Was bisher geschah | Vorige Story
Neue Zeiten brechen für die Schüler und Lehrer von Beauxbatons an. Bei der Ankunft der alten und neuen Schüler übergibt Madame Maxime die Würde der Schulleiterin an ihre bisherige Stellvertreterin Blanche Faucon, die seitdem Madame Faucon genannt werden soll. Madame Faucons Enkeltochter Babette landet im grünen Saal, wo sie mit zwei Mädchen aus magielosen Familien einen Schlafsaal bewohnt. Auch der Muggelstämmige Hanno Dorfmann wird als Bewohner des grünen Saales ausgewählt. Die neue Verwandlungslehrerin Eunice Dirkson bringt drei schulpflichtige Kinder mit, von denen Esther Dirkson im grünen Saal unterkommt. Millies drittjüngste Tante Mayette landet im roten Saal. Der neue Lehrer für die Abwehr dunkler Künste ist der ehemalige Zaubereigegenminister Phoebus Delamontagne. Julius und Millie müssen sich sehr schnell an ihre neuen Rollen als oberste Schüler ihrer Säle gewöhnen. Vor allem mit Hanno Dorfmann hat Julius seine Sorgen, da dieser sehr frech und vor allem Hexen gegenüber sehr anmaßend ist. Daß dies eine Abwehrreaktion ist vermuten Madame Rossignol und er zwar, aber sie lernen erst, warum das so ist, als der Junge Professeur Delamontagne verärgert und dieser ihm zeigen will, wie schnell jemand von bösartiger Magie niedergeworfen werden kann. Dabei kommt heraus, daß Hanno als uneheliches Kind einer alleinerziehenden Anwältin von Geburt an nur von lieblosen Tanten aufgezogen und übel drangsaliert wurde und er bei Entdeckung seiner besonderen Kräfte mehr oder weniger bewußt den Tod dieser Tanten herbeiführte. Er vergötterte seine Mutter, bis er lernen mußte, daß sie ihn nie gewollt hatte und geht auf Rache aus. Hierzu beschafft er sich bei seinem ersten Einkauf in der Zaubererstraße Rue de Camouflage ein Buch, in dem ein Fluch erwähnt wird, mit dem man Blutsverwandte umkommen lassen kann. Da er den Fluch bereits aufgerufen hat - was für einen Zauberschulanfänger schon beachtlich ist, greift Madame Faucon auf den von Julius erlernten Fluchumkehrer zurück. Dabei verkehrt sich der böse Zauber Hannos so, daß die in der Ferne zum Tode verurteilte Mutter nach Beauxbatons teleportiert wird und statt zu sterben Hanno als ihren Sohn erneut im Mutterleib empfängt. Julius beschafft das von Hanno erwähnte Buch und händigt es Madame Faucon aus. Er spricht mit Madame Rossignol darüber, daß sie die angedrohte Höchststrafe für Pflegehelfer eigentlich nicht vollstrecken darf. Sie bittet Millie und ihn, zunächst die Gründe für diese Strafe zu erfahren. Hierzu wird den beiden angeboten, von Serena Delourdes ausgelagerte Erinnerungen zu betrachten. Dabei bekommen sie nicht nur die Schulgründung vor beinahe 1232 Jahren mit, sondern erleben in der Erinnerungsbetrachtung auch das Verhältnis der Gründer zueinander mit. Sie erfahren, wie Serena Delourdes die Pflegehelfergruppe gründet. Sie erfahren, wie eine Kette von Verstümmelungen und Verwandlungsanschlägen die erste Schulheilerin unter Druck setzt. Zehn Jahre nach der Schulgründung kommt dann die schreckliche Wahrheit ans Licht. Einer der Pflegehelfer, dessen Vorfahren der hohen Zeit der Zauberer nachtrauern, führt nach Anweisungen dieser Vorfahren Experimente an lebenden Menschen durch, um künstlich Menschen und Mischwesen zu züchten. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, die eigenen Mitschüler unfruchtbar zu machen, um mit deren Geschlechtsorganen ein wurmartiges Brutwesen zu bestücken. Serena kann den der schwarzen Magie verfallenen Jungen überwältigen und aus dessen unterirdischem Versuchslabor entkommen, bevor dieses sich auf Befehl des Verleiteten selbst vernichtet und alle bedauernswerten Kreaturen tötet. Vor die Wahl gestellt, Beauxbatons zu schließen oder die Pflegehelfertruppe aufzulösen überzeugt Serena ihre Kollegen von der magischen Heilzunft, eine scheinbare Verwandlungsstrafe abzusegnen. Tatsächlich wird der unmenschlich handelnde Pflegehelfer nicht zur Bettpfanne, sondern tauscht mit einer seine Körperaura tragenden Bettpfanne den Platz und landet im magischen Exil auf einer Insel namens Utopia. Millie und Julius müssen nun befinden, wie sie mit den neuen Informationen umgehen. Doch ihre Aufgaben als Saalsprecher und Quidditchspieler wollen auch erledigt werden. Beim Quidditchtraining verbietet der Fluglehrer die Verwendung des Dawn'schen Doppelachsers, weil er meint, daß dies gegen die Fairness verstößt. Im Unterricht und den Freizeitkursen wird Julius bereits mit Zauberfertigkeiten der Abschlußklasse vertraut gemacht. Als der Fluglehrer Dedalus sich bei einer Trainingseinheit einmal entschieden im Ton vergreift und Madame Faucon unterstellt, sie halte nicht nur die Hand über Julius, sondern könne ihn auch zu diesem oder jenem heranziehen, kassiert er die sofortige Entlassung. An seiner Stelle übernimmt der frühere Starsucher Ariel Beaufort den Flugunterricht und das Schiedsrichteramt. Millies kraftstrotzende Cousinen werden wegen übermütigen Umspringens mit Gérard Laplace als Treiberinnen der Roten gesperrt. Am ersten Oktoberwochenende kommt es zur Begegnung zwischen Julius' und Millies Mannschaft, die Saal Grün durch Schnatzfang für sich entscheidet, nachdem beide Mannschaften ein anspruchsvolles, ausgeglichenes Spiel abgeliefert haben. So kann es weitergehen, denkt Julius Latierre.
Die Woche nach dem grandiosen Auftaktspiel kroch dahin, weil Julius jeden Schultag immer heftigere Aufgaben bekam. Professeur Dirkson trieb ihn auf ihre leicht verspielt wirkende Art voran und verlangte ihm die Mensch-zu-Tier-Selbstverwandlungen ab. In Zauberkunst gingen sie nun an die höheren Elementarzauber, wie den Windrufzauber, der je nach Übung und Stärke des Zauberkundigen eine Windböe oder einen anhaltenden Sturm heraufbeschwören konnte. Julius erinnerte sich, daß Professor Flitwick etwas dergleichen bei der Schlacht von Hogwarts eingesetzt hatte. In Verteidigung gegen die dunklen Künste bekamen es nun langsam alle heraus, die einfacheren Flüche wortlos aufzurufen. Julius erlernte indes weitere Astralzauber, die aus der Kraft der Himmelskörper oder zumindest durch eine gedankliche Verknüpfung mit diesen ihre Magie entfalteten. Einmal mußte Belisama für einige Minuten aus dem Klassenraum, weil Laurentine sie heftiger als gewollt mit einem Megeuphoria-Fluch erwischt hatte, der bei Belisama unkontrollierte Glückszustände mit Jauchzen und Lachen hervorrief. Der neue Verteidigungslehrer hatte wie seine neue Kollegin Dirkson eine Art drauf, durch verspielt scheinende Anregungen die Höchstleistungen seines Ausnahmeschülers abzufordern. So lieferte er sich in der zweiten Doppelstunde in der Woche ein Duell mit materialisierten Komponenten wie Volantapes, den Bienenschwarm-Zauber oder Serpensortia, einen Zauber, bei dem aus dem Zauberstab des Ausrufers eine schwarze Schlange hervorschoß und sich ohne weitere Anweisung auf den Duellgegner stürzte, wenn der nicht weit genug fortstand und den Auflösungszauber gegen magisch erzeugte Lebewesen brachte. Julius lernte dabei, das die hohe Kunst des Duellierens mit materialisierten Objekten darin bestand, die beschworenen Wesen oder Waffen in etwas anderes umzuwandeln und auf den Gegner zurückzulenken. In Zaubertränke waren sie bei den Mixturen angekommen, die schon bei geringsten Dosen tiefgreifende Wirkungen besaßen. Hinzu kam die Übung, mögliche Kombinationen von Tränken zu erlernen, also welcher Trank gefahrlos mit welchem anderen Trank kombiniert werden konnte oder nicht und warum dies so war. Das war selbst für den mit Mixturen und Reaktionsabläufen vertrauten Julius Latierre kein Spaziergang, auch wenn er bei genauem Nachdenken die gefahrlosen und die schadhaften Kombinationen herausbekam. Er erkannte, daß es die in den Tränken verrührten Zutaten machten, ob zwei oder drei Tränke hintereinander eingenommen werden konnten oder man es besser bleiben ließ, wenn man keine unangenehmen bis tödlichen Fremd- oder Nebenwirkungen haben wollte. Bei Kräuterkunde ging es um die Zauberpflanzen der Gefahrenstufe 1, also solchen, die durch ihr Gift oder durch ihre Fleisch- und Blutverzehrende Lebensweise tödlich gefährlich für ungeschützte Menschen werden konnten. Zum Glück, so empfanden es die meisten in Trifolios Unterricht, kamen die wirklich gemeingefährlichen Pflanzen in den tropischen Breiten vor. Allerdings hatten sie noch nicht alle sich ortsungebunden bewegenden Pflanzen durchgenommen. Im Unterricht praktische Magizoologie ging es um die Abraxarieten, jene elefantengroßen, goldfelligen Pferde mit Flügeln, die zu zwölft vor die gigantische, blaugraue Reisekutsche von Beauxbatons gespannt werden konnten, die Dank Gaston Perignons Putzarbeit gerade wie ein nagelneues Auto glänzte.
Außerhalb des Unterrichts und der Freizeitkurse verlief das Leben in üblichen Bahnen. Das Mädchentrio Armgard, Babette und Jacqueline traf sich immer wieder mit Mayette Latierre in der Bibliothek zum Hausaufgabenmachen, wobei es einmal mit Bernadette aneinandergeriet, die sich von den vier immer wieder teilweise albern kichernden Erstklässlerinnen bei ihrem Turbolernprogramm gestört fühlte und deshalb einmal mißmutig mit Millie sprach, die gerade verfügbar war. "Sage deiner ganz jungen Tante bitte, daß die Leute hier sind, um zu lernen und nicht albern rumzugiggeln!"
"Ich habe Mayette und den dreien gesagt, sie möchten in den kleinen Leseraum gehen, wenn der frei ist. Aber den habt ihr ja zum Studierzimmer für ZAG- und UTZ-Leute erklärt. Wenn die vier dich stören geh du doch in den kleinen Raum und lies, was du lesen mußt", hatte Millie darauf geantwortet. Bernadette hatte darauf nur ein leises Grummeln von sich gegeben und war in den schalldichten Raum abgezogen, wo bis zu sechs Schüler ungestört von den anderen Aufgaben besprechen konnten, ohne sich an die hier gültige Lautstärkenbeschränkung halten zu müssen. Meistens hockte Bernadette in dieser kleinen Kammer. Doch heute hatten fünf UTZ-Klässlerinnen aus dem violetten Saal den Raum bezogen. Hier galt, wer zuerst reingeht, darf drinbleiben, bis jemand mit wirklich begründetem Anlaß den Raum beanspruchen darf. Saalsprecher und Pflegehelfer genossen das Vorrecht, den Raum jederzeit für sich zu beanspruchen, wenn es nicht einer alleine war, der dort hinein mußte. Julius, der gerade mit Céline die Wirkungspyramide des Vocaventus-Zaubers durchging, bekam von Millies und Bernadettes kurzer Unterredung nichts mit. Das zwischendurch zu ihnen herüberwehende Giggeln der vier Elfjährigen störte sie nicht so heftig, und falls doch, würde Céline den dreien aus ihrem Saal schon ganz ruhig aber bestimmt klarmachen, nicht so rumzualbern.
"Also, diese Wirkungspyramide ist eine räumliche Veranschaulichung der drei miteinander zusammenwirkenden Grundvoraussetzungen bei diesem Windmacherzauber", bemerkte Céline. "Betroffene Fläche, senkkrecht zur Erdoberfläche, Stärke des Zauberkundigen und gewünschte Dauer ergeben die höchstmögliche Windstärke", führte sie weiter aus. Julius nickte. Soweit hatte er das auch verstanden und fuhr dann seinerseits fort:
"Das man das in einer Stufenpyramide à la Cheops & Co. darstellen kann ist schon interessant. Damit haben Pinkenbach und Terrarossa gezeigt, daß es bei jedem Elementarzauber Stufen gibt, die erreicht werden müssen. Du hast also keinen fließenden Übergang wie bei den Fernlenkzaubern, sondern Hürden, die du mit Übungen überschreiten mußt. Wenn du die Stufe eins gepackt hast, mußt du mit der gleichen Leistung wie zum Erreichen dieser Stufe achtmal so viele Übungsrunden schaffen, um genug Stärke und Geschick für die nächste Stufe zu erreichen oder eben genausoviele Übungen wie für Stufe eins, allerdings eben mit der doppelten Kraft, oder doppelten Fläche oder Dauer ausführen. Gilt ja auch für die höheren Wasserzauber, um Wellen zu rufen oder zu glätten."
"Das ist das, was ich nicht kapiert habe, Julius. Bei Stufe eins muß zehnmal ein eine Sekunde dauernder Windstoß der Stärke eins nach der Einteilung von Cephyrus Weidenrausch beschworen werden. Warum müssen es bei der zweiten Stufe dann achtmal so viele Übungen davon sein und bei Stufe drei siebenundzwanzigmal so viele und so weiter oder eben die entsprechenden Stärken oder längeren Dauern?"
"Ob das einer magischen Gesetzmäßigkeit entspricht weiß ich selbst nicht genau. Jedenfalls hat er die Stufeneinteilung der Übungen im Kubik angesetzt, also zwei mal zwei mal zwei, drei mal drei mal drei und so weiter", erwiderte Julius. "Das gilt für Leute, die den Zauber eben von ganz von vorn lernen wollen und nicht immer stärkeren Wind machen wollen, um die notwendige Übung zu kriegen. Allerdings kannst du die Beherrschung des Zaubers nur verbessern, wenn du ihn langsam immer stärker aufrufst um zu sehen, ob du die Elementarkraft noch steuern kannst oder nicht. Wer genug Platz hat und keine kostbaren Gegenstände rumstehen hat kann natürlich gleich mit Übungen der Stufe zwei loslegen, wenn er oder sie sich stark genug fühlt oder gleich mit denen der Stufe drei anfangen. Die beiden Erfinder der Wirkungspyramide wollten nur zeigen, daß wer bereits die Stufen zwei oder höher erreicht hat, mit den Zielwirkungen der Stufe eins immer leichter zurechtkommt."
"Ich seh es langsam ein, warum wir in der Grundschule rechnen gelernt haben", grummelte Céline. "Aber warum heißt das bitte Kubikzahlen?"
"Weil das von Kubus, also Würfel kommt. Ein Würfel nimmt ja einen Raum mit Länge, breite und Höhe ein. Da seine Seiten gleichlang sind nimmt man also eine Seite lang, mal eine Seite breit mal eine Seite hoch, um den Rauminhalt zu errechnen. Bei doppelter Seitenlänge kommt dann also zwei mal zwei mal zwei gleich achtfacher Rauminhalt raus. Bei der dreifachen Seitenlänge eben drei mal drei mal drei gleich siebenundzwanzigfacher Rauminhalt oder siebenundzwanzig Würfel der einfachen Seitenlänge. Weil das selbst für mich, die von einer Mathematikerin geboren wurde schwer im Kopf zu rechnen ist, was über fünf oder sechs hinausgeht konnten die beiden Elementarmagier damit wunderbar zeigen, daß es besser ist, bei einer erreichten Stufe die nächst stärkeren Zielwirkungen oder längere Dauer des Zaubers pro Übung zu benutzen, statt die einfachste Zielwirkung immer wieder zu wiederholen. Damit tastet sich jemand also an seine Leistungsgrenze heran und baut sie aus, ohne sich andauernd zu fragen, wie oft er oder sie noch üben muß. Bei Experten wie Professor Flitwick oder Professeur Bellart denke ich mal, daß die schon Stufe zwölf oder höher erreicht haben. Im Grunde ist die ganze Mathematik hinter dem allem hier wie bei so vielen Sachen nur für Theoretiker echt gut. Aber für uns Schüler ist es zumindest anschaulich, warum stärkere Wirkungen oder längere Zauber mehr Kraft brauchen und wie das bildlich oder als Modell dargestellt werden kann." Julius deutete noch einmal auf die im Buch abgedruckte Stufenpyramide, die mit der schmalsten Stufe nach unten abgedruckt war. Céline schrieb sich daraufhin die ersten zwölf Kubikzahlen auf, die Julius aus einem Buch über besondere Zahlen las, das er mal von seinen Eltern zum Üben bekommen hatte, wo die Quadratzahlen, Kubikzahlen, Quadratwurzeln und Zahlen wie Pi beschrieben wurden. Eigentlich sollte er damit nur die von seinen Eltern befürchteten Rückstände in den Naturwissenschaftsfächern überwinden. Daß gewisse Rechenschritte auch in der Zauberei nötig waren hatten sie damals nicht wissen können.
"Dann kann man aber die Zahl der Übungen durch die Stärke oder die Dauer teilen oder so?" Fragte Céline. Julius nickte verhalten, und erwähnte, daß es dann aber im Kopf nicht so leicht auszurechnen war und deshalb besser die Übungsanleitung befolgt wurde. So schrieben sie dann noch die Begründung für die Wirkungspyramide und eine kurze Schilderung der Kubikzahlen hin. Laurentine konnte mit diesem Zeug sicher auch noch was anfangen.
Am Samstag fand eine ruhige Saalsprecherkonferenz statt, weil es in der verstrichenen Woche nichts besonderes gab, worüber die zwölf Broschenträger mit der Schulleitung etwas zu klären hatten. Millies Cousinen waren immer noch nicht gut auf Gérard zu sprechen, der das jedoch mit einem Achselzucken abtat. Gaston hatte es nun endlich begriffen, daß er nicht wegen eines Austauschschülers den zweiten und dann endgültigen Rauswurf riskieren sollte, und Bernadette tat keinem was, der nicht gerade zu laut in der Bibliothek war. Céline bekam nur von Madame Faucon die Anweisung, den drei Erstklässlerinnen zu verdeutlichen, daß sie sich langsam wie disziplinierte Schülerinnen zu benehmen hätten und hier nicht auf dem Jahrmarkt oder auf dem Spielplatz seien. Andererseits konnte sie schulisch nichts an dem Trio aus dem grünen Saal und der immer wieder hinzustoßenden Mayette aussetzen. Sie ergänzten sich bei den Hausaufgaben und motivierten einander sehr gut.
In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag träumte Julius, daß er in einer spärlich erleuchteten Kammer sei. Er hörte gerade noch den Ruf "Katashari" und sah Professeur Tourrecandide in einem goldenen Funkenschauer. Sie wirkte um Jahrzehnte jünger. Ihr Haar war nun tiefschwarz und ihre Gesichtshaut wirkte frischer als bei seiner letzten Begegnung mit ihr. Hinter ihr hockten zwei ängstlich zitternde und wimmernde Mädchen von gerade fünf oder sechs Jahren und zwei bleiche Gestalten, die er noch gut in Erinnerung hatte. Es war das Vampirehepaar Sangazon. Sie wirkten erschöpft, ja sehr geschafft, als hätten sie gerade einen harten Kampf oder große Qualen überstehen müssen. Vor Tourrecandide stand eine Frauengestalt in einem hautengen schwarzen Kostüm mit bleichem Gesicht und entblößten Vampirzähnen. Das Licht des Todeswehrzaubers hielt sie umschlungen, verlosch nicht wie üblich, sondern fesselte die Vampirin am Ort. Julius konnte sich nicht erklären, warum es auf Beckenhöhe der Vampirin so unregelmäßig flackerte. Dann sah er, wie die beiden Sangazons schwerfällig aufstanden, um mit einem Sprung bei der Lehrerin zu sein. Er wollte ihr noch eine Warnung zurufen, ihr sogar helfen. Doch da erst fiel ihm auf, daß er weder Stimme noch Körper besaß. Er war wie ein unsichtbarer Geist, der dem Geschehen hilflos zusehen mußte. Er bekam mit, wie Tourrecandide von den beiden Vampiren gepackt wurde. Voixdelalune, die vor ihrer Existenz als Vampirin Tourrecandides Schwester Lucille gewesen war, riß der Lehrerin zwei sonnengelbe, flauschige ohrenschützer herunter. Die fast überwundene Lehrerin warf sich herum, versuchte, auf ihre frühere Schwester zu zielen. Da erlosch das Licht um den Körper der zweiten, Julius unbekannten Vampirin. Diese rief: "Nehmt sie endlich. Sie ist zu gefährlich!"
Tourrecandide versuchte, Voixdelalune mit ihrem Zauberstab zu berühren. Doch deren Vampirehemann Éclipsian trat ihr den Stab aus der Hand. Das war das Aus für die Lehrerin. Julius fühlte die plötzlich aufkommende Todesangst, die auch Tourrecandide ergriffen haben mochte. Da begann Voixdelalune mit einer kristallklaren, jedoch sanft klingenden Stimme zu singen. Julius wußte, daß die Vampirin dafür bekannt war, Magie über ihre Stimme zu wirken wie eine Meerfrau oder Bergnymphe. Als die Vampirin fünf Töne gesungen hatte, erstarb der erbitterte Widerstand der Lehrerin. Schlaff, ja hingebungsvoll hing sie in den Armen Éclipsians, während die zweite Vampirin im Raum starr auf der Stelle stand. Julius fühlte keinen Einfluß von der Melodie ausgehen. Offenbar lag es daran, daß er nicht körperlich dort war.
"Bist zwar ein ganz schön dickköpfiges Mädchen. Aber das wird dich zu einer unserer stärksten Töchter überhaupt machen", grummelte Éclipsian, während seine Frau weiter ihre magische Melodie sang. Er beugte sich über die verjüngt wirkende Lehrerin, öffnete ihren umhang und ihre Bluse und näherte sich mit seinen dolchartigen Fangzähnen ihrem Hals. Julius wollte es nicht glauben, daß dies das Ende der Lehrerin als Hexe sein sollte. Es fehlten nur noch Zentimeter. Der Blutsauger kostete es regelrecht aus, daß sein Opfer unter dem Bann seiner Frau stand. Da blitzte es golden auf. Einen winzigen Moment vermeinte Julius, die Kammer, die Vampire und die Kinder würden wie mit tausend Presßluftflaschen aufgeblasene Ballons im gleißenden Goldlicht anschwellen, dann war alles wie vorhin, nur Professeur Tourrecandide war nicht mehr da. Éclipsian und seine Blutgemahlin hielten nur noch lehre Kleidungsstücke in Händen. Die drei Vampire starrten auf den blauen Umhang, die weiße Bluse und den sonnengelben Rock, der gerade zu Boden raschelte. Wo war Tourrecandide?
"Das ist nicht möglich!" Rief die Vampirin, die Julius gerade noch in der magischen Fessel des Todeswehrzaubers gesehen hatte. "Das ist nicht wahr!" Schrie sie, während die Sangazons verstört auf die zurückgebliebenen Wäschestücke starrten. Julius fühlte, wie ihn etwas aus diesem Raum heraustrug, dessen Konturen sachte zu verschwimmen begannen. Doch er hörte noch, wie von irgendwo außerhalb mehrere Leute heranstürmten und mit Reducto-Flüchen alle Hindernisse fortsprengten. Dann löste sich der Raum in einen wild wabernden Nebel auf, die Geräusche zerflossen zu Rauschen und Wispern. Julius fand sich in seinem Bett wieder. Sein Herz schlug wild. Was war das für ein Alptraum gewesen? Er atmete stoßweise ein und aus. Dann hob er seinen linken Arm und blickte auf die silberne Armbanduhr. Sie sagte ihm, daß es in Beauxbatons und dem Rest Mitteleuropas gerade eine Stunde nach Mitternacht war, während es in seinem Geburtsland, wo er die Uhr erstmalig in Gang gesetzt hatte, gerade Mitternacht war. "Eine eingeklammerte Geisterstunde", dachte Julius. "Kein Wunder, daß ich sowas abgedrehtes träume." Dabei war er gerade erst vor einer Stunde zu Bett gegangen, nachdem er sichergestellt hatte, daß kein anderer mehr im Aufenthaltsraum der Grünen war. Dann dachte er noch einmal über das geträumte nach. Er hatte sich in dem Moment bei Professeur Tourrecandide eingefunden, als sie gerade "Katashari!" gerufen hatte. Dieses wirksame Zauberwort hatte er ihr beigebracht, um einen zum tödlichen Angriff ansetzenden Gegner für einige Zeit außer Gefecht zu setzen, ohne ihn zu verletztzen. Sie hatte sich in einer kleinen, fensterlosen Kammer befunden, die womöglich mal die Speisekammer eines alten Hauses oder ein großer, begehbarer Backofen gewesen sein mochte. Zumindest hatten der Boden, die Wände und die Decke aus Granit bestanden. Er erinnerte sich noch an zwei Strohsäcke, auf denen je eines der beiden kleinen Mädchen gehockt hatte. Aber wo das war und wieso Professeur Tourrecandide dort war wußte er nicht. Sie hatte diese gelben Ohrenschützer aufgehabt, wohl weil sie wußte, mit wem sie sich anlegen würde. Doch wer die zweite Vampirin war wußte er nicht. Sie sah supergut aus, schlank, hohe Wangenknochen, üppige Oberweite, lange Beine. Doch was das mit dem Todeswehrzauber sollte, der nicht als kurz einhüllender Lichtstrahl, sondern als leuchtendes Fesselfeld erschienen war, wußte er nicht. Seit seiner Erfahrung mit der Stadt Khalakatan und Temmies Cousinen, von denen er vor dem Besuch bei seiner Schwiegertante Barbara wußte, daß eine von ihnen nach Amerika gebracht werden sollte und die andere trächtig war, hatte er außer dem Ding mit den Elfenbeininsulanern keinen solchen Traum mehr gehabt. Das konnte was bedeuten. Mußte es aber nicht. Doch ein bohrender Gedanke trieb ihn dazu, diesmal nicht einfach nur zu denken, daß seine Phantasie ihm im Schlaf einen Streich gespielt hatte. Er wollte, ja mußte es sofort jemandem mitteilen, Madame Faucon womöglich oder noch besser Madame Rossignol. Vielleicht konnte die mit ihm herausfinden, ob das geträumte blanker Unsinn war, eine Horrorschau seines Gehirns, oder ob es sich um etwas bereits passiertes, gerade ablaufendes oder irgendwann mal mögliches handeln mochte. Ja, Madame Rossignol sollte das erfahren, wenn sie noch wach war. Wecken wollte er sie nicht. Er sah über sein Bett und erkannte, daß in Aurora Dawns Bild gerade Vivianes Kniesel Goldschweif I. lag. Seit wann kam dieser gemalte Vierbeiner denn in Auroras Portrait, ohne die zweibeinige Begleitung? Julius hielt sich jedoch nicht lange mit der Frage auf. Er wußte besser als die meisten anderen hier, wie gut Kniesel von menschen gesprochene Sprachen verstanden und wisperte ihr zu: "Goldi, hol mir Viviane her! Hol mir Viviane her!"
"Monju, du bist auch wach?" Fragte ihn Millies Gedankenstimme. Er legte schnell seine Hälfte des rubinroten Zuneigungsherzens auf die Stirn und dachte: "Ja, bin wach. Hatte gerade einen abgedrehten Traum von Professeur Tourrecandide und drei Vampiren. Hast du den auch gehabt?"
"Neh, ich habe noch was für Professeur Dirkson gelesen, damit ich morgen den Theoriekram für die Partial-Autotransfiguration ohne dummes Gestammel hinschreiben kann. Wollte mich gerade rumdrehen, als unser gemeinsames Schmuckstück immer heftiger gehüpft ist. Meinst du, das wäre was ähnliches wie mit Temmie oder Darxandria?"
"Will ich gleich rauskriegen, wenn ich weiß, ob Madame Rossignol noch auf ist."
"Willst du der einen Traum erzählen?" Fragte Millie etwas belustigt.
"Sie hat mir geraten, mir besonders seltsam vorkommende Träume entweder aufzuschreiben und ihr mal zu lesen zu geben oder ihr gleich nach dem Aufwachen zu erzählen, weil ich damals mit Madame Maximes Blut im Körper einige Sachen geträumt habe, von denen sie meinte, daß ich womöglich unbewußt was mitbekomme, was irgendwem passiert.""
"Wie der Traum von diesen Leuten von der Elfenbeininsel?" Fragte Millie. Julius erinnerte sich und bejahte es. Dabei fiel ihm ein, daß er das vielleicht doch mal wem hätte erzählen sollen. Doch als er das geträumt hatte war er gerade in England und verfolgte die Prozesse um Umbridge, die Malfoys und die Carrows. Und danach hatte er kein rechtes Verlangen gehabt, diesen merkwürdigen Traum zu erzählen. Doch das mit Tourrecandide hatte ihn sichtlich mitgenommen. War das nun nur ein Traum oder ein übernatürlich empfangenes Vorzeichen oder gar eine den Raum und die Barrieren um Beauxbatons überwindende Direktbeobachtung?
Julius glaubte an wortlose Gedankenübertragung, als sein Pflegehelferschlüssel erzitterte. Er prüfte schnell, ob die Schnarchfängervorhänge um sein Bett ganz zugezogen waren und legte den linken Zeigefinger auf den weißen Schmuckstein. Madame Rossignols räumliches Abbild entstand wie eingeschaltet über seinem Bett. "Magistra Eauvives Kniesel stürmte gerade zu ihr und Magistra Delourdes in meinem Sprechzimmer. Magistra Eauvive hat verstanden, daß sie in Auroras Bild zu dir kommen soll. Was ist los? Hast du etwas seltsames oder schlimmes geträumt?" Direkter und kürzer ging's nicht, dachte Julius und antwortete sogleich mit "Ja, stimmt, von Professeur Tourrecandide, den Vampireheleuten Sangazon und einer Vampirin, die sündhaft schön aussah und irgendwie merkwürdig überlegen rüberkam."
"In Zehn Minuten bei mir im Sprechzimmer antreten!" Kam der knappe und unmißdeutbare Befehl der Schulheilerin. Julius fragte erst gar nicht, ob er das durfte, weil ja nach zehn Uhr abends kein Schüler mehr aus seinem Saal durfte und auch für Saalsprecher um Mitternacht Schluß mit herumstreunen war. Aber erstens streunte er nicht. Zweitens konnte er ja direkt von seinem Saal aus zu Madame Rossignol überwechseln. Das waren die Vorrechte der Pflegehelfer. So bestätigte er die Anweisung und sah, wie die räumliche Projektion der Heilerin übergangslos im Nichts verschwand. So leise er konnte stand er auf. Weil er eben so leise wie möglich machen mußte, dauerte es schon einige Minuten, bis er seinen Schulumhang über dem langen Schlafanzug gezogen hatte und in seine Schuhe schlüpfte. Er schlich aus dem Schlafsaal hinaus und schloß geräuschlos die Tür von außen. Dann legte er mehr Tempo zu, lief die Wendeltreppe hinunter zum Aufenthaltsraum, wo im Moment niemand war, auch kein dienstbarer Hauself, der gleich einem Hainzelmännchen das Chaos des Tages ordnete. Er wartete noch eine Minute ab. Dann schlüpfte er durch die Wand direkt in Madame Rossignols Sprechzimmer hinüber. Er dachte, sie dort allein vorzufinden. Doch zu seinem großen Erstaunen traf er auch Madame Faucon und seinen Saalvorsteher Delamontagne dort an. Das alles nur, weil er einen seltsamen Traum hatte? In Julius' Kopf bimmelten die ersten Alarmglocken.
"Oh, komme ich ungelegen? Guten Morgen Madame Faucon, Professeur Delamontagne. Madame Rossignol, Sie baten mich um mein Erscheinen", grüßte er die drei ranghohen Mitarbeiter von Beauxbatons.
"Ich hoffe mal, daß was Sie uns gleich erzählen werden basiert nicht doch auf einem reinen Traumgebilde", erwiderte Madame Faucon und erhielt zustimmendes Nicken des Fachlehrers für die Abwehr dunkler Kräfte und Wesen. Madame Rossignol bot ihrem Pflegehelfer einen freien Stuhl am Konferenztisch an, an dem er in einigen Stunden mit den anderen wieder zusammensitzen würde. Auf dem Bild hinter der Heilerin saßen Serena Delourdes, Viviane Eauvive und Aurora Dawn auf dem gemalten Sofa.
"Ich hoffe es eher doch, Madame, weil wenn das nicht nur ein Traum war könnte es für Professeur Tourrecandide ziemlich übel gelaufen sein oder irgendwann so laufen." Die Schulleiterin sah ihn nun sehr ernst an und verlangte von ihm, von Anfang an und so umfassend zu erzählen, wie er sich noch erinnern konnte. So schilderte er den überstandenen Alptraum, der ja mit seinem Eintritt in diese Kammer begonnen hatte und sogesehen gerade einmal zwei Minuten gedauert haben mochte. Er erzählte ruhig und in klaren Sätzen, was er im Traum beobachtet hatte, ja selbst nichts hatte tun können. Dann wurde er von allen dreien gefragt, wie dieses oder jenes ausgesehen hatte, vor allem jene zweite Vampirin, die außer Voixdelalune in der Kammer gestanden hatte. Er mußte die beiden kleinen Mädchen beschreiben, was für Haare sie hatten und welche Kleidung sie trugen. Dann mußte er noch einmal genau schildern, was mit Professeur Tourrecandide passiert war. Madame Faucon und Professeur Delamontagne sahen einander an. Madame Rossignol fragte dann noch einmal: "Und das alles begann für dich mit dem Ausruf des Zaubers, mit dem man Gegner für einige Minuten vom Töten abhalten kann?" Julius bestätigte das noch einmal.
"Haben Sie in dem Zusammenhang schon häufiger Träume gehabt, in denen die vier Zauber oder andere Dinge oder Wesen aus dem alten Reich vorkamen?" Fragte Professeur Delamontagne. Madame Faucon nickte. Offenbar wollte sie das gerade auch fragen. Julius überlegte, ob er es erwähnen sollte. Immerhin war es schon einige Monate her. Und nichts in der Richtung war im wirklichen Leben passiert ... oder erwähnt worden. Doch dann gab er sich einen Ruck. Die frage schrie doch förmlich danach, ja legte es ihm in den Mund, alles zu erzählen, was er in dem Zusammenhang geträumt hatte.
"Na ja, Sie drei wissen ja, daß ich von der Lichtmagierin Darxandria in meinen Träumen den Auftrag und die Anleitungen bekommen habe, wie diese Wolkenhüter zu rufen waren, um die Schlangenkrieger zu erledigen. Danach habe ich bis Juli nichts derartiges mehr geträumt, bis ich nach England gereist bin und da die Gerichtsverfahren gegen Umbridge und die anderen mitverfolgt habe. Da habe ich in einer Nacht - ich denke das war genau vor dem Tag, an dem die Malfoys vor Gericht gestellt wurden - geträumt, ich sei bei einem gewissen Phaeton Maintenon und bekäme mit, wie der und seine sieben Kumpels von anderen Zauberern angegriffen wurden ..." So schilderte er die noch präsenten Einzelheiten jenes Traumes, bei dem er wie diese Nacht den Eindruck gehabt hatte, ein körperloser Zuschauer zu sein. Madame Faucon und Professeur Delamontagne verzogen kurz die Gesichter und blickten dann völlig beherrscht auf Julius, während Madame Rossignols flotte-Schreibefeder im Hintergrund alles mitschrieb.
