Eigentlich dachten alle, mit der Beseitigung des Mitternachtsdiamanten und der damit einhergehenden Vernichtung von Griselda Hollingsworth alias Lady Nyx sei die Gefahr eines weltweiten Vampirreiches gebannt. Doch der uralte Zauberstein und Nyx waren so sehr miteinander verwachsen, daß ihr Geist die Vernichtung ihres Körpers überlebte und neuen Halt in einer ihrer direkten Vampirtöchter findet und nun als Blutmondkönigin Lamia die Errichtung des Vampirreiches Nocturnia fortführt. Es gelingt ihr zusammen mit Arnold Vierbein, auch ohne die magische Verstärkung durch den Mitternachtsdiamanten wirksames Vampirwerdungsgift zu erzeugen und damit kleinere Ortschaften zu verseuchen. Ihre Handlanger tragen Arm- oder Fußbänder, die die eigene Ausstrahlung schwächen und somit unortbar machen. Dennoch bekommen die Zaubereiüberwacher in Großbritannien mit, was passiert. Anthelia weiß, daß Nyx eine Nachfolgerin hat. Da sie nicht an zwei Fronten zugleich kämpfen möchte und auch kein Interesse an einem geschwächten Zaubereiministerium hat schlägt sie US-Zaubereiminister Cartridge einen Burgfrieden vor. Dieser springt über seinen Schatten und willigt ein. Währenddessen legt sich Nocturnia mit dem Clan der Wertiger an. Deren Matriarchin Nachtwind regt ein Bündnis zwischen Wertigern und Werwölfen an. Erst die gemäßigten Schweigsamen Schwestern und dann auch Anthelias Spinnenorden erfahren von dieser Zusammenkunft. Anthelia reist mit dem unter dem Unterwerfungszauber des Feuerschwertes Yanxotahrs stehenden Werdrachen Vientofrio nach Indien, wo sie den versammelten Wertigern und Werwölfen eine Zusammenarbeit anbietet, jedoch verlangt, daß die Wergestaltigen keine weiterführenden Pläne nach dem Fall Nocturnias ins Werk setzen. Es kommt zum kurzen Kampf zwischen Vientofrio, Anthelia-Naaneavargia und den Wertigern, bei dem der Drachenmann und die Spinnenfrau ihre Fähigkeiten unter beweis stellen und triumphierend davonziehen. In den Staaten selbst kommen zwei Kinder zur Welt, die bereits vor der Geburt einen entwickelten Geist besitzen. Zum einen ist da Anthony Summerhill, der die Wiedergeburt von Lucas Wishbone ist und von der Öffentlichkeit als eigener Sohn und Vetter zur Kenntnis genommen wird. Zum anderen erwacht die durch eine Verkettung verschiedener magischer Umstände imLeib der zur Zwanzigjährigen wiedergealterten Daianira heranwachsende Austère Tourrecandide aus dem Dämmerzustand des halbfertig entwickelten Gehirns und will zunächst ihr neues Los abwenden, erfährt jedoch von Daianira, die sich durch ausgeklügelte Tricksereien als ihre eigene Tochter Theia ausgibt, was in der Zeit zwischen Tourrecandides Verschwinden und ihrem Wiedererwachen als ungeborene Tochter Daianiras geschah. Sie willigt wohl oder übel ein, ihrer neuen Mutter und deren Großmutter Eileithyia zu helfen und übersteht ihre Wiedergeburt.
Patricia Straton hat wiederkehrende Träume von einer Gruppe aus Säulen, in denen goldene Menschen schweben, die sich Sonnenkinder nennen und dazu auffordern, daß Patricia mit dem Sonnenmedaillon und dem Jungen, den sie damit magisch an sich gebunden hat zu ihnen kommen solle. Der Junge, Cecil Wellington, ist in den Ferien bei seiner Mutter in Frankreich. Sein Vater wird wegen versuchten Auftragsmordes an seinem zweiten, unehelichen Kind und dessen Mutter verhaftet. Der zum Vampir gewordene Mafioso Fabrizio Campestrano zwingt den Enkel des Bertoloni-Clans dazu, ihm Cecil Wellington zu bringen, da seine Herrin Lamia vermutet, er könne mit der magischen Welt in Kontakt stehen. Patricia kann Cecil durch ihre Magie aus dem kleinen Privatflugzeug befreien, mit dem die Mafiosi ihn verschleppen wollen. Das Flugzeug wird darauf durch einen verzögerten Sprengzauber im Flug vernichtet, Cecil damit offiziell für tot erachtet. Mit ihm sucht sie die Stelle auf, wo die Sonnenkinder im jahrtausendelangem Überdauerungsschlaf zubringen. Erst als Patricia mit dem Sonnensohn Gooardarian (großer Abend) und Cecil mit der Sonnentochter Gisirdaria (Kleiner Morgen) geschlechtlich verkehren werden alle Sonnenkinder wach. Cecils Körper wurde dabei jedoch in den Ben Calders zurückverwandelt. Patricia und er sind durch die Erweckung der Sonnenkinder selbst zu Trägern starker Sonnenmagie geworden und ziehen sich mit ihren in den Säulen gefundenen Geschlechtspartnern in das Haus Virginia Hencocks zurück. Anthelia will zeitgleich Lamias Versteck finden. Sie schafft es, eine Solexfolienfabrik auszuheben und herauszufinden, daß die Folien an einen Juri Kamarow gehen, der da selbst ein Bürger Nocturnias ist. Bei der totalen Sonnenfinsternis am elften August versucht sie, Juris Standort zu erfahren und vergißt dabei, daß Lamia oder Nyx ihre wichtigen Gehilfen mit Schmelzfeuerfluch von jeder Form des Verrates abhält. Juri verglüht im blauen Schmelzfeuer. Anthelia ist damit wieder da, wo sie vor der Vernichtung der Solexfolienfabrik stand. Doch die Zaubereiministerien und die Wergestaltigen bleiben auch nicht untätig.
Es war der achtzehnte August 1999. Alle Besucher der Quidditchweltmeisterschaft in Frankreich waren mehr oder weniger glücklich in ihre Heimat zurückgekehrt. Die mitgereisten Ministeriumsfunktionäre hatten in ihren üblichen Beamtentrott zurückgefunden.
Großbritanniens und Irlands Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt betrachtete sich noch einmal im Spiegel seines Badezimmers, das zum gut abgeschirmten Wohntrakt innerhalb des unterirdischen Ministeriumsgebäudes in London gehörte. Der dunkelhäutige Zauberer, der zu den Helden der Schlacht von Hogwarts gehörte, nickte seinem Spiegelbild zu. So konnte er die Unterredung führen, zu der er die gerade frisch von Hogwarts abgegangene Hermine Granger eingeladen hatte. "Restliche Termine?!" Rief er ohne jemanden zu sehen.
"elf Uhr: Termin mit Mr. Amos Diggory wegen Besprechung der Maßnahmen gegen Nocturnia. Zwölf Uhr mittags: Mittagessen. Ein Uhr Nachmittags: Unterredung mit Mr. Mockridge wegen Konflikt zwischen Kobolden und Zwergen am siebten August. Drei Uhr nachmittags: Gespräch mit führenden Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörde über den Stand der Fahndung nach flüchtigen Todessern. Fünf Uhr nachmittags: Teestunde mit Hogwarts-Schulleiterin Professor McGonagall und ihrem Kollegium in Hogsmeade. Sechs Uhr abends: Wochenabschlußkonferenz mit allen Abteilungsleitern im grünen Saal", handelte eine kühle, weibliche Stimme die erfragten Termine ab. Der Zaubereiminister nickte. Routine. An und für sich war das nicht sein Fall, in einem Büro zu sitzen und sich mit irgendwelchen Untergebenen zu unterhalten. Er fühlte sich noch viel zu jung, um einen ruhigen Bürojob zu machen. Doch die Hexen und Zauberer der britischen Inseln hatten ihn mit einer erdrückenden Mehrheit zum ordentlichen Zaubereiminister gewählt. Der Tagesprophet hatte es auf den Punkt gebracht: "99,5 %, das ist eine hundertprozentige Verpflichtung." Wohl wahr, dachte Shacklebolt. Er machte erst ein mißmutiges Gesicht, wenn er daran dachte, was die Kollegen in Frankreich aufgedeckt hatten und was da alles dranhing. Doch dann strahlte er. Diese Affäre ermöglichte es ihm, Ms. Granger ein Angebot zu machen, daß sie unmöglich zurückweisen konnte. Er fürchtete sich zwar davor, die im Falle einer Ablehnung einzig gebotene Konsequenz zu ziehen. Doch er war sehr zuversichtlich, daß es nicht so weit kommen würde.
Mit gut sitzendem, grün-goldenen Umhang, blankpolierter Kopfhaut und glattrasiertem Gesicht verließ der Minister seine Privatunterkunft, die groß genug war, einen Ehepartner und bis zu sechs Kinder zu beherbergen. Wohl auch deshalb mochte er diese für ihn alleine viel zu großen Räumlichkeiten nicht. Aber er war Minister. 99,5 % der zur Wahl gegangenen Hexen und Zauberer wollten ihn als Minister behalten. Das konnte er nicht mehr als für ihn unwichtig oder unrichtig abtun. Also machte der zum Bürodienst verurteilte Frontkämpfer weiter.
Hermine Granger trug ein sehr exquisit geschnittenes, heidelbeerfarbenes Kleid und hatte ihr dunkelbraunes Haar mit Seidenglanzgel in Ordnung gebracht. Sie wirkte ein wenig verwundert, weil der Minister sie persönlich zu sich gebeten hatte und nicht über eine seiner untergeordneten Stellen um dieses Treffen hatte bitten lassen. Außerdem hatte er mit keinem Wort den Grund dieses Vier-Augen-Gespräches erwähnt. Er hatte nur darum gebeten, daß Ms. Granger ihr UTZ-Dokument mitbringen möge. Sie hatte ihm geschrieben, daß sie natürlich zur erbetenen Unterredung kommen würde, es aber auch gewagt, zwischen den Zeilen durchdringen zu lassen, daß sie keinen Ministeriumsposten annehmen wolle, da sie andere Verpflichtungen zu übernehmen gedenke. Jetzt saß die hochbegabte, muggelstämmige Hexe und Abschlußjahrgangsbeste aller vier Häuser von Hogwarts, ja die Abschlußbeste der letzten zehn Jahre überhaupt auf dem Besucherstuhl. Zwischen ihr und dem Minister stand der helle Weißbuchenholzschreibtisch, auf dem Shacklebolt Zaubererweltfotos ihm wichtiger Orte und Personen aufgereiht hatte.
Um die sicher nicht einfach werdende Unterredung aufzulockern begann Shacklebolt damit, Hermine zu ihren Erlebnissen während der Weltmeisterschaft zu befragen und ihre Meinung zum Ablauf der Weltmeisterschaft zu erbitten. Hermine merkte natürlich, daß das nicht der Grund für die Einladung war. Mochte es am Ende gar eine Vorladung sein? Shacklebolt mußte nicht legilimentieren, um zu erkennen, daß jede weitere eher belanglose Konversation den Druck wieder erhöhen würde. So bat er seine Besucherin darum, ihm noch einmal das Hogwarts-Abschlußdokument vorzulegen. "Ich hörte und las zwar, daß Sie die besten Endprüfungsergebnisse der letzten zehn Jahre erzielten, doch ich möchte das gerne in einer geordneten weise und durch eigenen Augenschein nachprüfen."
"Wie ich in meiner Antwort auf Ihre persönliche Einladung ja schon erwähnte fürchte ich, daß ich durch die mir als notwendig erschienenen Verpflichtungen kein wie auch immer geartetes Angebot des Ministeriums annehmen kann", baute Hermine vor. Doch der ehemalige Auror wetterte dies mit einem kurzen Nicken ab. Dann las er die Liste der Prüfungsergebnisse. Sie war ziemlich eintönig, nur unterstrichene Os, was auf überragende Leistungen in jedem geprüften Fach verwies. Dann sagte er:
"In der Tat wäre es sehr schwierig, die von Ihnen geäußerten Talente nur einer Abteilung im Ministerium zugänglich zu machen, weil dies einer Verschwendung der restlichen Fähigkeiten gleichkäme. Andererseits ürde ich gerne wissen, welche Verpflichtungen Sie davon abbringen, sich mit diesem Zeugnis alle sperrangelweit offenen Türen zu verbauen, die Sie hier vorfinden? Ich erfuhr, daß Sie familiären Kontakt mit den Weasleys pflegen, was Ihnen zu diesen überragenden Endergebnissen hier einen problemlosen Einstieg in Mr. Weasleys Abteilung ermöglichen dürfte. Außerdem können sie mit Ihren exzellenten Zaubertrank- und Kräuterkunde-UTZs Karriere in den Abteilungen zur Überwachung magischer Pflanzen und Pilze und der Registrierung und dem Handel mit magischen Mixturen machen. Daher bin ich neugierig, welche Verpflichtungen das sind, denen Sie dies alles unterordnen möchten."
Hermine Granger fühlte zwar, daß Shacklebolt so oder so darauf bestehen würde, sie ins Ministerium zu holen. Doch dann erzählte sie von ihrer selbstauferlegten Verpflichtung, die Rechte von Zauberwesen zu verbessern. Dies, so erwähnte sie mit einer leichtsinnig anmutenden Entschlossenheit, könne sie jedoch nicht in einem System tun, das die seit Jahrhunderten gültigen, für die Zauberer und Hexen höchst bequemen Grundlagen und Gesetze beibehalten wolle, vor allem im Bezug zu den Hauselfen. Daher müsse sie vom Ministerium unabhängig vorgehen, wobei sie natürlich im Rahmen der geltenden Gesetze handeln würde.
"Versteht sich", erwiderte Shacklebolt. Er wollte dann wissen, ob Ms. Granger eine Art Bürgerbewegung gründen wolle. Doch darauf ging die Besucherin nicht näher ein, da noch einige Vorbereitungen zu treffen und Anfragen an Interessenten nicht beantwortet seien. Dabei verzog sie ihr Gesicht, als habe sie bereits ihr mißfallende Antworten erhalten. Shacklebolt machte seinerseits ein ernstes Gesicht. Dann zog er ruhig eine Schublade an seinem Schreibtisch auf, die nur durch die Berührung seiner Hand zu bewegen war. Ihr entnahm er eine Ausgabe des Klitterers aus dem Jahr 1996, sowie Tagespropheten aus den Jahren 1994 und 1995, die über das trimagische Turnier berichteten, sowie eine Hexenwoche aus demselben Jahr. Hermine erkannte ihr Gesicht auf dem Deckblatt der Illustrierten und verzog ihr Gesicht. Doch der Minister hatte noch nicht alles für ihn wichtige aus der Schublade gezogen. Er holte noch Tagespropheten der letzten zwei Monate aus der Schublade und dann einen nicht zu dieser Parade alter Zeitungen passenden Aktenordner. Er breitete die Zeitungen vor Hermine aus, die angewidert auf die Schlagzeilen blickte. allerdings huschte ein verwegenes Lächeln über ihr Gesicht, als sie den Klitterer sah. Als Shacklebolt sie genauer ansah fiel ihr auf, daß dieses Lächeln wohl gerade völlig unangebracht war. Ihre Miene versteinerte beinahe.
"Natürlich kennen Sie diese Meldungen. Was den Klitterer angeht, waren Sie sicher dabei, als Harry Potter das Interview gab. Und damit kommen wir auch schon zum Kernpunkt dieser von mir erbetenen Unterredung, Ms. Granger." Mit diesen Worten klappte er ruhig, ja lässig den Aktenordner auf. Hermine zuckte mit dem Oberkörper vor. Doch Shacklebolt bedeutete ihr mit einer sachten Handbewegung, ruhig sitzen zu bleiben. "Das ist eine Akte, die wir in Zusammenarbeit mit dem französischen Zaubereiministerium angelegt haben, Ms. Granger. Der Vorgang betrifft die Ihnen aus den gerade vorgelegten Ausgaben von Tagesprophet, Hexenwoche und Klitterer hinlänglich bekannten Artikel von Ms. Rita Kimmkorn beziehungsweise die Person selbst. Ich kann und muß anhand der mir gerade von Ihnen vorgewiesenen UTZ-Ergebnisse davon ausgehen, daß Sie sich denken können, warum ich Sie mit diesen Artikeln und dieser Akte konfrontiere, Ms. Granger." Shacklebolts ohnehin schon tiefe Stimme klang nun nicht mehr im Plauderton, sondern trug eine unüberhörbare Entschlossenheit gemengt mit Unmut. Hermine erbleichte, bevor ihr klar wurde, daß diese Regung von Shacklebolt ungünstig gedeutet werden mochte. Der Zaubereiminister sprach nun weiter. "Diese Akte hier behandelt die Vereitelung eines unbefugten Zutritts Ms. Kimmkorns zu einem Zeltlager in Millemerveilles und die Festnahme und Vernehmung der Reporterin. Sie hat sich der unangemeldeten Nutzung von Animagus-Zaubern schuldig gemacht und mit diesen unerlaubten weil nicht registrierten Methoden Informationen erschlichen, die sie zu ihrer Zeit als Reporterin zu Gold machen konnte. Während ihrer Vernehmung, der ich als Minister beiwohnen durfte, ging es auch darum, wielange sie diese Taten schon beging. Dabei kamen wir auch auf das von ihr im Klitterer veröffentlichte Interview mit Harry Potter, daß über die tatsächliche Rückkehr Lord Voldemorts alias Tom Riddles aufklärte. Da Ms. Kimmkorn wußte, daß sie überführt war und damit zu rechnen hat, wegen ihrer unerlaubten Animagus-Tätigkeiten verurteilt zu werden, hatte sie keine Probleme damit, auszusagen, wie sie darauf gebracht wurde, dieses Interview zu führen, nachdem sie längere Zeit nichts von sich hat hören lassen." Hermine seufzte. Sie war in die Falle gegangen. Sie hätte es doch wissen müssen, daß es irgendwann herauskam. Strafvereitelung in Tateinheit mit Erpressung wog schwer. Das brauchte ihr der Minister nicht zu sagen. Denn er setzte zurecht auf ihre Intelligenz. So sagte er nur:
"Gut, die Zeiten waren damals hart. Außerdem mußte jemand etwas gegen die Ignoranz, ja mutwillige Verdrängung der unliebsamen Tatsachen durch meinen vorvorgänger Fudge unternehmen. Aber Sie haben gerade bekundet, daß Sie sich der Verbesserung der Rechte magischer Mitgeschöpfe verpflichtet sähen und alles im Rahmen der gültigen Gesetze mögliche unternehmen müßten, um dieses Ziel zu erreichen. Ihre Regungen verraten mir jedoch, daß die Vorwürfe Ms. Kimmkorns wohl zutreffen, daß Sie, Ms. Granger, Sie damals davon abhielten, über den Ausgang des trimagischen Turnieres zu berichten, ja mehr als ein halbes Jahr untätig zu bleiben und damit auf jeden wie auch immer erzielten Lohn zu verzichten, bis Sie sie dazu brachten, Harry Potter zu interviewen und dieses Interview in den Klitterer zu schreiben. Rein gesetzlich haben Sie sich damit der Nichtanzeige strafbaren Verhaltens, der Beihilfe zur ungesetzlichen Beschaffung von Informationen unter Ausnutzung der Magie sowie der aktiven Erpressung schuldig gemacht. Eigentlich hätte ich Sie von Mr. Weasleys Mitarbeitern festnehmen und offiziell vorführen lassen müssen, als diese erst als Vorwürfe gewichteten Aussagen im Raum standen. Da ich jedoch höchsten Wert darauf lege, die zusammen erstrittenen Erfolge in der Entmachtung der Todesser nicht zu einem Skandal ausufern zu lassen und zudem auch keinen Wert darauf lege, daß diese hinterhältige Person Rita Kimmkorn noch einen Triumph empfinden mag, Sie mit in den Sumpf ihrer Machenschaften gezogen zu haben, habe ich Sie zu diesem persönlichen Gespräch eingeladen, über dessen Verlauf und Ergebnis keiner etwas wissen muß, falls Sie dies wünschen. Allerdings kann ich als Minister nicht ignorieren, wenn jemand gegen bestehende Gesetze verstößt. Um Gewicht und Auswirkung eines Gesetzesverstoßes zu bewerten müßte ich denjenigen oder diejenige vor den Zaubergamot zitieren. Das dürfte Ihnen großen Ärger einbringen. Meine ministeriellen Vorrechte erlauben mir jedoch, die Gründe und Folgen einer Gesetzesübertretung im Bezug auf das Gemeinwohl zu betrachten und darüber zu befinden, ob jemand, der gegen die Zauberergesetze verstieß tatsächlich gerichtlich verurteilt werden soll oder nicht. Falls es in Frankreich oder England zu einer Gerichtsverhandlung gegen Rita Kimmkorn kommt und sie dort aussagt, von Ihnen erkannt, aber unangezeigt geblieben zu sein, solange sie von Ihnen bestimmte Bedingungen erfüllte, würde der Gamot mich auffordern, Sie auch vorladen zu lassen, erst als Zeugin und später als Angeklagte. Dem kann ich jedoch vorbauen, wenn ich zum einen aus Ihrem Mund über alle unangenehmen Dinge wahrheitsgemäß informiert werde und wir einen uns beiden genehmen Weg finden, um Ihre Verurteilung wegen der drei erwähnten Gesetzesbrüche zu vermeiden. Also bitte!" Hermine atmete tief ein und aus. Dann berichtete sie im sachlichen Stil, wie sie darauf gekommen sei, daß Rita Kimmkorn eine unregistrierte Animaga sei, wie sie sie auf frischer Tat ertappt habe und daß sie sie tatsächlich dazu gezwungen hatte, sich nicht mehr als Reporterin zu betätigen, bis eben die Verleumdungskampagnen gegen Harry Potter begonnen hatten. Sie sei sich dessen bewußt gewesen, selbst gegen bestehende Gesetze verstoßen zu haben, habe diese Verstöße jedoch damit gerechtfertigt, daß es ja darum gegangen sei, die Zaubererwelt aufzurütteln und vorzuwarnen. Sie habe keinen Schaden anrichten wollen und dies auch nicht getan. Shacklebolt hörte sich diese Aussage an. Er schrieb nicht mit. Hermine blickte sich um, ob irgendwo eine Flotte-Schreibefeder arbeitete. Doch sie konnte keine entdecken.
"Ich erkenne an, daß Sie tatsächlich das Allgemeinwohl im Auge hatten, als Sie Ms. Kimmkorn mit der Enthüllung ihrer unerlaubten Animagus-Tätigkeiten bedrohten. Inwieweit das den Tatbestand der Erpressung erfüllt hängt ja davon ab, ob Sie und/oder jemand anderes persönlichen Gewinn aus der Androhung schwerwiegender Enthüllungen zieht oder zog. Der einzige Gewinn, den ein Gamotsmitglied Ihnen da unterstellen könnte wäre die Verfügbarkeit einer für Sie genehm berichtenden Vertreterin der Zaubererweltpresse. Wir müssen zwar auf der Hut sein, böse Taten nicht mit guten Zielen zu rechtfertigen. Damit würden wir uns mit den Todessern oder den Grindelwaldianern auf dieselbe unrühmliche Stufe stellen. Allerdings müssen wir auch zusehen, daß die Schäden, die das Todesserregime angerichtet hat behoben werden, was auch heißt, daß jeder und jede, der zum Ende dieser Tyrannei beitrug gewürdigt wird und seinen oder ihren Beitrag zu einer vollständigen Genesung unserer magischen Gesellschaft leisten kann. Da Sie, Mr. Potter und Mr. Ronald Weasley einen sehr großen, wenn nicht sogar den entscheidenden Beitrag zum Ende des Schreckensregimes geleistet haben, indem Sie die Horkruxe Riddles aufspürten und vernichteten, und ich daher eine der Allgemeinheit wohlwollend gegenüberstehende Grundhaltung erkennen muß, möchte ich Ihnen zwei Alternativen in Aussicht stellen", setzte Shacklebolt an. "Ich kann jede von Rita Kimmkorn gegen Sie gemachte Aussage damit abwehren, daß Sie mir gegenüber Ihre Schuld eingestanden haben und Sie die Bereitschaft geäußert haben, eine entsprechende Bußleistung zu erbringen. Diese muß nicht in einer Strafsumme oder Haftstrafe bestehen, sondern kann auch in der Verpflichtung fußen, der Zaubererwelt mit allen Ihren Fähigkeiten zu dienen, was in letzter Konsequenz heißt, daß Sie sich zur Mitarbeit im Zaubereiministerium verpflichten, wobei wir dann natürlich erörtern, welche Abteilung den Großteil Ihrer Fähigkeiten sinnvoll ausschöpfen kann." DannSchwieg Shacklebolt. Hermine sah ihn fragend an. Dann nickte sie schwerfällig.
"Andernfalls würden Sie mit großem Bedauern und Unmut zur Kenntnis nehmen, daß dieses Insekt mich der Erpressung bezichtigt und das vom Gamot offiziell verhandeln lassen. Aber dann begehen Sie jetzt einen Akt der Erpressung, Herr Zaubereiminister", fauchte sie wie eine in die Enge getriebene Katze.
"Wie bereits erwähnt lege ich keinen Wert darauf, größtenteils gesetzestreue ja ehrenwerte Zaubererweltbürger aburteilen zu lassen. Ich bin immer froh, mit Leuten von großer Auffassungsgabe und Voraussicht zu tun zu haben. Sie haben die Ihnen zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten erkannt. An Ihnen ist es jetzt, sich zu entscheiden. Niemand dort draußen muß erfahren, daß Sie sich fast vor dem Gamot wiedergefunden hätten, wenn Sie bereit sind, die rein privaten Vorhaben zurückzustellen, falls es nicht möglich sein sollte, sie innerhalb einer ministeriellen Tätigkeit umzusetzen. Nicht immer kann ein vorherrschendes System von außen hinterfragt, geändert oder gar ausgehebelt werden. Die besten Ergebnisse erzielten diejenigen, die von innerhalb kamen und wußten, wie es funktionierte. Ich hätte sicher nicht so gut für den Phönixorden arbeiten können, hätte ich nicht eine so wichtige Position innerhalb des Ministeriums bekleidet. Da Sie ja auch bei der Hochzeit von Mr. Bill Weasley dabei waren erinnern Sie sich ganz sicher noch daran, wer Sie früh genug vor dem gewaltsamen Umsturz des Ministeriums gewarnt hat." Hermine errötete peinlich berührt. Natürlich wußte sie das. Sowas konnte man doch nicht vergessen. "Genau deshalb sollten Sie mein Angebot nicht als Zwang oder Unterdrückung auffassen, sondern als helfende Hand. Sie können mit dem, was sie bisher erreicht haben sehr viel innerhalb der Zaubererwelt bewegen, wenn Sie sich dazu bereiterklären, an der richtigen Stelle zu wirken. Welche Aversionen Sie bisher gegen das Ministerium haben mochten oder noch haben, Sie sind darauf angewiesen, daß das Ministerium für Sie einspringt. Das muß wie erwähnt niemand außerhalb dieses Raumes wissen. Allerdings möchte ich die entsprechende Gegenleistung dafür haben, daß Sie mit Ihren überragenden Fähigkeiten dem Ministerium und damit der Zaubererwelt helfen, sich von den Nachwirkungen des Todesserregimes zu erholen. Dann kann ich wie erwähnt die von Ms. Kimmkorn erhobenen Vorwürfe entkräften."
"Will sagen, Sie unterbreiten mir ein Angebot, daß ich nicht ablehnen kann", schnarrte Hermine. Sie wußte, daß sie gerade in einer verflixt schwachen Position war, um sich gegen die Wünsche des Ministers aufzulehnen. Sie konnte nur hoffen, daß sie keine zweite Monica Lewinski werden sollte. Doch das war ja rausgekommen. Auch wenn der Minister davon vielleicht nichts gehört hatte würde er daran denken, sich nicht selbst erpreßbar zu machen.
"Nun, ich heiße nicht Don Corleone, aber trotzdem haben Sie recht. Mein Angebot liegt auf dem Tisch. Es nicht anzunehmen wäre eine Beleidigung ihrer eigenen Intelligenz. Und was Sie mir über Ihr Vorhaben zur Verbesserung der Rechte von Zauberwesen erzählt haben, so denke ich, daß es durchaus in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe offene Ohren für derartige, wenn auch behutsam vorgebrachte Vorschläge gibt. Längst nicht jeder in der Zaubererwelt ist nach den Hilfsleistungen der Zentauren und Hauselfen bei der Schlacht von Hogwarts noch der Meinung, daß wir diese Wesen richtig behandeln. Allerdings fehlen uns brauchbare Ansätze, um mögliche Mißstände auszuräumen, ohne die gesamte Zaubererwelt in Stücke zu schlagen und neu zusammensetzen zu müssen." Mit diesen Worten holte der Minister aus der Schublade, der er gerade die Druckmittel gegen Hermine Granger entnommen hatte einen Packen Formulare. Es waren Eingliederungsanträge für alle Ministerialabteilungen, die an dort vergebenen Berufen interessierte Hogwarts-Abgänger auf Anfrage beim Ministerium zugeschickt bekamen. Hermine Granger seufzte. Man hatte sie tatsächlich überrumpelt, sie, die sich anderen gegenüber immer mit ihrem Wissensvorsprung und ihrer Auffassungsgabe gebrüstet hatte. Das hier hatte sie nicht erwartet, weil sie davon ausgegangen war, daß keiner Rita Kimmkorn zu fassen bekam. Als der Minister ihr aber erzählt hatte, daß ein simpler Eindringlingsabfangzauber gereicht hatte, der auf Kimmkorns Namen abgestimmt war, hatte sie sich fast vor den Kopf schlagen müssen. Julius Latierre, der damals noch Andrews geheißen hatte, sowie dieses lockenköpfige Prinzesschen Porter hatten es doch auch schon vermutet, daß die Kimmkorn eine Animaga war. Doch die hatten Kimmkorn nicht unter Druck gesetzt.
Nach gründlichem Durchlesen jedes einzelnen Formulars saß Hermine einige Minuten nachdenkend auf ihrem Stuhl. Dann ergriff sie den Formularbogen aus der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe. Sie nahm eine mit smaragdgrüner Tinte getränkte Adlerfeder aus dem goldenen Halter des Ministers und unterschrieb den Antrag auf Eingliederung in diese Abteilung. Natürlich sollte sie dann noch eine kurze Bewerbung mit Beifügung der UTZ-Ergebnisse einreichen. Der Minister gestattete ihr die dazu nötigen dreißig Minuten. Hermine schrieb, daß sie während der Schule ein schlechtes Gewissen bekommen habe, daß sie als Hexe gegenüber anderen magischen Wesen mit Bewußtsein einen unverdienten Vorteil habe und wie man eine Gleichbehandlung zwischen Hauselfen und magischen Menschen erzielen könne, wobei sie erwähnte, daß die meisten Hauselfen nicht gewillt seien, sich für ihre Arbeit bezahlen zu lassen und sie daher leider keine Möglichkeit gefunden habe, die aus ihrem Leben bekannten Arbeitsbedingungen für Hauselfen vorzuschlagen. Sie wünsche daher, mit Hexen und Zauberern zusammenzuarbeiten, die sich mit diesen und anderen Zauberwesen bestens auskannten. Als sie diese Bewerbung unterschrieben und zu dem von ihr ausgefüllten Antragsformular gelegt hatte nickte Minister Shacklebolt anerkennend. Dann bedankte er sich mit Handschlag bei seiner Besucherin. Diese erwiderte den Abschiedsgruß höflich und verließ das Büro des Ministers. Als sie die Tür von außen schloß mußte Shacklebolt jungenhaft grinsen. Er hatte es geschafft, die viel zu selbstsichere und nur ihren Fähigkeiten vertrauende Junghexe zu überzeugen, daß nicht alles, was sie tat den gewünschten Erfolg hatte. Mit dieser Lehre würde sie sicher eine sehr brauchbare Mitarbeiterin werden, vielleicht sogar irgendwann, wenn er diesen Bürojob endlich vom Hals bekam, seine Nachfolgerin. Er hatte ihr nicht erzählt, daß Rita Kimmkorn und die Zaubereiministerien Frankreichs und Großbritanniens eine geheime Übereinkunft getroffen hatten. Rita Kimmkorn würde keine öffentliche Gerichtsverhandlung haben. Wie Hermine Granger war auch ihr als Bußleistung auferlegt worden, sich zur Abwechslung mal für die Zaubererwelt nützlich zu machen und ihre unregistrierten Fähigkeiten zu nutzen, um eine weltweite Bedrohung zu bekämpfen, deren Name Nocturnia war.
Es geschah am späten Abend des neunten Septembers 1999. Überall auf der Welt hatten junge Paare vor Standesbeamten oder Kirchenmännern bekräftigt, ein Leben lang mit- und füreinander da zu sein. Vito Farnelli, der Fahrer einer kleinen Spedition in Catania auf Sizilien, hatte seit der Abfahrt mindestens drei Hochzeitskolonnen Autos vor sich gehabt. Das ewige Hupen, Glockengeläute und Gratulationsgegröhle hatte ihn sichtlich angenervt. Er war seit zwanzig Jahren verheiratet. Außer daß seine Frau gefühlte drei Zentner zugenommen und ihm zwei aufsässige Söhne ausgebrütet hatte sah er in seiner Ehe nichts wirklich bleibendes. So war er froh, als er endlich aus der Stadt heraus war und dieses Getue von Hochzeitskaravanen hinter sich lassen konnte. Gerade sackte das letzte Bißchen Sonnenlicht unter den Horizont. Hier im Süden ging das schnell. Sonnenuntergang und Abenddämmerung verflogen regelrecht. Schon legte sich der sternengepunktete Mantel der süditalienischen Nacht über das weite Land. "Viel Spaß bei eurer supertollen Schnapszahlen-Hochzeitsnacht!" Bedachte Vito die ganzen Brautpaare, die meinten, unbedingt an diesem Tag den größten Fehler ihres Lebens machen zu müssen, damit sie sich auch ja daran erinnerten, wann das war. Er trat auf das Gaspedal seines Sattelschleppers, der bis zum obersten Rand mit meterlangen Kisten beladen war. Erst hatte er gedacht, es seien Särge oder Konzertflügel gewesen. Doch für das erste waren die Dinger zu lang. Drei Meter große Leichen gab es hier unten nicht. Für das zweite waren sie wieder zu schmal. Sein Job war es ja nur, sie von Catania an ihren Bestimmungsort zu kutschieren.
