andrews von der Abgrundstochter zu lösen. Anthelia sucht Arnold Hornsby auf und versucht, ihn von den Andrews' abzubringen. Doch weil sie gerade hoch in der Luft fliegen und der Pilot von Hornsbys Privatmaschine den Helden spielen will, beschließt Anthelia, den Verbrecher aus Philadelphia endgültig aus dem Weg zu räumen. Sie weiß, die Entscheidung steht unmittelbar bevor.

__________

Es war vergleichbar mit einem Geisterschiff, jenes kleine zweistrahlige Düsenflugzeug, das in einer Höhe von 12900 Metern dahinflog. Der Autopilot führte die Maschine auf nordöstlichem Kurs bei 740 Stundenkilometern sicher durch die obere Troposphäre über Nordamerika. Als Der Learjet in Sacramento, Kalifornien gestartet war, hatte er einen Piloten und zwei Passagiere, sowie den Sarg mit der Leiche einer jungen Frau, sowie eine blinde Passagierin an Bord gehabt. Nun saßen in den Passagiersitzen zwei wegen plötzlichem und anhaltenden Druckabfalls an Sauerstoffmangel und Unterkühlung verstorbene Männer, und im Sitz des Piloten hing der reglose Leichnam des Piloten, Captain Smyth im Sicherheitsgurt. Doch er war nicht das Opfer des Druckabfalls geworden, sondern von etwas anderem, etwas, das er bis dahin nie für möglich gehalten hatte. Für den automatischen Piloten war dies jedoch völlig bedeutungslos. Er hielt den Learjet auf Kurs und Höhe. Auch dann, als die ersten Funkanrufe an Lear 2355 DL eintrafen, arbeitete er so gefühlsfrei und beharrlich wie jede andere Präzisionsmaschine. Es wurde ihm von seinem Programm her keine Rückmeldung gegeben, daß er die Maschine bald an einen Punkt für eine Kurskorrektur führte, die das kleine Düsenflugzeug sicher durch zwei quer voraus verlaufende Luftkorridore bringen sollte. Die ungebetene Passagierin, die beim Start noch an Bord gewesen war, hatte sich kurz nach Einschalten des Autopiloten auf eine Weise von Bord begeben, die die Physik verhöhnte, welche das Flugzeug und den Autopiloten hervorgebracht hatte.

"Lear zwo drei fünf fünf Delta Lima von Flugkontrolle Mittelwesten, Sie nähern sich Luftkorridor Alpha zweiunddreißig. Korrigieren Sie Ihren Kurs auf null sechs drei und sinken Sie auf Flugfläche drei fünf tausend!"

Fluglotse Alan Svenson hatte diesen Anruf schon das dritte Mal auf der vereinbarten Frequenz durchgegeben. Doch der Pilot der kleinen Maschine, die auf Svensons in Planquadrate eingeteiltem Radarschirm nur als winziges Symbol mit der Registrierung zu erkennen war, hatte nicht geantwortet. Was war da los?

"Lear zwo drei fünf fünf Delta Lima, Sie nähern sich Luftkorridor Alpha zweiunddreißig. Sinken Sie auf Flugfläche drei fünf tausend! Sofort!" Rief Svenson erneut ins Mikrofon, weil die Maschine immer noch auf unmittelbarem Durchquerungskurs lag. Aus ostnordöstlicher Richtung flog gerade ein Jumbojet der US Airlines mit Kurs auf Los Angeles in die Nähe der Lear. Svenson schaltete schnell um und rief die Passagiermaschine an. Deren Pilot meldete sich prompt und bekam den Auftrag, bis auf weiteres um zweihundert Meter tiefer zu fliegen. So schaffte es Svenson, das kleine Flugzeug sicher über die vollbesetzte Boeing aus New York hinwegfliegen zu lassen. Doch bald würde sie weiteren Maschinen begegnen. So versuchte es Svenson, den Piloten der Lear 2355 DL weiter anzufunken. Doch seine Bemühungen blieben erfolglos. Als eine Minute nach dem letzten Anruf immer noch keine Antwort vom Learjet mit der Registrierung Lear 2355 DL bei dem zuständigen Fluglotsen eintraf, griff dieser zum Telefonhöhrer und drückte die Taste für die Direktverbindung mit seinem Vorgesetzten.

"Ich habe schon gehört, daß Sie eine Lear haben, die nicht auf Ihre Anrufe hört. Disponieren Sie um und halten Sie alle anderen Maschinen aus dem Flugkorridor dieser Maschine! Wir müssen damit rechnen, daß der Funk ausgefallen ist oder dem Piloten was passiert ist. Schlimmsten Falls beides."

"Verstanden, Sir", erwiderte Svenson, dem der kalte Schweiß auf der Stirn stand, seitdem die Lear knapp unter einem Frachter der All American Cargo hindurchgezogen war. Auf dem Radarschirm hatte es so ausgesehen, als wollten die beiden Symbole miteinander verschmelzen. Doch dann hatten sie sich wieder voneinander getrennt.

"Jack, rufe die Bundesluftfahrtsadministration an und sage denen, ich habe hier eine Lear, die alle Kursanweisungen ignoriert und auf Kurs 058 auf Flughöhe 38700 Fuß über dem Meeresspiegel dahinfliegt! Die möchten klären, wie lange dieses Flugzeug noch fliegen kann!" Befahl Svenson einem jüngeren Assistenten, der für Flugpläne und Protokolle zuständig war. Jack bestätigte und nahm den Hörer seines Telefons ab.

Svenson versuchte immer wieder, den Learjet über Funk zu erreichen. Doch der Pilot reagierte nicht. So blieb Svenson nur die Möglichkeit, andere Maschinen vorzuwarnen. Als er dann erfuhr, daß der Learjet wohl noch für zwei Stunden Treibstoff hatte, fragte er sich bange, wo die Maschine dann abstürzen würde. Selbst ein kleines Flugzeug ohne Treibstoff konnte in einer dicht besiedelten Gegend viele Menschen in den Tod reißen.

"Die Maschine soll in Philadelphia landen, Mr. Svenson", teilte Jack, der Assistent des Fluglotsen mit. "Wenn sie die vorgeschriebene Treibstoffreserve mitführt, könnte die Maschine gerade so nach Kanada oder auf den offenen Atlantik hinausschießen. Der Eigner der Maschine ist selbst an Bord, ein gewisser Arnold Hornsby."

"Wenn die Maschine über Philadelphia abstürzt gibt das eine Katastrophe, Jack", sagte Svenson, bevor er zwei weitere Maschinen, die sich einander näherten, auf dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand halten mußte. Dabei hätte er die stur ihren Kurs haltende Privatmaschine fast in die Flugbahn einer französischen Verkehrsmaschine auf dem Weg nach San Francisco geraten lassen.

"Oh, das ging aber gerade noch mal gut", seufzte Jack, als der Learjet knapp unter der Air-France-Maschine hindurchflog.

Als der Chef der Flugsicherung durchrief, nahm Jack das Gespräch an, damit sein Kollege die weiteren Maschinen auf Abstand halten konnte. Zumindest war der Kurs des Learjets noch vorausberechenbar, und das Wetter spielte zumindest noch solange mit, bis die kleine Maschine in eine Tiefdruckzone hineingeriet und den eingegebenen Kurs nur noch schwer halten konnte. Mittlerweile waren von einem Luftwaffenstützpunkt in der Umgebung zwei F-16-Maschinen aufgestiegen, die die offenbar nur noch durch den Autopliloten beherrschte Maschine ansteuerten und von außen überprüften. Als die mitgeführten Infrarotkameras einer Maschine keine anderen Wärmequellen außer den stetig laufenden Triebwerken ausmachen konnten, funkte der Führer der beiden Jäger seine Basis an und fragte nach neuen Befehlen.

"Wir nähern uns kritischer Distanz für Triebwerksausfall wegen Treibstoffversiegens. Sollen wir den Vogel weiter begleiten oder runterholen?"

"Moment", kam die Antwort über Funk. Captain Collin Wilder, der Kampfgruppenführer, wartete zwei geschlagene Minuten. Dann fragte sein oberster Vorgesetzter, General Hammersmith noch einmal:

"Sind Sie sicher, daß an Bord kein lebendes Wesen mehr ist, Captain Wilder?"

"Nein, General, unsere Wärmebildkameras konnten aus keiner Perspektive andere Hitzequellen als die Triebwerke ausmachen. Wenn Sie möchten, funken wir die Daten noch einmal zu Ihnen durch."

"Nicht nötig, die Daten habe ich hier. Begleiten Sie die Maschine und warnen Sie anfligende Zivilflugzeuge, die Sie auf dem Radar ausmachen können! Wenn die Lear nicht auf offenes Meer hinausfliegt oder unmittelbar über dicht bevölkertem Gebiet abzustürzen droht, haben Sie Freigabe, die Lear mit Bordgeschützen abzuschießen. Ich wiederhole: Bei drohendem Treibstoffversiegen in der Nähe dicht bevölkerten Geländes haben Sie freigabe, die Maschine Lear zwo drei fünf fünf Delta Lima mit Bordgeschützen vorzeitig zum Absturz zu bringen!"

"Zu Befehl, General Hammersmith", bestätigte Wilder und blickte hinaus, wo das kleine Düsenflugzeug vom immer stärker werdenden Wind immer wieder vom Kurs abgedrängt wurde und der Autopilot gegensteuerte.

"Was wird da wohl passiert sein?" Fragte Wilders Flügelmann, Lieutenant Jackson.

"Ich tippe auf Versagen des Druckausgleichs. Keine äußeren Schäden, keine Lebenszeichen. Wundere mich nur, daß die Maschine keine Sauerstoffmasken zu haben scheint."

"Jedenfalls sind die Gegensteuerungsmanöver treibstoffintensiv", stellte Jackson fest.

Als sich abzeichnete, daß die Learjet die kanadische Grenze überqueren würde, vergewisserte sich Wilder, daß er den Learjet vorher abschießen sollte und gab zusammen mit seinem Flügelmann Jackson mehrere Schüsse auf die Triebwerke ab. Diese fielen aus, und der Learjet geriet ins trudeln. Als dann noch die Tragflächen von den Sprenggeschossen der beiden Kampfjets dermaßen zertrümmert wurden, daß sie abrissen, fiel die Flugkabine wie ein Stein nach unten weg und begann dabei immer wilder zu rollen und zu kreiseln.

"Nachricht an General Hammersmith, der Vogel ist tot!" Meldete Wilder, der für eine Sekunde daran denken mußte, daß er da gerade eine unbewaffnete Maschine abgeschossen hatte. Doch wenn sie hier auf unbesiedeltes Gebiet runterkrachte, ohne weitere Menschenleben zu fordern, war es die richtige Handlungsweise gewesen.

Als der Learjet keine 100 Kilometer vor der südlichen Grenze Kanadas in ein Waldstück einschlug, waren bereits Bergungsmannschaften unterwegs, die Trümmer einzusammeln. Es ging vor allem um die Flugschreiber, die wohl aufgezeichnet hatten, was genau zum Tod der drei Insassen geführt hatte. Sicher war jedoch jetzt schon, daß Arnold Hornsby seine Schwester Gilda, deren Leichnam er mit in dieser Maschine transportiert hatte, nur um etwas mehr als einen Tag überlebt hatte, weil er sich in einen Streit zwischen zwei sehr gefährlichen Wesen aus einer ihm unmöglich erscheinenden Welt eingemischt hatte.

__________

Ardentia Truelane folgte dem leisen Plätschern, bis sie hoch auf einer Anhöhe mitten in den Rocky Mountains, dem imposanten Gebirge, das sich von nord bis Süd durch den nordamerikanischen Kontinent zog, die gesuchte Quelle fand. Kristallklares, kühles Wasser sprudelte munter aus einem Spalt im Felsgestein heraus. Im Licht des Mondes wirkten die schneebedeckten Gipfel der majestätischen Berge wie silberne Hüte, und die Stille der Nacht verlieh dem, was Ardentia nun vorhatte, eine erhabene Atmosphäre. Sie holte zwei kleine Ledersäckchen und einen kleinen Silberkessel aus ihrer geräumigen Tasche. Den Kessel hielt sie so, daß das aus der Bergquelle sprudelnde Wasser hineinlief, nicht schnell aber stetig. Erst als der Kessel bis zum Rand gefüllt war, öffnete sie eines der Ledersäckchen. Es enthielt zu feinem, silbrigem Pulver zermahlenes Einhornhorn. Vorsichtig schüttete sie das Pulver in den Kessel, wo es sich im klaren Quellwasser auflöste und es silbrig glänzend machte, sodaß die sich schnell wieder beruhigende Wasseroberfläche den Schein des Mondes wie ein blank polierter Spiegel aus reinem Silber zurückwarf. Vorsichtig rührte Ardentia mit einem silbernen Schöpflöffel dreimal im Uhrzeigersinn um und ließ die Lösung wieder zur Ruhe kommen. Dann öffnete sie das zweite Säckchen und kippte ein helles Pulver hinein. Bei Tag hätte es eine dottergelbe Farbe besessen, wußte Ardentia. Denn es war das ebenfalls pulverisierte und mindestens durch zwei feine Siebe ausgeschöpfte Daunengefieder eines Kükens, das eine ausgewachsene Henne hätte werden sollen. Wieder rührte sie die so entstandene Mischung im Kessel um. Das feingesiebte Gefiederpulver änderte die Spigelkraft der Wasseroberfläche nicht. Dann kam der schmerzhaftere Akt. Ardentia holte ein kleines Messer aus ihrer Tasche und ritzte sich damit den kleinen Finger an. Das dabei austretende Blut ließ sie solange in den Kessel tropfen, bis sich die spigelnde Oberfläche leicht eintrübte. Dann rührte sie erneut dreimal im Uhrzeigersinn um. Die so entstehende Lösung bekam wieder ihre spiegelnden Eigenschaften.

"Injuriclausa!" Murmelte Ardentia mit auf den linken kleinen Finger gerichtetem Zauberstab, und die Schnittwunde verheilte in weniger als einer Sekunde. Dann richtete sie den Zauberstab auf ihr Gesicht. Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie mit fester Stimme:

"Collacrimatio!"

Als hätte sie eine Ladung Pepperonisaft in die Augen bekommen, brannten diese für einen Moment, bevor eine Flut von Tränen ihre wangen hinabströmte. Sie beugte sich vor und ließ die erzwungenen Tränen in den Kessel regnen, bis dieser fast überlief. Dann schniefte sie: "Salvoculi", worauf die Tränenflut versiegte und das Brennen in den Augen verschwand. Sie wischte sich die erzwungenen Tränen aus dem Gesicht und rührte wieder dreimal im Uhrzeiger um. Dann hielt sie den Zauberstab an eine mit glühender Nadel eingravierte Rune, die Rune für Unberührtheit und rief:

"Creato Pontem Ardentia Truelane Julius Andrews Pons Virginum!"

Der Kessel erstrahlte in einem hellen, silbernen Licht, viermal so hell wie das ähnlich gefärbte Mondlicht. Sein Inhalt begann wie stark mit Kohlensäure angereichertes Mineralwasser zu sprudeln, wobei die herausspringenden Wassertröpfchen wie winzige Mondlichtteilchen glitzerten, bevor sie wieder in die Lösung zurückfielen. Ardentia fühlte eine zwischen ihr und dem Kessel pulsierende Kraft, die sie mit jedem Atemzug in sich herein- und hinausströmen ließ. Sie fühlte, wie der Inhalt des Kessels sie mit seinem Prickeln durchflutete, ohne daß sie ihn auch nur berührte. Dieser Vorgang dauerte ein Dutzend Atemzüge lang, wußte Ardentia sehr gut. Dann erlosch der Schimmer des Kessels, und die Lösung in ihm wurde wieder ruhig und klar. Nur meinte Ardentia nun, daß sie wie reines Quecksilber schimmerte, wenngleich die Oberfläche sich nicht wölbte, wie es bei Quecksilber der Fall war. Doch dieser Eindruck hielt nur einen Moment vor. Dann war die Lösung im Kessel kristallklar, als sei es nur das Bergquellwasser, daß sie zu Beginn der Zauberei eingefüllt hatte. Ardentias Pontivirginum-Lösung war nun fertig. Alles was nun blieb war, die geruch- und geschmacklose Lösung in einen kleineren, besser zu versteckenden Behälter umzufüllen und diesen sorgfältig zu verschließen. Sie holte eine leere Wasserflasche aus ihrer Tasche und füllte sie vorsichtig mit der Hälfte der magischen Flüssigkeit aus dem Kessel. Dieses Mittel würde nun einen vollen Mondzyklus wirksam sein, wenn sie sich und dem, mit dem sie sich verbinden wollte nicht vorher was davon gab. Passierte dies, würde die Wirkung eine Woche vorhalten, sofern sie oder Julius Andrews in dieser Zeit keinen Sex hatte. Die Flasche enthielt nun zehn wirksame Dosen. Doch sie würde wohl die doppelte Dosis verwenden. Den Rest im Kessel schüttete sie in eine Ritze etwa einen Meter von der Quelle entfernt. Das würde die Natur nicht stören, wußte Ardentia. Sie hatte nur einmal gehört, daß die große Schwester eines magisch begabten Jungen mit dem überschüssigen Gebräu einen Apfelbaum gegossen hatte, der danach jedes Jahr kinderkopfgroße Früchte hervorgebracht hatte, die ihr und ihrem Bruder besonders süß schmeckten. Doch hier wuchs nichts, was sie oder Julius besonders anziehen oder beeindrucken würde. So verstaute sie alle ihre mitgebrachten Utensilien wieder in der Tasche und disapparierte.

Am Morgen dieses Tages traf Ardentia um sieben Uhr im Laveau-Institut ein und unterhielt sich mit den Arbeitskollegen und Davidson über die Festnahme von Jane Porter. Einige waren der Meinung, sie habe es sich selbst zuzuschreiben. Andere, vor allem die jüngeren Hexen unter den Laveau-Mitarbeitern, waren nicht davon überzeugt, daß Swift das richtige tat und glaubten nicht, daß Jane Porter irgendwas verbotenes angestellt hatte. Mit Davidson, dem Leiter des Institutes sprach sie eine halbe Stunde lang darüber, daß Julius nicht mehr sicher sei, wenn er im Institut bleibe. Davidson hatte es auch schon von anderen gehört, daß der Zaubereiminister wohl nach Institutsmitarbeitern suchte, die ihm und Swift den Jungen Julius Andrews auslieferten. So brauchte sich Ardentia nicht so gefährlich einzusetzen, um den offiziellen Vorgesetzten zu beknien, daß Julius am besten versteckt würde. Sie mußte ihren Geist gut verschlossen halten, damit Davidson nicht aus einer Laune heraus legilimentisch erfahren konnte, was sie wirklich vorhatte.

"Also gut, Ms. Truelane, bringen Sie den Jungen in ihr Muggelweltversteck! Ist es gegen Fernerkundung und Fernflüche geschützt?" Wollte Elysius Davidson wissen.

"Ich denke, meine Absicherung dagegen wirkt noch, Sir", log Ardentia. Denn in Wirklichkeit hatte sie nur einen einzigen Schrank in der erwähnten Unterkunft bezaubert, nur mit einem bestimmten Schlüssel geöffnet werden zu können. Ansonsten war die Wohnung in einem Mietshaus völlig frei von Zauberei.

"Der Junge schläft noch. Jane meinte, er sollte sich gut erholen, bevor ... bevor sie ihn nach Millemerveilles zurückbringen würde. Na ja, das klappt ja wohl jetzt auch nicht."

"Ich werde schon aufpassen, daß dem Jungen nichts passiert", gelobte Ardentia. Ihr war nicht sonderlich wohl bei dem, was sie vorhatte.

Um acht Uhr morgens weckte sie Julius und half ihn mit nützlichen Zaubern, innerhalb weniger Sekunden frisch gewaschen und tagesfertig angezogen zu sein. Danach gingen sie in den Speisesaal zum Frühstück. Sie besprachen, daß Julius besser aus dem Institut herausgebracht und erst einmal versteckt werden solle, bis sich eine Möglichkeit fand, ihn außer Landes zu bringen. Julius machte sich Sorgen, weil seine Mutter verschwunden war. Ardentia wußte nicht, ob das was mit der Tochter des Abgrunds zu tun hatte oder nicht. Sie verstand ihn jedoch sehr gut. Er sollte sich verstecken, während seine Mutter vielleicht in großer Gefahr schwebte. Dennoch fügte er sich dem Vorhaben. Offenbar dachte er daran, daß er im Moment stärker bedroht wurde.

Während Julius prüfte, was er am Leibe tragen konnte, holte Ardentia aus der Küche zwei gleichwarm bezauberte Tontöpfe, in denen Fleisch- und Gemüseeintopf aufbewahrt wurde. Die institutseigenen Hauselfen hatten auf Davidsons Anweisung vier Portionen davon vorgekocht, damit Ardentia und Julius den Tag ohne Hunger überstanden. Zu den beiden Tontöpfen legte sie noch eine kleine Flasche des Erkältungsabwehrtranks und die Wasserflasche mit dem Pontivirginum-Elixier. Die Tarnung konnte gar nicht besser sein. Dann klopfte sie wieder an die Tür von Julius' Gästezimmer. Er öffnete. Für einen winzigen Moment sah sie einen ockergelben, durchsichtigen Schleier hinter der Tür. Doch der Lichtschleier verschwand, kaum daß die Tür einen Spalt breit geöffnet war. Sie erkannte, was das gewesen war und tadelte ihn, er dürfe doch in den Ferien nicht herumzaubern. Danach führte sie Julius in den Tresorraum des Institutes, wo er seinen Besen und seine Reisetasche in einem der sicheren Schließfächer verstaute.

"Denke dir ein Wort, mit dem nur du was anfangen kannst, während du deinen Zauberstab ans Schloß und die freie Hand auf dieses rote Bild einer Hand legst!" Instruierte sie den Jungen. "Dann kommt auch sonst keiner dran." Julius konzentrierte sich wohl und führte ihre Anweisung aus.

"So, Julius, ich hörte, du hast schon mal einen Walpurgisausritt mitgemacht und bist daher ein sehr guter Hexensozius", sagte Ms. Truelane, als sie einen silbrigen Harvey-Besen aus der Halterung bei der Eingangstür des roten Backsteinhauses holte. Mr. Davidson kam noch einmal und wünschte Julius, daß er bald wieder frei herumlaufen dürfe. Dieser sagte trotzig:

"Das könnte ich jetzt schon, wenn so'n übereifriger Zauberer nicht gesungen hätte, daß ich was über meinen Vater rausgekriegt habe, was andere gerne für sich behalten hätten."

"Wir werden sicher keine Freunde, Mr. Andrews. Aber vergessen Sie nie, daß die Vergebung von Fehlern bei anderen überragender ist als die Einsicht, Fehler gemacht zu haben! Viel Glück, junger Mann!" Gab Mr. Davidson dem Jungen noch mit auf den Weg.

"Ich melde mich, wenn ich den Jungen außer Landes bringen kann, Sir. Kümmern Sie sich um seine Mutter! Vielleicht sollten wir gewisse Verkehrsmittelbeschränkungen vergessen, solange Swifts Sonderrechte noch in Kraft sind", sagte Ardentia Truelane. Dann öffnete sie die Tür und winkte Julius, ihr nach draußen zu folgen. Auf dem freien Platz vor den Gebäuden saßen die beiden auf und wurden sofort unsichtbar, als der Besen abhob. Mr. Davidson sah noch eine Viertelminute auf die Stelle, an der sie eben noch gewesen waren und vermeinte das Schwirren der Luft durch die Reisigbündel zu hören. Doch das war Einbildung. Der Harvey-Besen war so geschmeidig gebaut, daß er auch bei hohen Geschwindigkeiten so leise war, als schwebe er wie eine Feder dahin.

__________

"Wie, Sie wissen nicht, wo Zachary Marchand ist?!" Brüllte Arco Swift, als sein Mitarbeiter Tulius Hammer mit der Nachricht zurückkam, man habe Zachary Marchand und die Muggelfrau Martha Andrews nicht finden können.

"Sir, in das Haus kommen wir nicht rein, und wenn wir uns beim FBI erkundigen wollen, bräuchte ich Ihre Sondervollmacht, weil Marchand unser Kontakt in New Orleans ist und kein anderer", sagte Hammer. Arco Swift holte ein Formular aus seinem verschließbaren Schreibtisch und füllte es aus. Danach reichte er es an seinen Mitarbeiter weiter, der nickte und sich verabschiedete.

"Was interessiert Sie die Mutter des Jungen?" Wollte Minister Pole wissen, als Swift eine Minute später in dessen Büro saß.

"Über die Mutter kommen wir an den Jungen selbst, Herr Minister", bekräftigte der Leiter der magischen Strafverfolgungsabteilung. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Junge irgendwo versteckt wird, ohne daß man seiner Mutter nicht die Möglichkeit gibt, zu ihm gebracht zu werden. Offenbar denke nicht nur ich so."

"Was genau meinen Sie damit, Arco?" Wollte der amerikanische Zaubereiminister wissen und rückte seine silberne Brille zurecht.

"Das durch die Taten des unter dem Bann der Abgrundstochter stehenden Mannes viele Muggelkriminelle sichtlich verärgert sind. Gewerbliche Sexualität ist in der Muggelwelt größtenteils strafbar und damit ein gefundenes Fressen für skrupellose Verbrecher, die sich daran bereichern. Die Einnahmequelle wurde ja durch Richard Andrews sichtlich vergiftet. Jene, die mit Prostitution ihr illegales Geld machen, könnten befunden haben, seine Familie zu entführen und die Muggelstrafverfolger dazu zu zwingen, den Aufenthaltsort des Urhebers zu verraten oder den falschen Richard Andrews im Gegenzug auszuliefern. Soll ich Monkhouse eine Eule schicken, Herr Minister?"

"Unterstehen Sie sich, Arco. Er wird im Moment zu gut bewacht, als daß er auch nur seinen Zauberstab zücken könnte, ohne seine Wächter in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen", knurrte der Minister. "Haben Sie veranlasst, daß nach dieser Frau gesucht wird?"

"Ist bereits passiert, Sir", sagte Swift eifrig. "Ich habe Mr. Hammer losgeschickt, sich zu erkundigen."

"Sie haben ihm hoffentlich gesagt, daß die für die Festnahme Jane Porters und des Jungen geltenden Sonderrechte in diesem Fall nicht angewendet werden dürfen, oder?"

"Ich gehe davon aus, daß er die Vorrangstellung der Geheimhaltung achtet", sagte Swift. Er schien sich seiner Sache jedoch nicht so sicher zu sein, vermutete der Minister.

"Sie hätten nicht diesen Heißsporn schicken dürfen, Arco. Es könnte ihm einfallen, um an die Muggelfrau heranzukommen über Leichen zu gehen, und das wortwörtlich. Beordern Sie ihn umgehend zurück und senden Sie jemanden aus, der etwas besonnener an die Sache herangeht!" Wies Pole seinen Mitarbeiter an.

"Das dürfte jetzt nicht mehr gehen, weil Hammer in diesem Moment wohl schon in der Nähe des FBI-Gebäudes angekommen ist und die Sachlage überprüfen will. Ich werde zwar versuchen, ihn mentiloquistisch zu erreichen. Doch garantieren kann ich nichts", erwiderte Swift sichtlich verunsichert.

"Und so jemanden wie Sie es sind habe ich zum Leiter der magischen Strafverfolgung berufen", schnaubte Minister Pole. Dann schicken Sie jemanden hin, der ihn ablöst, verdammt noch mal!"

"Sir, ich werde es versuchen", willigte Swift ein und bat um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Pole schickte ihn mit einer energischen Handbewegung auf die Tür deutend los.

Swift schickte Jerry Winters los, einen erfahrenen Strafverfolgungszauberer, der sich zudem auch in der Muggelwelt auskannte, wie Hammer auch. Nur Winters gehörte zu denen, die gut für Verhandlungen und in der Rolle des guten Verhörers bei von zwei geführten Verhören war. Er würde Tulius Hammer ohne Probleme zurückbeordern können. Er selbst wollte das Verhör mit Jane Porter führen, ob bereits mehr Leute aus der Zaubererwelt davon erfahren hatten, was der Zaubereiminister so verbissen geheimhalten wollte. Da sie den Jungen noch nicht gefunden hatten, durfte er ihr Gedächtnis noch nicht modifizieren, weil der Minister verfügt hatte, daß die darin wohl enthaltenen Informationen mit denen in Julius' Andrews Gedächtnis verglichen werden müßten, um sicherzustellen, was genau modifiziert werden mußte.