"Sie haben das Eiland von oben gesehen?" Fragte Madame Faucon Julius. Er bestätigte es und beschrieb es im Detail, wie er es gesehen hatte. Auch die Drachen, die die Angreifer abzuwehren versucht hatten und dabei irgendwie wie undichte Luftballons zusammengefallen waren.
"Und diese Insel, von der Sie denken, daß es die Elfenbeininsel gewesen sein müsse, ist in einem großen Strudel verschwunden, weil deren Regenten durch das Opfer dieses Phaeton Maintenon einen Ortsversetzungszauber großen Ausmaßes aufgerufen haben?" Fragte Professeur Delamontagne. Julius bestätigte das, obwohl er fühlte, daß eine merkwürdige Spannung in der Luft lag. Irgendwie war ihm so wie damals vor dem Sanderson-Haus, als er die offene Tür sah und sich nicht sicher fühlte, ob er da wirklich reingehen sollte. Mochte es sein, daß es hier etwas ähnliches wie damals war, die unhörbare Vorwarnung, nicht an ein vorhandenes Wespennest zu rühren?
"Und sonst haben Sie keine derartigen Träume gehabt, in denen Professeur Tourrecandide mitwirkte?" Fragte Madame Faucon. Julius war sich sicher, wohin die Frage zielte. Doch außer dem Traum diese Nacht hatte er von ihr nichts geträumt.
"Da waren Sie ja auch noch wach", erwiderte Madame Faucon kühl. Julius verstand. Was immer damals zwischen Professeur Tourrecandide und der Wiederkehrerin passiert war, es mußte zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, an dem er sicher wach war. Und wenn Madame Faucon das ganz sicher wußte, dann konnte es nur die Nacht zum ersten Mai gewesen sein, die Walpurgisnacht. Das kam ja auch hin, dachte Julius.
"Wie viel von dem, was Sie im Traum erlebt oder durchgestanden haben traf tatsächlich ein?" Fragte Professeur Delamontagne. Julius erwähnte nur die Sachen, die er von Darxandria selbst geträumt hatte.
"Wobei zu bemerken ist, daß manche Einzelheiten anders beschaffen sein mochten als wahrhafte Dinge. Immerhin hast du mir ja erzählt, daß du einmal von diesen intelligenten Entomanthropen geträumt hast. Die gab es ja wirklich", sagte Madame Rossignol. Sie wußte mehr, wußte Julius. Immerhin hatte er ihr häufig genug seine Träume erzählt, als er mit Madame Maxime zusammengelebt hatte. Er nickte. Zumindest konnte sie seine ganzen wilden Träume nicht ausplaudern. Denn diese waren durch den Geheimhaltezauber der Latierres geschützt.
"In Ordnung, Monsieur Latierre. Da Sie ohnehin davon ausgehen müssen, daß wir bestimmt nicht zur nachtschlafenden Zeit bei Madame Rossignol zusammenkamen, nur um uns einen Traum anzuhören, möchten wir Sie nicht im Unklaren lassen, was uns daran so alarmierte, und dies zum Zweck, daß Sie sehr sehr sorgfältig darauf achten, ihre geträumten Erlebnisse nicht arglos auszuplaudern", setzte Madame Faucon an. "Natürlich erhielt ich von Madame Rossignol einen Bericht, daß Sie offenbar durch ihre besondere Zauberkraft oder durch die Verbindung mit Darxandria im Zusammenspiel mit anderen möglichen Faktoren Dinge im Traum sehen und hören konnten, die nicht an die Öffentlichkeit drangen und Ihnen somit nicht auf üblichen Wegen zugänglich werden konnten. Auch steht zu vermuten, daß Sie durch Ihren Ausflug zu den Quellen des Wissens um die vier alten Zauber auf eine uns nicht erfaßbare Art auf diese Zauber gesondert geprägt wurden, so daß es sehr wahrscheinlich ist, daß Sie mitbekommen, wenn einer oder mehrere davon in der Welt aufgerufen werden. Denn nur Sie können diese alten Zauber problemlos weitergeben und gehen daher über Kanäle wie Sprache und Bewegungen eine geistige Verbindung mit jedem ein, der diese Zauber von Ihnen lernt. Uns war und ist nicht bekannt, daß durch diese Weitergabe eine über alle schützenden und verhüllenden Zauber und räumlichen Entfernungen hinweg solche Verbindungen aufrechterhalten bleiben. Aber die von Ihnen erwähnten Dinge zwingen uns dazu, dies für gegeben zu erachten. Was das mit der Elfenbeininsel angeht, so haben Sie, ohne es zu wollen oder zu erzwingen, ein Staatsgeheimnis berührt. Es hat in der Tat einen massiven Angriff auf die Elfenbeininsel gegeben." Delamontagne sah Madame Faucon erschüttert an. Doch diese machte eine beruhigende Geste und fuhr fort. "Alle, die von Ihnen den Gebrauch der vier Zauber erlernten wurden aufgefordert, die Barrieren um die Insel zu durchstoßen, um den dortigen Regenten deutlichzumachen, daß ihre Überheblichkeit nicht mehr länger geduldet wird. Was sie sich mit diesem Monsieur Pétain und den Drachen geleistet haben, ganz zu schweigen von der Entführung der Eheleute Grandchapeau, wollte der Minister nicht länger auf sich beruhen lassen. Denn wenn er nicht entführt worden wäre, wäre uns womöglich Didiers Unterdrückungsherrschaft erspart geblieben. Zwar hing eine Drohung an, daß eine gewaltsame Auseinandersetzung zu unzähligen Opfern auf beiden Seiten führen würde. Doch Minister Grandchapeau nahm dies als unwirksame Drohung auf. Tatsächlich gelang es uns, die Barrieren nach und nach zu durchlöchern und schließlich niederzureißen. Und da passierte es, daß die Insel tatsächlich in einem gewaltigen Strudel verschwand, besser, daß ein Strudel die plötzlich entstandene Leere ausfüllte, die die verschwundene Insel hinterlassen hatte. Ich sage Ihnen dies alles trotz des Eides, das nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, weil ich von Ihnen erwarte, daß Sie diesen Traum nie wieder von sich aus irgendwem außer uns dreien oder Ihrer Frau, der Sie ihn wohl schon erzählt haben, gegenüber erwähnen. Der minister muß es nicht wissen, daß da jemand ist, der davon etwas mitbekommen hat. Deshalb muß ich Ihren heutigen Traum auch als alarmierend einstufen. Denn niemand außer uns beiden", wobei sie auf Delamontagne deutete, "wußte davon, daß Professeur Tourrecandide zwei von den Sangazons entführte Mädchen suchen und befreien wollte. Diese beiden Vampire handeln unter Umständen nicht mehr auf der Basis eines freien Willens, sondern sind einem übermächtigen Zauber unterworfen, der Vampire zu folgsamen Sklaven ernidrigt. Die werte Kollegin konnte die Spur der beiden aufnehmen, wohl auch, weil die beiden ihr bewußt Hinweise gegeben haben, die ich in Anbetracht der möglichkeiten als Köder bezeichnen möchte. Die letzte Meldung an die Liga war die, daß sie vor einem mit Apparitionswall gesichertem Haus angekommen sei und nun wie von ihrer Schwester Lucille verlangt allein dort eintreten würde, da in den Bäumen zu viele Fledermäuse seien, die womöglich als Kundschafter und Kuriere abgerichtet wären. Mehr wissen wir nicht, weil wir erst morgen früh die Meldung von unseren Partnern aus der Liga gegen dunkle Kräfte erhalten werden."
"Moment, Apparitionswall? Dann muß da noch ein Zauberer oder eine Hexe gewesen sein, der oder die denHochgezogen hat. Hat das Professeur Tourrecandide nicht stutzig gemacht?" Fragte Julius, der sich nicht vorstellen konnte, daß die bewanderte Expertin für bösartige Magie so blauäugig in eine offenkundige Falle getappt war.
"Interessant, die Frage stellte ich ihr auch, als ich den Verbindungszauberer zur Liga meine Antwort auf seine Meldung schickte", sagte Professeur Delamontagne. "Die Antwort kam vor einer halben Stunde, daß sie auf eine Falle gefaßt sei und das Haus sicherlich von ihr, der neuen Königin der Vampire, präpariert worden sei, um die Sangazons dort sicher vor plötzlichen Angriffen zu machen."
"Ach, und diese neue Vampirkönigin kann hexen und zaubern?" Fragte Julius leicht verächtlich. Madame Faucon sah ihn ermahnend an, antwortete aber dann ganz ruhig: "Diese Vampirin war in ihrem früheren Leben eine versierte Hexe und gelangte vor einiger Zeit in den Besitz eines magischen Gegenstandes, der ihre vampirische Konstitution, Geistes- und Zauberkräfte erheblich potenzierte, so daß sie auch als Vampirin in den Vollbesitz ihrer Hexenfertigkeiten gelangte. Wir dürfen sogar davon ausgehen, daß sie erheblich stärkere nach außen wirksame Zauberkräfte erhalten hat als zu ihrer Zeit als Mensch. Und bevor Sie es sagen, woran Sie ihrem Gesicht nach gerade denken: Ja, es stand oder steht zu befürchten, daß diese neue Übervampirinauch in diesem Haus gewartet hat. Der Auszug aus Ihrem Traum legt den Schluß nahe, daß Sie sie sogar gesehen haben, und daß sie offenbar nur durch den Todeswehrzauber davon abgehalten werden konnte, Professeur Tourrecandide anzufallen, was diese - immer nur in der Annahme, Sie hätten reele Ereignisse fernbeobachtet - davon abhielt, die beiden anderen Vampire in Schach zu halten. Wir werden das klären müssen, was dort vorging."
"Ich habe Ihnen allen ja erzählt, daß ich gerade so noch gehört habe, wie mehrere Leute von außen kamen und Reducto-Flüche gegen feste Hindernisse geschleudert haben", erinnerte Julius sich und die anderen an die lezten gerade so noch mitgeträumten Ereignisse. Madame Faucon nickte. Dann sagte sie: "Womöglich hat sie doch Verstärkung im Rücken gehabt. Aber was das mit dem goldenen Lichtblitz war, der nur ihre Kleidung zurückließ entzieht sich mir. Ich kenne keinen Zauber, der wirklich so wirkt."
"Das licht sah für mich so aus wie das beim Infanticorpore-Fluch", sagte Julius halblaut. "Aber der kann es nicht gewesen sein, weil der ihr ganz sicher nicht geholfen hätte und ja von ihr außer den Kleidungsstücken nichts übrig war, also auch kein Neugeborenes." Madame Faucons Pupillen weiteten sich für einen Moment auf doppelten Durchmesser. Dann sagte sie schnell:
"Das ist richtig, weil es ihr nicht geholfen hätte, ihn auf sich selbst anzuwenden. Und die Vampirkönigin wird nicht genau den Fluch auf sie gesprochen haben, wenn sie vorher befohlen hat, daß die Sangazons sie als ihre Tochter annehmen sollten. Sie wissen ja, wie dies vollzogen wird." Julius nickte heftig und grummelte, daß er sich an den Seminarabend mit den Sangazons noch sehr gut erinnern konnte. Sie hatten sich dafür extra mit bezauberten Silbersachen behängt, um sich die Vampire wortwörtlich vom Hals zu halten. Die Pflegehelfer hatten von Professeur Tourrecandide einen verstärkten Curattentius-Zauber auf ihre Pflegehelferarmbänder gelegt bekommen, der von dunkler Kraft durchströmte Wesen auf Abstand halten konnte.
"Nun, da Julius es im Traum erlebt hat, muß nicht alles wirklich passiert sein", schränkte Madame Rossignol ein. Julius dachte einen Moment, daß dies jetzt herablassend war. Doch dann erkannte er, daß sie ja recht hatte. Er würde es ja selbst nicht für echt passiert halten, wenn er nicht schon einige Sachen vorweggeträumt hätte, davon, Brittanny Foresters Sohn zu werden mal ganz abgesehen.
"Halten wir also fest, daß Sie durchaus stattfindende Ereignisse im Traum miterleben können, sobald diese in unmittelbarem Zusammenhang mit den vier alten Schutzzaubern stehen. Aber wir dürfen uns nicht dahin versteigen, alles, was Sie träumen als wirklich geschehen oder noch bevorstehend zu werten, da es durchaus doch zu Einfügungen des Unterbewußtseins kommen kann", faßte Madame Faucon die Besprechung zusammen. Alle anwesenden nickten. Dann erinnerte sie Madame Rossignol und Julius noch einmal daran, daß niemand sonst von dem Traum mit den Elfenbeininsulanern wissen durfte. Julius versprach es, keinem anderen zu erzählen. Daß Millie das wußte, setzten sie voraus. Aber das würde er dann zum Familiengeheimnis der Latierres erklären, womit es besser geschützt würde als alles andere, genau wie seine anderen Träume auch, solange er sie nicht freiwillig ausplauderte. Das erwähnte auch Madame Rossignol, womit sie bei den beiden anderen große Erleichterung erntete.
"So, ihr habt noch ungefähr fünf Stunden Zeit. Schlaf dich am besten bis zum offiziellen Wecken aus, Julius", sagte die Heilerin. Da Julius aber selber wecken gehen sollte mußte er wohl eine halbe Stunde früher aus den Federn. Doch damit hatte er kein Problem. Das Lebenskraftritual seiner Schwiegeroma gab ihm eine höhere Ausdauer, so daß er nur wenig Schlaf brauchte.
Wieder zurück in seinem Schlafsaal horchte er auf das ganz ruhig pulsierende Zuneigungsherz. Millie war noch wach. Kunststück, wo sie wissen wollte, was er mit Madame Rossignol besprochen hatte. So teilte er ihr alles auf unhörbarem Wege mit und sprach im Schutz der Vorhänge aus, daß er alles gerade berichtete als Familiengeheimnis der Latierres einstufte. Somit würde es auch keiner der anderen so einfach weitererzählen, was er geträumt hatte, außer ihm und seiner Frau natürlich.
Auch wenn Julius durch seine Pflichten als Saalsprecher genug Ablenkung hatte, mußte er doch immer wieder an diesen merkwürdigen Traum denken. Er fragte sich dabei, ob Faucon und Delamontagne ihm erzählen würden, ob er da echt nur Unsinn erlebt hatte oder tatsächlich Zeuge eines düsteren Vorgangs gewesen war. Eigentlich konnten die das wunderbar für sich behalten, und er könnte es nicht mal von ihnen verlangen, daß sie ihm Gewißheit gaben, ob nur Traum oder mitbekommene Wirklichkeit.
Hohe Wellen rollten gegen den Strand an wie graue Streitrösser einer Invasionsarmee. Die Ausläufer der donnernden Wogen klatschten bereits gegen die Wände der Umkleidekabinen, die zwar einen Wasserabweisezauber besaßen, aber immer wieder umspült oder von niederregnender Gischt bespritzt wurden. Julius, der mit seiner Frau wie die meisten anderen am Strand weilte, sah auf die immer höher aufkommenden Wellen und in den Himmel, wo die Herbstsonne immer wieder hinter bleigrauen Wolken verschwand. "Madame Faucon wird wohl bald den Strand zumachen", sprach er eine Vermutung aus.
"An schwimmen ist bei den Wellen echt nicht mehr zu denken. Da gehen selbst die zwei Kratzbürsten nicht mehr rein, die Tante Babs ausgebrütet hat", erwiderte Millie. Seit der Sache mit den Zwillingen und Gérard war der Umgangston zwischen Millie und ihren Cousinen merklich abgekühlt. Offenbar dachten die daran, daß Millie dem heimlich zustimmte, daß sie kein Quidditch spielen durften. Doch mit Julius redeten sie, wenn er sie antraf ganz normal.
"Guck dir den Brecher da an!" Lenkte Julius Millies Aufmerksamkeit auf ein breites, haushohes Wasserungetüm mit wild schäumendem Kamm, das gerade aus mehreren Hundert Metern Entfernung heranrauschte. Alle Strandbesucher traten schnell einige Dutzend Meter weiter zurück. Dann brauste die mächtige Brandungswelle gegen den Strand an. Das Wellenungetüm zerbarst mit lautem Donnern am ansteigenden Sandstrand. Sein oberes schnellte als eine Schaumwolke davon, während seine Hauptmasse mit einem riesigen Schwall den Strand bis fast zu den Sitzbänken überflutete. Die Umkleiden standen fest, und Julius konnte die Wirkung des Wasserabweisezaubers in voller Stärke beobachten, wie die wuchtig ans Land geworfenen Wassermassen knapp einen Zentimeter von den Wänden abgehalten wurden, die für einige Sekunden in einem silbernen Licht schimmerten, bis sich die angespülte Flut entladen hatte und rauschend als flache Gegenwelle ins Meer zurückglitt.
"Wir haben keinen Sturm", sagte Millie, die nur den etwas stärkeren Wind fühlte. Julius nickte. Dann meinte er mit Blick auf die immer zahlreicher werdenden Wolken, daß es im Süden wohl stärkeren Wind oder sogar ein Unwetter geben mochte, dessen Auswirkungen bis an diesen Strand zu spüren waren. Da rollte auch schon die nächste Welle an, zwar nur ein Viertel so hoch wie der Brecher eben, aber doch ausreichend, wieder einige Meter Strand zu überspülen. "Merken wir uns das Datum, Julius!" Rief Millie, als die Welle Klatschend am Strand zersprühte. "Das ist der letzte Strandtag im Jahr neunzehnhundertachtundneunzig." Julius nickte. Da fuhr eine wesentlich stärkere Böe über den Strand hinweg und warf dabei noch eine hohe Welle auf, die aus mehreren Hundert Metern heranrauschte.
"Schade ist das, weil es im Oktober noch nicht zu kalt zum schwimmen ist", meinte Julius. Doch er mußte einsehen, daß ein Strandbesuch bei einem solchen Wellengang, der sich zum Winter hin weiter verstärken würde, auch nichts schönes mehr war.
Tatsächlich verkündete Madame Faucon, als sie beim Abendessen im Speisesaal versammelt waren, daß sie das Teleportal bis zum kommenden Mai verschließen würde, da nun, wo die ersten Herbststürme aufkamen, der Strand nicht mehr sicher genug sei und bei den hohen Wellen wohl kaum an vergnügliches Schwimmen gedacht werden könne. Aber für Außenaktivitäten blieben ja noch die Parks und das Stadion. Einige Schüler trieben nicht früh morgens, sondern nachmittags Sport, um morgens nicht zu früh aus dem Bett steigen zu müssen. Auch viele der muggelstämmigen Jungen und einige der Mädchen trafen sich im südlichen Park, der fast übergangslos im dichteren grünen Forst verschwand, um auf der Wiese in dessen Zentrum Fußball zu spielen, manchmal hönisch bedacht von den reinblütigen Schülern, die Fußball nie was hatten abgewinnen können, auch wenn ihnen die Muggelstämmigen erzählten, daß Frankreich in dieser Sportart amtierender Weltmeister war. Bei einem solchen Fußballspiel konnte auch Julius mal wieder ausprobieren, ob er auch ohne Hände und Besen einen Ball führen konnte. Millie half derweil ihrer Tante Mayette mit Zauberkunsthausaufgaben. "Die Kleinen" hatten gerade den Schwebezauber kennengelernt. So bestand die Aufgabe im Wesentlichen darin, ihn immer wieder zu üben. Für Millie ergab sich die Möglichkeit, diesen Zauber ungesagt zu üben, womit sie auch was von der Hausaufgabenhilfe hatte.
Als alle Schüler in ihren Sälen waren sprach Julius noch ein wenig mit Gérard über Pierre Marceau, der zwar nach außen hin so tat, als sei ihm das Getue der größeren Jungen gleichgültig, aber wohl nicht so einfach damit klarkam, daß er sich ausgerechnet eine Viertelveela zur ersten festen Freundin ausgesucht hatte.
"Ich will nicht behaupten, daß ich weiß, wie eine Veela tickt", griff Julius Gérards Frage auf, wie er Gabrielles Verhalten beurteilte. "Deshalb kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, daß sie wirklich nur für Pierre da sein wird, wenn sie mal älter ist und ihre Möglichkeiten richtig austestet."
"Wenn wir Glück haben muß das dann wer anderes beaufsichtigen", sagte Gérard, der keine rechte Lust hatte, um Gabrielle herumschleichende Jungen auf Abstand zu halten oder für Pierre jede Handgreiflichkeit abzuwenden oder ihn zu verteidigen, wenn's doch knallt."
"Da haben wir was gemeinsam. Ich möchte in den Pausen auch was anderes tun als andauernd zu gucken, wo sich die Blauen und Roten zusammenrotten, weil Gabrielle ihr langes Haar ausgeschüttelt hat oder einen eleganten Hüftschwung ausführt", stimmte Julius seinem Kameraden zu. "Andererseits kann sie für ihre Abstammung nichts, und richtig hindern können wir die eh nicht, ihre Möglichkeiten auszutesten. Das wäre dann Célines Sache."
"Ja, aber du kannst nicht verbergen, daß dich das auch schon anmacht, wenn die kleine Delacour dich anlächelt und sich mit den Fingern durchs Haar geht. Und die Beine von der werden von Tag zu Tag länger. Sandrine ist auch schon ganz komisch drauf, wenn ich die ansehen muß und dann für ein zwei Sekunden irgendwie aus dem Tritt bin."
"Hinzu kommt, daß Gabrielle in deinem Saal wohnt. Aber Millie hat mit der keine weiteren Probleme, außer daß ihr die Art, wie sie geht und sich darstellt nicht paßt, aber das ist wohl bei allen Mädchen so, die keine Veelas in der Blutlinie haben", erwiderte Julius." Gérard fragte ihn, ob er das sicher wisse, und Julius flüsterte, daß er es von den andern Mädchen am Violetten Tisch immer wieder zu hören bekommen hatte, als er mit diesen einige Tage zusammen essen mußte. Daß ihn Fleur damals selbst in eine ablehnende Stimmung versetzt hatte gehörte zu den Sub-Rosa-Sachen, über die er ja nichts verraten durfte. So verblieben sie dabei, daß sie eben dieses und das kommende Schuljahr weiterhin auf Pierre und Gabrielle achten mußten, sofern Pierre nicht doch meinte, sich eine andere Freundin zuzulegen oder Gabrielle meinte, sich nicht für einen gleichaltrigen Jungen reservieren zu müssen.
Als Julius um mitternacht in seinem Himmelbett lag sah er noch einmal auf Auroras Bild. Dort war im Moment niemand, auch nicht Vivianes Kniesel.
Ohne einen aufwühlenden Traum durchstand Julius die Nacht und traf sich am Montagmorgen mit seiner Frau und andren Frühsportlern am Quidditchstadion, wo auch Professeur Beaufort eintraf, der offenbar früh von Frau und Kindern losgekommen war. Er würde heute Nachmittag die Mannschaft der Gelben betreuen, die sich auf ihr Spiel am kommenden Wochenende vorbereiteten. Julius genoß es, mit dem Schwermacher zu trainieren. Die Zeit in Madame Maximes Nähe, wo er die Folgen der Bluttransfusion überstehen mußte, hatten ihm noch mehr Ausdauer und Kraft verliehen, so daß er mit dem magischen Übungskristall bestimmt bald eine ganze Stunde trainieren konnte.
Als die Abonenten des Miroir Magique und der Temps der Liberté beim Frühstück die tagesfrischen Ausgaben der beiden nun friedlich nebeneinanderexistierenden Zaubererzeitungen erhielten setzte ein gewisses Getuschel ein. Es war wie eine Welle aus Raunen und Flüstern, die von denen, die zuerst ihre Ausgaben bekamen immer weiter um sich griff. Julius sah gerade, wie einer von Schwiegeroma Ursulines Waldkäuzen ihm das für ihn bestimmte Exemplar brachte. Sein verschwägerter Verwandter Gilbert hatte ihm das Abonement für null Knuts gewährt. Neben dem Waldkauz flog auch ein Rauhfußkauz mit einem blau-weiß-roten Ring am rechten Bein und einem Briefetui am linken Bein heran. Der Ring sagte, daß das Tier wohl aus den vereinigten Staaten kam. Also konnte es eine Nachricht der Redliefs oder der Foresters sein, falls ihm nicht einer aus der Quodpotmannschaft von Viento del Sol einen Gruß schicken wollte. Der offizielle Postvogel war schneller bei ihm als der gefiederte Zeitungsbote Gilbert Latierres. Da klatschte die aktuelle Ausgabe des Miroirs neben ihm vor Robert neben den Teller. Julius sah kurz, daß Professeur Tourrecandides Gesicht die Titelseite zierte, als auch vor seinem Gesicht eine Zeitung herabsegelte.
"Ist die Tourrecandide auch in deinem Familienblatt drin, Julius?" Fragte Robert, der seine Zeitung gerade überflog. Julius griff nach der Temps und sah, daß auch auf deren Titelseite die ehemalige Verteidigungslehrerin prangte, die sehr streng aus einem grauen Rahmen herausblickte. Daneben war ein zweites Foto abgedruckt, das eine dunkelhaarige Frau in einem langen Kleid zeigte, die jedoch auf einem dunklen Hintergrund erschien, als habe man sie bei Nacht oder in einem abgedunkelten Raum aufgenommen. Julius blickte auf die Schlagzeile und las sie Robert halblaut vor:
"Streit der ungleichen Schwestern - Beide Tot? - Muggelmädchen nach Entführung aus Händen von Vampiren gerettet"
"Häh? Bei mir steht: "Wo ist Professeur Tourrecandide? Fachkundige Expertin für bösartige Zauber Opfer ihres Berufes?" Von Vampiren steht da nix", erwiderte Robert und reichte Julius seine Zeitung. Doch in dem Moment schuhute der beringte Rauhfußkauz und hielt Julius das linke Bein hin. Julius verstand, daß der Vogel nicht stundenlang warten wollte, bis man ihm den Brief abgenommen hatte. Julius hatte ein Einsehen und nahm den für ihn bestimmten Brief an sich. Der Postvogel spreizte seine Federn, klapperte kurz mit dem Schnabel und wandte sich um, um unter Zurücklassung einiger Daunenfedern durchzustarten.
"Der hatte es aber eilig, Julius. Hoffentlich kein Gift- oder Fluchbrief." Julius verneinte es. Das Pflegehelferarmband hatte nicht reagiert, für ihn eine ausreichende Sicherheit, es nicht mit einer schwarzmagischen Postsendung zu tun zu haben. Er blickte auf die Adresse
Ms. Brittany Dorothy Forester
Haus Buchecker
Preiselbeergasse 5
Viento del Sol
Kalifornien
Vereinigte Staaten von Amerika
"Neh, das kommt von Brittany Forester", sagte Julius und steckte den Brief fort, weil ihn die Sache mit Professeur Tourrecandide doch im Moment mehr betraf.
"Ich lese meine Zeitung zuerst, Robert. Du kannst den Artikel in deiner Zeitung lesen", schlug Julius vor. Robert nickte und nahm seine Zeitung wieder an sich. Julius betrachtete noch einmal das Bild. Ja, das konnte die Vampirin Sangazon sein. Nein, das war sie ganz sicher. Jetzt erkannte er ihre Gesichtszüge. Sie blickte ihn verheißungsvoll an und entblößte, weil es ein magisches Foto war, die beiden dolchartigen Fangzähne, die aus ihrem Oberkiefer herausstachen. Früher hatte er immer gedacht, Vampire und Geister könne man nicht filmen oder photographieren. Offenbar galt das bei einer Aufnahmetechnik, bei der magische Kameras und beim Entwickeln verwendeter Zauberlösungen nicht, oder stimmte so wenig wie die von Muggeln immer gerne verbreitete Behauptung, daß Vampire kein Spiegelbild besaßen. Er las erst einmal leise für sich wie Robert, der gerade von André gefragt wurde, was mit Tourrecandide sei. Gérard, der links von Julius saß, schwieg. Er wußte, daß Julius ihm schon rechtzeitig was sagen würde, wenn es was wichtiges war.
In den Abendstunden des 12. Oktober, so erfuhr die Redaktion der Temps de Liberté erst gestern aus gutinformierter Quelle, kam es zum Höhepunkt eines Dramas, das sich bereits vor über einer Woche andeutete. Am 3. Oktober verschwanden aus Brüssel die beiden nichtmagischen Mädchen Justine Durant (5) und Marie Jospin (6) auf dem Weg von einem Kinderspielplatz in der Nähe ihrer Elternhäuser. Zeugen für das Verschwinden konnten die Muggelermittler nicht auffinden. Auch fehlten Spuren möglicher Gewalteinwirkung. Dies wurde zunächst als reines Muggelweltproblem angesehen, da in Belgien vor mehr als zwei Jahren ähnliche, wenn auch sehr tragische Kindesentführungen stattfanden, bei denen die Entführten zu abartigen Zwecken mißbraucht werden sollten. Ähnliches fürchteten wohl die Muggel in Brüssel. Daß dies ein reines Muggelweltproblem war stellte sich jedoch nun als Irrtum heraus. Wie die eingangs erwähnte Quelle glaubhaft versichert, erhielt Professeur Austère Tourrecandide einen Brief, der ihr ein Ultimatum setzte, demnach sie zu einer bestimmten Zeit an einem abgelegenen Treffpunkt zu erscheinen habe, falls sie nicht wolle, daß die beiden entführten Mädchen ihre menschliche Daseinsform verlören. Was nur wenige wissen ist nämlich, daß Professeur Tourrecandide eine Schwester hatte, die vor einhundert Jahren der Verlockung eines unter Vollmond entstandenen Vampirs erlag und mit diesem die sogenannte Bluthochzeit feierte, durch die sie da selbst das Dasein einer Vampirin annahm. Somit mußte Professeur Tourrecandide davon ausgehen, daß die an sie ergangene Aufforderung mit einer Drohung kein Scherz und auf keinen fall zu unterschätzen sei. Um die beiden Mädchen zu retten und sie gegebenenfalls zu ihren Eltern zurückzubringen begab sich Professeur Tourrecandide vorgestern abend zum bezeichneten Treffpunkt, nicht ohne sich auf eine gewaltsame Auseinandersetzung vorzubereiten, wie ein Mitglied der Liga gegen dunkle Künste unserem Informanten ausdrücklich bekundete. Offenbar kam es am Treffpunkt, einem leerstehenden, wohl von seinen Besitzern für unverkäuflich gehaltenem Haus, zu jener von Professeur Tourrecandide befürchteten Auseinandersetzung, in deren Verlauf es ihr noch gelang, nach Verstärkung zu rufen. Als diese, angeführt von einem alten Kampfgefährten der ehemaligen Schutz- und Strafverfolgungsexpertin in Gegenminister Delamontagnes Stab den Treffpunkt stürmte, gelang es noch, die beiden Vampireheleute Éclipsian und Voixdelalune Sangazon zu stellen, die sich erbittert wwehrten und sogar versuchten, die beiden tatsächlich dort gefangengehaltenen Mädchen zu töten. Den Befreiern blieb nur der finale Gegenschlag gegen die beiden Vampire, bei dem diese den Tod fanden. Allerdings war Professeur Tourrecandide nicht mehr da. Von ihr wurde nur noch die Kleidung gefunden. Die beiden Mädchen konnten befreit und in die Delourdesklinik gebracht werden, wo man ihnen womöglich eine muggelmäßige Erinnerung geben wird. Was genau mit Professeur Tourrecandide passierte konnte oder wollte uns niemand sagen. Auf Grund ihres Anstandes ist wohl kaum anzunehmen, daß sie sich entkleidet hat und dann disapparierte, zumal ihr Zauberstab einige Meter vom Fundort der Kleidung entfernt aufgefunden wurde. Somit steht zu befürchten, daß Professeur Tourrecandide bei einer wie auch immer gearteten Befreiungsaktion einen übermächtigen Zauber aufrief, der ihren Körper vernichtete. (Näheres zur Entführung und dem bisherigen Werdegang Professeur Tourrecandides lesen Sie bitte auf den Seiten 3 ff.)
"Ich bin mit meinem Artikel durch", sagte Julius zu Robert. Dieser gab ihm seine Zeitung.
Wie dem Miroir Magique gestern abend noch mitgeteilt wurde, ist Professeur Austère Tourrecandide, ehemalige Fachlehrerin für die Protektion gegen destruktive Formen der Magie, langjähriges Mitglied der Liga gegen die dunklen Künste, Mitglied der Prüfungsgruppe zum Erwerb der allgemeinen Zauberergrade (ZAG) und der ultimativen Tests für Zauberfertigkeiten (UTZ), sowie im letzten Jahr stellvertretende Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung und Personenschutz im Stab des zeitweiligen Stellvertreters von Minister Grandchapeau Phoebus Delamontagne, in einer dem Ministerium nicht gemeldeten Angelegenheit aufgebrochen und bisher nicht in ihr Haus zurückgekehrt. Als sie gestern Besuch von einer Bekannten aus Millemerveilles erhalten sollte, fand sich die Besucherin vor verschlossenen Türen und mußte feststellen, daß die Bewohnerin des Hauses unanwesend war. Da es nicht zu den Charaktermerkmalen Professeur Tourrecandides zählt, getroffene Verabredungen zu versäumen, mußte die Besucherin davon ausgehen, daß Professeur Tourrecandide durch etwas an der Wahrnehmung des Treffens gehindert wurde, womöglich sogar in großer Gefahr schwebt. Deshalb erstattete sie Anzeige bei der Truppe für magische Unfallumkehr und fragte auch bei ihr bekannten Bekannten der Verschwundenen an. Sie erhielt sogar eine Auskunft. Doch auf Ministerielle Bitte hin sind wir gehalten, über Art und Ort nicht näher zu berichten, um keine voreiligen Spekulationen auszulösen. Feststeht jedoch, daß Professeur Tourrecandide bisher nirgendwo auftauchte und zu befürchten steht, daß sie vielleicht nie wieder zurückkehrt, soviel der Zaubereiminister auf direkte Anfrage des Miroirs. Wir teilen es Ihnen lediglich mit, um jede aufkommende Mutmaßung, ob sich Professeur Tourrecandide mit irgendwem anlegte oder nicht, zu unterbinden. Wir hoffen noch darauf, Ihnen demnächst über die glückliche Rückkehr der früheren Expertin für die Abwehr dunkler Zauberkräfte und -wesen berichten zu können.
"Na super, erst die Pferde scheumachen und dann nicht rauslassen, warum sie das tun", knurrte Julius, während Robert den Artikel in der Temps las.
"Stimmt das mit dieser Vampirschwester?" Fragte Robert. Julius hatte ihm doch schon von der Begegnung mit den Sangazons erzählt und daß Professeur Tourrecandide sehr ungern über Voixdelalune sprach. So erwähnte er noch mal, was er davon mitbekommen hatte, während er Roberts Zeitung an Gérard weitergab. Robert meinte noch zum stellvertretenden Saalsprecher, daß der doch auch wieder die Zeitung beziehen sollte. Julius meinte dazu, daß es dann vielleicht besser wäre, die Temps de Liberté zu abonieren, weil die wohl unabhängiger vom Ministerium berichte. Denn entweder habe man Gilbert bei der ganzen Sache vergessen oder dieser hatte sich nicht an die Anweisung des Ministeriums gehalten. Das konnte Gilbert zwar Ärger bringen, aber Ärger war ja der Vater seiner zeitung, dachte Julius. Denn die Temps gab es ja nur, weil der Miroir damals unter Didiers Kontrolle gestanden und nur diesem genehme Sachen berichtet hatte. Womöglich würde der Miroir am nächsten Tag oder vielleicht am Abend noch mit einer weiteren Meldung über Tourrecandide herauskommen, in der die Vorhaltungen der Temps und die daraus sicher entstehende Unruhe behandelt wurde. Das konnte noch was geben. Aber vor allem erkannte er jetzt, daß sein Traum kein Spiel seines Unterbewußtseins gewesen war. Denn alles hatte gepaßt, was Gilbert erwähnt hatte, und was ihm Madame Faucon und Professeur Delamontagne auch erzählt hatten. Wer konnte Gilberts Informant sein? Kannte Julius ihn oder sie womöglich? Jedenfalls wurde es richtig laut im Saal, weil nun viele Abonenten ihre Zeitungen denen vorlasen, die sie nicht bezogen. Das brachte Madame Faucon dazu, lautstark um Ruhe zu ersuchen und eine Ansprache zu halten.