Die Frontscheinwerfer des Lastwagens brannten wie kleine Sonnen eine Bahn aus der Dunkelheit. Vor Vito Farnelli lag die einsame Landstraße. Rechts, das wußte der Fahrer, ragte das majestätische Massiv des Ätna in den Himmel. Il Mongibello, der schöne Berg, wie die Anwohner den Vulkan nannten, legte im Moment eine Ruhepause ein. Doch die für Vito größere Bedrohung war nicht der Vulkan. Das merkte er erst, als das Licht der beiden Scheinwerfer einen quergestellten Tankwagen aus der Nacht riß. Vito trat voll auf die Bremse. Er fuhr bereits zu schnell für das Gesamtgewicht von Fahrzeug und Ladung. Zischend griffen die Bremsen. Doch der Fahrer hatte das beklemmende Gefühl, sein Wagen würde mit gleicher Geschwindigkeit weiterpreschen. Zwar warf die Verzögerung ihn in den strammen Sicherheitsgurt. Doch der querstehende Tanker flog im immer stärker widerscheinenden Fernlicht auf ihn zu. Noch zeigte der Tachometer über 50 Stundenkilometer. Vitos 40-Tonner würde mit Urgewalt in den Leib des Tankwagens krachen. Wieso wurde er nicht langsamer? Dann, mit einem Ruck, kam der Sattelschlepper zum stehen.<
Vito schaltete schnell das Fernlicht aus und die Warnblinkanlage an. Vor ihm ragte der weiße Tankauflieger über die Straße. Im Licht der Standbeleuchtung glitzerten die Einfüllstutzen auf dem Rücken des Tankers wie die Zacken eines silbernen Drachens. Vito konnte keine Aufschrift lesen, nichts, was auf Ladung oder Eigentümer des Tanklasters hinwies. Er sah den wagen nur quer über die Fahrbahn stehen. Hatte der eine Panne? Oder war das vor ihm gar eine Falle? Vito dachte an die Fracht, die er gerade transportierte. Man hatte ihm nicht gesagt, was in den langen Kisten drin war. Laut Frachtpapiere fuhr er gerade eine Ladung Schrauben und Nägel Richtung St. Alfio. Aber in die Kisten reingesehen hatte er nicht. Er war hier auf Sizilien geboren und kannte die Gebote, niemals mehr wissen und noch weniger sagen zu wollen als ihm unbedingt abverlangt wurde. So wußte er nie, ob er eine legale Fracht fuhr oder eine Fuhre für die Mafia machte.
Aus dem Führerhaus des über die Fahrbahnbreite stehenden Tankers sprangen Männer. Vitos befürchtung, in eine Falle gegangen zu sein wurde zur furchtbaren Gewißheit, als die Männer Schußwaffen anhoben, Maschinenpistolen. Vito wußte, daß er die Fracht übergeben sollte, noch ehe einer der Wegelagerer auf sein Fenster zielte. Er wollte gerade die Tür öffnen, um dem Banditen zu zeigen, daß er sich fügte, als bläulich-rotes Flirren aus der Mündung der Waffe kam und das Fahrerseitenfenster in Millionen Stücke in das Führerhaus hineinspritzte. Vito hörte den tödlichen Trommelwirbel schon nicht mehr. Gleich zehn Kugeln hatten ihren Weg in seinen Kopf gefunden. Sein Schädel zerplatzte unter den wuchtigen Einschlägen. Blut und Hirnflüssigkeit ergossen sich über den Beifahrersitz, während Vito bereits tot zur Seite kippte und von den noch geschlossenen Gurten gehalten wurde.
"War das nötig, den Fahrer umzulegen?!" Bellte eine Stimme vom Führerhaus des Tankers her. Der MP-Schütze senkte den qualmenden Lauf seiner Waffe und drehte seinen Kopf. "Don Vittorio hat gesagt, keine unnötigen Zeugen", rechtfertigte der Schütze seine brutale Aktion.
"Er hat aber auch gesagt, daß wir den Wagen übernehmen sollen, ohne ihn zu zerbeulen oder schmutzig zu machen, du hirnamputierter Bastard", blaffte die Stimme aus dem Tanker. Der MP-Schütze wirbelte mit wieder nach oben kommendem Waffenlauf zum Tanker herum. Da sah er den direkt auf seinem Brustkorb aufflammenden roten Lichtpunkt. Dann sah er noch einen schräg rechts. "Würde ich nicht einmal von träumen, Gigi", schnarrte die Stimme des Anführers. "Denkst du, ich lieferte mich dir wehrlos aus, wenn du einmal eine Schnellfeuerspritze in die Finger kriegst? Los, fallen lassen!" Der mit Gigi angesprochene murrte unüberhörbar. Doch die Leuchtfflecken der auf ihn eingepeilten Laserzielvorrichtungen sagten ihm, daß er besser gehorchen sollte. Er ließ die noch warme Uzi fallen. Kaum schepperte die Waffe zu boden, pfiffen zwei großkalibrige Geschosse heran. Eine hundertstelsekunde später fiel Gigi von zwei Volltreffern getötet um.
"Der Don hatte recht. Gigi war ein schießwütiger Hohlkopf", sagte einer der Männer, die gerade Vitos Mörder seinem Opfer hinterhergeschickt hatten.
"Okay, Vito ist alle. Können wir nichts mehr machen. Ist aber zu ersetzen", sagte der zweite Scharfschütze und knipste die Laserzielvorrichtung aus.
"Danielli wird ziemlich sauer sein, wenn er hört, daß wir seine Kasinoausrüstung kassieren", unkte der zweite mit Gigi aus dem Tanker gesprungene Mann, der eigentlich den Sattelschlepper hatte übernehmen sollen.
"Soll so, Toni", schnarrte sein Kumpan. "Aber noch haben wir die Ladung nicht sicher. Los, rein da und uns nachfahren, während wir Gigi und seinen letzten Zielversuch im Tanker verbrutzeln!"
"Uuuääääaa, ich setz mich da nicht rein, wo da überall Blut und sonst was für Zeug drin verspritzt ist", protestierte Toni angeekelt.
"Ich habe Gigi nich' gesagt, den Typen noch im Wagen umzulegen, Toni. Also wirf den Toten raus und klemm dich hinters Rad, bevor ich dir auch einen Strauß aus Blei aus Gigis Braut oder ein schnuckeliges Stahlmantelkügelchen zwischen die Rippen jage."
"Ich steig da nicht ein", erwiderte Toni unerschüttert. Er wußte, daß sie ihn nicht umlegen würden. Er war neben dem Truppenführer Il Orso der einzige, der einen Lastwagen von dieser Größenordnung sicher lenken konnte.
"In fünf Sekunden bist du in der Karre da oder fütterst die Würmer, wenn wir dich nicht auch in unserem Mobilkrematorium verheizen", drohte der erste der Scharfschützen. Doch Toni blieb standhaft. "Fahren kannst du auch gut ohne Eier, falls die dich so stur machen", verstärkte der Gewehrschütze seine Drohung. Der Widerschein des Zielsuchstrahls glomm auf und huschte wie ein glutroter Schemen an Tonis linkem Bein hinauf und ruckte genau auf Höhe seiner Genitalien. Toni erkannte, daß seine Begleiter kein Problem hatten, jeden dazu zu kriegen, zu tun, was sie wollten, wenn sie selbst auch nur Befehlsempfänger und Kanonenfutter für den Don waren. Toni wankte mit angeekeltem Blick zum gestoppten Lastwagen, hangelte sich zur Fahrertür hoch und öffnete diese. "Ich setz mich sicher nicht in zehntausend Glassplitter rein", klang seine Stimme dumpf aus dem Inneren des Führerhauses.
"Okay, macht die Karre erst sauber, bevor wir sie zum Umladepunkt kutschieren!" Knurrte der im Tanker verbliebene Anführer. Seine Scharfschützen nickten und holten aus dem Tanker Ausrüstung, darunter zwei mächtige Staubsauger, die an die kraftvollen Batterien des Sattelschleppers angeklemmt werden konnten. Die Sauger konnten auch Flüssigkeiten wegsaugen. Mit Tonis Hilfe, der die Augen geschlossen hielt, luden sie Vito Farnellis Leiche in den Bauch des Tankers um, wo drei Spezialisten ihn in den darin integrierten Verbrennungsofen schoben, um nichts von ihm übrig zu lassen. Auch der über seine Schießwut gestürzte Gigi wurde in den Tankauflieger geschafft. Dann machten sich die Wegelagerer daran, die Fahrerkabine des Sattelschleppers so sauber wie möglich zu putzen. Erst als kein Glassplitter und kein noch nicht in Sitzen und Teppichen eingesickerter Tropfen Körperflüssigkeit mehr da war enterte Toni den erbeuteten LKW.
Der Motor des Tankers erwachte zum Leben. Mit mehreren rangierbewegungen schaffte der Tanker es, sich wieder in die richtige Richtung zu schieben. Als er dann über die einsame Landstraße weiterrollte folgte Toni ihm. Das Ziel lag noch etwa einen Kilometer weiter fort. Auf der Straße blieben nur vereinzelte Blutflecken zurück. Niemand, der sie bei Tag sehen konnte, würde es wagen, nach ihrer Herkunft zu fragen, bis die Polizei selbst sie bemerkte.
"Wie, die Ausrüstung ist nicht angekommen?!" Belferte ein untersetzter Mann mit silbergrauem Haarkranz in das Mikrofon seines schnurlosen Telefons. Aus dem kleinen Lautsprecher dran die von höchster Beunruhigung gefärbte Stimme seines strohmannes, der den Transport der Spielgeräte für das Flüsterkasino von St. Alfio zu organisieren hatte. Der Mann mit dem silbergrauen Haarkranz verzog das Gesicht. "Kann man das rauskriegen, ob dein Fahrer noch lebt, Luca?" Fragte er bedrohlich klingend. Er lauschte auf die Antwort und nickte, was der am anderen Ende der Telefonleitung sprechende natürlich nicht mitbekommen konnte. So sagte er: "Also von Katania aus ist der weg, und der hätte keine Fracht verschoben, weil ihr seine Familie gut im Zug habt. Also wurde der entweder entführt oder umgelegt, als er auf der Landstraße unterwegs war. Krieg das raus!" Dann trennte Don Adone Danielli die Verbindung und schaltete auch den Mehrkanalzerhacker aus, der das Gespräch unabhörbar gemacht hatte.
"Jetzt bist du Freiwild, du Hurensohn", dachte Adone Danielli. Er hatte damit gerechnet, daß jemand aus seiner Firma den Erzfeinden von der Pontebianco-Familie den Tipp geben würde, daß Danielli bei St. Alfio ein illegales Spielkasino aufmachen wollte, wo vor allem stinkreiche Leute aus dem Orient ihre Öldollars verjubeln sollten. Ein verächtliches Grinsen überzog das runde, faltige Gesicht des Familienpatriarchen. Er dachte an die Sicherungsmaßnahme, die er ohne Lucas Hilfe hatte einbauen lassen. Auch wenn Andrea ein umtriebiger Bengel war, der offenbar darauf ausging, dem Venizianer Casanova den Rang als wildester Liebhaber Italiens den Rang abzulaufen, hatte sein Enkel doch was gelernt und ihm ohne es die anderen wissen zu lassen diverse Sonderanfertigungen eingebaut. Pontebianco oder wer auch immer würde keine große Freude mit den erbeuteten Spieltischen haben.
Er blickte auf ihren Körper in der Vorrichtung. Leise brummend und schlürfend saugten Pumpen weißes Blut aus ihr heraus und pumpten rotes Menschenblut aus den Ställen mit den Gefangenen in ihren Körper zurück. Das weiße Blut wurde rasch zur Weiterverarbeitung in den Reaktionsbehältern geleitet, wo in einer unheimlichen Vereinigung aus Magie und Biochemie jenes pulverförmige Mittel hergestellt wurde, das Menschen auch ohne Biß mit der Saat der Vampirwandlung behaftete. Seitdem sie von der Sonnenfinsternis zur Basis Winternacht zurückgekehrt war, wollte Lamia nur noch eins, möglichst viele neue Bürger. Er, Arnold Vierbein, sollte die bereits geknüpften Verbindungen in die Außenwelt überwachen und die Orte für die Aussaat neuer Vampirkeime bestimmen.
Er dachte daran, wie es früher war, wo er noch kein Vampir und Bürger Nocturnias gewesen war. Manchmal fragte er sich, ob es nicht eine Eingebung jenes biblischen Höllenfürsten gewesen war, die ihn und seine Frau Elvira zur Erfindung der Solexfolie geführt hatte. Denn nur deshalb war er jetzt einer der wichtigsten Bürger Nocturnias. Nur deshalb konnte die, welche er da in der Blutumwälzanlage liegen sah, zu Lamia, der Blutmondkönigin werden. Nur deshalb war ihnen beiden verwehrt, eigene Kinder zu haben und ein angesehenes Leben unter Menschen zu führen, sonnige Strände zu besuchen oder knoblauchhaltiges Essen zu genießen. War es wirklich so erhaben, Bürger Nocturnias zu sein? Doch diese abwegigen, ja aufrührerischen Gedanken vergingen sofort wieder, wenn er daran dachte, daß ihm und seiner Frau jetzt mehr Macht zur Verfügung stand als den Regierungsschefs aller Atommächte der Erde zusammen. Er war beinahe unsterblich geworden, konnte wohl bis zum Jahr 3000 leben, sehen, ob die von Nocturnia übriggelassenen Menschen all die Dinge tun konnten, die er nur aus Zukunftsromanen kannte, oder ob Nocturnia, wenn es einmal das alle Länder umspannende Reich geworden war, die ihm als Futtertiere verbleibenden Menschen in mittelalterlicher Lebensweise hielt, um die Erde nicht weiter zu verpesten. Der Fall mit dem durch Strahlung zum Vampir-Mutanten gewordenen Volakin war eine Warnung, daß auch die Bürger Nocturnias nicht gegen alles gefeit waren, was Menschen ihrer Umwelt zumuteten. Aber Arnold Vierbein wußte auch, daß Nocturnia Feinde hatte, Todfeinde. Da waren die normalen Menschen, die ohne Magie auskamen und sich wohl nicht ganz wehrlos unterwerfen ließen. Da waren die Hexen und Zauberer, die sich als Verwalter aller Magie auf Erden aufspielten und meinten, Vampire nur in nidriger Stückzahl zu dulden und sie eher als Schädlinge als als gleichrangige Wesen oder Herren anzuerkennen. Dann hatten sie es sich auch mit Geschöpfen verscherzt, an die er vor seiner "Einbürgerung" auch nie geglaubt hatte, Wergestaltigen, Wolfs- und Tigermenschen. Die Tigermenschen jagten seit dem Überfall auf einen ihrer Artgenossen nach allen Vampiren. Sie waren aber durch Eisgeschosse und magielos gezündetes Feuer zu töten. Von den Wolfsmenschen wußte er, daß es auch ausgebildete Zauberer und Hexen unter ihnen gab. Die schätzte er als besonders gefährlich ein. Denn sie ließen sich nicht einbürgern und konnten zudem nach außen wirkende Magie gegen Vampire einsetzen. Dann hatte Lamia, die sich im Körper seiner Ehefrau Elvira eingenistet hatte, angstvoll von einer weiteren Bedrohung gesprochen. Eine Hexe konnte offenbar Zauber, um Vampire gezielt zu finden, Zauber, die aus der Zeit stammten, aus der die in Lamia umgewandelte Königin Nyx jenen schwarzen Stein erworben hatte, den sie wie ein ewiges Ungeborenes im Leib mit sich herumgeschleppt und damit fernhypnotische Macht auf andere Vampire ausgeübt hatte. Ja, und dann waren da noch Wesen, die er für absolut gefährlich halten mußte, die Schwestern des Abgrundes, wie Nyx und nun auch Lamia sie genannt hatte. Frauen, die den Succubi aus den jüdisch-christlichen Dämonenreichen entsprachen, ja deren Vorgaben gewesen sein mußten. Sie stellten die wohl größte Bedrohung für Nocturnia da.
Arnold blickte auf den an die Umwälzanlage angeschlossenen elektronischen Kalender, der Datum und Uhrzeit anzeigte. Heute war der zehnte September 1999. Lamia lag bald schon einen Monat in der Umwälzanlage. Sie würde noch bis zum fünfundzwanzigsten September dort bleiben, bevor sie daranging, weitere wichtige Personen der Menschenwelt einzubürgern, ob sie wollten oder nicht. Er hörte noch in seinem Geist nachhallen, wie sie sehr überlegen sagte: "Am siebenundzwanzigsten September hat unser künftiger Sohn Geburtstag."
"Wir brauchen unbedingt einen mit DSL, Lunera. Magie und althergebrachtes Leben hin oder her", lag Nina ihrer blonden Wolfsmenschenziehmutter in den Ohren. "Dieser junge Tigerkönig hat eindeutig gesagt, daß wir die modernen Medien nutzen sollen, wenn wir problemlos über zwei Kontinente miteinander reden wollen. Dieser Sonnensteiger kann ja nicht jeden Tag für uns um die halbe Erde düsen. Das würde irgendwann auffallen."
"Ja, Ninita, ich sehe es ein", knurrte Lunera Tinerfeña. "Posteulen brauchen zu lange, zumal diese arrogantenStreifenkatzen die eh nicht benutzen können. Wenn Neubeginner meint, diese Sachen bedienen zu können müssen wir eben zusehen, an sowas dranzukommen. Aber dir ist ganz klar, daß die Spitzhutträger uns auf der Liste haben."
"Eben deshalb ist das voll ideal, wenn wir einen von den magielosen Leuten kassieren und dessen DSL-Verbindung nutzen. Es gibt genug alleine wohnende Typen, die nur noch für's Internet leben. Ich hatte mal einen Freund, mit dem konnte ich per E-Mail und Chat besser Kontakt halten als wenn ich mich auf den draufgesetzt hätte."
"Ach, mochte der das nicht oder stand der nicht auf sowas?" Feixte Lunera. Nina lief an den Ohren rot an. Sie vertraute Lunera an, daß sie auf dem Weg des virtuellen Sex ihren damaligen Freund dazu bekommen hatte, echten, ohne dazwischengeschaltete Maschine gemachten Sex zu haben. Trotzdem hatte die Bezihung nicht lange gehalten, weil dem seine katholische Erziehung den Spaß verdorben hatte: Keine körperliche Liebe vor der Ehe.
"Kommst du an den noch dran?" Fragte Lunera.
"Vergiß das besser ganz schnell, Lunera. Die Guardia Civil hat mich sicher noch auf der Vermißtenliste, seitdem Gatos Brutalos mich kassiert haben. Daß der Typ von dir gefressen wurde weiß ja bisher auch keiner."
"Ich habe den nicht gefressen. Denkst du echt, ich wollte wegen dem Speck ansetzen?" Schnarrte Lunera angewidert. Dann fragte sie Nina, wie sie sich einen DSL-Internetanschluß zulegen konnten, ohne daß die Polizei davon Wind bekam und damit auch die Zaubererwelt. Nina überlegte und erklärte es ihrer Mondschwester und Mentorin.
Tino hielt sich für einen Erfolgsmenschen. Er hatte im Internet eine supertolle Blondine kennengelernt, die für unverbindliche Spiele zu zweit schwärmte. Sie hatten sich über das Netz miteinander unterhalten. Er hatte mit seiner schnellen Internetleitung angegeben und auch, daß er unbegrenzt damit im Netz arbeiten konnte, ohne für Verbindungsdauer oder bewegte Datenmengen zahlen zu müssen. Die Firma, bei der er diesen Dienst angemietet hatte nannte sowas eine Flatrate. Das englische Wort sagte, daß egal ob null Minuten im Internet oder 24 Stunden am Tag dieselbe Monatsgebür bezahlt wurde. Das war noch ein Experiment, um zu sehen, ob damit mehr Internetnutzer und somit Kunden für die immer mehr in Schwung kommenden Versandplattformen zu gewinnen seien. Das hatte er ihr erzählt.
Valentino Suárez entsprach vom Aussehen einem südländischen Liebhabertypen. Alle zwei Wochen durfte er dann zeigen, ob er auch hielt, was er versprach. Bei manchen Damen hatte er jedoch auf die blaue Pille für mehr Stehvermögen zurückgreifen müssen, weil sie doch am unteren Ende seiner persönlichen Beliebtheitsskala rangiert hatten. Doch für die eine Nacht, die sie verbrachten konnte er sich so zusammenreißen. Er wußte, daß seine Erfolge von der anonymen Bewertung abhängig waren. Er führte gerade mit 500 Punkten Vorsprung vor einem Konkurrenten namens Supersonico und wußte, daß dieser Vorsprung ihm auch die besten Mädels servieren konnte. Sein Deckname im Netz der unverbindlichen Liebesspieler lautete Turboimpulso, nach dem Schubkraftverstärker des schwarzen Wunderautos aus der Knight-Rider-Serie, die er als Halbwüchsiger angebetet hatte. Sein heutiger Treff nannte sich im Netz Luna Llena, Vollmond. Sie wohnte irgendwo in der Gegend von Nerja. Tino hatte ihr angeboten, sie vom Madrider Flughafen abzuholen. Doch sie hatte ihm nur geschrieben, daß er sie in der vereinbarten Bar treffen würde. Er hatte danach alle Flugpläne nachgeprüft und die Flüge aus Sevilla und Malaga auf mögliche Zeitnähe abgeklopft. Doch Luna Llena hatte ihm geschrieben, daß sie auch mit dem AVE-Zug aus Sevilla nach Madrid kommen mochte. Seit der Weltausstellung 1992 bestanden ja die Hochgeschwindigkeitsverbindungen.
"Hoffentlich ist das echt die vom Foto", dachte Tino, als er seinen tiefergelegten Golf GTI, für dessen Import er mehr als eine Million Peseten hatte hinblättern müssen, auf die Zielgerade lenkte. Da vorne, nicht weit von der Puerta del Sol entfernt, war der Treffpunkt. Hier hatte er schon einige Nachtbegleiterinnen abgestaubt. Seine Eltern in Toledo durften davon nichts wissen. Für sie war ihr Sohn ein Student, der gegen die Art vieler Junggesellen die Geborgenheit aber auch Bevormundung des Elternhauses verlassen hatte, um seine eigenen Erfahrungen zu machen, egal worin.
Schon am Eingang des Cafés mit Restaurant konnte er die aus der Menge der Dunkelhaarigen herausleuchtende weizenblonde Mähne sehen. Er sah sie. Ja, das war die auf dem Foto. Tino strich sich über die scharlachrote Krawatte, die er als unübersehbares Kennzeichen umgebunden hatte. Die andere nickte. Er ging zu ihr und sagte:
"Wo ist der Sommer länger als am Pol?"
"Auf der Sonnenbank, da fühl ich mich wohl", vervollständigte die Blonde die ausgemachte Erkennungsparole, die als zusätzliche Absicherung vereinbart worden war. Tino hatte es von einem Freund schon gehört, daß er wegen eines Mißverständnisses fast wegen versuchter Vergewaltigung ins Gefängnis gekommen wäre. "Dann bist du Turboimpulso. Ich bin Luna Llena", sagte die Blondine noch. Tino guckte sich bereits an ihren Beinen, den Hüften und der restlichen Figur der Frau fest, die in einem gerade so noch sittenkonformen Sommerkleid unterwegs war. Tino nickte ihr zu und sagte seinen Vornamen. Sie lächelte ihn an und erwiderte:
"Valentino, verspricht ja auch viel Romantik, genau wie mein Name, Diana."
"Die altrömische Jagdgöttin", wußte Tino. "Aber die hielt nix von der Liebe", sagte er.
"So genau weiß das keiner. Ihre Anhängerinnen haben das immer behauptet, weil sie sie nie mit einem Typen erwischt haben. Aber echt genau weiß das keiner", bemerkte Luna Llena alias Diana dazu. Sie fuhr sich durch das weizenblonde Haar und zwinkerte Tino zu. Er fühlte bereits, wie sein innerer Motor zum Leben erwachte. Wenn die so gut war wie sie aussah hatte er heute schon Weihnachten.
Nach der Begrüßung sprachen die beiden über Belanglosigkeiten, die sie bedenkenlos erwähnen durften, ohne sich dem jeweils anderen zu sehr auszuliefern. Währenddessen aßen und tranken sie etwas, diskutierten die Ereignisse aus den Nachrichten und sprachen über den Unterschied zwischen Nerja und Madrid, der natürlich himmelweit war. Tino erwähnte den Leitspruch der Madrilenen: "Von Madrid aus in den Himmel."
"Was du nicht sagst", erwiderte Diana alias Luna Llena darauf. Doch sie nahm den Spruch als Aufhänger, endlich in etwas erotischere Themen überzuwechseln, um zu sehen, worauf sie sich bei ihm gefaßt machen konnte. Dabei schaffte sie es, ihn für sich zu begeistern, ohne ihm genau zu sagen, was er von ihr zu erwarten hatte. Hätte sie ihm das gesagt, wäre es mit dem Abend wohl auch schon vorbei gewesen. Sie umgurrte ihn, flachste mit ihm und brachte ihn dazu, ihr mehr über sein Leben zu erzählen. Da er gerade nicht ganz mit dem Gehirn dachte erwähnte er, daß er Flugzeugbau studierte, um nach dem Studium beim Airbuskonsortium anzufangen. Diana schien zu überlegen. Dann nickte sie. "Konkurrent von Boeing", sagte sie. Tino lächelte.
"Die sollen sich auf ihrem Jumbo ruhig noch was ausruhen. in den nächsten Jahren fliegt dann der größte Düsenbrummer der Welt über die Erde. Bis dahin bin ich mit dem Studium durch." Diana nickte ihm zu und leitete dann behutsam wieder zu partnerschaftlichen Sachen über.
Um zehn Uhr, als viele Gäste dazukamen, um zu Abend zu essen, verließ Tino mit seiner Erwerbung die Bar und fuhr mit ihr in sein Appartmenthaus in einer Straße, die Alberto Aguilera hieß. Im Schutz nachträglich schallisolierender Wand-, Boden- und Deckenverkleidungen ließen sie dann endlich ihre vor der Öffentlichkeit gepflegten Hemmungen verschwinden. Tino wußte nicht, wann er das letzte mal eine so wilde, ausdauernde und phantasievolle Bettgenossin gehabt hatte. Fast hätte er vergessen, sich und sie vor unangenehmen Folgen zu schützen, so heftig riß ihre Art und ihre Begierde seinen Verstand aus den Angeln. Sie umklammerte ihn, kam über ihn, ließ sich von ihm niederwerfen. grub ihm Fingernägel an alle möglichen Körperstellen. Nach zwei Stunden Daueranstrengung konnte selbst der im Training befindliche Tino nicht mehr. Er nahm es dankbar hin, daß seine Partnerin ihn nun bearbeitete, ohne daß er sich noch groß bewegen mußte. Sie war unersättlich. Bald war ihm vor Anstrengung so schwindelig, daß er schon meinte, mit ihr in einem wild kreisenden Karussell zu sein. Nach der dritten Stunde hatte aber auch sie ihren Hunger nach Manneskraft gesättigt und lag keuchend neben ihm.
"Mann, Mädel, noch so eine wie dich und ich wäre nach drei Tagen nur noch ein Skelett", meinte Tino.
"Nur wenn du dich nach den ersten zwei Stunden nicht wie ein tagesmüder Hengst von mir hättest nach Hause reiten lassen wollen, Süßer", erwiderte Luna Llena. So wie sie waren blieben sie nebeneinander liegen. Tino schlief kurz darauf schon tief und fest. Daher bekam er nicht mit, wie sich seine heißblütige Nachtgefährtin vorsichtig von ihm wegdrehte und leise keuchend und stöhnend in eine unheimliche Verwandlung eintrat. Weißes Fell wuchs ihr. Ihr Kopf wurde zum Kopf eines Wolfes mit kurzer, spitzer Schnauze. Die Finger wurden zu dolchspitzen Krallen. Jetzt lag auf dem Bett eine weiße Wölfin neben Tino. Sie verströmte einen wilden Raubtiergeruch. Tino wurde von dieser Veränderung sofort wach. Doch bevor er etwas sagen oder tun konnte warf sich die Wölfin über ihn und grub ihm dreimal ihre Zähne in die Brust und den linken Arm. Der Schmerz verjagte die bleierne Schläfrigkeit restlos. Tino glaubte, in einem Alptraum gelandet zu sein. Gerade eben noch konnte er sehen, wie eine helle, hundeartige Gestalt von seinem Bett herabglitt und zur verschlossenen Schlafzimmertür wetzte. Er fühlte seine Wunden brennen und daß sich das Feuer bereits in seinem restlichen Körper ausbreitete. Er öffnete den Mund, um zu schreien. Doch das Zimmer ließ keinen Laut hinaus in die Welt. Er versuchte, sich aufzusetzen. Doch der durch die körperliche Liebe und die Bisse der weißen Werwölfin geschwächte Körper gehorchte ihm nicht. Er rollte auf die andere Seite des Bettes und fiel fast auf den flauschigweichen Bettvorleger. Die lauernd vor der Tür hockende Wölfin sprang zu ihm und rammte ihn mit ihrem Kopf so hart am Brustkorb, daß er vom Schwung in die Bettmitte zurückgeworfen wurde. Dann stieg die Wölfin mit ihren Vorderbeinen nach oben und balancierte ihr Gewicht auf den Hinterläufen. Tino japste, stöhnte und schrie. Durch das Flimmern vor seinen Augen sah er, wie sich die Wölfin in seine einmalige Bettgenossin zurückverwandelte. Er wußte zwar, daß er nicht träumte. Träumende hatten keine Schmerzen. Doch was er sah war unmöglich wahr. jetzt schlüpfte die Wolfsfrau neben ihn auf die breite Matratze und kuschelte sich mit ihrem warmen Körper an ihm. Er versuchte, sie zu packen, zu schlagen oder sonstwie zu traktieren. Doch sie fing seinen Arm ab und klemmte ihn unter ihren Körper. Er merkte, wie ihr pulsierender Leib seinen Arm niederhielt, als sei Diana mehrere Zentner schwer. "Nur noch ein paar Minuten, Cariño", säuselte sie. "Hast es gleich überstanden. Die Mondgeburt tut genauso weh und kostet Kraft wie die aus dem Mutterbauch heraus. Aber wenn du wieder wach genug bist kriegst du raus, daß du danach mehr Sachen machen kannst."
"Du Monsternutte! Was hast du mit mir angestellt?!" Schrie Tino und wollte seinen unverletzten Arm freiziehen. Er bot eine Menge Kraft auf. Doch Diana alias Luna Llena alias Lunera Tinerfeña ließ ihn nicht mehr aufstehen. Sie warf sich nun ganz über ihn, als suche sie eine weitere körperliche Vereinigung mit ihm. Er war zu erschöpft, als sie von sich abschütteln zu können. In der grotesken Geborgenheit ihrer Umklammerung verebbte sein letzter Widerstandswille. Er konnte doch eh nichts mehr tun. Sie hatte ihn irgendwie fertiggemacht. Über diese erschütternde Einsicht und die Erschöpfung glitt er trotz in ihm tobender Schmerzen in die Bewußtlosigkeit totaler Erschöpfung.
Als er nach für ihn unmeßbarer Zeit wieder aufwachte war sein Bett mit seinem verkrusteten Blut besudelt. Durch die zugezogenen Vorhänge vor den Dreifachglasfenstern sickerte bereits Sonnenlicht und zauberte einen grellen senkrechten Lichtbalken auf die gegenüberliegende Wand. Diana lag an ihn gekuschelt da. Als sie merkte, daß ihr Liebhaber, Opfer und neuer Artgenosse sich rührte tätschelte sie ihm die Wangen. Er erschrak, weil er erkannte, daß das Erlebnis der letzten Nacht kein Traum war. Er fühlte sich auch immer noch sehr matt und fühlte das dumpfe Pochen der tiefen Bißwunden in seinen Beinen und seinem Bauch.
"Ich bin verflucht worden", erkannte er. Da sprach die Wolfsfrau zu ihm:
"Willkommen in der ehrwürdigen Bruderschaft des Mondes, Valentino! Es hat mir richtig Spaß gemacht, dich zu lieben und dich dann zu uns zu holen. Wie eine anständige Zeugung war das. Denk nicht einmal daran, mir was zu tun!" Flüsterte sie. Er bemerkte, daß er sie noch intensiver riechen konnte als gestern und auch dann noch ihren Herzschlag hörte, als sie sich von ihm fortgedreht hatte. Seine Nase und seine Ohren waren empfindlicher geworden. Da begriff er es wirklich, was ihm widerfahren war. Er dachte an alle Werwolffilme, die er in seinem Leben gesehen hatte. Es gab diese Bestien tatsächlich. Aber es hieß doch, daß sie nur bei Vollmond wüteten. Der war aber erst in zwei Wochen. Er fragte beklommen, was ihm passiert war. Lunera erklärte ihm alles und erwähnte auch, daß er sich jetzt nicht mehr dagegen auflehnen konnte. Würde er sie und die Mondbruderschaft ablehnen oder gar verraten, würde man ihn jagen und töten, wenn der nächste Vollmond kam. Denn ohne einen Zaubertrank, der Werwölfen die Kontrolle über ihre Tiernatur gab, wäre er nur eine reißende Bestie, die Angst und Schrecken verbreitete. Er erwähnte, daß er das mit den Silberkugeln wisse, die von Priestern geweiht oder aus geweihten Silberkreuzen gegossen wurden. Lunera lachte darüber und räumte ein, daß das mit dem Silber an sich stimme. "Aber kein Jesus-Prediger oder Allahanbeter muß das Zeug weihen. Um es für uns absolut tödlich zu machen muß es in besonderen Öfen geschmolzen werden, die die Kraft des Mondes bündeln. Aber ich habe dich nicht in unsere Reihen geholt, damit du dich diesen Spinnern zu Schießübungen mit Silberbolzen anbieten sollst, sondern weil wir, die Mondgeschwister, dich für eine wichtige Mission brauchen. Außerdem kannst du dabei immer wieder mit mir so richtig wilde Liebe machen. Ich denke nämlich, daß du bisher keine erlebt hast, die an mich herankommt." Tino, der gerade erst recht damit klarkam, was ihm passiert war, tat diese Bemerkung als Angeberei ab, wie sie eher für Männer typisch war. Doch er mußte erkennen, daß dieses Wolfsweib da neben ihm die einzige Frau in seinem Leben sein würde, falls sie nicht ein paar gleichartige Schwestern hatte. Sie hatte recht, daß er ab jetzt eine Gefahr für alle Menschen war. Sie hatte ihn nur zielgerichtet gebissen. In der ungezügelten Wallung der Werwut um sich beißende nahmen keine Rücksicht auf das Leben von Menschen. Wollte er so ein Monster werden? Er überlegte, worauf er verzichten mußte. Anders als ein Vampir konnte er bei strahlendem Sonnenschein draußen herumlaufen, Knoblauch riechen und essen oder im Meer oder einem Fluß baden. Er hatte wohl das bessere Los gezogen. So akzeptierte er mit sichtlicher Resignation seine unfreiwillig erhaltene Existenz und ließ sich von Lunera instruieren, wozu er jetzt einer der Ihren war. Es ging schlicht und Ergreifend um seinen Internet-Anschluß.
"Und das ist sicher ein Kurier von der indischen Mafia?" Fragte Neubeginner auf unhörbarem Weg seinen Begleiter Himmelsreiter. Sie lagen hinter einem überquellenden, von Fliegenschwärmen umsurrten Müllcontainer. Selbst normale Menschennasen würden den Gestank aus dem Behälter nicht lange ertragen. Für die mit wesentlich empfindlicheren Sinnen begüterten Tigermänner war der Gestank eine Zumutung. Zu ihrer Erleichterung trugen sie gelbe Gasmasken, die nebenbei noch ihre Gesichter verhüllten. Außerdem trugen sie dunkle Kampfanzüge. Sie lagen auf der Lauer.
"Jagdish heißt der Knabe. Der war vor einem Jahr Mitarbeiter in meiner Firma. Der hat versucht, sich in mein Haus einzuschleichen und meine Familie zu bedrohen. Zum Glück kannte den einer meiner Leibwächter von einer anderen Sache her und konnte mich rechtzeitig warnen. Der Typ ist jedoch geflüchtet", schickte Himmelsreiter zurück.
"Und deine Verbindungen sind sicher, daß der gerade mit einer Ladung Drogen hier langfährt?" Wollte Neubeginner wissen. Himmelsreiter bestätigte das auf rein gedanklichem Weg. Dann hörten sie auch schon einen Automotor in der Ferne.
