eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie
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Was bisher geschah | Vorige Story
Eigentlich gingen die Andrews' davon aus, Julius in den ersten Sommerferien seit der Einschulung in Hogwarts aus der Zaubererwelt heraushalten zu können. Um ihn davon abzuhalten, mit Aurora Dawn zur Quidditch-Weltmeisterschaft zu reisen, schicken sie ihn nach Frankreich zu Joe und Catherine Brickston. Was die Andrews' nicht wissen: Catherine ist eine reinrassige Hexe. Ihre Mutter, deren Mann von Schergen des dunklen Lords Voldemort getötet wurde, lehrt Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste in Beauxbatons.
Julius verbringt einige Tage in Paris, während der er mit Catherine die Zaubererstraße Rue de Camouflage besucht, wo er einen weinroten Festumhang bekommt, als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk. Ein Brief, den die Brickstons von Julius' Vater bekommen, veranlaßt Catherine, ihre Mutter und das Zaubereiministerium zu alarmieren. Denn Julius' Vater plant, seinen Sohn endgültig aus der Zaubererwelt herauszuhalten, indem er schreibt, daß sein Sohn von einer macht- und geldgierigen Sekte bedroht ist, die sich in seiner Eliteschule eingenistet habe. Er solle bis nach dem ersten September in Frankreich verbleiben. Üblicherweise beginnt jedoch am ersten September das neue Schuljahr in Hogwarts.
Madame Faucon erscheint bei Joe Brickston und fragt Julius, ob der Brief von seinen Eltern stammt, was dieser bestätigt. Daraufhin nimmt sie ihn gemäß Ausbildungs- und Betreuungsgesetze für muggelstämmige Zauberschüler in ihre Obhut und bringt ihn in ihre Heimat, das Zaubererdorf Millemerveilles, wo Julius den Wechselzungentrank erhält, welcher ihm die französische Lautsprache vermittelt, aber unter Verlust seiner Englischsprechfähigkeit. Außerdem muß er ein Verbindungsarmband tragen, womit er über sieben Kilometer hinweg geortet und bei Bedarf zurückgerufen werden kann. Er trifft seine Hauskameradin Prudence Whitesand, die die Ferien bei ihrer Brieffreundin Virginie Delamontagne und deren Eltern verbringt und lernt die Familie Dusoleil kennen. Die Mutter, Camille, ist von Julius angetan, weil er sich für ihre Arbeit, magische Pflanzen, interessiert. Jeanne, die älteste Tochter, ist erstaunt über sein Spielvermögen im Quidditch. Claire Dusoleil empfindet soetwas wie Bewunderung und versucht, Julius für ihre Hobbies zu begeistern: Musik, Malerei mit Zauberfarben und die englische Sprache. Ein magisches Sprachlernbuch, welches exakt dem entspricht, was Julius für Französisch bekommen hat, bringt Julius unter einem Schwindelanfall seine Sprachkenntnisse in Englisch wieder.
Madame Faucon bringt Julius darauf, sich einem Verwandlungsexperiment zu unterziehen, bei dem er für zehn Minuten ein Weidenkorb ist. Als sie dann erfährt, daß er seine Muttersprache wiedergefunden hat, testet sie seine Zauberfähigkeiten. Die glühende Schachverehrerin Madame Delamontagne erfährt, daß Julius das königliche Spiel kann und prüft, ob sie ihn für ein bald stattfindendes Schachturnier anwerben soll.
Eigentlich ging Julius davon aus, seinen zwölften Geburtstag als X-beliebigen Tag zu verbringen. Doch Madame Faucon wußte davon und traf frühe Vorbereitungen, so daß Julius seinen zwölften Geburtstag mit seinen Schulfreundinnen Gloria Porter, deren Eltern und den Hollingsworths, sowie Aurora Dawn feiern kann. Er bekommt einen eigenen Rennbesen der neusten Sauberwisch-Version, sowie eine eigene Posteule, die er Francis nennt und einen bezauberten Brustbeutel, in dem Aurora Dawn eine große Flasche mit einem Breitbandgegengift verstaut hat.
Wenige Tage später folgt er einer Einladung Claires und feiert mit ihr und ihren Schulfreunden ihren zwölften Geburtstag. Dabei kommt heraus, daß Julius eine umfassende Tanzausbildung bekommen hat, was Claire hoffen läßt, mit ihm zusammen am Mitsommerball von Millemerveilles teilzunehmen. Doch davor soll Julius noch ein Schachturnier bestreiten.
Julius konnte sich nicht daran erinnern, ob er überhaupt etwas geträumt hatte, als er am nächsten Morgen aufwachte. Er wußte nur, daß er sich am vergangenen Tag sehr gut amüsiert hatte. Doch von allen Eindrücken, die er gewonnen hatte, waren ihm die Tänze mit Claire am deutlichsten im Gedächtnis geblieben. Irgendwie hatte bei ihm und ihr im Punkte Tanzen alles gestimmt. Er hoffte nun, am Sommerball von Millemerveilles teilnehmen zu können, der am 28. Juli stattfinden sollte. Doch davor galt es noch, ein Schachturnier zu bestreiten.
Während des Frühstücks mußte Julius in kurzen Sätzen berichten, was er am Vortag auf dem Anwesen der Dusoleils erlebt hatte. Er verschwieg auch nicht, daß Virginie Delamontagne behauptet hatte, ihrer Mutter zu erzählen, daß Julius angeblich so gut tanzen könne. Madame Faucon sah ihn mit ihrem gestrengen Lehrerinnengesicht an, ohne böse oder freundlich zu blicken. Sie sagte nur:
"Wir werden sehen."
Um halb neun verließen Madame Faucon und ihr Schützling Julius Andrews das große Haus der Beauxbatons-Lehrerin. Madame Faucon trug einen mittelbeigen Ausgehumhang, Julius hatte den mitternachtsblauen Umhang angezogen, den er an seinem ersten Tag in Millemerveilles, dem französischen Zaubererdorf, getragen hatte. Auf dem Familienbesen von Madame Faucon flogen sie zum Rathaus des Dorfes, wo bereits andere Hexen und Zauberer, vom Elfjährigen bis zum ehrwürdig ergrauten Zauberer warteten. Julius sah Monsieur Castello, Monsieur Dusoleil und dessen Schwester Uranie, Madame Delamontagne, Prudence Whitesand und Jeanne Dusoleil. Julius meinte, eine Königin zu sehen, als Madame Delamontagne in ihrem hellroten fließenden Seidenumhang in das Rathaus ging. Daß sie nicht gerade gertenschlank war, fiel in diesem Umhang nicht auf. Prudence und Jeanne trugen bunte Kurzkleider, wie sie auch Muggelmädchen tragen würden, die zu einer ungezwungenen Party gehen würden. Er wollte schon zu den beiden Mädchen hinüberlaufen, doch Madame Faucon erkannte seine Absicht und legte wie beiläufig ihren linken Arm um Julius Hüfte. Der Junge stand still, als habe sie ihn durch einen Erstarrungszauber gebannt. Eine Weile blieb er so erstarrt stehen, bis seine Gastmutter ihren Arm wieder von ihm fortnahm und ruhig sagte:
"Hier wird nicht herumgerannt. Wie sähe das aus? Du bekommst bestimmt genug Gelegenheiten, dich mit den beiden Mädchen zu unterhalten, falls sie dies wollen. Jetzt kommt erst die Zuteilung der Gegner. Das ist immer sehr interessant."
Julius mußte seiner Gastgeberin rechtgeben. Denn wie hier die Gegner eines Schachturniers zugeteilt wurden, hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgestellt. Würden die starken Schachspieler in eine Gruppe und die schwachen Spieler in eine andere Gruppe eingeteilt, oder würden unterschiedlich starke Gegner aufeinandertreffen?
In der Rathaushalle, die Julius irgendwie an die Eingangshalle von Hogwarts erinnerte, bis auf die schlanken Säulen aus schwarzem und weißem Marmor, warteten die Teilnehmer am Turnier auf die Auslosung.
Vier große Truhen aus hellbraunem Holz schwebten von Zauberkraft getragen durch die Zugangstüren zu den Bürokorridoren und landeten in einer Viereckformation. Ein hochgewachsener Zauberer in einem taubenblauen Umhang und einem schwarzen Spitzhut, dessen dunkles Haar und Vollbart das Gesicht fast zudeckten, stellte sich in den Schnittpunkt der Viereckformation hinein und gebot mit einer leichten Handbewegung Ruhe. Das Raunen und Fußgetrappel ebbte augenblicklich ab. Der Zauberer warf einen Rundblick durch seine dicken Brillengläser und sagte laut:
"Messieursdames und Mesdemoiselles, ich freue mich, daß Sie wieder einmal so zahlreich erschinen sind und stelle mit großer Erheiterung fest, daß sich neben den langjährigen Anhängern unseres ehrwürdigen turniers auch jüngere Verehrer des königlichen Spiels hier eingefunden haben, um ihre geistigen Qualitäten und ihr Durchhaltevermögen unter Beweis zu stellen. Ich freue mich auch, daß Absolventen der britischen Zaubererschule Hogwarts ihre verdiente Ferienzeit dafür erübrigen möchten, sich im Gebrauch der Schachfiguren zu beweisen.
Nun wird, wie jedes Jahr aufs neue, die Zuteilung der Gegner des Ersten Spiels erfolgen. Jede Truhe enthält eine Anzahl von Teilnehmern. Hierbei wurde vorab bewertet, welche Spielstärke jeder Bewerber oder jede Bewerberin in die Waagschale zu werfen vermag. So konnten vier Spielstufen festgelegt werden. Die Bewerber der oberen zwei Stufen spielen gegeneinander, während die Bewerber der unteren zwei Stufen gegeneinander spielen. Insgesamt wurden zweiunddreißig Teilnehmer gezählt, die in fünf Ausscheidungsspielen den Sieger des Turniers ermitteln. Die Dauer des Turniers ist auf zwei Tage angesetzt. An jedem Tag sind durchschnittlich zwei Spiele angesetzt, beginnend um zehn Uhr am 24. Juli, endend am 26. Juli um 23 Uhr, vielleicht auch später, falls das Endspiel länger dauern sollte.
Schreiten wir nun zur Auslosung!"
Bei seinem letzten Satz schwang der Zauberer seinen Zauberstab kurz über die vier Truhen. Lautlos öffneten sich die Deckel. Wie bei Claires Geburtstagstruhe konnte Julius eine undurchdringliche Schwärze erkennen, die jede Truhe ausfüllte.
Auf den vier ggroßen Truhen erschienen silberne Buchstaben: A, B, C und D. Der Zauberer, welcher offenbar die Auslosung durchführen wollte, erwähnte, daß die Buchstaben die Spielstärke der Gruppe anzeigten, zu der die Bewerber gehörten, deren Zettel in der jeweiligen Truhe untergebracht waren. D war hierbei die stärkste Gruppe.
"Die Auslosung beginnt mit den Gruppen A und B. Dann erfolgt die Zuteilung der Gegner aus den Gruppen C und D."
Der Zauberer im taubenblauen Umhang tippte an die Truhen mit den Buchstaben A und B. Die Deckel klappten sich wieder zu. Ein Flattern und Rauschen drang aus den beiden Truhen und ließ erahnen, daß die eingeworfenen Bewerbungszettel noch mal durcheinandergewirbelt wurden. Dann klappten sich die beiden Deckel auf. Die undurchdringliche Schwärze blieb noch vorhanden. Der Zauberer im taubenblauen Umhang griff gleichzeitig in die Truhen A und B und zog je einen Umschlag aus dem schwarzen Nichts heraus, das die Truhen füllte. Er riß die Umschläge auf und verlas die ersten beiden Gegner. Julius hörte nur, daß er nicht dabei war. So ging das Verfahren weiter, bis alle acht ersten Spiele ausgelost waren. Julius wunderte sich nicht, daß er keinen bekannten Namen dabei hörte. Er wunderte sich nur, daß er nicht zumindest der Gruppe B zugeteilt worden war. Die beiden ersten Truhen klappten sich wieder zu. Dann erfolgte die Auslosung der Paarungen der stärkeren Gruppen C und D.
Wieder klappten zunächst die Truhendeckel zu, es rauschte und flatterte in den Truhen, bevor sie sich wieder öffneten und der Zauberer die ersten zwei Umschläge herausholte.
"Aus der Gruppe C spielt Mademoiselle Jeanne Dusoleil gegen den zur Gruppe D zugeteilten Monsieur Antoine Castello", verkündete der Ausloser laut. Dann holte er den nächsten Umschlag aus jeder der beiden Truhen C und D.
"Es spielen aus der Gruppe C Monsieur Florymont Dusoleil gegen Madame Blanche Faucon aus der Gruppe D", verkündete der Zauberer das Ergebnis der zweiten Auslosung. Dann fuhr er mit Julius unbekannten Bewerbern fort, bis er verlas:
"Von der Gruppe C tritt an Mademoiselle Prudence Whitesand gegen Monsieur August Lumière aus der Gruppe D."
Zwei weitere Paarungen später verkündete der Ausloser:
"Monsieur Julius Andrews aus der Gruppe C tritt an gegen Mademoiselle Uranie Dusoleil aus der Gruppe D."
Julius suchte schnell die Tante von Jeanne, Claire und Denise und erhielt ein zufriedenes Lächeln von Mademoiselle Dusoleil zur Antwort.
"Schließlich tritt Madame Estelle Pierre aus der Gruppe C, die Vicemeisterin des letzten Turnieres an gegen Madame Eleonore Delamontagne, die Meisterin des Turnieres des vergangenen Jahres!" Rief der Ausloser mit entzückter Stimme.
"Somit wird im errsten Spiel bereits ein kleines Finale stattfinden. Soviel zur Auslosung der ersten Begegnungen. Die Sieger oder Siegerinnen der ersten Partien spielen anschließend gegen die Gewinner der Partieen ihrer beiden Zuordnungsgruppen. Die Sieger dieser nächsten Partie spielen dann gegen die Gewinner der Partie der Gruppen C und D. Hierzu wird noch mal ausgelost, wer gegen wen antritt. Ich wünsche uns allen ein abwechslungsreiches und erfolgreiches Turnier!"
"Wer war der Herr, der die Auslosung durchgeführt hat?" Fragte Julius Madame Faucon.
"Das war Edmond Pierre, Dorfrat für Sicherheitsangelegenheiten in Millemerveilles", erklärte die Beauxbatons-Hexe ihrem derzeitigen Hausgast. Julius fragte, ob der Zauberer nicht selbst mitspielte. Er erfuhr, daß Monsieur Pierre nichts von Schach hielt und daher von seiner Frau als Ausloser ideal gefunden wurde.
Die Schachspieler verließen die Rathaushalle, nachdem ihnen gesagt wurde, daß sie sich im Chapeau Du Magicien, der Dorfschenke von Millemerveilles, einfinden sollten. Julius prüfte noch mal, ob die ihm zum Geburtstag geschenkten Schachmenschen vollzählig waren und begab sich mit seiner Gastmutter in das Wirtshaus, daß auf der Südseite des großen Dorfteiches lag. Von der Flügeltür her hatte man einen guten Blick auf das weit aufgerissene Maul des Bronzedrachens, der die Südrichtung anzeigte. Julius, der das von Kevin Malone geschenkte Drachenbuch durchgeblättert und kurz überflogen hatte, dachte daran, welche Drachenart in der großen Bronzefigur nachempfunden worden war und vermutete, daß ein pyrenäischer Purpurpanzer als Vorbild gedient haben mochte. Doch an Drachen konnte Julius nicht lange denken. Denn Mademoiselle Uranie Dusoleil trat an ihn heran und legte ihm kurz die Hand auf die Schultern.
"Es wird Zeit, Monsieur. Ich hoffe, Sie strengen sich an. Ich habe keine Lust, nach fünf Minuten schon mit der Partie fertig zu sein", sagte sie ruhig und führte Julius zu einem der sechzehn Tische, die so aufgestellt worden waren, daß die Spieler sich ungestört gegenübersitzen konnten. An jedem Tisch war ein Zauberer oder eine Hexe als Beisitzer anwesend. Schließlich mußte ja sichergestellt werden, daß nicht geschummelt werden konnte. Die Beisitzerin am Tisch von Mademoiselle Dusoleil und Julius Andrews stellte sich als Madame Descartes vor. Sie hatte einen Notizblock vor sich aufgeklappt, auf dessen linker Seite der Schriftzug: "Spiel 1, weiß" und auf der rechten Seite der Schriftzug "Spiel 1, Schwarz" eingetragen war. Ein Münzwurf mit einem Knut entschied, daß Julius schwarz spielen sollte. Er wies seine schwarzen Schachmenschen an, sich aufzustellen. Mademoiselle Dusoleil schickte ihre weißen Schachmenschen auf das Spielbrett.
Um genau zehn Uhr läutete Monsieur Pierre eine kleine Glocke und eröffnete das Turnier.
Madame Descartes notierte jeden Spielzug auf der dafür vorgesehenen Seite des Notizbuches, so daß Zug und Gegenzug übersichtlich nebeneinanderstanden. Julius antwortete auf die ersten Züge seiner Gegnerin mit gewohnter Ruhe. Erst die späteren Züge würden zeigen, wer gewinnen würde.
Nach ungefähr zwanzig Zügen mußte Julius erstmalig lange nachdenken, um einen erfolgreichen Gegenzug zu führen, der ihn aus einer gefährlichen Situation heraus und in eine aussichtsreiche Lage hineinbringen konnte. Nach ungefähr fünf Minuten fand er eine Möglichkeit, seinen Springer so zu spielen, daß er im nächsten oder übernächsten Zug einen Angriffsversuch auf den gegnerischen König wagen konnte. Er machte nicht den Fehler, seine Gegnerin zu unterschätzen. Er glaubte nicht, daß sie seine Absicht nicht vorhersehen konnte. Tatsächlich manövrierte Mademoiselle Dusoleil ihren König so, daß er nicht in den von Julius beabsichtigten Zügen angegangen werden konnte. So zog sich die Partie über weitere zehn Züge hin, bis Julius noch mal lange überlegen mußte. Dann spielte er weiter, und schaffte es, eine Figurenstellung zu schaffen, die für Mademoiselle Dusoleil so oder so in einem Schachmatt ihres Königs enden würde. Obwohl die Schwester von Monsieur Dusoleil dies wohl vorhersah, spielte sie ruhig weiter und reagierte auf Julius' Züge, die ihn tatsächlich zum Sieg brachten. Nach nur 45 Zügen stand der weiße König im Schachmatt. Madame Descartes markierte das Spielergebnis und notierte die Spieldauer inklusive Denkpausen. Dann gratulierte sie Julius Andrews zu seinem Sieg und reichte ihm ein weißes Leinentuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
"Ich werde mir nach dem Turnier noch mal die Notizen ansehen. Mich interessiert, wo ich den entscheidenden Fehler gemacht habe", sagte Mademoiselle Dusoleil ruhig und strahlte Julius an. "Immerhin bin ich nicht an einen übervorsichtigen Stellungsspieler geraten. Wir müssen nur noch solange hier sitzen bleiben, bis alle Beisitzer ein Spielergebnis vorgewiesen haben, um die anderen nicht zu stören", flüsterte Mademoiselle Dusoleil. Julius, der schon halb aufgestanden war, ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und holte aus einer Umhangtasche das von Pina geschenkte Buch "Die Magie des Sonnenfeuers" und las darin, wie man magische Brenngläser herstellen und verwenden konnte. Ihn störte es nicht, daß Mademoiselle Dusoleil über Kopf mitlas. Offenbar interessierte es sie auch, was so berühmte Schullehrer wie Prof. Dias und Prof. Meridies zusammengetragen hatten. Ihn wunderte nur, daß die Tante von Jeanne, Claire und Denise offenbar der englischen Sprache kundig war. Denn sie deutete kurz auf eine Stelle auf der linken Buchseite, wo über die Anteile des Mittagssonnenlichtes geschrieben wurde. Julius las kurz die Passage:
"... Je nach Standort können einfallende Sonnenstrahlen der Mittagssonne zu unterschiedlichen Zaubern verwendet werden. Dabei gilt, je näher am Äquator, desto stärker wirken sich Zauber aus, die auf bestimmte Farbanteile des Sonnenlichtes angelegt sind. Eine Tabelle mit Breitengraden und Sonnenlichtanteil weist aus, welche Zauber zu welcher Wahrscheinlichkeit gelingen oder mißlingen. ..."
"Ich hätte mein Naviskop mitnehmen sollen", flüsterte Julius. Mademoiselle Dusoleil flüsterte daraufhin die exakte Breite und Länge von Millemerveilles.
Um kurz nach eins läutete Monsieur Pierre die kleine Glocke. Julius packte seine Schachmenschen und das Buch wieder ein und stand zusammen mit Mademoiselle Dusoleil auf.
"Das Mittagessen gibt es hier", verriet Mademoiselle Dusoleil. "Wer am Schachturnier teilnimmt erhält solange freie Kost, solange er oder sie im Rennen ist. Wir gehen zum großen Tisch hinüber."
Julius wollte schon fragen, wo denn ein großer Tisch hergekommen sei, als er den langen Tisch, an dem alle Spieler und Beisitzer Platz finden konnten, in der Mitte des großen Schankraumes erkannte.
Zwischen seiner Gegnerin und Madame Faucon ließ sich Julius nieder. Madame Faucon sagte wie beiläufig, daß sie ihre Partie gewonnen hatte. Mademoiselle Dusoleil suchte den Blick ihres Bruders, der etwas betreten dreinschaute. Jeanne hingegen grinste zufrieden. Offenbar hatte sie ihr Spiel gewonnen. Der Abstand zwischen ihr und Julius war jedoch zu groß, um sie fragen zu können, wie sie den älteren Zauberer mit dem Zopfbart, gegen den sie hatte antreten müssen, ausmanövriert hatte.
Das Essen war nahrhaft, wenngleich nicht so raffiniert, wie es Julius von seiner Gastmutter gewöhnt war. Ihn wunderte nur, daß sich die Teller von alleine füllten, wie er es nur in Hogwarts kannte.
Nach dem Essen traten die Beisitzer der Partien zusammen und entschieden durch Wurf eines achtseitigen Würfels, wer wessen nächster Gegner sein sollte. Wie vorab verkündet ging es erst um die Gewinner der Gruppen A und B, wobei Julius schon merkte, daß die geringste Spielstufe nicht unmittelbar den Verlust einer Partie bedeutete. Schließlich hatten Jeanne und er ja auch gewonnen, so wie Prudence Whitesand. Nur die beiden waren etwas älter als Julius und hatten daher wohl mehr Erfahrung mit Schach.
Als die Gewinner aus den Gruppen C und D ihre nächsten Partien zugelost bekamen, war es Julius unbehaglich. Er wollte nicht sofort gegen Jeanne, Prudence oder gar Madame Delamontagne oder Madame Faucon spielen. So würden ja nur drei Teilnehmer bleiben, gegen einen von denen er unbefangen spielen konnte. Tatsächlich loste ihm der achtseitige Würfel eine junge Hexe aus, die er als Barbara, die Hüterin der Blumentöchter von Millemerveilles wiedererkannte. Die muskulöse Junghexe mit der kastanienbraunen Kurzhaarfrisur in ihrem ziegelroten Kurzkleid wirkte wie eine Amazonenfigur aus einem von Julius' Comics.
Als acht der sechzehn Spieltische mit Zauberkraft fortgeschafft worden waren, teilten sich die ausgelosten Gegner auf die Tische auf. Julius sah Prudence, die gegen Jeanne antreten mußte. Daneben gewahrte er zwei Jungzauberer, die gegen Madame Faucon und Madame Delamontagne spielen mußten. Er bedauerte den Jungen, der gegen die Beauxbatons-Lehrerin spielen sollte. Sicher war der in einer Klasse von Beauxbatons und damit noch befangener als Julius.
"Dann wollen wir mal. Einer von uns beiden wird heute noch ohne Sorge vor dem nächsten Tag nach Hause gehen", sagte das siebzehnjährige Mädchen und schlug lässig die Beine übereinander. Der Beisitzer des Tisches von Barbara loste per Münzwurf aus, daß Julius diesmal die weißen Figuren spielen sollte. So machte er den ersten Zug: "Springer von G1 nach F3!" Befahl er leise seinen Schachmenschen. Der blütenweiße Ritter auf seinem weißen Schlachtross setzte geschmeidig über den vor ihm stehenden Bauern hinweg und trabte auf die angewiesene Position.
Barbara setzte ihren Damenbauern zwei Felder vor.
Die Partie entwickelte sich innerhalb von sechs Zügen zu einer regelrechten Schlacht. Julius nahm es locker hin, daß ihm innerhalb von zwanzig Zügen die Hälfte seiner Bauern und ein Springer fehlten, da er Barbara dafür beide Türme und einen Läufer abgejagt hatte. Nach dreißig Spielzügen hatte Julius seine Gegnerin derartig gereizt, daß sie seinen Köder, die Dame, schluckte und damit eine wichtige Figur zum Schutz ihres Königs riskierte. Sicher, Julius hatte seine Dame verloren, gewann danach aber innerhalb von acht Zügen die Partie.
"Schachmatt", kommentierte der Beisitzer und notierte das Spielende in seinem Spielprotokollbuch.
"Deine Freundin sollte ich besser nicht werden. Du könntest über Leichen gehen, um dein Ziel zu erreichen", schnaubte Barbara. Dann grinste sie und bedankte sich für diese wichtige Lehrstunde und wünschte Julius noch ein erfolgreiches Turnier. Als alle Beisitzer ihre Spielergebnisse vorgewiesen hatten, läutete die Glocke zum Spielende. Julius warf einen Blick auf seine Uhr und wunderte sich nicht schlecht, daß es bereits sechs Uhr am Abend war. Julius sah kurz auf die verbliebenen Turnierteilnehmer. Wie er erwartet hatte, waren Madame Faucon und Madame Delamontagne siegreich aus ihrer jeweiligen Partie hervorgegangen. Jeanne hatte Prudence besiegt. Dann sah Julius kurz zu den Tischen der sogenannten unteren Spielstufen hinüber. Gegen einen Gewinner von denen könnte er demnächst antreten.
Monsieur Pierre bedankte sich bei allen Turnierteilnehmern für ihr Engagement und beglückwünschte die Gewinner des Tages, ohne Namen zu nennen. Dann verabschiedete er die Gesellschaft mit den Worten:
"Am Morgen des 25. Juli treffen sich die Tagessieger wieder hier zur Fortsetzung des Turnieres. Den ausgeschiedenen Teilnehmern ist es erlaubt, als Zuschauer die Partien zu verfolgen. Bis morgen früh dann!"
Auf ihrem Heimflug unterhielten sich Madame Faucon und Julius über den Verlauf des ersten Turniertages. Die Gastmutter von Julius sprach ihm ihr Wohlwollen aus, daß er sich gegen Mademoiselle Dusoleil so gut durchgesetzt hatte. Als Julius erwähnte, daß ihm Barbara Rücksichtslosigkeit unterstellt hatte, sagte Madame Faucon nur:
"Ja, ich kenne die junge Dame. Sie hält nichts von Leuten, die ohne Rücksicht auf eigene Verluste vorgehen. Die wäre bei euch wahrscheinlich in Gryffindor oder Hufflepuff gelandet. Aber beim Quidditch ist sie sehr stark."
"Würde mir auch noch fehlen, wenn mir jemand Skrupellosigkeit unterstellen könnte. Dann könnte ich ja gleich bei Professor Snape um Aufnahme in sein Haus bitten."
"Abgesehen davon, daß du da hingehörst, wo du bist, ist es meines Wissens nach nicht möglich, das Schulhaus zu wechseln. Das ist bei uns übrigens auch so, wenngleich wir ein anderes Auswahlkriterium bevorzugen, um Schüler zuzuteilen. Aber das zu erklären wäre jetzt etwas zuviel des guten. Ich habe gesehen, wie du in diesem Buch über Magie und Sonnenstrahlung gelesen hast, ist es interessant?"
"Höchst interessant. Da steckt für jede Zauberrichtung was drin, von der Zauberkunst bis zur Verwandlung."
"Ich hoffe, du gestattest es mir, mal darin zu lesen, wenn du gerade wieder Quidditch spielst oder dich von Camille in ihrem grünen Reich herumführen läßt."
"Ich habe soviele Bücher bekommen, daß ich bestimmt kein Problem habe, es Ihnen zu leihen, bis ich wieder abreisen muß", willigte Julius ein.
Nach dem Abendessen musizierten Madame Faucon und Julius noch ein wenig. Die Professorin von Beauxbatons war sehr zufrieden, daß Julius sich immer mehr von seinen Ansichten über klassische Musik löste und ohne den Eindruck, zu irgendwas gezwungen zu werden mitspielte. Madame Faucon spielte Cello, während Julius seine neue Blockflöte blies.
Um zehn Uhr abends wünschten sich die beiden Hausbewohner eine gute Nacht und zogen sich in ihre Zimmer zurück.
Julius ließ seine Eule Francis in die Nacht hinaus und wollte sich gerade hinlegen, als eine braune Eule auf das Haus zuflog und direkt durch sein Fenster hereinschwebte. Sie hielt ihr rechtes Bein ausgestreckt, an dem ein Briefumschlag hing. Julius nahm den Umschlag und holte einen Brief von Virginie Delamontagne heraus.
Hallo, Julius!
Maman freut sich schon, in einem der nächsten Spiele gegen dich antreten zu können. Ich habe ihr erzählt, daß du bei Claires Geburtstagsfeier sehr gut getanzt hast und ihr vorgeschlagen, dich doch auch zu dem Sommerball einzuladen. Deine Schulkameradin Prudence wird auch dasein.
Schlaf gut und streng dich an, meine Mutter morgen aus dem Turnier zu werfen! Es wäre langweilig, daß sie zum siebten Mal in Folge Meisterin wird.
Virginie
Julius wollte der Posteule eine Antwort mitgeben, doch der Vogel hatte sich während der Zeit, die er zum Lesen brauchte, wieder davongemacht.
Julius legte Virginies Brief auf den Nachttisch und drehte sich zum Schlafen um.
Der Nächste Tag begann wie üblich damit, daß Madame Faucon laut an die Tür zu dem gemütlichen Gästezimmer klopfte, das Julius bewohnte. Der Sohn aus einer Nichtmagierfamilie räkelte sich wie üblich und verließ das warme Bett.
Nach dem Frühstück ging es per Familienflugbesen zum Gasthaus Chapeau Du Magicien, wo sich alle Turnierteilnehmer wieder eingefunden hatten, auch die, die bereits ausgeschieden waren. Immerhin wollten diejenigen, die in der letzten Partie besiegt wurden ja wissen, wer gegen wen und wie spielen würde.
Julius war gespannt auf die Auslosung. Doch außer den drei bekannten Namen Delamontagne, Dusoleil und Faucon kannte er keinen der weiteren Gewinner des ersten Tages. Die Auslosung erfolgte wie gestern per Würfel. Die Beisitzer und Beisitzerinnen hatten ihre Tischnummern angegeben, und die Gewinner wurden entsprechend der Würfelzahl bestimmt. So bekam Julius eine Junghexe, die der Spielstärkeneinteilung nach zur Gruppe B gehört hatte als nächste Gegnerin.