__________

Der Hubschrauber landete auf einer stählernen Plattform mitten in den Sümpfen um New Orleans. Er war immer unterhalb der Radarerfassungshöhe geblieben, seitdem der Pilot seine Passagiere mit Betäubungsgas außer Gefecht gesetzt hatte. Mochten sie nun denken, er sei abgestürzt oder nicht. Jedenfalls hatte er seinen Auftrag reibungslos ausgeführt. Der Patron würde zufrieden sein. Da kamen auch schon Kumpane von ihm angelaufen. Sie hatten drei Tragen dabei, wie Sanitäter aus einem Rettungswagen.

Der Pilot öffnete die Schiebetür und ließ seine Spießgesellen, alles Typen vom Schlage eines Gorillas, in die Maschine.

"Hui, die hat's aber gut ausgeknockt", grinste einer der sechs vom Empfangskommitee.

"Tja, dieses Zeug ist schon heftig", sagte der Pilot, ein rotschopfiger Mann im Nadelstreifenanzug. Dann sah er noch eine Frau in einem langen, meergrünen Tüllkleid herankommen, deren langes, schwarzes Haar ihre Schultern umspielte.

"Aha, da sind ja die Gäste", sprach sie. Der Pilot meinte, sich zu verhören. Die Stimme klang doch eher männlich als weiblich, wenngleich die Frau im grünen Kleid schon sehr hoch sprach. "Die Beiden Passagiere in den Behandlungstrakt und unsere werte Kollegin kriegt gleich eine Spritze gegen die Nachwirkungen des Gases", sagte sie.

"Der Patron will den Hubschrauber in zehn Minuten wieder in der Luft haben", sagte der Pilot streng klingend, um seine Verunsicherung zu überspielen. Die rosig geschminkte Frau oder was es auch war, lächelte zuckersüß und sagte:

"Mein lieber Captain Sanderson, in zehn Minuten können Sie bereits in Mexiko sein, falls der Patron dies verlangt. Lena Firestone bleibt hier, bis die Wogen sich geglättet haben", sagte die Fremde.

"Öhm, wer sind Sie, wenn ich fragen darf?" Forschte der Pilot nach.

"Mademoiselle Salu. mehr müssen Sie nicht wissen", erwiderte die Person im grünen Kleid. Der Hubschrauberpilot beäugte weniger neu- als gierig die pralle Oberweite der Unbekannten, die er hier und jetzt zum ersten mal zu sehen bekam. Mochte es sein, daß das ein Transvestit war, ein Mann mit der Neigung, sich gerne in Frauenkleidung und Körpergestaltung zu zeigen?

"Na, junger Mann, starren Sie mir nicht so auf meine Büste. Mann könnte ja denken, Sie seien ein hungernder Säugling", lachte Mademoiselle Salu albern.

"Das Baby, das sich da dranhängt verhungert bestenfalls. Schlimmstenfalls kriegt's 'ne Selikon- oder Styroporvergiftung ab", dachte Captain Sanderson. Er war sich jetzt sicher, eine dieser schillernden Kreaturen vor sich zu haben, die häufig in anrüchigen Vergnügungsgaststätten auftraten. Doch es hatte ihn nicht zu kümmern, was diese Person da mit den Passagieren zu schaffen hatte. Sein Job war das Fliegen des Hubschraubers. So wartete er, bis seine drei bewußtlosen Fluggäste aus der Maschine herausgetragen worden waren und funkte seine Bodenstelle an:

"Nachtfalter an Mondstrahl, Blüte sicher im Garten. Kann wieder fliegen."

"Mondstrahl hat verstanden. Fliegen Sie zum grünen Klee! Achten Sie weiter auf fliegende Fledermäuse!" Kam eine baßlastige Männerstimme aus den Kopfhörern zurück.

"Nachtfalter hat verstanden", bestätigte der Pilot und ließ den Rotor wieder anlaufen. Er würde auf die fliegenden Fledermäuse achten, womit die Radarerfassung gemeint war, und schön tief über dem Land dahinfliegen.

Hubert Laroche, der Patron, verfolgte die Landung des Hubschraubers, sowie das Herausholen seiner zwei unfreiwilligen Gäste und der Mitarbeiterin über Videokameras und Richtmikrofone. Als die Turbine des Helikopters wieder losheulte und die Rotorblätter immer schneller kreisten, drehte er den Lautstärkeregler auf so gut wie unhörbar herunter.

"Bienvenu dans ma Maison, Madame Andrews", sagte Laroche mit triumphierendem Lächeln. Er beobachtete, wie die sechs Hilfssanitäter die drei Tragen von der Stahlplattform entfernten. Mit einem Knopfdruck schaltete er die kreisrund darum aufgepflanzten Scheinwerfer wieder aus und tauchte die Landezone wieder in völlige Dunkelheit. Der nächste Knopfdruck galt dem Überwachungssystem. Das grüne Kontrollicht erlosch.

"Monsieur Winkler, wenn die Empfangstruppe bei Ihnen durchkommt, sagen sie ihr bitte, daß der Mann in den Vorbereitungsraum kommt. Ich brauche ihn nicht. Docteur Renard und ich werden uns sofort um ihn kümmern. Die Engländerin wird in den Aufwachraum für spätere Ehrengäste gelegt. Rundumüberwachung! Madame Firestone kriegt gleich die Aufweckspritze. Sie darf in unserem Gästetrakt wohnen!" Erteilte Laroche seine Instruktionen. Sein Torwächter Lleo Winkler erwiderte über die Gegensprechanlage:

"Habe verstanden, Patron. Der Regierungsmann kommt sofort in den BUS-Bahnhof, die Engländerin in den Wartekeller und Mrs. Firestone in unsere Fürstensuite."

"Oui, Monsieur Winkler", bestätigte Laroche amüsiert grinsend.

Einige Minuten später meldete sich Salu, oder Docteur, wie Laroche diesen wandlungsfähigen Mitarbeiter nannte.

"Patron, ich habe Mrs. Firestone die Injektion gegeben. Sie wird wohl in zehn Minuten wieder aufwachen. Wollen Sie diesen Marchand nicht noch verhören, bevor wir ihn für längere Zeit einbetten?"

"Was will ich von einem FBI-Agenten noch wissen. Er hat die beiden wohl gesondert betreut, damit ihnen nichts böses passiert", entgegnete Laroche. Doch dann fiel ihm etwas ein. Er nickte und sprach weiter: " Nun, recht haben Sie schon, Docteur. Er kann uns noch erzählen, wo der Junge ist. Offenbar haben sie Mutter und Kind voneinander getrennt. In Ordnung, ich komme sofort zu Ihm, wenn der Agent aufwacht. Bin gespannt auf sein Gesicht, wenn er sieht, wer ihn da zu sich eingeladen hat."

"Das wird wohl noch zwei Stunden dauern, Patron. Die englische Dame und er haben viel von dem Gas eingeatmet. Ich möchte ihn nicht wecken wie Mrs. Firestone, weil das die Integration gefährdet. Ich gehe ja davon aus, daß Sie ihn höchstens eine halbe Stunde nach dem Aufwachen in den BUS einbetten lassen möchten."

"Davon gehen Sie richtig aus, Docteur", bestätigte Laroche mit überlegenem Grinsen. "Also gut, ich komme dann ungefähr zwei Stunden später zu Ihnen."

"In Ordnung, Patron", erwiderte Salu, die in Wirklichkeit Alexander Fox hieß.

__________

Dana Moore hatte gut geschlafen. In diesen Gästebetten in der alten Daggers-Villa konnte man schon gut ruhen. Das einzig lästige daran war dieser zudringliche Soldatengeist gewesen, der unsichtbar in ihrem Gästezimmer gelauert hatte und sie zweimal an ganz privaten Stellen berührte, als sie gerade unbekleidet war. Sie hatte daraufhin einen heftigen Geisterabschreckzauber gewirkt und den unsichtbaren Wüstling mit einem blauen Blitz durch die Wand aus dem Zimmer geschleudert. Sein Wehklagen konnte sie noch hören, als er wohl schon am anderen Ende des stattlichen Hauses ankam.

"Mich von so'nem blöden Yankee-Geist begrabschen zu lassen", knurrte Dana und vollführte noch einige Bannzauber, um weitere Plagegeister aus dem Zimmer auszusperren. Danach konnte sie schlummern wie ein Baby.

Ardentia Truelane sprach am Morgen so gegen neun Uhr Ortszeit in Gedanken zu ihr.

"Ich habe es geschafft. Der Junge kommt mit mir nach Houston. Fliege gerade von New Orleans fort. Treffe dich in deiner unauffälligsten Form auf halbem Wege."

"Verstanden", schickte Dana zurück, nachdem sie sich Ardentias lächelndes Gesicht im Zusammenhang mit einer inneren Geborgenheit vorzustellen schaffte.

"Wo ist die höchste Schwester?" Fragte sie Delila Pokes, die sich im großen Speisesaal an einen gut gedeckten Frühstückstisch gesetzt hatte.

"Sie schläft noch. Sie meint, sie müßte jetzt die Nachtstunden besser ausnutzen und dafür lieber einiges vom Morgen verschlafen", erwiderte die australische Mitschwester mit der goldblonden Löwenmähne.

"Gut, wenn sie wach wird sage ihr bitte, ich wurde wie geplant einbestellt. Ich passe auf den Jungen auf."

"Sei vorsichtig, Dana! Diese Hallitti ist ziemlich gefährlich", warnte sie Delila vor.

"Das weiß ich zu gut, Delila. Immerhin war ich ja dabei, wie Lucky Withers gestorben ist. Ich soll ja auch nur den Jungen beobachten."

"Dann viel Glück", wünschte Delila.

Dana Moore disapparierte ohne Frühstück. Im Moment blüten viele Blumen, in deren Kelchen sie genug Nektar und Pollen finden würde. Sie mußte nur auf Wespen und Hornissen aufpassen, von den Vögeln ganz zu schweigen. Doch zunächst blieb sie in menschlicher Gestalt, als sie in der Nähe des vereinbarten Treffpunkts die Gegend erkundete. Ja, das hier war ein schöner Ort zum Picknicken. Als sie den ersten Hunger verspürte, verwandelte sie sich in die kleine, unscheinbare Fliege, ihrer Animagus-Gestalt. Es war immer wieder ein Sprung in eine andere Welt. Die Abmessungen der Pflanzen, die unheimlich lauten Geräusche, der Rundumblickwinkel, mit dem sie anfangs immer wieder Probleme gehabt hatte, aber vor allem die um ein zigtausendfaches verstärkten Gerüche nach üppigem Grün, süßem Nektar, moderiger Erde, Kot und verwitterndem Holz, ja, und der nicht einmal einen Tag vergangenen Anwesenheit von anderen Menschen, die hier wohl einen ausgedehnten Spaziergang hinter sich gebracht hatten. Früher hatte sie diese Geruchsvielfalt verwünscht, zum einen weil sie damit regelrecht bombardiert wurde und dann, wenn sie sich wieder in eine Frau zurückverwandelt hatte, trotz freier Nase das Gefühl nicht loswurde, einen sehr heftigen Schnupfen zu haben. Doch mit den Jahren, die sie bereits eine Animaga war, hatte sie beide Daseinsformen liebgewonnen. Sicher, eine Fliege galt den Tieren entweder als Futter oder Plagegeist und den Menschen als lästiges Gefleuch. Aber der Vorteil kleiner und flugfähiger Spione mit einem wirklich guten Riecher war unbestreitbar. Außerdem konnte sie zehnmal schneller sehen als ein Mensch, Bewegungsabläufe schneller abschätzen und noch schneller ausweichen. Sie hatte sich mal den Spaß gegönnt, in einem Muggelkino herumzuschwirren. Der Film war langweilig gewesen, lauter einzelne Bilder hintereinander. Daß sie nicht auch die Geräusche als zehnfache Zeitlupenaufnahme mitbekam lag wohl daran, daß sie trotz der Verwandlung das Hörgefühl für Umgebungslaute behalten hatte, wenngleich die Geräusche eben viel lauter waren. Ja, und zu den Leuten sprechen konnte sie auch, wenn es sich nicht anders machen ließ. Romina Hamton, eine muggelstämmige Mitschwester, hatte ihre Fliegenstimme mal als Stimme aus einem stecknadelkopfgroßen Lautsprecher bezeichnet. Als sie ihr dann gezeigt hatte, was ein Lautsprecher war, hatte Dana nur gelächelt.

Nachdem sich Dana Moore an mehreren Wildblumen sattgetrunken hatte und dabei fast Streit mit einer Sammlerin aus einem nahebei gelegenen Bienenvolk bekommen hätte, suchte sie auf einem Baum einen guten Aussichtsplatz, wobei sie sich an der Unterseite eines Blattes anheftete. So konnte sie sehen, ohne gesehen zu werden.

Wieviel Zeit genau vergangen war, konnte die Fliege Dana nicht ermessen, da die zehnfache Bewegungsverlangsamung ihr Zeitgefühl ungemein verwirrte. Doch endlich hörte sie zwei Menschen von weiter oben als der für sie gerade feldgroße Baumwipfel über dem Boden lag. Da kamen sie an, zwei unsichtbare Besenreiter. Dana wartete, bis sie etwa hundert Meter von ihr entfernt gelandet waren und mentiloquierte Ardentia:

"Bin hundert Menschenschritte von euch weg. Wenn ich kommen soll, denke es mir zu!"

Ardentia ließ sich nicht anmerken, ob sie eine Gedankenbotschaft erhalten hatte. Dana wußte jedoch, daß die Nachricht durchgekommen war, weil bereits beim ersten Versuch ein lauter Nachhall in ihrem Geist erklungen war.

"Hmm, Fleisch- und Gemüseeintopf", dachte Dana, weil ihr der würzige Duft des von Ardentia mitgebrachten Mittagessens in die Fühler stieg. Wie gerne hätte sie sich auch darüber hergemacht. Aber sie war nur eine Fliege, ein sehr unwillkommener Gast bei jeder Menschenmahlzeit.

________

Ardentia Truelane erfuhr sofort, als sie nach einer langen, ausgedehnten, kurvenreichen Etappe am Treffpunkt landete, daß Dana Moore auch schon hier war. Wie sie es im Mentiloquismus-Kurs gelernt hatte, verzog sie darüber keine Miene. Sie unterhielt sich während des Essens mit Julius über alles, was er schon konnte und trieb ihn an, ihr etwas zu mentiloquieren, damit er sehen konnte, daß er es nicht nur bei Jane Porter hinbekam. Sie tranken das wie klares Quellwasser aussehende Pontivirginum-Elixier, was bei Ardentia ein wohliges Kribbeln im ganzen Körper auslöste. Nun brauchte sie nur noch die Augen zu schließen, und sie konnte fühlen, wo Julius war, wie er sich fühlte und wie schnell er sich von ihr fort- oder zu ihr hinbewegte. Dieser Zauber verband sie mit ihm, ohne daß er es bemerkte. Sie konnte sogar eine Exosenso-Verbindung zu ihm aufbauen, die um die ganze Erdkugel reichen würde, sofern er nicht in Räume mit Klangkerker oder anderen Fernbeobachtungssperrzaubern eindrang. Wie hatte Anthelia gesagt? Sie war nun die Angelrute in den Händen der Spinnenschwestern, vielleicht auch ein Fangfaden der schwarzen spinne, an dem Julius wie eine fette Fliege hing, die von einer noch fetteren Beute, einer Hornisse, gefangen werden sollte. Dabei könnte die Spinne selbst leicht in Gefahr geraten, vom Giftstachel der Hornisse getroffen und getötet zu werden. Anthelia wußte das wohl. Ardentia war im Stillen froh, daß sie nicht zu jenen Schwestern gehören sollte, die den Aufenthaltsort der Abgrundstochter stürmen sollten.

Als fremde Menschen herankamen, hielt sie Julius an, sich mit ihr auf den Harvey-5-Besen zu setzen und erst einmal aus der Reichweite zu verschwinden. Sie flog in die Nähe von Dana Moore und landete dort. Dann mentiloquierte sie schnell:

"Schwester Dana, komm zu mir und krabbel unter meinen Umhang!"

Julius sah sich gerade um, als die kleine Fliege heransurrte und übergangslos unter Ardentias Umhang verschwand. Einige Minuten später flogen Ardentia und Julius weiter in Richtung Houston, Texas.

__________

Zachary Marchand erwachte festgeschnallt auf einer Trage. Wo war er hier? Immerhin hatten sie ihm nicht die Augen verbunden. Dann kam auch die Erinnerung zurück. ER hatte sich von Muggeln betäuben und fesseln lassen. Wie konnte er derartig lahm gewesen sein. Er hatte sich von dem frischen Lack in der Maschine übertölpeln lassen und das heimtückische Gas nicht sofort gerochen. Als es ihm die Sinne zu nehmen begonnen hatte, kam er nicht mehr an seinen Zauberstab heran, um einen Luftreinigungszauber zu wirken. Tja, und jetzt lag er auf einer gewöhnlichen Trage, sorgfältig um Brustkorb, Bauch und Beinen festgeschnallt, mit Gurten, die so reißfest waren wie die in Kampfflugzeugen, die dafür ausgelegt waren, das zehnfache Gewicht eines Menschen aufzufangen, wenn es sein mußte. Als fünfzehnjähriger Junge hatte er in den Sommerferien mal an einem Tag der offenen Türe der US-Marine teilgenommen. Zwar hatte er die schnittigen Tomcat-Kampfjets belächelt, weil diese im Vergleich zu einem Besen doch etwas zu laut und platzraubend waren, dafür aber doppelte Schallgeschwindigkeit erreichen konnten. Das einzige Problem dabei war, daß die darin fliegenden Menschen den mörderischen Flieh- und Beharrungskräften ausgeliefert waren, die bei schnellen Bewegungsänderungen wirkten. Als er dann noch eine simulierte Landung auf dem Deck eines Flugzeugträgers verpatzt hatte, war er froh, einen Besen fliegen zu können und in zwei Jahren auch apparieren zu können, wieder nach Hause gefahren. Zwar hatte sein Vater ihn gefragt, ob er nicht zur Marine oder Luftwaffe gehen wollte. Doch er hatte ihn nur angelächelt und gesagt, daß die ihm nichts zu bieten hätten.

Jetzt lag er hier auf dieser Trage, womöglich in akuter Gefahr ... Aber nein, wenn sie ihn töten wollten, hätten sie alle Zeit der Welt dazu gehabt. Dann blieben noch zwei Möglichkeiten: Sie wollten ihn verhören, womöglich mit Nachdruck, um irgendwas aus ihm herauszuholen, oder sie wollten ihn zusammen mit Martha als Geiseln halten, als Unterpfand für eine Erpressung. Ja, das mochte es sein. Sie hatten ihn und Martha Andrews verschleppt, damit seine Behörde, das FBI, den angeblich echten Richard Andrews herausgab, der im Zeugenschutzprogramm untergebracht war und wohl bald eine neue Identität erhalten würde. Lächerlich! Ronin Monkhouse konnte jederzeit eine neue Identität annehmen. Wenn es sein mußte konnte er als Minister Pole oder als Präsident Clinton aus dem Versteck herausspazieren. Doch Minister Pole hatte die Geister gerufen, indem er in die Welt gesetzt hatte, der brutale Massenmörder sei ein Doppelgänger und den echten Andrews hätte nun das FBI sicher, und diese Geister würden Martha und ihm nun zum Verhängnis werden, wer immer ihn auch verschleppt hatte. Somit war die Frage nach dem Ort hier gleichermaßen die Antwort auf die Frage nach der Zeitspanne, die er bewußtlos gewesen war.

Er hörte schritte näherkommen. Eine kurze Bewegung des Rechten Beins verriet ihm, daß er seinen Zauberstab wohl noch im Hosenbein stecken hatte. Wenn es ihm gelänge, ihn in die Hand zu bekommen, wäre der Spuk in einer Sekunde vorbei.

Zwei Personen traten in den spärlich beleuchteten Raum ein, dessen weiß gestrichenen Wände den Eindruck eines Krankenhauszimmers ohne Fenster vermittelten. Das leise Säuseln einer Klimaanlage verriet ihm, daß sie wohl in einem auf einer bestimmten Temperatur zu haltenden Bereich waren.

Zwei Personen traten ein. Eine davon war augenscheinlich eine Frau mit langen, schwarzen Haaren, die es mit der Kosmetik wohl zu gut meinte, so rosig geschminkt wie ihre Wangen und Lippen glänzten. Sie trug einen weißen Kittel. Die andere Person kannte er - zu gut.

"Bonjour, Monsieur Marchand. Ich habe nicht erwartet, Sie einmal in meinem ganz vertraulichen Wochenendhaus begrüßen zu dürfen. Aber warum nicht. Immerhin bin ich Ihnen ja noch etwas schuldig, vom Mai her. Sie wissen noch?"

"Ich hätte Sie besser verhaften sollen, Mr. Laroche", grummelte Zachary Marchand. Das hat man nun von seiner Gnade."

"Sie hätten mich nicht verhaften können, Monsieur Marchand. Gegen mich lag und liegt nichts vor", erwiderte der dunkelhaarige Mann im sündteuren Maßanzug selbstsicher.

"Abgesehen von dreifachem erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung und diverser Verstöße gegen das Kriegswaffengesetz und das Betäubungsmittelgesetz. Schlimmstenfalls noch dreifacher Mord. Diesmal kriegen wir Sie, Laroche, auch wenn ich das vielleicht nicht selbst miterleben werde. Ich erübrige mir also die Frage nach dem Standort und komme gleich zum Punkt: Was wollen Sie von Mrs. Andrews, meiner Kollegin Firestone und mir?"

"Sie warfen mir erpressung vor, Monsieur Marchand. Wofür sollte ich jemanden wie Sie entführen und wen damit worum angehen?" Fragte Laroche zurück. Seine Begleiterin, die ein widerlich süßer Parfümdunst umwehte, grinste nur verächtlich. Erst hätte Marchand gedacht, die Frau sei Laroches Leibwächterin oder wolle nur mal einen auf Eis liegenden Regierungspolypen beglotzen. Dann erkannte er die lauernde Erwartung in den ziemlich kunstvoll geschminkten Augen der Person. Das waren nicht die Augen einer neugierigen Frau, sondern die einer Person, die sich im Stillen auf ein ganz bestimmtes Ereignis freute. Dann stimmte da noch was nicht. Das Gesicht war zwar gut auf feminin geschminkt, und die Haare wirkten auch sehr fraulich. Aber die Schädelknochen passten nicht dazu, ja und auch das Becken war ein wenig zu schmal für eine Frau. Dafür waren die Füße etwas zu breit.

"Nun, da sie meinem Gast aus Frankreich und mir wohl diesen Köder zugeworfen haben, wir könnten zu Richard Andrews, gehe ich davon aus, daß Sie ihn gerne befragen würden, was er vielleicht von denen mitgekriegt hat, die Ihnen die Fehde mit Lorca eingebrockt haben. Na, sind wir jetzt immer noch so überlegen, Mister? Und kommen Sie mir nicht mit Ihrem französischen Getue! Sie kommen genauso aus Frankreich wie eine Fritte bei McDonald's."

Laroche trat vor und holte mit der rechten Faust aus. Doch seine Begleitung zog ihn mit sicherem Griff zurück.

"Patron, lassen Sie ihn doch reden. Wenn Sie ihn verletzen, gefährdet das die Einbettung", zischte diese merkwürdig maskulin gebaute Frau.

"Sie haben Glück, daß meine Begleiterin mir empfohlen hat, Ihnen nichts zu tun. Ich muß mich aber nicht an ihre Vorschläge halten, Monsieur. Sie meinen, mich hier und jetzt zur Weißglut reizen zu müssen, obwohl Sie gefesselt sind. Sie wollen mich als einen Feigling hinstellen. Bon, kommen wir zum Punkt, wie Sie sagten! Ich will wissen, wo der Junge ist, Julius Andrews!"

"Wer bitte? Ich weiß nur von Martha Andrews", erwiderte Marchand unwissend tuend.

"Die Frau ist zusammen mit dem Jungen in Amerika eingereist und hat als Aufenthaltsort Ihr Haus angegeben, Monsieur Marchand. Mein Kontakt in Ihre Dienststelle hat mir verraten, daß der Junge auch bei Ihnen wohnen sollte. Immerhin hatten Sie deshalb Urlaub genommen. Na, überrascht?"

"Überhaupt nicht", erwiderte Marchand verächtlich. "Daß Walker bei Ihnen auf der Gehaltsliste steht haben meine Kollegen schon längst geahnt. Sie konnten Ihnen keinen größeren Gefallen tun als ihn dazu anzustacheln, Mrs. Andrews, Sonderagentin Firestone und mich in eine Falle zu locken. Den haben sie jetzt garantiert unter seinem Maulwurfshügel hervorgeholt und bearbeiten ihn, ob er nicht den Kronzeugen gegen Sie macht. Immerhin würde er ja Mitschuldiger bei dreifacher Entführung und wohl auch Mord sein."

"Sie meinen, ein gewisser Walker sei mein V-Mann bei Ihrer Behörde?" Fragte Laroche amüsiert tuend. Doch vorhin, als Marchand ihm ansatzlos den Namen des Maulwurfs beim FBI serviert hatte, hatte es verstört in seinen Augen gezuckt.

"Ich bin mir sicher, und Mr. Wilberforce weiß es jetzt garantiert."

"Lassen wir Sie mal in dem Glauben, zu wissen, wer mein Mitarbeiter bei Ihnen ist und freuen wir uns auf eine amüsante Hexenjagd in Ihrer Behörde, Monsieur. Aber wo dieser Julius Andrews ist will ich jetzt von Ihnen wissen!" Fauchte Laroche. Etwas piepte am Handgelenk der unbekannten Frau. Sie sah Laroche an und wechselte einige Worte mit ihm, wohl auf Französisch, das Marchand zu seinem Ärger nicht konnte. Dann nickte der Patron, der auch König von Bayoo genannt wurde, und die Fremde verließ den Raum.

"So, Monsieur. Da die Dame uns nun verlassen hat, sprechen wir etwas deutlicher miteinander. Wo ist der Bengel? Wer kümmert sich um ihn? Rede oder ich zerschlage deine Kniescheiben mit dem Hammer hier!" Laroche holte unter einem grob gearbeiteten Holztisch einen schweren Hammer hervor.

"Deine Madame hat doch gesagt, du dürftest mir nichts tun, Hubert", sagte Marchand, der nicht zugeben wollte, wie unbehaglich er sich fühlte.

"Sie muß es nicht wissen, und ich habe auch gesagt, daß ich mich nicht an Ihren Vorschlag halten muß", zischte Laroche.

"Selbst wenn du mich in meine Einzelteile zerdepperst, du Westentaschenfranzose, der Junge wird schon ganz woanders sein. Gestern war er noch in Kalifornien. Ob er da noch ist kann ich nicht sagen. Nicht nur deine Firma sucht ihn wegen seines Vaters."

"Ach, warum ausgerechnet ihn?" Fragte Laroche, der einen Moment nachdenken mußte. Natürlich war der Junge nicht mehr da, wo er gestern noch war. Wenn die Entführung Marchands beim FBI die Runde machte, würde man den Jungen und seinen Vater schnell anderswo unterbringen. Das ärgerte ihn, so übereilt zugeschlagen zu haben. Aber die Frau hatte er sicher, egal wo der Junge gerade war. Wollte er sich mit diesem achso überlegen tuenden FBI-Menschen noch etwas amüsieren, ohne ihn zu verletzen. Ihn in einer Einheit des BUS-Komplexes zu sehen würde ihm eine zehnfache Genugtuung bieten.