"Es darf nur zehn Minuten dauern, damit die Bande nicht argwöhnisch wird", schärfte Himmelsreiter seinem Begleiter und rangmäßig vorgesetztem ein. Denn Neubeginner, der als Dennis Taller in den vereinigten Staaten geboren worden war, trug über viele Generationen hinweg den Keim des Wertigers in sich, während Himmelsreiter erst weit nach der Geburt davon betroffen worden war.
Ein uralter Ford ratterte über die mit Schlaglöchern durchsetzte Straße. Immer wieder verfingen sich seine Reifen in den Unebenheiten und brachten das von vielen Rostflecken und Beulen entstellte Auto zum schlingern oder hüpfen. "In so'ner Rostlaube sollen 50 Kilo Heroin sein?" Fragte Neubeginner, als der Wagen immer näher kam.
"Das ist ja der Gag, Neubeginner. In so einer alten Mühle sucht keiner nach dem Stoff. Aber da ist er gleich." Neubeginner grinste und lugte hinter dem Mülleimer hervor. Gleich war der Wagen auf seiner Höhe. Der immer wieder am Rande des Absaufens laufende Motor übertönte das leise Klicken, mit dem Neubeginner den Sicherungshebel an der Gassprühvorrichtung umlegte. Dann sah er, daß der Wagen tatsächlich mit offenem Fenster an der Fahrerseite fuhr. Schon leichtsinnig, aber dafür auch genial. Wer so fuhr konnte unmöglich Rauschgift im Wert von mehreren hunderttausend Dollar, wenn nicht sogar einiger Millionen im Wagen haben. Neubeginner betätigte den Abzug. Laut zischend verließ das fast geruchlose, völlig unsichtbare Betäubungsgas die bauchige Hochdruckflasche, die Himmelsreiter beaufsichtigte. Da es schwerer als Luft war verflüchtigte es sich nicht so schnell. Der Wagen ratterte weiter. Die unsichtbare Gaswolke fing ihn ein. Neubeginner hielt weiter drauf. Das Mittel wirkte bei ausreichender Konzentration pro Kubikmeter Atemluft innerhalb von wenigen Sekunden. Womöglich brauchte es aber länger, weil der Fahrer nicht die volle Konzentration abbekam. Um so überraschter war Neubeginner, als der Wagen, kaum daß er den Rand der Gaswolke erreichte, in immer weiter ausgreifenden Schlangenlinien von einer Straßenseite zur anderen schlidderte, bis er mit häßlichem Knirschen von der ausgebauten Straße abkam und in der Böschung hängenblieb. Der Motor stotterte noch einmal. Dann schwieg er ganz. Die beiden Tigermänner grinsten hinter ihren Gasmasken. Feuerkriegers Idee, sich in einer Militärbasis mit hochwirksamem Betäubungsgas einzudecken, hatte also was eingebracht. Neubeginner befahl seinem Begleiter, bei der Gasflasche zu bleiben. Er selbst stürmte auf den Wagen zu, wobei er sich die Gasmaske vom Gesicht riß. Denn er sollte es sein, der das erste Glied der Kette schmieden würde, mit der der Clan der Wertiger das Netzwerk der indischen Verbrecherorganisationen an sich binden wollte. Himmelsreiter hatte durch behutsame Recherchen im Internet herausbekommen, daß ihm heimliche Mitgliedschaft in der indischen Mafia vorgeworfen wurde, nachdem niemand von seiner Familie unter den Trümmern seines abgebrannten Hauses hatte gefunden werden können. Warum sollte er da nicht tatsächlich mit diesen Leuten zusammenwirken. Denn der Tigerclan wußte, daß es den Vampiren Nocturnias eingefallen war, normale Menschen durch Geldzahlungen oder magische Hypnose für sich einzuspannen. Die Wertiger konnten da forscher vorgehen. Ihnen machten Sonnenlicht und fließendes Wasser nichts aus. Sie kontten sich durch den infektiösen Biß vermehren und so an wichtige Leute herankommen. Daß Himmelsreiter, der vor seiner Verwandlung in einen Wertiger Ian Wellingford geheißen hatte, einen aus den unteren Etagen der indischen Mafia kannte und ergründen konnte, daß dieser gerade mit 50 Kilogramm Heroin unterwegs war, war ein Jahrhundertzufall. Aber sie wollten ihn nicht ungenutzt lassen.
Neubeginner lief auf den Wagen zu. Er riß die vom Rost zerfressene Tür fast zu heftig auf. Beinahe wäre sie aus ihren Scharnieren gebrochen. Er stieß den bewußtlosen Fahrer an und wuchtete ihn auf den Beifahrersitz. Dann klemmte er sich selbst hinter das Lenkrad, zog die Tür zu und startete den Motor. Mit wildem, blechernen Rülpsen, schaben und Stottern kam der altersschwache Antrieb nicht recht auf Touren. Der alte Motor verursachte Fehlzündung auf Fehlzündung. Jede krachte so laut wie ein Gewehrschuß. Endlich konnte Neubeginner den Wagen von der Böschung wegbekommen und steuerte ihn einige Dutzend Meter weiter nach Vorne, wo er ihn so abstellte, daß niemand einen Unfall vermuten mochte. Er lauschte auf näherkommende Autos. Tatsächlich holperten und schepperten in den nächsten fünf Minuten an die fünfzig Wagen vorüber. Als Neubeginner sicher war, in den nächsten zwei Minuten nicht gesehen zu werden warf er seine Kleidung auf den Rücksitz und verfiel in die konzentrierte Haltung, die seine Tigerverwandlung einleitete. Es dauerte nur zehn Sekunden, da war aus dem wie ein in Indien geborener Mann aussehendem Amerikaner eine mehr als zwei Meter große Raubkatze geworden. Der Fahrer des alten Ford erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit. Offenbar hatte die Betäubung nicht lange genug vorgehalten. Neubeginner verlor keine Zeit. Sein rasiermesserscharfes Gebiß grub sich in den freien Arm des Fahrers, der wohl gerade dachte, einen Alptraum zu durchleben. Die Bißwunde war tief genug und hatte genug von Neubeginners Speichel abbekommen, um den Keim der Tigranthropie in das Blut des Kuriers zu pflanzen. Es würden wohl noch einige weitere Minuten verstreichen, bis der Fahrer vollends davon durchdrungen war und seine erste Verwandlung durchleben mußte. Ab da war er Neubeginner unterworfen, sofern dieser seine Selbstbeherrschung behielt und damit genug geistige Kontrolle auf den von ihm gebissenen ausübte.
"Verdammt, was ist das?" stöhnte der Fahrer des schrottreifen Fords, in dem sich irgendwo eine größere Menge Heroin befinden sollte. Er fühlte den pochenden Schmerz in seinem gebissenen Arm. Das war kein Traum. Das passierte wirklich. in seinem Wagen hockte, so klein zusammengerollt wie er konnte, ein Tiger, der mindestens anderthalbmal so groß wie ein Königstiger sein mochte. Diese Bestie hatte ihn in den Arm gebissen. Schmerzen wie loderndes Feuer, gefolgt von dumpfem Pochen zeigten dem Faahrer, daß die Wunde gefährlich war. Doch ein unbändiger Schwindel, vielleicht noch Auswirkungen der plötzlichen Besinnungslosigkeit, vereitelten es, daß er zur Beifahrertür hinausgelangte. Er wand sich in immer stärkeren Schmerzen. Sie hatten nun nicht nur seinen Arm erfaßt, sondern breiteten sich mit jedem Herzschlag weiter in seinen Körper aus. Jagdish, der im Auftrag seines Anführers Kalidas den Transport eines Zentners Heroin nach Mumbai durchführen sollte, ahnte, daß er sterben würde. Doch warum zerfleischte ihn das in seinem Wagen hockende Raubtier nicht? Wartete es darauf, daß die zugefügte Wunde zu einer Blutvergiftung führte? Das war doch völlig untypisch für Tiger. Wo kam die gefährliche Großkatze überhaupt her? Der Dschungel war mehrere hundert Kilometer von hier entfernt. Wieder durchraste ein Schmerz wie loderndes Feuer den Kurierfahrer. Er schrie auf. Doch sein Schrei erstarb, als er meinte, ihm bliebe die Luft weg. Dann sah er, wie die Haare auf seinem Handrücken immer dichter wurden. Wieder durchzog eine Schmerzwelle seinen Körper. Jetzt meinte er, in einem Wechselbad aus Angst und Freude dahinzutreiben. Die Behaarung auf seiner Hand wurde immer dichter. Da fiel ihm ein, was da mit ihm passierte. Er hatte nie an diese Ungeheuer geglaubt, sie für reine Kinderschreckfiguren, Gestalten aus Horrorgeschichten oder puren Aberglauben gehalten. doch jetzt war sich Jagdish sicher, es mit einem Wertiger zu tun zu haben, ja von diesem gebissen worden zu sein. Der Schmerz und die jähe Erkenntnis, was das für ihn nun bedeutete, brachten ihn erneut an den Rand der Bewußtlosigkeit. Wie durch einen Nebelschleier sah er, wie das Ungetüm rechts von ihm schrumpfte, sein gestreiftes Fell verlor und immer menschenähnlicher wurde. Jagdisch fühlte, wie seine Glieder schmerzten, als pumpe jemand sie auf und zerreiße dabei alle Adern und Muskeln. Er meinte, seine Knochen würden breitgequetscht. Zwischen Schreien und Stöhnen wand sich Jagdish. Er wußte, er war verflucht worden. Der sich zu einem Mann zurückverwandelnde Tiger hatte ihm seinen Fluch ins Blut getrieben. Er schrie wider, als der nächste Schmerzensschub über ihn kam. Er fühlte, wie sein Körper bebte, sich immer mehr auszudehnen begann. Er fühlte die peinigenden Gewalten in seinem Kopf und röchelte. Als er sah, wie seine Hand immer mehr zu einer Pranke wurde war dies wie ein Auslöser für eine letzte, unerträgliche Schmerzwoge, die ihn von den Ohren bis zu den Zehenspitzen durchraste. Er schrie. Sein Schrei wurde zu einem Krächzen, weil seine Stimmbänder gerade in die Länge gezogen wurden. Dann verschwand die Angst auf einen Schlag. Er fühlte sich plötzlich so frei und glücklich, als erlebe er gerade etwas sehr schönes und befriedigendes. Er fühlte, wie ihm alle Kleidungsstücke vom Körper platzten und empfand eine unerträgliche Enge, weil er gerade zwischen Beifahrersitz und Armaturenbrett eingezwengt wurde. der andere Wertiger tauchte schnell aus dem Wagen heraus, bevor sein gerade neuentstehender Artgenosse die restliche Verwandlung durchmachte. keine zwei Minuten nach dem verheerenden Biß lag ein zweiter Tiger über die beiden Vordersitze, den aus dem Steißbein gewachsenen Schwanz durch das offene Fenster der Beifahrerseite schwingend. Mit lautem Gebrüll vollendete Jagdish seine Wiedergeburt als Mitglied des Tigerclans. Alle Ängste und Vorbehalte gegen diesen Vorgang waren vom verseuchten Blut aus seinem Gehirn gespült worden. Er empfand sich nun, wo die letzten Schmerzen der Verwandlung verebbten, als genau richtig so und freute sich, jetzt noch größer und noch stärker zu sein.
Neubeginner, der gerade seine Kleidung vom Rücksitz auflas sah den neuen Mitbruder an, der gerade versuchte, seinen neuen Körper zu bewegen. Er sah die tiefschwarzen Streifen auf mittelbraunem Fell. Die einst hellbraunen Augen des Gebissenen waren zu ockergelben Raubtieraugen geworden. Der neue Wertiger wälzte sich. Die beiden Vordersitze quietschten alarmierend laut. "Bewege dich nicht. Konzentriere dich darauf, wie du vorher warst", dachte Neubeginner dem neuerschaffenen Artgenossen zu. Dieser gehorchte. Er lag still da. Es dauerte jedoch eine Minute, bis die Euphorie über das neue Dasein weit genug verflogen war, um der Notwendigkeit, wieder zum Menschen zu werden genug Platz zu machen. Unter Stöhnen und ächzen kehrte sich die Verwandlung um. Natürlich dauerte es für einen gerade erst entstandenen Wertiger länger und war schmerzvoller, zwischen den beiden Gestalten zu wechseln. Doch es gelang. Jagdish wurde wieder zum Mann. Die an seinem Arm beigebrachte Bißverletzung war bereits zu einer halbkreisförmigen, bleichen Narbe zugeheilt. "Ich bin Neubeginner, dein Schöpfer und oberster Anführer", sandte Neubeginner seinem neuen Artgenossen die erste klare Gedankenbotschaft zu. "Zieh dir neue Kleidung an und fahre deine Giftladung dahin, wo du sie hinbringen sollst. Lasse dich dann zu dem Mann oder der Frau bringen, die deine Gruppe anführt! Wenn du mit ihm oder ihr alleine bist werde zum Tiger und beiße auch ihn oder sie, falls nötig auch deren Leibwächter, wenn sie dir dazwischenkommen!"
"Ich werde das tun", sagte Jagdish. Neubeginner befahl es ihm noch einmal und dachte ihm dann zu: "Du bist ab heute Brückenbauer, der Verbindende zwischen dem Clan der Tiger und den außergesetzlichen Gruppen in Indien", gab er dem frisch entstandenen Wertiger seinen neuen Namen. Damit vervollständigte er die magische Unterwerfung des Neuen. Das erste Glied der Kette war geschmiedet. Ob es nur eine Kette blieb oder zu einem neuen Netzwerk würde wollte Nachtwind entscheiden. Denn zusammen mit Neubeginner, Himmelsreiter und Feuerkrieger hatte sie diesen Plan entworfen, wie Nocturnia auf verbrecherische Menschen zuzugreifen. Dabei sollten zunächst nur einzelne, aber wichtige Mitglieder der Verbrecherorganisationen in den Tigerclan eingegliedert werden. Nach Möglichkeit sollten die anderen Mitglieder dieser Organisationen nichts davon mitbekommen. Denn Nachtwind wußte, daß die indische Zaubererwelt sonst sehr schnell gegen die neuen Brüder und Schwestern vorgehen würde. Das aber war nicht im Interesse der gerade wieder schwangeren Königin des Tigerclans. Nur mit einem Dieb konnte man einen Dieb fangen, hatte ihre Tochter Sonnenglanz erzählt. Also brauchten sie gewöhnliche Verbrecher in der magielosen Welt, um andere Verbrecher zu erkennen oder zu bekämpfen. Nachtwind und Neubeginner hatten nicht vergessen, wie schnell ihr heiliger Tempel angegriffen werden konnte. Jetzt, wo die Spinnenfrau und der Drachenmann wußten, wo der Tempel lag, durften sie nicht zu sehr auffallen.
Brückenbauer erhielt von Neubeginner einen neuen Satz Kleidung. Die zerfetzte Kleidung des Rauschgiftfahrers landete im Müllcontainer.
Weitere Autos ratterten und brummten vorüber. Doch die Insassen hatten nichts von der Rekrutierung bemerkt, die sich hier an hellichtem Tag vollzogen hatte. Die ganze Aktion hatte eine Viertelstunde Zeit gekostet. Doch nun war Brückenbauer auf dem Weg. Sicher würden sie ihn fragen, was ihn aufgehalten hatte. Er sollte sagen, daß er mit dem Wagen in ein Schlagloch geraten und an die Straßenböschung geknallt sei. Er habe dann eben nachsehen müssen, ob sein Wagen noch fahren könne. Hilfe habe er ja keine holen dürfen, schon gar nicht die Polizei. Außerdem konnten ihm Kugeln nichts mehr antun, wenn er seine wahre Gestalt annahm. Das gleiche galt für Giftstoffe, ja sogar auf ihn geschleuderte Flüche.
"Sonnensteiger und Sonnenglanz warten mit dem Jet am Flughafen", sagte Himmelsreiter. Neubeginner bestätigte es. Dann holte er aus dem Kofferraum des Minicoopers, den sie hundert Meter links der Straße hinter einem wild aufgetürmten Abfallhaufen geparkt hatten, einen vollen Benzinkanister. Dessen Inhalt schüttete Neubeginner über die ausrangierte Kleidung Jagdishs und legte eine Zündschnur daran, die lange genug brannte, um die beiden Wertiger ungefährdet davonfahren zu lassen. Als die Lunte brannte warf sich Neubeginner neben Himmelsreiter auf den Beifahrersitz. Himmelsreiter startete den Motor und trieb den kleinen olivegrünen Wagen über die staubtrockene Erde zur Straße zurück. Allerdings fuhren sie nun in die entgegengesetzte Richtung von Jagdish.
Knapp fünf Minuten danach sah ein Fahrer, der den übervollen Müllcontainer passierte eine meterhohe Flammengarbe daraus emporlodern. Die plötzliche Hitzeentladung erzeugte eine starke Windböe, die das Auto auf die andere Seite der Fahrbahn drückte. Jetzt züngelten kleine und große Flammen aus dem zerbeulten, rostigen Container. Dicker schwarzer Qualm wölkte auf. Der Autofahrer trat aufs Gas. Er hatte keines dieser modernen, von vielen die Geld hatten besessenen Kleintelefonen für unterwegs. Auch hatte er keinen Feuerlöscher dabei. Er fragte sich, ob es wirklich so dringend war, den Containerbrand zu melden. Sicher hatte da eine nicht ganz ausgeglühte Zigarette etwas leicht brennbares entzündet. Aber die Wucht, mit der das Feuer aus dem Müllbehälter herausgeschossen kam sprach für mutwillige Brandstiftung. Womöglich hatte wer Benzin oder Spiritus in den Container geschüttet, um was immer sonst noch darin war zu verbrennen. Dann war es sicher wichtig, den Brand zu melden. Doch nachher wurde er noch als Brandstifter verdächtigt. Nein, besser war es, weiterzufahren und so zu tun, den Ausbruch des Feuers nicht mitbekommen zu haben. In dem Container konnte das Feuer sich austoben. Der stand weit genug von der Straße weg, um keinen Vorbeifahrenden zu gefährden. Der Zeuge des plötzlichen Feuerausbruchs verringerte den Druck auf das Gaspedal wieder. Jetzt hatte er es nicht mehr eilig, weiterzukommen.
Wer sie sah dachte sofort an einen Liebesakt zweier Frauen. Das erschien den meisten Menschen noch als abartig. Doch was hier vorging war noch abscheulicher, als es sich die Verfechter einer verkrusteten Moral vorstellen mochten. Die eine Partnerin besaß rückenlanges, nachtschwarzes Haar, das jeden Funken Licht restlos verschluckte, tiefbraune Haut und dunkelgrüne Augen. Das Gesicht wirkte wie das eines Mädchens von gerade neun Jahren. Doch der Körper war der einer vollerblühten, jungen Frau. Sie hockte mit weit gespreizten Beinen über dem Gesicht einer Frau, die mit schmatzenden, keuchenden Geräuschen etwas einsaugte oder ableckte. Das Gesicht der gerade liegenden wurde jedoch von einem pulsierenden, orangeroten Licht verdeckt. Nur vereinzelte schwarze Locken ringelten sich aus der orangeroten Leuchterscheinung heraus, die von der oben hockenden in rhythmischen Pumpbewegungen ihres Bauches und der Beine aus ihrem Unterleib zu strömen schien wie zu Lava gewordener Urin. Die Haut der unten liegenden war ebenfalls braun getönt, wirkte jedoch eine Winzigkeit heller. In immer größerer Gier und Wonne bewegte sich die auf einer Strohmatte liegende und sog, ja atmete jene orangerote Leuchtsubstanz in sich ein. jene, die über ihr thronte keuchte. Langsam hatte sie jener, die da unter ihr lag genug von sich abgegeben, genug Lebenskraft, Schutz vor Zaubern und Giften, Schutz vor dem Älterwerden und vor zu früher Erschöpfung. Dann versiegte der Strom der glühenden Essenz. Mit einem kurzen Schnaufen stemmte sich die Hockende in eine aufrechte Stellung zurück. Die unter ihr liegende machte noch ein schmatzendes Geräusch, als müsse sie den letzten Tropfen, den letzten Funken dessen einsaugen, was ihr geboten wurde. Dann stöhnte sie wohlig und streckte sich ganz aus. Jetzt war ihr Gesicht zu erkennen. Es wirkte hellwach, ja jugendlich frisch und wurde von einem Paar dunkelbrauner Augen beherrscht, die ähnlich kindlich vergrößert wirkten wie die jener, die gerade von ihrer Partnerin forttrat und in Richtung eines im goldenen Licht glänzenden Kruges Blickte.
"Du hast jetzt ein weiteres Jahr ungefährdetes Leben in dir, meine Dienerin", sprach die mit den dunkelgrünen Augen zu der mit den dunkelbraunen. Sie sprach den arabischen Dialekt, der im Irak üblich war. "Dafür erwarte ich diesmal mehr als nur, daß du mir geeignete Männer ausfindig machst, deren Lebenskraft ich aufnehmen kann. ich hörte davon, daß die Blut trinkenden Halbmenschen, die ihr Vampire nennt, ein eigenes Reich errichten wollen und sogar ein Mittel gefunden haben, den Keim ihres wiederlichen Daseins ohne den Biß und das Einflößen ihres Blutes aufgehen lassen zu können. Meine Schwester erzählte mir sowas, daß diese Blutschlürfer meinen, ein weltweites Königreich begründen zu müssen, seitdem diese Nyx den Mitternachtsdiamanten mit sich herumgetragen hatte."
"Ich gehöre zu denen, die daran arbeiten, das Gift zu enträtseln, mit dem sie Menschen ohne sie zu beißen und ihnen ihr verseuchtes Blut einzuflößen verwandeln können", sagte die immer noch auf der Matte liegende. "Das Reich soll Nocturnia heißen und sich als Reich ohne Grenzen verstehen. Aber der Mitternachtsdiamant ist von den Amerikanern erobert und im Golfstrom versenkt worden. Da kommt jetzt kein Vampir mehr heran. Doch offenbar hat diese Nyx einen Erben oder eine Erbin hinterlassen, der oder die alles kann und kennt, was sie ohne den Diamanten schon gekonnt hat und wohl auch alles, was sie durch das Tragen des verfluchten Steines erfahren hat. Wir wissen nicht, wieso sie diesen Vampirkeim weiterverbreiten können. Wir haben erst gedacht, es ginge nur, weil der Mitternachtsdiamant das Vampirblut seiner Trägerin hundertmal ansteckender macht. Aber das war ein Irrtum."
"So, du arbeitest daran, dieses Gift zu enträtseln und ihm entgegenzuwirken", erwiderte jene, die sich gerade ein Himmelblaues Gewand über ihren makellosen Körper streifte. "Das ist sehr schön, meine Dienerin. Finde heraus, wie das Gift entsteht und was ihm entgegenwirkt! Vielleicht findest du dabei auch heraus, wie man diese Blutschlürfer allesamt ausrotten kann. Sie sind mir lästig. Auch meine Schwester, mit der ich sonst nicht immer einer Meinung bin, will diese Pest loswerden. Am Ende werden wir noch mit dieser Brut gleichgesetzt. Das werden wir uns nicht bieten lassen."
"Es ist noch was, meine Lebensherrin", sagte die sich nun aufsetzende. "Die Wergestaltigen haben ein Bündnis geschlossen. Also die, die durch einen Keim Stundenweise gewollt oder ungewollt zu Raubtieren werden. Die Wolfsmenschen sollen angeblich einen Trank haben, der ihnen hilft, ihren freien Willen zu behalten, wenn sie durch die Magie des Vollmondlichtes verwandelt werden. Sie wollen Nocturnia entgegenwirken, um dann eigene Ansprüche anzumelden."
"So, diese kleinen, verlausten Mondanheuler wollen also auch groß und mächtig werden", schnarrte die Lebensherrin der Schwarzgelockten. "Ein Trank soll ihnen das erlauben, sowas zu träumen oder gar zu versuchen? Dann finde diesen Trank und gewöhn diesen Mondheulern das Träumen ab!"
"Da sind aber auch die Tigermenschen in Indien. Sie sind mächtiger als die Wolfsmenschen und können Zauberkräfte schwächen."
"Ich kenne diese Brut. Sie wurde wohl damals wie diese Schlangenkrieger erschaffen, als das längst versunkene Reich noch stark und allgegenwärtig war", schnaubte die Unheimliche im blauen Gewand. "Selbst meine Schwestern und ich haben Mühe, uns gegen den Sog ihrer Zauberkraftschwächung anzustemmen. Wenn die mit den Mondanheulern zusammengeen wird uns das lästig. Finde diesen Trank oder den, der ihn brauen kann und erledige beide! Die Tigermenschen müssen dann eben durch Eis und Feuer bekämpft werden. Ich selbst muß weiter diesen lästigen Morgensternbrüdern, die meinen, meinem längst verstorbenen Vetter noch einen Dienst erfüllen zu können Einhalt gebieten, bevor sie mich in den ewigen Schlaf zwingen. Nachher kannst du keine neue Lebenskraft mehr von mir erhalten, nur weil dieses Pack mich in die Enge getrieben hat."
"Ich habe dir Hilfsmittel mitgebracht, um dich gegen deine Feinde zu wehren", sagte die, welche sich gerade auf ihre Füße stellte und sich am Anblick ihrer straffen Haut und ihres erstarkten Körpers erfreute. Sie deutete auf eine große Tasche, die neben der abgelegten Kleidung lag. "Drachengallengas und Brenngebräu. War nicht einfach, die Zutaten dafür so heimlich zu kriegen, daß ich genug davon brauen konnte."
"Du bist und bleibst ein sehr braves Mädchen", erwiderte die Blaugewandete und holte die erwähnten Gebräue aus der Tasche heraus. "In zwei Stunden geht die Sonne in deiner Heimat wieder auf. Ich bringe dich dorthin zurück, wo du dein Reiseding hingelegt hast."
"Ich danke dir für deine große Gabe, meine Lebensherrin, Herrscherin der dunklen Winde."
"Deine eigentliche Aufgabe kennst du auch. Doch warte ich schon lange darauf, daß du mir berichtest, was die Zauberkundigen deiner Zeit darüber herausgefunden haben, wer die grauen Riesenvögel gerufen hat. Du weißt, daß mir das sehr wichtig ist, da sie weit oben in den Lüften versteckt leben."
"Die Zauberkundigen sehen es so, daß der Angriff der Schlangenmenschen sie geweckt und auf die Erde gerufen hat. Also hat sie kein Mensch gerufen."
"Das kann nicht sein, weil sie dann schon bei den ersten entstehenden Geschöpfen dieser Art herabgestoßen wären, meine Dienerin. Nein, jemand auf der Erde, der eine alte macht über diese Vögel geweckt und benutzt hat, hat sie gerufen. Finde das heraus, wer und wie. Und wenn du weißt, wer es war, dann bring ihn mir lebendig."
"Ich dachte, du kannst dir keine magischen Menschen unterwerfen", wagte es die Dienerin, auf eine Schwäche ihrer Herrin hinzuweisen. Diese verzog deshalb auch ihr Kindergesicht zu einer wütenden Grimasse und ballte die rechte Faust.
"Du wagst es, mir zu sagen, was ich kann und was ich nicht kann? In dir fließt seit mehr als fünfzig Jahren meine Lebenskraft, mein leiblicher Segen. Du gehörst mir, mit allen Fasern deines Körpers und allen Funken deines Geistes. Wenn ich sage, du bringst mir jenen Menschen, der die grauen Riesenvögel gerufen hat, dann bringst du den mir! Du hast nicht zu denken, was ich mit ihm anfangen kann und was ich nicht mit ihm machen kann. Wenn du weiterhin jedes verwehende Jahr von meiner Essenz des Lebens und der Lust in dich einsaugen willst, um nicht älter zu werden und gegen Gift und vernichtenden Zauber zu bestehen, so tu was ich dir sage! Vergiß niemals, daß du es mir zu verdanken hast, daß du gegen den jeden Rivalen verdrängenden Zauber bestehen konntest, den der Einfältige verwendete, um alle Lehrer zu vertreiben, die die Kunst gegen zerstörendes Zauberwerk lehren wollten! Vergiß du auch nicht, daß du nur deshalb so jung und attraktiv geblieben bist, weil du dich mir und meiner leiblichen Magie unterworfen hast. Seitdem du jedes Jahr von mir bestärkt wirst gehörst du mir. Du machst, was ich dir sage. Finde heraus, wer die grauen Vögel rief und bringe ihn oder sie zu mir hin! Mehr brauchst du nicht zu wissen, und mehr sollst du nicht denken, was ich mit diesem Menschen anfange. Sonst wanderst du gleich mit allem, was ich dir gerade zu atmen und zu trinken gab in meinen Lebenskrug. Da deine Seele mir schon lange gehört kann es dir widerfahren, daß sie nicht in der Menge aller anderen zerfließt, sondern in meinen Leib einkehrt und dort auf ewig gefangenbleibt. Also tu das, was ich dich geheißen habe!""
"Ich wollte nicht anmaßend sein, Lebensherrin", erwiderte die soeben gemaßregelte mit Tränen der Reue und Furcht in den Augen. "Ich kann dir nur nicht versprechen, daß ich mehr herausbekomme, wo es jetzt mehr als ein Jahr her ist, daß diese Vögel die Schlangenmenschen getötet haben."
"Wir haben Zeit. In dir fließt die Essenz der Ewigkeit, die nur ich dir geben kann. Und jetzt bekleidet dich, damit ich dich an den Ort zurücktragen kann, von dem aus du unauffällig weiterleben kannst!"
Die Dienerin nickte und zog sich schnell an. Sie ergriff die Hand der Herrin und verschwand mit dieser aus der Höhle. Der mannshohe Krug verlor sein goldenes Leuchten. Zeit- und lautlos reisten Herrin und Dienerin mehrere hundert Meilen weit in die irakische Wüste hinein, wo die Dienerin ein zerfleddertes Schulbuch von 1920 in einem wurmstichigen Kasten aufbewahrte. Sie ergriff das Buch. Die Herrin hätte sie zwar auch direkt in ihre Heimat tragen können. Doch sie wollte ihre Kraft nicht noch mehr ausschöpfen, als sie es durch das Absondern von Lebensenergie getan hatte. Die Dienerin nahm das Buch und verbeugte sich unterwürfig vor ihrer Herrin. Diese wandte ihr den Rücken zu und zerfloß geräuschlos wie eine vom Wind ausgelöschte Fata Morgana. Die Dienerin stand einige Minuten in der kalten Wüstennacht da. Doch der schneidende Wind tat ihr nichts. Durch die Gabe ihrer Herrin konnte ihr kein Windhauch der Welt etwas anhaben. Sie hielt das zerfledderte Buch hoch in die Luft, als wolle sie jemandem dort oben zeigen, daß sie es hatte. Sie dachte einmal mehr daran, daß sie es doch gewußt hatte, daß sie sich schon beim ersten Mal dieser makellosen Kindfrau ausgeliefert hatte, die als zweite Tochter der Lahilliota die Macht über alle der Luft betreffenden Zauberkräfte in die Wiege gelegt bekommen hatte. Sie ahnte, daß es Leute in ihrer Heimat gab, die ahnten, welchen verwerflichen Pakt sie geschlossen hatte. Doch solange sie wichtig und harmlos blieb würde niemand ihr Vorwürfe machen. Doch alles, so hatte sie es nun wieder gehört, verlangte seinen Preis. Sie sollte nicht nur junge Männer ausfindig und gefügig machen, um sie ihrer Herrin zu überlassen, ohne daß die magische Welt dies bemerkte, sondern auch aktiv in die Vorhaben des Zaubereiministeriums eingreifen. Denn dort galt seit Bekanntwerden der Mondbruderschaft der Grundsatz, den ihr verfügbaren Zaubertrank zu erlangen und zu entschlüsseln. Sie sollte ihn jedoch finden und vernichten. Das hieß, sie mußte sich weiter vorwagen als in all den fünfzig Jahren, die sie nun im Dienst der Tochter des dunklen Windes stand.
Unvermittelt erglühte blaues Licht aus dem Buch und hüllte seine Trägerin in eine wirbelnde Leuchtspirale ein. Sie selbst fühlte, wie sie fortgerissen wurde. Der in einen von ihr selbst gesicherten Raum tragende Portschlüssel hatte ausgelöst. Die Dienerin kehrte in ihre Heimat zurück.
Er nannte sich Kalidas Kumari. Wie er wirklich hieß oder mal geheißen hatte war sein ganz persönliches Geheimnis. Bei seinen Feinden hieß er auch "gelber Tod". Denn wenn er sich denen zeigte, die nicht durch persönliche Interessen oder persönliche Verbundenheiten sein Vertrauen genossen, trug er immer einen safrangelben Umhang und bedeckte seinen Kopf mit einem blaßgelben Totenschädel aus Gummi, der nur an den Augenhöhlen, den Nasenlöchern und einem schmalen Mund offen war. Auch jetzt trug er diese Aufmachung. Denn der heimliche Herrscher von Mumbai, zumindest seiner Schattenorganisationen, hielt eine seiner berüchtigten Wochenappelle ab. Zwanzig Männer in landestypischer Kleidung, aber auch in Maßanzügen mit Schlips und Kragen, die gespannt seinen Worten lauschten. Alle hatten sie vor der streng überwachten Schleuse ihre Waffen und Mobiltelefone abgeben müssen. Der Sitzungssaal war ein privater Atomschutzbunker. Allerdings hatte dessen Eigentümer dafür gesorgt, daß die Atmosphäre innerhalb der Gänge und Kammern der traditionellen Innenarchitektur Indiens entsprach. Auch zeigten Flüssigkristallbildschirme an den Wänden Außenansichten rund um die unterirdische Anlage. Kumari trhonte in einem hohen Sessel. Sein safrangelber Umhang reichte bis zu seinen italienischen Schuhen hinab. Jeevan, sein Vertrauter in Sachen Drogenhandel, legte gerade einen Bericht über die Entwicklung der letzten Monate vor. Dann erwähnte er, daß Jagdish, sein Kurier für das östliche Indien mit einer Ladung mehrere Minuten auf offener Straße gehalten hatte. Das sei an dem in den Transportkasten unter der Rückbank eingebauten GPS-Peilsender zu erkennen gewesen. Kumari fragte Jeevan, was den Drogenkurier aufgehalten habe.
"Er behauptete, ihm sei speiübel geworden. Die Hitze, zu wenig Wasser, falsches Essen, irgendwas in der Richtung. Immerhin kam er mit der gesamten Ware an. Doch ich mußte das Zwischenlager vorübergehend verlegen, weil ich mir nicht sicher bin, ob dieser Kerl uns nicht verraten hat."
"Und damit kommst du mir hier in der Sitzung, wo alle dabei sind?!" Bellte Kumari. Durch die seinen Mund bis auf einen kleinen Schlitz zum Luftholen verdeckende Maske klang seine Stimme noch unheimlicher, und das an der Decke kalte, weiße Neonlicht erzeugte einen gespenstischen Widerschein auf der blaßgelben Totenmaske. Jeevan erstarrte. Natürlich hätte er diese kleine Unannehmlichkeit direkt an den Boss weitermelden müssen, außerhalb der Sitzung. Doch das mit Jagdish war erst vor zwei Stunden zurückgekehrt. Das brachte er mit steigendem Unwohlsein vor.
"Habt ihr den Fahrer auch richtig befragt?" Wollte Kumari wissen. Ihn ärgerte es, vor seinen Untergebenen über Pannen zu reden. Andererseits war dies hier eben eine Gerichtsverhandlung, wo er oberster Richter und im Bedarfsfall auch der Henker war.