Das dunkelhaarige Mädchen mochte kein Jahr jünger oder älter als Julius gewesen sein. Jedenfalls schien sie vom ganzen Rummel sehr aufgewühlt worden zu sein. Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum, als sei dieser erhitzt worden. Dann, als die Glocke zum Beginn des zweiten Turniertages geläutet wurde, beruhigte sie sich und machte den ersten Zug.
Julius Andrews mußte sich zusammennehmen, um nicht zu glauben, daß das Hexenmädchen ihm gegenüber keine Ahnung vom Schach hatte. So entging er einer geschickten Falle, die seine Gegnerin für ihn aufgestellt hatte. Sie dachte wohl, sich unter Wert verkaufen zu können und dann den großen Schlag zu landen. Doch Julius beherrschte diese Kunst der taktischen Untertreibung ja selbst und nebenbei diverse Tricks, wie ein scheinbar leichtes Spiel zum Schachmatt für den Spieler wurde, der sich darauf einließ. So schaffte es der Hogwarts-Schüler, die verspielt vorgehende Junghexe im fünfundzwanzigsten Zug schachmatt zu setzen.
"Schade, bei Monsieur Castello hat mein Spiel mal so funktioniert", bedauerte Julius' Gegnerin, daß sie tatsächlich verloren hatte. Dabei sah sie Julius jedoch mit einem spitzbübischen Lächeln an und flüsterte:
"War auf jeden Fall spannend, mal gegen jemanden zu spielen, der sich nicht so einfach ablenken läßt."
Julius achtete darauf, daß die anderen Spieler nicht gestört wurden und flüsterte leise zurück:
"Das habe ich selbst oft genug versucht, Leute von mir abzulenken. Daher kenne ich das."
Wie gestern mußten die Spieler und Spielerinnen, die ihre Partien beendet hatten, auf das Klingelzeichen der Glocke warten, mit dem bekundet wurde, daß sämtliche Partien gespielt und die Teilnehmer der nächsten Runde ermittelt worden waren.
Das von ehemalig zweiunddreißig Teilnehmern nur noch vier übrig waren, zeigte sich, als es Mittagessen gab. Jetzt erst wurde Julius klar, wie weit er durch das Turnier gekommen war. Es saßen außer Jeanne Dusoleil nur noch die ehrwürdigen Hexen Blanche Faucon und Eleonore Delamontagne am Mittagstisch. Gegen eine von diesen dreien würde er nachmittags noch antreten müssen, wußte der Hogwarts-Schüler.
Er hielt sich während des Mittagessens aus jeder Unterhaltung heraus, abgesehen davon, daß ihn Madame Faucon darüber befragte, seit wann er Schach spielte und er darüber berichtete, wie er als Vierjähriger das erstemal gespielt hatte, hatte er nichts beizutragen.
Nach dem Mittagessen kam es zur Auslosung der Halbfinalspiele. Monsieur Pierre warf vier Karten mit den Namen der Teilnehmer in eine magische Schatulle, in der sie sich selbst mischten. Dann flogen zwei Karten wie von einer Sprungfeder geschnellt heraus und fielen Saltos schlagend auf den Tisch des Auslosers. Monsieur Pierre nahm die zwei Karten auf, drehte sie um und las laut und vernehmlich:
"Die vom Zufallskasten bestimmte Partie spielen Madame Eleonore Delamontagne und Monsieur Julius Andrews. Damit ergibt sich für die zweite Halbfinalpartie die Paarung: Mademoiselle Jeanne Dusoleil gegen Madame Blanche Faucon. Die Turniersiegerin der vergangenen sieben Jahre wird also von einem jungen Zauberer aus Großbritannien herausgefordert. Eine interessante Wahl, für wahr. Beisitzerin am Tisch von Madame Delamontagne und Monsieur Andrews ist Madame Descartes, der Beisitzer der Partie Madame Faucon gegen Mademoiselle Dusoleil ist Monsieur LaGrange."
Die Halbfinalspieler bekamen noch eine Viertelstunde Zeit, sich zu entspannen, bevor sie ihre Partien spielen würden. In der Zeit nahm Madame Faucon Julius noch mal bei Seite. Sie flüsterte eindringlich:
"Du bist soweit gekommen, Julius Andrews. Lass dich also jetzt nicht dazu hinreißen, klein beizugeben! Madame Delamontagne will ein anstrengendes Spiel, um einen Sieg kämpfen. Du würdest sie tödlich beleidigen, wenn du absichtlich unter deinem Niveau spielst."
"Woher möchten Sie wissen, auf welchem Niveau ich spielen kann?" Fragte Julius zurück.
"Ich weiß das eben, und sie weiß das auch. Also, viel Erfolg!"
"Ich freue mich schon darauf, gegen Jeanne im Finale antreten zu dürfen", erlaubte sich Julius noch eine Frechheit.
"Vielleicht auch nicht", knurrte Madame Faucon und suchte mit ihren saphirblauen Augen Jeanne Dusoleil, die sich durch ein Kreuzworträtsel ablenkte, daß sie in einer Illustrierten für junge Hexen und Zauberer gefunden hatte.
Dann läutete die Glocke zur Halbfinalbegegnung. Julius trat aufrecht und selbstsicher an den Tisch heran, an dem bereits Madame Descartes ihr Notizbuch für das Spielprotokoll aufgeschlagen hatte. Ein Wurf mit einem Knut entschied, daß Julius die weißen Figuren führen sollte. Er gab seinen Schachmenschen die Anweisung, nur die weißen in die Grundstellung treten zu lassen.
"Nun denn! Mal sehen, ob du dir der Ehre bewußt bist, gegen mich antreten zu dürfen", sprach Madame Delamontagne. Julius überlegte kurz und machte den ersten Zug.
Jeder Zug, ob von Julius oder Madame Delamontagne, wurde peinlich lange überlegt, so daß zwischen einzelnen Figurenbewegungen bis zu fünf Minuten verstreichen konnten. Es gab keine Zeitbeschränkung, keine einzuhaltenden Maximalzeiten bei Denkpausen, wie Julius es aus großen Schachturnieren kannte, die er im Fernsehen verfolgt hatte. Jeder Zug, den er oder seine Gegnerin taten, war von Überlegungen und Vorausberechnungen begleitet. Julius achtete nicht auf die Zuschauer, die leise um die Tische herumsaßen und verfolgten, wie sich die Partie entwickelte.
Die ersten zwanzig Züge waren Stellungsspiele ohne nennenswerten Figurengewinn oder -verlust. Julius nahm sich vor, mit Anstand zu verlieren und mindestens die Hälfte von Madame Delamontagnes Figuren geschlagen zu haben, bevor sie ihn in ein Schachmatt drängen konnte. So verlief die Partie nach den nächsten zehn Zügen derartig angespannt, da jeder im Zug des Gegners eine Falle oder einen Angriff vermutete. Figuren wurden geschlagen, manchmal im schnellen Schlagabtausch, manchmal nach mehreren Umgruppierungen, Rückzügen oder Vormärschen. Julius dachte an Quidditch und Fußball, wo es manchmal hilfreich war, den Gegner mit großer Zahl in die eigene Hälfte vorstoßen zu lassen, um dann mit wenigen Vorposten ein Tor zu erzielen.
Madame Delamontagne wirkte ruhig und gelöst, während Julius den Eindruck hatte, um sein Leben spielen zu müssen. Immerhin wollte er sich nicht vorhalten lassen, sich absichtlich besiegen zu lassen. Er erlaubte sich sogar eine Frechheit, als er seinen König so plazierte, daß er im nächsten Zug einen gegnerischen Springer schlagen konnte, wenn er nicht durch ein drohendes Schach zu einer anderen Bewegung gezwungen würde. Madame Delamontagne beantwortete diesen Vorstoß mit einem Zug ihrer Königin, die den weißen König bei einem möglichen Angriff auf den Springer in ein Schach bringen würde. Julius hingegen hatte nicht damit gerechnet, daß es die königin sein würde, die Madame Delamontagne ziehen würde. Doch dieser Umstand verschaffte ihm eine geniale Ausgangsposition für ein Manöver, mit dem er seine Mutter einmal an den Rand des Schachmatts gedrängt hatte. Er schlug mit seinem König den Springer und präsentierte seinen König dadurch. Der kleine weiße Schachmensch mit der Krone sah ihn betreten an und wisperte, ob ihm nicht klar sei, daß er die Niederlage riskiere. Madame Delamontagne gebot den Schachmenschen durch eine energische Handbewegung Ruhe. Dann manövrierte sie die Königin in diangedrohte Position. Doch das nutzte Julius aus, um seinen Plan anzugehen. Er zog errst den König aus der Gefahrenlinie, dann zog er seine Figuren so, daß die schwarze Königin von einem seiner Bauern geschlagen werden würde, wenn sie nicht auswich. Da sich Madame Delamontagne dies nicht bieten lassen konnte, rückte sie ihre Königin wieder woanders hin, genau in eine durch die letzten zwanzig Züge möglich gewordene Falle. So kam es, daß Julius nach weiteren zwei Zügen die gegnerische Königin schlagen und nach weiteren zehn Zügen den König ins Schachmatt drängen konnte. Seine Mutter war damals der Niederlage nur entgangen, weil ihr König mitten auf dem Schachbrett gestanden hatte. Der schwarze König nahm seine Krone ab und verneigte sich tief vor den weißen Figuren, die ihn eingekesselt hatten.
"Madame Descartes notierte das Spielergebnis und klappte das Notizbuch zu, ohne eine Bemerkung zu machen.
"Höchst interessant. Kannst du mir sagen, wo ich da mit meinen Gedanken war, daß ich das nicht bemerkt habe?" Fragte Madame Delamontagne den Überraschungssieger.
"Wenn ich Ihnen das sage, würde ich überheblich klingen", antwortete Julius.
"Soso, du hast also darauf spekuliert, daß ich einen Fehler mache?"
"Das tut doch jeder beim Schach", erwiderte Julius. Dann erklärte er, daß durch den Zug der Dame gegen den König eine Grundlage geschaffen worden war, Madame Delamontagne zu schlagen.
"Wenn Sie den linken Turm oder den rechten Läufer gezogen hätten, wäre es nicht möglich gewesen, Sie schachmatt zu setzen."
"Schön. Meine Tochter wird dich dafür lieben, daß du mich aus dem Turnier geworfen hast", grinste Madame Delamontagne. Julius, der erwartet hatte, daß die berühmte Schachspielerin von Millemerveilles verärgert sein würde, starrte sie ungläubig an.
"Warum sollte ich mich nicht freuen, was dazuzulernen? Jeder neue Gegner bringt einem noch mehr Erfahrungswerte. Auf jeden Fall bereue ich es nicht, gegen dich gespielt zu haben. Ist es etwa bei dir so, daß du lieber verloren hättest, nur um mich nicht zu verärgern?"
"Das nicht", flüsterte Julius. "Ich habe nur nicht damit gerechnet, so weit zu kommen."
"Ich freue mich schon, das Endspiel zu sehen", erwiderte Madame Delamontagne und lächelte. Julius gefror fast das Blut in den Adern. Alle würden ihn sehen wollen, gegen wen er auch immer spielte. Als er dann das enttäuschte Seufzen von Jeanne Dusoleil hörte, wußte er auch, daß er gegen die Hexe antreten mußte, die ihm zur Zeit ein Bett und regelmäßige Mahlzeiten gab. Die Glocke läutete das Ende des Halbfinales ein. Madame Delamontagne erhob sich von ihrem Stuhl und reichte Julius die Hand.
"Ich hoffe, du gewährst mir noch eine Revanche, bevor du wieder fortreist."
"Wenn sich das einrichten läßt", erwiderte Julius ruhig.
Monsieur Pierre rief die Halbfinalteilnehmer noch einmal an seinen Tisch und gab das Ergebnis für alle Zuschauer noch mal bekannt.
"Die Sieger des diesjährigen Halbfinales des Schachturniers von Millemerveilles heißen Madame Blanche Faucon und Monsieur Julius Andrews. Damit werden wir in diesem Jahr zum erstenmal nach zehn Jahren einen neuen Turniersieger feiern dürfen. An die beiden Unterlegenen meine allergrößte Hochachtung. Sie werden nach dem Turnier die Trophäe für das Erreichen des Halbfinales, den bronzenen Zauberhut erhalten.
Die Finalgegner treffen sich morgen Nachmittag um zwei Uhr in der großen Halle des Rathauses zum Entscheidungsspiel. Bis dahin wünsche ich Ihnen allen, ob Teilnehmer oder Zuschauer, einen ruhigen Abend und einen erquicklichen Tagesbeginn!"
Jeanne trat an Julius heran und gratulierte ihm.
"Schade, daß wir beide nicht gegeneinander spielen dürfen. Maman wäre bestimmt auch da, um sich das anzusehen."
"Kann man die Teilnahme am Endspiel noch absagen und gleich den Sieger verkünden?" Fragte Julius Jeanne, zu der sich noch Madame Delamontagne gesellte.
"Nein, kann man nicht", zischte Madame Delamontagne. "Die Chance haben Sie vertan, Monsieur."
"Was war das eben?" Fragte eine wohlbekannte Frauenstimme hinter Julius' Rücken.
"Ich habe nur laut gedacht, Madame Faucon."
"Ein wenig zu laut für einen solch vermessenen Gedanken, will ich meinen", sagte Madame Faucon, die sich neben Julius gestellt hatte.
Auf dem Rückflug sagte die Verwandlungslehrerin:
"Ich habe lange gespielt, um in das Endspiel zu kommen. Ich werde mir keinen Sieg schenken lassen. Also lege es nicht darauf an, daß ich mir etwas wirklich unbarmherziges ausdenke. Vielleicht solltest du Catherine mal fragen, was ich schon alles mit ihr angestellt habe, um ihr manche Dummheit auszutreiben."
"Es ist doch nur ein Spiel, verdammt!" Entgegnete Julius, erschrocken darüber, wie verärgert die Hexe war.
"Richtig, nur ein Spiel. Das Spiel, das einen von uns beiden morgen zum Turniersieger machen wird. Also sollten wir die Ruhepause nutzen, um uns nicht mit Unverschämtheiten zu traktieren", beendete Madame Faucon die Debatte.
Das Abendessen verlief wieder in einer friedlichen Atmosphäre. Julius berichtete von der Partie gegen Madame Delamontagne. Madame Faucon wiederum erzählte, wie gut sich Jeanne Dusoleil geschlagen hatte.
"Sie hätte mich fast geschlagen, wenn sie im entscheidenden drittletzten Zug nicht doch eine falsche Figurenbewegung gemacht hätte. Sonst hättet ihr beiden morgen um den goldenen Zaubererhut von Millemerveilles spielen dürfen. Aber ich freue mich schon richtig darauf, daß wir beide ein richtiges Endspiel bestreiten dürfen."
Am Abend schickte er Francis, seine Schleiereule, mit einem Brief an Madame Dusoleil los, in dem er kurz erwähnte, daß er morgen gegen Madame Faucon spielen würde. Dann ließ er Francis zum Fenster hinaus und wollte sich gerade hinlegen, als eine graue Eule mit einem Brief im Schnabel zum Fenster hereinkam. Julius nahm den offiziell wirkenden Brief und bestaunte das goldene Wappen, daß eine sich zu einem Torbogen formende Tausend darstellte. Er las den in veilchenblauer Tinte geschriebenen Absender: Gesellschaftskommitee von Millemerveilles. Dann zog er eine Pergamentseite aus dem Umschlag und las den Brief, den ein Schönschreibkünstler verfaßt haben mußte.
Sehr geehrter Monsieur Andrews,
wie Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist, veranstaltet das Gesellschaftskommietee von Millemerveilles alljährlich zum Ende des Monats Juli einen Sommerball, zu dem alle Hexen und Zauberer erscheinen dürfen, die das zwölfte Lebensjahr vor dem 24. Juli vollendet haben, bis hin zu jenen Hexen und Zauberern, die sich eines langen und erfolgreichen Lebens erfreuen können. wie unserem Kommitee bekannt ist, vollendeten Sie am 20. Juli dieses Jahres das zwölfte Lebensjahr und haben daher Anrecht, an diesem großen Ereignis teilzunehmen. Ihr derzeitiger Status als Gast der hochverehrten Professeur Blanche Faucon, berechtigt Sie ebenfalls, an diesem Ereignis teilzunehmen, daß für Bürger und von diesen geladene Gäste zugänglich ist. Um Sie umfassend darüber zu informieren, was diese Einladung an Sie beinhaltet, geben wir hier Ihnen einige Vorabinformationen:
Der Sommerball von Millemerveilles ist ein alljährlich widerkehrendes gesellschaftliches Ereignis der französischen Zaubererwelt, das seit dem Jahre 1648 am 28. Juli im Park der Wohlklänge von Millemerveilles abgehalten wird. Es werden stets gleichviele Damen wie Herren, ob Kind, ledig oder verheiratet geladen, die dann zur Musik des Millemerveilles-Tanzorchesters ihre tänzerischen Kunstfertigkeiten darbieten können. Der Sommerball beginnt traditionsgemäß um acht Uhr abends und endet um Mitternacht. Die Teilnahme ist kostenlos, sofern die Teilnehmer offiziell eingeladen wurden und noch vor dem 27. Juli eine Zu- oder Absage eingereicht haben, sowie einen möglichen Gast benannt haben.
Folgende Kriterien gelten als verbindlich:
Mindestalter: 12 Jahre Garderobe: Hexen wird empfohlen, im Festumhang oder langen Abendkleid zu erscheinen, sowie flache Tanzschuhe zu tragen. Sie dürfen belibigen Haar-, Hals-, Arm- oder Fingerschmuck tragen. Zauberern wird das tragen von Festumhängen empfohlen, wobei hier die Wahl der Farbe keiner Einschränkung unterliegt, sofern die Umhänge einfarbig sind. Für volljährige Zauberer werden zum Umhang passende Zaubererhüte empfohlen.
Grundkenntnisse: Für die Teilnahme am Sommerball von Millemerveilles sollten die gemäß Vereinbarung gesellschaftlicher Zusammenkünfte der internationalen Zauberervereinigung von 1805 und den Folgejahren Tänze soweit beherrscht werden, daß mindestens ein Drittel der Veranstaltung mitgewirkt werden kann. Uns ist durch unsere Kommiteemitglieder Mademoiselle Virginie Delamontagne und Madame Camille Dusoleil mitgeteilt worden, daß Sie dieses Kriterium zur vollsten Zufriedenheit erfüllen.
Teilnahme und Verköstigung: Wie oben aufgeführt ist die Teilnahme für jeden geladenen Gast kostenlos. Gäste können sich am aufgestellten Buffet mit kleinen Imbissen und Getränken versorgen, ohne Einschränkung. Während der Tanzpausen oder wenn Gäste an Tänzen nicht teilzunehmen wünschen dürfen sie an Rasttischen sitzen, die außerhalb der Tanzfläche bereitstehen. Hierbei gilt eine Trennung nach Altersgruppen zwischen Minderjährigen und volljährigen Zauberern.
Partner: Kein Teilnehmer muß einen Tanzpartner mitbringen. Wie oben beschrieben, werden bei der Einladung immer gleichviele Damen und Herren eingeladen und darauf geachtet, das dieses Verhältnis sich nicht verschiebt. Außerhalb der deutlich angesagten Gruppentänze dürfen nur zweigeschlechtliche Paare an den Tänzen teilnehmen, weil dies den oben erwähnten Statuten der vereinbarung zu gesellschaftlichen Zusammenkünften entspricht. Ein Gremium vom Komitee zusammengestellter Preisrichter wird am Ende des Balles die drei Paare küren, die in den Bewertungspunkten gemeinsames Erscheinungsbild, technisches Können und partnerschaftliche Harmonie positiv aufgefallen sind. Hierbei muß ein Paar nicht dauerhaft miteinander getanzt haben, kann jedoch dadurch die meisten Bewertungspunkte erringen, daß es sich in mehreren Tänzen bewährt.
Minderjährigen Teilnehmern ist es zudem nicht gestattet, ihren eigenen Zauberstab zur Veranstaltung mitzunehmen. Dies nur, um der Einschränkung der Zauberei bei Minderjährigen Folge zu leisten.
Wir hoffen, Sie zumindest in den wesentlichen Punkten umfassend informiert zu haben. Bitte teilen Sie uns innerhalb der nächsten zwei Tage verbindlich mit, ob Sie die Einladung annehmen oder zurückweisen möchten!
Hochachtungsvoll
Roseanne Lumière, Kommiteevorsitzende Sandrine Terred'or, Verantwortlich für das musikalische Programm Camille Dusoleil, Verantwortlich für den Veranstaltungsort und Blumendekorationen
Julius sah erst, ob die Eule, die ihm diesen Brief gebracht hatte, noch da war. Offenbar war seine Antwort nicht so dringend erwartet, oder Madame Dusoleil hatte dem Komitee gesagt, daß Julius seine eigene Posteule hatte oder im Bedarfsfall auf eine Posteule von Madame Faucon zurückgreifen könne. Jedenfalls war der Vogel nicht mehr da. Julius schloß das Fenster, löschte das kleine Licht auf dem Nachttisch und legte sich ins Bett.
Da waren noch einige Fragen zu klären, was für Tänze nun genau die richtigen waren, wie man zu der Veranstaltung reisen sollte und ob man den Partner zwischenzeitlich wechseln konnte. Doch erst einmal mußte er ja das Schachturnier hinter sich bringen. Er dachte mit Unbehagen daran, daß er ausgerechnet gegen Madame Faucon spielen mußte. Er stellte sich vor, daß sie sich darüber freute, gegen ihn das Finale spielen zu können. Entweder hoffte sie darauf, ohne großen Aufwand Turniersiegerin zu werden, oder sie freute sich darauf, gegen einen ihr relativ unbekannten Gegner antreten zu dürfen, um ihre eigenen Fähigkeiten zu überprüfen. Nun, so dachte Julius, er würde sich zumindest nicht zurückhalten. Nachher hielt man ihm noch vor, zu sehr vor seiner Gastmutter zu kuschen, als einen Sieg gegen sie herauszuholen.
Mit diesen Gedanken schlief Julius ein.
Julius wachte um fünf Minuten vor sieben auf. Er räkelte sich, stand auf und öffnete das Fenster, um etwas Luft einzulassen. In diesem Moment schwebten Francis und Viviane, die Eule von Claire Dusoleil herein. Julius wunderte sich. Francis trug einen Brief im Schnabel, Viviane ebenfalls.
Zuerst las Julius den Brief, den ihm seine eigene Posteule mitgebracht hatte.
Hallo, Julius!
Jeanne hat mir schon erzählt, daß du gegen Blanche im Finale spielen darfst. Wahrscheinlich freut sie sich sogar darauf, zumal so oder so ein neuer Turniersieger ermittelt wird, nachdem du Eleonore aus dem Wettbewerb geworfen hast.
Glückwunsch!
Ich werde mir das Endspiel ansehen, auch wenn ich mit Schach nichts am Hut habe, wie du weißt. Aber es ist mir wichtig, dir durch meine Anwesenheit zusätzliche Unterstützung zu geben, da du ja als Außenseiter gehandelt wirst. Jeanne und Claire werden zusammen mit Uranie ebenfalls anwesend sein. Lasse dich von der großen Dame nicht einschüchtern!
Bis nachher!
Camille Dusoleil
Als Julius den Brief von Claire öffnete, klopfte Madame Faucon an die Tür.
"Ich bin schon auf, Madame Faucon!" Rief Julius, noch bevor seine Gastmutter etwas sagen konnte.
"Seit wann?" Fragte die Verwandlungslehrerin an der Akademie von Beauxbatons zurück.
"Seit fünf Minuten", antwortete Julius ruhig. Dann las er schnell die kurze Mitteilung Claires:
Hallo, Julius!
Maman und Jeanne haben mir erzählt, daß du im Schachturnier das Endspiel mitspielst. Ich komme mit Maman und Tante Uranie hin, um es mir anzusehen.
Hast du auch die Einladung zum Sommerball bekommen? Ich hoffe es doch. Hoffentlich läßt dich Madame Faucon dort hingehen. Falls nicht, so sagt Maman, würde sie mit ihr sprechen. Außerdem kommen Virginie und deine Schulkameradin Prudence ja auch hin. Das weiß ich schon sicher. Ich gehe davon aus, daß Denise für die Nacht bei ihrer Freundin Diane bleiben kann. Sonst mußte ich immer auf sie aufpassen.
Wir sehen uns!
Claire
Julius warf die beiden Briefe schnell in seinen Reisekoffer, denn gerade ging die Tür auf. Viviane heulte kurz auf, dann verschwand sie durch das offene Fenster. Francis schlüpfte in seinen Käfig zurück und steckte den Kopf unter den rechten Flügel.
Madame Faucon, gehüllt in einen geblümten Morgenmantel, sah Julius kritisch an, dann deutete sie auf das geöffnete Fenster.
"War das die Eule von Claire Dusoleil?"
"Ja, war sie", antwortete Julius.
"Wahrscheinlich wollte sie dir viel Erfolg wünschen. Immerhin passiert es nicht alle Tage, daß ein Schüler gegen eine Lehrerin antreten darf und auch noch gewinnen könnte, wenn er sich nicht allzu dämlich anstellt. Wahrscheinlich hast du wie ich eine offizielle Einladung von unserem Festkommitee ... - Aja, ich sehe sie da liegen", sprach Madame Faucon und deutete auf den Nachttisch, auf dem die Einladung zum Sommerball von Millemerveilles ruhte.
"Ich weiß nicht, ob ich daran wirklich teilnehmen soll. Immerhin bin ich ja doch nur Gast hier", sagte Julius schüchtern und fischte nach seinem Bademantel.
"Das steht doch da drin, daß auch Gäste der Dorfbewohner eingeladen werden können, wenn sie die Teilnahmebedingungen erfüllen. Aber das klären wir nach dem Schachturnier. Mach dir also jetzt keinen Kopf darum! Ab ins Bad! In zwanzig Minuten gibt es Frühstück."
Julius verschwand im Gästebadezimmer und nahm sich zehn Minuten für die Morgenwäsche und das Ankleiden. Im mitternachtsblauen Umhang trat er in die geräumige Wohnküche.
"Nein, Julius, nicht den Umhang für den Morgen! Du kannst zwar gut essen, aber ich möchte nicht, daß er trotzdem verkrümelt oder besudelt wird. Zieh dir bitte den türkisfarbenen Umhang an, der noch im Badezimmer hängt!" Ordnete Madame Faucon an. Julius drehte sich bedröppelt um und ging noch mal ins Gästebad, wo er den Umhang wechselte.
Das Frühstück war an diesem Tage besonders ausgiebig. Madame Faucon gab Julius viele kleine Früchte zu essen, dunkles Brot und mit Schokolade gefüllte Croissants.
Julius aß, auch wenn ihm schon bald der Bauch zum zerreißen voll war. Doch Madame Faucon wollte nichts davon hören, daß er genug hatte. Er fragte sich, ob das eine geheime Taktik von ihr sei, ihn so satt und träge zu machen, daß er nicht mehr gescheit nachdenken konnte. Womöglich würde sie ihm beim Mittagessen noch mal so viel auftischen. Oder wollte sie verhindern, daß er sich beschweren konnte, wenn er gegen sie verlor, daß er nicht genug zu essen bekommen und daher nicht genug Kraft vor dem Spiel getankt hatte? Immerhin, so stellte der Hogwarts-Schüler fest, aß Madame Faucon auch nicht gerade wenig, wenngleich bei weitem nicht so viel, wie sie dem Jungen vorsetzte.
Doch die gnadenlose Fütterung ging bald zu Ende.
"Heute mittag mache ich uns beiden nicht allzuviel. Deshalb wollte ich, daß du reichlich ißt", begründete Madame Faucon das ausgedehnte Frühstück. Julius nickte beipflichtend. Dann wurde er gefragt, wie er sich vor einer wichtigen Prüfung entspannen würde, ohne sich dabei zu verausgaben. Julius erzählte bereitwillig, daß er am liebsten Musik hörte, bevor eine wichtige Prüfung anstand. In Hogwarts hatte er mit Gloria noch einen Abend vor der ersten Prüfung eine Partie Schach gespielt. Aber das war ja auch vor der Zaubertrankprüfung gewesen. Vor einem Schachturnierfinale war das wohl nicht gerade angebracht, um sich zu entspannen.
"Meine Prüfungszeiten sind zwar vorbei, doch wenn ich vor einer wichtigen Aufgabe stehe, die ähnlich anstrengend zu werden droht, setze ich mich in den Garten und spiele Cello. Aber ich denke, heute wird kein so anstrengender Tag sein. Egal, wer von uns beiden am Abend die Trophäe heimbringt, wird sich an meinem Verhältnis zu dir nichts ändern."
Julius entgegnete darauf nur, daß er dies wußte und sich daher keine Sorgen um den Ausgang der Partie machen würde. Er wollte sogar schon wieder ansetzen, vom vorzeitigen Rücktritt zu reden, doch verkniff es sich schnell wieder.
"An und für sich müßte ich jetzt eine Runde Dauerlauf Machen, um mich gut abzulenken. Aber die Idee mit dem Garten ist nicht schlecht. Darf ich mich draußen hinsetzen und lesen?" Wandte sich Julius an Madame Faucon.
"Da ist nichts gegen einzuwenden. Du solltest dir aber eine Sonnenschutztinktur auf Gesicht und Arme auftragen. Die Morgensonne hier ist heimtückisch, wenn man sich allzusehr in ihrem Licht badet."
"Das mache ich doch jedesmal, wenn ich aus dem Haus gehe. Zum Glück habe ich echte Sonnenkrauttinktur mitgenommen. Mit dem üblichen Kram, den wir sonst zu Hause haben, wäre ich hhier schon längst unten durchgerasselt."
"Wenngleich ich diese Formulierung etwas merkwürdig finde, so trifft sie doch zu. Du hättest dich in den Augen derjenigen, die jeder Muggelerfindung ablehnend gegenüberstehen, als unverbesserlicher Fremdling dargeboten. Aber geh ruhig in den Garten hinaus, sofern niemand meint, ein vormittägliches Unterhaltungsprogramm für dich organisieren zu müssen."
"Dann hätte mir gestern noch wer was gesagt. Ich habe Jeanne doch noch nach dem Halbfinale gesprochen", meinte Julius.
Er ging in das Gästezimmer, suchte sich das Buch über Fluchabwehr und Enthüllungs- und Sperrzauber aus dem Angebot seiner kleinen aber hochwertigen Geburtstagsbibliothek aus. Geschichten über Flüche und Gegenflüche würden ihn wohl vom Schachturnier ablenken.