"Offenbar geht Ihnen allen nahe, was der Miroir Magique in seiner tagesfrischen Ausgabe berichtet. Wir konnten und durften bisher davon ausgehen, keine erschütternden Meldungen mehr lesen zu müssen. Das war wohl ein Irrtum, wie ich wohl erkennen muß. Um jedem von ihnen zeitgleich den ohrenfällig so aufwühlenden Artikel zur Kenntnis zu bringen, werde ich diesen laut verlesen. Sollte sich daraus der Wunsch nach umfassenden Diskussionen ergeben, so bitte ich den Kollegen Professeur Delamontagne darum, diese in seinen Stunden zu führen. Aber sowie ich dem Miroir entnehme, besteht nicht genug Argumentationsgrundlage für eine ausführliche Diskussion."
"Entschuldigung, Madame, aber in der Temps wird erwähnt, daß Professeur Tourrecandide eine zur Vampirin gewordene Schwester hat, mit der sie sich wegen zwei entführter Muggelkinder treffen sollte und sie dabei irgendwie nackig verschwunden ist", warf Caroline Renard ein, die wie die Latierres die Temps bezog. Madame Faucon verzog nur das Gesicht und fragte, ob der Bericht auch anführe, aus welcher Quelle der Schreiber ihn schöpfte. Als sie nur hörte, daß es eine glaubhafte Quelle sei, blickte sie sehr ungehalten zurück. "Wir haben es alle zu schätzen gewußt, daß Monsieur Gilbert Latierre, der Herausgeber und Chefredakteur der Temps de Liberté, unabhängig und ohne Rücksprache mit dem Ministerium berichtet. Allerdings tut er keinem einen Gefallen damit, derartige Meldungen in Umlauf zu setzen, von wem auch immer er dergleichen erfahren hat", erwiderte die Schulleiterin.
"Dann stimmt das also?" Fragte Jacques Lumiére herausfordernd.
"Zu diesem Zeitpunkt, wo noch einiges zu untersuchen ist, wäre es fatal, unzureichende Informationen zu geben", erwiderte Madame Faucon.
"Sie sind auch in dem Laden gegen dunkle Typen drin", stieß Jacques nach. "Auch wenn Sie jetzt hier mehr zu tun haben als sonst kriegen Sie doch den ganzen Krempel von denen mit. Also rücken Sie doch damit raus, was da echt passiert ist!"
"Junger Mann, Ihre Wortwahl und Umgangsformen stehen einem Schüler der UTZ-Klassen nicht gerade gut an", schnaubte Madame Faucon. "Zum einen ist das kein Laden, sondern eine Liga, eine nicht auf wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gewinn ausgerichtete Organisation. Zum zweiten, Ja, ich bin Mitglied in der Liga gegen dunkle Künste und Wesen. Drittens, ja, ich erfahre alles notwendige aus dieser Organisation, von dem das meiste jedoch für Schüler unterhalb der ZAG-Stufe zu schrecklich ist, um es hier auszubreiten oder aus Gründen des Schutzes der magischen und nichtmagischen Mitmenschen geheimbleiben muß. Das mögen Sie bitte respektieren. Viertens verbitte ich es mir, mich dazu aufzufordern, etwas "gefälligst" zu erwähnen. Falls Sie mich um eine Auskunft bitten möchten, dann befleißigen Sie sich bitte einer höflichen Form und erkennen an, wenn ich Ihnen und sonstigen Personen hier diese Auskunft aus den erwähnten Gründen nicht geben möchte! Um Sie daran zu erinnern, welches Verhältnis ich zu Ihnen besitze erlege ich Ihnen fünfzig Strafpunkte auf, Monsieur Lumière."
"Neh is' klar, die Chefnummer", schnaubte Jacques. "Aber der Gilbert Latierre kriegt das auch so raus, ob das Ministerium nach dem großen Abgang von Sie-wissen-schon-wem wieder Sachen zum vertuschen gefunden hat", blieb Jacques unbeeindruckt. Strafpunkte waren für einen Jungen aus dem Blauen Saal wie er es war wie das tägliche Brot. Und gleich fünfzig zum Frühstück serviert zu bekommen mochte Jacques bei seinen Klassenkameraden sogar wie ein Held erscheinen lassen.
"Und noch zwanzig Strafpunkte wegen offener Aufsässigkeit dazu", bemerkte Madame Faucon nur. Dann fuhr sie mit ihrer Ansprache fort. "Welcherlei Ungemach sich meine frühere Kollegin Professeur Tourrecandide auch immer zugezogen hat, werde ich nur die im Miroir Magique veröffentlichte Meldung vortragen." Dann las sie den kurzen Bericht über das ungeklärte Verschwinden der Fachlehrerin. Das reichte denen, die die Temps hatten aber nicht aus. So gaben sie ihre Exemplare weiter. Julius sah es der Schulleiterin an, daß sie wohl gerne den Bezug dieser Zeitung verbieten würde. Aber womöglich fiel ihr ein, daß eine gewisse Dolores Jane Umbridge, als diese als Großinquisitorin in Hogwarts ihre Macht ausgespielt hatte, den Klitterer verboten hatte, was jedoch wirkungslos geblieben war. Abgesehen davon hatten sie damals die Temps als befreienden Kontakt zur Außenwelt gefeiert. Es wäre also schwierig, diesen so hilfreichen Geist in die Flasche zurückzutreiben, nur weil er was ausgeplaudert hatte, was das Ministerium nicht rauslassen wollte. Julius nutzte die Vorlesung, um sich wieder vollständig zu beruhigen. Er durfte den anderen nicht zeigen, wie heftig ihn diese Meldungen mitnahmen. Er hatte wirklich mitbekommen, daß Tourrecandide verschwunden war, wenn er auch nicht wußte, wie genau. Er wußte nur, daß sie sonst fast von diesem Éclipsian gebissen und angesaugt worden wäre, bis Tourrecandides frühere Schwester Lucille sich auch an ihr zu Schaffen gemacht hätte. Offenbar, so entnahm er es Gilberts Artikel, waren die Befreiungstruppen gerade noch rechtzeitig gekommen, um zu verhindern, daß die beiden Vampireheleute die entführten Mädchen zu ihren Bluttöchtern machten oder verschleppten, um sie bei absolutem Vollmond in ihre Familie der Nachtgeschöpfe hinüberzuholen. Als dann die Aufforderung an die Schüler erging, das Frühstück in Ruhe und mit genug Nahrungsaufnahme zu beenden, meinte Julius nur, daß Gilbert Latierres Informant wohl einen Grund hatte, diese Meldung in Umlauf zu setzen und solange keiner wisse, von wem Gilbert Latierre die Informationen habe, nicht weiter darüber nachzudenken, da Gilbert vielleicht doch einem Wichtigtuer und Unruhestifter aufgesessen sein mochte.
"Ich weiß, du mußt das sagen, um bei Königin Blanche nicht so blöd aufzufallen wie Barbaras kleiner Bruder", meinte Robert. "Aber das mit dieser Vampirin hat zumindest gestimmt. Und als die Entomanthropen wieder aufgetaucht sind kam der Miroir problemlos damit raus. Also warum machen die das jetzt so geheim?"
"Die Frage ist durchaus logisch", erwiderte Julius anerkennend. "Die mir gerade einfallende Antwort, die nicht stimmen muß aber könnte, ist die, daß das Ministerium bereits einer heißen Spur nachgeht und keine Trittbrettfahrer auf den Plan rufen möchte, also Leute, die mit dem Wissen um eine Tat meinen, ihr eigenes Süppchen kochen und eine ähnliche Straftat begehen zu können, die sie dann dem öffentlich erwähnten Täter in die Schuhe schieben können. Mein Onkel väterlicherseits hat mir das vor Jahren mal erzählt, als ich wissen wollte, warum die Polizei in den Nachrichten nie alles erzählt, was bei einem Banküberfall oder Mord so passiert ist. Täterwissen nennen die das, wenn sie Einzelheiten kennen, die sonst nur der Täter kennt und sie den damit überführen, wenn er solche Einzelheiten ausplaudert, weil er sie für zu belanglos hält und sie damit auch Spinner aussieben können, die so tun, als hätten sie die Tat begangen. Das ist im Moment der einzige Grund für mich, warum der Minister das nicht möchte, daß alles in die Zeitung reinkommt."
"Hmm, dann könnte das mit den Vampiren vielleicht ein Köder gewesen sein, um entweder den echten Täter in Sicherheit zu wiegen oder aus seinem Versteck zu treiben", vermutete Gérard. "Jeder hier in Beaux und da draußen hat ja mitbekommen, daß die Temps sich nicht drum schert, ob der Minister gut findet, was drinsteht. Damit könnte man auch Leute verschaukeln, in denen man denen eine scheinbar echte Geschichte unterjubelt, die deshalb für echt gehalten wird, weil sie in der Temps steht und der Minister gleichzeitig in der anderen Zeitung so ein Riesengeheimnis draus macht." Julius nickte heftig. Gérard hatte ihm echt eine geniale Steilvorlage geboten. So sagte er:
"Stimmt, weil vielleicht doch einige wissen, daß Professeur Tourrecandide eine Vampirin in der Verwandtschaft hatte kann Gilbert da wunderbar ansetzen, um eine von der echten Tat ablenkende Geschichte draus zu stricken, um den wirklichen Ablauf schön zu überdecken. Der Minister verschleiert was, die Temps könnte es überpinseln. Was genau stimmt wissen nur die, die dabei waren. Täterwissen eben."
"Ähm, Julius, du sagtest, daß Professeur Tourrecandide eine Vampirin in der Verwandtschaft hatte", bemerkte Robert. "Glaubst du denn, daß sie echt nicht mehr lebt?" Julius mußte sich arg zusammennehmen, nicht ertappt oder verärgert dreinzuschauen. Dann sagte er schnell:
"Schrödingers Katze. rofessuer Tourrecandide ist verschwunden, als wenn sie in einer Kiste steckt. Eine Leiche hat man nicht von ihr, weil sonst schon ein Nachruf in den Zeitungen drinstehen würde und ihr Bild in einem schwarzen Rahmen abgedruckt worden wäre. Aber sie könnte schon tot sein oder noch leben. So lange man das eine oder das andere nicht genau bestätigt geht eben beides wie bei Schrödingers Katze."
"Bitte was für eine Katze?" Fragte Robert. Julius erwähnte kurz was, das seine Mutter im Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeitsrechnung mal beschrieben hatte, daß eine Katze, die in einer Kiste eingesperrt sei ständig damit rechnen müsse, daß von einem durch frei herumfliegende Neutronen ausgelöster Schalter eine Gasladung freisetze, die sie sofort umbringe. Weil diese freien Neutronen aus der kosmischen Strahlung zufällig auf die Erde prasselten wisse niemand, wann dieser Neutronenschalter umgelegt werde. man könnte nur eine Wahrscheinlichkeit berechnen, und die sage aus, daß solange niemand die Kiste aufmache um nachzusehen, die Katze genausogut tot oder lebendig sei.
"Eine Zombiekatze?" Fragte Gérard. Julius grinste nur und berichtigte ihn, daß es eben nur eine Wahrscheinlichkeit, ein Gedankenspiel sei und niemand bisher eine echte Katze auf diese Weise eingesperrt habe. Aber es sei eben gerade so bei Professeur Tourrecandide, daß niemand wisse, wohin sie verschwunden ist und ob sie noch lebe oder schon tot sei. "Ist genauso wie bei den Verschwindezaubern gegen Mäuse und Schnecken. Die lösen sich auf. Eigentlich sind sie dann tot. Aber weil sie eben keine toten Körper hinterlassen könnten sie genausogut noch leben, auch wenn sie unsere Welt verlassen haben. Manche Wesen fallen ja auch nach einer gewissen Zeit irgendwo wieder in unseren Raum zurück. Ob sie dann tot sind oder noch leben kriegen wir nur selten mit."
"Also die halben Mäuse und Schnecken, die ich auf dem Gewissen habe waren ganz sicher mausetot", erwiderte Gérard. Dem konnte Julius nicht widersprechen. Er war zumindest froh, durch die Diskussion von seinen eigenen Überlegungen und Gefühlen wunderbar ablenken zu können. Als die Klassenkameraden im allgemeinen Geraune erst einmal ruhegaben holte Julius Brittanys Brief hervor und las diesen so, daß die anderen es nicht mitbekamen, was er las:
Hallo Julius und auch Mildrid!
Es hat sich in den letzten Monaten viel bei uns getan. Die Zaubererwelt in den Staaten hat sich wieder etwas beruhigt, wenngleich es irgendwie unruhig im Ministerium zugeht, seitdem Cartridge Wishbones letzte Getreue hat verhaften lassen, weil die meinten, ihn unter dem Imperius-Fluch zu zwingen, ihnen alle alten Freiheiten zu lassen. Lino wurde überfallen, als zwei Besucher bei ihr waren, die nach ihrem verschwundenen Bruder suchten. Da kamen Leute dieser Supertruppe Wishbones und meinten wohl, die entführen zu müssen. Deine Lebensretterin hat denen aber kräftig den Trank verwässert, als die diesen Haufen mit Illusionszaubern ausgetrickst und dann berauschnebelt hat. War richtig lustig, wie die ganzen Wishbonies alle als Taschentücher vor dem betrunkenen Drachen gelandet sind. Aber das hat dir Mel sicher schon brühwarm geschrieben oder es zumindest an ihre Cousine Glo weitergegeben. Tja, und obwohl die Kiste Wishbone nun endgültig zu ist brodelt da noch was. Die haben wohl angst vor dieser Vampirin Nyx, die vor Wishbones Zeit meinte, einen Vampirstaat gründen zu wollen. Aber die hat sich mit einem anderen Blutsauger überworfen und wurde von dem entweder eingesperrt oder umgebracht. Genaues haben die Zeitungen nicht rübergebracht. Natürlich suchen die jetzt nach der Sardonianerin, weil immer noch viele glauben, die hätte Wishbone ermordet, wenngleich wir das ja schon beredet haben, wie dumm das von ihr gewesen wäre. Vor fünf Tagen erst ist Donata Archstone verschwunden und auch einige andere Hexen. Der Kristallherold behauptet, die hätten sich mit den Anhängerinnen der Sardonianerin duelliert und dabei verloren. Was genau passiert ist wissen wir nicht.
Aber jetzt was höchsterfreuliches, was euch zwei sicher ziemlich verwundern wird. Ich werde im Dezember heiraten. Ja, du hast richtig gelesen. Ich bin seit dem fünften September offiziell mit einem gewissen Linus Brocklehurst verlobt, der nach dem Angriff dieser Entomanthropenkönigin auf Cloudy Canyon erst einmal einige Wochen in der Honestus-Powell-Klinik gelegen hat, um sich von dem Schock zu erholen. Als ihr zwei und die Dusoleils wieder abgereist wart, kamen die Vereinsleiter der Windriders und Climbers zusammen, um zu beraten, wie die nächste Saison gespielt werden soll. Dabei habe ich ihn wiedergetroffen. Wir haben uns über die beiden Dörfer unterhalten und über das ganze was im letzten Jahr gelaufen ist. Und aus einem mir bis heute nicht klaren Grund haben wir dann befunden, uns noch häufiger zu treffen. Seine Mutter kennt ja meine Mutter auch und er hat noch einen Onkel, der in der Zauberwesenabteilung vom Ministerium arbeitet. Der kam auch schon ein paarmal nach Thorny, um über Zwerge, Hauselfen und Kobolde zu reden. Irgendwie blieb's dann nicht bei dem einen Treffen. Er war bei unserem ersten Spiel in VDS dabei und dann auch beim ersten Auswärtsspiel im Sumpf von Bayoo, wo wir die Bugbears versenkt haben - natürlich nur durch einen überragenden Punktestand. Ich weiß nicht warum ich den Burschen so süß finde. Selbst wenn ich dir, Julius das beschreiben könnte, fürchte ich, daß du das nicht verstehst, weil du ja eindeutig auf Frauen stehst und nicht auf Männer. Wenn du, Millie den Brief liest kann ich nur sagen, daß ihr ihn euch besser angucken kommt. Da wir Weihnachten bei unseren Familien feiern wollen wird die große Party erst am 29. Dezember steigen. Wir feiern bei uns in VDS. Mein Vater ist zwar nicht sonderlich begeistert, daß ich mich so früh auf einen Ehemann festlegen will und ich den doch mindestens ein Jahr lang erst mal richtig kennengelernt haben sollte. Aber er selbst hat sich ja auch in nicht mal sieben Monaten mit Mom zusammengetan und hat geheiratet, ohne daß ich bei deren Hochzeit schon irgendwo dabei gewesen wäre. Mom meint wohl, ich habe sowas wie vorgelagerte Mutterinstinkte entwickelt, weil Linus ja immer noch mit seiner Situation hadert. Bei dem Angriff auf Cloudy Canyon ist sein Vater in einen Todesfluch geraten. Da knabbert er immer noch dran. Auf jeden Fall möchte ich euch hiermit vorwarnen, euch für den 29. Dezember nichts unwichtiges vorzunehmen. Offizielle Einladungen bekommt ihr mit den anderen Gästen, wenn wir die Liste fertighaben und der Postkartenservice den Versand ankurbelt.
Auch wenn ich euch zwei jetzt wohl heftig verblüfft haben sollte, ihr seid nicht die einzigen, die so schnell heiraten können. So verbleibe ich bis auf weiteres
Brittany (noch) Forester
Tatsächlich fühlte sich Julius komplett überrumpelt und doch auch erfreut. Brittany hatte wen gefunden, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte? Dabei hatte er diese junge Hexe als sehr eigenständig erlebt, eine, die erst einmal zusehen wollte, was ihr das Leben so bieten würde, die mindestens zwei Jahre Quodpot in der Profi-Liga spielen wollte, bevor sie sich überlegte, für Mann und Kinder mitdenken zu müssen. Aber er hatte es ja selbst mit Claire und mit Mildrid erlebt, wie schnell gute Vorsätze vergessen sein mochten, wenn dieses merkwürdige Ding namens Liebe einen erwischte. Dann versuchte er sich, den Bräutigam vorzustellen. Brocklehurst? Wenn der mit einer Mandy Brocklehurst verwandt war, die damals zwei Klassen über ihm in Hogwarts war, konnte er sich zumindest ein Gesicht vorstellen, dem er nur männliche Züge andichten mußte. Ja, aber da ging es auch schon los. Hatte der einen Bart oder keinen? Und falls ja, was für einen? Dann fiel ihm ein, daß dieser Zauberer seinen Vater verloren hatte. Ja, das konnte Julius vollkommen nachfühlen, wie das einen runterziehen konnte. Womöglich hatte er mit ansehen müssen, wie er starb und konnte ihm nicht helfen. Das Gefühl kannte er auch besser, als ihm lieb war. So kam ihm der wahnwitzige Gedanke, daß dieser Zauberer etwas mit ihm, Julius gemeinsam hatte und Brittany genau aus diesem Grund auf ihn abfuhr. So richtig war er nie davon losgekommen, daß Melanie Redlief und Brittany Forester sich durchaus was mit ihm hätten vorstellen können, das nicht nur am Altersunterschied, sondern auch der räumlichen Entfernung lag, die zwischen ihnen stand. Das wäre zwar kein echtes Hindernis gewesen, wie die Bilderverbindung zu Aurora Dawn ja bewies, konnte aber für ein Gespräch in einer bestimmten Stimmungslage schon hinderlich sein, wenn die Briefe Tage brauchten, um von A nach B zu kommen und beantwortet zu werden. Dann konnte der Grund für das Gespräch schon wieder vergessen oder durch irgendwelche Ereignisse ungültig geworden sein. Er wußte nicht, wann der Brief in seiner Hand abgeschickt worden war. Anders als die Muggelpost wurde auf Eulensendungen kein Absendedatum gestempelt. Es konnte also sein, daß Brittany den Brief direkt nach ihrer offiziellen Verlobung abgeschickt hatte. Womöglich hatte sie die Verlobung im engsten Familienkreis gefeiert, um Lino und die anderen Zeitungsleute nicht zu wilden Spekulationen anzuregen, ob Brittany vielleicht doch schon schwanger sei oder ob das nur eine Zweckehe wäre, um die beiden Familien zusammenzuführen und wie das mit Brittanys Quodpot-Karriere weitergehen mochte und und und. Dann dachte er an die beiden ziemlich düsteren Nachrichten, die Brittanys Gruß aus Übersee enthalten hatte. Donata Archstone war mit einigen anderen Hexen verschwunden. Das konnte sein, daß sie sich mit Anthelia angelegt hatte oder meinte, sich als angebliche Mitschwestern anbieten zu können und dabei aufgeflogen waren. Daß Anthelia skrupellos war, aber ebenso berechnend wußte er ja selbst zu gut. Dann hatte er den Namen Nyx gelesen, der zu einer Vampirin gehörte, die einen Vampirstaat gründen wollte. Irgendwie paßte das wieder mit den Zeitungsmeldungen von heute zusammen. Er hatte diese Vampirin im Traum gesehen. War das diese Nyx? Er konnte sich vorstellen, daß eine, die auf einen Schlag viel Macht erhalten hatte meinte, alles und jeden mal eben wegfegen zu können. Der andere Vampir mochte dieser Mutant Volakin gewesen sein, dessen Invasionstruppe Julius' Mutter durch wichtige Ermittlungen hatte mitabwehren können, ohne auch nur einem von denen näher als zweihundert Kilometer gekommen zu sein. Ja, die Welt war nicht wesentlich sicherer geworden, auch wenn Voldemort nicht mehr existierte. Das rief in ihm auch den Gedanken an die Spinnenfrau Naaneavargia wach. Daß die noch frei herumlief hatte die Welt ihm zu verdanken. Das konnte er auch nicht so einfach von sich abschütteln. Zwar hing dieses Geschöpf, das als Schöne und als Biest auftreten konnte auf dem australischen Kontinent fest oder wollte nicht davon runter. Aber Aurora Dawn und ihre Freunde und Kollegen da im Land unten drunter mußten jeden Tag damit rechnen, daß dieses Monster sie überfiel. Er hoffte inständig, daß er niemals eine Meldung hören mußte, daß Aurora Dawn von einer Riesenspinne getötet worden sei. Doch Aurora hatte sich nicht nur über die Bilderverbindung, sondern auch bei Julius' Mutter immer mal wieder gemeldet, per Telefon und per E-Mail. Aber sie hatte nichts neues mehr von der Spinnenfrau erwähnt. Entweder hatte dieses Biest sich tief ins australische Hinterland verkrochen, wo es mit den wilden Tieren in natürlicher Verbundenheit lebte, oder es hatte sich als Frau in einer der großen Städte versteckt und setzte da irgendwelche Pläne um. Doch sowohl als zwei Meter große Spinne als auch als Frau mit einer goldbraunen Hautfarbe würde sie auffallen. Es sei denn sie behauptete, die Tochter eines Afrikaners und einer Chinesin zu sein. Doch dafür fehlten ihr die ostasiatischen Schlitzaugen.
"Ey, da ist noch was zu essen auf deinem Teller", rief Gérard Julius in die Gegenwart zurück. "Nachher kriegen wir zwei Ärger mit Madame Rossignol, weil du im Verwandlungsunterricht vom Fleisch fällst." Er grinste jungenhaft, um Julius nicht zornig werden zu lassen. Dieser erwiderte das Grinsen und sagte, daß er wohl zu heftig über das nachgedacht hatte, was im Brief gestanden hatte. Allerdings tat er die Frage nach dem Inhalt mit der Bemerkung ab, daß dies reine Privatsachen berühre, über die er sich hier nicht auslassen wolle. Das war noch nicht einmal gelogen. Denn Brittanys Verlobung und die Erwähnung von dieser Nyx und seine Gedanken an Naaneavargia berührten ja wirklich Privatangelegenheiten, ja regelrechte Geheimnisse.
Hastig vertilgte Julius den Inhalt seines Frühstückstellers und legte noch ein Stück Baguette mit Marmelade nach, bis Madame Faucon "Bitte machen Sie sich nun für den Unterricht bereit!" befahl.
"So, wir fangen heute mit der Autonebulation an, Julius. Wie diese ausgeführt wird hast du ja bei Constance Dornier gesehen", kündigte Professeur Dirkson an. Julius sah sie an. Er wußte, daß sie humorvoller war als Professeur Faucon, aber auch sehr beharrlich, was ihre Anforderungen anging. So fragte er:
"Sie meinen, ich könnte das durch bloßes zuschauen schon nachmachen?"
"Durch bloßes Zusehen nicht. Aber du hast dich sicher schon mit den mentalen und verbalen Komponenten vertrautgemacht", erwiderte die Lehrerin, die außer Professeur Pallas die einzige war, die den Schülern gegenüber die persönliche Anrede pflegte. "Du bist doch zu neugierig, als daß du sowas nicht nachliest, wenn dir wer sagt, du könntest das schon in diesem Jahr lernen." Julius antwortete nur mit "Trifft wohl." Immerhin hatte die neue Lehrerin ja nicht nur ihre Kollegen, sondern auch ihre ehemalige Schulkameradin Aurora Dawn als Informanten, wenn sie was über ihn wissen wollte. Und die anderthalb Monate, die sie bereits mit ihm zu tun hatte verrieten ihr wohl eine Menge über seine Möglichkeiten und Herangehensweise. So nickte er noch einmal bestätigend und ging mit ihm hinter einem Wandschirm die einzelnen Stufen durch, während sich auf der anderen Seite des nur für sie und Julius durchsichtigen Sichtschutzes die Schülerinnen und Schüler mit den Beschwörungen niederer Lebewesen wie Mäusen und flügellosen Insekten befaßten. Die ersten partiellen Selbstverwandlungen wollte sie dann durchnehmen, wenn alle ungesagt zaubern konnten, um die Bewegungsabfolge mit ihren Gedanken abstimmen zu können.
"Also, du hast es richtig erkannt, daß das wichtigste dabei die Einlagerung der Selbstbeharrungsmagie ist. Die muß zuerst aufgebaut werden, weil der Zauber bestenfalls sonst gar nicht, schlimmstenfalls zu gut gelingt und du dich ohne Atemzug verflüchtigst. Das ist wie beim Apparieren, wenn du deinen Willen in jede Zelle deines Körpers einströmen lassen mußt. Schon sehr brauchbar, daß du das schon gelernt hast. Also wirst du auch die Autonebulation schaffen", sagte die Lehrerin und führte Julius an sich selbst jede der drei Stufen der Verwandlung aus, bis sie als weiße Nebelwolke vor ihm schwebte, aus der heraus ihre Stimme wie umgekehrter Widerhall klang: "So muß es aussehen. Die bewegungsfreiheit ist dann auch gegeben. Aber die Konzentration muß bleiben, daß du alles an dir in einem bestimmten Raum zusammenhältst. Wenn die Konzentration nachläßt mußt du dich sofort wieder resolidieren. Es hat schon genug tödliche Unfälle gegeben, wo jemand den Zusammenhalt verloren hat."
"Dann sollten wir vielleicht doch erst die Wasserform nehmen", bot Julius an. Da verfestigte sich die weiße Wolke wieder zu der schwarzhaarigen Lehrerin.
"Das meinen alle Muggelstämmigen, weil sie mal gehört haben, daß gasförmige Stoffe sich sofort in alle Richtungen ausdehnen, je nach Temperatur und Luftdruck und flüssige Stoffe immer noch einen gewissen Zusammenhalt haben. Aber gerade die Gasform erleichtert die Zustandsänderung mehr als die vollflüssige, auch wenn wir alle aus über sechs Zehnteln reines Wasser bestehen. Das liegt genau daran, daß ein gasförmiger Stoff von der Luft durchdrungen und getragen wird, während ein flüssiger Stoff von der Erdschwere zu Boden gezogen und von der Luft zusammengedrückt wird. Also gehen wir es jetzt an. Keine Angst, du kannst das, und ich bin solange bei dir, bis du das mindestens dreimal hinbekommen hast", sagte sie mit mütterlicher Betonung und einem ebensolchem Lächeln. Julius dachte daran, daß sie so auch ihren Drillingen das Laufen oder das Essen mit Messer und Gabel beigebracht haben mochte, unerbittlich, aber hilfsbereit. Außerdem, wer etwas nie ausprobiert hatte konnte ja unmöglich sagen, ob er es konnte, je lernen mochte oder niemals hinbekommen würde. So ging er eine Stufe nach der andren durch. Tatsächlich kam ihm sein Appariertraining, das er gerne wieder auffrischen wollte zu gute, um den Selbstbeharrungszauber in jede Körperzelle zu wirken. Somit würden seine in Nebeltröpfchen aufgelösten Körperzellen dort bleiben, wo er seinen Willen konzentrierte. Der Zweite Schritt bestand in der Loslösung der Körperbestandteile ohne Schmerzen. Wer das zu langsam durchführte konnte Empfindungen wie durch den Körper jagende Stromstöße erleben, was den Vorgang abrupt abwürgen konnte, schlimmstenfalls, wenn der Großteil der Körperzellen schon im Auflösungsprozeß begriffen war. Julius fühlte auch etwas, als er mit auf sich weisendem Zauberstab: "In Mihi in Nebulam dessintegro", dachte. Denn deshalb wurde dieser Zauber erst denen beigebracht, die ihn ungesagt konnten, weil der Auflösungsprozeß die Stimme und Sprechwerkzeuge beeinträchtigte. Er fühlte sich auf einmal leichter, hatte aber auch das ungute Gefühl, das ihn irgendwas von innen nach außen trieb. Das mußte er schnell niederhalten, indem er dachte: "Nebulatus totus sum!" Dabei mußte er an eine weiße Nebelwolke denken, die vor einem grauen Hintergrund schwebte. Vor seinen Augen verschwamm die Welt. Er meinte, nicht sich, sondern die Umgebung in etwas nebelhaftes zu verwandeln. In seinen Ohren säuselte es, als bliese jemand von Links und rechts in sie hinein und durch sie hindurch. Dann ließen die unangenehmen Empfindungen von Hitze und Elektrizität schlagartig nach, und auch die Umgebung wurde wieder sichtbar. Allerdings hörte er komisch. Es war ihm, als sei er in einem Raum, der sich ständig um ihn drehte. Hatte er es geschafft?
"Naturtalent", meinte Professeur Dirkson, die vor ihm stand. Julius mußte sich konzentrieren, weil etwas ihn von innen nach Außen auseinanderzublasen schien. Er versuchte, einen Arm vor sein Gesicht zu heben und sah nur einen weißen, sich fast zerfasernden Nebelstreifen und fühlte, wie sein Arm in die Länge gezogen wurde. Professeur Dirksons Bemerkung hatte ihn regelrecht durchweht, so daß er meinte, sie schnell um ihn hrumfliegen zu hören. Er versuchte, seinen Mund zu berühren und fühlte, wie seine Hand in sein Gesicht eindrang, ohne dabei Schmerzen auszulösen.Sofort zog er seine Hand wieder zurück. Er fühlte, wie sein Körper schwebte, sich regelrecht drehte und wand, ohne ihm unangenehm zu sein. Doch er mußte dieses Gefühl niederhalten, auseinandergetrieben zu werden. Ja, das half. So hielt er seine tatsächlich wohl in Gasform übergegangenen Körperzellen zusammen. Von den Montferre-Zwillingen und Belle Grandchapeau wußte er, daß jemand sich in diesem Zustand selbst durch Türritzen hindurchzwengen oder mehrere Meter nach oben steigen konnte. Nur eine Vorwärtsbewegung war eingeschränkt, weil die dabei verdrängte und durchdrungene Luft einen immer größeren Widerstand bot. Deshalb war dieser Zauber bei starkem Wind auch nicht angeraten. "Wie geht es dir sonst?" Fragte die Lehrerin, die Julius neue Zustandsform genau beobachtete. Er wußte, daß er keine festen Stimmbänder, Zunge und Lippen mehr hatte, doch er wußte auch, daß Leute in Nebelform hörbare Worte von sich geben konnten. Er setzte einfach zum sprechen an. Und jetzt erfuhr er auch, warum es sich für feste Ohren so anhörte, als kämen die Worte von weit her angeflogen. Sie bauten sich förmlich in seinem inneren auf, regten das, was er war langsamer an als im festen Zustand, so das seine Worte lauter wurden und dann erst die gewünschte Lautstärke erreichten.
"Ich fühle mich zwar noch so, als hätte ich einen Körper, kann meine Arme und mein Gesicht aber irgendwie durchgreifen", sagte er. Hinter dem Wandschirm reckten einige die Köpfe, vor allem Sandrine, Laurentine, Belisama und natürlich Millie.
"Kannst du dem Druck noch standhalten?" Fragte die Lehrerin. Julius hätte wohl genickt, wenn er dabei nicht fast mit seinem gerade nicht feststofflichen Kopf in seinen Brustkorb geraten wäre, den nur er als solchen empfand, obwohl er gerade nur eine leicht wabernde Nebelsäule war. So antwortete er mit in ihm anschwingenden Worten:
"Das kann ich noch irgendwie unterdrücken. Ich habe zumindest kein Gefühl, auseinanderzureißen oder so."
"Weil du offenbar im Einlagern deiner Selbstbeharrungsmagie genug Kraft eingesetzt hast. Dann versuch dich mal zu bewegen!" Forderte ihn die Lehrerin auf, die es offenbar genoß, einen talentierten Jungzauberer an diese Daseinsform heranzuführen. Julius versuchte einen Schritt zu tun. Doch seine Beine drehten und streckten sich. Natürlich konnte er keine Beine bewegen. Aber er konnte denken. Er überlegte, daß der Wunsch bei seinem Flugzauber schon reichte, um ihn in die gewollte Richtung zu treiben. Diese Erfahrung, die er in Khalakatan erworben hatte, kam ihm hier nun zu gute. Er dachte nur "Vorwärts", ohne daß diese Gedanken zu hörbaren Worten wurden. Er begann zu schweben und fühlte sogleich, wie ihn etwas durchdrang und erschütterte. Das war die Luft, deren Moleküle er mit seinen anstieß oder durch sich hindurchströmen ließ. Das befremdliche an diesem Zustand und den ganzen Eindrücken wich langsam einer gewissen Euphorie, daß er nun etwas erreicht hatte, was andere erst in der letzten Klasse hinbekamen und dazu mehr als diesen einen Versuch brauchten. Doch er sollte sich nicht zu sehr auf dieses Glücksgefühl einlassen. Denn er mußte sich irgendwann wieder zusammenfügen. Doch vorerst schwebte er nach vorne. So wurden heimlich in Häuser eindringende Vampire in den Grusel- und Horroromanen beschrieben. Und wenn die das konnten ... Er hielt herausfordernd auf Professeur Dirkson zu, die keine Anstalten machte, ihm auszuweichen. Es fehlten wohl nur noch Zentimeter. Julius fühlte, wie die von ihrem Körper erwärmte Luft ihn stärker erschütterte als die übliche Umgebungsluft. Dann fühlte er, wie seine Nase längergezogen und dabei merklich erhitzt wurde. Dieses unbehagliche Gefühl dauerte jedoch nur zwei Sekunden, da meinte er, etwas drücke seine Nase auseinander und in seinen Kopf hinein.