"Weil es in deinen Wirkungskreisen auch Leute gibt, die was von Gentechnik verstehen. DNA-Analyse heißt das Zauberwort", erwiderte Marchand und mußte grinsen, als er "Zauberwort" sagte. Wir haben Kenntnisse von einem ganz gefährlichen Typen, der von England aus operiert und die Staaten kontrollieren will, insbesondere Menschenhandel und gewerbliche Unzucht. Kann wohl sein, daß du noch nichts von ihm gehört hast. Aber er ist sehr böse, weil die Sache mit Andrews und seinem Doppelgänger ihm die Ernte verhagelt. Jetzt will er den Sohn haben, um DNA-Vergleiche zwischen ihm und den Spuren an den Tatorten anzustellen, um zu klären, ob das wirklich ein Doppelgänger ist oder ob wir vom FBI nicht den Doppelgänger haben und der Echte herumläuft."

Laroche grinste feist. Er legte den Hammer wieder unter den Tisch.

"Wie soll dieser bitterböse Monsieur heißen, Marchand?"

"Seinen echten Namen kennt keiner. Ist wohl für ihn auch besser so. Seine Anhänger nennen ihn Lord Voldemort."

Das war das erste Mal in seinem Leben, daß Zachary Marchand auf die Nennung des gefürchteten Namens schallendes Gelächter zur Antwort bekam. Er selbst hatte sich immer einen Jux daraus gemacht, diesen Namen zu nennen, wenn er wollte, daß seine Mitschüler aus dem Konzept gerieten. nur bei Prinzipalin Wright und Professor Purplecloud, seiner damaligen Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste, hatte das nicht geholfen. Im Gegenteil. Es hatte ihm zwei Stunden Nachsitzen bei Purplecloud und das Ausbringen von zweihundert Pfund bestialisch stinkenden Drachendungs in den Gewächshäusern eingebrockt.

"Ihnen werden wir noch Respekt vor unserer Welt beibringen", hatte Professor Purplecloud ihn angeschrien, als er mehrere Flüche von ihr nicht parieren konnte. Tja, Laroche amüsierte der Name so köstlich, daß Marchand fürchtete, das Echo seines Lachens würde den Putz von der Decke regnen lassen.

"Vhohooldemohort, wiehie hüüberhheeblich muß jemand sein, sich so einen Namen zu verpassen?" Gluckste Laroche und verfiel wieder in hemmungsloses Lachen. Marchand vermeinte, aus dem Lachen einen Siegesschrei des Teufels zu vernehmen.

Laroche lachte und lachte weiter. Dann meinte er:

"Guter Witz, Monsieur. Aber ich kriege schon raus, wo der Junge ist. Auch wenn ich nicht denke, daß es diesen Vo-ho-ho... nein, zu herrlich! - Wenn es diesen Kerl wirklich geben sollte, dann wird der mir halt was dafür bieten, ihm DNA-Proben des Jungen zu überlassen."

"Sei froh, daß du Muggel den nicht interessierst", dachte Marchand, der innerlich bereute, dem Möchtegernfranzosen da den Namen des gefürchtetsten Schwarzmagiers der Gegenwart verraten zu haben, auch wenn er ihm nicht erzählt hatte, daß es ein Zauberer war. Sicher, Laroche würde den Namen weiterhin für einen Witz halten. Doch was, wenn der versuchte, Kontakt zu ihm zu bekommen. Doch Marchand war sich sicher, daß er den Aufruhr im Ministerium dann nicht mehr miterleben würde.

Einige Minuten später traf diese Person ein, die wohl auch was sein wollte, was sie nicht von Natur aus war. Sie wechselte wieder einige Worte mit dem Patron, die Marchand nicht verstand. Dann sagte Laroche mit nun sehr bedrohlichem Unterton:

"Nun, da Sie mir den Witz des Tages erzählt haben, Monsieur Marchand, wird es Zeit, sie mit dem Komfort unserer neuesten Errungenschaft vertraut zu machen. Meine geschätzte Sachverständige wird Sie nun zu ihrem Quartier bringen und ihnen dort hineinhelfen. Es ist sehr formidable. Sie werden sich fühlen wie vor dem Elend ihrer Geburt." Laroche zog eine Pistole aus seiner rechten Außentasche und entsicherte sie.

"Nur für den Fall, daß Sie unsere Gastfreundschaft rüde abweisen wollen", sagte er und nickte der Frauengestalt im Kittel zu.

"In Ordnung, Sir! Ich werde Sie jetzt losschnallen. Ich möchte nicht haben, daß der Patron Sie mit Blei vergiftet und dabei lebensbedrohlich verletzt. Sie möchten das sicher auch nicht. Also bitte keine unbedachten Bewegungen machen!"

Marchand ließ es sich gefallen, daß diese Person, die Laroche Docteur nannte, die breiten Riemen löste, erst den um den Bauch, dann den um die Arme und schließlich den um die Beine.

"So, Regierungsmann, da hinaus und dann vor meiner Pistole her!" Befahl Laroche. Marchand stand auf und ging vorsichtig vor Laroche durch die Tür hinaus, die die Person im Kittel öffnete. Dann standen sie in einem Gang, vor einer Stahltür. Sie wollten ihn also hier einsperren. Gut. Wenn sie ihn eingesperrt hatten, konnte er mühelos disapparieren und seinen Muggelkollegen und Swifts Leuten den Weg hierher zeigen. Doch als sie in einer Schleusenkammer standen, die unter höherem Luftdruck gesetzt wurde, und als die vermeintliche Frau mit deutlich maskuliner Stimmlage erzählte, sie würden ihn gleich gut unterbringen, wurde ihm klar, daß er wohl wieder betäubt werden sollte. Aber wieso hatten sie das nicht gleich erledigt, als klar war, daß er denen nichts wichtiges sagen konnte? Wieso brachten sie ihn nicht um?

"Okay, Monsieur, alles runter was nicht angewachsen ist!" Verlangte Laroche und deutete auf Marchands Anzug.

"Wollen Sie und diese Fummeltrine mich jetzt körperlich erniedrigen, Laroche? Das ist aber weit unter Ihrem Niveau", begehrte Marchand auf.

"Das ist zwingend erforderlich, wenn Sie in unserem exklusiven Gästequartier untergebracht werden", erwiderte Docteur verschmitzt grinsend. Da kam Marchand eine Idee. Hier konnte er seinen Zauberstab ziehen, wenn er so tat, als wolle er die Hose runterlassen, wozu diese Prozedur auch immer sein sollte. Beide Schleusentore waren zu und entgegen aller Muggelpropaganda konnte man auch aus einer hermetisch verschlossenen Stahlkammer disapparieren. Also nickte er scheinbar einwilligend und griff an die Hosennaht und dem Knopf der schicken blauen Hose. Als er Anstalten machte, sie zu öffnen, zog er blitzschnell den Zauberstab aus dem Hosenbein frei und wirbelte herum. Er wollte ihn nach oben reißen, um einen Sensofugatus-Zauber zu wirken, der für eine Minute die Sinne aller umstehenden betäubte. Doch da traf ihn eine spitze Nadel und bohrte sich tief in das Fleisch seines Halses. Er keuchte und wollte den Zauber noch in Gedanken rufen, als alles vor ihm wie schmelzendes Fett in der Bratpfanne zerlief und die Welt sich mit immer größerer Geschwindigkeit um ihn zu drehen begann. Dann klappte etwas rabenschwarzes um ihn herum zusammen wie das Maul eines gigantischen Ungeheurs, und er fiel in einen bodenlosen Schacht hinab.

"Halten Sie ihn fest, Patron!" Rief Alexander Fox alias Salu Renard. Klappernd fiel dieser merkwürdige Holzstab zu Boden, den Marchand gerade noch wie ein Revolverheld gezückt hatte. Laroche sicherte mit einer schnellen Fingerbewegung die Pistole und sprang zu Salu, um den bereits bewußtlosen Mann aufzufangen.

"Na gut, dann entgeht ihm halt der Spaß", sagte Laroche verärgert.

Der als Salu maskierte Arzt Alexander Fox prüfte noch einmal, wieviel von dem Betäubungsmittel er dem FBI-Agenten in den Körper gespritzt hatte und notierte sich den Wert.

"Ich muß wohl gleich ein wenig Gegengift injizieren, um den Integrationsprozess im üblichen Rahmen durchzuführen. Möchten Sie dabei sein, Patron?"

"Aber ganz gewiß", sagte Laroche mit einem unerträglich überlegenen Grinsen im Gesicht.

Sie entkleideten Zachary Marchand vollständig. Laroche nahm den Holzstab, den der nun bewußtlose Regierungsbeamte gezogen hatte. Er wollte ihn auf irgendwelche Gemeinheiten prüfen lassen. Vielleicht war ja ein Sender eingebaut oder eine Vorrichtung für Betäubungsgas oder dergleichen. Laroche zog sich einen sterilen Kittel über, während Fox sich ein paar Einweghandschuhe überstreifte, sobald das innere Schleusentor aufglitt. In der künstlich unter höherem Luftdruck gehaltenen Halle hinter der Schleuse erwartete sie ein tiefrotes Dämmerlicht aus kleinen Glühbirnen an der Decke. Ein raumfüllendes Brummen und Wummern klang ihnen beinahe unangenehm in den Ohren. Fox holte eine Injektionspistole aus seinem Kittel und tauschte eine violette gegen eine grüne Ampulle aus, aus der er Marchand einige Milliliter in die rechte Armvene spritzte. Dann ging er daran, den FBI-Agenten für eine von vier leeren Kugelkammern zu präparieren, in denen etwas von einer merkwürdigen Flüssigkeit enthalten war. Laroche beobachtete, wie Marchand zunächst von Kopf bis Fuß sorgfältig mit einer weißlichen Creme eingerieben wurde. Dann befestigte Fox eine Art Atemmaske an einem langen Schlauch über Mund und Nase des Agenten und ließ daraus eine mit hohem Sauerstoffgehalt angereicherte Flüssigkeit in die Lungen des FBI-Beamten strömen. Der Körper setzte sich zwar gegen diese Maßnahme zur Wehr, mußte jedoch bald dem Atmungsreflex gehorchen und die in ihn hineingezwungene Flüssigkeit in die Lungen einsaugen und wieder ausatmen. Als Marchand gleichmäßig weiteratmete, vollführte Fox den entscheidenden Eingriff, bevor er Marchand in eine der freien Kugeln hineinlegte, die zunächst mit der geheimnisvollen Flüssigkeit gefüllt wurde, bis Marchand darin schwamm und keine freie Luft mehr über sich hatte. Nun schwamm er reglos in der Kugelkammer, deren Außenwand sich etwas eintrübte, während eine computergesteuerte Anlage die Temperatur absenkte und die Lebenszeichen und Blutwerte überwachte.

"Er wird sich wundern, wenn er da wieder rauskommt, wie viel Zeit vergangen sein wird", grinste Laroche, der sich während des Eingriffs kurz hatte umwenden müssen, um sich nicht übergeben zu müssen. Fox sah zufrieden aus.

"In dem Zustand kann ich ihn über Jahre halten, energieärmer als im künstlichen Koma und für den Körper selbst ohne äußere Verletzungen, wie langes Liegen in einer Position sie zur Folge haben."

"Wenn jemand die Maschine ausschaltet, wielange würde jemand, der gerade darin liegt überleben?" Wollte Laroche wissen.

"Wenn er oder sie nicht sofort herausgeholt und fachkundig vom Blutversorgungsschlauch getrennt wird, würde der Inkubant noch eine Stunde leben. Hat man ihn bis dahin nicht auf eine Intensivstation mit Wärmebett verlegt, stirbt er dann entweder an Sauerstoffunterversorgung oder Hypothermie. Nur meine Mixtur, die ihm ins Blut injiziert wird, bewahrt ihn vor den Folgen der Unterkühlung."

"Nun, ich denke, Sie werden unsere bisherigen Gäste noch Monate lang beherbergen dürfen, vielleicht sogar Jahre lang. Besser als sie umzubringen, nicht wahr?" Erwiderte Laroche. Fox, der im Moment keinen Wert auf weibliche Sprechweise legte, nickte beipflichtend.

__________

Dana Moore fühlte, wie ihre Körperfunktionen langsamer wurden. Dieser schnelle Flug in großer Höhe war nichts für den Stoffwechsel einer Fliege. Zwar wärmte Ardentias Körper die Animaga gut genug, um sie nicht erstarren zu lassen. Doch Danas Zeitgefühl ging völlig verloren. So war es für sie so, als seien nur zehn Minuten verstrichen, als Ardentia mit ihrem Sozius Julius zur Landung ansetzte.

"Wir sind gleich da, Dana", schwirrte ein überschneller Gedankensatz durch Danas Gehirn. Fast hätte sie ihn nicht verstanden, so schnell war er. Das lag wohl an der Verlangsamung ihrer Körperfunktionen. Doch das würde sich wohl gleich ändern, wenn sie wieder am Boden waren.

"Hier Basis Meer der Ruhe. Der Adler ist gelandet", hörte sie Julius sagen. Ardentia lachte darüber, daß es für Dana Moore wie ein Erdbeben war.

Als ihr wohl wieder warm genug war, probierte die Animaga aus, ob sie ihre Beine und Flügel wieder bewegen konnte. Inzwischen trug Ardentia sie in eine Wohnung hinein. Dabei sprach sie mit Julius über Weltraumfahrt und Geschichte, und daß sie entsprechende Bücher besitze. Nach einigen Minuten verließ Ardentia mit der Begründung, noch etwas einkaufen zu müssen die Wohnung. In einem Treppenhaus kam ihre Gedankenbotschaft:

"So, hier lasse ich dich mal auf Posten, Schwester. Könnte sein, daß der Junge im Moment nicht gefährdet ist. Kann aber auch sein, daß diese Höllenkreatur bald nach ihm sucht."

Dana schlüpfte unter dem Umhang heraus und heftete sich neben der Tür an die Wand, knapp unter der Decke an.

"Wie lange wirst du fortbleiben, ohne daß der Junge verdacht schöpfen soll?" Mentiloquierte Dana Moore.

"Vierzig Minuten. Dann komme ich wieder. Sollte diese Abgrundstochter ihn bis dahin noch nicht gefunden haben, muß ich eben mit ihm darauf warten, ob was geschieht", dachte Ardentia. Dann ging sie zum Aufzug und fuhr hinunter.

__________

Das Verhör mit Jane Porter hatte nichts neues ergeben. Sie erzählte nur, daß Julius Andrews im Laveau-Institut war und daß er dort in Sicherheit sei. Auf die Fragen, wer von ihr bereits informiert worden war, erzählte sie nur:

"Alle, die es angeht, Mr. Swift. Ich nenne keine Namen."

"Sie wissen, daß ich Sonderrechte habe, Mrs. Porter?" Hatte Swift gefragt. Sie hatte genickt und gemeint, daß sie sehr gut dem Imperius-Fluch widerstehen könne, und falls er es wage, sie mit dem Cruciatus-Fluch anzugreifen, würde dieser auch nichts nützen, da sie vor ihrer Abreise zum Weißrosenweg einen lange vorhaltenden Schmerzunterdrückungstrank getrunken habe.

"Das wollen wir doch mal sehen. Crucio!" Er deutete mit dem Zauberstab auf sie, und sie blieb ruhig, völlig ruhig. Der sonst so erbarmungslose Folterfluch zeigte bei ihr überhaupt keine Wirkung. Dann probierte er noch den Imperius-Fluch aus. Doch sie sah ihn konzentriert an und widerstand dem Befehl, alles zu verraten, was sie wußte.

"Dann werde ich Veritaserum einsetzen", sagte er drohend. Sie antwortete:

"Das überlassen Sie besser den Richtern vom Zwölferrat, Mr. Swift. Übrigens sind Ihre Unverzeihlichen Flüche nicht so gut eingeübt wie die ihres Mitarbeiters Hammer."

"Wir kriegen schon heraus, was Sie uns verschweigen wollen. Morgen klingt das Elixier ab, das Sie getrunken haben. Ja, und ich kann auch jemanden herkommen lassen, der sie noch einmal unter Imperius-Fluch verhört", kündigte Swift an. Jane Porter nickte nur, sagte aber nichts weiter.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Verhörraum zu verlassen.

"Wenn wir wissen, wo Marchand mit der Mutter des Jungen ist, haben wir ein besseres Druckmittel gegen diese sture Person", knurrte Swift, als er wieder in seinem Büro saß.

"Wie darf ich das verstehen, daß Sie mich wieder zurückgerufen haben?" Fragte Tulius Hammer, der keine fünf Minuten später eintraf.

"Weil der Minister es so befohlen hat", blaffte Swift. "Er ging davon aus, Sie würden sich in der Muggelwelt nicht gut genug beherrschen."

"Ja, Winters hat mir die schriftliche Anweisung gegeben", knurrte Hammer zurück. "Ich bezweifel aber, daß der mehr herausfindet."

Trotz Hammers Zweifeln kehrte Jerry Winters zwei Stunden später wieder zurück und erstattete Bericht.

"Nach allem, was ich erfahren konnte, schreibt man die Entführung von Zachary Marchand und Martha Andrews einem gewissen Hubert Laroche zu. Dabei handelt es sich um einen mächtigen Verbrecher in Louisiana, der in mehrere ungesetzliche Unternehmungen verstrickt sein soll, ihm aber bisher nichts nachzuweisen sei. Offenbar unterhielt er einen Spion im FBI, einen gewissen Gordon Walker. Dieser befindet sich bereits im Gewahrsam und wird verhört. Ich konnte mit meinem Suggestionsausweis bis zu dem Verhörraum vordringen und im Schutze eines Unsichtbarkeitszaubers hineingelangen. Eine legilimentische Prüfung des Verdächtigen bestätigte, daß er eine Entführung arrangiert habe, allerdings nicht wisse, wo in den fünf Verstecken von Laroche dieser die Geiseln gefangenhalte. Wilberforce, der für New Orleans zuständige Leiter des FBI, will keine Ratespielchen spielen. Denn wenn sie in einen der Schlupfwinkel eindringen, und es ist nicht sofort der richtige, könnten die Geiseln getötet werden. Deshalb sucht man nach Verbindungsleuten dieses Walkers, die mehr wissen könnten."

"Was geschieht, wenn die Muggel rausbekommen, wo die Engländerin und Zachary Marchand sind?" Wollte Swift wissen.

"Dann hätten sie endlich etwas, was sie Laroche anhängen könnten. Es würde eine Erstürmung des ausgekundschafteten Verstecks stattfinden, die zum Ziel hat, die Geiseln zu befreien und Laroche zu verhaften. Die Frage ist, inwieweit wir da eingreifen sollen?"

"Marchand ist einer von uns. Er wird sich sicher befreien und dann unter Vorspiegelung einer spektakulären Flucht die Muggel auf die richtige Spur bringen. Wir brauchen uns erst damit zu befassen, wenn wir klären müssen, wann und zu welchem Zweck Marchand Zauberei benutzt hat, um freizukommen", sagte Swift.

"Verstehe", sagte Jerry Winters. "Aber wieso ist Marchand noch nicht bei uns erschienen oder bei seinen Muggelkollegen?" Wunderte sich Winters.

"Mann, weil der nicht will, daß Martha Andrews getötet wird, sobald er verschwunden ist. Er klärt erst, daß keiner sein Verschwinden bemerkt. Wenn er in einem Raum ist, der von diesen mechanischen Fernsehaugen überwacht wird, kann er nicht einfach disapparieren, ohne daß die gleich wie ein wütender Hornissenschwarm losfegen und womöglich die Muggelfrau gleich an Ort und Stelle umbringen. Er hat die Verantwortung für sie, spätestens seitdem die Porter mit dem Jungen gegen uns angetreten ist", sagte Hammer.

"Ja, aber wenn wir die Frau vor den Muggeln befreien könnten hätten wir etwas, um den Aufenthaltsort des Jungen zu erkunden", wandte Winters ein. Swift nickte.

"Verdammt, das habe ich nicht bedacht. Aber wissen Sie, wie dieser Zauber gewirkt wird, Mr. Winters?"

"Öhm, ich nicht", gestand Jerry Winters verlegen ein. Hammer grinste leicht verhalten. Doch als Swift ihn genau ansah, lief er rot an und meinte:

"Öhm, ich weiß nur, daß der mit dem Blut des leiblichen Verwandten einer gesuchten Person gewirkt wird. Aber wie genau das geht wissen nur die vom Laveau-Institut und die von der Liga gegen die dunklen Künste."

"Ich werde anregen, daß die Inobskuratoren diesen Zauber lernen, wenn wir das hier hinter uns haben", schnaubte Swift. Er war ebenfalls errötet, allerdings eher aus Wut als aus Verlegenheit. Da gab es eine todsichere Methode, einen Flüchtling aufzuspüren, und er, Swift, hatte das überhaupt nicht einmal in Gedanken erwogen, damit zu arbeiten. Sie hätten den Jungen abholen und dazu verwenden sollen, den echten Richard Andrews zu finden. Ja, und genau deshalb hatte Jane Porter ihn wohl auch zu sich geholt, um ihn dazu zu benutzen. Was war er doch für ein trolldoofer Idiot gewesen!

"Meine Herren, was für die Muggel gilt, gilt auch für uns. Wenn wir keinen hundertprozentigen Hinweis darauf haben, wo sich die Mutter des Jungen befindet, können wir genausowenig zuschlagen. Aber wir sollten sie im Auge behalten, wenn sie von den Muggeln gefunden wird und hoffentlich lebend herausgeholt wird", sagte Swift verärgert.

"Soll ich Jane Porter fragen, ob sie diesen Blutzauber mit dem Jungen getrieben hat?" Fragte Hammer.

"Wozu soll das noch gut sein?" Fragte Swift. "Die Antwort würde entweder lauten: "Sage ich nicht" oder "Ja, habe ich". Sonst gab es keinen Grund, diesen Burschen herüberzuholen."

"Die Frage ist nur, ob über den echten Richard Andrews nicht auch umgekehrt der Standort des Jungen ausgekundschaftet werden kann", warf Winters ein. Swift nickte.

"Dann haben wir das Szenario, daß ein Fischer, der einen Hecht angeln will, plötzlich ein Seeungeheuer an der Angel hat und Gefahr läuft, statt es zu fangen von diesem gefangen zu werden." Er erbleichte. Denn ihm wurde in diesem Augenblick klar, welche Gefahr ihnen allen dann drohte, sollte der Succubus sich des Jungen bemächtigen. Über dessen Vater würde das Ungeheuer Macht über den Jungen gewinnen und die eigene Kraft steigern. Wie konnte Jane Porter das übersehen haben?

_________

"Walker, Sie haben nur noch zwei Möglichkeiten", herrschte der Direktor des FBI in New Orleans, Mathew Wilberforce den drahtigen Mann im grauen Anzug an, der ihm gegenüber auf einem schmalen Stuhl saß. "Sie können zwischen Giftspritze oder Strafminderung wählen. Entweder verraten Sie uns jetzt, wie Laroche Sie kaufen oder erpressen konnte und verraten uns den Aufenthaltsort von Mrs. Martha Andrews und Sonderagent Zachary Marchand beziehungsweise die Personen, die ihn kennen oder Sie werden wegen Beihilfe zur Entführung und Mord in zwei Fällen angeklagt und zum Tode verurteilt. So oder so sind Sie für Laroche wertlos geworden."

"Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, ich weiß nicht, wo die beiden sind. Denken Sie, ich wüßte nicht, was mir blüht, wenn ich das nicht sage?" Wimmerte Walker. Schon seit fünf Stunden wurde er verhört. Immerhin hatten sie ihn jetzt schon soweit, daß er zugab, als Informant für Hubert Laroche gearbeitet zu haben. Als man dann noch nachweisen konnte, daß die Vorbereitungen zur Entführung von Zachary Marchand und Martha Andrews mit seiner Hilfe getroffen werden konnten, hatte er zugegeben, daran beteiligt zu sein. Es war wie bei einem Politiker, der nur das zugab und einräumte, was man ihm auch eindeutig nachweisen konnte. Direktor Wilberforce selbst leitete das Verhör, da er nicht wollte, daß Gordon Walker die Gunst der Stunde nutzte und die Kollegen gegeneinander aufhetzte, indem er behauptete, es würden noch mehr Maulwürfe im FBI herumlaufen.

"Dann verraten Sie uns die Kontaktleute, mit denen Sie zu tun hatten, um dieses Verbrechen anzuleiern!" Fuhr Wilberforce den Verräter an. "Sie haben uns verraten, dann werden Sie jetzt gefälligst die anderen Verraten, wenn sie nicht wegen Mordes und Entführung auf die Todesliege wollen."

"Niemand sagt, daß sie ermordet wurden", versuchte Gordon Walker aufzubegehren.

"Ich sage das, Mister. Ich sage, daß Laroche die beiden bereits umgebracht hat. Also rücken Sie die Namen der Leute raus, die Ihnen bei der Schweinerei geholfen haben!!" Bellte Wilberforce nun sehr zornig. Dann spielte er noch einen Trumpf aus. "Agentin Firestone hat uns auf Sie gebracht, Walker. Sie hat so getan, als wenn sie auch von Laroche gekauft worden wäre. Da sie mit den beiden verschwunden ist, fällt die schon mal aus. Könnte sogar sein, daß sie enttarnt wird, wie wir Sie enttarnt haben. Dann wäre es dreifacher Mord, zu dem Sie beihilfe leisteten. Nur wenn Sie uns die Namen und Adressen geben, wer alles zu Laroches Bande gehört und mit Ihnen Kontakt hatte, kriegen wir das beim Staatsanwalt und den Geschworenen durch, Sie als Kronzeugen zu verwenden und Sie nicht hinrichten zu lassen."

Walker erstarrte. Daß Firestone nicht nur enttarnt worden war sondern wohl als Doppelagentin gearbeitet hatte, war ihm bisher nicht gesagt worden. Doch dann fragte er:

"Wenn das stimmt, daß Agentin Firestone bei Laroche spioniert hat, warum hat die Ihnen dann nicht vorher gesagt, wo es hingehen soll?"

"Weil Sie wohl sehr spontan ausgesucht wurde, die beiden mitzunehmen. Sie hat uns lediglich informiert, daß was stattfinden soll, aber nicht, wo. Wir wollten Sonderagent Marchand und Mrs. Andrews noch warnen, als es schon zu spät war."

"Och, wie traurig", gab Walker gehässig zurück.

"Okay, wie Sie meinen. Dann reservieren wir Ihnen halt ein Bett in der Bundesstrafanstalt, Abteilung Endstation", konnte Wilberforce dazu nur sagen. Er blickte Walker sehr entschlossen an. Dieser schien mit sich zu ringen. Dann sagte er:

"In Ordnung, ich sage Ihnen, was Sie wissen wollen. Ich kenne einige Leute, die Laroche helfen, Sachen und Leute zu verstecken. Einige von denen haben mir Informationen abgekauft, um Laroches Unternehmungen besser abzusichern." Danach sang der gefangene Maulwurf wie eine Nachtigall und lieferte Namen und Adressen.

Drei Stunden danach, nachdem in vier Städten Louisianas zur auf die Sekunde genau abgestimmten Zeit zehn Wohnungen gestürmt und zwölf Personen festgenommen worden waren, hatte Wilberforce den einen entscheidenden Standort.

"Hoffentlich riecht Laroche nicht Lunte", meinte Dustin Giles, ein FBI-Agent, der zusammen mit Marchand schon seit einem halben Jahr hinter dem König von Bayoo herjagte.

"Deshalb müssen wir jetzt schnell handeln. Alle Mann von den Sonderkommandos aus Baton Rouge und New Orleans zusammenkommen lassen, am besten auch Sondereingreiftruppen der Stadtpolizei. Ich rede mit dem Gouverneur wegen der Sondervollmachten."

"Sir, und wenn beim Gouverneur auch Leute von Laroche sitzen?" Erkundigte sich Giles.

"Ich habe die Dringlichkeitsdurchwahlnummer, Sonderagent Giles. Da brauche ich mir um das Vorzimmer keine Gedanken zu machen. Ein Ja von ihm, und wir greifen diese Villa an", erwiderte Wilberforce, den das Jagdfieber gepackt hatte. Giles, der sich ebenfalls vor dem Ziel seiner lange fruchtlosen Mühen sah, fragte, ob sie auch Hubschrauber einsetzen sollten.