Er rieb sich Gesicht und Hände mit der Sonnenkrauttinktur ein, die ihm Aurora Dawn in den Weihnachtsferien gegeben hatte. Dann ging er in den Garten hinaus, wo Madame Faucon sich in den Schatten eines Birnbaums gesetzt hatte. Sie las im Miroir Magique, dem Zauberspiegel, der hier berühmten Zeitung.
Julius holte sich aus dem kleinen offenen Schuppen einen bequemen Gartenstuhl und suchte sich unter einem Apfelbaum einen schattigen Platz. Er schlug das Buch über Gegenflüche, Sperr- und Meldezauber auf. Er besah sich das Inhaltsverzeichnis und wählte das Thema "Sinnesbeeinflussungsarten und ihre Aufhebung" aus. Er las über die verschiedenen Arten von räumlichen oder auf Objekte angewandten Illusionen, Täuschungszauber, die ihren Opfern vorgaukelten, mit dem besten Freund, dem gefürchtetsten Ding oder der am meisten geliebten Person zu tun zu haben. Dabei schmunzelte er, als er über den Auraveneris-Fluch las:
"Der Auraveneris-Fluch wurde vor über eintausend Jahren erstmalig von einer Hexe in Süditalien nach Angaben aus dem 5. Jahrhundert vor Christi wiederentdeckt und verwendet. Er erweckt bei der ersten Betrachtung den Anschein, ein nützlicher Zauber für alle zu sein, die sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit und Attraktivität beklagen, doch es handelt sich um einen Fluch, der für jeden, auf den er angewandt wurde, sowie seine Umwelt belastend wirkt. Bringt sich ein Magier in den Besitz eines Stückes vom Körper der zu behexenden Person (Fingernagel, Haarsträhne, Blutstropfen oder Hautstückchen) und wirft dieses in einen Kupferkessel mit vorher angerührtem, hier nicht näher erläuterten Zaubertrank und tippt mit dem Zauberstab gegen den Kessel, wobei er die alten Worte der Gefühlsbeeinflussung spricht, breiten sich Dämpfe vom Kessel aus wie bläulicher Nebel aus und tragen den Fluch in die Welt. Nur der Magier, der ihn gewirkt hat, bleibt davon unbeeinflußt. Die Person, deren Bestandteil zur Durchführung des Zaubers verwendet wurde, erfährt eine hundertfache Verstärkung der eigenen Ausstrahlung, so wie eine leichte Veränderung der Körperformen und der Gesichtszüge, so daß sie wunderschön aussieht. Derartig behext wirkt das Opfer wie ein Magnet auf alle geschlechtlich aktiven Mitmenschen, die sich zu einer Person des Opfers Geschlecht hingezogen fühlen. Das Opfer wird umschwärmt, erhält mehr oder weniger eindeutige Angebote und kann sich alles erlauben, was sonst für ungehörig oder zur situation unpassend empfunden wird, da ire Ausstrahlung und Erscheinung sehr viel Toleranz erfährt. Allerdings ist es für die betreffende Person auch schwierig, die in ihren Einfluß geratenen Personen zurückzuweisen, ja sie kann in arge Bedrängnis sowohl seelischer als auch körperlicher Art geraten. Der Fluch haftet bis zum Lebensende an der behexten Person oder erlischt, wenn der Kessel, in dem das ihn verbreitende Gebräu angerührt wurde, gefunden und mit einer Mischung aus Witterwasser und Trollhaaren gefüllt wird. Derartig behandelt hebt der Kessel dann die Auraveneris-Magie wieder auf, bevor er sich in Grünspanstaub auflöst.
Personen, die erkennen, daß sie in den Bann einer Auraveneris-Verfluchung geraten sind, können sich durch Verabreichung leichter Schmerzen (Nadelstiche, Zwicken oder Versengen) soweit aus dem Einfluß lösen, daß sie es schaffen den Sichtbereich des Fluchopfers zu verlassen. Der Fluch wirkt sich nur auf Personen aus, die für geschlechtlich bedingte Reize und Attraktivität empfänglich sind. Kleine Kinder sind daher natürlich immun und können sich ohne Gefahr für die Urteilskraft einem Opfer nähern. Lediglich die körperliche Veränderung wird von ihnen noch wahrgenommen."
Dann folgte noch eine Tabelle von Zaubertränken, die gegen den Fluch immun machten. Julius grinste erst, dann lachte er laut. Madame Faucon hörte ihn und kam zu ihm herüber. Sie sah ihn sehr vorwurfsvoll an, als sie sah, was er gerade las und sagte:
"Das ist nicht lustig, Julius. Einige Zaubereiministerien haben sich schon darüber in wilden Debatten ergangen, ob Auraveneris nicht als vierter unverzeihlicher Fluch geächtet werden sollte, da ja immerhin eine teilweise Beeinträchtigung des freien Willens hervorgerufen wird. Es gibt auch nur zwei Möglichkeiten, sich selbst vor dem Fluch zu schützen, die hier auch aufgeführt sind: Einmal muß das erwählte Opfer einen Blutstein mit eigenem Blut tränken, um dem Fluch nicht anheimzufallen. Blutsteine sind selten und bei Vampieren wegen ihrer kraftspendenden Ausstrahlung sehr begehrt, was ihre Besitzer nicht gerade ruhig schlafen läßt. Oder ein bereits verfluchtes Opfer muß einen Scheintodtrank zu sich nehmen, der es für eine Stunde in eine todesähnliche Starre versetzt. In der Zeit ist eine solche Person jedoch völlig wehrlos. Bestenfalls solltest du nie deine Haare oder Fingernägel herumliegen lassen, daß jemand sich was davon nehmen kann. Das gilt auch für andere Gemeinheiten, wie der auch bei Muggeln unter der Rubrik Voodoo bekannten Bildnismagie oder der Herstellung eines Vielsaft-Tranks, der jedem, der ein Stück eines anderen Menschen darin vermischt, für eine Stunde die Gestalt dessen gibt, dessen Fingernagel, Haar oder Haut benutzt wurde.
Wie gesagt, dieser Fluch ist nicht lustig. Niemand, der ihm zum Opfer fiel, blieb davon unbeschadet."
"Ich wollte nicht respektlos sein, Madame. Ich fand es nur witzig, daß es tatsächlich sowas gibt, daß andere Menschen zwingt, sich ohne Einnahme eines Liebestrankes in jemanden zu verknallen, ähm, zu verlieben."
"Ja, aber die Liebe ist die Schwester der Eifersucht. Sie gehen meistens zusammen einher. Aber das mußt du jetzt noch nicht so genau durchdenken. Wichtig für dich ist nur, zu erkennen, was man dir antun kann und wie du dich dagegen wehren kannst. Andererseits soltest du nicht dem Verfolgungswahn anheimfallen, überall schwarze Bedrohungen zu wähnen. Aber wenn die Zeit gekommen ist, daß ein schwarzer Magier erneut nach der Macht greift, hast du ein wirksames Grundwissen parat." Sprach's und kehrte wieder zu ihrem Gartenstuhl zurück, um weiter in ihrer Zeitung zu lesen.
Julius überflog noch das Kapitel mit direkten Gegenflüchen und erfuhr, daß seine Gastgeberin ihn vor einigen Tagen mit dem Reflectatus-Zauber zu Boden geschickt hatte, als er, da er sich geweigert hatte, einen Auftrag von Madame Faucon auszuführen, mit einem Entwaffnungszauber auf sie losgegangen war und dieser Zauber zu ihm zurückgeworfen wurde. Es stand geschrieben, daß dieser Zauber zehn Sekunden lang oder bis ein mit Lichtstrahlen geschleuderter Angriffszauber gewirkt wurde, den Träger des Zauberstabes wie eine unsichtbare Glocke umschloß, mit dem der Abwehrzauber gewirkt wurde. Dabei hielt der Abwehrzauber nur die Flüche ab, die von Magiern mit geringerer Grundkraft gewirkt wurden, als der, der sich wehrte besaß. Außerdem wußte niemand, ob der Reflektierzauber auch gegen mächtige Zauber, wie den unverzeihlichen Todesfluch Avada Kedavra schützen konnte, da jedes Experiment in dieser Richtung streng verboten war, da dabei auf jeden Fall einer den Tod finden mußte.
Julius wollte gerade das Kapitel über die Entdeckung bezauberter Objekte und Räumlichkeiten lesen, als er das Rauschen von Besenreisern im Flugwind hörte. Madame Faucon stand auf und sah sich um, wer da so ungestüm heranbrauste. Julius erhob sich ebenfalls von seinem Gartenstuhl und sah sich um.
Vor der hohen Begrenzungshecke erkannte er einen blonden Haarschopf, den er in diesem Dorf nur zweimal gesehen hatte: Bei Madame Delamontagne und ihrer Tochter Virginie. Er sah, wie Madame Faucon mit ihrem Zauberstab die oberen Zweige von der Hecke sachte zur seite schwingen ließ und erkannte das fröhlich grinsende Gesicht Virginies, die ihren Ganymed 8 in der rechten Hand balancierte.
"Guten Morgen, Madame Faucon. Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei Ihrer Morgenlektüre. Es ist nur so, daß die Blumentöchter und die grüne Sieben noch mal gegeneinander spielen wollen, bevor sie morgen zur Weltmeisterschaft abreisen. Danach wird es hier nur noch vereinzelte Quidditch-Übungen geben."
"Ja, und?" Fragte Madame Faucon mit kalter Stimme.
"Nun, meine Mutter und Madame Dusoleil haben mich hergeschickt, um zu fragen, ob ich Julius nicht mitbringen dürfe. Er soll ja nicht spielen, sondern nur zusehen."
"Jaja, und nachher soll er noch mal mitspielen, wie? Das wäre natürlich eine Möglichkeit, sich vor dem Schachfinale heute Nachmittag zu drücken, wenn ihn die Medimagier zusammenflicken müssen."
"Entschuldigung, Madame Faucon. Ich wollte ja nur fragen. Dann fliege ich eben wieder zurück und sage Maman und Madame Dusoleil eben, daß Sie es verboten haben, daß Julius zusehen kann."
"Julius, komm her!" Bellte Madame Faucon in Julius' Richtung. Der Hogwarts-Schüler nahm sich vor, nicht wie ein folgsamer Haushund auf einen scharfen Befehl hin loszulaufen. Er stand ruhig mit dem aufgeschlagenen Buch vor seinem Gartenstuhl und sah Madame Faucon an. Virginie machte Anstalten, sich wieder auf ihren Besen zu schwingen. Madame Faucon sah noch mal zu Julius hinüber und rief:
"Julius, komm bitte zu uns herüber!"
Julius unterdrückte den Drang, loszugrinsen. Er ging schnell zu Madame Faucon und Virginie hinüber.
"Mademoiselle Delamontagne möchte dich abholen, um mit ihr und Madame Dusoleil ein Quidditchspiel zu sehen. Hast du Zeit und Lust, dir ein Quidditchspiel anzusehen?"
"Beides, Madame", sagte Julius und klappte das Buch zu.
"Dann schaff den Gartenstuhl wieder an seinen Stammplatz und bring dein Buch in dein Zimmer zurück! Los!"
"Höflicher geht es nicht, wie?" Fragte Julius.
"Dann bleibst du eben hier", sagte Madame Faucon mit drohendem Unterton.
Julius beschloß, in diesem Moment nicht zu testen, wie weit er sich gegen Madame Faucon auflehnen konnte. Dafür lockte ihn die Aussicht zu sehr, noch einmal ein gutes Quidditchspiel zu sehen, bevor er wieder nach Hogwarts abreiste. Er klemmte sich den Gartenstuhl unter den rechten Arm, flitzte damit zum Schuppen zurück, setzte den Stuhl wieder an den Platz, von dem er ihn geholt hatte und spurtete durch den Garten, durch die große Hintertür ins Haus zurück, stürmte die Treppe zu dem von ihm bewohnten Gästezimmer hinauf, legte das Buch schnell auf den Nachttisch und sauste dann im schnellen Tempo zurückk in den Garten, wobei er fast Madame Faucon umrannte.
"Na, nicht so schnell! Ich mag es nicht, wenn mich jemand anrempelt. Also mäßige deine Kraft, wenn du dich mit mir im selben Haus bewegst! Aber nun darfst du gehen. Um zwölf Uhr bist du wieder hier. Ich gebe die üblichen Signale."
Julius ging mit weit ausgreifenden Schritten durch den Garten und sah Virginie, die mit ihrem Besen auf der Wiese stand.
"Du hast es aber eilig. Woher kannst du denn so rennen? Aber komm jetzt! Jeanne und Bruno wollten Punkt zehn loslegen", sagte Virginie und schwang sich mit einer lockeren Beinbewegung auf ihren Besen. Julius saß hinter der etwas älteren Junghexe auf und stieß sich mit ihr zusammen ab, daß der Ganymed wie von einem Trampolin hochgeschleudert wurde.
"Was sollte das Spiel eigentlich eben? Wolltest du mir imponieren, oder wieso hast du versucht, gegen Madame Faucon aufzubegehren?"
"Ich wurde dazu erzogen, bitte zu sagen, wenn ich von jemandem was will. Ich hörte, in Frankreich sei diese Tugend noch wesentlich stärker ausgeprägt."
"Ich weiß nicht, weshalb Madame Faucon dir das hat durchgehen lassen. Aber meine Mutter geht davon aus, daß wer Rang und Einfluß hat, nicht bitten muß sondern verlangt, was er oder sie will, besonders von ihr untergeordneten."
"Ich bin aber kein Hund oder Hauself", sagte Julius trotzig.
"Gut, daß Madame Faucon das jetzt nicht gehört hat. Denn an diesem Zustand hätte sie durchaus was ändern können. Und meine Mutter hat mich auch schon einmal heftig bestraft, weil ich vor anderen Leuten gegen sie aufbegehrt habe."
"Größenwahn des Mächtigen", grummelte Julius.
"Bitte? Wiederhole das noch mal!"
"Besser nicht, Virginie", sagte Julius.
"Dann vergiß es besser so gut, daß Maman es nicht wieder aufwühlen kann. Du darfst nämlich heute in unserer Ehrenloge sitzen, ganz oben, zwischen Maman und mir. Prudence ist übrigens auch da."
Julius hörte die Anfeuerungsrufe aus dem Publikum, als er mit Virginie Delamontagne neben dem Quidditchfeld landete. Die Tochter von Madame Delamontagne schulterte ihren Besen und eilte mit Julius die Treppen zum höchsten Rang der Zuschauertribüne hinauf. Oben angelangt traf er Prudence, Madame Delamontagne, Madame Dusoleil und Claire.
"Sie haben schon angefangen", Begrüßte die Stadtgärtnerin den Hogwarts-Schüler. Julius nahm zwischen ihr und Madame Delamontagne Platz.
"Womit habe ich diese Ehre verdient, falls ich das fragen darf?" Wandte sich Julius an Madame Delamontagne.
"Damit, daß ich heute Nachmittag ein bestimmt sehr interessantes Endspiel sehen darf", erwiderte Madame Delamontagne leise.
Das Quidditchspiel war wirklich aufregend. Julius dachte gar nicht an die Zeit, so sehr fesselte ihn das Spiel, bei dem der rote Quaffel dauernd zwischen den Mannschaften in Waldmeistergrün und Violett hin und herflitzte.
"Jeanne freut sich schon richtig auf die Weltmeisterschaft, verriet Madame Dusoleil, als ihre älteste Tochter gerade vor dem Tor der Grünen Sieben zum Torschuß ansetzte und den untersetzten Hüter César zu einer Glanzparade zwang.
"Ui! Da hätte es fast den Sucher vom Besen geschossen", brach es aus Julius heraus, als der Sucher der in Waldmeistergrün spielenden Jungzauberer gerade noch unter einem Klatscher hindurchtauchen konnte.
Vom höchsten Rang hatten sie wahrlich einen besseren Überblick, fand Julius. Er erkannte, wie die Sucherin der Blumentöchter einem goldenen Lichtreflex nachjagte und keine halbe Minute später triumphierend die rechte Faust zum Himmel reckte, in der sich ein kleiner Ball mit vier Flügeln befand.
"Dreihundert zu 180!" Freute sich Claire, die links neben ihrer Mutter saß und klatschte begeistert in die Hände. Erst jetzt sah Julius auf seine Uhr und stellte mit Bestürzung fest, daß es bereits Viertel vor zwölf war.
"Oha! In fünf Minuten kriege ich das erste Signal", verkündete Julius und deutete auf das Verbindungsband am rechten Handgelenk.
"Was? Ist es schon wieder so spät? Haben die wirklich bald zwei Stunden gespielt?" Wollte Madame Delamontagne wissen.
"Immerhin haben sich die Sucher heute mal zurückgehalten. Offenbar brauchten sie alle das lange Spiel. Madame Maxime wollte sie nachher schon einsammeln. Ach, da unten sitzt sie ja", bemerkte Madame Dusoleil und deutete einige Reihen nach unten, wo eine wahrlich gigantische Frau auf zwei Stühlen gleichzeitig saß und mit ihrem Rücken mehr als anderthalb Längen über die Stuhllehne herausragte.
"Die habe ich gar nicht bemerkt", brachte Julius heraus. "Dabei kann man sie doch wirklich nicht übersehen."
"Das ist wahr. Jetzt stellt sich aber die Frage, wer dich wieder heimfliegt. Virginie wollte noch mit jemanden sprechen, der bei den Zauberern in der Mannschaft spielt", sagte Madame Delamontagne.
"Ich kann ihn zurückbringen", bot sich Prudence Whitesand an.
"Warum nicht", sagte Madame Delamontagne. "Aber mach keine überflüssigen Flugbewegungen! Monsieur Andrews muß heute nachmittag ein Turnierfinale bestreiten!" Mahnte Madame Delamontagne. Prudence nickte beruhigend und winkte Julius.
"Sage deiner Schwester, daß sie toll gespielt hat!" Wandte sich Julius an Claire. Diese sah ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an und erwiderte:
"Sie kommt doch heute nachmittag auch zum Schachfinale, zusammen mit Maman und mir."
Auf dem Rückflug zitterte Julius' Verbindungsband zum ersten Mal. Prudence fragte, ob ihm das nicht lästig sei, so ferngesteuert zu werden. Julius gab zu, daß er auch nicht besonders begeistert davon war, andauernd kontrolliert zu werden. Aber er habe ja nichts dagegen machen können.
"Wieso bist du eigentlich bei Professeur Faucon untergekommen? Das wolltest du mir doch schon längst erzählen", zeigte Prudence, wie sehr sie sich mit Julius' Lage beschäftigte.
"Professeur Faucon ist die Mutter einer mit einem Freund meiner Mutter verheirateten Hexe. Als die besagte Hexe zur Quidditch-Weltmeisterschaft abgereist ist, hat Professeur Faucon mich zu sich genommen, weil sie und ihre Tochter finden, daß ich unter Hexen und Zauberer gehöre. Meine Eltern wissen nicht, daß der Studienfreund meiner Mutter mit einer Hexe verheiratet ist, sonst hätten sie mich nicht hierhergeschickt."
"Gloria hat sowas angedeutet, daß es deinen Eltern nicht recht sein dürfte, daß du hier bist. So wie sich dein Vater bei seinem Besuch in Hogwarts aufgespielt hat, kann ich das auch verstehen, daß Professeur Faucon dich in ihre Obhut genommen hat. Aber es ist interessant, daß du wieder Englisch reden kannst. Ich habe recherchiert, als ich das auf der Party zu deinem Geburtstag mitbekommen habe. Höchst selten, aber dennoch bekannt. Jetzt hast du innerhalb weniger Tage eine Fremdsprache gelernt. Kommst du auch zu dem Sommerball? Ich habe meinen Festumhang schon anprobiert. Hast du schon einen?"
"Professeur Faucons Tochter Catherine hat ihn mir in Paris besorgt. Sie hörte, daß wir auch in Hogwarts einen bräuchten, wofür auch immer. Vielleicht kann ich ihn hier schon einmal ausführen."
"Wenn deine derzeitige Heimstattgeberin es dir erlaubt", grinste Prudence und setzte sacht zur Landung an.
Als Julius' Armband gerade zweimal zitterte, zog Julius an der Klingelschnur.
Madame Faucon öffnete die große Haustür und sah Julius zufrieden an. Dann gewahrte sie Prudence Whitesand und begrüßte sie höflich. Prudence erwiderte den Gruß und meldete, daß sie Julius heimgeflogen habe, da sonst niemand zur Verfügung stand.
"Bei der Gelegenheit konnten Sie ihn auch gleich aushorchen, nicht wahr, Mademoiselle Whitesand?" Fragte Madame Faucon ohne Vorwarnung. Prudence schluckte kurz und lief rot an. Madame Faucon zeigte keine Regung, ob sie sich über diese Reaktion freute oder ärgerte. Sie sagte nur:
"Neugier ist kein Verbrechen, Mademoiselle Whitesand. Ich gehe nur davon aus, daß mein Gast Sie nur darüber informiert hat, woher er mich kennt. Das ist mir zwar unangenehm, in Verbindung mit einem ignoranten Muggel erwähnt zu werden, muß jedoch als Tatsache akzeptiert werden. Insofern haben Sie nichts herausbekommen können, was Ihnen nicht jeder andere hier in diesem Dorf hätte erzählen können, besonders Ihre Brieffreundin."
Prudence Whitesand atmete auf. Dann verabschiedete sie sich von Professeur Faucon und flog auf ihrem Besen davon.
"Komm bitte herein und mach dich mittagstischfertig! Es gibt zwar nicht viel, da wir beide heute noch etwas wichtigeres zu tun haben als unser Essen zu verdauen, aber satt wirst du werden."
Julius mußte sich wieder einmal mit dem Gefühl herumschlagen, daß diese Hexe nicht so leicht zu täuschen war. Selbst Prudence Whitesand war ihr auf den Leim gegangen, weil sie keine Zeit hatte, sich eine gescheite Ausrede auszudenken, bevor ihre Verlegenheit sie verraten hatte.
Julius genoß die Spaghetti mit einer raffiniert gewürzten Tomatensoße. Während des Essens schwiegen sich Madame Faucon und ihr Gast förmlich an. Dann, als die Teller vom Tisch gezaubert worden waren, sagte die Lehrerin von Beauxbatons:
"Zieh dir den mitternachtsblauen Umhang an! Wir gehen zu Fuß zum Rathaus, eine halbe Stunde vor dem Beginn des Finales."
Pünktlich um halb zwei verließen Madame Faucon und Julius Andrews das Haus der berühmten Verwandlungslehrerin. Sie trugen die Umhänge, die sie bereits am ersten Tag des Turniers getragen hatten. Der weg zum Rathaus erschien zu Fuß eine Ewigkeit zu dauern. Doch als die beiden Finalteilnehmer durch das große Flügelportal traten, zeigte die große Standuhr in der Eingangshalle erst zehn Minuten vor zwei Uhr.
Die Halle war gerammelt voll mit Schachinteressierten. Alle Hexen und Zauberer, die das Turnier begonnen hatten, nebst ihrer Familienangehörigen waren gekommen, um das Endspiel zu verfolgen. Julius dachte an einen komplizierten Rap, den er immer dann im Geiste wiederholte, wenn er sich krampfhaft von etwas ablenken mußte.
Monsieur Pierre verlas noch mal die Finalspielbedingungen:
"Madame und Monsieur. Sie haben beide ein ungefähres Zeitpolster von neun Stunden. Falls Sie bis dahin nicht zu einem Ende gefunden haben sollten, können Sie auch solange weiterspielen, bis ein Ergebnis feststeht. Kommt es zum Patt oder Remis, müssen Sie beide morgen noch mal gegeneinander antreten. Es ist jedem von Ihnen erlaubt, im Verlauf der Partie die Niederlage einzugestehen, falls Sie befinden, daß Sie keinen Ausweg mehr erkennen können. Allerdings sollten Sie es sich gut überlegen, ob Sie vor einem eindeutigen Schachmatt aufgeben. Es hat sich schon häufig erwiesen, daß eine drohende Niederlage durch einen winzigen Flüchtigkeitsfehler des vermeintlich überlegenen Gegners zu einem unverhofften Sieg wurde. Sie dürfen zwei längere Spielpausen einlegen, um zu essen oder zu trinken. Diese Pausen dürfen jedoch die Gesamtlänge von einer Stunde nicht überschreiten.
Und nun viel Glück!"
Der Beisitzer des Endspiels ließ Madame Faucon und Julius Andrews per Münzwurf die Farben auswählen. Julius durfte die weißen Figuren spielen und somit die Partie eröffnen.
Die Glocke, die stets Beginn und Ende einer Partie verkündet hatte, läutete kurz und schuf eine vollkommene Stille. Alle Zuschauer stellten ihre Unterhaltungen ein und sahen schweigend auf den Tisch, auf dem sechzehn weiße und sechzehn schwarze Schachmenschen die Anweisungen ausführten, die ihre Besitzer ihnen erteilten.
Die ersten fünf Züge waren reine Eröffnung. Dann kam es zu den ersten Figurenverlusten auf beiden Seiten. Die Abstände zwischen den Zügen wurden immer länger. Beide Gegner dachten intensiv über ihre Situation nach und wägten ab, welcher Zug ihnen mehr Vor- als Nachteile einbrachte. Julius erinnerte sich gut an die Warnungen, die er von Madame Faucon und Madame Delamontagne erhalten hatte. Er durfte nicht so spielen, daß er sich unter seinem Wert verkaufte, weil dies bemerkt werden würde.
Zug um Zug bauten die beiden Finalgegner Angriffslinien, Verteidigungen und Rückzugslinien auf, versuchten, durch vorgetäuschte Angriffe Figuren des Gegners in wertlose Stellungen zu bringen oder legten Köder aus, um Figuren zu schlagen oder wichtige Stellungen zu besetzen. Julius meinte einmal, seine Dame in eine Position zu bringen, von wo aus sie den König direkt bedrohen konnte, doch der Gegenzug vereitelte dieses Vorhaben. Er bemerkte noch rechtzeitig, daß sein König in unmittelbare Gefahr geriet, von einem Turm oder einem Läufer schachmatt gesetzt zu werden. Doch im Gegenzug schaffte er es auch nicht, seine Figuren so zu führen, daß er mehr Aussicht auf Erfolg hatte.
So gingen nach und nach Figuren auf beiden Seiten verloren, bis schließlich, nach einer sehr langen Zeit, nur noch drei Bauern, die Dame und der König auf Julius' Seite übrig waren, während Madame Faucon noch einen Springer, die Dame, zwei Bauern und den König führen konnte. Beide hatten keinen Gedanken an Essen und Trinken verschwendet. Keiner von beiden wollte aufgeben. Julius fürchtete, getadelt zu werden, weil er sich hängen ließ, während Madame Faucon ihre Ehre verteidigen mußte, eine hochangesehene Schachspielerin zu sein. Die Zeit war unbedeutend für beide. Sie dachten nur noch an das Schachspiel. Dann geschah es, daß Julius die Dame verlor, weil er den König aus einer gefährlichen Situation heraushalten mußte. Mit den wenigen Figuren, die ihm nun noch blieben, kam er nicht weit, wenn es ihm nicht gelang, einen Bauern auf die gegnerische Seite zu bringen, der dann als neue Dame fungieren konnte. Doch auch dieser letzte Hoffnungsschimmer wurde von Madame Faucon vereitelt. Und so stand Julius' König nachher derartig schlecht, daß die schwarze Dame, der Turm oder der Springer ihn beim nächsten Zug schlagen konnte: Schachmatt!
"Madame Faucon siegt nach dem 65. Zug!" Verkündete Monsieur Pierre laut. Applaus brandete durch die große Rathaushalle, während der Beisitzer das Spielergebnis markierte. Julius erhob sich und beglückwünschte Madame Faucon. Erst da fiel ihm auf, wie sehr er sich verausgabt hatte. Denn ihm wurde schwindelig.
"Setz dich wieder hin und entspann dich erst einmal!" Flüsterte ihm Madame Faucon zu. Julius folgte und nahm noch mal auf seinem Stuhl platz. Die Schachmenschen kehrten in ihre Kisten zurück, und das Schachbrett wurde vom Tisch genommen.
Jeanne trat an Julius heran und reichte ihm einen Kelch voll Kürbissaft.
"Du siehst aus, als hättest du nicht Schach, sondern Quidditch gespielt", sagte die älteste Tochter von Madame Dusoleil. Julius nahm den Trinkkelch und stürzte den Kürbissaft in drei gierigen Schlucken hinunter. Dann sah er, wie Madame Delamontagne auf ihn zukam, grazil, trotz ihrer Leibesfülle.
"Meinen herzlichen Glückwunsch, Madame Faucon. Und auch Ihnen gratuliere ich herzlich. Sie haben sich sehr wacker geschlagen, Monsieur Andrews."
"Wie spät ist es?" Fragte Julius und warf einen Blick auf die Standuhr. Sie zeigte fünf Minuten nach sieben Uhr.
"Fünf Stunden? Solange habe ich noch nie im Leben gespielt", stöhnte Julius. Doch nun, wo der Druck des Spiels verflogen war, kam er wieder zu Kräften. Madame Delamontagne drückte Jeanne, die Julius etwas mitteilen wollte, einfach zur Seite und stellte sich neben den Viceturniersieger.
"Komm, aufstehen!" Sagte sie mit gebieterischem Ton. Madame Faucon gesellte sich rechts neben Julius und legte ihm den linken arm um die Schultern.
"Du bist nicht schlechter oder besser als Madame Delamontagne oder ich. Du hattest wohl zuviel Angst davor, dich frei zu entfalten", flüsterte Madame Faucon ihrem Schutzbefohlenen ins Ohr.
Monsieur Pierre ließ von Zauberhand eine kleine Mahagonitruhe in den Saal schweben und dirigierte sie zielsicher auf den Tisch, an dem eben noch Schach gespielt worden war. Der Leiter des Turniers öffnete die Truhe und entnahm ihr vier glitzernde Gegenstände, die auf den ersten Blick wie metallische Eistüten aussahen, aber sich doch als kleine Versionen der üblichen Zaubererhüte entpuppten. Einer davon erstrahlte im Licht der entzündeten Lampen gleißend golden. Ein kleiner Zaubererhut glänzte silbbern, während zwei dieser Metallhütchen bronzefarben schimmerten. Monsieur Pierre nahm einen der Bronzehütchen hoch und streckte ihn Jeanne Dusoleil entgegen. Er sprach:
"Für das Erreichen des Halbfinales erhält Mademoiselle Jeanne Dusoleil dieses Jahr den bronzenen Zaubererhut des Schachturniers von Millemerveilles!"
Jeanne streckte die rechte Hand aus und nahm den bronzenen Minihut in Empfang. Julius sah, wie sich über der breiten Krempe der Namenszug JEANNE DUSOLEIL und die Jahreszahl 1994 in das Metall eingravierte, als habe jemand mit einem unsichtbaren Laserstrahl mal eben von irgendwoher den Namen in den Hut gebrannt.
