DIE KÖNIGIN DER NACHT

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Wiedergekehrte Hexenführerin Anthelia hat mit einiger Mühe ein immer dichter werdendes Netz von Getreuen über die Welt der magischen und magielosen Menschen gespannt. Sie hat eine der neun gefährlichen Abgrundstöchter, sowie den russischen Schwarzmagier Igor Bokanowski besiegen können. Doch gegen den die ganze Welt bedrohenden Dunkelmagier Voldemort ist ihr bisher kein wirksames Mittel in die Hände gefallen. Zwar hat sie ihn einmal im Duell besiegt, von ihm aber auch zwei Niederlagen hinnehmen müssen. Er gelangte vor sie an Yanxothars magisches Schwert und tötete eine ihrer besten Mitstreiterinnen. Auch schaffte er es, eine Streitmacht aus grauer Vorzeit wiederzuerwecken, gegen die sie mit dem Erbe ihrer Tante Sardonia nicht so einfach ankommen mag. Außerdem versucht die in den USA residierende Hexenlady Daianira Hemlock, die von dieser zu Anthelia übergelaufenen Hexenschwestern aufzuspüren und zu bestrafen. So gerät auch Patricia Straton ins Fadenkreuz Daianiras und täuscht mit Anthelias Hilfe ihren gewaltsamen Tod vor.

Anthelia weiß zwar, das Voldemort einen wichtigen Verbündeten verloren hat, als der Golemmeister Ismael Alcara versuchte, gegen Zauberer der Dragonbreath-Akademie zu kämpfen. Doch die wiedererweckte Streitmacht stellt ein unübersehbares Hindernis dar. Außerdem rechnet die wiedergekehrte Hexenführerin jeder Zeit damit, daß die schlaue wie skrupellose Vampirin Nyx die Macht des von ihr erbeuteten Mitternachtsdiamanten auskosten möchte. Anthelia weiß, daß sie nicht an so vielen Fronten zugleich kämpfen kann, auch wenn ihr mittlerweile über einhundert Hexen weltweit treu ergeben sind.

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Draco Malfoy saß da, gelähmt von Angst und Übelkeit. Gerade eben hatte er mit ansehen müssen, wie die Schlange des dunklen Lords die Leiche von Charity Burbage Stück für Stück in ihrem schuppigen Wanst hatte verschwinden lassen. Jetzt lag das beinlose Biest vollgefressen und träge in einer Ecke des großen Kaminzimmers im herrschaftlichen Haus seiner Eltern. Der dunkle Lord hatte alle treuen Todesser und die, die sich dafür hielten immer wieder mit seinen scharlachroten Augen angefunkelt, als wollte er ihnen sagen, daß sie ja aufpassen sollten, nicht selbst zu Schlangenfutter verarbeitet zu werden. Draco fühlte das Pulsieren des eingebrannten Males an seinem linken Arm. Er gehörte ihm, dem dunklen Lord. Und der dunkle Lord war der absolute Meister über sein Leben. Draco wußte, wenn Snape nicht Dumbledore getötet hätte, obwohl dieser Schlammblutfreund noch um sein Leben gebettelt hatte, dann wäre der einzige Sohn der Malfoys ganz bestimmt nicht mehr lebend im Haus seiner Eltern angekommen. Er wußte, daß er jetzt unumkehrbar auf dem Weg des dunklen Lords marschieren mußte, wohin dieser ihn auch immer führte. Er sah seine Mutter an, die mit einer gewissen Gefühllosigkeit dem grauenhaften Fütterungsakt zugeschaut hatte. Er sah seinen Vater an, der wie er selbst sehr unsicher wirkte, vor allem, weil er seinen Zauberstab hatte abgeben müssen, was eine unverhohlene Demütigung war. Er sah seine Tante Bellatrix, die mit außerordentlich überlegenem Grinsen auf den Tisch starrte, auf den vor nicht einmal zehn Minuten Charity Burbages Leiche herabgesunken war. Er wußte, daß sie den dunklen Lord mehr als verehrte. Wenn der sie damals mit einer Handbewegung zu sich gewunken hätte, sie hätte sich vor ihm nackt hingelegt und alles mit sich anstellen lassen, wußte Malfoy. Sein Onkel Rodolphus wußte das zwar auch. Doch er nahm es sehr gerne hin, daß Bellatrix, weil der dunkle Lord sie nur als treue Mitstreiterin schätzte und nicht als willige Geliebte, eine immer treue Ehefrau an seiner Seite hatte, um die Linie der Lestranges mit reinblütigen Nachkommen sauberzuhalten. Draco mußte sich anstrengen, seinen Geist zu verschließen, um den dunklen Lord nicht spüren zu lassen, wie angewidert er sich gerade fühlte. Andererseits hatte diese überhebliche Burbage ihr Ende auch verdient. Wie konnte die behaupten, daß den Muggelstämmigen, diesen ekelhaften Schlammblütern, die Zukunft gehöre und das auch noch gut sei? Bald würde sie nur noch ein Haufen Schlangenkot sein. Was sollte er, Draco Malfoy, ihr da noch mit Ekel oder Angewidertheit nachtrauern? Doch die Angst, die mit eisigen Klauen sein Herz umschlossen hielt, würde ihn, Draco, nun durch das ganze Leben begleiten. Er wußte, daß er nie wieder sein eigener Herr sein würde. Er gehörte jetzt dem dunklen Lord, mit allem was an und in ihm war. Wollte er weiterleben, mußte er tun, was der Herr und Meister wollte.

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Es war wie ein zweites, pochendes Herz, nur weiter unten, meinte die Vampirin Nyx. Der von ihr erbeutete und zur dauerhaften Aufbewahrung verborgene Mitternachtsdiamant schickte seine magischen Ströme durch ihren Leib, erfüllte sie und gab ihr neben einer wesentlich höheren Widerstandsfähigkeit auch ihre frühere Zauberkraft zurück, die sie als Hexe Griselda Hollingsworth besessen hatte. Sie genoß es, selbst bei Tageslicht einige Minuten draußen herumlaufen zu können, ohne Schmerzen zu empfinden. Wenn sie bei Tageslicht hinausging, hüllte der in ihr ruhende Mitternachtsdiamant sie in eine tiefschwarze Aura ein, die das schädliche Licht beinahe restlos verschluckte. Sie wußte nicht wie lange sie im Sonnenlicht herumlaufen konnte. Womöglich würde dadurch, daß sie den geheiligten Stein der Macht über Wesen ihrer Art ständig mit sich trug, dessen Kraft sie dauerhaft vor dem Tagesgestirn beschützen. Sie dachte an Haemophilos und den gemeinsamen Sohn Morpheus, die tief unten im alten Fabrikgebäude lagen und ihre Tagesruhe hielten. Vernünftig war es, ihnen dabei Gesellschaft zu leisten. Denn am nächsten Tag, dem sechsundzwanzigsten Juli, ihrem Hochzeitstag mit Haemophilos, wollte sie darangehen, die ersten neuen Gehilfen zu rekrutieren. Vorher mußte sie den im Mitternachtsdiamanten ruhenden Wächter befragen, ob stimmte, daß sie wirklich ohne übliches Ritual einen Menschen zu einem Kind der Nacht umwandeln konnte. Zusätzlich zu neuen Artgenossen wollte sie den mächtigsten Vampiren des nordamerikanischen Kontinentes einen Besuch abstatten, um sie durch direkten Blickkontakt unter ihre Herrschaft zu zwingen. Dabei mußte sie heimlich vorgehen, um nicht zu früh aufzufallen. Sie war sich sicher, daß diese einfältige Daianira und die andere Hexe sie nicht vergessen hatten. Sie wußten halt nur nicht, wo sie sie suchen sollten.

Sie schloß das Tor des Gebäudes und trat in die für sie so schützende Dunkelheit zurück. Sie fühlte, wie ihr dabei neue Kraft zufloß. Sie dachte daran, daß der Stein sich bei ihr offenbar sehr wohl fühlte, weil neben den üblichen Kraftströmen auch eine Form von Glücksgefühl in ihren Verstand einsickerte.

Sie wollte gerade hinuntersteigen und sich zu ihrer Familie legen, als sie mit ihren raubtierfeinen Ohren das Brummen eines Automotors in der Ferne hörte. Das Brummen kam näher. Sie konnte das Rauschen von Reifen auf Teer hören. Das Auto war wohl noch einen Kilometer weit fort. Doch es kam näher. Hierhin verirrte sich doch kein Wagen! Sie selbst hatte Morpheus, als er noch Mike Prowler geheißen hatte, den Weg genau beschreiben müssen, damit er diese entlegene, aufgegebene Anlage fand. Dann hörte sie noch einen Wagen und spannte sich an. Da draußen kamen zwei dieser stinkenden, viel zu lauten Motorwagen an. Sie sah sich mit ihren die Dunkelheit mühelos durchdringenden Augen um. Das Auto von Morpheus stand noch in der großen Eingangshalle. Seitdem Morpheus ihr sohn war hatte er es nicht mehr benutzt, auch weil die Ordnungshüter der magielosen Rotblütler und Sonnenlichtvergötterer meinten, ihn immer noch suchen zu müssen. Sie verlor jeden Zweifel, wohin die Autos wollten, als das Motorenbrummen immer lauter anschwoll und sie bereits die durch die Fahrgastzelle gedämpften Stimmen der Insassen unterscheiden konnte, wenn sie auch noch nicht verstand, was sie sagten.

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Gerald Wilson blickte auf den keine zwanzig Meter vorausfahrenden Ford Mustang. Die alte Kühlgerätefabrik lag noch etwa eine Minute voraus. Giles, der Immobilienmakler, der ihm heute dieses Objekt vorführen wollte, hatte sehr von den großen Gebäuden und dem freien Gelände geschwärmt. Hier wollte Wilson ein Lager für die Resozialisation straffällig gewordener Jugendlicher errichten, weit genug weg von der Megastadt, die solche vom Weg abgeratenen Subjekte ausbrütete. Er wollte heute sehen, ob die alten Fabrikgebäude, die nach dem Zurückfahren des Sternenkrieg-Projektes keine Raketen oder Superlaser mehr mit Kühlaggregaten versorgen mußte, komplett abgerissen werden sollten oder vielleicht als Quartiere dienen mochten. Wilson hielt nicht viel von dem psychologischen Getue von sanfter und rücksichtsvoller Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Wenn jemand voll aus der Spur geraten war, dann war mit sanftem Zurückschieben nichts zu machen. Da mußte es eben auf die harte, den eigenen Willen niederknüppelnde Art gemacht werden. Sein Partner Cody Jackson ließ seinen Blick über die verlassene Straße gleiten.

"Na, ob wir aus dem Ruinenpark 'ne echte Zuchtbude machen können, Gerry?" Fragte Cody.

"Es geht mir erst ums Gelände. Wenn die Größe paßt lasse ich wen herkommen, der checkt, ob von der Produktion irgendwelche Chemikalien im Boden versickert sind. Falls die grünes Licht geben, kläre ich mit Giles den Endverkaufspreis."

"Wenn die alten Besitzer wissen, was wir hier aufziehen wollen könnte es Probleme mit den Nachbarn geben", wandte Jackson ein. Er blickte in den Rückspiegel und versuchte, seinem Gesicht einen freundlicheren Ausdruck abzuringen. Die eisblauen Augen Jacksons trugen die Härte und Entschlossenheit des ehemaligen Marineinfanterie-Sergeanten. Wilsons blonder Bubikopf paßte irgendwie nicht so zu einem Gründer von Erziehungslagern, dachte Jackson immer wieder. Doch er hatte mit Gerry bei der Operation Wüstensturm Seite an Seite gekämpft und bewiesen, daß er nicht nur hart gegen andere, sondern vor allem auch hart gegen sich selbst sein konnte.

"Da, kuck! Das ist die alte Fabrik", sagte Wilson und deutete auf die nun klar unterscheidbaren Gebäude voraus. Giles bremste bereits und Wilsons Buick rasselte ihm fast ins Heck. Wilson knurrte eine Verwünschung, weil Giles so heftig in die Bremse gestiegen war und brachte seinen Wagen neben den Giles' zum stehen. Drei Sekunden noch schnurrten die Motoren der beiden Autos. Dann kehrte die Stille wieder ein, die diesen weitläufigen Ort wohl seit fünf Jahren umfangen hielt. Wilson blickte auf seine Armbanduhr: Zehn Minuten vor fünf Uhr Nachmittags. Er löste den Sicherheitsgurt, klappte die Tür auf und verließ den Wagen. Jackson blickte dem breitschultrigen Partner und ehemaligem Kampfgefährten nach. Er überlegte, ob er wirklich unbewaffnet in die Gebäude da hineingehen sollte. Vielleicht hausten hier doch irgendwelche Landstreicher oder Banditen, die keinen Wert auf Besuch legten. Er hatte immer wieder davon gehört, daß in stillgelegten Fabriken oder Lagerhallen zwielichtiges Gesocks unterkam, um dort vor der anständigen Welt in Deckung zu bleiben oder von dort aus wie mittelalterliche Raubritter gegen gesetzestreue Bürger vorzugehen. Er hatte es mit Gerry besprochen, ob sie bei der Erkundung besser ihre Pistolen dabei hatten oder nicht. Giles hatte zwar andauernd getönt, daß die Besitzer der alten Fabrik ab und an nachsehen ließen, ob da wer ihren Grundbesitz besetzt hatte. Doch was wußte soein Yuppie aus LA denn schon von Straßengangstern. Für Jackson waren Makler, Manager und Banker zwar auch nichts besseres als Gangster. Doch diese spielten in einer Liga, an die Jackson wohl nie heranreichen würde. Sein Ding war die direkte Konfrontation mit Menschen, nicht das Jonglieren mit anderer Leute Geld.

"Cody, wolltest du auch noch kommen?!" Rief Wilson von draußen. Cody Jackson murrte, prüfte, ob seine Pistole nicht gleich zu sehen war und stieg auch aus.

"Sehen Sie, meine Herren, da vorne ist das Gebäude, in dem die Großaggregate hergestellt wurden", sagte Giles, ein geschniegelt angezogener Mann Ende zwanzig mit bereits deutlichen Geheimratsecken in der kastanienbraunen Hochglanzfrisur. Wilson ließ den Blick seiner dunkelbraunen Augen über die großen Bauwerke gleiten, dann sah er auf den Boden und stutzte. "Sie haben was gesagt, daß hier in den letzten Jahren keiner reingekommen sei. Wann waren die Besitzer dieser Anlage zuletzt hier?" Erkundigte er sich. Giles stutzte und dachte nach. Dann sagte er:

"Mr. Cross war vor drei Monaten mit vier Leuten seiner Außendienstabteilung hier, um zu prüfen, ob die Gebäude unversehrt sind, Sir. Wieso fragen Sie?"

"Weil ich sicher sein wollte, daß uns hier niemand erwartet", sagte Wilson und warf seinem Partner einen schnellen Blick zu, den dieser kannte. Das bedeutete Alarmbereitschaft. "Bitte machen Sie das von dem großen Gebäude da auf!" Ordnete Wilson mit einer raschen Handbewegung auf das große Eingangstor an. Giles kramte in seiner rechten Jackentasche und zog ein Bund mit fünf ziemlich klobigen Schlüsseln heraus. Jackson hätte fast seine Pistole gezogen, weil die Bewegung des Maklers so fließend und schnell war. Doch er konnte sich gerade noch so beherrschen. Mit einem Schlüssel trat Giles an das Tor heran und hantierte daran, bis es laut klackernd aufsprang. Mit einer gewissen Anstrengung öffnete er das schwere Tor Zoll für Zoll.

"Eigentlich wurde dieses Tor immer elektrohydraulisch bewegt", sagte Giles, als er das schwere Tor weit genug zum Hindurchgehen geöffnet hatte. "Aber der Strom ist ja schon seit fünf Jahren abgeklemmt."

"Reicht schon", knurrte Wilson und holte eine starke Handlampe aus seiner kurzärmeligen Sommerjacke. Cody folgte dem guten Beispiel und holte seine Taschenlampe hervor. Dann folgte er Giles und Gerry in das Gebäude. Wilson knipste seine Lampe zweimal hintereinander an und aus. Für Cody hieß das, auf Alarmstufe Gelb zu gehen. Er ließ seine rechte Hand so unauffällig es ging in der Nähe seiner Waffe und betrat die beinahe dunkle Halle. Als Gerry seine Handlampe einschaltete bestrich ihr breiter Lichtkegel das Heck eines schwarzen Autos, das dem des Maklers ähnelte. Der Makler schrak fast zurück, während Wilson und Jackson ihre Lampen auf den hier einfach so herumstehenden Ford richteten.

"Der gehört aber nicht Mr. Cross, oder, Mr. Giles?" Schnarrte Wilson und tauchte das Nummernschild in das Licht seiner Lampe. Jackson sah, daß der Wagen in Kalifornien zugelassen war und notierte sich die Nummer im Kopf.

"Das ist merkwürdig. Dieser Wagen dürfte nicht hier stehen", sprudelte es aus Giles heraus. "Mr. Cross fährt einen Mercedes."

"Dann ist hier wohl wer drin, der hier nicht hingehört", knurrte Wilson und zog mit einer fließenden Bewegung eine Pistole heraus. Keine Sekunde später hatte auch Jackson seine Waffe im Anschlag. Da passierte es. Aus der noch im dunkeln liegenden Ecke flog etwas heraus, ein großer Schatten, schlank und schnell. Erst als die Ausläufer des grellen Lichtkegels die Gestalt trafen, sah Jackson, daß es eine Frau war. Doch sie bewegte sich so schnell!

"Achtung!" Rief Jackson und versuchte, die von der Dunkelheit ausgespuckte Fremde anzuvisieren. Doch Wilson stand bereits Kampfbereit da. Die Fremde schnaubte leise, als der Strahl von Jacksons Lampe sie voll im Gesicht erwischte. Jackson erschauderte. Ein so bleiches Gesicht hatte er bisher nur an Leichen gesehen. Die eingefallenen Augen der Fremden flatterten unter der Einwirkung des elektrischen Lichtes. Dann lächelte sie. Jackson fühlte eine Mischung aus Schauer und Verachtung. Zwei nadelspitze, weiße Vampirzähne blitzten ihm entgegen. Dann geschahen zwei Dinge, die Jackson fast um seine Selbstbeherrschung gebracht hätten. Mit einer wütenden Handbewegung durch die Luft fauchte die Unbekannte:

"Licht aus!" Darauf erloschen die beiden eingeschalteten Taschenlampen. Wilson zögerte keine Sekunde und feuerte. Laut hallten zwei Schüsse durch die Halle. Jackson hörte zwei davonsirrende Querschläger. Dann polterte es, und er konnte Wilsons wütenden Aufschrei hören, der mit der sich nun in völliger Dunkelheit gegen ihn werfenden Fremden rang. Giles stand einen Moment da und wußte nicht, was hier geschah. Dann sprang sein Fluchtinstinkt an und trieb ihn dazu, schnell durch das Tor zu entwischen, durch das nur wenig Tageslicht hereinsickerte. Jackson versuchte, seine Lampe wieder einzuschalten. Doch als wenn die Batterien völlig leer seien, blieb die leistungsstarke Glühbirne dunkel. Wilson rief noch:

"Verdammt, die ist zu stark, Cody!" Dann röchelte er nur.

Jackson rannte in die Beinahe Dunkelheit hinein, um seinem Partner zu helfen. als er ihn erreichte, erwischte ihn eine schlanke Hand mit eiserner Gewalt am Hals, wirbelte ihn wie einen Strohsack herum. Jackson drückte ab. Laut krachte der Schuß. Fast zeitgleich klang das Pfeifen eines Querschlägers und das metallische Scheppern, weil die abgeprellte Kugel in den hier geparkten Ford eingeschlagen war.

"Fallen lassen", fauchte die Unbekannte, deren zweite übermenschlich starke Hand nach Jacksons Waffenarm langte. Der ehemalige Sergeant versuchte, mit dem freien Arm einen Karateschlag anzubringen. Doch der Hieb prallte auf einen betonharten Widerstand. Er fühlte den Schmerz in seiner Hand explodieren, als ihm wohl mehrere Fingerknochen brachen. Dann warf sich die unheimliche Kreatur auf ihn. Er ignorierte den Schmerz und versuchte, die Angreiferin mit seinen sonst so tödlichen Nahkampftechniken auszuschalten. Doch sie war zu schnell und zu stark. Es dauerte keine zwei Sekunden, da hatte sie den ehemaligen Marineinfanteristen in einer stählernen Umklammerung. Jackson versuchte verbissen, die ihm überlegene Feindin abzuschütteln. Doch sie umschlang ihn wie festgeschweißt. Dann sah er die nun gespenstisch graue Fratze auf sein Gesicht herabsinken, blickte in die Augen der Kreatur, die schwarz und tief wie Seen bei Mitternacht auf ihn wirkten. Schlagartig verebbte jeder Widerstandswille. Schlaff hing er nun in den Armen der Unheimlichen, die ihn nun zu Boden gleiten ließ und sagte:

"Ihr gehört jetzt mir." Dann huschte sie in Richtung Tor. Wilson und Jackson blieben wie betäubt liegen, bekamen jedoch mit, wie die Fremde durch das Tor schnellte und auf den Hof hinauseilte. Da sprang gerade der Motor von Giles' Mustang an. "Du bleibst hier!" Hörten sie die Fremde rufen. "Impedimenta!" Das letzte Wort klang wie ein Befehl oder eine Beschwörung. Der Motor erstarb knirschend. Dann hörten sie, wie die eine Tür mal eben aus den Scharnieren herausgebrochen wurde. Eine halbe Minute später kehrte die Unheimliche zurück, Der am boden liegende Jackson konnte gerade noch sehen, daß sie etwas großes, schweres über ihre Schulter geworfen hatte. Dann flog das Tor zu und sperrte den winzigen Anteil Tageslicht aus. Totale Finsternis überkam sie alle. Jackson hörte noch, wie etwas schweres neben ihm abgelegt wurde und fühlte die Wärmeausstrahlung eines lebenden Menschen ganz nahe bei sich.

"Ihr und alles hier seid jetzt mein persönliches Eigentum", schnurrte die Stimme der Fremden. "Ich wolte an und für sich erst morgen abend losziehen, aber ihr drei kommt mir unheimlich gelegen." Dann hörte Jackson, wie sein Partner schmerzhaft aufschrie, was jedoch sofort in ein merkwürdiges Gurgeln überging.

Jackson hörte, daß es seinem Partner wohl übel erging. Er versuchte, sich zu bewegen. Doch was immer ihn so heftig überwältigt hatte, erschwerte seine Bewegungen.

"Du wirst gleich ausruhen können", sprach die Fremde nach ungefähr zwei Minuten. Jackson fühlte, wie sie sich ihm näherte. Dann fühlte er den bohrenden Schmerz, als zwei messerscharfe Fangzähne in seinen Hals drangen. Der Rest seines Widerstandsgeistes trieb ihn zu einer letzten vergeblichen Abwehrbewegung, während das Monster in Menschengestalt wie wild an seinem Hals sog. Der letzte Gedanke, bevor ihn eine ungeahnte Erschöpfung übermannte war, daß es doch kein Märchen war, und es echte Vampire gab. Dann versank er in einer tiefen Bewußtlosigkeit.

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Daianira Hemlockamüsierte sich köstlich. Sie saß mit ungefähr hundert anderen Hexen und Zauberern auf den mit Polsterungszaubern komfortabel ausgestatteten Zuschauerbänken im mittelgroßen Raum für zivile Rechtsfragen, wo gerade eine höchst kurzweilige Verhandlung stattfand. Der ehrenwerte Richter Ironside in seiner roten Robe und der Mütze des obersten Zauberergerichts auf dem Kopf hörte gerade aufmerksam zu, wie sich ein hochgewachsener, blondhaariger Zauberer in himmelblauer Robe die Argumente zerpflückte, die eine Hexe mit hellgrauen Locken, hochwangigem, bleichem Gesicht, Kurzer Nase und spitzem Kinn vorgetragen hatte. Daianira kam nicht umhin, die Hexe im dunkelblauen Kleid immer wieder bedauernd anzusehen. Eigentlich ging es um nichts besonderes. Die Hexe auf dem Stuhl der Anklägerin beschuldigte zwei attraktive Hexen in Rock und Bluse, in ihrem Kosmetikladen in New Orleans Artikel zu vertreiben, die ausschließlich für haltlose, unzüchtige Hexen gedacht seien. Sie hatten sich Hypereidis Greenwood als Anwalt genommen, der jetzt, wo die Anklägerin den ihrer Meinung nach klaren Fall ausgiebig geschildert hatte, mit fünf Sätzen die Vorwürfe aushebelte.

"Ja, es ist wahr, daß meine Mandantinnen in ihrer Niederlassung Weißrosenweg 160 Artikel verkaufen, die der Pflege höchstprivater Körperstellen dienen. Das bestreitet niemand. Da sich diese Produkte zum einen in einer extra für weibliche Kundschaft ausgewiesenen Raum befinden, sowie in Regalen auf einer Höhe liegen, die von Kindern unter zwölf Jahren nicht überblickt werden kann, können nur Kundinnen über fünfzehn Lebensjahren sie überblicken und auswählen. Es ist auch ein unhaltbarer Vorwurf, Körperpflege oder Gesunderhaltung sei etwas, was gleich als anrüchig zu sehen ist, nur weil es meiner werten Opponentin mißfällt, daß Hexen sich ihrer Attraktivität versichern möchten, um für sich und andere ein gutes Erscheinungsbild abzugeben. Wer diesen Hexen die Möglichkeiten verwährt, weil er - oder sie - die allgemeine Moral in Gefahr sieht, vergeht sich an der Freiheit zur Bestimmung über den eigenen Körper und das Recht an körperlichem Wohlbefinden, wozu auch die Pflege gewisser Stellen zu bestimmten Zwecken gehört."

Die Anklägerin, Professor Alexandra Pabblenut, wetterte dagegen, daß das die erwartete Behauptung eines Mannes sei, der sich daran erfreut, wenn Frauen sich seinetwegen schön und genießbar halten. Dagegen warf Greenwood ein, daß Pabblenut im Grunde auch die Abschaffung von Haar- und Bartpflegemitteln fordere, wenn sie eine allgemeine Beschränkung verschönernder und pflegender Artikel fordere. Einer der Beisitzer, der einen schwarzen Vollbart besaß, zwinkerte Greenwood zustimmend zu. Dann ging der Schlagabtausch weiter. Daianira fragte sich allen Ernstes, ob Pabblenut sich darüber klar war, daß sie doch schon verloren hatte. Keiner hier pflichtete ihr bei. Von den Geschworenen schien keiner von der Richtigkeit ihrer Vorwürfe überzeugt zu sein. Der vorsitzende Richter, Chrysostomos Ironside, hatte eine gewisse Mühe, die Parteien zu einer geordneten Verhandlungsführung zu bringen. Zwischendurch sagten einige Kundinnen aus, die am 18. Juli in besagtem Laden eingekauft hatten, junge Hexen nach der Ausbildung, darunter Brittany Forester, die Tochter von Daianiras ehemaliger Kollegin in Thorntails, sowie eine rüstige ältere Hexe namens Lusinda Ringtail, die auf direkte Anfragen des Gerichtes erläuterte, daß sie über das Warenangebot speziell für Hexen sehr zufrieden sei, weil sie auf ihre alten Tage doch dieses oder jenes Problem mit ihrem Körper habe und froh sei, nicht für jede Sache einen Heiler um entsprechende Rezepturen bitten zu müssen.

"Ich habe in meinem Leben sieben Kinder geboren und empfinde es trotzdem, daß diese Kinder mir nun fünfzehn Enkel beschert haben immer noch schön, einen ansehnlichen Körper zu besitzen und die Spuren der sieben Schwangerschaften so bequem beseitigen zu können", antwortete Mrs. Ringtail auf die Frage von Professor Pabblenut, ob sie es nicht empörend fände, solche Artikel im freien Verkauf zu finden. Damit war die Argumentation für Greenwood kein Thema mehr. Er forderte eine Begutachtung des Warenangebotes durch das Gericht. Dieses gab dem Antrag statt. Allerdings sollte kein Publikum anwesend sein.

Am Nachmittag, als die streitenden Parteien sich wieder hier einfanden, kam es zur erwarteten Urteilsverkündung. Die beklagten, Mrs. Dione Porter und Ms. Melanie Redlief, wurden in allen zur Last gelegten Punkten freigesprochen. Das wiederum eröffnete bessere Chancen für die zeitgleich eingereichte Gegenklage wegen Ruf- und Geschäftsschädigung. Daianira war gespannt, ob und wie sich Alexandra Pabblenut da herauswinden wollte. Sollte sie ihr von ehrwürdiger Hexe zu ehrwürdiger Hexe raten, die Anschuldigungen gegen Dione Porter und Melanie Redlief zurückzunehmen und dies vor Gericht beurkunden zu lassen? nein, sie wollte sie in die eigene Fallgrube stürzen sehen. Sicher, sie hielt nicht viel von solchen Hexen, die sich zum Lustobjekt von Zauberern degradierten. Aber sie sah in der Selbstbestimmung über Aussehen und Funktionsfähigkeit des eigenen Körpers auch und vor allem ein Grundrecht für Hexen. Also ließ sie es darauf ankommen.

"Madam Hemlock, Sie haben, wie ich mitbekommen konnte, den ganzen Prozeß mitvverfolgt", sprach sie Dorian McMillan vom Kristallherold an, der häufig über Skandale und Gerichtsverfahren berichtete. Daianira nickte zwar, sagte dann aber sofort:

"Ich sehe mich nicht dazu berufen, der Öffentlichkeit meine Meinung über Verlauf und Ausgang des Prozesses mitzuteilen. Fragen Sie die Kolleginnen von Professor Pabblenut oder die Verwandten von Mrs. Porter oder Ms. Redlief!"

"Nun, es ist allgemein bekannt, daß Sie und Professor Pabblenut häufige Meinungsverschiedenheiten haben, die öffentlich ausgetragen wurden und im öffentlichen Interesse sind", hakte McMillan nach. "Damit interessiert sich die Öffentlichkeit natürlich für Ihre Meinung, wo Sie ja offenkundig herkamen, um mit eigenen Augen und Ohren zu erfahren, was an den Anschuldigungen dran war, die ja jetzt ausgeräumt wurden."

"Ich habe den Prozeß als Interessentin an Verfahren über Zucht und Unzucht verfolgt, da ich selbst ja einst für die Ausbildung junger Hexen und Zauberer zuständig war. Das dürfen Sie schreiben. Mehr sage ich nicht."

"Sie haben doch eine Meinung zu diesem Vorfall", ließ der Reporter nicht locker. Daianira sah in der Menge eine atraktive, kaffeebraune Hexe mit fast schwarzen Kulleraugen, die sehr interessiert auf alles lauschte, was um sie herum geschah. "Wenn ich Ihnen etwas erzähle hat Ihre Konkurrentin vom Westwind das schneller in ihrer Zeitung untergebracht als Sie Ihrem Redakteur eine entsprechende Eule zuschicken können, Mr. McMillan", sagte sie und deutete auf die Lauscherin, die in ihrem kurzem, hellgrünen Sommerkleid schon eine sehenswürdige Erscheinung bot.

"Ich habe Ms. Knowles auch gesehen, Madam Hemlock. Aber wir haben mit Mrs. Porter und Ms. Redlief einen Exklusivvertrag, daß zu dem Prozeß nur bei uns ausführlich berichtet werden darf. Ich denke nicht, daß Ms. Knowles sich gegen die bestehenden Übereinkünfte vergeht", erwiderte McMillan und winkte Ms. Knowles, die gerade auf Professor Archer von der Broomswood-Akademie für junge Hexen zusteuerte.

"Ich denke, Ms. Archer wird Ihrer Kollegin vom Westwind sehr gerne eine ausführliche Darstellung des Prozesses gönnen", erwiderte Daianira. McMillan erkannte, daß er vielleicht besser klärte, wer hier welche Rechte hatte und ließ von Daianira ab, die sichtlich erleichtert war, den Reporter nicht drohen oder gar züchtigen zu müssen. Denn keiner mußte wissen, was in ihr vorging. Sie entfernte sich so unauffällig wie sie konnte und disapparierte aus dem Foyer des Zaubereiministeriums.

Wieder zurück in ihrem offiziellen Wohnhaus fand sie vier Briefe in ihrem am Dach hängenden Briefkasten. Einer war vom Hauptquartier der nordamerikanischen Kräuterkundler und beinhaltete eine Einladung für den siebten August. Der zweite Brief stammte von einer Bundesschwester aus Peru. Der dritte hatte eine weite Reise aus England hinter sich gebracht und stammte von Ursina Underwood. Der vierte trug ein ihr zu gut vertrautes Zeichen, die schwarze Spinne im silbernen Netz. Sie wagte es also, ihr einen offenen Brief zu schreiben? Daianira verzog das Gesicht zu einer verärgerten Grimasse und prüfte den vierten Brief auf versteckte Flüche. Tatsächlich fand sie den Sanguisignum-Zauber, einen Zauber, der den Inhalt des Briefes nur dem enthüllte, der mit einem Tropfen Blut beeidete, der richtige Adressat zu sein. Das war in der Tat eine Erfindung Anthelias, wußte Daianira. Damit konnten unsichtbare Briefe geschrieben werden, die nur vom Empfänger und keinem anderen gelesen werden konnten. Sie prüfte, ob die Schwarze Spinne auf dem Umschlag noch andere Nettigkeiten barg und erkannte, daß sie tatsächlich einen stark verdichteten Zauber trug, der von Sanguisignum jedoch überdeckt wurde. Womöglich hatte Anthelia ihr Markenzeichen wieder mit dem heimtückischen Dinocustos-Fluch belegt, um irgendwelche dummen Tricks zu ahnden. Daianira öffnete den Briefumschlag, zog den Pergamentbogen heraus und legte ihn vor sich auf den Tisch. Tatsächlich wirkte er auf beiden Seiten unbeschrieben. Sie holte aus ihrer Küche eine silberne Nadel, piekste sich damit in den linken kleinen Finger und ließ drei Tropfen Blut auf den Pergamentbogen rieseln. Unverzüglich leuchtete das Stück Pergament im selben Farbton wie das Blut, mit dem es benetzt worden war. Das hielt eine Sekunde vor, dann lag es unscheinbar da. Die auf ihm gelandeten Blutstropfen waren jedoch verschwunden. Daianira sttupste den angepieksten Finger mit dem Zauberstab an, worauf die winzige Wunde rückstandslos verheilte. Dann drehte sie das Pergament um und las in blutroter Schrift:

Hallo Lady Daianira,

Wenn Ihr das lest, so ist Euch mein Verfahren zur Bergung vertraulicher Botschaften wohl vertraut. Ihr habt ganz bestimmt Kenntnis darüber erlangt, daß Euer Vorhaben, meine bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wertvolle Mitschwester Patricia Straton wider mich aufzubringen, kläglich gescheitert ist. Ich sah mich genötigt, jenen Schwestern, die mir genauso loyal verbunden sind wie Euch, unmißverständliche Kunde zu geben, daß ich jede aus dem Leben stoße, die sich von Euch oder anderen verlocken oder einschüchtern läßt. Diese meine Botschaft ist gewiß in den Reihen jener Schwestern angelangt, die befanden, mich wegen Eurer Überredungskünste verlassen zu können. Sicher, Ihr nehmt für Euch in Anspruch, keine Mitschwester abtrünnig werden zu lassen. Doch bedenkt dabei gütigst, daß ich in dieser Kunst einen umfangreicheren Erfahrungsschatz vorzuweisen habe! So möchte ich Euch mit allem noch für Euch verbliebenem Respekt darum bitten, nicht erneut wider meine Pläne zu handeln, falls Ihr nicht danach trachtet, zu einem unaufschiebbaren Problem für mich zu werden, dessen ich mich dann unverzüglich entledigen werde.

Da wir dies nun klargestellt haben möchte ich euch über zwei Dinge in Kenntnis setzen, die mir Anlaß zur Beunruhigung geben und auch Euch nicht erfreuen werden.

Der erste punkt betrifft jene Vampirin, die Ihr in der Hoffnung, unserem gemeinsamen Widersacher aus England zuvorkommen zu können, in den Besitz eines übermächtigen Gegenstandes habt gelangen lassen. Es kann nicht Euer Wunsch sein, daß diese Vampirin, die sich selbst Lady Nyx nennt, die volle Macht ausschöpft, welche der Stein über andere Vampire besitzt. Daher sollten wir uns auf neutralem Boden treffen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Nyx zu beschließen, sollte sie sich anschicken, den Verlockungen des Steines zu verfallen und sich zur übermächtigen Herrscherin aller Vampire auf Erden aufzuschwingen und damit zur weiteren Bedrohung wird.

Die zweite unangenehme Neuigkeit, die ich Euch mitteilen muß lautet: Der zerstörungssüchtige Waisenknabe, den Ihr als Emporkömmling bezeichnet, welcher sich in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung Lord Voldemort nennt, plant, die Macht des britischen zaubereiministeriums an sich zu reißen und so zum Herren der zwei Inseln aufzusteigen, von denen aus er seine Vorstellungen von einer Welt der inzüchtigen Zauberer verbreiten will. Ich habe sichere Kunde davon, daß er sich mit Mitteln und Helfern ausgestattet hat, um sich schier unangreifbar auf seiner Heimatinsel auf den Thron der Macht zu setzen. Ich würde gerne auch darüber mit Euch sprechen, wie weit wir unsere Mitschwestern wirkungsvoll führen und dagegen vorgehen können. Ich überlasse es Euch, einen von keiner Seite beanspruchten Ort für die fällige Unterhandlung zu erwählen. Legt Ihr keinen Wert darauf, mit mir in diesen beiden Dingen ein Bündnis einzugehen, so verweise ich euch auf zwei Dinge: Die Mehrheit der entschlossenen Schwestern würde mir folgen, wenn ich sie dazu auffordere. Außerdem bin ich nicht zu schwach, um die von mir dargelegten Unannehmlichkeiten nicht auch aus eigener Kraft angehen zu können. Mein Vorschlag ist eine Anregung, eine Geste meines immer noch bestehenden Respekts für Euch und die Arbeit, die Ihr in den letzten Jahren geleistet habt. Gebt mir einen Grund, diesen Respekt aufzukündigen, und Ihr werdet künftig ohne Hilfe dastehen! So wägt bitte genau ab, für was und wen Ihr steht und welche Auswirkungen Eure Entscheidung haben wird!

Schickt mir Eure Antwort bitte zu Renos Mammutbaum! Dort werde ich Eure Post abholen, wenn ich weiß, daß mich niemand beobachtet. Ihr kennt ihn ja von euren Treffen mit Pandora Straton her.

Hochachtungsvolle Grüße

Anthelia, die Erbin Sardonias

"Bist ja selbst schon größenwahnsinnig", knurrte Daianira und legte den Brief hin, worauf die blutrote Schrift innerhalb einer Sekunde wie eingesaugt im Pergament verschwand. Sie dachte kurz darüber nach, ob sie auf Anthelias sogenannten Vorschlag eingehen wollte. Einerseits hatte sie bei dem Treffen der Landessprecherinnen der entschlossenen Schwestern in Frankreich erkannt, wie mächtig Anthelia schon war, wenn sie sich den anderen offenbaren konnte. Doch sie hatte auch befunden, daß sie ihre hart erarbeitete Stellung in der Hexenwelt nicht wegen einer wie auch immer wiedergeborenen Kettenhündin Sardonias aufgeben würde. Sie las aus dem Brief heraus, daß sie sich im Bezug auf den Emporkömmling nicht stark genug fühlte, um ihn alleine zu stellen. Doch das mit Lady Nyx war schon zu bedenken. Es ärgerte Daianira, daß sie die Schuld dafür tragen sollte, daß Nyx den Mitternachtsdiamanten erbeutet hatte. Der Stein war ja schon in den Händen einer der Abgrundstöchter. Hätte diese ihn festgehalten und mitgenommen, so wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sämtliche Vampire der Welt ihr Dasein aushauchten. Sie mochte keine Vampire, wenngleich sie mit Nyx ein gewisses Zweckbündnis eingegangen war. Doch das war mit der Erbeutung des Mitternachtsdiamanten hinfällig geworden. Daianira hatte wohl nur die Wahl, als Nyxes rotblütige Gehilfin, als ihre durch den Diamanten versklavte Artgenossin oder als blutleere Leiche zu enden, wenn sie keine Mittel fand, die Macht des Mitternachtsdiamanten zu brechen. Die einzige Trumpfkarte in ihrer Hand war das Medaillon der Inkas, das sie vor Jahren an sich bringen konnte. Doch wenn Nyx sogar gegen die Macht einer Abgrundstochter gefeit war ... Sie wollte bestimmt nicht schwarzsehen. Dann wäre sie sicher nicht zur Landessprecherin der entschlossenen Schwestern Nordamerikas aufgestiegen. Sie lächelte jedoch bei dem Gedanken daran, daß Anthelia kein Artefakt wie das Medaillon besaß. Doch da fiel ihr ein, daß Anthelia die Gelegenheit gehabt hätte, es an sich zu nehmen. Wollte sie es nicht haben? Warum hatte Anthelia die Gelegenheit nicht genutzt? Sie hätte sofort zugegriffen, sofern das Medaillon sich nicht gewehrt hätte ... Das mochte es sein. Womöglich umgab Anthelia etwas, daß das Medaillon nicht mochte und sich ihr sehr wirkungsvoll verweigert hatte. Daianira wußte, daß das goldene Kleinod, das die Kräfte der Sonne bündeln und auf einen der Sonne feindlichen Gegner schleudern konnte in ihren Händen längst nicht die ganze Kraft entfaltete, die es ihrem Wissen nach besaß. Nur ein wahrer Sohn der Sonne, ein Erbe der Inkas, würde die volle Macht des Medaillons zu seinem Dienst rufen können. Doch von denen gab es keinen mehr, war sich Daianira sicher. Denn dann hätte das Medaillon wohl versucht, zu diesem hinzugelangen. Doch mit der Macht, die sie bisher damit ausgeübt hatte konnte sie an und für sich zufrieden sein, wenn Nyx durch den Diamanten nicht um ein vielfaches mächtiger als vorher geworden wäre. Zumindest aber hielt sie eine wirksame Waffe gegen gewöhnliche Vampire in Händen, und die fehlte Anthelia wohl. Sicher, sie beherrschte gewiß die entsprechenden Wehrzauber. Aber das Medaillon reagierte auch schon ohne Anrufung.

Die Haustürklingel läutete. Daianira zog eine Schublade des Schreibtisches auf und versenkte den mit dem Blutsiegelzauber behandelten Brief darin. Dann ging sie zur Tür und öffnete. Donata Archstone stand davor.

"Ich habe nicht viel Zeit", mentiloquierte sie Daianira. "Der Minister wird heute abend wiederkommen und erwartet meinen Statusbericht." Daianira nickte und ließ die Besucherin ein.

"Was führt dich zu mir, Schwester Donata?" Fragte Daianira, als sie in einem provisorischen Klangkerker saßen.

"Wishbone will im Falle seiner Wahl gezielt nach den Mördern von Pandora und Patricia Straton suchen. Dabei könnten auch alle dem Ministerium bekannten Hexen verhört werden."

"Du gehst davon aus, daß du es nicht verhindern kannst, ohne aufzufallen?" Fragte Daianira herausfordernd.

"Neue Gesichter bleiben nicht gerne allein, Lady Daianira. Das war doch bisher meistens so, daß die relevanten Posten neu besetzt wurden, wenn ein Amtswechsel stattfand. Daß ich noch im Amt bin liegt ja nur daran, daß Cartridge nicht so einfach wen neues einsetzen wolte. Wishbone hat genug Freunde, denen er den einen oder anderen Posten überlassen möchte. Natürlich lege ich es nicht darauf an, meinen guten Posten zu verlieren, Lady Daianira. Doch ich möchte für den Fall, daß Wishbone mich durch einen seiner Kumpels austauschen möchte vorgewarnt haben."

"Die Ministerwahl ist am einunddreißigsten Juli, Schwester Donata. Meinen Quellen nach müßte Cartridge etwas ganz dummes tun, um jetzt schon abgewählt zu werden."

"Ja, aber wir im Ministerium kriegen auch so manches Mit, Lady Daianira. Es ist schon im halben Berg herum, daß Cartridge sich auf dem Ministerstuhl nicht sonderlich wohl fühlt. Er möchte am liebsten mit seiner Frau und seinem Söhnchen in Ruhe leben, außerhalb der Öffentlichkeit und ohne diese Bürde. Auch seine Wahlkampfauftritte sind eher Pflichtprogramm als Bestrebung, Lady Daianira."

"Wishbone als Minister? War er es nicht, der für die Entlassung aller Hexen in wichtigen Stellungen plädiert hat, weil Ironquill gegen uns entschlossene Schwestern gehetzt hat?"

"Ja, und er hat es nicht mitbekommen, daß Davenport durch einen Doppelgänger aus der Bestienbrutanstalt von Bokanowski ersetzt wurde. Das könnte ein sein Amt liebender Minister als entscheidendes Argument gegen ihn verwenden."

"Wohl eher nicht, weil diesen Austausch ja keiner bemerkt hat", erwiderte Daianira. "Aber du hast recht, daß wir einen hexenfreundlicheren Minister im Amt halten sollten. Womöglich müßte Cartridge weitermachen, wenn die Wahlen erneut abgesagt werden, weil eine landesweite Krise eintritt."

"Diesmal nicht, Lady Daianira. Es existieren genug Alarmpläne, von denen ich einige ausgearbeitet habe, wie Ihr wißt", erwiderte Donata Archstone.

"Du erwähntest, daß sie die Mörder der Stratons suchen wollen, falls Wishbone ins Ministeramt gewählt wird", griff Daianira den eigentlichen Grund für Donatas Besuch wieder auf. Sie nickte.

"Ich habe patricia nicht ermordet, und Pandora starb unter dem Todesfluch des Emporkömmlings. Das wird spaßig, wenn das Ministerium die beiden wahren Täter zu fassen versuchen sollte."

"Ihr wart mit Pandora unterwegs, Mylady", wies Donata ihre Anführerin auf einen bestimmten Sachverhalt hin.

"Was nur wir entschlossenen Schwestern und die Wiederkehrerin wissen, Schwester", knurrte Daianira. "Und an deiner Stelle würde ich dafür sorgen, daß deine Behörde es auch nicht erfährt."

"Diese Vampirin, Lady Nyx, könnte uns in der Sache querkommen", warf Donata ein. "Sie könnte dem Ministerium anonym zuspielen, wer sie nach Montenegro gebracht hat, wenn wir ihr zu sehr zusetzen oder sie meint, von uns nichts befürchten zu müssen."

"Sogesehen hat sie das im Moment auch nicht", erwiderte Daianira verdrossen. "Aber sie hätte nichts davon."

"Sie könnte Euch damit wunderbar aus dem Weg räumen. Immerhin habt Ihr ja noch das Medaillon." Daianira verzog das Gesicht und nickte mechanisch. Dann starrte sie Donata Archstone an, die tunlichst ihren Geist verschloß.

"Das könnte ihr in der Tat einfallen", schnaubte die Führerin der nordamerikanischen Nachtfraktionsschwestern.

"Wie hindern wir sie daran? Bieten wir ihr etwas an oder sehen wir zu, sie zu vernichten?"

"Damals auf Gorans verfluchtem Berg hätte ich alles gegeben, um sie uns wortwörtlich vom Hals zu schaffen, Schwester Donata. Aber da waren noch die Wiederkehrerin, der Emporkömmling und diese nackte Kreatur aus Lahilliotas Schoß. Nyx entkam mit dem Diamanten."

"Sind unsere Chancen jetzt besser?" Fragte Donata.

"Wenn du mir einen echten Inka herschaffen kannst, der freiwillig für mich das Medaillon mit voller Kraft einsetzt ja", knurrte Daianira. "Aber ich werde zusehen, daß Nyx es auch so bereuen wird, daß sie mich hintergangen hat."

"Wie?" Fragte Donata.

"Arbeite ich gerade aus, Schwester Donata. Am besten kehrst du schnell in dein Büro zurück, bevor dich noch wer sucht und meinen könnte, du würdest mit jemandem konspirieren. Denke daran, Cartridge macht im Moment auch für dich und für uns Wahlkampf."

"Dann sollte er in den nächsten Tagen mehr Einsatz zeigen", schnarrte Donata. Daianira hatte dem nichts mehr hinzuzufügen.

"Das könnte Nyx wirklich einfallen, mich wegen meines netten Schmuckstücks aus der Welt schaffen zu lassen", dachte Daianira, als Donata Archstone ihr Haus wieder verlassen hatte. An die Möglichkeit hatte sie nicht gedacht. Außerdem, das fiel ihr nun auch glasklar ein, konnte Anthelia sich mit Nyx gegen sie verbünden, wenn sie die Wiederkehrerin nicht würdigte oder sie gar offen bekämpfte. Daher war es wohl nicht verkehrt, sich mit Anthelia zu treffen, allein um sie von derartigen Ideen abzuhalten. doch auch das mit dem echten Inka, der ihr medaillon anrufen könnte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie bedauerte es sehr, daß Pandora nicht mehr da war, um weitere Nachforschungen über ihr mächtiges Schmuckstück anzustellen.

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"Ich habe deiner entschlossenen Mitschwester Daianira einen Brief geschickt, Schwester Donata", offenbarte Anthelia ihrer getreuen Mitschwester Donata Archstone. "Hat sie davon etwas erwähnt?"

"Nicht das ich wüßte. Wir sprachen über die zukünftige Politik, wenn Cartridge nicht im Amt bestätigt werden sollte und was wir im Bezug auf Nyx tun sollen und wie die uns richtig gut reinreiten könnte."

"Ich muß ehrlich zugeben, daß es mich etwas beunruhigt, daß bisher nichts von Lady Nyx ruchbar geworden ist", sagte Anthelia mit ihrer warmen Altstimme. "Von unserem Orden ausgehend vermag ich mir sogar vorzustellen, daß sie bereits eine Schar ihr allein gehorsamer Artgenossen anhäuft."

"Daianira war heute bei diesem Prozeß wegen der prüden Pute Pabblenut", erwiderte Donata Archstone. Humbert hat sie da gesehen."

"Soll mich das kümmern?" Fragte Anthelia gelangweilt. "Solange diese Hexe nicht findet, alle Hexen hätten sich unfruchtbar machen zu lassen, um die leiblichen Gelüste abzutöten, mag sie ihren Kampf gegen die bestehende Weltordnung führen und verlieren. Außerdem ist es mir bekannt, daß Daianira und diese bedauernswerte Zeitgenossin einander nicht mögen. Es wird Daianira eine gewisse Befriedigung verschafft haben, diese Pabblenut verlieren zu sehen."

"Ich wollte nur unsere Absprache einhalten und dir mitteilen, wo sie war, höchste Schwester", sagte Donata unterwürfig.