"Habe ich schon überlegt, Dustin. Aber in den Aufzeichnungen dieses Conners heißt es, das sei eine richtige Festung mit Radaranlage. Sicher wären die Hubschrauber schneller da. Aber sie könnten leichter abgeschossen werden als gepanzerte Einsatzwagen. Deshalb rücken wir erst am Boden vor und lassen dann Hubschrauber anfliegen, wenn der Sturmangriff begonnen hat."

"Der konnte sich gegen Lorca wehren, der mit militärischen Waffen hantierte, Sir. Wir konnten Laroche zwar nicht nachweisen, daß er gegen die Hubschrauber gekämpft hat, die seine Fabrik im Norden von New Orleans angegriffen haben, sind uns aber sicher, daß er irgendwo versteckte Kriegswaffen hat", sagte Giles.

"Das wissen wir von Firestone auch schon", sagte Wilberforce. "Nur finden konnten wir die nicht. Aber das wird sich wohl heute ändern."

Der Leiter des FBI New Orleans rief den Gouverneur von Louisiana an und erläuterte ihm die Sachlage. Dann bekam er die Genehmigung, mit Eingreiftruppen der Stadtpolizei, ja sogar mit der Nationalgarde zusammen anzugreifen. Offenbar lag dem Gouverneur daran, einen zu mächtig gewordenen Verbrecher endlich zur Strecke zu bringen. Wörtlich hatte er gesagt:

"Laroche hat sich selbst auf ein Pulverfaß gesetzt. Die Entführung war der Funke, der es hochjagen wird."

__________

Laroche ahnte zwar, daß sich eine Schlinge um seinen Hals legte. Doch er tat so, als könne ihm niemand etwas anhaben. Immerhin untersagte er allen, mit Autos aus dem stattlichen Landhaus herauszufahren. Denn er hatte rund um dieses drei Ringe aus nach und nach abgezweigten Land- und Treibminen anbringen lassen, die so miteinander verbunden waren, daß sie erst scharf wurden, wenn Laroche eine bestimmte Abfolge von Stromimpulsen an sie schickte. Als er sicher war, daß kein Wagen mehr zu ihm zurückkehren sollte, öffnete er ein kleines, graues Kästchen, das hinter einem Bild der Kathedrale von St. Denis versteckt war und tippte seinen persönlichen Minenscharfschaltungscode ein. Damit wurden die Sicherungsstifte in den Minen elektrisch zurückgezogen, sodaß die Auslöser nun frei beweglich waren. Wer jetzt über dem Landweg zu ihm wollte, jagte sich selbst in die Luft.

Danach ging er zu Agentin Firestone, die er in einem der Luxusquartiere hatte unterbringen lassen. Vorsorglicherweise hatte er sie auf versteckte Sender oder Funkgeräte überprüfen lassen.

"Im Moment können wir Sie nicht zurückbringen. Das würde unnötig auffallen", sagte Laroche zu der Agentin, die wohl nicht recht wußte, für welche Seite sie jetzt eigentlich arbeitete.

"Hätte mich jetzt auch sehr überrascht, wenn Sie mich zurückgeschickt hätten, Patron", sagte sie ruhig. "Aber was wollen Sie jetzt mit mir anfangen?"

"Nun, schreiben Sie mir bis zum Abend alle gängigen Vorgehensweisen auf, die Ihre Leute benutzen, um mich zu suchen. Könnte sein, daß ich einige gute Freunde informieren muß, sich schnell zu verstecken oder bestimmte Aussagen vorzubereiten", sagte Laroche. Agentin Firestone nickte. Sie hoffte, daß ihre Kollegen Walker entweder schon dazu bringen würden, den Entführungsplan zu verraten und daß Wilberforce schnell und koordiniert handeln würde, damit Laroche keine Vorwarnung erhielt.

Der König von Bayoo verließ das Gästezimmer, nachdem er bei seinem Küchenchef Mittagessen für die Besucherin bestellt hatte. Unterwegs zu seinem Büro, seiner Kommandozentrale, überlegte er sich, ob er Firestone nicht bald würde entsorgen müssen. Er konnte sie nicht ohneweiteres freilassen, aber auch nicht sofort umbringen lassen. Sie besaß noch wichtige Informationen, die sie ihm noch nicht überlassen hatte. Wenn er wußte, wie die Bundespolizei in New Orleans und Umgebung organisiert war und wer vielleicht noch ein brauchbarer Mitarbeiter werden konnte, könnte er sich was ausdenken, sie verschwinden zu lassen, vielleicht in den Sumpf bringen und da mit Betonklötzen an den Füßen versenken lassen. Vielleicht ließ er sie aber auch in eine freie Kammer des BUS legen und dort für einige Jahre in der Obhut seines medizinischen Wunderknaben oder auch Zaubermäuschens Alexander Fox bleiben.

Laroche verbrachte den Nachmittag damit, ausstehende Briefe per E-Mail zu verschicken, wobei er einen Code verwendete, den kein algorithmisches Dechiffrierungsprogramm knacken konnte, weil es sich um belanglos formulierte Texte handelte, die nur dem Empfänger mehr sagten als einem zufällig dazwischensitzenden Leser. Er beorderte zwei seiner Hubschrauber her, die mit Bordwaffen bestückt waren und prüfte alle möglichen Fluchtwege, wie die ganz private U-Bahn, die ihn rasch aus dem Gebäude mehr als zwei Kilometer weit fortbringen konnte oder das gut getarnte Amphibienfahrzeug, mit dem er durch den Sumpf fliehen konnte. Irgendwas piesackte ihn, daß er bald Probleme bekommen würde. Er wußte wie jeder andere Großverbrecher, daß die Entführung auch nur eines FBI-Beamten ihn auf die Abschußliste der Bundespolizei setzte. Es war eine Frage der Zeit, wann sie sein Versteck auskundschaften würden. Aber dann würden die sich einen blutigen Kopf holen, als würden sie gegen eine dicke Stahlbetonmauer rennen. Bevor er mit seinem anderen weiblichen Gast, Martha Andrews, gemeinsam zu Abend essen wollte, um sie für die Videoaufzeichnung gut genährt aussehen zu lassen, gab er die Anweisung aus, alle tragbaren Waffen so zu platzieren, daß die damit vertrauten Mitarbeiter in jede Richtung feuern konnten, mit Panzerfäusten, MGs und weitreichenden Präzisionsgewehren. Für den Fall, daß jemand sich durch die Luft nähern sollte, hatte er einige kleinere Boden-Luft-Raketen bereitliegen. Sein Radar, das Flugbewegungen im Umkreis von 20 Kilometern aufspüren konnte, rotierte bereits. Um nicht die Aufmerksamkeit der Militärs auf sich zu ziehen, konnte es jedoch nur anfliegende Objekte in einer Höhe zwischen fünf und einhundert Metern erfassen und drehte sich dabei ziemlich langsam und sandte nur alle fünf Sekunden einen kurzen Impuls aus. Sein Radartechniker hatte ihm zwar schon oft gesagt, daß damit nicht viel zu machen war, wenn man mit Düsenjägern angreifen würde. Doch Laroche hatte ihm immer wieder geantwortet:

"Die Streitkräfte dürfen nichts auf amerikanischem Boden angreifen, was eine reine Zivilangelegenheit ist. Außerdem können Sie das Radar bei Bedarf schneller, stärker und höher stellen, damit wir nicht von zu schnellen Flugzeugen überrascht werden."

Laroche blieb einige Minuten bei dem Radartechniker und sah auf den grünlich leuchtenden Bildschirm. Nichts tat sich im abgesuchten Umkreis.

"So, es wird Zeitt", sagte der Patron und verließ den Radarkontrollraum, um zu seinem angesetzten Abendessen mit Martha Andrews und Salu Renard zu gehen.

__________

Anthelia hatte einen Entschluß gefaßt. Sicher würde Ardentia Truelane den Zauber gut genug wirken, um eine starke Bindung zu Julius Andrews aufrecht zu halten. Doch nichts war so intensiv wie Blutsbande. Deshalb beschloß Anthelia, den Schurken, die Martha Andrews entführt hatten, die Geisel wieder fortzunehmen. Sie wußte, daß ein gewisser Hubert Laroche die Verschleppung befohlen hatte. Was sie nicht wußte war, wo sich dieser Schurke gerade befand. Zwar war sie im Umgang mit der Zauberei wesentlich skrupelloser als die offiziellen Hexen und Zauberer des Ministeriums, war aber nicht so töricht, ohne direkte Veranlassung in den Wohnsiedlungen der Unfähigen mit Magie herumzuhantieren. Daher wollte sie erst erkunden, wo der Zauberer vom FBI und seine Begleiterin gefangengehalten wurden. Da alle ihre Schwestern sich auf einen anstehenden Entscheidungskampf mit Hallitti vorbereiteten, wollte sie selbst Erkundigungen einholen.

Da Ardentia Truelane mit dem Jungen unterwegs nach Texas war, und Anthelia keine Muggelstämmige in New Orleans kannte, mußte sie in höchst eigener Person dorthin, um sich nach dem Sitz dieser Bundespolizeibehörde zu erkundigen. Sie ging davon aus, daß dort daran gearbeitet wurde, den Ort auszukundschaften.

Da sie wußte, daß die Strafverfolgungszauberer ihr Augenmerk auf jedes Apparieren richteten, nahm sie ihren Harvey 5 und flog damit innerhalb weniger Stunden nach New Orleans hinüber. Dort suchte sie ein Telefonhäuschen auf. Tyche und Romina hatten ihr schon oft beschrieben, wie nützlich solche Fernsprechapparate waren und das in für alle benutzbaren Fernspechkabinen Bücher oder zusammengebundene Papierseiten aufbewahrt wurden, die die Namen und Adressen und Zahlenfolgen öffentlicher oder häuslicher Fernsprecheranschlüsse enthielten. Sie verwünschte wieder einmal die giftigen Qualm ausstoßenden Fuhrwerke der gegenwärtigen Magieunfähigen. Doch sie lobte den Ordnungssinn dieser Leute, ihre Adressverzeichnisse nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen oder Unternehmen zu gliedern. So konnte sie schnell bis zum Buchstaben F vordringen und fand unter FBI-Niederlassung New Orleans eine Anschrift und die Rufnummer. Da sie von verschiedenen Mitschwestern vor Monaten schon Stadtpläne ihrer Heimatstädte erhalten hatte, war es nicht schwer, die betreffende Straße zu finden und einen Luftlinienkurs dorthin zu erkennen. Als sie den Weg hatte, bemerkte sie zwei Jugendliche vor dem Telefonhäuschen, die neugierig, ja auch habgierig, den silbernen Besen anstarrten, den Anthelia neben dem Metallgehäuse des Telefons an die Wand gelehnt hatte.

"Für euch ist der völlig nutzlos", dachte sie. Doch weil einer der Burschen Anstalten machte, zu ihr hineinzugehen und sich den Besen und vielleicht noch mehr zu holen, befand die Führerin der Spinnenschwestern, daß sie etwas tun mußte.

"Wau, soll das 'n Hexenbesen sein?" Fragte der Junge, der gerade die Tür geöffnet hatte.

"Ganz richtig, Jüngling, und das ist ein richtiger Zauberstab", sagte Anthelia und hielt ihren silbergrau glänzenden Zauberstab nach vorne. "Mikramnesia!" Der Junge vor ihr schien schlagartig in eine Traumwelt abzugleiten. Der andere Bursche, der gerade was sagen oder tun wollte, stand da und starrte auf den Zauberstab, der sich auf ihn richtete. "Mikramnesia!" Wiederholte Anthelia ihr Zauberwort von gerade eben. Auch der zweite Junge schien von einem Moment zum nächsten in eine Art Weltentrücktheit zu verfallen. Danach wendete Anthelia einen Gedächtnisveränderungszauber an, der die gerade hervorgerufene Erinnerungslücke mit belanglosem, aber zusammenhängendem Zeug auffüllte. Dann saß sie auf ihrem Besen auf und flog unsichtbar davon, Richtung FBI-Niederlassung. Als die beiden zwischen vierzehn und fünfzehn Jahre alten Jungen wieder klar denken konnten, erinnerten sie sich nur daran, daß sie hier halt gemacht hatten, weil sie prüfen wollten, ob sie das Gehäuse mit dem Geld knacken könnten, es aber dann doch gelassen hatten, weil ganz in ihrer Nähe ein Polizeiwagen vorbeigefahren sei.

Anthelia brauste einige Meter über den Antennen auf den höchsten Häusern dahin und erreichte in wenigen Minuten ihr Ziel, während mehr als hundert Meter unter ihr der allnachmittägliche Verkehrsstau der von ihrer Arbeit heimkehrenden die Straßen blockierte. Lediglich für Polizei- und Rettungswagen wurde die Bahn freigehalten. Als die Führerin des Spinnenordens sich sicher war, daß sie das richtige Gebäude unter sich hatte, flog sie einmal einen großen Kreis und bremste sanft ab, bevor sie waagerecht auf einen flachen Teil des Daches niederging. Dort befestigte sie den Besen mit einem Haftgurt am Dach, einer Erfindung, die lose Objekte sicher an Wänden oder auf dem Boden befestigen konnte. Danach wechselte Anthelia ihre Gestalt und wurde zu einer großen Krähe, die aufflog und vom Dach des Gebäudes herunterglitt, an den oberen Fenstern entlangflog und einmal im weiten Bogen um das mehrstöckige Bürohaus herumzufliegen. Sie suchte nach bestimmten Gedanken. Ja, da war einer! Jemand dachte an Laroche und die Geiseln, die man bald befreien wollte. Die Animaga und Führerin der Spinnenschwestern suchte sich einige Dutzend Meter vom Gebäude entfernt, unbeachtet von den darum postierten Videokameras, einen Baum und horchte erneut. Als sie dann die worthaften Gedanken eines Sonderagenten Giles auffing, wirkte sie den Exosenso-Zauber, zu dem eine gut geübte Hexe keinen Zauberstab benötigte. Als die magische Verbindung stand hörte sie Giles gerade sagen:

"... Das Haus ist im Zentrum einer freien Fläche von einigen Bäumen als Sichtschutz umstellt. Radarsignale gehen davon aus, hat ein Messwagen der Nationalgarde festgestellt. Mit den Hubschraubern kommen wir also wirklich nicht unbemerkt heran."

"Haben wir auch genug Westen und Helme für die Mannschaften?" Fragte ein dunkelhaariger Kollege von Giles.

"Einige Ausrüstung mußte aus Texas und Mississippi herübergeholt werden. Wir gehen ja nicht nur gegen diese Festung vor, die unser kleiner Fisch als Laborbunker bezeichnet hat, sondern auch gegen die anderen Niederlassungen, damit Laroche keine Möglichkeit hat, Beweise bei Seite schaffen zu lassen."

"Klar, so'n dicker Fisch am Haken darf sich nicht mehr losreißen", meinte der Dunkelhaarige.

"Wie wahr", dachte Anthelia, wenngleich sie an einen anderen, weitaus gefährlicheren Fisch dachte, den sie fangen wollte, ohne selbst gefangen zu werden.

"Okay, Leute! Ich leite den Laborbunker-Einsatz, wie Mr. Wilberforce es mir zugeordnet hat. Ich nehme fünfzig Mann von uns, zwanzig Mann von der Nationalgarde, acht Notärzte mit kompletter Ausrüstung und zehn Sanitäter der Nationalgarde mit. Wir rücken in gepanzerten Fahrzeugen vor. Angriffszeit ist 21.00 Uhr, also genau in einer halben Stunde."

"Hoffentlich finden wir die Geiseln lebend", bemerkte der Dunkelhaarige.

"Er braucht sie lebend, zumindest Mrs. Andrews", sagte Giles, wohl um sich selbst zu beruhigen. Dann schloß er die Sitzung.

Anthelia hielt noch einige Minuten die Verbindung mit ihm. So erfuhr sie, ohne weitere Magie einsetzen zu müssen, daß der Laborbunker, wie Giles das Hauptangriffsziel nannte, etwa 20 Kilometer westlich von New Orleans zu finden war. Giles spielte wohl immer wieder durch, wie die erwähnten Angriffstruppen vorrücken sollten.

Anthelia wollte gerade zum Dach des Gebäudes zurück, um mit dem Besen loszufliegen, als die Exosenso-Verbindung abriss und eine ziemlich laute Gedankenbotschaft bei ihr eintraf:

"Höchste Schwester, der Junge wurde soeben von Richard Andrews verschleppt. Bleibe dran!"

"Also hat sie keinen Moment gezögert", dachte Anthelia mit einer Mischung aus Angespanntheit und leichtem Unbehagen. War sie wirklich bereit, sich auf den Kampf mit Hallitti einzulassen? Jetzt galt es, die Mutter des Jungen zu finden und die Verbindung zu ihm doppelt abzusichern. Dann schickte sie einen mentiloquistischen Ruf an Patricia Straton:

"Schwester Patricia, sammel alle Schwestern, die mithelfen wollen, Hallitti zu besiegen! Behandele die Holzbalken, die wir beschafft haben, mit dem Durolignum-Elixier! Ich komme nach, sobald ich eine für die Durchführung wichtige Angelegenheit erledigt habe."

"Verstanden, höchste Schwester! Ardentia hat gerade gemeldet, daß Andrews mit seinem Sohn zum Flughafen unterwegs ist. Er will wohl nach Kalifornien, wo Hallittis Höhle liegen soll."

"Dann wird die Reise noch etwas dauern", dachte Anthelia nur für sich. Also wollte Hallitti ihren Abhängigen als Lebensopfer verwenden, um den zauberkräftigen Jungen zu unterjochen. Dazu mußte sie zu ihrer Schlafstätte, und dahin wollten auch die Spinnenschwestern.

Anthelia flog auf das Dach zurück, verwandelte sich in die strohblonde Hexe zurück, als die sie in diese Welt zurückgekehrt war und löste den Besen durch einen Stubser des Zauberstabs am Haftgurt. Diesen packte sie wieder in die kleine Tasche, die sie am Besen hängen hatte und startete unsichtbar durch.

__________

"Wie, Hornsby ist nicht mehr da?" Fragte Laroche, als er eine Umfrage machte, wer Interesse an Martha Andrews haben würde. Er erfuhr, daß Hornsby in jener Maschine gesessen hatte, die am vergangenen Abend abgeschossen werden mußte, weil sie führerlos auf Kanada zugerast war. Also fiel der Interessent mit der größten Motivation endgültig aus. Die anderen hatten kein Interesse daran, für die Frau ohne den Jungen als Genvergleichsmuster einen müden Dollar zu bezahlen. Wenn Laroche wolle, daß er für die Geisel irgendeine Gegenleistung bekommen solle, müsse er wohl den Staat angehen, hatte ihm Clayton, ein Gangsterboss aus Arizona, mit ironischem Unterton empfohlen.

Natürlich wollen die den Jungen haben und nicht die Frau", knurrte Laroche. Doch wo der steckte hatte sie nicht sagen können oder wollen. So blieb ihm nur, sie einstweilen auf Eis zu legen, besser, sie genauso einzulegen wie den FBI-Mann, über den er sich immer noch wunderte. Was sollte dieser Holzstab, den er vor der Betäubung noch zu ziehen geschafft hatte? Die elektronische Prüfung hatte keine Signale oder elektronische Bauteile darin erkennen können. Allerdings hatte der Sensor einmal durchgedreht, als er mit höherer Geschwindigkeit über den schlanken Stab hinweggezogen wurde. Es war so, als umgebe dieses Ding ein sehr schwaches Energiefeld, daß nur wirkte, wenn sich etwas elektronisches sehr schnell darin bewegte. Doch das mochte an dem Sensor liegen, weil ja sonst eine Energiequelle oder zumindest ein Schwingquarz als passiver Verstärker hätte eingebaut sein müssen.

"Nun dann, Madame Andrews, ich hoffe, Sie ruhen friedlich, bis ich sie wieder verwenden kann", dachte Laroche und ging zu seiner Geisel hinüber.

__________

Es hatte lange gedauert, bis ihr treuer Diener, der Mann, den sie sich unterworfen hatte, aus der tiefen Bewußtlosigkeit wieder aufgewacht war. Hallitti hatte in der Zeit darüber nachgedacht, wie der Sohn dieses Mannes den Kontakt hergestellt hatte und wodurch er wieder abgerissen war. Dann hatte sie es verstanden. Mit Hilfe eines Kreises aus dem Blut des Jungen, mit diesem im Zentrum und einer Beschwörungsformel, vielleicht sogar einem Ritual, war die Verbindung zu Richard Andrews hergestellt worden. So konnte sie auch die Verbindung zu dem Jungen herstellen. Ja, sie erinnerte sich, wie die magischen Ströme beschaffen waren, die ihn hier in ihrer Höhle erreichen konnten, durch die Barriere aus dunkler Zauberkraft, die im Felsgestein verankert war. Sie brachte Richard nach draußen auf einen Felsen, entnahm ihm etwas Blut, malte damit mehrere Zeichen, die für die Himmelsrichtungen standen und konzentrierte sich. Ja, jetzt bekam sie die übernatürlichen Energien hin, die jenen Strom gebildet hatten, über den Julius' Rufen zu ihnen gelangt war.

"Rufe deinen Sohn!" Befahl Hallitti. "Er wird mir helfen, dich von dem gebrechlichen Körper zu befreien und dir einen jungen, starken Körper zurückzugeben", sagte Hallitti eindringlich. Dann berührte sie Richard und schickte den Zauberkraftstrom in ihn und aus ihm in das Raum-Zeit-Gefüge hinaus, wobei der Kreis aus mit Blut gemalten Zeichen die Konzentration der Kräfte verstärkte. Es dauerte nicht allzu lange, da war der Kontakt hergestellt. Hallitti fühlte erst die glückselige Erregung, die Julius durchströmte und dann die Panik, die ihn ergriff, als er merkte, daß sie ihn nun gefunden hatten. Doch er hatte schon verraten, wo er war. Richard kannte diesen Ort, und so konnte Hallitti mit ihrem Abhängigen zeitlos dort hinreisen. Doch für den Rückweg mußten sie mehr Zeit einplanen.

"Wie kann man am schnellsten hierher zurückkehren?" Fragte Hallitti, während sie Richard als genauen Standortanzeiger verwendete.

"Nur mit dem Flugzeug", sagte er.

"Dann werden wir uns eines besorgen. Ein kleines Flugzeug, das nicht für Linienflüge zuständig ist. Weißt du, wo der Flughafen ist?"

"Ja, weiß ich", sagte Richard. Doch in dem Moment hatte Hallitti es auch schon aus seinen Gedanken herausgelesen.

So begaben sie sich zum Flughafen, wo sie eine Privatmaschine fanden, deren Besitzer in Kalifornien lebte. Das kleine Flugzeug sollte noch am Abend nach Los Angeles zurückgeflogen werden. Was kümmerte es die Tochter des dunklen Feuers, wenn der Pilot ein anderes Ziel anfliegen würde. Sie suchte und fand ihn in einer Bar, wo er sich mit Kaffee munter machte. Hallitti trat an ihn heran und sprach zu ihm:

"Hallo, fescher Knabe. So allein unterwegs?"

"Öhm, im Moment ja", antwortete Maurice Greene, der Pilot. Er glaubte zu träumen, als er diese überragende Schönheit im weißen Kleid vor sich sah, deren langes, feuerrotes Haar ihr fließend den Rücken hinabreichte. Der Glanz der goldenen Augen, die keine Sekunde vorher noch braun gewesen waren, ließ ihn schwindelig werden. Dann, als träume er tatsächlich, fühlte er sich sehr befreit von allen Sorgen und hörte eine innere Stimme.

"Warte mit deinem Flugzeug bis ein Mann, ein Junge und ich zu dir steigen. Gib vor, Probleme mit dem Antrieb beheben zu müssen und erbitte dann die Erlaubnis zum Flug! Dann bringst du uns in die kalifornische Wüste!" Diese Befehle kamen immer wieder bei ihm an, immer stärker aber dafür auch wie eine großartige Verheißung. Greene nickte nur. Er sah der Fremden nach, die die Bar verließ. Doch ihre Befehle wirkten in ihm wie ein unabänderliches Programm. Er konnte nicht anders als sie auszuführen.

__________

Dana Moore verfolgte den Jungen, der aus dem Haus Ardentias davonlief. Zweimal mußte sie so fliegen, daß er sie sehen mußte. Doch sie blieb hinter ihm, wenngleich ihre Flügel schon an die Grenze der Belastung stießen. Dann wurde er langsamer. Dana konnte sich etwas zurücknehmen. Schließlich blieb er einfach stehen und schien zu überlegen, was er tun sollte. Da kam eines dieser Taxis angefahren, und heraus kletterte ein uralt aussehender Mann in einem neuwertigen, englischen Maßanzug. Das war er, Richard Andrews. Dana spürte auch instinktiv, daß die Kreatur, die ihn seit wohl bald einem Jahr kontrollierte in unmittelbarer Nähe sein mußte. So dachte sie daran, besser zu flüchten, wenn sie mehr als nur ein unbehagliches Gefühl verspüren sollte. Julius Andrews versuchte seinen Vater niederzuschlagen. Doch das gelang nur scheinbar. Zwar fiel Richard Andrews zu Boden, stand aber sofort wieder auf. Der Junge versuchte, sich selbst im Wagen einzuschließen. Doch Richard Andrews setzte ihm nach und drückte ihn auf die andere Seite. Dana erkannte eine winzige Chance und nutzte sie. Sie schwirrte in den Wagen hinein, schlüpfte rasch in eine Ritze der Rückbank und verbarg sich dort, während mit dumpfem Schlag die Hintertür zugeschlagen wurde, was den ganzen Wagen erbeben ließ. Dann ging die Fahrt auch schon los. Sie wollten zum Flughafen.

"Was wird das, wenn es fertig ist, Mörder?" Fragte Julius provozierend.

"Das wirst du Rotzbengel von einem Zauberer erleben", schnauzte sein Vater ihn an. Für Dana Moore klang die Stimme des Mannes nicht nur gebrechlich, sondern vor allem gnadenlos. Ja, was Julius erleben würde, konnte Dana sich denken.

__________

Anthelia flog unsichtbar für Augen und Radar auf das Gebäude zu, das Laroche als sogenannten Laborbunker betrieb. Da sie wußte, daß sie mit dem Besen im Haus selbst nicht so beweglich sein würde, landete sie einen halben Kilometer vor dem Haus und versteckte den Besen in einem Busch. Den Rest flog sie als Krähe. Da krachte es laut wie ein Kanonenschlag. Eine Welle aus Wehklagen brandete durch Anthelias telepathisches Bewußtsein. Irgendwo war etwas explodiert, das jemandem schweren Schaden zugefügt hatte. Sie landete auf dem Dach und lauschte in das Haus hinein. Dort herrschte eine Stimmung wie vor einer Schlacht. Sie suchte nach Gedanken, die mit den Namen Martha Andrews und Zachary Marchand zu tun hatten. Ja, da waren Gedanken an sie, daß sie gerade eingekerkert würde. Sie versuchte, den Standort mit dem Exosenso-Zauber zu erkunden, indem sie sich auf Martha Andrews einstellte. Es klappte, besser als ihr wohl lieb sein konnte.

Sie fühlte alle Sinne Marthas, spürte einen merkwürdigen Druck in den Lungen, wie diese etwas ein- und ausatmeten, das reines Wasser sein mochte. Sie schwamm in etwas, das eine sehr große Kugel sein mochte, hörte ein den ganzen Körper durchdringendes, rhythmisches Summen und Rauschen um sich herum, bis mit lautem Klackern ein schwerer Deckel geschlossen wurde. Sie war gefangen. Durch die fremdartige Flüssigkeit konnte Anthelia mit Marthas Augen nicht viel erkennen, nur den verschwommenen, langen Schatten von etwas, das wohl an ihrem Bauch mit ihr verbunden war. Das Summen und Rauschen stieg langsam in der Tonhöhe an, während sie von außen noch das rhythmische Summen einer Warnvorrichtung hören konnte. Doch auch dieses Summen stieg in der Tonhöhe und Geschwindigkeit an, wie alle anderen Geräusche auch. Was ging da vor. Martha konnte sich nicht bewegen, sie trieb hilflos in dieser großen Kugel voller Wasser. Welche Barbarei hatten sich die Unfähigen ausgedacht, oder sollte es am Ende eine Art Lebensverlängerungsmaschine sein? Anthelia vermeinte, eine unzulängliche Nachahmung jenes Prozesses zu erleben, dem ein ungeborenes Kind im Leib seiner Mutter unterworfen ist. Die Töne wurden höher und schneller, dabei aber immer leiser. Anthelia verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, bis ein greller Schmerz in ihrem Kopf explodierte und sie aus der Exosenso-Verbindung herausgedrängt wurde.