"Du traust dich aber, Bürschchen", hörte er Professeur Dirksons Stimme, die in ihn hineindrang und ihn wie einen leeren Jogurtbecher nachklingen ließ. Er befand, besser nicht weiterzugleiten und legte mit dem Gedanken "Zurück" den Rückwärtsgang ein, bis er weit genug von der Wärmeaura der Lehrerin und ihren atmenden Lungen entfernt war. Dann fühlte er, wie der Druck, der ihn von innen beherrschte, immer größer wurde. Er meinte, etwas würde ihn aufblasen. Da erkannte er, daß er kurz davorstand, die magische Balance zu verlieren und dachte schnell "Revolvoriginem!" Als würde jemand ihn mit einer Ladung kochendem Wasser übergießen kam sich Julius vor. Dann wirbelte alles um ihn herum. ER fühlte, wie seine Nase mit schmerzhaftem Druck nach vorne sprang und sackte dann zusammen, weil er die Beine nicht ausgestreckt hatte und die volle Schwerkraft ihn kalt erwischte. Doch als er den Sturz abgefangen hatte stellte er fest, daß er wieder Körper, Kopf und Glieder besaß und auch seine ganze Kleidung noch so saß wie sie sollte. In der rechten Hand hielt er den Zauberstab, den er während der Nebelphase nicht gespürt hatte. Er war wieder er selbst.
"Haah, an der Rückverwandlung muß ich aber wohl noch üben", meinte Julius leise.
"Ist wie beim Apparieren. Je besser man es heraus hat, desto weniger spürt man davon", sagte die Lehrerin aufmunternd. Hinter dem Wandschirm entstand eine gewisse Unruhe. Millie hob die Hand und bat ums Wort. Professeur Dirkson ließ den Wandschirm verschwinden, so daß alle ihren Klassenkameraden sahen. "Wie ihr seht ist er von sich aus in seine feste Form zurückgekehrt. Das geht also, auch wenn er es vorher mal wieder versucht hat, für unmöglich zu halten. Er wird jetzt erst einmal zwanzig Minuten Pause machen, in denen er seine Kräfte und Gedanken wieder sammeln kann. Dann versuchen wir es noch einmal."
"Wenn der so einfach geht, warum lernen wir den nicht auch schon?" Warf Edith Messier aus dem violetten Saal ein.
"Weil das eben nicht so einfach ist. Monsieur Latierre hat wie ihr ja alle wißt ein wesentlich höheres Grundkraftpotential. Darüber hinaus muß jeder, der diesen Zauber lernen und anwenden will jede der Stufen ungesagt ausführen können. Und bei einigen von euch besteht leider noch erheblicher Übungsbedarf, um so weit zu kommen, so leid mir das tut, das sagen zu müssen. Aber ich kriege euch alle dazu, das im nächsten Jahr zu schaffen."
"Mir liegt da nichts dran", meinte Laurentine. "Ich bin froh, wenn ich Sachen verwandeln kann und ..." Unvermittelt hatte Professeur Dirkson ihren Zauberstab bewegt. In einem violetten Blitz verschwand Laurentine, um einem rosaroten Sofakissen mit weißen Blütenmustern platzzumachen. Alle starrten auf den Stuhl und verzogen ihre Gesichter. Das die neue Lehrerin so drastisch gegen Widerworte vorging kannten sie von der noch nicht. Sowas paßte doch eher zu ihrer jetzigen Vorgesetzten und Vorgängerin.
"Möchte noch jemand einwenden, seine Zeit hier zu verschwenden und lieber für die Dauer der Stunden als kuscheliges Sofakissen verbleiben?" Fragte die Lehrerin herausfordernd und sah alle genau an. Doch alle schüttelten die Köpfe. Céline rang um Worte und stieß aus:
"Das ist fies, Professeur Dirkson. Rosarot mag Laurentine nicht."
"Ein Sofakissen zu sein wohl noch weniger", erwiderte Professeur Dirkson mit mädchenhaftem Grinsen und sah Julius an. "Bevor wir hier eine Grundsatzdiskussion über die Unterrichtsgestaltung vom Zaun brechen gib deiner Kameradin bitte ihre angeborene Gestalt und Beweglichkeit zurück! Ungesagt, wenn ich bitten darf." Julius trat vor und bewegte seinenZauberstab. Dann dachte er die Formel für den Reverso-Mutatus-Zauber, fühlte einen gewissen Widerstand und Plopp! Da saß Laurentine wieder auf ihrem Stuhl. Beziehungsweise, sie sprang auf und warf die Arme und Beine herum, als müsse sie unbedingt einen wilden Tanz auf's Parkett legen. Erst nach einigen Sekunden berappelte sie sich wieder. Das waren die üblichen Auswirkungen einer aufgehobenen Verwandlung in einen toten Gegenstand, wußte Julius. Immerhin hatte er den Zauber anständig ausgeführt und sah Laurentine genau an, die sich ins Haar griff.
"Keine rosaroten Strähnen, Laurentine", sagte er beruhigend.
"Das ist echt fies. Ich habe ..." Weiter kam sie nicht, weil ein ungesagter Sprechbann der Lehrerin sie erwischte.
"Ihr werdet das alle noch erfahren, was Mademoiselle Hellersdorf gerade empfunden hat oder nicht", sagte die Lehrerin. "Können wir uns darauf einigen, daß du deinen Kameraden nicht die Überraschung verdirbst, Laurentine?" Die Angesprochene nickte. Dann hob Professeur Dirkson den Sprechbann wieder auf. "Halten wir also fest, daß es schon Sinn macht, die hier ermöglichten Verwandlungs- und Selbstverwandlungsübungen zu machen", sagte sie noch. "Ich möchte schließlich nicht am Elternsprechtag eingestehen müssen, daß eure Eltern der Schule und damit mir zu viel Geld bezahlen, oder?" Fast alle lachten verhalten. "Abgesehen davon stärken Selbstverwandlungserfolge auch die PTR, so das andere es schwerer haben, euch gegen euren Willen zu verwandeln. Das ist aber auch eine Frage des eigenen Willens und der Übungszahl."
"Julius konnte Sie aber problemlos verwandeln", meinte Millie, nachdem sie ums Wort gebeten hatte.
"Weil ich mich auch drauf eingelassen habe, Mildrid. Ich wollte ihn spüren lassen, gegen was für einen passiven Widerstand er ankämpfen mußte. Hätte ich mich dagegen geweigert, wäre das nicht so einfach gewesen, gleich im ersten Ansatz eine Verwandlung zu vollenden. Julius, du setzt dich bitte da hin, wo du warst, während ihr anderen mit euren Übungen weitermacht. Ich baue den Wandschirm in siebzehn Minuten wieder auf. Dann probieren wir das noch einmal."
"Ist das nicht höllischgefährlich?" Fragte Belisama Julius, während sie auf die sieben Mäuse blickte, die vor ihr auf dem Tisch herumliefen.
"Da darfst du nicht dran denken. Ansonsten ist es sehr anstrengend", wisperte Julius. Professeur Dirkson räusperte sich unmißverständlich. So überließ Julius Belisama ihren Verwandlungsexperimenten. Millie hatte sich an Schnecken gehalten. Julius wollte gerade selbst einige Materialisationsübungen machen, als die Lehrerin auf ihn zueilte und ihn mit wildem Kopfschütteln den Zauberstab aus der Hand Pflückte. "Pause heißt Pause, Monsieur Latierre. Fünf Strafpunkte für versuchte Nichtbefolgung einer Anweisung", sagte sie. "Du wirst deine Kräfte brauchen, Julius", fügte sie hinzu. Dann ging sie mit seinem Zauberstab davon, ohne das Julius Anstalten machen konnte, ihn ihr wieder wegzunehmen. Sie hatte ihn völlig überrumpelt. So saß er da, ließ seine Blicke schweifen und fühlte, wie die aufgewendete Kraft langsam in ihn zurückkehrte. Dann sah er noch Professeur Dirkson, die ihren Zauberstab an die Spitze seines Zauberstabes hielt. Was wurde das denn? Er sah, wie sein Zauberstab senkrecht nach oben wies, als die Lehrerin ohne ein hörbares Wort einen Ring aus silbernen Funken um Julius' Zauberstabspitze entstehen ließ. Leise prasselnd wie überschlagende elektrische Funken stieg ein Blitz nach oben, der dieselbe Farbe hatte wie der des Reverso-Mutatus-Zaubers. Das Prasseln ebbte ab. Danach entstand der silberne Funkenring erneut, und es prasselte etwas lauter. Dann sah er eine fast durchsichtige Abbildung seiner selbst aus seinem Zauberstab nach oben steigen, die zu einer Nebelwolke wurde. Es prasselte wieder leiser. Der Funkenring erlosch. Dann entstand er neu. Wieder entstand der Funkenring, und aus Julius Zauberstab stieg eine Nebelwolke auf, die weit über dem Zauberstab zu seinem durchsichtigen Abbild wurde, das im selben Augenblick verschwand, als das Prasseln aufhörte. Noch einmal entstand ein Funkenring, wobei nur eine Fontäne aus grünen, gelben, roten, blauen und silbernen Funken heraussprühte. Der Silberfunkenring um die Zauberstabspitze erlosch erneut. Dann entstand er neu, und Julius sah eine bläulich schimmernde Dunstwolke, aus der kleine Kristalle nach oben flogen, bis diese verschwand. Dann bildete sich erneut ein silberner Funkenregen um Julius' Zauberstab, blieb jedoch keine Sekunde stabil. Mit hörbarem Plopp verging er auch schon wieder.
"Was war denn das jetzt?" Fragte Millie, die ihre Übungen unterbrochen hatte, weil sie das leise Prasseln neugierig gemacht hatte.
"Sieht so aus, als hätte die sehen wollen, welche fünf Zauber ich zuletzt damit ausgeführt habe. Die blaue Wolke kam wohl vom Kaltwindzauber, mit dem ich die Jungs aus meinem Saal heute aus den Betten getrieben habe."
"Das war ein Reinigungszauber, die Herrschaften Latierre", wisperte Eunice, als sie mit Julius' Zauberstab zurückkehrte. "Damit habe ich alle Spuren der vergangenen Zauber aus ihm gelöscht, in umgekehrter Reihenfolge ihrer Ausführung."
"Wozu denn das?" Fragte Millie. Julius schwante, was das sollte, und die Lehrerin sah es ihm an. So zwinkerte sie ihm mit ihren stahlblauen Augen zu und nickte.
"Offenbar hat ihr jemand wichtiges erzählt, daß ich den Wiederholzauber Repetitio gelernt habe", seufzte Julius. "Damit kann man einen der fünf letztgewirkten Zauber mit geringerem Kraftaufwand wiederholen. Offenbar geht das aber nur, wenn diese Zauber starke Nachklänge oder sowas hinterlassen haben."
"Genau so ist es, Julius. Ich wollte nur sicherstellen, daß du nicht schummelst, wenn du gleich wieder mit der Autonebulation ansetzt. Das hätte dir zwar einen neuerlichen Erfolg aber keinen Lernfortschritt beschert."
"Ihnen kann man wohl kein X für ein U vormachen, wie?" Fragte Julius etwas verdrossen. In der Tat hatte er mit dem Gedanken gespielt, den Zauber durch Wiederholzauber schneller und leichter wiederholen zu können.
"Sagen wir es so, ich war selbst mal eine vorwitzige und neugierige Schülerin, die alles was sie gelernt hat auch angewendet hat, solange dabei keiner zu Schaden kam. Da habe ich auch rausbekommen, daß mit dem Repetitio-Zauber die Nebelgestalt schneller und leichter anzunehmen und umzukehren ist, weil der drei-Stufen-Zauber als ein zusammenhängendes Stück abrollt. Aber wie erwähnt bringt das für die Übung nicht viel ein. Etwas abzuschreiben trainiert mehr als es einfach zu kopieren." Dem mußte Julius zustimmen. Deshalb waren Abschreib-Strafarbeiten ja auch wesentlich fieser als etwas mal eben mit Multiplicus- oder Geminius-Zauber zu vervielfältigen.
"Was heißt denn das eigentlich, wem ein X für ein U vorzumachen?" Fragte Millie ihren Mann. Dieser flüsterte ihr zu, daß dies wohl noch aus der alten Römerzeit stamme, wo die Zahlen mit Buchstaben geschrieben wurden und das U, was damals auch ein V war eine Fünf und das X eine Zehn war. Das kapierte Millie. "Achso, fünf abliefern aber zehn kassieren wollen", bemerkte sie dazu. Julius nickte.
Trotz der gründlichen Reinigung seines Zauberstabes von allen Spuren der vergangenen Zauber schaffte es Julius auch im zweiten Anlauf, die drei Stufen der Selbstvernebelung auszuführen und hielt sich eine Minute in dieser Form, bis das Gefühl, auseinandergedrückt zu werden größer war als der Wunsch nach zusammenhalt. Diesmal mußte er nur zehn Minuten Pause machen, bis er die dritte Autonebulation hinbekam.
"Auch wenn dir das offensichtlich gut aus Hand und Hirn strömt, Julius, werden wir mit diesem Zauber noch einige Übungen machen, bevor ich davon überzeugt bin, daß du damit keine Schwierigkeiten mehr hast", sagte die Verwandlungslehrerin.
Professeur Dirkson hatte Pausenhofaufsicht. Julius war laut Pflegehelferplan mit eingeteilt. So begingen sie beide den Hof. Da die Lehrerin als überragende Verwandlungskünstlerin bekannt war traute sich keiner, Streit anzufangen. Sie, Delamontagne, Fixus und Fourmier hatten es sehr früh klargestellt, daß die Pausen keine Zeit für dumme Pöbeleien oder Prügelorgien waren.
"Das war für Laurentine die erste Vivo-ad-Invivo-Passivtransfiguration", meinte Julius zu der Lehrerin, die nur auf die sich zusammenrottenden Haufen von Jungen und Mädchen blicken mußte, um keine Unruhe aufkommen zu lassen.
"Ich verstehe, was du meinst. Sie wird mit der Überraschung schwer an sich halten können, die ihr da widerfahren ist. Aber du hast das auch schon einmal erlebt, oder?" Fragte sie.
"Ähm, wer erwähnte sowas?" Erwiderte Julius.
"Na, beleidige nicht meine und deine Intelligenz, Jungchen. Sonst werden wir beide doch noch mal richtig gut Krach haben", entgegnete Professeur Dirkson. Julius nickte. Wer sollte ihr das auch wohl erzählt haben? Er antwortete dann, daß die Behauptung stimme und er das schon mal erlebt hatte, als er gerade zwischen erstem und zweitem Schuljahr war.
"Das habe ich mir gedacht, daß du schon so früh damit in Berührung kamst, weil du mit wesentlich weniger Hemmungen in die erste Gegenstandsverwandlung eingetreten bist als die meisten anderen, die ich als Schülerin oder auch hier erlebt habe, mich eingeschlossen. Eigentlich ist die Autonebulation ja die perfekte Vorstufe zur gegenständlichen Selbstverwandlung, weil du in der gasförmigen Zustandsform wesentlich mehr Selbstbeharrungsmagie aufbringen mußt als bei der gegenständlichen Selbstverwandlung. Wer die Nebelform und die Wasserform kann, kann sich in alles verwandeln, was seiner Größe und seiner Zauberkraft nicht all zu unerreichbar ist. Also Sandkörner oder Dampflokomotiven sollten besser nicht als Endziele ausgewählt werden. Zumal die metallische Struktur von Lokomotiven eine Selbstverwandlung noch schwerer macht, als Massen- und Größenzugewinn es schon tun, und ein Sandkorn hat den entscheidenden Nachteil, daß es eben so winzig ist, daß die eigenen Perspektiven dabei verlorengehen und damit der Halt in der bekannten Sinneswelt." Julius verstand dies. Dann fragte er, wie der Zauberspurlöscher ging. "Das darf ich dir nicht verraten, weil es nur Ministerialbeamten und Lehrern erlaubt ist, ihn anzuwenden. Du weißt ja sicher, das jedenfalls der letzte gewirkte Zauber eines Zauberstabes anschaulich gemacht werden kann. Julius nickte und sagte "Prior Incantato". Sie nickte nun auch. "Da dieser Zauber bei Ermittlungen sehr praktisch ist, darf der Spurentilger nicht allen bekannt sein, weil ja sonst wer seine magischen Untaten besser verschleiern könnte als so schon." Auch das sah Julius ein. Wie schnell hatten sich Einbrecher und Mörder mit simplen Handschuhen auf die Fingerabdruckerkennung eingestellt.
"Du kanntest Professeur Tourrecandide, hörte ich?" Fragte die Lehrerin.
"Was man kennen nennt, wenn ich nur Schüler bin und sie eine Prüferin, die nur am Jahresende herkam. Wieso möchten Sie das wissen?"
"Weil ich heute morgen gesehen habe, wie du betroffen dreinschautest, als du diese beiden Zeitungsmeldungen gelesen hast, als wäre da jemand dir sehr bekanntes betroffen."
"Sagen wir es mal so, Wir hatten damals im Zauberwesenseminar diese Vampire Sangazon. Einige Monate davor ist mir mit einer ziemlich üblen Zauberkreatur was passiert, was in etwa mit Vampiren vergleichbar ist. Professeur Tourrecandide bereitete mich, der über diesen Zwischenfall und die betreffende Kreatur referieren sollte darauf vor, daß die Vampirin, die wir im Seminar hatten früher mal mit ihr verwandt war, damit die uns damit nicht aus dem Tritt bringen konnte. Sie hat dann auch unsere Schutzartefakte hergestellt oder verstärkt, damit wir keine transsylvanischen Knutschflecken abbekamen."
"Ach, du hast diesen Roman auch gelesen oder die sonstigen Abwandlungen davon mitbekommen", erwiderte Professeur Dirkson. Dann unterbrach sie sich und ihn und sah auf drei Jungen, die auf Pierre und Gabrielle zumarschierten. Sie hob den Zauberstab an. Als die drei Anstalten machten, Pierre in die Seite zu knuffen deutete Professeur Dirkson kurz nacheinander auf die drei. Beim ersten dauerte ihr Zauber gerade eine Sekunde, bei den beiden anderen nur eine Viertelsekunde. , wobei sie leise "Repetitio" murmelte. Danach trugen alle drei die rosaroten Kleidchen von Ballerinen. Lauthalses Lachen war die Antwort aller umstehenden Schüler. Die drei Jungen betrachteten sich gegenseitig und zogen ab.
"Die behalten die an, bis ich die denen nach dem Unterricht wieder umzaubere", sagte die Lehrerin und rief: "Hallo die Herrschaften, die Pause wird draußen verbracht!" Die drei wollten gerade in den Palast zurücklaufen, als vor ihrer Nase die Tür zuklappte.
"Ich muß mal für kleine Jungs", knurrte einer der bestraften.
"Mit dem Fummel mußt du aber auf's Mädchenklo, weil der Bilderjunge vor dem von den Jungs dich nicht reinläßt", spottete einer der Blauen, während Pierre und Babrielle sich in eine nicht ganz so besuchte Ecke des Pausenhofes zurückzogen und dabei kicherten.
"Bei Mademoiselle Delacour und Monsieur Marceau war aber keine Toilette", rief Professeur Dirkson amüsiert. Wieder lachten alle. "Ihr habt versucht, den kleineren zu dritt mit Boxhieben einzuschüchtern. Das ist unfair und unmännlich. Deshalb behaltet ihr die dazu passende Kleidung bis nach eurer Stunde bei mir an, damit das klar ist. Nebenbei kriegen Sie, Monsieur Pirot, Sie, Monsieur Champchaud und Sie, Monsieur Dubois je zehn Strafpunkte wegen versuchter Tätlichkeiten gegenüber einem Mitschüler." Die drei grummelten was, was auf die Entfernung nicht zu hören war. Die Ballettkleidchen trafen sie häftiger als die Strafpunkte. Vor allem Cyrill Southerland, der mit Horus Dirkson an einer Wand stand lachte schallend los. Endlich war er nicht der einzige Idiot, der vor allen Augen im rosaroten Tutu herumlaufen mußte.
"Weihnachtskarten schicken die drei Ihnen nicht mehr", erwiderte Julius auf Professeur Dirksons Strafaktion.
"Die drei sind dem Veelazauber der jungen Dame wohl zu sehr ausgeliefert. Da kann ich auf deren Weihnachtskarten gut verzichten", erwiderte die Lehrerin vergnügt.
Über die Stunden hinaus war Professeur Dirksons Strafaktion das Gesprächsthema in Beauxbatons. Die Mädchen warfen den drei Übeltätern spöttische Blicke zu, und die Jungen lachten teils schadenfroh, teils dachten sie daran, wie froh sie waren, nicht selbst derartig heftig beharkt worden zu sein.
Im Freizeitkurs Verwandlung sollte Julius noch einmal eine Autonebulation vollbringen, damit Constance, Millie und Laurentine, die von der Lehrerin zu ihrer Gruppe hinzugeholt worden war sahen, wie es gehen mußte. Constance kannte es ja schon. Als Julius und Millie einige Minuten Pause hatten gab er ihr Brittanys Brief zu lesen. Als sie ihn durchgelesen hatte meinte sie: "Haben die bei den Yankees auch sowas wie wir hier?"
"Nicht, daß ich wüßte. Ich denke er, daß er eine starke Schulter und eine sichere Hand gesucht hat und sie wohl auf Jungen steht, die ihre Hilfe gerne annehmen. Natürlich kann die Verpackung auch wichtig sein. Aber die habe ich ja noch nicht gesehen, zumindest nicht seine."
"Ja, aber Britt hat noch niemandem in ihrem Wartehäuschen, oder?"
"Ich glaube, das hätte sie gerade dir voll unter die Nase gerieben", erwiderte Julius leise.
"Solange ich nicht diejenige bin", wisperte Millie und grinste ihren Mann an. "Oder du oder wir zwei", fügte sie kaum Hörbar hinzu. Julius nickte nur.
"So, dann hast du heute einmal erlebt, wie sich das anfühlt, kein lebendes Wesen zu sein und trotzdem alles mitzukriegen", meinte Constance zu Laurentine, die ihr gerade von ihrem unfreiwilligen Auftritt als Sofakissen berichtet hatte. Laurentine nickte. Millie machte große Ohren. Doch Julius nickte. Dann meinte seine Frau:
"Das meinte Professeur Dirkson, als sie sagte, wir sollten uns nicht die Überraschung verderben lassen." Julius nickte.
"Ich habe dich in diese Gruppe eingeteilt, damit du deinen Enthusiasmus wiederfindest, von dem mir Madame Faucon berichtet hat, daß du ihn in den letzten zwei Jahren sehr gut gepflegt hast", sagte Professeur Dirkson zu Laurentine. "Du mußt dich zwar noch nicht gleich ganz selbstverwandeln oder dich von den drei anderen hier in irgendwas umwandeln lassen. Aber zu sehen, daß es einen gewissen Wert hat kannst du hier auch. Wie aufs Stichwort flog eine weiße Taube aus einer Ecke heran und landete vor Laurentine auf dem Tisch. Sie gurrte einmal und wurde dann zu einem weißen Zettel.
"Ähm - öhm, was? War das jetzt in echt eine Taube oder war der Zettel vorher eine Taube oder was?" Stieß Laurentine aus.
"Das war vorher schon nur ein Zettel, der vorübergehend zur Taube wurde", sagte die Lehrerin amüsiert grinsend, weil sie Laurentine so verblüfft hatte.
"Ähm, wieso so umständlich?" Wollte Laurentine wissen.
"Ist nicht umständlicher als die Zettel per Teleportation an einen bestimmten Punkt zu schicken. Die drei anderen hier wissen es schon, daß sowas ganz praktisch sein kann."
"Die können die Posteulen überflüssig machen, Laurentine", meinte Julius. Laurentine nickte. Dann fragte sie: "Öhm, scheißen die als Tauben auch wohin?" Professeur Dirkson verzog für eine Winzigkeit das Gesicht und meinte dann:
"Ich fürchte, ich habe eure Sprache doch noch nicht gut genug erlernt. Kannst du das was du meinst bitte mit anderen Worten beschreiben?"
"Ja, hmm, ich meine, ob die beim fliegen was fallen lassen, ihre Ausscheidungen irgendwo hinfallen lassen, sowas", erwiderte Laurentine leicht verlegen.
"Das meinst du. Nur, wenn die über Tage unterwegs sind und wie gewöhnliche Vögel fressen müssen. Dann muß das was zum Schnabel hineinging irgendwann auch wieder zum Bürzel hinaus. Aber sobald die sich in ihre Ausgangsform zurückverwandeln können die das nicht mehr." Laurentine nickte. Dann erhielt sie die Anweisung, die Aufgaben auf ihrem Zettel abzuarbeiten und bekam entsprechende Tiere und Gegenstände vorgelegt. Als die Lehrerin weiterging stieß Constance leise Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.
"Mann, Mädchen hast du ein Glück, daß die anders beschaffen ist als Königin Blanche. Die hätte dir glatt fünfzig Strafpunkte wegen ungebührlicher, ja undamenhafter Ausdrucksweise an die Backe geklebt." Laurentine nickte und errötete ein wenig. Dann meinte sie, daß ihre Eltern sich im Bezug auf freifliegende Tauben immer so ausdrückten, Mutter wie Vater.
"Das hätte Madame Faucon erst recht dazu gebracht, dir einen mittelschweren Packen Strafpunkte überzubraten", meinte Julius dazu. Laurentine nickte heftig und verzog nur das Gesicht. "Die hat dich nämlich gleich richtig verstanden, konnte ich ihr ansehen. Und wenn du eine fremde Sprache lernst, dann sind die Schimpfwörter ziemlich früh mit dabei. Aber so konnte sie es ganz lässig umgehen, dir Strafpunkte geben zu müssen." Das kapierte Laurentine genauso, wie es Constance schon längst begriffen hatte. Millies und Julius' Klassenkameradin durfte dann zusehen, wie die beiden sich selbst mit Verwandlungszaubern traktierten, wie Millie mal Constance und Constance mal Julius in ein kleines bis mittelgroßes Tier verwandelte. Am Ende der Übungsstunde waren die drei schon heftiger eingespannten relativ erschöpft und froh, noch auf den natürlich gewachsenen Beinen zum Essen gehen zu können.
Julius ging eigentlich davon aus, noch ein Extrablatt des Miroir zu lesen zu bekommen. Doch dem war nicht so. Offenbar mußte sich das Ministerium wegen Gilberts Offenbarungen was einfallen lassen, um es glaubhaft belegen oder widerlegen zu können.
Nach der Schach-AG, wo Julius gegen Laurentine hatte antreten dürfen, besprach er mit Gérard, Céline und ihr die Sache mit Gabrielle und Pierre und den drei Jungen, die für eine Doppelstunde lang in Ballettkleidern rumlaufen mußten. Julius meinte dazu nur, daß die noch mal Glück gehabt hätten und Professeur Dirkson die nicht ganz in Ballerinen verwandelt hatte. Nachdem, was sie nun von ihren Künsten gesehen hatten traute er ihr das durchaus zu. Dann sprachen sie über Glorias Geburtstag. Denn bald würden sie was auch immer besorgt und abgeschickt haben müssen. Belisama hatte erwähnt, daß sie sich ja am kommenden Samstag nach der Quidditchpartie treffen mochten. Bis dahin konnten sie sich ja schon mal was ausdenken. Dann sprachen sie noch über die Partie der Violetten gegen die Gelben. Sandrine würde in diesem Jahr Sucherin spielen. Gérard meinte, daß die Violetten die Gelben locker mit Toren überflügelten. Die Gelben hätten ja nur eine Gelegenheit, den Sieg einzufahren, wenn sie in den ersten Minuten den Schnatz fingen.
So verging die Zeit. Um halb zwölf verließen die vier den Aufenthaltsraum und zogen sich in ihre Schlafsäle zurück. Womöglich konnten sie morgen bei Delamontagne über die Sangazons diskutieren, wo das Thema schon einmal im Raum stand.
Als Julius in seinem Bett lag gab er dem Pappostillon noch eine Nachricht für Gilbert Latierre auf:
Hallo, Gilbert.
Ich habe heute morgen wie viele andere auch die neueste Ausgabe der Temps gelesen.
Das war ja schon mutig, Professeur Tourrecandides Verschwinden mit diesen Vampirgeschwistern in Zusammenhang zu bringen.
Bist du dir sicher, daß deine Quelle dich nicht total verladen hat?
Nicht, daß nachher noch wer meint, dich wegen übler Nachrede oder so vor Gericht zu zerren.
Könnte dir nur passieren, daß Minister Grandchapeau deine Zeitung verbietet.
Aber das kennst du ja von Didier schon.
Bis dann denn!
In dieser Nacht träumte Julius, er stehe neben der geflügelten Kuh Artemis und spräche mit ihr über das, was in den letzten Wochen so geschehen sei. Er fragte sie, wie es ihr und ihrem ungeborenen Kalb ginge. "Wir zwei fühlen uns wohl. Ich merk das schon ziemlich doll, wie es sich bewegt. Aber das kenne ich von der Zeit, wo ich Darxandria war", antwortete die mehr als elefantengroße Zauberkuh. Dann fragte sie Julius, was ihn gerade bedrücke, und er erwähnte seinen Traum von Tourrecandide. Er fragte, warum er das mitbekommen hatte. Temmie erwiderte mit ihrer wie ein Cello klingenden Stimme, daß er womöglich durch Ianshiras Lehrstunden eine Verbindung zu allen erhalte, die die alten Zauber von ihm erlernten und benutzten, sofern er da gerade in der Schlafwelt sei. Was der Traum zu bedeuten habe könne sie jedoch nicht sagen, eben nur, daß irgendwas die alte Lehrmeisterin vor den Bluttrinkern gerettet habe. Ob sie selbst das eingeleitet habe oder es ihr völlig unerwünscht passiert sei konnte Temmie auch nicht sagen. Damit war Julius so schlau wie vorher auch. Dann bemerkte Temmie noch etwas, was ihn irritieren mochte:
"Ich habe Erschütterungen gespürt, als wenn irgendwo auf der Welt etwas mächtiges aufgeschrien hat und dann laut gejubelt hat. Anders kann ich das nicht sagen. Außerdem fühlte sich das für mich so an, als kämen diese nicht mit den Ohren zu hörenden Sachen nicht nur vom Boden, sondern aus dem Himmel, da wo Ailanorars unauffindbare Burg ist. Vielleicht passiert da was, was mal für uns beide ganz wichtig wird."
"Hoffentlich nicht. Das letzte Mal, wo ich in dieser Burg war wollten die mich entweder da einsperren und dann beim Rückflug umbringen. Außerdem ging's um die Abwehr der Skyllianri. Nicht daß es von denen noch welche gibt." Darauf folgte zunächst keine Antwort. Dann erwiderte Temmie:
"Skyllian und seine Krieger gibt's nicht mehr, Julius. Aber der, für den er das alles gemacht hat liegt noch irgendwo schlafend und wartet wie ein Bär im Winterschlaf. Er wartet auf seine neue Zeit. Kann sein, daß wir das mitbekommen, wenn er aufwacht. Kann aber auch sein, daß wir das verpassen. Vielleicht können wir und die, die von dir lernen wollen das noch unmöglich machen, daß er aufwacht. Aber der von undurchdringlicher Dunkelheit erfüllte König ist nicht aus der Welt. Er hat genau wie ich etwas gemacht, in dem er sein Selbst aufbewahren kann. Wer das findet, wird sein höriger Knecht und Vollstrecker."
"Dann wollen wir hoffen, daß deine Antennen nur sphärisches Knacken aufgefangen haben", sagte Julius und erklärte, was damit gemeint war.
"Ich kriege das langsam wieder richtig hin, die Wellen und Bewegungen der Kraft zu fühlen, Julius. Denn mit jedem Tag kehren einzelne Sachen aus meiner früheren Zeit zurück. Ich kann zwar nichts nach außen wirkendes mit meiner Kraft machen, aber das was ich kann kennst du ja schon."
"Das stimmt", erwiderte Julius. "Ich hoffe nur, daß du nicht wirklich was gemeines mitbekommen hast. Vielleicht ist Ailanorars Burg nur irgendwo angekommen, wo sie bleiben kann. Garuschat und Pteranda haben vielleicht beschlossen, daß sie nicht mehr wild über der Erde herumfliegen muß. Aber da die keiner findet, den die da oben nicht bei sich haben wollen kann uns das auch egal sein."
"Kann es das?" fragte Temmie argwöhnisch zurück. Julius überlegte, ob er die Frage wirklich mit "nein" beantworten konnte. Diese Himmelsburg war eine Macht für sich. Wenn die Vogelmenschen sich nach der Vernichtung der Skyllianri langweilten und meinten, die Welt erobern zu müssen könnten sie das womöglich schaffen. Denn die Wolkenhüter waren lebende Kampfflugzeuge, die den Militärmaschinen haushoch überlegen waren. Sie konnten glutheiße Blitze speien und mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit durch hohe Luftschichten rasen. Wären die Schlangenmenschen damals nicht alle Hals über Kopf aus dem Palast von Beauxbatons geflüchtet, hätten die gerufenen Wolkenhüter diesen sicher komplett und restlos abgerissen. Deshalb wollte er kein sicheres Nein auf Temmies Frage antworten. Er konnte nur sagen, daß er hoffte, daß sie beide erst einmal Ruhe hatten, damit Millie und er sich auf die Schule konzentrieren konnten und sie sich auf das erste Kind als Artemis vom grünen Rain. Die in der Flügelkuh verkörperte Darxandria nickte wie ein Mensch. Doch ihrem mmeterbreiten Brustkorb entrang sich ein unheimliches Grummeln, als sei sich die schneeweiße Latierre-Kuh da nicht so sicher. Als Julius noch fragen wollte, ob sie auch die für Menschen zu tiefen Töne hören konnte sagte sie ihm, daß er jetzt besser in seine eigene Schlafwelt zurückkehren und noch einige erholsame Zehnteltage verleben möge, bevor er wieder in das Wachleben zurückkehrte. So glitt er in angenehme Träume von Ausflügen mit seiner Frau oder erinnerte sich an den Segelausflug mit den Foresters, Redliefs und Gloria. Als er Gloria sah meinte er, bei ihrem kommenden Geburtstag dabeizusein. Was konnten sie ihr bloß schenken?
Am Dienstagmorgen wurde weiter über das Verschwinden Tourrecandides spekuliert. Der Miroir beschwerte sich mit großen Buchstaben, daß die geduldete Konkurrenz aus dem Château Tournesol unbewiesene Behauptungen in die Welt gesetzt und damit eine unnötige Unruhe heraufbeschworen habe. Die Temps hingegen bestand darauf, daß das Verschwinden mit den Sangazons zusammenhinge und die beiden Vampire vernichtet worden seien, aber niemand wisse, warum und wohin Professeur Tourrecandide verschwunden sei und warum ihre Kleidung und ihre mitgeführten Habseligkeiten zurückgeblieben seien. "Es gab schon Unfälle, bei denen jemand nackt apparierte und die Kleidung am Ausgangsort zurückließ. Diese für die Betroffenen peinlichen Unfälle passieren meistens dort, wo Antiapparitionswälle wirken. Der letzte Fall ereignete sich vor fast zwei Jahren in Millemerveilles, wo eine Besucherin meinte, eine ihr nicht mehr gefallene Feierlichkeit durch Disapparieren verlassen zu müssen und völlig unbekleidet vom dorfeigenen Abwehrdom an ihren Ausgangspunkt zurückgeschleudert wurde. Doch genau das gibt Rätsel auf, weil Professeur Tourrecandide eben nicht zu den Sangazons zurückgeworfen wurde. Wer einen Portschlüssel benutzt behält immer alles am Leib, was er gerade trägt. Somit muß sich das Ministerium und die achso vorsichtig daherkommende Konkurrenz aus Paris die Fragen gefallen lassen, was genau passiert ist und ob dies für die magische Welt eine bedrohliche Lage darstellt." Als Julius diesen Abschnitt aus der Temps vorgelesen hatte, nickten alle. André meinte dann:
"Wobei dein werter verschwägerter Verwandter nicht damit rausrückt, wer ihm die Geschichte mit der nackt disapparierten Tourrecandide gesteckt hat. Klar, daß der Miroir sich da voll draufstürzt und das als unnötige Unruhe raushängt. Ich frage mich auch, was dieser Gilbert Latierre davon hat, so'ne Geschichte zu verzapfen."