"Ebenfalls erhält Madame Eleonore Delamontagne den diesjährigen Zaubererhut in Bronze, für das Erreichen des Halbfinales. Es war eine unerwartete Überraschung, die Turniersiegerin der letzten sieben Jahre mit dieser immer noch hohen Auszeichnung beehren zu dürfen", sprach Monsieur Pierre und reichte den zweiten Bronzehut an Madame Delamontagne. Wieder sah Julius, wie sich ihr Namenszug und die gegenwärtige Jahreszahl in den Bronzehut eingravierte. Nun kam die Reihe an ihn.
"Für ein außergewöhnliches Engagement innerhalb des Turniers und seine hervorragende Leistung im Finale, erhält Monsieur Julius Andrews den silbernen Zaubererhut von Millemerveilles. Trotz der letztendlichen Niederlage hat er gezeigt, daß man bereits in jungen Jahren ein guter Schachspieler sein kann, ohne andere Dinge dabei zu vernachlässigen."
Julius traute sich nicht so recht, den silbernen Hut anzufassen, weil er sah, wie sein Name darin eingraviert wurde. Doch als er die Trophäe entgegennahm, fühlte sie sich angenehm kalt an, nicht etwa erhitzt oder fremdartig.
Eine kurze Pause verstrich, bis Monsieur Pierre den verbliebenen kleinen Metallhut ergriff und sprach:
"Für ihre großartige Darbietung ihrer Schachkünste und das abwechslungsreichste Spiel, daß je in einem Finale gespielt wurde, sowie für ihren Sieg nach einer langen Partie, erhält den diesjährigen Zaubererhut in Gold: Madame Blanche Faucon, Professorin von Beauxbatons! Meinen allerherzlichsten Glückwunsch."
Madame Faucon nahm den goldenen Hut aus Monsieur Pierres Hand, nachdem sich auch ihr voller Name in diesen hineingraviert hatte und drehte sich dann langsam herum, um die Zuschauermenge zu überblicken. Immer noch lag ihr linker Arm auf Julius' Schulter. So mußte der Hogwarts-Schüler die Drehung mitmachen, wenn er sich nicht energisch aus der lockeren Verbindung zu Madame Faucon lösen wollte, was sicherlich Aufsehen erregt hätte.
Wieder brandete Applaus durch die Rathaushalle. Dann bestürmten die vier letzten Spieler im Turnier die Familienangehörigen und Bekannten. Julius wurde von Madame Dusoleil umarmt, die Julius keck aus der lockeren Umarmung von Madame Faucon herauspflückte und mindestens zehn Sekunden an sich drückte. Dann kam Claire Dusoleil, die ihre schlanken Arme um Julius schlang und ihn mit ihren Glückwünschen bestürmte. Schließlich gratulierten noch Virginie und Prudence Julius zum zweiten Platz. Julius errötete, weil er dachte, daß er mehr Ehre und Glückwünsche abkriegte als die eigentliche Turniersiegerin. Doch auch diese wurde nicht von wenigen Turnierzuschauern beglückwünscht. Als Julius sich noch mal umblickte, bahnte sich eine hünenhafte Person ihren Weg durch die Zuschauer und gratulierte der Beauxbatons-Lehrerin: Es war Madame Maxime, die Schulleiterin der französischen Zaubererakademie. Julius erkannte, wie die jüngeren Hexen und Zauberer ehrfürchtig Abstand hielten. Julius dachte daran, daß es ihn doch mit dem zweiten Platz besser getroffen hatte. So kam er um die Verpflichtung herum, nächstes Jahr den Titel verteidigen zu müssen. Außerdem blieb ihm eine Gratulation durch die riesenhafte Madame Maxime erspart.
Daß die Schulleiterin von Beauxbatons nicht nur gekommen war, um ihrer Stellvertreterin zum Turniersieg zu gratulieren, zeigte sich eine Minute später. Sie drehte sich den wartenden Junghexen und -zauberern zu und schmetterte laut eine Liste von Namen durch die Halle. Alle, die benannt wurden, mußten vortreten und sich wie Soldaten aus einem Kriegsfilm hinstellen, bis Madame Maxime verkündete, daß sie alle am Abend noch bei ihr vorzusprechen hätten, um sich die letzten Instruktionen für die morgige Abreise abzuholen.
Julius sah die Beauxbatons-Schüler an, wie sie da wie Zinnsoldaten strammstanden, wie aus einem Mund "Jawohl, Madame Maxime!" Riefen und erst dann wieder normal dastanden, als Madame Maxime die Rathaushalle verließ.
"Möge der große Meister irgendwo da oben verhindern, daß ich dazu gezwungen werde, diese Hab-Acht-Schule besuchen zu müssen", flüsterte Julius. Er dachte, daß es keiner gehört hatte. Doch Madame Dusoleil, die nicht weit von ihm entfernt stand, wandte sich ihm zu, beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte:
"Wieso solltest du nach Beauxbatons? Du bist in Hogwarts gut untergebracht. Und wenn du tatsächlich erleben möchtest, wie deine Gastmutter unterrichtet, wirst du dich schnell an die gültige Disziplin gewöhnen, wenn du keine Lust hast, dich selbst zu unterdrücken."
"Häh?" Machte Julius.
"Gemeinsamkeit macht stark und Gruppen müssen hart angefaßt werden, wenn sie stabil bleiben und hohes Leistungsniveau bringen wollen. Jetzt sieh mich nicht so an, als sei das für dich ein Schreckensszenario. Ihr habt das doch in Hogwarts auch, oder etwa nicht?"
"Kein Kommentar", entgegnete Julius, der sich fragte, ob Madame Dusoleil dies sagte, weil sie das wirklich glaubte oder weil ihr jemand eingetrichtert hatte, das sagen zu müssen, wenn jemand zweifelte, daß es richtig sei.
Nachdem die Siegerehrung vorüber war, zerstreute sich die Schar der Zuschauer. Madame Faucon nahm Julius bei der Hand und marschierte mit ihm zur Tür hinaus.
"Du hast dich wirklich sehr gut gehalten. Kein Spiel in diesem Turnier hat so lange gedauert. Dafür darfst du dich gleich so richtig satt essen und dir etwas wünschen, sofern es nicht gegen bestehende Gesetze oder Anstandsregeln verstößt", verhieß Madame Faucon dem jungen Zauberer eine Belohnung für sein gutes Schachspiel. Julius dachte daran, was er sich wünschen könnte und beschloß, erst einmal nicht das Angebot anzunehmen.
Am Abend - Julius hatte sich an einem vielfältigen Fünf-Gänge-Menü so richtig sattgegessen - erhielt er noch eine Eulenpost von Jeanne Dusoleil. Die ältere Schwester von Claire teilte Julius mit, daß sie zusammen mit den übrigen einhundertfünfzig Beauxbatons-Schülern, die zur Quidditch-Weltmeisterschaft reisen wollten, am nächsten Morgen um sieben vor dem Chapeau Du Magicien, dem Dorfgasthaus von Millemerveilles, zusammenkommen sollte. Falls Julius Lust hatte und seine Gastmutter es erlaubte, könne er sich ja mit ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern dort treffen, um die Abreise zu beobachten.
"Da müßten wir um sechs aufstehen. Denn so Hals über Kopf lasse ich dich nicht hinfliegen, ohne richtig gewaschen zu sein, ohne Frühstück. Viel ist dabei auch nicht zu sehen. Madame Maxime wird die Schüler um sich versammeln, um dann mit ihnen per Flohpulver zur Landesgrenzstation zu reisen. Möchtest du trotzdem dabei sein."
"Ich kann doch auch ohne Frühstück los. Dann kann ich um halb sieben aufstehen, in zehn Minuten angezogen sein und losfliegen. Sie bräuchten dann gar nicht ..."
"Zum einen werde ich wach, wenn du im Haus herumläufst, wie leise du es auch anstellen willst. Zum anderen bestehe ich darauf, daß du frühstückst, reichhaltig und in Ruhe. Es sind schon Leute von einem Besen gefallen, weil sie mit leerem Magen das Gleichgewicht verloren haben. Solange ich hier für dich verantwortlich bin, passiert dir sowas nicht, weil ich dich ohne Essen aus dem Haus geschickt habe. Außerdem, wie möchtest du rechtzeitig geweckt werden, egal, ob um sechs oder sieben?"
"Ich habe doch noch meinen Reisewecker mit. Den habe ich bis jetzt gar nicht ausgepackt, weil Catherine mich immer geweckt hat, wenn nicht Babette durch das Haus geplärrt hat, wenn sie wach war."
"Soso. Ist das ein mechanischer Wecker, oder ein elektronisches Gerät, wie Joe es mal vorgeführt hat?"
"Das ist ein elektronischer Wecker. Klein, aber nützlich", sagte Julius und bereute es im selben Moment, als Madame Faucon ihn strafend ansah.
"Derartige Muggelspielsachen werden hier nicht verwendet. Joe Hat es einmal gewagt, einen kleinen Computer hierher mitzunehmen und frech im Garten damit gearbeitet, bis ich es unterbunden habe."
"Der war hier? Ich dachte, Nichtmagier könnten nicht .."
"Nicht, wenn sie einen Zaubertrank verabreicht bekommen, dessen Einsatz vorher amtlich genehmigt werden muß. Dieser Trank vermag, die Auswirkung des Banns um Millemerveilles für einen Tag zu neutralisieren. Catherine hat mich damals überredet, ihren Mann mitzubringen, damit er sieht, wie wir so leben. Er hielt es zwei Tage aus, obwohl drei Tage geplant waren."
"Wahrscheinlich hat er sich geärgert, daß Sie ihm die Arbeit am Computer vermiest haben", grinste Julius und fing sich wieder einen strafenden Blick ein.
"Auf jeden Fall bleibt dieser Wecker ausgeschaltet. Wenn du wirklich morgen früh zusehen möchtest, wie die Schüler abreisen, stehen wir beide zusammen auf. Also, was ist nun?"
"Ja, ich möchte mir das gerne ansehen, falls Sie es erlauben", erwiederte Julius. Madame Faucon überlegte nur eine Sekunde. Dann sagte sie:
"In Ordnung. Dann gehst du eben heute eine Stunde früher zu Bett, damit du die gleiche Anzahl an Stunden Schlaf bekommst, die du bisher bekommen konntest. Dein junger Körper braucht den gewissen Rhythmus. Also, schreibe Madame Dusoleil, daß du dich morgen um Punkt 06.45 Uhr auf dem Mittelplatz einfinden wirst! Dann gehst du schlafen!"
Julius wollte einwerfen, daß er durchaus auch schon bis zwölf aufgeblieben war und trotzdem morgens um sechs gut aus dem Bett gekommen war. Doch der strenge Blick der Hexe trieb ihm jede Lust zum Aufbegehren aus. Julius stellte sich vor, wie sie geschaut haben mußte, als sie Joe mit seinem Laptop-Computer erwischt hatte. Joe hatte ihm in den Osterferien angedeutet, daß seine Schwiegermutter mal irgendwas mit ihm angestellt hatte, und Madame Faucon hatte das auch bestätigt, als sie mit Julius Mittagessen gekocht und sich dem Hogwarts-Schüler gegenüber zu erkennen gegeben hatte. Julius stellte sich vor, daß Madame Faucon ihren Schwiegersohn derartig gut eingeschüchtert und dressiert hatte, daß sie nur eine Handbewegung zu ihrem Zauberstab machen mußte, um ihm ihren Willen aufzuzwingen. Anders war es ja auch nicht zu erklären, daß Joe so überlegen klang, als er seine Schwiegermutter daran zu hindern versuchte, Julius in ihr Dorf mitzunehmen und mit einer Pistole auf sie gezeigt hatte. Nun, bevor sie ihn noch wie Joe in den Schlaf zu singen trachtete, war es wohl besser, wenn er sich fügte, fand Julius und verließ die Wohnküche, um in seinem Zimmer die Antwort an Madame Dusoleil zu schicken. Francis, der durch kurzes Flügelschlagen zeigte, wie sehr er sich freute, daß er wieder eine Nachricht zustellen durfte, nahm den zusammengefalteten Pergamentzettel in den Schnabel und strich lautlos aus dem offenen Fenster hinaus in den lauen Abend.
Julius machte sich um neun Uhr bettfertig und zog sich in das Gästeschlafzimmer zurück. Gerade wollte er sich hinlegen, als Francis zurückkehrte und eine Antwort mitbrachte. Julius wunderte sich wieder über die Schnelligkeit, mit der Posteulen von A nach B und zurück fliegen konnten, wenn sie etwas überbringen sollten. Er nahm den Brief, tätschelte Francis kurz das Rückengefieder und gab ihm einen großen Eulenkeks zu fressen, den er sich von Madame Faucon zusammen mit einem vollen Napf frischen Wassers hatte geben lassen. Er las die Nachricht:
Hallo, Julius!
Wir warten auf dich am Dorfteich auf der Seite, wo das Gasthaus steht. Ich gehe davon aus, daß du schon gefrühstückt haben wirst, wenn wir uns treffen, weil ich weiß, wie sehr deine Gastmutter darauf achtet, daß ihr anvertraute Kinder genug zu essen bekommen. Ich werde aber noch eine Kanne heiße Schokolade mitnehmen, da nicht klar ist, wie lange die Abreisevorbereitungen dauern.
Bis morgen früh!
Camille Dusoleil
Julius sah zu, wie Francis in die Nacht hinausflog, um dort zu jagen. Er schloß das Fenster und legte sich ins Bett.
Am nächsten Morgen klopfte Madame Faucon um sechs Uhr an die Tür. Julius erwachte aus einem Traum, in dem er mit seinen Eltern in einem Freizeitpark gewesen war. Er stand auf, zog den Bademantel über und trat auf den Flur hinaus. Er ging ins Badezimmer, wusch sich und zog sich seinen türkisfarbenen Umhang an, den er am vorangegangenen Tag getragen hatte und kämmte sich noch mal das Haar, bis der verzauberte Badezimmerspiegel sagte, daß er so unter die Leute gehen könne.
Wie angekündigt verlangte Madame Faucon, daß Julius in Ruhe und reichlich frühstückte. Sie ließ ihn erst um fünf nach halb sieben aufstehen und gab ihm seinen Besen.
"Spaß kann ich dir nicht wünschen, da es eher nüchtern zugehen wird. Aber vielleicht gewinnst du wichtige Erkenntnisse im Umgang mit einer großen Menge Zauberer und Hexen. Wenn alle fort sind, komm entweder zurück oder schicke mir per Eule eine kurze Nachricht, was du vorhast! Ich werde in der Zwischenzeit deine Hausarbeit über die magischen Geschöpfe prüfen, die du angefertigt hast. Los jetzt!"
Julius war kaum durch die große Eichenholztür, als er schon mit einem Bein über den Besen stieg, sich in Startstellung brachte und mit einer wahnwitzigen Beschleunigung durchstartete, im 45-Grad-Steigungswinkel nach oben und über die Nachbarhäuser hinwegbrauste und dann waagerecht flog, wobei er seinem Sauberwisch 10 alles an Tempo abverlangte, was der neue Rennbesen hergab. Kalt blies ihm der Flugwind ins Gesicht, zerzauste ihm die Haare und zerrte an seinem Umhang. Doch Julius hielt diese hohe Geschwindigkeit bis kurz vor die Dorfmitte durch, bevor er mit einem Schlenker die Geschwindigkeit verringerte, über dem Dorfteich einen Kreis flog, um dann im Steilflug nach unten zu gehen, wo er sich mit einem schnellen Manöver abbremste und sanft auf der Südseite des Teiches landete, direkt vor dem weit aufgerissenen Maul der Drachenstatue, die die Südrichtung anzeigte. Der Platz war noch leer. Er sah, wie hinter den Fenstern des mehrstöckigen Gasthauses Lichter flackerten, deren Schein durch dicke Vorhänge abgeschwächt wurde. Dann sah er weitere Flugbesen, hauptsächlich Familienbesen, die aus allen Richtungen angeschwirrt kamen, mit einem mannierlicheren Tempo, wie Julius eingestehen mußte. Ein Besen, besetzt mit einer erwachsenen Hexe, einer fast erwachsenen Hexe und einem Mädchen, daß wohl so um die acht Jahre alt sein mochte, landete fast genau neben ihm. Die beiden Mädchen besaßen wunderschönes silberblondes Haar, daß im lauen Morgenwind wehte und jede ihrer Bewegungen betonte. Julius konnte seinen Blick nicht von den dreien lösen, die elegant, wenngleich auch etwas geziert dahergingen. Besonders die Halbwüchsige hatte es ihm angetan, die sich gerade von der Erwachsenen, wohl ihrer Mutter, sowie dem jüngeren Mädchen, augenfällig ihrer Schwester, verabschiedete und auf Julius zustolzierte, sich ihrer makellosen Schönheit und Anmut vollkommen bewußt. Julius starrte die fast ausgewachsene Hexe wie in einer Trance an, nahm außer ihr nichts mehr wahr, als sie keine zwei Meter an ihm vorbeiging und sich in Richtung des Gasthauses entfernte. Wie benommen trottete Julius einfach hinter der Unbekannten her, bis diese sich umdrehte und ihn anschaute, mit einem sehr verwunderten Blick.
"Warum läufst du mir nach, Junge?" Fragte sie Julius und sah ihn mit ihren tiefblauen Augen von oben herab an. Julius fand keine Worte. Er sah sie einfach nur an.
"Ich verstehe", sagte die Halbwüchsige kalt, drehte sich um und setzte ihren Weg fort. Julius wollte gerade weiter hinter ihr hertrotten, als ihn etwas sehr schmerzhaft in sein Hinterteil kniff. Mit einem "Autsch!" schrak er zusammen und wirbelte herum. Hinter ihm standen Claire und ihre Mutter. Julius fühlte sich so, als würde er aus einem benebelnden Traum erwachen. Langsam kamen die Sinneseindrücke wieder bei ihm an, die von allen Seiten her auf ihn einströmten.
"Meine Güte! Du bist der erste Zwölfjährige, der so von Mademoiselle Delacour verwirrt werden konnte", grinste Madame Dusoleil. Claire sah Julius mit einem breiten Grinsen an, schätzte ihn von oben bis unten ab, als wolle sie sich vergewissern, daß an ihm noch alles in Ordnung war. Dann sagte sie:
"Wir standen schon vor dem Gasthaus, als du ankamst. Aber wir wollten nicht laut rufen, weil einige Leute hier noch nicht aus dem Bett sind. Dann haben wir gesehen, wie du hinter Fleur hergetrottet bist, als hätte sie dich mit unsichtbaren Stricken gezogen. Maman meinte, daß wir doch besser hinter dir hersollten, bevor Madame Maxime dich noch zusammenstaucht, daß du die anderen Schüler bei der Aufstellung störst. Jeanne wartet noch vor dem Gasthaus, aber nicht direkt vor der Haupteingangstür, weil die anderen, die von außerhalb kommen, da Aufstellung nehmen."
"Verdammt! Ich dachte, mich kann der noch nicht beeinflussen", murmelte Julius, der daran dachte, was er gestern erst gelesen hatte.
"Wer, der?" Fragte Madame Dusoleil streng.
"Der Auraveneris-Fluch. Irgendwer muß dieses Mädchen ..." Die letzten Worte konnte Julius nicht mehr sprechen, weil Madame Dusoleil ihm die Hand auf den Mund legte. Dann nahm sie ihn in die Arme und flüsterte ihm ins Ohr:
"Psst! Sag sowas nicht so laut. Außerdem stimmt das nicht. Mademoiselle Delacour und ihre Familie stammen irgendwie von einer Veela ab. Das sind magische Wesen, die auf heranwachsende Jungen und erwachsene Männer eine so starke Anziehungskraft ausüben, daß diese nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Ich dachte eigentlich, daß das erst bei dreizehn oder vierzehn Jahre alten Jungen losgeht. Aber du mußt dich nicht dafür schämen, daß es dich erwischt hat. Fleur Delacour hat sich ja nicht beschwert, oder?"
"Sie hat nur gefragt, warum ich ihr nachliefe. Dann meinte sie, zu verstehen, bevor sie weitermarschiert ist. Aber irgendwie habe ich da neben mir selbst gestanden. Deshalb dachte ich ..."
"Schschsch!" Machte Madame Dusoleil und nahm Julius bei der linken und Claire bei der rechten Hand.
"Wo ist eigentlich dein kleines Schwesterchen?" Fragte Julius Claire, als sie vor dem Gasthaus auf Jeanne Dusoleil trafen, die Julius mit großen Augen ansah.
"Denise ist bei Papa geblieben. Hier sind sowieso nur Mütter oder Tanten, um ihre Kinder oder Neffen zu verabschieden", sagte Jeanne an Stelle ihrer jüngeren Schwester. "Warum nur Hexen hier sind, hast du ja eben eindrucksvoll bewiesen. Ich hoffe, Fleur stellt keine Verbindung zwischen dir und mir her. Sonst kann ich mir das die ganze Weltmeisterschaft anhören, daß jetzt schon kleine Jungs hinter ihr herlaufen."
"Verdammt noch mal! Ich wollte das doch nicht", quängelte Julius.
"Niemand weiß, wann es bei ihm mit der Empfänglichkeit für die Reize des anderen Geschlechtes losgeht, Jeanne. Daß ich dir das nicht sagen muß, ist ja wohl klar", sprang Madame Dusoleil dem Hogwarts-Schüler bei. "Der Junge hat ja schon merkwürdige Gedanken gehabt, als ich ihn fand. Häng dich also nicht zu sehr daran auf! Ja?"
"Ja, Maman", erwiderte Jeanne mit unterwürfigem Tonfall.
Julius lenkte sich von der Begegnung mit der bezaubernden Junghexe ab, indem er sich die Schülerinnen und Schüler ansah, die in ihren bunten Reiseumhängen aufmarschierten, einige alleine, die Jüngeren in Begleitung ihrer Eltern oder sonstigen Verwandten. Julius fiel auf, daß keiner unter vierzehn Jahren dabei war. Alle Mädchen und Jungen gingen mindestens in die vierte Schulklasse, wenn man von Hogwarts ausging. Julius sah beide Quidditchmannschaften der Jungzauberer von Millemerveilles unter den Schülern, deren Zahl von Minute zu Minute anwuchs. Punkt sieben Uhr quoll noch mal eine Masse junger Hexen und Zauberer aus dem Gasthaus, dahergetrieben wie eine Herde junger Lämmer, deren Hütehund allerdings eine Frau mit gigantischer Körpergröße war, die einen schicken schwarzen Satinumhang trug und ihr glänzendes Haar zu einem ordentlichen Knoten gewirkt hatte. Sie mußte sich tief bücken, um durch die Eingangstür zu gelangen, so daß sie fast auf allen Vieren das Gasthaus verließ. Sie dirigierte mit ihren übergroßen aber schön gepflegten Händen, deren Finger mit Opalen geschmückt waren, die Schülerscharen zu einem ordentlichen Halbkreis, in den sie hineintrat. Jeanne wandte sich an Claire:
"Bis zum neuen Schuljahr, Claire!" Dann umarmte sie ihre Mutter noch mal und verabschiedete sich auch von ihr. Anschließend sah sie Julius an und hauchte:
"Wir werden uns hier nicht mehr zu sehen kriegen, falls du vor dem Schuljahresbeginn wieder abreist. Vielleicht sehen wir uns aber irgendwann wieder. Halte dich weiterhin so gut im Quidditch, im Schach und deinen Schulfächern! Sonst könnte Professeur Faucon von dir enttäuscht sein."
"Soll ich dir sagen, daß ich am liebsten mitfahren würde, egal, was ich dafür tun muß?" Wandte sich Julius an Jeanne. "Viel Spaß. Ich denke, Irland wird Weltmeister. Falls du eine Wette darauf abschließen möchtest, 170 zu 160, egal gegen wen."
"Madame Maxime wird mich nicht wetten lassen. Spielen und wetten sind verbotene Handlungsweisen", grinste Jeanne. Dann wandte sie sich ohne weiteres Wort ab und ging schnell zu dem Halbkreis aus über hundert Schülern, in den sie sich unauffällig eingliederte.
Mit dreimaligem Klatschen in ihre übergroßen, aber schön gepflegten und mit großen Opalen geschmückten Hände, gebot die übergroße Frau, Madame Maxime, absolute Ruhe. Das Schwatzen der jungen Hexen und Zauberer erstarb sofort. Dann hörte Julius, wie Madame Maxime den Schülern laute Anweisungen erteilte. Wie ein Chor von Automaten antworteten die aufgestellten Beauxbatons-Schüler immer wieder:
"Jawohl, Madame Maxime!"
Julius erfuhr, daß die Beauxbatons-Schüler, die zur Quidditch-Weltmeisterschaft reisen sollten, in zweierreihen in den Schankraum des Dorfgasthauses zurückkehren und dort aus der aufgestellten Vase mit Flohpulver Portionen in die beiden befeuerten Kamine werfen sollten, um sich zur Grenzstation zu befördern. Von dort aus würde es nach England gehen, wo sie alle in kleinere Gruppen eingeteilt würden, die von den mitreisenden Vertrauensschülern befehligt werden sollten. Diese Gruppen sollten dann mit Muggelbahnen weiterfahren. Genauere Anweisungen wollte sie den Vertrauensschülern mit den Fahr- und Landkarten in der englischen Grenzstation übergeben.
"Wie beim Militär", flüsterte Julius, als sich nach dem Erhalt der Anweisungen die Schüler in geordnetem Marsch ins Gasthaus begaben, unter ihnen die bezaubernde Fleur Delacour, Jeanne Dusoleil und ihre Quidditchkameradin Seraphine, die auch bei Julius' Geburtstagsfeier dabei war. Madame Maxime überwachte den Marsch von ihrer übergroßen Warte aus und schien zu prüfen, ob alle, die sie mitnehmen sollte, auch dawaren oder sich noch wer dazwischengemogelt hatte.
"Und Tschüs!" Kommentierte Julius die Szenerie, als sich auch die Schulleiterin von Beauxbatons in Bewegung setzte und fast wieder auf allen Vieren durch die Tür schlüpfte.
"Du hältst nicht viel von Disziplin, oder?" Fragte Madame Dusoleil, und Julius wußte nicht, ob ihre Stimme nun interessiert oder tadelnd klang.
"Wenn ich bestimmte Zeiten einhalten muß, tue ich das. Wenn ich Sachen zu tun aufkriege, arbeite ich auch, bis alles getan ist, wobei ich versuche, so schnell wie möglich fertig zu werden und so gründlich wie möglich zu arbeiten. Aber es hätte doch gereicht, den Vertrauensschülern die Karten und die Stadtpläne zu geben und die Gruppen einzuteilen. Warum dieser Kolonnenzauber wie auf einem Exerzierplatz von Muggelsoldaten?"
"Weil es eben so ist, daß gerade Zauberer und Hexen zu Beginn ihrer Zaubereiausbildung feste Regeln brauchen, um nicht auf falsche Ideen zu kommen."
"Ja, Madame. Genau diese Leute, die sowas predigen, beschweren sich dann, wenn aus ihren Schülern Gangster und Chaoten werden, weil sie's nicht auf die Reihe kriegten, nach der Schule alleine zu denken und zu handeln", wagte Julius einen Widerspruch.
"Wir lernen doch, zu denken", wandte Claire ein. "Außerdem dürfen wir eigene Projekte bearbeiten, ohne daß uns jemand sagt, was wir dabei zu tun haben."
"Tja, und wehe, du sagst, daß du im Moment lieber im Garten herumtollen oder dich mit irgendwelchem Unsinn beschäftigen möchtest, dann kommt das Donnerwetter. Ich habe es bei meinen Eltern erlebt. Hogwarts hat auch gewisse Methoden, Schüler zu nützlichen Taten zu treiben, wenn auch nicht wie auf dem Truppenübungsplatz, und Madame Faucon hat mir auch schon beigebracht, daß sie nicht will, daß ich etwas mache, ohne irgendeinen Nutzwert daraus zu kriegen", sagte Julius.
"Wie gesagt, Julius! Du würdest dich schnell daran gewöhnen, bestimmte Dinge einfach zu tun, ohne dagegen aufzubegehren. Du hast es ja schon getan, hast du ja gerade zugegeben. Aber tröste dich, Beauxbatons verdirbt nicht die Laune am Spaß, sondern nur am Unsinnmachen. Außerdem gab und gibt es in Beauxbatons auch viele Streiche, gerade weil es verboten ist. Du darfst dich nur nicht dabei erwischen lassen", grinste Madame Dusoleil. Claire grinste auch.
"Wo ist eigentlich Virginie Delamontagne? Ich dachte, sie wollte auch nach England", wunderte sich Julius.
"Es hat da gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen Madame Delamontagne und Madame Maxime gegeben. Weil Virginie sich nicht zu der einen oder anderen Seite hinziehen lassen wollte, haben sie und ihre Eltern eben beschlossen, daß sie nicht mitreist, um keine Spannungen zu erzeugen. Aber das sagte ich dir nur, damit du nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen unbeabsichtigten Fehltritt tust, wenn du mit Virginie oder Madame Delamontagne über Virginies Hierbleiben sprichst. Du bist hiermit gewarnt."
"Warnung verstanden, Madame Dusoleil. - Mist! Jetzt fange ich auch schon an, wie ein Zinnsoldat zu quatschen", erwiderte Julius.
Die kleine Schwester von Fleur Delacour kam an der Hand ihrer Mutter herüber. Madame Dusoleil sah Unheil aufziehen und nahm Julius bei der Hand, während Claire neugierig dreinschaute, gespannt, was nun passierte.
"Sie gehen nicht nach Beauxbatons?" Fragte die Mutter von Fleur Delacour, und Julius mußte sich zusammennehmen, nicht wieder in diese entrückte Stimmung zu geraten, die ihn bei dem silberblonden Mädchen erwischt hatte.
"Nein, ich besuche eine andere Schule. Ich bin nur Gast hier", antwortete Julius schnell. Dann sagte er: "Ich wollte Ihrer Tochter nicht nachlaufen. Das war keine Absicht."
"Habe ich auch nicht unterstellt", erwiderte die Mutter der merkwürdigen Junghexe mit dem besonderen Zauber. Dann sah sie Madame Dusoleil an. Diese nickte kurz.
"In Ordnung, junger Mann. Ich wollte nur sehen, wer der junge Monsieur ist, der sich ohne Absicht derartig leicht aus der Fassung hat bringen lassen. Komm, Gabrielle!"
Die beiden Verwandten Fleurs gingen davon, zurück zu dem Familienbesen, saßen auf und flogen davon.
"Hat sie dich gefragt, ob Julius bei uns wohnt, oder wieso hast du so genickt, Maman?"
"Sei nicht so neugierig, Claire! Von wem hast du das bloß?" Versetzte Madame Dusoleil. Claire sagte nichts dazu. Julius sprach, eher murmelnd als richtig laut:
"Das fragt die richtige."