"Wir haben ihn sehr genau befragt. Aber er behauptet weiterhin, ihm sei nur schlecht geworden. Ähm, auch wenn er eine sehr gute Konstitution hat." Jeevan errötete.
"Hast du auch alles an ihm drangelassen?" Fragte Kumari.
"Alles, was nachwachsen kann, Herr", erwiderte Jeevan.
"Und du hast das Lager aufgelöst, ohne zu klären, ob jemand hinter ihm her war?" Fragte Kumari noch. Jeevan bejahte es und fühlte sofort, daß er sich damit wohl gerade ans Messer lieferte.
"Und, kamen welche an, die dir und damit uns was anhaben wollten?" Fragte Kumari mit hörbar bedrohlichem Unterton. Jeevan schwieg. Dann verneinte er es.
"Mit anderen Worten, du hast wegen eines kleinen Fahrers mit Kreislauf- und Verdauungsstörungen unser Zwischenlager leergeräumt und anderswo hingeschafft. Du hättest das mit mir besprechen sollen, bevor du zu schnell gehandelt hast. Übereifrige, die noch dazu meinen, zu wissen, was richtig ist, haben keinen Platz in meiner Organisation", sagte Kumari. Beim letzten Wort riß er den linken arm nach oben. Jeevan erstarrte. Deshalb konnte er nicht mehr rechtzeitig ausweichen, als mit einem leisen Schwirren etwas nadelfeines und ebenso spitzes vom Handgelenk des Anführers auf ihn zuraste und ihn voll am Hals traf. Alle sahen das im Neonlicht glitzernde Ende eines Stahlpfeils. Jeevan zuckte zusammen. Seine Hand fuhr zu dem nadelfeinen Geschoß. Doch es versah bereits seinen tödlichen Dienst. Er wankte, rröchelte und fiel schlaff zu Boden. Vor seinem Mund bildete sich Schaum. Ein letztes Keuchen, dann lag Jeevan still. Der gelbe Tod hatte ein neues Opfer gefordert, einen seiner unwürdigen aus seinen Reihen getilgt. Die anderen standen starr da. Jeder wußte, daß auch ihn die tödliche Giftnadel treffen konnte. Kumari sah jeden einzelnen von ihnen an. Dann winkte er einen in einem dunklen Maßanzug heran.
"Rahul, du wirst Jeevans Platz einnehmen und seine Aufgaben übernehmen, bis ich dich für wichtigere Sachen brauche oder ich dich wegen erwiesener Unfähigkeit entlassen muß", schnarrte der gelbe Tod. Rahul bestätigte diese Aufgabe. Zwar hatte er sich auch um die Verbindungen zu den britischen und US-amerikanischen Geschäftsleuten zu kümmern. Doch für's erste konnte er Jeevans Platz übernehmen. Ein Widerwort wäre sowieso sein Tod gewesen.
"So, jetzt zu den Gelbhäuten. Wie frech sind die schon?" Fragte er einen anderen Anzugträger, der vor allem den Handel mit dem Osten koordinierte.
"Der weiße Lotos blüht schon üppig in Afghanistan. Die Chinesen wollen da unseren Markt übernehmen und machen ziemlich dreiste Angebote."
"Wir können es uns nicht leisten, gegen die Bande offen zu kämpfen. Aber wir müssen uns das auch nicht gefallen lassen", schnaufte Kalidas Kumari.
"Ich habe ein paar Vietnamesen an der Angel, die mir demnächst mehr über die in Afghanistan einsickernden Gelben geben können. Vielleicht können wir unseren altgewohnten Markt weiterführen, wenn ..."
"Für das Denken bin ich zuständig", schnarrte Kumari und hob behutsam den linken Arm. Die Warnung kam an. So sagte sein Verbindungsmann nach Afghanistan nur, daß er die Informationen sofort an seinen Herren weitermelden würde.
Danach ging es um das Tagesgeschäft, die tributpflichtigen Gaststätten, Filmschauspieler und -regisseure und inwieweit die Angelegenheit Wellingford weitergegangen sei. Kumari ärgerte es immer noch, daß er diesem englischen Gernegroß, der eine Frau aus seinem Volk entehrt und zum Unglauben bekehrt hatte sich nicht hatte einschüchtern lassen. Außerdem hatte der zu sicher gewohnt. Da mußten erst Leute mit Fallschirmen über seinem Haus abspringen, um ihn kalt, beziehungsweise heiß zu erwischen. Jetzt ging herum, daß Wellingford für Verbrecherorganisationen wie die seine gearbeitet haben sollte. Lächerlich, wie Kumari fand. Er hätte auch denken können, daß ihm das sehr gefallen hätte, einen Europäer als Zulieferer von Informationen und Waren zu beschäftigen. Doch nun war er tot oder zumindest verschwunden.
Nach diesem, dem letzten Tagesordnungspunkt schickte er seine Leute hinaus. Zurück blieben er und der reglos daliegende Jeevan. Kumari griff zu einem in den Sessel eingearbeiteten Mikrofon und drückte die Sprechtaste. "Drei Unberührbare sofort zu mir in den Sitzungssaal!" Er Gab den Wächtern innerhalb und vor der Schleuse Signal, die Kastenlosen mit den Sonden zu überprüfen, sie bloß nicht anzufassen. Denn die Unberührbaren sollten den Leichnam fortschaffen. Es würde wohl zwei Minuten dauern, bis die niederen Handlanger da waren.
"Die Leichenträger brauchst du nicht", knurrte Jeevan unvermittelt. Kumari zuckte zusammen. Das konnte nicht angehen. Das von ihm verschossene Gift stammte von Meeresschnecken. An einer dieser Nadeln haftete eine Dosis, die fünf Menschen auf einmal töten konnte. Doch er hörte Jeevan nicht nur, er sah, wie der scheinbar getötete Helfer sich bewegte, an seinen Hals griff und den tödlichen Dorn herauszog. Blut pulsierte aus der Wunde. Doch dann passierte das unglaubliche. Jeevan wurde größer. Sein Kopf, seine Hände, seine Beine, alles veränderte sich. Kumari feuerte weitere Todesdornen auf den sich unter Stöhn- und Ächzlauten verändernden ab. Ratschend riß die Kleidung Jeevans. Die Schuhe platzten ihm von den Füßen, die zu behaarten Hintertatzen mutierten. Der Kopf des ehemaligen Mitarbeiters Kumaris wurde zum Kopf eines überlebensgroßen Tigers. Aus der Haut sprossen Haare, die zu einem immer dichteren Fell mit dunkelbraunen Streifen wurden. Kumari feuerte die drei letzten Giftdornen aus dem kleinen Armbandschußapparat an seinem linken Handgelenk. Doch die Giftdornen prallten jetzt sogar von dem Pelz des Tigers ab. Der Meister der Mumbaier Mafia, der es gewohnt war, daß alle anderen Todesangst vor ihm hatten, fühlte nun selbst die kalten Klauen des nahenden Todes an Hals und Nacken. Das vor ihm war kein normaler Mensch. Das war ein Ungeheuer, ein Dämon. Kumari wollte zum Mikrofon greifen, um Hilfe anzufordern. Da sprang das Ungeheuer auf alle vier Tatzen, reckte den kräftigen Tigerschweif nach hinten und hieb mit der rechten Pranke nach dem Mikrofon. Ratschend schälten die fünf dolchspitzen Krallen die linke Armlehne des Sessels ab. Kumari versuchte, nach rechts aus seinem Thron zu hechten. Doch der ihn bedrängende Tiger schnappte nach seinem linken Arm. Krachend zersprang der tödliche Armschmuck Kumaris. Er fühlte, wie die Schneidezähne des Scheusals sich in sein Fleisch bohrten. Kumari langte mit dem rechten Arm hinter sich und zog einen Dolch aus der Rückenlehne hervor. Die Klinge war beidseitig geschliffen und ebenfalls mit einem tödlichen Gift imprägniert, so daß ein leichter Schnitt ausreichte, um einen Gegner zu töten. Der Tiger ignorierte den ihm entgegenschnellenden Dolch. Kumari fühlte den schmerz des Aufpralls in seinem rechten Arm, als der Dolch von der offenbar stahlharten Haut des Ungeheuers abprallte. Die Spitze brach dabei ab. Dann war der Tiger wieder am Zug, er hieb seitlich mit der linken Vorderpranke nach Kumari und traf ihn am rechten Lungenflügel. Hätte die unheimliche Raubkatze ihn mit den Krallen voran getroffen würde Kumari nicht mehr leben. So fiel er von der Wucht des Schlages getroffen zu Boden. Eines seiner Beine flog dabei nach oben. In diesem Moment schnappte das mörderische Maul des Tigers zu. Kumari fühlte den schmerzhaften Biß und merkte sofort, wie es in seinem Bein zu lodern begann. Doch noch wollte er nicht aufgeben. Er versuchte, sich aufzurappeln und versuchte, den Dolch in die Flanke des Tigers zu rammen. Doch selbst wenn die Waffe noch ihre Spitze gehabt hätte wäre sie abgeglitten. Der Tiger ignorierte den Angriff. Kumari fühlte, wie die tiefe Bißwunde immer mehr schmerzte. Er fühlte, wie etwas fremdes, unheimliches durch das verletzte Bein pulsierte, Herzschlag für Herzschlag weiter in seinem Körper nach oben kroch. Jener, der sich gerne als der Gelbe Tod bezeichnen ließ, fühlte, wie eine unheilige Kraft von seinem Bein und immer mehr von seinem Körper Besitz ergriff. Er ahnte, daß ihn das Untier dort mit seinem Dasein verflucht hatte. Doch er wollte nicht zu einem Geschöpf der Dämonenwelt werden. Er versuchte, sich mit seinem Dolch die Kehle durchzuschneiden, zumindest aber genug von dem anhaftenden Gift in sein Blut zu bekommen, um sich der teuflischen Transformation durch den eigenen Tod zu entziehen. Doch der Tiger bemerkte es, daß sein Opfer sich der zugedachten Verwandlung entziehen wollte. Er hieb mit einer Kralle der rechten Pranke präzise nach der Klinge des Dolches. Die Waffe flog Kumari aus der Hand. Dann warf das Ungetüm ihn mit einem Kopfstoß zu Boden und stellte sich mit den Vorderpranken auf Kumaris Brustkorb. Da wußte der Herr der Unterwelt Mumbais, daß der Tiger ihn nicht töten wollte. Vielmehr sollte er sein Artgenosse werden. Die Schmerzen und die unheimliche Entkräftung, die ihn befielen raubten ihm den letzten Rest von Widerstandswillen. Kumaris gelber Umhang färbte sich rot. Immer noch hockte der gigantische Tiger auf dem Träger der Totenkopfmaske, bis er roch, hörte und fühlte, wie der düstere Keim seiner Existenz sich weit genug in Kumaris Körper ausgebreitet hatte, so daß dieser seine schmerzhafte Wiedergeburt durchlebte. In dem Moment, wo Kumaris Bewußtsein beinahe erlosch und er nur noch in einem Wechselbad von Schmerz und Schwäche dahintrieb, ratterte die elektrische Verriegelung der Schleuse. Laut surrend glitt das Innentor auf. Der Wertiger Jeevan ließ von seinem nun unumkehrbar veränderten Opfer ab und warf sich herum. Da kamen drei armselig wirkende Männer durch das Tor, die einen großen Sack trugen. Der Wertiger ließ sie hereinkommen. Als sie das gestreifte Ungeheuer erblickten, schrien sie auf und sprangen zurück. Jeevan schlug mit Klauen und Zähnen zu. Kumari erkannte durch den mal dicht und mal durchsichtig werdenden Schleier vor seinen Augen, daß die Bestie durchaus blitzschnell töten konnte, wenn sie dies wollte. Keine fünf Sekunden später lagen die drei Unberührbaren in ihrem eigenen Blut. Einem hing der Kopf nur noch an wenigen Muskelsträngen und Knochenstücken am Hals. Die Schleusentür schloß sich gerade wieder, als Kumari in das Endstadium seiner Umwandlung eintrat. Er schrie den unbändigen Schmerz hinaus. Da ging die Schleusentür wieder auf und vier schwerbewaffnete Wächter in Schutzanzügen und Stahlhelmen stürmten den großen Raum hinter der Schleuse. Als sie den bereits fertigen Wertiger Jeevan sahen rissen sie ihre Maschinenpistolen hoch und gaben Feuer. Die Bunkeranlage hallte dröhnend vom Knattern der Waffen und dem wilden Schwirren von Jeevans Körper abprallenden Kugeln wider. Die Leibwache konnte von Glück reden, daß sie kugelsichere Kleidung trug, die selbst Stahlmantelgeschossen widerstand. Pfeifend und heulend flogen die abprallenden Kugeln zwischen den meterdicken Stahlbetonwänden herum, schlugen in den Sessel und andere Möbelstücke. Einige der Flüssigkristallbildschirme zerfielen unter den Geschossen in tausende Einzelteile. Funken stoben aus den zerstörten Bildschirmen. Mit lautem Knall platzte eine Neonröhre. Schlagartig wurde es dunkler. Doch der Kugelhagel bewirkte nicht das, was er sollte. Die beiden Wertiger blieben unverletzt. Kumari, dessen safrangelber Umhang gerade laut ratschend in mehrere Fetzen ging, wälzte sich. Das Gummi seiner Maske dehnte sich noch mit dem anschwellenden Kopf. Doch es zeigte erste Risse. Der gelbe Tod wurde zu einem gestreiften Tod. Denn dort, wo seine Haut bloßlag wuchs das Tigerfell. Am Ende streckte sich das nicht mehr nur menschliche Ungeheuer, wand sich und sprang auf, weil ihm immer noch lautstark Maschinenpistolenkugeln entgegenstoben. Kumari sprang auf seine neuen Pranken. Die Wut auf die, die seine Ohren peinigten trieb ihn an, sich mit Jeevan zusammen auf die vier ehemaligen Gehilfen zu stürzen. Deren Kleidung setzte den Krallen der Wertiger jedoch einen enormen Widerstand entgegen. Da zog einer der Wächter eine Handgranate vom Gürtel. Der Sicherungsstift flog davon. Einen Sekundenbruchteil später zog der Mann den Zünder. Doch Kumari kannte diese gefährliche Wurfwaffe. Er hieb sie dem Leibwächter aus der Hand, bevor dieser sie einem der Tiger in den Rachen werfen konnte. Sie kullerte in die Schleuse. Kumari warf sich herum und sprang durch einen Wandteppich hindurch, der einen türlosen Zugang verbarg. Jeevan folgte ihm. Die vier Wächter setzten nach. Doch die Tiger waren nun schneller. Sie jagten durch den Korridor. Kumari sprang gegen einen anderen Wandteppich und warf sich durch die dahinterliegende Tür. Jeevan folgte ihm einen Lidschlag später. Die vier Wächter wollten gerade um die Ecke biegen, als die gezündete Handgranate explodierte. Der Lärm und die Druckwelle betäubten die Wächter. Und auch die Wertiger fielen vom überlauten Knall betäubt zu Boden. Die Hauptwucht der Explosion tobte sich in der Schleusenkammer aus, wo sie jedoch keinen Schaden anrichtete, da die Kammer ja eben bombensicher konstruiert worden war.
Es dauerte eine Minute, bis die beiden Wertiger wieder zur Besinnung kamen. Jeevan hörte ein lautes Pfeifen in seinen Ohren. Das machte ihn wütend. Denn ohne sein Gehör fühlte sich der Wertiger hilflos. Deshalb griff er die immer noch unter dem Schock der Explosion stehenden Wächter an. Er fand die Schwachpunkte an der Stich- und schußsicheren Kleidung und zerrte sie brutal von den Körpern. Als die Wächter splitternackt am Boden lagen hieb er seine Pranken in die Oberkörper der Wächter. Dann gab es keinen Gegner mehr. Jeevan brüllte. Doch durch den Schock, den die Granatenexplosion angerichtet hatte, hörte er sein eigenes Brüllen ohne Nachhall wie aus einem entfernten Schrank. Nur die eigene Körperschwingung machte ihm deutlich, daß er selbst diese unbändige Wut in die Gänge und Räume hinausbrüllte. Würde er je wieder richtig hören können? Kumari antwortete. Zwar hatte auch ihn das Knalltrauma der Granatenexplosion ereilt. Doch der gerade erst entstandene Wertiger wußte noch nicht, daß sein Gehör sonst vier- bis fünfmal so empfindlich war wie bei Menschen. Jeevans Wut entlud sich in einen regelrechten Freßrausch. Wie ein Rudel ausgehungerter Raubkatzen auf einmal fiel er über die von ihm niedergemachten Leibwächter her, riß riesige Stücke aus ihren Körpern und zerbiß diese, das die Knochen laut knackend brachen und zu boden fielen. Vom Fremdblutgeruch angelockt befiel auch Kumari ein unbändiger Hunger, zu dem sich noch der bei vielen Raubtieren auftretende Futterneid gesellte, die Angst, zu wenig abzubekommen. Dabei geschah es, daß das laute Pfeifen in den Ohren abklang, zu einem leisen Piepen wurde und dann in einem pulsierenden Säuseln verebbte, bis beide nur noch ihr eigenes Blut rauschen hören konnten. Der Hall der Gänge und Kammern drang wieder zu ihnen vor. Die Bißverletzung Kumaris war bereits verheilt. Als von den vier getöteten Wächtern nur noch Blut- und Knochenreste übrig waren fanden die beiden Wertiger ihre Ruhe wieder. Jeevan übermittelte Kumari seine Gedanken. "Du gehörst jetzt zum ehrwürdigen Clan der Tiger. Ich, Brückenpfeiler, bin dein neuer Herr, wie Brückenbauer mein Herr ist und Neubeginner sein und damit unser Herr." In Kumaris Kopf ertönten nun fremde Stimmen, die ihn freudig willkommen hießen. Kumari erkannte nun, daß die Verwandlung in eine dämonische Daseinsform auch ihre Vorteile hatte. Kugeln und Gifte taten ihm nichts. Damit würde er der unumschränkte Herr von Mumbai, ja der gesamten indischen Unterwelt werden. Die Übereinkunft der Wergestaltigen hatte nun einen wertvollen Brückenkopf in der Welt des organisierten Verbrechens.
"Das Programm kann auch verschlüsselte Mails lesbar machen. Und das Archivierungsprogramm kann auch passwortgesicherte Archivdateien entpacken", hatte Valentino seinen beiden neuen Artgenossinnen Nina und Lunera erklärt. Nina kannte sich aber schon gut mit Computern aus, hatte also auch wie er in der technischen Zivilisation gelebt. So konnten sie am 16. September, drei Tage nach Tinos unumkehrbarer Infektion die ersten Nachrichten von Neubeginner lesen, der sich mit der E-Mail-Adresse Jungleboy2000@worldmail.com ins Internet gewagt hatte. Als sie heraus hatten, wie die von Tino benutzten Programme arbeiteten und Lunera Neubeginner den öffentlichen Schlüssel für an sie gehende E-Mails übermittelt hatte war einen halben Tag später eine umfangreiche Sendung eingetrudelt. Der Anhang enthielt ellenlange Texte, mehrere Bilder und eine Packung Straßenkarten.
"Und die NSA kann diesen Schlüssel echt noch nicht knacken?" Fragte Nina beklommen wegen der brisanten Daten.
"Deshalb darf das Programm nicht in den USA benutzt werden, weil die Geheimdienste damit verschlüsselte Nachrichten noch nicht knacken können. Hat was mit Codes zu tun, die aus riesigen Primzahlen oder so bestehen", setzte Tino an und erklärte so einfach er konnte die Funktion des Verschlüsselungsprogrammes, der aus postkarten gleich allen lesbaren Nachrichten Sendungen in mehrfach versiegelten, ja gar in mit mehreren Schlössern versperrten Metallschachteln machte.
Die Aktion, die unter dem Decknamen Unternehmen Brückenschlag abgelaufen war, zeitigte den ersten Erfolg. Ein in die Reihen der indischen Mafia eingeschleuster Wertiger hatte Material über Konkurrenten innerhalb Indiens aber auch Daten über andere Verbrecherorganisationen zu Tage gefördert. Dabei interessierten sich die Mondbrüder und -schwestern für die europäer und US-Amerikaner. Tino mußte lachen, als in einem Dossier über einen mutmaßlichen Mafiaclan namens Danielli der Name Andrea unter dem Bild eines athletischen Mannes mit nachtschwarzem Haar und fast schokoladenbraunen Augen auftauchte. Nina wußte, daß Andrea in Italien ein Jungenname war. Tino nickte. Er kannte schließlich auch den blinden Sänger Andrea Bocelli, der vor zwei Jahren den letzten Boxkampf eines deutschen Halbschwergewichtschampions musikalisch eingeleitet hatte. "Mußte nur lachen, weil ich daran dachte, wie das rüberkommt, wenn der Typ außerhalb vom Stiefel seinen Namen sagt, um eine tolle Braut für die Nacht abzuräumen. Die hält den ja dann für einen Transvestiten oder sowas."
"Angeblich hat er wohl schon hundert Jungfrauen mit seiner Manneskraft niedergestreckt", sagte Lunera und deutete auf eine Textstelle, die Danielli als potentiell für seine Familie gefährlichen Frauenhelden auswies und anführte, daß er Blondinen bevorzugte. Nina und Lunera hatten darauf einander angesehen. Tino vermeinte zu hören, wie die eine die andere gefragt hatte: "Wer von uns beiden macht sich an den ran?" Dann fiel ihm auf, daß da noch was stand.
"Dieser Ganges-Mafioso, den eure Freunde aus dem Urwald an Land gezogen haben schreibt, daß die Daniellis mit einer anderen Familie im Dauerstreß liegen, Pontebianco, von so einem Patriarchen namens Don Vittorio angeführt. Euer Kontakt hat wohl mal mehr über diesen Klüngel rausgefunden und es unter "zu bedenken" und "Vielleicht mal nützlich" abgeheftet." Lunera und Nina nickten. Das Material war mehr wert als alles Gold in Fort Knox. Damit konnten sie mehrere europäische Mafia-Familien hochgehen lassen. Doch das war wohl nicht der Plan der Wergestaltigen.
"Unser Freund aus dem Dschungel hat uns hier noch geschrieben, daß unsere Erzfeinde von Nocturnia wohl auch schon Leute für sich arbeiten lassen", sagte Tino. "Könnte sein, daß euer Kontakt demnächst Krach mit Konkurrenten kriegt."
"Kann passieren", grummelte Nina. "Aber genau deshalb müssen wir ja zusehen, selbst Leute von denen am Start zu haben."
"Aber hallo, Cariña", erwiderte Tino an Ninas Adresse. Lunera bedachte erst ihn und dann ihre beiden Werwolfszöglinge mit einem warnenden Blick. Dann sagte sie ruhig:
"Da der Typ auf Jungfrauen ausgeht sollten wir ihm kein zu erfahrenes Mädchen anbieten. Außerdem kennst du dich doch noch besser mit dem technischen Mumpitz aus, den die Magielosen heutzutage so um sich herum haben."
"Dann wollt ihr den ... genauso wie mich ... einkassieren, diesen Andrea Danielli?" Fragte Tino belustigt.
"Erst müssen wir rausfinden, ob der nicht schon auf der Lohnliste von Nocturnia steht", räumte Nina ein. Der Gedanke, sich zum lebenden Köder einer Falle zu machen, ja in bestimmten Grenzen wie eine Hure aufzutreten, behagte ihr nicht. Was Lunera an Abgebrühtheit aufbot fehlte ihr völlig. Doch genau das, da hatte ihre lykanthropische Ziehmutter leider recht, würde diesen Danielli am besten ködern.
"Ach, der Pate von Catania hat sogar einen Palast", feixte Tino und deutete auf eine hochummauerte Parkanlage auf einem Foto, deren Zentrum ein altrömisch gebautes Landhaus mit Innenhof war. Im Park standen mehrere Fontänen und flossen kleine Kanäle. Im Innenhof stand ein achteckig ummauerter Springbrunnen mit dito Strahlen, die im Vergleich zur von oben geschätzten Haushöhe doppelt so hoch in den Himmel stoben, bevor sie zu glitzernden, durchsichtigen Pilzen auseinanderflossen. Das hochgespritzte Wasser regnete dann überwiegend in das große und tiefe Auffangbecken des Springbrunnens zurück.
"Wasserverschwendung sondergleichen", schnaubte Nina. "Wo wir in Spanien zusehen müssen, nicht mehr Wasser zu verbrauchen als nötig ... na ja, aber ich muß da wohl durch."
"Du kannst auch Englisch?" Fragte Lunera ihre Begleiterin. Nina nickte. "Gut, dann soll uns Brückenkopf zuschicken, wo dieser Danielli gerade ist, damit wir dich dahinbringen können, wo du am besten an ihn herankommst." Nina nickte.
Jetzt war es schon fast einen Monat her, wo sie von Shacklebolt geshanghait worden war, wie Hermine es mit gewisser Verdrossenheit nannte. Der Minister hatte ihre eher unfreiwillig eingereichte Bewerbung prüfen lassen und ihr über Mr. Diggory eine Bestätigung zukommen lassen, daß dieser sie ab dem ersten September in seiner Abteilung anstellen wolle. Sie hatte am selben Tag, wo in Hogwarts das neue Schuljahr eröffnet wurde mit zwanzig ehemaligen Mitschülern im Atrium vor der gesamten Belegschaft des Ministeriums einen Eid schwören müssen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen, stets zum Wohl des Ministeriums und zum Nutzen der magischen Gemeinschaft zu arbeiten und in jeder ihr zugeteilten Anstellung allen Anforderungen zu entsprechen, die diesen Zielen dienlich seien. Hermine dachte an Vereidigungen von Muggelweltministern und -präsidenten. Da war es immer darum gegangen, Schaden von einem Land abzuwenden und den Nutzen zu mehren, so wahr ihm oder ihr Gott helfe. Dieser Amtseid beinhaltete keine religiöse Bekundung. Jetzt war sie eine dieser Personen, auf die sie vor einem Jahr noch mehr verächtlich und anklagend herabgeblickt hatte.
Ihre ersten Wochen als neue Ministeriumsbeamtin hatte Hermine in der Werwolfregistratur zugebracht. Der zuständige Büroleiter, Mr. Beowulf Coats, hatte sie eine Woche lang in den Innendienst genommen, um ihre theoretischen Kenntnisse zu prüfen. Als ihm klar wurde, daß sie alle nötigen Grundkenntnisse schon längst erworben hatte, durfte sie bereits registrierte Werwölfe besuchen, um die für den kommenden Vollmond anstehenden Schutzvorkehrungen zu prüfen. Dabei mußte sie auch zu reinen Muggeln, die durch bedauerliche Umstände zu Trägern der Lykanthropie geworden waren. Hier halfen ihr ihre eigenen Erfahrungen aus der magielosen Zivilisation, und sie gewann das Vertrauen der Betroffenen. So saß sie am sechzehnten September in der Wohnung von Ms. Gladys Tate in London, einer seit fünfzig Jahren mit Lykanthropie lebenden Dame, die als zehnjähriges Mädchen von Greyback gebissen worden war. Als Hermine erklärte, daß sie aus der nichtmagischen Welt stammte erzählte ihr die ältere Dame, was sie in den fünfzig Jahren alles erlebt hatte, daß sie sogar schon den Antrag gestellt hatte, heiraten zu dürfen, weil dazu ja eine Genehmigung des Registrierungsbüros erforderlich sei. Ms. Tate hatte jedoch eine Ablehnung zurückerhalten. Selbst ein Umzug von London nach Spanien hatte daran nichts geändert. In Spanien selbst hatte sie zwanzig Jahre gelebt und dort auch Kontakt mit anderen Werwölfen bekommen, teils aus der Zaubererwelt, teils aus der Muggelwelt.
"Sie sind noch sehr Jung, Ms. Granger und haben esicher eine Menge vor im Leben. Sicher langweile ich Sie mit meiner Leidensgeschichte", befand Ms. Tate, Hermine könne aus purer Ausführung einer Anweisung bei ihr sitzen. Hermine überlegte kurz, welche Antwort die angenehmste war, ohne lügen zu müssen. Sicher nervte es sie, als niedere Ausführungshexe des Ministeriums durch hingehaltene Reifen zu springen. Doch das Damoklesschwert einer Anklage hing noch immer über ihr, wenngleich sie herausgefunden hatte, daß Rita ähnliche Verhandlungen mit Shacklebolt und dem Franzosen Grandchapeau machte wie sie, Hermine Granger. Dann fiel ihr ein, daß sie ja des Lernens wegen unterwegs war. So fragte sie, wie Ms. Tate Spanien empfunden hatte und ob dort auch Werwölfe vom Schlage Greybacks gehaust hätten.
"Es gab vor einigen Jahren einen Zauberer dort, von dem es hieß, er sei selbst ein Werwolf und habe mit anderen Lykanthropen zusammen eine Bruderschaft des Mondes unterhalten. Der wurde aber von einem Vampir getötet. Diese sogenannten Dunkel- oder Neumondvampire sehen uns als Erbfeinde an. Ich habe nur über einen guten Freund von den Kanaren, daß eine gewisse Lunera Tinerfeña diesen Überfall überlebt haben soll und die jetzt diese Mondbruderschaft fortführt. Es könnte ihr einfallen, daß wir alle dazugehören sollen."
"Sie meinen, dazu gezwungen werden, ihr beizutreten?" Fragte Hermine mitfühlend.
"Wohl eher geködert. Angeblich soll es einen Trank geben, der unsere Krankheit beherrschbar macht. Eine Heilung gibt es ja nicht, wenn dieses Virus den Körper einmal durchwandert hat. Aber es soll angeblich einen Zaubertrank geben, der einen Lykanthropen dazu befähigt, sich wann immer er will zu verwandeln und in Wolfsgestalt den freien Willen zu behalten. Ich fürchte, wenn es so einen Trank gibt, dann könnten Spinner vom Schlage dieses Monsters Greyback darauf kommen, noch mehr unschuldige Leute mit dieser Seuche zu verpesten, um die Welt zu erpressen." Hermine zuckte zusammen, weil die Vorstellung von einer Invasion der Werwölfe und das Wort Erpressen in ihr eine gewisse Beklemmung auslösten. Dann fiel ihr ein zu fragen, ob sie nicht fände, daß Werwölfe endlich freien Zugang zu allen Berufen bekommen sollten.
"Was mich angeht, junge Dame, so sind mir die Zaubererweltsachen egal, ob Werwölfe dort gelitten sind oder nicht. In meinem Alltag und dem ihrer Eltern glaubt ja keiner an diese Wesen, was mir schon oft gut geholfen hat. Das einzige, was mich stört sind die Lebensbeschränkungen, vor allem das Vorrecht, Ehen zu erlauben oder zu verbieten. Ich hätte sehr gerne Kinder gehabt. Andererseits stimmt schon, daß ich nicht sicher sein konnte, daß diese Kinder nicht auch mit diesem Virus befallen zur Welt kommen oder ich sie aus Versehen damit anstecke oder sie sogar töte. Dieser Remus Lupin, der ja mal bei Ihnen unterrichtet hat, konnte einen gesunden Sohn zeugen, erfuhr ich von ihrer Kollegin Highdale, die ja selbst mit der Lykanthropie leben muß."
"Das stimmt, Professor Lupin hat einen unbelasteten Sohn gezeugt", bestätigte Hermine mit gewisser Trübsal. "Hmm, dieser Trank interessiert mich, ob der nur eine Erfindung ist, um arglose Mitläufer zu ködern. Der Wolfsbanntrank ist ja schon seit Jahren bekannt und bewährt. Bedauerlich, daß Sie ihn nicht erhalten dürfen, Ms. Tate."
"Das hat mir die andere junge Dame auch schon erzählt, wegen der unzureichenden Eigenmagie im Körper. Wundere mich dann, daß ich bei jedem Vollmond in einen abgelegenen Wald muß um dort die Nacht zu überstehen, damit keiner von Ihnen meint, mir doch noch eine Silberkugel oder dergleichen in meinen alten Leib zu jagen." Hermine mußte sich sehr anstrengen, nicht einen ihrer früheren Empörungsanfälle zu erleben. Das mit der unzureichenden Magie war blanker Unsinn, eine Lüge. Jeder Zaubertrank wirkte auf Menschen gleich. Die einzigen Ausnahmen waren jene Tränke, die in berauschende Getränke gemischt werden konnten, um den Rausch zu verstärken. Aber sonst wirkten alle Tränke auf Muggel so wie auf Magier. Doch wenn sie das jetzt ausplauderte mußte sie sich vor dem Minister verantworten, wenn alle Muggel mit Lykanthropie auf der Zuteilung dieses Trankes bestehen würden. Sie wußte mittlerweile, wie schwer es war, die Zutaten zu beschaffenund daß es nur wenige gab, die den Trank brauen konnten. Einer von ihnen war Severus Snape gewesen. Dann waren da noch die frühere Zaubertranklehrerin Semiramis Bitterling, die von Hermine heimlich verehrte Ceridwen Barley und vier Braumeister aus England, Frankreich, Italien und Deutschland. Sie konnte also nicht die Wahrheit verkünden, ohne eine brauchbare Lösung anzubieten. So sagte sie:
"Bisher hat niemand es für nötig gehalten, den Trank auf nichtmagische Menschen abzustimmen. Falls sie dies wünschen, kann ich das gerne in meiner Dienststelle vorbringen."
"Soweit ich weiß gibt es nur dreißig wie mich in der magielosen Welt. Für die wenigen wird keiner diesen Trank ummodeln und vielleicht irgendwelche unangenehmen Nebenwirkungen auslösen. Falls sie das möchten können Sie gerne danach fragen, ob jemand sich dazu bereiterklärt, diesen Trank für unsereins umzuarbeiten. Ich fürchte nur, auf Minderheiten wird keine Rücksicht genommen. Ist ja in der magielosen Pharma-Branche auch so. Auf Minderheitenkrankheiten geht die Forschung nur dann ein, wenn sie an die Nachkommen weitergegeben werden. Solange sie nicht in Massen auftreten oder wie das AIDS-Virus weitergegeben werden und sogar schon unschuldige Babys vor oder während der Geburt ansteckt, will da keiner was von wissen. Brint ja nichts ein."
"Ja, aber dann würden diese Leute, die behaupten, diesen Verwandlungsbeherrschungstrank zu brauen, ja offene Türen einrennen", erwiderte Hermine darauf, die damit eine Idee aussprach, wie sie den Büroleiter dazu bringen konnte, Wolfsbanntrank ohne Gebühren an die reinen Muggel unter den Lykanthropen zu verteilen.
"Die Gefahr besteht, zumal ich von einem meiner spanischen Leidenskameraden gehört habe, daß es im Moment eine Vampirseuche gibt, die Menschen ohne Berührung von einem Vampir zu diesen Blutsaugern werden läßt." Hermine mußte sich anstrengen, nichts zu verraten. Natürlich hatte sie auch schon von Nocturnia gehört und gelesen und daß diese Gruppe machtgieriger Vampire eine Art Verwandlungsvirus in Umlauf bringen konnte, das mit dem Trinkwasser aufgenommen werden konnte. So sagte sie schnell:
"Deshalb ist es sicher richtig, wenn solche Widerstandsprediger keine Möglichkeit haben, unschuldige Leute auf ihre Seite zu ziehen. Ich werde mit meinem Vorgesetzten sprechen, ob der Wolfsbanntrank auf Verträglichkeit für nichtmagische Menschen geprüft werden kann, um mögliche Lockangebote dieser Mondbruderschaft unwirksam zu machen." Ms. Tate nickte darüber nur.