"Ich habe im Moment andere Sorgen, Schwester Donata. Nyx und der Waisenknabe werden immer mächtiger, ohne daß wir es mitverfolgen. Wir sollten danach trachten, einem der beiden zuvorzukommen."

"Was ist mit Dido?" Fragte Donata. "Wenn wir gegen Nyx oder den Emporkömmling vorgehen ist sie alleine hier im Haus."

"Erstens kommt sie erst am zweiten August aus Frankreich zurück, Schwester Donata. Zweitens habe ich bereits einige Mitschwestern einteilen können, um sie weiterhin zu unterrichten. Ursina Underwood hat mir über verschiedene Wege mitteilen lassen, daß es vor einigen Tagen einen Ausbruch aus Askaban gab. Sämtliche verurteilten Todesser und auch die vom Ministerium verdächtigten konnten entweichen. Ein Großteil der noch verbliebenen Dementoren lief wohl zum Waisenknaben über. Unter den Entflohenen sind auch Didos Verwandte, die dort wegen einer sehr groben Dummheit ihres Sprößlings dauerhaft eingekerkert bleiben sollten. Womöglich wird Didos früherer Onkel davon ausgehen, daß beim Tode von Lohangio Nitts auch Ornatus pane starb. In gewisser Weise stimmt das ja auch", erwiderte Anthelia lächelnd. "Wir werden zusehen, daß diese inzüchtige Bande nicht näher als fünf Meilen an Dido herankommt."

"Glaubst du, sämtliche Gefangenen schließen sich dem Emporkömmling an?" Fragte Donata und bereute diese Einfalt gleich.

"Denkst du denn, die ließen alle Leute aus diesem Kerker entwischen, ohne sich ihrer bedingungslosen Unterwerfung zu versichern?" Fragte Anthelia leicht verärgert. "Selbstverständlich werden sie die überhastet eingesperrten mit dem Imperius-Fluch unter dem Banner der Schlange zusammentreiben, damit der Waisenknabe sich ihrer nach Belieben bedienen mag. Mich beunruhigt in diesem Zusammenhang eher, was einige Dementoren dann noch in Askaban hält, wenn sie alle gegen den amtierenden Zaubereiminister aufbegehrt haben."

"Das wird interessant. Unser Zaubereiminister wird in wenigen Stunden zurück sein. Er wird wohl erst zu seiner Familie gehen. Dann sollte er eigentlich die erste kurze Pressemitteilung machen", sagte Donata. "Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, mir jetzt schon zu erzählen, ob Scrimgeour eine derartige Zerschlagung seiner Sicherheitsmaßnahmen erwähnt hat oder nicht. Ich denke eher, er wird Stillschweigen bewahren."

"Nach all dem Übereifer der letzten Monate gehe ich sehr stark davon aus, daß Scrimgeour es nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen wird", erwiderte Anthelia verächtlich. "Es wird sich ähnlich fügen wie die Affäre um Hallitti und Richard Andrews. Ich mag mir sogar vorstellen, daß Scrimgeour bereits davon ausgeht, daß seine Tage auf unserer guten Erde gezählt sind. Was er jetzt noch tun kann und muß, ist der Versuch, sich Verbündete im Ausland zu sichern, die im Falle seiner gewaltsamen Amtsenthebung eingreifen oder den Umstürzler weltweit zu ächten. Auch wir sollten unsere Kräfte bündeln. Aber ich fürchte, Daianira beharrt darauf, ihre Linie weiterzuverfolgen, obwohl ich ihr und den anderen Entschlossenen die Hand zum Bund gereicht habe."

"Höchste Schwester, ich denke, daß Lady Daianira schon bald einsehen wird, daß es mit dir besser geht als gegen dich", versuchte Donata sich in versöhnlichen Worten.

"Ich hoffe es sehr, Schwester Donata. Andernfalls muß ich das große Ziel gegen alle es bedrohenden Gefahren abwägen und danach handeln."

"Das wird sie wohl wissen", sagte Donata Archstone. Anthelia nickte nur.

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Milton Cartridge war froh, die Reisesphäre benutzen zu können, die ihn direkt von Frankreich nach New Orleans brachte. Er sagte dem Einreisezauberer, daß er gleich weiterapparieren würde und verschwand keine fünf Sekunden nach seiner Ankunft. Seine zwei Leibwächter, die ihn auf der Auslandsreise begleitet hatten grummelten etwas von wegen Voreilig und Heimweh. Dann folgten sie dem Minister, der zumindest ihnen verraten hatte, wo er sich mit Godiva und seinem Stammhalter Maurice treffen würde.

Der Einreisezauberer überwand auf zeitlose Weise die Strecke zu einem kleinen Haus. Vor der Tür hörte er sehr eindeutige Laute und blickte Verlegen zum Fenster im ersten Stock hinauf, dessen grüne Vorhänge bis auf einen haarfeinen Spalt geschlossen waren. Er konnte im dämmerigen Licht dahinter Schatten in rhythmischer Bewegung erkennen und hoffte, daß er nicht all zu ungelegen kam, um dem Bewohner mitzuteilen, daß sein Konkurrent Cartridge bereits eine Stunde vor dem früher erwähnten Termin in das Land zurückgekehrt war. Als er hörte, daß beide Hausinsassen endlich am Ziel ihrer privaten Aktivitäten angekommen waren wartete er noch zehn Minuten. Sogesehen hätte er dann auch in sein Büro zurückkehren können, dachte Waldo Pennyman, bevor er an der Türglocke zog.

"Wer da?!" Schnarrte ihn die blecherne Stimme eines über der Tür angebrachten Drachenkopfes aus Gußeisen an.

"Ich bin's, Waldo Pennyman", meldete sich der unerwartete Besucher und prüfte den korrekten Sitz seines Dienstumhanges.

"Reinkommen!" Schnaubte der Drachenkopf nach zehn Sekunden. Rasselnd entsperrten sich mindestens zehn unsichtbare Riegel. Klackernd sprang die Haustür auf, und Pennyman trat ein.

Als der leicht untersetzte Einreisezauberer im Wohnzimmer ankam, trat gerade ein hochgewachsener Mann mit dunkelblondem Scheitel und stahlblauen Augen aus einer anderen Tür ein. Er trug einen himmelblauen Umhang und wirkte abgekämpft aber glücklich. Pennyman nahm sich vor, das zu übersehen.

"Ah, der gute Pennyman. Soll wohl heißen, daß mein werter Gegenkandidat wieder im heimischen Revier ist", grüßte der Bewohner des Hauses. Pennyman nickte.

"Sie wollten darüber informiert werden, Mr. Wishbone", sagte der Einreisezauberer. "Ich vermute, er ist an den geheimen Ort gereist wo seine Frau mit dem Baby untergebracht ist. Vielleicht wird er nachher noch vor die Presse treten."

"Ich hatte heute einen anstrengenden Tag. Soll Cartridge den Leuten doch auftischen, wir müßten uns in die europäischen Angelegenheiten reinhängen. Ich werde dann darauf bestehen, daß wir erst einmal unseren eigenen Stall sauber zu kriegen hätten, bevor wir irgendwem hinter dem Salzwassergraben helfen."

"Ich wollte es Ihnen nur sagen, Mr. Wishbone", sagte Pennyman. Da öffnete sich die zweite Tür, und gänzlich unbekleidet erschien eine schlanke Frau mit dunkelblondem Haar, die ebenfalls stahlblaue Augen besaß und eine schlanke Nase wie Wishbone im Gesicht trug. Pennyman traute seinen Augen nicht. Die nackte Frau, wohl eine Hexe, konnte vom Aussehen und Alter her Wishbones Mutter sein. Das war unmöglich die, mit der sich Wishbone gerade eben noch leidenschaftlich ausgetobt hatte. Da hielt die Unbekannte ihren Zauberstab in der linken Hand und richtete ihn auf Pennyman: "Obleviate!" Rief sie. Pennyman bekam einen glasigen Ausdruck im Gesicht. Einige Sekunden hielt dieser vor. Dann zog sich die Hexe, die Wishbones hüllenlose Mutter sein konnte, wieder in das an das Wohnzimmer angrenzende Arbeitszimmer zurück. Pennymans Gedankengänge klärten sich wieder. Wishbone sah ihn an und fragte ihn, ob er noch mehr zu berichten hatte. Pennyman sagte:

"Das wollte ich nur sagen, daß der Minister gerade angekommen ist, Mr. Wishbone", sagte Pennyman eifrig. Wishbone nickte ihm zu und sagte dann:

"Nun, dann werde ich abwarten, was er uns erzählt. Wenn er echt findet, wir müßten uns in die Angelegenheiten der Europäer einmischen. Ich hoffe nur, der hat nicht schon magische Verträge oder sowas verbindliches unterschrieben."

"Brauchen Sie mich dann noch?" Fragte Pennyman. Wishbone schüttelte den Kopf. Pennyman verabschiedete sich. Während er hinausging schnüffelte er neugierig. Irgendwie hing ein herbes, anregendes parfüm in der Luft, daß jedoch nicht zu einem Mann passen mochte. Hatte Wishbone vielleicht Damenbesuch gehabt? Doch das sollte ihn jetzt nicht kümmern.

Lucas Wishbone vergewisserte sich, daß die Haustür ordentlich verschlossen war und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er konzentrierte sich auf die Hexe nebenan und mentiloquierte:

"Wieso bist du rausgekommen, Tante Tracy?"

"Weil ich deinem Informanten das Gedächtnis umkrempeln mußte. Der hat uns nämlich belauscht und mitgehört, wie gut du mir tust, Honey."

"Woher weißt du das denn? Der Hausfriedenszauber hat erst angeschlagen, als er vor der Tür stand."

"Komm in deinen schnuckeligen Klangkerker, Honey! Der kurvt gerade noch draußen herum. Ah, jetzt ist er disappariert", mentiloquierte die Hexe im Nebenzimmer. Ihre honigsüße, samtweiche Stimme kitzelte das gierige kleine Monster in Lucas Wishbone, daß danach verlangte, noch einmal mit jener Hexe zusammenzufinden. Doch er brachte es mit einem konzentrierten Gedanken an seine Pflichten vorerst zum schweigen. Er öffnete die Arbeitszimmertür und sah, wie die Hexe, die ihm ähnelte, immer noch unbekleidet auf dem Schreibtisch lag. Er machte schon anstalten, sie auszuschimpfen und eindeutig zu sagen, daß der Schreibtisch nur zum Schreiben gedacht sei. Da rutschte sie elegant von der schwarzen Mahagoniplatte herunter und ließ mit "Ratzeputz!" den Schreibtisch spiegelblank erstrahlen. Dann machte sie eine schnelle Schwenkbewegung, worauf sämtliche Pergamentrollen, Tintenfässer und Federkiele wieder an ihrem ursprünglichen Platz erschienen.

"Nichts für ungut, Tantchen. Aber am besten ziehst du dir jetzt wieder was an", rang sich Lucas eine Maßregelung ab.

"Hier sieht mich keiner, Honey. Außerdem habe ich dir verboten, mich Tante zu nennen. Der Umstand, daß meine Schwester dich ganz bei sich hatte ändert nichts daran, daß du mir unheimlich gut tust."

"Was war das eben mit Pennyman?" Fragte Wishbone schnell, bevor er vielleicht noch was sagte, was ihm mehr wehtat als der Hexe, die immer noch ohne Bekleidung vor ihm stand.

"Ich habe mir erlaubt, deinen Hausfriedenszauber ein wenig umzuändern. Er ging los, als dieser käufliche Knabe vor dem Haus stand und uns hörte. Offenbar hat er gespannt und gewartet, um nicht blöd aufzufallen."

"Öhm, was hast du mit dem Hausfriedenszauber gemacht?" Fragte Lucas.

"Ich habe seine Meldeform verändert und sie so geändert, daß ich allein sie fühlen konnte. Dreimal darfst du raten wo."

"Tan..., öhm, Tracy, ich weiß nicht, ob wir beide so weitermachen können. Du magst diesem Katzbukcler zwar ein anderes Gedächtnis verpaßt haben, aber wenn die mich nächste Woche wirklich zum Minister wählen wäre es nicht gut, wenn wir ..."

"Honey, verdirb es dir nicht mit mir!" Schnaubte die unbekleidete Hexe. "Wir beide wissen, daß du und ich zusammengehören. Selbst wenn du Minister wirst wird sich das nicht ändern. Und falls du es wagen solltest, einer anderen so herrlich nahezukommen wie mir, mache ich die zur Blattlaus und schrumpfe dich weit genug ein, daß ich dich bequem verschwinden lassen kann."

"Tracy, ich denke nur daran, was das für dich bedeutet, wenn sie uns beide erwischen. Die Lino vom Westwind lauscht doch schon, meine bisherigen Vorgesetzten haben mich auch schon gefragt, mit wem ich die letzten Fünf Jahre so zusammen war, nachdem Mom, also deine Schwester Judith, mit dem kaputten Centie abgestürzt ist. Du weißt genau, daß wir beide nicht heiraten oder sonst wie öffentlich zusammen sein dürfen."

"Süßer, sieh es ein, daß Judith will, daß ich auf dich aufpasse und dir helfe, dich richtig gut zu fühlen. Wenn du meinst, mich loswerden zu müssen, damit du den hochanständigen Minister geben darfst, werde ich dich länger bei mir haben als meine selige Schwester. Du gehöst mir."

Wishbone hatte diese besitzergreifende Feststellung schon einige Male von seiner Tante Tracy gehört. Das erstee Mal war es gerade vier Wochen nach der Beerdigung seiner Mutter, als sie beide aus einem Umschwung von Trauer auf Lust miteinander die erste Liebesnacht verbracht hatten. Weil Tracy Summerhill seine innersten Bedürfnisse voll befriedigt hatte und auch sonst sehr begabt war, war er ihr ohne jede Magie mehr und mehr verfallen, konnte nicht eine Woche überstehen, ohne sie einmal zu sehen und zu lieben. Ihre Stimme und ihre biegsame Figur hatten ihn in eine fatale Abhängigkeit getrieben. Er wußte nicht, woher er wußte, was sie gerade für Bedürfnisse hatte und warum er diese so exzellent befriedigen konnte. Einmal hatte ihm jemand erzählt, die beiden Schwestern Tracy und Judith seien aufeinander eifersüchtig gewesen. Konnte es vielleicht doch sein, daß seine Tante seine Mutter und ihn verflucht hatte, damit er nun von ihr abhängig war und für sie Liebhaber und Geldbeschaffer war? Oder wollte sie haben, daß er nur noch für sie da war? Jedenfalls steckte er nun in einer Zwickmühle. Er konnte Tracy nicht einfach so davonjagen oder ihr weglaufen. Wenn er Zaubereiminister wurde, mußte er aber irgendwie von ihr loskommen. jetzt blickte sie ihn wieder herausfordernd an und schnurrte samtweich:

"Dein Problem ist, daß du meinst, nur weil deine Mutter meine Schwester war dürften wir beide uns nicht lieben. Ich finde, daß wir beide füreinander bestimmt sind und das keiner ändern kann, auch keine Verhaltensregeln für Zaubereiminister. Judith hat dich für mich zur Welt gebracht, Lucas. Ich sorge für dich und bin da, wenn du den Streß vom Büro loswerden mußt. Das wirst du nicht wegwerfen können, Süßer."

"Die anderen könnten mich für einen verdrehten Irren halten", sagte Lucas.

"Früher war das üblich, daß Vettern und Basen geheiratet haben und Onkel ihre Nichten und Neffen ihre ledigen Tanten."

"Ja, aber wenn du von mir ein Kind bekommen würdest ... könnte es ... krank zur Welt kommen, weil wir zu nahe verwandt sind, Tracy", sprach Wishbone eine Furcht aus, die ihn immer schon umgetrieben hatte, seitdem er sich auf Tracy Summerhill eingelassen hatte.

"Dann dürfte es die ganzen fanatischen Reinblüter gar nicht mehr geben, die seit tausend Jahren nichts anderes tun, als in der direkten Verwandtschaft neue Kinder auf den Weg zu bringen", erwiderte Tracy. Sie genoß es, daß der Blick ihres Neffen auf ihrem gut gepflegten Körper ruhte und überlegte, ob sie ihn gleich noch einmal mit aller Leidenschaft zu sich nehmen sollte. Lucas Wishbone hingegen fragte sich jetzt erst recht, ob er nicht einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte, als er vor fünf Jahren ohne großes Nachdenken mit der Schwester seiner Mutter eine verbotene Liebesbeziehung angefangen hatte. Er dachte daran, daß er vielleicht in einer Woche als neuer Zaubereiminister vereidigt wurde. Dann würde er im Ministerium wohnen, wo alles bewacht und überwacht wurde. Da könnte seine Geliebte und Tante nicht mehr hinkommen, selbst wenn ihre unersättliche Begierde wohl richtig auflodern würde, wenn sie das alte Büro besichtigte, wo einer der früheren Minister wilde Liebesabenteuer erlebt hatte. Vielleicht sollte er sich an einen Heiler wenden um zu sehen, daß er auf eine schmerz- und gewaltlose Art von Tracy Summerhill fortkam.

"Denk nicht dauernd dran, ohne mich leben zu wollen, Honey! Dafür warst du eben wieder viel zu gierig nach mir", säuselte Tracy und schlug die blanken Beine übereinander. "Im zweifelsfall muß ich eben in meiner kuscheligen Zweitform rumlaufen oder den Trank der tagelangen Unsichtbarkeit brauen. Schon mal dran gedacht, wie sich eine unsichtbare Frau lieben läßt?"

"Andere würden deine Vorstellungen als pervers empfinden, Tracy", knurrte Lucas Wishbone, worauf seine Tante mißbilligend mit der Zunge schnalzte.

"Ja, aber die anderen will ich nicht so nahe bei mir haben wie dich, Honey. Du merkst es doch schon wieder, daß du mich willst. Das wirst du nicht mehr los, und das Ministeramt wird daran zerbrechen wie ein an die Wand geworfenes Glas." Sie stand langsam auf und ging mit aufreizend ausgreifenden Schritten bedächtig auf Lucas Wishbone zu, der fühlte, wie das kleine, gierige Monster in ihm jeden Drang zur Flucht niedermachte und begierig auf die Fortsetzung des unterbrochenen Vergnügens lauerte.

"Das mit diesem Pennyman hat mich so richtig schön in Fahrt gebracht, Honey. Ich denke aber nicht, daß heute noch mal wer zu uns kommt. Wo willst du mich haben?" Lucas Wishbone sagte automatisch, daß er wieder ins Schlafzimmer wollte. doch diesmal wollten sie einen Klangkerker aufbauen. Als das erledigt war, gab Wishbone dem Verlangen nach, mit der Schwester seiner Mutter erneut die nächste Nähe zu finden.

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Nyx fühlte sich voll und träge. Drei Rotblüter auf einen Streich. Das hatte sie bisher noch nie geschafft. Sie spürte, wie das von den drei Männern gestohlene Blut in ihrem Körper wirkte, ihn aufheizte und kräftigte. Doch da war noch was in ihr, was nach der überreichen Blutmahlzeit durch sanftes Pulsieren und Wärme auf sich aufmerksam machte. Es kam von dort, wo sie den Mitternachtsdiamanten trug. Offenbar gefiel es dem Stein dort wo er war und behagte ihm, daß seine Trägerin ihm frisches Blut und neue Diener verschafft hatte. Nyx dachte daran, daß sie als rotblütige Hexe oft darüber nachgesonnen hatte, wie es sich anfühlen würde, ein eigenes Kind zu tragen, wie es zu leben beginnen und seine eingeschränkte Umwelt erkunden würde. Im Moment empfand sie den Mitternachtsdiamanten eher als zweites, sanft pochendes Herz, das die aufgenommene Blutmenge einsog und in Form wohltuender Kraft und Wärme in ihren Körper zurückpumpte. Sie hörte die Herzen der drei Eindringlinge kraftlos die wenigen verbliebenen Mengen Blut pumpen. Doch sie fühlte, daß der herrliche Verwandlungsprozeß bereits im vollen Gange war, mindestens viermal so schnell wie sie an sich selbst und an ihren mit Haemophilos gezeugten Kindern erlebt hatte. Üblicherweise dauerte es mehr als sechs Stunden, bis die Umwandlung vollendet war. Doch die drei Magielosen waren fast nach einer Stunde schon vom weißen Blut erfüllt. Es würde nicht mehr lange dauern, da würden ihnen die Fangzähne wachsen und sie wie Säuglinge unter Qualen aufstöhnen oder schreien lassen. Da sie nahe am vollen Mond ihr neues Leben begannen würde der Blutdurst in ihnen nicht so stark werden wie bei jenen, die unter dem Neumond das Dunkel der Nacht erblickten. Sie nahm vorsichtigen Gedankenkontakt zu den drei neuen Nachtkindern auf. Der in ihr pulsierende Mitternachtsdiamant, mit dem sie nun in einer magischen Symbiose lebte, half ihr dabei, in die vom Schlaf der Erneuerung zugedeckten Bewußtseine einzutauchen. Ihre eigene Magie, verbunden mit der Verbindung zwischen Elternteil und Kind, ließ sie sehen und hören, wer die drei waren, was sie hier wollten und wem sie wichtig genug waren, daß jemand nach ihnen suchen würde, wenn sie zu lange fortblieben.

Da war Henry Giles, jemand, der davon lebte, reichen Leuten große Häuser und Fabrikanten neue Fertigungsplätze zu verschaffen. Er hatte eine Freundin, Thelma Louis. Nyx lächelte, als sie so sanft es ging die herrlichsten Liebeserlebnisse Henry Giles mit diesem jungen, brünetten Mädchen nacherlebte. Sie würde ihn bestimmt vermissen, obwohl er einen Konkurrenten hatte, Jack Mercant, einen aufstrebenden Anwalt, mit dem Henry und Thelma in Harvard studiert hatten. Henry war einunddreißig Jahre alt. Seine Eltern lebten in einem wohlhabenden Stadtteil von New York, während er sich schön weit weg von ihnen Selbstständig gemacht hatte. Geschwister hatte er keine. So hatten seine Eltern ihm alle Aufmerksamkeit und Zuwendungen gegeben.

Gerald Wilson war kein so behüteter Mensch gewesen. Als dritter Sohn einer sechsköpfigen Familie aus Detroit hatte er sehr früh lernen müssen, alles im Leben zu erkämpfen. Das hatte ihn schon als neunjährigen Jungen hart gegen sich und vor allem gegen andre gemacht. Er war haarscharf an einer Jugendstrafe vorbeigeschrammt, als er mit siebzehn drei Jungen, die seiner Meinung nach zu lahm gewesen waren mit Gewalt Beine machen wollte. Er hatte mit Freuden die Chance genutzt, mit achtzehn in das Marineinfanteriekorps einzutreten, wo ihn seine Selbsthärte den Drill hatte überstehen lassen und ihn sogar zum Sergeanten, einem Unteroffizier, hatte aufsteigen lassen. Als solcher hatte er für die vereinigten Staaten im heutigen Irak gekämpft und es sehr bedauert, nicht den dortigen Machthaber überwältigen zu dürfen, weil irgendwelche Geheimdienste der Ansicht waren, es sei zu riskant, ein Machtvakuum zu schaffen. Sie hielt sich nicht zu lange mit den Kriegserlebnissen auf, die für sie reine Barbarei waren, zumal es für sie unfair erschien, daß Sprengkörper aus großer Höhe auf Menschen abgeworfen oder selbsttägig steuernde Geschosse über mehrere Kilometer hinweg ein von Menschen besetztes Ziel trafen und dabei hunderte töten konnten, ohne daß der Schütze dies mitbekam. Sie erinnerte sich noch gut, wie zu ihrer Zeit die ersten Feuerwaffen aufkamen, aber noch viele Krieger mit Schwertern, Pfeil und Bogen aufeinander losgingen. Das Töten heute war zu einfach und daher zu häufig. Interessanter fand sie es, Wilsons Entschluß und Umsetzung desselben zu verfolgen, eine Organisation zur Errichtung von Ausbildungslagern zu gründen, wo junge Menschen, die sonst wegen schwerer Verbrechen im Gefängnis gelandet wären, durch dieselben menschenumkrempelnden Maßnahmen zu angeblich besseren Mitgliedern der Gesellschaftsordnung umerzogen wurden. Das war jetzt die neuste Entwicklung bei den magielosen Rotblütlern, erkannte sie. Es war sowohl verehrt wie höchst umstritten, vom Weg abgekommene Jugendliche mit soldatischen Zwangsmaßnahmen umzuformen. Längst nicht jeder, der sich dem unterwarf, wurde dadurch ein friedlicher, gesetzestreuer Bürger. Genau das ärgerte Wilson, daß die anderen Betreiber solcher Lager eine derartige Rückfallquote hinnehmen mußten. Nyx befand, daß sie Wilson frühest möglich spüren lassen mußte, daß er nun ihr gehörte und nur das zu tun hatte, was sie von ihm verlangte. Wilson war ledig geblieben. Seine geschlechtlichen Bedürfnisse hatte er in verschwiegenen Bordellen abgebaut. Nyx grinste, wenn sie nachempfand, wie ihre früheren Kolleginnen vorgegangen waren. Dabei mußte sie daran denken, daß sie ihrem Manager noch klarmachen mußte, daß sie ihren bisherigen Job nicht mehr ausüben würde. Vielleicht sollte sie ihm doch noch die Ehre erweisen, ihn in die erlauchte Riege der Nachtkinder einzuführen.

Bei Cody Jackson, dem Mann, der mit seinen Kampftricks versucht hatte, sie außer Gefecht zu setzen, verspürte sie noch mehr Härte. Wo Wilson noch eine gewisse Intelligenz erkennen ließ, ging dieser davon aus, daß der Stärkere im Recht war. Nun, daß sie ihm überlegen war hatte er in seinen letzten Sekunden als Rotblütler noch lernen dürfen. Auch er hatte in diesem Korps gedient, mehrere hundert Leute aus der sicheren Ferne oder im brutalen Handgemenge getötet und dabei keine Schuld empfunden. Er hatte ja nur befehle ausgeführt. Nun, das würde er dann auch bei ihr tun dürfen. Er hatte eine Schwester, Sharon, die mit einem Chicagoer Bauingenieur verheiratet war. Er hatte zwei Beziehungen hinter sich, die alle daran scheiterten, daß seine Partnerinnen es irgendwann leid waren, sich wie untergebene Soldaten seinen Anordnungen fügen zu sollen. Seitdem war er ausgesprochen frauenfeindlich eingestellt, was seinen Partner Wilson fast dazu gebracht hatte, ihn aus der Organisation zu verdrängen, weil Jackson sich mit einer Ausbilderin geprügelt hatte, die ihm vorgehalten hatte, er sei nur ein gehirnloser Schreihals. Doch die Qualitäten, aufmüpfige Burschen komplett zu brechen, um sie dann im Sinne der Umerziehungsziele neu zu formen, hatten Wilson an Jackson festhalten lassen. Warum Cody Wilsons gleichberechtigtr Partner war, ergab sich nur, wenn jemand wie Nyx gerade die Erlebnisse der beiden und vor allem die gemeinsamen Erlebnisse vergleichen und aus beiden Perspektiven betrachten konnte. Cody Jackson hatte Wilson im Krieg das Leben gerettet. Wilson hatte Cody im Gegenzug einen besseren Dienstposten verschafft, bis die gemeinsame Dienstzeit vorbei war und sich beide mangels Einsatzmöglichkeiten nach zivilen Herausforderungen umgesehen hatten.

als Nyx ausgiebig die Erinnerungen und Gefühle ihrer neuen Diener durchforscht hatte, setzte die letzte Stufe der Umwandlung ein, die aufkommende Aversion gegen helles Licht. Die erwachenden Instinkte und Bedürfnisse sickerten in die noch schlafenden Bewußtseine ein. Die Vermehrung des Vampirblutes erfuhr einen starken Schub. Die Körperfunktionen stellten sich darauf ein. Der Zahnwuchs begann. Giles begann gequält zu stöhnen und zu jammern, während Wilson nur angestrengt keuchte und Jackson keinen Laut von sich gab. Nyx dachte daran, welche Gefahr dieser Mann geworden wäre, hätte ihn ein Dunkelmondler zur Bluthochzeit überredet oder ihn als einen oder ihren Sohn wiederentstehen lassen. Die ohnehin schon fehlenden Skrupel, sowie die urtümlich wirkenden Gewaltideale hätten ihn zu einer auch für andere Nachtkinder gefährlichen Bestie gemacht. Auch Jackson würde sie wohl in ihrer Nähe halten müssen, wenn sie ihn nicht zu einem wahrhaft gefürchteten Vollstrecker machen wollte. Sie wartete mit Spannung, wer als erster aus dem Schlaf des Neuanfangs erwachte, der nach ihrem Wissen erst beendet war, wenn die Sonne, deren Strahlung ihr nicht mehr viel anhaben konnten, unter den Horizont gesunken war. Sie dachte daran, daß die beiden ehemaligen Krieger sie mit Handfeuerwaffen beschossen hatten. Doch die Widerstandsaura des Mitternachtsdiamanten hatte die Bleikugeln von ihr wie Wassertropfen abprallen lassen. Ebenso hatte die waffenlose Kampftechnik Jacksons ihr nichts anhaben können. Sie fragte in sich hinein, welche Körpergewalt sie aushalten konnte. Eine tiefe Männerstimme flüsterte zurück:

"Dein Leib ist unverwüstlich, solange du mich bei dir hast." Nyx stutzte. Daß etwas lebendiges dem Stein innewohnte spürte sie in jedem Moment. Doch daß es auch ein Bewußtsein besaß, das mit ihrem kommunizieren konnte, das verunsicherte sie immer wieder.Sie fragte sich, ob der Mitternachtsdiamant sich dessen gewahr war, wo er sich befand, oder nur registrierte, daß sie Körperkontakt zu ihm besaß. "Ich bin mit dir verbunden, Nyx, Tochter der Nacht", antwortete ihr die leise Männerstimme.

Nyx fühlte wie alle anderen ihrer Art, daß die verhaßte Sonne untergegangen war und die Abenddämmerung im Westen verglühte. Da erwachte Giles aus dem Schlaf des Neuanfangs. Seine ersten wachen Gedanken wehten zu seiner neuen Herrin herüber. Der Immobilienmakler war verwirrt und gleichermaßen erleichtert. Sein wacher Verstand erfaßte, was mit ihm passiert war, und ein Gefühl von verhaltener Freude erwachte in ihm. Nyx hatte gedacht, daß die abgehärteten Kämpfer, die sie zuerst geküßt hatte auch zuerst erwachten. Doch diese schienen immer noch nicht vollendet zu sein. Da entsann sie sich, daß der Zeitpunkt des Erwachens vor allem von der geistigen Beweglichkeit abhängig war.

"Hups, das kann es doch nicht geben", sagte er und blickte sich um. Er fingerte nach seinen neuen Zähnen und rüttelte daran. Haemophilos und Morpheus verließen den Keller, in dem sie den Tag verschlafen hatten. Haemophilos sah die drei gerade aufwachenden Neuankömmlinge und funkelte dann seine Frau an.

"Wieso hast du das getan, Nyx. Du hast unsere heiligen Bräuche mißachtet."

"Phil, wir haben es längst geklärt, daß wir uns endlich erheben müssen. Das Kleinod der Macht gibt mir die Kraft, neue Kinder der Nacht zu erschaffen, und sie entwickelten sich sehr schnell. Eigentlich wollte ich das erst in der nächsten Nacht beginnen. Doch die drei hier kamen am Nachmittag her, um unsere Wohnung zu besichtigen, um sie womöglich einem Zuchthaus für halbwüchsige Schurken weichen zu lassen. Ich mußte das verhindern", rechtfertigte Nyx ihr Vorgehen, obwohl sie das eigentlich nicht nötig hatte. Denn sie trug den Mitternachtsdiamanten und war damit über alle anderen Kinder der Nacht erhaben, auch über den, der sie zu seiner Frau gemacht hatte.

"Irgendwie komisches Gefühl. Ich habe nie an sowas geglaubt, Vampire, Drachen, Dämonen", grinste Giles. Die verhaltene Freude wich einer unerklärlichen Euphorie. Nyx erkannte, daß Giles sich plötzlich darüber freute, daß er nun was überragendes war. Womöglich dachte er, unsterblich zu sein. Dann sagte er nachdenklich: "Die beiden haben mir was von einem Jugendzentrum für unterprivilegierte erzählt, daß sie hier bauen wollen. Von einem Erziehungslager war da keine Rede."

"Das binden wir ja auch keinem auf die Nase", knurrte Wilson der gerade erwachte. Dann erkannte dieser, was mit ihm passiert war. "Mist, die gibt's doch", knurrte er. "Du fangzähnige Hure hast mich umgebracht, damit ich deinem Herren, dem Teufel dienen soll oder was?"

"Ein Monster warst du vorher schon, Wilson, genauso wie dein Partner. Der Krieg und die Lust am Kampf ohne eigene Verantwortung hat euch zu menschlichen Bestien gemacht", erwiderte Nyx. "Und was meinen Herren angeht, so habe ich keinen, schon gar nicht so ein nach Schwefel stinkendes Bocksgesicht mit Hörnern. Mir sind Satan und Gott oder ihre Abkömmlinge völlig gleich. Für mich sind sie das, was wir für euch waren, Dichtungen, um Menschen zu ängstigen oder in trügerische Sicherheit zu lullen."

"Verdamt, was ist mit mir passiert", knurrte Jackson, der jetzt gerade voll erwacht war. Er sah die anderen und starrte dann Nyx an. "Du dreckige ..."

"Wirst du wohl deine Zunge zügeln, Jackson", schnarrte Nyx sehr ungehalten, weil Jackson ihr ein rüdes Schimpfwort an den Kopf werfen wollte. "Finde dich damit ab, daß du mir jetzt gehorchen wirst."

"Du hast mich zu einem Untoten gemacht, so'nem widerlichen Gruselgeschöpf, damit du mich rumkommandieren kannst", fauchte Jackson.

"Cody Jackson, auf die Knie!" Schnaubte Nyx und sah Cody sehr entschlossen an. Dieser stand eine halbe Sekunde trotzig da, dann verkrampfte er sich und fiel auf die Knie. Der nächste Befehl ließ ihn flach auf dem Bauch liegen. Nyx trat vor und hielt ihm ihren rechten Fuß hin. "Küß mir den Fuß!" Schnarrte sie. Jackson gehorchte. Die Macht seiner Herrin hatte den eisernen Willen total niedergerungen. Erst als Nyx zufrieden mit ihrer Demonstration war, trat sie zurück und gab den Geist des neuen Artgenossens frei. "So ist das nun einmal bei uns. Wer einen rotblütigen Menschen zu einem Kind der Nacht macht ist ihm überlegen, Jackson. Das imponiert dir doch sonst so, das Recht des Stärkeren. Also füge dich! Denn ich bin die stärkere hier."

"Wer bist du? Wie sollen wir dich nennen?" Fragte Giles.

"Ich bin Lady Nyx", sagte Nyx sehr erhaben. "Ich bin die Herrin des Mitternachtsdiamanten, den keiner meiner Artgenossen mir entreißen kann. Ich habe euch deshalb in unsere erhabene Gemeinschaft der Kinder der Nacht aufgenommen, weil ihr meine Heimstatt gefunden habt. Doch nun, wo ihr hier seid, werdet ihr mit meiner Familie zusammen daran arbeiten, das Reich der Nachtkinder zu errichten, in dem wir alle vor Nachstellungen sicher leben werden."

"Kannst du vergessen, Alte!" Knurrte Wilson und griff nach seiner Pistole.

"Das hast du doch schon einmal probiert, Gerry", sagte Nyx amüsiert. "Ich bin unverwundbar. Selbst das, was unsereinem sonst zu schaffen macht, kann mir nichts mehr anhaben."

"Ach klar, die Nummer mit den Holzpflöcken durchs Herz oder Silberkreuze", knurrte Wilson. Da fiel ihm ein, daß Nyx Gott erwähnt hatte. Sie hatte das Wort aussprechen können, ohne bestraft zu werden. Ja, sie hatte den Teufel, der in sämtlichen Vampirgeschichten sonst als Herr aller Untoten und Dämonen bezeichnet wurde, als "nach Schwefel stinkendes Bocksgesicht mit Hörnern" bezeichnet. Das tat wohl keiner, der sich vor dem Teufel fürchten mußte oder ihm treu ergeben war. Also mochte das mit den Kruzifixen schon mal geschwindelt sein.

"Es gibt so einiges, was uns etwas anhaben kann. Allem voran das Himmelsfeuer", sagte Haemophilos ernst. "Das mit den Eichenholzpflöcken trifft leider auch zu. Fließendes Wasser kann uns schwächen oder töten, wenn wir in es hineingeraten, und alle magielosen Feuer sind erwachende Abkömmlinge des Himmelsfeuers und können uns nach Größe und Ausdehnung ebenfalls umbringen."

"Wer bist du denn?" Fragte Wilson Haemophilos.

"Haemophilos, der Gatte von Lady Nyx", knurrte Haemophilos. Seine Frau wandte sich ihm zu und sah ihn durchdringend an. Der ältere Vampir stand einen Moment da. Dann wandte er sich ab und ging wortlos davon. Morpheus durfte bleiben, nachdem seine neue Mutter ihn vorgestellt hatte.

"Du willst also, daß wir dir helfen und gehorchen", sagte Wilson, während Jackson nach seiner Waffe suchte, sie fand und auf Nyx ausrichtete.

"Genau das", knurrte Nyx und warf Jackson einen drohenden Blick zu. Die Pistole entfiel Jacksons Hand und klirrte auf den Betonboden. "Wenn du nicht spurst, werde ich dich an die Wand schmieden und elendig verhungern lassen, Jackson", fauchte Nyx. Dann ließ sie den Sergeanten wilde Sprünge ausführen, immer höher, immer schneller. Als sie fand, daß sie ihn genug hatte hüpfen lassen, sagte sie noch: "Ich hüte die ganze Macht unserer Art. Führt euch gut, und ihr werdet daran teilhaben. Führt euch schlecht, dann werde ich euch schneller wieder vernichten als ihr entstanden seid."

"Cody, gib's auf, die Schnalle ist uns über", sagte Wilson. Nyx sah, wie er seine Waffe wieder fortsteckte. Dann fragte er noch: "Und was sollen wir jetzt machen, rausgehen und andere Leute beißen und zu Vampiren machen?"

"Ihr werdet lernen, mit den euch verliehenen Gaben umzugehen. Ihr werdet nach Menschen suchen, um euren Durst zu stillen und nur wenn ich befinde, wer es wert ist, den sollt ihr in unsere Gemeinschaft aufnehmen. Wir müssen auf der Hut vor zu früher Entdeckung sein", erklärte Nyx.

"Ey mann, wer hat da mein Auto angefressen?" Knurrte Morpheus, der auf das Loch in der Motorhaube starrte.

"Der da hat auf mich geschossen, Morpheus. Die Kugel ist von mir abgeprallt und in das Auto eingeschlagen", sagte Nyx und deutete auf Jackson. Dieser ging in Kampfstellung und fletschte seine neuen Zähne.

"Drecksack!" Fluchte Morpheus. Doch mehr passierte nicht. Jackson begutachtete den Sohn von Nyx. Der sah aus wie ein verweichlichter Großstadtbubi. Sollte der ihn doch angreifen. Dann würde er schon sehen, was passierte.

"mehr sagst du nicht, Bübchen?" Fragte Jackson. Morpheus blickte ihn an. "Rohlinge wie du können nur Gewalt. Ich lass mich nicht auf dein Urwaldaffenniveau runter."

"Gleich mach ich dich platt", knurrte Jackson. Nyx hatte diesem Wortgefecht wie unbeteiligt gelauscht. Doch jetzt sagte sie:

"Euch sollte klar sein, daß hier niemand, der mir untersteht einen anderen angreift. Morpheus steht unter meinem Schutz, Jackson. Wer ist die stärkste hier?" Mit diesen Worten machte sie eine abwärtsgerichtete Handbewegung gegen Jackson, die ihn auf den Boden warf. Er wälzte sich herum und keuchte. Dann röchelte er: "Du bist die Stärkste hier, Lady Nyx."

"Dann nimm das endlich zur Kenntnis!" Fauchte Nyx. Wilson sah seinen Partner an. Hatte der das endlich kapiert, daß dieses Weib hier das Kommando führte? Er wußte, daß Jackson ein unverbesserlicher Misogyn war, der Frauen wie Hundekot unter der Schuhsohle haßte. Er würde sich trotz des neuen Daseins nicht so leicht damit abgeben, von einer Frau, die ihm körperlich und wohl auch durch überirdische Magie überlegen war, Befehle entgegenzunehmen und auszuführen. Giles hingegen schien sich mit der neuen Lage wunderbar angefreundet zu haben. Er fragte respektvoll, was sie jetzt tun sollten. Nyx befahl ihnen allen, ihre neuen Sinne zu erforschen, ihr Gehör zu üben und den wesentlich verfeinerten Geruchssinn

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"Ich kann Ihnen nur sagen, daß Minister Scrimgeour davon ausgeht, die Lage in Großbritannien noch zu beherrschen, die Dame und der Herr", sagte Zaubereiminister Cartridge am Abend in seinem Sprechzimmer. Vor ihm saßen Linda Knowles vom Westwind und Dorian McMillan vom Kristallherold. Linda Knowles hatte sich ein festlich wirkendes, smaragdgrünes Kleid angezogen. Dorian McMillan trug einen schlichten, dunkelblauen Umhang.

"Das heißt, Minister Scrimgeour hat noch genug Rückhalt in seinem Ministerium. Gilt das auch für die Sicherheitsabteilungen und das Zaubereigefängnis Askaban?" Wollte Linda wissen.

"Ich habe nicht mit ihm über Askaban diskutiert, Ms. Knowles. Ich gehe davon aus, daß nach der Dementorenrevolte vom letzten Jahr genug Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden, um die Gefangenen sicher eingeschlossen zu halten", antwortete der US-amerikanische Zaubereiminister. "Wieso kommen Sie darauf? Fragte er dann.

"Nun, weil britische Kollegen mir im Lauf des letzten Jahres zugetragen haben, daß eben keine großen Zusatzmaßnahmen für Askaban getroffen wurden. Es ist doch wahrscheinlich, daß er, dessen Namen wir nicht nennen möchten, seine Getreuen dort herausholen wird, wie er es bereits im vergangenen Jahr tat. Deshalb ist meine Frage so wichtig, Sir. Hat Scrimgeour noch genug Rückhalt?"

"Er sagt ja", sagte Cartridge. "Er verweigerte uns anderen jedoch, mit Beamten aus seinem Stab zu sprechen. Abgesehen davon wird wohl niemand, der bereits mit dem Unnennbaren liebäugelt ausplaudern, daß er ihm all zu gerne das Ministerium auf einem goldenen Tablett servieren möchte. Deshalb würde ich vorschlagen, daß wir weiter über die Themen sprechen, über die ich vorhin berichtet habe."

"Entschuldigung, Sir, aber was meine Kollegin vom Westwind da angerissen hat ist schon ziemlich wichtig", wandte McMillan ein. "Immerhin hat Sie-wissen-schon-wer die Dementoren auf seine Seite gezogen und die gefährlichsten seiner Anhänger schon rausgeholt. Was hindert ihn wirklich daran, den Rest seiner Leute noch herauszuholen?"

"Gesetzt den Fall, Minister Scrimgeour hätte mir die Absicherungen erklärt, dann wäre es höchst fatal, Ihnen und damit der Öffentlichkeit näheres darüber zu erzählen, Ms. Knowles und Mr. McMillan. Also kommen wir wieder zu meiner Erklärung von eben", versuchte der Minister, das Thema zu seinen Gunsten zu wechseln. Denn die Frage nach der Sicherheit von Askaban und dem Rückhalt für Scrimgeour trieb auch ihn um, und das nicht erst seit der Frage von Lino.

"Wie Sie wünschen, Sir", ging McMillan darauf ein. "Sie sprachen von einer Übereinkunft mit den kontinentaleuropäischen Zaubereiministern und dem Vorhaben, ein Bündnis gegen ihn, dessen Namen keiner aussprechen mag zu schmieden, dem die internationale Zaubererkonföderation problemlos beipflichten mag. Schließt das die Mitwirkung der Liga wider die dunklen Künste mit ein?"

"Selbstverständlich. Ohne die Liga hätten wir bestimmt schlechte Chancen, wenn es zu der befürchteten gewaltsamen Auseinandersetzung kommt", antwortete der Zaubereiminister. "Ich bot auch an, Mr. Davidson vom Laveau-Institut zu kontaktieren, daß er mit europäischen Leitern von Suchkommandos gegen schwarze Magier spricht. Dieses Gespräch werde ich morgen früh führen."

"In Ihrer Erklärung von eben sagten sie, daß beabsichtigt sei, ein Einreiseverbot für alle namentlich bekannten Helfer und Helfershelfer des Unnennbaren zu verhängen und den Warenverkehr von und nach Großbritannien viermal so stark wie bisher zu kontrollieren. Soweit ich erfuhr hat der britische Leiter der Strafverfolgungsabteilung, Pius Thicknesse, sogar die Einreisewege der Muggelwelt unter Überwachung gestellt. Planen Sie hier ähnliches?" Fragte Linda.

"Nun, ich streite nicht ab, daß Ihre Ohren sehr gut sind, Ms. Knowles", setzte der Minister zu einer Antwort an. "Doch ich persönlich sehe keinen Sinn darin, Hexen und zauberer zu Häfen, Flugzeuglandeplätzen, Eisenbahnhöfen oder Autostraßen hinzubeordern, um dort auf das mögliche Erscheinen unerwünschter Subjekte aus der Zaubererwelt zu warten. Unsere Überwachung reicht bereits völlig aus."

"Ihr Gegenkandidat Lucas Wishbone merkt an, daß es die vordringliche Aufgabe des hiesigen Zaubereiministeriums sei, die hier Begangenen Gräueltaten zu verfolgen und die Täter zu bestrafen", sagte McMillan.

"Ich weiß, mein respektabler Gegenkandidat plädiert dafür, daß wir uns ausschließlich um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern sollen, von denen es ja tatsächlich einiges gibt, daß wir genauso verfolgen sollten wie die Entwicklung in Großbritannien. Aber er verkennt dabei die Gefahrenlage. Er meint, wenn wir unsre Verbindungen kappen, wie es Pole im letzten Sommer tat, wären wir vor Sie-wissen-schon-wem und allen seinen Handlangern sicher. Doch der Atlantik ist nicht breit genug, um uns wirklich sicher zu fühlen, meine Dame, mein Herr. Wir alle in der Zaubererwelt sind Nachbarn. Wenn das Haus des Nachbarn brennt, sollten alle beim Löschen mithelfen, allein schon um das Feuer nicht auf die eigenen Häuser übergreifen zu lassen. Das dürfen Sie so zitieren, Ms. Knowles und Mr. McMillan."

"Sie sprachen vorhin davon, daß Sie Großbritanniens Zaubereiminister Scrimgeour eingeladen haben, uns hier zu besuchen. Was versprechen Sie sich davon?" Wollte McMillan wissen.

"Zum einen gilt diese Einladung für alle europäischen Zaubereiminister. Zum andren verspreche ich mir davon, daß das Band der interkontinentalen Freundschaft noch stärker und unzerreißbar geknüpft wird, wenn wir uns regelmäßiger treffen als früher üblich. Ich werde diesen Vorschlag auch meinen Kollegen in China, Japan und Indien, sowie denen in Ägypten, Algerien, Arabien und Marokko unterbreiten, sofern die magischen Bürger der vereinigten Staaten mir am einunddreißigsten Juli mit der Mehrheit ihrer Wählerstimmen den Auftrag dazu erteilen."

"Sie denken, Mr. Wishbone könnte dieses Ziel nicht verfolgen?" Wollte Linda Knowles wissen.

"Ich halte ihn für vernünftig genug, die politischen Gegebenheiten richtig zu beurteilen und danach zu handeln", sagte Cartridge ausweichend. persönlich wußte er schon, daß Wishbone bei seinem möglichen Amtsantritt alle interkontinentalen Verbindungswege blockieren lassen und die Gesuche ausländischer Ministerien mit Bedauern zurückweisen würde. Er hatte die letzte Wahlkampfrede noch im Kopf, wo Wishbone die im Schoß des Landes heranreifende Gefahr beschwor, die größer sei als die Bedrohung durch den dunklen Magier von der Insel. Seiner Auffassung nach galt es vordringlich, die Feinde der amerikanischen Zaubererwelt innerhalb der Landesgrenzen aufzuspüren. Offenbar sah sich Wishbone als Erbe Ironquills, vor allem, weil er die beiden Stratons als willkommenen Aufhänger nutzte, um seine Abschottungspolitik zu rechtfertigen. Doch hier und jetzt wollte sich Cartridge nicht dazu äußern. Er hatte getan, was er für seine Pflicht hielt. Wenn das den Wählern zu wenig war, sollten sie eben jemand anderem das Amt zusprechen. Er könnte sich dann entweder als Berater im Hintergrund verdingen oder einen Job in der zivilen Zaubererwelt suchen. Zumindest aber wollte er dann mehr Zeit für seine Familie einplanen. Doch noch war er der Zaubereiminister. Noch trug er die Verantwortung für dieses riesige Land zwischen Kanada und Mexiko, zwischen Atlantik und Pazifik. Da fiel ihm noch etwas ein, was er den beiden Reportern für die Druckerpressen ihrer Zeitungen mitgeben konnte: "Zwar hat vor siebzig Jahren ein Zaubereiminister Großbritanniens verfügt, daß ein Leiter für nordamerikanische Angelegenheiten seinen Platz in Kanada einnimmt. Aber es ist durchaus denkbar, daß Minister Scrimgeour befindet, unser nördliches Nachbarland noch stärker zu beaufsichtigen und die dortigen Angelegenheiten entweder uns überträgt, weil wir näher dran sind oder um seine eigene Macht zu beweisen sich selbst unterordnet. Insofern geht es uns natürlich was an, wie sich die Lage in Großbritannien weiterentwickelt. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Sie werden verstehen, daß ich nach mehreren Tagen Reise gerne wieder mit meiner Familie zusammen sein möchte. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!"

"Noch eine Frage zu Broomswood, Sir", hielt ihn Lino noch auf. "Womöglich wissen Sie, daß heute ein Zivilprozeß zwischen Professor Pabblenut und Mrs. Dione Porter stattfand. Wissen sie, wie der Prozeß endete?"

"Ich erfuhr bei der Sichtung der Zeitungsartikel der vergangenen Tage, daß Professor Pabblenut eine Niederlage hinnehmen mußte. Und um gleich ihre nächste Frage zu beantworten, Ms. Knowles, ich möchte den Ausgang des morgen anschließenden Verfahrens abwarten, um mich endgültig festlegen zu können, welche Konsequenzen ich daraus ziehe. Meine ersten Aussagen bleiben bis dahin gültig", erwiderte der Minister. Dann deutete er auf die Tür, was die beiden Reporter als unmißverständliche Aufforderung verstanden, das Zimmer zu verlassen. Sie wußten beide, daß Cartridge sich dann nicht mehr zu irgendwelchen Aussagen bringen ließ. Linda nahm ihre Handtasche, McMillan seinen grünen Spitzhut. Danach verließen die Reporter das Zimmer.