"Auf die Frage kann ich dir eine Antwort geben, André", setzte Julius an. "Gilbert Latierre, der Sohn einr Schwiegergroßtante von mir, hat die Temps damals, wo Didier und seine Marionetten uns das halbe Schuljahr miesgemacht haben, aus dem Boden gestampft, um die Wahrheit zu erzählen, also die Sachen, die Didier entweder gar nicht oder komplett verdreht hat berichten lassen. Den Anspruch hat er heute noch. Und nach der Sache damals in Amerika, wo mir dieses fiese Treffen mit dieser Höllenbraut Hallitti passiert ist und rauskam, daß der zuständige Zaubereiminister das vor der ganzen Welt verheimlicht hat, daß die rumlief, denkt Gilbert Latierre wohl, er müsse alles erzählen, was ihm seine Zuträger berichten. Der hat sicher wen in der Liga gegen die dunklen Künste drin. Die erzählen auch nicht alles. Könnte sein, daß Gilberts Informant die Nase von der Geheimniskrämerei gestrichen voll hat und solche Sachen in die Öffentlichkeit rausposaunen muß, um nachts noch gut schlafen zu können. Denn die Hallitti hat noch ein paar nette Schwestern. Und wenn die irgendwo rumlaufen, und der Zaubereiminister macht über die Sache den Deckel, könnten die leichteres Spiel haben."
"Ja, aber die war damals in der Muggelwelt unterwegs, hieß es", erwiderte André. Julius nickte. Gérard meinte dazu noch: "Ich denke auch, daß Monsieur Latierre schon überlegt, ob er da einen total verpanschten Quatsch verzapft oder nur was berichtet, was das Ministerium nicht rauskommen lassen will. Zeitungen sollten das schon dürfen, nach den Gründen für bestimmte Sachen zu fragen, finde ich." Julius nickte, wenngleich es auch Zeitungen gab, deren Besitzer ganz eigene Interessen hatten, ihren Lesern bestimmte Meinungen nahezulegen. Sei es der Verkauf oder sei es, daß die Verleger in der Politik mitmischen und mögliche Wählerstimmen für den einen oder andren klarmachen wollten. Gilbert hatte bisher keine solchen Interessen. Seine Zeitung ging trotz der neuen Unabhängigkeit des Miroir Magique gut, wohl weil er eben damals die ersehnte Stimme der freien Zaubererwelt erschaffen hatte. So was mochten viele nicht vergessen haben.
"Wie erwähnt, der muß das mit diesen Vampiren und daß sie echt komplett nackig verschwunden ist beweisen. Sonst ist's nur gedruckter Drachenmist", meinte André dazu. Robert erwiderte darauf, daß das Ministerium ja auch beweisen müßte, daß Professeur Tourrecandide nicht wirklich verschwunden sei. Gérard erwähnte danach, daß es ja durchaus auch ein von beiden Zeitungen in Absprache mit der Liga gegen dunkle Künste und dem Zaubereiministerium abgesprochenes Ablenkungsmanöver sein könne, weil Tourrecandide in einer ganz geheimen Sache unterwegs sei und sie bloß niemand vermissen sollte oder irgendwas anderes anlief, von dem die Leser erst einmal nichts mitbekommen sollten. Julius dachte daran, daß er das Verschwinden Tourrecandides im Traum mitbekommen hatte. Als dann Robert meinte, es könne mit diesen schnellen Kampfdrachen von der Elfenbeininsel zu tun haben dachte Julius an seinen Traum vom Achterrad und sah diesen Zauberer Phaeton Maintenon im blauen Schmelzfeuer verglühen, weil seine Pläne mit ganzer Wucht nach hinten losgegangen waren. So sagte er:
"Ich denke, von der Insel hören wir so schnell nichts mehr. Pétain, der Spion von denen, ist erledigt, und die Kampfdrachen sind fast alle vom Himmel geholt worden, entweder von den Entomanthropen oder dem, der die mit verfluchten Sachen beballert hat. Die müssen jetzt kleine Brötchen backen, auch wenn sie unter einer unsichtbaren Käseglocke wohnen, die heftiger wirkt als die von Millemerveilles."
"Du mußt es ja wissen", grummelte André dazu nur. Allen war bekannt, daß Julius bei der Gerichtsverhandlung gegen Pétain und Didier dabei gewesen war.
Als die Posteulen kamen erhielt Julius einen Brief von Madeleine L'eauvite, daß seine Mutter die nächsten Tage bei ihr wohnen würde, um ganz ohne technische Hilfsmittel der Muggelwelt daran gewöhnt zu werden, ihre Zauberkräfte richtig einzusetzen. Das sei mit dem Ministerium abgestimmt, und weil dort im Moment nichts neues anläge und Belle Grandchapeau nach der Mutterschaftspause auch wieder voll arbeiten könne auch eine computererfahrene Hexe dort arbeite.
"Der Vogelschluckbaum, Leukodendron avicidum, gehört zu den Zahnblättrigen Vertretern der carnivoren Zauberpflanzen", setzte Professeur Trifolio an, als seine Sechstklässler vor einem Baum standen, dessen beige Rinde auf eine Birke schließen lassen mochten, wenn da nicht die ohne Wind zitternden und sich bewegenden Äste mit den verlockend grünen Blättern gewesen wären. "Die Pflanze ernährt sich wie ihr volkstümlicher Name sagt von fliegenden Wirbeltieren, also Vögeln, Flughunden und Fledermäusen. Allerdings kann es auch vorkommen, daß der Vogelschlucker bei großem Fleischmangel auch Landwirbeltiere bis zur Größe von Schimpansen mit seinen biegsamen Ästen einschnürt und mit seinen gezahnten Blättern langsam zerteilt, um Fleisch und Blut in den Phytostomata zwischen den Basen der Äste aufzunehmen. Das ist für Zauberer, die die blauen Früchte dieser Pflanze ernten wollen manchmal sehr gefährlich. In Venezuela, wo Leukodendron Avicidum ursprünglich verbreitet ist, kam es leider schon zu tödlichen Unfällen, als Zauberer meinten, die Früchte dieser Pflanze ernten zu können. Wer kann mir erzählen, wie alt dieses Exemplar hier ist?" Außer Belisama, Sandrine und Julius zeigte niemand auf. Sandrine sollte antworten.
"Die Pflanze hier ist gerade fünf Jahre alt, Professeur Trifolio", erwähnte die Saalsprecherin der Gelben. Der Lehrer nickte und vergab für die korrekte Antwort zehn Bonuspunkte. Julius, der allgemein bekannte Zaubertrankexperte der Sechstklässler, durfte dann erwähnen, wofür der Fruchtsaft, das Fruchtfleisch und abgeschnittene Blätter der Pflanze verwendet wurden. Sie dienten in der modernen Zaubertrankkunde als Wirkungsverstärker in Bluterneuerungstränken sowie für Abschrecklösungen gegen Insekten und Spinnentiere. Bereits die südamerikanischen Schamanen mochten diese Wirkung geschätzt haben. Allerdings könne vergohrener Vogelschlucker-Fruchtsaft auch ein starkes Halluzinogen sein, ein die Wahrnehmung erheblich veränderndes Rauschgift, das zu den verbotenen Handelsgütern gehörte, weil es als Seelenlöser berühmt und berüchtigt war. Wer davon zu viel erwischte verlor jedes Gefühl für Mitmenschlichkeit und Freude und konnte zum bösartigen Menschen werden und dabei die eigene Intelligenz einbüßen, bis jemand zum blindwütig dreinschlagenden Wrack geworden war. "...Daher gab und gibt es Projekte, den Bestand der Pflanze auf wenige Gruppen zu beschränken", beendete Julius seine Darlegungen.
"Richtig, und wir hier in Frankreich müssen jedes Exemplar daß wir ziehen melden, um den Weg der geernteten Früchte zurückzuverfolgen", erwähnte der Lehrer noch. Dann deutete er in die unheimlich lebendige Baumkrone. "Das Tasten der kleinen Zweige deutet an, daß der Vogelschlucker hungrig ist. Da er zu den sessilen Zauberpflanzen gehört kann er nicht einfach losziehen um Beute zu suchen, zumal er ja auf fliegende Beutetiere geprägt ist. Um sie zu fangen muß er mindestens fünf Minuten lang komplett still sein. Das Tasten der Zweige findet nur statt, um die Beweglichkeit der Äste und Zweige zu üben. Ich führe Ihnen nun vor, wie ein Zauberer, der die Früchte ernten will erreicht, daß die Pflanze ihn nicht gleich auffrißt, sofern sie zu großen Hunger hat." Er holte eine Art kleine Kanne mit langem Ausguß aus seinem erdverkrusteten Arbeitsumhang, füllte diese mit Hilfe des Zauberstabs mit Wasser und blies in den Ausguß. Ein melodisches Trillern erklang. Unverzüglich kam die unruhige Bewegung in der Baumkrone zum Erliegen. Die Äste und Zweige reckten sich scheinbar Harmlos zu den Seiten und nach oben, so daß sie alle die sich vom dicksten Ast zu den dünnsten Zweiglein eingehaltene Dreifachgabelung bewundern konnten. "Wie erwähnt, fünf Minuten verharrt Leukodendron avicidum in völliger Bewegungslosigkeit. Wer oder was dann sich dann im Geäst aufhält hat dann keine Chance mehr zur Flucht. Ich ernte schnell drei Früchte, die gerade reif sind. Bei der Gelegenheit kann uns Mademoiselle Hellersdorf sicher erzählen, ab welchem Alter die Pflanzen Früchte tragen können."
"Äh, ich?" Fragte Laurentine. Offenbar hatte sie sich noch nicht so gründlich mit den tropischen Fleischfressern befaßt.
"Ich gehe davon aus, daß Sie das tun können, Mademoiselle", bestätigte der Lehrer. Doch Laurentine mußte eingestehen, das noch nicht nachgelesen zu haben. "Dann muß ich Ihnen leider fünf Strafpunkte für unzureichende Vorbereitungen zuteilen, Mademoiselle Hellersdorf. In diesem Fach ist es fundamental wichtig, frühzeitig genug über die praktisch vorgestellten Unterrichtsobjekte informiert zu sein. Madame Latierre, wissen Sie es?"
"Irgendwie habe ich da etwas von drei Jahren in Erinnerung", erwiderte die Befragte. Trifolio, der gerade einen Zaubertrick praktizierte, aus seinen Arbeitsschuhen Haltekrallen auszufahren, sah sie skeptisch an und fragte, ob sie mit "irgendwie" meine, daß sie es nicht sicher wisse. Sie erwähnte, daß sie sich über die Dinodendren, also die gefährlichen Holzgewächse, schon viel angelesen habe, aber sich nicht jede Zahl merken konnte. Darauf erhielt sie einen Bonuspunkt für die zufällig korrekte Antwort und den Verweis, sich demnächst doch gründlicher mit den Bezugswerten zu befassen. Dann turnte er schnell den Stamm hinauf, um die verbleibenden Minuten zu nutzen, um drei der veilchenblauen Früchte, die wie langgezogene Äpfel aussahen, zwischen den scheinbar harmlosen Blättern herauszufischen. Julius las die Zeit von seiner Uhr ab. Trifolio war mindestens zwei Minuten im Geäst unterwegs, bis er sehr schnell am Stamm entlangkletterte und drei Meter weit vom Stamm Aufstellung nahm. "Womöglich wird es nur noch zehn Sekunden dauern bis ..." Mit einem lauten Klatschen und nachklingendem Rascheln schnellten die Äste des Baumes wie sich zusammenrollende Seile zum Stamm hin und bildeten eine kompakte Kugel aus wild zitterndem, grünen Blattwerk. Das ganze hatte wirklich keine zwei Sekunden gedauert.
"Wäre ich oder jemand von Ihnen in diesem Moment dort oben gewesen hätte er oder sie keine Chance mehr. Wer fliegende Beutetiere jagt, ohne selbst fliegen zu können, kann dies nur durch eine überragende Schnelligkeit beim Beutefang ausgleichen. Das wilde Zittern, was Sie alle nun hoffentlich beobachten können, ist das Äquivalent zu unseren Kaubewegungen. Die gezahnten Blätter reiben aneinander und zermahlen alles, was zwischen ihnen festhängt."
"Professeur Trifolio, Sie erwähnten diese Phytostomata. Sind das Mundöffnungen?" Fragte Julius, nachdem er sich korrekt das Wort erbeten hatte.
"Natürlich. Sie können sie jetzt nicht sehen, weil die Pflanze ihren Fang natürlich restlos einzuverleiben trachtet. Sie befinden sich zwischen den Ästen und erweitern sich, sobald der Beutefangreflex ausgelöst und die Blattbewegungen eingeleitet sind. Bei untätigem Geäst sind die Phytostomata geschlossen, um den Befall von Insekten zu vermeiden. Erst bei gefällten Exemplaren können sie gewaltsam geöffnet werden."
"Können nicht auch Lähmzauber diese Pflanze betreffen?" Fragte Belisama Lagrange. Der Lehrer gab die Frage weiter. Millie und Julius meldeten sich. Millie beantwortete die Frage, daß die meisten Zauberpflanzen sowohl gegen den Bewegungsbann als auch gegen den Lähmfluch Impedimenta immun seien. Die einzigen Erstarrungsmöglichkeiten seien magische Fesseln oder Unterkühlung der zu betrachtenden Pflanzenteile."
"Das ist eigentlich ZAG-Grundwissen, Mademoiselle Lagrange. Deshalb fünf Strafpunkte für offenbarte Unkenntnis", erwiderte Trifolio. Belisama verzog das Gesicht. Julius konnte sich denken, daß sie sich fragte, warum sie überhaupt den Mund aufgemacht hatte.
Mit der Vogelpfeife, wie Julius die mit Wasser gefüllte Trillerpfeife nannte, legte Trifolio den gefährlichen Baum immer wieder lahm, so daß die wagemutigsten Schüler an ihm hochklettern und eine Frucht zu ergattern versuchen konnten. Julius wendete hierbei den Muscapedes-Zauber an, der bei senkrechten Wänden und Baumstämmen mit dicker Borke ein Anhaften von Händen und Füßen herbeiführte, ähnlich einer Fliege, die an der Wand hochkletterte. Damit schaffte er es, in der gesetzten Zeit vier Früchte aus dem dichten Blattwerk herauszupflücken und noch rechtzeitig am Stamm herunterzuklettern, bevor der Fangreflex wieder einsetzte. Zehnmal konnten sie so die Pflanze erstarren lassen. Beim elften Mal blieben die Blätter in Bewegung. "Wie im Tierreich auch kann es bei magischen Pflanzen zur Instinktermüdung kommen. Will sagen, sie reagieren auf die Handlungsauslösenden Reize nicht mehr, wenn sie ihnen zu häufig ausgesetzt wurden", begründete der Lehrer das scheinbare Desinteresse des Baumes an einem trillernden Vogel. So sprachen sie noch über die ersten Erwähnungen des Leukodendron, wie seine Möglichkeiten erforscht wurden und daß außer in seiner Heimat Venezuela auch einige Gruppen in Brasilien, Peru und Kolumbien betreut wurden. In der grünen Gasse gab es diese Pflanze nicht, ebensowenig in Viento del Sol. Eine Übereinkunft zwischen den europäischen und amerikanischen Zaubereiministern von 1903 verbot jeden Versuch, den Vogelschlucker in anderen Ländern des Tropengürtels anzupflanzen. Offenbar wollte man sich nicht noch mal derartig ausmanövrieren lassen wie damals, als die Muggel das brasilianische Kautschuk-Monopol brachen, indem sie die Kautschukbäume in die damals von Großbritannien gehaltenen Kolonien Südostasiens verbrachten.
"Kann man die Früchte so essen?" Wollte Laurentine wissen.
"Nur, falls Sie heute noch gedenken, von ihren trauernden Eltern in einem Sarg aus Beauxbatons geleitet zu werden, Mademoiselle. Die Früchte sind im Rohzustand pures Gift und führen innerhalb von nur einer Viertelstunde zum Tod durch Versagen aller Nervenbahnen, also auch des Gehirns. Es gibt zwar ein wirksames Antidot. Doch steht zu bezweifeln, daß die Heiler in der Delourdesklinik gerade etwas davon vorrätig haben", erwiderte der Lehrer und sammelte die geernteten Früchte ein. "Ich werde sie zu den Gift- und Trankexperten in die DK schicken, damit diese die erwähnten Elixiere daraus erstellen können. So, und nun ist die Stunde so gut wie um. Bis zur nächsten Stunde bereiten Sie sich bitte auf Tachorhiza africana, die Rennwurz vor. Nach den heutigen Erfahrungen erwarte ich, daß Sie sich alle so gründlich es geht vorbereiten. Die Rennwurz kann sehr tückisch werden, wenn man ihrer Habhaft werden will und die angegebenen Sicherheitsregeln nicht kennt." Die Schüler verzogen ihre Gesichter, gaben aber keinen Ton von sich. Trifolio führte sie auf den plattierten Zwischenwegen durch das Tropenhaus mit den gefährlichen Zauberpflanzen zum Eingang des Gewächshauses zurück und entließ sie mit der üblichen Routine in den restlichen Schultag.
"Er wollte es mal wieder raushängen lassen, daß alle in seinem Unterricht alles zu wissen haben", grummelte Laurentine verärgert, als sie auf dem Weg zum Kursraum für die Abwehr bösartiger Zauber waren. Belisama stimmte ihr zu.
"Ich müßte es doch am besten wissen, wo ich bei dem im Saal wohne", grummelte die Saalsprecherin der Weißen. Das konnte ihr niemand abstreiten.
Der Klassenraum von Professeur Delamontagne war bis auf ein Fenster komplett abgedunkelt. Was würde es heute geben? Julius hatte sich dazu entschlossen, die Diskussion über die Sangazons anzustoßen, auch wenn Delamontagne das vielleicht schon weit zum Hals heraushängen mochte. Der neue Lehrer für die Abwehr dunkler Kräfte und Kreaturen spulte die übliche Begrüßungsroutine ab, verzichtete bei Feststellung der Vollzähligkeit der Schüler auf das Aufstellen der Verspätungssanduhr und kam gleich auf den Punkt:
"Ich kann mir denken, daß Sie gerne alle über die in den beiden vergangenen Tagen losgetretene Angelegenheit diskutieren möchten, die in der Temps de Liberté thematisiert wurde. Ich möchte auch nicht den Eindruck vermitteln, daß ich Ihre Wißbegier nicht respektiere. Allerdings möchte ich auch nicht, daß wir mit dem Leerstoff in Verzug geraten, denn die Geschichte des Vampirismus, sofern Sie sie nicht bereits in den Klassen drei und vier ausgiebig erlernt haben, ist zu lang für eine einzige Stunde. Ich habe jedoch mit Madame Faucon festgelegt, daß wir heute Abend, wenn das von mir betreute Seminar intelligente Zauberwesen ansteht, alle auch nicht dort eingetragenen Schüler und Kollegen zu einer offenen Diskussion über die Vampireheleute Sangazon und die uns durch sie oder ihre wahre Anführerin bedrohenden Gefahren einlade. Nur soviel, damit wir gleich mit dem heutigen Thema weitermachen können. Sie haben in der Abhandlung über hochpotente Zauberwesen der Dunkelheit neben den Vampiren und Irrwichten auch von den Nachtschatten gehört. Sie wissen auch, daß diese immateriellen Wesen selten aber dafür sehr mächtig sind. meine Vorgängerin und derzeitige Vorgesetzte unterrichtete mich, daß Sie alle im Zuge der Dementorenbedrohung im letzten Jahr den Patronus-Zauber erlernt haben. Dies ist einer der mächtigen Zauber, um einen Nachtschatten in die Flucht zu schlagen. Allerdings ... Ja, Mademoiselle Dornier?"
"Prof..., Madame Faucon hat uns damals erzählt, daß Nachtschatten die Geister schwarzer Magier seien, die nicht durch fremdverschuldeten Tod zu Geistern wurden, sondern sich einem Selbstötungsritual unterzogen, um ihre Körper abzulegen. Sie erwähnte auch, daß der Patronus nicht bei allen solchen Wesen die volle Wirkung tue", sagte Céline. Delamontagne nickte und lächelte.
"Damit haben Sie mir bereits ein paar wesentliche Punkte vorweggenommen, Mademoiselle Dornier", entgegnete Professeur Delamontagne. "Die wirklich wichtigen und nützlichen Zauber, um einen Nachtschatten zu besiegen müssen ungesagt gewirkt werden, weil ein Ihnen lästig bis gefährlich begegnender Vertreter dieser Geisterwesenart jedes Wort von Ihnen nutzen kann, um sich in eine Panzeraura einschließen zu können. Sie haben die Natur der Nachtschatten schon richtig erkannt. Die Zauberwesenkunde unterscheidet zwischen Geistern, also den seelischen Nachlebensformen magisch begabter Menschen oder durch Magie in der Welt gebannter Muggel, Inferi oder Zombies, animierter Skelette und Geisterwesen wie Todesfeen, Poltergeistern oder Nachtschatten. Außerdem gibt es da noch die Liche, magische Menschen, die durch ein ihr eigenes Blut als Opfer bringendes Ritual zu nicht mehr tötbaren Wesen werden, die jedoch den unausräumbaren Nachteil haben, daß sie eben dadurch, daß sie alles Blut abgeben tot im Sinne der Natur des Lebendigen sind und als lebende, wenn auch beseelte Leichname den natürlichen Verwesungsprozessen ausgesetzt sind. So können sie Jahrzehnte lang überdauern, sofern nicht durch Enthauptung oder Verbrennung ihre Zerstörung beschleunigt wird. Sobald sie jedoch nur noch Skelette sind und die Knochen auch noch verwittern, sprechen wir von niederen Nachtschatten, die außer ihren stimmlichen und geistigen Möglichkeiten nichts bewirken können. Erwählt ein dunkler Magier oder eine dunkle Hexe jedoch die Daseinsform als Nachtschatten, wird der Körper im entsprechenden Ritual komplett in Magie und diese in dunkles Ektoplasma umgewandelt, so daß die Nachtschatten anders als Gespenster nicht weiß und durchsichtig, sondern tiefschwarz und lichtundurchlässig sind. Sie können jedoch mit festen Körpern wie lebende Menschen wechselwirken, aber auch die bei erfahrenen Geistern bekannten telekinetischen Fähigkeiten entwickeln. Das hat aber für Menschen die höchst unangenehme Folge, daß jede Berührung eines Nachtschattens nicht nur wie ein fester Griff eines lebenden Menschen wirkt, sondern zudem eine alle Wärme entziehende Kraft überträgt, die Menschen innerhalb weniger Sekunden tödlich unterkühlen oder Wasser zu Eise gefrieren kann. Die meisten Nachtschatten fliehen das Licht, weil es ihre Bewegungsfreiheit einengt und meiden das direkte Sonnenlicht, weil sie dadurch wie Vampire vergehen können. Deshalb kam es in den letzten hundert Jahren zu sehr wenigen Fällen von tödlichen Begegnungen mit Nachtschatten. Sie erwähnten, daß sie mit dem Patronus-Zauber vertrieben werden können. Das liegt wie bei den Dementoren daran, daß in den nichtstofflichen Patroni eine geballte Ladung positiver Empfindungen stecken, unabhängig davon, ob sie Ihren Patronus vollgestaltlich rufen können oder nur einige silberne Strahlen auf den Gegner zu richten vermögen. Einem Nachtschatten können Sie so dadurch jedoch nur zeitweilig beikommen. Da sie sich von den Seelen der von ihnen unterkühlten Menschen ernähren gelten sie als ebenso gefährlich wie Drachen, Basilisken oder Mantikore, zumal sie den Vorteil menschlicher Intelligenz auf ihrer Seite haben und Fallen stellen oder Menschen gegeneinander ausspielen können. Durch das Einverleiben von Seelen aus von ihnen getöteter Menschen können sie zudem an Macht gewinnen. Dann können sie auch einem Patronus widerstehen. Wie erwähnt ist das Licht ihr tödlichster Feind. Das Sonnenlicht kann sie töten. Also können auch alle dieses kanalisierenden Zauber eine vernichtende Kraft ausüben. Doch Nachtschatten vermögen wie Poltergeister und Hauselfen zu disapparieren, solange sie einen gerade verdunkelten Zielort erreichen können. Daher würde jeder Nachtschatten, der von Ihnen mit einem Sonnenspeer oder ähnlichem bedroht würde, den Standort wechseln. Anders als beim Aufruf des Patronus könnte er in der Nähe von ihnen wieder auftauchen und sie hinterrücks packen und zu Tode gefrieren. Daher werden wir ab heute die wichtigsten Sonnenlichtzauber der bekannten Welt ungesagt einstudieren. Diese Zauber zu können wappnet Sie dann natürlich auch im Kampf gegen herkömmliche Vampire. Außerdem möchte ich mit Ihnen die Hierarchie der Nachtschatten vertiefen, da es wichtig ist, wie Sie auf welche seltene, aber leider mögliche Bedrohung reagieren können."
Die Schüler schrieben sich unverzüglich alle auf Delamontagnes Einführung hin wie eingeblendet an der Tafel erscheinenden Stichwörter ab. Dann sollten sie alle ihre Patroni vorführen. Belisama schaffte es, eine silberweiße Lichtfontäne aus ihrem Zauberstab zu schleudern, während Sandrine es hinbekam, eine lebensgroße Giraffe aus silberweißem Zauberlicht in den Raum zu rufen, was selbst Julius staunen ließ. Millie brachte eine stattliche Bärin aus ihrem Zauberstab hervor, während die anderen nur unförmige Lichtentladungen zustandebrachten. Erst als Laurentine dran war entstand eine massige silberweiße Bache, die sogar grunzen konnte, bevor sie mangels echten Gegnern wieder im Nichts verschwand.
"Ihren Patronus durfte ich während der ZAG-Prüfungen bewundern, Monsieur Latierre. Vermögen Sie noch, ihn aufzurufen?" Julius nickte vorsichtig. Er hatte ihn seit der Prüfung nicht mehr benötigt. Er konzentrierte sich und stellte sich die Niederlage von Voldemort und die Nachricht von Chloé Dusoleils Geburt vor und rief: "Expecto Patronum!" Als wolle sein Zauberstab in einer lautlosen, mehr als vollmondhellen Lichtexplosion zerbersten brach es aus der Spitze seines Eichenholzzauberstabes hervor, breitete sich blitzartig aus und formte die Gestalt einer riesigen Kuh mit Flügeln, die diese weit ausbreitete, sogar ein tiefes Muhen ausstieß und danach den Rest des verbleibenden Raumes in der Klasse durchschritt, um scheinbar durch die Wand zu verschwinden, doch wohl eher einfach verschwand, weil es keinen Dementor, Letifolden oder Nachtschatten zu vertreiben gab. Außer Millie und den Mitschülern aus dem grünen Saal und denen, die bei seiner Prüfung noch in der Aula gewesen waren, hatten die anderen ja seinen Patronus noch nicht gesehen und staunten.
"Ich Erfuhr, daß Ihnen eine solche Kuh aus Fleisch und Blut übereignet wurde. Warum ist Sie ihr Patronus?" Fragte der Lehrer Julius.
"Wohl, weil sie so stark und dabei doch sehr sanftmütig ist", erwiderte Julius rasch. Wenn Delamontagne das nicht schon längst wußte, was es mit der Temmie-Patrona auf sich hatte, mußte er das nicht ausgerechnet hier vor allen anderen ausbreiten. Der Lehrer nahm diese Antwort jedoch ohne weitere Frage hin. Vielleicht wollte er auch nur, daß Julius eine für alle verfügbare Begründung anbrachte, um nicht an geheimen Dingen rühren zu müssen.
"Mit dem Biest haust du hundert Dementoren weg", meinte Apollo Arbrenoir. Da kann ich ja voll einpacken mit meinem Wunderkerzengefunkel."
"Abgesehen davon, daß Sie als Saalsprecher ein disziplinarisches Vorbild sein müssen, Monsieur Arbrenoir und nicht ungebeten dazwischenreden möchten und noch dazu mit einem für akademische Veranstaltungen unpassenden Wortschatz haben Sie keinen Grund, Monsieur Latierre zu beneiden oder sich ihm gegenüber minderwertig zu fühlen", erwiderte Delamontagne leicht ungehalten. "Denn auch ein sichtbarer Ansatz eines Patronus kann bei Ausrichtung auf den damit zu bekämpfenden Gegner dessen Flucht erzwingen. Natürlich ist ein vollgestaltlicher Patronus mobiler und kann sogar durch die in seine Entstehung hineingelegte Auffassungsgabe eigenständig vorgehen. Aber wer bereits silbernes Leuchten zielgerichtet ausschicken kann, hat eine wichtige Hürde genommen. Ähm, und für Ihr ungebetenes Dazwischenreden und der unpassenden Ausdrucksweise muß ich ihnen dann wohl vierzig Strafpunkte geben, Monsieur Arbrenoir. Zwanzig wären zwar ausreichend. Aber da Sie Saalsprecher sind erfüllen Sie nun einmal Vorbildfunktion und müssen mehr als andere auf korrektes Benehmen achten." Apollo nahm es wortlos hin. Dann führte Delamontagne seinen Patronus vor, eine Meerjungfrau. Damit war Julius nicht der einzige, der einen andersgeschlechtlichen Patronus hinbekam. Das grazile Zauberwesen mit den langen, deutlich erkennbaren Haaren und dem starken, weit ausfächernden Fischschwanz schwamm eine Runde durch den Klassenraum und gab dabei einen süßen, sphärischen Ton von sich, der alle schlagartig in eine entspannte Stimmung versetzte, bevor das nichtstoffliche Geschöpf übergangslos verschwand.
"Entschuldigung, Professeur Delamontagne", ergriff Julius das Wort, als es ihm erteilt wurde, "Auch wenn Sie als Lehrer mir gegenüber keine solchen Fragen beantworten müssen interessiert es mich nun doch, warum auch Sie eine außergewöhnliche und andersgeschlechtliche Form ihres Patronus hervorbringen können."
"Ich bin meiner Ihnen übergeordneten Stellung zum Trotz der Meinung, bestimmte Dinge im gegenseitigen Handel zu klären, Quid pro Quo, wie es akademisch heißt. Da Sie uns Ihre Patrona begründet haben möchte ich Ihnen allen auch meine erläutern. Diese Meerfrau steht für die Bewältigung eines meiner schlimmsten Erlebnisse. Sie konnte mich damals aus einer tödlichen Gefahr retten, als ich gerade neun Jahre alt war. Daher wurde sie wohl als Lebensretterin, was religiös lebende Menschen auch Schutzengel nennen würden, die Formgeberin meines Patronus-Zaubers. Die Mitglieder des von mir betreuten Zauberwesenseminares durften sie sogar schon begrüßen." Julius hatte sich sowas gedacht. Sofort sah er die goldhaarige, smaragdäugige Maritia in ihrem kugelrunden Aquarium in der kleinen Halle der Illusionen mit ihrem korallenroten Fischschwanz elegant durch das Wasser gleiten. Sie kannte Delamontagne also schon recht lange. Natürlich durften die Teilnehmer am Zauberwesenseminar denen, die keine eingetragenen Mitglieder waren berichten, wie es in der Meerstadt war. Dann ging es wieder um die Nachtschatten.
"Anders als die meisten Meerleute sind Nachtschatten alle durchweg bösartig und mordlüstern. Zwar können sie Jahrzehnte überdauern, ohne Menschen das Leben aus dem Leib zu frieren oder sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Doch weil sie ja schon als Menschen aus Fleisch und Blut skrupellos und rücksichtslos waren, verstärkt sich diese Unart in der Metamorphose zu Nachtschatten. Sie sind jedoch gezwungen, in dunklen Räumlichkeiten zu bleiben. Sie ziehen Höhlen oder unterirdische Gänge vor, in die kein Sonnenlicht eindringt. Das dürfte meine Vorgängerin Ihnen ja noch erläutert haben. Niedere Nachtschatten haben zudem einen engen Bewegungsraum, weil sie ja durch die langsame Zersetzung ihres Körpers keine magische Substanz besitzen. Sie können wirklich wie eigenständige Schatten an Wänden entlangwandern. Sie haben es aber schwer, Menschen gezielt zu töten. Daher legen Sie Hinterhalte, um ihre Beute bewegungsunfähig zu machen. Höhere Nachtschatten, die über Jahre mehr als eintausend Seelen in sich aufgesogen haben, vermögen auch weite Strecken über Land oder Wasser zurückzulegen. In ruhenden Gewässern kommen sie nicht voran, weil ihre negative Körpersubstanz das Wasser um sie herum gefriert. Zwar können sie durch feste Wände gehen. Aber durch ihre eigene Magie erzeugtes Eis hemmt sie. Da die Schwerkraft aber nicht für sie gilt können sie sogar fliegen und anders als Vampire durch fließendes Wasser schwimmen. Wenn es Nachtschatten sind, die innerhalb von fünf Jahren mehr als zehntausend arglose Menschen entseelt haben, besteht sogar die Gefahr, daß sie dunkle Zauberkräfte wirken können, wie den Zauber Tenebrae, der den Raum in Hörweite oder den gerade geschlossenen Raum, in dem sich der Zaubernde bewegt komplett verdunkelt. Diese Dunkelheit durchdringt nur ein massiver Sonnenlichtzauber. Die meisten auf ihre Augen vertrauenden Menschen geraten in vollkommener Dunkelheit leicht in Panik, was diesen Wesen ein zusätzliches Vergnügen bedeutet, weil negative Gefühle wie Angst und Haß die erjagten Seelen "besser schmecken" lassen. Hierin unterscheiden sie sich von den Dementoren, die glückliche Gefühle lebender Wesen in sich aufsaugen und ihnen damit nur die bedrückenden, furchtbaren Empfindungen und Erinnerungen belassen. Außerdem können die höchsten Nachtschatten ihre Körperform verändern und entweder als winziges Geschöpf wie eine Fliege oder als vereinnahmende schwarze Wolke erscheinen, ihre Arme wie Gummibänder in die Länge dehnen oder zu kugelartigen Kreaturen werden, die einen Menschen in sich einschließen können, bis sein Körper erfroren und seine Seele in die dunkle Substanz des Nachtschattens eingeflossen ist. Gegen diese Kreaturen hilft nur massive Feuer- und Sonnenlichtzauberei."
"Entschuldigung, Professeur Delamontagne", bat Laurentine ums Wort und erhielt ein Nicken. "Was passiert mit den Körpern der Opfer. Sind die einfach nur tot oder verändern die sich noch, daß aus denen vielleicht Eiszombies oder umgestaltete Ungeheuer werden, die dem Nachtschatten weitere opfer zuführen können?"
"Interessante Vermutung, Mademoiselle Hellersdorf. Normalerweise sind die Körper tot und derartig kalt, daß Wasserdampf an ihnen zu Schnee wird. Daß die Nachtschatten ihre Opfer zu willigen Zubringern mutieren können ist mir nicht bekannt, und ich hoffe inständig, daß mein Wissen der Wirklichkeit entspricht, und derlei nicht funktioniert", erwiderte der Lehrer. Céline hob die Hand und durfte sprechen.