"Du unterstellst mir Neugier, Julius Andrews aus England? Hat aber lange gedauert", erwiderte Madame Dusoleil lächelnd. Dann lud sie Julius ein, ihr dabei zuzusehen, wie sie einen neuen Apfelbaum anwachsen lassen wollte. Einer ihrer Obstbäume war ja durch einen Arbeitsunfall ihres Mannes, bei dem ein blauer Feuerball losgegangen war, zu Asche verbrannt worden. Julius erinnerte sich, daß sie damals ihrem Mann in den Ohren gelegen hatte, daß sie mit Rapicrescentus-Tropfen einen neuen Baum ansetzen wollte, die offenbar sehr teuer waren. Deshalb nahm er das Angebot gerne an.
Mit seinem Besen flog er neben dem Cyrano 6 der Dusoleils her, wobei er sich bemühte, nicht zu schnell zu fliegen, auch wenn Madame Dusoleil den Familienbesen ziemlich gut antrieb. Claire, die hinter ihrer Mutter saß, sah manchmal verängstigt auf, als ihre Mutter so nebenher eine Kurve flog, die Julius spielend mitfliegen konnte und sogar noch kleine Schaueinlagen einbauen konnte, wie Wellensprünge oder eine Seitwärtsrolle. Dann landeten sie im Garten der Dusoleils, wo im Moment niemand anderes war.
"Denise schläft wohl noch", vermutete Claire, als sie vom Familienbesen heruntergestiegen war. Sie setzte sich mit Julius an den Gartentisch und sprach mit ihm über den Sommerball, der am nächsten Tag stattfinden sollte. Julius dämpfte die gute Laune der Beauxbatons-Schülerin, indem er sagte:
"Madame Faucon hat mich ja schon eine Stunde früher ins Bett geschickt, nur damit ich heute morgen mit euch der Abreise zusehen konnte. Die wird mich doch nicht zu einem Tanzabend mitgehen lassen. Ich könnte ja zu wenig Schlaf kriegen."
"Ooo!" Jammerte Claire.
"Dann hätte sie besser daran getan, dir nicht ein Buch mit solchen Gruselgeschichten zu schenken, Julius. Das mit dem Auraveneris-Fluch kann ja nur in diesem roten Buch mit den silbernen Buchstaben gestanden haben, daß die Sechst- und Siebtklässler von Blanche zu lesen aufkriegen", kam Madame Dusoleils Stimme von der rechten Seite. Die Mutter Claires trug eine große Kanne mit heißer Schokolade und drei Tassen zu ihnen an den Tisch und setzte sich zu den Kindern.
"Ja, ich weiß, daß man ein Buch nicht zu aufmerksam lesen soll, wenn man es nicht braucht", sagte Julius. "Aber das hat mich halt interessiert."
"Der Vorwurf ging auch nicht an dich, selbst wenn die ehrwürdige Madame Faucon jetzt nicht anwesend ist. Gefrühstückt hast du schon? Dann trink zumindest noch was von der heißen Schokolade, Julius!"
Julius sah erst zu, wie Claire den ersten Schluck trank, bevor er selbst die dampfende Flüssigkeit mit den Lippen berührte und vorsichtig davon trank.
Nachdem sie alle ihre Tassen geleert hatten, ging Madame Dusoleil mit den Kindern zum Gartengeräteschuppen, wo sie eine blaue Gießkanne und zwei Spaten herausholte.
"Ich freue mich, dir das noch vorführen zu können, bevor du wieder fortgehst, Julius. Einen Schnellanwachsungsprozeß kriegst du bei Professor Sprout wohl erst in den höheren Klassen geboten, wenn überhaupt. Denn die Substanz, aus der die Rapicrescentus-Tropfen gewonnen werden, ist so selten, daß man schon mehrere Galleonen für einen Viertelliter hinlegen muß. Ich würde das auch nicht machen, wenn mein Garten nicht das Aushängeschild für meine Arbeit wäre. Eine Lücke zwischen den Obstbäumen würde meinem Ordnungssinn widersprechen", kommentierte Madame Dusoleil, was sie nun tun wollte. Sie holte eine kleine Flasche, fast ein Reagenzglas für chemische Versuche, aus einer kleinen Practicustasche, wie Julius sie von Aurora Dawn geschenkt bekommen hatte. An einem Wasserspeier, der wie ein Spitzmaulfrosch aus smaragdgrünem Stein aussah, füllte sie die Gießkanne. Dann holte sie einen frischen Apfel aus einem Weidenkorb, der neben der Hintertür stand und säuberte diesen mit einem weißen Reinigungstuch. Julius trat näher und sah zu, wie Madame Dusoleil die kleine Flasche öffnete und wenige glitzernde rosa Tropfen in die Gießkanne fallen ließ. Sie schwenkte die Gießkanne vorsichtig, damit sich die Tropfen mit dem Wasser mischten. Dann deutete sie auf die Spaten und wies Julius und Claire an, dort, wo der verbrannte Apfelbaum gestanden hatte, ein tiefes Loch zu graben. Julius fragte, ob sie das nicht mit einem Zauber machen konnte. Madame Dusoleil lachte und sagte:
"Mit irgendwas mußt du dir das Vorrecht verdienen, eine seltene Gartenzauberei zu sehen. Also los!"
Julius und Claire taten, wie ihnen geheißen worden war und hoben einen Halben Meter Erde aus. Julius schwitzte, Claires Haare hingen naß in Strähnen. Dann gebot Madame Dusoleil, zur Seite zu treten. Sie warf den frischen Apfel in das ausgehobene Loch. Dann nahm sie ihren Zauberstab und ließ die ausgehobene Erde mit einem lauten Knall wieder in das Loch zurückfliegen. Anschließend begoß sie den eingegrabenen Apfel mit dem Gemisch aus Wasser und Zaubertropfen aus der Gießkanne. Julius sah ihr gebannt zu, wie sie einen vorsichtigen Kreis um den frischen Erdhaufen beschrieb und keinen Fleck unbenetzt ließ. Dann trat sie zurück.
Julius hatte zwar damit gerechnet, daß sich sofort etwas tat. Aber daß unvermittelt ein kleiner Sprössling aus der frischen Erde herausbrach und zusehens nach oben wuchs erstaunte ihn doch.
"Diese Tropfen wurden schon von den alten Druiden benutzt, um abgebrannte Wälder und Felder zu heilen. Die Menge, die ich vergossen habe, läßt den neuen Apfelbaum innerhalb von drei Stunden so hoch wachsen wie in sechzig Jahren. Ich gehe in der Zeit mit dem Astabtrennungszauber um ihn herum, um ihn zu veredeln und die Wuchsrichtung zu kontrollieren. Wenn die Zeit um ist lasse ich ihn einen vollen Tag so stehen. Dann kriegt er noch mal eine Dosis, die ihn zwei Stunden lang schnell wachsen läßt, bis er so groß ist wie der Baum, der früher da gestanden hat", erläuterte Madame Dusoleil, was gerade passierte.
"Ich kann Blanche Bescheid geben, falls du dir das ansehen möchtest", bot Madame Dusoleil dem Hogwarts-Schüler an. Dieser nickte zustimmend.
Julius nahm das Angebot an. So kam er in den Genuß, die Gartenhexe von Millemerveilles innerhalb von drei Stunden einen Baum anwachsen lassen zu sehen, der normalerweise mehrere Jahrzehnte hätte wachsen müssen, um so groß zu werden. Mit einem fernlenkbaren Sägeblatt und einem Zauber zum Abtrennen dünner Zweige, bearbeitete Madame Dusoleil den neuen Apfelbaum, bis die drei Stunden verstrichen waren. Dann geleitete sie Julius auf Jeannes Ganymed 8 zum Hause von Madame Faucon zurück.
"Ich wußte es, daß du den Jungen wieder für dich vereinnahmen wolltest", begrüßte Madame Faucon die Gartenhexe.
"Ich habe ihn gefragt, ob er mir zusehen wolle, wenn ich einen neuen Apfelbaum anwachsen lasse, und er hat ja gesagt, Blanche. Dabei hätte ich ihn fast nicht mehr halten können, mit Jeanne und den anderen mitzugehen. Er wollte schon Mademoiselle Delacour hinterherlaufen."
Julius errötete, als Madame Dusoleil dieses für ihn peinliche Erlebnis verriet. Madame Faucon sah Julius ruhig an, dann sagte sie:
"das hätte ich bedenken sollen. Das wäre dann wohl besser gewesen, wenn ich ihn begleitet hätte. Aber du warst ja da, oder?" Wandte sie sich noch an Madame Dusoleil.
"Selbstverständlich. Oder denkst du, ich wollte darauf verzichten, daß Julius morgen zum Sommerball kommt, nur weil Madame Maxime ihn zusammengestaucht hat?"
"Die Entscheidung liegt ja wohl bei mir", erwiderte Madame Faucon kühl. Dann verabschiedete sich Madame Dusoleil und schwirrte auf ihrem Besen davon.
"Das war wohl unheimlich für dich, als du Mademoiselle Delacour gesehen hast und nicht wußtest, was du eigentlich tatest, oder?" Wandte sich die Beauxbatons-Lehrerin mit warmer, ja großmütterlicher Stimme an Julius, als gelte es, ihn über ein unangenehmes Erlebnis hinwegzutrösten.
"Ich habe erst geglaubt, daß ... aber lassen wir das. Das war mir auf jeden Fall peinlich. Ich wußte gar nicht, was mit mir los war."
"Höchst interessant, daß du schon so früh auf ihre Ausstrahlung reagierst. Aber daß Fleur Delacour nicht unter dem Auraveneris-Fluch steht hat Camille dir sicherlich erzählt, oder?"
"Ja, hat sie. Ich dachte es aber zuerst und ..."
"Für Camille wird das wohl ein willkommener Anlaß gewesen sein, meine Geschenkauswahl zu belächeln, weil du ja nur aus einem Buch von mir erfahren konntest, was der Auraveneris-Fluch ist. Nun ja, du mußt dich damit abfinden, daß du nun die Schwelle überschritten hast, von der aus es nicht mehr zurück geht. Das ist gut zu wissen, daß ich in dieser Hinsicht auf dich achten muß, bevor dir etwas peinliches widerfährt, was du aus Unwissenheit verschuldet hast. Ich gehe davon aus, daß Mademoiselle Delacour sich nur wunderte, daß ihre unvermittelten Verehrer immer jünger zu werden scheinen. Was den Sommerball angeht", sie machte eine Pause von einigen Sekunden, bevor sie weitersprach, "so will ich erst einmal sehen, wie weit deine Tanzkünste gediehen sind. Vielleicht muß ich dir morgen einen Schlaftrunk geben, damit du ruhig schlafen kannst, während ich ausgehe."
Julius schluckte hörbar. Dann breitete sich in ihm das Gefühl großer Zuversicht aus, den Anforderungen zu entsprechen, wie hoch Madame Faucon sie auch immer setzte.
"Ich habe deine kurze Dokumentation gelesen, die ich dich habe schreiben lassen. Sehr gut, wenngleich du wahrscheinlich nicht alles bei deinem Besuch des magischen Tierparks erfahren konntest. Aber als Nachweis für deine Aufmerksamkeit ist deine Hausaufgabe allemal passabel ausgefallen. Es ist doch gut, wenn jemand in deinem Alter mit offenen Augen durch die Welt geht."
Julius wußte nicht, was das alles sollte. Doch er wagte nicht, irgendetwas zu fragen, um Klarheit zu gewinnen.
Nach dem Mittagessen prüfte Madame Faucon Julius' Tanzkünste. Sie zog verschiedene Spieluhren auf, die unterschiedliche Tanzrhythmen spielten. Julius fühlte sich zwar nicht sonderlich wohl, als er die ältere Hexe zum Walzer, Tango oder Cha-Cha-Cha führte. Doch Abschließend sagte sie:
"Ich weiß, daß ich kein junges Mädchen mehr bin, für das du dich besonders anstrengen würdest. Aber um dich mitzunehmen reicht mir, was ich erlebt habe. Du hast die Einladung genau gelesen?"
"Ja, habe ich", erwiderte Julius. Dann nutzte er die Gelegenheit, sich über die richtigen Umgangsformen zu erkundigen und durfte durchspielen, ob er alles richtig begriffen hatte.
Am späteren Nachmittag traf eine Eulenpost von Catherine ein. Sie schrieb, daß sie sich mit Babette gut amüsierte und wissen wollte, ob es Julius gut gehe. Julius durfte zurückschreiben, daß er selten so interessante und unterhaltsame Sommerferien erlebt hatte. Zumindest wisse er jetzt mit Sicherheit, daß er in der Zaubererwelt zurechtkomme, vielleicht sogar besser als in der Muggelwelt.
Am Abend schickte Madame Faucon Julius wieder früher zu Bett. Sie begründete diese Maßnahme damit, daß der Sommerball ja bis Mitternacht gehen würde und Julius wohl viel Energie brauche, um durchzuhalten.
Am nächsten Morgen verbrachte Julius mehrere Stunden im Garten von Madame Faucon und las in seinem Buch über die Magie des Sonnenfeuers. Dabei überlegte er, ob er nicht einige Experimente machen könne, um zu zeigen, wie die Sonnenstrahlung gefiltert und zielgenau ausgerichtet werden konnte. Madame Faucon kam während dieser Zeit nicht aus ihrem Arbeitszimmer heraus. Julius bekam flüchtig mit, wie eine Eule nach der anderen ein- und ausflog.
Er dachte, daß Madame Faucon erneut Post erhielt, als eine Eule auf das große Haus zuflog, bis Julius Viviane erkannte, die Posteule von Claire Dusoleil. Viviane schwebte auf Julius zu und warf ihm spielerisch einen Zettel auf die aufgeschlagenen Buchseiten. Julius nahm den Zettel, sah erst, ob Viviane landete oder weiterflog und las, als die Eule sich auf einen Ast des Baumes gesetzt hatte, in dessen Schatten Julius saß.
Hallo, Julius!
Ich hoffe, Madame Faucon läßt dich zum Ball gehen. Maman hat zumindest nichts gegenteiliges gehört. Dann sehen wir uns heute abend.
Schicke Viviane bitte mit einer kurzen Antwort zurück!
Claire
Julius kramte in seinem Umhang nach seinem Kugelschreiber, den er heimlich eingesteckt hatte und schrieb auf die Rückseite des Zettels:
Hallo, Claire!
Ja, Madame Faucon wird mich hingehen lassen. Deine Mutter muß nicht noch mal hier antreten. Ich denke sowieso, daß das nichts gebracht hätte, falls Madame Faucon entschieden hätte, mich nicht mitzunehmen. Allerdings, das möchte ich dir nicht verschweigen, ist mir bei der ganzen Sache nicht so ganz wohl, weil ich eben nicht zu eurem Dorf gehöre und wohl auch nicht hier wäre, wenn alles so gelaufen wäre wie meine Eltern es geplant hatten.
Bis dann!
Julius
Mit einem kurzen Wink brachte er Viviane dazu, von ihrem Warteposten herunterzukommen. Er gab ihr den Zettel mit und sah, wie die Eule wieder davonflog.
Beim Mittagessen fragte Madame Faucon, welche Schuhe Julius zu seinem Festumhang anziehen wollte. Julius dachte daran, die guten Schuhe zu tragen, mit denen er nach Paris gekommen war. Seine Eltern hatten ihn ja im feinsten Geschäftsleuteanzug in ein Flugzeug gesetzt, zwischen Manager und Selbständige, die zu ihren Verhandlungen gereist waren. Madame Faucon besah sich die Schuhe und befand, daß sie wohl zu repräsentativen Verabredungen gut geeignet waren, aber für Tanzabende wohl doch zu unbequem. Zumal sei das verwendete Leder und die Beschaffenheit wohl zu muggelmäßig um zu einer Festveranstaltung der Zaubererwelt getragen zu werden.
"Catherine hätte vielleicht daran denken können, dir bestimmte Dinge zu besorgen. Aber sie schrieb mir, daß du dich ja schon geweigert hättest, einen guten Festumhang von ihr anzunehmen. Dann werden wir wohl noch einen Besuch in einem Schuhgeschäft der Rue de Camouflage tätigen müssen. Denn wenn du heute abend tanzen sollst, darf dich das Schuhwerk nicht behindern oder merkwürdig auffallen lassen. Immerhin kommen einige hundert Hexen und Zauberer zum Sommerball. Dann werden wir gleich abreisen."
Julius suchte nach dem Geld, daß er von den Porters bekommen hatte und steckte sich die verbliebenen Galleonen ein. Wenige Minuten später befanden sie sich wieder in Paris, in der Prachtstraße, die nur für Hexen und Zauberer zugänglich war. Madame Faucon steuerte mit Julius einen Laden für Gürtel, Taschen und Schuhe an und sprach bei der hochgewachsenen Hexe am hohen Kassentisch vor. Diese erkannte die berühmte Lehrerin von Beauxbatons und verbeugte sich ehrfürchtig. Dann erfuhr sie von Madame Faucon, für welchen Anlaß Julius Schuhe benötigte und holte mehrere Paar Schuhe her. Julius probierte vier davon und machte Tanzschritte und leichte Sprünge, bis er bei Paar Nummer fünf feststellte, daß diese halbhohen, die Ferse umschließenden und spitz zulaufenden Schuhe mit der glatten Sohle, die aus kirschrot gefärbter Drachenhaut gefertigt waren, am besten paßten und jede Fußbewegung ohne Drücken und Klemmen mitmachten. Julius wollte die zwanzig Sickel selber bezahlen, doch Madame Faucon hatte bereits eine Galleone und drei Sickel auf den Kassentisch gelegt.
Als die beiden Kunden das Schuhgeschäft wieder verlassen und sich mit Flohpulver nach Millemerveilles zurückversetzt hatten, wollte Julius seiner Gastmutter das Geld für die Schuhe zurückgeben. Doch sie sagte nur:
"Ich erhalte das Geld sowieso vom Zaubereiministerium zurück, und du kannst dein Geld bestimmt sinnvoller anlegen als es in ein paar Tanzschuhe zu investieren."
"Was mache ich denn mit denen, wenn der Ball vorüber ist. Soll ich die dann hier bei Ihnen lassen?"
"Wofür soll das gut sein? Ich kann die Schuhe nicht anziehen, genausowenig Catherine oder Babette. Nein, die darfst du behalten. Vielleicht ergibt sich für dich im nächsten Schuljahr eine Gelegenheit, sie noch mal zu tragen."
Julius wollte schon einwenden, daß er sich nicht vorstellen konnte, diese Tanzschuhe noch mal zu tragen, bevor er aus ihnen herausgewachsen sein würde, doch irgendwas in der Stimme und dem Gesichtsausdruck der älteren Hexe hatten ihn davon abgebracht, ihre Worte anzuzweifeln. Catherine hatte ja angedeutet, daß irgendwas in Hogwarts passieren würde, was irgendwie auch mit ihrer Mutter, besser, mit Beauxbatons zu tun haben könnte.
Der restliche Nachmittag flog nur so dahin. Julius half Madame Faucon noch bei der Ernte von Gemüse aus dem eigenen Garten, wobei er seinen grünen Gartenumhang trug. Dann nahm er noch mal ein Bad, bevor er sich um sieben Uhr zum erstenmal den von Catherine geschenkten Festumhang anzog. Er schlüpfte in die neuen Tanzschuhe, die so perfekt saßen, als hätte er sie gar nicht an und bewunderte sich noch mal im Badezimmerspiegel. Er sah sich, den Jungen mit den kurzen blonden Haaren und den hellblauen Augen, wie er in einem fließenden, bis zu den Knöcheln herabreichenden weinroten Umhang dastand, mit dem Ausdruck vieler ungestellter Fragen auf dem Gesicht.
"Monsieur, Sie bieten einen erhabenen Eindruck dar", flüsterte der verzauberte Badezimmerspiegel mit wohlwollendem Unterton. Julius erwiderte:
"Wenn mich heute wer fotografiert und das Bild an meine Eltern schickt, kriegt mein Vater zuviel."
"Nicht, wenn Sie sich ordentlich zu benehmen wissen, Monsieur", antwortete der Spiegel. Julius grinste nur. Was wußte ein verzauberter Badezimmerspiegel schon von Julius' Eltern?
Als Julius sich soweit hergerichtet hatte, daß er nun auf den Ball gehen konnte, trat er aus dem Badezimmer heraus und sah, wie Madame Faucon in einem königsblauen, bis zu den waden hinabreichenden Seidenkleid vor der Wohnküche wartete. Um die Taille hatte sie noch einen silbergrauen Schmuckgürtel gebunden, der ihr ein schlankes Aussehen verlieh. Ihr schwarzes Haar, üblicherweise zu einem ordentlichen Knoten im Nacken gebunden, fiel nun als glatter Zopf bis auf ihren Rücken herab und wurde zudem durch ein dunkelviolettes Haarband zusammengehalten. Um den Hals trug sie eine Kette aus silbrigweißen Perlen, die wie in kleine Kugeln eingefangenes Mondlicht wirkten. Außer dem Verbindungsarmband, mit dem sie zu Julius Kontakt halten konnte, wenn er nicht in ihrer Nähe war, hatte sie noch zwei goldene Armbänder, für jeden Arm eines, angelegt. Julius sah, daß sich der Zauberstab der Hexe unter dem langen Seidenkleid abzeichnete. Madame Faucon warf einen prüfenden Blick auf Julius Andrews und nickte zustimmend.
"Auch wenn es vom Aussehen nicht zu dir zu passen scheint, finde ich, daß dieser Festumhang genau für dich gemacht ist. Catherine hat mir nur geschrieben, daß ihr bei Madame Esmeralda gewesen seid. Dann hast du wohl den Test mit den Stimmungsblumen gemacht. Deswegen sieht das wohl so perfekt zu dir passend aus."
"Sie wirken irgendwie um mehrere Jahrzehnte verjüngt, so mit dem Zopf und dem Kleid. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie sich so heftig zu verändern trauen."
"Wie verstehe ich das nun? Möchtest du sagen, daß du der Vorstellung angehangen hast, ich hätte jeden Spaß an meinem Äußeren verloren?"
"N-nein, natürlich nicht", stotterte Julius erschrocken. "Ich meinte nur, daß Sie Ihren Weg schon längst gefunden hätten und daher nicht mehr experimentieren würden."
"Soso. Für besondere Anlässe gestalte ich mein äußeres genauso besonders. Und jetzt komm! Wir müssen uns langsam aufmachen."
"Wie kommen wir zum Musikpark. Gehen wir zu Fuß?"
"Der Musikpark ist vier Kilometer von hier entfernt. Nein, wir nehmen den Cyrano-Besen. Dein Besen bleibt hier!" Bestimmte Madame Faucon.
Julius konnte auf dem Weg zum Musikpark von Millemerveilles weitere Familienbesen sehen, die aus allen Richtungen anflogen. Auf den meisten saßen Ehepaare jeden Alters. Die Jugendlichen, die nicht zur Quidditch-Weltmeisterschaft gereist waren, saßen entweder auf eigenen Besen oder hinter ihren Vätern oder Müttern. Julius erkannte Monsieur Castello, den Zauberer, der hier immer die Quidditchspiele beaufsichtigt hatte, wie er in einem scharlachroten Festumhang mit Stehkragen und silbergrauer Fliege auf seinem Rennbesen herbeikam.
In Mitten des Musikparks glommen hunderte von Laternen wie Glühwürmchen, als der Familienbesen von Madame Faucon zur Landung ansetzte. Der Hogwarts-Schüler sah ein glimmendes Rechteck aus vielen Kerzen, daß sich mindestens 60 Meter lang und 40 meter breit in der Parkmitte erstreckte und eine rechteckige Tanzfläche aus schnell aber glatt zusammengefügten Dielenbrettern umschloß. Auf den letzten hundert Metern zeichnete sich das ganze Arrangement noch deutlicher ab. Das glimmende Lichtrechteck wurde von hunderten von Kerzen gebildet, die auf Tischen standen, die als Rechteck aus drei Tischreihen von außen nach innen die Tanzfläche abgrenzten. In den Büschen hingen bunte Lampions und in den Baumwipfeln weiße, gelbe, rote und grüne Laternen. Die Tanzfläche wurde zur einen Seite von einer zehn Meter großen Bühne begrenzt, auf der ein Orchester mit vielfältigen Musikinstrumenten auf seinen Einsatz wartete. Außerhalb der Tanzfläche und dem äußeren Tischrechteck waren vier große Buffets aufgebaut, je eines für jede Seite des Rechtecks. Julius sah große Fässer auf silbernen Gestellen ruhen und roch den Duft am Spieß gebratener Köstlichkeiten. Dann landeten Madame Faucon und er, mindestens noch zwanzig Meter vor der äußeren Tischgruppe.
Zehn Zauberer in samtbraunen Umhängen warteten um einen 20 Meter durchmessenden Kreis, in dem drehbare Gestelle aufgebaut waren, in die jeder Flugbesen eingehängt werden konnte. Julius überschlug kurz die Unterbringungsmöglichkeiten und kam zu dem Schluß, daß hier fünfhundert Besen gelagert werden konnten.
"Ah, Madame Faucon! Sie haben Ihren Gast mitgebracht? Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Monsieur Andrews!" Begrüßte einer der zehn Zauberer in Samtbraun die beiden Ankömmlinge. Madame Faucon erwiderte den Gruß, ebenso tat es Julius Andrews. Dann übergab Madame Faucon den Flugbesen und sah mit Julius, wie er in den gezeichneten Kreidekreis getragen und in eines der drehbaren Gestelle eingehängt wurde. Der Zauberer, der den Besen untergebracht hatte, gab der Beauxbatons-Lehrerin eine Garderobenmarke und wandte sich anderen ankommenden Gästen zu.
"Dann werden wir uns mal ordentlich anmelden", bestimmte Madame Faucon und führte Julius zu einer Hexe in einem silbergrauen Kleid. Julius vermeinte, die Junghexe Barbara als erwachsene Frau zu sehen.
"Hallo, Blanche. Du hast also deinen britischen Hausgast mitgebracht, wie ich erfreut feststellen darf", grüßte die Hexe im silbergrauen Kleid.
"Julius Andrews, dies ist Madame Roseanne Lumière, Vorsitzende des Festkommitees von Millemerveilles. Roseanne, dies ist Julius Andrews, der Sohn einer Bekannten meiner Tochter Catherine."
"Meine Tochter Barbara hat mir ja nur wohlwollendes über Sie zu berichten gewußt, Monsieur Andrews. Sie fand Ihre unorthodoxe Art, Schach zu spielen höchst einprägsam und wundert sich, daß Sie mit Ihren Fähigkeiten nur Reservespieler Ihres Schulhauses sein sollen."
"Von meinem Schulhaus spielen die besten schon in der Stammmannschaft. Außerdem kann ich noch nicht so gut Quidditch, um an richtigen Turnieren teilzunehmen", erwiderte Julius.
"Ich kann mich auf die Einschätzung meiner Tochter verlassen, wenn sie sagt, daß Sie durchaus jedes Turnier bestreiten können, daß Ihre Schule ausrichtet. Aber Bescheidenheit ziert, wenn sie nicht allzu drastisch ausfällt", sagte Madame Lumière. Dann begutachtete sie Julius' Festumhang, als müsse sie noch entscheiden, ob sie den Hogwarts-Schüler damit zum Ball gehen lassen dürfe oder nicht. Offenbar fiel die Überprüfung gut für Julius aus. Denn Madame Lumière nickte zufrieden und sagte:
"Sehr schick, Monsieur. Offenkundig hat Ihre Gastgeberin Sie umsichtig beraten bei der Auswahl."
"Der Umhang ist ein Geschenk meiner Tochter Catherine, Roseanne", wandte Madame Faucon ein.
"Sie haben die Einladung sorgfältig gelesen, Monsieur Andrews?"
"Ja, habe ich, Madame Lumière. Sie oder Ihre Mitarbeiter haben geschrieben, daß die Kinder und Jugendlichen eigene Tische zugeteilt bekommen sollen."
"Darum geht es, Monsieur Andrews. Ich habe Ihnen den Tisch an der Ostseite der Tanzfläche zugewiesen. Ihre Tischsprecherin ist Mademoiselle Delamontagne. Du, Blanche, gehst bitte zu Tisch einunddreißig an der Südseite! Ich werde später nachkommen, wenn ich die übrigen Gäste begrüßt habe."
Wie aufs Stichwort trafen die Dusoleils ein. Madame Dusoleil freute sich, Julius zu sehen. Sie begrüßte schnell Madame Faucon und Madame Lumière, um dann Julius kurz in die Arme zu schließen. Julius sah, daß die Gärtner-Hexe ein blattgrünes Kleid trug, das wie bei Madame Faucon an der Taille durch einen Schmuckgürtel zusammengehalten wurde. Sie hatte sich eine weiße Perlenschnur durchs Haar geflochten und trug eine Halskette aus meergrünen Schmucksteinen. Mademoiselle Uranie Dusoleil kam ohne Schmuck daher. Sie trug nur ein cremefarbenes Tanzkleid und hatte ihr Haar mit einer rosaroten Schleife gebändigt. Monsieur Dusoleil trug einen Festumhang, ähnlich dem von Julius, nur das dieser Umhang limonengrün war. Dazu hatte er sich einen dunkelbraunen Zaubererhut aufgesetzt. Claire Dusoleil trug jene rotgoldene Ballrobe mit den blutroten Schmuckperlen an Ärmelsäumen, Taille und Kragen. Sie hatte sich ihr schwarzes Haar zu einem glatten Schopf gekämmt und diesen mit dem weizengelben Haarband zusammengebunden, das sie ebenfalls zu ihrem Geburtstag bekommen hatte, wie auch die rotlackierten Tanzschuhe, die sie an den Füßen trug. Sie sah Julius an und lächelte überaus wohlwollend.
"Schöner Umhang", Julius! Hast du ihn von Catherine bekommen?" Fragte Madame Dusoleil. Julius, der die direkte Art von Madame Dusoleil zur Genüge kannte, nickte nur.
"Sie meinte, daß englische Festumhänge nicht so schön fließen, wie die französischen."
"Womit sie durchaus recht hat", wandte Madame Faucon ein.
Roseanne Lumière bedeutete den Dusoleils, sich an denselben Tisch zu setzen, der für Madame Faucon reserviert war.
"Die feine Gesellschaft hat immer einen eigenen Tisch", flüsterte Madame Dusoleil Julius und Claire zu, bevor sie sich von ihrer Tochter verabschiedete. Dann ging sie mit ihrem Mann und ihrer Schwägerin davon. Claire und Julius sahen sich um und entdeckten an der Ostseite der aufgestellten Tische Virginie Delamontagne, die in ihrem silberweißen Kleid glänzte wie der Mond.
"Mußt du auch an den Tisch von Virginie?" Fragte Claire.
"Yep!" Erwiderte Julius locker.
"Das ist nur für die Ordnung, wenn die Tanzpausen sind. Ich finde das nicht schlecht, daß wir Kinder und Jugendlichen unter uns sind. Aber man hat dir doch geschrieben, daß wir uns auch erwachsene Partner suchen können, je nachdem, ob gerade Damen oder Herren einen Partner auswählen dürfen."
"Sowas ähnliches habe ich gelesen, Claire", antwortete Julius.