"Das wird noch lustig, wenn Wishbone morgen zum Gegenschlag ausholt", dachte Milton Cartridge. Er vergewisserte sich, daß die beiden Vertreter der freien Zaubererpresse das Ministerium verlassen hatten und fuhr dann mit dem exklusiven Fahrstuhl in die Privaträume des amtierenden Ministers hinauf, wo er den rest des Abends mit seiner Frau verbrachte, während der kleine Maurice friedlich in seiner weißen Wiege schlummerte.

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Die Zeitungen des sechsundzwanzigsten Julis brachten die Presseerklärung von Cartridge und kommentierten sie damit, daß es einerseits sehr vorteilhaft sei, möglichst viele internationale Verbündete zu haben, um gegen Gegner wie den Unnennbaren und Wesen wie die Abgrundstöchter bestehen zu können, wiesen aber auch darauf hin, daß die Eigenständigkeit der vereinigten Staaten in jedem Falle gewahrt bleiben müsse. Anthelia nahm die Zeitungsartikel als willkommene Ablenkung von ihrer umfangreichen Lektüre. Sie hatte sich aus allen öffentlich zugänglichen Bibliotheken, sowie aus den privaten Sammlungen ihr treu ergebener Hexen Bücher über verschollene Zauberwesen, Atlantis und dunkle Vermächtnisse verschafft, um mehr über Voldemorts neue Streitmacht zu erfahren. Dabei wollte sie auch mehr über den Mitternachtsdiamanten erfahren, um vielleicht doch eine wirksame Waffe dagegen zu finden. Tatsächlich fand sie im Buch über dunkle Vermächtnisse ein Kapitel mit dem Titel "Der König der Dunkelheit" und las, was der Verfasser, der sich selbst Heres Archaicus nannte, mit eigener Hand und einer Tinte, die sehr verdächtig wie altes Blut aussah, auf die hauchdünnen Pergamentseiten geschrieben hatte. Er hatte sowohl Latein benutzt, als auch eine Schrift, die eine Übersetzung der altkeltischen Sprache sein mochte, die sie zur Wirkung druidischer Rituale erlernt hatte.

"So begab es sich vor undenklichen Zeitalter, viele hundert Menschenlebensspannen zurück, daß in den letzten Tagen jenes im Meere niedergesunkenen Landes ein Krieg erwachte, in dem die zehn großen Könige und Königinnen die Entscheidung suchten, wessen Wort und Wille wirken sollte von jetzt bis in Ewigkeit. Die Herren des hellen Lichtes stritten wider jene der Finsternis, sowie den Herrschern über die Elemente der stofflichen Welt. Der mächtigste und zugleich gefürchtetste König im Glauben an die Macht der Finsternis war Iaxathan. Er unterwarf sich alle, die wie er und zwang sie in seine Reihen. Sein Wissen um die alten Kräfte war überragend, und sein Bestreben nach Macht war ein unstillbarer Hunger. Um sein Vorhaben ins Werk zu setzen, so erfuhr ich aus uralter Quelle, erschuf er Dinge, in die er alle Kraft der Finsternis einfing und zu seinem Nutzen ausschöpfte. Er unterwies ihm treu ergebene Zauberkundige in der Verwendung todbringender Kräfte. Er selbst zeugte da selbst mit der Macht der Finsternis ein unzerbrechliches Kleinod aus verfestigter Mitternacht, härter als alle irdenen Dinge und alles Licht und Feuer verschlingend, aller Zerstörungskraft widerstehend und benetzte es mit dem bleichen Blute eines seiner Geschöpfe, die er aus jenen Geschöpfen zusammenfügte, die Dunkelheit und Blut zum Leben brauchten, und deren Dasein auf gewöhnliche Menschen übertragen werden konnte. Damit erweckte er das Ei der Mitternacht zum Leben, flößte ihm immer mehr Macht über jene Wesen ein, die er selbst geschaffen und machte es damit zum Träger ihrer Kraft und Fügsamkeit. Als er hunderte von ihnen dem Ei der Mitternacht geweiht hatte, prägte er ihm noch seinen unverbrüchlichen Willen auf, nur von ihm benutzt werden zu können. Außerdem erschuf er etwas, von dem ich nicht genau erfuhr, wie es aussah und wo er es verbarg, an das er selbst seine Seele band, um im Falle seines körperlichen Endes überdauern zu können, um auf ewig seine Macht über das Leben zu behaupten, bis die Nacht ohne Morgen, der Sieg der Finsternis über alles Licht, die Welt verschlingen würde. Seine treuesten Diener waren Kalsharin Daragasadin, der für ihn Auge, Ohr und rechte Hand war und Skyllian Sharanagot, sein Vollstrecker und Heerführer. Kalsharin Daragasadin belegte er mit einem Zauber, der ihn dazu zwang, nach seinem körperlichen Tod im Körper eines anderen Sklaven Iaxathans wiedergeboren zu werden, auf daß Iaxathan ihn stets zu Diensten rufen konnte. Skyllian Sharanagot vereinte die Mächte von Erde und Dunkelheit und verschmolz am boden kriechende Schuppentiere wie Schlangen und Eidechsen mit seinem Willen unterworfenen Sklavinnen und Sklaven. Sie trotzten den Zaubern der Elemente und waren gefeit wider alle körperliche Gewalt, solange sie mit dem Schoße der Erde verbunden waren. Die Kundigen der Erde und des Feuers vermochten nicht, sie zurückzuschlagen. Doch als Feuer und Wind sich verbanden, brachen sich die Legionen Skyllians daran. Es wird geflüstert, der Diener Iaxathans habe mit einigen Dutzend seiner Ausgeburten die Flucht ergriffen und sie an sicherem Orte in den Schlaf der Zeitalter versenkt, auf das eines Tages, wenn ein neues Reich der Finsternis auf Erden errichtet werden sollte, die alte Streitmacht neu erwache und zu unaufhaltsamer Größe anwachse. Doch seine Gegner setzten Wächter ein, dieses Erwachen zu verhindern. Fern in alten Wäldern ruht das Zeichen Skyllians, in dem er selbst seine Seele barg, um jenen zu helfen, die seine Macht zu neuen Taten rufen. Das Ei der Mitternacht diente Iaxathan dazu, die von ihm beherrschten Lande mit Angst und Schrecken zu lähmen und jeden Widerstand darinnen zu vertilgen, ehe er aufkeimen und erstarken könne. Doch mit vereinter Kraft rangen seine Widersacher ihn nieder, zerstörten seine lebende Hülle und konnten nur zusehen, wie sein inneres Selbst entwich und in das von ihm geschaffene Gefäß drang, worin es in selbsterwählter Kerkerhaft überdauern muß. Sein Vermächtnis, das Ei der Mitternacht, wurde von einem seiner bleichen Sklaven, die wir heute Vampire oder Kinder der Nacht nennen, ergriffen und verlieh diesem unverzüglich ein vielfaches an Macht, machte ihn zum Herrscher seiner Rasse und führte Iaxathans Schreckensreich fort. Doch die entfesselten zerstörungskräfte, die an den Fundamenten des alten Landes rüttelten, hatten es bereits zu sehr geschwächt, daß es in den Fluten des nach ihm benannten Meeres versank und nimmer wiederkehrte. So wirkte Iaxathans Wille doch noch weiter, und der der Nacht verhaftete Sklave nahm Zuflucht auf einem der Erdteile, die die übermächtigen Flutwellen überstanden. Soweit ich erfahren durfte, währte sein entsetzliches Dasein noch viele hundert Jahre. Dann gelang es einem Zauberkundigen, das Ei der Mitternacht zu rauben und seinen Besitzer verwundbar zu machen. Bei dem Versuch, das mitternächtige Kleinod zu vernichten, ließ der heldenhafte Magus sein Leben. Sein Name war Kothar aus dem Zweistromland. Seither wurde das Eie der Mitternacht immer wieder umkämpft. Wo es sich jetzt befindet weiß ich nicht."

"Nett, daß du nicht weißt, wo es ist", knurrte Anthelia, als sie die letzten Zeilen gelesen hatte. Viel gab dieser Text ja nun wirklich nicht her. Aber was sollte sie auch erwarten? Immerhin ging es hier um Sachen, die in grauer Vorzeit entstanden waren und die so brisant waren, daß das Wissen darum wohl nicht frei in die Welt getragen wurde. Sie las noch einmal den Absatz über die Krieger Skyllians, die wohl identisch mit der von Voldemort geweckten Streitmacht waren. Sie waren gegen alle Zauber und alle körperliche Gewalt immun, solange sie festen Boden unter den Füßen hatten. Die Information erfreute Anthelia. Denn das hieß, daß diese Ungeheuer angreifbar waren, solange sie auf See oder im freien Fluge waren. Womöglich wurden sie dann nicht mehr mit der Kraft aus der Erde am Leben gehalten und waren dann so sterblich wie gewöhnliche Lebewesen. Ob und wie man den Mitternachtsdiamanten zerstören konnte stand in diesem Kapitel nicht drin. Sie blätterte weiter, stieß dabei auf Begriffe wie "Das schwarze Fenster" "Lahilliotas Mutterfreuden" und "der unerwünschte Stoff". Sie las das Kapitel zu Lahilliotas Mutterfreuden und fragte sich, warum Sardonia dieses nie gelesen hatte. Denn darin wurde angedeutet, auf welche Weise Hallittis Mutter sie empfangen und geboren hatte und daß mit jeder Geburt ein Teil von Lahilliotas Seele in eine ihrer Töchter einging, so daß sie bei der neunten Geburt ihr restliches Sein aushauchte und diese Tochter wesentlich stärker war als ihre acht älteren Schwestern. Nur die geballte Kraft der acht habe sie wohl sehr früh in den langen Überdauerungsschlaf gezwungen. Über das Schwarze Fenster las sie nur, daß es ein sehr mächtiges Artefakt sein sollte, das aus Glas, Silber und dem atlantischen Metall Orichalk hergestellt worden sei und über jeden, der es fände sofort Macht gewönnne, je mächtiger der Finder sei desto schneller. Daher habe der letzte Zeuge des Aufbewahrungsortes das Geheimnis nicht weitergegeben, sondern sich das Leben genommen, um der Macht des Fensters zu entfliehen. Über den unerwünschten Stoff, der hier lateinisch Substantia non grata genannt wurde, las sie nur, daß allein seine Herstellung ganze Wohnsiedlungen in Feuer und Glut versinken lasse. Der Verfasser des Kapitels sprach von der Strafe für überneugierige Alchemisten.

"Warum schreiben Leute so viele Zeilen ohne einen Funken verwertbare Kunde?" Knurrte Anthelia, die überlegte, ob diese verbotene Substanz womöglich den Mitternachtsdiamanten zerstören konnte, wenn allein ihre Herstellung einen ganzen Wohnort in Feuer und Glut versinken lasse. Andererseits wollte sie nicht mit Dingen hantieren, die nicht zu kontrollieren waren. Es hieße, den Drachen mit dem Basilisken auszutreiben. Sie klappte das Buch zu und nahm sich ein anderes vor. Hier fand sie mehr über die Geschichte der Vampire und erfuhr, daß manche Vampire nicht nur über die Menge des von ihnen getrunkenen Blutes ihre Macht erhielten, sondern auch wichtig war, von wem sie es nahmen. Wurde das Opfer gar eines ihrer Kinder oder ein Ehepartner, teilte sich der Vampir damit auch die Eigenschaften des Opfers oder dessen lebender Angehörigen. Allerdings barg das auch die Gefahr, daß der Vampir sich irgendwelchen Feinden auslieferte, wenn er die schlummernde Verbindung gezielt benutzte. Er wurde ortbar und angreifbar. Anthelia befand, daß das gewisse Möglichkeiten eröffnete. Wenn sie mit Sicherheit wußte, wer von einem Vampir wie Nyx heimgesucht worden war, konnte sie vielleicht dessen Blutsverwandte Angehörigen benutzen, um das Versteck zu finden. Sie wollte es gut im Gedächtnis behalten. Außerdem dachte sie an das Seelenmedaillon. Der Blutrubin in seinem Zentrum vermochte, Vampire zu versklaven, wenn sie deren wahren Namen kannte. Sie hatte es auch schon mehrmals geschafft, einen Vampir damit zu unterwerfen. Der Wahre Name war nicht der neue Vampirname, den die auf rituellem Weg entstandenen Nachtkinder bekamen, sondern der Name, den sie nach ihrer körperlichen Geburt erhalten hatten. Also war nur zu fragen, wer Lady Nyx vor ihrer Vampirweihe gewesen war. Womöglich wußte Daianira es. Doch diese hatte bisher nichts von sich hören lassen.

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Am Nachmittag trat Lucas Wishbone vor eine interessierte Menge und nahm zu den am Morgen veröffentlichten Aussagen seines Konkurrenten und derzeitigen Zaubereiministers Stellung. Im Publikum erblickte er neben älteren Kollegen aus dem Ministerium auch den hünenhaften Ares Bullhorn von Thorntails und die Broomswoodlehrerinnen Dawlish und Archer, die mißmutig dreinschauten. Wishbone hatte am frühen Nachmittag erfahren, daß die Inhaberinnen des neuen Kosmetikladens in New Orleansmit ihrer Widerklage Erfolg gehabt hatten. Professor Pabblenut sollte nun zusammen mit ihren Kolleginnen den von den Richtern ausgerechneten Durchschnittsumsatz einer ganzen Woche und tausend Galleonen Entschädigung bezahlen. Das konnte Cartridges Ansichten über Broomswood entscheidend beeinflussen. Kein Wunder, daß die beiden Hexen im Publikum nun hören wollten, was Wishbone zu sagen hatte.

"Meine Damen und Herren, ich möchte mich zunächst bei Ihnen allen bedanken, daß Sie den weiten Weg hierher auf sich nahmen, um von mir direkt zu erfahren, wie ich die gegenwärtige politische Lage einschätze und wie ich im Falle meiner Wahl ins Amt des Zaubereiministers damit umzugehen trachte. Ich gehe sehr zuversichtlich davon aus, daß Sie alle den Zeitungen von heute entnommen haben, was mein derzeitiger Konkurrent und gegenwärtiger Zaubereiminister Milton Cartridge gestern abend noch verlautbart hat." Viele aus dem Publikum nickten ihm zu. "Dann wissen Sie auch, daß Minister Cartridge sich in den letzten Tagen auf Staatskosten mit sieben Zaubereiministern Europas getroffen hat, um mit Ihnen zu erörtern, wie gefährlich das Treiben jenes angeblich unnennbaren Dunkelmagiers ist, der sich "Lord Voldemort" nennt." Im Publikum zuckten viele erschrocken zusammen. "Allein schon, daß hier gestandene Hexen und Zauberer bei diesem frei erwählten Namen zusammenfahren wie von einem Schlag getroffen ist eine Auswirkung der allgemeinen Panikmache, meine Damen und Herren. Ja, dieser Zauberer ist bösartig, mordlüstern und zerstörungssüchtig. Ja, er hat vor allem die Abkömmlinge jener Familien um sich geschart, die einen Stammbaum vorweisen, der über mehr als zwölf Generationen aus geborenen Zauberern besteht, weil sie meinen, er, dieser sogenannte Lord Voldemort", wieder schraken einige zusammen, "werde eine Zaubererwelt errichten, in der nur derartige Zaubererfamilien das Sagen haben und Zauberer, deren Eltern oder sie selbst von Muggeln abstammen dürften nicht frei herumlaufen oder gar Macht ausüben. Denn ganz abgesehen davon, daß eine überwiegende Mehrheit aller Zauberer keinen Wert auf weit zurückreichende Blutlinien reiner Zauberergeborenen legt, liegt es nur an den Bewohnern eines Landes, ob sie einer kleinen Bande von Fanatikern alle Macht überläßt oder nicht. Wir, das amerikanische Volk, haben, ob Muggel oder Zauberer, eindrucksvoll bewiesen, daß wir uns jeder Tyrannei von innen wie von außen erwehren und entledigen können. Sollte also dieser unnennbare Dunkelmagier tatsächlich danach trachten, sein Land zu unterwerfen, reicht es doch völlig aus, es von der restlichen Welt abzuschneiden, keine Handelsbeziehungen mehr dorthin zu pflegen und auch keinen Personen- und Nachrichtenverkehr von uns aus dort eindringen zu lassen. Dieses derartig isolierte Regime würde keine zwei Monate durchhalten, ohne eine unaufhaltbare Revolution befürchten zu müssen. Wir hier in den Staaten sollten besser daran gehen, die uns direkt betreffenden Bedrohungen zu beseitigen. Ich nenne in diesem Zusammenhang das Versagen von Ex-Minister Pole, die hier auf Beute ausgehende Hallitti zu jagen und zu vernichten. Dies haben uns bis vor wenigen Tagen völlig unbekannte Hexen besorgt. Sie taten dies nicht aus Rücksicht auf ein unfähiges Zaubereiministerium oder aus Loyalität unserer magischen Gemeinschaft gegenüber, sondern aus reinem Eigennutz. Woher ich das weiß? Sie haben alle in den Zeitungen oder dem magischen Rundfunk verfolgt, was der Familie Straton widerfahren ist. Zum kürzlich zu beklagenden Tod der jungen Hexe Patricia Straton traf ein Schreiben ein, in dem klar und deutlich erwähnt wird, daß diese Hexen, zu denen die Stratons wohl auch gehörten, eigene Pläne verfolgen, die gegen unser Zaubereiministerium gerichtet sind. Wir können nicht anderswo Feuerwehr spielen, wenn bei uns bereits schwarzer Qualm aufsteigt und es jederzeit zu einem Buschfeuer kommen kann, meine Damen und Herren. Wir müssen unsere Kräfte auf das eigene Land konzentrieren, unsere Familien schützen und unsere Grundwerte verteidigen. Wenn die Europäer befinden, daß ihnen ein derartig gefärhlicher Widersacher im Nacken sitzt, dann mögen sie meinetwegen eine Allianz schmieden, um dagegen zu kämpfen, und ich wünsche ihnen dabei alles Glück und Geschick, was dazu nötig ist. Doch solange wir nicht geklärt haben, wer hinter dem Mord an Patricia Straton steckt, und solange wir selbst genug dunkle magier im Lande haben, die gerne ihre macht ausdehnen möchten, solange haben wir in anderen Ländern nichts zu suchen. Wir entblößen uns selbst, wenn wir Inobskuratoren nach Europa schicken. Wir erniedrigen uns, wenn wir unsere inneren Angelegenheiten den Wünschen ausländischer Zaubereiministerien unterstellen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang sehr gerne daran, das Länder wie Großbritannien, Spanien und Frankreich den Willen zur Freiheit unseres Volkes lange Zeit nicht hinnehmen wollten. Selbst die hier eingewanderten Zaubererfamilien wurden unter Druck gesetzt, sich den sogenannten Mutterländern zu fügen. Ich sehe hier Madam Waxwhite vom Hexeninstitut von Salem." Eine dunkelgrauhaarige, untersetzte Hexe in einem geblümten Kleid nickte bestätigend. "Nun, in Ihrer Geschichte ist vermerkt, daß zahllose Frauen, schon alleine, wenn sie in den Verdacht gerieten, Hexen zu sein, grausam gefoltert und dann öffentlich verbrannt worden sind. Die echten Hexen waren gezwungen, ihren Umgang mit nichtmagischen Menschen zu beenden und eine Zeit lang ohne den Gebrauch ihrer Zauberstäbe den Alltag zu fristen, weil der britische Zaubereiminister damals befahl, alle sollten sich unauffällig verhalten. Ja, was war denn das für eine Politik, vor ein paar überängstlichen, aggressiven Muggeln zu kuschen?! Die hiesigen Zauberer und Hexen beschlossen damals, eine unabhängige Gemeinschaft panamerikanischer Hexen und Zauberer zu gründen und vermochten es, Frieden mit den Medizinleuten der Ureinwohner zu schließen, sowie auch die Hexen und Zauberer in Lateinamerika zu überzeugen. Was war die Folge: Das britische Zaubereiministerium, sowie das der iberischen Halbinsel, schickte Repatriierungskompanien los, die abtrünnige Hexen und zauberer festnehmen und gegen ihren Willen in die Mutterländer zurückholen sollten. Dabei kam es zu Handgemengen mit Zaubererfamilien, die sich bereits mit den indianischen Medizinleuten vermischt hatten. In Salem erlebte die Anti-Hexen-Hysterie den Höhepunkt, weil Muggel Zeugen wurden, wie sich zwei Hexen gegen ihre Festnahme wehrten und dabei ein Muggel in einem Entzündungszauber verbrannte. Damals waren Gedächtniszauber noch unzureichend erprobt. Das Ende vom Lied war, daß die Repatriierungskompanien zwei Drittel ihrer Leute verloren und mehrere Dutzend hiesiger Hexen und zauberer lieber starben, als sich gewaltsam zurückbringen zu lassen, vor allem die, die schon in zweiter Generation hier geboren wurden. In den Archiven der sogenannten alten Welt ist davon nur was von einer "unerfreulichen Meinungsverschiedenheit" nachzulesen. Ich weiß das, weil ich vor fünfundzwanzig Jahren nach meinen UTZs in England war, um meine Familiengeschichte zu vervollständigen. Ja, und jetzt, über dreihundert Jahre nach dieser unsäglichen Bevornundung und Massenverschleppung wagen es genau diese Länder, von uns zu verlangen, Ihnen bei der Jagd auf ihnen gefährlich werdende Hexen und Zauberer zu helfen, wo wir hier genug eigene Probleme haben. Wir wissen, daß dieser Voldemort - Och, hören Sie doch bitte auf, sich bei Nennung dieses Namens andauernd zu erschrecken - also daß dieser voldemort die Werwölfe und Vampire auf seine Seite ziehen möchte. Da Cartridge den Vorschlag einer vollständigen Erfassung aller Lykanthropen auf internationalem Druck hin zurückgestellt hat, vermeint dieser Dunkelmagier wohl, er könne welche bei uns einschleusen. Um ihm wirklich den Boden für eine weltweite Verbreitung seiner Ansichten und Helfershelfer zu entziehen, müssen wir alle die halbmenschlichen Wesen besonders beobachten oder an gesicherten Orten zusammenbringen, die seinen Ideen verfallen können, meine Damen und Herren. Hier müssen wir anfangen, das Übel einzudämmen, damit wir weiterhin friedlich leben können. Deshalb rufe ich dem amtierenden Zaubereiminister entgegen: Machen Sie keine vollmundigen Zusagen für andere! die nordamerikanischen Bürger brauchen Ihren Beistand und Ihre Einsatzbereitschaft mehr! Falls Sie finden, das ein Minister nur auswärts zu glänzen hat, dann machen Sie bitte den Platz für jemanden frei, der das eigene Land mehr respektiert!"

"Unerhört!" Rief ein junger Zauberer, nachdem er höflich gewartet hatte, bis Wishbone seine Ansprache beendet hatte. "Sie wollen einfach zusehen, wie dieser Mistkerl unschuldige Leute umbringt."

"Tut mir furchtbar leid, das so zu sagen, junger Mann, aber täglich bringen irgendwelche Mistkerle irgendwelche unschuldigen Leute um. Wir können nicht überall zugleich sein, sondern müssen uns um die Kümmern, die in unserem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich leben. Genau deshalb brauchen wir unsere Inobskuratoren und Fachleute vom Laveau-Institut genau hier. Ich weiß, Sie spielen gleich darauf an, daß die Muggel der USA finden, sie müßten Weltpolizei spielen und könnten mit ihren Kriegsmaschinen und Soldaten überall für Ordnung sorgen. Aber ich habe die Geschichte der nordamerikanischen Muggel besser studiert und weiß daher, daß diese Eingriffe in den seltensten Fällen gut für die betroffenen Länder und auch nicht gerade beruhigend für die Muggel der USA ausgegangen sind", sagte Wishbone ganz gelassen. Der junge Zauberer blickte sich hilfesuchend um, sah aber niemanden, der oder die ihm beispringen wollte. Die beiden Broomswood-Lehrerinnen standen erhaben auf. Professor Dawlish blickte Wishbone an und fragte laut und energisch:

"Wenn Sie finden, wir hätten uns vordringlich um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern, Mr. Wishbone, wie sehen sie es dann, daß Minister Cartridge laut darüber nachdenkt, die Broomswood-Akademie zu schließen?" Getuschel hob im Publikum an. Einige Hexen, die wohl selbst einmal dort gelernt hatten, sahen schüchtern die Lehrerin und ihre Kollegin an. Zauberer kicherten hinter vorgehaltener Hand. Andere Hexen sahen sehr interessiert von Wishbone zu Professor Dawlish und umgekehrt. Jetzt konnte Wishbone auch Daianira Hemlock auf eine der hinteren Sitzbänke erkennen, die nach außen hin teilnahmslos dasaß.

"Broomswood hat in den letzten Jahrhunderten hervorragende Hexen ausgebildet. Ich finde, es sollte den Eltern überlassen bleiben, wohin sie ihre Töchter schicken, solange sie sich an die allgemeine Zaubereigrundausbildung halten", sagte Wishbone.

"Dann würden Sie Broomswood nicht schließen, Sir?" Hakte Professor Dawlish nach.

"Nur, wenn Sie oder Ihre Vorsitzende mir einen triftigen Grund dafür gäben, Professor Dawlish."

"Heuchler!" Rief eine der Hexen, die nicht in Broomswood war. "Sie haben vor vier Wochen gesagt, Sie würden prüfen, ob eingeschlechtliche Erziehung nicht unamerikanisch sei. Sind Sie so vergeßlich?"

"Moment mal, ich habe angemerkt, daß ich schon finde, daß es der allgemeinen Schulform in Amerika widerspricht, wenn jemand eine eingeschlechtliche Erziehung in Zaubererschulen bevorzugt. Das heißt aber nicht, daß ich die Schule deshalb schließen muß", verteidigte Wishbone die Aussage, die ihm gerade um die Ohren gehauen worden war. Ein Zauberer aus dem Publikum lachte laut und meinte dann:

"Dann sollten Sie auch den Mut haben, diesen Laden dichtzumachen. Abgesehen davon sind die angeblich so gut ausgebildeten Hexen fast alle wieder in Broomswood gelandet, wie Dawlish und Archer. Oder können Sie mal eben was anführen, was die beiden Damen hier außerhalb von Broomswood geleistet haben?"

"Flegel!" Schimpfte Archer den Zwischenrufer aus, der jedoch kalt lächelnd vor seinem Stuhl stand. Weitere Zuschauer meldeten sich jetzt zu Wort und riefen durcheinander. Die einen verlangten eine klare Aussage, wie Wishbone die Akademie nun fand, andere forderten den Fortbestand von Broomswood. Die dritte Hauptgruppe verlangte die sofortige Schließung, weil die meisten Schülerinnen von da als eingeschüchterte oder total verbitterte Hexen herauskamen. Ein junger, wohl gerade mit der Schule fertig gewordener Zauberer rief noch dazwischen:

"Das sind dann die neuen Schwestern für die Nachtfraktion oder diese Hexen, die die Höllenbraut ausradiert haben." Da ging es dann los, das laute Wortgefecht zwischen Archer, Dawlish, ihnen treu ergebene ehemaligen und denen, die das so sahen wie der Zwischenrufer. Wishbone wollte jedoch keine Auseinandersetzung. Er rief mit magisch verstärkter Stimme:

"Nur keine haltlosen Anschuldigungen, wenn ich bitten darf! Ich könnte Ihnen allen Berichte zitieren, in denen Broomswood-Absolventinnen notierenswertes geleistet haben. Eine von ihnen war sogar von 1963 bis 1968 Zaubereiministerin. Außerdem bin ich nicht vor Sie alle hingetreten, um mir anzusehen oder anzuhören, wie Sie sich gegenseitig übel beschimpfen können, meine Damen und Herren. Falls jemand von Ihnen ein Problem mit wem aus dem Publikum hat, bitte ich ihn oder sie darum, die Veranstaltung zu verlassen. Ich bitte Sie um etwas mehr Selbstbeherrschung!"

"Wir lassen uns nicht auf dieselbe Stufe mit diesen machtgierigen, intriganten Hexen stellen", keifte Professor Archer. Der Zwischenrufer von eben konterte:

"Stimmt, ihr seid noch ein paar Stufen drunter."

"Okay, die Störer alle raus!" Kommandierte Wishbone seine zehnköpfige Sicherheitsmannschaft. Drei von ihnen bauten sich um ihn herum auf, während die restlichen sieben in die Menge hineinmarschierten und den provozierenden Zwischenrufer und Professor Archer des Gemeindesaales von Cloudy Canyon zu verweisen. Das führte zwar dazu, daß sich zwei Lager bildeten, die den einen oder den anderen beispringen wollten. Doch Donata Archstones Elitewache machte kein großes Federlesen. Wer sich aggressiv zeigte oder unflätiges Zeug rief wurde mit dem Mobillicorpus-zauber in leerer Luft aufgehängt und innerhalb weniger Sekunden zur Tür hinausbugsiert. Professor Dawlish und Professor Archer von der Broomswood-Akademie zogen es vor, mit wütenem Gesicht den Saal auf eigenen Füßen zu verlassen. als nur noch die interessenten an Wishbones Veranstaltung übrig waren, stellte der Ministerkandidat fest, daß es gerade zwanzig Stück von vorher achtzig waren. Einerseits sprach das für die rasche Reaktion der Schutzmannschaft. Andererseits enttäuschte es ihn sehr, daß sich so viele seiner Zuhörer auf dieses kindische Gerangel eingelassen hatten. Unter den Verbliebenen waren ausnahmslos ältere Hexen und Zauberer wie Daianira Hemlock, Ares Bullhorn und McMillan vom Kristallherold. Für den Westwind war diesmal Telly Onedin erschienen, der hier in Cloudy Canyon wohnte.

"In Ordnung, meine Damen und Herren. Wer noch Fragen hat, die ich beantworten möchte, möge sie bitte stellen", seufzte Wishbone.

"Die Frage nach der Abwägung von Eigenschutz, Nichteinmischung und Hilfeleistung steht immer noch im Raum, Mr. Wishbone", sagte Ares Bullhorn und straffte sich. Der hochgewachsene, muskulöse Zauberer mit den blonden Haaren wirkte wie eine Heldengestalt aus einer germanischen Sage, dachte Wishbone, der einige dieser Erzählungen gelesen hatte.

"Zur inneren Sicherheit, Professor Bullhorn", begann Wishbone, "Die aktuellen Bedrohungen zwingen uns, unsere dagegen ausgebildeten Fachkräfte auf unser Territorium zu konzentrieren. Mit Bedrohungen meine ich die verbliebenen dunklen Magier, sowie die Hexen, welche für den Mord an Patricia Straton verantwortlich zeichnen und bestimmt auch mit dem Tod von Pandora Straton zu tun haben."

"Pandora Straton wurde im Ausland getötet", warf Telly Onedin ein und kramte sein Notizbuch hervor, um die betreffende Nachricht nachzuschlagen. Wishbone ließ ihn gewähren. Als Onedin vorgelesen hatte, was er zu Pandoras Tod aufgezeichnet hatte, sagte Daianira Hemlock:

"Das sollte uns zu denken geben, ob wir uns unter den Umständen wirklich aus den Ereignissen in anderen Ländern heraushalten dürfen, Mr. Wishbone."

"Sie meinen, wir sollten allein um der Ahndung dieses Mordes wegen auf Minister Cartridges Vorschläge eingehen, Madam Hemlock? Wir können nur Aufklärung fordern. Wie ich eben noch sagte steht es uns nicht an, Feuerwehr oder Ordnungshüter in der Welt zu spielen. Außerdem weiß ich nicht, ob Pandora Straton wirklich im Ausland getötet wurde. Es hätte ja auch so hingestellt werden können, um ihren Tod ausländischen Verbrechern in die Schuhe zu schieben. Ich fürchte, es handelte sich bei beiden Morden um eine Femetat, falls Sie wissen, was das ist, Madam Hemlock", sagte Wishbone sehr herausfordernd.

"Ein von kriminellen oder staatsfeindlichen Gruppen geplanter Mord zur Warnung der eigenen Leute oder zur deren Meinung nach gerechten Bestrafung für eine Untat gegen das Weltbild oder die Gewinninteressen solcher Leute", erwiderte Daianira Hemlock ruhig. Professor Bullhorn sah Wishbone an und fragte ihn, ob er einen konkreten Verdacht habe. Onedin und McMillan spitzten sofort ihre Ohren. Wishbone entging das nicht. Er war ja selbst ausgebildeter Sicherheitszauberer.

"Das wäre hier wohl der falsche Ort und die falsche Zeit, auf jemanden zu deuten und einen Verdacht zu äußern. Ich habe natürlich schon konkrete Verdachtsmomente und kann Ihnen versichern, daß im Falle meiner Wahl eine umfangreiche Ermittlung begonnen wird, um den oder die Täter zu überführen. Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich nichts dazu sagen."

"Versteht sich", sah es Bullhorn ein. Dann kamen sie noch einmal auf Cartridges Presseerklärung zu sprechen und wie Wishbone zu einzelnen Punkten daraus stand. Dann war die Veranstaltung zu ende. Wishbone wurde durch einen separaten Ausgang geführt, während das verbliebene Viertel der Zuschauer durch die drei Hauptausgänge den Saal verließ. Seine Leute wimmelten die beiden Pressevertreter ab. Er hielt sich nicht mit langen Abschieds- und Dankesworten an die Noch-Kollegen auf, sondern disapparierte im Sichtschutz eines verlassenen Korridors.

"Wenn wir Luke Wishbone kriegen macht der alle Verbindungswege dicht und bläst zur Hexenjagd", meinte Crocker, einer der beiden Leibwächter. Sein Kollege Frasier antwortete:

"Der hat Cartridge zur öffentlichen Besprechung dieses Werwolf-Sammellager-Gesetzes gedrängt, wo es auch Ironquill hätte werden können. Der wird dann nicht nur Hexen jagen."

"Ja, aber hast du gesehen, wie er ganz heimlich gegrinst hat, als dieses pickelige Lästermaul im Publikum meinte, die Broomswoodianerinnen würden diesen Nachtfraktionsfurien zuarbeiten?" Fragte Crocker.

"Nur für'n Blinzeln. Ich denke, der ist genauso drauf wie Ironquill. Da kann sich Donny schon mal nach 'nem neuen Job umsehen."

"Denkst du, er denkt, die wäre eine von denen?" Fragte Crocker.

"Das wohl nicht, weil die ja dann wohl ziemlich dreist wäre. Aber der will dann bestimmt keine Hexen um sich rum haben."

"Klar, wo der so Misogam ist", meinte Crocker.

"Häh?!" Machte Frasier.

"Ehemuffel, Jungeselle aus Überzeugung. Oder hast du den auf unseren Betriebsfeiern je mit 'ner Hexe gesehen, die nicht seine Mutter war?"

"Bist du etwa verheiratet?" Knurrte Frasier.

"Nö, nicht bei dem Job. Aber 'ne gute Begleiterin für zwischendurch habe ich dann doch."

"Tja, die wollen aber nicht nur begleiten", feixte Frasier. Dann befanden sie, sich zurückzuziehen.

Lucas Wishbone apparierte genau vor seiner haustür. Er lauschte. In seinem haus war es völlig still. Manchmal empfing ihn Klarinettenmusik oder das Klappern von Geschirr. Heute nicht. Er schnüffelte. Er konnte keinen verräterischen Duft wahrnehmen, daß hier jemand ein warmes Abendessen zubereitete. Er holte seinen Clavunicus-Haustürschlüssel aus der Innentasche seines Umhangs und schloß die Tür auf. Er fühlte sich erleichtert, endlich einmal wieder alleine in seinem Haus zu sein. Diese Gelegenheiten hatte er in den letzten Jahren so selten erlebt, daß er sie gerade so an seinen zehn Fingern abzählen konnte. Meistens war Tracy Summerhill im Haus und spielte die treusorgende Nicht-ehefrau oder Ersatzmutter. Er trat ein und schloß die Tür von Innen zu. Er hängte den dunkelblauen Umhang an einem großen Haken und ging ins Wohnzimmer. Dort lag ein Briefumschlag auf dem Esstisch. Der hatte am Morgen noch nicht da gelegen. Was wollte sie von ihm, wenn sie nicht da war? Er nahm den Umschlag vorsichtig. Einmal hatte sie ihm einen rubinroten Umschlag geschickt, der beim Öffnen ein lustvolles Säuslen von sich gegeben hatte. Doch dieser veilchenblaue Umschlag barg nichts derartiges. Er ließ sich mühelos öffnen und gab den nach anregendem Wiesenkräuterparfüm duftenden Pergamentbogen frei. Lucas Wishbone las:

Hallo Lucky, Honey!

Da du im Moment mit dieser für mich irgendwie unverständlichen Kandidatur zu tun hast und diese Sicherheitsleute ja jetzt häufiger um dein Haus herumschleichen, habe ich meinen Ferienbungalow durchgeputzt und auf dem Markt von VDS alles zusammengekauft, was für ein richtiges französisches Abendessen gebraucht wird, von den Froschschenkeln und Schnecken abgesehen. Ich fände es sehr nett von dir, wenn du gleich nach deinem Auftritt vor dem großen Wortduell morgen zu mir rüberflohpulverst, weil um den Bungalow ja ein Antiapparierwall steht. Ich erwarte dich so um sieben. Falls es spät wird, du kannst auch bei mir übernachten.

Ich freue mich, wenn du vorbeischaust. Öhm, aber bitte nicht in Dienstkleidung. Das sieht an dir zu kalt und förmlich aus.

Also bis dann!

Deine Lieblingstante

"Die ist verrückt, und ich bin's wohl auch", dachte Wishbone und las den Brief noch einmal. Außer dem Geruch nach Wiesenkräutern trug er nichts, was einem Außenstehenden Anlaß zu irgendwelchen Verdächtigungen gegeben hätte. Einige wußten ja, daß seine Mutter vor fünf Jahren gestorben war und ab und an ihre jüngere Schwester vorbeischaute, um die Junggesellenbude in Stand zu halten und ihrem Neffen Gelegenheit zu reichlichem Essen gab. Doch jetzt, kurz vor der Wahl, fragte er sich, ob er sich nicht ganz von ihr trennen sollte. Im Mimisterium selbst konnte er sich abschotten. Aber selbst wenn er die unersättliche Geliebte loswürde hätte er eine wütende Tante. In jedem Fall war und blieb sie eine sehr gewandte und zaubermächtige Hexe und wußte zu viel über die gemeinsamen fünf Jahre. Mit anderen Worten, sie hatte ihn sicher in ihrer Hand. Dennoch fühlte er gerade jetzt ein großes Verlangen, die unmißverständliche Einladung zu ignorieren oder sie sogar auszuschlagen. Hatte er am Abend nicht noch einen wichtigen Termin übrig? Er könnte mit seinen Zuträgern aus dem Ministerium reden, um die neusten Nachrichten aus der Chefetage zu kriegen. Seitdem er offizieller Kandidat war arbeitete er nicht mehr in der inneren Sicherheit. Womöglich würde er, falls er nicht gewählt würde, in die zivile Zaubererwelt gehen und sich mit seinen Kenntnissen dort bewerben. Seine "Lieblingstante" hatte ihm sogar angeboten, er könne dann zu ihr ziehen. Nicht nur, daß sie und er sich das Vermögen seiner verstorbenen Mutter teilten. Sie hätte ihn dann auch ganz für sich alleine. Ihm graute bei der Vorstellung von ihr betüddelt und beschlafen zu werden, ohne irgendwas anderes im Leben zu sehen zu bekommen. Er steckte den Brief wieder in den Umschlag zurück und schloß ihn. Er legte den Brief wieder auf den Tisch und verließ leise, als ob er sich belauscht fühlte, das Wohnzimmer. Er blickte auf seine Armbanduhr. Es war jetzt eine halbe Stunde vor sieben uhr. Er sollte besser wirklich woanders sein, wenn Tracy Summerhill meinte, ihn abholen zu müssen. Er nahm seinen Dienstumhang vom Haken ...

"Honey, wie ist es. Kommst du gleich?" Hörte er Tracys warme Gedankenstimme in seinem Kopf. Er wußte, daß er nicht so tun konnte, als habe er diese Botschaft nicht erhalten. So mentiloquierte er zurück:

"Kann noch nicht nach Hause. Veranstaltung war lang. werde irgendwo abendessen."

"Das ist ja wohl nicht richtig, mein achso vielbeschäftigter Lucky. Du hast den Brief doch gefunden und gelesen, weiß ich. Also wie steht's?"

"Hätte ich wissen sollen", dachte Lucas Wishbone nur für sich. Natürlich hatte seine ihm sehr nahe stehende Tante den Umschlag mit einem Meldezauber versehen, den er beim Öffnen ausgelöst hatte. Er war wie ein Anfänger in eine plumpe Falle gegangen.

"Ändert nichts dran, daß ich noch mal weg muß. Kann spät werden, und dann bin ich müde und will in mein Bett", schickte er mit einer Spur Verärgerung zurück.

"Ja, und morgen ist euer Wortduell", gedankenknurrte seine Tante zurück. "Dann conservatempisiere ich alles. Aber wehe, du bist übermorgen nicht um sieben Uhr da."

"Was dann, Tantchen. Verläßt du mich dann?!" Schickte Lucas Wishbone zurück.

"Im Gegenteil, Süßer. Dann mache ich dir einen öffentlichen Heiratsantrag." Die Drohung traf zielsicher. Lucas Wishbone versprach, übermorgen um sieben Uhr abends bei seiner Tante im Ferienbungalow anzukommen. Ihm schwante, daß er das dann auf ihn wartende Abendessen dann bitternötig haben würde, um genug Kraft und Ausdauer zu haben. Er beschloß, das Treffen mit dem Informanten doch stattfinden zu lassen, um dann im betrunkenen Drachen zu Abend zu essen. Morgen würde dann das öffentliche Wortduell zwischen ihm und dem Minister stattfinden.

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Haemophilos hatte es auch ohne ihre Macht der direkten Unterwerfung eingesehen, daß er in dieser Nacht auf die drei Neuen achten sollte. Nyx hatte beschlossen, ihre zurückgewonnenen Hexenkräfte zu benutzen, um schneller als auf eigenen Flügeln durch das Land zu apparieren. Jetzt stand sie vor einem verfallenen Haus in der Geisterstadt Lucky Spade in Nevada. Wüstensand füllte die Straßen aus und umschloß bereits die untere Hälfte aller Häuser. Hier war seit mindestens einhundert Jahren kein Mensch mehr gewesen. Aber sie suchte auch keinen Menschen. Hier, in diesem alten, verrottenden Blockhaus, in dem sie die Holzwürmer ticken hören konnte, hauste Thanatos, ein Sohn der Nacht, der bei Neumond die wohltuende Dunkelheit erblickt hatte. Er war der Sohn von Styx und Tartaros, zwei ihr nicht gerade wohlgesonnenen Dunkelmondlern, mit denen sie und Haemophilos in den letzten Jahrzehnten die eine und andere unliebsame Begegnung hatten. Sie sog die Luft in ihre wohlgeformte Nase, stimmte sich auf ihre überkörperlichen Sinne ein. Ja, Thanatos lebte hier noch. Offenbar war er gerade eben ausgeflogen, was eigentlich seltsam war, da die Dunkelmondler lieber noch eine Stunde zwischen Dämmerungsende und ihrem Nachtwerk verstreichen ließen. anders als die unter dem vollen Silberschein des Mondes erwachten Nachtkinder waren die Dunkelmondler noch lichtempfindlicher. Dafür fühlten sie jedoch keinen körperlichen Schmerz mehr, waren ausdauernder und stärker als die Hellmondler. doch diese wiederum waren schneller und gewandter, intelligenter und beherrschter. Nyx roch und erspürte, wohin ihr erstes wirkliches Demonstrationsobjekt geflogen war. Disappariert war er nicht, weil Thanatos vorher kein Zauberer gewesen war. Da hatte sie schon seine feine Duftspur in der Nase, und in ihrem Bauch kribbelte der Mitternachtsdiamant, als sie an den gesuchten Vampir dachte. Sie fühlte es beinahe so, als flöge sie hinter ihm her, bis sie sein Bewußtsein berührte. Er war in östlicher Richtung unterwegs, würde wohl nach Fountain Bluff, einer Winzstadt zweihundert Kilometer weiter fort fliegen, um sich dort neues Blut zu besorgen. Sie erinnerte sich an die Landkarte dieser Gegend. In den letzten hundert Jahren waren einige Neusiedlungen hier entstanden. Die verlockendste war zweifellos Las Vegas. Doch für Dunkelmondler war diese Stadt wohl zu hell und zu laut.

"Thanatos, Sohn der Styx und des Tartaros! Kehre um zu deiner Wohnstatt!" Dachte Nyx konzentriert und hielt das Bild des vor ihr fliegenden Vampirs im Bewußtsein. Tatsächlich fühlte sie, wie ihre Gedanken die Trennschicht zwischen Geist und Außenwelt durchdrangen und widerhallten. Thanatos wurde sich seiner Ruferin bewußt und fühlte Wut. Doch Nyx dachte weiter an ihn, fühlte, wie ihr einverleibtes Machtmittel dabei herrlich anregend kribbelte, sie mit einer Unmenge an Kraft auflud. Ihre Gedanken breiteten sich in Thanatos' ganzem Geist aus, füllten ihn komplett aus und verdrängten seine Wut. Sie fühlte, wie sie ihn wie an einem immer dickeren Faden, bald einem Strick hielt und ihn damit zur Umkehr zwang. Er war wohl schon fünfzehn Kilometer an die Zwergstadt herangeflogen. Sie fühlte, wie Thanatos bei seinem Rückflug noch mehr unter ihren Bann geriet. Die Willensenergie, die der Mitternachtsdiamant ihr verlieh und die sie auf ihr Ziel konzentrierte, überlagerte den auf Raub und Tod beschränkten Eigenwillen. Thanatos war jetzt eine vollkommene, fliegende Marionette für sie. Sie trieb ihn zur Höchstgeschwindigkeit an, verdrängte seinen Blutdurst und ließ ihn schneller als vernünftig war durch die Nacht dahinjagen. Sie ließ ihn keinen eigenen Gedanken mehr fassen. Seine Gier nach Blut hatte sie in einen Drang, heimzukehren verwandelt, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Es stimmte also. Wenn sie den zu bezwingenden Vampir beim Namen kannte, konnte sie ihn aus großer Ferne unterwerfen. Sie setzte mit einem kräftigen Sprung auf das morsche Holzdach über, das bedrohlich knarrend unter ihr nachgab. Doch noch trug das alte Dach die nicht gerade schwere Trägerin des Mitternachtsdiamanten. Sie brauchte nicht den Kopf zu wenden, um ihren ersten ausgewachsenen Gehilfen herankommen zu sehen. Sie hörte wie beiläufig auf das schnelle Flügelschlagen. Sie fühlte, wie die Erschöpfung dden von ihr gesteuerten Dunkelmondler immer mehr zusetzte. Doch sie trieb ihn weiter zu sich hin. Erst als eine menschengroße, nachtschwarze Fledermaus vor dem verfallenen Haus herabstürzte und gerade soeben noch mit den Flügeln abbremste und landete, blickte sie hinunter. Mit einem einzigen Gedanken ließ sie den Heimkehrer in die transformative Trance fallen, die von allen Vampiren erlernt wurde, um zwischen Menschen- und Fledermausgestalt zu wechseln. Sie bedauerte es, daß Thanatos für die Rückverwandlung ganze zwanzig Sekunden benötigte. Sie konnte jetzt innerhalb von einer Sekunde die Gestalt wechseln. Die übergroße Fledermaus wurde zu einem äußerlich gerade sechzehn Jahre alten Jüngling mit langem, hellem Haar. Der Junge sah sehr attraktiv aus, fand Nyx, die in ihrem Leben viele Männer aller Größen, Rassen und Altersstufen gesehen hatte. Sie konnte sich vorstellen, daß ihre dunkelmondlerische Rivalin Styx ihn sehr gerne zu ihrem Sohn gemacht hatte.

"Verdammte Weichmondlerin, wie hast du das gemacht. Ich hole meine Eltern, dann zerreißen wir dich und fressen deine Innereien!" Rief Thanatos, als Nyx ihn aus ihrer fernhypnotischen Umklammerung freigegeben hatte.

"Du machst ab dieser Nacht nur noch, was ich von dir will, Jüngelchen!" Rief Nyx. "Oder was glaubst du, hat dich so schnell hergeholt wenn nicht ich."

"Das kannst du nicht, Weichmondlerin!" Brüllte Thanatos, und seine Stimme hallte an den vor Jahrzehnten verlassenen Häusern wider.

"Das habe ich dir gerade bewiesen, du Dummkopf", erwiderte Nyx. "Ich brauche nur an dich zu denken, dann tust du, was ich will."

"Ich brauche meine Eltern nicht. Ich durchbohre dich mit einem der alten Bohlen hier. Gute Eiche, du Weichmond-Dirne."

"Die Dirne lasse ich dir mal durchgehen, wenn deine nette Mutter dir serviert hat, wie ich ohne große Probleme an frisches blut komme. Aber das mit den Eichenpflöcken zieht bei mir nicht mehr, Dunkelmondler."

"Ach ja?!" Schnaubte Thanatos. Nyx unterdrückte den Wunsch, ihn noch einmal unter ihren weit reichenden Zwang zu nehmen. Sie wollte diesem Neumondnarren da zeigen, wie mächtig sie war. Mit einem grazilen Sprung kehrte sie vom Dach auf den sandigen Boden zurück, wo Thanatos gerade mit seinen bleichen, nervigen Fäusten eine lose Eichenbohle aus der Wand brach und sie vor seinem straffen Brustkorb in zwei Teile brach und das spitzere davon wie einen Stoßspeer in die rechte Hand nahm.

"Abgesehen davon, daß wir uns nicht gegenseitig töten sollten, wirst du damit bei mir nichts mehr anrichten!" Rief Nyx noch. Da stürmte Thanatos auch schon auf sie zu, holte noch einmal aus und stieß dann den improvisierten Eichenpflock mit voller Kraft in Richtung Brustkorb. Krachend traf das Stück Holz ... auf einen unsichtbaren, stahlharten Widerstand, keinen Zoll vor Nyxes linker Brust und splitterte. Beinahe wäre der angespitzte Eichenpfahl nach hinten in Thanatos' Ellenbogen gedrungen, wenn dieser die wirkungslose Waffe nicht instinktiv losgelassen hätte.