Anthelias erster Reflex war, sich den Kopf zu halten. Doch mit den Flügeln, die sie im Moment besaß, ging das nicht. So mußte sie warten, bis die Kopfschmerzen nachließen.

"Was haben diese Kurpfuscher mit der Frau getrieben, daß die Verbindung zu ihr mich derartig peinigt?" Fragte sich Anthelia. Da krachten um sie herum Schüsse, Explosionen und das Schwirren größerer Geschosse. Sie öffnete die Augen und blickte sich um. Sie war von einem Moment zum Nächsten in eine Schlacht geraten, die alles in den Schatten stellte, was sie im dreißigjährigen Krieg bei den Unfähigen zu sehen bekommen hatte. Sie horchte erneut auf Gedanken von Laroche und diesem sogenannten Heilkundigen, den ein merkwürdiges inneres Verlangen umtrieb. Laroche war nicht mehr im selben Raum, er befand sich bei zwei Kumpanen, die den Abwehrkampf gegen die Ordnungshüter und ihre Waffenbrüder von der Nationalgarde bestritten.

"Warum tritt er nicht nach draußen und führt seine Räuberbande selbst in die Schlacht?" Fragte sich Anthelia, die immer noch nicht recht wußte, was bei ihrer Exosenso-Zauberei geschehen war. Sie erkannte, daß dieser Mensch, der die seelenlose Apparatur steuerte, gerade allein und für seinesgleichen unerreichbar war, eingesperrt oder geborgen. Sie beschloss, die Gefangene aus jener Wasserkugel herauszuholen und verwandelte sich in ihre ursprüngliche Gestalt zurück, um sofort danach zu disapparieren.

Ein FBI-Agent, der gerade mit einem Nachtzielfernrohr das Dach nach Scharfschützen absuchte, traute seinen Augen nicht, als für einen winzigen Moment eine Frau am Rand des Schornsteins hockte, die dann einfach verschwand. Er hielt es für Einbildung und hatte gleich völlig andere Gedanken, da in diesem Moment ein Panzerfaustgeschoss heranschwirrte und genau vor seinen Füßen einschlug. Die Explosion, die seinen Körper zerfetzte, hörte er schon nicht mehr.

__________

Patricia Straton prüfte, ob sich die drei achtzig Zentimeter dicken und dreihundert Zentimeter langen Balken auch einschrumpfen ließen, ohne ihre Festigkeit zu verlieren. Sie hatte mit ihrer Mutter und Delila Pokes zusammen das Durolignum-Elixier angerührt und den Inhalt des großen Kessels in einen dreieinnhalb Meter langen Bottich gefüllt, etwas Wasser dazugegeben und jeden Balken für fünf Stunden und dreiundvierzig Minuten darin gebadet. Die Balken selbst hatten sie aus einem Sägewerk organisiert. Anthelia wollte, daß man die Höhle Hallittis, wenn sie sie gewaltsam würden öffnen können, offen hielt und deshalb drei starke Balken als Keile in die Öffnung trieben. Das Elixier verlieh Holz eine zwölfmal höhere Festigkeit und Unnachgiebigkeit. In australischen Zaubererhäusern und bei den Schiffen der Fliegenden-Holländer-Linie wurde nur derart behandeltes Holz verbaut.

"Centinimus!" Rief Patricia und ließ ihren Zauberstab von oben nach unten schwingen. Der Balken vor ihr wurde zu einem Holzspan, gerade so groß wie ein Streichholz und knapp einen Zentimeter dick. Sie nahm einen unbehandelten Balken, den sie vorhin schon eingeschrumpft hatte und bog ihn um, bis er brach. Dann nahm sie den eingeschrumpften Balken und versuchte ihn zu biegen. Was vorhin mit einer Hand ging, ging jetzt noch nicht einmal mit zwei Händen. Sie würde einen Extrahebel ansetzen müssen, um den Balken zu brechen.

"Okay, die Festigkeit bleibt bestehen, Mutter und Schwester", sagte Patricia. So schrumpfte sie auch die anderen Balken ein und verstaute sie.

"Was will die höchste Schwester noch tun? Ohne die Kristalle haben wir überhaupt keine Chance", meinte Delila Pokes.

"Sie wird schon rechtzeitig zurückkommen", sagte Pandora Straton. Julius ist erst vor zehn Minuten entführt worden. Ardentia ist gerade bei diesem Supermarkt angekommen, wo sie etwas zu essen kaufen sollte. Wenn sie ihn nicht apparieren kann, muß sie Muggelflugzeuge verwänden, und der Flug wird wohl seine zwei Stunden benötigen, wenn nicht noch mehr, um nach Kalifornien zu gelangen. Wir haben also noch etwas Zeit."

"Wenn du es sagst, Mutter und Schwester. Hat Julius Andrews einen Verdacht geschöpft, als er dir über den Weg gelaufen ist?" Mentiloquierte Patricia Straton. Denn sie wollte Delila nicht in das Geheimnis einweihen, daß außer ihrer Mutter nur sie und Anthelia kannte.

"Er wäre fast über mich gestürzt. Aber sein Körpertraining ist sehr gut, muß ich sagen. Beinahe hätte er mich sogar mitgenommen", mentiloquierte Pandora Straton zurück.

"Wirklich? Gut zu wissen", erwiderte Patricia auf unhörbare Weise.

"Die anderen Schwestern treffen gerade ein", meldete Izanami Kanisaga, die sich ebenfalls eingefunden hatte, um den Kampf gegen die Abgrundstochter zu führen. Auch Romina Hamton war mit von der Partie, so wie zehn weitere Hexen, die alle gut in Zauberkunst und Flüchen waren, darunter zwei aus Japan, die Izanami für den Orden gewinnen konnte. Sie versammelten sich im Weinkeller der Daggers-Villa und warteten geduldig auf ihre Anführerin.

__________

Alexander Fox, alias Salu Renard, stand vor den sechs Kugelkammern seines bionischen Uterus-Simulators. Er hörte die dumpfen Explosionen und die Schüsse. Er prüfte, ob die Stromversorgung für die Anlage auch wirklich eigenständig arbeitete. Der hinter einer dicken Mauer und zwei feuerfesten Panzertüren stehende Generator mit dem großen Dieseltank würde noch für einen Monat den nötigen Strom liefern, um die Schleuse, die Beleuchtung, die Luftversorgung und die Aggregate des BUS-Systems in Betrieb zu halten.

Ein dumpfer Knall über ihm ließ den Arzt in der Maske einer aufreizend geschminkten Frau mit schwarzem Haar zusammenfahren. Er fragte sich, ob er hier lebend herauskommen würde. Sicher, der Patron würde alles an Waffen benutzen was er hatte. Doch was wäre, wenn die Angreifer schwere Militärwaffen benutzten? Sicher, hier unten war er sicher vor mittelschweren Bomben oder Granaten. Aber was half es, wenn er ein Gefangener war, von Feinden umzingelt?

Um sich abzulenken betrachtete er noch einmal die Gefangenen, die in seiner Maschine lagen. Martha Andrews' Körperfunktionen waren nun auf ein Zehntel verlangsamt worden. Langsam begannen ihre Beine, sich zu krümmen, die Arme glitten träge über ihren Körper.

"Ich sichere den Computer", dachte Fox und ging an die Steueranlage, um einen Sperrcode einzugeben. Da ploppte es hinter ihm wie ein aus einer Magnumflasche springender Champagnerkorken. Er wandte sich um. Eine Frau in einem Umhang stand vor ihm. Der Umhang glänzte im roten Licht dunkelrot, und das Haar der Fremden wirkte rötlichbraun wie Ingwerkekse.

"Ich würde denen, die du in diese Gerätschaft gezwungen hast die Möglichkeit lassen, ihre Freiheit wieder zu erlangen, Alexander Fox, Brecher des Eides, den du einst geschworen hast, um in den Stand der Heilkundigen einzutreten", sagte die Fremde mit einer mittelhohen, warmen Altstimme. "Du hast mich sehr gut genarrt mit diesem Machwerk. Was soll das darstellen?" Sie deutete auf die sechs drei Meter durchmessenden Kugeln des BUS-Komplexes.

"Wie kommen Sie hier rein?" Gab Fox erschrocken von sich. Er verzichtete auf eine feminine Ausdrucksweise.

"Das übersteigt vielleicht deine Vorstellungskraft, Alexander. Ebenso wie ich weiß, wer du bist, nicht diesen lächerlichen Künstlernamen, unter dem du anderen ein falsches Geschlecht vorspielst", erwiderte die Fremde, die trotz Mauern und dicker Schleusentore einfach bei ihm stand. Sie blickte auf die Kammer, in der Martha Andrews lag. Alexander Fox dachte daran, daß er sich wohl diese Erscheinung einbildete. Eine Form durch den Kampf dort draußen ausgelöster Schutzreflexe seiner Psyche, die gegen einen Anfall von Platzangst und Hilflosigkeit kämpfte. War das Virginia, sein geheimes Alter-Ego, das sich ihm in dieser Frau zeigte. Er hatte von solchen Fällen gehört, wo Leute mit unterdrückten Persönlichkeiten solche Halluzinationen hatten, wenn sie in psychische Ausnahmesituationen gerieten.

"Mein Name ist nicht Virginia, sondern Anthelia", sagte die Fremde, als habe sie Alexanders Gedanken gelesen. Er schüttelte den Kopf. Das konnte nur eine Einbildung sein. Alle Logik und die Physik dieses unterirdischen Raumes verneinten die Existenz dieser Frau, die ohne die Schleusentore benutzt zu haben da stand. Er ging auf sie zu und schlug mit der flachen Hand nach ihrem Gesicht. Sie fing den Schlag mit der rechten Hand ab und hielt den Arm fest. Mit der anderen Hand kniff sie ihm so schmerzhaft in die Wange, daß er einsehen mußte, daß sie keine Einbildung war. Aber dann war es noch unheimlicher. Diese Frau war durch Panzertüren und Wände gegangen, ohne sie zu öffnen. Nein, sie war aus dem Nichts aufgetaucht, hatte sich materialisiert. Dann war das eine Außerirdische oder eine Mutantin.

"Weder bin ich ein Wesen von einem anderen Sternensystem, falls solch eines überhaupt einmal danach trachtet, diese Welt zu besuchen, noch bin ich ein durch Erbgutveränderung entstandener Wechselbalg, Alexander Fox. Oder soll ich dich Virginia nennen?" Erkundigte sich die Frau, die sich Anthelia genannt hatte und ließ den Arm des BUS-Erfinders wieder los.

"Woher wissen Sie dann alles und können einfach in einem Raum auftauchen. Oder wollen Sie mir jetzt verkaufen, Sie seien eine Hexe?" Fox lachte künstlich über diese Bemerkung.

"Aber so ist es", erwiderte Anthelia. Dann deutete sie wieder auf die Kugelkammer, in der Marthas fast regloser Körper schwamm. "Dieser Frau wegen bin ich hier. Du und dein Räuberhauptmann habt sie in einen widerlich künstlichen Apparat eingekerkert und mit unzulänglichen Methoden gebändigt. Wozu soll es gut sein, eine große Gabe, die die Natur nur den Frauen geschenkt hat, mit seelenlosen Gerätschaften nachzuäffen?"

"Diese Anlage ist nicht unzulänglich, und die Probanden, die darin liegen können über Jahre ohne körperliche Schädigung am Leben gehalten werden. Aber wozu erzähle ich Ihnen das? Was wollen Sie hier?"

"Wie gesagt bin ich wegen dieser Frau dort hergekommen. Du hast mich mit ihrer Einkerkerung schön genarrt, weil ihre immer langsamer laufenden Körperfunktionen mich verwirrt haben, als ich über sie erkunden wollte, wo sie gerade ist. Dabei habe ich wohl mein eigenes Gefühl für Raum und Zeit verloren, bis sie halbohnmächtig war. Kannst du sie aus diesem Ding herausholen und erwecken?"

"Der korrekte Wiedergeburtszyklus würde vier Stunden dauern, da die Absenkung der Körperfunktionen nicht so schnell korrigiert werden kann wie die Absenkung selbst vorgenommen wurde. Schneller geht es im Moment nicht, gnädigste." Anthelia sah ihn eindringlich an und nickte dann widerwillig.

"Du hast Experimente mit anderen Lebensformen gemacht. Was versprichst du dir davon? Wolltest du deiner sich im falschen Körper geborenen Seele die Genugtuung bieten, ohne den Körper zu verändern neues Leben hervorzubringen?"

"Nein, wollte ich nicht. Das will ich nicht", protestierte Fox. "Ich wollte den Lebenserhaltungsprozess, wie er in der Natur in allen weiblichen Säugetieren stattfindet, wenn sie Leben tragen, auch für Erwachsene nutzbar machen, um sie durch Zeiten großer Gefahren oder Entbehrungen zu bringen. Ich halte die Fähigkeit, neues Leben zu empfangen und hervorzubringen für eines der größten Geschenke der Natur."

"Deshalb wolltest du nie den Körper deinem inneren Bedürfnis anpassen", vermutete Anthelia, während hoch über ihnen der Kampf um dieses Gebäude tobte.

"Es geht nicht. Kein Mann, der sich einer Umwandlung unterzieht, kann eigene Kinder bekommen. Das fehlt noch. Die verpflanzung von inneren Geschlechtsorganen in einen vormals männlichen Körper ist von allen Moralhütern der Medizin geächtet. Es dürfen nur plastische Veränderungen vorgenommen werden, die das äußere Erscheinungsbild und die Stimme verändern."

"Soso, ihr könnt sowas nicht vollständig verändern", lachte Anthelia. "Das liegt daran, daß ihr nicht alles machen könnt, wozu Magie gebraucht wird. Du kannst also den Vorgang nicht beschleunigen, um sie freizulassen?"

"Nein, kann ich nicht. Außerdem will der Patron das nicht, daß ich sie wieder freilasse, bevor er sie nicht selbst freilassen will", sagte Fox, der sich nun sehr unbehagt fühlte. "Die zweite Möglichkeit wäre, sie durch das Notabbruchprogramm aus der Kammer zu holen. Aber dann müßte sie künstlich beatmet und ernährt werden, mindestens einen vollen Tag lang, wenn das richtige Gegenmittel in der richtigen Dosierung verabreicht wird. Aber wozu sage ich Ihnen sowas? Sie kennen sich doch gar nicht damit aus."

"Besser als du dir auch nur im Ansatz vorstellen magst", erwiderte Anthelia überlegen lächelnd. "Ich könnte es dir beweisen, indem ich dir deinen innigsten Wunsch erfülle, mit allen Fähigkeiten und Empfindungen. Ich selbst bin der beste Beweis, daß es gelingt."

"Sie wollen mir doch nicht erzählen, Sie könnten mich durch Zauberei in eine richtige Frau verwandeln, die alles kann, was eine Frau kann?" Lachte Fox. Da zog Anthelia einen im Rotlicht glitzernden Stab aus ihrem Umhang und deutete auf ein Regal, in dem steril verpacktes Chirurgenbesteck lag. Ein Skalpell flog heraus und landete vor ihr auf dem Boden. Eine schnelle Bewegungsabfolge des Stabes machte aus dem scharfen Instrument ein weiches Kissen. Alexander Fox erbleichte soweit es seine Schminke zuließ. Das war echte Zauberei, kein Trick. Also stimmte es auch, wie diese Frau in dieses Haus geraten war.

"Vanesco Solidus", sagte die Fremde mit auf das Kissen gerichtetem Zauberstab. Ein Plopp, und es war einfach fort.

Fox verstand nun. Also war Marchand auch ein Zauberer. Immerhin hatte er diesen Holzstab in der Hand gehabt. Dann hatte er ihn wohl in letzter Sekunde daran gehindert, irgendwas zu zaubern oder selbst zu verschwinden.

"In Ordnung, ich glaube Ihnen. Aber wenn Sie die Frau nicht wieder wachhexen können, kriegen Sie sie nicht."

"Dein Patron aber auch nicht. Er flüchtet gerade. Die Übermacht ist zu groß", sagte Anthelia. Dann meinte sie noch: "Schreibe auf, wie dieser Wiederbelebungsvorgang eingeleitet werden kann!"

"Ich habe kein Schreibzeug hier", sagte Fox. Anthelia verzog das Gesicht. Dann befahl sie: "Dann schalte selbst diese Anlage auf Wiederbelebung, alle Kammern!"

"Der Patron will das nicht. Aber wenn Sie mich vor ihm beschützen, gerne", sagte Fox, der wußte, daß die unheimliche Frau vor ihm mehr Macht hatte als Laroche. Es sei denn, er nahm ihr den Zauberstab fort und ... Unvermittelt konnte er sich nicht mehr von der Stelle rühren. Die Hexe hatte nur kurz den Zauberstab auf ihn gerichtet, und jetzt stand er da, ohne einen Finger rühren zu können.

"Ich mache dir ein Angebot. Ich verhelfe Virginia zu ihrem gewünschten Körper, wenn sie fortan für mich arbeitet, als Kundschafterin in der Welt der Magielosen. Allerdings sollte Alexander sich von diesem Unfähigen, dieser feigen Ratte Laroche lossagen und mir die Befehlsabfolge verraten, die mir hilft, sein unzureichendes Machwerk außer Funktion zu setzen und alle darin gefangenen zu ihrem Leben zurückzuverhelfen. Denke also die Abfolge der Befehle, mit denen ich diese Apparatur hier nach meinem Wunsch umsteuern kann!"

Fox dachte erst verächtlich, daß er eigentlich keine Lust hatte, Virginia einen weiblichen Körper bekommen zu lassen. Andererseits hörte er von draußen immer wilderen Kampflärm. Offenbar waren die Eindringlinge doch besser bewaffnet oder in größerer Zahl vorgerückt als Laroche erwarten konnte. So dachte er die Befehlsabfolge und wunderte sich, wie rasch Anthelia den Computer bediente. Dann piepte es, und auf dem kleinen Bildschirm erschien in Rot die Meldung:

"Zugangscode ungültig, Erste von drei Verwarnungen vor Totalabschaltung des Systems."

"Das kann nicht sein. Der Code stimmt", dachte Fox. Anthelia sah ihn durchdringend an. Er dachte an die Programmierung des Computers, wie er den Wiederbelebungsvorgang, bei dem er einen anderen Code benutzte immer wieder simuliert hatte. Ja, Laroche und ein unscheinbar wirkender Leibwächter hatten ihm dabei zugesehen.

"Dein lieber Patron mißtraute dir, wie es seine Art ist. Er hat den Wiederbelebungsvorgang mit einem eigenen Schlüssel versehen, auf daß du ohne seinen Willen nicht die Eingekerkerten befreien kannst. Doch der Feigling ist geflohen. Ich erfasse ihn nicht mehr. Hast du ihm den Notabbruch gezeigt?"

"Nein, dachte Fox. Denn sprechen konnte er im Moment nicht, weil sein Mund genauso unbeweglich war wie der restliche Körper. Anthelia nickte.

"Dann werden wir es denen überlassen, denen es gelingt, hier einzudringen, den Notabbruch einzuleiten. Ich danke dir für deine Hilfe. mein Angebot gilt jedoch noch. Willst du es annehmen?"

"Was habe ich noch zu verlieren?" Dachte Alexander. Virginia, die sich über Jahre hinweg unterworfen hatte, rief in ihm, sie wolle endlich sie selbst sein. Anthelia nickte und deutete mit dem Zauberstab auf Alexander Fox. Er dachte zuerst, sie würde den Umwandlungszauber an ihm vornehmen, doch sie sagte nur: "Stupor", und ein roter Blitz fegte Alexander Foxes Bewußtsein fort.

__________

"Höchste Schwester, wir sind versammelt und warten", mentiloquierte Patricia Straton, gerade als Anthelia den Wiedererweckungsvorgang einleiten wollte. Sie gab die Befehle in den Computer ein und erhielt eine Warnung, daß dieser Code nicht gültig sei und die vermaledeite Maschine nach der dritten Warnung wohl den Dienst versagen würde, was bestimmt den Tod der darin gefangenen Menschen herbeiführte. Dann entschied sie sich, daß Martha Andrews jetzt wohl zweitrangig war, wenn sie eh nicht so schnell herausgeholt werden konnte. Sicher, sie könnte die Kugelkammer aufzaubern, die Flüssigkeit ablaufen lassen, sie herausholen, die Nachahmung einer Nabelschnur von ihr lösen, die dabei entstehende Wunde heilen und hoffen, daß sie sich von selbst erholte. Doch wenn dieser Magieunfähige recht hatte, dann mußte sie künstlich beatmet werden, damit die verlangsamten Körperprozesse nicht zum Erstickungstod führten. Sie hatte schlicht keine Zeit dafür, einen vollen Tag zu warten. Also beschloss sie, daß die Gefangenen hier bleiben sollten. Aber diesen Unfähigen, der mit seinem Körper unzufrieden war, wollte sie gerne kultivieren, sollte sie diese Nacht überleben. So schockte sie ihn, verkleinerte ihn auf ein Zehntel seiner normalen Größe und disapparierte mit ihm direkt zu ihrem Besen. Sie sprang auf und flog davon. Mit höchstgeschwindigkeit brauste sie eine halbe Stunde lang in Richtung Dropout. Dann landete sie, disapparierte erneut und erschien im Weinkeller der Daggers-Villa, die sie vor den Apparitionsspürern der Strafverfolgungszauberer schützte, weil sie durch den Fidelius-Zauber nicht zu finden war.

"Höchste Schwester, was beabsichtigt ihr mit diesem Mann?" Fragte Delila Pokes, als Anthelia den verkleinerten Alexander Fox wiedervergrößert und ihm die Brustattrappen und die Schminke entfernt hatte.

"Er will eigentlich eine Sie sein und wird hier darauf warten, bis ich diesen Wunsch erfülle, damit sie für mich als Kundschafterin in der Welt der Unfähigen arbeitet. Es hat sich erwiesen, daß ich nicht nur Zauberkundige, sondern auch Unfähige als gute Kundschafter kultivieren muß. Sie, die jetzt noch ein Er ist, wird tief in meiner Schuld stehen. Aber zuvor lasst uns die vermaledeite Kreatur jagen!" Sagte Anthelia und bettete Alexander Fox auf den Tisch, auf dem ihr Körper vor etwas mehr als einem Jahr selbst eine Umwandlung erfahren hatte, bevor Anthelias Seele in ihn einkehrte.

"Wo hast du ihn her, wenn ich fragen darf, höchste Schwester?" Wollte Izanami Kanisaga wissen.

"Er hat die Mutter des Jungen in einen verwerflichen Mechanismus gebettet, der eine lächerliche Nachahmung des Lentavita-Zaubers bewirkt und Menschen über Monate hinweg mit Nahrung über den Blutkreislauf versorgt. Sie sollte mir an und für sich als zweite Verbindung zu dem Jungen dienen. Doch dieser Mensch hier hat im Auftrag eines Räuberhauptmanns der Unfähigen ihre Gefangenschaft in diesem Apparat eingeleitet. Ich überlasse sie den Unfähigen, ob ihre Heilkunst sie am Leben erhalten oder dem Tode preisgeben wird. - Brechen wir auf, Schwestern!"

Sie verstauten alles, eine Strickleiter, die drei mit Durolignum-Elixier behandelten Holzbalken und die zehn Incantivakuum-Kristalle. Dann nahmen sie insgesamt neun Harvey-Besen mit, auf denen sieben Paare und zwei Einzelfliegerinnen sitzen sollten, wenn sie in der Nähe des von Jane Porter und Julius Andrews gefundenen Ortes apparierten.

"Schwester Dido schläft?" Fragte Anthelia und bekam ein Nicken zur Antwort.

"Auf dann, Schwestern, befreien wir die Welt von Hallittis Unersättlichkeit!"

__________

Ardentia kehrte erst in das Haus in Houston zurück, wo sie Julius nicht mehr vorfand. Dann wartete sie mehr als zwei Stunden, bevor sie ihren Besen nahm und nach Baton Rouge flog, wo ihr eigentliches Wohnhaus stand. Von dort aus schickte sie eine Eule an Davidson, sie habe Julius verloren, da das Haus wohl doch nicht so gut gegen Fernbeeinflussungszauber geschützt gewesen sei, wolle aber versuchen, ihn über Exosenso-Verbindung zu erreichen, womöglich auch zu mentiloquieren. Als die Antworteule mit dem Befehl eintraf, sie solle in ihrem Haus bleiben, schickte sie sie zurück und bestätigte, daß sie keine Exosenso-Verbindung zu ihm bekommen konnte und warte, was das Institut unternehmen würde.

__________

Davidson fragte seine Leute, ob sie bereit seien, nach Kalifornien zu reisen. Zehn von Ihnen erklärten sich bereit. Sie steckten ab, wo ungefähr der Schlupfwinkel sein mochte und disaparierten. Davidson blieb im Institut. Als er zehn Minuten später eine Eule erhielt, daß man seine Leute in der Nähe von Barstow, kalifornien festgenommen habe, weil sie gegen Swifts Befehl verstoßen hatten, auf eigene Faust loszuziehen, hieb er mit der Faust auf seinen Schreibtisch.

"Verdammt, Swift, mußten Sie meine Leute jetzt festnehmen!" Fluchte er. Mit dem würde er sich gleich richtig laut unterhalten. Er verließ das Institut auf einem Harvey 5 und flog damit Richtung Washington.

__________

Giles hatte nicht damit gerechnet, auf solch heftigen Widerstand zu stoßen. Landminen fingen bereits drei Fahrzeuge ab, bevor sie einen halben Kilometer an das Ziel herangekommen waren. Dabei fanden sieben Nationalgardisten und fünf vom FBI den Tod. Dann, als sie nur noch zweihundert Meter vor sich hatten, kamen Granaten und Raketen angeschwirrt, als führen sie durch eine Front im Krieg. Zwar konnten die gepanzerten Fahrzeuge die meiste Munition aus Maschinengewehren abhalten, doch gegen die schweren Sprenggeschosse hielten sie nicht lange genug durch. So kam es, daß ein Drittel der Angriffstruppe ausgefallen war, als sie endlich das Haus erreichten.

"Westen, Masken und Helme anlegen, wer's noch nicht getan hat!" Befahl Giles, der in einem Kommandowagen am Ende des Convoys fuhr. Dann machten die mitgenommenen Nationalgardisten ernst und feuerten ihrerseits mit schweren Waffen zurück, sodaß das solide Gebäude schnell ins Wanken kam. Als dann das Granatenfeuer vom Haus her ausblieb, liefen die Einsatztruppen in schweren Schutzwesten und mit Gasmasken und Stahlhelmen gesichert los. Sie nutzten die ins Mauerwerk gesprengten Löcher und andere Schlupflöcher, um ins Haus vorzudringen, wo sie auf nicht mehr all zu großen Widerstand trafen. Zwar meinten einige noch, sich mit Handgranaten und MPs aus der Situation befreien zu können, diese waren aber nach dem Verlust von zwölf Mann auf der Seite der Angreifer und dreißig Mann auf der Seite Laroches unschädlich gemacht.

"Auf Sprengfallen aufpassen!" Befahl Giles, während er nun selbst im Haus nach dem Rechten sah. Feuerlöschschaum bedeckte den Boden, da wo der Trupp aus FBI-Elitekommando und Nationalgarde Brandherde bekämpft hatte. Tatsächlich waren einige der Türen mit Minen versehen oder mit Selbstschußanlagen verbunden. Es dauerte eine Viertelstunde, bis alle Räume gesichert waren. Laroche, so stellte sich schnell heraus, war offenbar geflüchtet, als die schweren Geschosse der Garde sein Haus angekratzt hatten. Als man einen Einstieg in eine Art Ein-Mann-U-Bahn öffnen wollte, gab es einen Knall, und der Schacht stürzte ein.