Virginie begrüßte die beiden Neuankömmlinge und teilte ihnen Sitzplätze zu, wobei Julius rechts neben ihr sitzen sollte und Claire links von einem Jungzauberer in einem violetten Festumhang, der sichtlich angespannt wirkte. Der Junge sah Julius prüfend an, dann fiel sein Blick auf Claire Dusoleil, und er lief rosa an, wohl aus Verlegenheit, wie Julius vermutete.
Julius erkannte, als der Tisch mit je fünf Jungen und Mädchen besetzt war, daß Virginie die Älteste am Tisch war, denn die übrigen Gäste waren nicht älter als dreizehn Jahre. Er bewunderte die seidenen Festgewänder der Mädchen, die bis auf das von Claire in hellen Farbtönen gehalten waren, wenn man von den goldenen Fäden absah, mit denen Claires Umhang durchwirkt war. Doch am hellsten und glänzendsten fiel ihm Virginies Ballrobe ins Auge. Er besah sich die silbernen Fäden, mit denen sie durchwirkt war, ließ seinen Blick über die strahlendweißen Schmuckperlen schweifen und begutachtete den Schmuck, den die Tochter von Madame Delamontagne angelegt hatte. Julius mußte sich arg zusammennehmen, nicht bei dem Gedanken loszulachen, daß Virginie einen passablen Weihnachtsbaum abgegeben hätte, mit den drei silbergrauen Halsketten, den silbrigweiß glitzernden Haarbändern, mit denen sie ihre blonde Haartracht durchwirkt hatte und den zehn silbrigblauen Armbändern an jedem Arm.
"Gefällt dir mein Erscheinungsbild, Julius?" Fragte Virginie, die natürlich bemerkt hatte, daß Julius sie eingehend begutachtete.
"Wer hat der hat", erwiderte Julius und sah letztendlich noch auf die elfenbeinfarbenen Tanzschuhe, die offenbar eher halbhohe Stiefel waren, denn sie verdeckten die Füße, bis über den Spann, sahen dabei jedoch immer noch leicht und bequem aus.
"Ich bin Tischsprecherin. Als solche muß ich am auffälligsten erscheinen", erwiderte Virginie. Claire, die neben ihr saß, warf Julius einen fragenden Blick zu. Julius betrachtete noch mal Kleidung und Schmuck der zweitältesten Dusoleil-Schwester. Dann nickte er.
Der angespannt wirkende Junge, der beim Anblick Claires rosa angelaufen war, fing Julius' Blick ein und beugte sich so, daß er nicht allzu laut sprechen mußte.
"Du bist der Junge aus England, der meine Schwester aus dem Schachturnier gefeuert hat?" Fragte er so schnell, daß Julius den Eindruck bekam, der Junge müsse sich beeilen, zu sprechen, bevor er den Mut verlor, zu sagen, was er sagen wollte.
"Moment! Ich habe ausschließlich gegen Hexen gespielt. Hmm, für einen Bruder von Madame Faucon siehst du reichlich jung aus. Tja, also wer ist deine Schwester?" Fragte Julius mit einem feisten Lächeln auf dem Gesicht. Denn die Haarfarbe und Gesichtszüge des Jungen verrieten dem Hogwarts-Schüler, daß er wohl von Madame Lumière abstammen mußte, also ein Bruder der Quidditchspielerin Barbara sein mußte.
"Öhm, Barbara Lumière. Das ist meine Schwester. Ich bin Jacques Lumière."
"Angenehm", erwiderte Julius und stellte auch sich korrekt vor.
Virginie räusperte sich leise aber entschieden. Offenbar hatten Jacques und Julius etwas wichtiges mißachtet oder vergessen.
"Werte Junghexen und -zauberer! In meiner Eigenschaft als vom Festkommitee von Millemerveilles benannte Tischsprecherin ist es mir eine Freude und eine Ehre, euch hier alle versammelt zu sehen. Da davon auszugehen ist, daß hier am Tisch noch nicht jeder jeden kennt, möchte ich euch einander vorstellen. ..."
Virginie rasselte die Namen der Kinder am Tisch herunter und deutete immer auf die benannte Person. Als sie Julius Andrews vorstellte, sagte sie noch:
"Julius ist ein Gast aus Großbritannien. Er besucht Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei und beginnt nach dem Ende der englischen Schulferien die zweite Klasse dort. Diejenigen, die aktive Quidditchspieler in ihrer Familie haben oder jemanden kennen, der am Schachturnier teilgenommen hat, wenn sie nicht selbst mitgespielt haben, wissen, daß Monsieur Andrews sowohl auf dem Flugbesen als auch vor dem Schachbrett großartige Leistungen gezeigt hat."
Nach der offiziellen Vorstellung wies Virginie noch auf das Buffet hin, das sich entlang der Ostseite des Tischrechtecks erstreckte.
"Wer zwischendurch Hunger oder Durst hat oder jemandem etwas zu essen oder zu trinken beschaffen möchte, möchte bitte dieses Buffet aufsuchen. Aus Organisationsgründen ist es wichtig, daß die Leute, die essen oder trinken möchten, sich auf der Seite bedienen, auf der sie selbst sitzen. In wenigen Minuten, wenn die vom Festkommitee abgestellten Empfangspersonen erklärt haben werden, daß alle angekündigten Gäste erschienen sind, wird die Kommiteevorsitzende ein kurzes Wort an uns richten. Danach geht es zum ersten Tanz, welcher von den Tischsprechern mit von diesen auserwählten Partnern eröffnet wird. An diesem Eröffnungstanz müssen nicht alle teilnehmen. Aber es wäre für unsere Festgemeinschaft sehr aufmunternd, wenn möglichst viele Paare an diesem Tanz teilnehmen. Wer sich setzen möchte, kommt an diesen Tisch zurück. Ich stehe als Tischsprecherin jedem oder jeder zur Verfügung, wenn etwas geklärt werden muß, daß nicht vorhergesehen wurde. Das war es dann von meiner Seite."
Julius beugte sich kurz zu Virginie und flüsterte, wo denn die Toiletten untergebracht seien. Virginie deutete wie beiläufig auf die Büsche außerhalb der erleuchteten Feststätte.
"Es sind Kabinen dahinter aufgebaut worden, für Herren grün, für Damen weiß. Du mußt allerdings auf fünf Meter an eine Kabine heran, um den Tarnzauber zu durchschauen."
Julius war zufrieden. Immerhin hatte man hier an alles gedacht. Eine Sekunde lang hatte er schon geglaubt, die Festgäste müßten dringende Bedürfnisse in freier Natur verrichten. Doch dann grinste er. Madame Dusoleil würde sowas bestimmt nicht dulden. Immerhin war sie für den Park zuständig.
Nach Julius' Uhr war es genau Viertel nach acht, als Madame Lumière, die Kommiteevorsitzende, auf die Bühne trat und unter einem Tusch des Orchesters eine Verbeugung vollführte. Julius sah, wie sie sich mit der Spitze ihres Zauberstabes an die Kehle tippte, etwas unhörbares murmelte und dann, wie von superstarken, rückkopplungsfreien Lautsprechern verstärkt, überall zu hören war, als sie sagte:
"Messieursdames und Mesdemoiselles! Sehr geehrte Festgäste!
Wie jedes Jahr habe ich als gewählte Vorsitzende des Festkommitees von Millemerveilles die äußerst dankbare Aufgabe, Sie alle zum jährlichen Sommerball in unserem beschaulichen Dorf willkommen zu heißen. Es freut mich, daß wiederum zahlreiche Gäste der Einladung des Festkommitees nachgekommen sind. Ich freue mich auch, daß dieses Jahr zwei Gäste von den britischen Inseln unseren Sommerball mit ihrem Besuch beehren: Mademoiselle Prudence Whitesand und Monsieur Julius Andrews." Julius sank fast auf dem Stuhl zusammen, als sein Name laut über den Tanzplatz verkündet wurde. Doch er fing sich schnell wieder. Es war ja nur logisch, daß seltene Gäste besonders hervorgehoben wurden. So lauschte er der Eröffnungsrede weiter. Madame Lumière sprach:
"Ich bedanke mich bei Madame Delamontagne für die Bereitstellung von Schreibkräften und Posteulen. Weiterhin gilt mein Dank Mademoiselle Delamontagne für ihre kreative und konstruktive Beratung in Fragen der Musikauswahl und Abfolge der Tänze, so daß jugendliche wie altehrwürdige Gäste zu gleichen Teilen auf ihre Kosten kommen. Ich spreche Madame Dusoleil meine Hochachtung für das Pflanzenarrangement und den Einsatz der Gartenarbeitskräfte unseres Dorfes aus, daß wir wieder in einer herrlich gepflegten Grünanlage unter freiem Himmel feiern können. Ihrem Mann, Monsieur Dusoleil, danke ich für die Einrichtung der Festbeleuchtung und der kulinarischen Versorgungsmöglichkeiten.
Für unsere jungen Gäste, die heute zum erstenmal den Sommerball besuchen: Ich freue mich recht herzlich, euch alle hier zu begrüßen und möchte euch kurz mitteilen, daß ihr hier zwar gewissen Verhaltensregeln unterworfen, aber nicht zu stummem Herumsitzen angehalten seid. Jeder, ob zwölf oder zweihundert Jahre alt, darf sich einen Partner seiner oder ihrer Wahl aussuchen, egal, wie groß der Altersunterschied auch sein mag. Die Aufteilung, daß Kinder und Jugendliche von den Erwachsenen getrennt sitzen, dient nur dazu, keine Langeweile unter der einen oder anderen Gruppe aufkommen zu lassen, da erfahrungsgemäß die Gespräche zwischen Kindern und Erwachsenen unterschiedlicher Natur sein können und es leicht vorkommen kann, daß sich Kinder unter Erwachsenen langweilen, oder Erwachsene unter Kindern sich berufen fühlen könnten, die Lebhaftigkeit der Kinder durch belehrende Ratschläge oder Maßregelungen zu bremsen. Dies nur zu der Aufteilung, über die unsere Gäste aus Großbritannien naturgemäß nicht ausreichend informiert gewesen sein können.
Zu den Buffets. Die Tischsprecher haben vor meiner Rede hoffentlich erläutert, wie die Handhabung der Buffets zu erfolgen hat. Daher kann ich nur hinzufügen, daß es kleine Speisen leicht zu verdauender Art gibt, sowie eine Vielfalt alkoholischer und nichtalkoholischer Getränke. An jedem der vier großen Buffets sind fünf Hauselfen darum bemüht, jedem Gast jeden erfüllbaren Wunsch unverzüglich zu erfüllen. Die prominentesten Bürger unseres Dorfes sind dafür bedankt, daß sie uns ihre wertvollen und unentbehrlichen Dienstboten für den Ball zur Verfügung gestellt haben.
Wer nachlesen möchte, wie das Programm des heutigen Abends gestaltet ist, kann eine Seite bei seinem Tischsprecher oder seiner Tischsprecherin erhalten, auf der der Laufplan des heutigen Abends dokumentiert ist. Dies ist jedoch nicht unbedingt nötig, da es zwei größere Tanzpausen gibt, um halb zehn und um elf Uhr, für jeweils zwanzig Minuten. Die Tänze werden jeweils vorher angekündigt, so daß sich alle Gäste vor dem ersten Musiktakt aufstellen können, die an dem jeweiligen Tanz teilzunehmen wünschen.
Während des Balls werden zwanzig Preisrichter an allen Ecken der Tanzfläche beobachten, welche Paare sich besonders positiv hervortun. Wie in der Ihnen allen zugegangenen Einladung verlautbart werden in den Bewertungsbereichen gemeinsames Erscheinungsbild, technisches Können und partnerschaftliche Harmonie Punkte für jedes Paar vergeben, auch wenn es nur einmal miteinander getanzt hat. Welches Paar am Ende die meisten Bewertungspunkte in jeder Bewertungskategorie erringt, gewinnt die bronzenen, silbernen und goldenen Tanzschuhe von Millemerveilles. Hierbei ist es unerheblich, ob sich rein jugendliche, Paare aus verschiedenen Altersgruppen oder nur Erwachsene darum bemühen. Die Bewertungsgrundlagen sind dieselben. Dies, so finde nicht nur ich, dürfte für jeden Gast ein willkommener Anreiz sein, sein Können zu zeigen.
Nun bleibt mir nur noch übrig, die musikalischen Künstler des heutigen Abends vorzustellen: Begrüßen Sie mit lautem Beifall bitte das europäische Festmusikorchester Melodia Magica mit Musikern aus Paris, London, Dublin, Glasgow, Neapel, Granada und dem Schwarzwald. Es wird uns allen die bekanntesten Volkstänze und Lieder aus führenden europäischen und lateinamerikanischen Kulturkreisen zu Gehör bringen und weltbekannte Werke aus Klassik und populärer Unterhaltung darbieten, zu denen ausgiebig getanzt werden darf. Die Leiterin des Orchesters, an die ich dann gleich das Wort übergeben werde, ist Doña Angelina Estrella Molinos Buensonidos aus Andalusien. Sie wird uns allen jeden Tanz eine halbe Minute vor dem Beginn eines neuen Stückes ankündigen, so daß jedes Paar, daß daran teilnehmen möchte, in Ruhe Aufstellung nehmen kann.
Nun darf ich uns allen einen vergnüglichen und beschwingten Abend wünschen. Möge uns das Wetter wieder einmal hold sein, wie es dies bisher meistens war!"
Wieder klatschten die Gäste Beifall. Madame Lumière tippte sich mit ihrem Zauberstab an den Kehlkopf, murmelte erneut etwas und nickte dann der südländisch aussehenden Hexe in einem rubinroten Samtumhang zu, die einen Stock nahm, von dem Julius erst richtig wußte, daß es ein Zauberstab und kein gewöhnlicher Taktstock war, als sie damit an ihren Kehlkopf tippte und offenbar denselben Zauber ausübte, den Madame Lumière vorgeführt hatte. Denn Unvermittelt hallte ihre magisch verstärkte Stimme über den Festplatz:
"Hochverehrte Festgäste! Vielen Dank, daß Sie mein Orchester und mich durch Ihre Anwesenheit und Ihren Applaus so herzlich empfangen haben. Ich verspreche Ihnen im Gegenzug, daß wir unser bestes geben werden, Sie alle an diesem herrlichen Sommerabend zu unterhalten. Zur eröffnung spielen wir einen Musettewalzer aus dem Jahre 1901 auf."
Julius fühlte, wie die Spannung in ihm anstieg, als würde jemand ihn langsam unter immer stärkeren Strom setzen. Es kribbelte ihm in den Beinen, und prickelte seinen Rücken hinauf bis in seinen Kopf, wo sich mehr und mehr das Gefühl von merkwürdiger Vorfreude breitmachte. Er sah zu den Mädchen an seinem Tisch, wobei sein Blick den Claires traf, die ihn anstrahlte, als gelte es, ihm eine Riesenüberraschung zu bereiten. Dann sah er Virginie, die Tischsprecherin, die wohl kurz die Runde der Mädchen und Jungen an dem ihr unterstellten Tisch gemustert hatte. Sie sah Julius an, legte ihm unvermittelt die rechte hand auf die linke Schulter und fragte:
"Monsieur, erweisen Sie mir die Ehre, mit mir den Ball zu eröffnen?"
"J-ja, sehr gerne", brach es aus Julius heraus und er erhob sich. Julius vermeinte, ein leicht verärgertes Knurren von Claire Dusoleil zu hören. Doch offenbar mußte sie sich damit abfinden, daß die Tischsprecherin das Vorrecht hatte, sich einen Partner zu erwählen.
Julius wagte es nicht, Claire noch mal anzusehen. Warum bloß kam es ihm so vor, als müsse er sich rechtfertigen, wenn sie ihn mit einem bösen Blick ansehen würde? Auf jeden Fall hatte ihn jemand zum Tanz aufgefordert. Da er auch schon mit Virginie getanzt hatte, fühlte er sich nicht mehr so aufgeladen wie gerade eben noch. Denn Virginie kannte ihn, und er kannte sie. Vielleicht wollte sie deshalb zuerst mit ihm tanzen.
Die Musik begann, und Julius fielen sofort die Schritte wieder ein, die Claire ihm für diese Art von Walzer gezeigt hatte. So drehte sich der Junge im weinroten Festumhang mit dem drei Jahre älteren Mädchen im silberweißen Ballkleid und dem silbernen Haar-, Hals- und Armschmuck, als hätten sie schon häufiger zu diesen Rhythmen getanzt. Julius, der eigentlich führte, merkte jedoch bald, daß Virginie ihn beharrlich zur Mitte der Tanzfläche hinbugsierte, ohne daß es auffiel, daß sie die Grundrichtung vorgab. In der Mitte der Tanzfläche erblickte Julius das Ehepaar Dusoleil, das sich hundertprozentig aufeinander eingespielt hatte, so harmonisch und fließend war sein Tanz. Daneben erkannte er noch zwei Halbwüchsige, ein Mädchen im hellgrünen Kleid und einen Jungen in marineblauem Umhang, die offenbar zuviel überschüssige Kraft besaßen, weil sie mehr sprangen als schritten. Dann sah Julius noch eine Hexe, die in einen hellgelben, mit goldenen Verzierungen an Kragen und Säumen mit einem Zauberer in einem schwarzen Samtumhang tanzte. Julius sah den goldenen Haarreif, die zwei panzergliederigen Goldketten und die ebenfalls goldenen Armreifen und bestaunte die dottergelben Tanzschuhe der Hexe. Das fließende Ballkleid hüllte die füllige Gestalt spielerisch ein, ohne eng oder übermäßig weit zu wirken. Überhaupt konnte diese Hexe trotz einer beachtlichen Leibesfülle erstaunlich geschmeidig tanzen und sich von dem Zauberer im schwarzen Umhang federleicht führen lassen. Julius wußte, als er das unter dem goldenen Haarreif zu zarten Locken gedrehte Haar sah, daß es Virginies Mutter war, Madame Eleonore Delamontagne, die Dorfrätin. Ihr Gesicht strahlte dieselbe Begeisterung aus, die sie empfunden hatte, nachdem sie sich kurz über ihre Niederlage gegen Julius beim Schachturnier geärgert hatte.
"Hallo, wo guckst du hin?" Zischte Virginie ihrem Tanzpartner zu und warf sich verspielt in seinen linken Arm.
"Oh, entschuldigung. Das war natürlich unhöflich, andere anzuglotzen, wenn ich eine ansehnliche Tanzpartnerin habe", gab Julius zurück und fühlte, daß er leicht errötete. Virginie bedachte diese Regung mit einem beschwichtigendem Lächeln und sagte:
"Natürlich mußtest du meine Mutter ansehen. Dafür hat sie sich ja extra so fein zurechtgemacht."
"Ich weiß nicht, ob ich da nicht jetzt gegen die Verhaltensgrundsätze verstoße, aber deine Mutter und du wirkt auf mich, als hättet ihr euch dazu entschlossen, als Sonne und Mond aufzutreten, wobei du wohl die Mondkarte gezogen hast."
"Die was? - Achso. Nein, du verstößt nicht gegen eine Verhaltensregel. Ich freue mich sogar, daß du das sofort bemerkt hast. Andere würden sagen, meine Mutter plustert sich auf und will zeigen, was sie hat. Aber wir haben uns tatsächlich darauf verständigt, wie Sonne und Mond aufzutreten. Warum sollte mir das keinen Spaß machen, den Mond zu geben. Immerhin ist der bei uns Franzosen ja weiblich. Er sieht alles das, was die Sonne nicht zu sehen bekommt, weil sich bei Tage nicht jeder traut, Dinge zu tun, die im Schutze der Nacht anscheinend verborgen bleiben."
"Na ja, ich dachte eher daran, daß du die untergeordnete Rolle spielst. Der Mond scheint wider, was die Sonne an Licht zu ihm schickt. Aber ich werde unromantisch astronomisch und dazu noch taktlos. Ich muß mich ja noch bedanken, daß du mich aufgefordert hast."
"Das tust du gerade, indem du diesen Tanz zu einem gelungenen Auftakt dieses Abends machst. Was die Romantik angeht, so mußt du mit zwölf Jahren noch nicht versuchen, einer Frau romantisch zu imponieren. Das findet sich viel schneller als du dir vorstellst. Das mußt du nicht mit aller Kraft vorantreiben", sagte Virginie altklug. Julius erwiderte darauf:
"Wer nicht übt, kommt irgendwann in die Situation, daß er oder sie zeigen muß, was er oder sie kann, weil es alle auf einmal erwarten."
"Wie tanzen zum Beispiel", bemerkte Virginie dazu.
"Richtig. Ich wäre wohl kaum hier, wenn ich das nicht vor Jahren schon angefangen hätte, wo ich bestimmt noch nicht daran glaubte, daß ich das wirklich mal brauchen könnte."
"Ja, und deshalb genießen wir es, Julius!" Antwortete Virginie Delamontagne und warf sich Julius so sehr in die Arme, daß er eine schnelle Schrittfolge ausführen mußte, um nicht auf die Tanzfläche zu fallen. Dabei brachte er das Kunststück fertig, genau zu einem schnell gespielten Akordeonlauf zu schreiten. Danach tanzten die beiden wortlos weiter. Als das Stück beendet wurde, klatschten alle Beifall. Julius drehte sich kurz um, um die Lage zu überschauen und sah Claire, die mit dem total verkrampft wirkenden Jacques Lumière die Tanzfläche verließ. Er vermutete, daß der Junge sich immer wieder für irgendwas entschuldigte, weil er leicht verlegen aussah und so wirkte, als müsse er jeden Moment von Claire zurückspringen, falls diese ihn schlagen wollte.
"Der nächste Tanz ist ein Foxtrott, den der große Musikzauberer Arion Goldstring 1931 komponiert und aufgeführt hat", verkündete die Dirigentin mit magisch verstärkter Stimme. "Tanzwillige Herren werden gebeten, sich eine Partnerin zu suchen!"
Julius sah, wie Jacques wie von einem Trampolin hochgeschnellt von Claire forthüpfte und schnell zu dem Buffet rannte, das auf der Ostseite stand.
"Wenn du jemanden auffordern möchtest, triff deine Wahl, Julius!" Sagte Madame Delamontagne, die unbemerkt von Julius in dessen Nähe getreten war.
"Hmm, ja, natürlich", sagte Julius verlegen und peilte nach einem rotgoldenen Schimmer in der Nähe des Tisches, an dem sie gesessen hatten.
"Vielen Dank für den Eröffnungstanz, Mademoiselle Delamontagne", Sprudelte es noch mal aus Julius heraus, während er schon auf dem Weg zum Tisch war. Unterwegs mußte er vielen sich aufstellenden Paaren ausweichen oder zwischen ihnen hindurchschlüpfen. Dann hatte er Claire Dusoleil erreicht. Er verdrängte jeden Gedanken daran, daß er sich vielleicht erst einmal bei ihr entschuldigen müßte, weil er den Eröffnungstanz mit Virginie getanzt hatte und fragte:
"Entschuldigen Sie, Mademoiselle! Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?"
"Aber gewiß doch", lächelte Claire Julius an. Sie stand auf und ging bei Julius eingehakt auf die Tanzfläche.
Kaum hatten die beiden Kinder die Grundstellung für den Foxtrott eingenommen, begann die Musik auch schon mit beschwingtem Tempo und wilden Streichern und Blechblasinstrumenten.
Die ersten zwei Minuten des Stückes sagte keiner ein Wort. Niemand wollte des anderen Stimmung verderben. Julius ließ sich durch Claires Hingabe an den Rhythmus dazu hinreißen, sie in wilden aber kontrollierten Figuren zu führen. Dabei erhaschte Julius einen Blick auf Virginie, die von einem Jungzauberer in violettem Umhang geführt wurde. Er sah die Dusoleils, die ebenfalls mit hoher Energie den Tanz bestritten. Überhaupt waren jetzt erstens weniger und zweitens nur jüngere Paare auf der Tanzfläche. Julius nahm schmunzelnd zur Kenntnis, daß alle so tanzten wie er mit Claire. Die Damen waren für die Anmut zuständig, während die Herren für Tempo und Elan zuständig waren. Und dann war der Tanz auch schon vorbei.
"Wau! Ohne hinzusehen hast du mir nicht einmal auf die Füße getreten", stellte Claire fest und schüttelte kurz ihre Beine aus.
"Das kann ich nur zurückgeben", sagte Julius schüchtern. Dann fragte er:
"Und, habt ihr Denise gut unterbringen können?"
"Ja, haben wir. Sie schläft diese Nacht bei einer Freundin von Maman, die drei kleine Kinder hat, alles Jungs."
"Oh-oh, die armen Jungs", erwiderte Julius mit gespielter Anteilnahme. Claire lachte kurz und fragte:
"Hat Maman dir gesagt, daß du mich auffordern sollst? Ich glaube nicht, daß Virginie dich so einfach hat gehen lassen."
"Nein, niemand hat mich dazu überredet. Ich habe nur gesehen, wie dein Tanzpartner vor dir geflüchtet ist. Deshalb bin ich zu dir gekommen, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich wie ein guter Verlierer zu fühlen und nicht in Schuldgefühlen ertrinken muß."
"Du englischer Spitzbube! Jacques wollte nicht tanzen. Die anderen am Tisch haben sich schnell formiert, als du mit Virginie davongeschritten bist. Er blieb übrig. Ich wollte nicht auf den Eröffnungstanz verzichten und habe ihn dann auf die Tanzfläche geholt. Er hat sich sehr gut geschlagen, um mir zu zeigen, daß er keine Lust hat, ohne es zu sagen. Ich habe ihm eingeschärft, daß er hier ist, um zu tanzen. Wer nicht einmal die Beine bewegt hat, kriegt hier nichts zu essen oder zu trinken, habe ich ihm gesagt. Sei es drum. Dafür war der Foxtrott ..."
"Zum Wiener Walzer rechts herum bitte Aufstellen, hochverehrte Festgäste! Damen suchen sich unter den Herren Ihre Tanzpartner."
"Dann bleibst du jetzt hier", bestimmte Claire Dusoleil ohne die üblichen Höflichkeitsfloskeln zu beachten.
"Hier stehen?" Fragte Julius gehässig grinsend.
"Der Abend ist noch schön lang. Wir gehen in die Mitte. Beim Wiener Walzer kann man so schön herumschauen, wer alles tanzt", bestimmte Claire weiter und zupfte Julius an seinem Umhang, bis dieser hinter ihr hertrottete, bis zur Mitte der Tanzfläche. Diesmal liefen wieder mehr Paare auf das Parkett, und Julius sah, daß auch viele ältere Hexen und Zauberer Aufstellung nahmen. Er sah Madame Faucon in ihrem königsblauen Ballkleid, wie sie sich mit Monsieur Castello in seinem scharlachroten Umhang zusammenstellte. Dann waren die Dusoleils noch auf der Tanzfläche, auch Mademoiselle Uranie Dusoleil, die einen Zauberer um die Vierzig erwählt hatte. Madame und Monsieur Delamontagne standen in der Nähe der Tanzbodenmitte. Virginie stand keine zwei Meter von ihrer Mutter entfernt, einen dreizehnjährigen Zauberschüler in die Ausgangsstellung bringend.
Zu den Klängen eines Walzers, den Julius einmal als einen von Vielen Straus-Walzer beschrieben bekommen hatte, drehten sich die Tanzpaare. Julius dachte an seine Eltern, die sich damals gestritten hatten, weil der Tanzkurs so teuer war. Was machten die jetzt im Moment? Nein! Julius wollte jetzt nicht davon abgelenkt werden, diesen Abend zu genießen. Wenn er schon hier war, dann mit allen Sinnen.
Julius wußte, daß bei diesem Tanz die Herren führten, doch irgendwie meinte er zu sehen, daß Madame Faucon und Madame Dusoleil bei jeder Drehung näher zu Claire und Julius herantanzten. Dann kam auch noch das Ehepaar Delamontagne auf die Idee, sich zur Tanzflächenmitte hinzubewegen, mehr oder weniger gefolgt von Virginie und ihrem Tanzpartner. Dann sah Julius noch ein Paar, bestehend aus einer Hexe in einem azurblauen, fließenden Festumhang mit silbernen Bändern im braunen Haar und einem Jungzauberer in einem dunkelbeigen Umhang. Julius kannte die Hexe im blauen Umhang. Es war Prudence Whitesand.
"Jetzt wird es aber langsam eng", flüsterte Julius Claire zu. Diese nickte im Takt der Musik und erwiederte:
"Die sind alle auf die gleiche Idee gekommen wie ich. Die wollen sehen, wer hier alles mittanzt."
Beinahe, so vermutete Julius, hätten die sich immer näher zueinander drängenden Paare keinen Platz für vernünftige Tanzfiguren gehabt. Doch gerade in dem Moment, als eine weitere Drehung zu einer Berührung mit einem anderen Tänzer geführt hätte, klang das Stück aus. Nun standen sie alle in der Mitte, die Julius kannte, nebst ihren Tanzpartnern.
"Ich weiß ja nicht, ob deine Eltern dafür bezahlt haben, daß du tanzen lernst, Julius. Aber wenn ja, dann war es das wert", sagte Madame Dusoleil leise zu Julius, der das Gesicht in den Händen verbarg, bis die Verlegenheitsröte verflogen war.
"Heh, das war ein Kompliment, kein Vorwurf", zischte Claire Julius zu. Julius sah erst sie an, dann ihre Mutter und sagte:
"Aber bei solchen Geldanlagen weiß ja nie jemand, was hinten herauskommt. Aber Sie schätzen das wohl sehr, zu tanzen, Madame Dusoleil."
"Das sollte dir mittlerweile bekannt sein", grinste Madame Dusoleil.
Madame Faucon löste sich von Monsieur Castello und kam zu Julius herüber.
"Wunderbar! Ich wußte nicht, daß der Wiener Walzer bei der Jugend noch so beliebt ist. Darf ich gemäß den hier gültigen Regeln anfragen, Monsieur Andrews, ob Sie mir gestatten einen weiteren Wiener Walzer mit Ihnen zu tanzen?"
Julius sah Claire an, die wohl mit sich rang, ob sie sich einmal gegen ihre Lieblingslehrerin auflehnen oder unverrichteter Dinge das Feld räumen sollte. Sie sagte jedoch nichts. Julius, der wußte, daß er ja nicht mit ein und derselben Partnerin jeden Tanz tanzen mußte, sagte bereitwillig:
"Sehr gerne, Madame Faucon. Ich fürchte nur, der nächste Walzer dürfte links herum gehen. Falls Ihnen das nichts ausmacht, stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung."
"Ich bin erfreut", erwiderte die Verwandlungslehrerin von Beauxbatons und kehrte zu Monsieur Castello zurück.
Der nächste Tanz war eine Samba. Da wieder Herrenwahl angesagt worden war, fragte Julius Claire, ob sie mit ihm tanzen wolle. Sie sagte unverzüglich zu. Auch die Dusoleils und Virginie mit ihrem Tanzpartner blieben auf der Tanzfläche. Ebenso machten sich Prudence und ihr Tanzpartner fertig, den kraftvollen und wilden südamerikanischen Tanz zu bestreiten.