Hermine bedankte sich nach dem Gespräch mit der älteren Dame für die wichtigen Anregungen und besuchte den nächsten auf der Liste. Dieser zeigte ihr einen Aufruf, den er erhalten hatte.
"Sagen Sie diesem Hutzelhexer Coats und seinen Hampelmännern und Barbiepuppen, daß er zusehen soll, daß diese Beschränkungen für uns achso gefährlichen Bestien bald abgeschafft gehören! Wenn stimmt, was die hier schreiben, können mir die Bestimmungen aus Oz demnächst den Buckel runterrutschen und mit der Zunge abbremsen. Wenn stimmt, was ich hier lese kann ein simpler Trank klarmachen, daß wir nur dann zu Wölfen werden, wenn wir das wollen. Also sehen Sie zu, daß Ihr verein das auf die Reihe kriegt. Und falls Ihre werten Kollegen nicht in die Gänge kommen, sollen die sich nicht wundern, wenn wir demnächst einen eigenen Selbsthilfeclub aufmachen und vor Gericht ziehen, um Ausfallsentschädigung zu kriegen!"
"Sie glauben also, daß dieser Trank existiert, Mr. Plains?" Fragte Hermine schnell.
"Ich soll noch bescheid kriegen, wann ich mich mit Leuten von dieser Mondbruderbande treffen soll. Wann das ist kriegen Sie von mir nicht. Kann schon morgen oder in einem Monat sein. Hauptsache, dieser Trank ist echt und ich kann danach endlich mal wieder ohne Angst bei Vollmond rumlaufen."
"Nichts für ungut, Sir, aber in den von Ihnen unterschriebenen Registrierungsbestimmungen steht drin, daß Sie jedes Angebot melden, das darauf abzielt, Ihre Krankheit zu lindern oder gar zu heilen. In den meisten Fällen passiert nämlich genau das Gegenteil. Es gibt in der magischen Welt zu viele Betrüger, die die Arglosigkeit von Leuten ausnutzen, um deren Geld zu kriegen."
"Mädchen, wenn der Trank taugt, und ich darf den haben, könnt ihr mich mal mit eurer Meldepflicht", erwiderte Mr. Plains sehr überlegen tuend. "Und wenn er nichts taugt oder ich mich dafür dumm und dämlich löhnen muß wie ein Fichser für seine tägliche Dosis H, dann kann ich ja immer noch bei euch anklopfen."
"Ja, aber Rauschgiftsüchtige klopfen nicht bei der Polizei oder der Gewerbeaufsicht an, um ihren Stammdrogenhändler wegen überhöhter Preise anzuzeigen", knurrte Hermine. "Im übrigen nennen Sie mich bitte Ms. Granger. Ich bin kein naives Schulmädchen, daß für eine Schülerzeitung recherchiert, Sir. Also, wenn Sie Kontakt mit diesen Leuten kriegen, müssen Sie den weitermelden. Oder wollen Sie sich von Verbrechern abhängig machen?"
"Wird sich ja dann zeigen, ob es Verbrecher sind, Mäd..., Miss Granger. So, und jetzt habe ich meine Zeit lange genug mit Ihnen verbracht. Sagen Sie dieser Highdale, daß sie demnächst wieder die Abklopfrunde machen soll, sofern bis dahin nicht raus ist, daß der Wundertrank existiert und wirkt!"
"Gut, Sie haben Hausrecht, Sir", sagte Hermine Granger. "Außerdem kann ich auf eine bloße Behauptung hin keine Festnahme rechtfertigen", fügte sie hinzu und tastete behutsam nach ihrem Zauberstab.
"Das wäre auch noch schöner, mich festzunehmen. Seien Sie froh, daß ich nicht ins Irrenhaus will, weil mir draußen eh keiner die Kiste mit der Werwolfkrankheit abnimmt! Raus!"
"Wie Sie wünschen, Sir", spie Hermine dem Muggel-Lykanthropen hin und ging durch die Tür. Zwar hätte sie auch vor ihm disapparieren können. Doch dann wäre der erst recht abweisend geblieben.
Hermine fühlte sich nicht wohl in ihrer Rolle. Sie hatte die Wolfsbanntrank-Lüge nicht aufgedeckt und hatte sich einem aufgebrachten Muggel gegenüber als zu respektierende Beamte aufgespielt. War sie jetzt Beobachterin oder ein gut geöltes Rädchen im System Zaubereiverwaltung?
"Ach, hat der nette Mr. Plains Ihnen das auch erzählt, daß es diesen Trank geben soll?" Fragte Tessa Highdale, als Hermine sie im Besprechungszimmer Mr. Diggorys vorfand. "Ich bin ja schon ein wenig weiter nach oben gerutscht. Deshalb teilt mich der gute Beowulf nicht mehr für das ein, was Plains Abklopfrunden nennt. Aber dafür weiß ich, daß dieser Trank existiert. Woher ich das weiß darf ich Ihnen noch nicht erzählen. Nur so viel, daß wir überlegen müssen, wie wir verhindern können, daß andere Lykanthropen dadurch dazu verlockt werden, den Erfindern oder Rezeptkundigen menschenunwürdige Dienste zu leisten. Danke für den Hinweis, Ms. Granger!" Hermine mußte unter dem Lächeln der dunkelblonden Hexe mit den eher kindlich wirkenden Gesichtszügen ebenfalls lächeln. Sie fragte, ob Plains beobachtet würde.
"Bei den Muggeln würden sie sofort mit Lauschvorrichtungen, diesen Käfern oder wie die kleinen Mithörgeräte heißen anrücken, nicht wahr?"
"Öhm, Sie meinen Wanzen, Ms. Highdale", korrigierte Hermine die Dienstältere Kollegin. Diese schmunzelte. Das kannte Hermine noch nicht, daß jemand auf eine Belehrung von ihr mit Erheiterung reagierte. Das machte ihr die selbst mit der Lykanthropie belastete Kollegin recht sympathisch. So beschrieb sie die Funktionsweise von Miniaturmikrofonen und neueren Kameras, die auch Bilder in das weltweite Computernetzwerk Internet übertragen konnten.
"Achso, zurück zum Kernpunkt. Eine Überwachung von Muggeln darf nur dann eingerichtet werden, wenn diese nachweislich von Bewohnern der magischen Welt kontaktiert werden, um sie für böswillige Unternehmungen einzusetzen. Nur weil Mr. Plains Ihnen damit imponieren wollte, daß er sich über die ihn und die anderen betreffenden Beschränkungen erhaben fühlt, können wir eine derartige Überwachung nicht einrichten, wenngleich es da eine Menge Mittel gibt, wie Sie sicher wissen." Hermine nickte.
Mr. Diggory wurde jedoch auch informiert, nachdem Hermine sich an den Dienstweg gehalten und Mr. Coats über ihre Gespräche und Anregungen unterhalten hatte. Coats und Diggory luden dann alle mit Werwölfen und Vampiren befaßten Kollegen zu einer Spontankonferenz ein, bei der Hermine Granger die erhaltenen Aussagen wiedergab. Amos Diggory sagte darauf:
"Natürlich müssen Sie sich unwohl fühlen, Ms. Granger, daß Sie unsere Schutzbehauptung zur Verträglichkeit des Wolfsbanntrankes stützten, wo Sie sicher wissen, daß sämtliche Zaubertränke auf magielose wie magische Menschen gleichgut oder -schädlich wirken. Ich bitte Sie deshalb darum, Kollege Coats, daß die Möglichkeit einer Herstellung des Trankes in benötigter Menge geprüft wird. Sonst haben diese Mondbrüder eine ideale Möglichkeit an der Hand, Muggel-Lykanthropen hinter sich herzulocken wie dieser Flötenspieler aus dem deutschen Dorf Hamburg, der dort eine Rattenplage mit magischer Musik ausgetrieben haben soll. - Ähm, wollten Sie noch was einwenden, Ms. Granger?" Hermine hatte bei Erwähnung der Rattenfängergeschichte verdrossen die Achseln gezuckt.
"Nur das Hamburg kein Dorf sondern eine Großstadt ist, Sir", erwiderte Hermine. Alle anderen grinsten sie an und blickten dann Diggory an, ob der sich das bieten ließ. Er nickte jedoch nur. Hermine hätte auch sagen können, daß der Name der berühmten Rattenfängerstadt Hameln lautete. Doch das war für einen wie Diggory zweit- oder gar drittrangig und hielt ihn nur auf. Mr. Murray, der im Vampirüberwachungskommando arbeitete, grinste jedoch überlegen, als Hermine den obersten Vorgesetzten korrigierte.
"Nun, Sie, Ms. Highdale bleiben an Mr. Plains dran. Fernbeobachtungszauber oder dergleichen dürfen wir nicht benutzen. Aber von einer personellen Observation dürfen wir schon Gebrauch machen, wenn der Verdacht besteht, daß ein Muggel von fragwürdigen bis unbestreitbar verbrecherischen Subjekten aus der Zaubererwelt kontaktiert wird", sagte Diggory schnell, um seine Autorität wieder in Erinnerung zu bringen. Dann fragte er Murrays Leute noch, ob sich in Sachen Nocturnia neues getan hätte.
"Ja, daß unser Vampirzählwerk bald einen Zeiger für Hunderterschritte braucht, wenn das so weitergeht, Sir", stieß Murray aus. "Wenn wir dem nicht bald beikommen kriegt diese Bande es noch hin, Städte wie London, Manchester, Paris oder auch Hamburg in Vampirstädte zu verwandeln, und dann müßten Arsenal, Chelsea, United und der HSV im Dunkeln spielen. Da hätten die anderen Fans ja nichts von." Jetzt lachten alle, auch Diggory, der das eigentlich als Kritik an der Abteilung hätte schlucken müssen.
"Ich werte diese Erheiterung nicht als Zustimmung, daß sich Nocturnia wahllos neue Mitglieder heranzüchten kann, Ladies and Gentlemen", sagte Diggory nach einer Minute der Erheiterung. "Ich sehe Ihre Reaktion eher als Beleg dafür, daß Vampire sich nicht mit sturem Laufsport wie Fußball abgeben würden, Mr. Murray. Ansonsten wenden Sie sich an die Abteilung zur Ermittlung und Beseitigung gefährlicher Mixturen, wenngleich diese wohl schon selbst weiß, daß ihre ganze Erfahrung zählt."
"Falls Sie mir eine Vollmacht erteilen würde ich auch ggerne die Abteilung für Zaubertrankunfälle im St.-Mungo-Krankenhaus einbeziehen, Sir", sagte Murray.
"Hatten wir schon, Mr. Murray, aber die Heiler möchten unabhängig bleiben und haben beteuert, daß sie selbst ein fundamentales Interesse daran haben, das Vampyrogen zu neutralisieren, nach Möglichkeit bevor es Menschen unumkehrbar verändert hat und die Wirkung eventuell umkehren, da die Heiler der festen Überzeugung huldigen, künstlich erzeugte Vampire seien nicht dauerhaft."
"Abgesehen davon könnten wir neben den Vampiren auch mit Wertigern zu tun bekommen", erwiderte Tessa Highdale. "Sie sind schon einmal in denWesten vorgedrungen, ohne sofort erkannt zu werden und waren nicht leicht wieder loszuwerden."
"Ja, wissen wir", knurrte Gordon Saulton, ein Kollege Hermines. Mehr sagte er nicht. Hermine hatte von den Wertigern gelesen. Anders als Werwölfe konnten sie auch ohne einen Trank ihre zwei Daseinsformen willentlich beherrschen und waren zudem in ihrer Tigerform immun gegen Geschosse und Magie. Nur nichtmagisch erzeugtes Feuer oder Eis konnte ihnen etwas anhaben.
"In Ordnung, Ms. Highdale übernimmt die Personenüberwachung des Muggels Plains. Die anderen machen da weiter, wo sie gerade sind. Ähm, Mr. Murray, ich würde lieber hören, daß der Wildwuchs von künstlichen Vampiren gestoppt wird. Vampirzählvorrichtungen mit hunderter- oder gar Tausenderschritten sind nicht erwünscht. Haben Sie das verstanden?"
"Verstanden, Sir", knurrte Murray und winkte seinen Leuten zu.
"Darf ich bitte einen Vorschlag machen, den Sie bitte nur anhören möchten, Sir", wagte sich Hermine entschlossen wie behutsam vor. Mr. Diggory wiegte den Kopf und nickte dann. Er wußte, wie Kreativ Hermine Granger sein konnte. Sie nicht anzuhören mochte ein Fehler sein.
"Zum einen wäre es sicher sehr praktisch, wenn das Ministerium eine zur Analyse ausreichende Menge dieses Werwutbeherrschungstrankes erbeuten könnte, um ihn gegebenenfalls nachzubrauen. Dann könnten wir, ähm, könnte das Ministerium Menschen wie Mr. Plains davon abbringen, sich diesen Mondbrüdern anzuschließen. Hmm, dazu müßte aber jemand, der oder die ein Werwolf ist, Kontakt mit diesen Leuten erhalten, um deren Gunst zu gewinnen, falls das nicht schon längst beabsichtigt wurde", sagte Hermine. Diggory und Higdale nickten behutsam. Hermine nickte auch und wartete auf eine verbale Erwiderung. Diggory sah sie jedoch nur erwartungsvoll an und sagte: "Sie benutzten die Formulierung "zum einen", Ms. Granger. Diese Formulierung kündigt mehr als einen Standpunkt oder Handlungsvorschlag an. Also sagen Sie bitte, was Ihnen noch als anhörenswert eingefallen ist!"
"Zum anderen haben viele Zauberer und Hexen Angst vor Werwölfen, sobald diese wie Greyback ihre Werwut als Druckmittel einsetzen. Die Diskriminierung der Werwölfe ist schließlich eine reine Angstreaktion, ähnlich wie die Verbannung von Leprakranken an isolierte Orte ja auch nur ..."
"Den Vorschlag bitte, Ms. Granger, keine Geschichtsstunde", würgte Diggory den Redefluß der neuen Mitarbeiterin ab.
"Entschuldigung, Sir. - Zum anderen wäre es sicher praktisch, wenn zur Verfolgung verbrecherischer Werwölfe Werwölfe eingesetzt werden, die als Gegenleistung mehr gesellschaftliche Anerkennung oder ein besseres Auskommen erhalten. Professor Dumbledore und der Phönixorden konnten Dank Professor Lupin wichtige Informationen über Greyback erhalten. Deshalb bin ich erstaunt, daß es im Ministerium hier keine solche Truppe gibt. Ich spreche jetzt nicht nur von Spionen oder Spitzeln, sondern von offiziellen Beamten, die dort, wo Werwölfe ihre Krankheit als Waffe oder Druckmittel einsetzen einspringen, um die Sicherheit der unbelasteten Bürger mit und ohne Magie wiederherzustellen. Wie erwähnt, ich vermisse eine derartige Truppe, wo es hier ein Koboldverbindungsbüro und einen Zwergenbeauftragten und ein Zentaurenverbindungsbüro gibt."
"Ich hoffe doch nicht, Ms. Granger, daß Sie unbedingt in das Zentaurenverbindungsbüro möchten", sagte Mr. Diggory mit einer gewissen Verstimmtheit. Offenbar war sein Maß doch langsam voll. Doch Ms. Highdale strahlte ihn an und sagte:
"Abgesehen davon, daß da nur Leute hinsollten, denen sonst nirgendwo was einfällt und die deshalb nur dumm herumstehen, Mr. Diggory, halte ich diesen Vorschlag für prüfenswert. Es ist schließlich richtig, daß Werwölfe durch ihre Ansteckungsgefahr einen gewissen Druck auf unbelastete Leute ausüben können. Sie-wissen-schon-wer hat sich dieser Tatsache bedient, und warum sollten wir, das Zaubereiministerium, dem nicht durch eine Gruppe motivierter wie loyaler Lykanthropen entgegenwirken, die keine Angst mehr vor der Ansteckung haben müssen, da das Kind ja schon im Kessel liegt."
"Dann hätte Ms. Granger mit dieser, ähm, Anregung zunächst mal zu mir kommen sollen", blaffte Beowulf Coats. Hermine hob die Hand wie in der Schulstunde. Diggory sah sie an und erteilte ihr das Wort:
"Nun, was diesen Faux-Pas angeht, Mr. Coats, bitte ich Sie als meinen derzeitigen Vorgesetzten darum, zu entschuldigen, daß mir die Idee von einer aus Werwölfen bestehenden Werwolfkriminalermittlungsabteilung zum Zwecke der Abwehr krimineller Werwölfe gerade erst im Laufe der Diskussion über diesen Werwutbeherrschungstrank einfiel und ich nicht zögern wollte, diese Idee interessierten Zuhörern mitzuteilen, zu denen Sie ja auch gehören, Sir." Tessa Highdale mußte mädchenhaft kichern, während Diggory seinen Ressortleiter ansah, der Hermine Granger mit einem leicht verärgerten Blick bedachte, dann aber nickte. Tessa Highdale sagte dazu nur:
"Sagen wir es mal so, ich alleine kann sicher keine maßgeblichen Ergebnisse erbringen. Falls Mr. Diggory den von Ihnen eingebrachten Vorschlag prüfen möchte warten wir ab, wie er sich entscheidet, Ms. Granger." Alle nickten. Dann entließ der Leiter der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe auch die Mitarbeiter des Werwolfregistrierungsbüros.
"Ich weiß, daß Sie in Hogwarts sehr häufig und wohl auch auf ihrer Expedition mit Potter und Arthurs jüngstem Sohn sehr viele brauchbare Geistesblitze hatten, Ms. Granger. Aber hier im Ministerium ist zu viel unbeherrschtes Ideenfeuerwerk eher störend als willkommen", knurrte Coats seine neue Mitarbeiterin an. Hermine fühlte sich erniedrigt, ja gedemütigt. Sowas war ihr zwar schon bei Snape und auch bei Trelawney im Unterricht widerfahren, aber genau da, wo gute Ideen zu nützlichen Ergebnissen führen sollten, wollte man sie nicht hören? Sie sagte schnell, um sich nicht von ihrer Wut zu unbedachten Äußerungen verleiten zu lassen:
"Ich weiß, daß ich neu bin und daher erst mit vielem bereits bewährtem vertraut werden muß, bevor ich mich darüber äußern darf, Sir. Aber wenn Mr. Diggory, unser gemeinsamer Chef mich darum bittet, einen Vorschlag zu machen, muß ich dieser Bitte entsprechen. Außerdem habe ich mich anständig zu Wort gemeldet und nicht dazwischengeredet, Sir."
"Weil Diggory Sie hofiert, weil Sie M..., ähm, aus einem anderen Umfeld kommen und er findet, das bereichert unsere Abteilung. Das mag auch eine Sentimentalität sein, weil Sie mitgeholfen haben, den Mörder seines Sohnes zur Strecke zu bringen. Aber das Ministerium hier arbeitet schon seit mehr als zweihundert Jahren. Viele magische Wesen und Gesetze haben sich in der Zeit nicht geändert und werden dies auch in den nächsten zweihundert Jahren nicht tun. Wir sind bis jetzt mit den erprobten Verfahren zurechtgekommen und hatten genug Zeit, Neuerungen zu durchdenken und erst auf ihre langfristige Auswirkung zu prüfen, bevor wir sie einführten. Das sollten Sie bei allem, was Sie hier erleben und erfahren gütigst bedenken."
"Auch, wenn Sie mir eine Arbeit im Zentaurenverbindungsbüro empfehlen möchten, Sir, wage ich doch jetzt eine Gegenäußerung", holte Hermine aus, darauf gefaßt, daß ihr Coats den Schweigezauber auferlegen mochte. "Der Trank, wenn er wirklich das kann, was behauptet wird, ist neu. Den gab es vor zweihundert Jahren noch nicht. Viele Werwölfe werden in ihm eine Befreiung von der bisher als wichtig und richtig gesehenen Überwachung durch das Zaubereiministerium begrüßen. Auf Neuerungen muß eine Verwaltung schnell reagieren, um nicht von ihnen überholt oder gar wertlos gemacht zu werden. Und wo Sie meine Abstammung betont haben darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Verwaltungsorgane der Muggelwelt genau jetzt, wo die technische Entwicklung immer rasanter voranschreitet, genau in diesem Denkfehler gefangen waren, mit althergebrachten und gültigen Gesetzen alle Neuerungen abdecken zu können. Ich habe durch meine Zauberschulausbildung vielleicht nicht genug Zeit gehabt, immer auf dem laufenden in der Entwicklung der Muggeltechnologie zu sein. Aber was ich auf jeden Fall mitbekommen habe, Sir, war, daß ich in einem Sommer noch einen Riesenklotz von Computeranlage bei meinen Eltern in der Praxis mitbekommen habe, und im Sommer darauf schon ein kleinerer Rechner mit digitalen Durchleuchtungsaufnahmefunktionen und Anschluß ans weltweite Datenaustauschnetzwerk mitbekommen habe. Das Telefon ist mittlerweile allgegenwärtig, und die dazu nötigen Kleingeräte können auch immer mehr. Wir werden in der Zaubererwelt eines Tages vor der Frage stehen, ob wir abwarten sollen, bis genug Leute Zauberei als solche erkennen und jeden magielosen Trick ausschließen oder wir wissen, wie wir die Geheimhaltung aufrechterhalten können, falls die Datenverbreitung nicht eines Tages jede Geheimhaltung wertlos macht."
"Sind Sie jetzt fertig?" Fragte Coats mit warnendem Unterton.
"Für diesen Argumentationsgang ja, Sir. Nur soviel: Ich bin nicht im Ministerium, weil mir daran lag, ein geöltes Rädchen in einer uralten Verwaltungsmaschinerie zu werden, sondern weil Minister Shacklebolt und ich miteinander überlegt haben, ob es sich für mich lohnt, hier zu arbeiten oder nicht. Ich dachte zunächst, es lohne sich nicht. Er überzeugte mich, daß es sich mit meinen Fähigkeiten durchaus lohne. Und zu diesen Fähigkeiten gehört dann wohl, daß ich gut überlegte Ideen weitergebe, damit sie auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Falls dies in Ihrer Abteilung nicht nur nutzlos, sondern unerwünscht ist werde ich mich in Zukunft damit begnügen, Akten zu sortieren, bis jemand mir eine für alle Seiten nutzbringendere Verwendung anempfihelt. Vielen Dank!" Hermine wußte, daß sie sehr sehr dünnes Eis unter den Füßen hatte. Dennoch wollte sie sich nicht als Störenfriedin abstempeln lassen, nur weil diesem mit seinem Bürostuhl verwachsenen Bürokraten nicht paßte, daß sie mitdenken und ihre Gedanken auch weitergeben konnte. Womöglich machte den auch nur wütend, daß Diggory sie für Meinungsbefugt erklärt hatte. Er hätte sie doch schlicht wie ein unartiges Schulmädchen herunterputzen oder direkt vor die Tür schicken können. Daß Coats das jetzt indirekt tat war hilfloses Dienstranggeplänkel. Dennoch wußte Hermine, daß sie sich auf Dauer nichts leisten durfte, was sie aus dem Ministerium hinausbeförderte. Denn dann könnte sie sich tatsächlich vor dem Zaubergamot wiederfinden und womöglich in Askaban einrücken. Sie hoffte nur, daß Coats das nicht wußte und gegen sie ausspielte. Pokern halt, da sah niemand die Karten des anderen.
"Ich denke eher, daß ich Ihnen für den Rest des Nachmittags freigeben sollte. Wir alle sind von der derzeitigen Lage in der Zaubererwelt angespannt, und Streß ist für neue Mitarbeiter eine sehr hohe Belastung. Weil ich dies selbst so erlebt habe sehe ich von einem dienstlichen Verweis gegen Sie wegen renitenten Verhaltens ab, Ms. Granger. Ich sehe Sie dann morgen früh ausgeruht und ausgeglichen wieder!" Hermine nickte. Sie holte ihre kleine Perlentasche aus dem ihr zugeteilten Schrank für persönliche Dinge und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter zum Atrium, wo sie sich voll konzentrierte, um beim Disapparieren nicht zu zersplintern.
Coats indes hockte mißmutig in seinem Büro und fragte sich, ob er diese Muggelgeborene überhaupt führen konnte. Sie war zu intelligent, um ohne nachzudenken zu funktionieren. Vielleicht war sie zu impulsiv, sich zu fragen, ob ihre Gedanken gerade jetzt und hier erwünscht waren. Aber sie hatte ihm zu denken gegeben. Sie kannte die Muggelwelt. Er nicht. Sie wußte, was dort passierte. Er nicht. Wenn sie Vergleichen konnte, wozu er nicht fähig war, hatte ihm der Minister eine Laus in den Pelz gesetzt. Vor allem, daß sie leider mit ihrer Anfrage einen wunden Punkt berührt hatte. Früher war es eben so, daß Werwölfe wie Aussetzige behandelt wurden. Jeder sah es ein, auch die Lykanthropen. Da konnte das Ministerium ja schlecht hingehen und sagen, daß Werwölfe einen Nutzen hatten und entsprechend bezahlt werden kontten. Es hätte sich ja lächerlich gemacht. Aber damals gab es ja auch keinen Lykonemisis-Trank, der Werwölfe befähigte, mondphasenunabhängig zwischen ihren Gestalten zu wechseln und in Wolfsgestalt auch noch klare Entscheidungen treffen zu können. Natürlich war das ein geniales Verführungsmittel für unentschlossene, lethargisch in ihr Schicksal ergebene Werwölfe. Die konnten jetzt aufstehen und finden, ihr Leben in die eigenen Hände oder Pranken zu nehmen. Diese Mondbrüder lebten es ihnen doch vor, und er konnte keine unbelasteten Zauberer und Hexen losschicken, sie davon abzubringen. Sicher, eine Dezimierung renitenter Werwölfe würde Eindruck machen. Aber wenn es sich dabei um bewußt handlungsfähige Geschöpfe handelte griffen die Werwolftoleranzgesetze, die einen Werwolf in Menschengestalt mit denselben Schutzrechten wie einen nicht mit Lykanthropie behafteten Menschen versahen. Genau dieses Dilemma hatte Granger enthüllt. Wütete ein Werwolf unkontrolliert herum, durfte er gejagt und getötet werden. Konnte aber nachgewiesen werden, daß er sich bewußt und zielgerichtet bewegte und verhielt, mußte man ihn wie einen registrierten Animagus behandeln und vor den Ausschuß gegen den Mißbrauch der Magie vorladen? Oder galt ein entscheidungsfähiger Werwolf als neue Zauberwesenart, die dann wieder in ganz andere Bereiche fiel? Coats merkte, daß die Zweiteilung der für Werwölfe zuständigen Unterabteilungen kurz davorstand, zur Absurdität zu verkommen, zu einer nur noch durch ihre Existenz gerechtfertigten Institution.
Es klopfte an die Tür. Als Coats um Eintritt bat betrat Mr. Diggory zusammen mit Tessa Highdale das Büro.
"Soll das ein Tribunal werden oder was?" Fragte Coats unüberlegt, bevor ihm klar wurde, daß sein direkter Vorgesetzter ihn aufgesucht hatte. Er entschuldigte sich sofort und bot den beiden Besuchern freie Plätze an.
"Ich habe es gemerkt, daß sie sich mit dem Besenstiel durchbohrt gefühlt haben, als Ms. Granger ihre Vorschläge unterbreitete, Beowulf. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht vorhatte, sie dumm aussehen zu lassen, Beowulf. Allerdings hat Ms. Granger womöglich gänzlich unbeabsichtigt den wunden Punkt unserer Politik im Bezug zu den Lykanthropen getroffen. Daß Sie Ms. Granger wohl auf Grund möglicher Streßerholung vorzeitig nach Hause geschickt haben läßt mich vermuten, daß Sie das auch so sehen."
"Das Mädchen ist gerade von der Schule runter und meint, gleich alles umkrempeln zu dürfen, Amos", knurrte Coats. "Am besten sollte sie zumindest mal einen Monat im Zentaurenverbindungsbüro sitzen, um zu merken, daß sie sich besser unterordnet als zu vereinsamen."
"Ja, und das ist dann genau der Monat, in dem wir durch die Mondbrüder oder Nocturnia an den Rand der Niederlage gedrückt werden", wagte Tessa Highdale einen Vorstoß. Da sie seit einem Jahr nicht mehr in Beowulfs Büro arbeitete unterstand sie ihm nicht mehr. Sie sagte dann noch: "Womöglich ärgert Sie mehr, daß Ms. Granger, die noch keine Geheimhaltungsstufe erworben hat, eines unserer Geheimnisse herausgefunden hat, nämlich daß wir schon nach Kontakt zu den Mondbrüdern suchen. Es erscheint ihr nur logisch, so vorzugehen und hat es ja auch mit einem konkreten Beispiel unterlegt, nämlich mit dem Phönixorden."
"Man hat diesem Mädchen und Potter und Weasley zu viel aufgeladen und zugemutet, daß die jetzt meinen, mit ihren Achtzehn oder neunzehn Jahren genug zu wissen, um für voll genommen zu werden", knurrte Coats.
"Aha, das ist also Ihr Problem, Beowulf, daß Sie Ms. Granger nicht für voll nehmen wollen, sie als gerade mal aus der Schule abgegangene Anwärterin ansehen, ohne zu überlegen, was sie schon alles hat schultern müssen. Sie hat mit Potter zusammen die Hinterlassenschaften von Sie-wissen-schon-wem gesucht, sich dabei in tödliche Gefahren gebracht und diese meistern müssen. Sie wurde von Bellatrix Lestrange gefoltert, weil diese fürchtete, sie sei in ihrem Gringottsverlies gewesen. Finden Sie nicht, daß wer sowas durchleiden mußte, mehr Respekt verdient hat?"
"Es hat sie keiner drum gebeten, mit Harry Potter und dem Kleinsten von Arthur Weasley herumzuziehen", schnaubte Coats.
"Neh, sie hätte auch in den Hogwarts-Express einsteigen und sich auf offener Strecke von den Dementoren herauszerren lassen können wie die anderen Muggelstämmigen", wagte Highdale eine ziemlich freche Erwiderung. "Das sie überhaupt von den anderen Muggelstämmigen akzeptiert wurde lag einzig daran, daß sie geholfen hat, daß sie möglichst schnell wieder aus Askaban herauskamen", setzte sie nach, weil Coats' Kinnlade tiefer und tiefer sackte. "Eine Bekannte von mir, deren Sohn mit McGonagall in Millemerveilles war hat ihr berichtet, daß dieser Junge Julius Latierre von den Muggelstämmigen schief angeguckt wurde, weil die den und seine Mutter indirekt für feige hielten, sich früh genug abgesetzt zu haben. Denken Sie nicht, Mr. Coats, daß Hermine Granger auch diese Anfeindung erlebt hätte, wenn sie nicht mit Harry Potter herumgezogen wäre und wenn sie nicht ihre Kreativität und ihren Überblick eingesetzt hätte, um diese verdammten Dinger zu finden, Horluxe oder wie die heißen?"
"Horkruxe", berichtigte Diggory seine Mitarbeiterin. Dann sagte er schnell, um seiner Rangstellung gerecht zu werden: "Im wesentlichen hat Ms. Granger recht, wenn sie fragt - wohl gemerkt fragt -, warum wir noch keine Einsatzgruppe aus Lykanthropen haben, die gegen kriminelle Lykanthropen eingesetzt wird. Ich hörte mal den Spruch, daß man einen Dieb am besten mit einem anderen Dieb fängt, und das nur Geister die besten Geisterjäger sind, weil sie bösartigen Gespenstern auch durch Wände und für Menschen tödliche Barrieren folgen können. Sicher ist ihnen das Bi-ba-Bu-Trio bekannt, daß in der Geisterbehörde arbeitet. Es sind durch Naturkatastrophen oder Umbaumaßnahmen wohnsitzlos gewordene Gespenster, die nicht auf dem Grundstück ihrer bisherigen Spuktätigkeit verbleiben wollten. Sie arbeiten in der Aufklärung böswilliger Spukereignisse und stehen den lebendigen Mitarbeitern als Hilfskräfte und Ideengeber zur Seite. Was also für die Geisterbehörde gilt sollte für die Werwolfregistratur und das Werwolffangkommando ebenfalls funktionieren. Ich habe Ms. Granger gesagt, daß wir den Vorschlag prüfen. Daß wir bereits eine verdeckte Ermittlerin in den Reihen der vom Ministerium abrückenden Werwölfe haben muß sie nicht wissen. Ein Primäres Ziel von Ms. Highdale ist ja, eine ausreichend große Probe des Lykonemisis-Trankes zu bekommen, um diesen zu analysieren, wenngleich unsere Zaubertrankexperten wohl gerade zu sehr mit der Bekämpfung des Vampyrogens befaßt sind. Aber wenn wir den Trank in ausreichender Menge haben, können und sollten wir allen unschlüssigen Werwölfen die Hand zur Versöhnung reichen. Ms. Granger hat nämlich auch dahingehend recht, daß das bisherige Verhältnis zwischen Menschen und Werwölfen aus reiner Angst entstanden ist. Das ist dieselbe Angst, die Muggel vor der Zaubererwelt haben. Genau deshalb haben sich die Werwölfe größtenteils aus allen gesellschaftlichen Angelegenheiten herausdrängen lassen. Genau deshalb wird eine Möglichkeit, ihnen mehr Eigenständigkeit und damit mehr Selbstbestimmung zu geben Auftrieb verleihen, resigniert aufgegebene Rechte einzufordern. Auch dafür sollten wir als Ministerium eine aus Lykanthropen bestehende Gruppe beschäftigen, die als Kontaktgruppe einspringen kann."
"Am zwanzigsten soll das Treffen der Greybackianer stattfinden. Tallfoot hat mich darüber informiert. Vielleicht gibt es dann eine Gelegenheit, an den Trank zu kommen, weil dessen Erfinderin ihn an die britische Bruderschaft des Mondes verteilen wird."
"Erfinderin? Sie meinen diese Lunera?" Fragte Coats mit leuchtenden Augen. "Dann nehmen wir dieses Wolfsweib gleich fest und sperren sie in einen Käfig, damit sie den Trank nicht verteilen kann, und rums ist der Ofen schon aus."
"Ja, genau und deshalb glaube ich, daß das ganze ein Test ist", sagte Tessa. "Wir sollen von dieser brillanten Gelegenheit geködert werden und zuschlagen. Tatsächlich aber wird Lunera wohl nicht kommen. Sie hat es Tallfoot nur aufgetischt, um dessen Loyalität oder die von Leuten wie mir zu testen. Ich lebe schon lange genug in dieser paranoiden Truppe, Mr. Coats, um solche Finten zu erkennen." Coats hieb mit der Faust auf seinen Schreibtisch. Highdale hatte ihm seine Siegessicherheit verdorben und verflixterweise auch noch recht. Das war eine grüne Qualmwolke, wie die Zauberer eine fingierte Zauberei nannten, um eine vorher nicht bekannte Reaktion zu provozieren.
"Und was schlagen Mademoiselle statt dessen vor, was wir tun sollen?" Blaffte Coats nun.