"Jetzt wissen wir nicht, wo der hin ist", fluchte Giles.

"Wir haben ganz unten im Keller eine Art Schott gefunden wie in einem Atomkraftwerk oder U-Boot!" funkte Williams, einer der Nationalgardisten nach oben.

"Das ist ganz bestimmt auch vermint", dachte Giles. Dennoch fragte er, ob sie es öffnen könnten. Williams bestätigte das. Allerdings:

"... unter einer Stunde ist da nichts zu machen, Sonderagent Giles."

"Vielleicht hat sich Laroche da eingeigelt", vermutete Baker, ein anderer FBI-Agent.

"Wenn er nicht im restlichen Haus ist, dann kann er nur noch da oder weit weg von uns sein.

"Wir haben ein weiteres Labor gefunden. Jede Menge Chemikalien und ein leicht merkwürdiger Holzstab, der so aussieht, als hätte jemand ihn ausgehölt und eine dicke Tierfaser darin eingearbeitet", meldete FBI-Agent Jennings über Funk. Giles zuckte zusammen. Einmal hatte er Marchand einen solchen Stab in der Hand halten sehen. Der hatte ihn aber dann fortgepackt und behauptet, es sei ein Erbstück seiner Vorfahren, ein Talisman, dem nachgesagt würde, er habe seinem Großvater, der im Zirkus als Zauberer aufgetreten sei, als Ablenkungsrequisit gedient.

"Ich komme und seh mir das Ding an. Könnte Zachs Glücksbringer sein", funkte Giles. Dann ist oder war der hier.

__________

Da sie alle an verschiedenen Punkten Kaliforniens apparierten, fielen sie dem dortigen Überwachungszauberer nicht sonderlich auf, zumal sie weit von Muggelsiedlungen entfernt erschienen waren. Sieben Paare und zwei einzelne. Pandora war genauso alleine unterwegs wie Anthelia. Auf den Harvey-Besen strebten sie dem vorhin ausgemachten Sammelpunkt in der Nähe von Barstow zu. Sie alle trugen nun wieder ihre weißen Kapuzenumhänge. Nur Anthelia trug den rosafarbenen Umhang, der sie als Anführerin auswies. Nun hieß es abwarten.

Ganz früh am Morgen mentiloquierte Dana Moore, daß sie auf einem kleinen Flugplatz mitten in der Wüste gelandet seien und nun in ein Auto umstiegen. Hallitti habe sich dem Jungen gezeigt und ihn und seinen Vater in ein altes Auto verfrachtet, mit dem sie nun unterwegs seien.

Anthelia nahm Kontakt zu Ardentia auf, die die Spinnenschwestern an den ungefähren Punkt führte, wo das Auto wohl durchfahren mußte. Dort warteten sie, bis sie fernes Geknatter hören konnten, das sich näherte und dann vor ihnen vorbeizog, um keine Minute später mit einem Ruckeln zu versiegen.

"Schwestern, die Schlacht steht unmittelbar bevor", flüsterte Anthelia. "Fliegt mir nach!" Sie bezauberte ihren Besen so, daß er einstweilen nicht unsichtbar wurde und führte ihre Mitschwestern dorthin, wo das Geknatter zu hören gewesen war. Doch dort fanden sie nur einen Haufen roten Staub. Anthelia prüfte, ob es sich um Rost handelte, indem sie eine Prise davon aufnahm und "Repuriferrum", murmelte. Die Prise Staub klumpte zusammen und wurde zu einem Kügelchen aus reinem Eisen.

"Den muß ich auch noch lernen", bemerkte Patricia anerkennend.

"Falls uns die Tochter des Abgrunds die Gelegenheit läßt, überhaupt noch etwas neues zu erlernen", wisperte Anthelia. Dann flüsterte sie noch: "Schwester Patricia, du und Schwester Romina bleibt draußen. Sollte uns dort in der Höhle Ungemach widerfahren, flüchtet und vergesst Hallitti! lebt euer Leben ohne uns weiter!"

"Jawohl, höchste Schwester", sagte Patricia Straton erleichtert. Sie hatte es einmal mitbekommen, wie stark Hallitti sein konnte. Sich mit ihr anzulegen widerstrebte ihr. Andererseits hatte Anthelia recht. Diesem Ungeheuer mußte Einhalt geboten werden.

Dana Moore, die knapp einer Attacke Richard Andrews' entronnen war, stieß einige Meter hinter dem völlig zu Rost zerfallenem Auto zu ihnen und zeigte ihnen, in welche Richtung sie gegangen waren.

"Konntest du auf die Entfernung denn überhaupt was sehen, mitten in der Nacht?" Fragte Patricia Straton.

"Ich habe es geschafft, eine Exosenso-Verbindung aufrecht zu erhalten, als wir im Auto unterwegs waren. Julius hat ein merkwürdiges Armband am rechten Handgelenk, daß dieser Kreatur und ihrem Sklaven Schmerzen bereiten kann."

"Dies ist mir bekannt", sagte Anthelia. "Offenbar huldigt die Heilerin von Beauxbatons seine Fähigkeiten und hält ihn in ihrer Truppe. Aber das findet sich, wenn wir unsere Mission erfüllt haben."

Der Boden rumorte etwas. Ob es eines der in Kalifornien üblichen Erdbeben war? Dann bekam Anthelia eine Gedankenbotschaft von Ardentia.

"Er ist in der Höhle. zweihundert Meter in ostsüdöstlicher Richtung nach dem Aussteigen aus dem Wagen! Die Verbindung riss gerade ab."

"Auf dann!" Zischte Anthelia ihren Schwestern zu. Sie gingen vorsichtig, die Besen geschultertvoran, bis Anthelias Seelenmedaillon wild vibrierte. Das, so wußte die höchste Schwester, war das untrüglichste Zeichen, daß sie das Ziel erreicht hatten. Denn das Medaillon reagierte auf dunkle Kräfte und Kreaturen oder wich heilenden oder schützenden Zauberkräften aus. In diesem Fall zog das Medaillon bleischwer an Anthelias Nacken, als habe es sein Gewicht vervierfacht. Es strebte an den Ort, wo die dunkle Kraft wirkte.

"Schwester Patricia und Romina, ihr bleibt draußen!" Mentiloquierte sie den beiden jüngsten Mitschwestern zu. Diese gingen zwanzig Meter weiter und warteten dort. Anthelia, Pandora Straton, Delila Pokes, Izanami Kanisaga, Dana Moore, Drusilla Grover und Mara Beewing nahmen je einen kristall aus dem kleinen Ledersäckchen, in dem sie geruht hatten und legten sie zu einem Dreieck aus vier, zwei und einem Kristall von zehn Metern Seitenlänge aus. Sie hielten je einen Besen zum schnellen Aufstieg bereit. Dann hob Anthelia den Zauberstab und schoss einen blaugrünen Feuerball in die Luft. Sie bückten sich und berührten jeweils einen Kristall mit ihren Zauberstäben in dem Moment, wo der Feuerball fünfzig Meter über ihnen mit dumpfem Knall explodierte. Dann schwangen sie sich auf die Besen und stießen sich ab, um mindestens zwanzig Meter aufzusteigen. Unter ihnen blitzte ein Dreieck aus sieben gleißend silbernen Lichtern auf. Der Boden zitterte und riss der Länge nach auf. Ein Spalt von zwölf Metern Länge und drei Metern Breite klaffte nun im Boden und verbreiterte sich noch mehr.

Anthelia hatte ihnen allen bei der Warterei erklärt, daß sie sich sofort in die Höhle hineinstürzen sollten, wenn diese geöffnet war.

So stießen sie und fünf ihrer Schwestern hinab, während Delila Pokes die Strickleiter vergrößerte, die Balken auf ihr Normalmaß wachsen ließ und zusammen mit einer anderen zum Kampf befohlenen Schwester die Balken hinabsinken ließ, bis sich die Höhle wieder zu schließen begann und die Balken strategisch der Länge nach verteilt verkeilten. Delila steckte die drei Halteschlaufen der zwanzig Meter langen Strickleiter in drei lange Eisenfeiler und rammte diese mit Zauberkraft bis an ihr breites Ende in den Boden. An und für sich waren es mal Zimmermannsnägel gewesen, die durch den Ferrifortissimus-Zauber gehärtet und erst hier auf zwei Meter Länge vergrößert worden waren. Nun fiel die Strickleiter hinunter, während Delila mit dem Besen in die Höhle hinabtauchte, wo sie ihrem schlimmsten Feind entgegentreten sollte.

Anthelia sah Hallitti, wie sie gerade völlig unbekleidet vor Julius Andrews stand, der kurz davor gewesen war, sich mit ihr körperlich zu vereinigen. Dann sah sie den uralt aussehenden Mann, wie Dana ihn ihr beschrieben hatte. Er hing bereits mit den Armen über dem Rand eines aus sich selbst golden erstrahlenden Kruges. Das war Hallittis Lebenskrug, und der Greis, Richard Andrews, war dabei, sich hineinzustürzen. In einem Anfall aus Wut und Schrecken riss sie den Zauberstab hoch und deutete auf den Mann, der sich gerade in eine orangerote Substanz fallen lassen wollte. Ihre Telekinese wurde von dem Zauberstab wie von einer Antenne ausgerichtet und verstärkt, sodaß ihr Impuls, den Mann fortzureißen, mehr als heftig wirkte und ihn an den unversehrten Teil der Kuppeldecke schleuderte. Mit einem gedanklichen Abbremsimpuls ließ sie ihn wieder zu Boden sinken.

"Schwestern, kennt keine Skrupel!" Befahl Anthelia mit lauter Stimme.

__________

Catherine Brickston war wütend. Sie hatte mit ihrem Mann Joe bei amerikanischen Freunden von ihm gesessen und sich über den Ausgang des olympischen Fechtturnieres unterhalten, als sie mehrmals hintereinander die Gedankenstimme ihrer Mutter hörte, die ihr befahl, alleine zu ihr in das Hilton-Hotel zu fahren. Es sei wegen Julius. Sichtlich ungehalten, aber auch besorgt, was ihre Mutter nun hier in Atlanta machte, was mit Julius Andrews passiert sei und wo sie Babette gelassen habe, hatte sie Joe zugeflüstert, ihre Mutter sei da und habe eine Nachricht für sie, sie müsse zu ihr fahren. Joe hatte darauf gegrummelt, daß es Madame Faucon ähnlich sähe, ihnen doch noch den Urlaub zu verderben. Doch er hatte keine andere Wahl, als seinen Freunden mitzuteilen, Catherine habe ihrer Mutter versprochen, vor dem Ende der Spiele noch ein paar Besorgungen zu machen, wozu sie wegen der Besichtigungen nicht gekommen seien.

Dann im Hotel hatte ihre Mutter ihr eine heftige Predigt gehalten, sie habe ihr nicht erzählt, daß etwas mit Julius' Vater sei und ihr noch einen Packen Papier entgegengehalten, der aus lauter Text bestand, der Richard Andrews' Taten seit März behandelte. Ja, und ihre Mutter hatte ihr noch vorgehalten, sie sei sich ihrer Verantwortung für den Jungen nicht bewußt gewesen, was Catherine als Unverschämtheit empfand. Dann einigten sie sich darauf, Jane Porter selbst aufzusuchen.

Sie waren zu Joe zurückgefahren und hatten ihm erzählt, daß sie für wohl einen Tag weg müßten und er sich hinlegen solle. Als er Madame Faucon ansah und meinte, das sähe ihr ähnlich, ihn kaltzustellen, drohte sie ihm, er könne ja mitkommen, allerdings im Strampelanzug. Joe, von derartigen Erfahrungen heftig beeindruckt, willigte ein, sich in einen Zauberschlaf versetzen zu lassen, der bis zum morgen des vierten Augustes anhalten würde. Dann waren Catherine und ihre Mutter in eine stille Seitenstraße gegangen, wo Madame Faucon ihren Zauberstab hervorholte, aufleuchten ließ und fünfmal winkte. Mit lautem knall erschien ein himmelblauer Doppeldeckerbus mit Ziehharmonikagelenk und stoppte vor ihnen. Unterhalb der unteren Frontscheibe prangte das Emblem eines saphirblauen Vogels mit ausgebreiteten Flügeln. Zwischen den Frontscheiben stand in großen Buchstaben DER BLAUE VOGEL Nr.5. Eine Schwingtür klappte auf und der Schaffner des Busses, der eine mitternachtsblaue Uniform trug, sagte:

"Willkommen beim Blauen Vogel, dem schnellen Transport für Hexen und Zauberer. Sie winken, wir kommen! Und Sie werden gerne mitgenommen. Wohin soll es gehen, die Damen?"

"New Orleans, Weißrosenweg", gab Madame Faucon das Fahrziel an.

"Öhm, im Moment nicht möglich. Wegen einer Suche nach magischen Verbrechern ist der Weißrosenweg im Moment verbotenes Fahrziel", sagte der Schaffner bedauernd. "Können wir sie sonst wo absetzen, bitte?"

"Laveau-Institut", knurrte Madame Faucon.

"Hmm, Da können wir nicht halten, Ma'am, bedauere", sagte der Schaffner.

"Dann zum östlichen Pontchartrainufer, New Orleans", grummelte Madame Faucon. Der Schaffner nickte erleichtert, ein erlaubtes und erreichbares Fahrziel gesagt bekommen zu haben und winkte den beiden Hexen, einzusteigen.

"Was wollen wir denn am Pontchartrain-See?" Wisperte Catherine, als sie zum oberen Stockwerk hinaufgeklettert waren und sich auf eines der blauen Sofas gesetzt hatten, die hier an Stelle von Sitzen standen.

"Da wohnt Mr. Davidson. Mrs. Porter hat mir das einmal beschrieben. Ich finde das Haus wieder."

Die Fahrt dauerte eine Viertelstunde, in der der Bus mehrmals mit lautem Knall mehrere Kilometer übersprang, mal in Texas, mal in New Hamshire Fahrgäste ein- und aussteigen ließ, bis der Schaffner verkündete:

"Nächster Halt Pontchartrain-See, New Orleans!"

"Dann wollen wir mal", sagte Madame Faucon und verließ mit ihrer Tochter den Bus.

Mr. Davidson war nicht zu Hause. So blieb den beiden Hexen nichts übrig, als über Catherines Handy ein Muggeltaxi zu bestellen und zu einer Straße zu fahren, wo ein Zauberer aus dem Institut, Sean Flanigan wohnte, den Madame Faucon auch schon kennengelernt hatte. Der Sohn einer irischen Zaubererfamilie begrüßte die späten Gäste herzlich und tischte ihnen noch zu der späten Stunde was zu essen und Kürbissaft auf. Er hatte zwar gemeint, sie könnten auch Schnäpfeneierlikör haben, doch Madame Faucon hatte dazu nur gemeint, daß dies für aufschneiderische Hexen sei. Flanigan mußte darüber nur lachen und meinte, das müsse er seiner Großmutter mal erzählen, die jede Woche zwei Flaschen davon alleine niedermachte. Dann wurde er wieder ernst. Madame Faucon erzählte ihm, was sie wußte und daß er wohl wegen eines Eidessteinschwures nichts hätte sagen dürfen, aber jetzt die Lage sehr angespannt sei und der Zaubereiminister wohl verhindern wolle, daß außenstehende davon erführen.

"Oh, kein Problem, Madame Faucon. Ich kontaktfeuer mal die Stallwache im Institut, weil ich sie beide nicht gleichzeitig reinbringen kann. Wenn der Boss da ist, wird er sich sicher freuen. Mrs. Porter wurde übrigens verhaftet, weil sie angeblich mit dem Jungen, um den Sie beide so besorgt sind, lebenswichtige Staatsgeheimnisse oder sowas in die falschen Hände geben wollte. Natürlich glaubt das nur jemand, der von der Kiste mit der dunklen Tochter nichts mitbekommen hat. Dann will ich mal."

Zehn Minuten später flogen Mutter und Tochter mit Mr. Flanigan und Tobias Grant, einem anderen Institutszauberer, direkt zum Marie-Laveau-Institut hin, wo sie erfuhren, daß Mr. Davidson mit dem Minister über die Freilassung von zehn Mitarbeitern spräche. Worüber dürfe man ihnen nicht sagen. Auch als sie sagten, daß es wohl was mit der Tochter des dunklen Feuers zu tun habe, schwiegen sich die dort verbliebenen Hexen und Zauberer aus. Madame Faucon verlangte einen Bericht, was man über diese Kreatur herausbekommen habe. Doch mit Hinweis auf Mr. Davidson, der über sowas zu entscheiden habe, verweigerte man ihr die Auskunft. Sie bekamen Gästebetten und konnten sich erst einmal ausruhen. "Wenn Mr. Davidson zurückkommt, melden wir Sie sofort an", sagte Flanigan nur noch, bevor er sich zurückzog.

__________

"Wer wagt es, in meine Heimstatt einzubrechen?!" Keifte die Tochter des dunklen Feuers, während Richard Andrews sanft auf dem Boden landete. Dana Moore schockte ihn sofort.

"Was sollen wir mit dem Jungen machen?" Fragte Pandora mentiloquistisch.

"Lasst ihn unversehrt. Am besten soll er sich wieder bekleiden und flüchten", mentiloquierte anthelia zurück, während Drusilla und Dana silbenversetzt Avada Kedavra riefen. In weniger als einer Zehntelsekunde Abstand schlugen die beiden gleißend grünen Blitze in den Leib der Nackten Abgrundstochter ein und ließen sie in einer Aura aus phosphoreszierendem Nebel erstrahlen. Doch sofort flog ein orangerot glimmender Leuchtfleck sirrend aus dem offenen Krug und drang in Hallittis Bauch ein. Unbeschadet von zwei Todesflüchen stand die Abgrundstochter strammm da und führte ihre Hände zu einem Trichter zusammen, wobei sie genau auf Anthelia deutete.

"Flammanulus!" Rief Anthelia in Gedanken, während sie ihren Zauberstab pfeifend vor sich einen Bogen schlagen ließ. Ein Ring aus lodernden Zauberflammen schoss um sie herum auf und drohte, sie zu versengen. Doch da krachte ein dunkler Feuerball in die Flammen und verpuffte mit diesen zusammen. Anthelia fühlte, wie dieser Angriff an ihr rüttelte. Doch sie durfte nicht aufgeben. Ihr Medallion drängte unter ihrem rosa Umhang nach vorne, wollte sich wohl mit Hallitti verbinden.

Pandora Straton sah den unschlüssig dastehenden Julius Andrews und mentiloquierte ihm:

"Junge, hol deine Kleider und zieh dich an!" Sie erschrak, als ein weiterer Todesfluch einen halben Meter an Julius vorbeisirrte und punktgenau Hallittis blankes Hinterteil traf. Das brachte Julius wohl auf Trab. Er sprang in geduckter Haltung zu seinen Kleidungsstücken. Pandora wand sich Hallitti zu und richtete ihren Zauberstab auf sie.

"Ihr könnt mich so nicht töten, ihr kurzlebigen Schmeißfliegen!" Schrie Hallitti schrill und wütend. Dann erzitterte der Boden, als sich der Riss in der Höhlendecke wieder zu schließen begann.

Weitere Schwestern trafen ein und feuerten Schockzauber und Todesflüche auf die Tochter des dunklen Feuers ab. Doch immer wieder flog ihr wohl neue Lebenskraft in Form orangeroter Nebelschwaden zu und hielt sie stark und unverwüstlich. Anthelia zielte auf den Krug. In ihn hinein konnte sie nicht zielen. Aber vielleicht ging es auch so.

"Avada Kedavra!" Rief sie laut und entschlossen. Der grüne Blitz sirrte aus dem silbernen Zauberstab los und schlug mit lautem Klong gegen die golden leuchtende Wand des Kruges. Dieser erzitterte wie eine heftig angeschlagene Glocke. Der Ausstoß von orangem Nebel brach für einen Moment ab.

"Das büßt du mir, du Stück Eulendreck!" Keifte Hallitti nun rasend vor Zorn und wirbelte herum, um in drei silberne Flüche gleichzeitig hineinzuspringen, die jeder für sich bis zu zehn Menschen niederwerfen und für eine Weile bewußtlos halten konnte. Doch sie schüttelte diesen Dreifachangriff wie lästige Regentropfen ab. Dann drehte sie sich blitzschnell einmal um die eigene Achse, worauf eine Wolke aus nachtschwarzen Flammen aus ihrem Körper herausbrach und in die große Kuppelhöhle explodierte. Alle sprangen zurück, bis auf Delila Pokes und Dana Moore. Die dunklen Flammen erfaßten sie und hüllten sie ein. Pandora wußte, daß sie das nicht überleben würden und schluckte. Hallitti hatte zwei unentbehrliche Mitschwestern getötet, wieder einmal.

Anthelia sah zu, wie Julius in seine Sachen schlüpfte, während Pandora für einen Moment starr stehen blieb, während die etwa vier Meter durchmessende Flammenwolke in sich zusammenfiel. Wo Dana und Delila gestanden hatten, lagen nur zwei kleine Aschenhaufen.

Drusilla rief den Todesfluch und hätte beinahe Julius Andrews erwischt, der gerade in seine Schuhe geschlüpft war.

Der Mutterinstinkt in Pandora gebot ihr, den Jungen mentiloquistisch anzuweisen: "Bleib in Deckung oder raus!"

Izanami zielte auf den betäubten Richard Andrews. Offenbar wollte sie ihn mit dem tödlichen Fluch treffen, weil Anthelia sofort rief:

"Nein, nicht töten!"

"Ich zertrete euch gleich alle wie die Kakerlaken!" Brüllte Hallitti in ohnmächtiger Wut. Julius Andrews blickte nach oben, wo die übrigen Mitschwestern den Spalt in der Decke verkeilt und die lange Strickleiter herabgelassen hatten. Die von Anthelia nicht zum Draußenbleiben angewiesenen Mitschwestern turnten die Sprossen herab und schickten ein Feuerwerk an Flüchen aller Art auf Hallitti los, die jedoch durch ihre Lebenskraftauffrischung weder körperlich noch willentlich beeinträchtigt wurde. Offenbar hatte diese Kreatur nun genug davon, sich in ihrer menschlichen Gestalt bedrängen zu lassen. Denn sie verwandelte sich in jene monströse, rotschuppige Erscheinung, die wie eine Kreuzung zwischen Gorilla und einem Flugsaurier mit lederartigen Flügeln aussah und doppelt so groß war wie die überragend schöne Frau, als die Hallitti sonst auf Beute ausging. Sie wandte sich dem Jungen zu, spannte ihre Flügel aus und rief mit einer knurrenden, kehligen Stimme:

"Wenn ich dich nicht auf die süße Weise zu mir nehmen konnte, dann sei's die bittere!"

Sie raste auf den etwa am anderen Ende der Höhle stehenden Jungen los, wobei sie von Pandora und Anthelia je einen Todesfluch abbekam.

"Lass den Jungen in Frieden, du Scheusal!" Rief Anthelia in einem Anfall von ohnmächtiger Wut und ließ einen blaugelben Flammenstoß aus ihrem Zauberstab fahren. Diesen fegte Hallitti jedoch mit ihrer linken Pranke fort wie eine lästige Fliege. Anthelia konnte sich gerade noch hinwerfen, und die blaugelbe Flammengarbe schlug krachend gegen die Wand, wo sie einen großen Rußfleck hinterließ.

Die Abgrundstochter war knapp vor Julius und öffnete ihre schuppigen Arme weit, um ihn zu fangen. Einer der Keilbalken zersplitterte mit lautem Knall über ihnen allen und ließ zaunlattengroße Splitter herabregnen, vor denen alle schnell wegtauchten. Da hielt der Junge, dessen Vater Hallittis Abhängiger geworden war, seinen Zauberstab vorgestreckt und rief fremdartige Worte, die niemand hier zuvor gehört hatte.

"aulalhischa, Shedehuabtarakator Kirimwawiddisigalmattu!"

Der Zauberstab von Julius Andrews glühte unvermittelt weißgolden auf, erstrahlte heller als der Lebenskrug. Drusilla hatte gerade wortlos einen Schockzauber losgelassen, der auf die Abgrundstochter losfegte, ebenso wie ein todesfluch Anthelias. Im selben Moment verschwanden Julius Andrews und sein Vater, und Hallitti griff brüllend ins Leere. Dann warf sie sich herum und griff blindwütig an, mit dunklem Feuer und bloßen Krallen.

Schwestern, wir können sie nicht länger halten! Volle Konzentration!" Rief Anthelia, während Halitti mal hier und mal dahin vorstieß, immer hinein in einen Mondlichthammer-Zauber. Anthelia riss den Zauberstab hoch und sang eine Beschwörungsformel, während der zweite Balken barst und gefährlich scharfe Splitter herabstürzten. Aus ihrem Zauberstab schob sich ein tiefschwarzer Vogelkopf, der immer größer wurde, während der Körper und die weiten Flügel nachfolgten, bis das ganze magische Ungetüm freikam und mit Getöse auf Hallitti zuschnellte, die gerade Pandora angreifen wollte.

"Schwester Pandora, Raus zu deiner Tochter!" Mentiloquierte Anthelia, während der beschworene Vogel sich mit Hallitti einen erbitterten Kampf lieferte.

__________

Patricia Straton hörte den Kampfeslärm und sah bange, wie der erste Balken brach und sich die beiden anderen immer mehr bogen. Dann sah sie plötzlich Julius Andrews aus dem Nichts heraus auftauchen. Sie vermeinte, ein weißgoldenes Flackern seines Zauberstabes gesehen zu haben. Jedenfalls stand er nur zehn Meter vor ihr, zehn Meter vom Spalt im Boden entfernt, während Antehlia unten rief, daß sie Hallitti nicht länger halten könnten und dann ein wildes Getöse losging. Der zweite Balken barst und stürrzte in Splittern nach unten. Aber was war das? Julius Andrews veränderte sich. Er wuchs etwas in die Höhe und an den Schultern in die Breite. In seinem Gesicht spross ein blonder, erst flaumartiger, dann fester Bart, der ihm innerhalb von zwei Sekunden bis zum Kinn ragte. Da wo eben noch ein vierzehnjähriger Junge gestanden hatte, stand nun ein Jüngling von bestimmt sechzehn Jahren. Patricia erschauderte. Welcher geniale als auch wahnsinnige Zeitgenosse hatte dem Jungen einen der mysteriösesten und mit vielen Warnungen beschriebenen Zauber beigebracht? Diese nur wenige Sekunden dauernde Alterung um zwei Jahre bewies der Zauberkunstbewanderten Hexe, daß Julius den Temporipactum-Zauber benutzt hatte. Daß er ihn benutzen konnte war schon sehr heftig. Dann landete ihre Mutter auf dem Harvey-Besen neben ihr. Patricia zielte auf Julius und rief:

"Maneto! Der Junge blieb starr stehen. Sie hörte seine Gedanken, daß er gerade um zwei Jahre gealtert sei und da unten alle sterben würden.

"Hoffentlich klappt das, was du vorhast, Patricia", mentiloquierte Pandora ihrer Tochter und lief mit ihr und Romina, die alle ihre Kapuzen so tief gezogen hatten, daß Julius keine von ihnen erkennen würde, zu Richard Andrews.