"Dann wäre es für diese Kreaturen ja noch einfacher, Leute anzufallen und denen das Leben auszusaugen." Delamontagne und alle anderen nickten. Dann sagte der Lehrer: "Sie, Mademoiselle Hellersdorf, brachten den Begriff Zombie in die Diskussion ein. Mit diesen bedauernswerten Geschöpfen werden wir uns im November in der Einheit dunkle Manipulationen mit Leichnamen genauer befassen." Danach beschrieb er die vier hierarchischen Ebenen der Nachtschatten, vom niederen Nachtschatten, über den gemeinen Nachtschatten, der nicht mit irgendwelchen Pflanzen zu verwechseln sein dürfe, den höheren Nachtschatten und dem höchsten Nachtschatten, wobei die Liga gegen dunkle Kräfte und das US-amerikanische Marie-Laveau-Institut zur Bekämpfung von dunklen Kräften aus allen Kulturkreisen bislang nur sieben Exemplare aufzulisten verstanden. Aufsteigen konnte ein Nachtschatten durch die Anzahl der Seelen, die er innerhalb eines Zeitraumes erbeuten konnte. Julius wußte, daß er in dunklen Gängen besser immer sein Vielzeug mit eingelagertem Sonnenlichtkonzentrat dabeihaben würde. So erwähnte er dem Lehrer gegenüber, daß es bereits Artefakte gab, die das Sonnenlicht sammeln und auf Verlangen wieder abstrahlen konnten. Seine Sonnenkugel, die er letztes Weihnachten bekommen hatte war bestimmt auch wirksam. Delamontagne nickte eifrig und fragte nach den Preisen. Julius mußte bedauern, daß er die Preise nicht kannte, weil er seine Sonnenkugel geschenkt bekommen hatte, ebenso wie das Vielzeug, das beim Ausruf des altägytptischen Sonnengottes Ra eine kleine, sonnenhelle Lichtkugel über dem magischen Vielzweckinstrument erzeugte. Zum Schluß fragte Laurentine, ob man einem Schwarzmagier das Ritual verderben konnte, zum Nachtschatten zu werden. Delamontagne erwähnte dazu, daß man den betreffenden erst einmal aufspüren mußte. Allerdings sei das Ritual selbst schon gefährlich genug, daß es auch im simplen Tod des Anwenders enden könne und daher zu ihrer aller Glück ziemlich selten angewandt würde. So sagte er noch mit einem gewissen Seufzer: "Nachtschatten mögen in den beiden höchsten Stufen mächtiger und gefährlicher als Vampire und Werwölfe sein. Doch diese können ihr Dasein leichter weitergeben und sind daher häufiger anzutreffen und somit in der Masse gefährlich. Aber wie erwähnt können Sie alle durch die Einübung der ungesagten Sonnenlichtzauber nicht nur gegen Nachtschatten wirkungsvoll vorgehen, sondern damit auch Vampire und Nachtlurche in die Flucht treiben." Dann fragte er, ob sie alle den Sonnenlichtspeer auf ein unzerstörbares Ziel abfeuern konnten. Julius wurde gebeten, die Sonnenlichtmauer zu errichten, die er im letzten Jahr erlernt hatte. Er rief sie laut ausgesprochen aus. "Das würde herkömmliche vampire bereits in die Flucht schlagen", erwähnte der Lehrer. Dann sollte Julius einen schwarzen Steinblock mit Sonnenspeeren beharken. Erst rief er den Zauber gesagt aus, dann ungesagt, bis er fünf davon in den Block gejagt hatte, ohne ihn zu beschädigen. Apollo traute sich als nächster. Doch er mußte drei gesagte Sonnenspeere machen, bis er den ersten, jedoch im Flug schon zersprühenden Speer aus Licht aus dem Zauberstab schießen konnte. Erst beim sechsten Mal schaffte er es, einen ungesagten Sonnenlichtspeer in den Übungsblock zu treiben. Julius dachte daran, daß Bellatrix Lestrange durch diesen Zauber ihr größenwahnsinniges Dasein ausgehaucht hatte. Doch er dachte auch immer an Delamontagnes Bemerkung von den herkömmlichen Vampiren. Das mit Volakin war Geschichte, wußte er. Doch offenbar ging der Lehrer davon aus, daß etwas wie Volakin jederzeit wiederentstehen konnte. Was einmal möglich war konnte eben irgendwann wieder möglich werden. Außerdem gab es diese Übervampirin, von der ihm Madame Faucon und sein neuer Saalvorsteher erzählt hatten. Sie mochte gegen einfache Sonnenlichtzauber vielleicht immun sein, konnte sie jedoch zumindest mit eigener Zauberkraft abwehren. Das empfahl sie nicht gerade als besiegbare Gegnerin für ihn. Aber das war Hallitti auch nicht gewesen. Und irgendwie war er ihr doch entwischt.
So verging die restliche Doppelstunde mit Übungen mit dem Sonnenlichtspeer. Viele konnten ihn aber erst beim fünften Mal ungesagt aufrufen. Dann waren alle sichtlich geschafft. "Bis zum nächsten Dienstag schreiben Sie mir bitte alles nachschlagbare über Nachtschatten auf drei Pergamentrollen zusammen. Bitte keine unsinnigen Fülltexte!" Gab Delamontagne für die nächste Woche auf.
Die Zauberkunststunde befaßte sich weiter mit höheren Elementarzaubern. Noch war die Elementarkraft Luft an der Reihe.
Das Quidditchtraining am Nachmittag verlief schnell und abwechslungsreich, weil Beaufort weitere neue Spielzüge mit der Mannschaft durchging, wie sie im Profi-Quidditch bei vielen Spielen benutzt wurden. Alle fieberten dem Abend entgegen. Denn jeder, der bei Delamontagne Unterricht hatte, wußte, daß sie nach dem Abendessen über die Sangazons diskutieren würden. Hierfür würden sie sich nicht in der kleinen Aula versammeln, wo üblicherweise das Zauberwesenseminar stattfand, sondern in der großen Aula, wo die Schulfeiern stattfanden.
"Für alle Erstklässler, die den Begriff Vampir heute zum ersten mal hören sollten", setzte Professeur Delamontagne an, als er die Bühne betreten hatte. "Dabei handelt es sich um meistens ehemalige Menschen, die durch einen magischen Keim, der durch Trinken des Blutes eines anderen Vampires in seinen Körper aufgenommen wird zu einer andersartigen Kreatur wird." Die Muggelstämmigen setzten zu Tuscheln an, wurden aber durch ein unmißverständliches Schsch Madame Faucons zum Schweigen gebracht, die mit den anderen Lehrern in der vordersten Reihe saß. Professeur Delamontagne erläuterte nun, wie Vampire aussahen, daß sie durch das Blut anderer Lebewesen ihre Nahrung sicherten und eine Art Familienleben betrieben, wobei galt, daß jene Vampire, die andere Menschen zu ihren Artgenossen gemacht hatten beherrschten. Er räumte mit den Vorurteilen der Muggel auf, daß jeder von einem Vampir gebissene und/oder leergesaugte Mensch zum Vampir werden müsse, daß diese Wesen lebende Tote seien und weder Spiegelbild noch Schattenwurf hätten. Dann zählte er die bestehenden Abwehrmöglichkeiten auf und kam dann auf die Sangazons, daß eine Vampirehe nur möglich sei, wenn ein Mensch sein Blut gab und im Verlauf das Blut des künftigen Partners trank, bis das ehemals rote Blut des Menschen zu milchigweißem Vampirblut geworden sei. Schließlich erwähnte er die Geschichte der Sangazons, wobei er ausließ, daß Voixdelalune früher Professeur Tourrecandides Schwester gewesen sei. Mit dem Namen Lucille Gaspard konnte kein Unkundiger die beiden in Beziehung setzen. Er erwähnte dann noch, daß Voixdelalune eine besondere Eigenschaft besessen habe, nämlich durch ihre Stimme Menschen zu beeinflussen, woher sie ihren Vampirnamen erhalten habe, die Stimme des Mondes. Am Ende erwähnte er, daß die beiden von Mitgliedern der Liga gegen die dunklen Künste in der Nacht vom zwölften auf den dreizehnten Oktober in einem verlassenen Haus getötet worden seien. Danach eröffnete Madame Faucon die Diskussionsrunde. Die Schüler wollten dann wissen, was an Gilbert Latierres Meldung dran sei und warum das Ministerium das nicht bestätigen wollte. Madame Faucon erwähnte hierzu:
"Diese beiden waren nicht wirklich darauf aus, sich mit dem Zaubereiministerium anzulegen, Messieursdames et Mesdemoiselles. Daher wünschte Zaubereiminister Grandchapeau, daß über diese leidige Angelegenheit vorerst Stillschweigen bewahrt würde, zumal Professeur Tourrecandide auf ungewöhnliche Weise verschwand und sich bis heute nicht wieder einfand. Wenn außergewöhnliche, magische Vorkommnisse verzeichnet werden, legt das zuständige Zaubereiministerium immer erst eine gewisse Zurückhaltung an den Tag. Es könnte zum beispiel sehr wichtig sein, den Kreis der um alle Tatsachen wissenden Personen so klein wie möglich zu halten, um bei einer Ermittlung dringend tatverdächtige von Aufschneidern und Trittbrettfahrern zu unterscheiden. Auch bei Verbrechen gibt es unsympathische Zeitgenossen, die sich nicht schämen, den Ruhm anderer als ihren eigenen einzuheimsen, und sei es ein Mordanschlag mit tausend Toten."
"Ja, aber was ist mit Professeur Tourrecandide? Die kannte doch die beiden Vampire", warf Antoine Lasalle ein.
"Das ist gerade einer der Gründe, warum das Zaubereiministerium eigentlich kein Interesse an einer vollständigen Veröffentlichung dieses Ereignisses hatte. Der Herausgeber der Temps de Liberté fühlte und fühlt sich offenbar berufen, alles, was das Zaubereiministerium für zu verschweigen befindet, mit aller Macht an die Öffentlichkeit zu zerren. Wir wollen nur hoffen, daß ihm dieser Enthusiasmus nicht eines Tages Bitter aufstoßen mag. Denn, werte Diskussionsteilnehmer und -teilnehmerinnen, jemand könnte sich durch die Veröffentlichung veranlaßt fühlen, entweder für Nachforschungen unauffindbar zu werden oder die gefaßten Ziele mit Brachialer Rücksichtslosigkeit voranzutreiben. Wie mein geschätzter Kollege in der Akademie sowie der Liga gegen dunkle Künste bereits erwähnt hat ist zu befürchten, daß die Sangazons Professeur Tourrecandide nicht von sich aus in ihre Falle gelockt haben. Der Köder waren zwei aus der Muggelwelt entführte Mädchen. Die dortigen Ordnungskräfte gingen bisher von einem schändlichen Verbrechen aus, wie es sich vor zwei Jahren in Belgien zutrug beziehungsweise ans Licht kam. Die beiden Vampire wollten Professeur Tourrecandide in ihre Familie aufnehmen. Dadurch hätten sie Informationen über die Sicherheitsstrukturen in der Zaubererwelt erlangt, die jenem Vampir, der den Auftrag hierzu erteilte, genug Planungsmöglichkeiten in die Hände gespielt hätte. Professeur Tourrecandide bereitete sich auf eine gewaltsame Auseinandersetzung mit den Sangazons vor, wobei sie auch magische Ohrenschützer trug, die sie vor Voixdelalunes Stimme schützen sollten. Warum sie verschwand und wie genau muß noch geklärt werden. Doch ich bedauere einräumen zu müssen, daß dies womöglich nicht geklärt werden kann, sofern Professeur Tourrecandide nicht irgendwann wieder zum Vorschein kommt. Sie wird weltweit gesucht, da wir nicht ausschließen können, daß sie einem uns bisher nicht bekannten Transportzauber unterworfen wurde."
"Portschlüssel machen die Leute nicht nackig", warf Oscar Vendri aus der UTZ-Klasse der Roten ein.
"Sie meinen, daß bei einer Portschlüsselbenutzung alle Kleidungsstücke und sonstigen Gegenstände mitgenommen werden", berichtigte Madame Faucon. "Ja, das trifft zu und ist daher wohl als Möglichkeit auszuschließen."
"Vielleicht hat sie sich ganz schnell in was ganz kleines verwandelt, eine Schnupfenbazille oder sowas", scherzte Jacques Lumière. Viele Blauen und Roten lachten. Julius konnte dem nur ein verächtliches Grummeln entgegnen. man sollte Jacques mal aufklären, daß Schnupfen durch Viren übertragen wurde, die noch kleiner waren als Bazillen.
"Bei wem lernten Sie bisher Verwandlungskunst, Monsieur Lumière?" Fragte Madame Faucon sehr ungehalten. Stille trat ein.
"Ömm-ömm, bei Professeur Blanche Faucon. Kennen Sie die", erwiderte Jacques, der offenbar vor seinen Kumpels nicht Kopf und sonstiges einziehen wollte.
"Ich kleide sie jeden Morgen an, gebe ihr zu Essen und zu trinken und kleide sie jeden Abend zur Nachtruhe um", erwiderte Madame Faucon kalt. "Daher weiß ich auch, daß Sie bei und von ihr gelernt haben, daß Verwandlungen ihre räumlichen Grenzen haben. Abgesehen davon, daß ein Schnupfenerreger so winzig wäre, daß er aktionsunfähig darauf lauern muß, von einer ahnungslosen Nase aufgesaugt und in deren Schleimhaut geborgen zu werden, kann sich kein Mensch, selbst die von mir meistens hochgeschätzte Professeur Unittamo, nicht in ein Bakterium oder gar ein Virus verwandeln, weil der Größenunterschied für eine Verwandlung genauso unüberwindlich wäre, als wenn jemand sich in einen Berg von der Größe des Mont Blanc zu verwandeln anschicke. Solcherart Meisterstücke gelingen nur Göttern in Sagen oder durch schnell abgespielte Einzelbildfolgen animierten Zauberern in Muggelmärchen, die in Drachen verwandelten Hexen den entscheidenden Schlag versetzen wollen." Jetzt mußten doch alle Muggelstämmigen im Saal lachen. Den Film kannte die werte Madame Faucon also auch. Julius konnte sich auch denken, daß sie sich über die Wahrnehmung der Magie bei Muggelkindern gründlich informiert und bei ihrer Tochter entsprechende Filme gesehen hatte. "Bei der Gelegenheit ist die Selbstverwandlung in einen Drachen ebenso unmöglich. Bei wem wurden Sie während der Zauberergrad-Prüfungen in Verwandlung examiniert, Monsieur Lumière?"
"Professeur Énas, Madame Faucon", erwiderte Jacques Lumière. Julius dachte, welche Verschwendung das war. Abgesehen davon war Jacques ja nicht mehr bei den Verwandlungsstunden dabei.
"Ich entsinne mich, daß er meinte, daß Sie zwar viel Humor aber wenig Konzentration aufgebracht hätten", erwiderte Madame Faucon. Damit hatte sie ihm doch noch den entscheidenden Treffer verpaßt. Denn nun grinsten Jacques Kumpels schadenfroh. Die wußten wohl auch, wie Jacques' Verwandlungs-ZAG ausgefallen war. "Kommen wir wieder zu den Vampiren zurück. Da Monsieur Latierre die wilden Wichtel aufs Dach gescheucht hat sehe ich es als Leiterin dieser Akademie wie als hochrangiges Mitglied der Liga gegen dunkle Kräfte für nötig an, Ihnen mitzuteilen, daß es seit etwas mehr als einem Jahr eine Vampirin gibt, die durch den Erwerb eines hochpotenten Zaubergegenstandes ihre eigenen Kräfte vervielfachen konnte. Sie fühlt sich dadurch berechtigt, die Herrschaft über alle anderen Vampire anzutreten und die Zahl ihrer Artgenossen auf ein dem Menschen ebenbürtig gegenüberstehendes Maß zu vergrößern, was sie natürlich mit allen Menschen Muggeln wie Magiern in einen unlösbaren Interessenskonflikt treibt. Das heißt, es bleiben nur zwei Auswahlmöglichkeiten: Sie gewinnt oder sie geht unter. Daher war und ist es von großer Wichtigkeit, daß die gegen sie angestrebten Ermittlungen von Aufruhr in der Öffentlichkeit verschont bleiben, weil sie diesen Aufruhr zu ihrem Vorteil nutzen kann. Dies hat Monsieur Gilbert Latierre, Herausgeber und Chefredakteur der Temps de Liberté bei seinem Drang, alles vorerst verschwiegene hemmungslos auszuplaudern nicht bedacht. Nicht immer ist es schlecht, wenn etwas nicht oder nur einem sehr kleinen Kreis erzählt wird, die Herrschaften. Sicher, wir haben im letzten Jahr unsere Freiheit verloren und mußten lange warten, bis wir sie zurückerhielten. Das heißt aber doch nicht, daß über alles und jeden, was im Ministerium beraten und erörtert wird frei berichtet werden kann. Es gibt immer noch Anhänger jenes größenwahnsinnigen Zauberers, der sich in grenzenloser Überheblichkeit Lord Voldemort nannte." Julius grummelte, weil wieder viele bei Nennung des Namens zusammenfuhren. Auch Madame Faucon bedachte die Erschrockenen mit einem tadelnden Blick. "Darüber hinaus existieren noch dunkle Kreaturen, die wie diese Vampirin nach der Unterwerfung der Menschen trachten oder sie schlicht als Futter ansehen und Hexen, die Sardonias Erbe anzutreten wünschen. Wenn alles, was im Zusammenhang mit diesen Personen und Geschöpfen beraten und geplant wird gleich am nächsten Tag in der Zeitung nachzulesen ist, können wir diesen Kreaturen gleich die Schlüssel zu unserer Welt in die Hand drücken. Nur, damit Sie alle sich mal überlegen, ob Sie wirklich alles wissen müssen, wenn der Preis dafür die Auslieferung an Ihnen feindlich gegenüberstehende Zeitgenossen ist." Ein leises Tuscheln setzte ein. Madame Faucon ließ es einige Sekunden lang geschehen. Millie, die neben Julius saß, meinte:
"Ich klär das nachher mit Gilbert, Julius."
"Wenn er noch frei rumlaufen darf", scherzte Julius.
"Aus dem Château holt den keiner raus, wenn Oma Line das nicht will", sagte Millie überzeugt. Julius dachte, daß Gilbert Latierre wohl deshalb so übermütig war. Dann klatschte Madame Faucon in ihre Hände und stellte wieder Ruhe her. Julius zeigte auf und fragte, ob sie zumindest wissen dürften, ob es gegen das Artefakt der Vampirführerin einen Zauber oder ein Gegenartefakt gebe.
"Dies entzieht sich meiner Kenntnis, da diese Vampirin nicht gefangengenommen werden konnte, um es herauszufinden. Der einzige, der dies mit Einschränkung geschafft hat, war ein durch eine besondere Verseuchung veränderter Vampir."
"Sie meinen diesen Volakin, der mit diesem Strahlengift aus Rußland verhunzt wurde?" Fragte Apollo Arbrenoir. Madame Faucon nickte. Dann räumte sie ein, daß er womöglich versucht habe, sich der Unterwerfung zu entziehen und selbst das bestimmte Artefakt erbeuten wollte, was ihm jedoch mißlang. Ob es einen wirksamen Abwehrzauber dagegen gibt oder es unschädlich gemacht werden kann erforschen die Fachleute zur Abwehr destruktiver Zauberkräfte schon seit sie wissen, daß es dieses Ding gibt. Aber mehr möchte ich hierüber nicht erwähnen, eben auch weil dadurch die Gefahr besteht, daß die momentane Besitzerin dieses Gegenstandes jeden umbringen wird, der zu viel darüber weiß." Das mußten sie dann hinnehmen. So ging es noch um die Vampirfamilien, ob man sich dagegen wehren konnte, Vampir zu werden, wenn diese Wesen einen durch ihren hypnotischen Blick beeinflußten. Das war natürlich ein Heimspiel für Madame Faucon und Professeur Delamontagne. So dauerte die Besprechung bis viertel nach zehn. Eigentlich hatten alle Schüler um zehn Uhr Aabends in den Sälen und die Schüler der unteren Klassen bereits vor zehn im Bett zu sein. Doch der besondere Anlaß erlaubte dies. Als dann um siebzehn Minuten nach zehn Uhr Madame Faucon erwähnte, daß nichts weiteres mehr zu besprechen sei schickte sie alle Schülerinnen und Schüler in die Säle. Die Saalvorsteher sollten ihre Zugewiesenen Schüler begleiten. Denn sie seien ja schon nach der Saalschlußzeit. So begleitete Professeur Delamontagne die Grünen in ihren Aufenthaltsraum. Julius und Gérard scheuchten die Jungen dann in die Betten, die bereits dort hätten sein sollen. Céline und Laurentine taten dasselbe mit den Mädchen. Die noch aufbleiben durften fragten ihren Saalvorsteher, ob diese Vampirin auch nach Beauxbatons hereinkommen könne wie die Schlangenmenschen.
"Ganz ausschließen möchte ich das zwar nicht. Aber uns umgeben sehr wirksame Schutzzauber. Die Einzigen, die dort hindurchdringen konnten waren diese Schlangenwesen. Und die gibt es nicht mehr."
"Wie kann Professeur Tourrecandide verschwinden, ohne ihre Sachen anzubehalten?" Fragte Antoine Lasalle noch einmal.
"Das ist eben zu klären. Vielleicht wurde sie restlos entstofflicht, will sagen, sie ist im Nichts aufgegangen. Aber eben deshalb, weil das nicht absolut feststeht, muß weitergesucht und geforscht werden."
"Professeur Delamontagne", setzte Julius leise an und winkte den Lehrer heran. "Könnte es vielleicht mit dem zu tun haben, was ihr mit der Wiederkehrerin passiert ist?"
"Wird nicht ausgeschlossen. Aber bloß kein Wort darüber", zischte Delamontagne, während die anderen näher aufrückten. Julius fragte deshalb laut genug: "Kann Professeur Tourrecandide vielleicht von sich aus verschwunden sein, weil sie etwas geheimes vorhat?"
"Falls sowas stimmt und ich davon weiß, darf ich es nicht sagen. Falls ich von sowas nicht weiß, kann ich Ihnen nichts darüber sagen", erwiderte Professeur Delamontagne. "Aber jetzt möchte ich gerne meine eigenen Räumlichkeiten aufsuchen. Da liegt bestimmt noch jede Menge Post für mich herum. Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame Nacht!" Alle grüßten im Chor zurück, bevor der Fachlehrer gegen dunkle Kräfte den Saal verließ.
"Echt, Julius, das war doch jetzt seltendämlich. Die verschwindet doch nicht ohne Klamotten an", kritisierte André Deckers den Klassenkameraden. Dieser erwiderte, daß sie vielleicht einen Trank eingeworfen hat, der unsichtbar macht, aber nur den Körper. Laurentine meinte sofort: "Stimmt, das könnte auch gehen. Ein Trank, der wen unsichtbar macht und gleichzeitig durch Wände gehen läßt wie einen Geist. Dann hätten die im Ministerium Grund, ihr Verschwinden ziemlich geheimzuhalten. Weil das wäre ja ein Ding, wenn das jeder wüßte."
"Ach, warum habt ihr das dann vorhin nicht in der Aula rausgelassen?" Fragte André herausfordernd.
"Damit Königin Blanche auf uns genauso sauer ist wie auf Jacques?" Fragte Robert. "Wundere mich nur, daß die dem keine Strafpunkte aufgeladen hat."
"Sie wollte eben ihre Erläuterungen loswerden", erwiderte Julius. Er kannte wirklich einen Trank, der für mehrere Stunden unsichtbar machte. Aber dafür mußte sich niemand ausziehen. Und durch Wände gehen konnte man mit einem Zauber, der "Terra Lapisque permeabilis pro Vivo" ausgerufen wurde. Doch er glaubte nicht daran, daß sich Tourrecandide so abgesetzt hatte. Das goldene Licht in seinem Traum und die Tatsache, daß sie im Klammergriff Éclipsians und unter der hypnotischen Kontrolle von Voixdelalunes Stimme nichts hatte trinken können sprachen dagegen. Aber so hatten sie alle was, woran sie sich schön festbeißen konnten. Delamontagne hatte ihm ohne es genau zu beschreiben den entscheidenden Hinweis gegeben. Was immer damals mit der Wiederkehrerin passiert war mochte bis heute nachgewirkt haben und Tourrecandide im entscheidenden Moment betroffen haben. Doch was war da genau passiert? Er wußte, wenn er die Antwort auf diese Frage kannte, konnte er auch beantworten, was mit Professeur Tourrecandide passiert war. Doch er wußte auch, daß ihm seine Lehrer und Bekannten aus dem Ministerium die Frage nicht beantworten würden. Die einzige, die es ihm sagen konnte war Anthelia. Und von der hatte man nach Volakins letzter Aktion auch nichts mehr gelesen, was nicht hieß, daß es sie nicht mehr gab.
In seinem Schlafsaal fand Julius eine Antwort auf die Frage an Gilbert Latierre vor:
Hallo Julius.
mach dir bitte keine Sorgen, daß mir Grandchapeau oder eure neue Schulleiterin dummkommen könnte.
Ich mußte das mit den Sangazons rauslassen, weil der Minister drauf und dran war, das in seinem Giftschrank zu verbuddeln.
Mein Informant erwähnte, daß die einen Lila Drachen fliegen lassen wollten.
Das heißt, daß sie der Welt was erzählt hätten, was komplett erlogen ist.
Meine Mutter kennt Professeur Tourrecandide auch privat.
Der wollte ich nicht den Schrecken einjagen, daß die eine erfundene Todesmeldung oder was von einer Reise nach sonstwohin erzählen.
Jetzt müssen sie ganz offen nach ihr suchen und können das nicht als dummes Mißgeschick abtun.
Erhol dich gut und paß weiter gut auf Millie auf!
"Vielleicht hat Temmie mitbekommen was Tourrecandide damals und vor ein paar Tagen passiert ist. Sie wurde damals um einige Jahrzehnte Jünger wie ein auf halber Strecke verhungerter Infanticorpore-Fluch", dachte Julius für sich. "Und dieses Goldlicht sah aus wie ein Infanticorpore im Zeitraffer. Der verändert auch nicht die Kleidung. Aber dann hätte sie da als wimmerndes Baby liegen müssen. Es sei denn ..." Julius wagte es nicht mehr, den Gedanken weiter auszudenken. Doch war das wirklich unmöglich? Aber dann mußte sie zwangsläufig sterben, weil nichts schützendes um sie herum war, um sie aufzufangen. Doch vielleicht sollte er wirklich nicht alles, was er geträumt hatte für wirklich passiert ansehen. Auch was Professeur Delamontagne gesagt hatte mochte nur Ablenkung gewesen sein. Julius wußte, daß er das nicht nachprüfen oder aufklären konnte. Das ärgerte ihn zwar ein wenig, war aber nichts, worüber er sich aufregen mußte. So drehte er sich in seine lieblingsschlafstellung und wartete darauf, daß der Schlaf seine wilden Gedanken beruhigte und ihn in den nächsten Tag hinübertrug.
Hallo Brittany,
ich habe mich sehr gewundert, aber auch sehr gefreut, daß du so schnell jemanden gefunden hast, der mit dir das ganze vor dir liegende Leben verbringen möchte. Millie sagte mir, ich solle dich von ihr schön grüßen. Sie möchte dir demnächst noch persönlich schreiben, von Frau zu Frau. Ich kenne deinen Verlobten ja noch nicht und verlasse mich mal ganz ohne Sorgen darauf, daß du dir den richtigen ausgeguckt hast. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf, ihn nach Weihnachten kennenzulernen. Durch die schnelle Luftschiffverbindung zwischen deinem und meinem Dorf ist das ja kein Thema mehr, wie Millie und ich, und wen du vielleicht sonst noch aus der alten Welt einlädst, zu euch rüberkommen können. Kommen die Verwandten von der väterlichen Seite auch hin? Dann wird es aber interessant, wie dein Vater seinen Angehörigen erklärt, warum die Typen in so altmodischen Umhängen rumlaufen und was das Gedöns mit dem Stab, aus dem Funken über das Brautpaar gestreut werden soll.
Bei uns ist auch wieder einiges los. Wir haben ja neue Lehrer bekommen, darunter den ehemaligen Zaubereigegenminister als neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste, ein sehr guter Lehrer und Experte, der das aber nicht überheblich rüberbringt. eine Lehrerin aus England gibt jetzt Verwandlung bei uns. Die ist anders drauf als Professeur Faucon, von der du da drüben bei euch sicher auch mitbekommen hast, daß sie Madame Maxime als Schulleiterin beerbt hat. Eine ehemalige Lehrerin und ZAG- und UTZ-Prüferin ist vor einigen Tagen verschwunden. Das Ministerium wollte nicht damit rausrücken, warum, hätten das wohl auch gerne ganz unter den Teppich gekehrt. Ich hoffe, den Ausdruck kennst du von deinem Vater. Jedenfalls kam der Herausgeber der Gegenzeitung von damals damit heraus, daß sie beim Kampf mit einem Vampirehepaar verschwunden ist, also keine Leiche hinterlassen hat. Du hast mir das mit dieser Nyx geschrieben. Madame Faucon und Professeur Delamontagne, besagter Fachlehrer gegen dunkle Künste, haben vorgestern eine offene Diskussion mit uns geführt, daß diese Übervampirin jetzt wohl in Europa herumfuhrwerkt. Wenn die bei euch zuerst dumm aufgefallen ist, vermute ich mal mit dem Rest von Logik, der mir geblieben ist, daß die aus den Staaten oder aus Südamerika stammt. Was weißt du noch so über dieses Vampirweib?
Achso, dann haben wir noch einen neuen Quidditchlehrer, nachdem der alte Madame Faucon unterstellt hat, ich würde andauernd bei der unterm Rock hängen, was schon ziemlich anzüglich rüberkommt. Das hat der natürlich nicht lange überstanden. Jetzt haben wir einen ehemaligen Superstar aus der französischen Liga, der uns geniale Flugmanöver aus seiner Profi-Zeit beibringt, natürlich auch den anderen fünf Mannschaften. Wir dürfen ja den Dawn'schen Doppelachser nicht im Schulturnier bringen, weil außer Millies und meinem Saal, also Haus, keiner damit klarkommt. Dann möchte ich mal wissen, wie das bei der nächsten WM wird, wenn die Australier oder Engländer dieses Manöver können. Obwohl, dann hätten die beiden bei der letzten Weltmeisterschaft nicht so früh nach Hause fahren müssen. Kann also sein, daß es da eine Regelung gibt, wann der Doppelachser zulässig oder unzulässig ist.
Du hast mir geschrieben, daß dein Verlobter Krach mit dieser Entomanthropenkönigin hatte. Hat sich seit Wishbones angeblicher Ermordung noch was in dem Zusammenhang ergeben, ob die alleine war? Nicht, daß da noch welche von denen rumfliegen.
Wie läuft Mels Laden? Gloria hat ja am 29. oktober Geburtstag. Ich werde mich mit denen, die sie vom Austauschjahr oder meinen Geburtstagsfeiern her kannten zusammentun und ihr was nach Hogwarts rüberschicken. Sie wird ja immerhin siebzehn.
Grüße bitte alle, die ich in VDS kennengelernt habe. Bei der Gelegenheit, Venus ist noch nicht verplant oder? Sage deinen Eltern jedenfalls bitte schöne Grüße von Millie und mir!
Bis dann
Julius Latierre
Julius schickte eine schuleigene Eule mit dem Brief für Brittany los, als er nach dem Abendessen einige Minuten Zeit hatte, um den brief zu schreiben. Die Zeitungen hatten sich gerade davon in der Wolle, wer aus welchen Gründen mit welchen Informationen rauskommen durfte und wer nicht. Millie und Julius fürchteten, daß dies in einen dummen, schmutzigen Medienkrieg ausarten konnte. Offenbar fehlte ein echter Feind. Doch bisher hatte Zaubereiminister Grandchapeau keine Anstalten gemacht, die Temps de Liberté zu verbieten. Natürlich wußte der, was er dieser Widerstandszeitung zu verdanken hatte. Außerdem wollte er sich wohl nicht den Vorwurf der Medienunterdrückung ans Bein binden lassen. Julius hatte im Buch über Astralzauber alles über die mächtigsten Sonnenzauber gelernt, wie auch aus dem Buch über die Magie des Sonnenfeuers, wo altägyptische Sonnenkraftbeschwörungen erwähnt waren, die jedoch nur durchführen konnte, wer starke Zauberkräfte besaß. Millie und die andren hatten mit ihm Stunden in der Bibliothek gesessen und die entsprechenden Textstellen gelesen, abgeschrieben und besprochen. Als er das Buch über Astralzauber gelesen hatte war er sogar auf ein Kapitel gestoßen, das "Die Mächte des Tierkreises" hieß. Er glaubte zwar nicht an Astrologie und das die fernen Sterne irgendwie sein Schicksal beeinflussen konnten, nahm es aber als gegeben hin, daß sie die alten Magier dazu veranlaßt hatten, mächtige Zauber zu entwickeln. Da war von einer Heilbeschwörung der Jungfrau ebenso die Rede wie von der Kraft des Löwen, die - das hatte er natürlich nicht vergessen, von im Sternzeichen Löwe geborenen Hexen und Zauberern besonders gut aufgerufen werden konnte. Allerdings war das etwas, daß eine Menge Übung und Ausdauer verlangte. Richtig große Augen hatte er bekommen, als er vom Potestas-Geminorum-Zauber las, die Macht der Zwillinge. Dabei handelte es sich um nicht mehr und nicht weniger als einen sehr kraftvollen Zauber, der einem Anwender ermöglichte, vorübergehend an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Bilokation nannte sich dieser magische Kunstgriff, der längst nicht jedem vergönnt war und zudem auch die vierfache Ausdauer eines allein verbrachten Tages abverlangte. Zumindest konnten die damit erzeugten, aus reiner Magie und Mentalkraft bestehenden Zweitkörper von ihren Originalen ferngesteuert werden oder im Sinne der Originale eigenständig handeln, allerdings abhängig von der Entfernung zwischen Original und Kopie. Die Zweitkörper konnten nicht mit unmagischen Methoden verletzt oder getötet werden und widerstanden den Einflüssen von Feuer, Giftgas und Wasser. Allerdings vergingen sie, wenn die nötige Ausdauer erschöpft war. Dann fiel das Original auch in einen komaartigen Tiefschlaf, der von nichts und niemanden unterbrochen werden konnte, bis die nötige Erholung erreicht war. Zwillingskörper, die mit dem Todesfluch erwischt wurden zerflossen, und die Originale verloren für mindestens eine Minute die Besinnung. So konnte es durchaus sein, daß Professeur Tourrecandide sich eine solche Doppelgängerin erschaffen hatte, die sie durch die Apparitionsmauer schicken konnte. Womöglich hatte der Einfluß der Vampire sie dann so heftig geschwächt, daß dieser Scheinkörper sich schlichtweg aufgelöst hatte. Das würde auch erklären, warum ihre Kleidung zurückgeblieben war, obwohl es hieß, daß die entstehenden Zweitkörper mit allem verdoppelt wurden, was der Anwender in dem Moment am Leib trug. Ein kopierter Zauberstab war aber kein wirksames Werkzeug. So hatte Tourrecandide vielleicht ihren Originalstab an die Kopie abgegeben, damit sie in ihrem Sinne auftreten konnte. Doch diese Vermutung würde nicht zu Delamontagnes indirekter Bestätigung passen, daß ihr Verschwinden was mit der letzten Begegnung mit der Wiederkehrerin zu tun hatte. Es sei denn, Delamontagne hatte Julius' Neugier ausgenutzt, um ihn aufs Glatteis und weit hinters Licht zu führen. Vorstellen konnte er sich das schon und verübeln auf keinen Fall, da Delamontagne ja doch höllisch aufpassen mußte, keine Interna der Liga an unmündige Schüler weiterzutratschen, wenn es für diese nicht überlebenswichtig war, sich gegen dieses oder jenes zu schützen. Die Zwillingsnummer erschien Julius da tatsächlich als eine Möglichkeit, wie Tourrecandide ganz ruhig in die offenkundige Falle reinlaufen konnte, ohne echt das Leben zu riskieren. Doppelkörper besaßen nämlich kein echtes Blut, das ihnen ausgesaugt werden konnte. Aber das wiederum störte Julius' Überlegungen. Vampire hatten übermenschlich gute Sinne, konnten Herzschläge hören und Blut durch die Haut ihrer Opfer hindurch erschnüffeln. Denen eine magische Kopie hinzuschicken hätte die gleich argwöhnisch werden lassen. Er grummelte, weil dieser Gedanke seine schöne Überlegung geradezu atomisierte. Die Macht der Zwillinge brachte im Kampf gegen Vampire nur was, wenn diese gleich angegriffen und vernichtet werden sollten. Also zurück auf Anfang, dachte Julius und besann sich wieder auf die anstehenden Hausaufgaben.