"Mademoiselle schlägt vor, daß sie dem Treffen beiwohnt, zusieht, die für sie angebotene Menge des Trankes zu erwischen und zuzusehen, ob sie ausreicht, den Trank restlos zu untersuchen und den Brauvorgang nachzuvollziehen. Gelingt das nicht muß Mademoiselle stillhalten und warten, bis eine größere Menge des Trankes nach England kommt, weil alle denken, daß keiner den Transport verpfeifen wird. Und dann, wenn Mademoiselle das Fass anfaßt, kann man Mademoiselle mit einem Portschlüssel oder dergleichen in Sicherheit bringen, wo das Faß umgefüllt wird, um alle mit Zaubertränken bescheid wissenden Stellen damit zu versorgen, ihn a-tens zu entschlüsseln, was Zusammensetzung und Brauvorgang angeht, b-tens den Trank nachzubrauen, um c-tens alle für die Anwerbungen der Mondbrüder empfänglichen Werwölfe davon abzubringen, diesem Angebot zu folgen. Denn, Messieurs, wir dürfen davon ausgehen, daß es demnächst zu einem unsichtbaren und unhörbaren Krieg zwischen Werwölfen und Vampiren kommt, wie es die Muggel schon seit Jahrzehnten in ihren Schauergeschichten fabulieren. Dabei würden viele viele unschuldige Menschen sterben, die von der einen oder anderen Seite rekrutiert werden. Wollen Sie das, Mr. Coats?"
"Amos, rufen Sie diese unbeherrschte Person gütigst zur Ordnung!" Stieß Coats aus, als er endlich eine Möglichkeit sah, aus der Argumentationskanonade der Werwölfin auszubrechen.
"Sie trägt Ihnen nur alle mit mir bereits erörterten Vorgehensweisen und Ansichten vor, Beowulf. Und wenn Sie sie nicht abschätzig Mademoiselle genannt hätten, wäre ihre Ausführung auch weniger aggressiv erfolgt."
"Verstehe, Sie darf sich mehr herausnehmen, weil sie die einzige ist, die für uns arbeitet und diesen Fluch im Leib hat", knurrte Coats. Diggory nickte und sagte noch:
"Wir könnten das ändern, daß es mehr Mitarbeiter im Ministerium gibt, die diesen Fluch im Leib haben. Denken Sie darüber nach, wie wir weitere Mitarbeiter anwerben können, wenn wir den Trank entschlüsseln können!"
"Wie Sie möchten, Sir. Da Sie mein Vorgesetzter sind muß ich diese Anweisung befolgen. Ich hoffe nur, daß Minister Shacklebolt diese Entscheidung mitträgt."
"In einer Minute erhalten Sie einen Memoflieger mit der von ihm verfaßten und unterschriebenen Anweisung", prophezeite Diggory und winkte seiner Mitarbeiterin Highdale. Coats blieb allein zurück. Er fühlte sich mit seinen gerade sechzig Jahren uralt. Konnte es echt sein, daß dieses streberhafte Muggelgör alle um den Finger gewickelt hatte? Wollte er dann lieber ins Zentaurenverbindungsbüro? Nein, er wollte dieser Granger die ganze Arbeit zuschustern. Patzte sie, hatte er endlich einen Grund, sie öffentlich abzustrafen und sie auf die ihr gebührende Größe zurückzustutzen. Hatte sie Erfolg, konnte er dem Minister mitteilen, daß er es war, der Ms. Granger zu einer fähigen und erfolgreichen Mitarbeiterin hatte ausbilden können und konnte sie dann damit kleinhalten, daß er ihr alle Theoriearbeit aufhalste, die ganze Logistik rauf- und runterplanen ließ, bis sie vor lauter Pergament und Tinte nicht mehr geradeausgucken konnte. Sein Pech war, daß Hermine sich zwischen Pergament und Tinte ausgesprochen wohl fühlte. Das bekam er erst dann mit, als Hermine in den nächsten Tagen einen detaillierten Einsatzplan und eine stufenweise aufbauende Argumentationslinie vorlegte, weshalb es die Truppe geben sollte, daß zu ihrer Führung ein eigenes Büro eingerichtet werden sollte, dessen Leiter dem Gesamtleiter für Tier- und Zauberwesen verantwortlich war und daß die Truppe ähnliche Vollmachten erhalten sollte wie das Katastrophenumkehrkommando, also auch mit Gedächtniszaubern arbeiten sollte, wenn Muggel Zeugen von Werwolfverwandlungen oder direkten Auseinandersetzungen zwischen Vampiren und Werwölfen wurden. Alles das unter der Voraussetzung, daß es gelang, den Werwutbeherrschungstrank zu enträtseln.
Der grüne Lamborghini Diablo SV bügelte mit über 200 Stundenkilometern über die von der Sonnenglut aufgeheizte Fahrbahn. In ihm saßen ein dunkelhaariger Mann im italienischen Maßanzug und eine blonde Frau im adretten weißen Sommerkleid. Der Motor orgelte, war aber noch nicht am Anschlag. Der Sportwagen konnte jede Sekunde abheben. Zumindest dachte die Frau das und kreischte zwischen Schreck und Vergnügen, wenn der Lamborghini wild durch eine Kurve brauste. Der Fahrer freute sich, wenn seine Beifahrerin durch die Fliehkraft gegen ihn geworfen wurde.
"Hoffentlich brettern wir nich' irgendwo rein und landen beim Teufel", stieß die Blondine in einem südländisch klingenden Englisch aus.
"Da sind wir doch schon, Melina", lachte der Fahrer. Auch sein Englisch klang stark südländisch. "Mein Feger heißt doch Diablo, was Spanisch für Teufel ist."
"Stimmt, hast recht", stieß seine Beifahrerin aus. Dann blickte sie mit schreckgeweiteten Augen auf eine weitere weit ausgreifende Kurve. "Runter vom Gas, sonst fliegen wir weg!" Rief sie erschrocken. Ihr Begleiter sah die Kurve voraus. Doch er befolgte die Anweisung nicht. Er kannte sein vierrädriges Geschoß und hatte es im Griff, dachte er. So jagte er seinen Lamborghini mit knapp 210 km/h in die Linkskurve hinein. Melina schrie laut, als sie mit Wucht gegen den Körper ihres Begleiters gedrückt wurde. Der Motor röhrte noch einmal auf, als der Fahrer aus der Kurve heraus beschleunigte, um sein von 510 PS getriebenen Gefährt wieder genug Tempo aufzudrücken.
"Schon durch. So Kurven kannst du langsam gar nicht richtig ausfahren", tönte er. Schnelle heiße Autos, schöne heiße Frauen, das war sein süßes Leben, la dolce Vita, wie sie in Italien sagten. Außerdem konnte er es nicht erwarten, die blutjunge Blondine zu seiner bescheidenen Unterkunft zu bringen, die nördlich des Vulkans Ätna gelegen war.
"Mann, willst du uns beide echt schon umbringen, Andrea", fauchte die Blondine, die sich ihm als Melina vorgestellt hatte.
"Absolut nicht, Melina", erwiderte ihr Begleiter entschieden und dachte für sich "Nicht, bevor ich dich im Bett hatte, Süße."
Das Mobiltelefon trällerte tapfer gegen das Orgeln des hochgezüchteten Motors an. Melina erschrak, wenn sie dachte, daß ihr Begleiter das nervige Ding jetzt aus seiner Anzugtasche holen würde, ohne abzubremsen. Doch Andrea Danielli knurrte nur eine italienische Verwünschung, nahm den Fuß vom Gas, um ihn sofort auf das Bremspedal zu drücken. Der Lamborghini fiel unter die 200er-Grenze und unterschritt sogar Tempo 100, bevor Danielli sein Mobiltelefon freizog und das Gespräch mit lautem "Pronto" annahm. Er sprach Italienisch, was Melina nicht konnte. Sie verstand nur winzige Brocken, die ähnlich klangen und wohl ähnliche Bedeutung hatten wie in ihrer Muttersprache. Außerdem hörte sie das Wort Nonno heraus, was italienisch für Opa war. Sie hörte Andrea lachen. Dann sagte er noch was, was leicht unterwürfig klang, um dann, als er eine Antwort bekommen hatte, noch einmal laut zu lachen und höchst amüsiert etwas zu sagen. Dann war das Gespräch vorbei. Er steckte das Telefonino wieder fort. Kaum lag seine rechte Hand wieder am Lenkrad rammte er seinen rechten Fuß wieder auf das Gaspedal. Die Servosteuerung reagierte so empfindlich, daß der Wagen förmlich nach vorne sprang. Hätte der grüne Teufel keine Spoiler gehabt hätte er sicher abgehoben. Die digitale Tachoanzeige schnellte über 150, 190, 200 und kam erst über 240 zur Ruhe. Offenbar gab es auf diesem Streckenteil keine gefährlichen Kurven mehr. Melina konnte nur hoffen, daß ihr Begleiter echt noch zu sehr am Leben hing, als sich mit ihr zusammen aus der Welt zu schaffen. Sie fragte ihn nur, wo er so schnell zu fahren gelernt hatte.
"Als ich achtzehn wurde bekam ich meinen ersten Wagen, einen Ferrari, damit ich merke, wie sich Kraft und Geschwindigkeit anfühlen. Den Wagen hier habe ich mir selbst zugelegt, weil zu viele Freunde von mir einen Ferrari haben. Da wollte ich mal was anderes und andere Farbe reinbringen", sagte Andrea Danielli. Dann deutete er voraus auf einen Hügel. "Da oben steht mein kleines Häuschen." Dann drückte er das Gaspedal noch einmal bis zum Anschlag nach unten, bis der Wagen kurz über 300 Stundenkilometer schnell fuhr. Dann nahm er den Fuß vom Gasund schaltete in den Leerlauf. Der Lamborghini verlor nun ohne gezieltes Bremsen an Fahrt, ruckte mit noch 160 km/h über den Fuß des Hügels und erklomm ihn mit seinem restlichen Schwung. Genau auf Höhe der Einfahrt hatte er noch zwanzig Stundenkilometer Geschwindigkeit. Die nutzte Andrea Danielli, um den Wagen auf das wie von geisterhand auffahrende Garagentor zuzusteuern. Der Lamborghini rollte die kurze Rampe in die Garage hinauf und verlor dadurch den Rest an Geschwindigkeit. Doch er stand tief genug drin, um die ferngesteuerte Tür hinter ihm zufahren zu können. Danielli grinste breit.
"Na, mit dem richtigen Tempo und der richtigen Führung ohne nachzulegen reingebracht", sagte er triumphierend. "Habe ich lange für üben müssen, bis ich das raushatte." Melina beließ es bei einem anerkennenden Lächeln, obwohl sie dachte, was für ein Angeber Andrea doch war. Doch sie beherrschte sich, wollte absolut nichts sagen oder tun, was ihn ihr gegenüber mißtrauisch oder ablehnend gestimmt hätte. So ging sie auf sein Spiel ein und präsentierte sich als die noch nicht all zu erfahrene Touristin, die in Süditalien ein wenig Spaß haben wollte. Sie fragte sich dabei, ob sie mit diesem Playboytypen erst ins Bett mußte, bevor sie ihr eigentliches Ziel ansteuern konnte. So richtig scharf war sie nicht darauf. Das verlangte schon eine Menge schauspielerisches Talent von ihr.
Das "Häuschen" erwies sich als Bungalow mit neun Zimmern, Küche Bad, einem zweigeteilten Keller für erlesenen Wein und Champagner sowie ein Vergnügungsabteil mit Bar, Tanzfläche und rundem Schwimmbad. Beim Anblick des blau-weiß gekachelten Beckens bekam die Frau, die sich Melina nannte große Augen. Sie liebte schwimmen. Vielleicht konnte sie ihren Begleiter dazu bekommen, mit ihr ein paar Runden im Schwimmbecken zu drehen. Badezeug hatte sie ja in ihrer Reisetasche mit. Dann verwarf sie diesen Gedanken. Sie würde sich an diesem Abend gut anstrengen, so oder so.
Zu Andreas Bungalow gehörte ein vierköpfiges Dienstpersonal, bestehend aus einem Butler, einem Koch, seinem Gehilfen und einem Zimmermädchen, das Melina sehr genau beäugte. Offenbar war die Inneneinrichtungskosmetikerin neidisch, weil Melina schön schlank war und nur da die Pfunde hatte, wo sie optisch und für irgendwann mal eingeplanten Nachwuchs angebracht waren. Lucia, das Zimmermädchen, hatte früher wohl viel Bodybuilding betrieben und war deswegen breit und wuchtig wie ein Kleiderschrank, mehr Muskeln als Kurven, dunkelbraunes Kurzhaar und kleine, wolkengraue Augen, die den Hausherren einmal tadelnd anblickten. Doch er schüttelte nur den Kopf und machte ein Handzeichen, daß Selina sich ihren Obliegenheiten zu widmen habe.
Während des Abendessens hielt Melina die Rolle der leichtnaiven Touristin durch. Irgendwann kam die Frage, die sie befürchtet hatte, ob sie schon mal mit einem Mann ganz nahe zusammen gewesen sei. Sie erwähnte, daß sie schon mal mit einem Mann geschlafen habe, aber nur, weil sie ihren Freundinnen gegenüber nicht mit siebzehn schon als alte Jungfer gelten wollte. Gebracht habe es ihr aber nichts, und sie sei froh gewesen, das er und sie verhütet hätten. Andrea sah darin seine Chance, sich als der wirklich erste Mann im Leben seiner heutigen Begleitung zu präsentieren. So säuselte und brummselte er zärtliche Worte und kämpfte gegen Melinas Vorbehalte an. Als sie ihm dann doch irgendwann nachgab sah sich Andrea am Ziel des Abends. Sie ließ sich in den Schlaftrakt führen, wo von Andreas Schlafzimmer aus eine direkte Verbindung in ein geräumiges Badezimmer führte. Unter dem Vorwand, sich vor fremden Leuten nicht komplett ausziehen zu können, zog sie sich ins Bad zurück. Andrea fragte sich, wie die sich das vorstellte, wo er sie in nicht einmal fünf Minuten sowieso komplett nackt zu sehen bekommen würde. Er verriegelte das Schlafzimmer von innen. Die beiden als Dienstboten getarnten Leibwächter mußten nicht in sein Zimmer rein, wenn er diese Melina mit seiner ganzen Manneskraft durchpflügte. Die kannten das eh schon, daß er von seinen Spazierfahrten immer mal wieder was für eine oder zwei Nächte mitbrachte. Lucia war eigentlich seine Cousine und hielt sich mit viel Sport und Kampfsport in Form. Sie war eifersüchtig auf jede Frau, die Andrea sich ins Haus holte. Doch heute hatte sie Melina so komisch angeglotzt, als wolle sie die gleich in der Luft zerreißen.
Wasser rauschte. Melina hatte sich offenbar unter die Dusche gestellt. Andrea dachte daran, daß das eine gute Idee war und wartete und wartete und wartete. Doch Melina kam nicht aus dem Badezimmer. In seiner knappen Unterwäsche trat Andrea Danielli an die Tür heran und klopfte vorsichtig. Er bekam keine Antwort. Er klopfte erneut und fragte, ob was sei. Dann klopfte er lauter und fragte auch lauter, ob Melina etwas passiert sei. Oder hatte die sich davongemacht, weil sie Panik vor dem Sex mit ihm schob? Er drückte die Klinke hinunter. Die Tür gab nach. Sie hatte sie doch vorher verriegelt. Seltsam!
Als Andrea die Tür weit genug geöffnet hatte wehte ihm heißer Dampf entgegen wie tropischer Nebel. Der Dampf verschleierte die komplette Einrichtung des Badezimmers, die aus einem breiten Waschtisch, mehreren kleinen Schränken, einer Toilette, einem Bidet, einer Badewanne und einer separaten Duschkabine mit gläserner Schiebetür bestand. Doch im Moment konnte er gerade einen wild wabernden Vorhang aus weißem Dampf sehen, dessen Ursprung die offene Duschkabine war. Sofort klebte die abkühlende Feuchtigkeit an seiner Haut und in seinen Haaren. Andrea trat über die Türschwelle. Er sah niemanden in der Duschkabine. Er mußte doch den Wasserhahn zudrehen. Wieso hatte die sich überhaupt so heißes Wasser angemacht? Da erschrak er. Er hatte Krimis gesehen, wo jemand eine auf voller Hitze und voller Stärke laufende Dusche als Tarnung benutzte ... Da krachte etwas mit Wucht auf seinen Kopf und raubte ihm die Besinnung. Die hinter der Tür lauernde Melina senkte die schwere Glasflasche mit dem Badesalz wieder. Hoffentlich hatte sie nicht zu heftig zugeschlagen. Sie sah eine Platzwunde am Kopf des niedergestreckten Hausherren. Sie schnüffelte. Doch der Wasserdampf überlagerte Gerüche. Sie eilte zur Duschkabine und griff beherzt durch den kochendheißen Wasserstrahl nach dem Hebel der Mischbatterie und kippte ihn in die Schließstellung. Das Rauschen erstarb in einem Nachtropfen und Gurgeln, als das restliche im Duschbecken gelandete Wasser im Abfluß verschwand. Der Dampf begann sich zu lichten. Ein dicker Wasserfilm legte sich auf alles und jeden im Badezimmer. Jetzt konnte die gerade völlig unbekleidete Gespielin Daniellis hören, daß Andreas Herz schlug, etwas unregelmäßig und langsam. Aber er lebte. Sie wartete, bis der von ihr erzeugte Wasserdampf sich weiter ausgedünnt hatte und schnupperte an der faustgroßen Platzwunde. Sie roch frisches Blut, aber nichts anderes. Keine Knochensplitter, keine Hirnflüssigkeit. Andrea würde es überleben. Vor allem, wenn sie ihm nun wie beabsichtigt die Saat ihres neuen Daseins ins Blut trieb.
Die blondhaarige Frau schloß die Badezimmertür von innen und konzentrierte sich. Die ersten Male waren schmerzhaft gewesen. Doch dank des Lykonemisis-Trankes fühlte sie es jetzt nicht mehr, wie sich ihre Knochen verformten, ihre Haut wie unter der Attacke von tausend Ameisen brannte und Nerven und Muskelstränge bis zum Zerreißen gespannt wurden. Sie keuchte zwar noch. Aber sie empfand den Gestaltwechsel jetzt eher als eine andere Form körperlicher Befriedigung. Als dann statt der Blondhaarigen eine Wölfin mit hellem Fell auf dem gefliesten Boden hockte lauschte diese, ob jemand argwöhnisch geworden war. Ihre spitzen Ohren kippten mal in die eine, mal in die andere Richtung. Die Diener waren auf ihrem Posten. Nur dieses Zimmermädchen hielt sich ziemlich nahe bei der Schlafzimmertür auf. Doch jetzt kam sie eh zu spät. Die Wölfin stand auf, ging so leise sie konnte zum ohnmächtigen Andrea Danielli hinüber und schlug ihm ihre scharfen Zähne ins linke und dann noch ins rechte Bein. Die Wunden waren tief genug, um den Keim der Lykanthropie aufzunehmen. Lunera hatte ihr erklärt, daß es fünf Minuten dauerte, bis der Körper genug davon in sich trug, um unumkehrbar damit behaftet zu bleiben. Angeblich sollten Hexen oder Zauberer in dieser kurzen Zeit noch durch einen Blutaustausch und wenige Sekunden haltenden Tod die Umwandlung stoppen. Doch in den meisten Fällen kam solche Hilfe zu spät. Die Werwut wandelte die von ihr gezeichneten Körper um. Rein äußerlich war außer den Bissen nichts zu erkennen. Erst im Licht des Vollmondes brach die unheimliche Natur hervor, oder eben, wenn ein Träger dieser magischen Seuche den Lykonemisis-Trank geschluckt hatte, der einen vollen Mondzyklus half, die Gestalt nach Belieben zu ändern. So konte die Wölfin jetzt auch wieder die Gestalt verändern. Aus ihr wurde Nina, die sich Andrea Danielli gegenüber als Melina vorgestellt hatte.
Wieder als Frau durchsuchte Nina das Schlafzimmer nach geeigneten Sachen zum Fesseln. Sie fand Gürtel und dann zwei Paare Handschellen in einem Schrank mit allerlei Sexspielzeug. So konnte sie den von ihr infizierten Enkel eines Mafiosos ganz bequem Arme und Beine fesseln und knebelte ihn mit einem seidenen Taschentuch, das sie mit einem der Gürtel um Daniellis Kopf festband. Jetzt brauchte sie nur noch zu warten, bis er wieder zu sich kam. Um den Eindruck zu vermitteln, er habe sie jetzt gerade im Bett vollführte sie rhythmische Sprünge auf dem Bett und stieß entsprechende Stöhnlaute und Schreie aus. Das Zimmermädchen kam deshalb nahe an die Tür heran. Nina hörte ihren Atem. Konnte die durch das Schlüsselloch gucken? Nina brachte sich in eine Stellung, daß das Zimmermädchen nur ihren Nackten Rücken und dessen unteres Ende sehen konnte und setzte die Simulation eines leidenschaftlichen Liebesaktes fort. Lucia grummelte für Normalohren unhörbar. Dann zog sie sich wieder zurück. Hoffentlich ging der nicht auf, daß Nina gerade mit einem unhörbaren Partner zu Gange war. Sie wußte nicht, wie laut Danielli beim Liebesspiel war. Doch der Umstand, daß Lucia sich zurückgezogen hatte verriet ihr, daß das Zimmermädchen nichts gehört oder gesehen hatte, was ihm fremdartig vorkam. Nina beendete ihr Schauspiel mit einem langgezogenen Lustschrei. Dann gab sie Ruhe. Jetzt ging sie daran, den im Badezimmer liegenden neuen Gefährten zu versorgen. Sie reinigte die Kopfwunde des immer noch bewußtlosen und zog aus ihrer Handtasche ein Fläschchen mit einer Substanz, die Fino, ein zauberkundiger Mondbruder, als Diptan bezeichnet hatte und das leichte bis schwere magische und unmagische Verletzungen und Hauterkrankungen verschwinden lassen konnte. Nur Bisse von Werwölfen waren damit nicht zu kurieren, weil sie verflucht waren. Sie heilten von selbst bis auf halbrunde Narben. Die von ihrem Schlag verursachte Platzwunde war kein Problem. Sie schloß sich innerhalb einer Minute restlos. Wenn Andrea wieder aufwachte würde er nicht wissen, wie er sein Bewußtsein verloren hatte. Nina überlegte, ob sie es zulassen sollte, daß er die Dienerschaft alarmierte, bevor sie ihm klargemacht hatte, was mit ihm passiert war. Sie mußte verhindern, daß er sich am Ende selbst umbrachte oder die Diener Alarm Schlugen. Sie zog ein Handy aus ihrer Handtasche und wählte das Menü für Kurzmitteilungen aus. Sie wählte die Mobilfunknummer von Luneras neuem Handy und tippte mit flinken Fingern eine Kurzmitteilung:
Auftrag mit A. erfolgreich! Vier Mann Personal. Wie damit verfahren?
Es dauerte nur zwei Minuten, da vibrierte das auf stumm gestellte Mobiltelefon in Ninas Händen. Sie las die Antwort:
Lies Zettel in Handtasche und mach, was draufsteht!
Nina holte ihre Handtasche und entnahm ihr einen Zettel. Darauf stand, daß sie Andrea erzählen sollte, er sei nun durch ihren Biß in ihrer Gewalt. Er dürfe es keinem anderen sagen, was ihm widerfahren sei und müsse tun, was sie von ihm verlange. Sein Personal solle nichts von der Veränderung mitbekommen. Versuche er, sie doch zu verraten, würde er für das ganze restliche Leben ein wilder Wolf bleiben. Versuche er, sich umzubringen, so würde seine Seele in den nächsten gerade zur Welt kommenden Straßenhund oder Wolf fahren und in diesem solange gefangen bleiben, bis der Hund starb, um dann in den nächsten gerade erst zur Welt kommenden Straßenhund oder Wolf zu schlüpfen und so weiter, ohne jemals in das Totenreich überzuwechseln. Das sei die Strafe des großen Urwolfes für jeden, der seine Gabe erhalten habe und nicht damit leben wolle.
Sie wartete nun, bis Andrea Danielli erwachte und zeigte sich dem gefesselten in ihrer Wolfsgestalt und als Frau. Dann sagte sie ihm, daß sie eine Schwester der Mondgemeinschaft sei, die auf den germanischen Fenriswolf zurückginge, der seine Kinder, die Werwölfe in die Welt geschickt habe, um sich für seine Niederlage gegen Odin und die anderen Götter zu rächen. Wer seine Gabe erhalte und sich weigere, damit zu leben und sie weiterzugeben würde solange in wolfsartigen Tieren wiedergeboren, bis diese ausgestorben seien, wobei er nur zum Teil den Wirtskörper steuern könne und zudem nicht immer das Geschlecht bekam, das er oder sie als Mensch hatte. Letzteres war eine Ergänzung Ninas, die den Macho damit noch besser einschüchtern konnte, wenn der sich vorstellte, als Straßenhündin durch Palermo zu laufen und andauernd irgendwelche Promenadenmischungen in die Welt zu setzen. Das zog. Andrea keuchte, weil ihm die Umwandlung doch sichtlich zusetzte. Dann erklärte Nina ihm, warum er ausgewählt worden war, ein Mondbruder zu sein. Er erkannte jetzt auch den Nutzen seiner neuen Lage. Wenn er als Werwolf tatsächlich gegen die meisten Todesarten immun war, konnten er und seine Familie die verhaßten Pontebiancos erledigen. Nina erwähnte noch, daß zu befürchten stand, daß andere Familien von der Bruderschaft der Nachtkinder heimgesucht würden, die aus echten Vampiren bestand. Danielli kaufte ihr das ab, nachdem sie sich ja vor ihm verwandelt hatte. Sie wolle ihm ebenfalls den Lykonemisis-Trank geben. Andrea nickte. Dann fragte er, ob ein Werwolf in Menschengestalt auch noch lieben könne, ohne sich gleich zu verwandeln. Zur Antwort ließ sich Nina darauf ein, es mit dem Enkel Adone Daniellis diesmal richtig zu treiben, was ihr, wie sie feststellen mußte, doch eine sehr große Befriedigung verschaffte. Danach sagte sie ihm, daß er sie nun endgültig als seine Führerin unter dem Mond akzeptiert habe und nun nichts mehr tun könne, ohne von ihr gleich bestraft zu werden.
Am Morgen nach der Schicksalsnacht ließ sich Nina von den Dienstboten noch mit gutem Frühstück versorgen. Andrea tat und sagte nichts, was ihren Argwohn hätte erwecken können. Dann fuhr er sie mit seinem schnellen Wagen zurück nach Catania, wo Nina sich mit Lunera traf.
"Gut gemacht, Nina", lobte sie den Einsatz ihres Zöglings.
Tessa Highdale fühlte sich nicht sonderlich wohl. In wenigen Tagen war wieder Vollmond. Dann mußte sie eine Nacht und vielleicht sogar noch die kommende Nacht in ihrem Haus sein. Sie mußte den Wolfsbanntrank nehmen, um ihren Trieb zu unterdrücken, wenn sie schon die Verwandlung nicht verhindern konnte. An und für sich schon sehr praktisch, dieser Trank. Aber wenn anderen Werwölfen der Lykonemisis-Trank angeboten würde, konnten die jederzeit andere Menschen anfallen. Sie wußte, daß es auf sie ankam, ob diese Mondbruderschaft sich zu einer Armee gegen die Vampire und dann die Zaubererwelt formieren würde. Sie dachte an die Wertiger. Die konnten das schon längst und hatten das auch schon getan, als das Todesserregime geherrscht hatte. War es wirklich so gut, wenn Lykanthropen sich nach Belieben verwandeln konnten? Es war doch schon schlimm genug, wenn sie einmal im Monat diesem Fluch unterworfen waren. Vielleicht sollte sie diese Lunera töten, die den Trank nachbrauen konnte. Das würde sie zwar das Leben kosten, weil die anderen dann sie umbrachten. Aber dann wäre zumindest die Gefahr eines Werwolfwildwuchses gebannt. Das Ministerium wollte aber den Trank haben, ihn entschlüsseln und dann befinden, was damit zu geschehen hatte.
Tessa saß nun bei ihrer obersten Mitschwester Sophia Whitesand in der Versammlungshalle der Schwestern.
"Du stehst kurz vor einer schwerwiegenden Entscheidung, Schwester Tessa. Ich fühle dir nach, was du gerade empfindest. Du würdest am liebsten Espinados Erbe auslöschen, um diese Werwutanbeter zu stoppen. Andererseits bist du dem Ministerium verpflichtet, diesen Trank zu besorgen."
"Ich brauche nur ein wenig davon, damit Schwester Ceridwen ihn mit ihrem Expansionsgebräu vervielfachen kann. Aber das darf ja außerhalb der Schwesternschaft keiner wissen, und ich fürchte, selbst wenn ich die Überbringerin des Trankes töte, könnte irgendwo das Rezept wieder auftauchen, und dann braut es ein anderer und macht ohne Kenntnis des Ministeriums weiter. Nocturnia kehrt alles dunkle aus unserem inneren nach außen, fürchte ich."
"Das tut die Angst vor einer unbeherrschbaren Gefahr oft", erwiderte Lady Sophia. "Und wo wir wissen, was mit Anthelia passiert ist und sie jetzt noch stärker ist könnten wir zwischen die Fronten geraten. Dann ist es besser, wenn wir eine unangenehme Gruppierung kontrolliert weitermachen lassen, bis der Zeitpunkt kommt, wo wir ihr Einhalt gebieten müssen."
"Ich bin die allerletzte, die "Tod allen Werwölfen!" schreien darf. Aber wenn jetzt auch die Lykanthropen so mächtig werden wie die Wertiger und sich zu jeder Tages- und Nachtzeit gezielt weiterverbreiten ... Ich meine, die können sich doch ihre Opfer aussuchen, als normale Menschen hingehen und dann transformieren", sagte Tessa.
"An was für Zielpersonen denkst du da, Schwester Tessa?"
"An wichtige Zauberer und Muggel. Der Premierminister könnte von diesen Mondbrüdern angefallen werden, unser Zaubereiminister, wichtige Personen in der Geschäftswelt ... ja und skrupellose Verbrecher", sagte Tessa.
"Da wir davon ausgehen dürfen, daß Nocturnia und der Tigerclan sich solcher skrupelloser Subjekte bedienen schon eine unheimliche Vorstellung, daß Menschen nicht nur gnadenlos kriminell sind, sondern auch noch magisch verändert wurden. Genau deshalb müssen wir wissen, was die Mondbrüder tun, welche Strategien sie verfolgen. Vielleicht müssen wir dann Ausuferungen unterbinden", sagte Sophia Whitesand.
"Jeder Tote wäre einer zu viel, Mylady", beteuerte Tessa. "Ich sehe mich selbst als in gewisser Weise Tote auf Abruf. Wenn jemand mit der Lykanthropie angesteckt wird gibt es keinen Weg mehr zurück in ein unbeschwertes Leben. Der einzige Trost ist, daß wir durch unsere Willenlosigkeit bei Vollmond keine Möglichkeit entwickelt haben, die von uns gebissenen geistig zu unterwerfen. Wer sich selbst nicht beherrschen kann kann auch keinen anderen beherrschen."
"Das stimmt. Haben mein seliger Vetter und ich immer wieder gepredigt. Aber diese Mondbruderschaft könnte den von ihnen gebissenen einreden, sie wären jetzt denen unterworfen, die sie gebissen haben. Allein der Glaube kann viele Menschen zu Taten oder zur Untätigkeit treiben. Das ist ja der Grund, warum die Angst vor der Magie und die Hetzkampagnen der Gottesverkünder uns in die Geheimhaltung gedrängt haben." Tessa nickte. Dann fragte sie:
"Ich soll also zulassen, daß dieser Trank weitergebraut wird und zusehen, daß wir und das Ministerium eine ausreichende Probe bekommen."
"Das ist dein Auftrag, Tessa. Und jetzt erzähl mir von Ms. Granger!"
Tessa berichtete ihrer Anführerin von Hermine Granger und ihren ersten Denkanstößen. Lady Sophia mußte lachen, als sie hörte, daß Beowulf Coats von der Energie und Vorbildung Hermines nicht gerade begeistert war. Tessa fragte Sophia, ob sie Hermine zu einer Mitschwester ernennen würde, wenn diese darum bat oder eine Fürsprecherin fand, die das tat.
"Ich denke, sie hat von geheimen Gruppen die Nase voll und hängt zu sehr daran, ihr Wissen mit allen zu teilen, auch gegen deren Willen. Unsere Schwesternschaft stirbt ja nicht aus. Es werden ja immer wieder neue Hexen geboren. Wenn nicht hier dann in anderen Ländern."
"Ich habe es auch gelesen, daß diese Latierre-Matriarchin gleich vier Kinder auf einmal erwarten soll", sagte Tessa. "Und dann könnte diese Selene Hemlock irgendwann auch eine von uns werden, sofern ihre Mutter vorher aufgenommen wird."
"Ja, das alles und noch viel mehr", grummelte Sophia. Sie wollte Tessa nicht verraten, was sie über das Gespann Theia und Selene Hemlock wußte. Ebensowenig wollte sie jetzt schon ausplaudern, daß sowohl Proserpina Drake als auch Hortensia Watermelon angefragt hatten, ob ihre ältesten Töchter nicht bald in die Reihen der Schwesternschaft einberufen werden könnten. Daß sie selbst mit dem Gedanken spielte, die von ihr selbst zur Magie befähigte Melissa Whitesand ehemals Melanie Leeland zu fragen, ob sie eine Mitschwester sein wollte, verriet Sophia Whitesand auch nicht. Sie erwähnte lieber, daß ihr nun in Frieden ruhender Vetter Albus Dumbledore immer die Toleranz und die Chance zur Besserung als höchstes Gut des Miteinanders gelebt habe, nachdem er von Grindelwald so herb enttäuscht worden war. Niemand kam als Verbrecher auf die Welt. Selbst Vampire konnten sich entscheiden, wie sie ihr Leben führten, solange sie nicht von der dunklen Kraft eines Mitternachtsdiamanten durchdrungen wurden. Sie erwähnte auch, daß die neue Anführerin der Nocturnia-Gruppe vom Geist der getöteten Nyx beseelt sein mußte. Denn daß diese Gruppe ohne einen blutigen Nachfolgestreit einfach so weitermachte sprach sehr für eine mit dem Wissen und womöglich auch dem Können der mächtigen Anführerin ausgestatteten Anführerin.
"Vielleicht müssen wir wirklich Feuer mit Feuer bekämpfen und können dabei nur zusehen, daß unsere eigenen Häuser und Felder nicht abbrennen", seufzte Tessa.
"Ja, das müssen wir wohl. Wichtig ist, daß wir so gut es geht den Überblick behalten, um nicht von mehreren Seiten böse überrascht zu werden." Tessa nickte.
"Sie machen es morgen auf, Capo", grinste Luigi Monteleone, die rechte Hand von Don Adone Danielli. Der Patriarch der ehrenwerten Danielli-Familie grinste über sein faltiges Gesicht.
"Wo genau macht er es auf, Luigi?" Fragte er lauernd.
"Da, wo er sofort Leute hinschicken kann, wenn was ist, Capo, auf diesen Hügel bei Palermo, wo seine handzahmen Bauern ihre Olivenhaine haben. Ein ausgedehnter Bunker aus der Zeit der Schwarzhemden wurde wohl schon länger umgebaut."
"Ach ja, und wir liefern die Deko und die Spieltische?" Fragte Adone verärgert. "Was hat Mirella dir so geflüstert, wann sie es aufmachen?"
"Ich check das noch mit einer anderen Quelle gegen, Capo. Mirella könnte von den Pontebiancos umgepolt worden sein. Der weiß, daß wir wissen, daß er unsere Sachen hat und fragt sich, warum wir ihm das durchgehen lassen."