"Verdammt, wie geht das?" Fragte der Dunkelmondvampir. Dann überkam ihn erneut die Mordlust. Er sprang vor und griff mit seinen Händen nach der Gurgel seiner Bezwingerin. Diese fühlte sich jedoch an wie ein Ring aus blankem Stahl. Er drückte zwar mit aller Kraft zu, doch seine sonst selbst wie tödliche Stahlklammern wirkenden Hände schafften es nicht, Nyx auch nur im Ansatz die Luft zu nehmen. Er warf sich auf sie. Doch sie ließ sich nach hinten überfallen, riß beide Knie hoch und prellte ihn damit so, daß er mit großem Schwung über sie hinwegflog. Er landete im weichen Sand, warf sich herum, daß eine Staubwolke aufgewirbelt wurde und wollte aus dem Liegen losspringen. Da war sie unmittelbar über ihm und drückte ihn in den Boden.

"Ich könnte dich jetzt unangespitzt hier in den Grund rammen, Bürschchen. Aber ich will, daß du mir dienst, wie deine Raubmondlerischen Eltern auch. Kapierst du es, daß du mir nicht mehr gewachsen bist?" Schnaubte Nyx. Thanatos entblößte seine Fangzähne. In wenigen Ausnahmefällen konnten Vampire sich auch dann noch Blut absaugen, wenn sie in großer Not waren. Doch meistens mußten das dann die Blutehepartner oder Eltern der Nacht sein. Dunkelmondler hatten aber schon die bittere Erfahrung gemacht, daß das Blutopfer von Hellmondlern ihnen sehr übel zusetzte. Nyx befand, daß Thanatos es nicht am eigenen Leibe erleben mußte, wie ihr blut ihm zusetzte. Sie hielt ihn am boden und sah ihm tief in die Augen. Ihre Hexenkunst und die Kraft des Steins ließen sie ungehindert in seinen Geist eindringen, ihn ausfüllen und ihrem Willen einverleiben. sie sprach ganz ruhig aber entschlossen:

"Thanatos, ich bin ab heute deine einzige Herrin. Deine Mutter und dein Vater haben dir keine Anweisungen mehr zu geben. Du gehorchst nur noch mir. Du sollst Qualen erleiden, wenn du nur daran denkst, mich anzugreifen. Ich, Lady Nyx, bin ab heute deine Gebieterin, deine einzig wahre Meisterin.""

"Ich gehorche dir", stöhnte Thanatos im unüberwindlichen Bann der überlegenen Vampirin, die ihn losließ und sich wieder aufrichtete. Erst dann gab sie auch Thanatos' Willen frei, soweit sie ihn nicht durch ihre Befehle eingezwengt hatte. "Du wolltest deine Eltern herrufen? Mach das!" Sagte sie nun ganz freundlich zu ihrem ersten bereits erfahrenen Diener. Drei Stunden später, knapp eine Stunde vor Morgenrot, landeten zwei weitere Vampire vor dem Haus. Sie sahen Nyx und gingen sofort auf sie los. doch die Vampirlady blickte sie konzentriert an und stieß ihren Angriffswillen nieder. Dann wiederholte sie an dem untersetzten Tartaros mit dem Struwelhaar und der klapperdürren Styx mit den dunklen Locken die magisch untermauerten Anweisungen. Danach befahl sie ihnen, sich in den anderen Häusern hier in die fensterlosen Vorratskammern einzuschließen und dort den Tag zu verschlafen. Nachts sollten sie dann ihrem Verlangen nachkommen und in drei verschiedenen Ortschaften Beute machen. Als die drei unterworfenen Dunkelmondler sich auf die Häuser der Geisterstadt verteilt hatten disapparierte Nyx. Die Probe hatte geklappt. Ab jetzt würde sie die neuen Diener aus großer Entfernung unterwerfen können, bis sie die in diesem Lande existierenden Nachtkinder alle unter ihrem Befehl vereint hatte. Das würde niemand mitbekommen. Doch sie wollte auch neue Abkömmlinge. so würde sie in der nächsten Nacht mit Morpheus wieder nach Los Angeles fahren und in jenem Club, aus dem sie ihn damals geholt hatte, neue Kinder der Nacht auf den Weg bringen.

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Er fühlte, wie Zorn und Aufregung in ihm aufwallten. heute, am siebenundzwanzigsten Juli, würde dieser unsägliche Bengel seinen letzten atemzug tun. Er würde seinen siebzehnten Geburtstag nicht mehr erleben. Snape hatte es ihm mitgeteilt, daß der Phönixorden meinte, ihn ohne großes Aufsehen aus dem von diesem verfluchten Schutzbann umkleideten Muggelhaus herauszuholen. Er hatte vorgesorgt. Dort, wo er wußte, daß das vermaledeite Haus ungefähr stehen mußte, hatten seine besten Todesser und einige von ihnen imperisierte Ex-Mithäftlinge aus Askaban Stellung bezogen. Wenn der Abend kam, würden sie auf ihren Besen über der Grafschaft Surrey kreisen und darauf lauern, daß Potter aus dem Schutzbann herausflog. Severus Snape hatte angedeutet, daß die Narren vom Phönixorden wohl eine Verwirrtaktik verwenden würden, um mögliche Gegner zu überwinden. Doch was genau es war hatte Snape nicht gesagt. Er selbst würde erst in das Geschehen eingreifen, wenn sicher war, daß Harry Potter den widerlichen Schutz seiner toten Mutter und seiner Muggeltante verlassen hatte. Er traute dem Orden durchaus zu, daß sie Harry Potter doch noch einen Tag warten ließen, bis sie ihn holten. Da könnte er lange warten. So ging er daran, seine anderen Pläne ins Werk zu setzen, als er Yaxley, Selwyn und seine ihm untertänigst zugetane Meisterschülerin Bellatrix Lestrange und ihren Mann mit der Führung der Abfangtruppe betraut hatte. Er wußte, daß die von ihm geweckten Krieger der Vorzeit sich irgendwann langweilen würden, wenn sie keinen neuen Befehl bekamen. Er hoffte, den Schlangenstab Sharanagots nicht so schnell wieder aus dem genialen Versteck holen zu müssen.

Er apparierte vor einer Tropfsteinhöhle im westen Schottlands und schlich hinunter. Hier hatte er ihn postiert, Anststürmer, den größten und stärksten Schlangenkrieger. Dieser hatte sich wie ein schuppiger Hund in einer Ecke zusammengerollt und war fast erstarrt. Immerhin hatte er ihm ja befohlen, zu warten, bis er ihn brauchte.

"Angststürmer, erwache!" Fauchte und zischte Voldemort auf Parsel. Ein Zucken ging durch den zusammengerollten Leib des grün-schwarz geschuppten Mischwesens. Es entrollte sich, streckte die muskelbeladenen und dennoch wie Schlangenkörper biegsamen Glieder von sich, öffnete die ausdruckslosen, bleichen Augen und erhob sich. Voldemort atmete auf. also konnte er seine Krieger auch ohne den Stab befehligen.

"Meister, ihr habt mich geweckt", parselte Angststürmer, als er seinen Herrn und Gebieter erkannte. "Warum tragt ihr den Stab unseres großen Gebieters nicht bei Euch?"

"Diesen führe ich nur, wenn ich mit mehreren von euch reden will", sagte Voldemort darauf. "Im Kampf könnte er mir verlorengehen."

"Wir kämpfen für dich, Meister", parselte Angststürmer. "Befiehl mir, wen ich für dich besiegen soll!"

"gehe zu deinen neun Brüdern und trage ihnen von mir auf, mir aus den erreichbaren Ansiedlungen so unauffällig es geht dreihundertdreiundvierzig lebende Menschen herbeizuschaffen. Lasse sie fesseln und in diese Höhle bringen!"

"Wie du befiehlst, Herr", bestätigte Angststürmer. Doch Voldemort sah ein verhaltenes Zucken in den Augen des Schlangenkriegers. War es wirklich so gut, ihm ohne Sharanagots Zepter entgegengetreten zu sein? Er sollte bei einer größeren Anzahl dieser Krieger besser doch mit dem magischen Schlangenstab vor sie treten.

"Schafft mir diese Leute so unauffällig es geht herbei! In zwei Tagen werde ich herkommen und sie persönlich abholen", sagte der dunkle Lord. Dann gab er dem Krieger noch Tipps, daß sie nach obdachlosen Muggeln suchen sollten. Die würde niemand so schnell vermissen. Dann verließ er seinen neuen Truppenführer wieder. Erst als er sichere dreihundert Kilometer zwischen ihn und sich gebracht hatte atmete der dunkle Lord erleichtert auf. Das kurze Flackern in den Augen des Monsters war eine Warnung. Nur wer den Herrscherstab Sharanagots bei sich trug, hatte die ungeteilte Loyalität der uralten Krieger. Doch Voldemort wußte aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen, daß beseelte Gegenstände eine Gefahr für ihren Besitzer werden konnten, wenn dieser nicht im Einklang mit der im Gegenstand wirkenden Seele handelte. Bei seinem Studium über Horkruxe hatte er sich das sehr genau gemerkt. Denn immerhin konnte er ja auch einmal auf einen Magier treffen, der wie er die Unsterblichkeit in Form von Horkruxen gefunden hatte. Er glaubte sogar, daß die Wiederkehrerin Anthelia etwas dergleichen getan haben mußte. Nur hatte sie sich ihren eigenen Körper nicht wiederbeschaffen können. Der entsprechende Zauber war ja erst von ihm, Voldemort erfunden und ausgefeilt worden.

Der dunkle Lord verjagte Draco Malfoy aus der Bibliothek seiner Eltern. Er wollte es noch einmal ganz genau nachlesen, bevor er das große Ritual durchführte, daß verschiedenen Quellen nach auf Klingsor selbst zurückgehen sollte, der damals der mächtigste Widersacher Merlins gewesen sein sollte.

Voldemort blätterte in den alten Folianten, für die schon Dracos Urgroßvater eine Menge Gold bezahlt haben mochte. Dann fand er, was er suchte, die Kapitel über die großen Zauber und Flüche der Kelten. Nach nur einer halben Stunde hatte er alles noch einmal nachgelesen, was in den Schriftzeichen der Merlin-Zeit geschrieben stand. Er mußte sieben mal sieben mal sieben Leben geben, wollte er den großen Fluch Klingsors über den Boden legen, über den die Opfer verteilt wurden. Waren 342 Menschen im Ritual gestorben, so hatte er den letzten im genauen geographischen Mittelpunkt des von ihm zu verfluchenden Gebietes zu töten, um das Ziel seines Fluches zu erreichen, das er während jedes Opfers genau und unmißverständlich formulieren mußte. Außerdem mußte er sicher sein, daß niemand, gegen den der Fluch sich richtete, bereits während des langwierigen Rituals im Einflußgebiet weilte. Er hatte daran gedacht, diesen mächtigen Zauber gegen den Phönixorden zu wirken, um ihn mit einem gewaltigen Streich auszulöschen. Doch was las er noch in den alten Vermächtnissen? "Wer da erfüllen will sein großes Ziel, und Leben darbringt siebenmal siebenmal sieben so viel, der muß der Herr des Landes sein, sonst wird das Werk er schnell bereu'n." Er überlegte, ob er seinen gefaßten Plan nach der erfolgreichen Beseitigung Potters schneller oder langsamer umsetzen konnte. Würde Potter getötet, könnte das ganze noch nicht unter seinen Willen gezwungene Zaubereiministerium aufbegehren, die unterwanderten Abteilungen säubern und gegen ihn stärker vorgehen. Außerdem konnte sich Scrimgeour dann auf die Hilfe dieser besserwisserischen Kollegen aus dem Ausland verlassen. Genau die wollte Voldemort aussperren. Womöglich schockte Potters längst überfälliger Tod Scrimgeours Leute auch so sehr, daß seine in Stellung wartenden Todesser kurzen Prozeß mit ihm machen konnten. Zumindest konnte er die ersten 342 Menschenopfer bringen. Dann hatte er immer noch einen Mondlauf Zeit, das entscheidende Opfer zu bringen und die angehäufte Magie zielgenau zu entfalten. Aber er mußte sich sicher sein, der Herr des Landes zu sein, unangefochten und unumkämpft. Klingsor selbst hatte es mit seinen Länderein geschafft, es aber nie gewagt, ganz Britannien mit dem Fluch der verwwehrenden Erde zu überziehen, weil seine Feinde immer gegenwärtig waren. Er klappte das Buch zu, holte eine vor Wochen schon hier "ausgeborgte" Landkarte aus seinem Umhang und prüfte, wo der geographische Mittelpunkt seiner künftigen Machtsphäre lag. Diesen markierte er mit einem grünen X. Dann guckte er sich Punkte aus, an denen er die 342 vorangehenden Ritualtötungen begehen mußte. Klingsors Anleitung schrieb vor, gegen Mond- und Sonnenlauf abzuschreiten und dabei eine gedachte Spirale von außen nach innen zu beschreiben. So verbrachte der Herr aller Todesser den ganzen von der Sommersonne erfüllten Tag damit, seine Marschroute für das entscheidende Ritual auf der Karte festzuhalten. Morgen früh, wenn Harry Potter nicht mehr lebte, würde er die einzelnen Orte aufsuchen, wo er die Opfer bringen wollte. Dann, wenn er wirklich alle dreihundertdreiundvierzig lebenden Menschen zur Verfügung hatte, würde er zwei Tage benötigen, die Aufbaurituale durchzuführen. War er da vorher schon Herr der Inseln, konnte er das letzte Opfer getrost am 31 Juli bringen, dem Geburtstag dieses Bastards, dem er über dreizehn Jahre Untätigkeit und Schwäche zu verdanken hatte. Gab es einen triumphaleren Termin?

"Es klopfte sanft an die Tür, und Narzissa Malfoys Stimme klang eingeschüchtert durch die schwere Tür: "Herr, ist es vermessen zu fragen, ob Ihr was essen oder trinken möchtet?"

"Nicht jetzt, Narzissa", schnarrte Voldemort mit seiner Angst und Schrecken einflößenden, eiskalten Stimme. "Ich muß hier noch etwas beenden, bevor ich zu Bella und den anderen stoßen kann, um das Halbschlammblut Potter zu erledigen. Wenn das erledigt ist darfst du uns allen ein Festmahl bereiten, wenn du das ohne Hauselfen kannst."

"Es wird mir eine Ehre sein, Herr. Entschuldigt bitte die Störung!"

"Diesmal ja, Narzissa", schnaubte Voldemort bedrohlich. "Aber merke dir besser, daß ich nicht gestört werden will, wenn ich in der Bibliothek bin!"

"Herr, Peter Pettigrew ist auch gekommen."

"Dann fütter ihn, damit er nicht vom Fleisch fällt!" Lachte Voldemort überheblich. Er prüfte noch einmal die auf die Karte gezeichneten Linien der magischen Spirale, die sorgfältig um den Mittelpunkt herum verlief. Der dunkle Lord lächelte dämonisch. Das würde ein weiteres Meisterwerk von ihm werden, das ganze Land zu verfluchen. Dabei fiel ihm noch etwas ein. Im Ministerium kursierte die Behauptung, man könnte über das von diesem verwaltete Hoheitsgebiet einen Tabu-Zauber verhängen, der bei Verstoß gegen ein Verbot eine magische Erschütterung verursachte, die leicht zu orten war. Die meisten Schutzzauber würden dabei jedoch ausgelöscht. Dawlish, den er schon seit einiger Zeit kontrollierte, hatte es gesagt, daß daran gedacht worden sei, überall, wo das dunkle Mal auf Pergament, Haut oder in der Luft erschien diesen Tabu-Zauber greifen zu lassen, es aber wegen der privaten Schutzmaßnahmen, die vom Ministerium empfohlen worden waren, dann doch besser nicht gemacht hatte. Sollte sein Plan aufgehen, konnte er den Fluch der verwehrenden Erde mit diesem Tabu-Zauber verbinden und damit den Phönixorden den nötigen Respekt lehren, bevor er ihn langsam aber sicher vom Erdboden verschwinden ließ.

Das Tageslicht bekam einen immer deutlicheren Rotstich. Voldemort vollführte den Sonnenstandszauber, um damit die Uhrzeit zu bestimmen. Was brrauchte ein wirklich mächtiger Magier eine Uhr? In zwei Stunden war es so weit. Dann würden die Trottel vom Phönixorden ihm Harry Potter ausliefern, und er, Lord Voldemort, der größte und mächtigste Zauberer aller Zeiten, würde unbesiegbar und unbestreitbarer Herr der Zaubererwelt.

Er fühlte, wie die Aufregung wiederkehrte, die ihm am Morgen schon im Körper gekribbelt hatte. Er spürte den verzehrenden Haß auf Harry Potter und seine verdammten Beschützer neu auflodern. Alle, die diesem Bengel geholfen hatten, waren tot oder würden ihm noch in dieser Nacht folgen. Dieser James Potter, der meinte, ihn aufhalten zu können, diese rothaarige Schlammblut-Schlampe, die diesen Balg ausgebrütet hatte und meinte, für ihn sterben zu müssen, dieser wie sein närrischer Bruder Regulus gegen ihn aufgestandene Verräter Sirius Black, der von seiner eigenen Cousine in den Tod geschleudert worden war und dann natürlich dieser weichherzige, die große Chance so einfach verschmähende Wicht Albus Dumbledore, dessen Tod er befohlen hatte. Alle diese Leute würden in weniger als einer Stunde mit diesem Bengel wiedervereint sein und erkennen, daß nichts und niemand gegen ihn, Lord Voldemort, die Hand oder das Wort erheben konnte, ohne sehr teuer dafür zu bezahlen.

Die Sonne war wohl schon unter dem westlichen Horizont versunken. Doch ein Rest ihres Lichtes ergoß sich in einem leicht rötlichen Blauton über sein zukünftiges Reich, als Voldemort die Bibliothek mit der sorgsam fortgepackten Landkarte wieder verließ. Der Instinkt des Jägers mischte sich mit dem glühenden Haß auf Harry Potter, den Phönixorden, sowie alle, die die reinblütige Zaubererwelt verleugneten. Heute Nacht würden sie alle bitter dafür büßen, die großartige, magische Gemeinschaft so verlottern zu lassen. Er verschwendete keinen Gedanken daran, daß er selbst unter Muggeln aufgewachsen war und lange dachte, nur er allein hätte diese Fähigkeiten, mit denen er seine Waisenhauskameraden so richtig hatte spuren lassen. Er dachte nicht daran, daß in seinen Adern das Blut einer selbstherrlichen Gutsherrenfamilie aus der Muggelwelt floß. Er war der Erbe Slytherins, dessen letzter lebender Nachfahre, dazu ausersehen, sein Werk zu vollenden, groß und unumstößlich. Er bedachte die Malfoys und seinen kriecherischen Diener Pettigrew mit einem herablassenden Blick. Keiner wagte, ihn anzusprechen. Alle sahen, daß er darauf lauerte, sein Schicksal zu erfüllen. Er durchquerte die Diele mit dem goldgerahmten Spiegel und verließ das Anwesen der malfoys. Er fühlte etwas Hunger. Doch der Drang, seinen tolldreisten Erzfeind, einen halb ausgegorenen Bengel, auszulöschen, verdrängte Hunger und Durst. Er zeichnete sich einen thronartigen Stuhl, als er außerhalb der Apparierbeschränkung stand und setzte sich. Wenn sie sicher waren, daß Potter herausgekommen war, würde er erst in die Nähe apparieren und dann im freien Flug Jagd auf den Widerling machen und dabei jeden töten, der ihn beschützte. Seine Todesser würden wohl schon einige von denen erledigt haben.

"Mein Herr, dieser Mischling Hagrid ist gerade mit einem fliegenden Knatterding an uns vorbei und geht runter", mentiloquierte Bellatrix Lestrange ihm. Er fühlte, wie diese Meldung ihn wie einen Teekessel zum brodeln brachte. Wenn dieses hirnlose Monstrum mit einem Knatterding in der Nähe von Harry Potter war, dann stimmte es, daß Potter abgeholt werden sollte. Er fragte zurück, ob Bellatrix noch andre gesehen hätte. Sie gedankenantwortete, daß sie außer Hagrid keinen hatte erkennen können.

"Wenn der mit Potter alleine da wieder auftaucht ist er fällig", schickte er zurück. Er konnte nicht wissen, daß Selwyn zwei Thestrale gesehen hatte, die an seiner Position vorbeigeschossen waren, bevor diese in einem Flimmern verschwanden. Als Selwyn ihnen nachzufliegen versuchte, prallte er ziemlich unsanft auf ein Hindernis und wurde zurückgeworfen.

Voldemort hingegen saß wie auf Kohlen da. Besser, er war die Spinne im Netz, die darauf lauerte. Er dachte nach, ob wirklich nur Hagrid den Jungen holen sollte. Es wäre zu einfach. Keiner von den Phönixleuten würde diesen Trottel schicken, um Potter zu holen, wo sie damit rechnen mußten, daß die Todesser angreifen würden. Snape hatte etwas von einer Verwirrtaktik gesagt. Wie konnte man eine große Menge von Verfolgern am besten verwirren? - Es durchzuckte ihn wie ein Blitzschlag, als er erkannte, welchen zugegeben genialen Einfall der Orden haben mochte.

"Bella, es kann sein, daß die mit mehreren Potters rauskommen", mentiloquierte er.

"Wie meint Ihr, Herr?"

"Getarnte Leute, Bella. Die rupfen dem Bengel ein paar Hare aus, verpanschen damit Vielsafttrank und machen so mehrere zusätzliche Ausgaben von dem. Wenn wir nicht rauskriegen, wer der echte ist, könnte der uns durch die Lappen gehen. Wenn mehrere Gruppen mit einer Ausgabe herauskommen die Beschützer ausschalten. Doch von den Ausgaben Potters laßt ihr die Finger! Wenn der Echte dabei ist und von jemandem anderem getötet wird stirbt der, der das macht in der selben Stunde auch! Gib das weiter!"

"ja, Herr!" Bestätigte Bellatrix. Voldemort schmunzelte. Dachte der Phönixorden echt daran, ihn mit einem Vielsaft-Trank-Trick ausmanövrieren zu können. Er überlegte, wen vom Orden er schon entlarvt hatte. Moody war sicher dabei. Dieser halbriesische Volltrottel Hagrid war ja schon länger Dumbledores handzahmer Tanzbär gewesen. Womöglich würde die Werwolfgeliebte Tonks auch mit an der Aktion beteiligt sein. Bella würde sich freuen, sie erledigen zu dürfen.

Es dauerte ihm irgendwie zu lange. Warum tat sich dort nichts? Dann kam Bellatrix' Gedankenruf: "Da sind sie! Sieben Potters mit je einem Begleiter!"

"Ich komme!" Schleuderte Voldemort einen höchst erfreuten Gedankenruf an Bellatrixes Adresse und disapparierte.

Er erschien mitten in der freien Luft. Ein paar kurze Gedanken, und die Schwerkraft galt für ihn nicht mehr. Er flog dahin wie eine Rauchwolke im Wind, gewann Geschwindigkeit und sah die grünen, roten und violetten blitze aufzucken. Ein konzentrierter Gedanke trieb ihn voran. Dann sah er einen Besen, von dem aus fünf Todesser von einem einzigen Zauberer mit schnellen Flüchen auf Abstand gehalten wurden, während der kleine, schwarzhaarige Kerl hinter dem Meisterduellanten Zauberflüche in die Verfolgergruppe Schleuderte. Voldemort sah sich schnell um. Da war noch ein Besen, auf dem ein großer, dunkler Kerl mit Glatze und noch ein kleiner, dunkelhaariger Wicht saß, der genauso aussah wie Potter. Er verglich die Kleidung und das Gepäck. Beide Ausgaben hatten dasselbe an und trugen deselben Rucksäcke, die Brillen und Käfige mit hell in der Nacht glänzenden Schneeeulen. Er sah nun, wie zwei seiner Todesser von den Besen flogen und in die Tiefe stürzten. Diese Idioten waren voll in eine schnelle Folge von Flüchen reingerasselt. Voldemort jagte auf die Quelle zu. Das mußte ein besonders gut ausgebildetes Ordensmitglied sein. Er erkannte nun den zerschundenen, holzbeinigen Alastor Moody, der gerade noch einen Todesser aus der Flugbahn fluchte. Da rauschte er auch schon heran, Voldemort, der zunächst einen großen Schild zwischen sich und den Besen brachte und dann auf Moody zielte, während der hinter ihm hockende Potter oder sein Mehrling mit angstgeweiteten Augen in die glühenden, scharlachroten Augen des dunklen Lords blickte. Moody wirbelte mit dem Besen nach links, um zu entfliehen. Doch Voldemort sezte ihm mühelos nach. Sein Flugzauber gestattete ihm, gewandter zu manövrieren. So hatte er das Gespann schnell eingeholt und versuchte, den Sozius mit dem Todesfluch zu treffen. Doch der erste grüne Blitz ging fehl. Moody ließ sich durchsacken. Voldemort folgte knapp eine zwanzigstel Sekunde. Moody knurrte einen Fluch, den Voldemort mit überlegenem Lächeln mit einem Zauberstabschlenker konterte. Er versuchte, den Jungen auf dem Besen genauer anzuvisieren. Doch dieser duckte sich ängstlich und zitterte. Moody bekam den Besen nicht mehr richtig unter Kontrolle und wirbelte herum. Voldemort sah das vernarbte Gesicht des Aurors, das kleine schwarze Auge und das nun auf ihn ausgerichtete, strahlendblaue Auge, das so viel sehen konnte. Gleich würde es nur noch ein grünes Licht sehen. "Avada Kedavra!" Rief Voldemort entschlossen. Sirrend sauste der Todesfluch aus dem geliehenen Zauberstab und traf Moody genau zwischen die Augen. Das blaue Auge wirbelte daraufhin wie wild in der Höhle, während der Ex-Auror seitlich vom Besen rutschte und in die Tiefe stürzte. "Accio magisches Auge!" dachte Voldemort. vielleicht konnte man dieses nützliche Kunstorgan ja doch noch gebrauchen. Da schwirrte es auch schon heran, das aus dem Schädel seines nun toten Besitzers herausgezauberte Auge. Voldemort fing es mit der linken Hand auf und zielte dann auf den gerade nach unten durchsackenden Besen. Ob Potter oder nicht, gleich würden nur noch sechs Ausgaben dieses Bengels herumfliegen. Da knallte es, und der Besen schwirrte reiterlos davon. Voldemort stieß eine wilde Beschimpfung aus. War das der echte Potter gewesen? Nein, der hatte die Apparierprüfung noch nicht gemacht und wäre eher mit dem Besen weitergeflogen als so überstürzt zu verschwinden. Er hoffte es zumindest, daß er nicht den echten Potter gejagt hatte. Er erinnerte sich, daß der auch mehr Mut, mehr als ihm zustand, in seinen Knochen hatte. Wer immer da den Vielsaft-Trank geschluckt hatte war genauso ein Feigling wie Pettigrew. Aber Moody war erledigt. Daß er sein magisches Auge hatte war der Beweis. Denn nur wenn es nicht in einem lebenden Menschen steckte, war es magisch zu bewegen, wußte er von Crouch Junior. Er wirbelte herum. Er sah nur an den roten und grünen Blitzen, wo die anderen Gruppen waren. Irgendwo in der Ferne hörte er ein wildes Röhren. Er peilte die Gruppe an, in der es am häufigsten blitzte und schwirrte pfeilschnell dort hin. Er sah den dunkelhäutigen Glatzkopf Kingsley Shacklebolt. Der gehörte also auch zu dieser Phönixbande. Beinahe traf ihn eine addierte Kombination von Flüchen. Einer der Verfolger flog dabei vom Besen, während Kingsleys Sozius sehr entschlossen Flüche und Schildzauber in schneller Folge austeilte. Das konnte er sein, der echte Potter. Natürlich hatten sie ihn bei einem nicht so übermäßig auffälligen aber genauso erprobten Auroren platziert. Aber das nützte denen nichts. Gleich würde er dieser Ausgabe Potters mit dem grünen Blitz das Lebenslicht ausblasen. Da schwang der Junge, der wie Potter aussah, eine Brille auf der Nase und einen Schneeeulenkäfig am Rucksack festgeschnallt trug den Zauberstab auf einen anderen Todesser ein und rief einen Zauber aus, den Voldemort als Incapsovulus-Zauber erkannte. Dieser Idiot! Dieser Zauber dauerte doch viel zu lange, um einen fliegenden verfolger wirksam zu treffen. Doch der weiße Nebel aus dem Zauberstab, der den anvisierten Todesser erreichte, kristallisiertte innerhalb einer Sekunde zu einer eiförmigen Umhüllung aus. Die Kapsel löste Stabbins, den Todesser, vom Besen, schloß ihn ein und stürzte mit ihm in die Tiefe. So schnell wirkte der Zauber doch nur .. Wusch! Ein Schockzauber Kingsleys fegte keinen Meter an Voldemort vorbei. Er hob den Zauberstab, wollte Kingsleys Sozius den Todesfluch aufhalsen, als es in seinem Kopf summte und er das Bild eines Todessers vor dem geistigen Auge sah, Selwyn. "Das auf dem Motorrad ist der echte!" Hörte er Selwyns Stimme in sich. Er fühlte, wo er hinfliegen mußte. Selwyn hatte den echten Potter gefunden? Dann stimmte es, daß die Ausgabe vor ihm eine verwandelte Hexe war. Sollte er sie umbringen oder sich darüber amüsieren, wie weh es ihr tun würde, diesen schwächlichen Körper wieder loszuwerden? Der echte Potter war auf dem Motorrad. Also hatten sie diesem Hirnie Hagrid echt den Jungen anvertraut, wo der doch nicht mehr zaubern durfte, seitdem er ... Kawumm! Kingsley und die mit Vielsaft-Trank abgefüllte Hexe hatten ihm eine doppelte Ladung Schocker entgegengeschleudert und ihn fast erwischt, wenn er nicht reflexartig nach rechts unten durchgesackt wäre. Er befand, daß seine Todesser die beiden da abfertigen sollten und disapparierte.

Leise ploppend erschien er neben Selwyn, der sich hatte zurückfallen lassen. "Davorne. Dieses blöde Muggelding hat fiese Abschüttelzauber drauf, Herr", sagte Selwyn.

"Woher weißt du, daß der echte Potter da drauf sitzt?" Schnarrte Voldemort und drohte Selwyn mit dem Zauberstab.

"Der hat Shunpike mit Expelliarmus entwaffnet. Das macht Potter doch immer so."

"Hast recht, Selwyn. Hinter mir bleiben! Ich hol den mir jetzt", knurrte Voldemort und rauschte mit wehendem Umhang davon wie ein übergroßer Falke im Anflug auf seine Beute. Selwyn gehorchte Voldemort und folgte, während seine verbliebenen Kameraden sich zurückfallen ließen. Wenn Potter erledigt würde, brauchten sie sich nicht mehr ins Gefecht zu stürzen.

Voldemort sah das fliegende Motorradund zwei Todesser, die gerade ansetzten, die beiden auf dem viel zu kleinen Sitz zusammenhockenden Gestalten anzugreifen. Er sah, wie zwei Todesflüche an dem Jungen und dem Halbriesen knapp vorbeifauchten. Aus dem fliegenden Zweirad brachen Funken heraus. Der Motorenlärm ging in ein unregelmäßiges Knattern und Spotzen über. Hagrid brüllte "Nein!" Und warf sich mit Todesverachtung auf den Todesser, der gerade genau auf Potter zielte, der jetzt hilflos am Sattel geklammert dahockte und mit viel zu ungezielten Schockzaubern um sich zauberte. Der andere Todesser versuchte, Potter anzuvisieren. Da Rief Voldemort: "Zurück! Er gehört mir!" Er sah Potter an, der seine Augen fast ganz geschlossen hatte, schmerzverzerrt auf dem abstürzenden Motorrad. "Avada ...!" Rief Voldemort aus. Doch das zweite, alles entscheidende Wort blieb ihm im Halse stecken, als er sah, wie Harry Potter eine reflexartige Zauberstabbewegung in seine Richtung machte und eine gleißende, goldene Flammengarbe genau auf Voldemorts Zauberstabhand zufauchte. Eine ungeahnte Wucht schleuderte ihn zurück. Sengende Hitze peinigte seine Haut, und ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Zauberstabarm. Laut Knackend zerbarst Lucius Malfoys Zauberstab in hunderte von Einzelteilen, die auseinandertrieben und wie Regen zu Boden sanken.

"Herr, ich erledige ihn!" Rief Selwyn hinter dem Herrn der Todesser. Dieser warf sich herum und rief: "Nein!" Er blickte voller Wut auf das Motorrad und konnte gerade noch zur Seite schwenken, als eine weißblaue Flammenfontäne aus dem Heck der stürzenden Maschine knapp an seinem Umhangsaum vorbeifauchte. Potter hing immer noch mit seinem vermaledeiten Zauberstab in der Hand auf der Maschine. Er mußte ihn doch erledigen können.

"Deinen Zauberstab, Selwyn, gib mir deinen Zauberstab!" Rief Voldemort seinem Begleiter zu. Dieser zögerte einen winzigen Moment. Doch dann gab er seinen Zauberstab ab. Voldemort stürzte sich hinter Harry Potter her in die Tiefe. Er holte ihn ein. Der blick seiner scharlachroten Augen traf den der hellgrünen. Er weidete sich an dem Ausdruck grenzenloser Hoffnungslosigkeit. Er hob den Zauberstab an ... und fühlte einen Aufprall und sofort danach eine unbändige Kraft, die ihn innerhalb einer zehntelsekunde zurückschleuderte. Potter und das fliegende Motorrad flimmerten und waren plötzlich weg. Voldemort versuchte erneut, nach unten zu stoßen. Doch wieder prellte ihn eine unsichtbare Macht zurück. Da begriff er, daß hier mehrfach ineinandergreifende Schutzzauber aufgespannt waren, die jeden Feind, vor allem wenn er töten wollte, zurückhielten. Selwyn krachte mit dem Besen gegen die unsichtbare Barriere und fiel fast herunter. Voldemort versuchte, eine Lücke in den Schutzzauber zu brennen. Doch sein Zauber, besser Selwyns Zauberstab, brachte keinen erfolg. "Sammeln!" Rief Voldemort nach hinten. Er wollte durch diese Barriere durch und Potter und jedem anderem dahinter den Todesfluch aufhalsen. Glühender Zorn, verzehrender Haß und das sehr unangenehme Gefühl, versagt zu haben, ließen Voldemort toben. Doch er mußte sich beherrschen. Sie mußten diese Barriere durchschlagen. Als sie dann mit sieben Mann zugleich versuchten, den Schutz zu brechen, mußten sie erkennen, daß die verflochtenen Zauber locker dagegenhielten. Einer verlor seinen Zauberstab aus der Hand. Ein anderer krümmte sich vom magischen Rückstoß getroffen, und Voldemort fühlte einen eiskalten Windstoß, als er seinen eigenen, altbewehrten Zauberstab gegen die Barriere versuchte.

"Kriegen wir nicht weg, ohne das Ministerium herzulocken", knurrte Selwyn. "Dieser Zauber hält mindestens dreißig zugleich auf."

"Er wird da nicht bleiben", knurrte Voldemort. "Disapparieren werden die wohl nicht. Aber mit Portschlüsseln könnten die abhauen. Vergeuden wir unsere Zeit nicht hier!" Schrillte Voldemort. Seine Wut war unbeschreiblich. Er hatte Potter vor der Nase gehabt, hätte beinahe das letzte, entscheidende Wort in dessen Leben gerufen. Doch irgendwie hatte der Bengel es wieder geschafft, seinem verdienten Tod zu entgehen. Was war das für ein Zauber gewesen, den der Kerl ihm da entgegengeschleudert hatte. Dieses goldene Feuer hatte ihm mit einem Schlag den Zauberstab zerlegt und ihm obendrein große Schmerzen durch den Arm gejagt. Diesen Abwehrzauber kannte er nicht. Er dachte zwar noch daran, vielleicht mit der Feuerkugel durch die Barriere zu kommen. Doch als er seinen zauberstab auf den Punkt richtete, wo die unsichtbare Grenze verlief, fühlte er ein sachtes Vibrieren darin. Die Barriere wechselwirkte schon mit seinem Zauberstab. So blieb ihm nur noch, die Todesser um den großen Schutzdom herum patrouillieren zu lassen, bis die Sonne aufgehen würde. Sollte Potter doch mit einem Besen zu entkommen versuchen, würden sie ihn abfangen. Doch Voldemort bezweifelte es. Er mußte angewidert erkennen, daß der Phönixorden Potters Ortswechsel gründlich vorbereitet hatte. Sicher würden sie ihn an einen anderen Ort bringen, der bestimmt ähnlich gut abgesichert war. Er würde seine Todesser delegieren, alle verdächtigen Leute zu überwachen. Jetzt, wo er wußte, daß Kingsley Shacklebolt dazugehörte, wäre es für seinen neuen Freunde im Ministerium wohl leicht, den Orden zu überwachen, falls Kingsley nicht untertauchte. Immerhin war Moody erledigt worden. Sein magisches Auge hatte er jetzt. Bestimmt fand er irgendwann Verwendung dafür. Er apparierte an die Stelle, wo er Moody den Todesfluch verpaßt hatte und suchte dessen Leiche. Wenn die Phönixleute fanden, er gehöre anständig beerdigt, dann wollte er ihnen zumindest diese Möglichkeit nehmen. Gedeckt von Yaxley und Selwyn fand er die zerschmetterte Leiche des altgedienten Auroren. Das Holzbein lag vollkommen zertrümmert über mehrere dutzend Meter verstreut. Ebenso war der Zauberstab des narbengesichtigen Mitkämpfers Dumbledores in mehrere Stücke zerbrochen. "Vanesco Solidus!" Rief Voldemort auf den blutüberströmten Leichnam deutend. Mit lautem Ploppen verschwand Moodys sterbliche Hülle. Mit dem Accumulus-Zauber sammelte er die Holzstücke zusammen und verwandelte den Haufen in reine Luft. Danach kehrte er in das Haus der Malfoys zurück. Er war immer noch wütend. Potter war entkommen, und jetzt wußte er nicht einmal, wo er sich versteckte. Doch gerade deshalb mußte er seinen eigentlichen Plan jetzt um so entschlossener ausführen. Wenn nur Phönixleute bei Potter gewesen waren, dann konnte das heißen, daß sie dem Ministerium nicht mehr über den Weg trauten. Das hieß, sie rechneten mit einem Umsturz. Er durfte ihnen keine Zeit lassen, diesen zu kontern. Doch andererseits hatte er noch nicht genug sichere Gehilfen im Ministerium. Erst wenn er die hatte konnte er es wagen, Scrimgeour direkt anzugreifen. Womöglich wußte dieser auch, wo Harry Potter sich versteckt hatte. Aber zunächst galt es, mögliche Einmischungen von außen zu verhindern. Wenn er das Ministerium in der Hand hatte, durfte ihm kein Grandchapeau, güldenberg oder Arcadi dazwischenkommen. Erst würde er die 342 Menschenleben opfern, um den Fluch der verwehrenden Erde vorzubereiten. Wenn er dann das Ministerium übernommen hatte, würde er in derselben Stunde noch das letzte Opfer töten und damit alle ausländischen Hexen und Zauberer aussperren.

"Herr, habt Ihr ihn erwischt?" Fragte Bellatrix Lestrange, als sich die ausgeschwärmten Todesser wieder einfanden. Sie hatte wohl einige Flüche abbekommen. Rodolphus lag mit mehrfachen Knochenbrüchen und Fluchmarken im Gästebett der Malfoys und wartete auf einen von Voldemort kontrollierten Heiler.

"Er lebt noch, Bella. Dieser Halbschlammblüter lebt verdammt noch mal noch!" Schrillte Voldemort und machte Anstalten, den Zauberstab zu ziehen. Alle wichen vor ihm zurück, auch Bellatrix. Dann erst beruhigte er sich. Seine treuen Todesser umzubringen brachte ihn seinem Ziel nicht näher. Er blickte sich um. Sie waren bis auf drei Mann wieder zurückgekehrt. Der, den die in Potter verwandelte Hexe mit dem Einkapselungsfluch ausgetrickst hatte, hockte sehr schuldbewußt da. Voldemort sah ihn streng an und sagte:

"Wer hat dich aus dem Ei gepellt, Stabbins?"

"Rowle", sagte Stabbins und deutete auf einen großen, blonden Zauberer, der schadenfroh dreinschaute.

"Hast dich hoffentlich bedankt, Stabbins", zischte Voldemort noch. Stabbins nickte. Dann wandte sich Voldemort an Rowle: "Hättest ihn in der Verpackung lassen sollen. Wer so blöd ist, einen so langsam laufenden Fluch auf sich zu nehmen, noch dazu einen Hexenzauber ..."

"Öhm, die hätten ihn sonst finden können, Herr", sagte Rowle.

"Stimmt auch wieder. Glück für euch beide", schnarrte Voldemort. "Aber beim nächsten Mal paßt ihr gefälligst besser auf!" Brüllte er dann noch. Snape stand da und sah seinen Herrn und Meister an. Voldemort blickte ihm in die Augen. Doch Snape hatte seinen Geist so sorgfältig verschlossen, daß er ihn wohl nur mit brachialer Gewalt legilimentieren konnte. Im Moment bestand dazu noch kein Anlaß. "Hast du einen von denen getötet, Severus?" Fragte voldemort.

"Ich habe einem von ihnen ein Ohr vom Kopf geflucht", sagte Snape ganz emotionslos. "Dachte erst, es wäre Potter gewesen. Doch dann hörte ich Selwyns Ruf, wo der Echte war."

"Dann läuft jetzt einer von diesen Phönixleuten einohrig rum", lachte Voldemort schadenfroh, und seine Todesser fielen erleichtert in das gehässige Lachen mit ein. "Den kann kein Heiler mehr kurieren. Gut gemacht, Severus!"

"Danke, Herr", sagte Snape. Wie auf Stichwort trat ein Zauberer in der grünen Kleidung der St.-Mungo-Heiler ein und erkundigte sich sehr verängstigt nach dem Patienten. Bellatrix führte ihn schroff in das Gästezimmer. Sie kam zurück und sagte:

"Wenn er nicht spurt müssen seine Frau und die drei Bälger dran glauben."

"Sicher, Bella", erwiderte Voldemort überlegen. "Wenn er ein falsches Wort sagt ..." Er grinste noch breiter. Dann mentiloquierte er: "Ist der eigentlich reinblütig?"

"Weiß ich nicht", mentiloquierte Bellatrix zurück. Voldemort starrte daraufhin auf die Tür zum Gästeschlafzimmer.

"Geben wir ihm noch die paar Tage, bis wir alles in der Hand haben", mentiloquierte Voldemort. "Dann gehört uns auch St. Mungo."

__________

"damit möchte ich Ihnen allen, Professor Pabblenut, Professor Wright, und Professor Stamfoot, sowie die Damen und Herren von den internationalen magischen Medien, ganz klar sagen, daß es mich schon arg verwundert hat, welche Auswüchse Ihr Fanatismus mittlerweile angenommen hat, werte Professor Pabblenut. Ich ging bisher davon aus, daß Sie die Ihnen anvertrauten Schülerinnen streng und auf die Einhaltung bestimmter Regeln hin erziehen, aber ihnen einzusuggerieren, sie hätten keinen Spaß an ihrem Leben zu haben und müßten sich sogar ihrer Körper schämen, übersteigt die Toleranz der freien Meinungsentfaltung. Ich ging davon aus, daß ich als Minister nicht dazu genötigt würde, mich in die Führung und den Betrieb US-amerikanischer Zauberei-Lehranstalten einzumischen. Aber ich habe nach den Aussagen der letzten Wochen - nicht nur die meiner eigenen Ehefrau, Professor Pabblenut - erkennen müssen, daß ich als oberster Verantwortlicher der zaubererweltlichen Belange nicht umhin kann, den Paragraphen drei des magischen Ausbildungsvertrages anzuwenden. Mr. Steinberg von der Abteilung für magische Ausbildung und Studien bestätigte, daß wir vom Zaubereiministerium eine Schule schließen lassen können, wenn zum einen handfeste Gründe vorliegen, die dortigen Schüler würden der Gesellschaft entfremdet und zum anderen klare Aussagen vorliegen, daß die freiheitliche Grundordnung verachtet und den Schülern als falsch anerzogen wird, womit jeder Abschlußjahrgang potentielle Konflikte mit der Welt nach der Schule vor sich hat und sogar gesellschaftsfeindliche Tätigkeiten möglich sind. Sie hatten Ihre Chance, den Fortbestand Ihrer Lehranstalt glaubhaft zu rechtfertigen. Aber so wie es jetzt aussieht bestehen für Mr. Steinberg und mich handfeste Gründe, den bisher nur angedeuteten Schritt ernsthaft auszuführen, und Broomswood zu schließen."

"Das wagen Sie nicht, Minister Cartridge", entrüstete sich Alexandra Gladia Monica Pabblenut.

"Wollen Sie mir etwa drohen, Professor Pabblenut?" Fragte Cartridge. "Wie gesagt, ich habe bisher gehofft, alle Beschwerden über die Zeit in Ihrer Lehranstalt seien das Produkt ungeliebter Maßregelungen. Aber daß Sie echt von Ihren Schülerinnen erwarten, sich ihrer Natur zu schämen, sie gar zu verachten, erzeugt keine guten Mitglieder einer freiheitlichen, magischen Gesellschaft."

"Sie lassen sich offenbar sehr leicht von ein paar unzüchtigen Hexen und deren Anwälten beeindrucken, wie?" Schnaubte Professor Pabblenut. Cartridge schüttelte den Kopf und winkte mit einigen Pergamentblättern, von denen er laut ablas, damit die ihm entgegengerichteten Schalleinsauger für das Radio auch alles aufnahmen. Als er die angestrichenen Zitate verlesen hatte, fragte er, ob Professor Pabblenut, Professor Dawlish und Professor Archer das wirklich so ausgesagt hätten, wie es da stünde. Professor Pabblenut nickte schwerfällig. Der Minister nickte zurück und steckte die Zettel wieder fort, bevor anwesende Zeitungsleute ihn danach fragen konnten.

"Das sind Aufruf zum gewaltsamen Widerstand, Nötigung, Mißachtung der Grundrechte auf Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper und Anstiftung zum Umsturz, meine Damen von Broomswood." Professor Pabblenut verzog wütend das Gesicht. "Darüber hinaus regelt der Ausbildungsvertrag, daß zum Wohl und zum Schutze unserer freien Welt keine Schulen gegründet, betrieben und auch nicht finanziell gefördert werden dürfen, die die freiheitliche Gesellschaftsordnung ablehnen und ihre Schüler zum Aufstand dagegen erziehen. Damit soll verhindert werden, daß anhänger der dunklen Künste oder Blutreinheitsfanatiker wie sie zur Zeit in Großbritannien wieder laut werden unbehelligt ihre menschenfeindlichen Ideen und Praktiken an unschuldige junge Menschen weitergeben."

"Sie unterstellen mir, ich würde die dunklen Künste fördern?" Fragte Professor Pabblenut.

"Nicht in letzter Konsequenz, Professor Pabblenut. Aber eine gewisse Aggression gegen männliche Mitglieder unserer Gesellschaft und die Unbeherrschtheiten Ihrer Kolleginnen geben Anlaß, von einer nicht zu unterschätzenden Gewaltbereitschaft auszugehen. Wie sagten Sie selbst: Wehret den Anfängen!" Die anwesenden Leiter der anderen Zaubererschulen grinsten verhalten. Ein Blitz flammte auf, und roter Qualm wallte auf. Wie auch immer die anwesenden jetzt gerade geguckt hatten, einer der Pressefotografen hatte es festgehalten. Da ließen sich die drei anderen Kameraträger auch nicht lange bitten und schossen druckreife Fotos. Dann sagte Cartridge mit ganz fester Stimme:

"Ich berufe mich wie erwähnt auf den Paragraphen drei des magischen Ausbildungsvertrages, demnach eine Schule für magische Fertigkeiten und Kenntnisse auf dem Boden der vereinigten Staaten von amerika keine der freien Selbstentfaltung und vorherrschenden Gesellschaftsordnung ablehnende Denkweise zulassen, fördern oder gar verlangen darf. Anstalten, wo Hexen zur zwanghaften Selbsteinschränkung und Angst vor ihrem eigenen Körper erzogen werden, widersprechen dem freiheitlichen Geist der nordamerikanischen Zaubererwelt. Daher verfüge ich in Übereinstimmung mit dem Leiter der Abteilung für magische Ausbildung und Studien, daß die Broomswood-Akademie für junge Hexen mit sofortiger Wirkung die Lehrbefugnis entzogen und die sie besuchenden Schülerinnen zur Thorntails-Akademie zu wechseln gehalten sind. Da Broomswood eine rein private Lehranstalt war empfehle ich der Ausbildungsabteilung, den Eltern die Differenz für die bereits entrichteten Schulgebühren für das kommende Jahr zurückzuerstatten und das für Thorntails beanspruchte Schulgeld von der Broomswood-Akademie einzufordern."

"Das haben Sie ihm eingeredet, Ernestine", schnarrte Professor Pabblenut die untersetzte, weißblonde Professor Wright an. Diese schüttelte den Kopf und sagte dann ganz ruhig:

"Ich gehe davon aus, daß Sie die Empfehlung für meine Schule nicht auf Grund subjektiver Beurteilungen getroffen haben, Minister Cartridge. Würden Sie bitte begründen, wieso Thorntails und nicht etwa Dragonbreath meines geschätzten Kollegen Stamfoot?"

"Aus zwei Gründen, Professor Wright", erwiderte Cartridge. "Zum einen legt Professor Stamfoot wert auf eine Parität von Schülerinnen und Schülern. zum anderen ist Dragonbreath bereits voll ausgelastet." Stamfoot nickte bestätigend. Professor Wright sagte dann nur noch:

"Wenn ich bis zum ersten August einen offiziellen Schließungserlaß für Broomswood und eine Anweisung, die Schülerinnen von dort zu übernehmen vorliegen habe gerne, Minister Cartridge."

"Das glauben Sie selbst nicht, Ernestine, daß meine Kolleginnen und ich kampflos das Feld räumen und unsere Mädchen in die Obhut von selbstherrlichen Lehrern oder abschweifend lebenden Lehrerinnen übergeben. Abgesehen davon ist ja dann noch zu klären, ob Minister Cartridge die Umsetzung seiner sogenannten Schulreform überhaupt noch im Amt erlebt."

"Hoffen Sie nicht auf ein Einsehen von Mr. Wishbone!" Sagte Cartridge. "Wenn ich eine fundierte Begründung für den von Professor Wright vollkommen zu recht geforderten Erlaß niederschreiben lasse, dann kommt welcher meiner Nachfolger auch immer nicht umhin, diesen Erlaß bestehen zu lassen, ja unter Umständen sogar eine Revision bisheriger Unterrichtsziele und -prägungen vorzunehmen. Auch wenn mein geschätzter Gegenkandidat Lucas Wishbone in vielen Dingen nicht mit mir übereinstimmen mag oder findet, etliches besser als ich machen zu können, so weiß ich mich mit ihm darin einig, daß wir hier in den Staaten keine Inseln freiheitswidriger Weltanschauungen dulden dürfen. Er wird die selben protokollierten Aussagen von Ihnen zu lesen bekommen, genauso wie die Damen und Herren von Funk und Presse sie einsehen dürfen, Ms. Knowles." Linda Knowles hatte auf Cartridges Aktentasche gedeutet und ihn fragend angeblickt. Jetzt nickte sie.