Als das Orchester loslegte steigerten sich die wenigen Paare, die auf der Tanzfläche waren, regelrecht in das Feuer dieses Tanzes hinein und wirbelten herum, wobei Claire und Julius es schafften, ohne unerwünschte Kollision oder sich verheddernde Beine zu tanzen. Julius sah Prudences Zöpfe fliegen, wie anlaufende Rotoren eines Hubschraubers. Die Dusoleils ließen es zwar etwas ruhiger angehen, dafür aber mit einer hundertfach abgestimmten Partnerharmonie. Die Trommeln, Rasseln und Trillerpfeifen, die Blechbläser und das Klavier, diktierten den Paaren den Rhythmus. Mehr als fünf Minuten lang ging das wilde Treiben auf der Tanzfläche, das darin gipfelte, daß die Musiker immer und immer schneller spielten und dann, mit einem lauten Trommelschlag, aufhörten.
"Hui! Jetzt bin ich auf Betriebswärme", stieß Julius zwischen zwei schnellen Atemzügen hervor. Claire, die vom wilden Tanz ein leicht rötliches Gesicht bekommen hatte, winkte ihrer Mutter. Diese winkte zurück und kam.
"Das gibt es nicht. Julius hat das ohne einen einzigen Schweißtropfen gebracht, Maman. Wenn ich bedenke, daß Marc aus meinem Tanzkurs keine zwei Minuten durchhält, ohne davonzurennen, weil er sich zu sehr verausgabt hat, hat Julius eine tolle Ausdauer."
"Ich fliege eben nicht nur, sondern laufe auch viel und schwimme gerne, um mich so gut zu halten", sagte Julius.
"Ja, Claire, so schafft man sich gute Voraussetzungen für die Zukunft."
Madame Dusoleil und Claire unterhielten sich weiter, während die Orchesterchefin den nächsten Tanz ankündigte und dabei betonte, daß nun wieder die Damen ihren Partner wählen dürften. Claire, die sich mit ihrer Mutter gerade über die Teilnehmer am Tanzkurs von Beauxbatons unterhielt, bekam nicht mit, wie Madame Delamontagne in ihrem sonnengelben Gewand heranschwebte, unbegleitet, was Julius schwanen ließ, was sie hier wollte.
"Darf ich bitten, Monsieur Andrews?" Fragte die Dorfrätin von Millemerveilles. Julius schluckte hörbar. Dann sah er kurz auf Claire Dusoleil, die jetzt erst begriff, was geschah und wieder nichts dagegen unternehmen konnte.
"Ja, Madame. Ich hoffe, mich dieser Ehrung als würdig zu erweisen", erwiderte Julius geziert.
Der Tanz begann, ein ruhiges Stück, zu dem nicht viel Kraft aufgewandt werden mußte. Hier konnte er auf korrekte Schrittfolgen achten und seine viel größere, viel schwerere Tanzpartnerin sanft führen.
"Gefällt dir der Abend bis jetzt, Julius?" Erkundigte sich Madame Delamontagne. Julius erwiderte, daß er sich bis jetzt gut amüsiere und bestimmt nicht bereute, daß er hierhergekommen war. Dann sagte die Dorfrätin:
"Ich hörte von Virginie, daß du unsere Aufmachung durchschaut hast. Sie meinte, dir sei das peinlich gewesen."
"Gewissermaßen, Madame. Ich weiß nicht, was Virginie über diesen Beitrag von mir erzählt hat, aber im Nachhinein denke ich, daß ich das besser nicht gesagt hätte."
"Daß meine Tochter in meinem Schein widerstrahlt? Sie nimmt das mit Humor. Immerhin ist es ja dorfbekannt, welche Funktion ich ausübe. Dieser Glanz, wenn wir das mal so nennen wollen, strahlt natürlich auf meine Familie. Aber es ist allemal schöner, wenn jemand vom Licht eines Anderen etwas zurückgeben kann, als wenn er in einem langen Schatten steht, wie es sonst heißt. Kannst du damit besser leben?"
"Sicher", erwiderte Julius und rang sich ein Lächeln ab.
Nach dem Tanz bedankte sich Julius, wie es die Sitten vorsahen, die ihm Madame Faucon erklärt hatte, mit einem flüchtigen Handkuß bei der Dorfrätin in goldener und gelber Aufmachung.
Als der nächste Tanz, ein Tango, ausgerufen wurde, suchte Julius Claire. Diese stand mit ihrem Vater auf der Tanzfläche und wirkte so, als habe sie keine Lust, sich von ihm zu trennen. Julius wollte schon zu seinem Tisch zurückkehren, als Madame Dusoleil auf ihn zueilte.
"Claire ist etwas verstimmt, weil Madame Delamontagne dich ihr weggeschnappt hat. Sie hat mir daraufhin meinen Mann weggenommen. Gerade für den Tango hätte ich gerne jemanden gehabt."
"Ich weiß nicht, ob ich da der richtige bin. Sie sind doch größer als ich."
"Das hat Madame Delamontagne offenbar nicht gestört, warum also mich?" Erwiderte Madame Dusoleil. Julius hatte schon lust, einen Tango zu tanzen. Doch ihm war die Vorstellung unheimlich, die er abgeben mußte, wenn er mit Madame Dusoleil tanzte. Dennoch sagte er zu und genoß die nächsten fünf Minuten, denn Madame Dusoleil wußte ihren Größenunterschied zu Julius gut durch geschickte Bewegungen auszugleichen.
"Haben Sie den langsamen Tanz auch getanzt, oder sind Sie erst einmal von der Tanzfläche herunter?" Wollte Julius wissen.
"Ich habe mir den jungen Herren geholt, der bei dir und Claire am Tisch sitzt und versucht, sich unsichtbar zu machen. Seine Mutter ist nicht gerade begeistert, daß er sich anstellt, als müsse er durch einen Feuerreifen springen. Hast du eigentlich schon was getrunken? Diese wilde Samba, die ihr beiden eben getanzt habt, zieht Flüssigkeit aus dem Körper."
"Ich fühle mich noch ziemlich gut", sagte Julius und unterstrich diese Bemerkung, indem er an der dafür vorgesehenen Stelle das rechte Bein so hoch warf, daß er seiner Partnerin fast unter den Umhang geraten wäre, wenn sie nicht leicht wie eine Feder zurückgewichen wäre.
"In der Muggelwelt gibt es Tänze, die sind noch wilder als Samba oder Tango. Ist das richtig?"
"Rock'n Roll meinen Sie, Madame. Ja, den haben wir auch gelernt. Aber hier dürfte der nicht angesagt sein. Außerdem würde ich mich total verraten, wenn ich vor allen Leuten Muggeltänze zeige", erwiderte Julius leise.
"Recht hast du", erwiderte Madame Dusoleil.
Als die Musik mit einem letzten Ton des Akordeons stoppte, bedankte sich Julius auch bei Madame Dusoleil mit einem flüchtigen Handkuß und sah sich um. Claire stand am Rande der Tanzfläche, neben Monsieur Dusoleil und winkte Julius zu.
Die nächsten vier Tänze, zwei schnelle und zwei langsame in Folge, verbrachten Claire und Julius zusammen auf der Tanzfläche. Dann fragte Prudence Claire, ob sie sich Julius für eine Rumba ausleihen durfte, was Claire nach kurzer Überlegung gestattete.
"Ohne jetzt unverschämt zu werden, Julius: Während des langsamen Tanzes unterhielten sich die beiden über den bisherigen Verlauf des Balls und die ganze Organisation, die dahintersteckte. Prudence informierte Julius darüber, was ihr Virginie von ihrer Arbeit im Kommitee erzählt hatte.
"Virginie wollte eine Hitparade anleihern, in der die Jugendlichen, also wir, ihre Lieblingstänze vom Orchester gespielt bekämen. Aber die älteren Damen und Herren wollten doch eher eine beschauliche, durchgeplante Veranstaltung. Aber sie hat immerhin durchgedrückt, daß eine Viertelstunde lang nur die derzeitigen Modetänze drankommen."
"Das wird dann wohl die Viertelstunde sein, in der ich eine taktische Auszeit nehme, Prudence", erwiderte Julius.
"Wieso? Die Tänze sind alle Abwandlungen von dem, was du bisher gezeigt hast. Nichts, was man nicht in einer halben Minute erlernen könnte. Außerdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß du im Moment zumindest gut verplant bist. Virginie möchte mit dir nachher noch mal auf die Tanzfläche. Dann möchte deine Gastmutter mit dir tanzen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Das hast du nun davon, daß du die Einladung angenommen hast."
"Bis jetzt ist das, was ich davon habe, absolut toll, Prudence. Ich habe Bewegung, sehe schöne Mädchen und Frauen und kriege für umsonst was zu essen. Wo wir schon dabei sind: Wo hat man dich eigentlich hingesetzt?"
"Ich sitze auch an der Ostseite, aber zehn Tische weiter von dir weg. Die ausländischen Gäste sollten nicht auf einem Haufen hängen, meinte Virginie. So habe ich für jeden Tanz den passenden Partner, obwohl die Konkurrenz nicht schlecht ist. Ich wundere mich, daß du dich schon derartig orientierst."
"Soll ich sagen, du und die anderen Damen sind alle aufgedonnert und überbehangen? Damit würde ich den meisten hier wohl ziemlich heftig an den Karren fahren."
"Bitte was? Kannst du das mal auf englisch sagen, auch wenn hier nur französisches Sprachgut gepflegt wird."
Julius wiederholte seinen Ausspruch sinngemäß und erntete ein Lachen.
"Ich verstehe es immer noch nicht. Muß aus der Muggelwelt stammen."
"Für Zauberer hieße das, jemandem mit dem Besenstiel durch seinen Besenschweif zu brechen."
"Dann stimmt deine Einschätzung. Außerdem läuft hier nur eine rum, die überbehangen ist ..."
"Prudence, du möchtest doch noch einige Tage länger bei uns bleiben, oder?" Fragte Virginie, die sich mit ihrem Partner langsam an Prudence und Julius herangetanzt hatte.
"Darf ich das denn noch, oder bin ich jetzt schon wegen groben Undanks vor die Tür gesetzt worden?" Fragte Prudence, die sich erstaunlich schnell gefangen hatte, während Julius noch schreckensbleich dastand, als habe er angedeutet, daß Madame Delamontagne zu übertrieben geschmückt sei.
"Nein, natürlich nicht. Oder denkst du, Maman oder Papa gingen mit mir zum Hecate-Leviata-Konzert?"
"Virginie!" Lamentierte Virginies Tanzpartner, ein vierzehnjähriger Jungzauberer, als Virginie ihm aus lauter Unaufmerksamkeit ein Bein gestellt hatte.
"Oh-oh, Mademoiselle Delamontagne. Dafür ziehen Ihnen die Preisrichter alle bisher errungenen Punkte wieder ab", feichste Julius.
"Nur nicht den guten Ton verlieren!" Warnte Virginie den Hogwarts-Schüler und entschuldigte sich bei ihrem Tanzpartner.
"Das hast du uns gar nicht erzählt, Virginie, wie das mit der Trophäe ist. Muß das Siegerpaar im nächsten Jahr wiederkommen und den Preis verteidigen, oder ist das nicht nötig? Ich meine, jetzt hast du uns beide auf einem Haufen zusammen, um uns zu informieren", nahm Prudence den Ball auf, den Julius gespielt hatte.
"Nein, Prudence! Bei aller Freundschaft nicht. Wenn ich das jetzt erzähle, beeinflußt das den ganzen restlichen abend. Wenn ich sage: Wer den Preis hat, muß wiederkommen, könnte es dir oder Julius einfallen absichtlich schlecht zu tanzen, damit ihr nächstes Jahr nicht mehr herkommen müßt. Wenn ich jetzt behaupten würde, daß der Preis nicht verteidigt werden muß, würdet ihr denken, daß dieser Ball ein belangloser Wettbewerb sei, den man nicht gewinnen muß. Dann würdet ihr auch schlechter tanzen. Ich bin im Festkommitee und müßte mir nachher anhören, welchen hölzernen Ausschuß ich da zum Sommerball eingeladen hätte. So nicht, Mademoiselle und Monsieur. Wenn einer von euch gewinnen will, dann mit Anstand und Leistung. Was danach kommt, wird sich zeigen."
Julius hörte die beiden Mädchen kichern, während er fast wie ein Roboter tanzte. Er hatte zwar überlegt, ob er sich für einen der drei Preise anstrengen sollte. Doch was danach passierte, hatte er nicht überlegt. Doch Virginie, so stellte er fest, hatte recht. Die ganze Überraschung wäre weg, wenn sie ausplauderte, was mit den Preisträgern passierte.
Als die Rumba vorbei war, pflückte Virginie Julius aus den Händen von Prudence Whitesand.
"Den Cha-Cha-Cha tanzt du doch noch mit mir, als Buße für die Unverschämtheit von eben."
"Virginie. Nichts gegen dein Ehrverständnis. Aber ich habe diesen jungen Herren nur geborgt und muß ihn zurückerstatten. Ich weiß nicht, wie weit Zweitklässler bei euch schon Fernflüche können und möchte es nicht darauf anlegen", wandte Prudence ein.
"Ich glaube es bald, Prudence. Ich habe bei der Dame, die dir diesen jungen Herren freundlicherweise ausgeliehen hat, schon meinen schlechten Einstand gegeben. Da kommt es auf eine Unverschämtheit mehr oder weniger auch nicht an."
"Ich fühle mich nicht schuldig und habe daher nichts zu büßen", grinste Julius. Dann drehte er sich um und wollte von der Tanzfläche heruntergehen, weil er das blödsinnig fand, daß sich zwei ältere Mädchen um ihn auch nur im Spiel kabbelten. Als der nächste Tanz, eben ein Cha-Cha-Cha, angekündigt wurde, hieß es, Herren möchten sich Partnerinnen suchen. Julius grinste. Offenbar hatte Virginie das Programm nicht richtig auswendig gelernt.
Als Julius nach Claire suchte, fand er sie neben Madame Faucon stehen, ein Glas in der Hand haltend. Die Beauxbatons-Lehrerin fing Julius' umherschweifenden Blick mit ihren saphirblauen Augen ein und winkte Julius sehr energisch zu sich.
"Ausdauer ist was herrliches, Julius. Aber im Rahmen der Verantwortung, die ich für dich habe, muß ich darauf bestehen, daß du vor dem nächsten Tanz etwas trinkst. Solche schnellen und wilden Tänze zehren den Körper aus."
"Es ist doch bald Pause, dann kann ich ..."
Der strenge Blick der Lehrerin traf Julius wie ein Speerstich in die Augen. Er verzichtete auf den Rest des Satzes und nickte.
"Dann gehe ich eben zum Buffet und hole mir da was", sagte Julius. Doch Madame Faucon hielt bereits ein volles Glas mit einer grünen, aber durchsichtigen Flüssigkeit in der Hand und hielt es Julius unter die Nase. Der schnupperte und sog den Duft von irgendwelchen wilden Früchten in seine Nasenflügel. Dann sagte er "Danke, Madame" und nahm ihr das Glas aus der Hand.
"Nicht zzu schnell trinken. Der nächste Tanz wird sowieso schon getanzt."
Julius nippte Schlückchen für Schlückchen von der Flüssigkeit. Er fragte ob das ein Zaubertrank sei und wurde mit einem bedauernden Blick seiner Gastmutter bedacht.
"Ich wundere mich langsam, daß du die letzten Tage so gut bei mir ausgehalten hast. Es ist kein Zaubertrank. Das ist nur ein Gemisch aus wilden Waldbeeren mit etwas Zitronensaft."
Julius trank bedächtig das Glas leer und reichte es Madame Faucon zurück. Dann entschuldigte er sich noch mal dafür, daß er sich gegen sie aufgelehnt hatte, was sie wohlwollend zur Kenntnis nahm und ging.
"Maman hat recht. Du würdest es schnell lernen, vernünftig zu bleiben, wenn Unvernunft direkt bestraft wird", grinste Claire.
"Ich muß mit eurer Professorin noch ein paar Tage ggut auskommen. Insofern hast du recht, beziehungsweise deine Maman. Die hat mich ja auch schon gefragt, ob ich mir was zu trinken holen wollte. Das ist ja echt heftig, wie schnell Leute um einen herum sind, die dir sanft oder streng zeigen wollen, wo du langlaufen mußt. Erinnert mich irgendwie an Zuhause", dachte Julius leise.
Der Tanz ging zu Ende. Julius verbrachte die nächsten Tänze wider mit Claire auf der Tanzfläche, dann wurde die erste große Pause gemacht.
Am Ostseitenbuffet trafen sich Virginie, Claire, Prudence, Julius und Jacques Lumière.
"Das war nicht fair, mich auf der Tanzfläche stehen zu lassen, Monsieur Andrews", lamentierte Virginie mit leicht gekränktem Unterton. Julius sah schnell zum Buffet an der südlichen Seite hinüber, wo Madame Delamontagne im Licht der aufgehängten Laternen und der vielen hundert Kerzen neben Madame Faucon stand.
"Madame Faucon gebot mir Einhalt, Mademoiselle Delamontagne", erwiderte der Hogwarts-Schüler ruhig. Dann wandte er sich den fünf kleinen Wesen hinter dem Buffet zu, die auf Befehl Getränke oder kalte und warme Speisen herbeischafften. Eines der kleinen Wesen tauchte mit einem leisen Knall vor Julius und Virginie auf und verbeugte sich. Es war Gigie, die Hauselfe der Delamontagnes.
"Womit darf ich Ihnen dienlich sein, Mesdemoiselles und Messieurs?"
"eine Ladung von diesen kleinen Frikadellen mit Maisbrot und ein großes Glas Mineralwasser!" Orderte Virginie. Julius sah kurz auf die Karte, was alles im Angebot war und bestellte einen Teller mit gebackenen Bananen in Honig und zwei große Baguettes mit Käse und Salami. Zu trinken nahm er einen großen Becher gemischten Waldbeerensafts mit einem Spritzer Zitronensaft. Claire empfahl Julius noch die Crèpes, dünne Pfannkuchen, bestrichen mit Ahornsirup. Als Julius alles von ihm bestellte auf einem silbernen Tablett vor sich stehen hatte, sagte er:
"Vielen Dank, Gigie!"
Die Hauselfe schrak zurück und vergrub ihr Gesichtchen, das von einer Sekunde zur anderen purpurrot angelaufen war, in ihren kleinen Händen. Virginie stubste Julius sanft an, ebenso Claire. Wortlos bugsierten sie ihre Tabletts zu ihrem Tisch hinüber, wo Jacques Lumière sich hinter einem Berg Würstchen und Maisbrot versteckte. Die übrigen Tischnachbarn ließen sich mit ihren Speisen und Getränken nieder, während ein Hauself mit einem schweren Leuchter brennender Kerzen apparierte. Das kleine Wesen stellte den Leuchter in die Tischmitte, so daß alle daran sitzenden Gäste genug Licht zum essen und trinken hatten und disapparierte mit leisem Plopp.
Julius stürzte sich so heftig auf sein Essen, daß Virginie und Claire sich nicht trauten, ihn anzusprechen. Als die Hälfte der Pause vorüber war, sog Julius seinen Waldbeerentrunk gierig ein. Erst als Becher und Teller geleert waren, wandte er sich an Virginie und flüsterte:
"Darf ich fragen, was ich eben verkehrt gemacht habe?"
"Du glaubst, du hättest etwas falsches gesagt? Nicht direkt. Hauselfen sind es nur nicht gewohnt, daß sich jemand bei ihnen bedankt, der nicht direkt ihr Herr und Meister ist. Sie leben sehr gut damit, sich im Hintergrund zu betätigen."
"Aber das ist doch korrekt, sich bei einer guten Bedienung zu bedanken", wandte Julius ein. Die anderen Jungen und Mädchen sahen ihn an, als wäre das bei Hauselfen nicht nur unnötig, sondern ungehörig. Nur Claire grinste, als finde sie es lustig, daß Julius sich so für eine Hauselfe eingesetzt hatte.
"Sicher bedanken wir uns auch bei Gigie, wenn sie ihre Pflichten zur vollsten Zufriedenheit erfüllt", beschwichtigte Virginie Julius. "Sie nimmt es nicht gerne auf, wenn man sie übermäßig lobt."
"Soll ich mich jetzt bei ihr entschuldigen?" Fragte Julius leise. Virginie kicherte:
"Dann würdest du sie beleidigen, wenn du dächtest, um ihre Verzeihung bitten zu müssen."
Julius grübelte den Rest der Pause, den Claire und Virginie ihm mit weiteren kleinen Leckereien und weiteren Fruchtsaftmischungen versüßten, über das Verhältnis zwischen Hauselfen und Zauberern nach. Irgendwie war es schon merkwürdig, daß diese kleinen, bestimmt mit starken Zauberkräften versehenen Wesen sich so unterwürfig verhielten. Doch dann kam ihm eine Vermutung: Wahrscheinlich benötigten die Hauselfen jemanden, der ihre Dienstbarkeit brauchte, um ihr Leben auszufüllen. Hinzu bekamen sie ja ein Dach über dem Kopf und bestimmt auch gut zu essen. Das ganze war also eine Lebensgemeinschaft zweier Arten zu beiderseitigem Nutzen, wie das Verhältnis zwischen Insekten und Blütenpflanzen. Aber ob das wirklich so stimmte, konnte Julius nicht genau ermessen, zumal bestimmt unterschiedliche Verhältnisse zwischen Hauselfen und Zauberern bestanden.
Als die Pause vorbei war wurde zur Einleitung des zweiten Tanzabschnittes zum Wiener Walzer links herum gebeten. Julius wußte, was das hieß und blieb sitzen, zumal Damenwahl angesagt wurde. Claire sah einen Jungen am Tisch an und fragte ihn, ob er mit ihr tanzen wolle. Der Junge schüttelte sich, zwang sich jedoch schnell zur Beherrschung und erwiderte:
"Nein danke! Diesen Tanz kann ich nicht. Außerdem ist er bestimmt nicht so ausdrucksvoll wie ein Tango."
Wie Julius vorausgeahnt hatte kam Madame Faucon erhaben schreitend auf den Tisch von Virginie, Claire und Julius zu und fragte Julius, ob er ihr für diesen Tanz zur Verfügung stehen würde. Julius nickte und sagte zu. Virginie suchte derweil Jacques Lumière, der sich verkrampft und wie ein sprungbereiter Eichkater auf seinem Stuhl zusammenkauerte, bereit, bei einem falschen Wort aufzuspringen und zu flüchten, wie Julius fand. Doch als seine Mutter, die Kommiteevorsitzende Roseanne Lumière, in ihrem silbergrauen Ballkleid herantrat und ihrem Sohn die Hand auf die Schulter legte, fiel die Anspannung von Jacques ab und er sackte fast auf seinem Platz zusammen. Was Madame Lumière ihrem Sohn sagte hörte Julius nicht mehr richtig, da er bereits mit der rechts untergehakten Madame Faucon auf die Tanzfläche ging. Julius gewahrte noch die Delamontagnes und Dusoleils. Mademoiselle Uranie Dusoleil hatte Monsieur Castello aufgefordert. Dann sah Julius noch Claire Dusoleil, die mit einem Klassenkameraden in lindgrünem Umhang, der knapp einen halben Kopf kleiner war als sie, die Tanzfläche betrat. Schnell richtete er seinen Blick wieder auf Madame Faucon. In dem Moment begann die Musik mit leisen Streicherklängen.
Julius sagte kein Wort, bis die ersten zwei Strophen verklungen waren. Dann fragte er vorsichtig:
"Nehmen Sie mir das noch übel, daß ich Sie vorhin nicht gleich beachtet hatte, als Sie mir etwas zu trinken anboten?"
"Sagen wir es so: Ich dulde keine Aufsässigkeit, insbesondere dann, wenn sie gegen die körperliche und seelische Gesundheit eines mir anvertrauten Jugendlichen gezeigt wird. Doch du hast dich schnell gefangen und das einzig richtige getan, was in deiner Lage zu tun war. Die Tatsache, daß es dir wichtig ist, zu erfahren, ob ich dir etwas nachtrage, zeigt, daß du dein kurzes Fehlverhalten bereust. Ich werde also nachsichtig mit dir sein.
Wir sind jedoch nicht hier, um unser Verhältnis zueinander zu diskutieren, sondern um uns in geordneter Bewegung und gepflegter Unterhaltung zu betätigen. Ich muß feststellen, daß du für dein junges Alter bereits gute Umgangsformen entwickelt hast und überdies eine umfassende Tanzausbildung genossen hast. Wer war dafür verantwortlich?"
"Muß ich das sagen?" Erwiderte Julius mit einer Gegenfrage.
"Nicht zwingend. Es wäre lediglich eine interessante Information für mich gewesen, um einzuschätzen, was du sonst noch kannst."
"Das mit dem Tanzkurs war eine Idee des Vaters einer Schulkameradin aus der Grundschulzeit, die einen Partner brauchte. Meine Eltern mußten sich darüber verständigen, ob ich diesen Kurs mitmachte oder nicht. Wie Sie sehen, durfte ich."
"Gut geantwortet. Wer auch immer die befürwortende Position dabei eingenommen hat, dürfte sich hier und heute bestätigt fühlen. Dies besonders, da Madame Lumière angefragt hat, ob ich dich fragen möchte, ob du ihr auch für einen Tanz als Partner zur Verfügung stehen möchtest?"
"Hmm, das könnte zuviel des guten für mich sein, Madame Faucon. Nachher bilde ich mir noch was darauf ein, mit der Kommiteevorsitzenden getanzt zu haben, wie ein Bauernjunge, der die Kronprinzessin zum Tanz geleiten durfte."
"Ich vergaß, daß du kein Aufsehen magst. Aber für eine unauffällige neutrale Gastrolle dürfte es bereits zu spät sein. Immerhin haben Madame Delamontagne, ihre Tochter und natürlich ich selbst mit dir tanzen dürfen, was niemandem entgangen sein kann. Aber ich denke du wirst nicht darunter leiden, an diesem Abend dabeigewesen zu sein. Außerdem ist es ja nicht gewiß, ob du nächstes Jahr wieder hier bist."
Julius zwang sich, konzentriert an die richtigen Tanzschritte zu denken, um nicht von der indirekten Bedeutung dieser Worte aus dem Tritt gebracht zu werden. Er schwieg einige Sekunden und sagte dann:
"Bis jetzt hat es mir hier gut gefallen, und ich hatte nicht den Eindruck, ein Fremder unter eingeschworenen Bürgern zu sein. Ich weiß natürlich, daß ich mich hier besser benehmen muß als alle anderen, um das nicht zu verspielen. Aber im Moment fühle ich mich hier wohl, nicht wie ein Gefangener oder Verbannter."
"Das ist ja auch genau der Eindruck, den ich dir vermitteln wollte, wegen Catherine. Sie sollte nicht darunter leiden, sich damals für einen Nichtmagier entschieden zu haben, und ich hoffte, daß du vernünftig genug sein würdest, die dir gebotenen Chancen richtig zu nutzen. Hättest du dich gegen deine Reise hierher entschieden, hätten dich bestimmt andere Zauberer oder Hexen in ihre Obhut genommen. Das hätte dann zwar auch für dich angenehm verlaufen können, aber ohne persönliches Engagement."
Der Tanz ging zu Ende. Julius küßte Madame Faucon die hand und bedankte sich für den Tanz. Sie erwiderte den Dank und entließ Julius mit dem Wunsch, er möge sich weiterhin so gut amüsieren.
Julius ging erst einmal in Richtung Ostseite der Tanzfläche. Er wußte nicht, ob er den nächsten Tanz mitmachen sollte. Unvermittelt umfingen Virginies Arme den Hogwarts-Schüler.
"Heh, gleich beginnt die junge Viertelstunde. Prudence hat dir das wohl erzählt, daß dann Abwandlungen leichter Tänze drankommen, die schnell oder ausgelassen sind. Ich gehe davon aus, daß Madame Faucon dir nicht verboten hat, da mitzumachen."
"Ich fürchte nur, daß ich da völlig neben der Spur sein werde, Virginie. Ich kann Muggeltänze, die im Moment angesagt sind. Aber ich weiß doch nicht, was ihr unter angesagten Tänzen versteht", erwiderte Julius. Claire Dusoleil eilte mit leichten Sprüngen heran und sah Virginie an. Julius vermeinte, eine unausgesprochene Kampfansage in Claires Augen zu erkennen.
"Hast du ihn etwa schon gebucht, Virginie. Dorian hat mir nämlich gerade verraten, daß er mit Elisa tanzen möchte."
"Gute Idee, Claire. Ich wollte Julius an und für sich nur sagen, was nun drankommt. Aber bei der Gelegenheit könnte ich ihn natürlich auch fragen, ob er mich begleitet."
"Virginie, ich sagte doch, daß ich das nicht kann, weil ich eben nicht weiß, was ihr so tanzt. Die Standardtänze sind ja zum Glück gleich, aber die Modedinger kann ich doch nicht."
"Siehst du Virginie, er will das nicht", wandte Claire ein. "Du bist ihm zu groß."
"Interessant, daß du mir das sagst. Ich habe das bis jetzt nicht bemerkt, und meine Mutter hat das auch nicht so gesehen."
"Ich bin doch erst zwölf Jahre, Mädels. Macht doch nicht so einen Aufstand um mich!" Stöhnte Julius. Claire lachte. Virginie ließ Julius los und streichelte ihm bedauernd durchs Haar.
"Oh, ist das zuviel für dich? Gut, ich suche mir jemanden anderen aus. Ich denke, Prudence wollte mir ihren bisherigen Partner zur Verfügung stellen. Bis nachher!"
Virginie verschwand. Julius fragte leise:
"War das jetzt nötig? So wichtig bin ich nun auch wieder nicht, daß mich gleich zwei Mädchen umschwärmen. Nachher glaube ich noch, diese Fleur Delacour hätte mich mit ihrer Ausstrahlung angesteckt."
"Du Schwätzer! Aber ich habe recht. Für die Viertelstunde ist Virginie wirklich zu groß für dich. Ich hatte aber auch nicht den Eindruck, daß du dich jetzt hinsetzen und mit Jacques Lumière zusehen willst, wie wir uns so richtig amüsieren", sagte Claire.
"Sitzt der etwa allein am Tisch?"
"Ja, das tut er. Caro wollte mit ihm tanzen, doch er hat ihr gesagt, daß er seine Pflicht und Schuldigkeit getan hat. Der ist sich dieser Ehre gar nicht bewußt."
"Nun dann! Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Partymuffel oder irgendwelchen Mädchen auf die Zehen zu treten, dann nehme ich die zweite Möglichkeit", grinste Julius.
"Dann komm schon! Die Anderen bauen sich schon zum ersten Tanz auf, dem schnellen Zirkel!"
Julius reihte sich mit Claire Dusoleil in die kleinen Kreise aus Jugendlichen Tänzern ein und ließ sich kurz beschreiben, wie getanzt wurde. Dann ging die Musik auch schon los, und Julius ließ sich von der Schnelligkeit und Wildheit mitreißen.