__________

"Lass mich durch, du Nebelkrähe!" Brüllte Hallitti, während der große Vogel, unter dem sich alle ducken mußten, weil er die gesamte Höhle auszufüllen drohte, sie immer wieder an die Wand drängte. Anthelia wußte jedoch, daß ihr Avatar, den sie beschworen hatte, nicht lange durchhalten würde, wenn Hallitti ihn mit dunklem Feuer angriff. Tatsächlich warf sie dunkle Feuerbälle nach dem Vogel, der einmal am linken Flügel getroffen wurde und um einen halben Meter einschrumpfte. Wieder traf eine Flammenkugel den Vogel, diesmal am Bauch. Viele der Hexen gleichzeitig schickten einen Todesfluch gegen Hallitti. Ein Schwall orangeroter Lebenssubstanz schoss aus dem Krug und drang in Hallittis Leib ein, als das grüne Wetterleuchten um ihren Körper erschien. Hier unten mußte sie sich nicht erholen. Hier unten bekam sie sofort die verlorengegangene Kraft zurück. Wieder traf einer der Feuerbälle den Vogel, diesmal an den mächtigen Fängen, die Hallitti jedoch nicht ernsthaft verletzt hatten. Anthelia horchte nach draußen. Ja, da war Patricia Straton und Pandora, die daran dachte, ob es funktionieren würde, was ihre Tochter sich ausgedacht hatte. Dann hörte sie einen scharfen Knall von oben. Im selben Moment krümmte sich Hallitti vor Schmerzen zusammen und gab ein ohrenzerfetzendes, tierhaftes Brüllen von sich, das allen hier unten durch Marg und Bein ging. War es Einbildung oder Wirklichkeit. In diesen urwelthaften Schmerzenslaut hinein klang etwas wie der langgezogene Schrei eines neugeborenen Babys. Hallitti wankte in der Luft. Der Vogel stieß nach. Der Schwall hherausfließender Lebensenergie brach ab. Im Krug schwappte es orangerot wie aufgewühltes Wasser, berührte die Abgrundstochter aber nicht mehr. Anthelia atmete auf. Es hatte funktioniert. Mit triumphaler Betonung rief sie:

"Avada Kedavra!" Der langgezogene Schmerzensschrei wurde zu einem kurzen, kreischenden Laut, während Hallitti, diesmal nicht von einer phosphorgrünen Nebelwolke umhüllt, auf ihren Krug zustürzte und in ihn hineinfiel. Es gab ein merkwürdig schwingendes Geräusch, als würde jemand eine meterlange Säge mit einem Geigenbogen zweimal kurz anstreichen, daß der Ton auf- und abschwang und dabei kurz laut und wieder leise wurde. Im selben Moment barst der dritte Balken. Doch der Spalt in der Decke schloss sich nicht, sondern bröckelte weiter auseinander. Dann war Hallitti im Inneren des Kruges verschwunden. Der Deckel, der an der Seite gelegen hatte, erhob sich von selbst und stieg hinauf. Anthelia faßte mit telekinetischer Kraft zu und zwang den Deckel, nicht zu schnell zu steigen.

"Schwester Izanami, lege einen gehärteten Eisenkeil auf den Rand!" Befahl sie, während der wuchtige Deckel immer noch stieg, während das goldene Leuchten des Kruges immer schwächer wurde und langsam in einen rötlicheren Farbton überging. Izanami holte einen langen Nagel aus ihrem Umhang, tippte ihn mit dem Zauberstab an und warf ihn zielgenau auf den Krug zu. Der Nagel wuchs zu einem dicken Keil aus Eisen, der sich quer über den Krug legte und liegenblieb. Anthelia gab den Deckel frei, der wie von einem Magneten angezogen auf den Krug zuflog und sich darauflegte, jedoch nicht ganz schließen konnte. Anthelia sprach eine Zauberformel, worauf der Vogel, der in den letzten Sekunden heftig zusammengeschrumpft war, wieder größer wurde, den Krug mit seinen Fängen packte und mit kurzen Schwüngen seiner Schwingen durch den immer breiter klaffenden Höhlenausgang nach oben stieß und draußen mit wieder voll ausgespannten Schwingen in den Nachthimmel emporschoss.

Dann stieg sie auf ihren Besen und raste hinaus in die Nacht, unsichtbar wie der Wind, wie der Sturm der Vernichtung, hinter dem großen Vogel her, der den Krug in den Fängen trug, die größte Beute, die dieser Vogel bisher machen durfte. Anthelia holte ihn ein, vergewisserte sich, daß ihre zwei ausgedungenen Begleiterinnen bei ihr waren und folgte dem Vogel, bis sie wohl zehn Kilometer geflogen waren. Dann befahl sie ihm die Landung. Dort wo er niederging, landeten sie auch. Auf eine kurze Zauberformel hin kehrte der große Vogel einschrumpfend in Anthelias Zauberstab zurück.

"Schwestern, jede von euch wird nun einen der verbliebenen Kristalle anregen und sofort in diesen verwünschten Behälter werfen. Danach disapparieren wir, um uns dort zu treffen, wo Mutter und Tochter Straton und unsere Schwester Romina ausharren! Auf dann! Bringen wir es zu Ende!"

Anthelia gab jeder der beiden Mitschwestern einen der letzten drei gestohlenen Incantivakuum-Kristalle. Den letzten behielt sie. Sie sah, wie die beiden Mitschwestern sich am Krug hochzogen, sicheren Halt an den wuchtigen Henkeln fanden und dann mit ihren Zauberstäben die Kristalle berührten, die sofort aufglühten. Sie ließen sie in den Krug fallen, wo sie leise klingelnd auf dem Boden aufschlugen. Dann warf anthelia ihren Kristall noch in den Krug und rief:

"Auf nimmer Wiedersehen, Hallitti, Hure des dunklen Feuers!" Dann disapparierte sie mit den anderen. Keine Sekunde zu früh. Denn ein leises Singen erklang, das von einer Sekunde zur anderen zu einem lauten Knall wurde. In einem kurzen, silbernen Blitz entluden die drei Kristalle ihre Magie zerstreuende Kraft. Keine Hundertstelsekunde darauf flammte ein zweiter, hundertmal hellerer Blitz wie aus dem Licht von zehn weißen Sonnen auf, der alles und jeden sofort geblendet hätte. Doch niemand, der sich in unmittelbarer Nähe dieser Urgewalt aufgehalten hätte, hätte auch nur einen Lidschlag überlebt.

Ein dumpfer Schlag, der die Erde beben machte und zu einem lauten Donnergrollen wurde, röhrte über das Wüstenland. Kaum war der Blitz verglüht, blähte sich ein Feuerball aus orangerotem Licht wie eine untergehende Sonne auf, wurde zu einem Glutball, der flammen- und hitzelos auf mehr als einen Kilometer anwuchs und für wenige Sekunden so blieb, um dann rasendschnell in sich zusammenzustürzen, wobei ein Feuerwerk aus orangeroten Funken mit mehr als Schallgeschwindigkeit in alle Richtungen davonspritzte. Was immer in einem Umkreis von Fünf Kilometern gelebt hatte lebte jetzt nicht mehr.

__________

Hallitti fühlte den an allen Fasern reißenden Schmerz, als irgendwas die magische Verbindung zwischen ihr und Richard Andrews zerriss. Sie fühlte, wie der mächtige Strom von Lebensenergie, der sie hier in ihrer Höhle stark und unverletzt hielt, abrupt versiegte. Sie schrie laut auf. Einen schlimmeren Schmerz als diesen hatte sie in all den Jahrhunderten noch nicht empfunden. Ihre Gedanken rasten hinaus, Gedanken an ihre Schwestern. Sie rief um Hilfe. Doch keine von ihnen hörte sie. Dann traf sie ein tödlicher Fluch. Sie fühlte, wie sie alle Kraft verlor, gerade noch an einem dünnen Faden der Magischen Verbindung auf ihren Krug zustürzte, in ihn hineinglitt und sich darin mit der verbliebenen Lebenskraft vermischte. Ihre letzten Gedanken, bevor sie in den verfluchten, tiefen Schlaf gleiten würde waren eine Frage:

"Wie konnte man mir meinen Abhängigen entreißen, ohne ihn zu töten?"

Was war das? Irgendwas hatte sie geweckt. Eine Zauberkraft, die in ihren Krug eingedrungen war. Ja, noch eine Kraftquelle. Dann noch eine. Sie erkannte, verschmolzen mit der Lebenskraft ihrer Opfer, wie diese Kraft zunahm. Dann, mit einem Schlag, fühlte sie, wie sie mit Urgewalt davongeschleudert wurde, wobei sie das Gefühl hatte, verbrannt zu werden. Ein stummer, unhörbarer Schrei, der die ganze Welt umfaßte und dann immer leiser wurde, brach aus ihr heraus, während sie immer höher in den Himmel hinaufschoss. Sie sah unter sich die Sonne aufgehen und wieder verglühen. Ihre Kraft schwand. Sie konnte sich nicht bewegen, keinen Gedanken fassen, der stark genug war, irgendwen zu erreichen. Dann ließ der mörderische Aufwärtsschwung nach. Auch das Gefühl zu verbrennen ebbte ab. Hallitti empfand eine Leichtigkeit, die sie nie zuvor gefühlt hatte. Sie schwebte, höher als die höchsten Wolken, über dem Land. Sie konnte mit Augen die keine Materie enthielten sehen, wie sie den ganzen amerikanischen Kontinent überblickte. Stille umgab sie. Totale Stille. Die Gegenwart der Lebewesen war genauso verlorengegangen wie die Geräusche der Welt. Ja, und sie konnte sich nicht bewegen. Sie war gefangen, in einer stillen, alles überblickenden Höhe war sie gefangen. Sie versuchte in Gedanken ihre Schwestern zu rufen. Doch ihre Gedanken fanden kein Ziel. Sie wußte, daß sie ihren Körper verloren hatte. Doch dann hätte sie sofort in den Schoß einer der wachen Schwestern gezogen und dort neu empfangen werden müssen. Dies war nicht geschehen. Sie hing fest, weit über dem Planeten, dessen Bewohner für sie doch nur kurzlebige Schwächlinge gewesen waren. Würde sie nun für alle Zeit in dieser Gefangenschaft zubringen? Oder würde der Zauber der Unsterblichkeit von ihr weichen, wie ihr Körper? Sie wußte es nicht, und das erschien ihr als die schlimmste aller Strafen, die man einer wie ihr antun konnte.

__________

Itoluhila schrak auf. Der Schlaf, den sie nach dem Kampf gegen Alfonso Espinado und diese Menschenfrau mit dem mächtigen Artefakt hatte schlafen müssen, wurde von einem lauten Schrei unterbrochen. Sie schrak auf und nahm feste Form an. Das war ihre Schwester Hallitti, die da vor unerträglichem Schmerz aufgeschrien hatte. Sie dachte daran, daß sie sie immer gewarnt hatte, daß ihr eines Tages die Vernichtung blühen würde. War das die Vernichtung ihrer Schwester? Dann würde sie oder ihre zweite wache Schwester wohl gleich ein neues Leben empfangen, ohne Keimzellen eines Mannes.

Bange Minuten vergingen. Dann dröhnte ein Schrei, lauter als der Erste, in ihrem Geist. Sie rief in Gedanken nach Hallitti. Doch sie antwortete nicht. Der Schrei verstummte jäh und hinterließ ein Loch aus Schweigen. Itoluhila tastete um sich. Würde Hallitti zu ihr kommen, in ihr Halt finden? Obwohl sie die Vernichtung ihrer Schwester wütend machte, wollte sie sie nicht in sich haben, austragen wie eine Kurzlebige und dann noch unter großen Schmerzen aus sich herauspressen und wie einen X-beliebigen Säugling ernähren und kleiden müssen. Doch die Zeit verging, und Itoluhila fragte sich, ob Hallitti wirklich vernichtet wurde. Sie tastete nach dem Geist ihrer zweiten wachen Schwester, die sofort Kontakt mit ihr aufnahm.

"Hast du es vernommen, Schwester?" Fragte sie.

"Ja, Schwester, habe ich. Ist Hallitti nun ihres Körpers beraubt worden?"

"Trägst du ihren unauslöschlichen Lebensfunken in dir?" Kam eine Gegenfrage.

"Nein, ich wurde nicht mit ihr geschwängert", erwiderte Itoluhila gehässig.

"Ich auch nicht, Schwester", erwiderte ihre ferne Schwester. "Dann stimmt die Geschichte um unsere Unvergänglichkeit nicht."

"Davon müssen wir ausgehen", seufzte Itoluhila. Dann verabschiedete sie sich von ihrer Schwester. Als sie wieder für sich war, mußte sie grinsen. Hallitti hatte es zu weit getrieben. Und das Schicksal hatte sie dafür aus dieser Welt gestoßen, wie einst ihre großartige Mutter, die ihnen ein unvergänglich erscheinendes Leben geschenkt hatte. Innerlich war sie schadenfroh. Hallitti hatte es darauf angelegt, endgültig vernichtet zu werden. So blieben nur noch acht von ihnen. Besser, es waren im Moment nur noch zwei, die sich die ganze Welt teilen durften. So ließ sie sich wieder zerfließen und genoss einige weitere Tage erholsamen Schlafes.

__________

"Schwestern, es ist vollbracht. In wenigen Sekunden wird Hallitti niemanden mehr bedrohen oder verlocken können", verkündete Anthelia, als sie bei den Mitschwestern anlangte. Patricia Straton trug einen wimmernden, völlig nackten Neugeborenen in den Armen. Das war Richard Andrews, von ihr durch den Infanticorpore-Fluch körperlich zum Säugling zurückverwandelt. Als hätte sie eine Zauberformel ausgerufen rüttelte ein heftiger Erdstoß an ihr und den Anderen. In weiter Ferne flammte ein weißer Blitz wie fernes Wetterleuchten auf. Dann erschien ein orangeroter Lichtpunkt, der knapp über dem Horizont stehenblieb, während weitere Erdstöße Staub aufwirbelten und der infanticorporisierte Richard Andrews schrill und laut aufschrie.

"Es ist getan", dachte Anthelia. "Das ist die Glut aus dem Abgrund, entfacht aus der totalen Freisetzung der Kraft, die diesem Ungeheuer seine Macht gab."

"Sie sind wohl irre. Sie haben den Krug gesprengt und damit hunderte von Lebewesen ausgelöscht", rief Julius Andrews in einer fast panischen Angst.

"Niedere Tiere, Julius. Ich habe extra einen Ort erwählt, an dem keines Menschen Seele verweilt", sagte die Führerin der Spinnenschwestern beruhigend.

"Ja, aber dieser Blitz und der Feuerball, wenn die Muggel das auf ihren Überwachungsbildern sehen ... die glauben, in Amerika wäre eine Atombombe explodiert. Das kann den dritten Weltkrieg auslösen!" Sprudelte es panisch aus Julius heraus.

"Ich will bestimmt nicht, daß die Unfähigen sich und uns mit ihren verboten gehörenden Massenmordgerätschaften auslöschen. Doch was getan werden mußte, mußte getan werden", sagte Anthelia vollmundig. Dann fuhr sie fort: "Die Ausgeburt Lahilliotas mußte vom Angesicht dieser Welt getilgt werden. unser Werk ist getan, Schwestern. Überlaßt den Vater dem Sohn und kehrt zu unserem Ausgangsort zurück!"

"Moment! Wer sind Sie?" Wollte Julius wissen. Da lüftete Anthelia für einen Moment die Kapuze und sah ihn durchdringend an. Sie suchte nach Erinnerungsfragmenten, die mit ihr zusammenhingen. Ja, da war ein Traumsplitter, wie er durch weitläufige Katakomben flüchtete, bis er ihr in ihrem ersten Körper und ihrer Tante Sardonia begegnete. Dann sah sie ihn in einem Klassenraum sitzen und hörte die Französisch sprechende Stimme einer Lehrerin, die ihren und Sardonias Namen an eine Tafel geschrieben hatte. Sie sah ein aufgeklapptes Buch, in dem Julius gelesen hatte. Dann stand der Junge vor einer Hexe im blauen Rüschenkleid mit weißblonden, ihr bis über die Schultern fallenden Locken. Schließlich hörte sie ihn mit einer stark verstellten Stimme, die ihn wie ein Mädchen klingen ließ, den Marsch der Töchter Sardonias singen, wohl nicht ganz freiwillig, wie sie erspürte, vielleicht unter den Auswirkungen des Imperius-Fluches. Ja, vor ihm stand eine Hexe mit schwarzem Haar, das im Nacken zu einem strengen Knoten gewirkt war. Offenbar erkannte dieser Junge, was Anthelia mit ihm vollführte. Das ärgerte ihn, und er versuchte, sich irgendwie zu verschließen. Er sah die Hexe an, die ihren im Mond hellen Schopf wieder mit der Kapuze bedeckte. Dann löschten sie ihre Zauberstablichter.

"Du hast von mir genug gehört, Jüngling, daß ich feststellen kann, du würdest mich erkennen, wenn du mich das nächste Mal siehst. Sie trat auf Julius zu. Dabei ruckelte ihr Seelenmedaillon und versuchte, irgendwas auszuweichen. also stimmte es. Er trug ein silbernes Armband der Pflegehelfer, wie sie es einst in Beauxbatons getragen hatte. Sie lachte erheitert. Julius rechter Arm ging ohne sein Zutun nach Oben.

"Sieh an, er gehört dem ehrenhaften Stand an", sagte Anthelia und wandte sich um. "Gib ihm den wiederverjüngten und befreiten Vater zurück!"

Patricia Straton ging zu dem Jungen und legte ihm seinen Vater in die Arme. Anthelia und Pandora sahen anerkennend, daß Julius ihn sofort richtig hielt, als habe er schon mehrere Säuglinge umsorgt. Dann disapparierten die mächtigeren von ihnen, während der Rest der verbliebenen Truppe sich auf die Besen verteilte und unsichtbar und beinahe lautlos davonraste, zurück zur Daggers-Villa, ihrem Hauptquartier.

__________

Die Alarmglocken läuteten Sturm. Überall glühten rote Blinklichter auf. Im Zentrum von NORAD, dem nordamerikanischen Luft- und Weltraumverteidigungskommando, war die Hölle los. Vor genau einer Minute, um 03.34.20 Uhr Pazifikzeit, beziehungsweise 06.34.20 Ostküstenzeit, die in Washington galt, oder auch 11.34.20 Uhr Weltzeit am 03.08.1996, hatten mehrere Überwachungssatelliten einen Lichtblitz und einen Feuerball in der südlichen Mojavewüste gemeldet. Die Bilder zeigten, daß der Feuerball mehrere Kilometer durchmessen mußte, aber nur eine halbe Minute später verschwunden war. Weil zeitgleich zwei Erdbeben in dem betreffenden Gebiet stattfanden, ging man von einer Atomexplosion aus. Das hieß, auf amerikanischem Boden war eine Atombombe gezündet worden.

"Sir, wir haben das Gebiet genau bestimmt. Hier ist es passiert, Sir", sagte ein Marine-Offizier im Rang eines Lieutenant, als der Oberbefehlshaber von NORAD die Beobachtungszentrale betrat.

"Lassen Sie mal die Vergrößerung sehen! Und stellen Sie den Verdammten Lärm ab! Oder sind noch nicht alle Stationen besetzt?"

"Sir, die Stationen sind alle besetzt und auf Verteidigungsbereitschaft Stufe eins", meldete der Marineoffizier.

"Was? Die höchste Stufe? Gehen Sie runter auf zwei, bevor wir nicht wissen, was das genau war!" Bellte der Oberbefehlshaber einen scharfen Befehl.

"Sir, die Computerüberwachung ist so programmiert, Sir."

"Ja, und wenn der kalte Krieg nicht schon seit sechs Jahren vorbei wäre hätten diese Blechkisten sofort unsere Interkontinentalraketen losgeschickt", schnaubte der ranghöchste Offizier von NORAD. Dann griff er zu einem Telefonhörer.

Weit östlich der Cheyenne-Berge, in denen das NORAD-Hauptquartier lag, saß der Präsident der vereinigten Staaten gerade mit den Ausgaben der führenden Zeitungen am Frühstückstisch. Buddy, sein Hund, schlappte gerade Wasser aus dem frisch gefüllten Napf. Da stürmte ein Verbindungsoffizier aus der Nachrichtenzentrale des weißen Hauses herein.

"Herr Präsident, NORAD ist auf zweithöchster Alarmstufe. In Kalifornien hat es eine mächtige Explosion gegeben. Der NORAD-Boss vermutet, es könnte eine Atombombe gewesen sein."

"Wie bitte?!" Erschrak der Präsident und hätte fast ein Stück Pfannkuchen auf seine frisch gereinigte Hose fallen lassen. "Hillary, ich muß sofort ins Lagezentrum", sagte er zu seiner Frau, die ihn besorgt ansah, und doch etwas mißtrauisch. Eine Atombombe in der Mojavewüste? Wer würde da eine Bombe zünden?

Im Lagezentrum erhielt der Präsident die Bilder, die ein geostationärer Überwachungssatellit gefunkt hatte. Er sah erst einen weißen Fleck, der wohl an die fünf Kilometer durchmessen mochte und dann einen Feuerball, der in mehrere tausend Einzelbilder zerlegt dargestellt wurde. Als er dann den Feuerball in sich zusammenfallen sah, fragte der Präsident:

"Wo ist der Atompilz?"

"Das stimmt, da ist keiner", meinte Forster, einer der Verbindungsoffiziere zur Luftwaffe. "Aber dieser Lichtblitz. Der muß mindestens eine Hundertstelsekunde geleuchtet haben, was für eine Atomexplosion ungewöhnlich lange ist."

"Dann müßte ja die ganze Westküste gebebt haben", sagte der Präsident, der nicht wußte, ob ihn diese Bilder beruhigen oder erschrecken sollten.

__________

Viele tausend Kilometer weiter östlich wurde der Präsident der Russischen Föderation aus seiner Mittagspause geholt, weil die immer noch existierenden Spionagesatelliten eine mögliche oberirdische Atomexplosion gemeldet hatten.

"Wollen die Amerikaner sich jetzt selbst in die Luft sprengen, weil wir ihnen den Gefallen nicht tun wollten?" Scherzte der mächtigste Mann Russlands.

"Herr Präsident, ich weiß es nicht. Es sah zunächst nach einer Atombombenexplosion aus, zeigt aber nicht die typischen Effekte. Der Lichtblitz war zu lang und der Feuerball hinterließ keinen Krater, und auch keine Pilzwolke", sagte General Fedorov, der in der Luftwaffenzentrale arbeitete.

"Hmm, ein Satellitenfehler?" Fragte der russische Präsident.

"Ja, genau", erklang eine Stimme aus dem Hintergrund. Ein Oberleutnant der Luftwaffe blickte den Präsidenten und den General an und sagte dann:

"Unsere Seismologen haben zwar zwei direkt aufeinanderfolgende Erdstöße in Kalifornien verzeichnet, aber die sind zu schwach für eine Atomexplosion, zumal ja Atomexplosionen keine zwei räumlich getrennten Erdbebenherde erzeugen."

"Was haben Sie mit der Sache zu tun, Oberleutnant Andropov?" Wollte Fedorov wissen.

"Reine Sorgfalt", sagte Oberleutnant Dimitri Andropov. "Ich denke nicht, daß es ein oberirdischer Atomtest oder ein Anschlag war. Wenn Sie sich den Explosionsherd ansehen, da ist kein Krater. Außerdem liegt die nächste größere Ansiedlung, Barstow, etwa einhundert Kilometer vom Explosionsort fort. Wenn es jemand nur darauf abgesehen hätte, eine radioaktive Wolke zu produzieren, wäre das mit ein wenig Uran oder Plutonium und einem konventionellen Sprengkörper einfacher und unauffälliger gelaufen."

"Ja, und was soll es bitte dann gewesen sein?" Fragte General Fedorov, der es nicht mochte, von einem rangniederen Offizier belehrt zu werden, was Andropov durchaus wußte.

"Zauberei vielleicht?" Lachte der Präsident. "Ein schwarzer Magier reißt das Tor zur Hölle auf und wirft es erschrocken wieder zu."

"Zauberei? So mit einem Zauberstab?" Fragte Andropov und zog einen Holzstab aus seiner Uniform. "So wie der hier? Obleviate!" Der General stand starr da, als er sah, wie sich das Gesicht des Präsidenten veränderte, als würde er an einen lange zurückliegenden Traum denken, den er doch so gerne wieder träumen würde. Dann überkam es ihn selbst und spülte seine Erinnerungen durcheinander, nahm hier einige heraus und baute da neue ein.

"Hui, irgendwann bringen wir die noch dazu, unseretwegen einen Weltkrieg mit diesen Atombomben anzufangen", dachte Andropov, als er die Gedächtnisse der beiden so wichtigen Männer modifiziert hatte. Er löschte schnell alle Bilder und Aufzeichnungen über die angebliche Atomexplosion und hoffte, das seine Kollegen in der Weltraumüberwachung und der Luftwaffenzentrale dasselbe taten.

Als er das erstemal von der Explosion gehört hatte, wollte er selbst glauben, daß die USA eine Atomexplosion auf ihrem eigenen Grund und Boden abbekommen hatten. Doch als sich herausstellte, daß die Explosionseffekte nicht zu einer echten Bombe passen wollten, war ihm und seinen Kollegen der Eilauftrag erteilt worden, alle Spuren dieser Sache aus den Apparaten und Erinnerungen der Nichtmagier zu entfernen.

__________

"Verdammt, wenn wir die Muggel nicht schleunigst behandeln schießen die diese Raketen ab, die ganze Städte zerstören können", fluchte Swift, als er aus drei Abteilungen die Meldung über eine sehr heftige Explosion, eine ungewöhnlich starke Entladung von Zauberkraft und die Alarmbereitschaft der Muggelstreitkräfte erhalten hatte. Seine Suche nach Julius Andrews mußte warten. Jetzt galt es, alle verfügbaren Hexen und Zauberer loszuschicken, die Muggel glauben zu machen, es habe nur ein Erdbeben in Kalifornien gegeben. Erdbeben waren da zu häufig, um großes Erstaunen zu verursachen, und kleine Erdbeben kamen da schon so oft vor, daß man als Tourist Schadensersatzanspruch stellte, wenn man während des Urlaubs nicht einmal leicht durchgerüttelt wurde.

Tulius Hammer und Jerry Winters wurden jeweils in ein Machtzentrum der Staaten geschickt, der NORAD-Zentrale im Peterson-Luftwaffenstützpunkt und dem Pentagon in Washington. Auch dem weißen Haus und allen verzeichneten Luftwaffenstützpunkten mit Langstreckenbombern und Raketen statteten die Vergissmichs und Strafverfolgungstruppen des Zaubereiministeriums einen eiligen Besuch ab.

Es dauerte eine halbe Stunde, weil alle Aufzeichnungen gefunden und gelöscht werden mußten. Erst dann konnten die schnellen Eingreiftruppen der Zaubererwelt in ihre eigenen Hauptquartiere zurückkehren. Blieben nur noch jene, die den Explosionsherd aufsuchten und dort einfallende militärische Wissenschaftler abfangen mußten, die sich wunderten, daß es zwar in der Region kein einziges lebendiges Wesen mehr gab, aber weder ein Krater noch eine Erhöhte Strahlung vorhanden war. Ja, sogar die sonst vorherrschende Radioaktivität aus natürlichen Zerfallsprozessen tief im Erdinneren war ganz auf Null herabgesunken. Auch war keine Pilzwolke über der Explosionsstelle aufgestiegen, und somit war auch mit keinem radioaktiven Niederschlag zu rechnen.

__________

"Herr Minister!" Rief ein junger Mann durch die geschlossene Tür in den Wohnbereich des amerikanischen Zaubereiministers.

"Was ist los, Lenny, wollte gerade runterkommen", knurrte Jasper Pole, der diesen Tag nicht zu früh anfangen wollte, obwohl die Angelegenheit Porter-Andrews noch nicht geklärt war.

"Swift meldet, gerade ist in Kalifornien ein unglaublich großer Feuerball erschienen. Die Abteilung gegen den Mißbrauch der Magie hat mehrere Zauberspürer im Bereich Barstow und Las Vegas verloren, weil eine sehr starke Zauberkraft freigesetzt wurde. Ja, und der russische Zaubereiminister hat eine Blitzeule geschickt und fragt, welchen Schabernack wir da getrieben hätten, weil die Muggel seines Landes schon meinten, Amerika wolle Krieg. Der Chinesische Zaubereiminister hat sich da etwas höflicher ausgedrückt. Er fragt an, ob wir einer Gefahr ausgesetzt seien, zu deren Bewältigung er uns in aller Bescheidenheit gerne helfen würde."

"Jetzt reicht's! Mabel, 'tschuldigung, daß wir heute nicht gemeinsam frühstücken können. Aber irgendwer dreht durch", sagte Minister Pole zu seiner Frau und öffnete die Tür, wo ein junger, dunkelhäutiger Zauberer in einem sonnengelben Umhang mit einer goldenen Eule auf dem Brustteil wartete.