Der Jubel war ungemein groß. Alle Zuschauer aus dem gelben Saal schrien lauthals und schwenkten zitronengelbe Fahnen und Schals. Das ganze war wie eine Explosion über die erst total bedröppelten Zuschauer hereingebrochen, während die Violetten schon gesungen hatten "Zehn, zwanzig Hundert tausend Punkte holen wir", weil die Spieler in den dunkelvioletten Umhängen innerhalb der ersten drei Minuten bereits zwölf schnelle Tore erzielten, und das Jägertrio der Gelben mehr als nur alt dabei aussah. Dann war Sandrine auf einmal durchgestartet, ohne daß ihr Gegenspieler von den Violetten es mitbekommen hatte, konnte einem Doppelangriff der Treiber gerade so unter den Klatschern durchschlüpfen und hatte den Schnatz in der Hand, bevor die Violetten ihren Sucher auf die unvermittelte Gefahr aufmerksam gemacht hatten. Damit warfen die Gelben das ganze Spiel um und nahmen dreißig Punkte Vorsprung aus der Partie mit. Violett stand dadurch in dieser Runde noch auf Platz vier. Doch wenn sich Blau und Weiß in zwei Wochen zum letzten Spiel der ersten Runde trafen, konnten sie sogar noch auf den sechsten Platz durchgereicht werden. Entsprechend niedergeschlagen wirkten die Mannschaft und die Zuschauer. Professeur Paralax, der Saalvorsteher der Violetten, wirkte noch blasser als eh schon, fast wie ein Vampir, dachte Julius. Der Muggelkundelehrer Paximus, der die Gelben betreute, machte aus seiner Begeisterung keinen Hehl und sprang ein ums andere Mal in die Höhe, daß sein Vollbart wild auf und abschwang. Julius hatte sich mit seiner Frau so gesetzt, daß sie den Übergang der grünen zur roten Mannschaft bildeten. Hinter ihm saß Corinne Duisenberg, die ihm auf den Rücken tippte und über den Jubelsturm der Gelben hinweg zurief:
"Das haben die sich ganz anders gedacht. Mir schwirrt der Kopf, weil der ganze Jubel von den einen zu den anderen rübergesprungen ist. Aber in zwei Wochen haben die Violetten echten Grund zum trauern, weil wir da die Weißen erledigen."
"Guck dir Sandrine an, wie die strahlt!" Stellte Millie fest. Julius nickte ihr zu, während die Gelben jedes Mannschaftsmitglied mit Dankesworten bejubelten.
"Ich fürchte, die werden einen neuen Hüter brauchen. der hatte mir zu viel Angst vor dem Quaffel", meinte Patricia Latierre, die neben ihrer drei Jahre älteren saß.
"ja, aber erst, wenn wir die erledigt haben, Pattie", meinte Millie dazu, während sie Julius anstupste, damit sie beide der unerhofft siegreichen Mannschaft gratulierten, während Constance Dornier im Moment dem Jubel freien Lauf ließ und den endgültigen Spielstand noch nicht offiziell ausrief. Das konnte doch eh jeder auf der Anzeigentafel über dem ovalen Spielfeld nachlesen. 150:120. Beaufort stand bei der strahlenden Siegerin Sandrine, die den Schnatz immer noch in der Hand hielt, als hinge ihr Leben an diesem walnußgroßen Ball mit silbernen Flügeln. Offenbar freute er sich, eine so überragende Sucherin ausbilden zu dürfen.
"Dürfen wir Sandrine auch beglückwünschen?" Fragte Julius Gérard, der seine Freundin regelrecht umklammert hielt. Hinter seinem Rücken wirbelten die Flügel des Schnatzes. Doch Sandrine ließ ihn nicht los. Gérard sah Julius mit einem seligen Lächeln an und gab Sandrine einige Sekunden frei, so daß Julius sie in der üblichen Landesart umarmen und auf die Wangen küssen konnte. "Hast du schön gemacht, Sandrine. Damit hast du dir jetzt endgültig alle Sympathien bei deinen Leuten gesichert, bis du mit Beaux durch bist", sagte er.
"Kuck dir Picard von den Violetten an. die ist voll platt. Kein Tor kassiert aber doch das Spiel verloren", feixte Gérard, als die Violetten mit hängenden Köpfen vom Platz trotteten. Für sie hatte es doch so sicher ausgesehen. Daß sie zwölf Tore geschossen hatten schien denen gerade nicht mehr so wichtig zu sein.
Maurice hat das auch mal gemacht, den gegnerischen Sucher immer schön in der Nähe gehalten und erst dann den Spurt zum Schnatz eingelegt, als der in direkter Flugrichtung flog", erwiderte Sandrine. "Das war in meinem ersten Jahr hier in Beauxbatons." Julius nickte. "Hat aber nicht viel gebracht, weil uns da die Roten mit schon zwanzig Toren Vorsprung heftig in den Tabellenkeller gestoßen haben", fügte Sandrine noch hinzu. "Das ist uns ja dann heute erspart geblieben.""Gegen Horus klappt das nicht, Sandrine. Der guckt sich um, wo der Schnatz ist und hängt sich nicht an den fremden Sucher dran. Hat er zumindest gesagt", bemerkte Millie.
"Ja, aber der muß sich noch an unsere Besen gewöhnen, Mildrid. Ob er das bis zu unserem Spiel geschafft hat?"
"Werdet ihr in der nächsten Runde schon sehen, wie gut der das kann", stellte Millie unerschütterlich fest.
"Ich freu mich drauf", erwiderte Sandrine schnippisch. Dann sah sie Professeur Paximus, der gerade den Weg durch die jubelnde Schar der Gelben fand, die gerade auf das Spielfeld vorrückte. Julius meinte zu Sandrine: "Hoffentlich lassen die noch alles an dir dran."
"Das hoffe ich aber auch", erwiderte Sandrine, der bei der Woge in Gelb doch ein wenig mulmig zu werden schien.
"So, wir treffen uns dann am besten in einer halben Stunde im Westpark wegen Glorias Geburtstag", meinte Millie zu Sandrine. Denn diese und Gérard wollten sich auch an einer Geschenkesammlung für Julius' frühere Klassenkameradin beteiligen.
Sandrine tauchte erst fünf Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt auf, ziemlich geschafft aber immer noch überglücklich. Millie reizte das zu einer anzüglichen Frage, ob Sandrine und Gérard das frühe Spielende richtig gut ausgenutzt hatten. Gérard schnaubte nur, daß er es nicht nötig habe, den Rauswurf für etwas zu riskieren, was er nach Beaux irgendwann so oder so erleben würde. Sandrine sah Millie nur verdrossen an und meinte, daß sie sich doch wohl nicht in anderer Leute Sachen reinzuhängen habe, wo sie genug eigenes um die Ohren habe. Julius fühlte sich berufen, die beiden Mädchen freundlich aber bestimmt darauf hinzuweisen, daß sie besser nicht gerade jetzt miteinander zanken möchten. Dann sprachen sie über Gloria. Julius erwähnte alles, von dem er sicher war, daß Gloria nichts dagegen hatte, daß es jeder wußte, der sie mal kennengelernt hatte. Belisama und Constance, die aus dem weißen Saal dazugekommen waren, bestätigten das und erwähnten auch, daß Gloria sich hier in Beauxbatons häufig mit kontinentaleuropäischer Zaubererweltküche beschäftigt habe, wegen der Kochkursmindestaltersanforderung jedoch nicht in Professeur Faucons Hauswirtschaftskurs eintreten konnte. So war ein Geschenk ein aufwendiges Zauberkochbuch, das die beiden Mädchen aus dem weißen Saal besorgen wollten. Jungen bekämen zum siebzehnten immer neue Taschen- oder Armbanduhren, warf Gérard ein. Was Mädchen so bekämen wisse er nicht. Millie konnte da aushelfen. "Martine hat zum siebzehnten eine rauminhaltsvergrößerte Truhe bekommen, wohl für die zukünftige Bett- und Badtextilien und Oma Lines gesammelte Werke über Hexenmütter und -großmütter. Auch wenn Gloria in der Richtung noch nichts anleiern möchte werde ich ihr die englische Ausgabe von "Ein Haus voller Leben schenken."
"Sag das mal nicht, daß sie da kein Interesse dran hat", wandte Constance ein. "Wie die sich um meine Tochter gekümmert hat sah schon ganz danach aus, als wäre sie Kindern gegenüber nicht abgeneigt. Gut, nach dem Tod ihrer Großmutter hat sie in Cythie wohl so was wie eine Lebensberechtigungsaufgabe gesehen. Das ist mir schon klargeworden." Belisama nickte. Sie war ja mit Gloria im gleichen Schlafsaal, als diese ihr Austauschjahr hier gemacht hatte, ein Jahr, daß Julius in einigen Sachen doch gerne ungeschehen gemacht hätte. Außerdem dachte er daran, daß Glorias geliebte Oma Jane nicht wirklich gestorben war. Womöglich hatte Tourrecandide etwas ähnliches gebracht, um sich den Sangazons zu entziehen. Céline und Laurentine hatten bereits miteinander besprochen, daß sie beide Gloria eine Wolltischdecke gestrickt hätten und noch daran feilten, daß sie mit nachts leuchtenden Sonne- und Mondmotiven bestickt wurde. Sie hatten die Decke sogar schon mit. Die würde locker über den großen Tisch der Dusoleils oder Martha Andrews' passen. "Es ist nur schade, daß wir nicht rauskriegen können, wie der unbeschmutzbarkeitszauber bei Wäschestücken geht, weil die Firma, die die Reinigungstücher auf dem Markt hat das Patent hat", sagte Céline. Sandrine schlug vor, im Kochkurs, der wegen Quidditch heute nicht stattfand, eine Geburtstagstorte zu backen und in einer Conservatempus-Schachtel zu verstauen. Céline schmunzelte und regte an, die "Jubel-Jauchz-Kerzen von ihrem Onkel bei Forcas' formidable Verrücktheiten zu bestellen. Wer sie anzündete löste laute Glückwunschrufe aus, und die Kerzen ließen sich erst ausblasen, wenn sie fast niedergebrannt waren. Solange kamen magisch erzeugte Glückwunschrufe und sogar Geburtstagsständchen aus ihnen heraus. Allerdings, so räumte sie ein, sang jede Kerze ein anderes Ständchen oder in einer anderen Tonart, was bei mehr als drei Kerzen schon ziemlich chaotisch klang. Doch sie bauten darauf, daß Gloria genug Spaß verstand und die Schüler in Hogwarts mitbekommen sollten, daß sie nun volljährig war. Julius bemerkte dazu nur: "Danke für die Vorwarnung." Millie grinste und ergänzte, daß sie ja nun wisse, was ihr zu ihrem siebzehnten blühen mochte. Laurentine erwähnte dann noch, daß ihre Mutter zum einundzwanzigsten Geburtstag, wo sie damals erst volljährig wurde, ein von ihren männlichen verwandten gebautes Mobile bekommen habe, das "Karussell des Lebens" genannt wurde und das Leben einer Frau in zehn an dünnen Nylonfäden hängenden Bildern zeigte, von der Geburt über die Schulmädchenzeit, Hochzeit, Mutterschaft bis zu einem Bild einer Oma mit weißem Haaren im Schaukelstuhl, mit vielen Enkeln auf dem Schoß und um sich herum, auch wenn sich das Frauenbild seit damals doch etwas geändert habe."
"Für Oma Line wäre das genau das richtige Geschenk, um zu zeigen, wofür sie bisher gelebt hat, auch wenn sie noch keine weißen Haare hat", meinte Millie dazu.
"Na ja, in den zehn Tagen, die uns bleiben kriegen wir sowas wohl nicht mehr hin. Wie lange dauert überhaupt eine Eulenpost nach Hogwarts, Julius?" Fragte Gérard. Julius überlegte. Da auf die Briefe ja selten Daten geschrieben wurden wußte er das nicht genau. Er schlug vor, seinem Schulfreund Kevin eine Eule zu schicken, die er eulenwendend mit einem Brief zurückschicken sollte, auf dem er den Erhalt der Nachricht vermerkte. Ansonsten wollte er mit Gérard und Robert noch einen Springbrunnen aus Ton fertigbekommen, der durch einen eingewirkten Aguamentizauber auf Zuruf eine Fontäne ausstoßen sollte, worauf am Brunnenrand sitzende Frösche quakten. Robert konnte dadurch den Animierzauber vervollkommnen, den sie gerade im Unterricht ungesagt wiederholt hatten. So wurden die Geschenke alle abgestimmt und beschlossen, daß jeder und jede mit eigener Posteule am Transport des Gesamtpaketes beteiligt würde. Francis sollte dann die Führung übernehmen. Danach schickte Julius den angekündigten Testbrief los, in dem er Kevin bat, Eulenwendend zurückzuschreiben, wann er ihn erhalten hatte, aber Gloria gegenüber nichts zu verraten. Um ihr kein Licht aufzustecken schickte Julius ihn mit einer anderen als seiner eigenen Eule los.
Den Nachmittag verbrachte er mit seinen Kameraden im grünen Saal, wo er außer den eigenen Hausaufgaben auch die der jüngeren Mitschüler betreute. Abends genossen seine Frau und er die herbstliche Kulisse im Ostpark, wo Schuldiener Bertillon mehrere Laternen in die Bäume gehängt hatte, um gleichmäßige Beleuchtung herzustellen. In einigen hundert Metern entfernung grüßte der im dunkeln liegende Saum des nicht mehr grünen, sondern goldgelben Forstes, wo der Herbst bereits alle Bäume bunt angemalt hatte. Das trockene Rascheln der bald niederfallenden Blätter war eine schöne, sanfte und unaufdringliche Begleitmusik für junge Paare, die im Rahmen der geltenden Anstandsregeln ihre Freizeit in den Parks verbrachten.
"mal sehen, ob mein Brief schneller bei Britt ist als deiner", scherzte Millie, die erst heute ihren langen Brief an Brittany Forester abgeschickt hatte.
"Kann sein, daß meine Eule eine Woche braucht. Ich habe ihr Geld für eine schnelle Beförderung mitgegeben", sagte Julius.
"Ich auch", erwiderte Millie darauf nur. Dann sprachen sie über die verstrichene Woche, die mit Tourrecandides Verschwinden angefangen hatte und mit dem überraschenden Sieg der Gelben über die Violetten zu Ende gegangen war.
Die letzte Woche vor Glorias siebzehntem Geburtstag war der übliche Lernstress. Besonders die ZAG-Kandidaten und die UTZ-Klassen wurden heftig herangenommen. In den Verwandlungsstunden mußten sie die Beschwörung von Kleinlebewesen ungesagt einüben, während Julius bereits mehrfach an der Autonebulation übte. Zwar gelang es ihm jedesmal schneller, in die magische Gasförmigkeit überzuwechseln. Doch er war immer wieder froh, wenn er seine feste Form zurückgewann. Millie werkelte auf Professeur Dirksons Anraten schon mit Mensch-zu-Tier-Selbstverwandlungen herum, die sie auch im Freizeitkurs auszuführen hatte. Am Ende des Halbjahres würde die Lehrerin dann befinden, ob Millie auch schon Autonebulationsübungen machen konnte. In Zauberkunst trat die sechste Klasse einmal im Freien zusammen, um die höheren Luftelementarzauber auf großer Fläche aufzurufen, wobei es galt, den gerade vorherrschenden Wind zu verstärken, in eine andere Richtung zu lenken oder vollständig einzuschläfern.
"Wenn sie gegen in Bewegung befindliche Luft- und Wassermassen anzaubern müssen haben Sie immer einen entsprechend hohen Widerstand zu überwinden. Der wahre Elementarkraftmeister ist der, der es schafft, über eine längere Zeit eine vom natürlichen Wettergeschehen entkoppelte Witterung zu erzeugen, beispielsweise einen absolut windstillen Raum in einem Orkan. Letztes Jahr habe ich die Stürme nutzen können, um mit der jetzigen UTZ-Klasse solche windtoten Zonen zu zaubern. Einige waren danach so erschöpft, daß sie zu Madame Rossignol mußten, um nicht ohnmächtig zu werden. Ich höre ihre ungehaltenen Kommentare noch heute", erwiderte Professeur Bellart, deren rotblonder Schopf in zwei Zöpfen über ihre Schultern herabhing, während sie vorführte, wie eine Windtote Zone geschaffen wurde. Gemäß den Stufen, die erreicht werden mußten, würden die Schüler aber wohl noch häufig üben müssen, um großflächige Windbeeinflussung zu erzeugen. Apollo Arbrenoir fragte einmal, ob atmosphärische Zauber auch wie echte Luftdruckzonen über mehrere Kilometer wandern konnten.
"Wenn Sie bei Ihrer Zauberei zulassen, daß die von Ihnen manipulierte Elementarkraft von den restlichen Luft- oder Wassermassen bewegt werden kann schon. Dann kann ein Wetterzauber eine Störung des natürlichen Wettergeschehens darstellen und dieses vollkommen verändern, so daß dort sintflutartige Wolkenbrüche abregnen, wo eigentlich strahlender Sonnenschein vorherrschen sollte oder es sogar im Sommer schneit, weil ein Hagelzauber ungezügelt den Ort wechseln und dabei zu Schneegestöber ausarten kann. Hat es alles schon gegeben", erwiderte Bellart. "Das Problem ist, daß bei räumlich gebundenen Wetterzaubern mit Meteolohex Recanto die künstliche Wetteränderung aufgehoben werden kann. Fehlt die räumliche Bindung jedoch, pflanzt sich die magische Wetteränderung als Anomalie fort, die zwar ihre Zauberkraft verliert, jedoch bis dahin derartig stark in das Wettergeschehen eingewirkt hat, daß die Natur es nicht so rasch ausgleichen kann. Dann kann ein Meteolohex Recanto dies nicht mehr ändern. Es ist so, als wenn sie einen Kessel Wasser ausschütten. Solange das Wasser im Kessel bleibt, kann es kontrolliert erhitzt oder abgekühlt, umgerührt oder in andere Behälter umgefüllt werden. Wird es jedoch ausgeschüttet, verteilt es sich und sucht sich seinen eigenen Weg. Deshalb haben Pinkenbach und Silverlake diese ungebundenen Zauber auch als "Kesselsturz-Anomalie" bezeichnet. Verschüttete Milch oder verschüttetes Wasser kann man nicht mehr in den Topf oder Kessel zurückfüllen. Deshalb müssen Sie, auch im Bezug auf Ihre eigene Ausdauer, genau abstimmen, in welchem räumlichen Gebiet ein von Ihnen aufgerufener Elementarzauber wirksam werden soll. Vernachlässigen Sie die räumliche Abgrenzung, gerät der Zauber in Bewegung und erzeugt die erwähnte Wetterstörung. Derartige Manipulationen, sobald sie Sach- oder Personenschäden verursachen können, sind strafbar. Sie lernen hier bei mir die Zauber, um Ihr Gefühl für die Elementarkräfte zu verbessern. Es geht nicht darum, Leuten durch ungebremste Wetterzauber sprichwörtlich Stimmung und Habe zu verhageln."
In den Stunden bei Delamontagne taten sich Millie und Julius mit den mächtigen Sonnenzaubern hervor. Julius hatte inzwischen gelernt, daß die Mauer aus Sonnenlicht auch zu einem Ring gebogen werden konnte, der den Zauberkundigen selbst oder ein Nachtwesen umschließen konnte. Erstes diente dem Schutz, zweites der Bannung des Nachtwesens, sofern es nicht fliegen oder sich schnell unter die Erde zurückziehen konnte. In den Zeitungen stand etwas von einem Ultimatum der Zwerge gegen das Zaubereiministerium, weil das Felsenwühlerproblem immer noch nicht gelöst worden war. Dies ließ Professeur Delamontagne den Seminarplan umstellen und die Zwerge zuerst erwähnen, wobei, weil Olympe Maxime ja nicht mehr in Beauxbatons war, Millies Oma Lutetia wieder als Gastrednerin auftreten und Millie ihren bereits einmal gehaltenen Vortrag wiederholen durfte. Professeur Fourmier erwähnte auf Anfrage, daß die Felsenwühler magisch aufgeblasene Regenwürmer waren, die vor zweihundert Jahren mit Kellerasseln zusammengekreuzt worden waren und besorgte für die Donnerstagsstunde vier Exemplare aus der Menagerie bei Avignon, wo an Zaubertieren geforscht wurde. Julius empfand die knapp zwei Meter langen, mit fünf Beinpaaren besetzten Geschöpfe als gewöhnungsbedürftig, aber nicht sonderlich gefährlich. Doch er mußte wie die anderen lernen, das die steingrauen Kreaturen einen höchst ätzenden Verdauungssaft auswürgten, der das festeste Gestein auflöste und sie es mit ihren zahnlosen Mäulern wie die natürlichen Regenwürmer in sich einsaugen konnten. Das einzige, was dem entgegenwirkte waren Steinhärtungszauber wie Megadamas und Wände aus Gold oder mit Säurebindenden Elixieren besprühtes Material. Da die Felsenwühler nur mineralische Nahrung zu sich nahmen bestand ihre Gefährlichkeit darin, daß sie Häuser zum Einsturz bringen oder Hohlräume in den Boden fressen konnten, über denen dann die Erde einstürzte.
"Eigentlich wollen die, die diese Wesen erzeugt haben nützliche Bergwerkshelfer haben. Daher sind sie bei den Kobolden bis heute auch noch beliebt", erwähnte die Lehrerin mit den künstlichen Armen und Beinen. "Allerdings sind sie wie die Niffler, einmal losgelassen nicht mehr davon abzuhalten, sich durch Gestein zu wühlen. Daher sehen Zwerge in ihnen eben jene gefährlichen Parasiten, als welche sie sie im Miroir und der Temps anprangern. Es ist offenkundig, daß die französische Sektion der Gargwagg, dem Erschließungstrupp der Kobolde, die Zwerge damit zermürben und aus dem Land treiben will. Könnte nicht mehr lange dauern, und die Zwerge verlassen uns wirklich, was für sie und uns dann die beste Alternative wäre, wenn sie ihre Sturheit nicht über den Haufen werfen und unsere Schädlingsbekämpfer in ihre Höhlen ließen."
"Aber töten kann man die Biester doch", meinte Leonie Poissonier dazu."
"Das gelingt nur mit magisch gehärtetem Stahl oder purem Gold. außerdem können die Wesen in unmittelbarer Todesgefahr ihren Gesteinszersetzenden Auswurf auch gegen Angreifer richten. Überlegen Sie bitte mal, was von Ihnen übrigbliebe, wenn sellbst Granit und Basalt in dieser Flüssigkeit aufweicht. So bleiben nur Bolzen aus sicherer Entfernung oder das Gift der roten Feuerschnecke Promatia pyrodermata. Eine wirksame Methode, um Felsenwühler zu erlegen ist auch, Silber oder Gold in die berechnete Freßbahn der Exemplare zu schießen, die mit einem Flagrante-Zauber behaftet sind, der bei Berührung mit lebendem Fleisch die Erhitzung bis zur Weißglut hervorruft. Geraten derartig behandelte Metallbrocken in den durchgängigen Magendarmtrakt der Felsenwühler, zerstören sie dort das Gewebe und lassen die Geschöpfe verenden. Wenn der Zwergenkönig nicht übertrieben hat, grassiert in seinem Reich eine Plage von mindestens fünfhundert Exemplaren. Da sie wie Regenwürmer Zwitter sind, genügt es, wenn sich zwei Exemplare beim Durchwühlen des Gesteins aneinander reiben, um befruchtete Eier abzusetzen, die wie kleine runde Kristalle wirken und nach einer Woche Ruhe die knapp zehn Zentimeter langen Jungtiere freigeben, die bereits in der körperlichen Endform entstehen und nur noch wachsen, was zwar drei Jahre dauert, aber weil es bis zu tausend Stück pro Paarungskontakt sind schwer einzudämmen ist."."
"Echt, die kriegen Kinder durch Schmusen?" Fragte Caroline Renard. "Da sollte ich aber aufpassen."
"Mademoiselle Renard, langsam sollten Sie es doch gelernt haben, daß ich unerbetene und noch dazu unqualifizierte Zwischenrufe nicht hinnehme", knurrte Fourmier. "Zwanzig Strafpunkte und noch einmal fünf wegen dieser an sich unnötigen Ermahnung", legte sie dann noch nach. Caroline verzog zwar das Gesicht, mußte aber die aufgeladenen Punkte hinnehmen. Die anderen grinsten hinter vorgehaltener Hand.
"Ja, und wenn die Zwerge unsere Leute nicht zu sich reinlassen, um die Felsenwühler erledigen zu lassen, könnten die selbst deren gehärtete Minen zerstören?" Fragte Millie nach ordentlich erbetener Sprecherlaubnis.
"Auch wenn die Stollenstützen wohl gesondert gehärtet werden und die Versammlungshöhlen auch entsprechend behandelt wurden können die Felsenwühler das Gestein darum herum brüchig machen und zu einer höchstgefährlichen Instabilität führen. Ich verstehe zumindest die Alarmiertheit der Zwerge. Aber dann sollten sie jede Hilfe annehmen, die ihnen geboten wird." Darin stimmten alle der Lehrerin zu.
Kevins Antwort war knapp fünf Tage nach der Anfrage von Julius abgeschickt worden. Als die Posteule am siebenundzwanzigsten Oktober eintrudelte, war höchste Eile geboten. So schickten er und alle anderen, die Glorias Geburtstag bedenken wollten das große Paket mit allen Geschenken gleich an diesem Tag noch los. Die Torte war unter der Aufsicht von Madame Faucon zu einem dreistöckigen Wunderwerk geraten, mit einer großen Siebzehn aus weißer Schokolade oben drauf, umstellt von den harmlos wirkenden weißen Geburtstagskerzen. Céline hatte sehr gut daran getan, nicht zu verraten, was in diesen Kerzen steckte. Julius konnte sich Glorias Reaktionen vorstellen, die von einem erheiterten Lachen über ein genervtes Schnauben bis zu einem Heuler an ihn oder wen anderen reichen mochten. Doch das nahm er in Kauf, wenn Glorias Geburtstag dafür unvergeßlich verlaufen würde.
Am Montag abend nach dem Zubettgehen trat Aurora Dawn in das über Julius' Himmelbett hängende Portraitbild ein. Offenbar war sie gerade aus Australien zurückgekehrt und wirkrte sehr nachdenklich.
"Julius, mein natürliches Ich ist sich da nicht ganz sicher, aber seit mehreren Wochen haben wir nichts mehr von der großen Spinne gehört oder gesehen. Sonst ist sie immer nach drei oder vier Tagen irgendwo aufgetaucht. Unsere Suchmannschaften haben mittlerweile Lebensquellsonden mit ihrer besonderen Aura kalibriert. Damit war es bisher möglich, sie früh genug aufzuspüren, bevor sie in einer Muggelsiedlung marodieren konnte. Allerdings hat sie uns auch schon einige Male ausgetrickst, weil sie als Frau ihre eigene Lebensausstrahlung verdunkeln kann, wenn es ihr gelang, einen Zauberstab zu erbeuten. Die letzte sichere Meldung stammt vom fünften Oktober, wo sie in der Nähe von Perth mit mehreren Suchern zusammengerasselt ist. Jetzt suchen die Spürtrupps von Ministerin Rockridge schon seit zwanzig Tagen nach neuen Anzeichen dieser Kreatur."
"Sie könnte sich als Frau in Sydney oder Melbourne versteckt haben", meinte Julius.
"Das schließen mein natürliches Ich und alle Tierwesenexperten mittlerweile aus, daß sie diese Gestalt länger halten kann als drei Tage. Nach allem, was wir von dir und auf Grund eigener Erfahrungen gelernt haben ist die Spinnengestalt ihre primäre Erscheinungsform. Anders als ein Animagus, der jahrelang in der Tiergestalt zubringen kann, vermag sie wohl nicht, ihre menschliche Erscheinungsform länger beizubehalten. Wir müssen sogar davon ausgehen, daß sie eine bestimmte Konzentration braucht, um als Menschenfrau und Hexe herumlaufen zu können. Verliert sie diese Konzentration, wird sie zur Spinne." Julius nickte. Das stimmte mit dem überein, was er von Temmie über Naaneavargias bedauernswerten Zustand erfahren hatte.
"Aber euer Kontinent ist ziemlich groß und sehr dünn besiedelt. Die kann da locker untertauchen und für Jahrzehnte unsichtbar bleiben", wandte er noch ein.
"Genau deshalb haben wir ja über ganz Australien und die Inseln Tasmanien und auch Neuseeland die kalibrierten Spürgeräte verteilt. Auch die Ureinwohner helfen durch ihre eigene Magie mit, die Kreatur aufzuspüren. Wir haben dabei sogar einen mächtigen Verbündeten, den Geist von Yati Wullayata. Du kennst ihn ja noch von deinem Ausflug zum Eyers Rock beziehungsweise Uluru, sagt mein natürliches Ich."
"Ja, ich erinnere mich. Er wollte diese Spinnenbestie aufhalten und starb wohl im Sturm. Er ist also als Geist wiedergekommen."
"Als Bote der Traumzeit, wie er sich seinen Stammesmitgliedern gegenüber vorstellte. Die Ureinwohner haben ja ein besonderes Verhältnis zu beseelten Dingen und Wesen. Sie haben uns einige Male vorgewarnt, wo die Spinne das natürliche Gefüge der Lebewesen gestört hat. Damit kann sie nicht für Jahrzehnte im Busch verschwinden. Daher müssen wir wohl befürchten, daß sie es doch angestellt hat, von unten drunter auf große Fahrt zu gehen und sich ein neues Jagdrevier zu suchen."
"Will sagen, dein natürliches Ich hat Angst, das Biest könnte langsam genug von den Känguruhs und Schafen bei euch haben und doch irgendwie hinter mir her sein", seufzte Julius. Damit hatte er seit seinem Ausflug nach Australien und der Himmelsburg jeden Tag rechnen müssen.
"Ganz auszuschließen ist das leider nicht mehr. Wenn wir in den nächsten zwei Wochen immer noch nichts von ihr hören, ist sie nicht mehr bei uns", erwiderte Aurora Dawns Bild-Ich. . Dann fiel ihm wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein, was ihm Temmie in einem von ihr gelenkten Traum erzählt hatte, daß sie eine Erschütterung gefühlt habe, die wie ein lauter Schmerzensschrei und dann ein Jubelschrei war und es Wellen aus dem Himmel gegeben habe, die sie jedoch nicht hatte orten können. So fragte er schnell:
"Kann es vielleicht sein, daß sie eine Möglichkeit gefunden hat, einen Ort zu betreten, den ihr Bruder erschaffen hat? Vielleicht hat sich dieses Spinnenbiest selbst umgebracht und ist als mächtiges Geisterwesen zu ihrem großen Bruder aufgefahren wie Jesus in den Himmel."
"Wie kommst du darauf?" Fragte die gemalte Aurora Dawn. Julius erwähnte im Schutz des Schnarchfängervorhanges, was die geflügelte Kuh Artemis ihm in einer Traumbotschaft übermittelt hatte.
"Oh, wenn die sowas über die riesige Entfernung mitgekriegt haben sollte ist das Mädel aber sehr empfindlich", erwiderte die gemalte Heilerin. Julius räumte ein, daß Temmie nicht genau hatte sagen können, was passiert war und wo es passiert war. Er verglich es mit einem fernen Donner, der durch die Echos nicht mehr genau zu orten war. Er gebrauchte sogar den in den Star-Wars-Filmen erwähnten Ausdruck von der Erschütterung der Macht, wenn mächtige Träger der Macht sich einander näherten oder etwas wie die Zerstörung eines ganzen Planeten passierte. Auch das hatte der altehrwürdige Jedimeister Kenobi im Film als Aufschrei bezeichnet, der schlagartig abbrach, als Millionen Bewohner des vom Todesstern angegriffenen Alderan mit einem Schlag ihr Leben verloren. Dazu paßte aber kaum der Jubelschrei, den Temmie danach gehört zu haben meinte. Das hieß, gehört hatte sie ja nichts. Ihre Empfindung ging nur in die Richtung, daß es eine Art Jubelstimmung gewesen sein könnte.
"Kann es sein, daß die Wesen, die du in dieser Himmelsburg aufgesucht hast dieses Spinnenmonster erledigt haben und es zu einem Geist wurde, der nun in dieser Himmelsburg verbleibt?" Fragte Aurora Dawns Bild-Ich. Julius schloß das sofort aus. Denn die Bewohner der Himmelsburg durften Ailanorars Schwester weder angreifen noch umbringen. Das war ihnen von ihrem Schöpfer ganz klar und unabänderlich in die Erbsubstanz und die Einrichtungen der Himmelsburg eingeprägt worden. Seiner Familie durfte von dort aus nichts passieren. Das zeigte wiederum, daß der alte Windmagier, dessen Seele mit seiner magischen Flöte verschmolzen war, die Gefahr seiner Schöpfung sehr gut einschätzen konnte.
"Dann weiß ich nicht, ob und was deine große Freundin Artemis da gemerkt hat", erwiderte die gemalte Aurora. "Geh also besser davon aus, daß dieses Monstrum nun von unserem Kontinent runter ist und womöglich nach dir sucht! Zumindest weiß es nicht, daß du mit dieser Spinne zu tun hattest. Aber sieh zu, daß deine Angehörigen alle sicher untergebracht sind, um diesem Monster nicht in die Quere zu kommen!"
"Dann müßte ich meine Mutter in meinem Haus einsperren oder zu meinen Schwiegergroßeltern ins Sonnenblumenschloß verbannen. Bei Catherine ist sie ja durch Sanctuafugium-Zauber auch geschützt. Aber dann dürfte sie sich ja nirgendwoanders mehr blicken lassen. Ich fürchte, nachdem sie ein halbes Jahr in Millemerveilles gehockt hat, könnte sie eine neuerliche Schutzhaft ablehnen."
"Sie ist erwachsen und muß selbst entscheiden, was sie tut", seufzte Aurora Dawns Bild-Ich. "Na ja, wir können uns auch irren, und dieses Ungeheuer hat sich nur gut genug versteckt, daß wir länger brauchen, um es wieder aufzuspüren. Mein natürliches Ich wollte dich nur vorwarnen, daß sie vielleicht doch den Erdteil wechseln kann."
"Wenn sie mit einem Flugzeug der Muggel fliegt kann sie das in den drei Tagen, die ihr ihr einräumt locker zweimal um die Erde schaffen", erwiderte Julius. er fragte sich eh, warum dieses Biest so lange auf dem fünften Kontinent ausgehalten hatte, wo er da schon lange nicht mehr war. Andererseits schöpfte er zumindest die Hoffnung, daß Aurora und ihren Kollegen und Freunden dort unten drunter nichts mehr passieren würde, falls dieses Geschöpf ihre Heimat verlassen hätte. Doch was würde er tun, wenn ihm diese Naaneavargia plötzlich gegenüberstünde, egal ob als Spinne oder Frau? Umbringen konnte er sie nicht, weil er entweder die Macht über die vier alten Zauber Altaxarrois verloren hätte oder dieses Monstrum als Spinne gegen den Todesfluch immun war. Vielleicht war es möglich, sie in eine Zone zu locken, wo ihr ein ständig aufgefrischter Schlafzauber die Besinnung nahm und sie unschädlich verwahrt werden konnte, wie die Entomanthropen verwahrt wurden, bevor Anthelia sie aus ihrem Versteck befreit hatte oder wie Naaneavargia Jahrtausendelang im Uluru festgesessen hatte. Sollte es so sein, daß er der Köder war und bei dieser Aktion mit in unaufweckbaren Schlaf versenkt wurde, dann würde er das wohl auf sich nehmen, wenn er wußte, daß sein Patzer von damals damit ausgebügelt war, dieses Biest nicht besser eingesperrt zu haben, bevor er sich auf den Rückweg gemacht hatte. Aber er war wohl zu berauscht gewesen, daß sie wie eine Statue dagestanden hatte, unfähig, sich zu rühren, beziehungsweise durch einen Zeitzauber derartig stark verlangsamt war, daß jedes Zwinkern Stunden oder Tage gebraucht hätte.