"Und rechnet mit einem Sturmangriff auf den Ort, wo unsere Sachen sind", erwiderte Don Adone. Dann grinste er. "Manchmal kommt der schlimmste Feind nicht von außen, Luigi. Bei der Gelegenheit, was ist mit Marco."
"Du hattest recht, der steht auf Don Vittorios Lohnliste", knurrte Luigi.
"Was macht man mit Läusen, die einem im Pelz sitzen, Luigi?" Fragte Don Adone sehr verbittert.
"Man zerquetscht sie", erwiderte Luigi.
"Oder füttert sie mit vergiftetem Blut. Marco ist wohl traurig, daß er Andreas Platz nicht bekommen hat, obwohl Don Enzo ihm eine große Karriere in unserer Firma versprochen hat. Was können wir Vittorio anbieten, wo er möglichst viele seiner Leute hinschicken wird?" Fragte Adone.
"Wir könnten ihm verkaufen, daß wir unsere Leute an schweren Waffen ausbilden, die von diesem NATO-Laster geplumpst sind, Capo", sagte Luigi. Der Capo der Danielli-Familie lachte.
"Die will dieser Gierhals sicher haben. Ja, gut. Mach was, daß Marco schluckt und häng ihn damit Vittorio zum Anbeißen hin. Wir nehmen den Steinbruch südlich von Messina und bauen da ein paar Überraschungen ein."
"Gute Idee. Da hat es schon länger kein Erdbeben mehr gegeben", grinste Luigi. Eigentlich war der besagte Steinbruch wegen der vielen Höhlen als Versteck für Waren oder Menschen gedacht gewesen. Doch wegen der ständigen Erdbebengefahr in dieser Gegend war Don Adone davon abgekommen, wertvolleres als die Leichen von Feinden und Verrätern dort zu deponieren.
"Sieh zu, daß du genug Zeug in die Höhlen Schaffst, daß der ganze Steinbruch zusammenkracht, wenn Vittorios Leute da nach uns suchen!" Flüsterte Adone. Luigi nickte ergeben und fragte, ob er noch etwas erledigen könne. "Komm nur mit der Nachricht zurück, wann und wo Pontebiancos Kasino aufgemacht wird, Luigi! Bis dahin brauche ich dich heute nicht mehr."
"Ja, Capo", erwiderte Luigi dienstbar und verließ das schall- und abhörsichere Arbeitszimmer seines Anführers. Don Adone überlegte, ob er sich noch einmal die Einnahmen der letzten vier Wochen vornehmen sollte, als das mattschwarz glänzende, antiquiert wirkende Telefon läutete. Adone nahm den Hörer ab und sagte "Pronto", was der übliche Telefongesprächsbeginn war. "Hallo, Großvater. Ich kann doch morgen schon vorbeikommen", klang die Stimme von Adones Lieblingsenkel Andrea Danielli aus dem klobigen Hörer.
"Ach, hast du die Dame schon wieder nach Hause gebracht, du Vagabund?"
"Ja, sie wollte von Catania rüber nach Malta. War übrigens eine sehr abwechslungsreiche Nacht."
"Na, nicht zu viele Informationen für mein altes Herz. Wird Zeit, daß du langsam in ruhiges Fahrwasser kommst. Donna Regina hat schon gefragt, ob du immer noch dabei seist, dir das große Horn abzustoßen. Sie kann es nicht verwinden, daß du ihre Tochter verführt und dann wie eine leere Plastikflasche weggeworfen hast."
"Um mir mein großes Horn abzustoßen müßte ich bei dem Tempo gerade mindestens so alt werden wie du, Nonno", erwiderte Andrea Danielli. "Und die Kleine von Donna Gina sah zwar süß aus, hatte aber auch nur das Niveau einer Plastikflasche. Aber das sage ihr besser nicht!"
"Weiß die sicher auch selbst, Andrea. Also du kommst morgen?"
"Ja. Wann steigt die große Fete?"
"Ich habe umdisponiert. Es wird eine kleine Andacht im engsten Familienkreis. Am besten bist du gegen zwölf Mittags da."
"Kein Thema, Nonno", erwiderte Andrea Danielli. "bis dahin. Und grüß Signorina Marcello von mir!"
"Sie will dich immer noch heiraten, Andrea."
"Ui, nur noch heiraten, Nonno? Vor einem Jahr wollte sie von mir noch zwei Kinder."
"sie hat beschlossen, daß du wohl schon genug auf den Weg gebracht hast", erwiderte Adone verdrossen. Sein Enkel lachte darüber und verabschiedete sich bis zum nächsten Tag.
"Der alte Adone trauert seinen kostbarkeiten aber nicht nach, Capo", sagte Carlo, Don Vittorios Mann für Beschaffung und Vertrieb.
"Der Lastwagenfahrer war ihm nichts wert, Carlo, und die Spieltische kriegt der aus Vegas ersetzt. Nur wichtig, daß wir früher aufmachen als er. Alles andere ist unwichtig." Vittorio nahm sein Fernglas und warf einen Blickhinüber zur Villa Luna der Daniellis. Zwar verbargen die hohe Mauer und die sich darüber erhebenden Baumwipfel die freie Sicht auf den Stammsitz der Erzfeinde. Doch Vittorio hoffte immer darauf, seinen mächtigen Widersacher Adone mal im Freien zu sehen. Doch auch diesmal war ihm das Glück nicht hold.
"Also, es bleibt dabei. Das Kasino macht morgen um sechs Uhr abends auf. Die Einladungen an die Scheichs und Signore Huan Seng sind beantwortet worden. Wir kriegen ein volles Haus."
"Und wenn Adones Leute die Tische frisiert haben?" Fragte Carlo.
"Natürlich haben sie das. Aber unsere Leute haben die Umbauten gefunden, die das Roulette manipulieren. Adone kann also nicht auf die Idee kommen, mit seinen Tricks bei uns was zu gewinnen, sollte er wissen, wo wir überhaupt aufgemacht haben."
"Bald hat Marco raus, ob die bei uns wen mithören lassen", sagte Carlo.
Es läutete an der Haustür. Die Türklingel ahmte die Kirchenglocken von Palermo nach. Carlo schickte zwei Leibwächter. Als sie zurückkehrten meldeten sie einen Signore Giovanni Petrocelli, der gerade aus Chicago herübergekommen sei. Er bringe gute Nachrichten von dem Gemeinsamen Freund Fabrizio.
"Ach, die alte Geschichte. die Kungelei mit den Campestranos, weil die unseren Massagesalon in Chicago als Anmaßend empfanden", knurrte Vittorio und ließ bitten. Es stellte sich heraus, daß Campestrano in Chicago beschlossen hatte, mit Hilfe wichtiger Geschäftspartner ein Hotel in Las Vegas zu bauen, in dem natürlich auch ein Spielkasino eingerichtet werden sollte. Da Vittorio auf dem Sektor ja sehr interessiert sei habe Don Fabrizio überlegt, ob er, Vittorio, nicht mit ins Boot geholt werden könne. Vittorio tat erst einmal so, als sei ihm das komplett egal, abgesehen davon, daß er im eigenen Land schon genug Einnahmequellen hatte. Sein Besucher wollte das aber nicht wirklich glauben. So bot er Vittorio eine Umsatzbeteiligung an, die diesen überzeugte, sich mit dem Kalabreser zusammenzutun. Immerhin konnte er in dieses Unternehmen auch eingefrorene Gelder pumpen, die auf diese weise legalisiert wurden. Dann wartete der geschäftsmäßig gekleidete Petrocelli noch mit etwas auf, was Pontebianco nicht so recht gefiel:
"Mein Auftraggeber hat läuten hören, Sie hätten immer noch eine heimliche Fehde mit den Daniellis. Die hängen mit den Bertolonis zusammen, und die sind im Moment nicht gut auf Don Fabrizio zu sprechen, weil der angeblich Girolamo bertoloni auf ein Himmelfahrtskommando geschickt haben soll. Daß es zwischen den beiden noch nicht laut geknallt hat liegt nur daran, daß beide sich keine lange und auffällige Vendetta leisten wollen. Aber Bertoloni könnte auf die Idee kommen, den Wurmfortsatz der Daniellis in Chicago einzuspannen, um Don Fabrizios Enkel Renato und andere wichtige Anverwandte zu erledigen. Natürlich weiß er, daß derartige Aktionen mit dem Capo der Danielli-Sippe abgeklärt werden müssen und das FBI und die Polizei hier nur darauf lauern, Don Fabrizio wie auch Don Adone was anhängen zu können."
"Und?" Fragte Vittorio. Ihm war klar, worauf der Kurier des Kalabresers hinauswollte. Doch er wollte es hören:
"Sorgt bitte dafür, daß die Daniellis sich nicht auf ihren Ableger in den Staaten konzentrieren können. Dann kann Don Fabrizio jeden Angriff der Bertolonis zurückschlagen."
"Dann reden wir aber noch mal über die Gewinnbeteiligung, werter Signore Petrocelli", erwiderte Vittorio Pontebianco. Petrocelli nickte. Mit sowas hatte er schon gerechnet. Deshalb hatte er ja die Gewinnbeteiligung gerade tief genug angesetzt, um gerade noch Interesse zu erwecken.
"Sagen wir, gleicher Gewinn im ersten Jahr und ein Prozent drüber, wenn ich es in dem Jahr schaffe, das Danielli-Problem komplett zu lösen. Die Familie ist groß und hat mehr als fünfzig männliche Angehörige", sagte Vittorio. Petrocelli verzog das Gesicht.
"Einundfünfzig Prozent, die Mehrheit?"
"Wer mehr Arbeit hat hat auch ein Anrecht auf mehr Anteil, Signore. Wenn er das Ding nicht alleine hinstellen und betreiben kann, brauche ich nur zu warten, bis sein Unternehmen pleite ist. Also die Aktienmehrheit im Jahr nach Hotelgründung", bestand Vittorio auf seinen Anteil. Mochte die Campestrano-Sippe in den Bergen Kalabriens eine sichere Macht sein. In Sizilien war sie wertlos. Die einzigen Berührungspunkte lagen in den USA. Petrocelli überlegte, ob und wenn ja wie er dieses Angebot seinem Chef unterbreiten durfte, ohne Kopf oder sonstige Körperteile einzubüßen. Dann nickte er erneut und bat um die Erlaubnis, die Heimreise antreten zu dürfen.
"Schmiert mir ein Pfund Honig um den Bart und meint dann, das würde reichen, mich offen mit Adones Leuten anzulegen, damit dieser Kalabreser sein Gebiet unangefochten aufblähen darf", knurrte Don Vittorio. Carlo grinste.
"Der meint, wir würden schon Dollarzeichen in den Augen haben. Aber wir müssen erst einmal wissen, wie gut die Daniellis bewaffnet sind, bevor wir uns mit denen auch nur ein Wettpinkeln liefern dürfen."
"Wann soll der kleine Marco dir berichten, was der alte Adone vorhat?" Fragte Vittorio.
"Wenn er weiß, ob die Geburtstagsfeier für die dahingegangene Donna Elisa in der Villa Luna oder in Paolos Ristorante stattfindet."
"Wenn ich Adone wäre würde ich nicht einmal mehr das Fenster in der Villa Luna aufmachen", sagte Vittorio.
"Wenn der mit den Bertolonis kungelt sollten wir erst klären, mit wem wir ihn aushebeln können. Die Bertuccis sind nach der leidigen Entführungssache erst einmal zum Stillhalten verdonnert, weil denen das FBI über die Schulter guckt", erwiderte Carlo. Vittorio nickte. Auch er hatte die Sache von vor über einem Jahr noch gut im Gedächtnis. So sagte er:
"Wir bleiben erst mal ruhig und fahren das Kasino an, das uns der alte Adone spendiert hat. Damit können wir schon mal gut Startgeld für das Geschäft mit dem Kalabreser machen." Carlo nickte.
Gegen Nachmittag erhielt Carlo eine E-Mail, in der für eine Mondscheinparty auf dem Hang des Ätna geworben wurde. Da die Adresse trotz ihrer kryptischen Schreibweise wohlbekannt war wußte Carlo, daß die Feier zum fünfundachtzigsten Geburtstag von Don Adones zu früh verstorbener Frau in der Villa Luna stattfand. Dort einzudringen war für jeden der es versuchte aktiver Selbstmord.
lunera fühlte die innere Anspannung. Sie transportierte ein Faß mit zwölf Normgröße-2-Kesselmengen Lykonemisis-Trank. Acht davon sollten die Mitbrüder Festlandeuropas erhalten. Die letzten vier Normgröße-2-Kesselmengen hatte sie den Greybackianern um Tallfoot zugesagt, die das Zeug auch in Irland und Kanada unterbringen wollten, womöglich auch schon Kontakte in die Staaten knüpfen wollten. Denn allen war klar, daß sie mehr Länder abdecken wollten als die Wertiger.
Lunera saß zusammen mit Rabioso in einem Motorboot und tuckerte erst nach Portugal. Dort konnte sie zehn neue Brüder mit dem Trank beglücken, die vorhatten, wichtige Beamte zu ihresgleichen zu machen, um die ganze iberische Halbinsel zu kontrollieren. Dann ging es weiter nach Biarritz in Frankreich, wo trotz des Todes des letzten Garout noch zwölf Anhänger der Idee einer bessergestellten Werwolfgesellschaft einen Teil des Trankes annahmen. Dann, am zwanzigsten September, erreichte das Boot die Südküste Großbritanniens.
Tallfoot wollte uns hier treffen", grummelte Lunera, als sie mit ihrem Begleiter aus dem Boot stieg. Rabioso führte eine schwere Maschinenpistole mit sich. Fino hatte trotz massiver Verachtung eingesehen, daß sie auch gegen Artgenossen würden kämpfen müssen und ein Magazin in mit Mondfriedensbezauberten Öfen mit Mondsteinbesatz geschmolzene Silberkugeln hergestellt. Rabioso hatte sich dicke Lederhandschuhe anziehen müssen. Denn das geballte Mondsteinsilber verursachte auf seiner Haut ein schmerzhaftes Brennen wie eine fast zu heiße Herdplatte.
"Ah, da ist der Kerl", knurrte Rabioso auf Spanisch. Ihm mißfiel Tallfoot. Sicher, er konnte als wilder Werwolf durchgehen. Aber wenn sie sich zwischen sogenannten zivilisierten Leuten bewegten fiel der Lykanthrop mit dem ungepflegten Haar und dem schmutzigen Gesicht auf. Auch stank er für Normalmenschennasen gegen den Wind. Er war nicht alleine. Er hatte sieben verwegene, um nicht zu sagen verwahrloste Gestalten mitgebracht. Rabioso mußte sich arg anstrengen, seine Hände nicht unter seinen weiten Übermantel rutschen zu lassen, um die mit Silberkugeln geladene MP herauszuholen.
"Eh, Blondschopf. Wo hast du die andere Blondine gelassen? Barkley hier hätte die gerne mal getroffen", knurrte Tallfoot Lunera an. Diese warf sich in eine überlegene Pose und erwiderte:
"Sie hat wichtigere Aufgaben, als sich zum allgemeinenVergnügen britischer Vagabunden herzugeben, Tallfoot. Wenn du den Trank für deine Leute haben möchtest gewöhn dir besser gleich mehr Respekt vor mir und meinen Zöglingen an!"
"Ich weiß ja noch nicht mal, ob du uns nicht vergiften willst, Schwester. Nach dem Ding mit dieser Spinnenfrau traue ich keinem mehr so recht über den Weg."
"Wie du meinst. Dann nehme ich den Trank wieder mit", sagte Lunera in bestem Englisch. Ross Barkley sprang vor und deutete auf das Faß.
"Hergeben!" Schnarrte Barkley. Lunera deutete auf Rabiosos Mantel. Er verstand und ließ seine Hände unter den Mantel rutschen. "Nicht so hastig, werter Bruder", knurrte Lunera. "Erstens heißt das "Bitte gebt mir von dem Trank!" Zweitens möchte ich von euch bitte sehr eine vollständige Darlegung, wem ihr davon alles abgebt und wie wichtig diese Mitbrüder und -schwestern sind. Nachher reißt ihr euch das Faß unter den Nagel und gebt den anderen nichts davon ab. Dafür habe ich nicht Tage und Wochen im dunklen Zaubertranklabor gestanden."
"Ey, du da weg vom Faß", knurrte Barkley und zog einen Zauberstab. Rabioso schlug nun den Mantel auf und riß die Waffe hoch. "Die ist unaufrufbar bezaubert und mit Mondsteinsilberkugeln geladen. Also pack deinen Stecken weg!" Blaffte Lunera. Tallfoot suchte wohl seinen Zauberstab. Doch ein schneller Schwenk des Waffenlaufes auf seine Brust hielt ihn davon ab.
"Ja, ist gut. Bitte sehr gebt uns den Trank, liebe Mitgeschwister!" brummte Tallfoot. Die Aussicht, von einem ausländischen Werwolf mit Silberkugeln vollgepumpt zu werden widerte ihn an. Aber er wollte den Trank haben, um Greybacks Vermächtnis anzutreten, jeden zu beißen, der in einer wichtigen Zauberer und Muggelfamilie lebte. Außer diesem Stümper Garout, der von Riesenspinnenschleim zersetzt worden war, hatte diese Lunera keinem der nichtspanischen Werwölfe was abgegeben. In fünf Tagen war Vollmond. Da war es doch wichtig, den eigenen Willen zu behalten. Denn dieser Wolfsbanntrank stumpfte die Beißlust ab, machte träge und schüchtern.
"De acuerdo, ihr bekommt das Faß. Sind ja nur noch vier volle Kessel Normgröße 2 drin."
"Und wie lange reicht das?" Blaffte Tallfoot.
"Eine für einen Monat vorhaltende Dosis beträgt ein vierzigstel der Füllmenge eines Zaubertrankkessels der Normgröße zwei. Das heißt, da habt ihr gerade einhundertsechzig Monate Bewegunggs- und Verwandlungsfreiheit in diesem Faß. Für einen alleine würde das dreizehn Jahre und vier Monate vorhalten. Aber ich denke, ihr acht wollt davon alle trinken. Und wer noch, damit ich weiß, wann ich die nächste Lieferung herschaffen soll?"
"Liefer besser gleich das Rezept ab, damit wir den in der für uns nötigen Menge machen können", sagte Tallfoot. Lunera übersetzte es für Rabioso. Dann mußten beide lachen. Rabioso erwiderte was auf Spanisch. Lunera übersetzte: "Mein Gefährte fürchtet, ihr würdet euch mit dem Braukessel selbst in tausend Stücke sprengen, wenn ihr versucht, das komplizierte Rezept nachzubrauen. Espinado hat mehrere Jahre gebraucht, um diesen Trank ohne Nebenwirkungen hinzubekommen. Es ist also nicht sicher, daß jemand, der das Rezept zum ersten Mal liest den Trank auf Anhieb hinbekommt. Und wie die großen Braumeister seht ihr acht mir nicht aus. Äh-äh, schön Abstand halten!" Myron Tallfoot und Ross Barkley waren gerade auf dem Sprung, die spanische Werwölfin anzugreifen. Doch Rabioso zielte schon mit seiner Waffe. Barkley blaffte: "Der Typ blufft. Da sind sicher keine Silberkugeln in dieser Winzlingskanone drin." Lunera machte nur eine blitzartige Handbewegung vom Waffenlauf zu Barkleys linker Wade. Rabioso verstand. Mit einer wohlgeübten Abfolge stellte er seine Waffe von Dauer- auf Einzelfeuer um und zog lässig am Abzug. Ein lauter Knall und ein darunter fast unhörbares Schwirren. Dann sprang Barkley laut heulend hoch. Aus seiner linken Wade sickerte Blut.
"Ohaaauuu, Scheiße ist das heiß! Scheiße, brennt das!!!" Jaulte er und sprang von einem Bein auf das andere. "Mann, das brennt wie Drachenfeuaaaaa!!"
"Okay, damit ist das geklärt", erwähnte Lunera. Barkley jaulte und winselte wie ein getretener Hund, sprang weiter auf dem rechten Bein herum. Die in seinem Bein steckende Kugel peinigte ihn sichtlich.
"Okay, ihr müßt dem die Kugel aus dem Bein rausholen, sonst verbrennt sie es langsam aber unaufhaltsam", sagte Lunera noch. "Aber vorher will ich wissen, wer alles zu eurer Gruppe gehört, Myron Tallfoot."
"wir acht, sonst erst mal keiner", knurrte Tallfoot. Die sechs anderen unverletzten Werwölfe nickten. Rabioso legte derweil den Hebel für die Feuereinstellung wieder auf Dauerfeuer um.
"Bueno, dann dürft ihr das Faß haben", sagte Lunera und ging zu dem großen Faß, in dem es beim Anstoßen laut schwappte. Barkleys lautes Heulen wolte nicht aufhören. Sicher hatte sich der Werwolf in der Sicherheit gesonnt, daß Klingen oder Geschosse aus Metall weniger edel als Silber nicht durch seine Haut konnten und in Wolfsgestalt sogar wie von einem Stahlblock daran abprallten. "Hör's Jaulen auf, Barkley!!" Bellte Tallfood, während Lunera das Faß auf Tallfoot zurollte. Rabioso paßte genau auf, daß ihr und ihm keiner zu nahe kam. Lunera blickte sich kurz um und vor allem nach oben. Doch sie sah nur Felsen, Meer und einen Endsommerhimmel voller weißgrauer Wolken. Dann hatte sie das Faß weit genug gerollt. Jetzt ging sie schnell zurück, weil sie sonst in die Schußlinie Rabiosos geraten wäre. Sie traute ihren Mondbrüdern durchaus zu, daß sie sie gerne dabehalten würden, um aus ihr das Trankrezept herauszufoltern. Dann sagte sie: "Wir sehen uns dann im nächsten Jahr wieder, es sei denn, ich kriege von euch eine genaue Liste, wer von euch warum zu einem von uns werden soll, und ihr mehr von dem Trank braucht. Adios hermanos!" Sie winkte Rabioso, der mit noch schußbereiter Waffe rückwärts zum Boot ging. Lunera sprang hinein und startete den Motor.
"Wir erwischen dich irgendwann ohne dieses vermaledeite Teil da", stieß Tallfoot aus. Rabioso winkte mit der Waffe und trieb die acht weit genug zurück, daß er mit zwei schnellen Sätzen im Boot war. Laut röhrend kam der Motor auf Touren. Wild schäumend spritzte das von der Schraube gequirlte Meerwasser über die Landestelle. Das Boot drehte hart nach Steuerbord und pflügte durch die graugrünen Wellen der offenen See entgegen.
"mann, mein Bein brennt weg!" Schrie Barkley. Tatsächlich konnten sie nun alle sehen und riechen, daß aus der Schußwunde Rauch stieg. Es wirkte, als briete jemand das Bein in einem unsichtbaren Feuer. Tallfoot winkte seinem besten Zauberer unter den sieben anderen. "Schaff den in deine Hütte, schneid ihm diese Kugel raus, ohne sie anzufassen!" Blaffte er. Als er dann sah, wie sein Compagnon mit dem angeschossenen Ross Barkley disappariert war blickte er auf das Faß.
"Okay, das Zeug kann sicher keine von draußen reingehenden Zauber ab. Also aufladen und zum Boot damit!" Die anderen Werwölfe gehorchten. Sie postierten sich um das Faß und hoben es an. Dann trugen sie es den Strand entlang bis zu einem Achter-Ruderboot. Dort hinein wuchteten sie das Faß. Tallfoot und die anderen stiegen in das Boot und besetzten die Ruder. Da Barkley und sein Helfer gerade nicht mitrudern konnten wurden die zwei gerade nicht benötigten Skulls aus den Dollen genommen und sicher ins Boot gelegt. Dann fuhren sie los. Sie würden eine Stunde rudern. Aber dann hatten sie ihr Ziel erreicht. So dachten die Begleiter Tallfoots wenigstens.
Andrea begrüßte alle mit Handschlag, sofern männlich, mit Umarmung und Wangenküssen, sofern weiblich und seinen Großvater mit einer Umarmung und einem Wangenkuß. Niemand sah ihm an, welche aufregende Nacht er hinter sich hatte. Seine Beine steckten in einer langen, dunklen Samthose. Darüber trug er ein helles Seidenhemd und ein zur Hose passendes Jacket. Keiner konnte sehen, wie seine Haut beschaffen war und daß in ihm bereits eine unheimliche Macht wirkte, die er weitergeben mußte, wollte er ihr nicht völlig unterworfen sein.
Die Feier anläßlich des fünfundachtzigsten Geburtstages seiner verstorbenen Großmutter nahm Andrea mit gespielter Andacht und Ernsthaftigkeit war. Sein Großvater saß am Kopf der Tafel, an der die zehn wichtigsten Mitglieder der Familie saßen. Luigi hatte Andrea flüsternd mitgeteilt, daß um sechs Uhr die große Eröffnung des neuen Pontebianco-Kasinos stattfand. Andrea hatte darüber nur grinsen können. Als er dann noch hörte, daß die Mitarbeiter für Schutz und Sicherheit, wie die Rollkommandos, Schläger und Auftragsmörder genannt wurden, eine Übung in einem aufgegebenen Steinbruch machen sollten, dachte Andrea sich seinen Teil. Die alte Fehde würde bald aus ihrem Dämmerzustand erwachen. Dann mußte er zusehen, immer von mindestens drei wohlgesinnten Schatten umringt zu sein. Sein süßes Leben war dann wahrscheinlich erst einmal abgemeldet. Doch mit dem ihm eingeimpften Fluch dieser blonden Bestie Melina hatte er eh kein eigenes Leben mehr. So nahm er die Feier zum Anlaß, seinen ersten Auftrag zu erfüllen. Noch in dieser Nacht würden sein geliebter Großvater Adone, Luigi und drei weitere an diesem Tisch sitzende Familienangehörige denselben Keim in sich haben wie er.
"Andrea, ich muß mit dir reden", sagte don Adone nach dem fünfgängigen Abendessen. Es war gerade elf Uhr. Andrea machte ein leicht betroffenes Gesicht. Er dachte, es ginge um seine kurzlebigen Liebschaften. Zumindest mochten das die anderen denken. Als der Enkel dem ehrenwerten Großvater in sein lauschsicheres Arbeitszimmer folgte, mußte Luigi grinsen. Die anderen dachten, es sei Schadenfreude über den nun über Andrea hereinbrechenden Unmut seines Großvaters. Schadenfreude war es. Doch die bezog sich nicht auf Andrea Danielli.
Don Adone und sein Enkel blieben nicht im Arbeitszimmer. Durch eine Geheimtür ging es in eine andere Kammer, die im Vergleich zum Arbeitszimmer hypermodern ausgestattet war. Mehrere Bildschirme, drei Computer und zwei Hochleistungsmodems waren eingeschaltet. Adone tippte einen Code in die Tastatur, klickte mit der Maus auf ein grünes und dann auf ein rotes Auge in der Leiste der im Hintergrund laufenden Programme. Sofort erschien ein weitläufiger Saal auf dem Bildschirm. Das Wechselfrequenz-Funkmodem hatte Kontakt zu der in einer Deckenlampe versteckten Kamera.
"Die hätten ihren Krempel nehmen sollen", sagte Adone verächtlich. Dann fuhr er mit der Computermaus über das Bild und klickte einmal. Sofort wurde der Ausschnitt auf die gesamte Bildschirmgröße aufgeblasen.
"Jau, der hat das saudische Königshaus zu Gast, unser Lastwagenräuber", sagte Andrea, der sich jetzt doch ein wenig wohler fühlte. Dann sah er noch zwei asiatische Herren in roten Seidenanzügen. "Oh, der weiße Lotos. Signore Huang Seng und sein Finanzminister Bao Lu. Dann haben wir es jetzt amtlich, daß Don Vittorio mit den Chinesen kungelt."
"Ist ja schon fast wie Weihnachten", sagte don Adone mit jugendlicher Begeisterung in der Stimme. "Und der Gentleman da ist Giorgio genannt George Latorre genannt Towers auch bekannt als Konsul der Camorra. Ein Neapolitano, noch dazu ein amerikanisch verdorbener auf Sizilien. Der soll sich was schämen, dieser alte Sack Vittorio."
"Das soll ein unehelicher Enkel von Al Capone sein, habe ich mir sagen lassen", brachte Andrea eine Vermutung an.
"Stimmt, wir haben die Genanalyse kaufen können. Der Typ hätte Anrecht auf alles, was der alte Whiskyschmuggler so angehäuft hat. Aber der braucht das nicht. der schiebt die Tausendergetons rüber wie 5-Lire-Scheine."
"Vielleicht setzen die nur in Lire", wagte Andrea eine Vermutung. Dann suchte er den Chef persönlich, Vittorio. Doch der war nirgendwo. Aber seine rechte Hand Carlo machte sich wichtig. Er sprach mit den Chinesen, grüßte den Italoamerikaner und verneigte sich vor den Saudis.
"Ui, die kenne ich auch, Erna von Richtsberg, eine Wehrmachtsoberst-Witwe", sagte Andrea. "Zieht heute noch eine dicke Pension von der Bundesrepublik Deutschland."
"Ja, und das offenbar nicht zu knapp. Das wird wunderbar", schwärmte Adone.
"Du willst die Vorrichtungen jetzt zünden?" Fragte Andrea ein wenig betrübt.
"Ja, genau in einer Minute", sagte Adone. "Wie geht der Aktivierungscode, Andrea?" Der junge Danielli verzog das Gesicht. Jetzt würde er zum Mörder, wenn er den Code verriet. Auf jeden Fall würde die Vendetta dann unausweichlich sein. Denn gerade betrat einer der Neffen Pontebiancos das Kasino. Dann gab er sich einen Ruck. Ihm konnte doch keiner mehr was, wenn er keine bestimmte Sorte Silber in der Knarre hatte. So gab er seinem Großvater den verhängnisvollen Code.
Adone klickte auf eine stilisierte Zeigeruhr. Diese erschien dann rotumrandet in der Bildschirmmitte. Sie zeigte die gerade erreichte Uhrzeit auf Minute und Sekunde genau. Darunter war ein Sockel, indem der Cursor blinkte. Zehn Zeichen, Buchstaben und Zahlen, tippte der Capo der Daniellis ein. Dann drückte er die Eingabetaste. Die Uhr erstrahlte in einem blutroten Farbton. Die Zeiger wurden pechschwarz. Der Mauszeiger klebte am großen Zeiger. Mit gedrückter rechter Maustaste führte Adone Maus- und Uhrzeiger genau einen Teilstrich weiter nach rechts und klickte dann mit der linken Maustaste zweimal. Die Uhr schrumpfte zusammen und sprang in die untere Leiste. Das Bild vom Kasino kehrte auf den Schirm zurück. Ab jetzt lief eine Minute, die letzte für das Pontebianco-Kasino, und die Letzte im Leben seiner Besucher.
Tessa Highdale hatte sich sehr in Acht nehmen müssen, nicht von dieser Lunera gesehen zu werden. In zwei Kilometern Höhe war sie auf einem Nimbus 2002 mit Ortsbeharrungsfunktion über dem Strandabschnitt auf Posten geblieben. Da die US-Amerikaner ihre berühmten Harvey-Besen nicht an andere Ministerien weitergeben wollten, hatte sie sich mit einem simplen Desillusionierungszauber belegt und sich genau unter einer weißgrauen Wolke in Stellung gebracht. Wenn sie jetzt keine zu schnellen Bewegungen machte war sie von unten ebenfalls wie unsichtbar. Mit einem durchsichtig konstruierten Fernrohr hatte sie die Übergabe des Fasses beobachtet und auch, daß Barkley offenbar mit einer Silberkugel am Bein verletzt worden war. Lunera hatte zwischendurch immer nach oben gesehen. Doch das Muster der über Tessa dahinziehenden Wolke wurde von ihrem Tarnzauber auch auf den besenstiel übertragen.
Als Tallfoot mit seinen Leuten das Fass umgeladen hatte und diese Lunera mit ihrem Leibwächter in einem Muggel-Motorboot davongefahren waren, folgte sie Tallfoots Boot. Sie ahnte, daß es zur Blockhütte der Greybackianer gehen würde. Nur wer ihnen angehörte fand sie. Denn Greyback hatte sie unter großen Anstrengungen durch einen Fidelius-Zauber geschützt. Nach seinem Tod war nun jeder seiner Spießgesellen, sie eingeschlossen, Geheimniswahrerin. Eigentlich hätte sie den Ort schon längst weitermelden können. Doch Diggory hatte gesagt, daß dies nur dann geschehen sollte, wenn die Greybackianer eine wirkliche Bedrohung wurden. Das stand aber jetzt unmittelbar bevor. So hatte sie nicht Diggory oder dem Zaubereiminister, wohl aber ihren Mitschwestern um Lady Sophia den Standort verraten. Den Plan zur Sicherung des Trankes wollte sie jedoch durchführen. Sie wollte nach Ankunft des Fasses im Versteck eine große Phiole mit Schnellschlafelixier abwerfen. Es bewirkte eine achtstündige Bewußtlosigkeit und löschte zudem die Erinnerungen der letzten fünf Minuten vor dem Einatmen des rasch verdunstenden Gebräus. Als sie jedoch mitbekam, wie es an Bord des Ruderbootes zu einem Streit kam ging sie tiefer, um genauer zu sehen, was passierte. Sie hätte eigentlich damit rechnen müssen. Dennoch erstaunte es sie, was sie mitbekam.
Signore Huang, es freut mich sehr, daß Sie die Zeit gefunden haben, uns zu beehren", schmeichelte Carlo, als er dem in roter Seide gekleideten Chinesen gegenüberstand, der gerade zehntausend Dollar auf eine der sechsunddreißig Zahlen von Roullettetisch fünf setzte. Der Ostasiate blickte ihn leicht verdrossen an, lächelte jedoch sofort.
"Nun, ich bin sehr guten Mutes, daß ich heute noch die großartige Gelegenheit erhoffen darf, Ihren Herren und den Eigentümer dieser Spielstätte persönlich begrüßen zu dürfen", erwiderte Huang Seng.
"Don Vittorio Pontebianco wird Sie und die anderen ehrenwerten Gäste kurz vor Mitternacht persönlich begrüßen. Leider halten ihn unaufschiebbare Verpflichtungen davon ab, diesen großen Tag mit Ihnen zusammen zu verbringen", erwiderte Carlo. Der Chinese lächelte. Doch es war ein rein förmliches, unpersönliches Lächeln, ohne die wahren Gemütsregungen zu verraten. Auch Carlo mußte sich sehr konzentrieren, freundlich zu bleiben. Denn er wußte, daß Don Vittorio nur deshalb nicht in das neue Kasino gekommen war, weil er einen Angriff der Daniellis befürchten mußte. Doch bisher hatte diese entweder nicht herausbekommen, daß jemand ihre Spieltische einkassiert hatte oder wußte nicht, wo diese nun standen oder wußte wohl, wer sie hatte und riskierte keine blutige Fehde, solange niemand aus der Familie selbst getötet worden war. Er dachte jedoch daran, daß in diesen Minuten dreißig seiner besten Leute unterwegs waren, um einen Waffenübungsplatz bei Messina zu stürmen, um zum einen schwere Waffen aus NATO-Beständen zu erbeuten und zum anderen die Angriffstruppe Daniellis von einem wann auch immer stattfindenden Schlag abzuhalten.