Minister Pole las die Briefe und Berichte und daß die Strafverfolgungsabteilung gute Gedächtnismodifizierer losgeschickt hatte, um dieses Ereigniss als harmloses Erdbeben darzustellen.

"Was für ein Zauber war das, der sich so äußert, daß Kollegen in anderen Ländern die Muggel da davon abbringen müssen, Vernichtungswaffen einzusetzen?"

"Es war wohl eine massive Morsifikationsmagie, als wenn jemand mehr als tausend Todesflüche auf einer Fläche von 19,63 Quadratkilometern losgelassen hat. Das ist eindeutig schwarze Magie auf elementarer Ebene. Gleichzeitig ist am zweiten Erdbebenherd eine Form von Erdelementarmagie freigesetzt worden, etwas wie eine Erddauffüllung. Das Archiv sagt, sie hätten im November etwas ähnliches mit umgekehrten und schwächeren Ausprägungen erfassen können. Es sei aber zu schwach gewesen, um als Bedrohung aufgefaßt zu werden."

"Ach, wie äußerte sich das?" Fragte der Minister.

"Insofern, daß damals erde in Magie umgesetzt wurde und diese heute wieder zu Erde materialisiert wurde, und zwar nicht gerade wenig. Aber das Problem ist die Explosion, sagen die vom magischen Unfallumkehrkommando."

"Wenn die Zeitungen was haben wollen, dann geben Sie denen zu fressen, daß einige machtversessene schwarze Magier ein Experiment gewagt und dabei einen mächtigen Elementarzauber freigesetzt haben! Das sollte denen vom Herold und vom Westwind genügen, um ihre Leser bei Laune zu halten."

"Geht Klar, Herr Minister!" Sagte Lenny und disapparierte in sein Büro. Denn als Nachrichtenjongleur des Ministers galt es, erwünschte Informationen so schnell wie möglich an die richtigen Leute zu bringen und unerwünschte Informationen möglichst gut versickern zu lassen.

"Kann mir vorstellen, daß dieser Bengel tatsächlich was angerichtet hat. Vielleicht hat dieses Abgrundsweib ihn erwischt. Aber nein, dann würden wir anders von ihm hören", dachte der Minister. Das diese Explosion, die in der Muggel- und der Zaubererwelt verharmlost wurde, ihn selbst mächtig erschüttern würde, wollte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen.

__________

Madame Faucon und Catherine Brickston wurden geweckt, als Mr. Davidson zurückkehrte. Ardentia Truelane war bei ihm. Die Beauxbatons-Lehrerin sprach erst ganz ruhig mit dem Leiter des Marie-Laveau-Institutes. Sie erkundigte sich, ob an den Gerüchten etwas dran sei, Jane Porter sei in irgendwelche dunkle Machenschaften verwickelt. Doch Davidson wies alle Antworten auf diese Fragen zurück.

"Ich bin von Minister Pole und Strafverfolgungsleiter Swift gehalten, nur dem Zwölferrat Bericht zu erstatten, der wegen Mrs. Porter zusammentreten soll. Einige der Richter sind im Ausland auf Urlaubsreise und müssen noch gefunden werden. Deshalb wird die Anhörung wohl morgen erst stattfinden. Ich werde Ihnen nicht sagen, was der Minister vielleicht zur Geheimsache erklären wird, auch wenn Sie es sind, Bläänch."

"Zum einen, Mr. Davidson", setzte Madame Faucon an und wirkte nun weniger beruhigt als vorher, "betrifft Ihr Geheimnis nicht nur die Existenz eines Schutzbefohlenen meiner Tochter und eines meiner Schüler, sondern alle Menschen der Welt, Zauberer und Muggel. Zum zweiten möchte ich von Ihnen wissen, wieso sie ihre Mitarbeiterin, Mrs. Porter, nicht haben erklären lassen, was sie mit der Einladung an Julius Andrews bezweckt hat. Zum dritten möchte ich sie mit aller gebotenen Höflichkeit bitten, mich mit meinem Nachnamen anzusprechen, wenn Sie meinen Vornamen nicht ordnungsgemäß aussprechen können. Das unsere gemeinsame Fachkollegin Jane Porter mich in dieser Weise ansprechen durfte lag an dem großen Respekt, den ich für sie empfand. Sie hingegen haben sich meinen Respekt nie verdient, auch wenn Sie der Leiter dieses Institutes sind."

"Entschuldigung, Ma'am, aber derartig geht niemand mit mir um, schon gar nicht in meinem Büro", versuchte Davidson, seine Autorität zu behaupten. Da klopfte es an die Tür, und ein Mitarbeiter brachte einen Brief vom Ministerium.

"Sie sehen, Ihnen hier und jetzt Rede und Antwort zu stehen wäre gegen einen ministeriellen Befehl. Verlassen Sie bitte mein Büro! Ich muß in Kürze ins Ministerium."

"Wir sind noch nicht fertig", kündigte Catherine Brickston sehr bedrohlich an. "Die ganze Angelegenheit, die zu Lasten meines magischen Schutzbefohlenen verläuft, wird internationale Konsequenzen haben, Sir. Da dürfen Sie sicher sein."

"Verschaffen Sie beide sich erst einmal gesetzliche Aufenthaltsgenehmigungen, bevor Sie mir drohen, Mrs. Brickston!" Feuerte Davidson zurück und wies den beiden Besucherinnen die Tür.

"Komm, Catherine. Der Herr stellt sich auf stur. Wäre nicht der erste, der damit auf die Nase fällt", sagte Madame Faucon auf Englisch, damit Mr. Davidson ihr nicht noch Unhöflichkeit unterstellen konnte. Sie wollten nicht länger als nötig hier bleiben, sich zur Not mit dem Minister selbst anlegen.

"Hättest du mir schon im März mitgeteilt, was passiert ist, wäre der Junge jetzt nicht in dieser Lage, daß wir nicht wissen, ob er überhaupt noch lebt", herrschte Madame Faucon ihre Tochter an.

"Erstens ist man hinterher immer klüger", setzte Catherine sehr harsch an. "Zweitens hast du den Jungen nach Amerika gelassen und nicht ich. Du solltest ihn bis zum vierten August betreuen, zusammen mit Babette. Lass also deine Enttäuschung über Mrs. Porter nicht an mir aus!"

"Was fällt dir ein, ungezogenes ...", schnaubte Madame Faucon.

"Was ungezogenes? Mädchen? Frauenzimmer, Hexenweib? "Mädchen" wäre eine Beleidigung, wenn es in herabwürdigender Weise benutzt wird, Maman. Aber ich bleibe dabei, daß ich mich nicht von dir für dein von Mrs. Jane Porter mißbrauchtes Vertrauen herunterputzen oder mir von dir oder wem auch immer unverantwortliches Verhalten gegenüber dem Jungen unterstellen lasse. Ich hoffe, er wurde weder getötet noch zum neuen Sklaven dieser Abgrundstochter. Denn dann wäre jede Auseinandersetzung verfehlt."

"Wir warten jetzt noch einen Tag. Hören wir dann nicht auf irgendeine Weise von Julius, müssen wir davon ausgehen, daß wir beide versagt haben", sagte Madame Faucon und klang dabei sehr betrübt. Catherine schluckte. So oder so, sie hatten beide versagt.

"Was ist eigentlich mit Martha?" Fragte Catherine.

"Das wissen wir wohl noch nicht", sagte Madame Faucon.

"Dann wollen wir hoffen, daß es ihr gut geht", sagte Catherine mit belegter Stimme.

__________

Es dauerte an die zwei Stunden, bis Spezialisten die schwere Stahltür öffnen konnten. Ein Alarmsignal schrillte los, als die äußere Schleusentür gewaltsam geöffnet wurde.

"Mac, schalte diese verdammte Alarmanlage aus!" Brüllte Giles über das Schrillen hinweg.

"Das geht nur über einen totalen Stromausfall, weil die Computer mich noch nicht mögen. Wir wissen nicht, was in dem Labor hinter der Schleuse passiert!" Rief McGregor zurück, einer der Elektronikspezialisten im Einsatzkommando.

"Guter Tip, Leute. Setzt eure Gasmasken auf!" Befahl Giles und sah zu, wie das innere Schleusentor bearbeitet wurde, bis auch dieses nach einer Stunde den Widerstand aufgab und sich öffnen ließ.

"Oh Gott!" Stieß Giles durch den Luftfilter der Gasmaske aus. "Was läuft denn hier für ein Film?"

"Frankenstein klont Rosemaries Baby", scherzte Jackson, ein Kollege von Giles.

Im Schein vieler Rotlichtbirnchen erstreckte sich summend und pumpend eine fremdartige Maschine vor ihnen, deren Funktion wohl durch die sechs großen Glaskugeln bezeichnet wurde. In vieren davon schwammen, durch das halbdurchsichtige Material schwer erkennbar, menschliche Körper in einer Flüssigkeit, die sie wohl ein- und ausatmen konnten. An ihren Bäuchen war jeweils ein dicker Schlauch befestigt, der langsam pulsierte.

"Science Fiction war gestern", grummelte ein Nationalgardist, der sich diese makabere Maschine genauer ansah. "An sowas denken Raumfahrtingenieure gerne, Leute so einzukonservieren und dann für Jahrzehnte in den Weltraum zu schicken, oder sie gleich einzufrieren und am Zielort aufzutauen. Wer hat das gebaut?"

"Finden wir raus", sagte Giles. Er sah wütend aus. Er blickte auf eine der Kugelkammern. "Da liegt unser Kollege Marchand drin. Die Frau in einer der anderen Kugeln ist wohl Mrs. Martha Andrews. Offenbar wollte Laroche die beiden für mehrere Monate so einlagern. Der Typ wird ab heute nicht mehr ruhig schlafen können."

"Wer, Laroche oder dieser Machenschaftler, der diese Anlage gebaut hat?" Wollte Mac wissen, der gerade hereingekommen war. "Die Alarmanlage ist aus. Die Sache hier läuft auf eigenem Strom. Ich konnte das an einer Datei sehen, die sich mir doch offenbart hat, während ihr hier unten Sesam-öffne-dich gespielt habt."

"Netter Vergleich. Das ist eher eine Hexenküche als ein Labor", grummelte Giles und betastete vorsichtig die Kugelkammer, in der sein Kollege in einer Art Tiefschlaf festhing.

"Stimmt, mit solchen Ideen wie der hier brauchen wir keine Satansanbeter und schwarzen Magier", sagte Mac und begab sich an den Computer.

"Pass ja auf, wie du mit der Kiste umgehst! Wenn da was falsch eingetippt wird, stürzt wohl die ganze Maschine ab und alle da drin sterben", wandte Jackson ein. McGregor nickte. Er versuchte, ein Anwendungsmenü aufzurufen. Tatsächlich fand er eines.

"Leute, ich fürchte, die ordentliche Abschaltprozedur ist Codegeschützt. Wenn ich den Code nicht in drei Anläufen knacken kann, was bei einem zwölfstelligen Schlüssel aus Zahlen und Buchstaben ja kein Problem ist, könnte der Computer das als Aufforderung zum kompletten Herunterfahren ansehen. Aber der Notabbruch ist nicht passwortgeschützt. Ich weiß nur nicht, wie schnell wir danach sein müssen. Ich bin kein Arzt."

"Dann lassen wir unsere Notärzte runterkommen, mit vier Tragen und allem was für Lebenserhaltung nötig ist", sagte Giles und funkte nach den mitgereisten Notärzten und forderte Hubschrauber an. Als dann vier Notärzte und acht Sanitäter mit vier Tragen und allen möglichen Apparaten im Labor standen, sagte Mac:

"Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie dieses Ding korrekt arbeiten soll und was bei einem Notabbruch passiert. Deshalb lehne ich jede Schuld ab, die bei daraus entstehenden Schäden erwachsen sollte. Dr. Paulsen, soll ich diese Anlage jetzt per Notabbruch ausschalten?"

"Sie haben meine Genehmigung", sagte einer der Notärzte, der sich zwischen Faszination und Angewidertheit die Anlage und die darin gefangenen Menschen angesehen hatte.

"Okay, Notabbruch wird eingeleitet", meldete Mac und wählte den Unterpunkt Notabbruch und wählte ein Ja, als eine Stimme fragte, ob wirklich der Notabbruch ausgelöst werden sollte. Dann sagte die Computerstimme:

"Achtung, Notabbruchsequenz des BUS-Komplexes. Integrierte Individuen werden nun freigegeben. Medizinisches Personal für Übernahme und Lebenserhaltung erforderlich! Medizinisches Personal für Übernahme und Lebenserhaltung erforderlich!"

"Wir stehen schon in den Startlöchern", merkte ein junger Arzt an, als die Wände der Kugelkammern völlig durchsichtig wurden, ein leises Piepen den Notabbruch unterlegte und die Flüssigkeit in den besetzten Kugeln herausgepumpt wurde. Ein rotes Kontrollicht blinkte auf, während die Anzeigen der Vitalfunktionen langsam andere Werte anzeigten. Als dann die Flüssigkeit soweit abgepumpt war, daß die Gefangenen reine Luft atmeten, tropfte etwas von der Flüssigkeit, die sie vorhin geatmet hatten aus Mündern und Nasen.

"Das ist wohl eine hyperoxygenierte Lösung", sagte Paulsen. "Ich will davon eine Probe haben."

"Wir auch", meldeten sich zwei andere Ärzte. Dann drehten sich die Kugelkammern, sodaß die Luken seitlich lagen und aufschwangen.

"Schnell, rausholen, die Lungen wieder freisaugen und diese Pseudonabelschnüre entfernen!" Befahl Paulsen, der hier als Chef des ärztlichen Einsatzkommandos auftrat. Je zwei Sanitäter mit Handschuhen und Atemschutz hoben die Gefangenen aus den Kugelkammern und legten sie auf bereitgehaltene Tragen. Kaum waren sie draußen, gingen die Ärzte daran, mit Chirurgischen Instrumenten die eingesetzten Schläuche zu lösen und die dadurch entstehenden Verletzungen sofort zu behandeln.

"Nur sieben Herzschläge pro Minute", meldete einer der Notärzte, während er mit flinken Fingern an dem kalten Bauch seines Patienten herumwerkelte, bis er nach etwa fünf Minuten den implantierten Schlauch herausoperiert hatte.

"Wenn alle von diesen Dingern befreit sind unter Heizdecken und in die Hubschrauber. Je einer in ein anderes Krankenhaus, wegen der Behandlung und Bewachung!" Befahl Paulsen.

"Doktor, bei allem Respekt vor Ihrer Arbeit, aber Mrs. Andrews und Mr. Marchand sollten im selben Krankenhaus unterkommen, damit wir das mit dem doppelten Personal sichern können. Wir wissen nicht, was Laroche und sein Quacksalber von ihnen wollten", warf Giles ein.

"Hmm, stimmt. Je zwei in eins!" Korrigierte er den Befehl.

Als in nicht einmal fünf Minuten die beiden Rettungshubschrauber starteten, die die befreiten Gefangenen abtransportierten, trat Giles noch einmal an Mac heran.

"Am Besten hängen Sie einen LapTop dran und versuchen, alle Daten aus dieser Anlage rauszuziehen, bevor Sie sie enndgültig abschalten. Vielleicht brauchen wir die Daten, wie genau dieses Ding die Gefangenen am Leben halten konnte."

"Geht klar", sagte Mac.

"Warnung, nach Notabbruch erfolgt Selbstvernichtung des BUS-Komplexes in fünf Minuten ab jetzt!" Meldete der Computer.

"Verdammt noch mal!" Fluchte Giles. Doch dann sagte er: "Mac, wir seilen uns ab. Vielleicht ist es auch besser, wenn diese Höllenmaschine sich selbst in die Luft sprengt. Vergessen Sie die Daten!"

"Vielleicht kann ich den Vorgang noch abwürgen, indem ich einen Neustart durchführe", meinte McGregor.

"Dafür ist das Ding nicht gebaut worden, Mann. Da sollten lebende Menschen drin herumschwimmen. Bei einem Neustart hätten die nicht lange zu leben gehabt."

"Okay. Raus hier!" Stimmte Mac zu und verließ mit Giles das Horrorlabor durch die ramponierten Schleusentore.

"Warum baut der eine Selbstzerstörung ein?" Fragte Mac, als sie außerhalb des Hauses bei ihren Wagen ankamen.

"Weil dieser Mensch einfach nicht wollte, daß die Gefangenen von irgendjemandem befreit werden und die Maschine dann in aller Ruhe untersucht wird."

Als sie alle abgerückt waren, zählte ein einsamer Computer die letzten Sekunden seines Daseins herunter. Als er Null sagte, zündeten die unter dem Labor angebrachten Sprengbomben mit einer Wucht von 300 Tonnen TNT und zerstörten die Anlage und das Haus darüber gründlich.

Laroche, der hier einmal residiert hatte, war immer noch auf der Flucht. Doch nun würde er in allen Staaten, ja auf der ganzen Welt gesucht werden. Das schwor sich Dustin Giles. Der Mann, der seinen Kollegen und Freund Zachary Marchand in diese grausame Apparatur gesteckt hatte, würde dafür büßen. Giles wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß sich sein Wunsch schon erfült hatte.

__________

Anthelia bedankte sich bei ihren Schwestern, als sie wieder zurückgekehrt waren. Ihr hatte es gefallen, wie Julius immer wieder wissen wollte, wer sie nun waren. Dann hatte sie ihn und seinen Vater in der Wüste zurückgelassen. Patricia hatte Richard Andrews mit Hilfe des Infanticorpore-Fluches zum Säugling zurückverjüngt. Das hatte ihn tatsächlich aus Hallittis Einfluß gerissen. Doch als sie ihn oberflächlich legilimentiert hatte, wurde ihr klar, daß Hallitti zu früh vernichtet worden war. Das würde für den Jungen ein schmerzlicher Schock werden. Vielleicht verachtete er sie dafür. Vielleicht spornte es ihn auch an, noch mehr zu lernen, um sich für den Kampf gegen weitere Töchter des Abgrundes zu stärken. Denn eines wußte Anthelia seit dieser Nacht: Auch sie hatte ihre Grenzen, deren Mißachtung ihren Tod bedeuten konnten. Nur ein unerwarteter Umstand, daß Julius von irgendwem, den sie nicht aus ihm herauslesen konnte, den legendären Zeitpaktzauber gelernt hatte, hatte das Schicksal Hallittis endgültig besiegeln können.

"Glaubst du, daß der Junge aus der Wüste herausfindet?" Fragte Pandora.

"Er kennt die für den Pflegehelferdienst notwendigen Notrufzauber. Er wird den richtigen anwenden", sagte Anthelia.

"Und was machen wir nun mit dem da?" Fragte Patricia und deutete auf den im unter Schockzauber liegenden Alexander Fox, der ohne Perücke und Brustattrappen nur ein überschminkter Mann mit dunklen, kurzen Haaren und rasierten Armen und Beinen war. Zur Antwort holte Pandora eine silberne Schale und ein kleines Messer.

"Sie wird mir verraten, wo ich die feige Ratte finden kann, die die eigenen Leute kämpfen und sterben läßt und sich davonmacht", knurrte Anthelia, als sie bereit war.

Als Virginia Fox zum ersten Mal die Augen aufschlug, wußte sie nicht, wo sie war. Sie glaubte zunächst, sie sei ein Mann namens Alexander. Doch als sie in den Spiegel sah und die Frau mit den hohen Wangenknochen und den tiefblauen Augen erblickte, deren dunkles Haar das Gesicht einrahmte, erkannte sie sich selbst.

"Wo bin ich hier?" Fragte sie und mußte grinsen, weil das die typische Frage einer nach langer Ohnmacht erwachten Person war.

"Du bist in meinem Haus, Virginia. Erkennst du mich noch?" Sprach Anthelia. Ihre übrigen Schwestern waren vor die Tür gegangen, um Anthelia mit ihrer neuen Muggelweltkundschafterin alleine zu lassen.

"Du bist wirklich eine Hexe", sagte Virginia und erschauerte unter dem hellen Klang ihrer Stimme.

"Genau, die Hexe Anthelia", erwiderte Anthelia lächelnd. Dann reichte Sie Virginia einen kleinen Becher. "Trinke das bitte, es stärkt dich. Einen neuen Körper zu bekommen zehrt an der Kondition."

"Ist das ein Zaubertrank? Ich dachte, du hättest mich schon verwandelt", erwiderte Virginia.

"Körperlich ja. Aber dein Geist und deine Seele wollen ihn nur annehmen, wenn du den Trank der inneren Harmonie getrunken hast."

Virginia nahm den Becher und trank< vorsichtig. Tatsächlich fühlte sie sich danach besser. Antehlia wußte, daß eine kleine Dosis des Psychopolaris-Trankes nötig war, um nicht wieder ein inneres Bedürfnis nach einem anderen Körper durchkommen zu lassen. Als die neue Kundschafterin in der Muggelwelt den Trank restlos getrunken hatte, überreichte Anthelia ihr noch ein Glas Wein, um die Seele zu lockern. In wirklichkeit hatte Anthelia diesen Wein verzaubert. Als Virginia ihn getrunken hatte, sprach sie:

"Von heute an wirst du bei deinem Leben über mich und alle meine Geheinmisse und Verbündeten stillschweigen oder sofort sterben. Shahagorian!"

Virginia fühlte einen heftigen Druck in ihrem Körper. Dann war es auch schon vorbei. Anthelia erzählte ihr nun, was sie für sie vorgesehen hatte. Virginia wollte wissen, ob sie nun wirklich alle körperlichen Funktionen einer Frau erfüllen konnte. Anthelia lächelte und schlug vor, sich demnächst jemanden zu suchen, um es auszuprobieren. Dann brachte sie ihre Neuerwerbung nach Orlando, Florida, wo sie alle privaten Aufzeichnungen Alexander Foxes an sich bringen wollte. Doch dort wartete schon jemand.

"Bonjour Mesdames! Hände hoch!" Sagte Laroche überlegen grinsend.

Anthelia lächelte, während Virginia Fox erschrocken vor dem ehemaligen Arbeitgeber zurückwich.

"Ich habe mir gedacht, daß man jemanden herschicken würde, um die Unterlagen dieses Möchtegernwunderdoktors abzuholen. Aber Pech, die habe ich bereits in meinem Selbstvernichtungskoffer. Der hat nämlich einige interessante Sachen erfunden. So, nachdem Sie das nun wissen, verschwinden Sie oder fallen hier tot um." Aus den anderen Räumen des Hauses traten fünf muskulöse Gestalten mit Maschinenpistolen. Anthelia lachte. Sie zog den Zauberstab. Laroche schoss. Die Kugel zerstob vor Anthelias Körper.

"Lasst das doch sein, das bringt nichts. Imperio!" Sie deutete mit dem Zauberstab auf den ersten Leibwächter. Dieser sah zunächst weltentrückt aus. Dann drehte er sich seinen Kollegen zu und feuerte auf sie. Nach wenigen Sekunden lagen alle Leibwächter Laroches tot am Boden.

"Du hast mich angegriffen. Bei Frauen fühlst du dich stark. Aber wenn du deine eigenen Leute anführen solllst ... Bleib gefälligst hier!" Schrillte Anthelia, als Laroche an ihr vorbeisprang. "Nun denn, du warst schon immer eine feige Ratte", sprach sie auf Französisch. Laroche blieb stehen, wandte sich um und stieß aus:

"Ich war und bin keine feige Ratte."

"Stimmt, du bist nur eine Schabe, die den Dreck und die Dunkelheit liebt", erwiderte Anthelia.

"Du nennst mich nicht so, Hexe", knurrte Laroche und griff nach anthelias Zauberstab. Sie ließ sich gefallen, daß er ihn ihr fortnahm. Er lachte. Doch als er sich zum gehen wandte, stolperte er und schlug der Länge nach hin. Anthelia ließ ihren Zauberstab wieder in die rechte Hand springen und sagte:

"Wenn ich jemandem sage, er sei eine kleine, Dreck und Dunkelheit liebende Schabe ..." Sie führte eine schnelle Folge von Bewegungen aus, worauf ein violetter Blitz aus dem Stab krachte. "... dann trifft dies auch zu", vollendete Anthelia den Satz, während ein kleines, braunes Insekt auf sechs flinken Beinen davonrannte.

"Komm, Virginia. Dein altes Leben ist vorbei."

Es krachte laut vor der Tür. Mehrere Zauberer der Strafverfolgungsabteilung waren angekommen, weil hier ein Apparieren, eine Verwandlung und nicht zu vergessen der unverzeihliche Imperius-Fluch passiert waren. Doch Anthelia hatte keine Lust, sich mit diesen Leuten anzulegen. Sie rief ein Zauberwort und richtete den Stab durch die Tür. Eine blaue Wolke quoll aus dem Zauberstab und breitete sich aus. "Komm!"Sagte sie zu Virginia und nahm sie bei der Hand.

Die blaue Wolke war eine von Sardonias gemeinsten Erfindungen. Denn sie trieb die Mitglieder einer Gruppe mit großem Aggressionsvermögen zum Kampf gegeneinander, solange sie in der Wolke blieben. Nur große Selbstbeherrschung oder schnelles Verlassen der Wolke bewahrten die Gruppenmitglieder davor, sich wie Berserker niederzumachen. Eine weitere Nebenwirkung dieser Wolke war, daß die, die in sie hineingerieten völlig vergaßen, warum sie jetzt eigentlich an diesem Ort waren.

So kam es, das Tulius Hammer, als er neben Jerry Winters im Bono-Goldroot-Krankenhaus für magische Gebrechen und Unfälle aufwachte, nicht mehr entsinnen konnten, wo sie hinwollten und warum. Nur die vielen Fluchmarken, die sie sich gegenseitig beigebracht hatten, verrieten, daß sie wohl heftig aneinandergeraten waren. Eine Heilerin, die die beiden untersuchte meinte:

"Den Fluch habe ich lange nicht mehr in Praxi gesehen. Sardonias Feindeswirrung. Daß den noch wer kennt?"

"wir wissen gar nicht, was wir da wollten, wo wir waren", stöhnte Hammer, dessen Kopf auf doppelte Größe angeschwollen war.

"Das wird Ihnen ihr Chef schon erklären, wenn wir Sie wieder entlassen können", sagte die Hexe.

__________

Es war gegen Mittag, als Ardentia Truelane einen Brief mitbrachte, der von der Thorntails-Akademie gekommen war. Madame Faucon und ihre Tochter erfuhren, daß Julius Andrews wohlbehalten sei, nachdem die Schulheilerin Hygia Merryweather ihn und einen männlichen Säugling auf einen magischen Notruf hin gefunden und in die Akademie gebracht hatte. Diese Nachricht war die beste, die Mutter und Tochter bekommen konnten. Mit dem blauen Vogel ging es nach Thorntails, wo sie Julius Andrews treffen wollten.

__________

Zwei Tage später las Anthelia den Kristallherold und grinste.

"Wie doch manche kleinen Dinge große Nachwirkungen haben können", sagte sie, bevor sie ihre Mitschwestern versammelte, um der beim Kampf gegen Hallitti getöteten Schwestern Delila und Dana zu gedenken. Danach wollten sie überlegen, wie sie es den anderen Schwesternschaften begreiflich machen konnte, was mit Dana und Delila passiert war. Sicher war, daß die englischen Nachtfraktionärinnen noch um eine Nachfolgerin stritten. Lady Nimoe, die Führerin der australischen Nachtfraktionärinnen, hatte bereits Lord Voldemort und seine Todesser im Verdacht, am ungeklärten Verschwinden ihrer achso treuen Mitschwester Delila Pokes Schuld zu haben. Sie würde sich überlegen, wie sie mit diesen Verdächtigungen und Vermutungen umgehen sollte. Klar war für sie nur, daß nun, nachdem Hallitti aus der Welt war, ihre eigentliche Mission weitergehen konnte, die Wiederherstellung der Vorherschaft der Hexen.

ENDE

Nächste Story | Verzeichnis aller Stories | Zur Harry-Potter-Seite | Zu meinen Hobbies | Zurück zur Startseite

Seit ihrem Start am 10. Dezember 2005 besuchten 3592 Internetnutzer diese Seite.