Er bedankte sich bei Auroras Bild-Ich für die Mitteilung, die er als Alarmstufe-Gelb-Mitteilung einstufte. Er bat sie noch, Madame Faucon diese Meldung zu überbringen. Womöglich konnte die Liga gegen dunkle Kräfte auf die Suche nach diesem Wesen gehen. Aber die hatten schon genug mit jener mysteriösen Vampirlady zu tun, von den vielleicht noch einzeln oder in kleinen Banden herumlaufenden Todessern ganz abgesehen. Doch wenn dieses Monsterweib Naaneavargia nach Frankreich vorstoßen konnte sollte das jeder wissen, der in der Abwehr böser Wesen tätig war. Auroras Bild-Ich nickte und verließ durch den rechten Teil des Bilderrahmens das Portraitgemälde. Julius dachte nun, sich hinlegen und schlafen zu können. Gerade wurde es in Frankreich Mitternacht. In England würde noch eine Stunde der 28. Oktober sein. Dann würde Gloria Porters siebzehntes Lebensjahr zu ende gehen.
Julius blickte noch einmal auf das leere Portraitbild, als sich auf dem Hintergrund ein Flimmern zeigte, daß zu einer erst verschwommenen und dann unvermittelt festen Form wurde. Im Vordergrund des Bildes stand nun eine untersetzte Frau mit geblümten Kleid und Strohhut auf den graublonden Locken. Wie lange war das schon her, daß er sie das letzte Mal gesehen hatte?
"Hallo, Honey. Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört, nicht wahr?" begrüßte die nun auf dem Bild sichtbare Hexe den jungen Zauberer.
"Es ist in den letzten Monaten so viel passiert, seitdem Sie mit mir und den anderen zusammen den Abgang von Lord Massenmord mitverfolgt haben, Señora Araña Blanca", erwiderte Julius darauf.
"Ja, dies trifft zu, und mehr noch als du und die meisten anderen mitbekommen habt. Zwischendurch schaffe ich es, im Schlepptau vertrauter Bild-Ichs in meine alte Heimat zu reisen und da sogar ungesehen irgendwo in die natürliche Welt zurückzutreten oder Erkundigungen einzuholen. Dieser Wahnsinnige mag zwar erledigt sein. Die Welt ist dadurch jedoch nicht wirklich sicherer geworden. Was die junge Dame, deren Wohnzimmer ich hier gerade besetzt halte dir erzählt hat ist ein für mich sehr entscheidendes Mosaiksteinchen. Denn es bestätigt einen starken Verdacht, den ich habe. Und bevor du fragst, welcher das ist werde ich mir erst mal was zum Hinsetzen zeichnen. Wenn ich nicht gerade laufe kriege ich leicht breite Füße vom langen Stehen." Sie hantierte mit einem Zauberstab und ließ einen Stuhl neben sich entstehen, auf dem sie Platznahm. Dann sagte sie ganz ruhig: "Du weißt ja von der guten Bläänch, daß es diese Vampirin gibt, die gegen diesen Mutanten Volakin gekämpft und dabei verloren hat. Sie ist freigekommen, weil er vernichtet wurde. Zumindest erschließt sich mir das, weil sie sofort wieder loslegte, als er unter dunklem Wasser begraben wurde. Die dunkle Flutwelle ist einer der vier schwerwiegendsten schwarzmagischen Elementarzauber. Damit konnte die Wiederkehrerin diesen an grenzenloser Selbstüberschätzung leidenden Blutsauger mit der zwanzigfachen Gewalt normalen Fließwassers zerstören. Daß sie dabei die Hilfe von Itoluhila, der Tochter des schwarzen Wassers, hatte, weißt du ja auch. Was wohl viele nicht mitbekommen haben und ich nur aus dritter oder vierter Hand mitbekommen konnte ist, daß die Wiederkehrerin sich bei der Vernichtung Volakins übernommen hat. Offenbar reagiert sie sehr empfindlich auf jene unsichtbare Strahlung, die Volakin zu diesem blauen Monster gemacht hat. Sofern ich meinen unabhängigen Informanten trauen darf wurde die Wiederkehrerin durch den letzten Ausstoß von Strahlung und dem Zusammenbruch eines Lagers, in dem Asche mit dieser Strahlung verborgen lag, sehr stark geschwächt. Sie hat wohl versucht, sich in den Besitz von Elixieren zu bringen, um die Verseuchung zu kurieren. Aber dabei wären ihre Wasserträgerinnen fast dingfest gemacht worden. Jedenfalls kam sie nicht daran. Dann erfuhr ich von meinen in Australien ausharrenden Informanten, daß eine Hexe, auf die die Beschreibung der Wiederkehrerin zutrifft, in der Nähe von Melbourne gesichtet wurde. Ich kenne einige von den erträglichen Sorores da unten, die wiederum ihre Beziehungen zu den weniger erträglichen Mitschwestern gezupft haben. Offenbar wollte die Wiederkehrerin erfahren, was es mit jener schwarzen Spinne auf sich hatte. Jemand muß ihr erzählt haben, daß diese unverwüstlich ist und nicht immer als Spinne herumläuft. Womöglich sah die Wiederkehrerin in ihr eine Hoffnung, die Krankheit abzuschütteln. Sie muß schrecklich ausgesehen haben, habe ich mir sagen lassen, fast keine Haare mehr auf dem Kopf und überall im Gesicht und am Körper dicke, rote Blasen." Julius sog Luft zwischen seinen Zähnen hindurch. Er erwähnte, daß das auf schwere Verstrahlung hindeutete. "Ja, das meinte deine australische Brieffreundin auch. Sie wurde ja nolens volens zur ersten Expertin für diese Art Verseuchung. Zumindest haben meine Informanten behauptet, daß die Wiederkehrerin derartig schwerkrank aussah. Sie hofften darauf, daß sie womöglich an den Auswirkungen stirbt. Vielleicht passiert ihr das noch. Na ja, sie hätte besser da bleiben sollen, wo sie vorher war. Dann könnte sie jetzt ein neues Leben führen, obwohl ... Lassen wir das besser!" Julius machte große Augen und spitzte die Ohren. Er unterdrückte gerade noch das Verlangen, zu fragen, was die Hexe mit dem Strohhut meinte. Doch er wollte jetzt hören, was sie noch zu sagen hatte. "Du hast ja damals in Hallitis Höhle mitbekommen, daß die Wiederkehrerin einen dunklen Avatar beschwören kann. Eine meiner Informantinnen will diesen Riesenvogel am zehnten Oktober in der Gegend von Melbourne vom Himmel herabstoßen gesehen haben. Mag sein, daß die Wiederkehrerin ihr letztes Aufgebot eingesetzt hat, um etwas zu ergattern, was wie der rettende Strohhalm für sie war. Ob sie es geschafft hat wissen wir nicht. Vielleicht hat ihr Mitternachtsvogel diese schwarze Spinne getötet, bevor diese der Wiederkehrerin ihr Geheimnis verraten konnte. Vielleicht konnte die Wiederkehrerin mit dieser Enthüllung nichts anfangen und darf nun auf den Tod warten."
"Dann hätte Antehlia, so heißt sie nun mal, diese Spinne mit ihrem Avatar erledigt, nachdem alles andere versagt hat?" Fragte Julius. Er konnte sich nicht genau entscheiden, wie ihn diese Vorstellung bewegen mochte. Einerseits wäre das Problem Naaneavargia damit aus der Welt und das Problem Anthelia dann irgendwann auch. Andererseits müßte er Anthelia wieder einmal danken, daß sie ihm das Leben gerettet hatte, auch wenn sie nicht gewußt hatte ... Dann überkam ihn ein heißer Schreck. Was, wenn Anthelia aus dieser Spinnenfrau herausgeholt hatte, wer sie aus dem Uluru befreit hatte und warum? Wenn die das vor ihrem möglichen Strahlentod noch einer Nachfolgerin anvertraute hatten diese Hexen einen Grund, ihn noch mehr zu belauern. Das sagte er auch schnell, als die gerade zweidimensional erscheinende Araña Blanca ihn ansah.
"sie sind sowieso schon darauf aus, daß du mal irgendwann ihre Erbanlagen veredelst, Julius. Das du verheiratet bist mag für die dann kein Hindernis sein. Jedenfalls muß ich nun davon ausgehen, daß diese schwarze Spinne in Australien nicht mehr existiert. Ob sie der Wiederkehrerin ihr Überlebensgeheimnis verraten hat und wer ihr aus dem roten Berg herausgeholfen hat weiß ich nicht. Jedenfalls muß ich abwarten, ob dieses Hexenweib noch einmal irgendwo auftaucht oder jemand ihre Leiche findet."
"Falls letzteres passiert, kommen Sie dann wieder zurück und rufen "April April!"?" Wolte Julius wissen.
"Hinge vom Datum ab", erwiderte die gerade nur bildhaft existierende Hexe mit mädchenhaftem Grinsen. Dann wurde sie wieder ernst. "Ich werde dann nicht mit Pauken und Trompeten in mein früheres Leben zurückkehren. Womöglich werde ich mich dann nur meiner Familie offenbaren. Aber dann auch nur, wenn ich mir absolut sicher sein kann, daß ihr durch meine Wiederkehr keine Gefahr mehr droht. Das wiederum kann ich erst sicher annehmen, wenn ich weiß, daß Sardonias Erbin endgültig entmachtet ist und keine ihr nachfolgt."
"Sie haben sich ja schon mit Madame Rossignol darüber gehabt, was ihre Familie durchmachen mußte. Und Dumbledore ist mit der festen Gewißheit gestorben, Ihnen eine Grabrede gehalten zu haben. Oder haben Sie sich ihm auch offenbart, bevor Snape ihn getötet hat?"
"Ich stand kurz davor, das zu tun. Aber er war andauernd unterwegs. Mittlerweile dürften wir wissen, was er gesucht und wohl auch gefunden hat."
"Einen von diesen Horkruxen", vermutete Julius sehr sicher.
"Was sonst, Honey. Immerhin wußte er, daß er nicht mehr lange leben würde und Harry Potter sich diesem Irren demnächst würde stellen müssen. Aber lassen wir das mal aus und kehren zur Wiederkehrerin zurück. Falls sie der letzten Rache Volakins erliegt könnte sie ähnlich wie damals einen Weg einschlagen, um irgendwann ein drittes Leben anzutreten. Und deshalb muß ich noch im Verborgenen bleiben, um herauszubekommen, wie sie das anstellt, um es im Bedarfsfall verhindern zu können. Ich wäre gerne wieder in der natürlichen Welt, Julius. Ich würde meiner Enkeltochter sehr gerne zu ihrem siebzehnten Geburtstag gratulieren, sie über Weihnachten einladen oder sowas und vor allem würde ich dieser Nyx, so heißt die Vampirin, die jetzt meint, die Königin aller Blutsauger sein zu müssen, entgegenwirken zu können. Und die ist bei weitem nicht die einzige Bedrohung. In Amerika ist jemand aus langem Exil zurückgekehrt, der ein Inferno auslösen kann. Aber das werden meine ehemaligen Kollegen vom LI wohl rechtzeitig genug bekämpfen. Du hast damit nichts zu tun."
"Ja, aber Mel, Myrna und Brittany vielleicht", erschrak Julius.
"die Vorbereitungen sind schon getroffen, die Gefahr abzuwehren. Brittany wird ihren Linus hoffentlich sicher in den Vermählungskreis begleiten. Ich frage mich zwar auch, wie so ein schüchterner Bursche, der vom Tod seines Vaters traumatisiert ist an dieses Temperamentsbündel geraten konnte. Aber das sind nebensächliche Probleme für mich."
"Nicht für Brittany", erwiderte Julius. Seine Gesprächspartnerin machte eine bejahende Kopfbewegung. Dann meinte sie:
"Jedenfalls ist es gut, wenn du mit dieser in eine von Barbara Latierres Kühen eingefahrenen Darxandria weiter gut aufpaßt. Es gibt noch zu vieles aus dem alten Reich, daß von irgendwem gefunden und dann falsch verwendet werden mag. Sollte die Wiederkehrerin von dieser Spinnenfrau einiges darüber erfahren haben könnte sie oder ihre Nachfolgerin auf die Suche danach gehen. Dies nur zur vorsichtigen Warnung."
"Ich will mir das im Moment nicht genau vorstellen, was jetzt mit der Wiederkehrerin passiert. Als ich gerade vier war war die Katastrophe von Tschernobyl, aus der dieser Volakin ja wohl irgendwie hervorgegangen ist. Bei uns haben sie zwar immer behauptet, wir hätten nichts von der verstrahlten Asche abbekommen. Aber die in meiner alten Heimat wollen nichts auf die Atomkraft kommen lassen. Es sind wenige, die ernsthaft dagegen protestieren. An einer Strahlenüberdosis zu sterben wünsche ich keinem Feind, auch keiner Anthelia. Die Abgrundsschwestern sind wohl dagegen immun wie gegen alles andere auch."
"O sag das mal nicht. Diese Gefahr war Lahilliota damals wohl nicht bekannt, ebensowenig wie der Wiederkehrerin. Die Zaubererwelt weiß ja erst seit dem Bergwerksunglück bei Resting Rock, daß es diese Verseuchung gibt. Eine andereFrage, Honey, haben sie Professeur Tourrecandide mittlerweile wiedergefunden?""
"Bis jetzt nicht", erwiderte Julius und fragte sich, ob seine Gesprächspartnerin vielleicht sogar die Unterredung zwischen ihm, Madame Faucon, der Schulheilerin und Professeur Delamontagne mitgehört hatte.
"Ich habe einiges erlebt und gelernt. Aber das wer ohne seine Kleidung und seinen Zauberstab einfach verschwindet ist neu. Das legt nahe, daß sie nicht von sich aus verschwunden ist."
"Professeur Delamontagne deutete an, es könnte mit dem zu tun haben, was ihr mit der Wiederkehrerin passiert ist. Wissen Sie, was das war?" Jetzt war die Frage aus seinem Kopf heraus. Würde er eine Antwort bekommen?
"Da du mich nur gefragt hast, ob ich weiß was passiert ist, kann ich dir ohne Probleme mit "Ja" antworten", bekam er die Antwort, mit der er innerlich gerechnet hatte. "sie hat eine Situation und die Besonderheit eines Ortes unterschätzt oder nichts davon gewußt. Aber interessant, daß euer neuer Fachlehrer gegen dunkle Kräfte das nicht ausschließt. Doch mir will da nicht in den Sinn, wie und warum es ablief. So müssen wir das zunächst einmal als reine Vermutung abtun. Ich geh dem mal nach und interviewe eure respektable Schulleiterin. Die wird mir hoffentlich einiges mehr aus der Liga berichten, was da so gelaufen ist und wird sicherlich auch meine Ergänzung zu Auroras Bericht wertschätzen. Am besten schläfst du jetzt. Ich denke, du wirst morgen direkt mit meiner Enkelin Gloria sprechen." Julius nickte. Dann verabschiedete sich die Hexe mit dem Strohhut und verschwand durch den rechten Rand des Bilderrahmens.
"Wenn ich der jetzt gesteckt hätte, was ich geträumt habe hätte die mir vielleicht Irrsinn unterstellt oder mir erklären können, was da passiert ist. Aber wenn die mir nicht alles erzählt muß die auch nicht alles von mir wissen", dachte Julius bei sich. Dann drehte er sich endgültig zum Schlafen um.
Der neunundzwanzigste verlief als gewohnter Schultag. Julius fiel ein, daß er vor genau einem Jahr den Husarenritt nach Hogwarts gemacht und seine vier dort verbliebenen Schulfreunde herausgeholt hatte, bevor Umbridges Ultimatum abgelaufen war. Er dachte noch daran, was Goldschweif ihm damals über Snape erzählt hatte. Erst sehr viel später hatte er erfahren, daß ihr Spürsinn nicht geirrt hatte und Snape kein durchweg skrupelloser Mörder gewesen war. Das alles war nun ein Jahr her, ein Jahr, in dem um und mit ihm viel passiert war. Gloria mochte nun, wo sie die magische Volljährigkeit erreicht hatte auch darüber nachdenken, wie haarscharf sie diesen Geburtstag nicht mehr erreicht hätte. Doch ebensogut hätte er fast seinen sechzehnten Geburtstag nicht mehr erlebt, zumindest nicht als Mensch. Und nach den Andeutungen Jane Porters war er sich im Moment auch nicht sicher, ob er seinen siebzehnten Geburtstag erleben würde. Sicher, er war bereits volljährig gesprochen worden. Aber er wollte den eigentlichen Volljährigkeitsgeburtstag gerne mit seinen Freunden im Apfelhaus feiern. Das ging aber nur, wenn Anthelia und die Mächte aus Altaxarroi ihn ließen, stellte er ziemlich betrübt fest. Dann dachte er daran, daß die Posteulen hoffentlich durch die Flohnetzpassage schnell genug bei Gloria Porter in Hogwarts ankommen mochten. Er würde sie wohl abends über die Spiegelverbindung beglückwünschen. ER wunderte sich nur, daß keiner, weder Gloria, noch Lea Drake, ihre Zweiwegspiegelverbindung zu ihm benutzt hatten, um mit ihm zu reden. Vielleicht wußte Leas Mutter ja mehr über die Wiederkehrerin. Doch dann würde er ja zugeben müssen, auf die schweigsamen Schwestern angewiesen zu sein. Nein, die Blöße wollte er sich dann doch nicht geben.
Im Zauberwesenseminar besprachen sie nun die Kobolde wie vor zwei Jahren schon einmal. Auf die direkte Frage, ob die Kobolde an der Felsenwühlerplage bei den Zwergen Schuld seien meinte der geladene Kobold:
"Ja, das erzählen die gerne, daß wir denen die schnuckeligen Tierchen zugeschickt haben. Dabei brauchen wir die, die wir haben, um nach Gold, Silber und Kupfer zu buddeln. Das sind nämlich hervorragende Tunnelgräber. Vielleicht hat einer von den Mützenträgern ein paar Eier von Felsenwühlern mitgehen lassen, weil er die für Bergkristalle gehalten hat. Tja, dann kommt sowas von sowas. Und wir Kobolde sollen das dann gewesen sein." Doch dabei grinste er spitzbübisch von einem Spitzohr zum anderen. "Andererseits, wenn die sturen Langbärte deshalb beleidigt sind und aus Frankreich abrücken soll uns das auch recht sein. Die braucht doch keiner mehr, seitdem wir Kobolde auf das ganze Gold und Silber aufpassen. Oder finden Sie nicht, daß wir das richtig machen?" Natürlich widersprach ihm da keiner. Denn jeder hatte ein Verlies in Gringotts oder Eltern, die dort ein Verlies hatten. Auch die Muggelstämmigen würden es nicht darauf anlegen, sich mit den Kobolden zu verkrachen, weil sie dann kein Zauberergold mehr bekämen, um in Beauxbatons weiterzulernen. "Also, wenn die nach vergorenem Fusel stinkenden Saufbärte Stunk machen und meinen, gegen die Zaubererwelt oder gar uns Kobolde kämpfen zu müssen, kriegen die eben Gragglaragg eins über ihre Zipfelmützen, und aus deren Bärten stricken wir uns Siegesfahnen."
"Nichts für ungut, Monsieur Garbaluck", erwiderte Professeur Delamontagne. "Aber ich denke, daß Zaubereiministerium wird nicht zulassen, daß Ihr volk sich mit dem der Zwerge einen Krieg liefert."
"Verstehe, die stellen sich genau zwischen die und uns hin, fangen sich von den Granitschädeln Prügel ein und lassen zu, daß wir aus purer Not alle Türen in Gringotts fest verschlossen halten, weil wir nicht wissen, ob nicht einer von diesen Mützenträgern unter dem Umhang eines Zauberers reingeschmuggelt wird. Wollen Sie doch nicht wirklich, oder?"
"Das Goldverwahrungsmonopol macht Ihnen im Moment keiner streitig, Monsieur Garbaluck", erwiderte Professeur Delamontagne. "Wir haben ja damals, als Didier an der Macht war keine Probleme miteinander gehabt, und werden auch in Zukunft keine Probleme haben. Im Zweifel werden die Leute des Ministeriums gegen den Willen der Zwerge die Felsenwühlerplage eindämmen, bevor diese zu Einbrüchen von Muggelstraßen oder Häusern führen wie die kollabierenden Stollen verlassener Kohlegruben."
"Wir klären das mit dem Minister, ob wir die ganzen Felsenwühler nicht einsammeln gehen dürfen. So welche lassen sich genial exportieren. In Südafrika kommen die bestimmt sehr gut bis tief runter zu den Goldlagern."
"Das obliegt erst einmal dem Zaubereiministerium, wie das Problem mit den Zwergen gelöst wird", stellte Professeur Delamontagne klar. Dann bat er den Verbindungskobold noch darum, die nicht zu privaten Sachen aus dem Familienleben der Kobolde zu erzählen.
Am Ende bedankten sich alle bei Garbaluck, der sich bedankte, daß man ihm zugehört hatte.
"Ich gehe jede Wette ein, daß die Spitzohren den Zwergen diese Biester in die Höhlen geschmuggelt haben", meinte Belisama beim Hinausgehen. Julius wollte das nicht kategorisch ausschließen. Die Kobolde profitierten davon, wenn die ebenfalls nach Erzen und Edelsteinen suchenden Zwerge aus dem Rennen waren."Hoffentlich ist unser Paket angekommen", sagte Belisama und meinte das große Postpaket für Gloria.
"Ich frage meine Ausgabe von Aurora Dawn gleich mal", sagte Julius darauf. Belisama wußte ja nicht, daß Julius einen Zweiwegspiegel hatte. Sie lächelte ihn nur an und nickte. Dann zog sie in Richtung weißer Saal davon.
Aurora Dawns Bild-Ich war um zwölf Uhr in seinem Bild. Julius fragte, ob Gloria ein großes Paket aus Beauxbatons erhalten habe. Aurora bestätigte das. "Sie will dich um halb eins eurer Zeit anrufen, wenn sie sicher sein kann, daß das Vertrauensschülerbad frei ist", sagte die gemalte Heilerin. So wartete Julius bis zur angegebenen Zeit. Ja, da vibrierte der mit Gloria verbundene Spiegel auch schon.
"Noch darf ich dir ja genau zum Geburtstag gratulieren", setzte Julius an, als er Glorias Gesicht im Spiegel sah. Ein flüchtiger Seitenblick auf Auroras Bild zeigte ihm, daß auch Jane Porter zuhörte. Gloria erwiderte:
"Ihr seid echt alle lustig miteinander. Wußte gar nicht, daß ich bei euch da drüben noch so beliebt war. Allerdings waren diese Geburtstagskerzen irgendwann nervig. Die brannten weiter, obwohl ich die dreimal auszublasen versucht habe und sangen "Zum Geburtstag viel Glück" und "Viel Glück und viel Segen" schief und völlig durcheinander. Das ist doch bestimmt aus der Unsinnsschmiede von Célines Onkel oder?"
"Ja, stimmt", erwiderte Julius.
"Na, dann landen die demnächst auch bei den Weasleys im Laden", grummelte Gloria. "Kevin fand es irgendwie witzig, obwohl er gerade mal angefangen hat, Französisch zu lernen."
"Huch, seit wann will denn der diese Sprache können?" Wunderte sich Julius.
"Weil er bei deinem siebzehnten nicht mehr so blöd außen vor sein will und sofort reagieren möchte, wenn Robert oder deine Frau was über ihn sagen. Kann auch sein, daß er gerne wissen möchte, was Patrice so zu ihm gesagt hat. Offenbar traut er mir als Übersetzerin nicht mehr so weit über den Weg."
"Pina hätte ihm doch auch übersetzen können."
"Womöglich lernt er auch wegen ihr. Es läuft zwar nichts zwischen den beiden. Aber Olivia hat sich in Kevin verguckt, seitdem sie sich von dem Hirngespinnst verabschiedet hat, dieser Adrian Moonriver könnte was mit ihr anfangen."
"Olivia dackelt hinter Kevin her. Wundert mich aber jetzt, daß mir weder Pina noch er sowas geschrieben haben. Oder wissen die beiden das nicht?"
"Kevin tut so, als sei ihm das total egal. Er hofft wohl, daß Olivia die Lust an ihm verliert. Der ist erst mal von Mädchen weg, seitdem Myrna ihn vor die Wahl gestellt hat."
"Achso, und um zu uns nach Beauxbatons zu kommen um von Olivia schön weit wegzusein lernt Kevin jetzt Französisch", vermutete Julius.
"Der kommt nicht zu euch. Schon gar nicht, wo der jetzt weiß, daß Madame Faucon die Schulleiterin ist", grinste Gloria.
"Und wenn hier das trimagische Turnier neu aufgelegt wird?" Fragte Julius, der einen neuen Verdacht hatte.
"Hmm, dann müßte der bei Professor McGonagall aber besser dastehen als im Moment. Professor Craft hat ihn dreimal nachsitzen lassen. Bei Professor Barley hat er sich einen Tag Krankenflügel eingefangen, weil er bei einem Übungsduell einen gegen Hexen nicht gerade angenehmen Fluch versucht hat und dafür den Echinodermis-Fluch abbekommen hat."
"O, der ist gemein. Aber den kann man mit Körperwiederherstellungszaubern doch aufheben wie Rhinotrunkus."
"Nicht, wenn die den mit einem Contrainversus-Zauber gekoppelt hat. Dann kann den nur ein Heiltrank gegen Hautverunstaltungen beheben. Sie meinte dann, daß Kevin es lernen solle, sich nicht auf derartige Zauber einzulassen, die nicht in Hogwarts gelehrt würden. Dann bekäme er immer die passende Quittung."
"Was wollte der ihr denn überbraten?" Fragte Julius.
"Das soll der dir selbst erzählen. Ich sehe nicht ein, dir seine Frechheiten beizubringen", knurrte Gloria. "Jedenfalls könnte der deshalb beim trimagischen Turnier wo auch immer außer Hogwarts außen vorbleiben, auch wenn er noch so gut französisch lernt", erwiderte Gloria schnippisch. Julius nickte. Dann fragte sie ihn, ob er auch Post von Brittany bekommen habe. Er bejahte es. "Onkel Marcellus, Tante Geri, Mel, Myrna, meine Eltern und ich sind wohl auch schon auf der Einladungsliste. Ich habe noch mal mit Mandy Brocklehurst geredet, die ja jetzt das UTZ-Jahr wiederholt. Linus hat aus Versehen seinen Vater mit dem Todesfluch erwischt, als er eine Entomanthropin dieser eigenständigen Brutkönigin erledigen wollte. Das hat ihn verständlicherweise sehr hart getroffen." Julius sog wieder Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein. Das war es also. Dann mochte sich Linus genauso schuldig fühlen wie er, als er seinen Vater nicht richtig aus Hallitis Einfluß gerettet hatte. Bei Linus war es noch schlimmer, weil der auch noch einen tödlichen Zauber ausgeschickt hatte. Gut, daß er das jetzt schon wußte. Dann würde er sich bei der geplanten Hochzeitsfeier nicht so leicht den Mund verbrennen.
"Jedenfalls meint Mandy, daß Linus wohl in der frühen Ehe einen Sinn sucht, vielleicht sogar hofft, seinem Vater auf diese Weise Ehre zu machen. Hauptsache, Brittany und er heiraten nicht, weil irgendein Heiler das als wirksame Therapie ausgegeben hat."
"Werden wir ja hoffentlich erleben", erwiderte Julius und dachte für sich: "Wenn wir bis dahin noch leben."
"Noch müssen die Einladungen erst einmal abgeschickt werden, Julius", erwiderte Gloria. Dann bestellte sie ihm, daß sie jedem auf der Liste derer, die ihr dieses große Paket geschickt hätten einen eigenen Dankesbrief schicken würde. Danach verabschiedeten sich beide zur Nacht.
Der November kam und mit ihm ein mächtiger Herbststurm. Es war fraglich, ob die Partie Blau gegen Weiß überhaupt stattfinden würde. Am Freitag vor dem Spiel flogen zerzauste und durchnäßte Posteulen in den Speisesaal, während draußen ein einziger Wasservorhang hing, der vom Wind immer wieder gegen die Scheiben gepeitscht wurde. Eine der vom Unwetter mitgenommenen Eulen hielt mit gut durchtränktem Briefumschlag auf Julius' Platz zu und landete erschöpfft. Er nahm den Umschlag. Die Tinte war schon etwas zerlaufen. Doch er konnte noch lesen, daß es die Antwort von Brittany war. Er zog das klamme Pergamentstück aus dem Umschlag und wunderte sich, daß die Schrift noch gut lesbar war.
Hallo Julius!
Ich soll dir erst einmal schöne Grüße von meinen Eltern und Venus Partridge bestellen. Venus läßt ausrichten, daß sie noch keinen Zauberer für ein Leben nach Quodpot gefunden hat. Kore hat sich gerade mit der Spispo, daß sie nach der Babypause wieder in eine Profi-Mannschaft will. Sie wohnt ja nicht mehr hier. Wir hätten die sofort wieder eingestellt. Aber die von der Spispo sind stur. Die berufen sich auf irgendwelche Heilergutachten, denen nach eine schon mal schwanger gewordene Hexe besser kein Quodpot mehr spielen soll. Aber sie hat alte Berichte ausgebuddelt, denen nach eine gewisse Shirley Bluestein vor zwanzig Jahren selbst nach der Geburt des dritten Kindes noch gespielt hat. Für mich ist das bestimmt nicht unwichtig, je nachdem, wie Linus und ich unsere Ehe anlegen wollen. Ich möchte ja gerne noch mindestens vier Jahre oder mehr spielen. Wenn ich mir bis dahin kein Kind erlauben darf müssen Linus' Eltern eben auf das Enkelkind warten.
Apropos Kinder, die kleine Larissa Swann ist immer wieder bei uns. Daddy findet sie süß. Die hat ja ähnliche Haare wie Millie. Offenbar probt er an der schon auf Opa. Aber das sage ihm besser nicht. Das Ministerium hat ja eine Menge mit der Suche nach der Wiederkehrerin zu tun. Und dann steht im Westwind ein Interview mit Wishbones Tante, die ... halte dich gut fest, auch seine Geliebte war. Sie hat verraten, daß sie von Wishbone vor seinem Abgang ein Kind in den Bauch gelegt bekommen hat. Wenn es ein Junge wird will sie ihn Anthony Lucas nennen, hat sie Lino verraten. Außerdem geistert im Kristallherold das Gerücht herum, daß ein übermächtiger Zombiemeister in Südamerika darauf ausgeht, in die Staaten reinzukommen. Angeblich soll der sich nach dem karibischen Voodoogott Samedi benannt haben oder ein Sohn von dem sein. ich habe noch keine echten Zombies gesehen. Und das darf auch gerne so bleiben.
So, und wo ich jetzt die Kurve zu den Monstern gekriegt habe noch die Antwort auf deine Frage: Ja, ich habe das mit dieser Vampirin mitbekommen. Sie nennt sich Lady Nyx. Der Name kommt wohl aus Griechenland und soll "Nacht" heißen, also mit dem Zauberwort "Nox" verwandt sein. Sie gehört zu den Hellmondlern, soweit konnte ich aus Venus' Vater herauskitzeln, als wir bei den Partridges unseren Sieg über die Bugbears gefeiert haben. Was sie so mächtig gemacht hat wollte er mir aber nicht erzählen. Nur soviel, daß sie wohl vor einigen Jahrhunderten eine Hexe gewesen ist und jetzt wohl wieder zaubern und hexen kann. Die ist bei euch auf dem Kontinent mit einem Vampir namens Volakin aneinandergeraten und von dem gebannt oder eingesperrt worden. Als dieser Volakin dann erledigt wurde wurde sie wohl wieder freigelassen. Die wollte damals einen Krieg vom Zaun brechen. Doch zwei Hexen haben die vertrieben. Eine hatte ein hell strahlendes Medaillon. Die andere trug einen rosaroten Umhang. Es ist wohl stark anzunehmen, daß die Sardonianerin der damals den Vampirzahn gezogen hat, in unserem Land einen Blutsaugerstaat aufzuziehen. Deshalb versucht die es jetzt wohl bei euch. Kann sein, daß die Sardonianerin deshalb lange nichts mehr vonn sich hat hören lassen, weil sie jetzt hinter der her ist. Hier in den Staaten kann sie wohl keinen Schritt vor die Tür machen, ohne von Ministeriumszaubberern verhaftet zu werden, wenngleich ich fürchte, daß jeder, der die festnehmen will besser vorher sein Testament machen sollte. Jedenfalls hat diese Nyx wohl lange in der Muggelwelt gelebt und kennt sich da aus. Die könnte also auch in einer Stadt wie Paris oder Moskau untertauchen und warten. Paßt also gut auf euch auf!
Übermorgen spielen wir gegen die Slingshots. Die nette Pat McDuffy wird sich wohl freuen, gegen mich anzutreten. Ich wünsche euch noch eine friedliche Zeit bis Weihnachten. Und wenn wir die ganzen Sachen geplant und angeleiert haben kommen auch die Einladungen. Deine Mom setzen wir auch auf die Liste.
Bis dahin alles gute!
Brittany Dorothy ForesterP.S.: das wird einer der letzten Briefe sein, die ich mit diesem Namen unterschreibe
Julius steckte den Brief schnell fort, während die anderen ihre vom Regen angefeuchtete Post lasen. So verhielt es sich also. Diese Lady Nyx spukte nun in Europa, nachdem die Wiederkehrerin ihr in den Staaten die Tour vermasselt hatte. Nur in Europa spukte noch mindestens eine Abgrundstochter. Wenn die mit dieser Nyx aneinandergeriet konnte es ziemlich krachen. Dann wollte er lieber hoffen, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Wishbones Tante erwartete vom dem selbst ein Baby? Dann hatte der die letzten Tage seiner Herrschaft aber sehr produktiv ausgenutzt, dachte er. Auch in den Staaten hatten sie lange nichts mehr von der Wiederkehrerin gehört. Er fragte sich, was für ein strahlendes Medaillon es war, das die Vampirin so wirkungsvoll zurückgedrängt hatte. es mußte irgendwas mit der Sonne zu tun haben. Andererseits konnte er selbst darauf verzichten, der Wiederkehrerin oder dieser Nyx über den Weg zu laufen. Er wollte sich nun wieder auf den anstehenden Schultag konzentrieren. Sein Leben ging ja irgendwie weiter, ob da draußen nun eine machthungrige und blutdurstige Vampirlady herumspukte oder eine totkranke Anthelia. Solange sie ihn hier in Ruhe ließen und seine Mutter notfalls bei Catherine Brickston sicher untergebracht war konnten die ihm alle beide gestohlen bleiben. Er mußte nur noch einmal daran denken, was Jane Porter ihm erzählt hatte. Naaneavargia konnte tot sein. Falls Anthelia vorher alles über seinen Ausflug zu ihr herausgeholt hatte mochte sie irgendwann darauf kommen, ihn wieder für irgendwas einzuspannen oder das einer würdigen Nachfolgerin zu überlassen, vielleicht der, die laut Brittanys Brief dieses strahlende Medaillon benutzt hatte. Aber bis dahin wollte und mußte er so weitermachen, wie es von ihm als Saalsprecher in Beauxbatons verlangt wurde, auch wenn er in den letzten Tagen mit gewisser Trübsal an Claire hatte denken müssen, deren zu frühen Ausstieg aus dem Leben er indirekt mitverschuldet hatte. Das hatte Millie jedoch mitbekommen. Und sie hatten in einem langen Gespräch seine Gefühlslage ausgelotet, daß er Claire zwar noch nachtrauerte, aber doch mit ihr, Mildrid Ursuline Latierre, glücklich war, vor allem, weil Claires Nachleben-Erscheinung Ammayamiria das ja so gewollt hatte.
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