"Natürlich ist mir unwürdigem die Last der Verantwortung und die damit einhergehende Verpflichtung durchaus vertraut und findet meine vollständige Anteilnahme", erwiderte Huang. "So harre ich der hoffentlich bald möglichen Gelegenheit, Ihrem großartigen Herrn mein bescheidenes Lob für diesen Betrieb auszusprechen und mit ihm unsere bisher so nutzbringenden Geschäfte fortzuführen. An Kurzweil fehlt es hier schließlich nicht", sagte er und deutete auf die schönen, weiblichen Bediensteten und die gerade wieder im Kessel kreisende Elfenbeinkugel. Carlo wünschte Huang noch einen erfolgreichen Abend und ging weiter. Als er bei dem ziemlich fülligen Italoamerikaner Giorgio Latorre stand hatte der gerade eine halbe Million gegen die Wehrmachtsoberstwitwe von Richtsberg verloren und fluchte wie ein ausgebremster Taxifahrer, was die Matrone mit dem grauen Haar mit dickem Knoten sichtlich empörte.
"Junger Mann, wer nicht verlieren kann sollte nichts riskieren. Nur wackeren Leuten sollte es vergönnt sein, das Glück im Spiel zu suchen", sagte sie auf Englisch mit stark deutsch eingefärbtem Akzent.
"Nazi-Hure", knurrte Latorre darauf. Dann sah er Carlo. "Ey, der Tisch ist frisiert oder was. Die alte da hat da schon zwei Millionen gewonnen und ich bin fast blank."
"Sie können sicher sein, Signore Latorre, daß unsere Tische nicht manipuliert wurden", heuchelte Carlo. Sicher hatten die Daniellis ihre Tische frisiert. Doch die Pontebiancos hatten die Vorrichtungen entfernt, wohl, weil sie die nicht heimlich bedienen konnten.
"Wird auch langsam Zeit für's Heiabettchen, Georgie porgie", spottete ein anderer amerikanischer Spieler. Latorre wollte gerade Genugtuung oder Hausverbot für den Spötter fordern als der Roulette-Tisch mit einem mal erzitterte. Die kleine Elfenbeinkugel sprang laut von einer Wand des Kessels zur nächsten. Im nächsten Moment erklang aus dem Tisch und wohl auch aus allen anderen Tischen eine Lautsprecherstimme:
"Rien ne va plus!" Carlo erstarrte. Das konnte doch nicht ... Ein gleißender Blitz und eine Urgewalt fegten seine letzten Gedanken fort. Das er bereits in mehrere brennende Teile zerfetzt an die Decke geschleudert wurde bekam er nicht mehr mit. Eine Feuerwalze rollte donnernd durch den Saal. Alle Tische, die Danielli eigentlich in seinem Kasino hätte haben wollen, waren von einer starken aber winzigen Sprengladung pulverisiert worden. Alle an den Tischen stehenden hatten dabei einen plötzlichen Tod gefunden. Nach den heftigen Explosionen der als Spieltische getarnten Bomben fauchte eine Feuerwalze durch den nun nicht mehr luxuriös ausgestatteten Spielsaal. Fetzen brennender Seide, loderndes Leinen und verkohlter Filz mengten sich mit den zur Unkenntlichkeit zerstückelten und verbrennenden überresten von dreißig geladenen Ehrengästen, sowie dem Dienstpersonal. Die Hauseigene Klimaanlage orgelte, um die schlagartig erhitzte Luft zu kühlen. Doch damit heizte sie das Feuer nur noch mehr an.
Don Vittorio, der eine Minute nach der hinterhältigen Rache der Daniellis versuchte, mit Carlo zu telefonieren, bekam nur die Meldung, daß der Teilnehmer zur Zeit nicht erreicht werden könne. Er fluchte über Carlo, daß der sein Handy ausgeschaltet hatte und versuchte es über den Hausanschluß. Doch der erwies sich als ebenso gestört. Vittorio fühlte im Magen einen zentnerschweren Eisklumpen.Hatten die Daniellis ihn doch überrascht? Er mußte es wissen. Er wollte losfahren, sehen, was mit Carlo, seinem Neffen und den ganzen hochkarätigen Ehrengästen passiert war. Da ereilte ihn eine Schreckensmeldung, die er als erste ansah, obwohl es eigentlich die zweite sein mußte. Seine Leute waren bei der Durchsuchung des Steinbruchs von einem schweren Erdbeben überrascht worden. Der ganze Steinbruch war zusammengebrochen und hatte dreißig seiner Leute unter sich begraben. Da merkte er, daß Danielli ihm einen gnadenlos brutalen Vergeltungsschlag versetzt hatte, mehr noch, daß Danielli um Marco, den in seinen Reihen eingeschleusten Spitzel, gewußt haben mußte. Denn selbst wenn in Messina immer mal wieder die Erde wackelte war es doch schon ein Jahrtausendzufall, daß ausgerechnet dann ein solches Beben auftrat, als seine Leute in den Steinbruch eingedrungen waren.
Eine halbe Stunde später hatte er auch die schreckliche Gewißheit, daß sein neues Kasino ein verkohlter Trümmerhaufen war. Sein Neffe war unter den Toten. Carlo war ebenfalls nicht mehr da. Doch schlimmer wog für Pontebianco, daß er einen wichtigen Mann der Triade in den Tod gelockt hatte und auch die Latorres in der US-amerikanischen Unterwelt nicht ohne Einfluß waren. Er war mit einem Schlag an einen Abgrund getrieben worden. Und der Boden unter seinen Füßen wurde heißer und heißer. Seine Angst wurde zur lodernden Wut. Wenn das auch auf Daniellis Mist gewachsen war, gab es nur noch eines: Vendetta, furchtbare Blutrache.
Bums, da ist das Bild weg!" Scherzte Don Adone, als mit einem grellen Lichtblitz die Übertragung aus dem Pontebianco-Kasino abbrach. Er hatte die letzte laufende Minute des Kasinos so gebannt auf den Bildschirm gestarrt, daß er nicht mitbekommen hatte, wie sich das Gesicht seines Enkels verändert hatte. Aus der glattrasierten Haut sprossen erst flaumartige, dannimmer dichtere schwarze Haare. Die Ohren hatten sich bereits zu verformen begonnen. Andrea schaffte es gerade noch, sein Jacket, sein Hemd und seine Hose abzustreifen, bevor die Veränderung auch seine Hände und den Rest des Körpers befiel.
"Rien ne va plus", Vittorio", jubelte Don Adone. Doch dann fiel ihm auf, daß irgendwas nicht mehr stimmte. Der Wildtiergeruch im Raum, das laute Hächeln. Er fuhr herum und sah gerade noch, wie aus seinem Enkelsohn eine pechschwarze Schreckenskreatur wurde. Er setzte zu einem Hilferuf an. Da hieb ihm die im Rausch der Verwandlung keuchende Gestalt einen Aschenbecher über den Kopf. Don Adone verlor das Bewußtsein. Als der Capo der Danielli-Familie von seinem breiten Schreibtischstuhl sackte fiel der zum Wolf gewordene Andrea über ihn her, biß ihm in die Waden und zerrte an seinem vorgewölbten Bauch. Drei tiefe Wunden klafften nun im Körper Don Adones. Das reichte dem Werwolf Andrea, um sicher zu sein, daß sein Großvater nun auch einer wie er wurde. Unter gewissen Schmerzen wurde er wieder zum Menschen. Seine elastische Unterhose, die für die dreifache Anspannung gemacht war als sie hatte aushalten müssen, lag immer noch hauteng um seinen Unterleib. Die anderen Sachen hatte er gerade so noch abschütteln können. Nun konnte er seine Sachen wieder anziehen. Er verschloß die Tür zur Computerzentrale und griff zum Telefon. Er konzentrierte sich und sprach in der Stimmlage seines Großvaters:
"Luigi, mein Enkel und ich haben noch einiges zu besprechen. Wir möchten nicht gestört werden."
"Si Capo", kam die aus zwei Wörtern bestehende Antwort. Andrea legte auf und betrachtete den Computerbildschirm, auf dem gerade der Untergang eines Kasinos mit sehr gewichtigen Leuten darin dargestellt worden war. Andrea nahm noch einmal das Telefon, wählte die nur wenigen bekannte Freiwahlkombination, um über eine abhörsichere Leitung ins Ausland zu sprechen und rief seine neue Wegführerin Melina an.
"Donna Melina, ich habe es getan. Er ist jetzt wie ich. Was soll ich tun?"
"Ihn schlafen lassen. Bin morgen in deinem Liebesnest. Bring ihn dahin, am besten zusammen mit diesem Luigi."
"Verstanden", sagte Andrea und legte wieder auf.
Luigi schickte eine Kurzmitteilung auf einen der anderen Bildschirme, das "das Erdbeben" stattgefunden hatte. Andrea nickte. Jetzt würde Pontebianco die Vendetta ausrufen. Sein Enkel, nur ein Jahr älter als Andrea, sowie zwei Neffen von ihm, waren tot. Ab jetzt mußte er immer mit Leibwächtern herumlaufen, wie er es befürchtet hatte. Der Andrea Danielli, der Lebemann, Frauenverbraucher und Geschwindigkeitsjunkie, war jetzt unerwünscht. Er war jetzt Kämpfer in einem Krieg, der mehr als nur eine Front haben würde.
Er wollte es für sich alleine. Dreizehn Jahre und vier Monate Handlungs- und Verwandlungsfreiheit. Jeden Tag mindestens vier gebissene Menschen, Muggel und Zauberer. Das würde Großbritannien in ein Land der Lykanthropen verwandeln, eine Insel der Werwölfe, der Schrecken der ganzen Welt, die Rache für Jahrtausende der Unterdrückung, der Ausgrenzung und der Verweigerung. Das Faß da vor ihm war eine mächtige Waffe, eine Waffe, gegen die jeder Sprengkörper eine Knallerbse war, auch diese angeblichen Stadtvernichterbomben der Muggelwelt. Er mußte das Faß da für sich haben. Außer denen im Boot wußten nur diese Lunera und ihr Silberkugelspuckender Mondlichtbeschmutzer, daß es in England angekommen war. Tallfoot mußte das Faß für sich haben. Wie kam er daran, wo fünf seiner Artgenossen um ihn herumstanden? Er mußte sie dazu bringen, sich gegenseitig zu bekämpfen. So erwähnte er, daß nur der den ersten Schluck aus dem Faß trinken sollte, der bereits so viele Menschen gebissen hatte wie der große Fenrir Greyback. Seine Kumpanen, die das nicht auf sich sitzen lassen wollten, nicht diesem gefürchteten Anführer nachgeeifert zu haben, begannen auch sofort, ihre Erfolge herauszustellen. Sie prahlten erst, dann fingen sie an, die jeweils anderen herunterzuputzen, daß sie nur dann einen Menschen hätten beißen können, wenn der noch in den Windeln gelegen habe oder nur die Leute zu beißen geschafft hätten, die still gehalten hätten, um selbst zu Werwölfen zu werden. Tallfoot erwähnte, daß Barkley ihm mal erzählt habe, er habe in seinem Leben schon hundert Menschen angefallen. Fünfzig von denen habe er nur gebissen, den Rest getötet. Er selbst müsse sich in der Hinsicht noch ranhalten, weil man ihn immer wieder irgendwo ausgesetzt habe, wo er keinen Menschen erwischen konnte. So erntete er hämisches Gelächter, aber auch bedauern. Dafür zogen die anderen weiter übereinander her, wurden dabei immer aggressiver, bis kam, was Tallfoot erhofft hatte. Der erste, Wagtail, hieb dem zweiten, Snarley, die Faust auf die Nase. Snarley vergolt ihm den Schlag mit einem Hieb in die Magengrube. Purke, der Snarleys Vetter war, riß sein Ruder aus der Dolle und zog es Wagtail über den Schädel. Tallfoot konnte sich gerade noch ducken. Da brach die wilde keilerei vollends los. Er konte sich nur zwischen die Sitze werfen und unter nun hemmungslos zweckentfremdeten Rudern hindurchrobben, während die Werwölfe nun ihrer über Jahre immer mehr kultivierten Wildtiernatur verfielen. Einer wollte an das Faß, um von dem Trank zu nehmen, um die anderen als Wolf besser anfallen zu können. Doch die Idee hatten die anderen auch, was dazu führte, daß sie sich nun alle noch wilder prügelten, bis Tallfoot, der fast selbst unter das niedersausende Blatt eines Ruders geraten wäre, seinen Zauberstab zog und mit zwei Mondlichthämmern alle fünf Raufbolde aus dem Boot katapultierte. Als er die nun besinnungslosen Kameraden im Wasser treiben sah grinste er. Noch war nicht alles erledigt. Er zielte auf jeden einzelnen und rief inbrünstig: "Avada Kedavra!" Jedesmal sirrte der gleißendgrüne Blitz des plötzlichen Todes aus seinem Zauberstab und fand sein Opfer. Alle fünf Kameraden starben, ohne eine Spur des sie treffenden Zaubers am Körper zu haben.
"Meins!" Rief er dem Faß zu. "Du bist jetzt ganz meins!" Er jauchzte und sprang vor Siegestrunkenheit fast aus dem Boot heraus. Dann fiel ihm ein, daß da noch zwei waren, die mit ihm teilen wollten, Barkley und McRore. Sie würden ihn suchen, wenn er nicht zu ihnen kam. Sie würden ihm nicht folgen, wenn er ihnen das Faß vorenthielt, wo Barkley schon so danach gegiert hatte. Aber er wollte es nicht mehr teilen. Es war jetzt seins, dreizehn Jahre und vier Monate, die er den Keim der Werwut in die Welt pflanzen würde. Und wenn er daran dachte, daß jeder Gebissene selbst beißen würde, hatte er in diesen dreizehn Jahren und vier Monaten alle Menschen Großbritanniens zu Werwölfen gemacht. Da konnten die Nocturnia-Vampire sich gleich in die Themse oder einen anderen breiten Fluß stürzen. Die Lykanthropen würden alle schaffen, Menschen, Vampire und alle anderen Zauberwesen. Er jubelte, als er mitten in diesen wahnhaften Vorstellungen trieb, auf jeder Straße nur noch Werwölfe zu sehen, ihr Geheul in den Vollmondnächten als Chor von Millionen Stimmen zu hören und ... Klirr! Ein hier nicht hinpassendes Geräusch riß ihn aus seinem Traum von der Insel der Werwölfe. Er sah sich um und entdeckte einen Haufen Glas, der mitten im Boot lag. Dann hörte er nur noch Rauschen in seinen Ohren. Das Meer wurde immer lauter und lauter, und der Himmel wurde schlagartig schwarz. Das er besinnungslos über die Rudersitze sank bekam er nicht mehr mit.
Tessa überlegte nicht lange. Eigentlich hatte sie die Phiole mit dem Schlafgebräu über der Holzhütte der Greybackianer abwerfen wollen. Doch hier bot sich ihr eine geniale Chance, kampflos das ganze Faß zu erbeuten. Sie sank tiefer, darauf hoffend, daß die Tarnung ausreichte. Dann ließ sie die Phiole genau so fallen, daß sie hinter Tallfoot ins Boot schlug. Sie stieg mit angehaltenem Atem weit nach oben und wartete. Ja, Tallfoot wurde Ohnmächtig. Sie wartete noch eine Minute, bis der Wind das freigesetzte Gas verweht hatte. Dann landete sie. Da vor ihr im Boot lag das Faß. Einen winzigen Moment fühlte sie jene Versuchung, die Tallfoot zum fünffachen Kameradenmörder hatte werden lassen. Das Faß war riesig. Wie viel Handlungsfreiheit würde es ihr geben? Dann riß sie sich aus dieser Vorstellung heraus und erkannte, daß dieses Faß kein Segen war, sondern ein Mittel, den in ihr wirkenden Fluch noch grausamer über die Welt zu verbreiten. Sie erkannte jetzt, welche Überlegenheit die Vampirin Nyx empfunden haben mußte, als sie den Mitternachtsdiamanten erobert hatte. Sie verstand, was es für die Vampire bedeutete, daß sie nun eine künstliche Sonnenschutzhaut zur Verfügung hatten. Sie mußte sogar erkennen, welche Glückseligkeit der Unnennbare empfunden haben mußte, als er das Zaubereiministerium übernommen hatte. Das Faß da enthielt flüssige Macht. Macht war ein Rauschgift. Sie machte glücklich. Sie machte stark. Sie gaukelte einem vor, unsterblich und allen überlegen zu sein. Doch sie war eben ein Rauschgift, das die eigenen Fähigkeiten schwächte, darunter die, mit seinen Mitmenschen auszukommen. Zu viel Macht war tödlich für den, der sie an sich riß wie die, die er oder sie beherrschen wollte. Das erkannte Tessa mit einer schon an Brutalität grenzenden Härte. Sie durfte das Faß da nicht für sich behalten. Es würde sie zwar mächtig machen, ihr aber auch viel verbauen, sie zur von allen gehetzten Bestie machen. Sie wollte nicht so werden wie Nyx oder ihre Nachfolger. Sie wollte nicht alles und jeden fürchten müssen und deshalb grausamer sein, um mehr gefürchtet zu werden. Sie trug den Fluch der Lykanthropie in sich und konnte von großem Glück reden, daß sie bisher niemanden damit angesteckt hatte. Sie mußte das Faß entweder ins Meer kippen oder dafür sorgen, daß sein Inhalt nicht dazu diente, eine Welle von Werwütigen zu erzeugen. Sie entschied sich dafür, das Faß sicherzustellen und dem Ministerium abzuliefern, nachdem sie eine ausreichende Menge daraus an ihre Mitschwestern von der Sororitas Silenciosa abgefüllt hatte.
Aus ihrer Tasche holte sie eine große Glasflasche, entkorkte sie und setzte einen Trichter mit kinderkopfgroßer Öffnung ein. Dann besah sie sich das Faß. Es hatte eine Zapfvorrichtung wie ein Wein- oder Bierfaß. Offenbar war bereits was von dem Inhalt entnommen worden. Sie betätigte den Zapfhahn und füllte die wie Fruchtsaft beschaffene Flüssigkeit behutsam durch den Trichter in die Flasche um. Sie zapfte solange Schluck für Schluck ab, bis die bauchige Glasflasche bis zum unteren Rand des Flaschenhalses voll war. Behutsam entfernte sie den Trichter, schloß die Zapfvorrichtung fest zu und verkorkte die Flasche so fest, daß nichts herauslaufen konnte.
"Ceridwen, habe Lykonemisis-Trank für uns gesichert. Rest für Ministerium. Treffen wo?" Mentiloquierte sie, als sie sich genug konzentrieren konnte.
"Hof Hühnergrund in zwei Minuten", kam die wie aus weiter Ferne klingende Antwort.
Tessa verankerte das Ruderboot und disapparierte mit ihrem Fang bis zur umzäunungsgrenze des Hofes Hühnergrund. Sie wartete noch, bis Ceridwen aus ihrem Haus kam und die Flasche besah:
"Ja, da kriege ich genug für den Expansionsprozeß raus. Der vermehrt den Trank mit allen Eigenschaften. Damit kriege ich genug, um die Zusammensetzung und den Brauvorgang nachzuvollziehen. Danke schön! Ähm, wo ist der Rest, oder ist das alles?"
"Der Rest dümpelt mit einem in Schlaf begasten Tallfoot auf der Nordsee südlich von Cornwall."
"Ich habe da eine Idee, die du als deine eigene verkaufen darfst. Wir füllen den kompletten Inhalt des Fasses um, solange dieser Tallfoot noch schläft. Einen Trank von ähnlicher Färbung und Konsistenz braue ich euch in zehn Minuten zusammen. Ich habe noch einen großen Kessel von der Expansionslösung. Damit fülle ich das Faß dann mit dem Pseudotrank auf."
"Das faß war nicht mehr ganz voll. Die hat sicher schon anderen Mondanheulern davon abgefüllt", knurrte Tessa.
"Na, nicht so abwertend von dir selbst sprechen, Tessa. Ich guck mir das Faß an. Bring mich da mal hin!"
Tessa apparierte mit Ceridwen Barley genau in dem noch immer auf der Stelle treibenden Boot. Ceridwen beklopfte das Faß und sagte: "Gerade noch drei sechs Achtel Kessel der Normgröße 2. Dabei gehen in das Faß da fünf rein. Stimmt, die haben schon gut davon ausgeschenkt. Aber hier in England wird keiner damit rumlaufen, der dann nur dummes Zeug im Kopf hat. Bring das Faß wohin, wo das Ministerium es übernehmen kann und gehe so vor, wie ich es vorgeschlagen habe. Ich kriege das über Lady Sophia hin, daß jemand mich mit der Herstellung des Scheintrankes beauftragt, ohne daß du damit in Verbindung gebracht wirst."
"Ich habe da eine Idee. Ich sage das mit dem Pseudotrank Hermine Granger, die war eineO-UTZ-Absolventin in Zaubertränken. Sie kennt dich und wohl auch Semiramis Bitterling. Wenn ich ihr vorseufze, daß wir wohl keine entsprechende Menge Trank vortäuschen können, wird sie dich oder die Bitterling schon ins Spiel bringen."
"Wie, arbeitet Semiramis Bitterling jetzt für das Ministerium? Mein Kenntnisstand war, daß sie in der freien Zaubertrankforschung tätig ist, wo sie sich auch mit dem Vampyrogen Nocturnias befaßt."
"Da kann sie auch bleiben. Shacklebolt möchte sie nicht im Ministerium haben. Er traut ihr nicht so recht über den Weg."
"Klar, sie war eine Slytherin. Für Shacklebolt reicht das wohl", erwiderte Ceridwen. Dann sagte sie noch, daß sie abwarten würde. Aber man solle sich nicht zu lange Zeit nehmen. Dann disapparierte sie wieder.
Tessa ließ das Ruderboot von Zauberkraft an einen Punkt gleiten, wo sie einen Ministeriumswagen herbeirufen konnte. Hierfür teleportierte sie einen Holzring mit entsprechender Pergamentrolle in das zuständige Büro. Fünf Minuten später traf der Wagen ein, ein richtiger Rolls Royce. Fünf Zauberer luden das Faß um und fuhren davon. Tessa lenkte das Boot wieder an die Stelle, wo sie es erstmalig betreten hatte. Die Betäubung würde noch mehr als zwei Stunden dauern. Sie konnte Tallfoot sich selbst überlassen.
Sie kehrte in das Ministerium zurück und erstattete Bericht. Dann schlug sie vor, in der verbleibenden Zeit einen wirkungslosen Trank zusammenzustellen, der von Farbe, Fließeigenschaften und Geruch her ähnlich beschaffen sei, aber eben keine Wirkung habe. Diese Idee vermittelte sie Mr. Coats. Hermine Granger war hellauf begeistert von diesem Ablenkungsmanöver. Als Tessa sie dann scheinheilig fragte, ob sie diesen Trank brauen wollte, schüttelte sie den Kopf. Coats sagte dann auch: "Der Trank ist dann sicher auch geheimzuhalten. Da Ms. Granger noch auf der Geheimhaltungsstufe null rangiert verbiete ich ihr den Zutritt zu der beschlagnahmten Menge."
"Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß in zwei Stunden jemand so einen Trank so gut es geht vortäuschen kann", sagte Tessa. Hermine sah sie an und dann ihren derzeitigen Vorgesetzten. Sie bat ums Wort. Offenbar hatte man sie doch schon gut dressiert, dachte Tessa.
"Vielleicht könnten Sie oder der Minister Madam Bitterling oder Mrs. Ceridwen Barley oder Professor Slughorn bitten, den Trank zu untersuchen und zumindest eine gleichaussehende Fälschung zu machen, damit die Greybackianer nichts damit anstellen können."
"Hmm, in zwei Stunden. Ich gebe das als Vorschlag mit Bitte um sofortige Durchführung an den Minister weiter. Der muß das entscheiden", sagte Coats und fischte nach einem gerade ruhenden Papierflieger. Er beschrieb einen Pergamentzettel, klemmte ihn fest zwischen die Flügel des Memo-Fliegers und warf ihn hoch, wobei er "Zaubereiminister Shacklebolt persönlich!" rief. Das Memo sauste wie mit unsichtbaren Propellern oder Düsen getrieben davon.
Wenige Minuten später hatte Shacklebolt drei Gesuche fertig, an Madam Bitterling, Professor Slughorn und Mrs. Barley. Jeder Bitte wurde eine Probe des Trankes beigefügt, der vorzutäuschen war. Bei der Gelegenheit bekam Madam Bitterling auch gleich eine Probe zur Untersuchung. Kurierapparatoren überbrachten Gesuch und Kostprobe innerhalb von einer Minute. Dreißig minuten später meldete sich Ceridwen Barley, daß sie es hinbekommen hatte, zwei Kessel der Normgröße 2 mit einem die sensorischen Eigenschaften besitzenden Pseudotrank zu füllen, und wo sie ihn abliefern solle. Dann kam noch die Meldung von Bitterling, daß sie ebenfalls einen solchen Trank fertig hatte. Beide Mengen wurden von Kurierapparatoren abgeholt. Das mittlerweile umgefüllte und saubergespülte Faß wurde neu befüllt. Tessa schaffte es nun per Apparition in das noch immer treibende Boot. Die Idee, Tallfoot als Mörder anzuzeigen hatte sie verworfen. Denn dann hätte ja jemand bezeugen müssen, daß er seine Leute umgebracht hatte. Nein. Sollte der ruhig denken, er sei im Rausch seiner Überlegenheit eingeschlafen. Sie ließ ihm das Faß zurück.
Als sie wieder im Ministerium eintraf hörte sie Coats schon poltern, weil Hermine Granger und der Minister sich an ihm vorbei miteinander abgesprochen hatten.
"Nächste Woche darf dieses renitente Mädchen sich einen anderen Dummen suchen, dem sie auf der Nase herumtanzen kann. Ich habe meine Nase jetzt gestrichen voll!" Brüllte Coats. Hermine stand da wie eine Salzsäule. Doch ihren Mund umspielte ein überlegenes Lächeln.
"Na, Ms. Granger, womit haben Sie ihren alteingesessenen Vorgesetzten denn so verärgert?" Flötete Tessa Highdale.
"Dieser Mensch ist ein Ignorant, weil er meint, wer Jahre lang dasselbe macht lernt jeden Tag was neues", knurrte Hermine, mußte dann aber wieder lächeln. "Ich habe mit Minister Shacklebolt gesprochen, weil der wissen wollte, ob mein Werwolftruppenanwerbungsablaufplan fertig sei. Über den haben wir gesprochen. Er fragte mich dann, wie die Truppe meiner Meinung nach heißen könne. Ich habe dann den Namen "Einsatzkommando Remus Lupin oder Kommando Lupin erwähnt, weil Professor Lupin ja für den Phönixorden genau sowas gemacht hat, wie die Truppe."
"Ja, und das ist höchstüberheblich", blaffte Coats. Tessa sah ihn an und sagte:
"Machen Sie Ms. Granger nicht runter, weil die ihre Namensidee gleich dem Minister erzählt hat und nicht Ihnen! Sie können ja dann für die Umsetzung die Lorbeeren einheimsen."
"Ich sehe es, Sie und dieses überhebliche Gör sind sich offenbar einig", sagte Coats. "Ich kläre das mit Mr. Diggory, ob ich ein derartig vorlautes, besserwisserisches und undiszipliniertes Betragen dulden muß oder nicht. Schönen Tag noch, die Damen!"
"Hat er Ihnen wieder freigegeben?" Fragte Tessa, als sie mit Hermine Granger zur Mitarbeiterrkantine unterwegs war.
"Ich habe nichts anderes gemacht, als mit dem Zaubereiminister über die mögliche Einrichtung der Sondereinheit zu sprechen, weil der Minister mich persönlich danach gefragt hat. Aber ich verstehe schon, daß Leute, die Ideen haben nicht in einer Behörde arbeiten dürfen", schnaubte Hermine. "Mir Disziplinlosigkeit vorzuwerfen ist auch unverschämt. Außer in dem Jahr, wo Voldemort und seine Bande Hogwarts tyrannisiert haben habe ich keine einzige Schulstunde geschwänzt, sondern höchstens in der dritten Klasse das Fach Wahrsagen aufgegeben, weil mir Trelawneys Art zu unsinnig erschien."
Wahrsagen habe ich damals schon gar nicht genommen", sagte Tessa. So kamen die beiden in ein Gespräch über ihre Schulzeit. Am Ende sagte Tessa zu Hermine: "Ich gehe zu Mr. Diggory und schlage ihm vor, den Namen "Kommando Remus Lupin" als verbindlichen Namen der Gruppe festzulegen. Immerhin hat dieses Kommando ja heute schon den ersten größeren Erfolg erzielt." Hermine sah ihre ältere Arbeitskollegin erstaunt und dann dankbar an. Tessa lächelte. Ihr war klar, daß dieses Sonderkommando ein eigenes Büro bekam, was eine bereits erfahrene Leitung brauchte. Die vierzig Galleonen im Monat mehr waren ihr das schon wert, Hermine Grangers Idee zum Durchbruch zu verhelfen. Außerdem kannte sie einige Lykanthropen, die mit und ohne magie bereit sein würden, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Tallfoot erwachte. Er fühlte sich merkwürdig schwindelig. Dann erkannte er, wo er war. Er überlegte, was passiert war. Dann fiel ihm ein, daß er das Faß da vor sich für sich alleine haben wollte und einen Streit angezettelt hatte. Offenbar hatte er eines mit einem Ruder übergezogen bekommen. Jetzt war er wieder wach, und trieb mit dem Boot auf dem Meer. Die Ruder lagen teils zersplittert im Boot herum. Aber das Faß lag noch vor ihm im Bug. Offenbar hatten sich die Idioten gegenseitig über Bord geworfen. Aber warum war er dann nicht über Bord gegangen? Er prüfte nach, ob er noch alles bei sich hatte. Sein Zauberstab und alles wichtige waren noch da. Vielleicht hatte er noch einen Zauber gemacht, bevor ihm was über den Kopf gezogen worden war. Jedenfalls war das Boot bis auf ihn, die kaputten Ruder- und Ruderbänke und vor allem das Faß leer. Er überlegte sich, wie er dieses Faß für sich behalten konnte. Denn zwei wußten noch, daß er es bekommen hatte. Sollte er sich davonmachen? Nein, sie würden ihn suchen und auch finden. Er mußte sich ihnen stellen, am besten so, daß er sie überrumpeln und dann mit dem Todesfluch aus der Welt schaffen konnte, bevor die jemand vermißte. Ja, nur so konnte er dieses Faß, daß für ihn große Macht bedeutete, alleine leertrinken.
"Ihr gehört jetzt zu uns Mondgeschwistern", sagte Nina, die sich Andrea als Melina vorgestellt hatte, als sie Don Adone Danielli, dessen Enkel Andrea und die rechte Hand des Capos, Luigi vor sich sitzen hatte. Andrea hatte seinem Großvater erzählt, was mit ihm und dann eben auch mit ihm passiert war. DonAdone hatte versucht, Andrea zu erschießen. Das hatte nicht geklappt. Luigi, der von Andrea auch heimgesucht worden war, hatte dann versucht, sich selbst zu erschießen. Auch das hatte nicht geklappt. Die Haut war wie eine kugelsichere Weste gegen Blei- und auch Stahlmantelgeschosse. So hatten sie erkannt, daß sie gerade fast unbesiegbar geworden waren. Nina hatte den beiden Neueinsteigern in die Mondbruderschaft ausreichende Dosen des Lykonemisis-Trankes mitgebracht. Denn es war nun sicher, daß es zur offenen Schlacht zwischen den Daniellis und Pontebiancos kommen würde. Die Frage war nur, wann dies passierte.
Harry Potter traf seine beste Freundin Hermine Granger am 24. September in der Kantine des Zaubereiministeriums. Sie erzählten sich von ihren ersten Erfahrungen als Ministeriumsbeamte. Hermine hatte erkannt, daß sie im Moment vielleicht besser ein wenig leiser gehen sollte. Doch Harry sagte ihr:
"Weil du an einen geraten bist, der keine Neuen Sachen haben will? Der soll froh sein, daß seine Abteilung nicht komplett neu aufgebaut werden muß wie das Aurorenkorps. Zum Glück haben wir ja noch die Instruktoren, die wissen, was wir so können müssen. Obwohl, gegen die waren Lehrer wie McGonagall und Snape ganz ruhige Typen. "Vergessen Sie nie, die Damen und Herren, daß sie sich jeden Tag in tödliche Gefahr begeben. Ein Fehler oder eine Unwissenheit könnten Ihnen zum Verhängnis werden", sagte unser Ausbilder für Zaubertränke gestern noch. Dagegen waren Snape und Moody richtig harmlos."
"Du weißt zumindest noch, was sie dir hier beibringen wollen. Ich renne und springe und lande entweder auf dem Hosenboden oder im Fettnäpfchen", grummelte Hermine.
"Och, bei der Werwolfregistratur kann dir da ja noch nicht viel passieren", sagte Harry.
"Wenn die mich hier rausschmeißen und der Minister wegen der Sache mit dem Klitterer-Interview noch was ansetzt", zischte Hermine.
"Ich denke, Hermine, der Minister hat dich dabeigekriegt. Ich hörte sowas aus der Straverfolgung, daß die Kimmkorn in Millemerveilles zwar erwischt wurde, aber bisher keiner einen Gerichtstermin angesetzt hat, weil die im Moment wegen der Todesserfälle und wegen dieser Vampire von Nocturnia zu viel zu tun haben."
"Hätte ich das wissen müssen?" Fragte Hermine verdrossen. Harry schüttelte den Kopf.
"Super, und Minister Shacklebolt hat die Gelegenheit genutzt, mich für drei Jahre zu verpflichten, wie eine Muggelsoldatin."
"Dann tourst du halt durch die Abteilungen und kommst gut rum", meinte Harry dazu. Hermine überlegte sich, ob es wirklich das war, was sie wollte. Dann erzählte sie von der Idee einer aus Werwölfen bestehenden Sondereinheit gegen Werwolfkriminalität. Sie erwähnte dann auch, daß sie den Namen "Kommando Remus Lupin" vorgeschlagen habe. Harry war hellauf begeistert.
"Verstehe nicht, daß dein direkter Vorgesetzter das nicht mit Kußhand genommen hat. Der Name ist für so eine Truppe voll perfekt."
"Sagt Ms. Highdale auch, eine Hexe, die wie Lupin Lykanthropin ist", erwiderte Hermine.
"Ist das die dunkelblonde aus der Zauberwesenabteilung?" Fragte Harry. Hermine nickte. "Klar, weil die als Werwölfin und Ministeriumsbeamtin ja dann erst einmal die ranghöchste wäre, wenn das Kommando offiziell zusammengestellt wird", meinte Harry noch dazu. Hermine nickte.
"Ich habe der offenbar einen größeren Geldbeutel hingeworfen, als ich das mit der Truppe aus Werwölfen vorgeschlagen habe."
"Damit haben wir doch mal eine echte Reform, Ms. Hermine Jean Granger", lachte Harry Potter.
"Sag das mal Coats!" Raunte Hermine. Harry zuckte nur die Achseln. Dann sprachen sie über ihre Pläne im Privatleben. Harry hatte sich mit Ginny verlobt. Wenn Sie mit Hogwarts fertig war wollten sie heiraten. Hermine war sich da noch nicht sicher, obwohl sie genau wußte, daß sie ja sagen würde, wenn der, den sie beide kannten sie fragen würde. Aber, da sei sie ganz traditionell, er habe sie zu fragen, nicht umgekehrt. "Nachher meint er noch, ich wolle ihn erpressen." Darüber mußten dann beide lachen.
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