"Das werden wir erleben, Mr. Cartridge", sagte Professor Pabblenut. "Offenbar wollen Sie die Wahl verlieren", schnarrte sie dann noch und ging.

"Die Schülerlisten kriege ich dann am zweiten, Alexandra!" Rief ihr Ernestine Wright noch hinterher. Doch es kam natürlich keine Antwort.

Es wurde dunkel um Cartridge. Mit leicht wummerndem Herzen war er aufgewacht. Wieso hatte er diese Pressekonferenz vom letzten Nachmittag noch einmal im Traum erlebt? Er drehte sich vorsichtig um. Seine Frau Godiva lag warm und ruhig atmend neben ihm. Sie fühlte jedoch, daß er sich bewegt hatte und wachte auf.

"Is' was, Milton?" Gähnte sie.

"Nichts, Goddy. Habe nur ein paar Sachen nachgeträumt", sagte ihr Mann.

"Du hättest das Protokoll von Wishbones Auftritt nicht lesen sollen, Honey", sagte Godiva leicht angenervt. "Ihr kriegt euch heute noch früh genug in die Haare."

"Gerade deshalb muß ich wissen, was er auf meine Erklärung von gestern geantwortet hat, wo ich gerade die Sache mit deiner alten Schule durchgezogen habe."

"Dafür wird die alte Pabblenut dich wohl mit Heulern zudecken, Milton. Aber Zeit wurde es doch."

"Ja, aber nur weil ich jetzt auch umfangreiche Aussagen habe und mich nicht auf dich allein berufen darf", sagte Milton. Da begann der kleine Maurice zu quängeln. Godiva blickte auf den Wecker und befand, das ihr Sohn wohl frische Windeln brauchte. Milton wollte aufstehen. Doch sie drückte ihn zurück in die waagerechte.

"gönn mir das, was diese Eiskätzchen mir auszutreiben versucht haben", sagte Godiva. Milton erwiderte:

"Das wort haben sie dir in Broomswood aber bestimmt nicht beigebracht."

"Hatte viel Nachholbedarf, Milton", erwiderte Godiva mädchenhaft grinsend. Dann ging sie daran, sich um den kleinen Cartridge zu kümmern.

Am nächsten Morgen ließ der Minister sämtliche Post, die in scharlachroten Umschlägen eintraf stehenden Fußes in den Sondermüllschlucker für gefahrenträchtige Post werfen. Tief unter dem Ministeriumsberg plärrten, gröhlten und keiften dann in Heuler konservierte Frauenstimmen ihre Empörung über die Schließung von Broomswood heraus.

"Das die es nicht lernen, daß wir im Ministerium keine Heuler aushalten müssen", lachte Nancy Gordon, die gerade hereinkam, als Cartridges Untersekretär Bluestein Heuler Nummer Weiß-der-Geier im Müllschlucker verschwinden ließen.

"Da waren nicht nur Heuler bei. Einige Ex-Broomswood-Hexen haben verfluchte Briefe geschickt, die beim Öffnen irgendwas anstellen. Bluestein hat einen harmlos aussehenden Brief einer Ms. Horseback geöffnet und redet im Moment mit einer hohen Stimme."

"Kann froh sein, daß die keinen Kastrierzauber in Briefe reinschmuggeln können", trällerte Bluestein mit einer glockenreinen Sopranstimme. "Mann, mit der Stimme singe ich dem Mozart seine Königin der Nacht mit hohem C, verflucht noch eins."

"Wohl wortwörtlich", erwiderte Nancy. Dann reichte sie dem Minister einen Stapel Zettel. "Ich bin damit gleich zu ihnen, weil ich Wishbone zutraue, daß er noch Ohren in der Strafverfolgungsabteilung hat. Hier ist sowaskomisches von meinen Kontaktern in der Muggelwelt reingekommen."

"Ich muß heute Abend für alle amerikanischen Radios und Zeitungen ein Wortgefecht mit Wishbone bestreiten, Nancy. Hoffentlich bringen sie mich damit jetzt nicht in die Bredullie", sagte der Minister. Dann las er die Papierzettel durch und fragte "Na und?"

"Die Polizisten hier haben doch aufgenommen, daß dieser Michael Prowler in Begleitung einer gewissen Nyx dieses Grusel-Tanzlokal verlassen hat. Kennen wir nicht eine, die so heißt?"

"Sie wollen doch nicht andeuten, daß eine echte Vampirin in einen Muggelladen reingeht, wo sich irgendwelche jungen Mugggel zum bloßen Spaß als Vampire, Werwölfe und ... böse Hexen ... verkleiden, um da Nachschub für ihre, ähm, Blutlinie zu werben."

"Ich habe von dieser Nyx gehört, Minister Cartridge. Die lebt hier schon seit einigen Jahrzehnten. Mein Vorgänger hat sie sogar einmal getroffen. Zum Glück hatte er vorher die Mittelmeerküche genossen und genug Knoblauch im Körper. Die lebt irgendwo in Kalifornien, Herr Minister. Das ist eine Hellmondlerin, soweit ich weiß."

"Ja, aber wenn die das wäre, hätte sie sich bestimmt unter einem anderem Namen da eingeschlichen", seufzte der Minister. Dann rief er dem Dienstmeldezauber im Raum zu: "Bitte Donata Archstone zu mir!"

"Ah, dann glauben Sie mir doch, daß es möglich ist, Sir", sagte Nancy. "Ich weiß nur nicht, ob ich da jemanden von meiner oder von Donatas Abteilung drauf ansetzen soll."

"Das sagt Ihnen Donata wohl gleich selbst, Nancy. Setzen Sie sich. Ist noch genug Kaffee da, Rob?" Bluestein nickte. Sprechen wollte er im Moment wohl nicht. Gerade entlud sich weit weit unten im Müllbunker der gerade dorthin verbannte Heuler mit der Stimme eines jungen Mädchens, das wohl noch in Broomswood zur Schule ging.

"Also Heuler lernen die wohl schon früh", amüsierte sich Nancy. Auch Bluestein mußte lachen, was mit seiner Opernsängerinnenstimme noch heiterer klang. Da klopfte es an der Tür. Der Aufforderung des Ministers folgend betrat Donata Archstone das Büro. Gerade hauchte der letzte Heuler sein lautstarkes Dasein aus.

"Gertrude Seaker", sagte Donata Archstone kühl. "Die ist gerade mit der vierten fertig geworden. Ich kenne ihre Eltern und ihre netten zwei Tanten, die ihr Pabblenuts Schule wärmstens empfohlen haben. Aber Sie baten mich wegen was anderem her, vermute ich, Sir. Wie kann ich helfen?"

"Ms. Gordon übergab mir das hier gerade und meint, das könnte uns betreffen. Hoffentlich irrt sie sich", sagte der Minister und reichte der Strafverfolgungsleiterin die Papierzettel, bei denen auch abgedruckte Fotos und Nachzeichnungen vorhanden waren. Donata warf einen sehr genauen Blick auf ein Bild, das eine sehr bleiche Frau mit eingefallenen, leicht geröteten Augen zeigte. Sie erstarrte für mindestens zwei Sekunden. Dann drehte sie das Bild noch einmal, betrachtete es erneut. Doch es änderte sich nicht. Sie las nach, daß es sich um ein sogenanntes Phantombild der Person handelte, die mit dem vermißten Michael Prowler anfang Juli die für Gruselschau und unheimliche Kostümbälle bekannte Diskothek Club Mephistopheles verlassen hatte. Seitdem sei Prowler, dessen echtes Foto beigefügt war, nicht wieder aufgetaucht. Seine Eltern hatten Vermißtenanzeige erstattet.

"Wann bekamen Sie das hier rein, Nancy?" Fragte Donata Archstone etwas ungehalten.

"Heute Morgen. Offenbar haben die Polizisten diesen Laden jetzt erst gefunden und einige Zeugen befragt."

"Das hätten Sie mir mit der Rohrpost gleich zuschicken können, Nancy", knurrte Donata Archstone. "Jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit, daß wir wegen des Wahlkampfes die Dienstwege verkürzen müssen, weil der Chef gerade viel zu tun hat!"

"Ich wollte auch nur wissen, in wessen Zuständigkeit das fällt", erwiderte Nancy. Donata nahm die Papiere und steckte sie in eine Aktenmappe. Damit war es sprichwörtlich amtlich, wer dafür zuständig war.

"Sie kennen also diese Vampirin?" Fragte der Minister.

"Sagen wir es so, mir ist bekannt, daß es in Kalifornien eine Hellmondvampirin gibt, die wirklich Nyx heißt. Sie steht sogar im Register der Zauberwesenabteilung drin. Offenbar hatte sie wieder Lust auf Nachwuchs, Sir. Ich kläre das mit dem Zawebü, Sir."

"Ich dachte, es gäbe Gesetze, daß Vampire ihre Nachkommenschaft beantragen müssen", knurrte Nancy. "Die kann doch nicht einfach in Muggelstädte rein und da wen abschleppen."

"Sie hat es getan, also konnte sie es", stellte Donata kalt fest. "Wenn Sie aber meinen, daß sie das nicht durfte, da stimme ich Ihnen zu. Das Mensch-Vampir-Koexistenz-Abkommen verpflichtet jedes Vampir-Ehepaar, das befindet, Nachwuchs bekommen zu wollen, die potenziellen personen ausschließlich in der magischen Welt zu suchen und die Blutzeugung auch zu melden. Zumindest halten sich die meisten Hellmondler dran, und die Dunkelmondler, die wir bei Verstößen erwischen konnten leben nicht mehr."

"Das wäre für Wishbone ein gefundenes Fressen, wenn Hellmondvampirinnen jetzt schon in Muggelstädten arglose Leute umgarnen, ihre Kinder werden zu wollen", knurrte Cartridge. "Donata, Sie klären das bitte noch vor meinem Auftritt heute abend ab, wo, wer, was, wie, wann und warum passiert ist!"

"wie viel Leute soll ich dafür einspannen, Sir?"

"Fünf von Ihnen und fünf vom zauberwesenbüro. Es darf nicht sein, daß nach dieser Abgrundstochter jetzt Vampire die Muggelwelt wieder unsicher machen und wir da nur dumm zugucken."

"Soll ich zwei Armbrustschützen mit einsetzen, Sir?"

"Wenn sie Probleme machen sollte, Donata", erwiderte der Minister.

Da trafen gerade mit der Rohrpost weitere Briefe ein. Cartridge überflog den zusammengerollten Stapel, entsorgte die beiden neuen Heuler und betrachtete die drei verbliebenen Briefe. Die sahen äußerlich harmlos aus. Auf einem prangte jedoch ein Stempel "Wurde von Fledermaus gebracht". Der Minister prüfte auf versteckte Flüche, fand keine und öffnete daraufhin den Umschlag. Er las erst leise, stutzte und las dann laut vor:

"Sehr geehrter Herr Zaubereiminister. Verzeihen Sie mir bitte, daß ich Sie nicht mit Ihrem Namen anschreibe, da mir dieser im Moment nicht geläufig ist, da ich bereits fünfzehn Jahre nichts mit Ihrer Behörde zu tun hatte und daher nicht auf dem aktuellen Stand bin. Mein name ist Nyx, meine korrekte Anrede Lady Nyx und ich bin, wie Sie sicherlich schnell herausfinden werden in Ihrem Büro für Zauberwesen als unter dem Vollmond geehlichte Tochter der Nacht registriert, meinetwegen auch als Hellmondvampirin verzeichnet. Warum ich mich jetzt an Sie wende? Ich erfuhr von anderen Brüdern und Schwestern der Nacht, daß im Zuge einer Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen der magischen Menschen alle an der unangenehmen Seuche der Wolfswandelwut erkrankten Mitbürger in gesonderte Lagerstätten zusammengebracht werden sollten. Tja, und irgendwer hat da wohl ausgeplaudert, daß das dann auch auf uns Kinder der Nacht angewendet werden soll. jetzt weiß ich natürlich ungefähr, daß das wohl die reine Furcht vor einem gewissen Lord ... in Großbritannien ist, der meint, uns für seine Zwecke einspannen zu können, wie er das wohl mit einigen dieser bedauernswerten Wolfswandelopfern geschafft hat. Ich möchte mich hiermit dringend dagegen verwahren, daß wir, die wir wesentlich willensstärker und erfahrener als diese Mondheuler sind, nicht mit denen in einen großen Kessel geworfen und dann noch verrührt werden sollen. Sie mögen es für Überheblichkeit halten, Herr Minister, aber durch einen sehr glücklichen Umstand bin ich berechtigt, für alle Kinder der Nacht auf dem Boden der beiden amerikanischen Kontienente zu sprechen. Ich weiß mich absolut mit meinen Mitbrüdern und -schwestern einig, wenn ich Ihnen dringend empfehle: Lassen Sie das bleiben! Ich verfüge über genug Einfluß, um eine friedliche Koexistenz zwischen uns und Ihnen zu sichern oder eine für Sie durchaus sehr unangenehme Fehde zu entfachen. Meine Familie und ichlegen großen Wert darauf, unser Allnachtsleben ungestört fortzusetzen. Wie erwähnt bin ich sicher, daß alle anderen Söhne und Töchter der Nacht dies ebenso beanspruchen. Also unterlassen sie das tunlichst, uns in irgendwelche Lager zusammenzulegen. Wir sind keine Schautiere und werden uns nicht dazu erniedrigen lassen.

Ach ja, noch etwas: Sie werden wohl demnächst eine Information aus der magielosen Welt erhalten, jemand habe einen jungen Mann aus einem Tanzlokal fortgeführt und auf nimmer Wiedersehen verschwinden lassen. die Meldung entspricht der Wahrheit. Ich war das. Der junge Mann wollte nie ein Mensch bleiben. Er hüllte sich in eine unzureichende Maskerade, um uns Kindern der Nacht so nahe wie möglich zu kommen. Mein Gatte und ich luden ihn ein, unser zweiter Sohn zu werden, und er ergab sich der erhabenen Wiedergeburt. Das dürfte Ihren Schergen unnötigen Aufwand ersparen. Denn Morpheus, so heißt er jetzt, kann, will und wird nicht mehr zurück zu Menschen wie Ihnen gehen. Er gehört jetzt zu uns. Falls Sie den Bütteln der nichtmagischen Welt eine aussichtslose Suche ersparen möchten, regeln Sie das bitte, so, daß sie nicht mehr länger nach ihm suchen. Er möchte seine Ruhe haben und in sein neues, erhabenes Leben hineinwachsen.

Hochachtungsvolll, Lady Nyx"

"Die ist dreist", knurrte Nancy. "Die reibt uns das unter die Nase, daß sie einen Muggel entführt hat, um ihn zu einem Artgenossen zu machen."

"Mir ist diese Arroganz unheimlich", sagte der Minister. "jeder Vampir weiß, daß wir eine Abteilung von professionellen Jägern unterhalten, die jeden gemeingefährlichen Blutsauger aufspürt und tötet. Wie glaubt die also, daß wir sie in ruhe lassen können, wenn sie in die Muggelwelt hineingeht?"

"Nun, wie erwähnt tun Hellmondler das eigentlich nicht. Da wir jetzt aber einen klaren Fall von Geständnis und Beweisen haben, müssen wir leider annehmen, daß auch die Hellmondler gerne in der Muggelwelt unterwegs sind. Die Warnhinweise vor Vampiren in stillen Bergschluchten und Wäldern können wir dann in den Heulerbunker da unten werfen", sagte Donata.

"Wie vile Armbrustschützen haben Sie bei sich, Donata?" Fragte der Minister.

"Wenn Sie wollen kann ich noch eine Kompanie Inobskuratoren in Marsch setzen, um Nyx zu finden. Die Frage ist nur, ob sie tot oder lebendig zu Ihnen gebracht werden soll."

"Da sie gegen die Toleranzabsprachen verstoßen hat, sofern wir diesen Michael Prowler auch bei ihr finden, hat sie sich selbst auf eine hohe Stufe im Gefährlichkeitsindex gesetzt. Also finden und erlegen Sie sie so schnell es geht!"

"Und was, wenn die jetzt meint, alle Vampire dürften locker durch die Muggelwelt spazieren und fangzähnige Nachkommen oder Ehegatten auf die Welt bringen?" Wollte Nancy Gordon wissen. "Ich meine, die hat doch jetzt eine Kriegserklärung oder sowas abgeliefert."

"Sagen wir es so, sie hat uns zum Duell herausgefordert", erwiderte der Minister. "Offenbar empfindet sie es als Glanzleistung, unerkannt in der Muggelwelt Beute machen zu können, ohne das dort daran gedacht wird, Vampire könnte es ja doch geben."

"Ich weise der Form halber darauf hin, welchen personellen und bürokratischen Aufwand das immer macht, wenn ein Muggel von einem Werwolf gebissen wurde. Da meinte Ironquill ja, daß solche Leute dann besser gleich eine Ladung in Mondsteinöfen gegossenes Silber zwischen die Rippen gejagt bekommen sollten oder mit dem Todesfluch eliminiert gehören. In der Muggelwelt sind ungeklärte Mordfälle ja doch häufig genug, wie wir ja im letzten Jahr leider erleben durften."

"sie meinen, sie hat uns damit gedroht, daß sie jetzt, wo sie gezeigt hat, daß sie es kann, einfach losziehen und arglose Muggel zu sonnenflüchtigen Blutsaugern machen will?" Fragte der Minister. Die beiden Hexen nickten. "Dann bleibt das bei meiner Entscheidung: Finden und erlegen Sie sie, Donata!"

"Wie Sie befehlen, Herr Minister. Nancy, womöglich sollten Sie es in die Wege leiten, daß es diesen Michael Prowler nie gegeben hat. Ihre Abteilung ist da wesentlich besser vorbereitet, und meine muß jetzt los, eine aus der Schiene gesprungene Nachtschwester aus der Welt schaffen." Nancy sah den Minister fragend an. Dieser nickte Donata Archstone und dann ihr zu, womit sie diesen Vorschlag als direkte Anweisung zu werten hatte.

"Als wenn diese Woche nicht turbulent genug würde", stöhnte Cartridge. Donata Archstone sagte dazu nur:

"Wir statuieren das Exempel", schnarrte Donata Archstone. In Gedanken fügte sie hinzu: "Fragt sich nur wie."

Auf dem Weg zurück in ihre Abteilung überlegte Donata, wie sie den Mitarbeitern begreiflich machen konnte, daß Nyx möglicherweise nicht getötet werden konnte, weil sie den Mitternachtsdiamanten erbeutet hatte. Sie konnte nur hoffen, daß sie den nicht immer bei sich hatte. Zumindest aber mußte sie Daianira und Anthelia die Botschaft der Vampirin mitteilen, ohne dabei aufzufallen. Sie berief eine kurze Sitzung mit ihren frei verfügbaren Mitarbeitern ein und wählte Pearse, Thorntip und Mallot als Vollstrecker des von Cartridge verhängten Todesurteils.

"Sie haben schon Dunkelmondler exterminiert und wissen daher, daß Vampire sehr gewandt und reaktionsschnell sein können. Geben Sie also gut Acht, daß Nyx sich nie auf einen zur Zeit konzentrieren kann! Greifen Sie zu zweit oder zu dritt an!"

"Ich kann einen Vampir aus sicherer Entfernung mit der Armbrust oder dem Todesfluch erwischen", erwiderte Pearse. "Immerhin habe ich schon siebzig Stück von denen von der Erdoberfläche geputzt.

"Drei weniger als ich", legte Mallot drauf.

"Ich enthalte mich dazu mal", sagte Thorntip. "Diese Blutsauger sind jeder für sich gefährlich genug, um aufzupassen", fügte er noch hinzu. "Jedenfalls sollten wir gut Knoblauch essen und Amulette mit Anti-Vampir-Zaubern versehen."

"Das ist auf jeden Fall angeraten, meine Herren", sagte Donata Archstone. "Wenn sie Minister Cartridge so unverhohlen herausfordert, hält sie gewiß etwas in der Hinterhand."

"Klar, eine Leibwache oder so", wandte Mallot ein. "Hatte ich, als ich diesen Pernoctus in Phoenix gejagt habe. Der hatte siebzehn seiner Art um sich rum, acht Mädels und neun Kerle.. Hat ihm aber nix genützt."

"Nichts für ungut, meine Herren, aber für Jägerlatein und Selbstbeweihräucherungen haben wir im Moment keine Verwendung", sagte Donata Archstone genervt. Wie sollte sie diesem Aufschneider auch klarmachen, daß Nyx bestimmt ohne Leibwache auskommen und trotzdem überlegen kämpfen konnte? Dennoch mußte sie den Befehl des Ministers ausführen.

"Warum läßt Cartridge die nicht vor den Ausschuß gefährlicher Geschöpfe zitieren?" Fragte Thorntip.

"Weil die meint, sich aus der Muggelwelt ihren Nachwuchs zusammenraffen zu können", erwiderte Pearse mürrisch. "Die glauben ja nicht mehr an Vampire, die nicht nur in Büchern oder diesen Laufbild-Streifen vorkommen."

"So ist es. Außerdem empfindet der Minister diesen Brief zu diesem Zeitpunkt als heikle Angelegenheit", erklärte Donata Archstone.

"Klar, weil Luke Wishbone sofort "Macht sie alle platt!" rufen würde", grinste Mallot.

"Recht hat der ja auch", meinte Thorntip. Donata Archstone sah die drei an und instruierte sie, sich bereit zu halten, um das Todesurteil zu vollstrecken. Sie wollte sich auch beim Laveau-Institut erkundigen, wie man einen gefährlichen Vampir schnellstmöglich finden konnte. Doch zuvor wollte sie Anthelia und Daianira aufsuchen.

__________

Wishbone erfuhr von seinem treuen Informanten auf dem kürzesten, unauffälligen Weg, was bei Minister Cartridge angekommen war und las auch von dem Tötungsbefehl gegen Nyx.

"Ich werde den richtig fertigmachen", dachte sich Lucas Wishbone. "Jetzt wird er nicht mehr drum herumkommen, den Internierungserlaß umzusetzen, wenn er nicht will, daß ich die ganze Zauberergemeinschaft in Panik versetze." Er genoß es förmlich, den Minister im entscheidenden Moment die Frage zu stellen, was er gegen die aufmuckenden Blutsauger und Werwölfe denn schon ausrichten könne, wenn er diesen erlaube, frei herumzulaufen.

Er ging die Fragen noch einmal durch, die er stellen wollte und durchdachte die Argumente, die der Minister vorbringen würde. Wie konnte er seine Ansichten so unterbringen, daß er keine zu große Angriffsfläche bot?

Die Türglocke ging. Wishbone schrak aus seinen gedanken. "Wer da!" Schnarrte die blecherne Stimme des über der Haustür angebrachten Drachenkopfes. Wieso hatte der Hausfriedenszauber nicht vorher angezeigt, daß sich wer näherte. Mit gewissem Groll fiel ihm ein, daß seine "Lieblingstante" diesen auf sich umgelenkt hatte. Doch die war im Moment nicht da.

"Professor Alexandra Pabblenut, Leiterin der Broomswood-Akademie", erscholl eine energische Frauenstimme vor der Haustür.

"Hat's geklingelt, Honey?" Hörte er die Stimme seiner Tante in seinem Kopf.

"Du hättest den Hausfriedenszauber wieder richtig machen sollen, Tantchen", gab Lucas Wishbone auf unhörbarem Weg zurück.

"Kann ich nur, wenn ich wieder bei dir bin, oder du ihn bei mir übernimmst, Honey. Dann guck nach, wer's ist!" Mentiloquierte Tracy Summerhill ihm.

"Dieses blöde Weib wird mein Ruin", dachte Wishbone und ging zur Haustür. Er öffnete die Tür und sah Alexandra Pabblenut, zugeknöpft vom leicht gerunzelten Hals bis hinunter zu den weißen Halbstiefeln. Wie üblich trug sie ihre weißen Seidenhandschuhe.

"Professor Pabblenut", grüßte er die unerwartete Besucherin. Doch dann dachte er, daß er eigentlich mit ihr hatte rechnen müssen, nachdem Cartridge ihre Schule für geschlossen erklärt hatte.

"Immerhin nennen Sie mich noch so, Mr. Wishbone", schnarrte die bald schon ehemalige Leiterin von Broomswood. "Ich kam her, um mit Ihnen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu besprechen, ob diese Unverschämtheit des amtierenden Ministers abgewendet werden kann."

"Dann kommen Sie bitte herein!" Lud Wishbone die Broomswoodianerin ein.

Im Wohnzimmer ließ sich Wishbone den gestrigen Auftritt des Ministers noch einmal aus Pabblenuts Perspektive schildern und erfuhr auch mehr über die Angelegenheit, die zu jenem Gerichtsprozeß geführt hatte. Wishbone mußte sich beherrschen, nicht offen zu grinsen. Damit hatte die alte Schachtel sich doch wahrhaftig selbst aus dem Feld geschlagen. Er nickte ihr einmal zu und setzte dann an:

"Ich fürchte, nach den Unterlagen, die ich fairerweise vom Minister erhalten habe und dem, was Sie jetzt erzählen, hat er wohl einen triftigen Grund zur Furcht. Er geht davon aus, daß Sie zaubererfeindliche Hexen ausbilden könnten, und solche wollen wir hier eigentlich nicht haben. Außerdem können sie froh sein, daß Sie sich den Southerland-Clan nicht zu Feinden gemacht haben, wo deren entfernte Verwandten in Frankreich das bestimmt übel nehmen könnten, daß eine Ihrer Kolleginnen diese Mildrid Latierre angegriffen haben soll."

"Genau, angegriffen haben soll, Mr. Wishbone. Diese göre konnte das einfach behaupten und wurde nicht dazu gezwungen, es unter Eid vor Gericht zu wiederholen oder zurückzunehmen", schnarrte Professor Pabblenut. "aber Ironside erschien es nicht so wichtig, diesen Sachverhalt zu klären. Und was diesen Vorwurf der Mißachtung der freiheitlichen Grundordnung angeht, so wissen Sie wie ich, daß es in Thorntails und anderen Lehrinstituten auch Subjekte gibt, denen diese Grundordnung nicht behagt. Dennoch bleiben diese sogenannten Lehranstalten geöffnet, ja sollten jetzt auch die jungen Mädchen aufnehmen, deren Eltern sehr bewußt dafür entschieden haben, daß sie bei uns in Broomswood ausgebildet werden und nicht in Thorntails oder Dragonbreath. Welchen Wert soll denn deren bisherige Ausbildung noch haben, wenn ein amtierender Minister befinden darf, daß wir uns gegen die bestehenden Gesetze verhalten haben? Ich habe einen Abschlußjahrgang von Hexen, die nach der Schule Heilkunst, magisches Recht und andere anspruchsvolle Zweige der Magie studieren möchten. Ich habe mit Ernestine Wright bereits einen Disput begonnen, in welche Klassen meine Schülerinnen bei ihr eingeteilt werden. Die schrieb mir doch glatt, daß sie alle Schülerinnen vor dem ersten Schultag einer Einstufungsprüfung unterziehen wolle, um die Zuteilung objektiv genug durchführen zu können. Das ist eine glatte Unverschämtheit, Mr. Wishbone. Damit erklärt sie eindeutig, daß unser Unterricht und unsere Klassenziele unter dem Niveau von Thorntails lägen, und genau das weise ich entschieden zurück."

"Moment, es ist üblich, daß bei einem Schulwechsel die Schulleitung der Zielschule prüfen darf, welche Qualifikation der Schüler oder die Schülerin erworben hat", widersprach Wishbone unbeeindruckt. "Würden Sie denn eine Schülerin, die Thorntails verlassen und zu Ihnen wechseln möchte anstandslos in die nächste Klasse eingliedern, die sie in Thorntails erreicht hätte?".

"Natürlich würde ich sie ein Jahr wiederholen lassen, um sie auf denselben Stand zu bringen, vor allem in moralisch, disziplinarischen Fragen. Wären Sie auf einer reinen Jungenschule gewesen, hätten sie in den Jahren gewiß auch mehr gelernt als in dieser koedukativen Verderbanstalt."

"Oh, vorsicht, meine Ausbildung war teuer und hat mich Jahre gekostet, um sie zu schaffen, Madam. Wenn Sie meine Fürsprache erbitten möchten, verscherzen Sie es sich bitte nicht auch noch mit mir!" Warnte Wishbone. Die graugelockte Hexe sah ihn sehr streng an. Doch an Wishbone prallte das wirkungslos ab. Er sagte dann noch: "Ich verstehe, daß Sie Zukunftsangst haben, weil Sie nichts anderes kennen als Broomswood, Professor Pabblenut. Ich bin auch bereit, Ihnen zu glauben, daß Ihnen das Wohl der Ihnen anvertrauten Schülerinnen am Herzen liegen mag. Doch wenn Sie jetzt anfangen, die Bildungsqualitäten anderer Schulen herabzuwürdigen, kann ich nicht mehr für Sie tun. Ihre Agitationen gegen die breite Mehrheit der in den Staaten ausgebildeten Hexen und vor allem Zauberer zwingt jeden Minister zu Gegenmaßnahmen. Sie wissen wohl nicht, daß hier in den Staaten offenbar eine neugruppierte Hexenbande haust, die befindet, sich über die allgemeinen Zauberergesetze hinwegsetzen zu können. Die Hexen und Zauberer könnten doch glauben, viele von denen wären bei Ihnen zur Schule gegangen. Und selbst wenn dem nicht so ist, können weder Cartridge noch ich die Mehrheit ignorieren, die das für denkbar hält." Professor Pabblenut sprang von ihrem Stuhl auf und fauchte Wishbone an:

"Dann sind Sie wahrlich ein Heuchler." Sie zog ihren Zauberstab hervor. Doch da schnellte eine silberne Wand zwischen sie und Wishbone. Sie wollte noch was sagen, da rief Wishbone: "Sie sind hier unerwünscht!" Das war das Stichwort für einen Zauber, der Professor Pabblenut mit lautem Knall verschwinden ließ. Sie würde nun eine Meile weit vom Anwesen entfernt auftauchen und konnte ab da nicht mehr näher heran. Die silberne Schutzwand fiel zusammen.

"Hat die alte Sabberhexe echt gedacht, mir in meinem Haus einen Fluch oder Zwingzauber überbraten zu können", schnaubte Wishbone. Dann atmete er tief durch und sagte laut "Alle Broomswoodianerinnen sind unerwünscht!" Ein sachtes flimmern um ihn herum verriet, daß der Aussperrzauber seine Entscheidung aufgenommen hatte.

"Was hast du denn gerade gemacht?" Empfing er die unhörbare Frage seiner Tante und Geliebten. Er fragte zurück, was sie meine und sie beschrieb ihm ein Gefühl, als wenn etwas aus ihr herausbrechen wolle. "Es wird zeit, daß ich meinen Hausfriedenszauber wieder in den Ohren habe und nicht da, wo du ihn dir hingepflanzt hast", schickte er zurück.

"Dann mußt du ihn bei mir abholen, Honey", gedankensäuselte Tracy Summerhill zurück.

"Erst Morgen", feuerte Wishbone eine entschlossene Antwort durch das Raum-Zeit-Gefüge.

"Dann behalte ich den. Aber bitte schmeiß nicht noch jemanden so unsanft raus! Ich dachte ja schon, ich müßte in einer Sekunde ein Kind zur Welt bringen."

"Pech für dich", sandte Wishbone ihr schadenfroh zurück.

"Ich kenne einen herrlichen Laden für Brautmoden, Süßer", trällerte ihre Stimme unter seiner Schädeldecke. Er verzog das Gesicht. Das würde ihn komplett aus der Gesellschaft werfen, wenn seine eigene Tante ihn heiraten wollte. Diese verdammte Hexe hatte ihn in der Hand und wo sie sonst wollte, ohne Imperius und ohne Liebestrank. Dann dachte er an das bevorstehende Wortduell zwischen ihm und dem Minister. Es sollte um sechs Uhr abends beginnen. Bis dahin hatte er noch vier Stunden frei, bevor er im Ministerium erwartet wurde. Er überlegte, ob er zu seiner Tante gehen und ihr die Last mit dem Hausfriedenszauber abnehmen sollte. Doch die würde ihn dann nicht unter fünf Stunden beanspruchen. Also plante er noch einen Nachmittagsschlaf und das Studium des Werwolfinternierungserlasses ein.

Als er mitten in der Lektüre von einer sich räuspernden Stimme aufgeschreckt wurde, mußte er zunächst auf die Uhr sehen, um zu begreifen, daß es jetzt schon fünf Uhr Nachmittags war. Er blickte zu dem an der Wand hängenden Bild eines Urgroßonkels, dessen Portrait auch im Eingangsvoyer des Ministeriums hing, weil er dort einmal die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe geleitet hatte.

"Luke, der Minister wird wohl für einige Stunden nicht zum vereinbarten Wortduell erscheinen, weil in Großbritannien ein Zwischenfall mit fliegenden Zauberern passiert ist, der wohl mit diesem Spinner Voldemort zusammenhängt."

"Was kümmert uns das, ob die da drüben sich mit seinen Leuten schlagen?" Fragte Wishbone.

"Der Minister meinte, er müsse klären, was vorgefallen sei, bevor du ihm im Wortduell unter die Nase reiben kannst, daß er die Flöhe husten hört oder sowas."

"Dann sollte er zum vereinbarten Termin antreten", knurrte Wishbone.

"Er hat seinem Sekretär Bluestein gesagt, er wäre wohl um acht verfügbar. Die Presseleute kriegen das gerade serviert."

"Oh, dann sind die da? Dann gehe ich doch glatt hin und gebe eine Erklärung ab", sagte Wishbone schadenfroh grinsend und suchte sich schnell die für das Duell ausgewählte Kleidung zusammen. Wenige Minuten Später traf er im Ministerium ein.

"Wie hat Cartridge es mitbekommen?" Fragte er seinen Informanten Pennyman, der in der Kantine Kaffee trank.

"Portrait von einem von da drüben. Die vom Ministerium da sind ja alle abgehängt worden, wenn sie ausländische Mehrlinge haben. Deshalb war's wohl ein Privatbild. über einer englischen Grafschaft, Zurrey oder sorrey oder so, haben sich auf besen sitzende Maskenmänner mit anderen Zauberern eine Schlacht in den Wolken geliefert. Die auf der alten Insel müssen jetzt hinterher, den Muggeln das so einzuränken, daß die denken, das sei was natürliches gewesen."

"Und Cartridge hat nichts eiligeres zu tun als loszurennen und sich genauer zu informieren?" Fragte Wishbone.

"Na klar", sagte Pennyman, bevor jemand aus Archstones Truppe zu nahe kam und sie deshalb über das anstehende Wortgefecht sprachen.

Eine Stunde später sagte der Zaubereiminister vor der versammelten Presse:

"Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß es den britischen Kollegen gelungen ist, einen heimtückischen Angriff auf eine Muggelsiedlung zurückzuschlagen und die Angreifer in einem aufreibenden Luftkampf besiegen konnten. Die Lage dort ist jetzt stabil." Wishbone, der ordentlich gekleidet und frisiert danebenstand, mußte sich schwer beherrschen, sein Vergnügen nicht nach außen durchdringen zu lassen. Hatte Cartridge da jetzt gerade das erzählt, was ihm Scrimgeour aufgetischt hatte oder tischte Cartridge jetzt ihnen etwas auf, um den Ernst der Lage zu vertuschen? Das fügte er noch auf seine Liste der Fragen.

als um elf Uhr abends die beiden politischen Kontrahenten nach einer aufgewühlten Wortschlacht mit geröteten Gesichtern aus dem großen Versammlungssaal traten, war sich Wishbone sicher, Cartridge so richtig fertiggemacht zu haben. Das lag auch und vor allem an der Bedrohung durch Nyx. Cartridge hatte ihn zwar gefragt, woher er das wußte, und er hatte nur was von "zuverlässigen Quellen" erzählt und an dem Ding vom Nachmittag, wo es in England selbst schon zehn Uhr abends war. Er freute sich auf sein Bett, daß er diese Nacht wieder für sich ganz alleine haben würde.

Der Minister hingegen hatte mit seinem Amt abgeschlossen. Wishbone hatte interne Dinge zu öffentlichen Themen aufgeblasen, ihn als reinen Bürokraten und Zögerer hingestellt und alle Versuche der Diplomatie im Ausland als Übertünchung der innenpolitischen Schwächen ausgegeben. Auch wo es wirklich um Sachthemen ging hatte Wishbone jedem seiner Argumente eine entgegengesetzte, aber glaubhafte Ansicht aufgeboten. Zumindest hatte er von Donata Archstone erfahren, daß ihre Vampirjäger schon dabei waren, Nyx zu umzingeln. Womöglich würde er morgen schon erfahren, daß sie sich unrettbar verhoben hatte.

__________

"Höchste Schwester, Nyx hat einen Brief ans Ministerium geschrieben", vernahm Anthelia Donata Archstones Gedankenbotschaft.

"Was steht da drin?" Schickte sie die Frage zurück.

"Das sie einen Muggel, der von dessen Polizei vermißt wird zu ihrem Sohn gemacht hat und will, daß alle Vampire hier in den Staaten in ruhe gelassen werden, sonst Ärger."

"Sonst Ärger?" Gedankenfragte Anthelia amüsiert zurück.

"Sonst Vampire gegen Zaubererwelt, höchste Schwester. Habe befehl, Nyx aufzuspüren und töten zu lassen. Habe drei hauptamtliche Vampirjäger drauf angesetzt. Gebe Nachricht auch an Lady Daianira."

"Danke! Warte auf weitere Botschaft von dir", schickte Anthelia zurück. Dann überlegte sie, ob sie jetzt, wo Nyx den Diamanten hatte, versuchen sollte, ihn ihr wegzunehmen. Dazu mußte sie nur wissen, wo sie wohnte. Vor allem würde es nicht schaden, wenn sie wüßte, wie sie vor der Vampirhochzeit geheißen hatte. Da fiel ihr ein, daß Patricia Straton ja noch das geheime Tagebuch ihrer Mutter und einen Großteil der verborgenen Bibliothek besaß. So disapparierte sie von der Daggers-Villa und landete punktgenau im Badezimmer von Virginia Hencock. Sie lauschte mit ihren telepathischen Sinnen und fand die Inhaberin der Praxis und der Wohnung in ihrem Sprechzimmer und Patricia Straton vor dem Computer, wie sie gerade das Internet abklapperte.

"Ich bin gekommen, Schwester Patricia. Bleibe wo du bist!" Mentiloquierte Anthelia.

"Ich habe schon gehofft, daß du dich wieder meldest, höchste Schwester. Nichts zu tun zu haben und nur diese Muggelmaschinen bedienen zu dürfen ist stinklangweilig", gedankenknurrte Patricia Straton zurück.

"Ich brauche die Bücher deiner Mutter. Wo sind sie?"

"Da komme nur ich dran, höchste Schwester. Das Versteck reagiert nur auf ein Blutopfer einer Blutsverwandten meiner Mutter."

"Und es muß frisch vergossen werden?" Fragte Anthelia zurück.

"Unmittelbar", entgegnete Patricia, ohne das Virginia Hencock und die junge Patientin im Sprechzimmer davon was mitbekamen.

"Kannst du da weg, wo du jetzt bist, oder hat Virginia dich für irgendwas eingeplant?"

"Einen Einsteigerkurs für Hebammen", gedankenknurrte Patricia. "Ich kann hier problemlos weg."

"Gut, dann in fünf Minuten in unserem Versammlungsraum!" Dachte ihr Anthelia zu und verschwand wieder.

Fünf Minuten später tauchte Patricia Straton im Weinkeller der Daggers-Villa auf, höchst erleichtert, aus dem Muggelhaus wegzukommen, obwohl sie da erst eine Woche wohnte.

"Ich sehe dir an, daß es dir dort, wo du im Moment noch wohnst, nicht sonderlich gefällt", sagte Anthelia zur Begrüßung.

"Ich darf mich nicht sehen lassen, höchste Schwester. Mit Virginia komme ich einigermaßen klar, wenn die nicht andauernd darüber nachdenken würde, sich wen zu angeln, der ihr auch so'n Balg unter'n Rock schiebt. Offenbar wollte sie schon vor Contrarigenus was kleines ausbrüten."

"Deshalb hat ihr früheres Ich ja auch diese unsäglichen Apparaturen konstruiert", sagte anthelia. "Aber zu dir und den büchern deiner Mutter. Wo sind sie und wie komme ich daran?"

"In unserem Haus in einem magisch verriegelten Keller, der mit einem Blutschloß versiegelt ist. Nur meine Großtante Meridith und ich können das jetzt noch öffnen."

"Deine Großtante ist eine der unentschlossenen Schwestern, nicht wahr?" Fragte Antheliaüberflüssigerweise.

"ja, und meine Mutter hat ihr deshalb wohl auch nicht erzählt, wo das Versteck liegt", sagte Patricia.

"Dann sollten wir es aufsuchen und nachsehen, ob die Bücher noch dort sind. Mich interessieren vor allem die geheimen Aufzeichnungen."

"Dad ist noch nicht zu Hause. Ross könnte aber gerade da sein", sagte die Erbin Pandora Stratons. Anthelia nickte.

"Wo können wir ankommen, ohne von ihm ertappt zu werden?" Fragte die höchste Schwester des Spinnenordens

"Nicht im Haus. Wir haben eine Apparitionssperre. Deshalb mußte Lady Daianira Ross wohl mit einem Imperius aus der Ferne aus dem Haus treiben", erwiderte Paatricia. .

"Dann fliegen wir beide das Haus eben aus sicherer Entfernung an. Appariere außer Sicht an euer Haus! Ich lasse mich von dir mitnehmen", ordnete Anthelia an und hielt sich bei patricia fest, die ohne ein weiteres Wort die schnelle Drehung vollführte und mit ihrer Anführerin verschwand.

Keine zwei Kilometer vom Haus der Stratons entfernt tauchten sie hinter einem Weißdornstrauch auf.

"Aus dieser Entfernung können wir beide wohl nicht erfassen, ob im Haus alles in Ordnung ist", sagte Anthelia. Patricia nickte. "Nun, dann fliegen wir den rest. Schrumpf dich ein und sitz bei mir auf!" Befahl sie und verwandelte sich ohne Vorspiel in eine große Krähe. Patricia, die selbst keine Animaga war, bewunderte das immer wieder, wie leicht sich eine Hexe oder ein Zauberer in sein bevorzugtes Tier-Ich verwandeln konnte. Sie nahm ihren Zauberstab und beschwor erst eine Kopfblase um sich, dann stellte sie sich breitbeinig über dem Rücken der Krähe Anthelia hin und ließ den zauberstab auf sich gerichtet herabsausen, wobei sie fühlte, wie sie immer leichter wurde und die Welt um sie her anschwoll wie ein mit Überdruck aufgeblasener Ballon. Nur wenige Hexen und Zauberer wagten die Selbsteinschrumpfung, weil sie unter Umständen unendlich weitergehen konnte. doch Patricia hatte ihre Selbstverkleinerung gut genug dosiert. Unvermittelt hockte sie zwischen für sie armdicken schwarzen Federn auf dem viel Wärme ausstrahlenden Leib der nun mehr als drachengroßen Krähe, die ihre wahre Herrin und Meisterin war. Sie steckte ihren Zauberstab fort und klammerte sich an den balkendicken Federn fest. Anthelia breitete die nun gigantischen Flügel aus und stieß sich ab. Durch die Kopfblase bekam Patricia nicht viel vom Rauschen der Schwingen und dem Flugwind mit, der für sie jetzt wie eine starke Wasserströmung wirkte. Sie duckte sich unter eine Feder, um nicht nach hinten weggerissen zu werden. Dana Moore hatte das auch schon einmal gemacht, wußte Patricia. doch Dana war eine Animaga gewesen, bis sie in Hallittis dunklem Feuer zu Asche verbrannt war.

"Verdammt! Es ist etwas im Argen!" Mentiloquierte Anthelia ihrer Reiterin. Diese erfaßte es auch. Trotz der Einschrumpfung blieb ihre telepathische Reichweite auf einige hundert Normalmeter ausgedehnt. Ihr Bruder sendete sehr schwache Impulse aus. Ja und was sie noch empfing gefiel ihr absolut nicht.

__________

Daianira Hemlock erfuhr von Donata Archstone, daß sie Nyx erlegen sollte. Die Führerin der entschlossenen Schwestern fragte sich, ob sie den Ministeriumsleuten nicht dabei helfen sollte. Denn es konnte sich schwerer gestalten als die Vampirjäger glaubten. Womöglich war ihr nicht mit Eichenholzbolzen, Sonnensegen, Ungierzaubern und Mondfrieden beizukommen, wenn sie auf einen Angriff gefaßt sein mußte und den verhängnisvollen Mitternachtsdiamanten bei sich trug. Sie hatte es selbst gesehen, wie Nyx von einer Schwester Hallittis angegriffen worden war und das mühelos überstanden hatte. Doch sie hoffte auf die Kraft ihres Sonnenmedaillons und eine Möglichkeit, Nyx vom Mitternachtsdiamanten zu trennen. Sie dachte darüber nach, ob sie nicht etwas damit anfangen konnte, wie Nyx früher geheißen hatte. Doch diese hatte es ihr natürlich nicht erzählt. Wie ihr neuer Sohn Morpheus früher geheißen hatte wußte sie gerade erst jetzt von Donata. Sie kannte Zauber, die auf Wesen gelegt werden konnten, deren bei der Geburt erhaltenen Namen genannt wurde. Fernflüche! Das war wohl das einzige, was Nyx zusetzen konnte. Womöglich mußte sie Nyx über ihren Sohn erreichen und ... Eine Erkenntnis und aufflammender Ärger durchzuckten sie wie ein Stromstoß. Wieso hatte sie nicht gleich nach Pandoras Beerdigung von Patricia Straton verlangt, ihr die für die Schwesternschaft angefertigten Geheimdokumente über verganene vorkommnisse der dunklen Künste zu überlassen? Sie wußte da doch schon, daß Patricia zu Anthelia übergelaufen war. Hatte Anthelia womöglich schon die geheimen Dokumente? Dann wäre diese wohl mit noch mehr Überheblichkeit an Daianira herangetreten als sie ohnehin schon zeigte. Doch Patricia war tot. außer einer weiblichen Blutsverwandten konnte also niemand zu dem Versteck, daß Pandora ihr selbst nie verraten hatte. Aber Pandora hatte eine Schwester, Meridith! Sie gehörte zu den zögerlichen, unentschlossenen Schwestern. Das konnte Streit mit den anderen geben, die nicht auf Daianiras Weg eingeschwenkt waren. Dennoch war sie die einzige, die ihr, der Sprecherin der entschlossenen Schwestern, noch helfen konnte, falls Anthelia noch nicht an die geheimen Dokumente gelangt war. Sie prüfte, ob sie die genaue Adresse noch hatte, schulterte ihren Bronco-Besen und verließ ihr heimliches Anwesen mit den vielen Bäumen und Obststräuchern.

Sie hatte das Haus von Meridith Broomsberg das Letzte Mal vor zweiundzwanzig Jahren gesehen, als sie Pandora Straton dort abgeholt hatte. Beinahe hätte sie sich mit der Hausbewohnerin einen unüberhörbaren Streit geliefert. Von außen wirkte das kleine Haus mit dem großen Garten drum herum wie ein gemütliches Bauernhaus. Sie näherte sich dem rotbraunen Zaun, der das Grundstück umfing. Sie rechnete jeden Moment damit, gegen einen Schutzzauber zu prallen oder von einem Fernhaltezauber am weiteren Vorankommen gehindert zu werden. Doch nichts dergleichen wirkte auf sie ein. Das wunderte Daianira ein wenig. Dann stand sie vor dem Zaun. Sie suchte das mannshohe Gartentor. Sie traute dem Frieden nicht. Meridith hatte ihr Grundstück so zugänglich gelassen? Sie holte ihren Zauberstab heraus und murmelte einen Fluchfindezauber. Da erkannte sie, in welche Falle sie fast gegangen wäre. Das Gartentor war mit einem Feindeslähmzauber gekoppelt, der jeden unerwünschten oder gar feindlich eingestuften Eindringling bei Berührung des Tores erstarren ließ. auch stellte sie fest, daß sie schon im Wirkungsbereich einer Appariersperre stand und von mindestens drei kreisenden Aufspür- und Meldezaubern erfaßt worden war. Wenn Meridith immer noch was gegen sie hatte, dann wartete diese wohl im Haus darauf, daß sie sich an dem verhexten Zaun den Erstarrungszauber auflud. Um den Imperius-Fluch zu wirken war sie zu weit vom Haus fort und brauchte eine ziemlich genaue Ausrichtung. Damals bei Ross Straton hatte sie ihn am Fenster sehen können und gezielt verflucht. Die Fenster des Hauses spiegelten das Licht der Nachmittagssonne zu sehr, um zu sehen, wer und was sich dahinter befand. Sie überblickte den Zaun. Vielleicht konnte sie über ihn hinwegfliegen. Doch sie durfte dann nicht landen, weil der Erstarrungszauber dann nach innen auf sie übergreifen würde. Eigentlich doch nicht so ungeschützt, fand die Führerin der Nachtfraktion. Sie konnte versuchen, den Fluch zu brechen. Doch damit würde sie ganz bestimmt einen Alarmzauber oder jetzt nicht erkennbare Verteidigungszauber auslösen. Sie war damals zu der Verräterin Thalia und zu Mabel Pole vorgedrungen. Dann würde sie auch hier hineinkommen. Allerdings hatte sie damals keine Rücksicht auf Thalias Haus genommen, und Mabel Poles Abwehrzauber waren nicht so weitgreifend. Sie verließ den Wirkungsbereich des Apparierwalls und flog einige Hundert Meter, so daß sie sicher sein konnte, daß die Aufspürzauber sie nicht mehr wahrnahmen. Dann landete sie und entspannte sich, um genug Ruhe und Konzentration für jenen exotischen Zauber zu sammeln, mit dem sie ihren Körper wie ein Kleidungsstück ablegen und in Gedankenschnelle an einen andren ort wechseln oder wie auf Füßen oder Flügeln durch den normalen Raum zu ihrem Ziel hinübergleiten konnte. Ihre Lehrmeisterin hatte ihr sogar erklärt, daß sie in diesem Zustand auch eine eingeschränkte Kontrolle über einen anderen Körper erlangen konnte, das dann aber sehr viel Kraft kostete und davon abhängig war, wie stark der Wille des zu übernehmenden ausgebildet war. Sie ging davon aus, das Meridith ihr einen großen Widerstand entgegensetzen würde. Doch zunächst wollte sie sehen, wo sie überhaupt war. Sie schloß ihre Augen und konzentrierte sich. In Gedanken sprach sie ein Mantra, das ihr inneres Selbst bestärkte, mit jedem Atemzug aus der fleischlichen Hülle hinauszuströmen. Auf dem Höhepunkt des meditativen Zaubers sah sie ihren Körper von oben, wie er nun wie tot dalag und keine sichtbare Regung mehr zeigte. Dieses herrliche Gefühl der vollkommenen Leichtigkeit, wie ein Windhauch in der Luft dahinzugleiten, auf- und niederzusteigen, ja nun auch jede feste Materie durchdringen zu können wie hauchzarte Gebirgsluft drohte, sie von ihrem eigentlichen Vorhaben abzubringen. Doch sie beherrschte sich und dachte an Meridith Broomsberg. Von keinem Abwehrzauber bedrängt und von keinem Meldezauber angekündigt fand sie sich in der nächsten Sekunde genau über der Hexe, die dunkelgrüne Augen wie ihre Nichte Pandora besaß und in deren dunkelbraunem Haar bereits silberne Strähnen schimmerten. Meridith Broomsberg stand vor einem Spiegel, in dessen Glas sich Schatten wie dunkle Schemen bewegten. Daianira kannte dieses Artefakt. Es war ein Feindglas. Und sie stutzte, als sie sah, was Meridith sah, eine geisterhafte Erscheinung in bläulichem Licht, die eindeutig Daianiras Aussehen besaß. Meridith war von dieser Offenbarung offenbar ebenso überrascht wie die körperlose Nachtfraktionsführerin, die ihr geisterhaft verändertes Spiegelbild anstarrte, obwohl sie sicher sein konnte, kein Spiegelbild besitzen zu können. Doch das Feindglas zeigte ja auch kein sichtbares Spiegelbild, sondern die Gestalt des nahenden Feindes.