Die Modetänze jugendlicher Hexen und Zauberer waren, so stellte Julius fest, nichts anderes als auf Tempo und Gruppenbildung umgetrimmte Gymnastikübungen zur Musik. Es hatte schon Rock'n-Roll-Züge an sich, wie manche Hebefiguren die Partner abwechselnd auf Schulterhöhe hoben. Claire und Julius drehten eine Pirouette, wobei sie sich mit ausgebreiteten Armen vom Boden abstießen, dabei in eine Drehung versetzten und dabei die Arme einzogen, was ihnen unvermittelt großen Schwung verlieh. Ehe er es sich versah, war die Viertelstunde wieder um. Beifall brandete von den Erwachsenen-Tischen herüber. Dann wurde zur Rumba gebeten. Claire und Julius entschieden, sich am Buffet etwas zu trinken zu holen, bevor wieder jemand sie dazu anzuhalten versuchte. Am Buffet trafen sie Caro, ein brünettes Mädchen vom Tisch Virginies, die mißmutig an einem Ananas-Erdbeer-Getränk nippte.
"Dieser Spielverderber!" Knurrte sie und warf einen flüchtigen Blick zu Jacques Lumière hinüber.
"Wenn seine Schwester hier wäre, hätte der sich nicht so einfach da herausmogeln können. Aber dir hat es wenigstens gefallen, Julius. Das habe ich genau gesehen."
"Auf jeden Fall weiß ich jetzt, wofür ich mich fit halte", erwiderte Julius lächelnd. Dann fragte er, was das für ein Getränk war, daß Caro trank. Er bestellte dasselbe und unterdrückte den anerzogenen Reflex, sich für die schnelle Bedienung zu bedanken.
Fast am Ende des Rumba-Stückes kam ein vierzehnjähriger blonder Junge an das Buffet und fragte Caro, ob sie mit ihm die nächste Samba tanzen wolle. Sie strahlte sofort wie die aufgehende Sonne und nickte wild. Julius blieb erst einmal am Buffet, bis die Dirigentin zur Samba aufrief. Julius stürzte noch schnell ein Glas Zitronenlimonade ohne Kohlensäure hinunter und wandte sich der Tanzfläche zu. Claire Dusoleil winkte ihm zu. Ihre Eltern standen bereits auf der Tanzfläche.
Wieder steigerten sich die beiden Kinder in das Feuer des südamerikanischen Tanzes hinein und wirbelten gelenkig herum, bis der letzte Takt verklungen war. Dann nahmen die Tänzer Aufstellung zu einem schottischen Gruppentanz, den Julius mit Moira, Lester und Malcolm aus seiner alten Schule gerne getanzt hatte. Ein Musiker in einem Umhang, der eher wie ein Schottenrock aussah, erklärte mit stark schottischem Akzent, wie genau getanzt werden mußte. Dann setzten Dudelsäcke und Flöten ein.
Nach dem schottischen Volkstanz kamen wieder Standardtänze. Julius tanzte Tango, Foxtrott, langsamen Walzer und Rumba mit Claire. Dann trat Madame Lumière an Julius heran und bat um einen Tanz mit ihm. Zu einem Cha-Cha-Cha bewegten sich der Hogwarts-Schüler und die Kommiteevorsitzende von Millemerveilles, fast ohne ein Wort zu wechseln. Kurz vor Schluß des Tanzes fragte Madame Lumière:
"Und, wie gefällt es Ihnen bis jetzt, Monsieur Andrews?"
"Abgesehen davon, daß ich ganze zwei Tänze ausgelassen habe, gefällt es mir unheimlich gut. Ich denke mal, daß den Schülern von Beauxbatons, die zur Quidditch-Weltmeisterschaft gereist sind, die Entscheidung schwerfiel. Das hätte ich vor einem Tag noch für unmöglich gehalten."
"Der Ball findet jedes Jahr statt. Ich gehe davon aus, daß die Schüler, die dieses Jahr nicht dabeisein konnten, nächstes Jahr mit doppelter Vorfreude hierher kommen. Meine Tochter läßt niemals einen Tanz aus, wenn sie hier ist. In der Hinsicht kommt sie auf mich heraus."
Julius roch den Köder, den sie ihm hinhielt und unterließ es, darauf einzugehen, daß Jacques wohl nicht die Freude am Tanz von seiner Mutter geerbt hatte. Er sagte nur:
"Sportlich ist Ihre Tochter ja. Das durfte ich mehrmals erleben. Außerdem spielt sie gut Schach."
"Das hat sie wiederum nicht von mir", grinste Madame Lumière.
Der Tanz ging zu Ende. Julius bedankte sich höflich und zog sich zurück.
Abwechselnd mit Claire, Caro und Virginie, bestritt er die nächsten Tänze bis zur zweiten großen Pause. Danach genehmigte er sich am Buffet noch diverse Leckereien, wobei er darauf achtete, nichts mit Zwiebeln oder übermäßig fetthaltiges Zeug zu essen, da er davon ausging, daß er kurz nach dem Ball schon im Bett zu liegen haben würde. Er suchte kurz eine der grünen Toilettenkabinen auf, die von innen wie Tempel aus weißem Marmor wirkten, zehnmal so groß wie von außen zu vermuten war. Julius vermutete, daß ein Raumveränderungszauber bewirkte, daß innen mehr Platz war als von außen einzusehen war. Als er wieder zum Tanzplatz zurückkehrte, wurde schon zum nächsten Tanz aufgerufen. Die Herren mochten sich Partnerinnen für eine italienische Tarantella suchen. Julius hielt sich im Hintergrund und wartete, bis die ersten Klänge der Musik ertönten. Dann erst trat er in den beleuchteten Bereich zurück und suchte seinen Tisch. Hier saßen Claire, Caro und Jacques und debattierten über Jacques ständige Versuche, sich und anderen die Feststimmung zu versauen.
"Mann, Jacques! Deine Mutter ist Kommiteevorsitzende. Da kannst du nicht einfach zum größten Ereignis des Jahres nach dem Weihnachtsfest und der Walpurgisnacht kommen und so tun, als sei das für dich ein Kampf gegen einen Drachen", sagte Caro gerade. Claire sah Jacques an, mehr mit Bedauern als mit Wut. Dann fügte sie hinzu:
"Ich kann mir vorstellen, daß andere deine Mutter schon mit Fragen bombardiert haben, was mit dir los ist."
"Es ist eben nicht mein Ding, mich zu gefühlsdusseliger Musik zu verrenken. Das habe ich unserer Tanzlehrerin schon gesagt, das habe ich meiner Mutter gesagt und auch meiner Schwester. Ich habe es satt, daß mir zwei Mädchen, die nicht viel älter als ich sind, vorhalten wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Packt euch gefälligst an eure eigenen Hexennasen. Vor allem lasse ich mich vor diesem Angeber da nicht herunterputzen", polterte Jacques. Julius sah ihn verdutzt an. "Ja, dich meine ich, du Inselclown!" Rief Jacques bestätigend.
"Ich weiß zwar nicht, wer sich hier gerade mehr wie ein Clown aufführt, aber das mit der Insel muß ich wohl zugeben", erwiderte Julius und grinste. In diesem Moment trat Madame Faucon an den Tisch heran und sah erst Jacques, dann die Mädchen, dann Julius an. Allen gefroren die Gesichtszüge, als ihr strenger Blick sie musterte. Dann sagte sie:
"Da im Moment niemand vom Festkommitee verfügbar ist, Sie alle auf gewisse Anstandsregeln hinzuweisen, muß ich wohl so leid mir dies tut einschreiten, Mesdemoiselles und Messieurs.
Erstens wird hier nicht herumgebrüllt wie auf einem Wochenmarkt! Sie stören damit die Gespräche und den Musikgenuß an den anderen Tischen.
Zweitens ist es strickt untersagt, jemanden zu beleidigen. Das gilt vor allem gegenüber Damen und Gästen von außerhalb. Sie können von Glück sprechen, Monsieur Lumière, daß Monsieur Andrews das besitzt, wofür sein Volk berühmt ist, viel Humor. Das ändert jedoch nichts daran, daß hier niemand wen anderen beleidigen darf.
Drittens gehört es sich für die Mitglieder ranghoher Familien, an den gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen, falls sie nicht durch andere Verpflichtungen verhindert sind. Deshalb werde ich jetzt folgendes Exempel statuieren:
Sie, Monsieur Lumière, werden mir für die nächsten vier Standardtänze als Partner zur Verfügung stehen und sich ordentlich und wohlgefällig betragen. Ich werde nun Ihre Tischsprecherin aufsuchen und sie über diese Maßnahme informieren. Bis dahin herrscht hier absolutes Sprechverbot, Wenn der nächste Tanz angekündigt wird, dürfen Sie gerne wieder mittanzen. Das wäre es!"
Kaum hatte Madame Faucon dies alles gesagt, disapparierte sie mit einem kurzen Plopp. Nur ein sich verflüchtigender Luftwirbel rotierte für eine Sekunde an der Stelle, an der sie vorhin noch gestanden hatte.
Jacques Lumière, dem diese Strafpredigt vor allem gegolten hatte, sah trotzig die beiden Mädchen und dann Julius an, wagte aber nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Stattdessen erhob er sich, peilte in Richtung der getarnten Toilettenhäuschen und eilte davon.
Julius sah Claire an und erkannte, daß die zweite Tochter der Dusoleils immer noch wütend aussah. Dann wurde der nächste Tanz, ein Paso Doble angekündigt. Die Damen durften wählen. Claire kam Caro zuvor, die schon aufstehen und Julius auffordern wollte. Julius nutzte die Chance, sich mit Claire auf die Tanzfläche zu begeben. Caro sah zu dem vierzehnjährigen Jungen hinüber, mit dem sie vorhin getanzt hatte und lief erfreut zu ihm hinüber.
Nach dem Tanz sagte Claire zu Julius:
"Das hast du eben gut gemacht. Jacques wollte Streit haben, und du hast dich nicht darauf eingelassen. Jungen in unserem Alter rasten da viel zu leicht aus."
"Ich bin weiß gott schlimmeres gewohnt", seufzte Julius. "Inselclown ist ja noch lustig. Aber den Angeber mußte ich sehr schnell wegstecken, sonst hätte es vielleicht doch gekracht. Dieser Abend gefällt mir zu gut, um mich noch mit Partymuffeln zu kloppen. Du hast ja gesehen, daß eure stellvertretende Schulleiterin sofort auf der Matte stand. Vielleicht hätte ich mir noch nicht einmal aussuchen dürfen, als was ich die nächsten Tage hätte zubringen müssen, wenn ich mich mit Jacques geprügelt hätte. Da tanze ich doch lieber mit dir."
"Das ist nett", grinste Claire.
Claire Und Julius blieben alle Tänze bis zum Schlußwalzer zusammen auf der Tanzfläche. Julius sah zwischendurch eine äußerst wütende Virginie Delamontagne, die zum leeren Tisch hinübergegangen und noch wütender zurückgekehrt war, eine Madame Faucon, die sich mit einem Zauberer unterhielt, der wohl Jacques Vater war, der darauf Jacques zurückholte, der dann, unter der strengen Überwachung von Madame Faucon, vier Gesellschaftstänze zu bestreiten hatte.
Dann läutete ein Musiker eine große Glocke auf der Bühne, die unvermittelt in einem goldenen, magischen Licht erstrahlte, das sich wie ein großer Dom über die Tanzfläche ausbreitete. Julius suchte schon nach etwas, daß wie ein Gerät zur Erzeugung von Energiefeldern aussehen konnte, sah jedoch nichts außer dem goldenen Lichtdom. Die Festgäste bedachten die Musiker mit minutenlangem Beifall. Dann sah Julius, wie zwanzig Hexen und Zauberer wie aus dem Nichts erschienen, jedoch nicht sofort wie bei einer Apparition, sondern vom Kopf her bis zu den Zehen, als würden sie von oben her eingeblendet. Julius sah, wie sie silberne Umhänge zusammenfalteten und in eine große Truhe legten. Dann marschierten die neu aufgetauchten Zauberer und Hexen in weißen Umhängen auf die Bühne. Madame Lumière, die Julius vor einer Viertelstunde noch mit unterdrückter Wut im Gesicht gesehen hatte, lächelte, als sie an Claire und ihm vorbeischritt und ebenfalls die Bühne erklomm.
Mit Hilfe des Stimmverstärkerzaubers rief Madame Lumière den ganzen Platz ausfüllend:
"Im Namen des Festkommitees von Millemerveilles bedanke ich mich bei der europäischen Tanzmusikgruppe Melodia Magica für dieses wahrlich gelungene Programm und spreche Doña Angelina Estrella Molinos Buensonidos unser aller Werrtschätzung aus, daß sie und ihr Orchester den diesjährigen Sommerball unseres beschaulichen Magierdorfes mit Klang und Rhythmus ausgefüllt haben. Vielen Dank noch mal dafür!" Lauter Beifall erscholl aus den Reihen der Ballbesucher.
"Ich bedanke mich auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzende des Festkommitees von Millemerveilles bei Ihnen allen, die Sie heute Abend diesen Ball zu einem gelungenen Festakt gestaltet haben und durch Ihre große Begeisterung und Ihren Einsatz ein vielfaches der Energie, die wir vom Festkommitee in Planung und Durchführung eingebracht haben, zurückgebracht haben.
Kommen wir nun zum Höhepunkt des Abends, der Verleihung der Tanzschuhe in Bronze, Silber und Gold. Ich bitte Sie alle, an den Ihnen zu Beginn der Festveranstaltung zugewiesenen Tischen Platz zu nehmen! Die zwanzig Preisrichterinnen und Preisrichter, die den Abend im Schutz von Tarnumhängen beobachteten und notierten, bewerteten und beschlossen, werden nun die Punkte für jedes hier aufgetretene Paar zusammenrechnen, um in den drei Bewertungskategorieen Gemeinsames Erscheinungsbild, technisches Können und partnerschaftliche Harmonie die drei Gesamtsieger zu ermitteln. Die Beratung wird wohl noch fünf Minuten andauern. Jedem von Ihnen wird derweil noch ein Getränk nach Wunsch an den Tisch gebracht."
Alle Festgäste verließen die Tanzfläche und nahmen an ihren Tischen Platz. Julius sah Jacques mit versteinerter Miene dasitzen. Virginie war wieder gelöster. Sie strahlte die übrige Tischgemeinschaft an und ließ sich wieder zwischen Julius und Claire nieder. Die Hauselfen wuselten zwischen den Tischen herum und trugen noch mal große oder kleine Becher mit Getränken auf. Julius bat um ein großes Glas Wasser.
Die Beratung der zwanzig Zauberer und Hexen auf der Bühne zog sich tatsächlich nicht lange hin. Nach ungefähr vier Minuten trat ein weißgekleideter Preisrichter zu Madame Lumière hin und reichte ihr eine Pergamentrolle.
"Sehr geehrte Festgäste!
Ich verlese nun die namen der drei bestbewerteten Paare, nebst der Punktzahlen in den drei erwähnten Kategorien. Wenn ich ein Paar aufrufe, möchten die Dame und der Herr bitte zu mir auf die Bühne kommen!"
Leiser Trommelwirbel klang auf. Schweigen stellte sich ein. Dann verlas Madame Lumière die Namen der beiden Tanzpartner, die die bronzenen Tanzschuhe von Millemerveilles gewonnen hatten:
"Mademoiselle Elisa Lagrange und Monsieur Dorian Dimanche, bitte auf die Bühne!"
Julius sah ein dreizehnjähriges Mädchen mit rotblondem Haar, das einen dunkelvioletten Umhang trug, von einem der Nebentische aufstehen. Dorian, der Jungzauberer im lindgrünen Umhang, strahlte Claire und Julius, dann Virginie und den Rest an und erhob sich. Gemeinsam kamen die aufgerufenen Ballgäste auf der Bühne an und stellten sich neben Madame Lumière.
"Mademoiselle Lagrange und Monsieur Dimanche erzielten im Bereich gemeinsames Erscheinungsbild 36 Bewertungspunkte, im Bereich technisches Können 60 und im Bereich partnerschaftliche Harmonie 99. Dies macht zusammen 195 Punkte, die drittgrößte Gesamtsumme des heutigen Abends", verlas Madame Lumière. Die Gäste klatschten Beifall. Während des Applauses beugte sich Claire schnell hinter Virginie zu Julius und wisperte ihm zu, daß die beiden schon immer umeinander herumgelaufen wären, sich aber nie getraut hätten, miteinander zu reden. Julius nickte. Virginie stubste Claire behutsam aber entschieden in ihre ordentliche Sitzposition zurück.
Als der Beifall verebbte, hängte Madame Lumière jedem der beiden Tänzer einen etwa Säuglingsfußgroßen Tanzschuh aus bronzefarbenem Metall an einer roten Schnur um den Hals. Wieder brandete Beifall über den Festplatz, während sich die beiden Preisträger bei Madame Lumière bedankten. Sie verbeugten sich kurz und wollten wieder von der Bühne abgehen. Doch Die Kommiteevorsitzende gebot ihnen, zu bleiben. Dann nahm sie die Pergamentrolle wieder zur Hand und wartete, bis Beifall und leises Getuschel verklangen.
"Madame Camille und Monsieur Florymont Dusoleil, bitte kommen Sie auf die Bühne!"
Stürmischer Beifall brauste über den Festplatz wie eine Woge Meeresbrandung über den Festplatz dahin, während sich Madame Dusoleil bei ihrem Mann einhakte und mit ihm auf die Bühne kletterte.
"Das Ehepaar Dusoleil, welches im letzten Jahr bereits die goldenen Tanzschuhe gewinnen konnte, war heute wiederum mit großem Abstand vor den anderen Paaren des Balles vertreten. Im Bereich äußeres Erscheinungsbild errangen sie 150 Punkte. Im bereich technisches Können schlagen sie mit 91 Punkten zu Buche. Schließlich konnten sie durch ihre partnerschaftliche Harmonie weitere 200 Punkte hinzugewinnen. Somit erringen Sie insgesamt 441 Punkte!"
Unter tosendem Beifall hängte die Kommiteevorsitzende den beiden Eheleuten Dusoleil die etwas größeren silbernen Tanzschuhe an einem weißen Band um den Hals. Sie stellten sich neben die Gewinner der Bronzetrophäen.
Madame Lumière ließ es wieder ganz still werden. Dann ließ sie noch eine Minute verstreichen, in der nur ein leiser Trommelwirbel erklang. Dann erst verlas sie:
"Das Siegerpaar des Sommerballs von Millemerveilles im Jahre 1994 errang im Bereich äußeres Erscheinungsbild 200 Punkte. Im Bereich technisches Können schafften sie durch die Teilnahme an über 90 Prozent aller Tänze 250 Punkte durch vielfältige Tanzdarbietungen. Letztendlich schafften sie es, durch eben besagte Anzahl von Tänzen zu beweisen, daß sie partnerschaftlich wunderbar miteinander harmonieren, was den Preisrichtern 300 Punkte wert war, da noch einmal 50 Bonuspunkte hinzugezählt wurden, weil sich dieses Tanzpaar heute zum ersten richtigen Ball zusammenfinden konnte. Mit insgesamt 750 Punkten, und damit nur 50 Punkte unter dem Rekord von 1978, den Mademoiselle Catherine Faucon und Monsieur Louis Dumont aufstellten, gewinnen Mademoiselle Claire Dusoleil und Monsieur Julius Andrews die diesjährige Auszeichnung "goldene Tanzschuhe von Millemerveilles"!"
Die letzten Worte wären fast im aufbrandenden Applaus untergegangen, wäre Madame Lumières Stimme nicht magisch verstärkt gewesen.
Julius hatte das Gefühl, als drehe sich alles um ihn, als wäre der tosende Beifall ein Sturm, in den er unvermittelt hineingeraten sei und fortgeweht würde. Erst als Virginie Delamontagne ihm die Hand auf die Schulter legte und eindringlich flüsterte:
"Los, ihr beiden müßt jetzt auf die Bühne!"
Julius erhob sich. Er fühlte sich wie in einem merkwürdig starken Traum. Claire schlüpfte an seine rechte Seite und schob ihn sachte an. Erst jetzt konnte Julius sich damit abfinden, daß er tatsächlich gerade die höchste zu vergebende Auszeichnung dieses Abends errungen hatte. Doch seine anerzogenen Verhaltensweisen im Umgang mit Publikum, wenn er auf Betriebsfesten seines Vaters herumgereicht worden war, ließen ihn Haltung bewahren. Auch Claire, die freudestrahlend neben Julius zur Bühne schritt, durch die Böen des Beifallssturms, bewahrte eine gewisse Haltung. Als sie dann auf den Bühnenbrettern standen, vor dem zusammengerückten Orchester, neben Madame Lumière, mußte Julius schlucken, um nicht in einem Strom von Freudentränen zu ertrinken. Warum war das alles für ihn so unheimlich beglückend? Dieser Gedanke wisperte hartnäckig im Hintergrund von Julius Verstand, während sich die Glücksgefühle immer mehr aufschaukelten.
Madame Lumière hängte Claire einen kleinen goldenen Tanzschuh am gelben Band um den Hals. Dann trat sie an Julius heran und streifte auch ihm das gelbe Band mit dem goldenen Tanzschuh über. Julius konnte seinen Namen und die Jahreszahl 1994 in reich verschnörkelten Buchstaben und Ziffern lesen. Madame Lumière gratulierte erst Claire und dann ihm. Dann mußten sich die drei Siegerpaare hintereinander aufstellen, die Träger der Goldtrophäen ganz vorn. Julius stand genau vor Madame Dusoleil. Nun wurde ihm unbehaglich. Die Dusoleils hatten im letzten Jahr gewonnen. Womöglich waren sie dieses Jahr auch auf die Goldtrophäe ausgegangen. Madame Dusoleil schien irgendwie gespürt zu haben, daß Julius sich nicht so wohl fühlte. Sie sprach leise:
"Claire und du habt bekommen, was ihr verdient habt. Wir haben schon vier Paare der goldenen Tanzschuhe in unserer Trophäensammlung. Die silbernen fehlten uns noch."
Dann fiel Julius noch etwas ein. Einen Tanz hatten sie an diesem Abend noch nicht erlebt. Julius schwante, daß die drei Siegerpaare noch eine Aufgabe zu erfüllen hatten.
Unvermittelt sprühten rote Rauchwolken aus mehreren Fotoapparaten, während die drei Siegerpaare den Gästen zuwinkten und sich zwei Musiker, ein Akordeonspieler und ein Zauberer mit einer mächtigen Zugpauke nach vorne bemühten.
"Habe ich's doch geahnt", knurrte Julius zu Claire hinüber.
"Was hast du geahnt?" Fragten Claire und ihre Mutter gleichzeitig.
"Daß wir noch die Abschlußpolonese anführen dürfen. Gut, daß ich kein Schotte bin. Sonst hätte ich anstatt des Akordeons da vorne einen Dudelsack angefordert", witzelte Julius noch. Madame Dusoleil lachte und tätschelte Julius' Nacken.
"Du bist schlau und witzig gleichzeitig. Du hast natürlich recht. Es folgt die Abschlußpolonese!"
Madame Lumière trat vor Julius hin und fragte ihn, ob er oder Claire an der Spitze gehen sollte. Julius ließ der Beauxbatons-Schülerin den Vortritt. Sie nahm lächelnd an und sah zu, wie Madame Lumière zu Virginie hinübereilte.
"Sie sammelt die Partymuffel ein, damit die nicht im Weg rumliegen", kicherte Julius. Madame Dusoleil räusperte sich tadelnd, dann mußte sie jedoch auch lachen.
Die andalusische Dirigenten-Hexe trat an Claire und Julius heran.
"Mit welchem Stück soll die Polonese eingeleitet werden?"
"Der Flug der tausend Besen", schlug Claire vor. Julius nickte beipflichtend. Die Dirigentin nickte und wies den Akordeonspieler an, auf Claires Zeichen loszulegen. Claire wartete, bis alle sich beruhigt hatten. Dann sah sie die Gästeschar an und wußte nicht, was sie tun oder sagen sollte. Madame Dusoleil zog ihren Zauberstab, hielt ihn ihrer Tochter an den Kehlkopf und murmelte: "Sonorus!"
Claire sprach laut und den ganzen Platz ausfüllend:
"Liebe Gäste, sehr verehrte Besucherinnen und Besucher. Ich kann keine Reden halten. Deshalb nur soviel!
Wir beginnen gleich eine abschließende Polonese über den gesamten Festplatz. Wir bitten darum, daß jeder mitmacht! Das war's dann auch schon!"
Wieder brandete Beifall über den ganzen Platz. Madame Dusoleil hob den Stimmverstärkerzauber wieder auf. Claire gab das Startzeichen für die Polonese.
Das Akordeon ließ einen flotten und fröhlichen Marsch erklingen, in den die Blech- und Holzblasinstrumente sowie die Dudelsäcke einstimmten, sobald die Polonese losmarschierte.
Julius hielt sich an den Schultern von Claire. Madame Dusoleil hatte ihre hände auf den Schultern des Hogwarts-Schülers liegen und sang fröhlich den Text zu dem gewünschten Marsch. Die Schlange der an der Polonese beteiligten wuchs von Tisch zu Tisch weiter an. Als die Spitze das südliche Ende der Tanzfläche erreicht hatte, sah Julius die Delamontagnes, Madame Faucon und die Pierres klatschen. Die lange Schlange bog sich nach links und kehrte über die Tanzfläche zurück, wobei die Spitze sich an den Nachfolgern vorbeibewegte, bis sie das Ende der Tanzfläche erreichte und sich wieder zur Umkehr drehen mußte. Dabei wurde das letzte drittel der über dreihundert Festgäste langen Schlange überholt. Julius sah nun, daß die Delamontagnes, die Pierres, Madame Faucon und Monsieur Castello, sowie viele andere hohe Würdenträger das Ende der langen Schlange bildeten und den sechs Leuten an der Spitze zujubelten, während hinter ihnen ein Dudelsackspieler und ein weiterer Zugpauker den Takt und die Melodie mitspielten, die die Musiker an der Spitze spielten.
Viermal hin und her ging es, als die in die Polonese eingereihten Gäste sich alle dem Marsch über die Tanzfläche angeschlossen hatten. Dann führte Claire auf ein Zeichen von Madame Lumière die gesamte Reihe der Gäste vom Tanzplatz fort. Sie stellten sich alle unter großen Bäumen auf, Madame Lumière in die Mitte. Die Kommiteevorsitzende sprach noch einmal mit magisch verstärkter Stimme zu den Festgästen und bedankte sich für den gelungenen Abend. Dann sagte sie etwas, was Julius schon wieder verdrängt hatte:
"Ich freue mich schon darauf, die Sieger des heutigen Sommerballs von Millemerveilles im nächsten Jahr wieder auf dieser Festveranstaltung begrüßen zu können."
Wieder schien sich um Julius alles zu drehen. Doch Dann dachte er, daß das keine verbindliche Aufforderung war, sondern nur eine Hoffnung. Er wußte nicht, was nächstes Jahr sein würde. Dazwischen lag noch ein ganzes Schuljahr in Hogwarts und die Ungewißheit, was seine Eltern mit ihm anstellen würden, um ihn vielleicht doch noch aus der Zaubererwelt herauszuholen. Doch, so dachte Julius auch, dafür war es jetzt eindeutig zu spät!
Nach der Abschlußrede von Madame Lumière marschierten die Festgäste zum Besenabstellplatz. Ruhig aber zügig bekam jede Familie den abgegebenen Besen zurück. Nach und nach flogen die Festgäste davon. Madame Lumière wartete mit ihrem Mann und ihrem Sohn, bis alle Festgäste aufgestiegen waren, bevor sie ebenfalls startete.
Die Dusoleils, die Delamontagnes und Monsieur Castello blieben mit Madame Faucons Familienbesen, auf dem Julius hinten draufsaß, in Formation. Madame Delamontagne strahlte über das ganze Gesicht, während Virginie auf ihrem Rennbesen offenbar eine angestaute Wut auslassen mußte, weil sie immer wieder aufstieg, über der Formation herumsauste und dann wieder geordnet in die Reihe der Flugbesen einflog.
"Ich hatte leider nicht mehr die Gelegenheit, dir für deine Haltung zu danken, Julius. Madame Faucon berichtete mir, daß du dich nicht hast provozieren lassen", sagte Virginie, als sie fast gegen den Cyrano-Besen von Madame Faucon stieß. Die Beauxbatons-Lehrerin räusperte sich mißbilligend und fügte hinzu:
"Es ist eben doch eine Frage der inneren Einstellung, auf wessen Provokationen man sich einläßt. Auf jeden Fall hat mir Monsieur Andrews einen besseren Wiener Walzer geboten, als Monsieur Lumière Junior. Aber was sein mußte, mußte sein."
Letztendlich löste sich die Heimflugformation wieder auf. Madame Dusoleil sagte Julius, daß sie morgen nicht für ihn Zeit hätte, weil der Festplatz aufgeräumt werden müsse. Außerdem gäbe es ja bald wieder eine Festveranstaltung.
"Ich glaube nicht, daß Julius Andrews das Konzert einer wilden, auf ekstatische Effekte ausgerichteten Sängerin besuchen möchte. Immerhin durfte er heute viel gutes Liedgut unserer Welt genießen."
Julius schwieg dazu. Wenn ihn Prudence, Virginie oder gar die Porters fragten, ob er die berühmte Hexen-Sängerin Hecate Leviata besuchen wolle, würde er wohl nicht nein sagen.
Wieder im Haus der Beauxbatons-Lehrerin angekommen, beglückwünschte die Mutter Catherine Brickstons ihren Schutzbefohlenen noch mal zu seinem Erfolg.
"Es dürfte dir schwerfallen, nächstes Jahr nicht hierher zurückzukehren. Aber noch bist du nicht wieder fort. Da Camille und ihr Mann ja morgen keine Zeit haben, werde ich dein Freizeitprogramm gestalten. Keine Sorge, du wirst dich nicht langweilen."
Als Julius um kurz nach ein Uhr in seinem Bett lag - seine Eule Francis hatte er in die Nacht hinausgelassen -, dachte er noch mal an den Ball von Millemerveilles. Seine Gedanken glitten durch den vergangenen Abend. Er bedauerte Jacques, der offenbar nicht wußte, daß er sich einen schönen Abend verdorben hatte. Er dachte an Virginie und ihre Mutter. Der Spruch von der Widergabe des Lichterglanzes ließ ihn nicht los. Er fühlte sich ja bis zu seiner Einschulung in Hogwarts im Schatten seines Vaters gefangen. Was würde der sagen, wenn Julius mit zwei Trophäen aus der Zaubererwelt nach Hause kam, mit einer großen Sammlung Zauberbücher, einer Eule und einem Flugbesen? Wo war Julius' Vater im Moment?
Dann schlief er rechtschaffend müde von einem langen und erfolgreichen Abend ein.
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