"Discovobscuro!" Rief Meridith mit erhobenem Zauberstab. Daianira fühlte ein sachtes Kribbeln, doch nicht mehr. Der Enthüllungszauber griff bei ihr nicht, weil sie kein Gespenst und kein feststoffliches Wesen war. Meridith Broomsberg blickte erneut in das Feindglas. Bläulich und durchscheinend stand da Lady Daianira, ihre Augen auf die Hausbewohnerin gerichtet.

"Cave Inimicum!" Rief Meridith. Daianira fühlte, wie etwas sie in eine unangenehme Schwingung versetzte. Sie merkte, wie sie aus dem Zimmer hinausgedrängt wurde, in dem Meridith Broomsberg stand. Sie ärgerte sich zwar, daß der Feindesaufspürzauber sie tatsächlich berührte, fand es aber auch sehr interessant, daß sie nun herausbekommen konnte, welche gebräuchlichen Schutzzauber ihr überhaupt was ausmachen konnten. Sie konzentrierte sich und wünschte sich zurück zu Meridith. Zwar fand sie sich sofort wieder bei der Hausbewohnerin ein, wurde aber sogleich vom immer noch wirkenden Cave-Inimicum-Zauber Richtung Grundstücksgrenze gedrängt. Ihr reichte es jetzt. Sie konzentrierte sich auf die Worte, die ihre asiatische Lehrmeisterin ihr beigebracht hatte: "Der verbotene Wunsch", so hatte sie diese Worte genannt, weil damit eine Teilverschmelzung mit einem anderen lebenden Wesen bezeichnet wurde. Daianira wußte nicht, wie das mit dem Schutzzauber wechselwirkte. Doch sie hatte keine andere Wahl mehr. Sie ließ in die Formel für den Teilverschmelzungswunsch Meridiths Namen einfließen und fühlte, wie sie auf sie zuflog, über ihr herabsank und dann meinte, ihre Arme und Beine schwach bewegen zu können. Doch da war ein Widerstand, der sie wieder zurückwarf. Daianira hörte Meridith aufstöhnen. Offenbar war die teilweise Körperübernahme für den zu übernehmenden schmerzvoll. Doch Daianira gab nicht auf. Sie drängte danach, mit der fleischlichen Hülle Meridiths zu verschmelzen, zumindest ihre Bewegungen ausführen zu können. Doch der innere Widerstand und wohl auch der Schmerz der anderen Hexe drängten sie immer wieder zurück. Daianira fühlte, wie sie dabei etwas schwächer wurde. Doch sie gab nicht auf. Mit einer unbändigen Willenskraft warf sie sich förmlich über meridith und klammerte sich an die körperliche Wahrnehmung. Meridith schrie auf und wollte sich an den Kopf fassen. Doch auch die Arme schienen ihr zu schmerzen. Dann hörte Daianira das wild schlagende Herz in Ohren, die nicht ihre eigenen waren, wurde sich dessen bewußt, daß sie einen Körper hatte, der sich jedoch sehr träge bewegen ließ. Sie fühlte, daß in diesem erkämpften Leib noch ein Funken Widerstand schlummerte und verlor keine Zeit, Meridiths Körper zur Tür zu drängen, durch den Flur hinaus aus dem Haus zu treiben und zum Tor zu befördern. Würde der Erstarrungszauber sie jetzt betreffen, war alles vorbei, und sie konnte Pandoras Vermächtnis vergessen. Als sie Meridiths Hand nach dem oberen Torriegel ausstreckte, durchzuckte sie ein Krampf, der den ganzen Körper erstarren ließ. Doch im nächsten Moment fühlte sie sich wieder vollkommen losgelöst, ja schnellte wie eine Feuerwerksrakete in die Höhe, weg von der immer noch erstarrten Meridith. Sie hatte Mühe, den nicht gewollten Aufwärtsschwung abzufangen. Dann kam ihr die Erleuchtung, daß sie Meridith jetzt gerade im Freien hatte. Ein einziger Gedanke genügte, sie mit ihrem eigenen Körper wiederzuvereinigen. Doch Als sie sich aufrichtete, fühlte sie eine bleierne Schläfrigkeit. Die Kraftauszehrung ihres inneren Selbst hatte sich bei der Rückverkörperung in Daianiras Leib übertragen. Davor war sie gewarnt worden. Mit eisernem Willen stemmte sie ihren nun geschwächten Körper hoch, stand zwei Sekunden auf sehr wackeligen Beinen. Dann griff sie nach dem Besen, der sich für sie jetzt fünfmal so Schwer wie üblich anfühlte. Sie schaffte es noch, sich darauf zu setzen und klammerte sich mit beiden Händen fest. Sie hob ab und flog zum Grundstück hinüber. Sie sah, wie Meridith sich sehr benommen wieder aufrichtete und wie betrunken auf ihr Haus zuwankte. Daianira flog hoch genug über dem Grundstück, daß mögliche Wehrzauber sie nicht sofort erreichen konnten. Sie zog ihren Zauberstab und richtete ihn auf Meridith. Ihre unbändige Entschlossenheit verlieh ihr die nötige Kraftreserve, um das Ziel ihrer Mühen mit dem Imperius-Fluch anzugreifen. Meridith, von der kurzzeitigen Übernahme Daianiras wohl ähnlich geschwächt wie diese, bot keinen Widerstand auf. Sie ging an das Tor, berührte es und verspürte keinen Erstarrungszauber mehr. Das Tor ging auf, und Meridith torkelte hinaus ins Freie, fünfzig Schritte weit. Dort war also die genaue Grenze der Apparitionsabwehr, erkannte Daianira. Denn sie hatte ihrer Gefangenen befohlen, bis zur Grenze des Schutzbanns zu gehen. Sie landete. Dann deutete sie mit ihrem zauberstab auf Meridith und danach auf sich und rief: "Transfusio Validitatis!"

Ein roter Lichtbogen spannte sich zwischen Meridith und Daianira. Nach nur einer Sekunde brach Meridith zusammen, während Daianira einen Teil der Erschöpfung verlor. Sie fühlte, wie ihr Wille wieder richtig stark wurde. Sie hatte ihrer Gefangenen sämtliche verbliebene Tagesausdauer abgesaugt und auf sich selbst übertragen. Nun war es für sie kein Akt mehr, die bewußtlose so über ihre Schulter zu hängen, daß sie mit ihr zusammen disapparieren konnte. Keiner hatte den Angriff bemerkt, und niemand konnte Meridith jetzt noch helfen.

Daianira holte in ihrem heimlichen Anwesen eine große Flasche mit Wachhaltetrank und schenkte sich davon etwas in einen goldenen Becher, aus dem sie dann vorsichtig trank. Ja, da kehrte auch schon alle verbrauchte Körperkraft zu ihr zurück. Lächelnd sah sie ihre Gefangene an. Hatte die wirklich gedacht, gegen sie, Lady Daianira Hemlock, kämpfen zu können? Sie wartete einige Minuten. Als Meridith dann immer noch nicht aufgewacht war fesselte sie sie erst an Armen und Beinen und flößte ihr dann vorsichtig den Wachhaltetrank ein. Meridiths Körper erbebte und zuckte zusammen. Dann schlug die Gefangene die Augen auf, während sie einen weiteren Schluck Wachhaltetrank hinunterwürgte.

"Du verdammtes Weib, wie hast du das gemacht?" Zischte Meridith.

"Du weißt, wer ich bin, Schwester Meridith. Dann weißt du auch, daß ich eine unanfechtbare Macht habe", erwiderte Daianira.

"Dafür wirst du bestraft, Daianira", schnaubte Meridith. "Auch wenn du meinst, den Pfad der ungeduldigen, skrupellosen Schwestern beschreiten zu müssen bist du immer noch unseren Gesetzen unterworfen. Sie werden dich ausstoßen und nach Doomcastle schaffen, weil du eine Mitschwester angegriffen und entführt hast."

"Nur, wenn ihr unentschlossenen Schwestern davon erfahrt", sagte Daianira überlegen lächelnd. "Und ich bin auch gut in Gedächtniszaubern, abgesehen davon, daß ich, wie du ja so schön geschimpft hast, skrupellos genug bin, um dir zu demonstrieren, wie schnell du tust, was ich von dir verlange, Schwester Meridith."

"Was willst du, du alte Sabberhexe?"

"Crucio!" Knurrte Daianira wütend. Meridith schrie auf. Ihre gefesselten Arme und Beine zukcten wild, während sie einen halben Meter über dem Boden hing. Eine halbe Minute lang hieltt Daianira ihre Gefangene in dieser Pein. Dann ließ sie von ihr ab.

"Ich will, daß du mir holst, was rechtmäßig uns entschlossenen gehört, Schwester Meridith. Deine begabte, wenn auch am Ende sehr wankelmütige Nichte trug in unserem Namen viele wichtige Dinge zusammen und schrieb sehr nützliche Erkenntnisse auf. Diese Erkenntnisse verlange ich jetzt, wo der Emporkömmling sich immer mehr herausnimmt und noch andere Feinde in der Welt sind."

"Darum geht's dir. Du meinst, ich wüßte wo Pandoras Geheimsachen liegen. Aber da täuschst du dich gründlich, Daianira. Sie hat mir nie erzählt, wo sie die Sachen für euch aufbewahrt. Als sie deine verderblichen Ansichten zu schätzen begann, gingen wir im Streit auseinander. als sie dann noch Patricia auf dich einstimmte, habe ich sie nie wieder gesehen, bis zu ihrer Bestattung."

"Ich kenne einige Orte, wo Pandora ihre Aufzeichnungen hingesteckt haben kann. Aber ich kann nicht daran, weil sie die Aufzeichnungen mit dem Blutschlüsselzauber gesichert hat. Will sagen, da kommt nur ran, wer Blutsverwandt ist. Außerdem hat sie natürlich dafür gesorgt, daß nur eine Hexe dieses Versteck öffnen kann."

"Ach, und weil ihr Patricia aus Dankbarkeit für eure Dienste umgebracht habt wie Pandora soll ich diejenige sein, die euch die geheimen Unterlagen holt", fauchte Meridith. "Du vergißt dabei nur, daß das Blut alleine nicht reicht. Es muß freiwillig gegeben werden. Also kannst du mich nicht dazu zwingen."

"Nicht mit Magie, Meridith. Aber ich könnte deine Verwandtschaft töten, von deinem Bruder George über deinen Großneffen Ross bishin zu deiner Urgroßnichte Valery. Wäre doch schade drum, wenn ein Mädchen, das gerade erst ein Jahr alt ist, schon sterben muß", sagte Daianira.

"Das waagst du nicht", schnaubte Meridith.

"Ich habe nichts zu verlieren und alles zu gewinnen, Meridith", schnaubte Daianira. "Da wage ich alles. Hörst du? Alles", bekräftigte die Nachtfraktionsführerin und blickte ihre Gefangene mit unbestreitbarer Entschlossenheit an. "Also wirst du mir helfen, freiwillig."

"Ich weiß nicht, wo Pandoras Unterlagen sind", erwiderte Meridith. "Natürlich hat sie mir nichts erzählt."

"Ich werde dich zu den Verstecken führen, die ich für möglich halte. Du wirst dann herausfinden, ob dort was liegt."

"Wie gesagt, du kannst mich nicht zwingen. Und töten darfst du mich nicht, Daianira. Auch wenn du alle anderen aus meiner Verwandtschaft umbringst, woran ich dich eh nicht mehr hindern kann, würdest du dich gegen die Gesetze der Schwesternschaft vergehen. Dann wärest du ein für allemal geächtet, und obendrein wäre dir Doomcastle gewiß."

"Vielleicht siehst du es ganz anders, wenn du zusehen mußt, wie die, die du liebst, leiden und sterben", schnaubte Daianira. "Und ich muß dich nicht töten, um dich unschädlich zu machen. Nur einfallslose Leute wählen das Töten als Mittel aus."

"Dennoch werde ich dir nicht helfen, Daianira. Du sagst, du hast nichts zu verlieren. Dann hast du schon alles verloren. Dann stimmt es, daß eine andere Hexe deinen Rang haben will", knurrte Meridith.

"Natürlich stimmt das, meridith. Ich weiß sogar, wer es ist, und glaube mir, du kannst froh sein, daß ich dich erwischt habe und nicht sie."

"Das kommt für mich im Moment auf dasselbe heraus", schnaubte Meridith. "Ich weiß nicht wo Pandoras Geheimunterlagen versteckt sind, und ich werde dir nicht helfen, sie zu finden. Abgesehen davon, woher willst du wissen, ob Pandora nicht für diese andere Hexe gearbeitet hat, oder Patricia. Denn so wie du redest könnte man ja meinen, diese andere Hexe habe sie umgebracht."

"Ich weiß, daß Pandora und Patricia für die andere gearbeitet haben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Pandora so machtvolle Geheimdokumente freiwillig aus dem Versteck holt und dieser Wiedergekehrten in die Hand drückt. Damit hätte sie sich doch selbst ausgeliefert."

"Hätte sie das? Sie wollte vielleicht von dir loskommen und hat den Drachen mit dem Basilisken vertrieben", fauchte Meridith. Dann verfiel sie in eine konzentrierte Haltung. Doch Daianira grinste nur.

"Vergiss es, Meridith. Von hier aus kann niemand außer mir mentiloquieren", nahm die Nachtfraktionsführerin ihrer Gefangenen die letzte Hoffnung auf Rettung. "Ich bringe dich jetzt zu deinem Großneffen Ross. Tyr ist ja wohl noch unterwegs für die Gildforks. Wollen doch mal sehen, wie standhaft du bist, wenn ich ihn mit diversen Flüchen belege, um zu sehen, wie diese ineinandergreifen." Meridiths Gesicht erbleichte. Ross war ihr Lieblingsverwandter. Er war nie in Versuchung geführt worden, sich für Daianira oder andere dunkle zeitgenossen zu entscheiden. Daianira malte ihr dann noch aus, was sie alles mit ihm anstellen konnte, ja, daß sie ihn unter den Imperius-Fluch nehmen und zum Mord an ihrer Urgroßnichte Valery zwingen konnte. Sie entwarf immer gräulichere Schreckensphantasien, wie sie Meridiths Verwandte für ihre Sturheit bestrafen würde, bis Meridiths Widerstand sich in einem einzigen verzweifelten: "Hör auf!" entlud. Daianira legilimentierte ihre Gefangene und lächelte höchst zufrieden. Die von ihr entworfenen Schreckensbilder hatten sich in Meridiths Bewußtsein eingenistet. Wenn sie nicht wollte, daß Ross, Valery und ihre anderen geliebten Verwandten starben, mußte sie Daianira helfen, auch wenn sie dann selbst sterben würde. Zumindest bestand die kleine Hoffnung, daß ihre Anverwandten dann in Ruhe weiterleben durften.

Eine Minute später flog Daianira mit der auf ein zehntel eingeschrumpften Gefangenen auf das Haus der Stratons zu. Diese Narren hatten außer einem Anti-Apparierwall und Anti-Eindringlingszauber keine Schutzmaßnahmen getroffen. So konnte sie bis vor das Haus heran. Dort ließ sie Meridith wieder auf ihre normale Größe anwachsen und befahl ihr, von Ross eingelassen zu werden. Sollte sie sich weigern, würde sie das Haus einfach anzünden und zusehen, wie Ross im Feuer umkam. Meridith ging benommen auf das Haus zu und läutete die Türglocke. Ross prüfte, wer da war und öffnete, nachdem seine Großtante erwähnt hatte, daß sie mit ihm und seinem Vater über seine Schwester Patricia sprechen wolle. Daianira wartete, bis die Tür aufging. Dann flog sie rasch hinter Meridith heran, landete und ließ Ross erstarren. Dann schloß sie ihn in eine von innen unaufbrechbare Schale ein. Das löste den Erstarrungszauber, half Ross aber nicht weiter. Daianira trieb Meridith ins Haus, während Ross lauthals um Hilfe rief, schimpfte und bettelte, man möge ihn doch bitte wieder freilassen.

"Ist sehr schön, daß die Stratons so abgelegen wohnen, daß ihn keiner hören wird", sagte Daianira.

"Dafür kriegen Sie dich irgendwann, Daianira", knurrte Meridith, als sie vor einer verschlossenen Tür ankamen.

"Wenn ich finde, was ich suche, werdet ihr beide euch nicht einmal erinnern, daß ich euch aufgesucht habe", sagte Daianira sehr entspannt. "Aber solange ich dich brauche wirst du an mich zu denken haben."

"Die Tür da ist zu", sagte Meridith. "Ohne Schlüssel wirst du sie nicht ohne sie zu zerstören öffnen können."

"Meinst du?" Fragte Daianira überlegen und richtete den Zauberstab auf die Tür: Alohomora!" Die Tür blieb zu. "Reducto!" Der Sprengfluch prallte wirkungslos ab und krachte in einen Schrank, der in große Splitter zerfiel. Dabei fiel laut klimpernd ein silberner Schlüssel zu boden. "Oh, von New York über London nach Los Angeles", triumphierte Daianira und befahl Meridith, den Schlüssel aufzulesen. Diese zögerte einen Moment, gehorchte aber dann und hob den Schlüssel auf. Mit einem Schlenker gegen den Holztrümmerhaufen rief Daianira noch: "Reparo Schrank!" Prasselnd, knisternd und knackend fügten sich die aberhundert Holzsplitter wieder zu einem unversehrten Schrank zusammen. Offenbar war der Schlüssel das einzige gewesen, was er enthalten hatte, oder mit dem Zauber war eben nur der Schrank wiederhergestellt worden. Jedenfalls paßte der Schlüssel ins Schloß der Kellertür. Mit leuchtendem Zauberstab trieb Daianira Meridith vor sich her nach unten, hinein in ein Labyrinth aus schmalen, gerade einen Meter und achtzig hohen Gängen. Links und rechts lagen mit Eisengittern versperrte Stauräume mit Vorräten, alten Möbeln, Kisten und Kästen. Diese Räume alle zu durchsuchen würde Zeit kosten. Aber Daianira hoffte darauf, daß Meridith spürte, wo das Blutschloß sich befinden mochte, wenn es hier wirklich war. Einige Minuten wandelten sie durch die schmalen gänge und prüften die kleineren und größeren Räume. Während der Zeit hörten sie von oben immer noch Ross' hohl klingende Hilferufe. Daianira bewunderte den Burschen, daß er nicht aufgab. Sie standen gerade vor einem großen Raum mit drei Schränken, auf deren Türen das Symbol einer Uhr mit an den Enden von Kreisen blockierten Zeigern prangte. Das waren handelsübliche Conservatempus-Schränke zur Aufbewahrung verderblicher Lebensmittel, wußten die Hexenlady und ihre Gefangene. Da verstummten Ross' Rufe unvermittelt.

"Er hat aufgehört", sagte Meridith. "Was hätte es ihm auch geholfen, sich die Lungen aus dem Hals zu schreien."

"Er machte nicht den Eindruck, so vernünftig zu sein", knurrte Daianira. Dann fühlte sie, wie das unter ihrer Kleidung verborgene Sonnenmedaillon auf einmal zitterte und sich erwärmte. Ein Glimmen pulsierte für eine Sekunde durch Daianiras Umhang. Dann blieb nur das sachte Vibrieren.

"Irgendwas stimmt hier nicht", knurrte die Hexenlady und ließ Meridith mit dem Bewegungsbann erstarren. Dann hob sie den Zauberstab und dachte: "Nox". Das Licht ihres Zauberstabes erlosch. "Vivideo!" Dachte sie dann konzentriert, worauf am Zauberstabende ein grünes Flimmern glomm. Sie fühlte, wie das Medaillon der Inkas nun etwas stärker vibrierte und dabei langsam heißer wurde. Das letzte Mal, wo sie das empfunden hatte war, als sie Nyx mit dem Mitternachtsdiamanten hatte fliehen sehen können. Wenn Vampire in der Nähe waren reagierte das Medaillon genau so. Sie richtete den Zauberstab auf Meridith, die übergangslos in eine weit ausgedehnte, grüne Aura eingehüllt war. Dann hob sie den Zauberstab leicht an, drehte sich dabei vorsichtig um. da sah sie die riesenhaft erscheinende Lebensaura eines heranfliegenden Vogels, die grün pulsierende ovale Aura des eingekapselten Ross und ein grünes Leuchten in der Form eines Menschen. Der Mensch trat sofort einige Schritte zurück, während der Vogel, der offenbar magisch war, genau auf die Kellertreppe zuhielt. Das Medaillon vibrierte etwas stärker. Daianira fragte sich, warum es so reagierte. Denn die Störenfriede waren eindeutig keine Vampire. Die hätten eine unförmige, an- und abschwellende grüne Aura geäußert. Sie löschte den Lebensquellanzeiger und beschwor stattdessen den großen Schild vor sich. Wer immer gleich meinte, in den Keller hineintreten zu müssen würde ihr nichts tun können. Doch warum sprach ihr Medaillon an? Dann hörte sie wie jemand den Keller aufschloß. Wie konnte das angehen, wo sie den einzigen Clavunicus-Schlüssel aus dem Schrank genommen hatte. Ross war noch in der weißen Kapsel gefangen. Der konnte unmöglich ... Es mußte noch einen weiteren Schlüssel geben. Natürlich mußte es das! Dann war auch klar, wer da gerade in den Keller hineinkam. Sofort verschloß Daianira ihren Geist, um die Gegnerin nicht merken zu lassen, welche Flüche sie gegen sie anwenden wollte.

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"Sie hat Ross in diese Kapsel gesteckt und Tante Meridith wohl im Keller", mentiloquierte Patricia an Anthelia, die gerade zur Landung ansetzte.

"Sitz von mir ab!" Gedankensprach Anthelia, als sie gelandet war. Patricia rutschte am Rückengefider der mehr als drachengroßen Krähe hinunter, über die meterbreiten Schwanzfedern hinweg bis auf den zerfurchten, verkraterten und mit verschiedenfarbigem Geröll bedeckten boden. Um patricia herum wuchsen für sie gerade baumstammhohe Grashalme in den nun noch weiter hoch gelegenen Himmel empor. Sie hörte durch die Kopfblase das unheilvolle Brummen irgendwo dort draußen herumfliegender Insekten und hofte, daß sie sich auch selbst wieder entschrumpfen konnte, falls Anthelia ... Diese verwandelte sich laut fauchend in eine turmhohe Titanin in einem netzartig wirkenden rosaroten Umhang und ließ laut brausend einen baumstammdicken und ebensolangen Zauberstab über Patricia kreisen. Dann schmolz die Welt um sie herum zusammen. Anthelia verlor ihre gigantische Größe und schrumpfte auf ihre übliche Länge zusammen. Der Wald aus Riesengras wurde wieder zu einer üppigen Sommerwiese.

"Verharre hier und kümmere dich um deinen Bruder! Bin ich in zehn Minuten nicht zurück, kehre in deine neue Wohnung zurück!" Mentiloquierte Anthelia. Patricia schickte zurück, daß sie zehn Minuten warten würde. Dann übergab sie Anthelia einen Kaninchenfell-Schlüsselbund mit vier Schlüsseln und zeigte ihr wortlos, welcher für die Haus- und welcher für die Kellertür war. Anthelia nickte ihr zu und verwandelte sich wieder in die Krähe. Sie flog los, während Ross in der magischen Kapsel immer noch um Hilfe rief. Sollte Patricia ihn gleich befreien? Sie ging auf den Hof ihres Elternhauses. Offenbar hörte Ross sie. Denn er hörte zu rufen auf und lauschte. Doch Patricia wollte sich ihm jetzt noch nicht offenbaren. Sie blieb stehen und gab keinen Laut von sich. Ross lauschte immer noch. Dann hörte Patricia Daianiras und Anthelias Stimmen aus dem Haus klingen.

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Anthelia flog als Krähe in das Haus hinein, dessen Tür offenstand. Dabei fühlte sie, wie ihr Seelenmedaillon, daß in ihrer Verwandlung unsichtbar und eingeschrumpft bei ihr war zitterte und gegen ihren Brustkorb drückte, als wolle es irgendwem oder irgendwas ausweichen. In diesem Haus mußte eine starke, dunkle Kräfte abwehrende magie sein. Sie dachte an Daianiras Sonnenmedaillon. Es wirkte dem Seelenmedaillon Dairons entgegen. Dann konnte Daianira es sogar mitbekommen ... Anthelia sah um sich herum die grüne Aura des Lebensquellanzeigers. Dagegen mußte sie irgendwann mal was erfinden, dachte sie, während sie weiterflog. Zumindest hatte Daianira ihr deutlich gezeigt, daß sie ihrer gewahr geworden war. Sie hätte besser keinen Suchzauber benutzt. Denn damit hatte sie Anthelia verraten, daß sie auf sie wartete. Ja, sie konnte jetzt auch die Gedanken Daianiras empfangen, die verrieten, daß sie zwei Fremdlinge, davon einen bestimmt magischen Vogel, geortet hatte. Als Anthelia den Kellerschlüssel ins Schloß steckte und umdrehte mußte sie grinsen, weil Daianira jetzt erst ihren Geist so gut sie konnte verschloß.

So leise sie konnte schlich Anthelia hinunter. Meridith hatte gesehen, wie Daianira einen großen Schild gezaubert hatte. Doch das gegen ihren Brustkorb drängende Seelenmedaillon machte ihr mehr zu schaffen als die Vorstellung, mit Daianira die Zauberstäbe kreuzen zu müssen. Dann sah sie den silbernen Schild und Daianira dahinter. Sie hob den Zauberstab an, bereit, den Erstschlag der Gegnerin abzuschmettern.

"Ach, die wiedergekehrte höchste Kettenhündin Sardonias", flötete Daianira. "Welchem Zufall verdanke ich diese Begegnung?"

"Dem Umstand, daß ich mich entsann, daß sowohl deine wie meine treue Mitschwester Pandora einst kundtat, daß sie im Keller ihres Hauses sehr wichtige Dokumente verborgen hat. Leider bist du mir zuvorgekommen, eine Trägerin ihrer Blutlinie zu umwerben, bei der Bergung dieser so vertraulichen Schriften behilflich zu sein", erwiderte Anthelia ruhig. Sie lauerte förmlich auf Daianiras Angriff. Warum sollte sie sie nicht gleich hier mit zwei gewählten Worten aus der Welt stoßen?

"Sie war länger meine als deine achso treue Mitschwester", spie Daianira verächtlich aus. "Das heißt, was immer sie hier verbarg hat sie unter meiner Obhut und für uns Entschlossenen zusammengetragen und niedergeschrieben. Es gehört also mir, Anthelia. Wenn du wirklich findest, daß wir keinen dauerhaften Streit haben sollen, verschwinde und nimm deine nette Mitschwester da draußen gleich mit. Wer ist das eigentlich? Und wieso hat sie dich nicht begleitet?"

"Weil auch sie wie Pandora eine deiner früheren Mitschwestern ist und dich nicht offen angreifen darf, ohne die Strafe der Verräterinnen zu erdulden."

"Ich sollte den Fluch entsprechend modifizieren, daß er auch Abtrünnige trifft", knurrte Daianira.

"Dafür dürfte es zu spät sein, Daianira. Denn ich habe die Schwester unter meinen ganz persönlichen Treueid genommen, der eine Änderung des Eides von dir vertilgen wird", erwiderte Anthelia ruhig. "Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis du dich mir freiwillig unterwerfen wirst."

"Was könnte mich dazu zwingen, mich dir zu unterwerfen?" Schnarrte Daianira.

"Der Waisenknabe Tom Riddle. Wie du sicher gehört hast plant er den Sturz des britischen Zaubereiministers. Oder hat Ursina dir das nicht mitgeteilt?"

"Sie magst du eingeschüchtert haben, Anthelia. Aber mich wirst du töten müssen, um meinen Willen zu brechen. Und das willst du doch nicht, hast du behauptet."

"Wenn ich es muß, werde ich dich dem Tod überantworten, Daianira. Auch wenn ich es nicht will", entgegnete Anthelia. "Und dir würde es übel ergehen, wenn du danach trachtest, mich ins ungewisse Reich zu werfen. Ich bin wiedergekehrt. Ich habe also Macht über mein Dasein, die du nicht hast und werde wiederkehren, wenn meine zeit erneut gekommen ist. Außerdem hat es Riddle schon probiert, mich zu töten und ist gescheitert, was ihm sicherlich einen herben Schock versetzt haben dürfte."

"Du bluffst. Der einzige, der einen Todesfluch je überlebt hat ist der Jüngling Harry Potter", erwiderte Daianira verdrossen.

"Findest du? Dann versuche dein Glück und übe den tödlichenFluch wider mich aus! Wenn stimmt was ich sage, überstehe ich ihn unbeschadet und sogar ohne bleibende Narbe. Wenn du recht hast, kannst du die gute Meridith da nach deinem Willen nutzen und dir holen, was du willst."

"Du nützt mir gefangen mehr als tot. Imperio!" Rief Daianira. Anthelia spannte sich an, schleuderte einen schmerzhaften Gedanken in ihr Bewußtsein, der die unvermittelte Glückseligkeit schwach überdeckte, die ihren Geist von allen Sorgen und Gedanken freispülen sollte. Als dann der Befehl in sie zu dringen versuchte, ihren Zauberstab hinzulegen und sich fesseln zu lassen, mußte sie grinsen. Dann riß sie den Zauberstab hoch und dachte: "Malleus Lunae!" Laut krachend drosch ein gleißender Fächer aus silbernem Licht gegen den durchsichtigen Schild zwischen sich und Daianira. Dieser erzitterte heftig. Da flog Anthelia bereits ein Entwaffnungszauber entgegen, ohne das Daianira einen Laut geäußert hatte. Anthelia warf sich zur Seite, um den scharlachroten Zauber an sich vorbeischießen zu lassen. Noch einmal hieb sie mit "Malleus Lunae" ohne es zu sagen auf den Schild ein. Dabei fühlte sie, wie das Seelenmedaillon Dairons immer stärker gegen ihren Brustkorb drängte, sich immer unangenehmer in ihr Fleisch hineindrückte. Daianira sah, wie ihr Schild zerfiel und stieß einen unsichtbar wirkenden Fluch aus. Doch Anthelia hatte ihrerseits schon einen Schild errichtet, an dem der Fluch mit lautem Pong in bunten Funken zerstob. Und dann ging es Schlag auf Gegenschlag. Anthelia mußte ihre volle Konzentration aufbieten, um Schutz-und Angriffszauber rasch genug zu denken, oder laut zu rufen. Zwei Mondlichthämmer krachten ineinander und drückten die massiven Kellerwände ein. Schock-, Panik-, und Lähmflüche zuckten zwischen den Gegnerinnen hin und her. Ein Erstarrungszauber verfehlte Daianira und erwischte meridith, die wie zu stein erstarrte und hinschlug. Ihr Glück, weil genau in dem Moment ein Decorporis-Fluch Anthelias an Daianira vorbeischwirrte. Im Eifer des magischen Gefechtes bemerkte Anthelia nicht, wie unter Daianiras heller Seidenbluse etwas immer heller aufleuchtete. Sie war zu sehr auf die Abwehr der ihr geltenden Angriffe fixiert. Da sie nicht töten wollte und wohl davon ausging, Daianira wollte sie ebenso am leben lassen, ging es den beiden ebenbürtig duellierenden Hexen nur darum, die jeweilige Gegnerin kampfunfähig zu machen. Deshalb waren die meisten Zauber auch Schocker, Entwaffnungszauber und Klammerflüche. Doch auch Mondlichthämmer flogen silbern hin und her, krachten als Fehlstöße in die Conservatempus-Schränke, die das mit blauen Lichtentladungen abwetterten, bis sie unter einem besonders mächtigem Angriff Anthelias in sich zusammenbrachen. Das Scharmützel dauerte weiter an. Meridith lag von zwei einander verstärkenden Zaubern wie eine körperwarme Statue am Boden. Ihr starrer Blick war auf die Decke gerichtet. Einmal versuchte Daianira wohl, Anthelia einzuschrumpfen. Doch diese leuchtete nur einen Moment violett auf. Das verriet Daianira, daß ihre Kontrahentin eine viel zu hohe Passivtransfigurationsresistenz besaß. Anthelia versuchte den Incapsovulus-Fluch, der von Daianira jedoch mit dem gleichen Zauber in der Luft zu einem irritierenden Lichtspiel aus orange-goldenen Funken zerfloss. Dann traf ein Entwaffnungszauber Daianira und prellte ihr den Zauberstab aus der Hand. Sie stolperte, fiel aber nicht um. Sie duckte sich ab. Da leuchtete es so hell durch Daianiras Bluse, daß Meridith den goldenen Widerschein an der Decke sehen konnte. Anthelia keuchte unvermittelt und krümmte sich wie unter starken Schmerzen.

"Ist was, Anthelia? Warum greifst du mich nicht mehr an?" Fragte Daianira und sah, wie Anthelia vor dem goldenen Licht immer weiter zurückgedrängt wurde. Der Glanz war so stark, daß er am Ende des Ganges wiederschien und sich Anthelias Schatten scharf abzeichnete. "Du hast dir irgendwas von einem Vampir angeeignet, nicht wahr? Deshalb konntest du überleben, weil du die Überdauerungskraft eines Vampirs geraubt hast. So'n Pech für dich, daß mein nettes Medaillon genau dagegen gemacht ist!" Rief sie nun triumphierend und riß sich mit einer Hand die Seidenbluse kaputt.

Anthelia hatte das Sonnenmedaillon nur einmal bei Daianira gesehen. Da hatte es nicht so heftig auf sie reagiert wie in genau diesem Moment. Gleißendes Licht stach ihr wie mit glühenden Dolchen in die Augen. Ein Brennen, wie von einer sie treffenden Flamme erfaßte sie. Sie fühlte, wie der Gürtel der zwei Dutzend Leben wild ruckelte. Sie schrie vor unbändigem Schmerz auf. Irgendwas unter ihren Brüsten stieß sie zurück. Sie meinte, lebendig zu zerkochen, wie Wachs in einer Kerzenflamme zu zerfließen und dann zu verbrennen. Daianira rief irgendwas in einer Sprache, auf die Anthelia jetzt überhaupt nicht achten konnte. Da passierte es. Es klang wie ein Singen, das erst von Daianira herklang und dann an Anthelias Körper verstärkt wurde. Sehen konnte die oberste der Spinnenschwestern nicht, was passierte. Die gleißende Lichtentladung hatte sie geblendet, womöglich für immer. Das hohe Singen schwoll zu einem lauten, glasklaren Ton an, lauter und lauter und dann, mit einem scharfen Knall verschwand Anthelia in einer sonnenhellen Lichtentladung. Daianira schrie auf, weil ihr Medaillon unvermittelt auf ihrer Haut brannte und ihr obendrein einen schmerzhaften Schlag durch den Brustkorb in die Enden ihrer Gliedmaßen versetzte. Sie taumelte. Rote Ringe tanzten immer wilder vor ihren Augen. Dann fiel ohne Übergang der schwarze Vorhang der Ohnmacht vor ihren Augen nieder. Sie stürzte und lag da wie Meridith. Das grelle licht war erloschen. Meridith roch beißenden Qualm, der wie versengter Stoff und leicht angesengtes Fleisch roch. Ihr starrer Blick fixierte eine nun vollkommen dunkle Decke. Dann hörte sie schnelle Schritte näherkommen. Ihr fiel ein, daß die Fremde, die Daianira tatsächlich Anthelia genannt hatte, nicht allein hergekommen war. Doch sie konnte nichts tun, um auf sich aufmerksam zu machen.

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Cecil Wellington saß an seiner Geschichtshausarbeit. Ihn langweilte dieses dröge Thema so sehr. Aber wenn er im nächsten Jahr mit der Oberschule fertig werden wollte, mußte er eine gute Note in diesem Fach kriegen. An und für sich ein nebensächliches Problem, wenn er daran dachte, daß er ja nur lebte, weil diese Hexenkönigin Anthelia ihn an ihre lange, magische Leine gelegt hatte und er dieses Leben führte, weil sie meinte, er könne als Senatorensohn für sie wirklich wertvoll sein. Er las gerade noch einmal die exakte Aufstellung der konföderierten Truppen bei der Schlacht von Gettysburg vom ersten bis zum dritten Juli 1863 durch, um Futter für die Argumentation zu kriegen, was Generall Robert E. Lee damals alles falsch gemacht hatte. Als eigentlich in den Südstaaten geborener Bursche von körperlich bald achtzehn Jahren hätte ihn das eigentlich auch interessieren sollen, was die Konföderierten damals gründlich verbockt hatten. Aber irgendwie war und blieb Geschichte auch in seinem neuen Körper das Fach mit dem höchsten Einschläferungsfaktor.

Woher kamen diese Kopfschmerzen? Lag das an der Büffelei, an dem Frust, den er schob, weil er sich was ins Hirn bimsen mußte, das ihn nicht interessierte? Oder war das vielleicht wieder Anthelia, die irgendwas mit ihm anstellte? Die Kopfschmerzen wurden immer stärker. Er meinte, einen hohen ton in beiden Ohren zu hören und sah das Zimmer um sich immer heller werden. Angst erwachte in ihm, wuchs innerhalb einer Sekunde zur Panik an. War das vielleicht ein Anfall?! Der Raum explodierte in gleißendem Licht um ihn herum. Der ton in seinen Ohren wurde zu einem stechenden Schmerz. Sein Kopf fühlte sich an, als würde etwas von innen mit einer Dampframme gegen die Schädeldecke stoßen. Er konnte sich nicht bewegen, keinen geplanten Laut von sich geben. Eine volle Sekunde lang hing er zitternd auf seinem Stuhl. Dann waren die unerträglichen Kopfschmerzen, das Dröhnen in den Ohren und die blendende Helligkeit verschwunden. Keuchend und mit nun laut in den Ohren wummerndem Herzschlag fand sich Cecil Wellington auf seinem bequemen Schreibtischstuhl wieder. Er riskierte einen Rundblick. Alles war noch heil, sein Zimmer, seine elektronischen Geräte und vor allem er selbst. Was war das bloß gewesen? Da er nicht im echten Körper Cecil Wellingtons steckte, konnte es keine Spätfolge seines Reitunfalls gewesen sein, mit der die Ärzte immer noch rechneten. Also konnte es nur etwas von Anthelias Hexenwerk gewesen sein. Er keuchte weiter, während die Panik, die ihn fast zur tür hinaus getrieben hatte in lodernde Wut umschlug. Was hatte sich dieses Hexenweib da wieder für ihn einfallen lassen?

"Anthelia, was sollte das? Ich hab doch nichts gemacht, verdammt!" Dachte er so gut er im Moment denken konnte. "Hey, Anthelia, höchste Schwester! Was war das bitte?" Doch er bekam keine Antwort. Nach einer Minute dachte er es noch einmal. Doch er bekam immer noch keine Antwort. Beruhigend war nur, daß dieser Anfall sich nicht wiederholte. Doch an Lee und die Schlacht bei Gettysburg konnte er jetzt auch nicht denken. Irgendwie hatte er das Gefühl, in einer Falle zu sitzen, ohne einen Anhaltspunkt dafür zu haben. Er starrte auf das aufgeschlagene Buch, dann auf den Computerbildschirm, auf dem zwei Basketball-Mannschaften sich andauernd den Ball zupaßten, der immer wieder durch den ganzen Bildschirm flog. Das war der Bildschirmschoner, den sein Cousin Titus ihm aus Chicago besorgt hatte. Er nahm die Maus in die rechte Hand und bewegte sie. Sofort bekam er die übliche Benutzeroberfläche auf den Bildschirm. Er wählte eine Internet-Suchmaschine aus und suchte nach den Symptomen dessen, was ihm gerade passiert war. Als er einige medizinische Fachartikel dazu gelesen hatte, beschloß er, besser kein Arzt werden zu wollen. Zu viel Fachchinesisch und vor allem das Gefühl, jede Körperregung gleich als aufkommende Krankheit einschätzen zu müssen, brachten ihn davon ab. Um sich endgültig zu entspannen lauschte er Madonnas drittem Album. Er dachte dabei: "Ja, stimmt, wir leben wohl alle nur, um was zu erzählen."

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Patricia Straton wartete wie befohlen auf dem Hof. Ross lag in der magischen Eierschale, in die Daianira ihn eingeschlossen hatte. Doch im Moment dachte er nicht mehr daran, um Hilfe zu rufen. Sie überlegte, ob sie ihn befreien und besser rasch fortbringen sollte. Als sie aus dem Keller Daianira und Anthelia miteinander reden hörte. Sie lauschte und empfing auch Tante Meridiths Gedanken, die zwischen Hilflosigkeit und Erschütterung schwangen. Dann hörte sie das typische Prasseln, fauchen, Schwirren, Krachen, Knallen und Pfeifen schnell hintereinander losgelassener Flüche. Anthelia duellierte sich tatsächlich mit Lady Daianira. Mehrmals donnerte es wie Kanonenfeuer. Sie bekam mit, daß ihre Tante noch einen Ganzkörperklammerfluch abbekam und nun komplett erstarrt am Boden lag. Sie wirkte den Exosenso-Zauber, um durch die Augen ihrer Tante zu sehen und durch ihre Ohren zu hören, was geschah. Dabei bekam sie mit, wie Anthelia offenbar in eine ungeahnte Bedrängnis geriet. Sie sah durch die starr nach oben gerichteten Augen einen immer helleren Widerschein an der Decke, hörte einen erst leisen ton, der irgendwie von Anthelia widerhallte und zu einem lauten Klang wurde, bis mit einem scharfen Knall und einem den Keller gleißend hell ausleuchtenden Blitz der Spuk vorbei war. Sie roch mit Meridith Broomsbergs Nase den Qualm, hörte einen Körper niederstürzen. Dann umgaben ihre Tante Stille und Dunkelheit. Unverzüglich löste sie die Exosenso-Verbindung. "Höchste Schwester!" Schickte sie eine Gedankenbotschaft aus. Doch Sie empfand nicht diese Art von Nachhall, der erfolgreich abgesetzte Botschaften bezeichnete. "Höchste Schwester, was ist passiert? Wo bist du?!" Schickte sie mit aller Kraft aus. Doch sie hatte nur für sich alleine gedacht. Dann versuchte sie, Daianira zu erreichen. Doch auch hier klang ihre Gedankenbotschaft nicht in ihrem Bewußtsein nach. Konnte es sein, daß sich beide gegenseitig zu Tode duelliert hatten? Sie lief zum Haus, dessen Tür noch offenstand, durcheilte den Flur, hetzte die Kellertreppe hinunter und atmete auf, daß die tür noch offen war. Sie schnüffelte und lief zum Raum mit den Conservatempus-Schränken, die jetzt nicht mehr standen. Eingelagerte Gläser, Töpfe und Kisten lagen ungeordnet auf dem Boden herum. Dann sah sie im Licht ihres Zauberstabes Meridith Broomsberg mit zur Decke gerichtetem Blick und eine haselnußhaarige Hexe, die in einer halbgekrümmten Haltung am Boden lag. Sie atmete sehr schwach und strahlte keine bewußten Gedanken aus. Lady Daianira war bewußtlos. Doch wo war Anthelia abgeblieben? Patricia leuchtete den ganzen Raum aus und fand nichts, was auf die Führerin des Spinnenordens hinwies. Sie schien disappariert zu sein. Doch das ging in dem Haus doch nicht. Oder hatte Anthelia die Sperre überwinden können. Doch so wie sie geschrien hatte war sie unmöglich dazu fähig gewesen, sich auf einen andren Ort auszurichten. Außerdem hatte Daianira frohlockt, daß Anthelia wohl etwas vampirisches an sich habe, weil ihr goldenes Amulett so heftig dagegen reagierte. Anthelia war aber fort. Kein Blut, keine Leiche, kein Fetzen ihrer Kleidung, nicht einmal ein Haufen Asche, was ja bei diesem Blitz auch hätte sein können. Anthelia war einfach weg, als hätte es sie gar nicht gegeben. Träumte sie das alles vielleicht? Sie kniff sich kräftig in den linken Arm. "Autsch!" Quängelte sie. Ihre Großtante stieß einen verwirrten, erkennenden Gedanken aus. Außerdem träumte Patricia wohl nicht, so weh sie sich selbst gerade getan hatte. Aber was sollte sie jetzt machen? Ihr Zauberstablicht fiel auf das goldene Medaillon, das sich in Lady Daianiras weißes Mieder eingebrannt und wohl auch etwas von ihrer Haut versengt hatte. Ihr Blick blieb auf dem runden Schmuckstück an der Goldkette haften. Daianira lag da, hilflos, wehrlos. Töten oder ihr einen bleibenden Fluchschaden auferlegen durfte sie nicht, weil sie dann die geballte Vergeltung der entschlossenen Schwestern abbekommen würde. Sie durfte der Anführerin nichts antun. Sie durfte ihrem Körper und ihrem Geist nichts antun. Aber wenn sie befand, daß das Sonnenmedaillon bei ihr besser aufgehoben war als bei Daianira, besonders wo da eine Vampirin existierte, die durch einen schwarzen Klunker ziemlich viel Macht bekommen hatte ... Vorsichtig bückte sie sich, wobei sie aufpaßte, nicht in das starre Blickfeld ihrer Tante zu geraten. Aber die würde sie gleich noch behandeln. Sie griff an das Amulett und erwartete einen Schmerz oder sonst eine magische Gegenwehr. Doch das Medaillon fühlte sich kalt an wie alle Metallkörper, die nicht an einem warmen Ort gelagert wurden. Sie hob es an. Es ratschte leise, als daran anhaftende, verkohlte Fasern abrissen. Jetzt sah Patricia, daß Daianira eine kreisrunde Brandwunde abbekommen hatte. Das war kein Problem. Im Haus gab es Tinkturen gegen gewöhnliche und leichte, magische Verbrennungen. Das feine Mieder war allerdings ruiniert. Sie zog der ohnmächtigen Hexenlady die Kette über den Kopf. Immer noch reagierte das Amulett nicht auf den ablaufenden Diebstahl. Patricia zupfte die qualmenden Faserreste von der Unterseite, auf der eine Spirale mit mehreren Einkerbungen und einbuchtungen zu sehen war. Die oberseite zeigte ein Sonnensymbol. Das Amulett reagierte immer noch nicht darauf, daß Patricia es seiner Besitzerin fortgenommen hatte. Sollte sie es sich umhängen? Sie fingerte noch einige Sekunden daran herum, bis es blitzblank war und hängte es sich um. Sofort leuchtete es golden auf, aber nicht unangenehm. Eine wohlige Wärme durchflutete Pandora Stratons Tochter, und ein Gefühl, keine Angst mehr haben zu müssen machte sich in ihr Breit. Vor allem fühlte sie eine sehr anregende Wärme in ihrem Unterleib, als stehe sie kurz vor dem Liebesakt mit einem begehrten Partner. Eine derartige Reaktion hatte sie am wenigsten erwartet. Dieses Ding zu tragen war ja regelrecht erotisch. Doch so wie sich das Amulett beim Umhängen aufgehellt hatte, so übergangslos erlosch sein Schein wieder, und auch dieses merkwürdige Gefühl aufkommender Leidenschaft verklang in ihrem Bewußtsein. Jetzt hing das Amulett an seiner Kette zwischen ihren Brüsten und war wie ein X-belibiges, goldenes Schmuckstück, nach viel Reichtum aussehend aber mehr nicht. Sie fühlte sich ein wenig ertappt, es so vor ihrem Oberkörper baumeln zu lassen und praktizierte es schnell unter ihr kurzärmeliges Top. Wenn sie Daianira so ansah, empfand sie diese Büstenhalter der Muggel schon als angenehmer. Offenbar galt das auch für das Medaillon. Denn erneut strahlte es wohlige Wärme aus und entfachte anregende Gefühle in der jungen Hexe. Sie probierte es aus, das Amulett direkt auf der Haut zu tragen. Tatsächlich meinte sie, unmittelbar vor dem geschlechtlichen Höhepunkt zu stehen. Sie keuchte drei Sekunden lang, erwartete die Wohlige Wallung. Doch dann war auch diese Anregung wieder weg.

"Hat sich das Ding in mich so verknallt, daß es mich fast hat kommen lassen", dachte Patricia einen Moment. Dann meldete sich die Vernunft zurück. Anthelia war restlos verschwunden, vielleicht ohne Rückstände verbrannt. Daianira war immer noch ohnmächtig und verwundet. Ihre Großtante lag bewegungsunfähig da, könnte aber vielleicht behaupten, ihre Großnichte "Autsch!" quängeln gehört zu haben. Das mußte zuerst erledigt werden. Sie hob die beiden Erstarrungszauber auf, um ihrer Großtante unvermittelt mit "Mikramnesia" und "Stupor" die Besinnung komplett zu rauben. Dann horchte sie auf Daianira. Sie war immer noch ohnmächtig. Vielleicht hatte Patricia noch Zeit, das Geheimversteck aufzusuchen und das zu holen, weshalb sie hergekommen war. Sie lief rasch in einen der Nebenräume und murmelte "Sanguis Familiaris!" Da fühlte sie, wie von einer der Wände ein Kribbeln ausging. Schnell zog sie die mitgebrachte Silbernadel aus ihrer Umhängetasche, piekste sich ohne großes Vordenken in die linke Hand und wartete, bis sich mehrere Blutstropfen auf ihrer Haut sammelten. Mit einer schnellen Vorwärtsbewegung preßte sie die angepiekste Hand an die ermittelte Stelle und fühlte, wie etwas ihr noch etwas Blut absaugte. Dann rauschte es, und vor ihr gähnte ein mannshohes, rechteckiges Loch in der Wand. Sie tauchte hinein und griff sehr schnell nach den Ordnern und einer kleinen Kiste, in der es gläsern klimperte. Dann leuchtete sie noch einmal in den Raum hinein und atmete auf. Sie hatte alles herausgeholt. Sie öffnete ihre Umhängetasche und versenkte den Inhalt des geheimen Lagers darin. Eigentlich sah sie von außen nicht danach aus, daß sie zwanzig dicke Ordner und eine Kiste aufnehmen konnte. Doch Patricia hatte sich schon sehr früh angewöhnt, unaufspürbare Rauminhaltsvergrößerungszauber zu wirken. Sie benötigte keine Practicus-Tragebehälter. Jedenfalls hatte sie nun alles sicher an sich genommen. Sie überlegte, ob man ihr draufkommen konnte, daß sie hier gewesen war. Außer Donata Archstone hatte keiner der entschlossenen Schwestern gewußt, daß das Ministerium die französische Rückschaubrille bekommen hatte. Sie hoffte nur, daß Daianira, wenn sie wieder aufwachte nicht so dreist war, den Diebstahl des Medaillons anzuzeigen. Dann würde ja auch jeder sehen, wie sie sich hier mit jemandem duelliert hatte, und Tante Meridith, die nur fünf Minuten ihrer Erinnerung eingebüßt hatte, würde bestätigen, daß sie gewaltsam hierher entführt worden war, weil sie nicht den entschlossenen Schwestern angehörte. Dann fiel ihr noch ein, daß ihr Vater und ihr Bruder in großer Gefahr schwebten. Sie mußte sie retten. Jetzt, wo sie ohne Anthelias Anweisungen handeln mußte, befand sie, daß sie das ihrer Familie schuldete. Sie winkte mit dem Zauberstab in Richtung Geheimraum, der daraufhin rauschend zu einem völlig glatten Mauerstück wurde. Das Sonnenmedaillon ruhte nun direkt an ihrer Haut. Es hatte sich ihrer Körperwärme angepaßt. Da kam ihr ein verwegener Einfall. Professor Turner und Professor Bullhorn hatten in den UTZ-Klassen erklärt, daß man mit dem Einmal-Kopierzauber Geminius sogar äußerlich identische Kopien von Edelmetallkörpern und magischen Gegenständen machen konnte. Allerdings besaßen die Kopien dann nicht mehr die magischen Eigenschaften des Originals. Damit konnte sie Lady Daianira voll verladen. Sie holte das Kleinod noch einmal hervor, prüfte Gewicht und Größe und befand, daß sie die nötige Zauberkraft aufbringen konnte. Sie legte das wertvolle Amulett auf den Boden, zeichnete mit dem zauberstab die genaue Linie des runden Medaillons und der langgezogenen Kette nach und hielt den Stab dann über das Amulett. "Geminio", wisperte sie. Zwischen Zauberstab und Sonnenmedaillon flirrte die Luft, begann zu rotieren und dabei zu einer kleinen, leuchtenden Nebelwolke zu werden, die in einem einzigen Augenblick zu einer äußerlich genau gleichen Kopie des Amulettes wurde. Patricia prüfte schnell mit dem Zauberfinder, ob sie wirklich keine Entladung verursacht hatte und atmete auf. Das Sonnenmedaillon zeigte im Fokus des Zauberfinders eine fast wagenradgroße runde Goldscheibe an einer Kette, die ebenfalls mit goldenen Linienmustern durchsetzt war. Schnell hängte sie es sich wieder um. Wieder überkam sie dieses merkwürdig anregende Gefühl. Sie praktizierte es wieder unter ihre komplette Oberkleidung und mußte sich konzentrieren, nicht hier und jetzt vor Lust aufzuschreien. Dann war dieses Gefühl wieder vorbei. Sie zielte auf die am Boden liegende Kopie, dort wo das Amulett mit der Kette verbunden war und zischte "Flagrante maxima!" Die Kopie am Boden glühte auf, lief an, und zerschmolz nach fünf Sekunden. Patricia ließ die derartig verunstaltete Kopie mit dem Schwebezauber aufsteigen und vor sich her zum Raum der zertrümmerten Conservatempus-Schränke fliegen. Dort ließ sie das Amulett neben Daianiras Körper niedersinken. Sie prüfte noch einmal, ob die Hexenlady nicht doch wach war und befand, daß sie schnell machen mußte. "Caloram revelio", dachte sie, den zauberstab an die Stirn haltend. Sofort änderte sich das Aussehen aller Dinge im Kellerraum. Sie sah die beiden Hexen hellrot daliegen, von einer wabernden Wolke aus dunkelrotem Gas, die in flimmernden Spiralen nach oben auseinanderfächerte umgeben. Die von ihr erzeugte Kopie des Sonnenmedaillons erglühte in einem orangegelben Farbton, ähnlich einer aufgehenden Sonne. Die es umfließende Warmluftwolke glühte orange bis rot und flimmerte noch mehr. Die nach oben weisende Spirale drehte sich schneller als bei den Hexen und war in sich turbulenter. "Hibernevo", dachte Patricia Straton. Das Amulett auf dem Boden wechselte die Farbe von Orangegelb zu hellrot. Dann noch mal "Hibernevo", und die Farbe ging in ein dunkleres Rot über. Schnell schlang Patricia ihrer früheren Führerin die Kette um den Hals, legte das falsche Amulett genau auf die Brandwunde und hoffte, daß dadurch nicht noch mehr Schaden an Daianiras Körper angerichtet worden war. Sie horchte auf Daianiras Gedankengänge, die langsam wieder in Schwung kamen. Sie hatte wohl nur eine Minute Zeit, um zu verschwinden. Sie wollte ihre Tante nicht dieser rachsüchtigen Lady opfern. Anthelia war nicht mehr da. Vielleicht war sie tatsächlich gestorben. Dann würde Daianira nach den von ihr abgefallenen Schwestern suchen. Ihre Familie durfte dabei nicht geopfert werden. So vollführte sie an ihrer Tante eine Verwandlung und machte aus ihr ein rosa Seidentaschentuch. Wenn sie zurückverwandelt war würde der Schockzauber nicht mehr wirken, wußte Patricia. Sie eilte aus dem Haus zu Ross.

"Ist die alte Sabberhexe Hemlock tot oder was?" Klang es hohl aus der weißen Kapsel. Patricia überlegte, ob sie dazu was sagen durfte. Da fiel ihr ein, daß es besser wäre, wenn niemand von ihrer Familie wußte, daß sie noch lebte. Sie hantierte mit dem Zauberstab vor ihrem Gesicht und stellte sich eine mittelalte Hexe vor, die dunkelblondes, gelocktes Haar besaß. Ihre tiefgrünen Augen ließ sie hellblau werden, und ihre hohen Wangen ließ sie unter leichtem Ziepen nach unten rutschen, so daß ihr bleiches Gesicht rund wie der Vollmond wurde. Dann verpaßte sie sich noch einen gewissen Rosaton und stellte ihre Stimmbänder etwas länger ein, so daß sie älter und größer klang als sie war. Ihre Figur ließ sie wie sie war. Dann öffnete sie mit drei Zauberstabschlenkern die Umkapselung. Ross sah sie an, wie sie da in kurzer Muggelfrauenkleidung stand. Doch er fand keine Zeit, noch was zu fragen. Sie erwischte ihn mit einem weiteren Verwandlungszauber und praktizierte das blaue Seidentaschentuch, daß an seiner Stelle am Boden lag in die andere Tasche ihrer Bermudas. Dann überlegte sie, ob sie ihren Vater noch bei Bronco abfangen konnte und verließ mit ihrer Beute und den transportierbaren Verwandten das elterliche Grundstück.

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Daianira erwachte mit großen Schmerzen auf der Haut genau im Brustbereich. Sie fühlte sich schwer wie ein Bleisack. Arme und Beine ließen sich nur sehr schwer bewegen. Dann war es ihr, als jagten ganze Ameisenheere durch ihre Glieder. Der Blutkreislauf setzte wieder ein. Sie dachte über die letzten Minuten nach. Sie hatte mit Anthelia gekämpft und sie mit dem Sonnenmedaillon in einer gleißenden Lichtentladung verschwinden lassen. Womöglich hatte sie sie sogar vernichtet. Sie war im Keller der Stratons, weil sie mit Meridith nach Pandoras Erbschaft gesucht hatte. Meridith? Wo war die? Sie sah sich um. Da lag ihr Zauberstab, zum Glück noch unversehrt. Auch trug sie noch das Medaillon ... Nein! Das Medaillon war völlig zerschmolzen! Sie löste es vorsichtig aus der Brandwunde. Offenbar hatte es ihr Mieder ganz durchgebrannt und diese Wunde hinterlassen. Es war völlig verformt. Aber das durfte doch nicht sein! Medaillons wie diese konnten doch nicht zerstört werden, schon gar nicht durch die eigene Magie! Womöglich hatte es bei der entscheidenden Aktion gegen Anthelia alle Kraft auf einmal freigesetzt ... und sich dabei selbst verheizt. Sie nahm ihren Zauberstab und pprüfte, soweit ihre Schmerzen das zuließen, ob in dem geschmolzenen Goldding noch ein Funken Magie steckte. Doch der Zauberfinder zeigte nichts dergleichen an. Das kam ihr seltsam vor. Sie prüfte die Beschaffenheit der Goldkette und holte aus ihrer Handtasche eine Brandheilsalbe, mit der sie Verbrennungen dritten Grades in wenigen Sekunden zuheilen lassen konnte. Nachdem das erledigt war suchte sie nach Meridith Broomsberg. Sie war fort. Daianira fiel ein, das Anthelia nicht alleine gewesen war. Wer immer sie begleitet hatte hatte meridith Broomsberg mitgenommen. Warum hatte man sie dann nicht einfach umgebracht? Was hatte Anthelia noch gesagt? Die Begleiterin sei auch eine ehemalige Entschlossene gewesen. Die durften sie nicht töten. Deshalb hatte sie wohl auch ihren Zauberstab behalten, damit sie nicht hilflos blieb. Sie suchte mit dem Lebensquellfinder nach weiteren Lebewesen. Doch im Umkreis mehrerer hundert Meter waren nur Pflanzen und kleinere Vögel und Insekten. Ihr Triumph, die lästige Konkurrentin vielleicht ausgelöscht zu haben, wurde von der Enttäuschung und dem Verlust gedämpft. Sie hatte das Sonnenmedaillon verloren und damit die wirksamste Waffe gegen die übermächtige Nyx. Außerdem kam sie jetzt nicht an Pandoras Aufzeichnungen heran, falls diese noch da waren. Anthelia hatte sie doch noch ausgetrickst. Sicher hatte sie ihren Mitschwestern aufgetragen, die Stratons zu verstecken und diese Meridith Broomsberg gleich mit. Womöglich hatten sie sogar eine letzte böse Überraschung für die Hexenlady in diesem Haus versteckt. Sie mußte raus. Sie lief durch die Kellergänge, verirrte sich einmal und landete dann bei der schweren Eisentür, die noch angelehnt war. Sie lief hinaus aus dem haus, holte sich mit dem Aufrufezauber ihren Besen und saß auf. Im schnellen Tempo raste sie von dem Haus fort. Sie fürchtete, daß es jederzeit hinter ihr explodieren konnte.

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"Wer sind sie?" Fragte Mr. Straton, als er an einen Stuhl gefesselt neben seinem Sohn und seiner Schwiegertante Meridith saß. Die fremde Hexe in der Muggelweltaufmachung hatte ihn mit dem Imperius-Fluch von seinem Übungsflug zurückbeordert und ihn gleich nach der Landung betäubt. Jetzt stand sie vor ihm und sagte mit einer ziemlich tiefen, leicht angerauhten Stimme:

"Ich bin Ihr Schutzengel, Sir. Wir erfuhren, daß unsere ehemaligen Mitschwestern planten, Sie alle dazu zu benutzen, an ein geheimes Erbe Ihrer verstorbenen Frau Pandora Straton heranzukommen. wie Ihnen Mrs. Broomsberg berichten wird, kam es zwischen ihr und der ehemaligen Anführerin von uns zu einem magischen Duell. Dabei sind wohl beide gestorben oder verschwunden oder was auch immer. Ich würde Ihnen dreien vorschlagen, daß sie sich in den nächsten Wochen sehr gut versteckt halten. Hier sind Zauberergold und Muggelgeld." Sagte die Fremde und legte einen großen Lederbeutel mit Galleonen und einen dicken Umschlag mit Muggel-Papiergeld hin. "Sie befinden sich hier in einer Geisterstadt, die Fallen Tree geheißen hat. Wenn sie es richtig anstellen, können sie hier unbehelligt die Nächte verbringen und die Ruhe genießen. Man wird sie suchen. Ich weiß mit Sicherheit, daß die Hexenschwesternschaft, der ich mal angehört habe, gute Verbindungen zur Strafverfolgungsabteilung hat."

"Sie können nicht von mir verlangen, daß ich meine Arbeit aufgebe", knurrte Tyr Straton.

"Gut, dann kehren Sie dorthin zurück und sterben Sie wohl", schnarrte die Fremde, die sich in einen Kapuzenumhang eingehüllt hatte.

"Wer garantiert uns, daß Sie uns nicht auch umbringen wollen?" Fragte Meridith Broomsberg.

"Die Tatsache, daß Sie diese Frage gestellt haben, Mrs. Broomsberg. Es wäre für uns wesentlich leichter gewesen, Sie einfach so auszulöschen. Sie wissen schon wie."

"Erst meine Frau, dann meine Tochter und jetzt wir", knurrte Tyr Straton. "Auf uns lastet wohl ein Fluch."

"Dann wären Sie jetzt garantiert tot", schnarrte die verkleidete Hexe. "Ich empfehle mich fidel von Ihnen. Sie haben ein neues Leben bekommen. Leben Sie es behutsam aber glücklich! Retardo descarcerus! Retardo descarcerus! Retardo descarcerus!" Mit diesen Worten und drei schnellen Zauberstabgesten beendete die verkleidete Hexe ihre Ansprache und disapparierte. Wenige Sekunden später lösten sich alle Fesseln in Nichts auf.

"Wer immer sie war, wir sollten erst einmal auf diesen Vorschlag eingehen, Tyr", knurrte Meridith Broomsberg. Dann dachte sie an Valery und ihre Eltern. Doch die Fremde hatte sie nur einen Raum weiter in Zauberschlaf versenkt hingelegt. Sie beschlossen, ihr neues Heim zu erkunden und sich dann mit dem Fidelius-Zauber vor ihren Feinden zu verbergen.

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Morpheus' Ford fuhr immer noch gut. Nachdem Nyx den Schaden vom Schußwechsel repariert hatte, war sie mit Morpheus, Wilson und Jackson losgefahren, um sich neue Diener heranzuziehen.

Die Fahrt ging wieder zum Club Mephistopheles. Die rotglühende Teufelsfratze über dem Namenszug grinste dämonisch, als wolle sie die vier nächtlichen Besucher herzlichst einladen, hier ihre Opfer und Weggefährten zu finden.

Mann ist das ein Krach", knurrte Jackson, als sie auf dem Parkplatz der Discothek mit gruseligem Publikum anhielten. Sie stiegen aus und gingen ganz gemütlich auf den Türsteher zu. Nyx sah ihn an und erstarrte. Nicht die übermäßige Knoblauchfahne, die der bullige Mann verströmte störte sie, sondern die übersinnliche Ausstrahlung, die der Bursche besaß. Das war doch kein Magieloser.

"Hi, Leute, heute ist keine Vampirfete. Heute sind die Werwölfe gefragt", sagte der Türsteher. Nyx versuchte ihn mit ihrem Blick zu fixieren. Der Mitternachtsdiamant in ihrem Leib vibrierte. Sie konnte dem Mann nicht genau in die Augen blicken. Irgendwas störte die Verbindung. Dann gewahrte sie die Brosche am Hals des Türstehers.

"Wer hat dich hier hingestellt, Kerl?" Fragte Nyx und konzentrierte sich, den Panzer des Mondfriedenszaubers zu durchbrechen, der in der Brosche des Fremden steckte. Tatsächlich gelang es ihr mit ihrer vervielfachten Kraft, die magische Ummantelung zu durchbohren. Der Türsteher schrak zusammen, als der Blick der eingefallenen Augen ihn endlich fixierte und er fühlte, wie sein Widerstand schmolz. "Sag mir, wer dich da hingestellt hat, du Muskelprotz!" Statt einer Antwort schwirrten unvermittelt zwei Eichenholzbolzen aus unterschiedlichen Richtungen heran. Einer prallte Nyx an den Brustkorb, der andere krachte gegen ihren Kopf. Doch beide Geschosse zerbarsten mit lautem Knacken, ohne Nyx auch nur verletzt zu haben.

"So, eine kleine, schnuckelige Falle für mich", knurrte Nyx, als drei weitere Eichenholzbolzen auf sie zuzischten. In dem Moment riß der Türsteher einen zauberstab heraus und rief: "Per solem benedico!" Nyx sah den gleißenden Lichtblitz auf sich zukommen und fühlte, wie er sie wie heißes Wasser umspülte. Doch ihr einverleibter Talisman ließ sofort eine tiefschwarze Aura entströmen, die die Hauptwucht des Zaubers schluckte.

"Verdammt, wie geht das?!" Rief der Muskelmann, der als Vampirjäger Edwin Pearse schon siebzig Vampire erledigt hatte. "Pax Lunae impllemento!" Rief er dann noch. Silbernes Licht ergoß sich aus dem Zauberstab und hüllte Nyx ein. Normalerweise schnürte das ihre Vampirkräfte ein. Doch die schwarze Aura des Mitternachtsdiamanten schluckte auch diesen Zauber. Weitere Armbrustbolzen flogen heran. Einer erwischte Wilson an der Schulter. Er schrie auf, während Jackson seine Pistole zog und in die Richtung feuerte, in der die Schützen stehen mußten. Damit hatten die wohl nicht gerechnet. Pearse hingegen versuchte es mit Feuerzaubern. Doch auch diese versagten. Nyx war es langsam leid. sie wollte an dem Türsteher vorbei, um in die Disco hineinzukommen. Woher hatten diese Kerle gewußt, daß sie hier wieder herkommen würde? Dumme Frage, weil sie wußten, wo sie Morpheus abgeholt hatte. Doch wenn sie glaubten, sie nun in eine Falle gelockt zu haben, dann sollten die sich gleich wundern. Sie gab den Gedankenbefehl an ihre Begleiter, sofort zum Auto zurückzulaufen. Doch als sie Wilson ansah wußte sie, daß der Treffer an der Schulter ihn ziemlich auszehrte. Jackson fühlte sich offenbar berufen, den im dunkeln lauernden Feind anzuschleichen. In diesem Moment versuchte der Türsteher einen letzten Angriff: "Avada Kedavra!" Rief er. Ein gleißender grüner Blitz sirrte auf Nyx zu und verschwand in der schwarzen Aura um ihren Körper. Sie fühlte etwas wie einen Stoß in den Leib. Da war ihr, als erwärme sich etwas in ihr. Der Türsteher sah vor Schreck, wie seine Gegnerin da stand und ihn überlegen angrinste. Dann fühlte er plötzlich, wie eine Urgewalt an seinem Körper zog, der förmlich zu zerfließen schien. ER fühlte einen Moment lang dumpfen Schmerz, dann gar nichts mehr. Er löste sich vor Nyx in weiße Schwaden auf, die mit rasender Geschwindigkeit auf sie zuflogen und auf Höhe ihres Unterleibs in die schwarze Aura eingesaugt wurden.

"Ja! Mehr! Gib mir noch einen!" Hörte Nyx jene tiefe Stimme, die mit dem Geist des Mitternachtsdiamanten verbunden war. Gleichzeitig fühlte sie, wie mehr Kraft sie durchdrang. Aber dann war da noch ein Gefühl, als schwelle das, was sie sich selbst zugesteckt hatte leicht an. "Noch einen!mehr!" Forderte die Stimme. Nyx drehte sich um. Da prallte ein neuer Armbrustbolzen von ihrer linken Brust ab. Sie suchte mit ihrem Blick nach dem Schützen. Dieser wurde gerade von Jackson angesprungen. Doch der ehemalige Marineinfanterist flog von einem silbernen Blitz getroffen zurück. Außerdem hielt sich Jackson die Nase zu.

"Knofel und Mondfrieden, Blutsauger. Tschüs!" Hörte sie den Armbrustschützen sagen, der einen Bolzen auf die sich selbst neu spannende Armbrust auflegte und aus nächster Nähe auf Jackson schoß. Der Bolzen fand sein Ziel und beendete Jacksons zweites Leben, noch ehe es sich richtig entfaltet hatte. Der Sergeant fiel hinten über und stürzte bereits tot zu Boden. Nyx fühlte diesen Ausfall, weil der Mitternachtsdiamant sich schüttelte. Dann forderte seine geistige Stimme: "Todesblitz! Will mehr Todesblitze haben!"

"Wilson, Morpheus, ins Auto und weg. Ich komme per Apparieren", schickte Nyx ihren beiden anderen Begleitern zu. Dann lief sie los, genau in mehrere Eichenbolzen hinein, die jedoch vor ihr zerbarsten. Dann trafen weitere Vampirabwehrflüche auf sie. Doch ihre Schutzaura fing sie alle ab. Da fegte ein weiterer grüner Blitz von links von ihr heran. Sie fühlte ihn wieder in sich eindringen, empfand aber keine Schmerzen oder Schwächung. Statt dessen fauchte wenige Sekunden später eine weiße Nebelwolke heran, die mit der sie umhüllenden Aura verschmolz. Wieder meinte sie, ihr Glücksbringer würde leicht anschwellen. Triumph und eine lautere Forderung, noch mehr solcher Angriffe zu provozieren waren die Folge. Nyx sah sich um. Der erste Armbrustschütze hatte wohl mitbekommen, was mit seinen beiden Kollegen passiert war und warf eine Kugel aus rotem Glas nach ihr. sie tauchte zur seite weg, als das Wurfgeschoß klirrend zerplatzte und eine Feuerwolke freisetzte, deren Ausläufer Nyx einhüllten. Doch sie empfand keinen Schmerz. Feuer, magisch oder natürlich, war sonst ein Todfeind der Vampire.

"Ich will mehr von denen!" Dröhnte die tiefe Männerstimme im Geist von Nyx. Was hatte sie da angerichtet? Wenn sie mit dem Todesfluch angegriffen wurde hieß das für den Angreifer, daß er sofort aufgelöst und ihr irgendwie einverleibt wurde. Der Mitternachtsdiamant saugte ihn förmlich in sich auf, Körperkraft und Seele. Nyx suchte den ersten Armbrustschützen wieder. Doch dieser war verschwunden. Sie fuhr ihre übersinnlichen Antennen aus und fand ihn nicht mehr.

"Wo stecken die alle?" Fragte Nyx und suchte mit ihrem Gespür für Lebewesen nach den Leuten in der Disco, wo immer noch die wilde Musik wummerte. Doch da war niemand. Nicht einmal das Personal. Offenbar hatte man sie gründlich in eine Falle locken wollen. Pech nur für die beiden Schützen, daß Nyx diese Falle schon hier draußen gewittert hatte.

"Gut, er will Krieg. Dann eben Krieg", knurrte Nyx. Denn daß man sie mit mindestens drei Armbrustschützen erwartet hatte sprach dafür, daß der zaubereiminister nicht nur nicht auf ihre Bitte eingehen wollte, sondern sie obendrein noch tot sehen wollte. Doch zwei seiner Armbrustschützen waren tot. Jackson hatte es zwar auch erledigt, und Wilson konnte auch noch an dem Treffer sterben. Aber sie hatte überlebt. Sie sah dem davonjagenden Ford nach und disapparierte.

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"Sie war wirklich bei diesem Laden", meldete Thorntip, der einzige überlebende der drei Supervampirjäger an Donata Archstone, die befunden hatte, die Nacht im Büro zu verbringen. "Wir haben die Leute da mit dem Schild" Heute geschlossen" gut weggekriegt und die Bedienung da für eine Weile in Sicherheit gebracht. Dann kam die mit einem Muggelwagen Marke Ford. Ich habe die Nummer und alles", sagte Thorntip leicht erregt. "Nyx wollte wohl mit drei anderen Vampiren neue Artgenossen züchten."

"Was ist mit Mallot und Pearse?" Fragte Donata Archstone.

"Beide irgendwie getötet, Madam Archstone. Pearse konnte sie mit seinem Amulett nicht zurückdrängen. sie hat ihn fast in ihrem Bann gehabt, wenn ich nicht geschossen hätte. Dann wollte sie auf mich los und bekam von Pearse Avada Kedavra übergebrannt, nachdem alles andere in so'ner schwarzen Aura um sie herum verpufft ist. Doch anstatt diese Vampirlady umzuhauen ist Pearse irgendwie zerflossen wie autonebuliert und dann in dieser Aura eingesaugt worden. Ich weiß nicht, was das für ein Zauber ist, Madam. Aber diese Nyx ist offenbar gefährlicher als wir dachten. Als Mallot ihr dann auch noch den Todesfluch aufbrennen wollte, ist ihm das gleiche wie Pearse passiert, Ma'am. Der hat sich aufgelöst und ist als weißer Nebelstreifen in dieser dunklen Aura verschwunden, als habe die ihn angezogen."

"Das ist eine sehr wichtige Beobachtung, Thorntip. Schreiben Sie so schnell es geht einen Bericht! Ich melde das dem Minister", sagte Donata Archstone und entließ ihren Vampirjäger.

"Diese Nyx trägt den Diamanten also bei sich. Offenbar schluckt er die volle Kraft des Todesfluches und wirkt dann auf dessen Urheber tödlich ein", dachte Donata Archstone. Wenn sie dem Minister bericht erstattet hatte, würde sie gleich Anthelia einen Bericht geben. Sie wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was sich im Haus der Stratons abgespielt hatte.

__________

Patricia Straton verbrachte den Abend in dem Zimmer, in das Virginia sie einquartiert hatte. In einen Klangkerker eingehüllt studierte sie die Ordner. Es war eine ganze Menge, was ihre Mutter da zusammengeschrieben hatte. Das konnte sie unmöglich alles behalten. Dann öffnete sie die Kiste und fand mehrere sorgfältig verpackte Flaschen. Auf einer Flasche Stand "Bicranius' Trank der mannigfaltigen Merkfähigkeit". sie stutzte. Ihre Mutter hatte den heftigsten Gedächtnisverstärkungstrank der Zaubererwelt gebraut und in diese Flasche gefüllt? Die mußte gut und gern einen Liter fassen. Da verstand sie. Damit sollte jeder, der die Ordner lesen wollte, ihren Inhalt auswendig lernen. Die anderen Flaschen enthielten einen silberweißen Stoff, wie ihn Patricia in einem Denkarium einmal gesehen hatte. An einer Flasche hing ein Zettel, auf dem stand: "Für dich, meine Tochter" Patricia nahm dden Zettel und las:

Hallo Patricia, meine Tochter. Wenn du das hier liest, bin ich entweder gestorben oder habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, mein ganzes Wissen auf bessere Weise an dich weiterzugeben. Ich hoffe, du bist die erste, die das Fläschchen in die Hände bekommt. Am Besten überträgst du seinen Inhalt gleich nach dem Lesen auf dich. Es sind Erinnerungen an Gespräche mit Lady Daianira, wie ich von Anthelias Seelenmedaillon erfuhr und wie ich es mir verschaffte. Die Erinnerungen in den anderen Fläschchen enthalten Einzelheiten zur Gründung des Ordens der schwarzen Spinne, als Anthelia noch keinen neuen Körper hatte. Ich mußtte höllisch aufpassen, diese Erinnerungen gut genug vor Daianira zu verbergen und als ich sie kopierte nicht von Anthelia erwischt zu werden. Denn sie würde mir eine derartige Archivierung glatt als Hochverrat unterstellen. Um dich zu schützen, liegt unten in der Kiste noch ein Bergestein mit entsprechender Bezauberung. Aber den verwendest du bitte erst, wenn du alle niedergeschriebenen Texte, Bilder und die Erinnerungen aus den Flaschen in deinen Kopf aufgenommen hast. Bicranius' Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit hilft dir dabei. Wenn du dann alles in dich aufgenommen hast, lege den Bergestein auf deine Stirn! Nur du kannst im Moment diese Texte lesen, falls du nicht auch gestorben bist. Dann sei es, daß Anthelia alles erfährt, was ich über die Jahre von ihr und über sie zusammengetragen habe und was ich auch über andere Geheimnisse ergründet habe, die Leute wie Daianira als überlebenswichtig hüten mögen.

Ich hinterlasse dir ein schweres und gefährliches Erbe, meine Tochter. Aber ich hoffe sehr, daß du es besser nutzt als es mir selbst möglich war. Deine dich über alles und jede Zeit hinweg liebende Mutter

Pandora Straton

Patricia fühlte, wie ihr die Tränen in die jetzt wieder dunkelgrünen Augen mit leichtem Graustich traten. Ihre Mutter hatte ihr ein geheimes Testament hinterlassen, nicht nur ein Tagebuch, sondern auch einen hochgefährlichen Wissenssschatz. Sicher, daß das Material aus dem Geheimkeller sehr wertvoll sein konnte wußte sie ja längst. Aber das hier nicht mehr und nicht weniger als eine umfangreiche Sammlung über die Stärken und Schwächen der Nachtfraktion und der schwarzen Spinne zusammengetragen worden waren stimmte sie ängstlich und traurig zugleich. Sie dachte daran, was ihre Mutter ihr wohl alles hätte erzählen wollen und es nicht gedurft hatte. Jetzt lebte sie nicht mehr und konnte sie nicht mehr beschützen. Was von ihr blieb, war dieses Archiv. Sie dachte an den Trank, wie er wirkte und wieviel davon für eine bestimmte Zeit eingenommen werden sollte. Sie entkorkte vorsichtig die große Flasche mit dem Gedächtnisverstärkungselixier, das alle Erinnerungen jederzeit abrufbar machte und alles neu gelernte sofort verfügbar im Gedächtnis ablegte. Sie füllte ein Glas davon soweit voll, daß sie nach dem trinken volle vier Stunden Wirkung haben würde. Als sie das Gebräu mit einem gewissen Wiederwillen in sich hineingestürzt hatte wartete sie auf die Wirkung.

Erst war es ihr, als summe ein wilder Bienenschwarm in ihrem Kopf herum. Dann tanzten bunte Funken vor ihren Augen. Danach fühlte sie sich viel wacher als sonst. sofort entkorkte sie die Flasche mit dem Haupterinnerungsgut ihrer Mutter und vollführte die im Unterricht und von ihrer Mutter erlernte Technik fremde Erinnerungen direkt in ihr Gehirn zu übernehmen. Dabei erfuhr sie nicht nur etwas mehr über das Sonnenmedaillon, das sie nun schon den ganzen Nachmittag um den Hals trug, sondern auch einiges über das Seelenmedaillon Dairons, wo es aufbewahrt worden war und wie ihre Mutter es sich angeeignet hatte. Sie erlebte auch die zwei Jahre vor ihrer Geburt im Schnelldurchlauf mit, erfuhr, was ihre Mutter während der Schwangerschaft mit ihr in die Wege geleitet hatte, um zu Daianiras enggster Beraterin in Sachen alter Zauber und Zauberwesen zu werden, überstand völlig emotionslos wie eine unsichtbare Beisteherin ihre eigene Geburt und das, was ihre Mutter von ihrer Schulzeit mitbekommen hatte. Dann nahm sie die anderen Erinnerungen in sich auf. Gedankengespräche mit der im Seelenmedaillon gefangenen Anthelia, so wie Besuche bei wichtigen magischenHistorikern wie Bathilda Backshot in England, die aber zu dem Zeitpunkt schon ziemlich wunderlich war. Sie hatte behauptet, der ehemalige Hogwarts-Schulleiter sei in seiner Jugend mit Grindelwald befreundet gewesen. Patricia sog es alles ein wie ein Schwamm, ohne jede gefühlsmäßige Regung. Als sie alle Flaschen mit Erinnerungen in ihr eigenes Gedächtnis umgefüllt hatte, nahm sie den ersten Ordner und stellte fest, daß sie die beschriebenen Seiten nur für eine halbe Sekunde ansehen mußte, um ihren vollständigen Inhalt zu verstehen. So blätterte sie sich rasch durch jeden dicken Ordner. Einige Punkte erschienen ihr besonders lesenswert. Da war ein kurzes Register aller Hell- und Dunkelmondvampire, daß Pandora aus einem Buch aus dem 19. Jahrhundert abgeschrieben hatte. Die Namen Nyx und Haemophilos standen auch drauf. Warum war dieses Buch nicht im Zaubereiministerium vorhanden? Sie las sogar, welche früheren Namen die beiden Vampire besessen hatten. Der Gedächtnistrank unterdrückte alle Emotionen. So hätte Patricia wohl nicht gewußt, ob sie jetzt hoch erfreut oder total verängstigt hätte reagieren müssen. Denn was sie da gerade wie ein wissenshungriges Ungeheuer verschlang war für Nyx und ihren Vampir-Ehemann pures Gift. Wer wußte, daß Lady Nyx Griselda Hollingsworth geheißen hatte, konnte sie unter Umständen damit überrumpeln und trotz Mitternachtsdiamanten kontrollieren. Es verstand sich daher von selbst, daß die Vampirlady es verhindern wollte, daß jemand ihren früheren Namen kannte. Und jetzt kannte Patricia diesen Namen. Wie mächtig war Nyx, um ihr dieses Wissen nicht entreißen zu können? Darüber hinaus stand in einem Ordner ein Buchstabenschema, um die Inka-Symbole auf dem Sonnenmedaillon zu übersetzen. Jetzt verstand sie, warum ihre Mutter ihr Bicranius' Beaumonts Trank gegeben hatte. Denn über die Symbole, zu denen auch eine Aussprachetabelle geliefert worden war, konnte sie das Medaillon voll entfalten. Ja, sie erinnerte sich, daß die Silben dieselben waren, die Daianira gebraucht hatte, um Anthelia mit dem Medaillon zu besiegen. Dann stand da noch etwas, daß es nur in den Händen eines wahren Sohnes der Sonne seine vollkommene Kraft entfalten würde. Intis Beistand diente zwar auch jeder Hexe, aber nur, weil diese ihn tragen mußte, wenn sie von einem wahren Sohn der Sonne mit dessen freiem Einverständnis ein Kind empfing, daß unter dem Einfluß des Medaillons auf jeden Fall als Junge heranwuchs, um den Vater beerben zu können. Trug eine Hexe einen künftigen Inka unter dem Herzen, galt sie genau wie ein lebender Inka als voll berechtigt, das Medaillon mit ganzer Kraft einzusetzen. Hatte sie bis dahin ein Leben geführt, in dem sie keinen anderen Menschen getötet hatte, so schützte Intis Beistand die Hexe bis zu glücklichen Niederkunft vor allen Nachtgeschöpfen wie Vampiren, Nachtschatten, Werwölfen und Letifolden. Sie wußte, daß Daianira diese Kriterien nicht erfüllte. Sie hatte schon oft getötet, und als Mutter eines künftigen Herrschers eines längst untergegangenen Reiches war sie wohl auch nicht unterwegs, dachte Patricia nüchtern. Sie fragte sich, ob sie, nur um das Amulett in voller Stärke einsetzen zu können, unbedingt einen noch lebenden Nachfahren der Herrscherfamilie des Großreiches in Mittel- und Südamerika finden mußte. Das wäre ein ziemlich hoher Preis, wenn es darum ging, Nyx zu bannen oder zu erledigen, dachte Patricia Straton. Doch auch so war sie schon beruhigt, daß sie die Macht des Medaillons stärker ausschöpfen konnte als Daianira. Sie las auch, daß ihr neues Schmuckstück einen Besitzer oder eine Besitzerin annahm oder ablehnte. Wenn es eine Hexe war, so las sie, prüfte das Amulett ihre Fähigkeit, neues Leben zu erschaffen. Je besser die Prüfung ausfiel, desto größer fiel die Belohnung des Amulettes aus. Sie las weiter und weiter und ging alle Ordner durch, bis sie fand, daß sie gerade das Wissen einer Anführerin in sich aufgenommen hatte. Als sie den letzten Satz im letzten Ordner in sich aufgenommen hatte, praktizierte sie alle gefundenen Ordner in ihre Tasche zurück. Die Flaschen waren jetzt leer und wertlos. Aber die geschriebenen Seiten durften nicht in falsche Hände fallen. Jetzt, wo Anthelia wohl von Daianira erledigt worden war, mußte sich Patricia entscheiden, ob sie wieder zu Daianira zurückkehren oder mit dem neuen Wissen eine eigene Truppe zusammenstellen sollte. Sicher war ihr dabei nur, daß sie nach allem, was sie jetzt über Anthelia wußte, keine Neuauflage von Sardonias Reich mehr entstehen sollte. Ihr schwebte statt dessen ein Rat aus sechs Hexen und sechs Zauberern vor, die ähnlich den Aristokraten der Muggelwelt aus den zwölf mächtigsten Zaubererfamilien gewählt werden sollten. Doch darüber war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zunächst mußte sie das Material wieder gut verstecken. Da sie davon ausgehen mußte, daß Daianira immer noch das Straton-Anwesen überwachte, um mögliche Verwandte Patricias aufzustöbern, blieb nur die alte Daggers-Villa. doch falls einige Mitschwestern Anthelias Erbe vollständig umsetzen wollten ... Sie hatte eine bessere Idee. Jetzt, wo sie alles unter dem Eindruck von Bicranius' Beaumonts Mixtur der mannigfaltigen Merkfähigkeit auswendig gelernt hatte, konnte sie die Unterlagen vollständig vernichten. Doch zunächst las sie noch einmal die Kapitel über das Seelenmedaillon und dessen offensichtlichen Widerpart, das Sonnenmedaillon. Sie erkannte darin aber keinen Hinweis, wieso ihr neues Kleinod Anthelia in einer Lichtentladung hatte verschwinden lassen. Nun legte sie den Bergestein auf ihre Stirn. Unter schwachen Strömen aus Energie hörte sie die sich wiederholende Anweisung "Berge wohl alles was du von Pandora Straton gehört, gelesen, erlebt und erfahren hast! Berge wohl alles was du von Pandora Straton gehört, gelesen, erlebt und erfahren hast!" Als sich der Bergestein nach mindestens fünfzig Wiederholungen der gedanklichen Botschaft unter ihren Fingern aufgelöst hatte, fühlte sie eine leichte Bewegung in ihrem Kopf. Da war viel, was verborgen werden mußte. Sie hoffte, daß der Trank diesen Prozeß eher bestärkt als gehemmt hatte. Sie atmete einmal ein und wieder aus. Dann packte sie die Ordner ein und apparierte auf den höchsten Berg der USA. Dort zerstörte sie mit "Diffindo" sämtliche Ordner und zündete sie anschließnd an. Sie versteckte sich und wartete, ob jemand das auflodernde Feuer bemerken und sich hier hinauf bemühen würde. Doch das Feuer brannte eine Stunde, und niemand nahm Notiz davon. So kehrte Patricia in Virginia Hencocks Haus zurück, um die restliche Wirkung des Trankes im Schlaf zu überstehen.

Als sie am nächsten Morgen gefrühstückt hatte, verbrachte sie den halben Tag an ihrem Computer und suchte nach Lady Nyx. Merkwürdigerweise stieß sie auf eine besonders phantasievolle Prostituierte in Sacramento, die als Vampirin ihre Kunden bediente. Es wimmelte von heimlichen und teilweise kodierten Empfehlungen, diese Nyx einmal aufzusuchen. Doch vorher wollte sich Patricia mit Donata Archstone in der Daggers-Villa treffen.

Als sie genau im Weinkeller des ehemaligen Plantagenbesitzerhauses apparierte, glaubte sie, sie sehe nicht richtig. Denn mit dem, was sie auf dem großen Steintisch sah, hatte sie hier nicht mehr gerechnet.

__________

Sie hatte noch dieses grelle, fast weiße Licht gesehen, daß von Daianiras Medaillon ausgegangen war. Dann war es dunkel um sie geworden. Nur dieser unerträgliche, ihren Körper zerkochende Schmerz war noch da gewesen. Sie hatte wohl laut geschrien, bevor etwas wie ein gewaltiger Schlag sie getroffen hatte. Das alles mochte Sekunden her sein oder Jahrzehnte. Sie wußte es nicht. Sie trieb in einem vollkommen leeren Raum dahin, nur Gedanken, keine Formen, keine Geräusche. Dann hörte sie ihr Herz wieder schlagen, riss den Mund auf, um einzuatmen. Ein sanftes Pulsieren um ihre Taille, die sie jetzt erst wieder richtig wahrnahm, sowie ein lebhaftes Kribbeln an ihrem Brustkorb verrieten ihr, daß sie noch nicht im Land ohne Wiederkehr gelandet war. Sie wußte, wie es sich anfühlte, den Körper zu verlieren. Sie war dann in eine Dunkelheit übergegangen, aus der sie ab und an herausgehoben wurde, wenn eine andere Seele in einem lebendigen Körper das Medaillon Dairons berührte und sie mit den Sinnen und Gedanken dieses Lebendigen in Kontakt treten konnte. Was sie gerade eben oder vor Äonen erlebt hatte war anders verlaufen. Sie fühlte einen harten, flachen Widerstand, gegen den sie gedrückt wurde. Sie dachte an das gleißende Licht, daß sie getroffen hatte. Hatte es sie vollständig geblendet? Ein wenig fürchtete sie sich davor, die Augen wieder zu öffnen. Sie bewegte ihre wiedergewonnenen Glieder. Irgendwas schlankes, starres und doch auch elastisches lag in ihrer rechten Hand. Sie hatte ihren zauberstab noch. Jetzt erkannte sie auch, daß sie nicht gegen etwas, sondern auf etwas gedrückt wurde, besser, daß sie auf einer flachen, harten Unterlage ruhte. Sie ließ den Zauberstab los, der neben ihr auf der Kalten Fläche landete. Kalte Fläche? Woran erinnerte sie das? Sie faßte behutsam mit den Händen nach ihrem Gesicht. Ihre Finger hatten noch ihre volle Tastempfindung, und die Haut in ihrem Gesicht empfand die Berührung und die Wärme der Hände und fühlte sich glatt und gesund an. Sie tastete nach ihren Augenlidern. Sie fühlten sich an wie sonst auch. Vorsichtig öffnete sie ein Auge. Es blieb immer noch dunkel. Sie öffnete das andere Auge. Totale Dunkelheit umgab sie. Dann hatte dieser Lichtschlag sie tatsächlich erblinden lassen? Sie wollte es noch nicht glauben. Sie tastete nach ihrem Zauberstab, ergriff ihn wieder und hob ihn an. Im selben Moment ploppte es. Ein Lichtstrahl durchbohrte die Dunkelheit, warm und hell, aber nicht schmerzend. Doch da war noch etwas kribbelndes mit dem herrlichen Licht angekommen. Sie fühlte, wie ihr etwas gegen den Brustkorb drückte, als wolle es sich darin eingraben. Dann erkannte sie die Trägerin des leuchtenden Stabes, und diese sah sie erschrocken, dann erstaunt an.

"Höchste Schwester? Anthelia?" Fragte die gerade hereingekommene Hexe.

"So heiß ich wohl noch", sagte sie. Dann setzte sie sich auf. Jetzt wußte sie, wo sie war. Sie hatte sich auf dem langen Steintisch wiedergefunden, auf dem sie in diesen Körper übergegangen war. Wie lange mochte das jetzt her sein? Sie sah die angekommene Hexe an, Patricia Straton. Sie hatte sich nicht verändert, seitdem sie mit ihr zum Haus ihrer Eltern aufgebrochen war

"Welchen Tag schreiben wir heute, Schwester Patricia?"

"Der achtundzwanzigste Juli neunzehnhundertsiebenundneunzig, höchste Schwester. Offenbar hat Daianira euch ohne es zu Wollen hierher zurückgeschleudert", sagte Patricia Straton und beäugte Anthelia noch einmal. Diese betastete sich. Sie war vollständig bekleidet und trug außer dem Zauberstab auch ihre beiden wichtigsten Hilfsmittel bei sich, Dairons Medaillon und seinen Gürtel der zwei Dutzend Leben.

"Irgendwas hast du an dir, was mich stört", schnarrte Anthelia und sah Patricia an, die rein äußerlich wie eine sommerlich gekleidete Muggelfrau in leichten Halbschuhen, blauen Bermuda-Hosen und einem hellen Oberteil aussah.

"Lady Daianira ist nach dem Schlag gegen euch ohnmächtig geworden. Ich habe mir ihren sonnigen Glücksbringer angeeignet, höchste Schwester", sagte patricia ganz ruhig, als sei das kein überlebenswichtiges Geheimnis für sie. "Ich weiß nicht, warum es dich nicht mag. Aber ich fühle auch was, als wolle es mich warnen oder mir Zuversicht einflößen, das mir trotz irgendwas gefährlichem nichts passieren kann."

"Daher wußte sie auch, daß wir kommen", knurrte Anthelia. "Der ganze Überraschungsmoment ist wegen dieses vermaledeiten Goldbrockens verdorben worden, und sie konnte mich damit außer Gefecht setzen. Lege es ab!"

"nein, das werde ich nicht", erwiderte Patricia unverhofft aufsässig. "Ich habe es in der Annahme an mich genommen, daß du womöglich vernichtet worden seist und ich mich nicht auf Lady Daianiras Gnade verlassen wollte. Das Leben meiner Familie stand auf dem Spiel, und so habe ich das Medaillon an mich genommen, wenn es gegen diese Nyx geht."

"Die Präsenz dieses goldenen Undings stört mich, Patricia. Lege es ab!" Befahl Anthelia.

"Vorsicht, höchste Schwester! Ich weiß nicht, ob das Medaillon dich nicht als meine Feindin ansieht, wenn du mir drohst oder wirklich was tust." Wie zur Bestätigung glomm unterhalb von Patricias Brüsten ein schwacher, goldener Schimmer, der jedoch nach fünf Sekunden wieder erlosch, als Anthelia ihre erste Wut niedergerungen hatte.

"Ich fürchte, so verhält es sich", schnaubte die Führerin des Spinnenordens. "Aber ich fürchte auch, daß Daianira es bemerkt hat, daß du sie bestohlen hast. Sie wird vielleicht nicht wissen, wer es war, aber danach suchen."

"Sie weiß, daß sie es nicht mehr hat, höchste Schwester. Aber ich habe dafür gesorgt, daß sie davon ausgeht, es sei bei der magischen Entladung gegen dich zerschmolzen. Es hatte ihr auch tatsächlich eine tiefe Brandwunde verpaßt."

"Dann wird sie sich wohl im Bezug auf Nyx sehr kleinlaut verhalten", grummelte Anthelia. "Aber du kannst mit dem Medaillon nichts anfangen, weil du seine Geheimnisse nicht kennst", sagte die höchste Schwester des Spinnenordens.

"Im Moment genügt es mir, daß es mich vor Vampiren schützen kann", erwiderte Patricia. Daß sie in Wahrheit mehr als genug über das Amulett der Inkas wußte brauchte sie Anthelia nicht zu sagen. Sie konnte ihre Gedanken gut genug verhüllen, um sie nicht merken zu lassen, daß sie mehr wußte, als Anthelia lieb sein konnte.

"Was ist mit den Aufzeichnungen deiner Mutter?" Fragte Anthelia"

"Ich habe sie geborgen und studiert, höchste Schwester. Meine Mutter hat sie nur für mich hinterlassen und Vorkehrungen getroffen, daß ich sie in mein Gedächtnis aufnehmen kann, um dann alles zu vernichten. Meine Mutter bestand darauf, daß nichts in andere Hände oder Erinnerungen als meine eigenen gelangt", erzählte Patricia ganz ruhig. "Ich bin gerne bereit, dich an dem teilhaben zu lassen, was ich erfahren habe, höchste Schwester. Aber ich werde das Andenken meiner Mutter ehren und befolgen, was sie mir aufgetragen hat und nur die Sachen weitergeben, die für unsere Sache wichtig sind."

"So, und du hast alle Aufzeichnungen vernichtet, ohne dich einen Moment zu fragen, ob ich nicht doch noch überlebt haben könnte?" Entrüstete sich Anthelia. Da war ihr, als dränge ihr Seelenmedaillon sie in eine Richtung von Patricia Straton fort. Gleichzeitig fühlte sie eine Hitze in sich aufsteigen, die nicht allein von der entfachten Wut herrührte.

"Es war von dir nichts mehr übrig, höchste Schwester. Ich mußte davon ausgehen, daß das Sonnenmedaillon dich restlos vernichtet hat. Sicher hätte ich die Aufzeichnungen nach dem Lesen wieder in den Geheimkeller zurückgebracht, wenn ich gewußt hätte, daß du überlebt hast, ja ganz unversehrt geblieben bist", erwiderte Patricia ganz frei heraus. Das Anthelia sie wütend anfunkelte berührte sie wohl nicht sonderlich.

"Wie umfangreich waren die Aufzeichnungen, Schwester Patricia?" Forschte Anthelia nach.

"Ein paar dicke Ordner mit niedergeschriebenen Erinnerungen über das, was Lady Daianira ihr im Vertrauen und für Nachforschungen erzählt hatte, so wie die geheimen Berichte über die größten Widersacher der entschlossenen Schwestern. Daher weiß ich jetzt auch, wie der Emporkömmling mit vollständigem Namen heißt, wer seine Eltern waren und warum er wohl so voller Haß ist."

"Dies teilte mir deine Mutter bereits mit", knurrte Anthelia. "Ich verstehe auch, daß du nach dem Versuch Daianiras, diese Aufzeichnungen zu erbeuten, sehr gerne alles vernichtet hast, nachdem du es gelesen hast. Ich gehe davon aus, deine Mutter hat dir einen Gedächtnisverstärkungstrank überlassen, um den Inhalt mehrerer Bücher oder Akten auswendigzulernen." Patricia nickte. "Dann bist du jetzt die lebende Ausgabe dieser letzten Niederschriften deiner Mutter", grummelte Anthelia. "Will sagen, ich muß mit dir weiterhin gut auskommen, wenn ich von ihren Errungenschaften weiterprofitieren will." Patricia nickte. Anthelia sah die Mitschwester an, die sich wohl Chancen auf die zweithöchste Stellung im Spinnenorden ausrechnete. Sie versuchte, Patricias Erinnerungen herauszulesen. Doch ein Schmerz wie ein elektrischer Schlag durchzuckte sie, als sie Patricias Blick festhielt. Gleichzeitig explodierte vor ihren augen eine weißgelbe Lichtentladung. "Offenbar schützt dich dieses goldene Funkelding Daianiras gegen meine mentalen Künste", schnaubte Anthelia ungehalten. "Leg es ab!"

"Ich sagte dir schon, daß ich das nicht tun werde, höchste Schwester. Es sei denn, du legst das Seelenmedaillon auch nieder. Dann würden wir beide gleichberechtigt einander gegenüberstehen", erwiderte Patricia. Anthelia hob den Zauberstab an. Ihr Seelenmedaillon zitterte jetzt sehr wild und hieb gegen ihren Brustkorb. Unwillkürlich trat sie einen Schritt von Patricia zurück, unter deren hellem Oberteil ein goldener Lichtschein hervordrang, der wie die Sonne hinter einer hauchdünnen Wolkenschicht wirkte. Anthelia senkte ihren Zauberstab wieder. Die beiden Medaillons beruhigten sich auch wieder. Anthelia versuchte, mit ihren Telekinetischen Kräften an das Amulett der Sonne zu rühren und bekam postwendend eine Entladung stechender Schmerzen in ihrem Kopf ab. Patricia sah sie aufmerksam an.

"Wie du sagtest, höchste Schwester, bin ich jetzt die lebendige Ausgabe der Sachen, die meine Mutter niedergeschrieben hat. Offenbar kannst du mir das Medaillon nicht wegnehmen und mich nicht dazu zwingen, es abzulegen. Erpressen kannst du mich auch nicht. Meine Familie ist jetzt in Sicherheit. Ich riet ihnen in Verkleidung, den Fidelius-Zauber zu benutzen, allein schon wegen Lady Daianira. Mittlerweile haben sie es getan. Denn ich weiß nur, daß sie in Sicherheit sind, aber nicht, wo."

"Was rechnest du dir aus, Schwester Patricia?" Fragte Anthelia nun sehr verdrossen klingend.

"Nicht mehr und nicht weniger als daß ich keine Strafen und keine anderen Nachstellungen von dir zu befürchten habe und daß wir beide auf derselben Augenhöhe zusammenarbeiten, wie du es mit meiner Mutter getan hast, die in gewisser Weise deine zweite Mutter wurde, wie Izanami, Delila, Charity und ich. Ich respektiere deine Macht und dein Wissen, höchste Schwester. Aber respektiere du bitte auch, daß du alleine nicht viel ausrichten kannst, wenn du nur auf deine Führungsrolle pochst. Wir beide können und müssen viel ausrichten. Voldemort oder Tom Riddle, sowie Nyx als auch Daianira, die Abgrundstöchter und Leute, die wir im Moment nicht für gefährlich halten, werden das nicht hinnehmen, wenn wir der Welt Sardonias alte Ordnung aufladen wollen. Du hast selber gesagt, daß wir nicht so sein wollen wie der Emporkömmling und mit bloßer Gewalt an die Macht kommen wollen. Er steht kurz davor, in England an die Macht zu kommen, höchste Schwester. Ich las im Westwind vom Morgen, daß er sich gestern eine Luftschlacht mit Ministeriumsleuten über Surrey in England geliefert hat. In Surrey steht das Haus, in dem Harry Potter zu Hause ist. Offenbar befanden Leute, die es gut mit ihm meinen, daß er dort nicht mehr lange sicher ist. Ob der Emporkömmling den Jungen erwischt hat weiß ich nicht. Scrimgeour hat in die Welt gesetzt, es sei alles in Ordnung. Cartridge hat sich gestern abend auch mit Wishbone darüber gehabt, ob wir, also die Staaten, uns in die europäischen Sachen einmischen sollen oder nur bei uns für Ruhe sorgen. Es ging auch um unsere Schwesternschaft. Wishbone hat uns wohl schon auf seine Liste dringender Angelegenheiten gesetzt."

"Soso, man hat uns also zu Staatsfeinden erklärt", erwiderte Anthelia lächelnd. "Wie gut stehen Wishbones Chancen?"

"die Solidarität mit den anderen Ländern ist hierzulande noch recht groß. Wenn aber Sachen wie die Machterhebung von Nyx und wir denen hier das Gefühl geben, jemand mit mehr Durchsetzungswillen und besten Absichten für die amerikanischen Staatsbürger müßte her, würde Wishbone wohl die erforderliche Mehrheit kriegen."

"Hat Schwester Donata auch schon erwähnt. Bei der Gelegenheit: Was weiß sie von meinem Zusammenstoß mit Daianira?"

"Da ich mich gestern Abend mit dem Vermächtnis meiner Mutter befaßt habe, weiß ich nicht, ob Lady Daianira sie und die anderen Entschlossenen einbestellt hat, um ihnen den Sieg über dich zu verkünden", erwiderte Patricia.

"Sollte sie dies wirklich getan haben sollte ich besser einstweilen in Deckung bleiben, bis mein Eingreifen unmittelbar erforderlich ist. Außer Schwester Donata weiß niemand von deinem Überleben. Ich dachte zwar einen kurzen Moment daran, dein Fortbestehen Daianira zu offenbaren. Doch nachdem du ja in weiser Voraussicht alles, was deine Mutter über sie und vielleicht auch mich zusammengetragen hat in dir angesammelt hast, würde ich meiner Pflicht meiner großartigen Tante gegenüber schmählich versagen. Denn dann könnte sie dich dazu zwingen, dein Wissen preiszugeben."

"Dieser Fluch hindert mich daran, über dich zu sprechen, höchste Schwester", erinnerte Patricia Anthelia daran, was sie selbst damals angestellt hatte, um Verrat zu verhindern. Anthelia nickte lächelnd.

"Aber was Pandora über ihre Zeit vor der Begegnung mit mir niederschrieb ist auch zu wertvoll, um es einer um ihre Rangstellung fürchtenden Hexe zu überlassen. - Ach ja, Donata! Ihr werde ich mich wohl als noch am leben offenbaren müssen. Die anderen Schwestern werden erst von meinem Fortbestehen erfahren, wenn mein Eingreifen unvermeidlich wird. Sei es, daß Nyx zum großen Feldzug wieder uns Tageskinder ansetzt, sei es, daß der Waisenknabe seine schmutzigen Spinnenbeinkrallen nach diesem Land oder dem Land meiner Mütter ausstreckt oder sich diese Töchter, die aus unbesamtem Schoß herausgequollen sind, wieder unübersehbaren Hunger zeigen. Ähnliches gilt auch für Wertiger oder andere Zauberwesen, die der einen oder anderen Feindesmacht dienen. Die Streitmacht meiner Tante wird sich in der Zeit vermehren. Der letzte große Einsatz gegen diesen Naturschänder Bokanowski hat doch viele von ihnen vernichtet."

"Soll ich Donata zu dir schicken?" Fragte Patricia.

"Ich werde sie in eigener Person aufsuchen. Bitte verbirg dich bis zu meinem Ruf bei Virginia! Im Moment kannst du nicht mehr tun", sagte Anthelia nun ganz ruhig. Patricia Straton bestätigte das und disapparierte. Kaum war sie weg, hörte das nervöse Vibrieren und Ruckeln des Seelenmedaillons auf. Anthelia schnaubte vor Wut. Daianira hatte ihr einen gehörigen Dämpfer verpaßt. Sie konnte froh sein, ihren unversehrten Körper noch zu besitzen. Patricia war jung, zaubermächtig und klug, das würdige Vermächtnis ihrer Mutter. Sie hatte sich bisher treu zu ihr verhalten. Sonst wäre sie, Anthelia, heute eine ziemlich machtlose Wasserfrau mit Fischschwanz und Schuppenhaut. Das durfte sie nicht vergessen, daß Patricia damals im Atlantischen Ozean auf sie gewartet hatte. Doch dieses verfluchte Sonnenmedaillon gab Patricia die Macht, gegen sie, die höchste Schwester, aufzubegehren, wann immer sie das für geboten hielt. Anthelia war es nicht gewohnt, gleichstarke Partnerinnen zu haben. In Frankreich, England und nach ihrer Wiederverkörperung hier hatte sie es sehr genossen, daß ihre Mitschwestern unterwürfig und folgsam waren. patricia könnte sich jetzt gegen sie auflehnen. Warum war dieses Sonnenmedaillon ihrem Seelenmedaillon überlegen? Was hatte Daianira gesagt? Sie habe etwas vampirisches an sich. Sie nahm das Medaillon noch einmal vom Hals und betrachtete es. Der Blutrubin in der Mitte glomm im Licht ihres Zauberstabes. Er konnte Vampire beherrschen. Apropos Vampire, konnte es sein, daß Patricia wußte, wie Nyx als Menschenfrau geheißen hatte? Dann fiel ihr noch ein, was Dairon über das Medaillon geschrieben hatte: "Um die Mächte der Nacht zu beherrschen, mußte ich ihre Essenz einwirken. Ich badete den Stein im Blute eines Nachtkindes und ließ dieses darin einsickern, womit es mit dem Silber, das ich in das Schmuckstück einwirkte, Macht über die Kinder des Mondes gewann." Also steckte in dem Medaillon die Lebenskraft eines Vampirs, verstärkt durch den Anteil Silber. Damit wurde Anthelia als Trägerin des Seelenmedaillons zu einem kleinen Teil wie ein Vampir. Womöglich hatte das Sonnenmedaillon sie deshalb nicht vernichtet, sondern nur vertrieben. Aber warum war sie nicht vollständig erblindet? Das lag wohl an Dairons zweitem Vermächtnis, dem Gürtel. Er verhütete den Tod und erhielt den Körper. Gegen Feuerschaden und Blitzschläge schützte er. Offenbar hatte sie Stunden in diesem Raum gelegen, damit der Gürtel die entstandenen Schäden beseitigte und sich dafür wieder erholen mußte. Das sie hier aufgetaucht war war also eine Art Notzauber des Medaillons und des Gürtels gewesen. Sie war an den Ort versetzt worden, an dem ihre Seele und dieser Körper vereinigt worden waren. Dort wo sie ihr zweites Leben begonnen hatte, ermöglicht von ihr sehr treuen Mitschwestern. Da sie hier wohnte befand sie, jetzt erst einmal untergetaucht zu bleiben.

Sie dachte an Cecil Wellington. Hatte er es vielleicht mitbekommen, daß sie von Daianira zurückgeschlagen worden war? Sie nahm das Medaillon und versuchte, sich in Cecils Gedankenströme einzufädeln. Doch auch nach mehreren Minuten bekam sie keinen Kontakt zu ihm. Sie prüfte, ob der Verbindungsfluch zu ihm noch bestand. Das Ergebnis ließ sie fast laut schreiend an die Decke springen. Wie auch immer das Sonnenmedaillon sie bezwungen hatte, die Wechselwirkung hatte die Verbindung zu Cecil Wellington durchtrennt. Ob sie unwiederbringlich war, wußte Anthelia nicht. Doch sie mußte die Möglichkeit einbeziehen, daß der Jüngling entweder tot war oder von der freigewordenen Kraft des Sonnenmedaillons aus dem Bann gerissen wurde und vielleicht einen Rest der Kraft in sich trug, mit der Anthelia gestern unliebsame Bekanntschaft gemacht hatte. Sicher konnte sie ihn aufsuchen. Aber die gedankliche Verbindung war erst einmal unterbrochen. Daianira hatte ihr ohne es zu wissen einen Kundschafter entzogen. Sie wollte gerade darüber nachdenken, ob sie Cecil jetzt aufsuchen sollte, als es im Keller ploppte und Donata Archstone vor ihr stand.

"Höchste Schwester, Nyx ist viel mächtiger als wir dachten", sagte sie und gab Anthelia die Kopie eines Berichtes, den sie gerade für den Minister verfaßt hatte. Anthelia las ihn und fühlte sich dadurch nicht besser.

"Tatsächlich ein Artefakt der Dunkelheit", sagte sie. "Die lebensraubende Kraft des aramäischen Todesfluches kehrt sich gegen den, der ihn wirkt. Nach der Schilderung dieses Thorntip zerstreut die Kraft den Zauberkundigen und einverleibt ihn dem Mitternachtsdiamanten."

"Ich vermute, sie hat ihn da versteckt, wo wir Hexen normalerweise neue Menschenkinder aufbewahren, bevor sie groß genug für die Welt sind", knurrte Donata. "Da kann ihr den keiner ohne Gewalt rausreißen, und sie wird wohl zu stark für gewöhnliche Menschen sein." Anthelias Gesicht hellte sich auf. Dann mußte sie sogar grinsen:

"Das eröffnet für sie jedoch auch ein gewisses Problem. Der Mitternachtsdiamant wurde von einem frauenhassenden Magus erschaffen, wie ich mittlerweile weiß. Falls der Stein durch Todesflüche an Kraft gewinnt, könnte das, was ihm innewohnt sich gegen seine Aufbewahrung wehren oder umgekehrt, sich dort festsetzen. In jedem Fall dürfte das für die nette Nyx kein Grund zur Freude sein."

"kann man sie denn gar nicht töten?" Fragte Donata.

"Wahrscheinlich nur mit etwas, das Macht über den Geist eines Vampirs erhält und etwas, daß stärker den Körper eines Vampirs schädigen kann als die schwarze Aura des Diamanten schlucken kann."

"Was könnte das sein?" Fragte Donata.

"Etwas, das schwer zusammensein will", erwiderte Anthelia orakelhaft.

"Cartridge hat zusammen mit dem Leiter der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe beraten, ob wir jetzt gegen alle Vampire im Land vorgehen sollen, um Nyx eine mögliche Streitmacht zu verwehren", sagte Donata.

"Und wie haben sie entschieden?"

"Das die Blutmondverordnung wieder greifen soll, die vor zweihundert Jahren einmal angewandt wurde, um zweihundert Dunkelmondler zur Strecke zu bringen. Das heißt der Koexistenzvertrag ist rückwirkend zum siebenundzwanzigsten Juli aufgekündigt worden. Cartridge wird das in dreißig Minuten öffentlich verkünden. Auch Wishbone wird dabei sein", sagte die Leiterin der Strafverfolgungsabteilung.

"Habt ihr Nyx und ihre Brut gestern abend verfolgt?" Fragte Anthelia.

"Ich hatte von Cartridge den Auftrag, mit der Rückschaubrille zu suchen. Aber welche Magie immer die Rückschau bewirkt, der Zeitpunkt, an dem Nyx dieses Tanzlokal heimsuchen wollte erscheint als totale Dunkelheit. Offenbar wirkt ein weitgreifender Unortbarkeitszauber und Beobachtungsabwehrbann."

"Mit anderen Worten, wenn wir dieses nützliche Spielzeug wirklich brauchen ist es nutzlos", knurrte Anthelia. Donata nickte.

"Das muß ein Zauber sein, den der Erfinder nicht kannte. Denn selbst wenn sich jemand unortbar macht oder einen Fernbeobachtungsabwehrzauber benutzt, zeigt uns die Rückschaubrille immer noch die natürliche Umgebung dessen, den wir eigentlich verfolgen wollen."

"Der Mitternachtsdiamant stammt aus einer Zeit, wo die Magier ungleich mächtiger waren als wir heute, Schwester Donata", seufzte Anthelia. "In körperlicher Verbindung mit einer Vampirin potenziert sich die Kraft des Diamanten wohl noch viel mehr."

"Das hat der Abend gestern wohl bewiesen", erwiderte Donata. Anthelia nickte. Dann schickte sie ihre Helferin zurück in ihr Büro. Sie sollte ihr noch am Abend berichten, wie die neuen Maßnahmen hingenommen wurden.

__________

Angststürmer holte den letzten der zwanzig bewußtlosen Menschen aus dem vorgestern gestohlenen Kleinlaster. Jetzt hatten er und seine neun Brüder bereits 255 Menschen zusammengetragen. Bisher war niemandem aufgefallen, daß diese in Lumpen gehüllten, vernachlässigten Gestalten fehlten. Und wenn der Meister getan hatte, was er tun wollte, war es eh zu spät, sie zu suchen.

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Nyx war wütend. Auch wenn sie damit gerechnet hatte, daß der Zaubereiminister mit aller ihm möglichen Härte zurückschlagen würde, mißfiel es ihr, daß jetzt ihre Artgenossen von viel zu schnell bereitgestellten Spezialisten heimgesucht und ohne Vorwarnung umgebracht wurden. jetzt, am 29. Juli, wo es heller Tag war, eilten sogenannte Vampirexperten durch das Land und töteten die schlafenden Brüder und Schwestern. Irgendwer hatte diesem Wicht erzählt, was der Mitternachtsdiamant war und daß sie ihn wohl hatte. Jetzt wollte man ihr die Hilfstruppen entziehen, ganz schlicht und einfach. Sie hatten ein widerliches Aufspürgerät bekommen, mit dem sie schlafende Nachtkinder finden und ermorden konnten. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch hier in Kalifornien diese totmacher anrückten. Die Ausstrahlung ihrer Macht mußte die doch anziehen wie den Dunkelmondler das Blut eines Säuglings. Sie hatte dem Minister eine letzte Warnung zukommen lassen, diesen Feldzug umgehend abzubrechen. Doch als sie am Mittag spürte, daß der von ihr aus der ferne kontrollierte Tartaros sein Dasein aushauchte, beschloß sie, diesem Wicht die gebührende Antwort zu geben.

Sie apparierte in Muggelstädten, griff sich dort wahllos einen gerade vorbeispazierenden Menschen und verschleppte ihn in ihre Zuflucht, wo sie ihn unter ihrem Blick beruhigte und dann den nächsten holte. So entführte sie innerhalb von nur einer halben Stunde siebzig Männer und Frauen. Sie fühlte jedoch, wie der Aufenthalt in der Sonne ihr doch gut zusetzte. Außerdem ruckelte der irgendwie größer gewordene Mitternachtsdiamant in ihr herum und sandte leise Forderungen nach mehr Todeskraft und Blut aus. Nyx fragte sich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, den absolut schwarzen Stein in ihrem eigenen Körper zu verstecken. Doch als sie die ersten drei mit der verstärkten Wandelkraft in ihre Artgenossen umwandelte, beruhigte sich ihr Glücksbringer. Als die Sonne unterging, hatte sie zwanzig neue Kinder der Nacht gezeugt und fühlte sich sehr voll. Ihr bleiches Gesicht war voller geworden und hatte einen für weiße Menschen gesunden Farbton angenommen. Sie fühlte sich mehr als satt und meinte, sogar einige Zoll an Bauchumfang zugelegt zu haben. Dennoch führte sie, nun auch mit Haemophilos, Giles und Morpheus die Blutweihe fort. Bald ähnelte sie einer fülligen Menschenfrau in guter Hoffnung. Und so fühlte sie sich auch irgendwie. Als die ersten neuen Kinder der Nacht erwachten, hielt sie eine Ansprache:

"Ich habe euch auserwählt, mein Hofstaat und mein Volk zu werden. Die sonnenverhafteten Menschen dort draußen wollen uns alle ausrotten. Aber wir werden uns schneller vermehren als die uns umbringen können. Ihr seid wie ich alle Kinder der Nacht und werdet lernen, es zu genießen. Ab morgen werden wir alle hinaus in die Städte und Länder ziehen und die dreißig hingeschlachteten rächen. Die Welt gehört den Kindern der Nacht."

"Und du bist die Königin der Nacht?" Fragte ein Jüngling, der wohl gerade erst siebzehn Menschenjahre alt geworden war.

"Wenn du das so siehst, ja", erwiderte Nyx erfreut lächelnd. Ruhe herrschte in der großen Halle. Da fühlte Nyx, wie ein weiterer Artgenosse starb, und es tat ihr richtig weh. Denn es war Erebos, ihr erster Sohn. Offenbar wollte er gerade hinaus um sich seine Nahrung zu suchen, als ihn vier Eichenbolzen und drei Zauber zugleich erwischt hatten. Sein telepathischer Todesschrei hallte lange in ihrem Bewußtsein nach. Das war zu viel für sie. Jetzt wurde sie richtig wütend.

"Ihr bleibt hier, während ich den Verursacher unserer Pein bestrafe", knurrte sie. Alle standen da, ihr völlig unterworfen. Dann disapparierte sie, nicht ahnend, daß sie damit den Ortungsschutz preisgab, in dem ihre neuen Kinder vor den Heschern sicher waren.

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Cartridge wußte, daß er sich mit dem Blutmonderlaß eine Todfeindin geschaffen hatte. Zwar arbeiteten die von diesem Quinn Hammersmith aus dem Laveau-Institut erfundenen Weißblutkonzentrationsdetektoren oder auch Vampirfinder ausgezeichnet und hatten seinen Armbrustschützen und Fluchexperten am Tag schon über dreißig Vernichtungserfolge beschert. Aber Davidson hatte eindringlich gewarnt, daß die offenbar übermächtige Vampirlady in der Nacht zurückschlagen würde. Dann waren von Nancy Gordon aus dem Muggelverbindungsbüro noch beunruhigende Nachrichten eingegangen, daß ein in tiefschwarzen Hauch gehülltes Phantom in mindestens drei Städten der Muggelwelt gesehen worden sei, wie es aus dem Nichts erschien, den nächstbesten Menschen, egal welchen Geschlechtes, zu sich heranwinkte und dann mit ihm im Nichts verschwand. Cartridge wußte genau, was das hieß. Die schwarze Aura um Nyx schützte sie auch vor der Sonnenstrahlung, und sie fing sich einfach neue Truppenmitglieder. Diese würden aber wohl nicht vor Anbruch der Dunkelheit zum neuen Leben erwachen. Doch wenn sie diese Taktik beibehielt und an ihrem Wohnort nicht aufgespürt werden konnte, vermochte sie, die Erfolgsquote sehr schnell in den Minusbereich zu treiben und mit jedem erlegten Vampir zwei oder drei Neue in die Welt zu setzen. Neben der Geheimhaltung für die Zaubererwelt standen also auch hunderte von Menschenleben auf dem Spiel. Genauso hatte Davidson argumentiert. Doch Wishbone hatte wie er selbst darauf beharrt, der Ausbreitung dieser Wesen so rigoros wie möglich entgegenzuwirken. Zumindest hatte er auf Davidson gehört und seine Frau und den kleinen Maurice in das neue, sichere Haus des Laveau-Institutes bringen lassen, wo eine Unmenge an Schutzzaubern gegen Fernflüche und dunkle Kreaturen schützte. Er erinnerte sich noch an die Meldungen über Ardentia Truelane und Jane Porter. Die waren in einem ähnlichen Haus ums Leben gekommen. Aber das lag daran, daß Jane Porter einen tückischen Fluch nicht unterbinden konnte.

"Minister, wir haben die Schutzzauber um ihre Privaträume verstärkt", sagte einer der Zauberer, die für innere Sicherheit zuständig waren. Cartridge nickte und wollte gerade los und in seine Unterkunft, als ihn der Mitarbeiter von hinten niederschlug. Dann nahm er dem Minister den Zauberstab ab und warf ihn in eine Ecke, zusammen mit einem Zettel, den ihm jene geheimnisvolle, füllige Frau im Foyer in die Hand gedrückt hatte, bevor sie ihn mit ihren blutunterlaufenen Augen angesehen hatte. Da die Alarmzauber des Ministeriums nur auf von Zauberstäben ausgehende Flüche abgestimmt waren, bekam niemand mit, wie ein treuer Sicherheitsmitarbeiter in wenigen Sekunden zum Verräter und Beihelfer wurde. Jetzt zog der unter einem fremden Willen stehende Mitarbeiter den bewußtlosen Minister hinter sich her zum Fahrstuhl. Er sollte ihn zum Notausgang aus dem Berg bringen. Da er die geheimen Notausgänge kannte, war es kein Problem für ihn, den Minister auf den Schultern unbemerkt hinauszutragen. Doch so ganz unbemerkt war es dann doch nicht.

__________

Für genau zwanzig Sekunden war die Bildüberwachung des Foyers ausgefallen. Donata Archstone saß im Kommandoraum und ließ sofort nachprüfen, was war. Dann mentiloquierte sie: "Höchste Schwester, du hattest recht. Sie hat sich hergewagt."

"Ich komme!" Kam die Gedankenantwort Anthelias.

"Madam Archstone, die Bildverpflanzungszauber waren durch einen mindestens hundert Meter durchmessenden Bereich der Unortbarkeit überlagert, der offenbar appariert und dann wieder disappariert ist."

"Wir hätten die Sperren einrichten sollen", knurrte Donata Archstone. "Alle Gänge überwachen. Wo wieder so'n Dunkelfeld auftaucht Feuerwände hochziehen!" Sagte Donata. Gleichzeitig trötete etwas wie eine Blechdose auf dem Schreibtisch, das nach der Idee eines Muggeltelefons hergestellt worden war. "Madam Archstone, haben große Ansammlung von Vampiren bei Los Angeles geortet. Waren auf einmal in unseren Vampirfindern. Sollen wir angreifen?"

"Sofort mit Feuerkugeln angreifen! Fliegende Patrouille über Zielort postieren. Alles was wie eine große Fledermaus aussieht mit Armbrüsten und Feuerzaubern vom Himmel holen!" Bellte Donata Archstone in die Blechdose.

"Madam, kann Notausgang nicht mehr überwachen!" Rief der Zauberer am großen Überwachungsspiegel. Dann kam von ihm noch die Meldung, daß Floyd und der Minister durch den aus dem vorprivaten Bereich des Ministers verschwunden waren.

"Notausgänge alle verriegeln!" Rief Donata Archstone. "Appariersperren für das ganze Ministerium und Umgebung in fünf Sekunden!"

"Zu Befehl, Ma'am", bestätigte ein Sicherheitszauberer, der an einer Art Schwungrad saß. Damit konnte man wie draußen im Beobachtungshaus bei Muggelannäherung oder bevorstehenden Angriffen eine weitläufige Appariersperre hochziehen. Der Mitarbeiter fragte sich zwar, warum er erst in fünf Sekunden die Sperre aufbauen sollte, als dreißig weitere Vampirjäger aus dem Foyer disapparierten, die im Konferenzraum die Anweisungen für die Nacht bekommen hatten.

"Notausgang wird mit Reducto-Flüchen belegt!" Rief Prescott, der Überwacher der Sicherheitszauber. Da wurde auch schon die Appariersperre eingerichtet.

"Wie stark du als Vampirin auch bist, Mädchen. Als Hexe hängst du jetzt fest", dachte Donata Archstone. Sie hoffte nur, daß Anthelia bereits am vermuteten Zielort ankam.

"Haben alte Muggelfabrik ausgemacht. Greifen an!" Trötete der Einsatzleiter einer Vampirbekämpfungstruppe aus der Fernsprechdose.

"Da war sie wohl versteckt", knurrte Preescott, der mitgehört hatte. "Wer da noch ist wird jetzt eingeäschert."

"Freuen Sie sich bitte erst, wenn wir den Minister wiederhaben und er noch normale Zähne im Mund hat!" Fauchte Donata Archstone.

"Notausgang wurde gesprengt! Notausgang aufgesprengt!" Rief Prescott.

"Ja, ich kann noch gut hören", schrillte Donata Archstone zurück. "Blutmondeinheit vier ist schon unterwegs", fügte sie etwas freundlicher hinzu.

__________

"Bollidius!" Riefen zehn Zauberer und fünf Hexen, die sich rund um vier große Gebäude verteilt hatten. Gerade ging das Tor auf, und fünf bleichgesichtige Gestalten rannten mit raubkatzenhafter Geschwindigkeit hinaus. Da fauchten fünfzehn blau-grüne Feuerbälle aus fünfzehn Richtungen genau auf die vier Bauwerke zu und detonierten in fünfzehn weit ausladenden, rotgoldenen Feuerwolken. Ein Feuerball erwischte die gerade in die Hocke gegangenen fünf Vampire voll. Da Feuer und Feuerzauber der Sonne selbst verwandt waren war das das Ende für die fünf. Sie vergingen zu Asche, noch ehe sie registrieren konnten, was da passiert war. Im gleichen Moment standen alle vier Häuser in hellen Flammen, wankten und stürzten gelbglühend zusammen. Vereinzelte Schreie waren zu hören. Doch diese gingen im Tosen der entfesselten Feuerzauber unter.

"Aufpassen, wenn da noch wer rauskommt!" Rief der Leiter der Einsatztruppe und blickte auf die Zifferblattähnliche Glaskuppel auf einem gurkenförmigen Silberding. Gerade sprang ein Zählwerk auf Null um, und der gerade eben noch nach vorne ausgerichtete Zeiger drehte sich nun stetig im Kreis. Das hieß, in einer Umgebung von zweihundert Kilometern gab es keine lebenden Vampire mehr.

"Okay, die Silbergurke sagt, hier gibt's keinen Nachtschwärmer mehr", rief der Einsatzleiter. Neu ausschwärmen zur Ortung!"

"Das war ein Volltreffer", sagte einer der Blutmond-Patrouillenzauberer. "Hoffentlich haben wir da auch nur Blutsauger ausradiert."

"Bei der Zahl gab es da keinen lebenden Menschen mehr", beruhigte ihn sein Anführer.

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Nyx lauerte vor dem Notausgang. Sie hörte es rasseln und knirschen. Jemand hatte den Eingang verschlossen. Unmöglich! Niemand konnte wissen, daß sie hier war. Womöglich hatte irgendein ihr unbekannter Meldezauber die Bewußtlosigkeit des Ministers außerhalb seiner Schlafräume weitergegeben. Damit hätte sie an und für sich rechnen müssen. Dann fühlte sie, wie etwas lebendiges hinter ihr auftauchte, aus dem Nichts heraus und dann sofort nach oben steigend. Gleichzeitig krachte es von innen gegen die Notausgangtür. Dann wieder. Risse bildeten sich auf der Tür. Doch im Moment mußte sich Nyx auf das konzentrieren, was hinter ihr vorging. Sie warf sich herum und streckte ihre besonderen Sinne aus. Da kamen zwei Hexen in Kapuzenumhängen auf Besen herangeflogen. Weiter links rückten gerade zehn Zauberer aus, die mit Vampirabwehramuletten behangen waren. Deshalb konnte sie sie nicht deutlich erkennen, weil sie noch zu weit fort waren. Die beiden sie anfligenden Hexen trugen auch etwas bei sich, was eine irritierende Aura um sie legte. Nein, so irritierend war das nicht. Und sie konnte eine der beiden sogar erkennen und auch diese Aura, die nicht rein menschlich war und sie entfernt an die Aura ihrer eigenen Artgenossen erinnerte. Das war Anthelia. Ihre Begleiterin trug etwas bei sich, was Nyx zu gut kannte. Sie fühlte auch aus der Ferne, wie diese unerträgliche Abneigung in ihr hochkam. Diese Hexe hatte das Sonnenmedaillon der Inkas.

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"Wie hieß die noch mal, Schwester Patricia?" Fragte Anthelia, die in einem gewissen Abstand neben Patricia Straton herflog.

"Geboren wurde sie als Griselda Hollingsworth!" Rief Patricia zurück. Anthelia schmunzelte unpassenderweise. Mit den Hollingsworths verband sie interessante Erfahrungen. Allerdings hatte sie nicht gewußt, daß eine Griselda dabei war, die dann irgendwann zur Vampirin geworden war. Doch nun hieß es aufzupassen und die Gegnerin nicht entkommen zu lassen.

"Schwester Donata hat Blutmondeinheit von uns aus rechts ausschwärmen lassen", mentiloquierte Patricia.

"Zu früh", gedankenknurrte Anthelia zurück. Dann waren sie auch schon fast bei ihrer Gegnerin. Diese wartete offenbar auf etwas. Als rote Funken durch eine herausplatzende Steinluke stoben sah Anthelia auch den Grund. Sie erfaßte die Gedanken des beeinflußten Mitarbeiters und wußte, er würde den Minister auf jeden Fall ausliefern. Nyx sprang auf den Mitarbeiter zu. Anthelia erfaßte, was sie ihm befahl. Er sollte sie mit dem Todesfluch angreifen und dabei selbst sterben. Anthelia kam ihm jedoch zuvor und streckte ihn mit einem Schockzauber nieder. Der Minister rutschte zu Boden. Anthelia sah Nyx, wie diese zähnefletschend auf sie zurannte. Der Minister lag ohnmächtig am Boden. Anthelia versuchte, Nyx mit ihrer Telekinese zu stoppen. Doch die sonst so wirksame Gedankenkraft prallte auf heftigen Widerstand. In diesem Moment jedoch krümmte sich Nyx vor Schmerz zusammen. Irgendwas hatte ihr wohl einen gehörigen Schlag versetzt. Anthelia zögerte nicht mehr. Sie zog das Seelenmedaillon unter ihrem rosaroten Umhang hervor und richtete den Blutrubin auf Nyx.

"Griselda Hollingsworth! Verharre untätig wo du bist!" Rief Anthelia. Nyx starrte auf den plötzlich aufleuchtenden Rubin. Anthelia sprang vor und drückte ihr den Zentralstein ihres Medaillons an den Kopf. Nyx schrie wieder auf, und Anthelia konnte sehen, wie sich im Unterleib der Vampirin etwas protestierend herumwarf. "Griselda Hollingsworth! Verharre wo du bist!" Befahl Anthelia erneut, als die pechschwarze Aura aus Nyx' Körper austrat. Das Seelenmedaillon glühte hellrot auf und wurde heiß. Die Führerin der Spinnenschwestern wich zurück, weil die übermächtige Aura der Vampirin sie fast erreichte.

"Ich greife an", hörte sie Patricias Gedankenstimme.

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Tyler, der Führer der dritten Blutmond-Patrouille, traute seinen Augen nicht. Zwei Hexen griffen die offenbar übermächtige Vampirin an. Eine hielt ihr ein Ding wie ein Amulett entgegen und schaffte es sogar, es ihr an den Kopf zu drücken. Doch dann mußte sie zurückweichen. Da war die zweite Hexe heran und streckte der Blutsaugerin ein goldenes Amulett entgegen und rief etwas. Schlagartig erstrahlte das fremde Kleinod in einem grellen Schein wie pures Sonnenlicht. Die Vampirin wurde regelrecht im Licht gebadet. Doch auch die andere Hexe schien davon betroffen. Sie zitterte ein wenig. Doch dann richtete sie dieses nun nicht glühende Amulett auf Nyx und rief ihr wieder was zu. Eine graue Dunstwolke umgab die Vampirin, die sich vor unerträglichen Schmerzen krümmte. Sie schaffte es, sich herumzudrehen. Doch sie wirkte sichtlich geschwächt und nun nicht mehr so füllig wie eben, als habe etwas ihr Körpermasse abgesaugt.

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Das war die Hölle auf Erden. Erst die Annäherung dieses Medaillons der Inkas und dann der plötzliche Todesschrei ihres Mannes und ihrer Kinder. Schmerzen explodierten aus ihrer Körpermitte in alle Fasern. Dann hörte sie ihren Namen "Griselda Hollingsworth" mit einer ihren Willen ebenbürtigen Magie. Sie zögerte. Da traf sie auch schon etwas am Kopf und lähmte sie für einige Momente. Da fühlte sie, wie etwas von ihr nach außen floß. Ihr Kleinod wand und drehte sich. Die Klammer, die ihren Willen gerade noch gepackt hielt, zerbrach. "Du gehörst mir!" Brüllte die Tiefe Stimme in ihrem Geist, die mit dem Mitternachtsdiamanten verbunden war. Dann hörte sie eine Beschwörung in einer ihr unbekannten Sprache und schrie auf, weil loderndes Feuer auf ihrer Haut zu brennen schien. "Nein, du bist mein! Dein Leib soll mich behalten", konterte die tiefe Stimme in ihrem Bewußtsein. "Nein!" Rief das dämonische Eigenleben des Mitternachtsdiamanten.

Sie schaffte es nicht, dem Licht auszuweichen, daß sie bei lebendigem Leib auffraß. Dann tönte wieder Anthelias Stimme "Griselda Hollingsworth, ergib dich!" in ihrem Kopf.

"Nein!" Protestierte das Eigenleben des Mitternachtsdiamanten, der sich an seinem Aufbewahrungsort immer wilder herumwälzte. das grelle Licht erfaßte sie wieder. Da fiel ihr ein, die Fledermausverwandlung zu vollziehen. Eine Sekunde später flog sie mit sehr raschen Flügelschlägen davon.

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"Verdammt, die haut ab!" Rief einer der Vampirjäger, als Nyx von einem Moment zum anderen als Fledermaus abhob und davonraste, schneller als ein Besen. Die beiden Hexen, die ihr so zugesetzt hatten, machten kehrt und flogen davon. Tyler wollte ihnen nachsetzen, als die eine, die zuerst angegriffen hatte, ihn mit dem Impedimenta-Zauber in der Luft festnagelte. Hilflos mußte er zusehen, wie die beiden Hexen davonflogen, die eine in Rosa, die andere in weiß.

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Die Vampirjäger konnten der flüchtenden Riesenfledermaus nur einige Hundert Meter folgen, dann disapparierte sie übergangslos.

"Die ist weg!" Rief einer von Tylers Mitarbeitern. Tyler selbst grummelte: "Was Sie nicht sagen." Dann kehrten die erfolglosen Jäger zum Ministerium zurück. Cartridge lag immer noch am Boden.

"Appariersperren aufgehoben!" Trötete es aus der kleinen Blechdose von Tyler. Sofort wurde der Minister in den unterirdischen Komplex zurückgebracht.

"Wo sind die beiden fremden Hexen hin?" Fragte Donata Archstone ihre Kampftruppe.

"Die sind ziemlich schnell geflogen und haben uns mit Impedimenta-Zaubern abgeschüttelt. Außerhalb der Sperrzone sind sie dann ganz fix runter und wohl auch disappariert", grummelte Tyler.

"Wieso hat das solange gedauert, auszurücken?" Fragte Donata Archstone entrüstet.

"Wegen der Notausgangsblockade. Mußten wir erst einmal umgehen", knurrte Tyler. Madam Archstone errötete. Natürlich waren auch die Notausflugsschächte blockiert gewesen. "Verstehe", sagte sie dann noch. "Wir müssen unsere Absicherungen verbessern, damit kein Vampir, wie stark er auch sein mag, hier noch einmal so unbehelligt reinkommt."

"Das dauert mindestens einen Tag", erwiderte Tyler.

"Den kriegen Sie", erwiderte Donata Archstone. Dann suchte sie den Minister auf.

__________

Am nächsten Morgen machten die Zeitungen mit dem Überfall einer Supervampirin auf und erwähnten auch, daß Minister Cartridge wohl Krieg mit allen Vampiren haben wollte. Wishbone warf ein, daß der amtierende Zaubereiminister und die zuständigen Leiter zu hektisch und zu ungeplant gehandelt hätten. Er erwähnte, daß mindestens achtzig Muggel von dieser Vampirin heimgesucht worden seien und wohl damit zu rechnen sei, daß jetzt jeden Tag so viele sterben würden. Anstatt eine großangelegte Vampirvernichtungsaktion zu starten hätten sie besser daran getan, alle Hellmondvampire zu bitten, sich an sicheren Orten zusammenzufinden und ihnen Zugeständnisse im Bezug auf die Nahrungsversorgung mit Tierblut zu machen. Ein ungennant bleibend wollender Vampirjäger sagte dann aus, daß die Aktion gelungen sei, weil es in den USA keinen lebenden Vampir mehr gebe. Doch das Thema der beiden fremden, verkleideten Hexen, die am Ort des Geschehens gesehen worden waren wühlte weiter Staub auf. Der Westwind fragte, ob das dieselbe Hexensororität sei, die bereits Hallitti erledigt habe. Der Kristallherold fragte, ob das Zaubereiministerium sich immer nur darauf verlassen wolle, daß außerministerielle Hexen, deren wahre Absichten man nicht kenne, die Großbrände lösche. Anthelia las diese Meldungen und dachte an den morgigen Tag. Diese Schlagzeilen und die dahinterstehenden Ereignisse würden Cartridge das Amt kosten. Doch der Minister ließ schon gegen Mittag in einem Extrablatt beider Zeitungen und im magischen Rundfunk veröffentlichen, daß er die volle Verantwortung für die getöteten Muggel übernehme und den sogenannten Blutmonderlaß zurückgenommen habe. Gleichzeitig verkündete er seinen Rücktritt und präsentierte Wishbone als seinen Nachfolger.

"das wird bestimmt sehr erheiternd", dachte Anthelia.

__________

Nyx saß in einer Höhle, die sie früher schon häufig als Ruheplatz benutzt hatte. Sie war fast getötet worden. Sie hatte alle ihre Nachtkinder verloren, einschließlich ihres Ehemannes Haemophilos. Der kurze Krieg hatte auf beiden Seiten Verluste gefordert. Das hatte sie so nicht gewollt. Dennoch wollte sie ihr Reich wieder errichten. Aber sie wollte denen vorgaukeln, daß sie erst einmal am Ende war. Die Königin der Nacht würde wiederkommen, aber diesmal besser abgesichert.

__________

"Schönes Zimmerchen hier", hörte Wishbone die Gedankenstimme seiner Tante. Er blickte auf die schwarz-goldene Katze mit stahlblauen Augen, die ihn sehr zufrieden anblickten. ,

"Ich kriege noch Ärger, wenn rauskommt, daß meine Tante eine unregistrierte Animaga ist", gedankenantwortete der neue Zaubereiminister und rieb sich verstohlen Ring- und Mittelfinger. Er fühlte den Siegelring und spürte quasi körperlich, welche Verantwortung daran hing. Er wußte, daß er Feindinnen hatte. Nyx war entwischt, und wieder einmal hatten diese fremden Hexen dem Ministerium auf der Nase herumgetanzt. Er fühlte, das sein Amt in den letzten Jahren nicht gerade wenige Träger gesehen hatte. Das erinnerte ihn an einen Brieffreund aus England, der von Hogwarts behauptet hatte, daß die Lehrerstelle Verteidigung gegen die dunklen Künste jedes Jahr neu besetzt werden mußte. Pole, Davenport, Cartridge und jetzt er, Lucas Wishbone, dessen katzifizierte Tante sich gemütlich auf seinem Schoß niederließ, sich einrollte und schnurrte.

"Ich hoffe, das Schlafzimmer ist wirklich Schalldicht, Honey. Wäre ja zu schade, wenn ich deine Vorzüge nicht auch hier auskosten dürfte."

"Du unersättliches Miezekätzchen. Ich werde jeden Abend einen Klangkerker errichten. Dein Katzenklo ist auch schon fertig, und aus der Küche kriegst du jeden Tag rohes Hühner-, Enten-, Puten- und Kaninchenfleisch und jede Menge Fisch, bis du so rund wirst, daß du rollst."

"Na, wenn ich richtig rund werden will dann nur, wenn du mich auf ganz besondere Weise fütterst, Süßer", schnurrte die Katze gerade laut genug, daß er es hören konnte.

__________

"Feier schön deinen Geburtstag, Harry Potter! Morgen bist du tot", knurrte Voldemort. Er hatte die letzten drei Tage damit zugebracht, bis auf einen alle 343 Menschen rituell zu Tode zu bringen. Jetzt galt es nur noch, Thicknesse als neuen Minister einzusetzen.

Am nächsten Tag sprach der dunkle Lord noch einmal mit seinen treuen Todessern, die er ab übermorgen zu denen, die ihm schon dort dienten, ins Ministerium einbinden lassen wollte. "Ich gehe heute abend hin und versuche es noch einmal, rauszukriegen wo Potter steckt. Spätestens um elf Uhr ist die Ära Scrimgeour vorbei", triumphierte Voldemort.

"Wir haben schon einige Anhaltspunkte, wo der Phönixorden Potter hingebracht haben könnte", sagte Yaxley und reichte seinem Herren eine Landkarte mit Orten, die mit einem roten P gekennzeichnet waren.

"Alles erwiesene Ordensleute. Die kriegen wir dran, wenn das Ministerium Euch gehört, Herr."

"Vor allem Sikes und Genossen sollten erst dann losschlagen, wenn ich alle Zauber vollendet habe. Sonst kriegen die wohl noch Hilfe aus dem Ministerium", knurrte Voldemort.

"Sikes und Sharkey sind von mir gestern noch einmal mit dem Ort vertraut gemacht worden. Aber um das Haus selbst liegen wohl diverse Schutzzauber", sagte ein anderer Todesser."

"Die knackt ihr, wenn die nicht irgendwann so frech sind, meinen Namen zu nennen", lachte Voldemort. Dann ging er noch einmal den Plan der Übernahme durch. Thicknesse sollte sofort das Amt übernehmen, sobald rumging, daß Scrimgeour tot war. Dann sollten die bereits verdingten Beamten ihre Plätze einnehmen. Der Auror Dawlish sollte sich an der Jagd auf Potter beteiligen ebenso Rowle.

Als die Nacht hereingebrochen war ließ Voldemort seinen Verbündeten Maze beim Minister anklopfen. Dieser entriegelte die Tür, und Voldemort stürmte hinein, warf die Tür zu und belegte den Minister mit einem Schweigezauber. Dann baute er einen Klangkerker auf. Eine volle Stunde ließ sich Voldemort damit Zeit, den Minister unter dem Cruciatus-Fluch zu verhören. "Wo steckt Harry Potter?" Fragte er immer und immer wieder. Scrimgeour blieb jedoch hart und antwortete:

"Da wo du ihn nicht findest, Voldemort. Du wirst niemals Minister sein, solange er lebt und solange ich atme."

"Ich will wissen wo Potter steckt!" Schrie Voldemort. Dann reichte es ihm. Er schleuderte dem Minister die letzten zwei Worte entgegen, die dieser im Leben hören sollte. Seine treuen Todesser hatten bereits vor zwei Tagen die Schutzvorrichtungen unterbrochen, die den Minister vor dem Todesfluch schützen sollten. Als der grüne Blitz sein Opfer gefunden hatte, öffnete er die Tür und zischte Maze zu: "Erledigt. Weiter wie geplant. Greift alles an, wo der Bengel stecken soll. Wenn ihr ihn habt, lebendig zu mir bringen.!" Dann tarnte sich Voldemort und eilte durch das Ministerium. In fünf Minuten würden sie wegen Scrimgeour in heller Aufregung sein. Bis dahin mußte er sein letztes Menschenopfer gebracht haben."

Als er aus dem Foyer disappariert war sammelten sich bereits die ersten Umstürzler und belegten die verbliebenen Beamten mit dem Imperius-Fluch oder sagten ihnen an, daß jetzt ein neuer Wind wehte.

Voldemort genoß den letzten Todesschrei, als er den Fluch vollendete: "Wer voll Magie doch nicht in diesem Land geboren, dem sei sein Heil sofort verloren!" Gleißende Blitze umtosten den auf zehn spitzen Holzpfählen aufgespießten Obdachlosen aus Cardiff. Dann starb er, und aus allen Himmelsrichtungen schossen blaue Blitze heran, die dort einschlugen, wo der bedauernswerte Muggel gelegen hatte. Das Ritual war vollbracht.

""Initio Revelatio prohibitum!" Rief Voldemort und deutete auf den Ort, wo gerade die letzten blitze einschlugen. "Wer den Namen Lord Voldemort laut auszusprechen wagt, der sei verraten und gejagt! Executo Revelatio Prohibitum!" Getragen von der düsteren Magie, die er hier auf diesen Punkt gebündelt hatte, breitete sich sein zweiter Fluch über das ganze Land aus. Ab jetzt würde es jedem übel ergehen, der wagte, seinen ruhmreichen Namen laut auszusprechen. Er war am Ziel. Britannien gehörte jetzt ihm. Bald schon würde er alle Wucherungen an Schlammblütigkeit und Blutsverrätern herausgeschnitten haben. Bald schon würde Slytherins Erbe die Zaubererwelt von allen Dieben und Verrätern befreit haben. Heute war Scrimgeour gefallen. Diese Nacht noch würde er Harry Potter töten. Morgen würde er Sophia Whitesand vor sich auf den Knien rutschen sehen und ihn anflehen hören, lieber sie zu töten als ihre gute Freundin Hidewoods. Er kostete die Euphorie aus, bis er fand, im Haus der Malfoys die ersten Erfolgsmeldungen entgegennehmen zu können. Doch als er dort eintraf, erwarteten ihn sehr betrübte Gefolgsleute.

"Wir haben nichts mehr von Sikes, Sharkey und den anderen gehört, Herr", sagte der Todesser, der die zwanzig Mann eingeteilt hatte. "Irgendwas ist da fehlgeschlagen."

"Was denn?" Fragte Voldemort nach.

"Wissen wir nicht, Herr. Sie haben wohl den grindelwald'schen Dom aufgebaut. Aber bisher sind sie nicht wiedergekommen."

"Her, Nachricht aus dem Ministerium, mehrere Hexen und Zauberer an erwähntem Ort", meldete ein im Kamin auftauchender Kopf. Voldemort zog seinen Zauberstab und wollte gerade einen Fluch auf den körperlosen Kopf schleudern, als dieser auch schon wieder verschwunden war. Eine halbe Stunde später fand sich Wickott, einer der ausgeschickten aus den unteren Reihen ein.

"Herr ich weiß nicht wie. Aber als ich in Nebelform in das Haus eindrang, erwischte mich ein Zauber, der mich weit davon entfernt schleuderte. Dann konnte ich nicht mehr zurück."

"Du willst sagen, daß irgendwer in diesem Muggelhaus einen Zauber konnte, der dich verbannte und nicht mehr an sich heranließ?" Fragte Voldemort.

"Leider, Herr. Ich weiß nicht wie ... Aaaaarrg!" Die unerträglichen Schmerzen des Cruciatus-Fluches ließen seine Worte in einem schrillen Schrei münden.

Als dann noch Rowle und sein Kumpan zurückkehrten und berichteten, daß sie in eine Gaststätte für Muggel gegangen waren, weil jemand den Namen des dunklen Lords ausgesprochen hatte, aber dort niemanden ergreifen konnten, war für Voldemort das Maß voll.

"Ihr Stümper, allesamt!" Brüllte Voldemort. "Draco, komm her und zeig deinem Herrn, was du gelernt hast!" Fauchte er und deutete auf Draco, der eingeschüchtert nähertrat. "Den Cruciatus-Fluch, Draco!" Bellte Voldemort.

Als er dann eine Stunde später erfuhr, daß sämtliche ausgeschickten Todesser, die das Sterlinghaus überfallen sollten tot waren, bis auf den, der verbannt worden war, entlud sich Voldemorts Wut. Er folterte alle, die ihm bei diesem Plan geholfen hatten, tötete den, der als einziger unfreiwillig entwischt war und sprengte das halbe Inventar in die Luft. Narzissa mußte es dann wieder reparieren.

"Mit solchen Idioten geschlagen zu sein habe ich nicht verdient!" Schrillte der dunkle Lord. "Seid euch drüber klar, daß ich euch elende Jammerbande nur noch am Leben lasse, weil ich euch brauche. Wer unbrauchbar wird geht denselben Weg wie dieser Idiot da." Er deutete auf den, der ihm eigentlich nur sagen wollte, daß im Haus der Sterlings jemand gewesen war, der mächtige Vertreibungszauber beherrschte. doch irgendwie schien ihm das nicht so wichtig zu sein. Er würde diese Bande schon erwischen, Potter, den Phönixorden, die alte Hexenbande, ja auch Anthelia. Sein Fluch wirkte. Sie würden keine Hilfe von außen bekommen.

ENDE

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